Georg Forster
Rede über die Vereinigung des Rheinisch-Deutschen Freistaats mit der Frankenrepublik

gehalten den 21ten März 1793

[623] Mitbürger!


Je unbeschränkter die Vollmacht ist, womit wir hier die Stelle unserer Brüder vertreten, um so wichtiger und ernsthafter ist unsere Pflicht. Die Schicksale dieses ganzen Landstrichs sind uns anvertraut und von den Beschlüssen, die wir hier fassen, hängt das Glück vieler tausend Menschen ab, die ihre besten Hofnungen voll Vertrauen in unsere Hände legten. »Geht hin«, sagten sie uns, »und entscheidet in unserm Namen, was künftighin Gesetz in unsern Dörfern und Städten heißen soll; Euch wählen wir, weil unser Herz uns sagt, daß Ihr unsere Erwartungen nicht täuschen werdet; Euer Gewissen wird Euch den Weg vorzeichnen, den Ihr wandeln müßt. Wir können Euch nur eine Bedingniß zur Richtschnur vorlegen, nur den heiligen unverlezlichen Schwur, dem Volk und seiner Freiheit treu zu sein. Alles was dieser Eid in sich faßt, alles was sich auf die ewige, unerschütterliche Grundfeste der Gleichheit für uns und unsere Kinder Glückbringendes bauen läßt, überlaßen wir Eurer Einsicht und Eurer Redlichkeit. Segen über Euch, Brüder und Väter des Volks! wenn Ihr sein wahres, dauerndes Glück begründet und ihm eine Verfassung schaft, unter deren wohlthätigem Einfluß die Menschheit sich in ihrer gottähnlichen Größe zeigen und zur moralischen und vernünftigen Vollkommenheit entwickeln kann; aber auch bitterer, zur Hölle hinunter schleudernder Fluch der gegenwärtigen und der künftigen Geschlechter, wenn Ihr eurer heiligen Pflichten uneingedenk, Verräther an Euren Brüdern werdet und den großen Augenblick verkennt oder versäumt, in dessen unbegreiflichen Verhängnissen das Heil der Völker beschlossen liegt.«

So redet der Geist des deutschen Volks, das uns hieher gesandt hat, mit uns, mit seinen Stellvertretern. Ha! vernahmen wir wohl das große, erschütternde Wort: Stellvertreter des freien deutschen Volks? – Im Namen einer unendlich gekränkten, um ihre Rechte betrogenen Völkerschaft stehen wir da! Durch zwölf Jahrhunderte und länger banden uns unwürdige Ketten, und jedes neue Geschlecht unserer Tirannen vermehrte ihre drückende Last, zog sie fester an um unsere Glieder, preßte mehr Blut aus dem verwundeten Körper, und [623] beugte tief zur Erde das Ebenbild Gottes zur entehrten Sklavengestalt. Frei waren unsere Vorältern; das Alterthum erkannte in ihnen das freiste Volk unter der Sonne, und der Ruf ihrer Freiheit ist unversehrt geblieben im Gedächtnis des Menschengeschlechts. Wie das Wild in ihrem Walde kämpften sie mit Löwenkühnheit für Unabhängigkeit und heiliges Recht der Menschennatur; die Legionen der Weltbezwinger sanken vor ihrem unüberwindlichen Arm in den Staub; denn Deutschlands Söhne waren freier als Varus und seine Römer. Allein Übermuth der Kräfte und Üppigkeit des Genußes verwandelten die Helden in Räuber, die Räuber in gewaltige Fürsten und Herrscher; besiegte Stämme fröhnten dem wilden Menschenjäger und bauten in friedlicher Unterwürfigkeit seinen Acker; schlaue Wollüstlinge benutzten die Gewalt, welche die neue Religion über die Gemüther gewann, sie benutzten die Religion, welche Gehorsam, Geduld, unkriegerische Ergebung und Aufopferung des Gegenwärtigen für eine durch unbegreifliche Verheißungen beglaubigte Hofnung des Zukünftigen predigte, um Herrschaft und Eigenthum an sich zu reißen. So ward die Menge unterjocht von wenigen; so gelang es dem Starken, die Rechte seines Mitmenschen an sich zu reißen; so hielt der Priester seine unwissenden leichtgläubigen Brüder gefangen in den Irrgängen des Vorurtheils.

Ewiger Richter des Menschengeschlechts! gerechte Vorsehung! mußte denn so lange das Volk die Sünden seiner Widersacher büßen? War es nicht möglich, zwölfhundertjährige Knechtschaft um einige Menschenalter abzukürzen? Stumpf und muthlos mußte die Last des immerwährenden Drucks die Völker machen, der göttliche Funke des innern selbstthätigen Strebens mußte schier verglimmen in der Pestlust der Tirannei. Wer begreife des Schicksals eherne Gesetze? Bürger und Brüder! ja, ich ahnde, daß der Mißbrauch der Gewalt den höchsten Gipfel erreichen mußte, damit er sammt der Wurzel ausgerottet würde. Immer frischer und immer üppiger grüne der Baum hervor, dem man die kleinen Zweige beschneidet, und immer stolzer hob die Tirannei das Haupt, bei jedem schwachen Versuch, ihr kleine Auswüchse der Macht zu benehmen. Umsonst kehrten unsere betrogenen Vorältern nach manchem blutigen Kampf unter der Fahne der Schwärmerei, [624] aus den Ebenen Ägyptens, aus den Wüsteneien von Palästina, von manchem Irrwahn geheilt, ins Vaterland zurück; umsonst warfen die Schweizer das Joch des Habsburgers ab; umsonst erschütterte ein Mönch den Stuhl der geistlichen Tirannen; umsonst erfanden deutsche Rheinbewohner die unsterbliche Buchdruckerkunst; umsonst fuhr der Schwede Gustav Adolph, wie ein leuchtender Blitz durch diese verfinsterte Gegend: der Trotz der Wüthriche, die Heimtücke der Heuchler, die Ränke der Volksbedrücker gewannen neue Stärke durch jeden Widerstand, und sie bedienten sich der Fortschritte selbst des menschlichen Verstandes, um uns in immer schwerere Ketten einzuschmieden. Zugleich mit äußerlicher Freiheit raubten diese Seelenmörder unseren Vätern und uns die innere Freiheit, und mit ihr den Zweck und die ganze Bestimmung unseres irdischen Daseins. Sie raubten uns das köstlichste Geschenk der Natur; die Fähigkeit uns selbst nach Gründen der Vernunft zu bestimmen; diesen heiligen Funken, unseres göttlichen Abstamms unverwerflichen Beweis, suchten sie in uns zu ersticken; lebendiges Gefühl der Wahrheit, Schönheit und Güte sollte nicht aufkommen in der Seele des Sklaven, sollte nicht zu eigenem Wirken des freien Willens Entscheidungen lenken; sie hemmten die Hauptfeder aller moralischen Bewegung und verwandelten das Meisterstück der Schöpfung, den vernünftigen, durch sich selbst wirkenden Menschen, in ein blindes lebloses Werkzeug ihrer Launen und Lüste. Das ist die Schuld, welche sich auf allen Despoten, auf allen Herrschern und ihren kleinen Mitgehülfen durch jenen langen Zeitraum häufte. Millionen Menschen verfehlten ihre Bestimmung, weil sie das Joch der Knechtschaft tragen mußten. Rache! Rache! schreien seit zwölf Jahrhunderten alle deutsche Geschlechter; Rache über die Mörder unserer Seelen, Rache über die Todfeinde der menschlichen Vervollkommnung!

Mitbürger! der schreckliche Tag des Gerichts ist gekommen; die lezte Stunde der Tirannei hat geschlagen; Verstockung, blinde Wuth und ohnmächtige Überspannung ihrer lezten Kräfte sind die Zeichen des scheußlichen Todeskrampfes, in welchem sich jezt das sterbende Ungeheuer zu unseren Füßen windet. Ja! gerecht ist Gott! der Sieg der Vernunft ist vollkommen; [625] die beleidigte Menschheit tritt in den vollen Besitz ihrer Rechte; kein Vertrag, keine Ausgleichung findet mehr statt zwischen dem langgepeinigten Volk und seinen mit Schuld belasteten Mördern!

Erkennet, Freunde, den Unterschied zwischen den menschlichen Gerichten und göttlicher Vergeltung. Nicht gegen einzelne Despoten flammt die aufgehobene Rechte des Herrn; das Maas der Ungerechtigkeit ist voll; darum wird auch die Schale des göttlichen Zorns ausgegossen über die ganze Erde und schwemmt bis auf die lezte Spur der Tirannei hinunter in den Abgrund des Verderbens und ewiger Vergessenheit. Nicht, weil im gegenwärtigen Zeitpunkt gerade der verächtlichste oder der verabscheuungswürdigste Abschaum und Auswurf des Menschengeschlechts die Thronen der Erde füllte, sondern weil die Axt schon längst am giftigen Stamme der Herrschergewalt gelegen hatte, soll ihr allgemeiner Sturz der Erde dieses Jahrhunderts auf ewige Zeiten bezeichnen. Erkennet, Freunde, daß ein neuer Abschnitt in der Geschichte unserer Gattung beginnt; erkennet, daß die Epoche der Befreiung des Menschengeschlechts so wichtig ist, als jene, von welcher vor achtzehnhundert Jahren unsere Zeitrechnung anfieng.

Stellvertreter des freien deutschen Volks! Ihr habt der Welt, die Euch beobachtet und die Euch richten wird, bereits einen Beweis gegeben, daß Ihr Euch zur ganzen Würde hinaufzuschwingen wißt. Auch Ihr habt am 18ten März nicht die Tirannen allein, nicht den Urheber des jetzigen Kriegs, den Fackelträger der Zwietracht und der Despotenwuth, Friedrich Carl Joseph, nicht das Haupt der Verschwörung, den Schwächling Franz, nicht die kleinen Peiniger und Blutsauger dieses oder jenes kleinen Ländchens, – nein, Ihr habt die ganze Tirannei im rheinisch deutschen Volk mit einem mächtigen Schlage zu Boden gestreckt, und die Fahne der Volks-Souverainität an dem befreiten Rheinufer aufgepflanzt.

Männer! der erste Schritt ist gethan; aber der zweite muß folgen, oder was Ihr thatet, wird die Nachwelt als ein Possenspiel, als ein kindisches Beginnen verachten. Sprecht Ihr die Freiheit Eurer Mitbürger aus; wohlan, so reicht ihnen heute den undurchdringlichen Schild, der ihnen den Genuß [626] der Freiheit unter seinem Schatten sichert. Schaut umher; Eurer jungen Freiheit drohen die Myrmidonen der Despoten; jenseits stehen sie in Eisen geharnischt und diesseits drängen sich ihre Schaaren, durch die Gebirgsthäler in Eure fruchtbaren friedlichen Gefilde. Wo ist das Heer, das Ihr dem Feinde entgegenstellt, wo die Schätze, die der Krieg verschlingt, wo der Muth, der alle Hindernisse besiegt, der lieber in gewissen Tod stürzen, als das Grab der Freiheit erleben will? Ist nicht die Menge Eures Volks unbedeutend, hat nicht der lange, entnervende Druck seinen Geist gedämpft, haben seine Fürsten und Fürstenknechte nicht alle seine Haabe verpraßt?

Ihr zeigt mir die beherzten Schaaren Eurer Befreyer; das edle Volk der Franken steht auf in den Waffen und breitet seine schutzreichen Flügel aus, über die schwächeren, unkriegerischen Völker, die es dem Despotismus abgewann. Ich sehe und staune mit Euch; freie Krieger seh' ich mit beispielloser Grosmuth ihr Leben opfern für fremder Menschen Glück; Franken erkämpfen den Deutschen die Freiheit. Ich sehe sie stürzen ins Schlachtgewühl; ihre Blitze zerschmettern die Horden der Knechte; sie fällen ihre Bayonette, sie dringen ein; Sieg! und Sieg auf Sieg! Die gedemüthigten Feinde flehen um Gnade und Eure Freiheitsfahne weht!

Männer! Vertraute des deutschen Volks! Aufbewahrer seiner besten Hofnungen! Ich beschwöre Euch, blickt über den gegenwärtigen Augenblick hinweg in die Zukunft. Der Haß und Groll der Tirannen stirbt nur mit ihnen aus. Wenn ihre Wunden geheilt, wenn ihre zerhackten Schwerter neu gewetzt sein werden, seh ich den Augenblick, wo sie noch einen Versuch wagen, die deutsche Freiheit im Aufsprossen niederzutreten. Plötzlich und unerwartet überfallen sie dann Eure ruhigen Wohnorte; Eure Beschützer sind fern; sie morden Euch und Eure schuldlosen Gehülfinnen; die Ungeheuer morden die frohen Geschöpfe Eurer seligsten Augenblicke, die um die Knie Eurer Greise spielen, sie morden die ehrwürdigen Alten; Eure Hütten verzehrt ein allgemeiner Brand; Schutt und Asche bezeichnen den Ort, wo Freiheit, und Unschuld, wo Glück und Liebe mit den Menschen einst wohnten!

[627] Schaudert Ihr zurück vor diesem grausenvollen Bilde? O rettet, rettet schnell, durch einen weisen Entschluß, das Leben, das Glück, die Freiheit, derer die Euch sandten; sichert auf ewig gegen alle Hinterlist und Mordlust der Feinde, ein gutes Volk, das sich nicht selbst beschützen kann. Behaltet Eure Befreier, Eure Beschützer im Lande; schließt Euch fest an sie an, entlaßt sie nicht aus Euren Armen, schwört ihnen den ewigen Bruderbund, und empfangt ihn wieder von ihnen; sprecht das große entscheidende Wort; die freien Deutschen und die freien Franken sind hinführo ein unzertrennliches Volk!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Forster, Georg. Essays und Reden. Rede über die Vereinigung des Rheinisch-Deutschen Freistaats mit der Frankenrepublik. Rede über die Vereinigung des Rheinisch-Deutschen Freistaats mit der Frankenrepublik. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B1C8-6