Christian Althing
(Christian August Fischer)
Hannchens Hin- und Herzüge
nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte

Erstes Buch

1. Capitel: Der Rechenknecht
Erstes Capitel.
Der Rechenknecht.

»Ja! Ja! Ihr Blitzweiber!« pflegte mein Vater zu sagen, wenn er ein Gläschen über den Durst getrunken hatte. – »Erst will's keiner ein, aber wenn sie's einmal können, verlernen sie's auch in ihrem Leben nicht wieder.« –

»Weißt du noch Dortchen?« – fuhr er zu meiner Mutter fort – »als ich den Rechenknecht! – Du meine Güte! – Was war das für eine Arbeit! – Aber wie auch's erste Exempel – Potz Element! da gieng's auch wie geschmiert!« –

[3] »Ja! Ja! ich sag' es noch einmal. – 'S sind Hagelsweiber! – Erst sehen sie aus, als könnten Sie nicht Dreye zählen – Aber nachher – Alle Wetter! –Nachher multipliciren sie, man hat seine Freude d'ran!« –

Das traf bey meiner Mutter wörtlich ein. Er hatte sie so gut darin geübt, daß sie ein Exempel nach dem andern herausgebracht hatte. Von allen ihren Kindern war ich indessen allein am Leben geblieben; und schien auch Trotz dem Eifer meines Vaters ihr letztes Produkt zu seyn.

Da alle Dinge Anfangs klein sind, so soll es auch das erste Capitel seyn, und wir gehen daher sogleich zum zweyten fort.

2. Capitel: Ich
[4] Zweytes Capitel.
Ich.

Mein Vater war ein Krämer in einem kleinen Landstädtchen, und besaß das Geheimniß, aus einem Pfunde Kaffee oder Zucker zwey zu machen. Meine Aeltern waren daher in guten Umständen, und thaten auch ihr möglichstes, mich gut zu erziehen. Ich versprach ein bildschönes Mädchen zu werden, und lernte Clavier und Französisch mit vieler Leichtigkeit.

Gleichwohl war ich von Jugend auf wild und beherzt wie ein Knabe. Ich spielte am liebsten mit diesen und schlug mich tapfer mit ihnen herum. »S' ist eine wilde Hummel!« pflegte mein Pathe zu sagen – »Sie geräth [5] dem Vater nach« – fügte meine Mutter hinzu; aber sie hatten mich alle lieb.

So wuchs ich heran, und meine Aeltern stellten mich in den Laden. Die Herren Offiziers, die bey uns im Städtchen lagen, wurden das kaum gewahr, so strömten sie haufenweise herzu. Mein Vater hatte seine Freude darüber, und hieß mich nur die Lockmeise, und ich selbst hatte gar nichts dagegen.

Am meisten gefiel mir's, wenn sie mich lobten! – »Mein schönes Hannchen hinten! Mein schönes Hannchen vorne!« – Das kützelte mich allemal bis in die Fußzehe! Dabey gaben sie aber nicht auf die Waage Achtung; und ich zwackte daher zur großen Freude meines Vaters immer noch ein halbes Quentchen über das Gewöhnliche ab.

Einer der Herren wollte mich einmal küssen; weil er aber so kupfrig aussahe, verstand ich Unrecht und warf ihm den Oelstöpsel ins [6] Gesichte. Er wurde gewaltig böse und klagte es meinem Vater. – »Bis doch nicht so einfältig« – hieß es hernach beym Abendsegen. »Du kriegst ja keinen Bart davon.«

Ich probirte es noch denselben Abend mit Nachbars Gusteln und fand es bestätigt! – »Das ist ja eine charmante Sache« – sagte ich – »das bekommt einem ja ganz herrlich!« –

3. Capitel: Unglück
Drittes Capitel.
Unglück.

Meine Mutter bekam ein Faulfieber, und da sie nicht gesund werden wollte, konnte ihr auch der Herr Doktor nicht weiter helfen. Sie starb, und ich hatte eine gute Mutter verloren.

[7] Ich war erst dreyzehn Jahre alt und mußte mich nun der Wirtschaft annehmen. Die Mägde fingen an, mich Mamsell Haunchen zu nennen, da ich vorher nur Hannchen geheißen hatte. Ich fand mich sehr bald in beydes, aber mein Vater wurde täglich mißmüthiger.

Kaum war ein halbes Jahr vergangen – so sagte er einmal: – »Hanne! ich kann das Rechnen nicht lassen! ich muß wieder heirathen; aber du sollst eine gute Stiefmutter kriegen.« – Bey diesen Worten fing ich an zu weinen, aber es war alles vergebens.

Er hatte mit einer alten Jungfer Bekanntschaft gemacht, die ihm achthundert Thaler zubrachte. Sie betrieb die Sache so eifrig, daß schon sechs Wochen nachher alles richtig war. Ehe ich michs versahe, hatte ich die liebe Stiefmutter im Hause.

Man kennt den Teufel an seinen Namen; was brauch' ich sie weiter zu schildern? Mein [8] Vater und ich, wir hatten nun glücklich gelebt. Sie wußte ihn völlig zu unterjochen und spielte mir entsetzlich mit. Wir klagten einander unser Elend, das war meine einzige Hülfe. Um sich zu trösten, fing er an zu trinken und ließ alles bunt über gehen.

Ich wurde meines Lebens in dieser entsetzlichen Lage beynahe überdrüßig. Zehnmal dachte ich daran, in das Wasser zu springen! Meine abscheuliche Stiefmutter schien es auch wirklich darauf anzufangen, denn sie ließ mich oft Tagelang hungern! Ach ihr Väter, die ihr zur zweyten Ehe schreitet, weil ihr das Rechnen nicht lassen könnt, das Unglück eurer Kinder wird schwer auf euch liegen!

4. Capitel: Die Operation
[9] Viertes Capitel.
Die Operation.

Vor allen Dingen muß ich sagen, daß unsere Wohnstube zwey Eingänge hatte, einen durch das Haus, den andern durch den Laden.

Mein Vater war nach L. gegangen, um neue Waaren einzukaufen, und die Stiefmutter ließ mich wider Vermuthen die ganze Zeit im Laden. Eines Abends, als ich eben zugemacht hatte, wollt' ich durch die eine Thüre in die Stube gehen, fand sie aber beyde verschlossen. Da ich zu gleicher Zeit einen Degen fallen und meine Stiefmutter ächzen hörte, so erschrack ich außerordentlich. Nun war über der kleinen Thüre ein Fensterchen angebracht, [10] ich nahm also die Ladenleiter und stieg hinauf.

Die Stube war sehr schwach erleuchtet; gleichwohl konnte ich sehen, daß meine Mutter mit einem Dragoner auf dem Kanapee lag. Er hatte sie völlig zu Boden geworfen, hielt sie mit beyden Armen umfaßt und schien sie zu würgen. Sie zerarbeitete sich heftig unter ihm, und stöhnte und ächzte gleich einer Sterbenden.

»Herr Jesus! – Herr Jesus!« – rief ich im höchsten Entsetzen außer mir – »Hülfe! Hülfe! Mörder, Mörder!« und stieß so stark an die Thüre, daß sie aufsprang und ich mit der Leiter hinein fiel. Noch ehe ich Zeit hatte, mir aufzuhelfen, stand meine Mutter vor mir und schlug mit beyden Fäusten auf mich los.

»Verfluchte Carnalige! Was schreyts denn? Kennt der Racker denn den Herrn Feldscheer [11] nicht? Siehst du nicht, daß er mich operirt?« – Ich sahe mich nach ihm um, aber er war zur Thüre hinaus.

Blutend entriß ich mich den Händen meiner grausamen Stiefmutter, und flüchtete auf mein Kämmerchen. Es war ein scheuslicher Anblick, sie vor mir zu sehen. Ihre Haare waren zerstreut, ihr Halstuch war abgerissen, sie stand ohne Rock und Schürze da. Was das für eine Operation gewesen war, weiß ich nicht, ich sah bloß, daß ihr der Schaum vor dem Munde stand und ihre Augen wie Katzenaugen glänzten.

5. Capitel: Der Pips
[12] Fünftes Capitel.
Der Pips.

Den andern Tag kam mein Vater zu Hause. Das wüthige Weib hatte mich so übel zugerichtet, daß er die Spuren ihrer Expedition auf meinem Gesichte fand. – Als er mich um die Ursachen fragte, erzählte ich ihm Alles. –

»Was der Henker« – sagte er – »Operirt? – Wie machte er's denn? Beschreib mir's doch!«

»Ha ha!« – sagte er, als ich fertig war, – »er wird ihr wohl den Pips genommen haben.« –

»Den Pips, Vater? Kriegen den die Weiber auch den Pips?«

[13] »Ja freilich! 'S geht'n wie den Hühnern, wenn sie nicht genug Wasser haben!« –

»So? – und das thut wohl recht weh, wenn einem der Pips genommen wird?« –

»Erschrecklich! Das wollt' ich meynen, wenn sie dir so ein glühendes Instrument ins Maul stecken!«

»Nun darum stöhnte die Stiefmutter auch so, als sie der Herr Feldscheer operirte.«

Mein Vater antwortete nichts; ich nahm mir aber heilig vor, mich vor den Pips zu hüten. –»Pfui« – dacht ich – »das muß eine abscheuliche Krankheit seyn! Einem ein glühendes Instrument in den Mund stecken! Nein, ehe ich den Pips kriegen soll, lieber will ich an was anders sterben. – Du meine Güte, ein glühendes Instrument! Das muß einem ja das ganze Maul verbrennen.« –

Unter diesen Betrachtungen war ich zu Bette gegangen, als ich meinen Vater heftig [14] sprechen hörte. Gleich darauf fing auch meine Mutter zu kreischen an. – »Ha ha,« – dacht ich. – »er fühlt ihr vermuthlich nach der Wunde, und sie wird's nicht leiden wollen!« – Ich wünschte ihr in diesem Augenblicke den warmen und kalten Brand, denn mein blutrünstiges Auge ließ mich vor Schmerzen kaum einschlafen.

6. Capitel: Die Execution
Sechstes Capitel.
Die Execution.

Einige Tage vergingen, ohne daß mir meine Stiefmutter das Geringste sagte. Es kam mir vor, als ob es ihr leid thäte, mich so gemißhandelt zu haben, und ich vergab es ihr von ganzem Herzen.

[15] Gleich darauf fiel ein Jahrmarkt in G– ein, und mein Vater mußte Geschäfte halber hinüber gehen. Meine Stiefmutter that außerordentlich freundlich, und ich war seelenvergnügt. Gegen Abend kam der Feldscheer und die Mutter behielt ihn zum Essen. Als wir abgegessen hatten, wollte ich wieder in den Laden gehen. – »Mache nur gar zu« – sagte die Mutter, – »es wird heute niemand mehr kommen, 's ist nicht der Mühe werth, so viel Licht zu verbrennen.«

Als ich wieder hinein kam, war meine Mutter im Alkoven. – »Komm doch einmal her, Hannchen,« – sagte sie, – »ich kann meine Pantoffeln nicht finden.« – Ich flog hinzu, aber in dem Augenblick faßte sie mich an, warf mich mit dem Gesichte auf das Bette und drückte mich so fest nieder, daß ich zu ersticken dachte. Sogleich kam der Feldscheer, deckte mich auf, und hieb mit einer großen Ruthe [16] unbarmherzig auf mich zu. Sie munterte ihu auf und wollte vor Lachen bersten. – »Da Carnalie« – schrie sie – »da! Nun sag's dem Vater noch einmal wieder! hörst du!« – und der Scharfrichter ließ nicht eher nach, bis er müde war. Ich sank ohnmächtig zu Boden, und das Blut lies an meinen Strümpfen herunter. Aber die Furie goß mir ein Glas Wasser ins Gesicht, und trieb mich mit Fußstößen zur Thöre hinaus.

Weinend schleppte ich mich in mein Kämmerchen, aber Schmerz und Jammer ließen mich kein Auge zuthun. Ich war außer mir, ich hätte den Augenblick sterben mögen.

7. Capitel: Flucht
[17] Siebentes Capitel.
Flucht.

»Ja ich will fort,« – sagte ich, – »es kann mir nirgends schlimmer gehen!« – Der Seiger schlug eben drey Uhr. Ich hatte nur wenig Stunden geschlafen, aber meine Erbitterung gab mir Muth und Kraft. – »Gehe es, wie es wolle,« – fuhr ich fort, – »in diesem Hause ist meines Bleibens nicht mehr.« – Nachdem ich einen gewissen Theil mit Oel gerieben hatte, waren alle Schmerzen vergangen.

Es war Sonntag; ich stand auf und zog mich an, als wollt' ich in die Kirche gehen: aber mein Plan war gemacht. Ich hatte ein [18] kleines goldnes Kettchen und sechs Thaler erspartes Geld. Es lautete in die Frühpredigt.

Als ich in das Feld kam, fing meine erste Hitze zu verrauchen an. – »Wenn sie dich einholen?« – sagte ich, – »wie wird es dir gehen! – Sie wird dich zu Tode peitschen lassen.« – Einen Augenblick war ich beynahe entschlossen umzukehren, aber die Thürme des Städtchens verschwanden aus meinem Gesichte, und es wurde mir leichter ums Herz.

Ich fand jetzt einen Stundenstein und sahe, daß ich auf dem Wege nach D– war. – »Nein, nein,« – sagte ich zu mir selbst – »Es wird dir gewiß nicht fehlen. Du kannst nähen und stricken; ein bischen Clavier klimpern und auch französisch parliren. – Und sollte ich mich erst als Kindermädchen vermiethen. – Aller Anfang ist schwer; aber es wird gewiß gut gehen.« –

[19] Unter diesem hoffnungsvollen Selbstgespräch kam ich in ein Wäldchen, wo der Weg am Flusse hinlief. Ich beschloß, ein wenig auszuruhen und setzte mich am Ufer auf einen Baumklotz nieder.

8. Capitel: Metamorphose
Achtes Capitel.
Metamorphose.

Als ich ein wenig um mich her sahe, ward ich etwa zwanzig Schritt vor mir etwas Blaues gewahr. Wie ein Mensch sahe es nicht aus, und ein Thier konnte es auch nicht seyn. Ich ging also getrost darauf zu, und fand einen vollständigen Manns-Anzug. Es waren ein Paar schwarze Hosen, ein gelbes Westchen, ein blauer Ueberrock und ein Paar Halbstiefeln.

[20] »Der ist gewiß beym Baden ertrunken,« – sagte ich, und im Augenblicke fiel mir ein Gedanke ein. Der Rock schien mir ganz zu meiner Größe zu passen – also mußte es auch das Uebrige seyn. – »Ich will mich als ein Junge verkleiden,« – sagte ich, – »so soll mich kein Mensch erkennen!« –

Gesagt, gethan! Ich nahm die Kleidungsstücke, begab mich in das dickste Gebüsch und fing meine Metamorphose, wiewohl nicht ohne Herzklopfen, an. Die Hosen besonders kamen mir gar zu possierlich vor, auch saßen sie mir wie angegossen. Es war ein ganz eignes Gefühl, das mir erst lange nachher erklärlich geworden ist.

Mit Rock, Weste und Stiefeln ging es schneller, alles schien für mich gemacht zu seyn. Ich setzte mir den runden Hut in die Augen und spiegelte mich in meinen blanken Rockknöpfen mit innigem Wohlgefallen. Zu [21] gleicher Zeit fand ich eine Schreibtafel in meiner Tasche, worin ein Paß von einem Schüler aus – berg war. – »Gefunden! Gefunden!« – rief ich – »Es soll mir alles glücken!« –

Mit der neuen Kleidung war auch neuer Muth gekommen. Ich trug meinen Rock, Corsett u.s.w. an das Ufer, und freute mich schon im voraus über die Angst meiner Stiefmutter, wenn sie die wahrscheinliche Nachricht von meinem Tode erhalten würde. Nachher schnitt ich mir einen derben Haselstock ab, und beschloß, im nächsten Dorfe zu frühstücken.

9. Capitel: Lügen
[22] Neuntes Capitel.
Lügen.

Als ich ins Wirthshaus trat, kam mein Vater heraus. – Ich dachte, der Donner schlüge neben mir ein; dennoch hatte ich Geistesgegenwart gnug, ihm den Rücken zuzukehren. Zitternd machte ich die Stubenthüre auf, und dachte alle Minuten, er würde hineinkommen und mich erkennen. Aber ich hörte gesprächsweise, daß der Krämer fort wäre, und wünschte mir Glück, gerade in diesem Augenblicke gekommen zu seyn.

»Nun Musje« – sagte der dicke Wirth – »Will's was essen?« und zu gleicher Zeit brachte mir seine Frau einen gehäuften Teller [23] mit Braten und Salat. Sie sah mich dabey so freundlich an, daß ich wieder lachte. –»Wo kommt er denn her, Musje?« – fragte sie. – »Aus dem Gebirge!« – gab ich zur Antwort. – »Wo will er denn hin?« – »Nach D.« – »Und so ganz allein! so ein blutjunges Bürschchen.« – »Ja meine Aeltern sind abgebraunt« – log ich frischweg, denn der Braten hatte mir Muth gegeben. –

In dem Augenblicke kam eine Kutsche mit vier Pferden gefahren. Die Wirthin lief an die Thüre; ich besah mich auf einem Huy im Spiegel und war vollkommen mit meiner Figur zufrieden.

»Das geht gut« – sagte ich. – »Nur Courage! Ehe meine goldne Kette und meine sechs Thaler alle werden, kann ich bis nach Constantinopel kommen.« Dabey ließ ich mir das Essen vortreflich schmecken, als die Thür ausging, und die Fremden hereintraten.

10. Capitel: Die Tropfen
[24] Zehntes Capitel.
Die Tropfen.

Es war eine alte Dame in einem Pelzmantel, den sie wahrscheinlich wegen der Hundstagshitze umhatte, eine junge in einem niedlichen Kleidchen von Ziz, ein dicker quatschlicher Mops, ein Cyperkäzchen und ein Bedienter. Diese sämmtlichen Herrschaften nahmen an einem Tische Platz, gegen den ich mit dem Rücken saß; doch ging der Bediente ab und zu.

»Gieb mir doch die Tropfen, Lorchen!« – sagte die alte Dame und hustete jedes Wort heraus, indem sie ihren Pelz ablegte und eine Leichengestalt sehen ließ.

[25] »Hier, gnädige Frau!« – antwortete das Mädchen, das auf der andern Bank gerade gegen meinen Rücken saß. Sie griff zugleich in die Tasche, und ihr Arm berührte mich an einem Theile, der noch nicht völlig heil war. Ich fuhr zurück, und wir sahen uns beyde in demselben Augenblicke um. Sie nickte mir freundlich mit dem Kopfe und schien ein recht artiges Mädchen zu seyn.

Als ich mit Essen fertig war, rückte ich in den Winkel, so daß ich den andern Tisch vollkommen übersehen konnte. Die Wirthin fing an aufzudecken, und der Mops nebst der Katze setzten sich neben die gnädige Frau. Lorchen, die ich nunmehr als das Kammermädchen erkannte, fing an vorzulegen, und der lahme Bediente nahm an einem andern Tische Platz.

11. Capitel: Der arme Bursche!
[26] Eilftes Capitel.
Der arme Bursche!

Ich war des Gehens noch ungewohnt und fühlte mich ziemlich müde. Die Hitze war groß, und überdem drückten mich meine Stiefeln. Ich legte mich also auf die Bank, um einige Stunden zu schlafen; allein das Lager war gar zu hart. Gleichwohl schloß ich die Augen und blieb ganz unbeweglich.

»Der arme Bursche!« – sagte das Kammermädchen mit einem mitleidigen Tone. – »Er mag recht müde seyn. Sehen Sie nur, gnädige Frau!«

Ich seufzte und that, als ob ich mich im Schlafe umkehrte, so daß ich meine Hand über [27] die Augen legte und durch die Finger sah. Lorchen schien mich mit vieler Teilnahme zu betrachten. –

»Gieb doch den Thierchen zu trinken, Lorchen!« sagte die gnädige Frau. Lorchen that es und jagte eine große Fliege von meinem Aermel, so daß ich ihr Schnupftuch an meinen Backen fühlte.

»Wer muß denn der Bursche seyn?« – fragte die gnädige Frau. – »Er sieht ja recht reputirlich aus.« –

In dem Augenblicke brachte die Wirthin reine Teller. – »Ih das arme Kind kommt aus dem Gebirge, Ihro Gnaden, und seine Aeltern sind abgebrannt.« –

»Wo will er denn hin?« –

»Nach L–! Es dauert einem ordentlich, so ein armes blutjunges Bürschchen, und sieht aus wie Milch und Blut.« –

[28] »Wir könnten ihn wohl auf dem Bocke mitnehmen, Ihro Gnaden?« – sagte Lorchen, und band den Mops wieder das Halsband um.

»Ja, ja, er mag mitfahren, das arme Kind! – Hat er denn gegessen?« – fragte sie die Wirthin.

»Ja, ich habe'n ein bißgen Braten gegeben – Ich mag aber nischt dafür haben! – Du lieber Gott! mer weiß auch nicht – mer hat auch Kinder!« –

»Weck' ihn doch auf, Lorchen!« – sagte die gnädige Frau. – »Ich will ihm ein Glas Wein einschenken.« –

Lorchen bückte sich zu mir herüber, fuhr mir mit einer Hand sanft über die Lippen und legte die andere auf meine Schenkel. –

»Kleiner! Kleiner!« – Ich schlug die Augen auf und seufzte, als ob ich aus dem tiefsten Schlaf erwachte.

12. Capitel: Der Schwär
[29] Zwölftes Capitel.
Der Schwär.

Der Wein war getrunken, und Lorchen sagte mir, was ich schon wußte. Ich küßte der gnädigen Frau ehrerbietig die Hand, und Lorchen drückte die meinige. Meine kleine Eitelkeit war vollkommen befriedigt. – »Du mußt doch recht hübsch aussehen!« – dachte ich, und warf mich in die Brust. Indessen kam der lahme Bediente, und meldete, daß angespannt sey.

Ich war wohl herzlich froh, fahren zu können, allein mein alter Freund erinnerte mich an seine Schmerzen. – »Was fehlt ihm denn, mein lieber Gustel?« – fragte mich Lorchen, [30] der ich meinen Namen gesagt hatte, als sie mich bey einer schmerzhaften Bewegung überraschte. – »Ich habe einen Blutschwär« – sagte ich – »und der thut mir ganz erschrecklich weh.« – Sie winkte mir mit der Hand und Kopf, und wendete sich zur gnädigen Frau, um leise mit ihr zu sprechen. –

»Nun so mag er sich hineinsetzen, der arme Schelm, und Miezchen auf den Schoos nehmen!« – Die gute alte Dame sagte das so laut, daß ich es hören konnte, und mein kranker Freund sich höchlich darüber erfreute.

Nachdem wir uns nun mit vieler Mühe in den Wagen gepackt hatten, weil die gnädige Frau erst alle ihre Mäntel und Pelze umnehmen mußte; so fand ich mich dem guten Lorchen gegenüber, und ihre Füße zwischen den meinigen.

»Sitzt er auch, mein lieber Gustel?« – fragte sie mich mit einem sehr freundlichen [31] Lächeln, und trat mich sanft auf den Fuß. – »Ach vortreflich, meine beste Mademoiselle!« – gab ich zur Antwort. – »Nun so nimm dich nur mit deinem Schwär in Acht« – sagte die gnädige Frau. »Auf den Abend kannst du dir Diachel-Pflaster darauf legen.« –

»Ach ja!« – sagte Lorchen – und wurde über und über roth. –

13. Capitel: Was war denn das
Dreyzehntes Capitel.
Was war denn das?

Jetzt erfuhr ich das erste Mal, was es heißt, einander gegenüber sitzen. Will man wohl oder übel, man muß einander ansehen, oder die Augen niederschlagen, und beydes ist verdächtig. Laßt das nun vollends in einer Kutsche [32] seyn, wo es alle Minuten ein Paar Stöße giebt, daß euch die Köpse zusammen fliegen. – Ich wette, es geht euch wie mir, und ihr findet euch zehnmal in einer Stunde auf den Achseln oder dem Busen eurer gegenüber sitzenden Nachbarin.

Lorchen schien diese Besuche nicht übel zu nehmen, aber meine Nase kam schlecht dabey weg. Sie wurde so heftig gestoßen, daß sie endlich zu bluten anfing. Kaum sah es Lorchen, so gab sie mir einen kleinen Schwamm mit Weinessig und hielt mir den Kopf zum Schlage hinaus. Ihre Hand streichelte mich sanft unter dem Kinn, aber es war mir gerade, als ob es der Kater thäte.

Wir waren erst um ein Uhr weggefahren es wurde daher dunkel, ehe wir in das Nacht lager kamen. Die gnädige Frau war eingeschlafen, und Lorchen sprach in einsylbigen Worten mit mir, als der Wagen auf einmal [33] umwarf. Die gnädige Frau fiel zu unterst; Lorchen auf sie, und ich auf Lorchen. Der Kater sprang zum Fenster hinaus, und der Schwanz des Mopses kam mir gerade in den Mund. Lorchens Röcke hatten sich bey diesem Falle so verschoben, daß ich wohl sahe, sie habe keinen Schwär, aber das Uebrige war nichts neues für mich.

So lagen wir denn über und unter einander. Die gnädige Frau hustend, Lorchen gickernd, ich schreyend, der Mops bellend, als endlich der Knecht die andere Thüre aufmachte, und uns nach einander herauszog. Lorchen heftelte an ihren Röcken; die gnädige Frau arbeitete sich aus ihren Mänteln und Pelzen heraus und sagte einmal über das andere: »Ih Lorchen, was war denn das?« – Der Mops war da, aber der Kater nirgends zu sehen.

14. Capitel: Der Kater
[34] Vierzehntes Capitel.
Der Kater.

Jetzt war guter Rath theuer; der Wagen mußte aufgerichtet, der desertirte Kater gesucht werden. Der Bediente sah nach einigen Bauern im Felde, ich und Lorchen aber, wir beschlossen, in den Wald zu gehen.

Es war schon ziemlich dunkel, und der Mond ging hinter den Bäumen auf. Lorchen faßte mich bey der Hand, und fragte – ob ich mich fürchtete. – Ich verneinte es, aber so gar beherzt war ich denn doch nicht. Wir ruften verschiedenemal, kein Kater zu hören noch zu sehen. – Ach Herr Jesus! Herr [35] Jesus – schrie Lorchen auf einmal, stürzte nieder, und zog mich mit ins Gras.

Ich war selbst erschrocken, unterdessen sahen wir ein Eichhörnchen vorbeyspringen. Lorchen schloß mich in ihre Arme, mein Gesicht kam auf ihren Busen zu liegen. Ich zitterte am ganzen Leibe; wie leicht konnte sie mein Geschlecht erkennen! – »Du frierst ja, lieber Gustel!« – sagte sie teilnehmend, und das Du entging mir nicht. – Sie versuchte aufzustehen; mein Kopf sank in ihren Schooß, und ehe ich michs versah, fühlte ich zwey glühende Küsse auf meinen Backen. – »O über den verfluchten Kater!« sagte sie athemlos. – »Was soll man nun machen!«

Ich besann mich jetzt, was ich einmal von meinem Vater gehört hatte. Um einen Kater zu locken, dürfe man nur das Miaun einer Katze nachahmen. Dieses that ich denn so glücklich, daß der Flüchling in wenig Minuten [36] wieder kam. Kaum wurde er uns ansichtig, so sprang er Lorchen entgegen, sie nahm ihn unter den Arm, ich folgte hinterdrein, und so gelangten wir unter vielem Lachen zum Wagen.

»Hast Du ihn denn? hast du ihn denn?« rief die alte hustende Dame schon von fern, und Lorchen hielt den Deserteur triumphirend in die Höhe. Der Wagen war wieder aufgerichtet und das beschädigte Rad mit Stricken befestigt; die gnädige Frau stieg mit ihrer Familie ein, ich aber und Lorchen, wir gingen langsam zu Fuße dabey her.

15. Capitel: Nachrichten
[37] Funfzehntes Capitel.
Nachrichten.

Es war, als ob das Abentheuer im Walde ihr Zutrauen gegeben hatte, und die immer stärkere Dämmerung es zu vermehren schien. Ich habe dieses so vielmal an mir selbst bemerkt, daß ich es wohl im Allgemeinen von meinem Geschlechte behaupten darf. – »Die Weiber sind wie die Fledermäuse« – pflegte mein Vater zu sagen – »wenn's dunkel wird, kriegen sie Courage.« –

Ich erfuhr jetzt, daß die alte gnädige Dame eine Wittwe sey, auf einem Ritterguth zwey Stunden von L– wohne, und Niemand bey sich habe, als ihren Neffen und seinen Hofmeister. [38] Der junge Herr sey sechzehn Jahre alt und nur erst vor vier Wochen angekommen. – »Aber der Hofmeister ist eine unausstehliche Priese« – fuhr Lorchen fort – »Ich kann ihn für meinen Tod nicht leiden.« –

Nachdem dieser Bericht beendigt war, fragte sie mich nach meinem Alter und kleinen Fertigkeiten, und sagte mir, daß sie auch erst funfzehn Jahr als wäre. Ich hatte das gleich anfangs gedacht, und nachher auch vielfältig gesehen. – »Wenn dich die gnädige Frau für den jungen Herrn behielte?« – fuhr sie fort – »Besser kannst du's nicht kriegen. Sie ist seelengut, man kann sie nicht besser wünschen! Sie hat mich von klein auf bey sich gehabt.« –

Indem Lorchen redete, fuhr es wie ein Blitz durch meinen Kopf. Ich gefiel mir so sehr in meiner Verkleidung, und dachte so wenig an die Zukunft, daß ich nichts sehnlicher [39] wünschte, als bey der Dame zu bleiben. Dazu kam, ich weiß nicht, was für ein dunkles Gefühl vom jungen Herrn, kurz ich glaubte mein Glück gemacht.

16. Capitel: Ey!
Sechzehntes Capitel.
Ey!

Unter diesen Gesprächen kamen wir beym schönsten Mondenscheine im Dorfe an, wo wir über Nacht bleiben wollten. Die gnädige Frau war so vergnügt, ihren Kater wieder zu haben, daß wir ihr's noch einmal erzählen mußten.

»Du bist ja ein rechter gescheuter Bursche, Gustel!« – sagte sie – »Hm! Hm!« – »So einen sollten der gnädige Junker um sich [40] haben? Nicht wahr, Ihro Gnaden?« – sagte Lorchen, und winkte mir mit den Augen.

»Das geht gut!« – dachte ich, aber die gnädige Frau antwortete nichts, als – »Hm! Hm!« – und streichelte den Kater. Meine Hoffnungen schienen auf einmal vernichtet zu seyn.

Ich hatte Andres hinauftragen geholfen, und wollte nun herunter gehen; die gnädige Frau sprach aber mit Lorchen heimlich. – »Gustel!« – sagte sie endlich – »du kannst mit dem Andres essen!« – Ich lief hinzu, küßte ihr die Hand und Lorchen knipp mich von hinten in den Arm. – »Ey!« – dachte ich – »das ist ein gutes Zeichen!« – und war mit einem Sprunge zur Treppe hinunter.

Andres ließ nicht lange auf sich warten. – »Nu soll's an ein Schnabeliren gehn« – sagte er – »Heda, Herr Wirth! Was giebts zu essen?« – »Zwanzig Gerichte und vierzig [41] Flaschen Wein.« – Indessen blieb es bey Wurst und Salat und ein halb Dutzend Krügen Bier. Ich fand mich vortrefflich in diese Arbeit, und Andres wurde mein spezieller Freund.

Endlich wurde es Zeit, zu Bette zu gehen. Ich dachte auf der Streu zu schlafen, aber es kam anders. – »Nun Herr Bruder!« – sagte Andres – »Nun wollen wir auch schlafen, daß es eine Freude seyn soll.« –

»Wo denn?« – fragte ich. –

»Wo denn? In meinem Bette! Komm du nur, 's ist zweymännisch, wir wollen uns schon vertragen.« – Ich wurde feuerroth. – »Nun das wird schön werden« – dachte ich.

17. Capitel: Die Nachbarschaft
[42] Siebzehntes Capitel.
Die Nachbarschaft.

Wir stiegen die Treppe hinauf; Andres trug das Licht und wankte ziemlich hin und her. Als wir in das kleine Dachstübchen treten wollten, stieß er sich so heftig an den Kopf, daß er hinfiel und das Licht auslöschte. – »Schwerenoth!« – sagte er – »Was hat denn der Wirth für sappermentische Thüren!« – Ich wollte das Licht wieder anzünden, da aber der Mond durchs Fenster schien, war es nicht nöthig, was ich denn desto lieber sah.

Ich nahm mir vor, so lange zu zaudern, bis Andres in das Bette gestiegen wäre, damit ich mich mit den halben Kleidern hineinlegen [43] könnte. Es währte auch nicht lange, so hatte er Posto gefaßt. Nun zog ich den Vorhang vor das Fenster, und schlüpfte auf der andern Seite mit Weste und Hosen hinein. Andres legte seine Füße an die meinigen, und mir klopfte das Herz wie ein Uhrwerk.

So nahe war ich noch keinem Mann gewesen; ich glühte über und über; es war eine Mischung von Furcht, Vergnügen und Sehnsucht, die ich noch nie gefühlt hatte. Andres drehte sich hin und her, er bewegte sich so ungenirt, als wär' ich seines Gleichen gewesen; er berührte mich an tausend Punkten, und alles war Oel ins Feuer.

Was sollte ich machen? Meine Neugierde war so groß als meine Aengstlichkeit. Zitternd suchte ich mich ihm zu nähern und über und über erröthend fuhr ich wieder zurück. Es war, als ob ich auf Nesseln läge, und ich konnte nur mit Mühe einschlafen.

[44] Aber kaum hatte ich die Augen geschlossen, als ich beherzter zu seyn träumte. Andres schien mich sanft zu umarmen und ich schmiegte mich zärtlich an ihm an. Ein kleines Rosengebüsch schien uns beyde zu trennen, ich wollte eine Knospe berühren, aber fuhr erschrocken zurück und erwachte.

18. Capitel: Das Abentheuer
Achtzehntes Capitel.
Das Abentheuer.

In dem Augenblicke öffnete sich die Thüre, und zu meinem Entsetzen traten vier Männer mit Flinten und Laternen herein.

Wie vom Schlage gerührt, zog ich die Bettdecke über mich her, und wagte kaum Athem zu holen. – »He holla!« – schrien [45] sie und schüttelten Andres beym Arme. – Er erwachte und warf die Bettdecke so heftig ab, daß ich sie nicht erhalten konnte. – Die Männer leuchteten uns beyden ins Gesicht. – »Hab' ich's nicht gesagt?« – rief der eine – und der Angstschweiß lief mir über die Backen. – »Ja, der wird hier sitzen!« – Jetzt ermunterte sich Andres und fing ein Gespräch an. Wenig Worte reichten hin, mir meine Furcht zu benehmen; denn es waren die Dorfwächter, die einen Deserteur suchten.

Andres schlief sogleich wieder ein, ich aber befand mich in einer neuen Verlegenheit. Die Furcht äußerte nämlich ihre gewöhnliche Wirkung, und zwang mich das Bette zu verlassen. Ich tappte mich glücklich zur Thüre hinaus, fand die Expedition richtig und kehrte halb schlafend wieder zurück.

Als ich an das Bette kam, war ich verwundert, es leer zu finden. Wo konnte Andres [46] den Augenblick hin seyn? – Ich war indessen zu schläfrig, nur lange darüber nachzudenken, legte mich ohne Umstände hinein, und war im Augenblicke eingeschlafen.

Eine gute Stunde mochte ich so gelegen haben, als ich auf einmal ein glühendes Gesicht auf dem meinigen fühlte. Ich erwachte und faßte eine harte Hand, die an meinen Beinkleidern hinabglitt. – »Pfuy doch, Andres!« – wollt ich sagen – aber zwey herzhafte Küsse verhinderten mich daran.

19. Capitel: Qui pro quo
[47] Neunzehntes Capitel.
Qui pro quo

Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich fürchtete entdeckt zu seyn. – »Bscht Liebchen!« sagte eine weibliche Stimme – »Ich bins!« – »Wer denn?« – fragte ich erschrocken! – »Die Wirthstochter« – indeß sie mich von neuem küßte. Ich sah nun wohl, daß ich in eine andere Kammer gekommen war, und glaubte mein Geheimniß völlig entdeckt.

Gretchens Erzählung beruhigte mich indessen sehr bald. Sie sagte, sie sey vom Tanzboden gekommen, und habe mich in ihrem Bette gefunden. – »Ich bin dir so gut geworden, du kleiner Schelm« – fuhr sie fort –[48] »daß ich dich nicht fortjagen wollte.« – Dabey drückte sie mich an ihrem Busen, und ihre Seufzer erstarben auf meinen Lippen.

Ich sahe wohl, daß sie es gut mit mir meynte; aber ich blieb so kalt wie Eis. Sie schien verwundert, und fragte mich, was mir fehlte. – »Ach mich friert am ganzen Leibe« – gab ich zur Antwort, und wirklich lief es mir kalt über. – »Komm her, du kleiner Schelm!« erwiederte sie – »Ich will dich wärmen!« und zugleich fing sie an mich aufzuknöpfen. – Ich wußte nicht, was ich machen sollte, und wünschte mich tausend Meilen weg.

So sehr ich ihr abwehrte, so war sie dennoch stärker als ich. Sie zog mich bey den Armen an sich, und ich fühlte meine Kleider loser werden. Schon hielt ich mich für verrathen, schon glaubte ich alles verloren, als auf einmal ein Blitz durch die Kammer fuhr und der nahe Donner ein Gewitter verkündigte.

[49] »Herr Jesus! das Wetter kommt 'ran!« – sagte Gretchen erschrocken und ließ ihre Hände fahren – »Um Gotteswillen gehe in dein Bette, Herzchen!« – »Aber wo denn? wo denn?« – rief ich im höchsten Entsetzen, als Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag folgte. – »Gleich die Thüre daneben!« – sagte sie – nahm mich in den Arm und trug mich hinaus. Ich hörte Andres schnarchen, und war mit zwey Schritten an unserm Bette. – Bald ging auch das Wetter vorüber, und ich schlief höchst ermüdet ein.

20. Capitel: Ankunft
Zwanzigstes Capitel.
Ankunft.

Unser Rad wurde vor Mittag nicht fertig, zum Glück war der Tag trübe und wir konnten daher um ein Uhr aufbrechen. Gretchen hatte sich den [50] ganzen Morgen nicht sehen lassen. Aber kurz ehe wir fortfuhren, erwischte sie mich hinter der Thüre und herzte mich noch einmal ab. Ich empfand nichts dabey, wie man glauben kann; indessen schmeichelte es dennoch meiner Eitelkeit.

Als wir im Wagen saßen, fing die gnädige Frau ein kleines Examen mit mir an. Ich mußte ihr erzählen, wer? woher ich wäre? was ich verstünde? wenn und wie wir abgebrannt wären? Es war kein Wort davon wahr, aber ich konnte so natürlich lügen, daß kein Mensch daran zweifelte. Nach einigem Besinnen hub sie folgendergestalt an:

»Gustel, ich sehe, daß er ein ordentlicher Bursche ist, und ich habe Mitleiden mit ihm. Will er bey mir bleiben und meinem Neffen aufwarten, so soll es ihm an nichts fehlen, und mit der Zeit werden wir sehen, was weiter zu thun.« –

Ich war außer mir vor Freude, und küßte ihr die Hände. Lorchen lächelte still vor sich, [51] und trat mich sanft auf den Fuß. Im Gefühl meiner Dankbarkeit erwiederte ich's, und sie wurde feuerroth. Alle meine Gedanken waren nun auf die Zukunft gerichtet, ich sahe mich von allen Sorgen befreyt, und hielt mich für die glücklichste Creatur in der Welt.

Wir hatten nur drey kleine Meilen zu machen, die Thürme des Dörfchens wurden daher im kurzen sichtbar. Es lag romantisch in einer fruchtbaren Aue, durch welche ein schöner Strom hinfloß. Mein Herz klopfte vor Lust und Erwartung. Lorchen brachte ihre Figur in Ordnung, die gute gnädige Frau redete mit ihrem Mopse, und Andres sang aus vollem Halse.

So näherten wir uns dem Herrnhause, das am Ende einer schönen Castanienallee lag. Der Knecht trieb die Pferde rascher an, die Gatterthore öffneten sich und in wenig Minuten hielten wir vor dem Hause.

Zweytes Buch

1. Capitel: Geheimnisse
Erstes Capitel.
Geheimnisse.

»Nun was hat dir denn geträumt, lieber Gustel?« – sagte Lorchen am andern Morgen, und knipp mich freundlich in die Backen. – »Gar nichts!« – gab ich zur Antwort, und wurde feuerroth.

Ach wie hätte ich ihr's auch sagen können, da ich kaum wagte, mir's selber zu gestehen. Ich hatte ihn gesehen und liebte ihn. Wer war glücklicher als ich? Nie ist ein Dienst entzückter angetreten worden. Ich konnte ihn sehen, ich konnte zu jeder Minute um ihn[55] seyn, auch er schien sich über mich zu freuen. Ach er hatte die ganze Nacht vor meinen Augen gestanden, und sein reizendes Bild erfüllte mein ganzes Herz.

Nichts verschönert so sehr, als die Liebe. Auch Lorchen schien entzückt über meine Gestalt. – »Ich soll meinem Gustel Hemden machen!« – sagte sie – »und den Nachmittag wird auch der Schneider kommen. – Laß doch sehen, du kleiner Schelm!« – indem sie mir nach dem Arme griff, und ein Bändchen um den Knöchel legte. – »Wie weit muß ich dir denn die Aermel machen?« – Sie drückte meine Hand an ihr Herz, und schlug die Augen nieder; aber ich dachte an Junker Adolph.

»Und der Hals?« – fuhr sie fort, – faßte mich sanft unter das Kinn, und legte ihr Bändchen an. – »Was er für weiße Haut hat« – sagte sie nach einer Pause und küßte [56] mich auf die Lippen. – »Nun will ich auch recht fleißig nähen, und wenn der Schneider deine Sachen bringt, dann wollen wir dich recht anputzen? – Nicht wahr, lieber Gustel? – Aber du mußt mir auch recht gut seyn« – indem sie mich fest an sich drückte – »ich habe dich gewiß recht lieb, gewiß.« – Die hellen Thränen standen ihr in den Augen, ich wurde gerührt, und bedauerte von ganzem Herzen, daß ich kein Junge war. –

2. Capitel: Projekte
[57] Zweytes Capitel.
Projekte.

Ich war eben beym Junker im Zimmer, und er ließ sich meine Geschichte erzählen. – »Nun Gustel« – sagte er – »wir wollen gewiß recht gute Freunde seyn!« – »O!« – dacht ich – »wenn Sie nur wüßten« – »Sieh« – fuhr er fort – »mein Hofmeister ist ein Stax, um den ich mich nicht so viel kümmre. Die Tante läßt mich machen, was ich will, und wenn ich zu ihr sagte: Gnädige Tante, geben Sie dem Hofmeister den Abschied, so kriegt er ihn. – Daß weiß der Hofmeister auch recht gut, und also läßt er mir meinen Willen. – Ueberdem, wenn ich – Nun du sollst es schon [58] erfahren – ich kann ihm schon den Daum aufs Auge setzen. – Ja, wie ich dir sage, Gustel – du brauchst dich um niemand was zu kümmern, als um mich. – Die Tante hat dich einmal zu meinem Jokey gemacht, und nun hat dir weiter kein Mensch was zu befehlen. – Also halte du's nur mit mir, und wir wollen uns divertiren, baden, reiten, jagen – so ein Compagnon wie du, hat mir lange gefehlt.« –

Er war die rohe liebe Natur, und ich wurde bey jedem Worte verliebter. In dem Augenblicke trat der Schneider herein. – »Ha, Ha, Meister Nähring!« – ries ihm der Junker entgegen – »Nun wie gehts? was machts Füllen?« – »Zu Dero Befehl, gnädiger Junker. – Es steht zu Hause und möft!« – Wir mußten aus vollem Halse lachen. – »Nun Meister Nähring, da soll er 'nmal dem Gustel ein Reitkollet und ein [59] Paar Hosen anmessen; alles doppelt, versteht er? – Die Tante wird das Tuch schon schicken, aber zum Sonntag muß es fertig seyn!« –

»Wie der gnädige Junker befehlen,« – antwortete der gute einäugigte Dorfschneider – und nahm sein Maaß heraus. Ich zitterte am ganzen Leibe – denn ich mußte den Rock ausziehen.

3. Capitel: Die Musterung
Drittes Capitel.
Die Musterung.

»Aber Gustel, du bist ja wahrhaftig so fett, wie ein kleines Martinsschwein« – sagte der Junker, und schlug mich sanft auf die Schenkel. – Ach er wußte nicht, welchen elektrischen Schlag er mir gegeben hatte, und ich wurde über und über roth.

[60] »Mach er ihm nur die Hosen recht knapp, Meister Nähring!« – fuhr er fort – »Wahrhaftig Gustel, du hast ein Paar Bäckchen« – indem er hinfühlte – »nun das soll recht gehen – auf dem englischen Sattel. – Wart nur, ich will dirs schon lernen.« –

»Nun der gnädige Junker sind eben auch nicht mager!« – fiel Meister Nähring ein – indeß er mir die Beinkleider straff hinanzog, und der Junker auf einige zu ändernde Falten zeigte. – Ich hatte Mühe, mich aufrecht zu erhalten, und alle meine Nerven schienen zu zittern. Ja, als der Schneider das Maaß über die Brust nahm, und der Junker meine Weste zusammenhielt, hätt' ich mich beynahe verrathen.

»Gehorsamer Diener!« – sagte jetzt Meister Nähring und empfahl sich. Der Junker band ihm den Termin noch einmal ein, und lief hinunter, um nach den Pferden zu sehen.

[61] »Gustel!« – rief er – »bürste doch meine Stiefeln ab, wir wollen auf die Wiese gehen, und das Reiten anfangen!«

»Das Reiten?« – dachte ich – »Wie wird das werden?« – Dennoch war meine Aengstlichkeit mit Freude gemischt. In dem Augenblicke ging Lorchen vorüber, und warf mir einen Kuß zu. Als sie sah, daß ich allein war, trat sie einen Augenblick hinein. – Indessen kam der Hofmeister, und sagte mit einem Menschenfressergesichte: »Was will der Bursche hier? Marsch!« – Lorchen drehte sich um, und lachte. – Sogleich rief mich der Junker hinunter, und ich hatte nicht Zeit eine Antwort zu geben.

4. Capitel: Die Reitschule
[62] Viertes Capitel.
Die Reitschule.

»Nun Gustel!« – sagte der Junker, als wir auf die Wiese gekommen waren – »Nun will ich sehen, ob du reiten kannst.« – Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich war in meinem Leben noch auf kein Pferd gekommen.

»Nur Courage!« – fuhr er fort – »Ich will dirs halten! – Jemine wie stellst du dich an? – Ich glaube wahrhaftig, 's ist dein erstesmal.« – »Ja freilich,« sagte ich ängstlich, und sah ihn bittend von der Seite an. –

»Nun so komm her! Hier! – Hier setze den Fuß in den Bügel, die rechte Hand auf den Sattel, die Linke an die Zügel; die Trense [63] durch die Hand und die Stange zwischen die Finger. – Jetzt hebe dich! – Hops!« – Ich that es, und er setzte mir seine Hand zwischen die Beine. Aber die Empfindung war so sonderbar, daß ich die Zügel fahren ließ, und auf der andern Seite wieder herunter fiel.

»Ih Gustel!« – rief er, und lachte, als ob er närrisch geworden wäre – »Das war ja ein rechter Katzensprung! – Ey du bist ein gewaltiger Reiter, gerade wie der Hofmeimeister! Aber rasch, noch einmal! Du mußt Dich nur in Balance halten, du närrischer Junge du! Wer wird denn wieder herunter fallen!« –

Wollte ich wohl oder übel, ich mußte es noch einmal probiren. Zum Unglück waren meine Beinkleider geplatzet, und der Junker griff zu wie ein kleiner Teufel. Indessen hielt ich mich dasmal besser, und faßte glücklich Posto.

[64] »Recht so! das ist brav!« – sagte der Junker, und fing an mir die Schenkel und Beine einzurichten. Ach, er wußte nicht, daß diese Berührungen alle in meinem Herzen zusammentrafen! Jeder seiner Finger brennte wie Feuer auf meinen Gliedern, und alle meine Nerven geriethen unter seinen Händen in Aufruhr.

»Jetzt will ich das Pferd führen!« – sagte er – und die Bewegung ging an mir zu gefallen. – »Halte dich nur recht einwärts, und die Fußspitze in die Höhe!« – Ich sah ihn mit innigem Vergnügen an. – »Wenn du's halbweg kannst, dann wollen wir zusammen trottiren, 's soll eine Freude seyn.« –

Indem er jetzt das Pferd mit der Zunge aufmunterte, setzte sich dieses auf einmal in Trott, und ehe ich michs versahe, lag ich der Länge nach auf dem Rasen. Ich fühlte, [65] daß meine Hosen vollends von oben bis unten zerplatzten, aber hatte die Geistesgegenwart, meinen Ueberrock darüber zu halten.

5. Capitel: Die Spalte
Fünftes Capitel.
Die Spalte.

Der Junker half mir auf, und bemerkte die Spalte in meinen Beinkleidern. – »Ih der Henker!« – sagte er – »deine Hosen sind ja total gesprengt. – Warte! Warte!« – fuhr er fort – »wir wollen sie oben mit ein paar Stecknadeln zustecken!« – Zum Glücke konnte er sie nicht finden, der Himmel weiß, was ich unter seinen Händen geworden wäre!

[66] Er stieg nun selbst aufs Pferd, und nie habe ich einen schönern Reiter gesehen. Ach es war ja der erste, den ich liebte. Mein kleines Herz schwamm in Entzücken, und mein Auge folgte allen seinen Bewegungen nach.

»Was sagte denn der Hofmeister?« – fragte er endlich, als er anhielt, um das Pferd verschnaufen zu lassen. Ich sagte ihm, wie er mich angefahren hätte. –

»Weißt du auch warum?« – fuhr er fort – »Er ist in Lorchen verliebt, er geht ihr auf allen Tritten und Schritten nach.« –

»Der alte garst'ge Esel!« – sagte ich umwillkührlich – »Du magst mir ein schöner Liebhaber seyn!« –

»Ich« – fuhr der Junker fort – »Ich habe ihn ein paarmal erwischt. – Er denkt, ich weiß es nicht; aber er soll mir nur kommen. [67] – Ich will ihm die Perücke schon zurecht setzen!« –

Ich hätte gern noch mehr gehört, aber dem Junker kam die Lust an, das Pferd noch einmal zu tummeln, und er brach ab. – Ich merkte indessen, daß er doch ein wenig erfahrner seyn müßte als ich, und dieser Vorzug machte mir ihn noch lieber. Ach ein Mädchenherz ist weicher als Wachs. Es nimmt alle Formen an, und schmilzt an der kleinsten Flamme.

Endlich brach der Abend an, und wir kehrten nach Hause zurück. Der Junker freundlicher; ich verliebter als jemals. Ich konnte mich nicht satt an ihm sehen; ich suchte tausend Gelegenheiten ihn zu berühren, und die Abentheuer der Wiese beschäftigten mich die ganze Nacht. Soll ich alles gestehen! Ich konnte mich nicht enthalten, sie nachzuahmen, [68] und jede seiner Gesten mit Entzücken zu wiederholen.

6. Capitel: Der Knopf
Sechstes Capitel.
Der Knopf.

Lorchen hatte mir ein neues Hemde gebracht. Der Schneider hielt auch mit den Kleidern Wort. Ich putzte mich heraus wie ein kleiner Prinz. In stiller Freude stand ich eben vor dem Spiegel, als Lorchen hereintrat, und mich sanft in die Arme zwickte. – »Warte! wir müssen den Schneider austreiben!« – sagte sie – und schien sich in diesem Spiele zu gefallen. Ich war lustig genug, ihre Schäkereyen zu erwiedern, faßte sie um den Leib und that, als ob ich sie küssen [69] wollte. Sie wich zurück, und wir rangen mit einander. Knack! – ehe ich michs versahe – sprang mein Pantelon auf. – Lorchen fing überlaut an zu lachen, und sah durch die Finger. – Ich aber wurde leichenblaß und dachte, sie hätte alles gesehen.

Hastig riß ich mich los, und kehrte ihr den Rücken zu. – Sie stand auf, und zog mich sanft bey der Weste zu sich. – »Bist du böse, lieber Gustel?« – Ich war zu erschrocken, um antworten zu können. – Sie trat vor mich hin, und sah mich bittend und zärtlich an. – »Liebster Gustel! es war ja nur mein Spaß! – Da, du kleiner Trotzkopf!« – indem sie mir einige Küsse auf meine Lippen drückte. Ich mußte innerlich lachen. Mit der einen Hand hielt ich die verrätherischen Beinkleider, und mit der andern drückte ich sie an mein Herz.

[70] »Der verdammte Knopf!« – sagte ich – »und die Kirche wird gleich angehen.« –

»Herr Jemine!« – fuhr sie fort – »Ist er abgesprungen? – Komm geschwind her! Ich will dir 'n annähen, Herzensgustel!« –

Was war zu machen! Ich ließ mirs gefallen; aber ihre Hände zitterten, und ihr Gesicht glühte wie Morgenroth. Sie seufzte, und ich dachte an den Junker von gestern. Endlich war der Knopf angenähet. – »Nun bedanke dich auch, Monsieur!« – sagte sie lachend, und ich küßte sie auf die Wange. Sie schlug mich sanft auf den Schenkel, und sprang zur Thüre hinaus.

»Ey ey!« – sagte ich – »da hätt' ich können garstig in die Tinte kommen!« –

7. Capitel: Das Bad
[71] Siebentes Capitel.
Das Bad.

»Heute müssen wir uns baden!« – sagte der Junker – »'s ist gar zu warm!« –

»Baden?« – dachte ich – »Nun das wird schön ablaufen!« – Ich war so erschrocken, daß ich nichts antworten konnte.

»Meinst du nicht auch, Gustel?« – fuhr er fort – »du hast dich wohl gar noch nicht gebadet?« –

»Nein, in meinem Leben noch nicht – denn ich furchte mich gar zu sehr vor dem Ertrinken,«

»Ach, dummes Zeug! Ertrinken? Wer wird's denn so dumm anfangen?« –

[72] »Ja man weiß doch nicht? – Ich habe doch gesehen« –

»Nun in unsrer Regenpfütze gewiß nicht. Das Wasser geht dir ja nur bis an den Leib, wie willst du denn ertrinken?« –

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte wohl Lust, das Abentheuer zu bestehen, wenn ich nur hätte Hosen und Hemde anbehalten können.

»Du sollst einmal sehen!« – fuhr er fort – »Wie das scharmant ist, so im Wasser zu klabastern!« –

»Ja! es wird aber sehr kalt seyn.« –

»Kalt? – Ich dachte was mich bisse – 's ist lau wie Milch.« –

»Aber das erstemal?« – Ich möchte doch wohl Hosen und Hemde anbehalten!

»Mit Hosen und Hemde? Bist du närrisch, Gustel? die sind ja den Augenblick zum [73] Teufel! Und was wird's denn zu kalt seyn! 's ist ja wahrhaftig eine Hitze!« –

»Ja! aber!« –

»Du mußt nur Courage haben.« – Als ich's erstemal ins Wasser kam, in der Pension – Da zogen sie mich splitterfasennackt aus, und denn kamen ihrer zwey, und tauchten mich unter, wie einen Entricht. – Das war was anders, das zog an! – Ich dachte, ich sollte aus der Haut fahren. – »Nein! Nein Gustel! Ohne Umstände! – Um sieben Uhr gehen wir!« –

»Dasmal bist du verloren!« – dachte ich – und dennoch war meine Neugierde fast eben so groß, als meine Aengstlichkeit. Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte, und freute mich dennoch über meine Verlegenheit. – »Mit Gewalt kann er dich doch nicht zwingen!« – sagte ich endlich, und so ging ich beherzt mit ihm fort.

8. Capitel: Ansichten
[74] Achtes Capitel.
Ansichten.

Nie Ufer des Flusses waren mit Gebüsch bewachsen, und in der Mitte war eine kleine Insel.

»Aber Gustel!« – sagte der Junker – »Mir fällt was ein! – Wir müssen uns einer nach dem andern baden, sie können uns sonst die Kleider nehmen. – Ich will auf die Insel hinüber schwimmen, da sind gute Himbeeren.« –

Er fing an sich auszukleiden, und ich zitterte vor Entzücken. Eine glühende Röthe überzog meine Wangen, und meine Augen [75] schienen sich zu verdunkeln. Schon spielte die Luft in seinem verrätherischen Hemde, und küßte seine blendenden Knie. Er warf es ab, und meine Blicke verschlangen ihn. Mein Athem stockte; mein Herz klopfte heftiger, meine Augen schweiften verwundernd auf seiner Gestalt herum, und ruhten entzückt auf seinem schönsten Punkte. Außer mir, konnte ich mich nicht enthalten, sein schönes weiches Hemde zu küssen, als er mit einem Sprunge ins Wasser war.

Ich vergaß meine Kleider und meine Rolle; hätte er mich angeredet, er müßte alles errathen haben. Er schwamm jubelnd durch die krystallene Fluth, und sprang auf die Insel. Ich beneidete die Gebüsche, die mir seine schöne Gestalt entzogen; denn nur dann und wann sah ich seine weißen Hüften durch die Blätter schimmern.

[76] Eine Viertelstunde war unter süßen Ideen vergangen, als er zurückschwamm. – »Hier, Gustel!« – schrie er, und hielt mit einer Hand ein Blatt voll Himbeeren im Munde. – Ich sagte nichts; meine ganze Seele war in meinen Augen. Er warf mir die Himbeeren zu, und fing an, sich im Grase zu wälzen. Wieviel possirliche! wieviel reizende Attitüden! Ich erröthete, ohne zu wissen warum, und doch entzückte mich das abwechselnde Spiel seiner reizenden Formen. – »Das ist die beste Manier sich abzutrocknen« – sagte er. – »Aber nun mache, daß du auch hineinkommst.« –

Ich saß da, wie gelähmt. »Nur keine Umstände!« – fuhr er fort – »Frisch! Courage!« – und wollte mir die Weste aufknöpfen. – »Ja doch! Ja!« – sagte ich – und taumelte, als ob ich betrunken wäre. – Indessen erhob sich der Wind, es fing an zu [77] tröpfeln, und eine dicke Wolke verkündigte einen Platzregen. Der Junker warf sein Hemde um, ich ergriff die übrigen Kleider, und wir eilten im Fluge nach Hause.

9. Capitel: Der Traum
Neuntes Capitel.
Der Traum.

Ich ging zu Bette, aber wie hätte ich schlafen können! alles an mir schien in Flammen zu stehen. Es war, als ob die Natur ihre letzte Entwickelung in mir vollendete, und ein Lichtstral meinen Schooß erhellete. Eine Menge dunkler Gefühle schienen allmählig in meinem Herzen aufzudämmern; sie versammelten sich alle um das entzückende Bild, [78] das ich gesehen hatte, sie schienen sich alle in den süßesten Punkt der schönsten Mannsgestalt zu vereinigen. Ich seufzte, und warf mich sehnsuchtsvoll auf meinem Lager herum; Thränen stürzten aus meinen Augen, und meine Arme streckten sich unwillkührlich nach einem Geliebten aus.

Ermattet schlief ich endlich ein; aber meine Seele wachte in Träumen fort. – Der Mond versilberte das ruhige Gebüsch, und ein milder Blüthenduft schien bey uns vorüber zu wallen. – Der Junker saß neben mir; seine schönen Glieder ruhten an den meinigen; alle seine Bedeckungen waren abgeworfen. Wir schwiegen, aber eine reizende Harmonie schien aus der Ferne zu tönen, und sich in dem sanften Rauschen des Stromes zu verlieren. Endlich war es, als ob sich meine Kleider lößten; vergebens wollte [79] ich sie festhalten, eine unsichtbare Kraft schien sie wegzublasen, und im Augenblicke saß ich völlig entkleidet da.

Er erkannte mich nicht; aber ich wagte ihn zu umarmen, meine Arme umschlossen ihn; und sein Herz klopfte heiß an dem meinigen. Wir sanken ins Gras, es war als kämpften wir scherzend zusammen; unsere Glieder verschlungen sich, ich fühlte seine glühenden Küsse. Eine erquickende Wärme schien von ihm auszufließen. Ich war wie von Licht umgossen, und athmete himmlisches Wohlgefühl. – In dem Augenblicke geschah ein Knall, ich erwachte und lag auf dem Boden des Zimmers.

Erröthend und dennoch entzückt, sprang ich wieder ins Bette, und fühlte mich so wohl, so stark, so neugebohren; ein Räthsel, [80] das ich mir erst lange nachher habe lösen können 1.

Fußnoten

1 Um dieses zu verstehen, lese man, was die Bürgerin Roland von ihren Jugendträumen erzählt – Memoiren der Bürgerin Roland I. Theil. Ich besinne mich nicht auf die Seite, aber es ist im Anfange ihrer Jugendgeschichte.

Der Herausgeber.

10. Capitel: Betrachtungen
[81] Zehntes Capitel.
Betrachtungen.

Nein, es ist unmöglich, glücklicher zu werden, als ich es damals war. Meinen Geliebten stündlich zu sehen, ihn bey tausend Gelegenheiten zu berühren, die Gefährtin aller seiner Beschäftigungen, aller seiner Vergnügungen zu seyn – wo ist ein Mädchen [81] von funfzehn Jahren, die mich nicht beneiden würde?

Ich kleidete ihn aus und an, meine Hände ruhten minutenlang auf seinen schönen Gliedern; meine Augen verschlangen seine Reize. Wie oft war ich im Begriff, seinen Nacken zu küssen, wenn ich ihm das Halstuch umband: wie oft zitterten meine Finger an seinen Achseln, wenn ich ihm das Hemde reichte; wie oft klopfte mein Herz vor innerlichem Verlangen, wenn ich ihn im Bette weckte!

Süße entzückende Schwärmerey der ersten Liebe! Alles war mir theuer an ihm. Stundenlang konnte ich seine Kleider auf meinem Schooße halten; unzähligemal küßte ich die Stelle, wo er geschlafen hatte; meine Phantasie fand tausend Mittel, sich zu entschädigen. Ein Wink von ihm, und ich wäre durchs Feuer geflogen; ach ich hatte keinen Genuß, [82] als ihm zu dienen; keinen Wunsch, als ewig bey ihm zu seyn.

Soviel Eifer, soviel Anhänglichkeit erwarb mir auch seine Freundschaft. Zwar nahm er mich für das, was ich schien; er liebte nur den Knaben; aber er liebte mich herzlich. Sein ruhiger Ton, seine männlichen Gefühle machten mir ihn um so theurer; ach ich hatte ja nur immer ein Mädchenherz!

So vergingen Wochen und Monate, und meine Gestalt entwickelte sich zusehends. Ich erhielt tausend Beweise weiblicher Zuvorkommung, aber wie hätte ich sie erwiedern können! Lorchen liebte mich unaussprechlich; ich erkannte ihre Zärtlichkeit an der meinigen; jedes Wort, jede Mine war aus meinem Herzen genommen, dennoch hatte ich nichts als Freundschaft für sie. Sie hatte mein Glück gemacht, sie hatte mir einen Geliebten gegeben, aber es war unmöglich, der ihrige zu seyn.

11. Capitel: Der Tanz
[83] Eilftes Capitel.
Der Tanz.

Die gnädige Frau war mit dem Junker zu einer Hochzeit gefahren, und sie hatten niemand als Andres mitgenommen. Es schmerzte mich sehr, sie nicht begleiten zu können; aber es wäre unschicklich gewesen, mehr als einen Bedienten mitzubringen. Da das andere Gut eine Meile von dem unsrigen lag, so konnten sie erst den andern Tag zurückkommen; ich und Lorchen blieben daher mit einer alten Magd allein zu Hause.

Es war Sonntag, wir aßen zusammen, und sie überließ sich ihrer Zärtlichkeit ohne [84] Zurückhaltung. – »Du gehst doch mit nach N, – lieber Gustel?« – sagte sie. – Es war das nächste Dörfchen, etwa eine Viertelstunde von dem unsrigen, wo das Erndtefest gehalten wurde. – »Wir wollen uns einmal recht satt tanzen« – fuhr sie fort – »und es ist schöner Mondenschein.« – Ich versprach ihr alles, denn ich freute mich selbst auf den Tanz.

Da sie die Schlüssel zum Keller hatte, so ließen wir uns den Malaga vortrefflich schmecken. Sie hatte ihre Freude, mich essen und trinken zu sehen, und darin macht' ich meinen Kleidern Ehre. Wir scherzten und schäkerten bis drey Uhr, da sie anfing, sich anzuziehen, indeß ich mich auf das Bette warf, um ein wenig zu schlummern. –

»Nun kleiner Faulpelz?« – sagte sie – und weckte mich mit einem Kusse auf. Ich wollte aufstehen, aber sie fing mich an zu [85] kützeln. Sie war so ausgelassen lustig, daß ich sie nur mit Mühe abhalten konnte. In dem Augenblicke schlug es vier Uhr, wir machten uns schnell auf den Weg, und fanden den Ball in N– bereits eröffnet.

Ich ward bemerkt, und Lorchen ward entzückt darüber. Sie küßte mich mehrmal im Verstohlenen, und bewachte mich mit Argus-Augen. Ach! sie hatte nichts von mir zu befürchten; alle Mädchen, alle Bursche waren mir gleichgültig. Ich tanzte mit niemand als mit ihr; ich suchte mich selbst zu täuschen, und sah sie für den Junker an. Entzückter erwiederte ich ihre Liebkosungen, feuriger schloß ich sie in meine Arme. Wir flogen wonnetrunken im Walzer dahin, zwey liebende, zwey geliebte Seelen. Sie glaubte ihren August, ich meinen Adolph am Busen zu haben.

[86] Es war schon spät, als wir nach Hause gingen, beide glühend, beyde von Wonne und Liebe trunken, beyde in wollüstiger Ermüdung. Lorchen verließ mich mit einem Kusse, ich warf mich halb ausgezogen auf das Bette, und schlief in wenig Minuten ein.

12. Capitel: Wer soll denn kommen
Zwölftes Capitel.
Wer soll denn kommen?

»Gustel! Lieber Gustel!« – hörte ich auf einmal eine Stimme flüstern, schlug die Augen auf, und erkannte Lorchen. Der Mond schien durch die Fenster, sie war in einem Nachtkleide, ihr Busen erinnerte mich an den meinigen.

[87] »Was willst du, Lorchen?« – fragte ich erstaunt, und sie bog sich sanft über mich her. – »Ach Herzensgustel!« – sagte sie – »Mir ist so angst, ich weiß nicht, was über mir rasselt! Da bin ich zu dir gekommen!«

»Es werden wohl die Ratten auf dem Boden seyn!« – gab ich zur Antwort, und richtete mich auf. Sie rückte den Stuhl an das Bette, und setzte sich zu mir. Ihre rechte Hand sank auf die Bettdecke, und mit der andern ergriff sie die meinige.

»Ach Gott!« – fuhr sie fort – »mir ist so kurios, ich kann dir's gar nicht sagen! – Ich zittre am ganzen Leibe! – Fühle nur, wie mein Herz klopft!« – indem sie meine Hand an ihren Busen legte. –

»Aber du wirst dich erkälten, liebes Lorchen!« – sagte ich mitleidig – denn ich dachte an meine eigne Liebe. –

[88] »Du giebst mir ein bischen von deinem Bette!« – erwiderte sie mit einem zärtlichen Tone, beugte sich auf mein Kissen, drückte einen Kuß auf meine Achseln, und legte sich mit dem halben Leibe neben mich.

Ich wußte nicht, was ich sagen, noch was ich thun sollte. Sie dauerte mich, und am Ende konnte sie sich doch wirklich fürchten. Gleichwohl sagte mir mein Gefühl, daß ein Mädchen nicht zu einem Jungen ins Bette kommen müsse, und wenn es auch mit mir anders beschaffen war, so hatte ich doch immer Hosen an. Indessen ich so räsonnirte, fand sie für gut, ihre Beinchen auch unter die Decke zu bringen, und ehe ich michs versahe, schmiegte sie sich dicht an mich an.

»Aber liebes Lorchen!« – sagte ich, und küßte sie in meiner Verwirrung wieder – »Wenn nun jemand kommt?« –

[89] »Wer soll denn kommen?« – sagte sie – »es ist ja niemand zu Hause, und der Hofmeister liegt lange auf dem Ohre!« –

In dem Augenblicke hörte ich die Thüre aufmachen; eine Mannsgestalt trat herein – »Gustel! Gustel!« – Es war der Hofmeister.

13. Capitel: Schlag er an!
Dreyzehntes Kapitel.
Schlag er an!

Zum Glück hatte er kein Licht bey sich. Ich sprang aus dem Bette, und zog die Decke über Lorchen. – »Was befehlen der Herr Hoffmeister?« – Indem ich vor ihn trat, und zwischen ihn und dem Bette eine Scheidewand machte. –

[90] »Er muß mir Licht anschlagen. – Ich komme eben nach Hause. – Beym Pachter ist alles zu Bette, – und Lorchen ist nicht zu errufen.« –

»Das glaub' ich wohl!« – dachte ich – »Aber« – gab ich zur Antwort – »Warum pochen denn der Herr Hofmeister die Catharine nicht heraus?« –

»Weil ich nicht will!« – indem er sich räusperte. – Er weiß, was ihm zukommt, also Anstalt und nicht viel Redens. »Hol er den Leuchter und schlag er an!« –

Ich war froh, so guten Kaufes davon zu kommen; denn ich konnte mich leicht an Lorchens Stelle setzen. – »Nun so kommen Sie, Herr Hofmeister!« – sagte ich – »Ich will Ihnen gleich Licht machen.« –

»Geh er nur – und wenn es brennt, so rufe er! damit ich sehen kann!« –

[91] Ich ging hinunter, schlug an, und rufte. Keine Antwort! – Noch einmal! – Er rührte sich nicht. – »Er ist wohl gar eingeschlafen!« – dachte ich – und wollte hinauf gehen, als er antwortete. – »Er wird doch nicht auf mein Bette gegriffen haben,« – sagte ich – denn er sah so verschmitzt aus. Ich wünschte ihm gute Nacht, und eilte mit klopfendem Herzen hinauf. – Lorchen kam mir an der Thüre entgegen; sie schien außer sich. – »Hat er dich gesehn?« – fragte ich – Sie gab mir keine Antwort, drückte mir die Hand, und eilte in ihr Stübchen.

14. Capitel: Böse Auspicien
[92] Vierzehntes Capitel.
Böse Auspicien.

So gern ich Lorchen am andern Morgen gesprochen hätte, war es mir doch unmöglich. Die Herrschaft kam jetzt zurück, und ich konnte mich nicht von meinem Junker trennen. Ich hatte ihn in einem Tage nicht gesehen, mein armes Herz mußte entschädigt werden. Er erzählte mir von der Hochzeit, und ich wurde nicht müde, ihm zuzuhören.

Als wir abgegessen hatten, fand ich endlich einen Augenblick, mit Lorchen allein zu seyn. Sie erröthete, und drückte mir die Hand mit vieler Bewegung. – »Ach! was hab ich dir alles zu sagen, lieber Gustel! –[93] Aber jetzt ist nicht Zeit dazu. Komm auf den Abend in den Garten, ich werde Bohnen abschneiden.«

»Hat dich der Hofmeister gesehen?« – fragte ich hastig – »Nur das Einzige sage mir!« –

Sie nickte mit dem Kopfe und schlug die Augen nieder. – In dem Augenblicke ward sie gerufen, und ich zitterte für den Ausgang.

»Wie wird das werden?« – dacht ich – Wenn er es der gnädigen Frau erzählt? O Gott! wenn ich auf einmal meinen Dienst und mein ganzes Glück verlöre! wenn ich fort müßte! – Hier konnte ich meine Thränen nicht länger zurückhalten. Der Gedanke von dieser Trennung brachte mich zur Verzweiflung. – »Das arme Lorchen!« – fuhr ich fort – »sie hat mich hieher gebracht, und sie muß unverschuldet zu meinem Abschied beytragen! – Ich wollte, daß der verdammte[94] Hofmeister« – In dem Augenblicke ging er bey mir vorbey, und lachte so tückisch aus seinen Katzenaugen, daß ich sie ihm hätte auskratzen mögen. –

»Ach! es ist alles verloren!« – fuhr ich wehmüthig fort – und ging in den Holzschuppen, um mich auszuweinen. Zum Glücke war mein theurer Adolph so müde, daß er den ganzen Nachmittag schlief. Es wäre mir unmöglich gewesen, mich gegen ihn zu verstellen. –

15. Capitel: Der Dingericht
Funfzehntes Capitel.
Der Dingericht.

Der Abend brach an, ich sah Lorchen in den Garten gehen, und folgte ihr. Sie winkte mir, von fern zu bleiben, bis wir hinter die [95] Bohneuhecken kamen. – »Guter Herzensjunge!« – sagte sie, und zog mich sanft mit der Hand an sich. Ihre Augen spiegelten sich in den meinigen; ich fühlte, wie ich meinen Adolph angesehen hätte, und konnte mich nicht enthalten, ihr einen schwesterlichen Kuß zu geben.

»Der alte häßliche Dingericht!« – fuhr sie fort, und ihr Gesicht nahm auf einmal den Ausdruck des heftigsten Zorns an! – »Kannst du denken, der niederträchtige Kerl hatte uns belauscht!«

»Das wäre vom Henker!« – sagte ich erschrocken – »wir haben ja nichts gesehen.« –

»Ach, du weißt gar nicht, lieber Gustel, wie er mir nachstellet! Seitdem er im Hause ist, hat er mir keine Ruhe gelassen.« –

»Aber warum denn?«

[96] »Warum? daß ich ihm gut seyn soll, dem langen klapperigen Perückenstock!« –

»Aber, wie ist er dich denn gewahr geworden?« –

»Ich sage dir ja, Herzensgustel, belauscht hat er uns! An der Thüre hat er gehorcht!« –

»Ach vermuthlich hat er dich sehen zu mir hereingehen?«

Anders kann es nicht gewesen seyn. – Als du nun nach Licht gegangen warest, so kam er mit seinen langen Talpen, und griff mir gleich auf die Brust. – Ich wollte schreyen, aber vor Angst war mirs unmöglich. – »Ha, ha, Jungfer Lorchen!« – sagte er – »das ist schön – Sieh doch! – Nun das ist gut, daß ich es weiß.« – Nun muß ich dir sagen, lieber Gustel, daß er mich schon lange hat persuadiren wollen – Ach, ich kann dirs wahrhaftig nicht sagen! –

[97] »Nun was denn?« – fragte ich, und machte große Augen!

16. Capitel: Fortsetzung
Sechszehntes Capitel.
Fortsetzung.

»Ih! – Aber! – Siehst du!« – wem ich nicht gut bin! – »Ich meyne« –

»Nun was denn, liebes Lorchen, ich verstehe dich nicht!« –

»Nun daß ich ihm kein Mäulchen gäbe, und daß er mich nicht angreifen dürfte, und daß ich« – indem sie mich verschämt ansahe.

»Ja nun verstehe ich dich schon!« – gab ich zur Antwort, und drückte ihr die Hand.

»Siehst du also, lieber Gustel,« – fuhr sie erröthend fort – »darum hat er ein Pik [98] auf mich.« – Wie er mich nun so spöttisch fragte, so besann ich mich schnell und sagte: Ja, Herr Hofmeister, bey Ihnen untersteh ich mich das nicht. – »Warum denn nicht, liebes Lorchen?« – gab er zur Antwort – Sie sind mir zu vornehm! – Verstehst du, lieber Gustel, das sagte ich nur, um ihn gut zu machen. –

»Ich verstehe, ich verstehe, bestes Lorchen!« –

»Nein!« – fuhr er fort – »wie können Sie so was sagen; ich habe Sie ja schon so lange gebeten.« – »Ich habe immer gedacht, Sie kohlen mich, Herr Hofmeister.« – »Ih warum nicht gar! Wie kannst du so was denken, liebes Kind!« – indem er mich küssen wollte. – Ich drehte mich aber geschwind, und es kam auf die Nachthaube. – »Nun sehen Sie, Herr Hofmeister,« – fuhr ich fort – »ich bin nur ein armes Kammermädchen, [99] und Sie sind ein vornehmer gelehrter Mann; und ich bin so schlecht, und Sie sind so ein schöner Herr!« – Ja dacht ich – wie eine Vogelscheuche. –

»Nicht doch, Kind!« – fuhr er fort – »Ich bin allen hübschen Mädchen gut, und du bist so allerliebst, du kleine Lose!« – indem er mich streichelte, was ich mir denn von seinen dürren Tazzen gefallen lassen mußte. –

»Aber mit dem Gustel« – fing er wieder an – »mußt du dich nicht wegwerfen.« – Sieh einmal, wenn ich's bin – das ist eine ganz andere Sache – aber mit so einem Jungen. – »Ach, lieber Herr Hofmeister« – sagte ich – »es ist das erste und letztemal gewesen seyn – ich bin nur im Schlafe herüber gekommen, und als Sie riefen, erschrak ich so sehr« – »Das thut mir leid,« – fiel er ein, und küßte mich zum zweyten Male. – Es kam aber wieder aufs Ohr.

[100] Da ich ihn so vertraulich fand, so dachte ich's zu benutzen. – »Aber lieber Herr Hofmeister« – fuhr ich fort – »ich will Ihnen gern recht gut seyn, sagen Sie nur der gnädigen Frau nichts davon.« – »Gewiß?« – gab er zur Antwort. – »Ist das dein Ernst, Lorchen?« – »Gewiß,« – erwiederte ich – »ich will Sie gewiß recht lieb haben; zumal, da ich weiß, daß Sie's ehrlich meynen.« – »Topp!« – sagte er mit sichtbarem Vergnügen! »Gieb mir dein Händchen darauf! Der Friede ist geschlossen! Du sollst sehen, ob ich Wort halten kann. Aber eine Bedingung« –

»Lieber Herr Hofmeister, wenn es in menen Kräften steht.« –

»Morgen Nacht mußt du mich in dein Kämmerchen lassen – Aut! Aut! – Willst du, oder soll ich« –

[101] Ich sagte leise Ja – und that als ob ich ihm die Hand gäbe, aber ich hätte ihm mögen ins Gesicht speyen.

17. Capitel: Triplealianz
Siebzehntes Capitel.
Triplealianz.

»Der infame Kerl!« – sagte ich – und wir spien beyde aus, als wenn er da gestanden hätte. – »Der niederträchtige Filou! – Und du willst« –

»O« – gab sie zur Autwort – »Was denkst du von mir, Gustel? Lieber alles verloren – eher der Kerl!« –

»Aber was willst du denn machen, bestes Lorchen?«

[102] »Anführen will ich ihn – Anführen, den verdammten Perückenstock, – und du sollst mir helfen!« –

»Ich?« –

»Ja du, lieber Gustel! du sollst dich in mein Bette legen, und wenn er anfängt zu gestikuliren, da schrey' ich Diebe, und da kommt Andres, und schlägt ihm alle viere entzwey.« –

Der Einfall war nicht übel, und ich wagte sehr wenig dabey. – »Höre, liebes Lorchen,« – gab ich zur Antwort – »aber das muß ich dem Junker sagen.« –

»Herr Jesus, Gustel, was willst du machen? Da erfährts die gnädige Frau, und dann ist alles verloren.« –

»Nicht doch, der Junker weiß schon lange, daß der Dingericht in dich verliebt ist, und« –

»Daß ich das Kirschkern-Gesicht und seine Schweinsaugen nicht ausstehen kann.« –

[103] »Nun ja, der Junker hat mir's gleich den ersten Tag gesagt; also wird er sich recht freuen, wenn wir dem saubern Herrn« –

»So einen Streich spielen. – Nun gut, wenn du meynst, ich bin's zufrieden. – Aber jetzt müssen wir gehen, schneid' noch ein halbes Dutzend ab, so ist das Körbchen voll! – Adieu, Herzensgustel, gleich nach dem Essen! Andres sitzt bey der Catharine.« –

»Der impertinente Patron!« – sagte ich äußerst erbittert! – »Warte, wir wollen dir eine Märte einbrocken, an der du genug haben sollst.« – Ich fand meinen Adolph auf dem Hofe, und erzählte ihm die ganze Geschichte.

18. Capitel: Gehorsamer Diener!
[104] Achtzehntes Capitel.
Gehorsamer Diener!

»Laß gut seyn!« – sagte der Junker, als ich mit meiner Erzählung fertig war – »das hat ganz und gar nichts zu bedeuten! Als ich in der Pension war, kam der Madam ihr Mädchen mehr als einmal zu mir.« – Ich fühlte in diesem Augenblicke, was Eifersucht sey, ob die Sache gleich längst vergangen war.

»Wenn er's auch der Tante gesagt hätte,« – fuhr er fort – »was wär's denn gewesen? Ich hätte auch ein Liedchen zu singen gewußt! Aber da's so gekommen ist; [105] desto besser! Warte, du sollst bezahlt werden, du lateinischer Seladon! Weißt du was? – Ich will mich hinter das Bette verstecken! – Dann haben wir ihn im Garne, und wenn er muchsen will, so erzähle ich der Tante die ganze Historie!« – Man rief uns zu Tische.

»Wir wollen doch noch ein bischen ums Dorf gehen« – sagte der Junker absichtlich laut, als wir vom Essen aufstanden. Indessen schlichen wir leis die Treppe hinan, und blieben in Lorchens Zimmer. Ich setzte eine Nachthaube auf, zog ein Corsettchen über meine Weste, und legte mich lachend ins Bette. Der Junker steckte sich hinter einen Coffer, der an der Thüre stand, und Lorchen blieb bey der Köchin.

Alles war ruhig im Hause. Der Seiger schlug drey Viertel auf eilf Uhr, als wir jemand verhalten husten hörten. – »Jetzt kommt er!« – flüsterte der Junker. –[106] »Verrathe dich nicht!« – Ich zog die Bettdecke über mich, und kehrte ihm den Rücken zu.

Die Thüre ging auf, der Hofmeister kam auf den Zehen hinein, und tappte sich an das Bette. Ich that, als ob ich schnarchte, er fühlte nach meinem Gesichte, und wollte mich küssen. In dem Augenblicke schien ich zu erwachen, spuckte aus, und gab ihm die ganze Ladung in die Augen.

»Bst Lorchen! Herzensmädchen!« – flüsterte er. – »Ich bins! Rücke ein bischen zu« – indessen er Anstalt machte, sich neben mich zu legen. – »Ach, wenn es mein Adolph wäre!« – dachte ich – und seufzte unwillkührlich. – »Du kleines loses Ding« – fuhr er fort, und wollte mich liebkosen – »Wie du warm bist!« –

Ich machte ihm Platz; denn die Comödie sollte vollkommen seyn. Indessen erhob sich [107] der Junker hinter seinem Coffer, und stellte sich an die Thüre. – »Nun Kindchen!« – fuhr das Ungethüm fort, und hielt mir seinen Tabaksrüssel hin. – »Aber, lieber Herr Hofmeister!« – »Bis kein Närrchen!« – »Herr Jesus! – aber wenn jemand käme« – »Ih nicht doch!« – »Ach Herr Hofmeister!« – »Laß doch, kleines furchtsames Täubchen!« –

In dem Augenblicke machte der Junker die Thüre auf, als ob er hineinträte, nahm das Licht aus seiner Blendlaterne, und hielt es dem Hofmeister unter die Nase. – »Ih gehorsamer Diener, Herr Magister! – Sie studiren wohl auf eine Predigt!« –

19. Capitel: Der arme Sünder
[108] Neunzehntes Capitel.
Der arme Sünder.

Der ehrsame Herr war wie vom Donner gerührt. – »Gieb ihm doch ein bischen Riechwasser, Gustel!« – fuhr der Junker fort, und griff nach dem Hauptdepot. – Als der Magister meinen Namen hörte, stieß er einen tiefen Seufzer aus, ich aber riß meine Verkleidung ab, sprang aus dem Bette, und sagte mit einem triumphirenden Tone: – »Schämen Sie sich nicht, Herr Magister!« –

»Nun!« – fuhr der Junker fort – »wollen Sie denn hier liegen bleiben?« – »Ach!« – seufzte der Perückenstock – »Ach Gott, ich bin ein unglücklicher Mann!« –

[109] »Ein schlechter Kerl sind Sie!« – erwiederte der Junker – »Ein verschmitzter Heuchler, aber ich will's der Tante« –

»Um Gotteswillen, gnädiger Junker! Um die Wunden Christi willen – lieber den Tod!« –

»Denken Sie denn, daß das eine Kleinigkeit ist, zu den Mädchen ins Bette kriechen? – Haben Sie mir nicht tausendmal in der Epistel an die Corinther? – Wissen Sie noch?« –

»Ach!« – sagte er betrübt – »Wir sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den wir haben sollen. – Ich sehe wohl, ich bin betrogen worden! – Ich bin in des gnädigen Junkers Händen, aber« – hier fing er bitterlich an zu weinen.

Der Junker war zufrieden, ihn geschreckt zu haben. – »Sehen Sie, Herr Magister,« – fuhr er fort – »wenn ich nun wollte, so [110] könnte ich Sie unglücklich machen, und Sie wissen wohl, was geschehen würde. Aber ich wills nicht thun; ich will nichts gesehen und gehöret haben. – Nur bitte ich mir auch aus, daß Sie mich nicht mehr als einen kleinen Buben behandeln – verstehen Sie mich? – Und was Lorchen betrifft, da lassen Sie nur ihre Hände davon, die ist zu jung für Sie.« –

Der Magister sprang vergnügt aus dem Bette, und küßte dem Junker die Hand. – »Nun, gnädiger Herr« – sagte er mit einem Studentenfluche – »Topp! halten Sie reinen Mund, und wir wollen auch leben wie Brüder. Wenn nur der Gustel« –

»Seyn Sie unbesorgt, Herr Magister – ich bin stumm wie ein Fisch.«

Der Junker ließ ihn zur Thüre hinaus, wie einen gefangenen Dachs aus dem Sacke. – »Es ist doch ein niederträchtiger Schuft,« [111] – sagte er – »aber nun haben wir ihn in der Falle.« – Ich lief noch zu Lorchen, und erzählte ihr kurz, wie es abgelaufen war. Sie küßte mich tausendmal. – Ach! was hätte ich darum gegeben, wenn sie der Junker gewesen wäre!

20. Capitel: Ein Mädchenherz
Zwanzigstes Capitel.
Ein Mädchenherz.

Der Junker war allein ausgeritten, mein Herz trieb mich, ihm entgegen zu gehen. Schon brach der Abend ein, er kam nicht; es schlug neun Uhr, er war noch nicht da. Gegen zehn Uhr endlich geht die Thüre auf, und sie bringen ihn auf einer Trage getragen.

[112] Guter Gott, was für ein erschrecklicher Anblick! ich dachte neben ihm niederzusinken. Sein Kopf war mit blutigen Tüchern bedeckt, einer seiner Stiefeln abgeschnitten, und sein Fuß von oben bis unten mit Bandagen umwickelt. Sie brachten ihn von dem nahen Flecken, wo er mit dem Pferde gestürzt war, und der Barbier begleitete ihn.

Er war so matt, daß er kaum sprechen konnte; alles versammelte sich um ihn her. Die gute gnädige Frau fragte ihn einmal über das andere, ob er nicht todt wäre. Er erblickte mich, und sagte mit sichtbarer Anstrengung: Das war ein garstiger Fall, lieber Gustel!

Ich überlasse es meinen Leserinnen, sich meine Empfindungen zu denken. Ich hätte sein Blut aufküssen mögen, um seine Schmerzen zu erleichtern. Endlich brachten wir ihn [113] zu Bette, und ich ließ es mir nicht nehmen, bey ihm zu wachen.

Er litt viel, besonders am Kopfe. Der Barbier behauptete, die äußere Hirnschale sey beschädigt, der zweyte Verband müsse es ausweisen. Es war eine schreckliche Nacht; ich saß weinend bey seinem Bette, seine Hand in der meinigen. Er drückte sie zuweilen, und das erhielt mich wach.

So kam der Morgen heran; der Verband wurde abgenommen, und die Wunde zeigte sich besser, als wir vermuthet hatten. Wirklich spürte mein theurer Adolph auch einige Erleichterung. Er genoß etwas Tamarindenmark, und konnte mir den Vorfall in gebrochenen Worten erzählen. Das Pferd war scheu geworden und mit ihm durchgegangen. Er hatte herunter springen wollen, und war geschleift worden.

[114] Um ihm die Zeit zu vertreiben, mußte ich ihm seine Kupferstiche bringen, wovon er eine ganz artige Sammlung hatte. Wir sahen sie mit einander an, und er erklärte sie mir. Da er die Arme nicht brauchen konnte, so führte ich ihm alles zum Munde; ich war sein Wärter, er genirte sich nicht vor mir – Liebende Mädchen, ihr allein könnt das fühlen! –

So wie seine Wunden sich günstig anliessen, ward mein Herz ruhiger. Er bekam allmählig feine Heiterkeit wieder, wir lachten und scherzten zusammen. Der Vorfall mit dem Hofmeister ward mehrmals wiederholt, zumal wenn Lorchen auf ein Stündchen zu uns kam. Dann setzte ich mich oft, wiewohl mit klopfendem Herzen, zu meinem Freunde auf das Bette; seine Füße ruhten an meinen Hüften, und meine Hand glitt sanft über die [115] seinigen hin. Lorchen setzte sich mir gegenüber, und drückte mich sanft mit ihren Knien.

21. Capitel: Der Cornet
Ein und zwanzigstes Capitel.
Der Cornet.

Er genaß endlich vollkommen, und selbst die Spuren seiner Verwundung waren verschwunden. Der Herbst ging zu Ende; wir dachten darauf in die Stadt zu ziehen, als ein Brief von seinem Vater ankam, der unsern ganzen Plan veränderte.

»Weißt du was Neues, lieber Gustel?« – sagte der Junker, und klopfte in die Hände. [116] – »Ich komme als Cornet zum Regimente.« –

Ich wurde leichenblaß, und ließ die Arme sinken; es war, als ob man mir mein Todesurtheil angekündigt hätte.

Er bemerkte es. – »Nun? Und du gehst mit!« – fuhr er fort, und drehte mich bey den Achseln herum – »Du gehst mit, lieber Gustel! da sollst du reiten lernen, Herr Bruder!« –

Der Uebergang zur Freude hat etwas äusserst Wollüstiges. Nie war er mir so schön vorgekommen, ich hätte ihn an mein Herz drücken mögen.

»Wenn denn?« – fragte ich mit halberstickter Stimme.

»So bald als möglich. – Der Papa schreibt, ich soll eilen! Der Oberste will mich [117] gerne vorrücken lassen. – Das soll ein Leben werden! – Die Tante giebt Zulage, und der Papa ebenfalls.« –

Er sprang vor Freude hin und her. Ich aber sah in süßer entzückender Freude zu, und dachte, wie schön ihm die Uniform stehen würde.

Wenig Tage waren hinreichend, unsere Einrichtungen zu machen; aber Lorchen ging umher und weinte. – »Wirst du mich auch nicht vergessen? – Wirst du mich auch immer lieb haben, Herzensgustel?« – fragte sie mich tausendmal des Tages, und ich konnte es ihr als – eine Schwester versprechen.

Endlich brach der Tag der Abreise an; sie kam vor mein Bette und weckte mich. – [118] »Da, mein guter Junge!« – sagte sie – »da hast du noch ein kleines Andenken von mir!« – Es war ein Busenstreif und ein gehenkelter Gulden. – »Ich habe die ganze Nacht daran gearbeitet; er ist fleckig geworden, denn meine Thränen sind darauf gefallen.« – Sie küßte mich dreymal – »Nachher kann ich nicht, wenn ihr fortfahrt!« setzte sie hinzu.

Ich war äußerst gerührt; ach! ich fühlte, wie sehr eine Trennung schmerzen konnte. – Der Junker kam dazu. – »Nun Lorchen!« – sagte er – »wird dir der Abschied schwer? Laß nur gut seyn, zum Sommer kommen wir auf Urlaub wieder.«

Bald darauf waren wir reisefertig; die gnädige Frau gab uns tausend Vermahnungen und Segenswünsche auf den Weg; Lorchen [119] warf mir noch einen Kuß zu, und wischte sich die Augen, und Andres schüttelte mir die Hand. Der Knecht fuhr zu, und in wenig Minuten waren wir im Felde.

Drittes Buch

1. Capitel: Ankunft
Erstes Capitel.
Ankunft.

Wir kamen an, alles war neu für mich. Die Größe der Stadt, die hohen Häuser, das Getümmel der Straßen, das Gedränge der Menschen, das bunte Gemisch der mannichfaltigsten Gegenstände, alles versetzte mich in eine andere Welt. Wir stiegen bey einem Hauptmann ab, der über den Junker gewissermaßen die Aufsicht führen sollte. Unser Logis war in einer der lebhaftesten Straßen.

»Nun, Gustel!« – sagte der Junker nach einigen Tagen, als er zum ersten Male seine Uniform anhatte, die ihm zum Entzücken [123] stand – »Nicht wahr, das sieht anders aus? Nun sollen die Mädchen schon hinter dem Fenster lauschen!« –

»Ach!« – dachte ich – »wenn Sie nur wüßten, wie sie hier vor Ihnen stehn.« –

»Aber du mußt dir auch was Hübsches zulegen! So ein Kammerkätzchen, wie die Lorchen – Nicht wahr?« –

Ich schlug die Augen nieder, und sagte nichts. Mein armes Herz wurde von tausend Empfindungen zerrissen. Wie viel Besorgnisse! Wie viel Nebenbuhlerinnen! Er war zu schön, um unbemerkt zu bleiben, und wie hätte ich ihn fesseln können?

Er bemerkte meine Niedergeschlagenheit. – »Sey nur unbesorgt!« – sagte er – »Wenn der Schneider mit mir fertig ist, soll er auch bey dir anfangen.« – Und was dir sonst noch fehlt, das sage nur. – »Du weißt ja, daß ich dir gut bin!« –

[124] Daß ich dir gut bin! O mit welchem Entzücken faßte mein Herz die Worte auf! Ich vergaß alles um mich her; ich wiederholte mir's tausendmal heimlich für mich. Wie viel Ideen, Wünsche und Hoffnungen, in der buntesten Verwirrung! Wie viel weichmüthige, zärtliche und feurige Empfindungen in unaufhörlichem Wechsel! Ach, die Liebe öffnet das Herz für tausend Gefühle, aber nur Weiber sind ganz empfänglich dafür!

2. Capitel: Die Eroberung
Zweytes Capitel.
Die Eroberung.

So sehr unsere Lage meinem Junker gefiel, so wenig konnte ich damit zufrieden seyn. Sein Dienst, seine neuen Bekanntschaften [125] beschäftigten ihn sehr angenehm, aber ich verlor desto mehr dabey. Ost vergingen ganze Tage, wo ich ihn blos einige Augenblicke früh oder Abends sahe.

Ich hatte kein Recht, mich zu beklagen, aber mein Herz litt desto mehr dabey. Seine Abwesenheit machte mich so unglücklich, daß ich ganze Tage weinte. Ich hätte ausgehen und mich zerstreuen können, aber es war unmöglich. Mein einziger Trost bestand in Büchern, die wir überflüßig hatten. Hier fand ich tausend Stellen, die für mich geschrieben schienen; tausend Vertraute, denen ich meinen Kummer klagen konnte!

So vergingen mehrere Monate ohne Veränderung. Der Junker unterhielt mich zuweilen von seinen Cameraden, seinen Vergnügungen u.s.w.; aber dieWeiber schienen ihn noch nicht gefesselt zu haben. Dafür [126] machte ich eine Eroberung, die mir selbst im Traume nicht eingefallen wäre.

In unserm Hintergebäude wohnte nämlich eine von den Personen, die den teigen Birnen gleichen; indem sie eben so süßlich, eben so gemein, und eben so runzlicht sind. Ich meyne, eine alte Jungfer, ob sie gleich mit aller Gewalt für eine junge gelten wollte. Es war eine Näherin, die sich viel Geld verdiente, und mich mit ihrer Affektion beehrte.

Sie fing damit an, mich freundlich zu grüßen, und ich dachte nichts Arges dabey. Es war gerade, als ob ich meine Mutter sähe, besonders wenn sie ihren Husten bekam. Allmählig aber rückte sie mir näher auf den Leib. Sie knipp mich in die Backen – »in meine rosenrothen Aepfelchen« – wie sie sagte; und machte sich eines und das andere mit meinen Waden zu schaffen.

[127] Ich war eitel und boshaft genug, ihr ihre Freude zu lassen. Ueberdem steckte sie mir von Zeit zu Zeit kleine Geschenke zu, die meine Leckerhaftigkeit nicht übel fand. Die Comödie fing an, mich zu zerstreuen, und Mademoiselle Julchen – wie sie sich trotz ihrer vierzig Jahre nennen ließ – glaubte mich völlig gefesselt zu haben.

»Liebes Gustelchen!« – sagte sie einmal, auf der Treppe zu mir – »Sie können so schön lesen, und Sie haben so hübsche Bücher – Kommen Sie doch manchmal ein bischen hinter! – Ich habe ein Körbchen Borstorferäpfelchen gekauft, so schön und rund wie Ihre Bäckchen,« – die sie mir alle beyde recht zärtlich knipp, und aus dem Text darüber kam.

»Ja was wollt' ich denn sagen?« – fuhr sie fort – »Geben Sie mir doch manchmal Abends die Ehre und das Vergnügen, und [128] lesen Sie mir ein bischen vor. Ich höre Sie gar zu gern; ich habe Ihnen gestern eine halbe Stunde zugehorcht, wie sie so schön deklamirten!« –

Der Weihrauch kützelte mich. – »Recht sehr gerne, liebe Mademoiselle Julchen,« – gab ich zur Antwort – »Ich will sehen – Wenn ich auf den Abend Zeit habe.« – Sie drückte mir die Hand, und ging mit einem Seufzer ab.

3. Capitel: Collation
Drittes Capitel.
Collation.

Es wurde Abend, ich hatte nichts anders zu thun. – »Du willst dir den Spas machen!« – dachte ich und ging hinter.

[129] »Ih das ist ja scharmant, mein liebes Gustelchen« – sagte sie mit einem Kusse, den ich nicht erwiedern konnte. – »Ih das ist ja ganz allerliebst, daß Sie mir die Ehre und das Vergnügen geben. – Ih seyn Sie mir doch tausendmal in meinem Stübchen willkommen« – indem sie mit ihrem Mündchen ein Dacapo projektirte, das aber durchfiel.

»Nun so nehmen Sie doch Platz, mein englisches Gustelchen! Hier bey dem Ofen! Hier auf dem Lehnstuhl! Warten Sie, ich will Ihnen auch noch ein Kißchen geben, damit Sie ihr armes Popochen – Es wäre ja Schade um so ein hübsches marzipanenes – hihihi!!« –

»Das geht gut« – dachte ich, sie fängt von hinten an. – »Nun und was haben Sie denn für ein schönes Büchelchen mitgebracht? – Aber sitzen Sie auch recht gut, mein allerliebstes Gustelchen? Warten Sie, ich will [130] Ihnen noch ein Hitschgen 1 geben – Hier!« – indem sie mich um die Waden faßte – »Hier setzen Sie Ihre allerliebsten Füßchen darauf! So? Nicht wahr? – Ach es ist Hermann und Ulricke 2 – indem sie das Buch aufschlug und meine Finger drückte.

»Ich will also anfangen, liebe Mamsell Julchen!« – sagte ich. – »Im Jahr nach Erschaffung der Welt, als die Damen große Absätze« – –

»Halt, halt, mein englisches Gustelchen! Erst müssen Sie mir auch was genießen, damit Sie Ihr liebes Hälschen nicht so trocken bleibt. Ein Aepfelchen und ein Stückchen Mandeltorte, mit einem Schlückchen Kirschrosolischen! – Nicht wahr, mein Puttchen« [131] – indem sie mich unter das Kinn faßte. – »Ja ja!« – dachte ich – »der Vorschlag ist nicht übel! So was kann gar nicht schaden.« –

Sie trug auf, und ich ließ mir's trefflich schmecken. Ich hatte wenigstens von meiner Kleidung den Vortheil, daß ich mich mit Ehre satt essen konnte. – »Gelte 3, mein scharmantes Gustelchen, das schmeckt? Nun wir wollens hier stehen lassen!« – indem sie ein Gläschen ausleerte – »langen Sie nur zu, wo's Ihnen beliebt! Es ist alles zu Ihrem Befehl.« –

»Das glaub' ich!« – sagte ich bey mir selbst, und war in der besten Laune von der Welt. – Soll ich nun anfangen, liebe Mamsell Julchen? – »Wie's Ihnen gefällig ist, liebes Kind! Sonst können wir auch noch ein [132] bischen schwatzen; denn ich rede gar zu gern mit Ihnen.«

Fußnoten

1 Provinzialism für Schemel, Bänkchen.

2 Bekanntlich von dem unglücklichen Wezet in Sondershausen.

3 Sächsischer Provinzialism für Nichtwahr?

4. Capitel: Das Examen
Viertes Capitel.
Das Examen.

»Es wird wohl von Liebe d'rinnen vorkommen?« – sagte sie zutraulich, und rückte mit ihrem Knie an das meinige. –

»Ich weiß es nicht, liebe Mamsell Julchen« – antwortete ich unbefangen – »ich habe es noch gar nicht gelesen.« –

»Sie kleiner Vokativus!« – indem sie mich verliebt auf das Bein schlug! – »Sie werden nichts vonLiebe! – Wer's Ihnen glaubte! – Ich wette, Sie wissen mehr als [133] zu viel! – Ja, ja, sehen Sie mich nur an, mit ihren schelmischen schwarzen Aeugelchen! – Und was er für Zähnchen hat! – Wie eine Reihe Perlen! Ja, ja, das lose Gustelchen will's mir nicht Wort haben. – Aber die armen Mädchen« – indem sie einen gewaltigen Seufzer that – »die fühlen's!« –

Ich lächelte unwillkührlich für mich, denn ich merkte recht gut, was das zu bedeuten hatte. – »Ach, wer soll sich denn in mich verlieben!« – gab ich zur Antwort – »das fällt keinem Mädchen ein! Sie wollen mich nur vexiren, Mamsell Julchen, aber ich weiß recht gut, daß ich nicht hübsch bin.« –

»Sie kleiner Lügner! Seh einmal eines! – Und hat ein Gesichtchen, wie Lilien und Rosen! Gehn Sie, gehn Sie Gustelchen! – Wer weiß wie manches arme Mädchen sich über Sie zu Tode grämt!«

[134] »Ueber mich? ich wüßte nicht warum?«

»Ja über Sie, Sie kleines liebes Engelchen! – Ich weiß, was ich weiß, aber« –

»Nun was wissen Sie denn, Mamsell Julchen?«

»Was ich nicht sagen darf!« – indem sie mir immer näher rückte, und ihren Arm um mich schlug.

»Was soll denn da herauskommen?« – dachte ich, und beschloß es ruhig abzuwarten. – »Sagen Sie mir, mein bestes Gustelchen« – fuhr sie nach einer Pause fort – »Sind Sie denn in Ihrem Leben noch nicht verliebt gewesen?« –

»In meinem Leben noch nicht, Mamsell Julchen!« –

»Das kann ich nicht glauben.« – Sie sollten noch gar nichts –

»Was denn?«

[135] »So ein bischen vom Liebeshonig, meyn' ich« –

»Was ist denn das, der Liebeshonig!«

»Ach gehn Sie doch, Sie werden's nicht wissen, wie der schmeckt?«

»Ich versichere Ihnen, ich habe in meinem Leben keinen gegessen. Schmeckt er denn süß?«

»Das meyn' ich« – indem sie mich feste an sich drückte – »süßer als alles in der Welt!«

»Den möchte ich doch wahrhaftig kosten.« –

»Ich habe« –

»So« – fiel ich ihr ein – »Sie haben einen eigenen Bienenstock?« –

Sie fing überlaut an zu lachen, und ich that es mechanisch mit.

5. Capitel: Die Spinne
[136] Fünftes Capitel.
Die Spinne.

»Herr Jemine! Herr Jemine!« – schrie sie auf einmal, und riß ihr Halstuch ab. – »Ein Kanker! EinKanker! 1 ich bin des Todes!« – Gleichwohl hatte sie noch die Kraft, den Stuhl wegzurücken, und sich aufs nahe Bette fallen zu lassen. – »Um Gotteswillen, mein englisches Gustelchen! – Um Gotteswillen, holen Sie ihn heraus!« –

»Wo denn?« – sagte ich erschrocken und drehte mich herum – »Hier! Hier!« – indem sie auf etwas zeigte, das einen Busen [137] vorstellen sollte – »Hier! Hier! – Um Gotteswillen holen Sie ihn heraus! Er läuft mir am ganzen Leibe hinunter!« –

»Lassen Sie doch sehen, Mamsell Julchen!« – fuhr ich fort – »Ob ich ihn erwischen kann.« –

»Ja, ja, um Gotteswillen! holen Sie ihn heraus!« – indem sie am ganzen Leibe zu zittern schien.

Ich sing an zu rekognosciren, als sie mich mit beyden Armen an sich zog. – »Hier! hier!« – sagte sie, und ich merkte, wo die Spinne saß. – »Damit kann ich Ihnen nicht dienen!« – wollte ich eben antworten, und hätte die Wahrheit gesagt, als jemand heftig an die Thüre klopfte. Kaum hatte die Dame Zeit, sich aufzuraffen, als der Junker hineintrat.

»Zünde doch Licht an, Gustel!« – sagte er ernsthaft. – »Ich habe vorne eine Stunde [138] geklopft. – Gute Nacht, Mamsell Julchen!« – indem er uns verließ.

»Herr Jesus, mein englisches Gustelchen, der gnädige Herr Junker. Wenn Sie nur keinen Verdruß haben, um meinetwillen! Herr Jemine! Wo ist denn mein Halstuch! – Der verdammte Kanker! Er ist mir sicher in den Leib gekrochen, ich fühle es. – Nun gehn Sie nur heute, mein gutes liebes Gustelchen! Es wird sich schon ein andermal schicken! Morgen oder Uebermorgen! Wir wollen schon sehen, daß wir ihn herauskriegen« – indem sie mir die Hand drückte und die Wange küßte.

Ich nahm mein Licht, und eilte dem Junker nach.

Fußnoten

1 Kanker ist ein Provinzialism für Spinne.

6. Capitel: Ach!
Sechstes Capitel.
Ach!

»Was Teufel, was machst du denn bey dem alten Gescheuche?« – sagte der Junker, und wollte vor Lachen bersten. – »Du hast dich wohl gar in sie verliebt?« –

»In die?« – indem ich eine Mine machte, als ob ich Rhabarber eingenommen hätte.

»Nun, da hab ich mir etwas besseres ausgelesen« – fuhr er fort. – »O wenn du sie sehen solltest, es ist ein himmlisches Mädchen, Gustel!« –

Ich dachte in die Erde zu sinken. Aber die Neugierde überwand mein Schrecken, und [140] ich fragte ihn hastig: Wen denn, gnädiger Herr?

»Ach!« – fuhr er begeistert fort – »das schönste Mädchen in der Stadt, die Baronesse V. – Ich habe sie heute zum erstenmal gesehn, und mein Herz ist hin! Ja Gustel! Wenn du sie sehen solltest! Es ist eine göttliche Figur! Und ihr sanftes zärtliches Auge! Und ihr holdes bezauberndes Lächeln! als ich sie anredete. – Sie antwortete mir so freundlich. – O Gustel, wenn mich das Mädchen liebte – ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt!«

»Und ich der unglücklichste« – sagte ich mit stiller Wehmuth zu mir selbst. – »Das ist ja vortrefflich!« – fuhr ich fort – »Das kann nicht fehlen! Der gnädige Junker sind ja so schön, so liebenswürdig!« – Ich sagte das aus der Fülle meines Herzens, und er mußte fühlen, daß es die Wahrheit war.

[141] »Siehst du, wenn das geschieht, lieber Gustel« – fuhr er fort – »so schenke ich dir zehn Thaler. – O Gott, wenn ich das Glück hätte! Wenn das himmlische Mädchen mein würde!« – Hier fing er eine italiänische Arie an, und ergriff meine beyden Hände – »Meinst du wirklich, Gustel, daß sie mich lieben könnte?« –

»Gewiß, gnädiger Herr! Wenn ich ein Mädchen wäre!« – indem ich über und über erröthete. – »Aber, wenn ich sie nur erst kenne, dann will ich« –

»Höre, Ja! – die Kammerjungfer! – Das wäre ein Einfall! Ich habe ja immer gehört, daß das Beste ist« –

»Aber wie bekomme ich sie denn zu sehen?« –

»Morgen fährt sie mit den Aeltern nach T. – das hat sie mir im Concert gesagt, und wir reiten nach.«

[142] »Schön!« – antwortete ich mit ersticktem Schmerze, kleidete ihn aus, und überließ ihn seinem Entzücken.

7. Capitel: Mädchengedanken
Siebentes Capitel.
Mädchengedanken.

»Ach Gott!« – rief ich aus – »so ist alles verloren!« – Ich vergaß, wen ich vorstellte, und dachte blos an mein Geschlecht. Meine Eifersucht machte mich wüthend, und ich hätte die Fräulein umbringen können.

Allmählig wurde ich wehmüthiger. Ich fing an, mich selbst zu beklagen, und meine Thränen erleichterten mich. – »Du bist ungerecht!« – sagte ich zu mir selbst. – »Was [143] kannst du fordern? Was kannst du erwarten? Bald machte ich den chimärischen Plan, mich zu entdecken.« – »Ich könnte meine Verkleidung behalten« – fuhr ich fort – »und dennoch seine Geliebte seyn!« – Eine Menge schwärmerischer Hoffnungen dämmerte nunmehr in meiner Seele auf. – »Er würde mich um so inniger lieben« – setzte ich hinzu. – »Seine Freundschaft bedürfte nur diese Entdeckung! Meine Reize würden ihn für alles entschädigen – Ich wollte mich ihm völlig hingeben – ich wäre gewiß, über die Fräulein zu triumphiren.« –

Aber kaum hatte ich diese süßen Träume bis ans Ende verfolgt, als mich die Furcht wieder zurückrief. – »Wie aber? wenn ihn dieses Geständniß erzürnte? Wenn dein Name, dein Schicksal auf einmal bekannt würde? Wenn du deine Ehre, deinen Ruf auf immer verlörest, oder dein Vater dich zurückforderte? [144] Wenn du dich auf ewig von deinem Geliebten trennen müßtest?« –

»Nein!« – fuhr ich fort – »lieber leiden, und nur bey ihm seyn. – Ich will meine Stelle behaupten, ich will ihn noch inniger an mich fesseln. – Ich werde sein beständiger Vertrauter seyn, ich werde seine Leidenschaften lenken können, wie es mir gut dünket – vielleicht – vielleicht.« –

Hier verlor ich mich in entfernte, ungewisse, unbestimmte Hoffnungen, die ein unerfahrnes Herz nur zu sehr täuschen. Ich fühlte mich ruhiger und standhafter; denn ich hatte mich im voraus überzeugt, daß die Fräulein wenigstens nicht schöner seyn könnte; und an diese Gewißheit knüpften sich alle meine Ideen an.

Die Grundlage aller weiblichen Empfindungen ist doch immer die Eitelkeit, und der Schmerz über eine Nebenbuhlerin wird minder [145] durch den Verlust des Geliebten, als durch das Gefühl erregt, sie vorgezogen zu sehen.

8. Capitel: Was krieg ich
Achtes Capitel.
Was krieg ich?

Wir sprengten en Parade durch die Hauptallee hinein, und fanden alle Fenster mit Herren und Damen besetzt. – »Wenn ich dich rufe:« – sagte der Junker heimlich, als ich ihm das Pferd abnahm – »so gieb nur Acht, bey welcher ich sitze.« – Ich seufzte, übergab die Pferde dem Hausknecht, und ging in die untere Stube.

Ich hatte ein neues Collet von Scharlach mit Goldtressen an; mein voller üppiger Bau, mein blühendes Gesicht, meine schwarzen Augen, – [146] alles zog die Blicke der Weiber auf mich. Die Wirthin nahm mich freundlich bey der Hand, und führte mich an ein kleines Tischchen, wo noch ein Stuhl stand. – »Wollen Sie Kaffee haben, Monsieur Jokey?« – indem sie an ihr Mieder griff, und mit ihren Röcken hin und her schwänzelte. – Indem ich »Ja« sagte, setzte sich noch ein Frauenzimmer zu mir, und grüßte mich sehr zuvorkommend.

»Schon lange hier?« – sagte sie mit einem sehr zärtlichen Lächeln, nahm der Wirthin den Kaffee ab, und fing an mir einzuschenken.

»Seit Michaelis« – gab ich bescheiden aber ernsthaft zur Antwort.

»Ach bey dem Herrn Grafen v.M.« –

Ich merkte die Falle nicht, und antwortete ganz treuherzig: – »Nein, bey dem Baron N. – Cornet unter der Garde!«

[147] »Ach jetzt besinne ich mich, bey dem scharmanten jungen Herrn in der langen Gasse!« –

»Kennen Sie ihn denn?«

»Ich kenne ihn nicht, aber ich habe von ihm sprechen hören!« –

»Wo denn das, wenn ich fragen darf?« –

»In einem gewissen Hause, wo ich platten war!« –

»Nun was sagte man denn von ihm?« – fragte ich äußerst neugierig weiter! –

»Sie examiniren mich ja ordentlich!« – gab sie zur Antwort, und legte mir einen Zwieback auf die Tasse!

»Ich meynte nur so, liebe Mamsell! – Weil ich einmal die Ehre habe, mit Ihnen zu sprechen.« –

Sie sah mir mit ihren blauen Augen so starr ins Gesichte, daß ich die meinigen niederschlug.

[148] »Nun sehn Sie!« – fuhr sie fort – »Es ist gar viel von ihm gesprochen worden. – Ja, wenn er's wüßte –Was krieg' ich, wenn ich's Ihnen sage?« –

In dem Augenblicke kam die Wirthin herein. – »Sie sollen zum Herrn Cornet hinaufkommen, Herr Jokey. Rechts an der Thüre der große Tisch mit den vielen Herrschaften« –

Ich sprang fort, und mit zehn Schritten die Treppe hinauf.

9. Capitel: Das ist sie!
Neuntes Capitel.
Das ist sie!

Ich trat in den Saal; die Menge von Herren und Damen setzte mich in Verlegenheit, [149] und ich wurde über und über roth. Gleichwohl bemerkte ich, daß mich die nächsten mit Wohlgefallen betrachteten; ja ich hörte sogar, daß eine alte Dame sagte: – »ah mon Dieu! le beau garçon!« –

Ziemlich dreiste ging ich nun zum Tische, wo der Junker saß, und mein Auge fiel auf seine Nachbarin. – »Hast du nicht mein Etui bey dir?« – sagte er abgeredetermaßen, und winkte mir mit den Augen. Ach! er hatte das nicht nöthig. Ich hatte sie längst bemerkt, sie war wirklich so schön, als Ich, aber ihre Augen waren matter, und schienen eine sanfte Schwermuth zu verrathen. Sie sah mich an, und lächelte.

»Das ist sie!« dachte ich. – Ach die Glückliche! Hättest du ihre Kleider und ihren Reichthum, was würde dir fehlen! – Indessen fiel mir das Mädchen in der Stube ein. – »Gnädiger Herr!« – sagte ich –[150] »Wenn Sie erlauben« – er verstund mich, und ging ans Fenster.

»Nun? – nicht wahrt? das ist ein Engel?« – »O, zum Entzücken! – Aber hören Sie, gnädiger Herr! Es ist von Ihnen gesprochen worden.« –

»Wer? Wo? Wie weißt du das?« –

»Unten habe ich ein Mädchen kennen lernen, und da sind wir darauf gekommen.« –

»Nun was denn? Ist sie vielleicht aus dem Hause?« –

»Das will ich eben hören. – Aber sie will was haben; und ich habe nur einen Gulden!« –

»Da gieb ihr den Thaler, und mache daß du hinunter kommst? – Aber gieb ihn nicht eher, bis sie gesagt hat Wo? – Verstehst du, Gustel? Und laß dir nichts abgeben! Sie haben guten Kuchen! – Nun lauf!« –

[151] Ich eilte durch den Saal, und lachte innerlich über die gnädigen Blicke de schönen Damen. Als ich herunter kam, fand ich meine Nachbarin freundlicher als vorher.

10. Capitel: Das will ich haben!
Zehntes Capitel.
Das will ich haben!

»Sie sind ja recht lange gewesen!« – sagte sie zärtlich.

»Ich mußte dem Herrn einen andern Zopf machen. Aber!« – fuhr ich fort – »Sie wollten mir ja was sagen?« –

»Ja, aber was krieg' ich dafür?« –

»Nun – sagen Sie's nur – wir wollen schon einig werden!« – wobey ich das Geld klingen ließ.

[152] »Das will ich dafür haben!« – indem sie sich zu mir beugte, und mich küßte. Sie mochte es wohl dreimal gethan haben, ehe ich ihr abwehrte.

»Nun! – so lassen Sie auch hören.« –

»Sehen Sie, Liebchen!« sagte sie äusserst vergnügt – »ich war platten bey Canzlers, nicht bey Vicecanzlers, sondern bey B.« – da waren wir in der großen Stube; denn es ist da viel besser, man hat mehr Platz zur Arbeit – und bey den langen Tagen – Nun da waren die beyden Fräulein, und die Mama auch da. Die Fräulein Gustchen saß am Fenster und guckte beständig hinaus. – »Ey ey!« – sagte die Mutter – »da wird nicht viel fertig werden, Gustchen – sie nähte nämlich an ein paar Manschetten, die der Papa zu Weyhnachten bekommen sollte.« – »Ih!« – sagte die Fräulein Rickchen spöttisch – Sie wird wohl nach gewissen Leuten [153] sehen, es ist gut, daß man's Rothe auch in der Dämmerung erkennen kann. Fräulein Gustchen antwortete nichts, aber sie wurde über und über roth.

»Du brauchst nur nicht so satyrisch zu seyn« – sagte die Mutter zu Fräulein Rickchen. – »So schnell geht's nicht! Nicht wahr, Gustchen?« – denn die Fräulein ist ihre Favorite.

»Gewiß nicht, liebe Mama!«

»Aber vorgestern« – fiel Rickchen ein – »da konntest du doch kaum fortkommen, als Er mit dir sprach.«

»Er war so höflich, und er sprach so gut, daß ich ihm mit Vergnügen zuhörte.« –

»Freylich hübschen Leuten – Und die Uniform sitzt ihm wie angegossen. – Nicht wahr, Gustchen?«

[154] »Rickchen! Rickchen!« – sagte die Mutter – »Deine Zeit wird auch kommen! Warte nur!« –

»Ach nein, liebe Mama!« – gab sie mit einem komisch-satyrischen Tone zur Antwort – »Wenn ich den Herrn Cornet von N. – nicht kriegen kann, so sterbe ich!« –

»Wir mußten alle zu lachen anfangen, denn es klang gar zu kurios. Fräulein Gustchen schien sich indessen darüber zu ärgern, und sagte in demselben Tone: da hast du auch recht, Schwesterchen, denn es ist doch ein allerliebster Junge!« – Indessen trat der alte Papa herein, und sie fuhren bald nachher in die Oper.

»Nun!« – sagte meine freundliche Nachbarin – »Wenn Sie das Ihrem Herrn erzählen, so setzt es gewiß was Schönes. So ein paar Füchschen! Wenn Sie mich einmal besuchen wollen,« – fuhr sie vertraulich [155] fort – »Ich wohne gleich in dem andern Gäßchen von Ihrem Hause! Links das kleine rothe Haus zwey Treppen! Sie müssen aber hübsch zeitig kommen – alle Abende um sechs bin ich wieder zu Hause.«

Mit diesen Worten stand sie auf, drückte mir noch einmal die Hand, und ging fort. – »Du bist mir die rechte!« – sagte ein alter dicker Herr in einem Roquelor – »Es sind verliebte Kröten, die Mädchen.«

11. Capitel: Begeisterung
Eilftes Capitel.
Begeisterung

»Nicht wahr? Sie liebt mich?« – sagte der Junker, als ich ihm alles erzählt hatte. – »Sie liebt mich! – Ich bin der glücklichste [156] Mensch von der Welt! – Nicht wahr, es ist ein Engel?« – fuhr er fort – »Es ist unmöglich, etwas Schöneres zu sehen!« –

Ich bejahte es, so sehr mein Herz dabey litt. – »Er ist glücklich!« – dachte ich – »das muß dich für dein Unglück trösten.«

Unter diesen Gesprächen waren wir nach Hause gekommen. – »Gustel!« – sagte er – »Ich habe keine Ruhe, bis ich es aus ihrem Munde gehört habe! – Und sollte es mein Leben kosten, ich gäb es mit Freuden für diese Gewißheit hin. – Sie war diesen Nachmittag beobachtet, sie sprach wenig.« –

»Ich weiß nicht« – sagte ich – »aber sie kam mir so schwermüthig vor.« –

»Meynst du? Vielleicht hat sie einen geheimen Gram!« –

»Vielleicht um Sie, gnädiger Herr!« – indem ich unwillkührlich aus meinem Herzen sprach.

[157] »Um mich?« – Er sah mich starr an – »Um mich? – Wie verstehst du das?« –

»Sie weiß vielleicht nicht, daß Sie sie so zärtlich lieben, und sie zweifelt?« –

»Sie zweifelt! O ich will ihr es tausendmal wiederholen! Süße himmlische Auguste!« – fuhr er begeistert fort – »Ja du sollst es von meinen Lippen hören! Zu ihren Füßen will ich mich niederwerfen: Auguste, ich liebe dich!« –

Er war außer sich; ich fühlte mich so beengt, daß mir die Thränen in die Augen traten. – »Ach mein bester gnädiger Herr!« – sagte ich mit der innigsten Theilnahme – »Wer sollte Sie nicht lieben! – Ich bin gewiß, Fräulein Auguste denkt seit dem ersten Augenblicke mit Zärtlichkeit an Sie!« – Ach! ich sprach nicht von Fräulein Auguste, ich sprach von mir selbst, meine Stimme zitterte, [158] mein Herz klopfte hörbar, und meine Thränen flossen.

»Guter Gustel!« – sagte er gerührt – »Ich weiß, du meynst es redlich mit mir. Aber ich will dich auch gewiß nicht vergessen. – Hier mein guter Junge« – fuhr er fort – »hier hast du einen Dukaten! Du bist so schwermüthig, mache dich einmal recht lustig! Suche deine kleine Blondine auf! Vielleicht kannst du noch mehr erfahren! Hörst du, Gustel? Sie hat dich ja überdem gebeten.« –

»Ja, das will ich!« – gab ich mit erzwungener Fröhlichkeit zur Antwort, und verließ ihn, um mich auszuweinen.

12. Capitel: Du kannst besser dazu!
[159] Zwölftes Capitel.
Du kannst besser dazu!

»Ih guten Abend!« – sagte sie freundlich, denn ich war hingegangen – »Sie wollen mir wohl ihr Füchschen zeigen, das Sie für die Nachricht bekommen haben?« –

»Ein Füchschen nicht!« – gab ich zur Antwort – »aber ich habe sonst gutes Silbergeld!« –

»Es ist alles rund!« – sagte sie lustig – »Nun so setzen Sie sich, mein schöner Herr!« – indem sie mich sanft auf ein Kanape drückte. Sie ging hinaus. Ich fand ihr Zimmerchen sehr nett aufgeputzt; besonders[160] gefielen wir einige Kupferstiche, ob sie mir gleich das Blut in die Wangen jagten.

»Wo haben Sie denn die artigen Bilder her?« – indeß sie wieder mit einer Flasche Wein und einem Teller Gebackenen hineinkam.

»Gefallen sie Ihnen denn? – Ach ich habe noch gar andere!« –

»Wo denn?« – fragte ich etwas beschämt.

»Warten Sie nur, Sie sollen sie schon zu sehen kriegen« – indem sie sich zu mir setzte, und das Tischchen näher schob.

»Nun, der gnädige Herr soll leben!« – wobey sie mir ein volles Glas einschenkte.

»Ja das soll er! – und hier schickt er Ihnen auch etwas!« – Ich zog den Speciesthaler heraus, und legte ihn auf ihr Glas.

»Der allerliebste scharmante Herr!« – indem sie mich umarmte – »Ich möchte [161] ihn den Augenblick küssen – sehn Sie. – Du lieber Junge!« – fuhr sie fort – »da! da! da!« – und ihre Küsse verdoppelten sich. – »Ich wüßte nicht, was ich für dich thäte! Du bist gar zu hübsch!« –

Es fing mir an, allmählich warm zu werden. – »Sie meynts doch gar zu gut« – dachte ich. – »Nun so erzählen Sie mir doch etwas Hübsches« – sagte ich. – »Aber du trinkst ja gar nicht, Engelchen?« – indem sie ein großes Glas ausleerte. – »Daß dich!« – fuhr sie fort – »da ist's mir herein gelaufen!« – Sie nahm ihr Halstuch ab, und that, als ob sie sich abwischte. – »Hilf mir doch ein bischen, Herzensjunge! du kannst besser dazu!«

Ich nahm das Tuch, und fing an abzuwischen. – »Ach!« – sagte sie schmachtend – »Nimm lieber deine Händchen, die sind [162] so warm und so weich!« – Indessen griff sie nach dem Lichte, und putzte es glücklich aus.

13. Capitel: Das Bildchen
Dreyzehntes Kapitel.
Das Bildchen.

»Mein süßer Junge!« – sagte sie stammelnd, und zog mich mit sich auf das Bette nieder. – »Was soll das werden?« – dachte ich – »Sie wird doch nicht denPips bekommen?« – Ihre Arme umschlungen mich fester; ihre Küsse wurden glühender, und ich fühlte mich auf einem Punkte angegriffen, wo ich gerade am schwächsten war. – »Lassen Sie mich ein wenig zu Athem kommen!« – sagte ich – »Ich ersticke!« –

[163] »Ich will dir ein allerliebstes Bildchen zeigen!« – fuhr sie fort, und erneuerte ihre zärtlichen Liebkosungen.

»Hier im Finstern?« – sagte ich lachend, denn die ganze Scene war äußerst komisch für mich.

»Hier im Finstern?« – indem sie mir nachspottete – »und du sollst noch obendrein die Aeugelchen zumachen!« –

»Das möcht' ich doch sehen!« – sagte ich. – Sie antwortete nichts; aber ich fühlte mich heftig an ihren Busen gezogen; ihre Kleider schienen sich zu verwirren; ihre Angriffe auf die meinigen wurden heftiger. Ich war gefesselt, ich wußte nicht wie. – Jetzt wird's Ernst – dachte ich – und riß mich mit der äußersten Gewalt von ihr los. Sie ließ es geschehen, und sagte wehmüthig: – »Du hast mich zum besten, kleiner Stolzer!« – Ich schwieg, sie richtete sich auf,[164] und griff nach dem Lichte. – »Lassen Sie mich anzünden, Liebe!« – denn im Ofen war Feuer.

Sie brachte ihre Kleider in Ordnung, und schien äußerst betrübt. – »Wollen Sie nicht zulangen?« – sagte sie leis und zitternd, und sahe mich von der Seite an. – Sie dauerte mich, denn ich fand wirklich, daß sie es gut mit mir meynte.

»Sie loses Kind!« – fuhr sie nach einer Pause fort – »Sie können einem schon warm machen! – Aber sagen Sie mir einmal, Sie kleiner Schelm! haben Sie denn das Bildchen in Ihrem Leben noch nicht gesehen?« –

»Was denn für ein Bildchen?« –

»Ih das kleine allerliebste Bildchen, das ich Ihnen eben zeigen wollte?« –

»Ach wovon Sie sagen, daß ich's auch im Finstern sehen könnte!« –

[165] »Und mit zugemachten Augen obendrein!« –

»Nun so was habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! das muß ja ein kuriöses Bildchen seyn! Können Sie mir's nicht ein bischen beschreiben?«

»Nicht recht gut! – 's ist am besten, Sie besehen sichs selbst!« –

»Aber so ungefähr? doch wenigstens wie's aus sieht?« –

»'S sieht aus wie eine Himmelstreppe, wenn Sie die einmal gesehen haben.« –

»Nein, die Conchylie ist mir noch nicht vorgekommen!«

Sie war im Begriff, mir's näher zu beschreiben, als jemand an die Thüre pochte. – »Mach' doch auf, Jettchett!« – sagte eine männliche Stimme. – »Mit wem sprichst du denn?« – »Mit mir selbst« – gab sie zur Antwort. – »Herr Jesus! – [166] Ich bin des Todes! Stecken Sie sich unter das Bette« – indem sie meinen Hut mit Wein und Backwerk in eine Komode schloß.

Ich kroch zitternd hinunter; zum Glücke gingen die Gardinen bis auf den Boden.

14. Capitel: Das Kleidchen
Vierzehntes Capitel.
Das Kleidchen.

Es war ein Herr in einem blauen Ueberrocke, mit einer schneeweißen Frisur. Er ging etwas gichtbrüchig, und schien überhaupt nicht mehr der jüngste zu seyn.

»Nun wie gehts, Jettchen?« – sagte er freundlich, und legte ihr seine Hand auf den Schooß.

[167] »So, so, gnäd'ger Herr. Die Abende werden mir ein bischen lang.« –

»Hast du nichts zu lesen?« –

»Die Bücher kosten Geld.« –

»Hm – warum sagst du's denn nicht? – Hier« – indem er ihr einige Goldstücke gab – »Hier hast du was! – du mußt mir alles sagen!« –

»Hat denn der Schneider dein Kleid gebracht?« – indem er sie küßte.

»Nun wie steht dir's denn? – Probier es doch einmal an, daß ich's sehe!« – indem er sie umarmte, und zwey versiegelte Flaschen nebst einem Packete herauszog. – »Hier, das ist ächter Alicante!« – ich habe ihn erst gestern mit dem Schiffe bekommen. – Gieb doch Gläser her. –

Er schenkte ein, und mir lief der Mund voll Wasser. – »Nicht wahr?« – fuhr er nach einer Pause fort – »das vertreibt die [168] Grillen? – Nun zieh an, Kind! du weißt ja, daß ich das gerne sehe!« –

Jettchen war ungeschnürt, und warf ihr Corsettchen ab. – Er zog sie zu sich, und küßte sie auf den Busen. – »Was du gewachsen bist, Mädchen!« – indem er sie mit Wohlgefallen umarmte – »Wenn ich mir meine Frau vorstelle!« –

»Ih so lassen Sie's doch nur gut seyn, gnädger Herr!« – sagte Jettchen verschämt, und zog das Kleid an. – »Scharmant!« – sagte er – »Nun küsse mich auch dafür! – Ih du Blitzmädchen! – Au weh mein Gichtknoten!« – Ich dachte, ich sollte überlaut lachen, da ich die ganze Pantomime gesehen hatte. – »Komm, trinke du kleines Närrchen, und zieh dich wieder aus! – Verstehst du mich!« –

Ha! dachte ich, jetzt wird sie ihm wohl das Bildchen zeigen, daß wie eine Himmelstreppe [169] aussieht – und wirklich nahm er auch sein Perspektiv heraus. Allein sie behauptete, daß es heute nicht anginge, und er mußte sich's gefallen lassen.

»Nun so erzähle mir was, Jettchen!« – indem er die Gläser füllte, und aus dem Packet einen Fasan herausnahm.

»Gut! ich habe vorige Woche ein recht luftiges Geschichtchen gelesen.« –

»Wie heißt's denn?« –

»Der Vicemann!« –

»Hoho! warum nicht lieber die Vicefrau!« – indem er sich in seinem Dosenspiegel besah.

»Nein, der Vicemann!« – »Ey zum Henker!« – dachte ich, als sie ihre Erzählung anfing – »Mit deinem Vice! – und ich möchte ersticken!« –

15. Capitel: Der Vicemann
[170] Funfzehntes Capitel.
Der Vicemann.

Eine junge Bauersfrau hatte mit ihrer Mutter eine Reise von vierzig Meilen gemacht, um eine Erbschaft abzuholen. Sie mußten bey dem Testamentsvollzieher logiren, erfuhren aber sogleich, daß sie ohne ihren Mann nicht bezahlt werden könnten. Die Alte war schlau genug, ihre Verlegenheit zu verbergen, und versprach, ihren Schwiegersohn aus dem nächsten Wirthshause zu holen.

Was war zu thun? Eine Reise von vierzig Meilen ist keine Kleinigkeit, und überdem konnte der Mann nicht abkommen. Sie [171] besannen sich endlich auf einen Bekannten, der sie begleitet hatte, und beschlossen, ihn ohne Umstände für den Mann auszugeben.

Der Testamentsvollstrecker empfing ihn sehr freundlich; aber da es zu spät war, wurde die Sache bis morgen verschoben. Die guten Weiber glaubten nun alles gewonnen zu haben, und ließen sichs mit ihrem Vicemann des Abends vortrefflich schmecken. Gegen das Ende der Mahlzeit nahm dieser den Wirth auf die Seite. »Hören Sie!« – sagte er – »Ich bin recht übel daran. Meine Frau ist ein scharmantes Weibchen – aber wenn sie ihren Kopf aufsetzt – Sie verstehen mich – können Sie's glauben – acht Tage hat sie mich schmachten lassen.« »Seyn Sie unbesorgt« – gab ihm dieser zur Antwort – »Sie sollen nur ein Bette kriegen!« –

Man steht auf, sie werden in die Schlafkammer gebracht – Mutter und Tochter sehen [172] sich an, aber der Vicemann nöthigt sie, sich zu trennen, so sehr sie auch husten und winken.

Als alle Zeugen entfernt waren, überhäufte ihn das junge Weib mit Vorwürfen. »Schätzchen!« – sagte er – »entweder – oder! Ich bin die Nacht dein Mann, oder den Augenblick weiß der Herr alles.«

Was war zu machen? Sollte sie eine gute Erbschaft verlieren? Sollte sie sich als eine Betrügerin bestrafen lassen? – »Gretchen!« – rief die Mutter, die es durch die Breterwand mit gehört hatte – »Besinn dich nicht lange! Man kriegt ja keinen Bart davon!«

»Nun, wenns nicht anders ist!« – gab sie zur Antwort – »so muß ich in den sauern Apfel beißen.« –

»Und dann et caetera« – fiel der Herr im blauen Rocke ein. – »Er wird wohl nicht [173] so sauer gewesen seyn? Nicht wahr, Jettchen?« –

»Ich weiß es nicht!« – gab sie lächelnd zur Antwort. – »O wenn er sich doch packte!« – dachte ich, denn ich konnte es beynahe nicht mehr aushalten. In dem Augenblicke ergriff er den Hut, und sagte gute Nacht. – Sie wollte wieder anfangen, wo sie es gelassen hatte; aber ich war der Sache überdrüssig, und wartete kaum einige Minuten. – »In dieser Welt sollst du mich nicht wieder zu sehen kriegen!« dachte ich, und eilte nach Hause.

16. Capitel: Die Wespe
[174] Sechszehntes Capitel.
Die Wespe.

Der Junker schwamm in Seligkeit. Er hatte die Fräulein in der Oper gesehen, und sprach in lauter Dithyramben. So sehr ich ihn liebte, konnte ich mich doch nicht enthalten, sie zu hassen. – »O wenn du dich entdecken dürftest!« – dachte ich – »Welcher Triumph, sie vergessen zu sehen!« –

Ich erzählte ihm mein Abentheuer, und er lachte herzlich darüber. Ach! er wußte nicht, daß ich nur für ihn glühte, und er nährte das Feuer, ohne es zu ahnen. Ich bekam Erläuterungen, die mir völlig neu waren;[175] aber sie machten meine Neugierde nur noch größer.

Eines Nachmittags war er auf dem Sopha eingeschlafen. Ich trat in das Zimmer, und erblickte jene schöne Erscheinung, die ich das erstemal im Bade gesehen hatte. Tausend liebliche Erinnerungen flogen vor meinen Augen vorüber, aber die Gegenwart schien sie alle zu übertreffen.

Ich näherte mich ihm so leis als möglich; kaum wagte ich zu athmen. Welche reizende Fülle! Welche liebliche Mischung! Meine Augen verschlangen ihn! Eine süße Wollust schien meine Nerven zu durchbeben; aber ich fühlte dennoch, daß sie unvollkommen war.

Er lächelte, als ob er träumte; ich hätte ihn küssen mögen! Ich konnte mich nicht enthalten, mich über ihn hinzubeugen, und seinen Athem einzuhauchen. Aber mein Finger [176] bebte leis an dem seinigen hin, und er erwachte. – »Das ist ja eine infame Wespe!« – sagte ich, und wurde über und über roth. – »Stellen Sie sich vor, gnädiger Herr! sie wollte Ihnen zum Aermel hineinkriechen.« –

»O Gustel!« – sagte er zärtlich – »Ich habe von ihr geträumt! Ich fand sie allein, und wir küßten uns!« – Er wollte fortfahren, als ein anderer Offizier hereintrat, und meine Gegenwart überflüssig war.

Voll von dem schönen Ideale, welches ich eben gesehen hatte, erinnerte ich mich an alles, was Jettchen gethan und gesagt hatte. Meine Phantasie schuf Bilder zusammen, die ich erst lange nachher berichtigen konnte; aber meine Leidenschaft wurde nur desto heftiger.

Es ist mit der Liebe, wie mit einem Uhrwerke. Wenn es einmal aufgezogen ist, muß man es ablaufen lassen!

16. Capitel: Das Soupé
[177] Siebzehntes Capitel.
Das Soupé.

Der Junker war auf einen Ball gegangen, und ich saß bey meinen Büchern. Man klopft an die Thüre – »Herein!« – Es war niemand als Mamsell Julchen.

»Was bringen Sie mir denn Gutes?« – sagte ich verwundert.

»Ich wollte nur fragen, ob Sie ein Liebhaber von Vögeln wären, mein liebes Gustelchen?« –

»O ja! Gar stark! – Ich esse sie für mein Leben gern!« –

»Nun so geben Sie mir die Ehre, und kommen Sie ein bischen hinter. Ich habe [178] ein ganzes Dutzend Drosseln geschenkt bekommen. – Ein bischen Aepfelmuß dazu! Nicht wahr?« –

Meine Leckerhaftigkeit ließ sich nicht lange bitten. – »Gut! Liebe Mamsell Julchen! – – ich komme den Augenblick; ich will nur« –

»Nun so kommen Sie hübsch, ich will gleich Anstalt machen.« – Sie war äußerst vergnügt, und ich nahm meinen Leuchter und folgte ihr.

»Haben Sie nur einen kleinen Augenblick Geduld« – indem sie die Tiegel an ihrem Camin in Ordnung brachte. – »Ich will sie nur ein bischen aufbra ten. – Aber lassen Sie mich gehen, Sie kleiner Schelm, und kützeln Sie mich nicht.« – Es war mir nicht eingefallen. – »Nein! Nein!« – sagte ich – »seyn Sie unbesorgt bey ihren Vögeln, ich will Sie gar nicht stören!« –

[179] Sie war indessen äußerst geschäftig, und in kurzem stand alles auf dem Tische. –

»Ih Mamsell Julchen! Sie traktiren mich ja heute ganz entsetzlich!« – denn sie hatte noch Sardellen, Kuchen und dergleichen aufgesetzt.

»Darum ist auch mein Geburtstag heute!«

»Ihr Geburtstag? Ey da gratulire ich ganz gehorsamst! – Wie alt werden Sie denn?« –

Eine dümmere Frage hatte ich nicht thun können, aber ich wußte noch nicht, daß alte Jungfern mit jedem Jahre jünger werden.

»Fünf und zwanzig Jahr, mein liebes Gustelchen – aber kommen Sie, und essen Sie!« – indem sie das Gespräch zu wenden suchte.

18. Capitel: Das Vogelbeinchen
[180] Achtzehntes Capitel.
Das Vogelbeinchen.

Ich ließ mir das nicht zweymal sagen. – »Sie scheinen ein großer Freund von Vögeln zu seyn« – als sie mich so fleißig zulangen sah. –

»Ja wahrhaftig! Ich kann mich nicht satt daran essen!«

»Ey! Nun 's ist auch was Delikates.« –

»Das weiche zarte Fleisch! – 's ist ordentlich süße!« –

»Ja! Aber die Vögel müssen nur recht pflück seyn.« –

»Das ist wahr, wenn sie noch keine Federn haben, schmecken sie nach gar nichts.« –

[181] »Besonders die Sien!« –

»So? das habe ich noch nicht gewußt!« –

»Mit den Hähnen geht's noch immer an, denn die sind schon steifer, wenn sie auch noch klein sind.« –

»Das ist doch artig!« –

»Ja Sie könnens gleich an Ihrem Hähnchen sehen, sie haben alle einen größern Kopf. Was macht er denn?« –

»Er sitzt jetzt in der Mauser; ich habe ihm Möhrensaft gegeben.« –

»Nun, so langen Sie doch auch ein kleines Sardellchen zu« – fuhr sie fort, und die Gläser wurden fleißig geleert. Indessen sahe ich, daß ihr die Augen zufielen. – »Es wird mir so artig!« – sagte sie – »ich muß mich einen Augenblick aufs Bette legen. – Bleiben Sie nur immer sitzen, mein gutes Gustelchen!« –

[182] Sie ging in die Kammer, und ließ die Thüre offen, indeß ich bey meinen Geschäften blieb. Allein nach einer kleinen Pause hörte ich sie rufen. Ihre Stimme war schwach und zitternd; ich erschrack und flog zu ihr.

»Was wollen Sie denn, Mamsell Julchen? Fehlt Ihnen was?« –

»Ach Herr Gott!« – mit einem tiefen Seufzer – »Ich sterbe! – Ach Herr Jesus! das ist nicht auszuhalten.« –

»Aber was denn? Was thut Ihnen denn weh?«

»Ach das Vogelbeinchen! Ach Herr Jesus! Herr Jesus!« –

»Aber um Gotteswillen! wo steckts denn?«

»Ach mein englisches Gustelchen! Sehen Sie nur, ob Sie's finden können!«

»Aber liebe Mamsell Julchen! – Ich kann ja nicht dazu.« –

[183] »Probiren Sie's nur, es wird schon gehen.«

19. Capitel: Macht auf!
Neunzehntes Capitel.
Macht auf!

Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. – »Steckts Ihnen denn im Halse?« – fragte ich ängstlich.

»Freylich! – Sehn Sie nur, ob Sie's vollends hinunter stoßen können!«

»Aber du lieber Gott! wie denn?« –

»Ach Herr Jesus! – Haben Sie denn kein Instrumentchen bey sich? – Ach, ich ersticke! – Um Gotteswillen, machen Sie mir Luft! – Die Kleider! – Reissen Sie! – Ach!« –

[184] »Warten Sie! Warten Sie!« – sagte ich freudig – »Jetzt besinne ich mich. Ich will einen langen Draht mit einem Stöpsel nehmen!« –

»Ach Gott! wenn er nur lang und dick genug ist!« – Doch als ich ihn kaum hineingesteckt hatte, that sie auf einmal einen Seufzer. – »Ach Herr Jesus! er ist hinunter!« –

»Nun Gott sey ewig Lob und Dank! Was haben Sie mir für einen Schreck gemacht! Nun trinken Sie nur einen Schluck Wasser nach« –

»Seyn Sie viel tausendmal bedankt! – Ohne Sie wäre ich gestorben.« – Sie reichte mir die Hand, und drückte mich an sich. –

»Das muß vermuthlich von einem Hähnchen gewesen seyn,« – sagte ich – »weil sich's so gestemmt hat.« –

[185] »Aber ich bin so matt!« – fuhr sie fort –

»Sie haben sich auch recht abgeäschert!«

»Ach ich dachte immer, es sollte mein letztes seyn!«

»Mir war auch nicht wohl zu Muthe, das können Sie glauben!« –

»Aber wie er auch herunter war« –

»Ja der Draht mit dem Stöpsel ist das beste Mittel. Mein Vater hat es meiner Mutter auch einmal so gemacht, als sie eine Gräte heruntergeschluckt hatte.«

Wir wollten unser Gespräch fortsetzen, als auf einmal an der Thüre ein großer Lärmen entstand. – »Herr Jesus! – Was ist denn das?« – sagte Mamsell Julchen. – Macht auf! rief es draußen; ins drey Teufels Namen! Macht auf!

»Sehen Sie doch, liebes Gustelchen! Um Gotteswillen stehen Sie mir bey!« – Sie [186] sprang aus dem Bette, und ich schloß die Thüre auf.

20. Capitel: Das Hähnchen
Zwanzigstes Capitel.
Das Hähnchen.

Es war eine Bande Häscher, mit Gewehren und Laternen. Sie fingen laut zu lachen an. Ich warf die Augen auf Julchen, und sah sie in einem kalmankenen Unterrock, ohne Halstuch und Haube da stehen.

»Ist hier kein Spitzbube versteckt, der in das Haus gesprungen ist?« – sagte der Anführer.

»Ein Spitzbube? Nein, meine hochedeln Herren! Hier haben wir keine Spitzbuben!«

[187] »Das wird sich zeigen! Marsch! Licht her! Sucht die Kammern durch!« – Man suchte, und fand natürlich keine Maus.

»Wenn er noch kömmt!« – schrie der gebietrische Mann – »so wird's gleich gemeldet!« – Mit diesen Worten empfahlen sie sich, und ließen uns beyde in ziemlicher Verwirrung.

»Herr Jesus! – was werden die Leute denken?« – sagte Julchen, als sie sich in diesem verdächtigen Aufzuge sah – »Sie werden gar glauben« –

»Und wenn sie mich vollends operiren gesehen hätten!«

»Ich wäre des Todes gewesen! – So einen hübschen jungen Menschen – Und doch alles in Züchten und Ehren! – Ach die bösen verläumderischen Mäuler! die haben schon manches arme Mädchen um Ehre und Reputation gebracht!«

[188] »Ja, es ist eine böse Welt!«

»Aus einem Vogelbeinchen machen sie eine Gänsekeule, und aus einer Mücke einen Elephanten. Wie ich sage, hätten sie uns beyde beysammen gesehen, gleich hätte es geheißen« –

»Wie denn?«

»Ih!« – indem sie mir einen kleinen Schlag gab.

»Was denn? Ich verstehe Sie wahrhaftig nicht!«

»Als ob Sie« –

»Als ob ich Ihnen gut wäre?«

»Ach noch was besseres!«

»Als ob ich Ihnen ein Mäulchen gegeben hätte?«

»Ach das wäre noch nichts!«

»Nun da wüßt ich's doch wahrhaftig nicht.«

»Als ob Sie Ihr Hähnchen in den Bauer gesteckt hätten!«

[189] »Das hätten sie immer denken mögen!« – gab ich lustig zur Antwort – »Das thue ich alle Abende, damit er einschlafen kann.«

Ich dachte, sie wollte vor Lachen närrisch werden; allein es war spät, und ich sagte ihr gute Nacht.

Viertes Buch

1. Capitel: Geständnisse
Erstes Capitel.
Geständnisse.

Der Junker machte indessen immer mehr Fortschritte bey seiner Geliebten, und ihre Augen fingen an sich zu verstehen. Ich errieth es, denn ich kannte mein eignes Herz. Was war natürlicher? Die Liebe ist eine Erbkrankheit. Jederman muß sie bekommen, und eines steckt das andere damit an.

Allmählich war der Junker auch im Hause des Fräuleins vertrauter geworden; und die Aeltern sahen den Triumph ihrer Tochter mit Vergnügen. Sie kannten die Familie, die Reichthümer und dis glänzenden Aussichten [193] des Junkers zu gut, um diese Verbindung nicht zu wünschen. Er fand daher Gelegenheit genug, die Fräulein von seinen Empfindungen zu unterhalten, und in kurzem seines Glücks versichert zu seyn.

Von nun an konnte ich sie täglich sehen; denn meine Botschaften wurden häufiger. Sie behandelte mich indessen sehr gütig, ihre Zärtlichkeit schien auf alles überzugehen, was dem Junker angehörte. – »Mein lieber Gustel!« – pflegte sie zu sagen, wenn ich in ihr Zimmer trat – »Setzen Sie sich doch!« – Und unzähligemal mußte ich eine Tasse von ihrem Frühstück annehmen. Sie war so entzückt über die Briefe, die ich ihr brachte, daß sie sich oft in ihrer Freude vergaß und mir die Hände drückte.

Nichts hätte mich inniger rühren können. Es war meine Nebenbuhlerin, aber ich fing an, sie weniger zu hassen. Ihre Bescheidenheit, [194] ihre hinreißende Güte, ihre Unbefangenheit gewannen mein Herz, und meine natürliche Großmuth wurde bald geneigt, ihr Glück zu verzeihen.

Indessen war meine Phantasie doch unaufhörlich mit dem Junker beschäftigt. Ich brannte vor Sehnsucht, ihn in meine Arme zu schließen, und meine Wünsche wurden täglich dringender. Ach sie wurden ja unaufhörlich gereizt, und meine Augen konnten das süße Gift jeden Augenblick einsaugen.

So vergingen Tage und Monate, und jedes von uns sehnte sich nach der Entwickelung. Ihr Glück dämmerte schön in die Zukunft, aber ich streckte meine Arme vergebens nach einem Geliebten aus.

2. Capitel: Der Vorschlag
[195] Zweytes Capitel.
Der Vorschlag.

»Höre, Gustel!« – sagte der Junker – »Du mußt heute auf die Maskarade gehen!« –

»Wie Sie befehlen, gnädiger Herr! – aber« –

»Nun ich gebe dir's Geld darzu – das ist keine Frage. – Ich habe dir einen Plan – du hast viel Aehnlichkeit mit mir – du sollst dich als ein Türke anziehen. – Ich wollte das anfangs selbst, aber weil« –

»Sie gehen doch auch hinauf, gnädiger Herr?« – fragte ich mit unwillkührlicher Hastigkeit.

[196] »Freylich! aber in Domino. Das ist eben die Ursache. – Zu den andern habe ich gesagt, als ein Türke; aber sie sollen mich nicht kennen. Die Fräulein hat 's eben so gemacht.«

»Wie wird Sie denn gehen?« – fragte ich neugierig. –

»Als Pilgerin; die andern aber glauben, als Gärtnermädchen. Auf die Art ist man ungenirt.«

»Aber wo werde ich denn die Kleidung herkriegen?«

»Die ist schon bestellt, du brauchst sie nur zu holen.«

Der Vorschlag entzückte mich; ich hatte in meinem Leben noch keine Maskarade gesehen. – »Aber gnädiger Herr, wenn sie mich nun für Sie ansehen?« –

»Nun so läßt du sie dabey, und lachst sie heimlich aus! Mögen sie dir ein N oder ein [197] R in die Hände mahlen, nicke du nur, 's hat gar nichts zu bedeuten. Und wenn sie dir ja zu hart zusetzen, so laß sie stehn, und komm zu mir. Du darfst nur an die Agraffe sehn. Ich werde ein B. darin haben. Und überdem wirst du mich leicht an der Fräulein erkennen.« –

Ich war alles zufrieden, und konnte kaum den Abend erwarten. Endlich wurde es Zeit, sich anzuziehen. Der Türkenhabit schien für mich gemacht zu seyn, und war äußerst prächtig. Der Wagen fuhr vor; der Junker warf sich in sein Domino, wiederholte mir meine Rolle, und in wenig Minuten waren wir da.

3. Capitel: Die Maskarade
[198] Drittes Capitel.
Die Maskarade.

Die Flügelthüren öffneten sich, und ich stand da wie geblendet. Der prächtige Saal, der Glanz der Lichter, die bunte Mischung der Masken, die schimmernden Logen voll Zuschauer, die schallende fröhliche Tanzmusik – alles war neu für mich. Der Junker nahm mich unter den Arm, wir drängten uns durch den Haufen; er erkannte die Fräulein und verließ mich.

Anfangs war ich äußerst mit meiner Person verlegen. Ich glaubte, von Jedermann erkannt zu werden, und wagte mich nicht von [199] der Stelle. Mehrere Masken versammelten sich neben mir. Diese besahe mich, jene faßte mich bey dem Arm; einige schienen von mir zu sprechen; andere winkten mir; bald malten sie den falschen bald den rechten Buchstaben in meine Hand. Ich fing an Muth zu bekommen, und beschloß umher zu gehen.

Meine Figur schien Aufsehen zu machen; auch darf ich dreist behaupten, sie verdiente es. Ich war zum Entzücken gebaut, man sagte es laut um mich. Mehrere männliche Masken sahen mich für den Junker an, und grüßten mich, und an mehrern Orten hörte ich die Damen sich zuflüstern: Der allerliebste Junge! Es ist der Cornet von N.

Ich wurde immer beherzter, und trat jetzt zu den Tanzenden. Der Junker und die Pilgerin walzten gerade vor mir vorbey. Er stieß mich sanft mit dem Fuße an, und sagte ihr etwas ins Ohr. Als sie fertig waren,[200] kam er einen Augenblick zu mir, und drückte mir einen Gulden in die Hand. – »Die Fräulein schickt dir's!« – sagte er – »du sollst dir die Zeit beym Büffet vertreiben.«

Sie verschwanden sogleich in dem Haufen, und ich merkte, daß ihnen eine Maske in Bauertracht auf dem Fuße nachfolgte. Es war dieselbe, die mich lange begleitet hatte. Es fiel mir auf, aber ich war beym Büffet, und dachte nicht weiter daran.

4. Capitel: Die Einladung
Viertes Capitel.
Die Einladung.

Ich trank so eben mein letztes Glas Orgeade aus, als mich jemand sanft beym Arme faßte. Als ich mich umdrehte, sahe ich eine Schäferin, [201] die mir ein kleines Zettelchen in die Hand drückte. Ich nahm es, und sie verschwand.

»Was ist denn das?« – sagte ich, eröffnete es, und fand einige Zeilen mit Bleistift geschrieben: – »Kommen Sie in das Nebenzimmer! Eine Ihrer Freundinnen erwartet Sie« – Sie betrügt sich, dachte ich, aber meine Neugierde und meine Eitelkeit ließen mich nicht lange wählen.

»Liebster N–« – sagte sie, als ich hineintrat – »endlich kann ich Sie einmal sprechen. Durch G–« – so hieß der Maskenvermiether – »habe ich Ihren Anzug erfahren. – Ich weiß, Sie verzeihen meiner Liebe. – Wir haben uns oft gesehen; aber meine Verhältnisse« –

Ich war boshaft genug, mich sanft zu verbeugen, und ihre Hand zu drücken.

[202] »Sie verstehen mich, mein süßer Freund! – Sie haben Mitleid mit mir – Sie kennen meine Lage – Wenn Sie meine Empfindungen theilen, so entziehen Sie mir nicht den Trost« – –

Sie fing an mich zu interessiren, ich führte ihre Hand zu meinen Lippen, und sie drückte sie heftig dagegen.

»Ich bin ein unglückliches Weib!« – fuhr sie fort – »Aber vielleicht sollte mir's dennoch gelingen, einen Freund« – –

Sie brach ab und seufzte. Ihr schöner Busen hob sich sichtbar, und ihr Arm sank auf den meinigen.

»Rechnen Sie ganz auf mich, meine Gnädige!« – sagte ich mit verstellter Stimme, ohne an meine Unvorsichtigkeit zu denken, und mit geheimer Freude eine Nebenbuhlerin zum besten zu haben.

[203] »Aber wir sind hier genirt!« – fuhr sie fort, und drückte mir die Hand mit Inbrunst – »Ich habe den Schlüssel zu einem kleinen Cabinette auf dem andern Flügel! – Ich würde Ihnen vorschlagen« –

»Lassen Sie uns eilen, meine Gnädige!« – sagte ich meiner Rolle gemäß; denn der Punsch hatte mich unternehmend gemacht – »Aber man kennt meine Maske!« – »Warten Sie!« – antwortete sie freudig – »Ich werde Ihnen sogleich ein Domino schicken!« –

Ich sah, daß es eine Dame von Stande seyn mußte, weil sie über Cabinetter und Nebenzimmer disponiren konnte. Auch erinnerte ich mich gehört zu haben, daß die vornehmen Damen sehr aufrichtig wären. – Alles das schmeichelte meine Eitelkeit. – »Ich will doch sehen, was da herauskommen wird!« – dachte ich. In dem Augenblick brachte mir ein Knabe ein Domino mit Zubehör; [204] ich warf es über, gab ihm meinen Turban, und folgte ihm.

5. Capitel: Feuer!
Fünftes Capitel.
Feuer!

Ich trat hinein. Sie saß auf einem Sopha, vor dem ein Tischchen mit Erfrischungen stand. Der Knabe legte meinen Turban auf ein Ruhebettchen und entfernte sich.

»Laß uns sprechen!« – rief sie begeistert – »Die Liebe will offne Seelen! 1 – Hier an meiner Brust, Theuerster! – Hier lies, was mein Herz für dich fühlt!« – Sie riß ihre Maske ab, und ich [205] sah eine stark erhitzte Dame mit sehr schönen Augen, die ziemlich jung zu seyn schien.

»Aber meine Gnädige! Ich werde die meinige behalten, es ist der Vorsicht« –

»O mein Trauter! Wir sind unbemerkt! Laß dein holdes Gesicht an meinem Busen ruhen! Laß meine Augen sich in den deinigen spiegeln, und unsere Lippen sich innig vermählen!« – Sie neigte sich zu mir hin, ich fühlte ihren wallenden Busen an dem meinigen; aber in dem Augenblick schien mein Rausch zu verschwinden; mein Muth verließ mich, meine Aengstlichkeit kehrte zurück, und ich zitterte vor der Entwickelung.

»Dein Band ist verknüpft, mein bester N–!« – sagte sie lächelnd – »Wir werden es abschneiden müssen« – indem sie mich auf den Nacken küßte. – »Ich büße zu viel ein! – Du erlaubst es mir!« –

[206] Ehe ich michs versahe, schnitt sie die Schleife durch, meine Knie fingen an zu wanken, ich wollte die Maske aufhalten; sie riß sie herunter. – »O mon Dieu!« – rief sie, und wir sahen einander wie versteinert an.

Sie wendete sich mit Entsetzen ab, und suchte hastig nach ihrer Maske, die unter das Sopha gefallen war. Es war eine stumme peinliche Minute, in der ich meinen Leichtsinn tausendmal verwünschte. Ich fing an gerührt zu werden, und vergaß, daß sie meine Nebenbuhlerin war.

»Mein Herr!« – sagte sie endlich mit unbeschreiblicher Wehmuth – »Sie haben meine Schwäche gemißbraucht; ich kenne Sie nicht; ich bin in Ihrer Gewalt, aber ich rechne auf Ihre Großmuth!« –

Sie fing an zu weinen, die bittere Täuschung schien ihr das Schmerzlichste zu seyn. [207] Ich wollte ihr antworten, als ich auf einmal Feuer rufen hörte. Hastig warf ich das Domino ab, nahm Maske und Turban, und stürzte zur Thüre hinaus.

Fußnoten

1 Aus der griechischen Anthologie.

6. Capitel: Sind Sie es
[208] Sechstes Capitel.
Sind Sie es.

Als ich in den Saal trat, sah ich alles nach den Ausgängen stürzen. Die Musik verstummte, die Masken verschwanden; auf den blassen Gesichtern stand nichts als Todesangst, die Verwirrung war allgemein. Das wilde Geschrey, das aus dem Getümmel schallte, das Wirbeln der Lärmtrommeln, das Anschlagen der Sturmglocke, der dicke Rauch, welcher [208] den Saal erfüllte, alles vermehrte das Schreckliche dieser Nacht.

Mein Herz klopfte ängstlich für den Junker, und ich vergaß auf einige Augenblicke meine eigene Gefahr um ihn. Endlich sahe ich mehrere Personen durch die Fenster springen, und ihr Beyspiel flößte mir Muth ein. Der Mond schien hell; die Erhöhung war erträglich, ich schloß die Augen, und sprang glücklich hinunter.

In dem Augenblicke, als ich Mich aufrichtete, hörte ich eine weibliche Stimme ängstlich nach Hülfe schreien. Es war die Dame, die ich im Cabinette gelassen hatte, dessen Thüre sie nicht öffnen konnte. – »Hierher, Madame!« – rief ich ihr muthig zu – »Wir werden Sie auffangen!« – Ein langer Herr, der eben herunter gesprungen war, munterte sie ebenfalls auf.

[209] Sie knüpfte eine Serviette an das Fenster, und in wenig Minuten hatten wir sie in den Armen. – »O Gott!« – sagte sie, und wurde ohnmächtig. Der Fremde verließ uns, ich lehnte sie an eine Bank, und fing an ihr sanft die Schläfe zu reiben.

Nach einigen Minuten kam sie zu sich. – »Ach mein Herr!« – sagte sie mit einem wehmüthigen Tone – »Sind Sie es?«

»Meine Gnädige!« – gab ich zur Antwort, und küßte ihr beyde Hände – »Ich bin glücklich, meinen Fehler wieder gut zu machen!«

Sie sah mich starr an, als wollte sie sich meine Füge einprägen. – »Nehmen Sie diesen Ring zum Andenken« – sagte sie – »zum Zeichen, daß ich Zutrauen in Sie setze, und daß ich ewig auf Ihr Geheimniß rechne.« – Sie steckte mir ihn an, und drückte meine Hand. – »Ehren Sie ein unglückliches [210] Weib!« – fuhr sie fort, und ihre Thränen ließen sie nicht weiter sprechen.

»Lassen Sie uns gehen!« – sagte ich gerührt – »Ich sehe, daß hier ein Ausgang neben dem Walle ist.«

Sie nahm meinen Arm, wir gingen schweigend neben einander, und kamen in eine Nebengasse, wo einige Kutschen hielten. – »Ich erkenne meine Equipage!« – sagte sie, und machte sich schnell von mir los. – »Leben Sie wohl, mein Herr!« – indem sie mir ihre Hand reichte. Sie rufte ihren Kutscher, ich wand mich schnell um die Ecke, und er sah mich nicht.

Mein Herz war zufrieden, ihr diesen Dienst geleistet zu haben; aber meine Angst um den Junker erwachte von neuem. Die Sturmglocke tönte noch immer, und die Flammen wälzten sich fürchterlich am Himmel fort. Athemlos eilte ich nach Hanse. Aber ich sah [211] Licht; und der Junker kam mir freudig an der Treppe entgegen.

7. Capitel: Sie liebt mich
Siebentes Capitel.
Sie liebt mich.

Wir waren zu unruhig, um schlafen zu gehen; denn der fürchterliche Brand dauerte die ganze Nacht. Das ganze Gebäude wurde eingeäschert, und mehrere Personen kamen in den Flammen um. Desto glücklicher war ich, meinen Freund gerettet zu sehen. Er hatte sich gerade beym ersten Lärmen an der Thüre befunden, und die ohnmächtige Fräulein noch zeitig genug an ihren Wagen gebracht.

»Sie liebt mich!« – rief er begeistert – »Ihr Herz ist mein! Ich habe es von [212] ihren Lippen gehört, mein Glück ist entschieden!« –

Er erzählte nun, wie gut die List gelungen sey, und wie sie gänzlich unerkannt geblieben wären. Er habe die schönste Gelegenheit gehabt, ihr endlich alles zu entdecken. – »Habe ich Sie beleidigt, mein Fräulein? – Ach ich wünschte es für meine Ruhe!« – »Sie drückte mir die Hand, und nannte mich ihren Adolph!« –

Ich mußte mich von ihm abwenden, denn meine Augen füllten sich mit Thränen. Mein armes Herz war zerrissen, und ich konnte meine Wehmuth kaum verbergen. – »Das ist vortrefflich!« – sagte ich mit erzwungener Heiterkeit, aber hätte er mich angesehen, er müßte alles errathen haben.

»Ich will, ich muß Ihm entsagen!« – sprach ich zu mir selbst, als ich allein war. – »Habe ich doch den Trost, ihn glücklich zu [213] sehen. Seine Freundschaft, sein Wohlwollen soll mir genug seyn.« – Meine Thränen flossen reichlich; es war ein wollüstiger Schmerz, eine so sanfte bittersüße Empfindung, daß ich sie ewig hätte festhalten mögen.

Als ich den andern Vormittag zum Fräulein kam, fand ich sie so heiter und glücklich, als ich selbst gewesen seyn würde. Sie fragte mich nach dem Vorfalle, und behandelte mich freundlicher als jemals. – »Mag sie glücklich seyn!« – dachte ich – »Sie wird wenigstens Mitleid mit dir haben.« –

Noch hatte ich dem Junker nichts von meinem Abentheuer gesagt, und beschloß auch, es ganz zu verschweigen. Die Unbekannte hatte mir soviel Achtung und Bewunderung eingeflößt; sie war so unglücklich als ich selbst, ich hatte ihr mein Wort gegeben. –

8. Capitel: Die Bauermaske
[214] Achtes Capitel.
Die Bauermaske.

»Aber wer war denn die Bauermaske, die Sie beständig verfolgte?« – sagte ich, als wir zum funfzigsten Male von der Redoute sprachen.

»Hast du's auch bemerkt? Es war ein unbescheidener Mensch!« –

»Er that, als ob er zu Ihnen gehörte.« –

»Ich habe in meinem Leben keinen so zudringlichen Bengel gesehen. Er setzte sich neben uns, und war nicht los zu werden.«

»Es ist doch wohl einer von Ihren Freunden gewesen?«

[215] »Unmöglich – sein Gang und seine Statur waren mir völlig unbekannt. Ich vermuthe vielmehr« –

»Wegen der Fräulein vielleicht?« –

»So etwas. – Sie sagte mir von einem gewissen Kammerherrn, der ihr unleidlich wäre. Wenigstens schien er seinen Gang zu haben. – Ich wurde am Ende so aufgebracht, daß ich's dem Offizier von der Wache sagen wollte. Die Fräulein bat mich aber, um unerkannt zu bleiben.« –

»Wie Sie tanzten, stand er gerade hinter mir, und griff mir einigemal an den Arm. Als ich mich umdrehte, nickte er, und ich sahe ihn nicht weiter an.« –

»Er wird vermuthlich gedacht haben, ich bin's gewesen.«

»Vermuthlich, weil er ihre Maske erfahren hat.«

[216] »Er visirt schon lange auf die Fräulein. Ich habe ihn mehrmals dort gesehen, aber er ist ihr unausstehlich. Wenn er nicht mit dem Minister verwandt wäre, hätte man ihm schon längst die Thüre gewiesen.« –

»Aber wie muß er Sie denn errathen haben?«

»Das weiß der Himmel! – Ob er die Fräulein am Tanzen erkannt hat! – Ich vermuthe beynahe.« –

»Und denn hat er mit aller Gewalt wissen wollen, wer sie wäre?« –

»Er trieb es bis zum Aeußersten. Als wir einmal am Büffet waren, drängte er sich auch hinzu, und sah mir beym Trinken gerade ins Gesicht; ich ließ aber den Flor fallen, gab ihm einen derben Stoß, und drehte mich um.« –

»Er hätte nun wohl sehen können, sollte man denken« –

[217] »Nichts weniger; er ließ sich nicht irre machen. Als wir einmal im Nebenzimmer mit einander saßen, ging er immer vor uns auf und ab, und sah uns unaufhörlich an. Wäre nur die Fräulein nicht gewesen, ich hätte ihm wollen Mores lehren.« –

»Aber Sie kannten ihn ja nicht?« –

»Gleichviel! Und wüßte ich nur gewiß, daß er's gewesen wäre, ich wollte den verdammten Kerl sammt seinen Schlüssel! – So eine Impertinenz!« –

Ich sah den Junker hitzig werden, und hielt's fürs beste, abzubrechen. – »Der gute Herr Kammerherr!« – dachte ich – »sind eifersüchtig! Aber Sie mögen sich nur vor dem Junker in Acht nehmen, der versteht keinen Spas.«

9. Capitel: Mamsell Jettchen
[218] Neuntes Capitel.
Mamsell Jettchen.

Der Junker war zu Gaste, ich hatte lesen wollen, war aber eingeschlafen. Auf einmal höre ich eine bekannte Stimme; ich öffne die Thür, es war Jettchen. – »Guten Abend! Guten Abend!« – sagte sie zutraulich, und küßte mich. – »Guten Abend!« – erwiederte ich langsam – »Was bringen Sie denn, Mamsell Jettchen?« –

»Ih da hört' ich, daß der Junker nicht zu Hause ist, und da fiel mir's ein, ein bischen herzukommen.« –

»Wo haben Sie denn das erfahren?«

[219] »Du weißt ja, lieber Junge, daß ich bey Canzlers nähe!« –

»Und da kommen Sie wohl eben her?«

»Die Minute, Ja! Ich bin nur ein Huschchen zu Hause gewesen, damit man bey so schönen Leuten« – indem sie mich liebäugelnd von der Seite ansah. –

Meine Eitelkeit war geschmeichelt; ich hatte ein Mädchenherz. Das Wörtchen Schön machte mich auf einmal vergnügt. Ihre Gesellschaft fing mir an zu gefallen, und ich setzte ihr eine Tasse Chokolate vor.

»Die Gesellschaft wird woh! sehr stark seyn?«

»Zwanzig Personen, die Familie ungerechnet. – Ich mußte recht lachen – der Fremde – Sie wissen doch, der Fremde in der grauen Uniform! – Ih mein Gott! – S' ist hechtgrau! – 'S ist, glaube ich, ein kaiserlicher Offizier« –

[220] »Nun?« –

»Oben an der Thüre – als ich herausgehe – hihi – küßte er mir doch die Hand, und heißt mich gnädiges Fräulein! Hihihi! Ich konnte ihn vor Lachen kaum ansehen.« –

»Nun er wird ein kurzes Gesichte haben.«

»Dafür ist seine Nase desto länger! – Und einen Degen hat er – man könnte zweye daraus machen!« –

»Nun lassen Sie nur den armen Mann in Ruhe, Sie leichtfertiges Mädchen! – Apropos! Kennen Sie denn viele Herren vom Hofe?« –

»O ja, unter denen habe ich eine starke Bekanntschaft. – Sie meynen doch nur von der hohen Bedienung, wie Kammerjunker, Kammerherren und dergleichen?« –

»Ja, die Kammerherren zum Beyspiel? Kennst du da welche?« –

»O ja, die kenne ich alle!«

[221] »Also wohl auch den Kammerherrn ***?«

»Der mit dem Mulattengesichte und dem hohen Tupee?« –

»Ich weiß nicht, ob er ein Mulattengesicht und ein hohes Tupee hat, aber – doch Sie trinken ja nicht, Mamsell Jettchen!« –

10. Capitel: Der Herr Kammerherr
Zehntes Capitel.
Der Herr Kammerherr.

»Warten Sie!« – fuhr sie fort – »Ich muß mich besinnen, heißt er *** oder ****?«

»*** – es ist ein U in seinem Namen.«

»Ha ha, jetzt weiß ich es! Ja ja, es ist der mit dem gelben Gesichte und dem hohen weißen Tupee. Er hat falsche Schenkel und die Waden vorne.« –

[222] »So?«

»Und schminkt sich die Augenbraunen und klebt sich Wachs auf die Zähne.« –

»Der tausend!« –

»Und riecht aus dem Halse, und hat Schwinden am Ohre, und schwitzt unter den Armen!« –

»Pfui!« –

»Und ist impotent, insolent, insolvent und impertinent!« –

»Ey Sie kennen ihn ja von innen und von außen!« –

»Mehr als zu gut – den ruppichten häßlichen Dingericht!« –

»Aber was hat er Ihnen denn gethan, daß Sie so bös auf ihn sind?« –

»Gethan? Wenn ein Mensch auch gar nichts taugt, und überdem nicht bezahlen kann – Sehen Sie, wem ich gut bin – mag er Geld haben oder nicht – die Liebe zahlt [223] alles!« – indem sie mich zärtlich ansah – »Zum Exempel, mein Gustelchen da! – Apropos! Was macht denn das Bildchen?« – fuhr sie fort. –

»Ja was macht es denn?« – sagte ich – »Sie wollten mirs ja weisen?«

»Ich habe es bey mir« – indem sie lächelte.

»Was? Sie haben es bey sich? – O so lassen Sie mich's doch sehen!« –

»Aber es ist eingepackt!« –

»Nun so wollen wir's auspacken! Ist es denn groß?«

»Ach nein! man kann's mit einer Hand bedecken!«

»Wo haben Sie's denn?«

»Rathen Sie einmal!«

»In der Tasche?«

»Nein! aber nicht weit davon.«

»Auf dem Busen?«

[224] »Nein, ein bischen tiefer.«

»Nun wo denn?«

»Suchen Sie nur! – Aber greifen Sie nicht so derb zu!«

»So? Ist es denn so zerbrechlich?«

»Ich hab's Ihnen ja schon gesagt, es ist Pariser Arbeit. Man muß damit umgehen, wie mit einem ungeschälten Ey.« –

»Ich muß Ihnen nur suchen helfen« – sagte sie endlich – »Sie finden es sonst in Ihrem Leben nicht.« – Sie sank auf das Sopha, und schloß die Augen; ihre Hand bemächtigte sich der meinigen. – »Ist das ein Bildchen?« – dacht' ich – »Nun das müßte sich unter Glas ausnehmen!« –

»Haben Sie's denn?« – sagte sie schwach und stammelnd.

»Ja!« – gab ich boshaft zur Antwort – »Ich will's eben fassen!« – In dem [225] Augenblick schlug etwas an das Fenster, und wir sprangen beyde erschrocken auf.

11. Capitel: Varia!
Eilftes Capitel.
Varia!

»Was der Henker?« – rief ich, und riß den Flügel auf. – »Das hat wohl uns gegolten?« – Aber es war keine Seele auf der Straße zu sehen. In dem Augenblicke hörte ich rufen. Es war der Junker; er hatte sein Schnupftuch an das Fenster geworfen, um mich aufzuwecken, da unsere Klingel zerbrochen war.

»Herr Jesus!« – sagte Jettchen – »Was wird er sprechen, daß ich da bin! – [226] Es muß auch allemal« – setzte sie unwillig hinzu – »'s ist, als ob der böse Feind« –

Ich eilte hinunter, sie folgte mir. – »Wenn werde ich dich nun wieder sehen?« sagte sie auf der Treppe – »Weißt du was, lieber Junge? Komm morgen! Der Alte ist verreist.« – Indem öffnete ich die Thüre, und sie schlüpfte neben dem Junker hinaus. – »Ha ha!« – sagte dieser mit Lachen – »du suchst dir die Zeit zu vertreiben, Gustel!« –

»Sie kommen ja so zeitig, gnädiger Herr!« – antwortete ich ernsthaft.

»Ich habe euch wohl gestört! Das thut mir leid.«

»Ach nein, wir schwatzten blos zusammen!«

(Lachend) »Ja, ja, man schwatzt freilich zusammen! So tête à tête, und alles in einzelnen Sylven! Nicht wahr?«

[227] »Im Ernste, gnädiger Herr, wir haben nichts Unrechtes vorgenommen« – indem ich über und über erröthete – »Sie erzählte mir vom Kammerherrn ***.«

»So? kennt sie ihn auch? – den« –

»Ach, wen wird die nicht kennen!«

»Ich habe ihn eben auch gesehen!«

»War er mit da?«

»Freylich! Ich wollte daß – Die Fräulein erschien nicht, darum ging ich auch fort.«

»Nun, haben Sie nichts von der Redoute gemerkt, ob er's gewesen ist?«

»Ich wollte es beynahe behaupten. – Statur und Gang sind dieselben; besonders fielen mir seine langen Affenarme auf!« –

»Ja er mag eben nicht der schönste seyn! Wie betrug er sich denn?« –

»Wie man sich in einer großen Gesellschaft beträgt. Eine Verbeugung, und zwey, [228] drey Worte. – Nachher habe ich nicht wieder auf die Espéce Achtung gegeben.«

Er brach das Gespräch ab, und ich verließ ihn. – »Nein, nein, Mamsell Jettchen!« – dachte ich – »Sie können ihr Bildchen behalten, ich habe selber eins.« –

12. Capitel: Aufgehorcht!
Zwölftes Capitel.
Aufgehorcht!

Der Junker war zu einem großen Diner gebeten, welches ein Offizier zu geben hatte, und nahm mich zur Bedienung mit. Die Gesellschaft war zahlreich, der Kammerherr *** war auch dabey. Er saß dem Junker beynahe gegenüber, und ich fand sein Mulattengesicht, wie es mir Jettchen beschrieben hatte.

[229] Der Junker sprach vergnügt mit seinem Nachbar, welches der Bruder der Fräulein war, und nahm keine Notitz von ihm. Der gute Wein wurde nicht gespart, und die Gesellschaft fing an laut zu werden.

»Ach, meine Herren!« – hub auf einmal der Kammerherr an, und schien bereits betrunken zu seyn – »Ich muß Ihnen doch eine lustige Geschichte erzählen!« –

»Aufgehorcht! Aufgehorcht!« – schrien seine nächsten Nachbarn – »der Kammerherr erzählt!« –

»Wovon denn?« – ruften andere. –

»Von der letzten Redoute« – gab er zur Antwort. Dem Junker stieg das Blut in das Gesicht.

»Ha ha! Von der schönen Polin?« – fragten ihn andere.

[230] »Nein, meine Herren! Von einer schönen Pilgerin!« – Der Junker schob seinen Stuhl zurück, und sah sich nach mir um.

»Nun so lassen Sie doch hören! – Sie haben sie wohl auf den Weg des Heils gebracht?« –

Er grunzte wie ein Affe. – »Nein, meine Herren! Sie war schon darauf! – Es ist zum todtlachen. Stellen Sie sich vor, ich sehe da ein schwarzes Domino, das ihr immer zur Seite geht.« – Der Junker rückte ungeduldig hin und her. – »Es mochte vermuthlich ein Krautjunkerchen seyn, denn wir kannten ihn nicht. Kurz er ging ihr zur Seite, wie ein Bologneserhündchen, und so huschten sie ins Nebenzimmer.« –

»Kannten Sie denn das Frauenzimmerchen?« – fragten ihn andere.

»Ja freylich! Freylich! – Nun hören Sie nur! – Als sie ins Nebenzimmer kamen, [231] faßt er sie bey der Hand, und spricht heimlich mit ihr. – Ich mochte ihnen wohl im Wege seyn. – Nun Sie verstehen mich, meine Herren! – Sie werden wohl die Stationen zusammen gebetet haben!« –

Der Junker sprang auf, und warf den Stuhl zurück. – »Das sagt ein infamer Schurke!« – Alle sahen ihn an. »N–« riefen seine Nachbarn – »Was machst du? Bist du betrunken?«

»Und ich wiederhole es noch einmal: Das sagt ein niederträchtiger Schuft! – Ich kenne das Frauenzimmer, und Ich war das Domino!« –

13. Capitel: Fortsetzung
[232] Dreyzehntes Kapitel.
Fortsetzung.

»Herr!« – rief der Kammerherr mit einem verächtlichen Tone – »Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?« –

»Mit einem dekorirten Lakey! Mit einem insolenten Windbeutel!« –

»Kammerherr! Sind Sie des Teufels!« – riefen ihm mehrere zu. – »Recht so!« – schrien andere. – »Laß es nicht auf dir sitzen N–! Ich will dein Sekundant seyn!« – rief der Bruder des Fräuleins – »Es ist meine Schwester!« –

Die ganze Gesellschaft sprang auf; aber der Kammerherr war zu betrunken, um jetzt [233] fechten zu können. – »Wißt ihr was, ihr Herren!« – sagte ein alter Major – »versparts, bis ihr ausgeschlafen habt! – – Er wird ihn schon zeichnen, der N–« setzte er heimlich hinzu, und sah den Junker freundlich an.

Alle Freunde meines Herrn schlugen sich auf seine Seite. – »Ist Sie's wirklich gewesen?« fragten andere. – »Ja! – aber wer kann sie so schändlich verläumden?« – Ich zitterte, und sah den Junker ängstlich an. Er warf mir einen freundlichen Blick zu, und sein ganzes Betragen entzückte mich.

Die Bekannten des Kammerherrn formirten eine zweyte Parthey, aber sie war nicht zahlreich. Man sprach zusammen, und wurde einig, sich den andern Morgen zu schlagen. Der Kammerherr bestätigte dieses mit vielen Gaskonaden. – »Kommen Sie nur, mein Guter! Wir wollen Sie schon expediren!« – [234] »Das wollen wir sehen!« antwortete der Junker mit seinen Freunden, und beyde Partheyen trennten sich.

»O wie wird das werden!« – dachte ich – »Wenn er unglücklich wäre!« – Ich dachte so lebhaft daran, daß ich weinen mußte. – »Bist du gescheut?« – sagte der Junker – »Das ist so gut, als ob ich mir den Mund abwischte. Aber ich will's ihm zeigen, er soll an mich denken!« –

Eine Stunde darauf erhielt er ein Cartel vom Kammerherrn, und beantwortete es auf der Stelle. Mehrere seiner Freunde kamen wieder, und blieben den Abend da. – »Du wirst ihn schon zudecken« – sagten sie – »und für das übrige laß deinen künftigen Schwager sorgen.« –

14. Capitel: Maaßregeln
[235] Vierzehntes Capitel.
Maaßregeln.

»Aber, lieber Gustel!« – sagte der Junker, als wir endlich allein waren – »Jetzt laß uns einmal vernünftig über die Sache sprechen.« –

»Ach gnädiger Herr! Ich wollte alles darum geben wenn« –

»Um mich laß dir nicht bange seyn! – 'S ist nur, wenn er bleiben sollte.« –

»Also auf Tod und Leben wollen Sie fechten?« –

»Da ist kein anderer Rath! – Er oder ich! – Einer von beyden!« –

[236] »Ach Gott! das ist erschrecklich!« – rief ich in heftiger Bewegung.

»Was hilfts! – Der Ruf des Fräuleins muß gerettet werden. – Aber was ich sagen wollte, man muß seine Maaßregeln nehmen.« –

»O mein bester gnädiger Herr! Sie werden gewiß« –

»Ich hoffe es. Doch auf jeden Fall – komm her. Ich will dir zwey Dinge sagen: Bleib ich, so behältst du den Ring und den Beutel; bleibt Er, so muß ich flüchten, und du behältst ihn ebenfalls.«

»Flüchten? – Ach Gott! Und ich soll hier bleiben?«

»Ja, es hilft nichts! Die Gesetze sind streng! – Bis ich Pardon habe, muß ich über die Grenze. Unterdessen« –

»Werde ich sterben!« –

[237] »Alberner Junge! Ich lasse dir ja den Ring und den Beutel! Es sind ja zwanzig Dukaten darin! Und ehe die alle werden – Ih so schäme dich, und laß das Weinen!« –

»Aber warum kann ich Sie denn nicht begleiten?« –

»Weil es unmöglich ist, dich mitzunehmen. – Mache mir das Herz nicht weich – Ich bitte dich – Glaubst du denn, daß es mir gleichgültig ist? – O Gott! wenn Auguste nicht wäre!« – Er ging unruhig auf und ab; ich sahe seine Thränen fließen, und glaubte vor Wehmuth zu sterben. –

»Komm Gustel!« – sagte er endlich, und ermannte sich – »Wir wollen die Sache vollends abreden. Morgen um neun Uhr nehmen wir einen Wagen und den Chirurgus. – Du und Heinrich« – so hieß der Reitknecht – »Ihr reitet mit den zwey Pferden nach. [238] Wenn wir ankommen, will ich euch schon sagen, wo ihr bleiben sollt.« –

»Ach Gott! über das Unglück!« – seufzte ich, und rang die Hände.

»Sey ruhig! – Ich sage es noch einmal. – Bleibe ich, so legt ihr mich in den Wagen, und Heinrich sprengt voran; bleibt er, so nehme ich den Engländer, und über die Grenze. Du fährst in die Stadt zurück, und erzählst es dem Hauptmann. Was du brauchst, das zehrst du indessen von dem Gelde, und wenn das nicht zureicht, verkaufst du den Ring, er ist achtzig Thaler werth.«

»Und Fräulein Auguste« – fragte ich gerührt, denn ich beurtheilte sie nach meinem Herzen.

»Ich werde dir's noch sagen.« Er brach ab, und ging schweigend im Zimmer herum. – »Aber gute Nacht!« – sagte er plötzlich – »Es ist spät! Wir wollen schlafen gehn!«

15. Capitel: Betrachtungen
[239] Fünfzehntes Capitel.
Betrachtungen.

»O Gott!« – rief ich, und fing bitterlich an zu weinen – »Wie wird es morgen um diese Zeit aussehen!« – Mein Herz war gepreßt, und ich konnte kein Auge zuthun. – »Die abscheuliche Ehre!« – rief ich – »die sich nur mit Blut versöhnen läßt! Welche barbarische Gewohnheit, das Leben des Beleidigten nach der Willkühr des Beleidigers Preis zu geben!« – Tausend traurige Ahndungen gingen vor meiner Seele vorüber, und wie der Ausgang seyn konnte, mein Unglück war immer gewiß.

[240] O wie oft wünschte ich, daß irgend ein Wunder, irgend ein plötzlicher Zufall, diesen gefährlichen Morgen entfernen möchte! Oder warum konnte ich ihn nicht vertheidigen, und an seiner Seite mit ihm siegen oder sterben? – Ach! ich hatte nichts als Seufzer, nichts als Gebet für ihn; aber habe ich je mit Inbrunst zum Himmel gefleht, so war es in dieser Nacht. –

Und dennoch, wenn er auch siegte, was sah' ich vor mir, als die schmerzlichste Trennung? Wer verbürgte mir seine Zurückkunft? Wer versicherte mir mein Schicksal? Ach! nie hatte ich noch innig gefühlt, wie sehr ich ihn liebte; nie habe ich so viel um ihn gelitten, als in dieser Nacht.

Jeder Seigerschlag fuhr mir durchs Herz; jedes Geräusch klang mir wie Degengeklirre. Ach mit jeder Minute kam der Morgen näher, und die Natur blieb so ruhig, als vorher.

[241] Der Tag brach an. Sonst war ich erheitert darüber, denn ich konnte ihn wieder sehen; heute schien es mir ein Todestag zu seyn. Ich stand auf, kaum hatte ich einige Minuten geschlummert, aber mein Freund lag im süßesten Schlafe. Wehmuthsvoll betrachtete ich seine reizende Gestalt. – »Vielleicht das Letztemal!« – dachte ich – »daß diese himmlische Formen! – Vielleicht das Letztemal!« – und meine Thränen flossen unaufhaltsam.

Er erwachte. – »Bist du schon da, lieber Gustel?« – sagte er teilnehmend. – »Es ist noch früh.« – »Es ist sechs Uhr« – sagte ich, und trocknete mir die Augen ab. – »Ich habe geträumt« – sagte er – »als ob ich ihm die Nase abhiebe, und das hat etwas Gutes zu bedeuten!« – »O wollte es Gott!« – antwortete ich schmerzhaft, [242] und konnte mich nicht enthalten, seine Hand zu küssen. –

16. Capitel: Vorbereitung
Sechszehntes Capitel.
Vorbereitung.

Er kleidete sich an, und ich besorgte das Frühstück. Nach sieben Uhr kamen die Sekundanten. – »Was macht deine Schwester?« – sagte er zu dem Bruder des Fräuleins. – »Sie schläft noch, lieber N– Wir sprachen noch gestern Abends von dir.« –

»Aber du hast doch nichts gesagt?«

»Keine Sylbe, ob sie sich gleich wunderte, daß du außengeblieben warest.«

»Himmlisches Geschöpf!« – indem er ihr Bild mit Entzücken küßte.

[243] »Hast du deine Einrichtungen gemacht?«

»Alles! Alles!«

»Wenn du Geld brauchst, zwanzig Louisd'or stehn zu deinen Diensten.«

»Ich acceptire, im Fall ich flüchten muß.«

»Ich hoffe und wünsche es, so leid es mir thun sollte, aber es ist die beste Partie.«

»Er wird sich wohl ein halbes Ries Papier vorbinden« – sagte der andere.

»Er hat noch gestern Abends Kork holen lassen; sein eigner Bedienter hat's erzählt.«

»Und mag er einen Panzer anziehen!« – sagte der Junker – »Mein Degen ist scharf, und« –

»Dein Arm geübt!« – fiel der Bruder des Fräuleins ein.

Sie frühstückten. – »Herr Bruder, wenn ich bleibe,« – sagte der Junker – »so nimm dich dieses armen Burschens an!« – indem er auf mich wieß – »Deine Schwester! [244] – Ich habe ihr auf den Fall diesen Brief« –

»Ach Possen! Possen! Wir werden ihn nicht nöthig haben. Ich wette, du legirst den Schuft beym ersten Gange, und dann gieb ihm einen Nasenstüber, und laß ihn laufen!« –

»Mit dem andern wollen wir schon fertig werden!« – setzte der zweyte hinzu. – »Besonders mit dem Herrn Kammerjunker B. – Es ist mein Freund von Alters her, und ich bin entzückt, ihm mein Attachement zu bezeigen! – Unausstehliche Prise!« –

»Und le petit importent Monsieur de **« – fuhr der Bruder des Fräuleins fort – »Er hat's schon lange bey mir gut; aber heute werden wir unsere Rechnung saldiren.«

Der Junker sprach wenig, aber er war ernst und ruhig. – »Jetzt wird's Zeit seyn!« – indem er auf die Uhr sah – »Es ist halb [245] vorbey! – Den Chirurgus habt ihr bestellt? – So wollen wir!«

Sie fuhren fort. – Heinrich und ich, wir ritten nach; aber ich glaubte jeden Augenblick vom Pferde zu sinken.

17. Capitel: In den Garten
Siebzehntes Capitel.
In den Garten.

Wir kamen an; es war ein Haus mitten im Walde. – »Ist's hier?« – sagte ich ängstlich zu Heinrich. – »Ja, das ist der rothe Hahn!« – gab er zur Antwort – »und von hier sind noch anderthalb Stunden an die Grenze!« – Seufzend stieg ich ab, und fand die ganze Gesellschaft in der Stube beysammen.

Der Kammerherr sah blaß wie eine Leiche, und seine Begleiter bemühten sich, ihn trinken zu lassen. Der Junker nahm mit seinen [246] Freunden eine kleine Collation ein, und ich stand hinter ihm.

»Es ist eilf Uhr!« – sagte er endlich – »In einer halben Stunde denke ich!« – Der Kammerherr hatte einige Flaschen getrunken, und schien Muth zu bekommen. So still er vorher gewesen war, so unternehmend wurde er nunmehr. – »Sie thun sehr wohl daran,« – sagte er – »sich noch einmal satt zu essen! – Sie möchten eine lange Reise zu machen haben!« –

»Aus der nämlichen Vorsicht haben Sie wahrscheinlich auch noch einmal getrunken!« – erwiederte der Junker gelassen.

Die Sekundanten riefen den Kammerherrn in ein anderes Fenster, um einen neuen Streit zu verhüten; aber man hörte an ihrem Gelächter, daß sie sich über den Junker lustig machten.

Dieser blieb indessen völlig gelassen, aber meine Angst nahm mit jeder Minute zu. – »Wenn es den Herren gefällig ist?« – sagte endlich der dicke Herr von X– mit ironischem [247] Lächeln. – »Wir waren schon lange fertig!« – antwortete der Bruder des Fräuleins – »Aber Sie wissen, wem die Einladung zukommt.«

In dem Augenblicke waren alle Degen gezogen. – »In den Garten! In den Garten!« – riefen einige Stimmen, und ich folgte mit wankenden Schritten.

18. Capitel: Leb' wohl!
Achtzehntes Capitel.
Leb' wohl!

»Nun mein Guter! Treten Sie nur hierher!« – sagte der Kammerherr verächtlich – »Wir wollen Sie expediren!« – Der Junker antwortete nichts, aber seine Augen sprühten Zorn und Rache. – »Fallen Sie aus, mein Herr!« sagte er endlich kalt und finster, und setzte sich in Positur.

[248] Der Kammerherr schien alle seine Kräfte anzuwenden, aber der Junker parirte mit vieler Geschicklichkeit. Schon wurde mir leichter ums Herz, als er eine Wunde am linken Arm bekam. Aber in demselben Augenblick drang er hitzig auf den Kammerherrn ein, und stach ihn zu Boden. –

Alles stürzte hinzu. – »Gott, er ist ins Herz getroffen!« – sagte der Chirurgus, und ich schauderte. – »Ist's wahr?« – rief der Junker verzweifelt, und die sterbenden Augen des Verwundeten überzeugten ihn. – »Es ist nicht meine Schuld!« – sagte er wehmüthig, und faßte seine Hand – »Ich war der beleidigte Theil!« –

»O mein bester gnädiger Herr!« – rief ich, und stürzte weinend zu ihm hin. – »Was ich dir gesagt habe, lieber Gustel!« – Indeß brachte Heinrich das Pferd. – »Leb' wohl, Freund!« – fuhr er fort, und küßte mich – »In einigen Monaten« – Der Bruder des Fräuleins drang ihm seine Uhr und Börse auf, und ich küßte seine Hand mit [249] Inbrunst. – »Vergiß mich nicht!« – rief er – »Sage deiner Schwester tausendmal« – Er stieg auf das Pferd; die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und in wenig Minuten war er aus unserm Gesichte.

»Braver Junge!« – riefen ihm seine Freunde nach, indessen man den blutigen Leichnam des Kammerherrn in das Haus brachte. – »O Gott!« – dachte ich – »wenn er das gewesen wäre!« – Aber wie hätte ich mich freuen können, da ich ihn zu gleicher Zeit verlor?

Man machte jetzt Anstalt, den Leichnam nach der Stadt zu bringen, und wir eilten voran zu kommen; aber mir war es unmöglich, den Pferden der Sekundanten zu folgen. Ich sagte dem Bruder des Fräuleins, was ich für einen Auftrag hätte, und er hat mich, noch diesen Abend hinzukommen. Schwermüthig und niedergeschlagen ritt ich nun mit Heinrich langsam nach, und die ganze Natur schien für mich todt zu seyn.

19. Capitel: Ach Gott!
[250] Neunzehntes Capitel.
Ach Gott!

Ich trat in unser Zimmer – Der Hauptmann erschrak. – »Wo ist dein Herr?« – fragte er unruhig – »Ich weiß alles! – Aber wer ist geblieben?« – »Der Kammerherr!« – gab ich traurig zur Antwort.

»Und der Junker hat sich geflüchtet?« –

»Augenblicklich, bis er Pardon« –

»Pardon? – Da ist nicht dran zu denken. Ja, wenn er nicht geblieben wäre! – Und der Vetter des Ministers!« –

»Ach Gott!« – rief ich unwillkührlich, und glaubte mein Todesurtheil gehört zu haben.

»Ich kann nichts für ihn thun, und niemand. – Hat er Geld bey sich?« – Ich sagte es ihm.

»Wo will er bleiben?«

[251] »Auf dem ersten Dorfe im ***schen.«

In dem Augenblicke wurde er abgerufen, und mehrere Bekannte meines Herrn kamen, sich nach ihm zu erkundigen. Ich erzählte mit weinenden Augen, und alle bestätigten, was der Hauptmann gesagt hatte.

Indessen verbreitete sich das Gerücht in der ganzen Residenz, und man schickte Dragoner ab, meinen Herrn einzuholen. So unnütz diese Maaßregeln schienen, wurden sie doch der Formalität halber genommen. Der Leichnam des Kammerherrn passirte vor unserm Hause vorbey, und bald nachher erschienen Gerichtspersonen, um unsere Zimmer zu versiegeln.

Ich hatte meinen kleinen Schatz in Sicherheit gebracht. – »Es gehört meinem Freunde!« – dachte ich, und mein Entschluß war gefaßt. Ich machte aus meinen besten Sachen ein Päcktchen, steckte noch einiges ersparte Geld zu mir, und verließ das Haus in der Dämmerung, ohne bemerkt zu werden.

20. Capitel: Sag ihm alles!
[252] Zwanzigstes Capitel.
Sag ihm alles!

»Du willst also zu ihm, lieber Gustel?« – sagte die Fräulein, als ich ihr alles erzählt hatte, und rang die Hände. Ihr Anblick rührte mich unendlich; ich vergaß alles, und sah sie leiden wie mich. – »Ja! ich will zu ihm!« – gab ich zur Antwort – »Was soll ich ihm sagen?«

»Daß du mich gesehen hast, daß ich vor Wehmuth sterbe! – O wenn ich ihm folgen könnte, wie du! – Komm Gustel!« – fuhr sie nach einer Pause fort – »Du bist ein treuer Junge! – Ich will dir meinen Schmuck für ihn geben! – Er wird in Verlegenheit seyn! – Und Gott weiß, wenn er zurück kommen kann! – Ach! es ist um meinetwillen geschehen! – Armer Adolph! Ich bin [253] Schuld an deinem Unglücke! – Aber es wird mir das Leben kosten! – Sag ihm Alles, lieber Gustel! Sag ihm Alles!« –

Sie holte ein Schmuckkästchen, und packte mir's ein. Ihre Thränen flossen darauf, und ich konnte die meinigen nicht zurückhalten. – »Guter Gustel!« sagte sie – »Wir wollen dir das nicht vergessen!« – und ihre Hand sank sanft auf meine Schulter.

»Geben Sie mir ein Briefchen, mein Fräulein!« – erwiederte ich – »Es wird meinen armen Herrn trösten!« –

»Ja das will ich!« –

»Aber du wirst nicht gegessen haben?« – indem sie klingelte, und einige Erfrischungen bringen ließ. – »Iß, mein Lieber!« fuhr sie fort – »Du hast drey starke Stunden zu gehen.«

»Ach ich werde sie in zweyen machen, wenn ich nur weiß, daß ich ihn finde.«

Sie fing an zu schreiben; ich empfand, was sie fühlen mußte. Mehr als einmal sah ich sie absetzen, und den Brief an ihre Lippen [254] drücken. – »Hier, lieber Gustel!« – sagte sie endlich wehmüthig – »Hier, und erzähle ihm alles! Sag ihm, daß ich jeden Augenblick an ihn denke; daß ich ihn tausendmal im Geiste umarme; daß« – – Sie konnte nicht weiter sprechen, ihre Thränen erstickten ihre Worte. Sie drückte mir die Hand, und ich eilte nicht weniger gerührt zur Thüre hinaus.

21. Capitel: Ich will zu ihm!
Ein und zwanzigstes Capitel.
Ich will zu ihm!

»Ja, ich will zu ihm!« – rief ich- »denn ich kann nicht ohne ihn leben! – Ich will ihm seine Einsamkeit erleichtern, und was ich ihm bringe, soll uns vor Mangel schützen.« – Ich fühlte mich so stark und muthig, als wäre mir alles gelungen. – »Er lebt!« – dachte ich – »Er lebt! und in wenig Stunden wirst du ihn wiedersehen!« – Ich stellte [255] mir seine Freude vor, den Brief des Fräuleins zu erhalten, und meine Schritte verdoppelten sich.

Es schlug neun Uhr, als ich die Stadt verließ, gegen Mitternacht konnte ich bey ihm seyn. Der Weg war mir bekannt, und von dem Wirthshause an, ging ich gerade fort. Ich wickelte mich in meinen Mantel, und war in kurzem im freyen Felde. – »Wohlan!« – rief ich – »Herzhaft! Vorwärts!« – Meine Traurigkeit verließ mich, und ich fing frölich zu singen an.

Es war eine finstere stürmische Nacht, kaum konnte ich das Licht in meiner Laterne erhalten. Regen und Schneegestöber wechselten unaufhörlich ab, und ich wurde völlig durchnäßt. Aber ich verachtete alles, und ging auf der einsamen Straße immer dem Walde zu. Alles war still, nur von Zeit zu Zeit hörte ich in der Ferne einige Pferde wiehern.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Roman. Hannchens Hin- und Herzüge. Hannchens Hin- und Herzüge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A809-8