Schlußwort der ersten Ausgabe

Spätherbst 1841.


Wer in unserm guten Deutschland Sprecher will und Dichter sein,
Artig sei er doch vor allem, klug gemäßigt, zahm und fein;
Gern mit Ros' und Gänseblümchen mag er kränzen sich das Haupt,
Lerchentriller selbst und muntre Spatzenweisen sind erlaubt;
Aber wenn vom goldnen Bogen, der vom Gott ihm ward zuteil,
Er ein kühnes Wort entsendet als entflammten Feuerpfeil,
Wenn sein Lied, ein wilder Falke, sich empor zur Sonne schwingt,
Daß das Rauschen seiner Flügel wie Prophetenruf erklingt:
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Ei, da meint man, daß ein solches Treiben nun und nimmer nutzt,
Und es naht die große Schere, die ihm rasch den Fittich stutzt.
Gleiches Los erfuhr der Dichter, der zum Abschied vor euch tritt,
Da man auch von diesem Bäumchen seine grünsten Zweige schnitt.
Gern entsagt er jenen Liedern, doch das eine schafft ihm Gram,
Daß man ihm als arg verdächtigt, was aus treuer Seele kam.
Drum, ihr Hörer und ihr Leser, klopft er sanft an eure Tür,
Und für das, was er verloren, o entschädigt ihn dafür,
Nehmt ihn gern in eure Mitte, schenkt ihm willig eure Gunst,
Zeugt ihm, daß sein Schwung begeistert und gebildet seine Kunst.
Aber ach! Auch diese Bitte drängt sich wohl umsonst ans Licht,
Unsre Zeit, die kühlverständ'ge, liebt die bunten Träume nicht.
Kalt zerlegt sie ihren Dichter oder schließt ihm ganz den Sinn,
Doch die süße Kunst, mit Andacht ihm zu lauschen, ist dahin.
Wie viel Schönes ging vorüber und des Großen o wie viel
Unbemerkt und unempfunden, gleich als sei's ein bloßes Spiel!
Keinen Kranz habt ihr gewunden um des Sängers Pilgerstab,
Dem Siziliens Lorbeer schattet auf sein viel zu frühes Grab;
Arnim schritt durch eure Mitte wie ein träumender Gigant,
Süßen Tiefsinn auf den Lippen, doch ihr habt ihn nicht erkannt;
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Seiner Jugend Fehler habt ihr jenem o wie spät verziehn,
Der den zweiten »Faust« geschaffen, den gewaltigen »Merlin«,
Erst, als in den »Epigonen« er zu euch herunterstieg,
Als Münchhausisch er gefabelt, rieft ihr: Sieg, und aber: Sieg;
Und dein Haupt, o Schwan von Hellas, schönheitstrunkner Hölderlin,
Sollte statt der Lorbeerkrone nur ein Dornenkranz umziehn.
Wohl, wenn solche Namen dämmernd schwinden, würde manchem bang,
Doch es wohnt mir tief im Busen ein geheimnisvoller Klang,
Nimmer läßt er stumm mich rasten, und in Liebe, Lust und Zorn,
In der Angst des Schmerzes selber bleibt er stets des Liedes Sporn;
Und ich fühl's, wer todesmutig um den höchsten Preis nicht ringt,
Würdig kann er nie erscheinen, daß das Höchste ihm gelingt.
Drum frisch auf! dem heißen Drange und der jungen Kraft vertraut!
Hoffend spann' ich meine Segel als ein kühner Argonaut,
Jenen Wunderküsten gilt es, die mir Ahnung längst verhieß,
Und die Liebe meines deutschen Volkes sei mein goldnes Vlies.
Leuchtet günstig denn, ihr Sterne, ebne dich, bewegtes Meer,
Auf den dunkeln Purpurwogen trage stolz das Schiff daher,
Wehe sanft, o Wind, geschwängert von den Düften des Jasmin,
Glückverkündend um das Steuer plätschre, freundlicher Delphin,
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Aber du, o klarer Himmel, dessen Festen ewig blaun,
Laß hernieder auf die Lippen goldne Melodie mir taun,
Daß mein Lied wie Waffenrauschen bald erbraus' im Männerchor,
Bald wie Flötenton verhalle schmelzend in des Mädchens Ohr;
Gib mir Kraft zum schwersten Werke, bis der Preis mein Eigentum,
Denn das Höchste, was der Dichter mag erringen, bleibt der Ruhm.

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Zeitstimmen. Schlußwort der ersten Ausgabe. Schlußwort der ersten Ausgabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BA9A-2