[166] Emanuel Geibel
Zeitstimmen

[171] Einleitung

Sommer 1841.


In vor'gen Tagen manch ein Lied von Lust und Liebe sang ich euch,
So wie's zur schönen Rosenzeit der Vogel singt im Waldgesträuch;
Die Jugend floh, die Lust verlosch, da stellt' ich alles Singen ein,
Und alten Sagen forscht' ich nach in Spaniens Pomeranzenhain.
Da kam ein Beben in die Welt, hohlbrausend wuchs der Zeiten Sturm,
Die Eiche bog ihr knotig Haupt, in seinen Festen brach der Turm;
Und als ich nun vom Pergament die Augen hob und sah umher,
Da schien der Osten feuerrot, im Westen hing's gewitterschwer.
Und rings die Völker sah ich stehn im Widerschein des Flammenlichts,
Gewappnet und erwartungsvoll, als harrten sie des Weltgerichts;
Doch murrt' es auch nur dumpf und fern, ich sah, daß [171] nah ein Kampf uns ist
Von Nacht und Licht, von Geist und Stoff, ein Kampf von Gott und Antichrist.
Und mächtig faßte mich Begier, mitauszufechten solchen Streit,
Doch was vermag ein einz'ger Arm, ein schwacher Arm in unsrer Zeit?
[171]
Da sprach mein Herz: Es ist der Reim des Sängers Wehr in Ernst und Scherz,
Und da von Erz die Zeiten sind, so sei'n die Lieder auch von Erz.
Wohlauf, wohlauf denn, mein Gesang, und wandle klingend deinen Schritt!
Ich geb' als werten Talisman das Kreuz dir in die Schlachten mit;
Der Freiheit Röslein hell im Schild, des Geistes Schwert in fester Hand,
So schreit, ein wackrer Rittersmann, geharnischt durch das deutsche Land.
Und lächelt ihr, daß meine Brust so sicheres Vertrauen hegt,
Bedenkt: Es ist das Dichterherz die Glocke, die die Stunde schlägt;
In ihm versammelt sich der Hall, der murmelnd läuft von Haus zu Haus,
Und vollen Schwunges sendet's ihn melodisch in die Welt hinaus.

Kreuzzug

Frühjahr 1841.


O Schmach und Schimpf, Europa, dir und deiner tatenlosen Ruh'!
In Flammen steht Jerusalem, und träge feiernd schaust du zu;
Das Grab, darin der Heiland lag, es ward der Muselmänner Spott,
Doch du verrätst in schnödem Geiz noch heut wie Judas deinen Gott.
Hätt' ich ein Lied so rot wie Blut und laut wie Kriegstrompetenschall,
Zu allen Thronen sendet' ich's, bis daß es fände Widerhall,
[172]
Von Land zu Lande sollt' es ziehn durch alles Volk des Okzidents
Und werben für die heil'ge Stadt, wie jener Mönch von Amienz.
Ja, rufen sollt' es aus dem Grab die Zeit, von Ruhm und Taten voll,
Als vor der Andacht mächt'gem Hauch hochflatternd jedes Banner schwoll,
Als, wo es Gottes Sache galt, der Greis der Narben nicht gedacht,
Und froh sein sechszehnjähr'ges Blut der blonde Knabe dargebracht.
Da wälzte sich lawinengleich durch Land und Meer der Kriegesruf,
Da funkelt' hell das Christenschwert, da klang des Christenrosses Huf,
Wie Judas Wolkensäule zog das Kreuz den Streitern hoch voran,
Bis sie vom Ölberg Zions Burg im Morgenrote vor sich sahn.
Ei, wie so anders lenkt ihr Schiff die Staatskunst jetzt in schlauer Pflicht,
Am Steuer sitzt der Eigennutz, und die Devis' heißt: Gleichgewicht;
Jetzt wird auf morschem Minarett der rost'ge Halbmond klug gestützt,
Und mit der Feuerschlünde Wut des alten Erbfeinds Reich geschützt.
O England, Meeresfürstin, wird dein weißer Fels nicht rot vor Scham,
Denkst du an Richard Löwenherz, der Ehre kühnen Bräutigam?
[173]
O Deutschland, rauscht auf deinen Höhn der Wald nicht nach Prophetenart,
Dir zu verkünden, wie da starb dein Kaiser mit dem roten Bart?
O Frankreich, ist in deinem Ohr denn klanglos das Gerücht verhallt,
Wie deiner Söhne Panzerschritt gen Sonnenaufgang einst gewallt?
Tönt aus gewölbter Königsgruft zu Saint-Denis um Mitternacht
Des heil'gen Ludwigs Stimme nicht und ruft zur Sarazenenschlacht?
Das waren Helden! Ob am Gaum der letzte Tropfen war verdorrt,
Sie achteten des Durstes nicht, sie hielten fest und kämpften fort,
Die Wüste trank der Schlachten Blut, auf fahlen Flügeln kam die Pest,
Der Sandwind grub die Leichen ein - sie kämpften fort und hielten fest.
Jetzt gilt es nicht mehr, jahrelang die heißen Steppen zu durchziehn,
Nicht mehr mit braunen Reitern steht entgegen euch ein Saladin;
Nur eines Winkes braucht's von euch, und eurer Feinde Burg zerbricht,
Nur eines Winkes, und befreit ist Zion - doch ihr winket nicht!
O Schmach und Scham, Europa, dir und deiner tatenlosen Ruh'!
In Flammen steht Jerusalem, und träge feiernd schaust du zu,
Das Grab, darin der Heiland lag, es ist der Muselmänner Spott,
Doch du verrätst in schnödem Geiz noch heut wie Judas deinen Gott.

[174] Was uns fehlt!

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzugen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.


Es ist in leere Nüchternheit die ganze Welt versunken,
Und keine Zunge redet mehr vom Heil'gen Geiste trunken;
Die Poesie, das fromme Kind, ist scheu von uns gewichen,
Der Himmel dünkt uns trüb und grau, und Sonn' und Mond verblichen;
Die groß geschaut und groß gebaut, sie schlummern in den Särgen,
Auf ihren Gräbern kriechen wir als ein Geschlecht von Zwergen,
Nichts blieb uns als die schlimmste Kunst, zu zweifeln und zu richten,
Und wenn sich ein Gigant erhebt, so ist er's im Vernichten.
Wohl grübelt ihr und möchtet gern das große Rätsel lösen,
Aus welchem tiefverborgnen Quell der Strom sich wälzt des Bösen,
Ihr eilt geschäftig hin und her, um Wust auf Wust zu türmen,
Und meint mit eures Witzes Rat den Himmel zu erstürmen,
Doch seht, nur eines Donners Schlag, nur eines Blitzes Flammen,
Und eurer Weisheit Pelion und Ossa stürzt zusammen.
Ich aber sage euch: Fürwahr, es wird nicht anders werden,
Bis ihr den Blick nicht himmelwärts erhebt vom Staub der Erden,
Bis ihr dem Geist der Liebe nicht, dem großen Überwinder,
Demütig euer Herz erschließt und werdet wie die Kinder;
[175]
Denn wo die Liebe wohnt, da hat ein ew'ger Lenz begonnen,
Da grünen alle Wälder auf, und rauschen alle Bronnen,
Ihr offenbart sich, was dem Blick der klugen Welt verborgen,
In trüber Dämmrung sieht sie schon den rosenroten Morgen,
Das Brausen wird ihr zur Musik, zum Reigen das Gewimmel,
Helljauchzend steigt ihr Lied empor auf Flügeln in den Himmel,
Sie ist ein Kind und doch ein Held mit unbesiegten Waffen,
Und weil sie noch an Wunder glaubt, so kann sie Wunder schaffen.

Hoffnung

Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.
Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.
Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
[176]
Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden.

Der Alte von Athen

Spätherbst 1841.


Δεντε παιδες των Ἑλληνων.

Es wehte kühl vom Meer, der Tag war längst gesunken,
Das Feuer am Iliß versprühte rote Funken,
Im Kreise lag die Schar, das Banner aufgepflanzt,
Die Pfeifen glommen hell, der Becher ging im Kreise,
Und zu der Trommel Schlag und der Hoboen Weise
Ward die Romaika getanzt.
Wie klirrten da im Takt die Säbel der Gesellen!
Wie flatterten im Wind die weißen Fustanellen!
Der Flamme Strahl beschien manch bärtig Angesicht,
Gefurcht und sonnverbrannt, und plötzlich dann dazwischen
Ein lockig Knabenhaupt; so schaut aus dunkeln Büschen
Im Lenz der Rose junges Licht.
Da trat ein alter Mann ins tosende Gedränge,
Wohl ragt' er aus der Schar um eines Hauptes Länge,
Hinab zum Gürtel floß der Bart ihm silberweiß,
Kühn war die Stirn, darum die Locken flatternd wehten,
In seinem Auge glomm das Feuer des Propheten,
Und also rief der hohe Greis:
»Hinweg, Verblendete, mit Trinkgelag und Reigen!
Setzt ab den Weinpokal, laßt die Hoboen schweigen,
Den lust'gen Schall der Trommel dämpft!
[177]
Vergeßt ihr, daß, indes ihr schwelgt in müß'ger Feier,
Auf Kretas blut'gem Strand der Adler mit dem Geier
Um eurer Brüder Leichen kämpft?
O wär' ich noch ein Knab', ich könnte Tränen weinen!
Doch Mut! Wie unheilvoll für uns die Sterne scheinen,
Noch ward die Hoffnung nicht zum Trug;
Leonidas erlag einst an den Thermopylen,
In Flammen stand Athen, und seine Tempel fielen,
Eh' Salamis die Perser schlug.
Drum auf! Nicht länger hört, was euch die Fremden raten;
Im Schwerte nur ist Heil, und mit des Schwertes Taten
Rächt Kretas Schmach und Griechenlands;
Die Zeit ist reif, den Grund, drin unsre Heil'gen modern,
Den frechgeraubten Grund im Kampf zurückzufodern;
Gen Norden geht es nach Byzanz!
So steigt denn vom Gebirg', ihr braunen Klephten, nieder,
Ergreift das lange Rohr, den krummen Säbel wieder,
Erwacht, ihr Männer von Athen!
Ihr Adler Sulis, auf und zeigt den Weg den andern,
Kanaris, fülle du den Hellespont mit Brandern,
Laß, Hydra, deine Wimpel wehn!
Und du, o junger Fürst von blondem Heldenstamme,
Das Wittelsbacher Schwert war sonst der Schlachten Flamme,
Vertrau', ein Schwimmer, dich der Zeit gewalt'gem Strom;
So schön der Ölzweig ziert, er weicht dem Lorbeerkranze,
Wir harren deines Winks; wirf dich aufs Roß und pflanze
Das Kreuz auf Sankt Sophiens Dom!
[178]
Hört ihr's in hoher Luft wie ziehnde Schwäne singen?
Der Engel Scharen sind's, die Flammenschwerter schwingen,
Vor ihnen wird der Feind zum Spott;
Wem sie zu Häupten ziehn, mag Not und Tod verachten,
Darum frisch auf, mein Volk! Es rufen dich die Schlachten,
Vorwärts! Vorwärts! Mit uns ist Gott.«
So sprach der hohe Greis und schwand im Volksgedränge,
Hoch schlug das Feuer auf - erschüttert stand die Menge,
Sie bebten; jeder Mund sprach murmelnd ein Gebet.
Wohl forscht' ich, aber wo der Alte hergekommen,
Ob er ein Schwärmer war, ich hab' es nicht vernommen;
Doch, traun, mir dünkt' er ein Prophet.

Das Negerweib

O Herz, und schaue nicht nach Westen unverwandt,

Im Sonnenuntergang liegt nicht der Freiheit Land;

Was ist's, das dort hinaus dich triebe?

Dort rauscht kein Lorbeer für des frommen Sängers Gruft,

Dort rauscht kein Lorbeer für des frommen Sängers Gruft,

Dort sind die Vögel stumm, die Blumen ohne Duft,

Die Menschenherzen ohne Liebe.

Wo am großen Strom die Sicheln durch das hohe Rohrfeld klirren,
Und im Laub des Zuckerahorns farb'ge Papageien schwirren,
Sitzt das Negerweib, den Nacken bunt geziert mit Glaskorallen,
Und dem Knäblein auf dem Schoße läßt ein Schlummerlied sie schallen:
»Schlaf, o schlaf, mein schwarzer Knabe, du zum Jammer mir geboren,
Eh' zu leben du beginnest, ist dein Leben schon verloren,
Schlaf, o schlaf, verhüllt im Dunkel ruhn dir noch der Zukunft Schrecken,
Nur zu früh aus deinen Träumen wird der Grimm des Herrn dich wecken.
[179]
Was die Menschen Freude heißen, wirst du nimmermehr empfinden,
Dort nur fühlt sich's, wo des Nigers Wellen durch die Flur sich winden.
Nie den Tiger wirst du fällen mit dem Wurf der scharfen Lanzen,
Nie den Reigen deiner Väter zu dem Schlag der Pauke tanzen.
Nein, dein Tag wird sein voll Tränen, deine Nacht wird sein voll Klagen,
Wie das Tier des Feldes wirst du stumm das Joch der Weißen tragen,
Wirst das Holz den Weißen fällen und das Rohr den Weißen schneiden,
Die von unserm Marke prassen und in unsern Schweiß sich kleiden.
Kluge Männer sind die Weißen, sie durchfahren kühn die Meere,
Blitzesglut und Schall des Donners schläft in ihrem Jagdgewehre,
Ihre Mühlen, dampfgetrieben, regen sich mit tausend Armen,
Aber ach, bei ihrer Klugheit wohnt im Herzen kein Erbarmen.
Oftmals hört' ich auch die Stolzen sich mit ihrer Freiheit brüsten,
Wie sie kühn vom Mutterlande losgerissen diese Küsten,
Aber über jenen Edlen, der mit Mut das Wort gesprochen,
Daß die Schwarzen Menschen wären, haben sie den Stab gebrochen.
Süß erklinget ihre Predigt, wie ein Gott für sie gestorben
Und durch solches Liebesopfer aller Welt das Heil erworben;
[180]
Doch wie soll das Wort ich glauben, wohnt es nicht in ihren Seelen?
Ist denn das der Sinn der Liebe, daß sie uns zu Tode quälen?
O du großer Geist, was taten meines armen Stamms Genossen,
Daß du über uns die Schalen deines Zornes ausgegossen!
Sprich, wann wirst du mild dein Auge aus den Wolken zu uns wenden?
Sprich, o sprich, wann wird der Jammer deiner schwarzen Kinder enden?
Ach, das mag geschehen, wenn der Mississippi rückwärts fließet,
Wenn an hoher Baumwollstaude dunkelblau die Blüte sprießet,
Wenn der Alligator friedlich schlummert bei den Büffelherden,
Wenn die weißen freien Pflanzer, wenn die Christen Menschen werden.«

Zuflucht

Der du mit Tau und Sonnenschein ernährst die Lilien auf dem Feld,
Der du der jungen Raben nicht vergissest unterm Himmelszelt,
Der du zu Wasserbächen führst den Hirsch, der durstig auf den Tod,
O gib, du Allbarmherziger, auch unsrer Zeit, was ihr so not!
Um Frieden, Frieden flehen wir, nicht jenen, der des Sturms entbehrt,
Der sicher in der Scheide Haft gefesselt hält das scharfe Schwert,
[181]
Nein, um den Frieden in der Brust, den's mitten in der Schlacht nicht graut,
Weil auf den Felsen deines Worts mit festen Pfeilern er gebaut.
Gib uns die Hoffnung, Herr, zu dir, die nie zuschanden werden läßt,
Gib uns die Liebe, die im Tod und überm Tode noch hält fest,
Gib uns den Glauben löwenstark, den Glauben, der die Welt bezwingt
Und auf dem Scheiterhaufen noch dir helle Jubelpsalmen singt.
Wohl sind wir sündig, arm und schwach und nimmer solcher Gnaden wert,
Doch du erbarmst dich, wo ein Herz voll Angst und Sehnsucht dein begehrt;
So hör' uns denn gleich Israel, da er dich ringend hielt umfaßt:
»Ich lass' dich nicht, ich lass' dich nicht, Herr, bis du mich gesegnet hast.«
Nein! Du verstößest nimmermehr den, der da flüchtet in dein Haus,
Zerbrichst nicht das zerknickte Rohr und löschst den matten Docht nicht aus,
Die Arme tust du auf und sprichst auch zu den Herzen unsrer Zeit:
»Kommt her zu mir, die ihr im Geist mühselig und beladen seid.«
So kommt denn all', in deren Ohr die hohe Freudenbotschaft klang,
Die einst den Hirten auf dem Feld der Chor der Engelstimmen sang;
Kommt! Süßer Frieden ist in ihm und Licht, das keinem Dunkel weicht,
Das Leben ist er, und sein Joch ist sanft, und seine Last ist leicht.

[182] Barbarossas Erwachen

Jüngling.

Durch den Wald, durch den Wald,
Den Felsenspalt
Klimm' ich hinunter,
Alter Kaiser, zu dir
Und rufe dich munter.
O nimm von mir
Die Last, den Kummer!
Kaiser.

Was störst du mich aus hundertjähr'gem Schlummer?
Rede, Geselle!
Jüngling.

Draußen toset die Brandung der Zeit.
Sie warf mich wie die sterbende Welle
Hier aus in deine Einsamkeit.
O, eh' ich mich wieder hinunterwage,
Sag', wie ich's trage!
Gib Rat, gib Weisheit!
Kaiser.

Was fandest du?
Jüngling.

Nirgends Ruh'!
Überall ein Stürmen, ein Drängen
In den Herzen, in den Gesängen.
Nirgends mehr ein sicheres Bildnis,
Alle Farben fließend verwischt,
Und in sündlicher Wildnis
Nacht und Klarheit,
Lüg' und Wahrheit,
Recht und Frevel zusammengemischt.
Kaiser.

Und im Volke die Alten?
Jüngling.

Die stützen und halten,
Halten das Gute, halten das Schlimme.
[183]
Sie hören nicht die Gottesstimme,
Die nächtlich durch das Land sich schwingt
Und leise lockend, leise,
Wie eine Frühlingsweise,
Von einer reichen Zukunft singt.
Der Lenz ist ihnen zu grün,
Zu hell die Sonne,
Der Jugend schwellende Wonne
Zu stolz, zu kühn.
Sie zertrümmern feindlich die Flasche
Voll feurig gärenden Weins
Und wissen nur eins:
Die Flamm' ist gefährlicher als die Asche.
Kaiser.

Aber die Jungen?
Jüngling.

Die schelten und meistern mit kecken Zungen;
Nichts ist ihnen recht,
Alles soll anders werden
Im Himmel und auf Erden,
Und wer nicht mitschreit, heißt ein Knecht.
Sie möchten das Höchste zu unterst kehren,
Um selbst zu herrschen nach eignem Begehren;
Der Glaub' ist ihnen ein Fastnachtsscherz,
Eine Torheit das Herz.
Ach, und so viele
Treiben's zum Spiele!
Nach Freiheit rufen sie männiglich
Und sind der eigenen Lüste Knechte;
Sie reden vom ewigen Menschenrechte
Und meinen doch nur ihr kleines Ich.
Sie wollen der Wahrheit Schlachten schlagen,
Und die Lüg' ist ihr Schwert,
Wollen die Welt auf den Schultern tragen
Und ordnen kaum den eignen Herd.
Kaiser.

Toren! Sie schießen nach den Sternen,
[184]
Doch sie werden das Treffen nicht lernen.
Die Welten wandeln ihren Gang
Ruhig entlang
Und lächeln auf die Knaben herunter.
Jüngling.

Aber es sind auch andre drunter,
Ein welfisch ehrenwert Geschlecht;
Sie klagen um zertretnes Recht.
Sie haben geredet, gerufen
Vor den Hallen, an den Stufen,
Sie haben geläutet unverdrossen
Im Trauergewand, in der Flehenden Kleid,
Aber es blieb vor ihnen verschlossen
Die Pforte der Gerechtigkeit.
Gilt es nicht da, das Schwert zu schleifen?
Kaiser.

Laß reifen, laß reifen!
Tändle nicht mit tödlichen Waffen!
Im alles verwettenden Spiele
Was magst du schaffen?
Denn wenn der Würfel nun anders fiele,
Als du gedacht?
Wenn unter des Fremdlings Sichelschneide
Die junge Saat hinsänke mit Leide,
Kaum zur grünen Hoffnung erwacht?
Harre, doch sei nicht angstbeklommen.
Der Lenz wird kommen
Plötzlich geboren über Nacht.
Jüngling.

Wie lange wird er noch verziehn!
Oft will die Last mich niederpressen -
Kaiser.

Wirf deine Sorge all' auf ihn,
Der droben auf ewigem Stuhl ist gesessen!
Er hat auch euer nicht vergessen.
Die Stunde kennt er, die Wege.
Du aber pflege
[185]
Der Gabe, die er dir gnädig beschied,
In Tat und Lied.
Schaue fest auf das Ziel deiner Reise!
Der ist der Weise,
Der es nimmer vergaß;
Wirke treu im befriedeten Kreise
Und halte Maß.

Auf dem Rhein

Es fährt das Schiff im Morgenglanz hinauf den dunkelgrünen Rhein,
Vorbei an Städten voll Geläut, an Burgen hochumkränzt mit Wein,
An jenen Bögen, draus hervor der Silberarm der Mosel wallt,
Und an der Lurlei schwarzem Fels, von dem das Echo dreifach hallt.
Und sieh! Am Mast des Schiffes steht gelehnt ein fröhlicher Gesell,
Die Wange brennt ihm gar so tief, das Auge blitzt ihm gar so hell,
Und wie empor aus hohem Schlot des Dampfes schwarzer Wirbel zieht,
Da singt er in der Räder Takt mit lauter Stimm' ein frisches Lied:
»So sei gegrüßt, du schöner Strom, so klar und tief und doch so wild.
Fürwahr, du bist in deiner Pracht des deutschen Sinnes schönstes Bild,
Drum, wer das Auge nur versenkt in deine Flut, gewalt'ger Rhein,
Der denket unbewußt mit Stolz des Glücks, ein deutscher Mann zu sein.
O heil'ger Strom, behüt' dich Gott! O deutsches Reich, sei stark und eins,
So weit das deutsche Wort erklingt, so weit man trinkt des deutschen Weins,
[186]
Halt fest zusammen, doch nicht wie ein Bettlermantel bunt geflickt,
Nein, einem Banner sei du gleich, in dreißig Farben froh gestickt.
Kein Haufen sei von rohem Stein, der formlos sich zusammenfand,
Nein, ein Gebäude stolz und hoch gefügt von eines Meisters Hand,
Mit Giebeln und Altan geschmückt, mit Bögen, Erkern, Zinn' und Turm,
Auf sichern Pfeilern aufgeführt zum Trotz dem Wetter und dem Sturm.
Wenn Quader fest an Quader schließt, so steht die Burg durch Gottes Kraft,
So brauchen wir nicht Frankentum und nicht Baschkirenbrüderschaft;
Nur fülle jeder seinen Platz, und wer zum Eckstein nicht ersehn,
Dem sei's der Ehre schon genug, als Mauerstein im Bau zu stehn.
Ihr Fürsten, denen Gott verlieh des Purpurs und der Krone Zier,
O dämmet nicht am Strom der Zeit, die Zeit ist mächtiger als ihr,
Nein, weis' und mäßig steuernd nutzt, indem ihr sie beherrscht, die Flut,
Gebt frei das Wort! Vertraut dem Volk! Fürwahr, das Volk ist treu und gut.
Ihr Ritter, die ihr reich und hehr auf euren Adelsschlössern haust,
Die ihr im hohen Rate sitzt und führt das Schwert in eurer Faust,
Die ersten steht in jedem Kampf, wo's Recht und Licht und Wahrheit heißt,
Denn eure Würd' ist hohler Schall, so ihr nicht adlig seid von Geist.
[187]
Ihr Bürger, schaffet fröhlich fort am Herd im sichern Eigentum,
Ein treu Gemüt sei euer Dank, und eure Pflicht sei euer Ruhm,
Seid eurem Land ein fester Wall, ein fester Wall dem alten Recht,
Denn wer sich willig knechten läßt, verurteilt selber sich zum Knecht.
Und du mit Spaten, Hack' und Pflug, Gott grüß' dich, wackrer Bauernstand,
Er gebe deinen Hügeln Wein und goldne Ernten deinem Land,
Sei fromm und einfach, schlecht und recht, halt fest an Gott und Fürstenhaus,
Gewiß, des Landesvaters Huld, des Himmels Segen bleibt nicht aus.
Und ihr, ihr Dichter, wachet auf! Es ist genug gescherzt, gespielt,
Legt ab das bunte Schellenkleid, und wenn der Welt ihr drin gefielt,
Nicht singet dumpfen Sinnenrausch, Unfrieden nicht und herben Spott,
In keuscher Schönheit führe sanft das Lied des Volkes Herz zu Gott.
Wie vor dem blütenvollen Lenz als Herold zieht die Nachtigall,
So schreitet vor der neuen Zeit im Feierkleid mit Klang und Schall,
Des Geistes Ritter sollt ihr sein, der Väter Glauben sei euch wert,
Ein klarer Spiegel euer Sinn, und euer Wort ein flammend Schwert.
Fürwahr, sie irrten, die gesagt, die deutsche Poesie sei tot,
Nein, wenn ein Abend wirklich kam, so dämmert bald das Morgenrot;
[188]
Schon seh' ich fern am Horizont des neuen Tages goldnen Schein,
O laßt in seiner Frühe mich der ersten Lerchen eine sein!«
So sang der Sängerknab' und fing im hellkristallenen Pokal,
Darin das Gold der Rebe schwamm, des Morgens sonnenroten Strahl;
Dann schwenkt er hoch den Wein und goß ihn opfernd von des Schiffes Rand,
Und von den Bergen klang es nach: Gesegnet seist du, deutsches Land!

Italien

Italia! oh Italia! thou, who hast

The fatal gift of beauty, which became

A funeral dower of present woes and past,

On thy sweet brow is sorrow plough'd by shame,

And annals graved in characters of flame.

Oh God! that thou wert in thy nakedness

Less lovely or more powerful, and couldst claim

Thy right, and awe the robbers back, who press

To shed thy blood and drink the tears of thy distress.

Childe Harold.


O wie eigen wird dem Wandrer, der, entflohn des Nordens Haft,
Nach dem heißersehnten Süden lenkt die frohe Pilgerschaft,
Wenn er von des Gotthards Gipfel, der in ew'gem Eise schweigt,
Langsam durch die Morgendämmrung gen Italien niedersteigt.
Leise teilen sich die Nebel, und es wird so lau die Luft,
Aus der Tiefe wie ein Grüßen weht empor verlorner Duft;
[189]
Noch ein Vorsprung! - sieh, und unten weit und blühend lacht das Tal,
Dichte Gärten, Silberseen, überglänzt vom Morgenstrahl.
Aus den Hügeln quellen Rosen, um die Ulmen rankt der Wein,
Schlanke Marmorsäulen schimmern winkend im Zypressenhain,
Dort die Berge lorbeerwaldig, hier das blaukristallne Meer,
Und der Himmel wie ein liebend Mutterauge drüber her.
Und dazwischen buntgekleidet buntes Volk in Tal und Höhn,
Braune Buben, stolze Frauen, wie des Landes Rosen schön,
Winzertanz auf allen Bergen, in den Häusern Zitherschall,
Lust'ge Lieder in den Barken, Klang und Jubel überall.
Wahrlich, solltest du nicht meinen, ausgestürzt auf dieses Land
Seiner Freuden vollsten Becher hab' ein Gott mit trunkner Hand?
An dem Länderbaum Europens sei's der blütenvollste Zweig,
Wie an grünen Laubgewinden, so an goldnen Früchten reich?
Aber ach, der bittern Täuschung! Unter diesem farb'gen Scherz,
Wie die Natter unter Blumen, lauscht ein tief verborgner Schmerz,
Jener Schmerz, der nimmer rastet, daß die alte Tugend starb,
Daß die Freiheit ging verloren, und ein Heldenvolk verdarb.
O Italien, du der Künste Mutter, stolzes, schönes Weib,
Trägrin einst der höchsten Kronen, siech und elend ward dein Leib,
Dieser holde Rosenschimmer, der so reizend dich umblüht,
Ach, es ist des Fiebers Hitze, das in deinen Adern glüht.
[190]
Ja, es will mich oft gemahnen, aller deiner Blumen Glanz
Lieg' um deine kranken Schläfe fertig schon als Totenkranz,
Ja, als sei'n Vesuv und Ätna lodernd nur dahingestellt
Fackeln an dem Sterbelager einer Königin der Welt. -
Aber nein! Noch lebt die Hoffnung, ob auch tief versteckt im Weh;
Kennst du nicht das Lied vom herben Kummer der Penelope?
Schön wie du vor allen andern ward wie du sie viel umfreit,
Und der Fremden Schwarm verpraßte frech des Hauses Herrlichkeit.
Zwanzig Jahr' die Purpurwolle spann sie weinend auf dem Thron,
Zwanzig Jahr' mit bangen Seufzern zog sie groß den teuern Sohn,
Zwanzig Jahr' getreu dem Gatten blieb sie und getreu dem Gram,
Harrend, hoffend, Boten sendend - sieh, und ihr Odysseus kam.
Weh den übermüt'gen Freiern, als genaht des Rächers Gang,
Als von bittern Todespfeilen sein gewalt'ger Bogen klang!
Von dem roten Blut der Freier troffen Säul' und Estrich da,
Und ein schrecklich Fest der Rache ward erfüllt auf Ithaka.
Kennst du jenes Lied, Italia? Hör's und harre mutig aus,
Wie sich auch die Freierschwärme drängten in dein adlig Haus;
Deine Söhne zieh zu Männern unter Tränen früh und spat,
Wein' und hoff'! Es kommt die Stunde, wo auch dein Odysseus naht.

[191] Der junge Tscherkessenfürst

Sie haben mir gesagt: »Komm her, du Sohn der Steppe!
Komm her und küss' im Staub des Zaren Purpurschleppe!
Der Lohn ist groß, die Tat ist klein.
Du sollst geschmückt alsdann dem Herrn zur Linken reiten,
Es soll dein kecker Fuß auf Bauernstirnen schreiten,
Der Höchsten einer sollst du sein.
Was frommt dir steter Kampf mit ruhelosen Zügen?
Wir lehren dich, wie leicht im wechselnden Vergnügen
Dahin das rasche Leben rollt;
Wir wollen dir ein Haus mit prächt'gen Sälen bauen,
Dein Stall sei voll Gewieh'r, dein Schlafgemach voll Frauen,
Dein straffer Säckel schwer von Gold.
Des Köstlichsten soll nie dein reicher Tisch bedürfen,
Du sollst von Epernay den Schaum der Traube schlürfen
Aus hellgeschliffenem Kristall,
Und wenn der Abend naht, den leichten Rausch zu enden,
So sei sie dir gewährt, die Wollust, zu verschwenden
Bei Kartenspiel und Würfelfall.
Du sollst auf prächt'gem Ball, wenn tausend Kerzen funkeln,
Mit deiner reichen Tracht, mit deinem Wuchs verdunkeln
Der Kronbeamten stolzen Schwarm;
Auf Wellen der Musik sollst du dich jauchzend wiegen
Und sporenklirrend durch den Saal im Tanze fliegen
An einer Kaisertochter Arm.
Beim Lager sollst du schaun, wie sich im Flintenfeuer
Die Regimenter drehn, vielfüß'ge Ungeheuer,
Auf denen hoch die Fahne schwankt;
Die Trommel wirbelt dumpf, das Feldhorn läßt sich hören,
Die Batterie fällt ein mit ihren Donnerchören,
Daß unter ihr der Boden wankt.
[192]
Ja, mehr der Wunder noch! Groß ist die Macht des Zaren;
Du sollst auf einem Schiff mit Doppelrädern fahren,
Von keines Tauwerks Last beschwert;
Dem Strome beut es Trotz und Trotz dem Sturmgeheule,
Wenn drin die Esse glüht, und wenn aus schwarzer Säule
Der Gischt des Dampfes brausend fährt.
Das alles bieten wir. Nur laß die blut'gen Horden,
Laß Steppe, Krieg und Zelt; komm reuig her zum Norden
Und vor dem Herrscher beuge dich.« -
Ich aber wandte mich bei ihrer Worte Hadern,
Es schwoll der rote Zorn empor in meinen Adern -
Der Zar ist nur ein Fürst wie ich.
Kasan hat seine Fraun, schneeweiß mit schwarzen Locken,
Moskau hat seinen Kreml, und Kiew seine Glocken,
Und Petersburg hat mehr als das;
Doch böten sie mir auch die Wunder aller Fremde:
Nicht käuflich sind mir drum mein schuppig Panzerhemde
Und meine Freiheit und mein Haß.

Schlußwort der ersten Ausgabe

Spätherbst 1841.


Wer in unserm guten Deutschland Sprecher will und Dichter sein,
Artig sei er doch vor allem, klug gemäßigt, zahm und fein;
Gern mit Ros' und Gänseblümchen mag er kränzen sich das Haupt,
Lerchentriller selbst und muntre Spatzenweisen sind erlaubt;
Aber wenn vom goldnen Bogen, der vom Gott ihm ward zuteil,
Er ein kühnes Wort entsendet als entflammten Feuerpfeil,
Wenn sein Lied, ein wilder Falke, sich empor zur Sonne schwingt,
Daß das Rauschen seiner Flügel wie Prophetenruf erklingt:
[193]
Ei, da meint man, daß ein solches Treiben nun und nimmer nutzt,
Und es naht die große Schere, die ihm rasch den Fittich stutzt.
Gleiches Los erfuhr der Dichter, der zum Abschied vor euch tritt,
Da man auch von diesem Bäumchen seine grünsten Zweige schnitt.
Gern entsagt er jenen Liedern, doch das eine schafft ihm Gram,
Daß man ihm als arg verdächtigt, was aus treuer Seele kam.
Drum, ihr Hörer und ihr Leser, klopft er sanft an eure Tür,
Und für das, was er verloren, o entschädigt ihn dafür,
Nehmt ihn gern in eure Mitte, schenkt ihm willig eure Gunst,
Zeugt ihm, daß sein Schwung begeistert und gebildet seine Kunst.
Aber ach! Auch diese Bitte drängt sich wohl umsonst ans Licht,
Unsre Zeit, die kühlverständ'ge, liebt die bunten Träume nicht.
Kalt zerlegt sie ihren Dichter oder schließt ihm ganz den Sinn,
Doch die süße Kunst, mit Andacht ihm zu lauschen, ist dahin.
Wie viel Schönes ging vorüber und des Großen o wie viel
Unbemerkt und unempfunden, gleich als sei's ein bloßes Spiel!
Keinen Kranz habt ihr gewunden um des Sängers Pilgerstab,
Dem Siziliens Lorbeer schattet auf sein viel zu frühes Grab;
Arnim schritt durch eure Mitte wie ein träumender Gigant,
Süßen Tiefsinn auf den Lippen, doch ihr habt ihn nicht erkannt;
[194]
Seiner Jugend Fehler habt ihr jenem o wie spät verziehn,
Der den zweiten »Faust« geschaffen, den gewaltigen »Merlin«,
Erst, als in den »Epigonen« er zu euch herunterstieg,
Als Münchhausisch er gefabelt, rieft ihr: Sieg, und aber: Sieg;
Und dein Haupt, o Schwan von Hellas, schönheitstrunkner Hölderlin,
Sollte statt der Lorbeerkrone nur ein Dornenkranz umziehn.
Wohl, wenn solche Namen dämmernd schwinden, würde manchem bang,
Doch es wohnt mir tief im Busen ein geheimnisvoller Klang,
Nimmer läßt er stumm mich rasten, und in Liebe, Lust und Zorn,
In der Angst des Schmerzes selber bleibt er stets des Liedes Sporn;
Und ich fühl's, wer todesmutig um den höchsten Preis nicht ringt,
Würdig kann er nie erscheinen, daß das Höchste ihm gelingt.
Drum frisch auf! dem heißen Drange und der jungen Kraft vertraut!
Hoffend spann' ich meine Segel als ein kühner Argonaut,
Jenen Wunderküsten gilt es, die mir Ahnung längst verhieß,
Und die Liebe meines deutschen Volkes sei mein goldnes Vlies.
Leuchtet günstig denn, ihr Sterne, ebne dich, bewegtes Meer,
Auf den dunkeln Purpurwogen trage stolz das Schiff daher,
Wehe sanft, o Wind, geschwängert von den Düften des Jasmin,
Glückverkündend um das Steuer plätschre, freundlicher Delphin,
[195]
Aber du, o klarer Himmel, dessen Festen ewig blaun,
Laß hernieder auf die Lippen goldne Melodie mir taun,
Daß mein Lied wie Waffenrauschen bald erbraus' im Männerchor,
Bald wie Flötenton verhalle schmelzend in des Mädchens Ohr;
Gib mir Kraft zum schwersten Werke, bis der Preis mein Eigentum,
Denn das Höchste, was der Dichter mag erringen, bleibt der Ruhm.

An Georg Herwegh

Februar 1842.


Es scholl dein Lied mir in das Ohr
So schwertesscharf, so glockentönig,
Als wär' aus seiner Gruft empor
Gewallt ein alter Dichterkönig.
Und doch! Ich weis' es nicht von mir,
Ich muß dich in die Schranken laden;
Komm an in voller Harnischzier,
Auf Tod und Leben Kampf mit dir,
Kampf, du Poet von Gottes Gnaden.
Bist du dir selber klar bewußt,
Daß deine Lieder Aufruhr läuten;
Daß jeglicher nach seiner Brust
Das Ärgste mag aus ihnen deuten?
Der Zwerg, der matte Pfeile schnitzt,
Wohl, - schieß' er, ohne fest zu zielen;
Doch wer vom Wetterlicht umblitzt
Im Donnerwagen grollend sitzt,
Der soll nicht mit den Zügeln spielen.
Fürwahr, ein Sämann schreitest du,
Der Samen streut, doch der Zerstörung;
Ein Glöckner, der aus ihrer Ruh'
Die Völker stürmt, doch zur Empörung.
[196]
Du willst die Flamme, die so rein
Und heilig strahlt durch alle Lande,
Du willst den warmen Gottesschein
Zur Fackel Herostrats entweihn
Und schwingst sie wild zum Tempelbrande.
Wozu sonst dieses Schwerterklirrn,
Die Kriege, die dein Lied gefodert,
Die hast'ge Glut, die durch dein Hirn
In tausend Funken prächtig lodert?
O nein! Das ist nicht deutsche Art!
Wohl kämpfen wir auch für das Neue;
Ums Freiheitsbanner dicht geschart,
So stehn auch wir; doch aufbewahrt
Aus alter Zeit blieb uns die Treue.
Verhaßt auch uns ist der Baschkir,
Der Unterjocher der Gedanken,
Und keinen Deut begehren wir
Von jenen übermüt'gen Franken.
Wir wollen auch, daß frei das Wort
Durch alle Lüfte möge fluten;
Es dünkt auch uns in Süd und Nord
Das Wort der beste Freiheitshort -
Doch soll darum dein Volk verbluten?
Nein! Glaub', der Tag ist bald erwacht,
Der Morgen naht, wo wir's erringen,
Nicht ohne Kampf, doch ohne Schlacht,
Der Geist ist stärker als die Klingen.
Geharnischt steht er auf dem Plan,
Er, der mit Luthern einst gefochten;
Durch tausend Lanzen bricht er Bahn,
Und mag die Hölle dräuend nahn:
Der Lorbeer bleibt ihm doch geflochten.
Drum tu dein Schwert an seinen Ort,
Wie Petrus tat, da er gesündigt;
[197]
Die Freiheit geht nicht auf aus Mord,
Blick nach Paris, das dir's verkündigt.
Vom Geist will sie gewonnen sein;
Doch wer ihr Kleid, so rein und heiter,
Mit blut'gem Makel mag entweihn,
Und säng' er Engelsmelodein:
Der ist der Welt, nicht Gottes Streiter.
Ich sing' um keines Königs Gunst,
Es herrscht kein Fürst, wo ich geboren;
Ein freier Priester freier Kunst
Hab' ich der Wahrheit nur geschworen.
Die werf' ich keck dir ins Gesicht,
Keck in die Flammen deines Branders;
Und ob die Welt den Stab mir bricht:
In Gottes Hand ist das Gericht;
Gott helfe mir! - Ich kann nicht anders.

Gesicht im Walde

Ich hatte mich verirrt im tiefsten Wald,
Schwarz war die Nacht, unheimlich troff der Regen,
Der Sturm ging in den Wipfeln wild und kalt.
Da sah ich plötzlich unfern meinen Wegen
Durchs feuchte Laub blutrote Funken sprühn,
Und Hammerschläge dröhnten mir entgegen.
Durch Dornen und durch Buschwerk drang ich kühn,
Und bald gewahrt' ich, rings vom Wald umfangen,
In hoher Hall' ein Schmiedesfeuer glühn.
Drei Riesen waren's, die die Hämmer schwangen,
Berußt, die Augen nur aufs Werk gekehrt,
Dazu sie schauerliche Weisen sangen.
[198]
Sie schmiedeten an einem großen Schwert,
Zweischneidig war's, der Griff als Kreuz gestaltet,
Die Kling' ein Strahl, der züngelnd niederfährt.
Und einer sang in Tönen, fast veraltet,
Doch also tief, wie wenn emporgeschwellt
Der mächt'ge Hauch in dumpfer Orgel waltet:
»Es rührt im Birnbaum auf dem Walserfeld
Sich schon der Saft, und deinem Volk zum Heile
Erscheinen wird der langersehnte Held.
Drum rüstig mit dem Hammer, mit der Feile!
Das Schwert, das Königsschwert muß fertig sein,
Und unser Werk hat Eile, Eile, Eile!«
Er schwieg, und singend fiel der zweite ein
Mit einer Stimm', als wollt' er aus den Grüften
Mit Erzposaunenschall die Toten schrein:
»Es hat zu Nacht gedonnert in den Klüften
Des alten Bergs, den man Kyffhäuser heißt,
Und einen Adler sah ich in den Lüften.
Wie Sturmesrauschen klingt es, wenn er kreist,
In seinen Fängen trägt er Blitzeskeile,
Die Rabenbrut entflieht, wo er sich weist.
Drum rüstig mit dem Hammer, mit der Feile!
Zur rechten Stunde sei das Werk getan;
Das Kreuzesschwert hat Eile, Eile, Eile!«
Und tief einfallend hub der dritte an,
Das scholl, wie unterird'sche Donner grollen,
Wenn sich die Lava rühret im Vulkan:
»Die Zeit ist schwanger; aus den dürren Schollen
Wird eisern aufgehn eine Kriegersaat,
Sein rotes Banner wird der Kampf entrollen.
Drum schreiten hohe Geister früh und spat
Durchs deutsche Land und pochen an die Türen
Und mahnen laut: Der Tag des Schicksals naht!
[199]
Viel eitles Blendwerk wird er sich erküren,
Mit Lächeln locken, dräun mit Blitzgeschoß,
O lasse keiner dann sein Herz verführen!
Denn Füße nur von Ton hat der Koloß,
Und stürzen wird er über kurze Weile,
Im Fall begrabend seiner Knechte Troß.
Drum rüstig mit dem Hammer, mit der Feile!
Ihr Bälge, blast, ihr Funken, sprüht empor!
Das Schwert des Siegs hat Eile, Eile, Eile!«
So sangen sie. Dann schwieg der dumpfe Chor,
In kaltem Schauer bebten meine Glieder,
Doch wagt' ich nicht mich in der Halle Tor.
Zurück ins schwarze Dickicht floh ich wieder
Und sah verlöschen bald der Flamme Licht,
Nur bang im Haupt noch summten mir die Lieder.
Kaum weiß ich jetzt, war's Traumbild, war's Gesicht?
Doch mahnt es, daß auch wir das Schwert bereiten,
Das Schwert des Geistes, welches nie zerbricht.
Wachet und betet! Schwer sind diese Zeiten.

Lübecks Bedrängnis

1844.


Nun reich', o Muse, den Pokal,
Doch laß von hellem Zorn ihn schäumen!
Ein Lied gib, das wie Blitzesstrahl
Die Schläfer schreck' aus ihren Träumen!
Wie Ruf der Glocke zur Gefahr
Erschall' es weit im deutschen Lande;
Es gilt der Stadt, die mich gebar,
Der Mutter, die man schlägt in Bande!
Wie steigst, o Lübeck, du herauf
In alter Pracht vor meinen Sinnen
An des beflaggten Stromes Lauf,
Mit stolzen Türmen, schart'gen Zinnen!
[200]
Dort war's, wo deiner Erker Zahl
Der Hansa Boten wartend zählten,
Dort, wo die Väter hoch im Saal
Ein Haupt für leere Kronen wählten.
Denn eine Fürstin standest du,
Der Markt war dein, und dein die Wege,
Du führtest reich dem Süden zu,
Was nur gedieh in Nordens Pflege.
Es bot dir Norweg seinen Zoll,
Der Schwede bog sein Haupt, der Däne,
Wenn deine Schiffe segelvoll
Vorüberflohn, des Meeres Schwäne.
Und jetzt? - Verhüll' ihn nicht im Lied,
Den Schmerz, daß solcher Glanz zerronnen;
Nur leis um deine Stirn noch zieht
Die Glorie der versunknen Sonnen.
Wohl beugt sich still, wen eh'rnen Schritts
Ein groß Geschick im Gang versehret,
Doch das empört, wenn Menschenwitz
An alter Größe hämisch zehret.
Jetzt trägst du das. Der Schwingen Zier
Zerpflückt man deinem Aar mit Hadern,
Durchschneidet kleinen Ingrimms dir
Die Straßen, deines Lebens Adern.
O Schmach und Scham! Das Land hindurch
Ist tiefer Fried' in Süd und Norden,
Du aber bist wie eine Burg,
Die man umlagert hält, geworden!
Du zahlst es spät uns heim fürwahr,
O Dänemark, mit bittrem Leide,
Daß einst vor uns dein Waldemar
Erzittert' auf Bornhöveds Heide:
Daß er, der kaum noch trunknen Muts
Geprunkt im Schwarm der Bogenspanner,
Auf flücht'gem Renner, wund, voll Bluts
Heimsprengte nach verlornem Banner.
[201]
Doch sei's. Du warst uns ewig feind;
Und magst du Bündner auch dich wähnen:
Von Herzen hast du's nie gemeint,
Es taugt der Deutsche nicht zum Dänen.
Wir sahn uns bei der Dörfer Brand
Zu oft ins Aug' auf blut'gem Pfade,
Als unsrer Bürger Schar noch stand
Des Reiches Wall am Nordgestade.
Und als du jüngst in finsterm Mut
Dem Franken dich, dem Feind, verbündet:
Da ward des alten Haders Glut,
Die kaum erloschne, neu entzündet.
Wir aber stürzten zornentfacht
Zur Fahne bei der Trommel Dröhnen;
Es tauft' als Priest'rin uns die Schlacht
Mit Blut zu Deutschlands freien Söhnen.
Bei dieser Weihe, die uns ward,
Und bei dem Geiste, den wir tragen,
Der heute noch so deutscher Art
Sich rühmt wie in der Väter Tagen,
Bei jenem Band, das Pfeilen gleich
Umwindet alle deine Stämme,
O hör' uns rufen, deutsches Reich,
Und unsres Feindes Trutzen dämme!
O wär' ein Hauch Bertrands de Born,
Des Troubadours, in meinen Zeilen,
Daß grollend eines Königs Zorn
Sie waffneten mit Blitzeskeilen!
O naht' uns einer jetzt, ein Hort!
Es drängt die Not - o daß er käme
Und spräche deutsch das Römerwort:
»Sorgt, daß die Stadt nicht Schaden nehme!«
Doch ist's umsonst, verweht ein Blatt
Im Wind der Ruf, den wir entsenden:
Dann naht dein Letztes, alte Stadt,
Dann wiss' in Schweigen groß zu enden.
[202]
Geharnischt, stehend wie der Cid,
Zusammenbrich mit deinem Ruhme,
Und deines letzten Dichters Lied
Nimm mit hinab als letzte Blume!

An den König von Preußen

Dezember 1842.


Ich habe nie nach Gunst gerungen,
Ich sang allein, was ich gemußt;
Wie Rosen, frisch dem Lenz entsprungen,
So brach's hervor aus meiner Brust.
Und fröhlich streut' ich in die Winde
Die leichte, reiche Blumenpracht;
Ob sie der Freund, der Tadler finde,
Ich hab' es nie zuvor bedacht.
Doch dir, o Fürst aus edlem Stamme,
Der treu vor Gott sein Volk regiert,
Den schöner noch des Geistes Flamme
Als seiner Väter Krone ziert,
Auf den, wenn sich die Wolken schwärzen,
Als Leuchtturm schauet Deutschlands Kern:
Wie dank' ich dir aus tiefstem Herzen,
Wie dank' ich alles dir so gern!
Was ich in unsrer Wälder Stille,
An Hellas' Strand umsonst begehrt,
Das hat dein königlicher Wille
Aus freien Hulden mir gewährt:
Du gabst ein Leben mir, vom Staube
Des niedern Marktes unberührt,
Ein Leben, wie's im grünen Laube
Der freie Vogel singend führt.
So helfe Gott mir, daß ich walte
Mit Ernst des Pfundes, das mir ward,
Daß ich getreu am Banner halte
Der deutschen Ehre, Zucht und Art.
[203]
Fern von dem Schwarm, der unbesonnen
Altar und Herz in Trümmern schlägt,
Quillt mir der Dichtung heil'ger Bronnen
Am Felsen, der die Kirche trägt.
Nicht, daß mir drum in Nacht versunken
Die Welt und ihre Schönheit sei,
Nein! Wer aus jenem Born getrunken,
Dem ward erst ganz die Lippe frei.
Sein ernster Mut mag fröhlich scherzen,
Des Grundes, drauf er steht, bewußt;
Er trägt erblüht im reinen Herzen
Den Rosengarten jeder Lust.
Und wo die grimmsten Qualen bluten,
In jeden Abgrund schaut er kühn,
Sieht er doch ob den finstern Fluten
Den Bogen der Versöhnung glühn.
Den Fluch, den Ödipus entsandte,
Er zeugt ihn neu aus heiterm Sinn
Und schreitet unversehrt wie Dante
Selbst durch der Hölle Flammen hin.
So laß mich stehn, so laß mich ringen
Und so durch Wonn' und Jammer gehn!
Kein eitel Spielwerk ist mein Singen,
Ich spür' in mir des Geistes Wehn.
Und ob auch der Vernichtung Tönen
Der Haufe rasch entgegenflammt:
Zu baun, zu bilden, zu versöhnen,
Fürwahr, mir dünkt's ein besser Amt.
Ob jemals ich den Kranz gewinne,
Des Dichters Preis, wer sagt es an!
Steil ragt empor des Ruhmes Zinne,
Und kaum betrat ich erst die Bahn.
Doch rührt von jenen dunkeln Zweigen
Ein Blatt auch nur die Stirne mir:
Der Mutter sei's geweiht zu eigen,
Dem deutschen Vaterland - und dir.

Notes
Entstanden zwischen 1840 und 1843. Erstdruck einer ersten, zensierten Sammlung: Lübeck (Asschenfeldt) 1841, verbesserte und vermehrte Auflagen erschienen 1843 und 1846.
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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Zeitstimmen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BC73-8