[92] Der Hahnrey auf Pränumeration.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Es war Mitternacht; der hochzeitliche Reigen nahm seinen Anfang; Herrmann stand im Garten und sah mit bitterem Schmerze nach dem erleuchteten Saale hinüber. – O Emilie! rief er seufzend: möchte es mir gelingen!

In dem Augenblick hörte er Jemand kommen. Es war ein alter Bedienter aus Emiliens Hause. – Nun Freund! sagte Herrmann leise: ist es Zeit? – Kommen Sie, gab Johann zur Antwort, nahm ihn bei der Hand und führte ihn eine geheime Treppe hinan.

Sie giengen durch mehrere Zimmer! Herrmann war in einen Mantel gehüllt und mit Pistolen versehen. – Guter Johann! sagte er, fordere was du willst! Du kennst mich nicht seit gestern. – Ach wohl! erwiederte der alte Mann: [93] als Sie noch täglich hieher kamen. – – Es waren glückliche Zeiten! fiel Herrmann mit ersticktem Schmerze ein. – Nimmermehr hätte ich geglaubt! erwiederte Johann, aber eben standen sie still.

Das ist die Brautkammer, sagte Johann, und schob Herrmann hinein. Ich denke, sie müssen nun bald kommen. – Hier, guter Johann! fiel Herrmann ein und drückte ihm eine Börse in die Hand. Nimm diese Kleinigkeit, und nächstens mehr. – Johann nahm sie, verschloß die Thüre und ließ ihn allein.

Ach Emilie! rief Herrmann: warum konntest du deinem Herzen nicht folgen? Du liebtest mich, aber sie zwangen dich! – Wohlan, ich wage es: Tod oder Leben! Er soll dich nicht berühren.

Er verbarg sich unter das Bette, drückte sich an die Mauer, hielt seine Pistolen in Bereitschaft und erwartete den entscheidenden Augenblick.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Die Thüre gieng auf; es waren zwei Weiber. – Aber wie meinen Sie's denn eigentlich gnädige Frau? sagte die eine weit schlechter gekleidete.

[94] Siehst du, Anne! gab jene zur Antwort: ich habe mir's so ausgedacht. Du legst dich jetzt in's Bette, und ich halte unterdessen Emilien bei mir auf. Sobald er sie nicht mehr sieht, wird er sie hier vermuthen, und dann machst du's, wie ich dir schon gesagt habe.

Anna: Aber gnädige Frau! –

Fr. v. G. Es ist ja nur ein kleiner Schabernack!

Anna: Aber wenn er nun Licht mitbringt?

Fr. v. G. Wird er doch! Ich will schon dafür sorgen.

Anna: Aber wenn er mich nun im Finstern – verstehen Sie mich, gnädige Frau?

Fr. v. G. So wehre dich! Du hast ja wenigstens Nägel.

Anna: Ja, aber wenn er über mich nun Herr würde – ich wüßte nicht, ich wäre des Todes!

Fr. v. G. Wird er doch! das wollt' ich doch sehen, mit Gewalt!

Anna: Aber wenn nun der böse Feind sein Spiel hat? Sehen Sie, gnädige Frau! Manchmal will man und kann doch nicht! – Sie werden schon wissen, was ich sagen will. – Wenn ich nun keine Kräfte hätte?

Fr. v. G. Nun, wenn es auf's äußerste [95] kommt, so schreie, da will ich dir schon zu Hülfe kommen.

Sie redeten darauf die ganze Sache noch einmal ab. Die Dame gieng fort, und Anne setzte sich auf das Bette.

Hihi! Hihi! fieng sie an; es wird mir doch ganz kurios! – Als mein Mann seliger – Wenn mein Gesicht nicht wäre – Ich möchte es schon probiren – Aber nein! – indem sie sich in das Bette legte – Wenn er's erführe, ich glaube, er brächte mich um.

Nun, dachte Herrmann: wenn er dich sechszigjährige Grazie für Emilien halten kann! – Aber laß sehen, was das für ein Ende nehmen wird.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Der Bräutigam trat herein; man schlug ihm das Licht aus der Hand, und die Thüre wurde verschlossen. – Bist du da, süßes Mädchen? rief er, und stürzte auf das Bette zu. Die Alte kroch unter die Decke und gab keine Antwort.

Du sprichst nicht? fuhr er fort: aber ich fühle dein armes Herzchen klopfen! Er legte seine Hand an ihre Brust und fieng an, sich [96] auszukleiden. – Fürchte dich nicht, mein holdes Kind! – Du bist ja meine liebe kleine Braut! – Ich will dir was recht schönes erzählen! Nicht? Du wirst sehen, es wird dir gewiß gefallen.

Er wollte seine Erzählung anfangen, aber die Alte verstand unrecht, gab ihm einen herzhaften Stoß und sprang zu dem niedrigen Gartenfenster hinaus. – Emilie! Beste Emilie! rief er außer sich, und folgte ihr. – O mein Kind! Wozu die Weitläufigkeit? Warum fliehst du mich? Bin ich nicht dein Mann? Habe ich nicht ein Recht auf deine Zärtlichkeit? Warum willst du mir die schöne Rose entziehen, nach der ich so lange geseufzet habe? Ach halt ein! Du wirst dich erkälten, süßes Kind!

Aber das süße Kind ließ sich nicht stören und lief immer im Garten herum. Wollte er wohl oder übel, so mußte er hinter ihr drein, ohne sie erreichen zu können. Endlich sah er sie in das Haus springen und folgte ihr auf den Fersen nach.

Die spaßhafte Dame hatte alles beobachtet und beschloß nunmehr, dem Schabernack ein Ende zu machen. Sie führte daher die wirkliche Emilie in das Brautgemach, und Herrmann zitterte vor Freude. – Warte nur, Puttchen! [97] sagte die Dame: das Hähnchen soll dich schon zum Lachen bringen.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Emilie blieb ohne Licht und setzte sich auf das Bette. – Jetzt oder niemals! dachte Herrmann, verließ seinen Schlupfwinkel, riegelte die Thüre zu und näherte sich dem zitternden Mädchen. Sie seufzte, aber sie ließ sich alles gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er sie in seine Arme, und seine Liebkosungen wurden ungestümmer. Tausend feurige Küsse! Tausend zärtliche Angriffe! Die neidischen Gewänder sind entfernt; der schönste Körper berührt den seinigen. Glücklicher Herrmann! Die geheime Sympathie des Herzens schien für dich zu sprechen; du warst glücklich, und Emilie umarmte dich.

Aber auf einmal pochte es an die Thüre. – So mach doch auf! So mach doch auf, Emilie! rief die spaßhafte Dame.

Emilie (schmachtend und ermattet): Warum denn, liebe Tante?

Lassen Sie's nur gut sein! fuhr die Taute an der Thüre fort: sie stellen sich s' erstemal alle so an, aber es geht ihnen nicht von Herzen. Ich hab's auch nicht besser gemacht. Sie müssen [98] nur ein bischen Gewalt brauchen, denn das wollen wir eben haben. – Nun Täubchen, wird's denn bald? Soll denn dein armer Mann die ganze Nacht hier stehen?

Emilie: Mein Mann, liebe Tante? – Aber in dem Augenblick drückte ihr Herrmann den Mund zu. – Einzige! Theuerste! rief er: Ich bin's!

Gott, lieber Herrmann! sagte sie erschrocken, doch ohne erzürnt zu sein.

Verzeihung! Verzeihung! rief er: das Uebermaß meiner Liebe! – und erklärte ihr in zwei Worten das ganze Geheimniß.

Aber wie soll das enden? fragte sie ängstlich indem er seine Liebkosungen erneuerte. Es stirbt mit mir! sagte er: dein Herz ist mein. – Ja auf ewig! erwiederte sie. Die Convenienz! fuhr er fort: niemand soll es ahnen können.

Aber Kind! lief die Tante ernsthaft: so mach' doch endlich einmal auf! Was heißt denn das? Es muß doch auch einmal ein Ende sein.

Gleich! gleich! rief Emilie: nur noch ein Viertelstündchen, liebe Tante! Ich will nur erst ausbeten.

Die Tante: Nun gut! aber wenn du alsdann noch trödelst, so laß ich die Thüre aufbrechen.

5. Kapitel

[99] Fünftes Kapitel.

Ein Viertelstündchen: dachte Herrmann, und benutzte es, ohne gehindert zu werden. Emilie konnte nicht auf ihn zürnen, er war ihr durch dieses Wagestück nur noch theurer geworden. – Guter Herrmann! sagte sie endlich, als er gehen wollte: wirst du mich ewig so lieben? – Gewiß, gab er zur Antwort; aber deine Ehre wird mir heilig sein! – Sie versprachen sich gegenseitige Behutsamkeit und nahmen Abrede für die Zukunft. Vielleicht war Emilie zu tadeln; aber sie wurde zu ihrer Heirath gezwungen. Wer würde sie nicht entschuldigen? – Noch einen Kuß! rief Herrmann, und war mit einem Sprunge in dem Garten.

Jetzt komme ich, liebe Tante! rief Emilie, und machte die Thüre auf. – Nun vertragt euch hübsch zusammen, sagte die Tante, und ließ sie allein. Der Bräutigam stürzte auf Emilien zu, aber sie wußte ihn zurück zu halten. – Nicht anrühren, mein Herr! sagte sie ernsthaft: ich bin keine Brutalitäten gewohnt.

Ihr Ton hatte ein gewisses Etwas, das ihn in Verlegenheit setzte. Er wollte sich beklagen, aber sie gab ihm keine Antwort, Herrmann! Herrmann! Diese Erinnerungen beschäftigten sie [100] zu lebhaft, und alle Bemühungen des Bräutigams waren vergebens.

Der Morgen brach an; es war der erste Tag ihrer unglücklichen Ehe, aber es sollte auch der letzte sein. Der Bräutigam hatte sich bei jener nächtlichen Gartenscene einen Schlagfluß geholt, und sie fand ihn todt an ihrer Seite. Der Schmerz, die Verzweiflung der Familie ist unbeschreiblich, aber Emilie hob ihre Augen dankend zum Himmel auf.

Herrmam! erfuhr alles, und faßte neue Hoffnungen. Die Familie war froh, ihn wieder kommen zu sehen, und sechs Monate nachher feierte er seine Brautnacht in dem nämlichen Zimmer.


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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Der Hahnrey auf Pränumeration. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7FC-3