[129] Die Kolik.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Aber wie gesagt, liebe Cousine! fuhr Frau von K. zu Frau von H. fort, die seit einem Jahre an einen alten eifersüchtigen Mann verheirathet war. Aber wie gesagt, liebe Cousine! man muß sich seine Lage so erträglich als möglich zu machen suchen.

Fr. v. H. Freilich!

Fr. v. K. Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich würde weniger austère sein.

Fr. v. H. Was?

Fr. v. K. Du sagst mir, daß dich Ewald auszeichnet!

Fr. v. H. Ich glaube es wenigstens bemerkt zu haben.

Fr. v. K. Und wie das, liebes Kind?

Fr. v. H. Weil er absichtlich an meinen Mann verliert, um nur immer willkommen zu sein.

[130] Fr. v. K. Nun mein Kind! Ob er das deinetwegen thut –

Fr. v. H. (mit Wärme): Aber seine Zuvorkommung, seine Besorgnisse um meine Gesundheit, seine sichtbare Freude, wenn er hineintritt, seine theilnehmenden zärtlichen Blicke, wenn er mich unbemerkt ansehen kann, seine –

Fr. v. K. (lächelnd): Ei ei, liebe Cousine, du geräthst in Eifer! Nun, nun, ich bin selbst überzeugt! Aber eben deßwegen, wenn ich an deiner Stelle wäre –

Fr. v. H. Was?

Fr. v. K. Ich würde den braven Mann aufmuntern.

Fr. v. H. Ach Gott weiß, ob ich ihn liebe!

Fr. v. K. Nun so gieb ihm die Erlaubniß dich wieder zu lieben.

Fr. v. H. Aber?

Fr. v. K. Mit Discretion und Delikatesse! – Sieh, liebes Kind! Gewisse Leute verdienen –

Fr. v. H. Aber du überlegst nicht –

Fr. v. K. Mehr als du glaubst. Dein Leben ist mir zu theuer! Es mag ein verzweifeltes Mittel sein, aberdie Curen gelingen gewöhnlich am besten.

Fr. v. H. Aber was soll ich thun?

Fr. v. K. Dem armen Ewald deine Liebe [131] zeigen. –Allons, allons, la petite timide! indem sie sie sanft auf die Wangen klopfte – Und für das Uebrige wird er selbst sorgen.

Frau von H. wollte antworten, aber es kam Gesellschaft, und das Gespräch wurde allgemein.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Frau von H. war kaum achtzehn Jahre alt, und hatte einen alten Mann von sechszig heirathen müssen. Sie fand den Rath ihrer Freundin vortrefflich, und beschloß, ihn unverzüglich zu befolgen. Ihre Jugend, ihr Temperament, Ewald's Liebenswürdigkeit und seine Zuvorkommung, Alles muß sie bei euch entschuldigen.

Laßt ein Weib einmal entschlossen sein, und sie wird Alles unternehmen. Was war leichter, als Ewald ihre Liebe zu zeigen? Ein einziger Blick, ein einziges Lächeln sagte ihm Alles. In dem Augenblicke putzte sie das Licht, und ihre Hand fand die seinige. Ein zärtlicher Druck, ein kleines geheimnißvolles Briefchen, und der Bund war geschlossen. Freue dich, alter Geizhals, du hast abermals sechs Dukaten gewonnen, aber es wird schon seine Revanche nehmen.

Es schlug zehn Uhr, Ewald empfahl sich; [132] aber er hatte Augustens Briefchen gelesen, und sein Plan war gemacht. Ein bedeutender Blick versicherte ihr's, und sie erröthete. Ewald war reich und angesehen. Der Bediente im hause suchte ein Aemtchen, das von ihm abhieng. Die Bedingungen waren leicht gemacht. – Wie? Was? – Das folgende Capitel wird es erzählen.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Es war fast Mitternacht; die arme Auguste lag auf Nesseln. – Ach Gott! rief sie endlich: ich muß aufstehen, ich habe entsetzliches Bauchweh! – Der Alte erwachte, und schlich ihr nach. Sie hörte ihn kommen, und freute sich herzlich darüber. Die abscheuliche Kolik! Es ist erschrecklich, was sie leiden muß! – Wenigstens sah es so aus.

Eine Viertelstunde, und der Schmerz ließ ein wenig nach; sie legte sich wieder nieder. Aber kaum war sie im Bette, so mußte sie wieder heraus. Der Alte folgte ihr abermals, und die Farce wurde von neuem gespielt. Sie kam wieder zurück, und mußte zum drittenmal hin. Auf die Art foppte sie ihn ein halb Dutzendmal, denn sie wußte recht gut, was sie thun wollte.

[133] Man kann denken, ob der alte Herr der Promenade zuletzt überdrüssig wurde. Er glaubte endlich überzeugt zu sein, und fieng an einzuschlafen. Kaum hörte ihn das schlaue Weibchen schnarchen, so schlüpfte sie leis zum Bette hinaus, und schnell auf den Vorsaal. Ein kleines Räuspern rufte ihren Freund herbei. Er trug sie auf das Sopha, und vertrieb ihr die Kolik in einem Augenblick.

Eben war er beschäftigt, ihr eine vierte Dosis einzugeben, als er den Alten rufen hörte. – Ah je n'en puis plus! ächzte sie: bleiben Sie nur darin! Ich komme schon! Noch eine feurige Umarmung, und sie mußte ihren wackern Doktor verlassen. Ewald gab dem Bedienten einige Dukaten, und kam unbemerkt aus dem Hause.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Wer war glücklicher, als Auguste? Schon hoffte sie die kleine pièce à tiroir in einigen Tagen zu wiederholen, als der alte Herr seine Wachsamkeit auf einmal verdoppelte. Hatte es vielleicht der Bediente verrathen? Nein, aber ein Nachbar hatte Ewald im Garten bemerkt, und dem alten Herrn dieses Aviso gegeben.

Das Lustigste war, daß Herr von Hahnrey [134] den Bedienten selbst zu seinem Vertrauten machte. Er befahl ihm nämlich, seine Gemahlin zu beobachten, und versprach ihm vier Groschen Zulage dafür. Ob der arme alte Mann sich lange bedachte? Madame gab ihm Thaler, Ewald Dukaten und einen Einnehmerposten: im Augenblicke wußten sie Alles.

So vergiengen einige Wochen, und trotz der Willfährigkeit des Bedienten war eine Repetition unmöglich. Aber endlich mußte der alte Herr in einer gewissen Sache auf zwei Tage verreisen, und man wußte sich zu entschädigen.

Ewald lag in Angustens Armen, Lippe an Lippe, Brust an Brust gepreßt. Ein kleines Nachtlicht warf den matten Schein in's Zimmer hin, und eine wollüstige Ruhe schwebte über den Ermatteten. Auf einmal stürzte der Bediente herein. – Der gnädige Herr! Der gnädige Herr! Er klopft schon! Er klopft schon!

Er hat sich versteckt gehalten! rief Ewald, aber ich habe schon längst darauf gedacht. Gieb mir deinen Rock und deinen Hut, Johann! Ich will ihm selbst aufmachen. – Gesagt, gethan. Er ist in einem Augenblick verkleidet, eilt die Treppe hinab, läßt den tobenden Alten herein, wirft das Licht und den Ueberrock hin und springt zur Thüre hinaus.

[135] Aber Johann! Johann! Was macht Ihr denn? rief der alte Geizhals: du lieber Gott, wenn Ihr's nun zertretet! – Nun wie steht's? Ist's Revier rein geblieben?

Alles gut, alles gut, gnädiger Herr! rief der eigentliche Johann, zog seinen Rock an, und that, als ob er das Licht suchte. – Es ist unversehrt, aber ich will Ihre Gnaden hinauf führen.

Madame war vergnügt, wie die Weiberchennachher gemeiniglich sind. Dazu kam die Freude, den alten Narren abermals angeführt zu haben, und die schönen Hoffnungen für die Zukunft. Schon dachte sie auf eine neue List, als der gefällige Tod ihren Argus auf einmal zu sich nahm. Jetzt soll sie mein werden, dachte der ehrliche Ewald, und beide Theile wurden vollkommen glücklich.

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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Die Kolik. Die Kolik. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A814-E