[158] Der treue Diener.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Warte! sagte Baron Soller, und nahm den Kalender heraus. – Schon sechs Wochen! Wohlan, es biegt oder bricht! Ich muß sie darauf bringen! – In dem Augenblick wurde geklingelt, er zog seine Livrey und spraug vor.

Anton! sagte die schöne gnädige Frau: sind die Bücher noch nicht angekommen? Ich bin so schwermüthig, und habe nichts zu lesen.

Er: Nein, gnädige Frau, noch nicht.

Sie: Traurig, wenn man nichts als die Lectüre hat!

Er: Gewiß! Meinem armen vorigen Herrn gieng es eben so.

Sie: Wie hieß er?

Er: Der Herr Baron von Soller.

Sie (erröthend und erschrocken): Von Soller?

Er: Ja, gnädige Frau! Er schien einen großen Kummer zu haben.

Sie (bewegt): Der arme Mann! Ja, ich erinnere mich seiner. Er hat einen vortrefflichen Charakter.

[159] Er: Er sprach seht oft von Ihnen, gnädige Frau!

Sie (freudig): Von mir?

Er: Tagelang, gnädige Frau! Und dann wurde er immer noch trauriger.

Sie: Der gute Mann! Wo mag er jetzt sein, lieber Anton?

Er: Ich weiß es nicht, gnädige Frau!

Sie: Ich gäbe viel darum, ihn noch einmal zu sehen.

Er: Wenn er das wüßte!

Sie: Er ist mein liebster Jugendfreund gewesen.

Er: Und Sie die einzige Person auf der Welt, die er liebte.

Sie (weinend): Umstände! – Du wirst alles wissen, lieber Anton.

Er: Alles! Alles!

Sie: O wär' es möglich, daß ich ihn noch einmal sehen könnte! Mein Herz ist auf ewig sein.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Er: Und meines Dein! rief Soller, stürzte zu ihren Füßen, ergriff ihre Hand, und drückte sie an seine Brust. – O Julie! Kennst Du mich nicht mehr?

[160] Sie: Gott! – Anton! – Nein – O Soller! Soller! Welche Ueberraschung!

Er: Wie viel habe ich gelitten!

Sie: Wie oft hab' ich an dich gedacht! Diese Aehnlichkeit –

Er: Tausendmal war ich im Begriffe –

Sie: Aber deine Verkleidung? – Dein Entschluß?

Er: Es war das einzige Mittel, diesen alten Tyrannen zu hintergehen. Du siehst, wie sehr ich in seiner Gunst stehe. O Julie! Ich habe dir alles aufgeopfert.

Sie: Ich fühle es, Theuerster! (mit einem seelenvollen Blicke.)

Er: Darf ich hoffen?

Sie: Schone meine Schwäche!

Er: Um Mitternacht?

Sie (schweigend, aber mit einer Bewegung der Zustimmung.):

Er: Theuerstes, bestes Weib! Warum hab' ich mein Glück so lange verspätet?

Sie: Und ich? – O Soller! Du kennst meine Leiden am besten.

Sie wollten ihr Gespräch fortsetzen, aber Sr. Excellenz, der alte siebenzigjährige Herr geheime Rath, ließen sich auf dem Vorsaal hören, und Soller nahm seine Maske vor.

[161] Nun Anton! rief der alte gichtbrüchige Herr, hab' ich's nicht gesagt, es wird heute regnen; ich fühlt' es gleich in meinem Beine.

Ihro Excellenz haben allemal Recht! gab Soller zur Antwort, und verließ sie.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Es war Nacht; der alte Herr lag im tiefsten Schlafe; Julie zählte jeden Augenblick. Es schlug zwölf Uhr; das Nachtlicht hatte diesmal schlechterdings nicht brennen wollen. – Bst! – Soller schlich leise herein, und faßte ihre Hand.

O wie glücklich! sagte sie, und drückte ihn an ihr Herz. – Aber? erwiederte er ängstlich. – Ich habe für Alles gesorgt! war ihre Antwort: was du auch hören magst, laß dich nichts irre machen. – Sie faßte seine Hand, und weckte ihren reizenden Ehegemahl.

Er (verdrüßlich und hustend): Was denn? Was denn?

Sie: Vergeben Sie, gnädiger Herr!

Er: Was wollen Sie denn? So lassen Sie mich schlafen!

Sie: Nur einen Augenblick!

Er: Mein Gott! Sie wissen es ja.

Sie: Nur ein Wort!

[162] Er: Aber ich habe Ihnen ja gesagt – Sie sehen ja selbst –

Sie (lächelnd): Sie verstehen mich nicht, gnädiger Herr! Ich will Sie nicht geniren, ich will Ihnen nur ein Wort sagen.

Er: Ist denn das so eilig, daß Sie mich aufwecken müssen?

Sie: Gewiß, gnädiger Herr! Was halten Sie von Anton?

Er: Anton? Wie kommen Sie denn jetzt auf den?

Sie: Sie sollen es gleich hören: sagen Sie mir nur, was halten Sie von ihm?

Er: Ueber Ihre Narrenpossen! – Nun, es ist ein ehrlicher Kerl, den ich wohl leiden mag.

Sie: So? Ein ehrlicher Kerl? Nun, da betrügen Sie sich stark. Ein Schurke ist es, ich gebe Ihnen mein Wort!

Er: Was? Ein Schurke? Woher wissen Sie das?

Sie: Aus seinem eignen Munde.

Er: Wie? – Das ist unmöglich'

Sie: Sie wollen es nicht glauben? Nun so sag' ich Ihnen: er hat mir einen Antrag gemacht.

Er (sich aufrichtend und ernsthaft): Einen [163] Antrag? Wie verstehen Sie das? Reden Sie Madame! Was für einen Antrag?

Sie: Ihre Ehre – Meine Tugend – Verzeihen Sie, die Schamhaftigkeit verbietet mir –

Er: Wäre es möglich? – Ich erwürge ihn mit meinen Händen!

Soller wußte nicht, was er denken sollte; aber sie drückte ihm leis die Hand, und er beruhigte sich.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Gott Lob! fuhr sie fort: daß ich Sie dasmal überzeugen kann. Ich habe gethan, als ob ich ihn anhörte, und ihn nach Mitternacht in den Garten bestellt. – Ziehen Sie meine Deshabille an, und Sie werden den Schurken ertappen.

Er: Warte, warte, du Bube! – Warte, ich will dich finden! – Wo ist das Kleid? – Geben Sie her! – So! – Auch die Nachthaube! – Jetzt will ich meinen Degen holen! – Ich sehe, Sie sind ein ehrliches Weib!

Sie: Und wenn er noch nicht da sein sollte, gnädiger Herr, so warten Sie nur; er kommt ganz gewiß.

[164] Er: Schon gut, schon gut!

Sie: Sie dürfen nur dreimal husten, das ist das abgeredete Zeichen.

Er: So, so! – (hustet) Ist's das?

Sie: Vollkommen! O gnädiger Herr, wie will ich mich freuen, wenn Sie den Buben ertappen!

Er: Lassen Sie mich nur machen! Ich will ihm das Handwerk schon legen.

Der alte Herr eilte fort, so schnell als er konnte. Julie sprang aus dem Bette, riegelte die Thüre zu, und Soller lag in ihren Armen.

Ach, was hast du mich erschreckt! rief er: liebes listiges Weib! – Wie gut! Wie passend! – Sie erwiederte nichts; seine Liebkosungen schlossen ihr den Mund. Er genoß im reichsten Maße, was zwei Liebende so glücklich macht, und Julie lernte zum erstenmale die Wollust des Himmels kennen.

Eine Viertelstunde war so in süßen Spielen vergangen; endlich schob sie ihn sanft an ihre Seite. – Genug, du Schwelger! Jetzt laß uns auf das Nachspiel denken.

Er: Der alte Mann wird lauern.

Sie: Du mußt ihn ablösen, und ihn von deiner Treue überzeugen.

Er: Halt, süßes Weib! Ich verstehe dich. [165] – Wo ist mein Rohr? – Laß mich machen! – Noch einen Kuß, und er schlich in den Garten.

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Der Mond stand hinter einer Wolke, und die bezeichnete Allee war völlig dunkel. Soller sah den verkleideten Herrn an einem Baume lehnen, und gieng schnell darauf zu.

Bist du da, Engel? sagte er leise, und hustete dreimal nach einander.

Ja, mein Herz! antwortete der Alte, und erwiederte das Signal.

S. Nun so laß uns gehen!

A. Wohin du willst! – Mein alter Mann liegt in tiefem Schlafe. – Er streckte seinen Arm aus, um Sollern zu führen.

S. Was? Du niederträchtiges Weib! Hab' ich dich ertappt? – Ist das die Treue, die du meinem guten Herrn geschworen hast? – Warte, ich will dich bezahlen! (schlägt auf ihn zu) – Warte, ich will dir meine Liebe beweisen! (verdoppelt seine Schläge) – Da! da! Das ist für deine Schäferstunde! (haut unbarmherzig zu) – Und morgen soll mein guter Herr Alles erfahren.

Aus diesem Tone und in diesem Takte gieng [166] es fort, bis der Alte endlich das Haus erreichte. – Laufe nur! schrie ihm Soller auf der Treppe nach: morgen früh wollen wir schon weiter sehen.

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Nun, gnädiger Herr! rief das schlaue Weibchen, als er athemlos und hustend in die Schlafkammer stürzte: nicht wahr, Sie haben den Buben ertappt?

Er: Ja, ja! Aber das muß ich ihm lassen: es ist doch ein ehrlicher Kerl!

Sie: Was? (mit verbissenem Lachen.)

Er: Wären Sie nur gegangen, er würde Sie schon zugedeckt haben! – Ich fühle meinen Rücken nicht.

Sie: Sie setzen mich in Erstaunen.

Er: Wie ich Ihnen sage: Wären Sie kein ehrliches Weib gewesen! –

Sie: Gott Lob! Gnädiger Herr!

Er: Er hat Sie nur auf die Probe stellen wollen.

Sie: Was? – Seh,' eins den ehrlichen Menschen an!

Er: Ja gewiß, ehrlich! Aber ich will's ihm auch belohnen, so gut ich kann.

[167] Sie: Auf die Probe stellen? – Aber wissen Sie, gnädiger Herr, daß mich das beleidigt?

Er: Lassen Sie's gut sein, um meinetwillen, ich bitte Sie darum! – Er hat zugeschlagen, wie ein Zuchtmeister, aber ich mache mir nichts daraus. Weiß ich doch, daß Ihr beide ehrlich seid!

Von nun an waren alle Parteien zufrieden. Das schöne Weibchen, der feurige Soller, der argwöhnische Eheherr, alle waren die besten Freunde. Wie viel süße Genüsse! Aber hätte ihn auch der alte Herr in Juliens Armen gefunden, er hätte es doch nicht geglaubt. Eher müßte es ein Blendwerk des Teufels gewesen sein.

O selig sind, die da sehen, und doch nicht glauben!


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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Der treue Diener. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A816-A