[115] Der heilige Isidro.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Also der Laden rechts? – Ja, Herr Bruder, gleich der erste vom Platze herein! Du wirst sehen, ob's nicht das schönste Weibchen in ganz Madrid ist.

Es war Don Manuel, ein junger Kaufmann, mit seinem Freunde Ramirez. Sie sprachen von der artigen Frau eines Schusters, die ihr Mann wie ein Drache verwahrte; – Caspita! 1 sagte Don Manuel: ich muß sie haben, und sollte es mir zwanzig Unzen kosten!

Er gieng fort und gerade in den Laden. – Ist das Meister Antonio, sagte er zutraulich: der berühmteste Schuster in ganz Madrid? – Treten Sie herein, mein Herr: was befehlen Sie?

Don Manuel bestellte ein Paar Schuhe, und [116] der vergnügte Schuster fieng an, das Maß zu nehmen. Indeß bemerkte Don Manuel ein Glasfensterchen, wo der Vorhang ein wenig aufgehoben war. Er sah starr darauf, und zwei glänzende Äugen begegneten den seinigen. Er lächelte; sie schien ihn zu verstehen; der Vorhang flog eine Sekunde zurück, es war die reizende Schusterin.

Aber der Tausend, mein Herr, Sie zittern ja entsetzlich! sagte der Schuster, als er fertig war. – Ich bin zu stark gegangen! gab Don Manuel zur Antwort, und bat ihn dringend, die Schuhe bald zu machen. Ich will sie selbst abholen, fuhr er fort: und Sie sollen einen guten Kunden an mir haben.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Don Manuel ermangelte nicht, sich zum gesetzten Tage einzufinden. Ach, Donna Therese hatte schon längst nach ihm geseufzt. Ihre Sclaverei war ihr unerträglich, und ihr schmutziger Mann ihr geschworner Feind.

Don Manuel trat hinein; sein Blick flog auf das Fenster; er sah die zärtlichsten Augen sich entgegen kommen. Man verstand ihn; er [117] war begünstigt. O werdiese Sprache recht inne hat, der wird in allen fünf Welttheilen damit fortkommen.

Die Schuhe waren vortrefflich; doch fand sie Don Manuel ein wenig zu enge, um nur wiederkommen zu können. Jetzt wurden sie anprobirt, und nun waren sie hinten zu sehr zusammengezogen. – Que borra! rief der Schuster gegen die Thüre: wie hat sie wieder einmal genäht? Warte, ich will dich kuranzen! Gleich nimm sie hin, und laß sie aus.

Das Fenster öffnete sich, und Don Manuel sah den reizendsten Arm von der Welt. Der Schuster will die Schuhe hineingeben; man läßt sie fallen; fluchend bückt er sich, sie aufzuheben; Don Manuel eilt hinzu. Ein Händedruck – ein flüchtiger Kuß – der Schuster hat nichts gesehen.

Endlich waren sie fertig. Don Manuel bezahlte vor trefflich und bestellte ein neues Paar. Noch ein zärtlicher Blick, und er hat Alles gewonnen.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Von nun an kam er fast täglich, und ließ Schuhe über Schuhe machen. Antonio nannte [118] ihn seinen besten Kunden, und lobte ihn gegen seine Frau unaufhörlich. Therese hörte es mit Entzücken an, und jeder Blick machte sie zärtlicher. Aber wie wäre es möglich, ihn ohne Zeugen zu sehen? Alle ihre Gebete schienen vergebens zu sein.

Auch Don Manuel hatte sich fast in Plänen erschöpft, als ihn endlich der Zufall begünstigte. Es war das Fest des heiligen Isidro, des Schutzpatrons in Madrid. Die ganze Stadt wallfahrtete zu seinen Kapellen, die jenseits des Manzanares auf einem buschigten Hügel liegen. Auch Antonio entschloß sich endlich, Theresen hinzuführen, aber sie mußte Mannskleider anziehen.

Sie kamen vor das Thor, und Don Manuel näherte sich ihnen. Er schien verwundert, den Schuster allein zu sehen, aber ein Blick von Theresen verrieth ihm Alles. Der Schuster gab sie für seinen Neffen aus, der erst aus Biscaja gekommen wäre, und Don Manuel machte Gesellschaft mit Ihnen. Wer fand sich geehrter, als Antonio? Wer war zufriedener, als Don Manuel? Und wer verliebter als Therese?

4. Kapitel

[119] Viertes Kapitel.

Sie kamen an; man gieng in die Messe, der Schuster war zu andächtig, um hinter sich zu sehen, und Don Manuel verlor seine Zeit nicht. Die Messe war vorbei, er führte seine Begleiter in die Pasade, und ließ ein eigenes Zimmer geben.

Vamos! sagte er vertraulich zu Antonio: heute müssen Sie mein Gast sein, denn ich habe gestern 4000 Realen gewonnen. Antonio machte keine Umstände. Sich auf fremde Kosten einmal recht bene zu thun, war ein gefundenes Essen für ihn. Freundlich winkte er Theresen, und sie lächelte. Armer Hahnrey! Wenn du gewußt hättest, was sie dabei dachten.

Don Manuel machte Anstalten; der Wirth hatte Alles, aber der Wein fehlte. Man muß ihn aus einem Kloster holen, und Don Manuel wollte selbst gehen. Welche Unschicklichkeit! Antonio kann sie nicht geschehen lassen. Er nimmt die Bota, der Neffe soll ihn begleiten, aber er hat einen Schuh verloren.

Bringen Sie vom besten! rief ihm Don Manuel nach. Aber kaum war er herunter, so kam ein Freund von Don Manuel auf ihn zu. Er hat von seiner Arbeit gesehen, sie ist vortrefflich. [120] Er braucht ein Paar englische Stiefeln. – Hier ist ein Duro drauf! – Der Fragen und Bestellungen sind kein Ende. Unser Schuster geräth in Feuer; der andere trinkt ihm zu; er verliert seine Bota. Demonio! er muß sie wieder finden. Nun, so mag er sie suchen!

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Kaum war er die Treppe herunter, als Don Manuel die Thüre verriegelte. – Süße Therese! und seine Arme umschlangen sie. Sie that nur schwachen Widerstand! ihre Bitten erstarben an seinen Lippen; er trug sie auf das Bette, und sein Sieg war vollkommen.

Antonio kam nicht, und Don Manuel erzählte ihr Alles. Sie lachten über den Betrug, und hörten nicht auf, ihn zu benutzen. – O Herzensfreund! rief Therese – ich sterbe vor Entzücken! – Stirb, süßes Weib! erwiederte Don Manuel: mein Küssen soll dich wieder erwecken!

So genossen sie in süßem Entzücken des unnennbaren Genusses, den der geistvolle Herr Basilius von Ramdohr aus Hoya so geistvoll geschildert hat 2. Nie war Therese noch so [121] glücklich gewesen. Was ist Wollust ohne Liebe? Auch Don Manuel schwelgte in süßer Vergessenheit. Nie hatte er die Reize der Sympathie, der Persönlichkeit, und des Beschauungshanges inniger empfunden 3. O heiliger Isidro! rief er begeistert aus: mit Recht nennen sie dich Labrador, denn du segnest den Ackerbau.

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Antonio kam endlich mit wohlgefüllter Bota zurück. – Por Dios! Por Dios! rief ihm der Wirth auf dem Saale entgegen: was ist in meinem Hause vorgefallen?

Was denn? fragte der betrunkene Schuster gleichgültig.

Der Wirth: Der Herr da oben –

Antonio: Nun?

Der Wirth: Por Maria santissma! Aus Sodom und Gomorra muß er sein!

Como? fragte Antonio gleichgültig.

Nun Burro! entgegnete der Wirth: Hab' ich's nicht durch's Schlüsselloch gesehen, wie er [122] euren Neffen – Versteht ihr's nun? – Oder seid ihr selbst von der höllischen Brüderschaft? – Aber noch heute, voto a Dios! noch heute meld' ich's, wo ich's zu melden habe 4.

Meinen Neffen? Meinen Neffen? wiederholte der Schuster unaufhörlich: o per la virgen del Carmen! Es ist meine Hure von Frau!

Der Wirth: Eure Frau? Eure Frau? Und hat Hosen an?

Antonio: Eben deswegen! Eben deswegen! Ach pobre de mi! Ach ich sterbe vor Wuth! – Wo ist sie? Wo ist sie, die Hure?

Halt, halt! sagte der Wirth, und faßte ihn bei den Armen. Keinen Spektakel! Wenn es eure Frau ist, nun so habt ihr's nicht besser haben wollen.

Antonio brach jetzt die Thüre ein, aber er kam zu spät. – Ich glaube, Sie träumen! rief ihm Don Manuel entgegen: ihr Neffe kriegte die Colik, und ich gab ihm Tropfen.

Laßt's gut sein, Gevatter! sagte der Wirth: wenn's nur geholfen hat! – Therese lächelte und schien ihm Recht zu geben, um der Sache ein Ende zu machen. Nach vielem Streiten verglich [123] man sich. Der Schuster bekam hundert Piaster; Therese zog als Haushälterin zu dem Kaufmann, und alle Parteien waren zufrieden.

Es lebe der heilige Isidro! riefen sie jubelnd, und nie ist ein Tag vergnügter beschlossen worden.

Fußnoten

1 Ein spanischer Fluch.

2 In seiner Venus Urania II. Band. Siehe den Abschnitt: der unnennbare Genuß.

3 Kunstausdrücke des begeisterten Herrn von Ramdohr.

4 Er spielt auf die Inquisition an, die kein Spanier gerne beim Namen nennt.

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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Der heilige Isidro. Der heilige Isidro. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7F7-D