[66] Die tolle Nacht.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Da waren wir also, sagte der Graf von Lingen, als sie in dem Dorfe ankamen, wo er die Nacht bleiben wollte. Da wären wir also, sagte er gleichgültig, und stieg aus dem Wagen, ohne sich weiter um seine schöne Gemahlin zu bekümmern. Sie war erst seit einem Jahr an ihn verheirathet, und liebte ihn unaussprechlich; aber sie wäre sehr glücklich gewesen, wenn er sie nur auf diese Art vernachlässigt hätte.

Indessen sie in ihr Zimmer gebracht wurde, war der Graf bereits in der Küche beschäftigt. Er hatte die junge feurige Wirthin allein gefunden, und als ein erklärter Weiberjäger auf sie Jagd gemacht. Das Hühnchen schien Vergnügen daran zu finden, und ließ sich nach wenig Minuten greifen.

Riekchen, so hieß die Wirthin, war erst achtzehn Jahre alt, und ihr Mann war in die [67] Stadt gefahren. Der Graf fand sie gerade in einer kritischen Stunde, und sein Rang, sein Reichthum, seine Figur vollendete den Sieg. Ach wenn Eitelkeit und Sinnlichkeit sich vereinigen, dann hat der böse Feind gewonnenes Spiel.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Die Präliminarien waren in Kurzem abgeschlossen, und Riekchen gab dem Grafen Erlaubniß, sie diese Nacht zu besuchen. Er ließ sich, der Vorsicht halber, ihre Schlafkammer zeigen, und gieng endlich nach einigen vorläufigen Tändeleien wieder zu seiner Gemahlin.

Das Essen wurde aufgetragen, und man setzte sich zu Tische. Die arme Gräfin war längst gewohnt, ihn mürrisch zu sehen: aber diesen Abend war er außerordentlich lustig. In der Freude ihres Herzens verschwendete sie ihm die zärtlichsten Namen, und schmeichelte sich, wenigstens diese Nacht wieder einmal seine Geliebte zu sein.

Dem Grafen indessen fieng an die Zeit lang zu werden, und er that, als ob er vor Müdigkeit einschliefe. Gräfin Auguste küßte ihn, und bat ihn zärtlich, sich niederzulegen. Die Wirthin [68] kam herauf, um das Bette zu machen; der Graf drückte ihr verstohlen die Hand, und legte sich unverzüglich nieder.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Es war ein großes zweischläfriges Bette, wie man es auf dem Lande zu finden pflegt. Der Graf streckte sich phlegmatisch neben sein schönes Weibchen, und fieng den Augenblick zu schnarchen an. So wenig sie dieses erwartet hatte, so geduldig mußte sie sich's gefallen lassen. Sie tröstete sich indessen mit seinem baldigen Erwachen, und hoffte ihn nachher desto munterer zu sehen.

Unter diesen süßen Gedanken war sie eingeschlafen, als der Graf leise aus dem Bette schlüpfte. Kaum hatte er sich vor Ungeduld halten können; endlich schien die glückliche Minute gekommen zu sein; es schlug halb zwölf Uhr, und alles war still im Hause. Er nahm seinen Mantel um, öffnete die Thüre ohne Geräusch, ließ sie offen, und schlich auf den Zehen in Riekchens Kammer.

Bist du da, liebes Riekchen? rufte er leise; und in dem Augenblick umarmte sie ihn. Ihre Küsse, ihre Liebkosungen flogen den seinigen entgegen. Er faßt sie an, trägt sie in das Bette, [69] und eilt, ihr tausend schöne Dinge zu sagen. O ihr ohnmächtigen Schwätzer! Ohne diese Beredsamkeit werdet ihr kein Herz rühren.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Der Graf halte einen Kammerdiener, den er mit aus Frankreich gebracht hatte. Es war ein junger Mensch von der schönsten Figur, die man sehen konnte. Er schlief neben dem Zimmer des Grafen, und mußte jetzt aufstehen, um das kleine Cabinet zu suchen.

Es war finster, er kommt halb schlafend zurück, verwechselte die Zimmer und legt sich ohne Bedenken in das Bette. Gräfin Auguste erwacht, hält ihn für ihren Mann, und rückt traulich an ihn an.

Ach mein Engel, was bist du kalt! sagte sie mit einem Kusse, verschlang ihre Glieder mit den seinigen, und machte ihm die zärtlichsten Liebkosungen. Pleßy, der mit seinem Kameraden in einem Bette geschlafen hatte, lachte im Stillen, und beschloß, den Träumer mit einem derben Schlage aufzuwecken. Aber die sanften weichen Hände der Gräfin überzeugten ihn bald, wo er wäre. Er erschrack, und wußte nicht, was er machen sollte.

[70] Nur einen Kuß, mein süßer Freund! fuhr die Gräfin bittend fort, als er unbeweglich blieb. – WenigstensDas! Hörst du! Ein kleines Küßchen, lieber Mann! – Pleßy war unerbittlich, und hoffte sie verdrießlich zu machen; sie würde dann einschlafen und er unbemerkt fortschleichen können. Aber sie war nun einmal in Feuer gerathen, und ihre Liebkosungen wurden immer dringender.

Man hätte von Marmor sein müssen, um hier zu widerstehen. Diese glühenden Küsse, diese stammelnden Worte, diese wollüstigen Seufzer, diese zärtlichen Angriffe! – Pleßy schmelzte; er war seiner nicht mehr mächtig; er vergaß den Grafen und die ganze Welt.

Ach du tödtest mich, Trauter! rief sie außer sich vor Entzücken, und preßte ihn heftig an ihr Herz. Aber er eilte, sie in's Leben zurück zu bringen, und ihre Seelen vereinigten sich.

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Der erste Rausch war vorüber; die Gräfin kam ein wenig zu sich selbst, und schien verwundert zu sein. Diese Lebhaftigkeit, diese Fülle, dieses Uebermaß von Zärtlichkeit war ihr unerwartet. [71] Das ungewöhnliche Stillschweigen, eine kleine Verschiedenheit gewisser Formen, eine kleine Veränderung in der Manier, alles gab ihr einigen Verdacht.

Pleßy war indessen in Todesangst. Er zitterte vor dem Ausgang, und wagte sich doch nicht zu entdecken. Wenn der Graf jetzt käme! – Wenn die Gräfin ihn morgen – – Tausend schreckliche Besorgnisse, tausend gräßliche Ideen!

Einige Minuten hatte er so zugebracht, endlich ermannte er sich. – Liebes Hannchen! sagte er, als ob es das Kammermädchen der Gräfin wäre – Jetzt weiß ich doch, daß du mich liebst! Mag der gnädige Herr dir's auch verbieten: was hat er darnach zu fragen?

Die Gräfin erstarrte. – Aber du sagst mir nichts, mein liebes Kind! fuhr er liebkosend fort: denkst du, daß der Graf? – Ach der ist weit von hier, der ist drüben bei der jungen Wirthin.

Kaum hatte die Gräfin das gehört, als ihr leichter um's Herz wurde. Ihr Mann war ihr ungetreu, der Himmel hatte ihn selbst bestraft. – Wodurch man sündigt! – Dieses Sprüchwort tröstete sie. Das Geschehene war nicht ihre [72] Schuld, Ihr Genuß war rechtmäßig gewesen; sie hatte sich keinen Vorwurf zu machen.

Freund! sagte sie sanft und leise: nimm diesen Ohrring, und morgen wirst du mich erkennen. Sei verschwiegen, und dein Glück soll gemacht sein.

Pleßy küßte sie noch einmal auf Mund und Busen, ohne daß sie es ihm verweigerte, und schlich unbemerkt in seine Kammer.

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Der Graf hatte indessen in Riekchens Armen zwei süße Stunden zugebracht, als man auf einmal heftig an die Thüre klopfte. Beide lagen in jener süßen Ermattung, die dem Vergnügen zu folgen pflegt, und man kann denken, wie sie erschracken.

Wer ist da? rief Riekchen zitternd.

Ich! antwortete eine barsche Stimme.

Wer ich?

Dein Mann! (mit einem kräftigen Fluche) Kennst du mich nicht?

Riekchen war mehr todt als lebendig; dennoch wußte sie Rath zu schaffen. Der Graf [73] mußte unter das Bette kriechen, und sie machte endlich die Thüre auf.

Der Mann hatte ein Licht in der Hand, und setzte es auf den Tisch. – Du hast ja einen Schlaf wie ein Ochse! sagte er mürrisch, und fieng an, sich auszuziehen. Indessen sahe er den Mantel des Grafen liegen. – Was Teufel! Frau, was ist das für ein Mantel?

Was? rief sie ohne verlegen zu sein: der tausend! Wenn mir das jemand anders gethan hätte! – Daß dich! – Ich vergesse auch alles!

Der Mann nahm sie bei dem Ohre. – Heda! Was ist das für ein Mantel? sage Ich:

Warte nur, ich will dir alles sagen, indem sie die Thüre öffnete, als ob sie sich vor den Horchern fürchtete. – Besinnst du dich noch auf den Herrn von Berlin?

Er: Was für ein Herr?

Sie: Der lange, der vor ungefähr acht Tagen hier durchkam – Mit dem Schweißfuchse – Er hatte so einen langen Schwanz – Weiht du's denn nicht mehr?

Er: Ich kann mich nicht besinnen.

Sie: Mein Gott! In dem blauen Ueberrocke, und mit der Habichtsnase?

Er: – Das wüßte ich nicht.

Sie: Ueber den – Weißt du denn nicht [74] mehr? – Er hatte so einen großen Pudel bei sich.

Er: Ach der! Ja ja, jetzt fällt mir's ein; er wollte Wein haben.

Sie: Freilich! Und du hattest noch keinen fertig.

Er: Nun?

Sie: Der kam heute Mittag wieder durch, und da hat er den Mantel da gelassen.

Er: Nun, von mir mag er ihn nicht wieder fordern; warum giebt er nicht auf seine Sachen Achtung! Laß doch einmal sehen, was dran ist. – Sackerlot, was für ein prächtiges Tuch! Der ist seine zwanzig Thaler unter Brüdern werth!

Der Graf fand die List vortrefflich, aber seine Lage wurde dadurch nicht besser. Im bloßen Hemde auf den Ziegelsteinen zu liegen, war nun freilich ein wenig hart. Mit Vergnügen hätte er noch einen Mantel dazu gegeben, um nur fort zu kommen.

7. Kapitel

Siebentes Kapitel.

Riekchen hatte sich indessen wieder in das Bett gelegt, und der Mann wollte ihr folgen. – [75] Aber zum Teufel! sagte er: ich muß wahrhaftig erst was essen. – Herrlich, herrlich! dachte das Weibchen. Unten im Schranke, fuhr sie fort, steht noch ein halbes Rebhuhn von der fremden Herrschaft.

Er: Im kleinen Speiseschrank?

Sie: Ja, liebes Männchen! Wenn du dir's holen willst – Aber schließ ja wieder zu, der Kater kommt sonst darüber.

Der Mann wollte nun seine Schuhe wieder anziehen und hinunter gehen. Da aber der eine unter das Bett gekommen war, nahm er das Licht ihn zu suchen. Riekchen sahe es, und sprang mit gleichen Füßen heraus. – Ist das nicht ein Elend! sagte sie hitzig, und riß ihm das Licht aus der Hand. – Was soll er denn unter dem Bette machen?

Ih so lauf doch nicht barfuß! rief der Mann: wenn du nachher die Colik kriegst! – In dem Augenblick that sie, als ob sie über den Stuhl fiel, und das Licht war ausgelöscht.

Nun der Donner und der Hagel! rief der Mann: Was machst du denn für dummes Zeug? Brichst dir noch das Genicke! Riekchen! Riekchen!

Das gute Weibchen hatte indessen ihre Hand unter das Bette gesteckt, und einen Gegenstand gefaßt, der sie wie ein Magnet anzog. – Der [76] verdammte Schuh! sagte sie endlich seufzend: nun mache nur, daß du wieder kommst!

8. Kapitel

Achtes Kapitel.

Der Mann tappte die Treppe hinunter. – Geschwinde, geschwinde! rief Riekchen, und half dem Grafen unter dem Bette hervor. Ein Kuß, eine Umarmung, und sie schob ihn eilend zur Thüre hinaus.

Indessen kam der Mann in die Küche, und schlug sich Licht an. Er machte den Speiseschrank auf – kein Rebhuhn zu sehen noch zu hören. – Warte, infame Bestie! rief er wüthend, und warf seinen Schuh nach dem unschuldigen Kater, der auf dem Heerde saß. Das Thier wollte sich retten, und riß zugleich ein halbes Dutzend Töpfe herunter.

Riekchen hörte den Lärm, und fieng an zu schmälen. – Was machst du nun einmal wieder, du dummer Tölpel! Das ist wahr, nichts als Unglück! Bei dir kann man zu etwas kommen!

Ich hab's der Lise nun schon tausendmal gesagt! rief er ihr auf dem Gange entgegen. Aber das Licht brannte ab, und in dem Augenblick rannte er an den Grafen an.

[77] Wer da? – Keine Antwort. – Wer da? Ins drei Teufels Namen! – Der Graf schwieg abermals. – Wer da? sag ich! indem er ihn um den Leib faßte. – Was will er hier? Was will der Kerl? – Er hatte seinen Schuh noch in der Hand, und fieng an, derb damit loszuschlagen.

Nur mit Mühe gelang es dem Grafen, sich loszumachen. Er springt fort, und kommt in das Stübchen des Kammerdieners.

9. Kapitel

Neuntes Kapitel.

Pleßy! Pleßy! rief er und schüttelte ihn. Pleßy fuhr erschrocken auf, und glaubte alles verrathen. – Ach gnädiger Herr! Um Gotteswillen! –

Der Graf: Was fehlt dir? Was willst du?

Pleßy: Ach, es war nicht mit Vorsatz!

Der Graf: Was denn? Ich verstehe dich nicht.

Pleßy: Ach Gnade! Gnade! – Erbarmen! Erbarmen! – Bringen Sie mich nicht um!

Der Graf: Kerl, so ermuntere dich doch! indem er ihn bei der Nase faßte. – Du mußt mir ein weißes Hemd geben!

[78] Pleßy war jetzt beruhigt. – Ja ja, gnädiger Herr! sagte er nach einer kleinen Pause: augenblicklich! Ich hatte nur so einen bösen Traum.

Der Graf zog das Hemde an, und schlich sich äußerst ermüdet zu seiner Gemahlin hinüber. Sie war eben eingeschlummert, nachdem sie tausendmal bereut hatte, den glücklichen Zufall nicht noch länger benutzt zu haben. – Bist du's wieder? sagte sie zärtlich, als sie der Graf beim Einsteigen aufweckte. – Ich bin's! gab er trocken zur Antwort, und sie zitterte, sich verrathen zu haben. – Welcher Unterschied! dachte sie seufzend, und drehte ihm den Rücken zu. – Welcher Unterschied! dachte Riekchen, als ihr Mann neben ihr lag.

Die armen Weiberchen! Sie hatten beide Recht; aber die Genie's sind verschieden.

10. Kapitel

Zehntes Kapitel.

Die Gräfin hatte ein Kammermädchen, das neben ihr schlief, und nicht weit davon war ein Offizier logirt, so daß alle diese Zimmer in einer Reihe waren. Das Kammermädchen und der Offizier hatten sich verständigt, und er wollte [79] jetzt zu ihr gehen, um die Sache vollends in's Reine zu bringen.

Er tritt in ein Zimmer, und hört zwei Personen athmen. Er horcht. – Sollte sie mich betrogen haben? – Langsam schlich er zum Bette, streckte seine Hand aus, und faßte der Gräfin ihre.

Um Gotteswillen! sagte sie leise, und drückte sie an sich. – Mein Gemahl! – Der Offizier merkte die Verwechselung, beschloß aber sie zu benutzen. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er sie in seine Arme; seine Küsse bedeckten ihren Busen; umschlang sie, und trug sie in das nächste Zimmer.

Aber lieber Junge! sagte sie zärtlich und zitternd: was willst du machen? – Ohne zu sprechen, wußte er ihre Frage im Augenblick zu beantworten, und ihre süßen Träume waren erfüllt. O wie innig drückte sie ihn an ihren Busen! Wie viel zärtliche Namen! Wie viel glühende Küsse! Welcher Unterschied!

11. Kapitel

Eilftes Kapitel.

Indessen hatte das Kammermädchen wenige Minuten nachher ihr Bette verlassen, um den [80] Offizier selbst zu besuchen. Die Schönen sind in solchen Augenblicken sehr ungeduldig, und glauben, die Gelegenheit bei den Haaren fassen zu müssen.

Sie verließ ihr Zimmer, und tappte sich glücklich in das seinige. Allein sie fand die Thüre verschlossen, denn ihr Platz war besetzt. – Welcher Irrthum! dachte sie: bald hätte ich die Herrschaft aufgeweckt! – wenige Schritte, und sie war in dem Zimmer des Grafen.

Sie fand das Bette, legte sich unbemerkt neben ihn, und erweckte ihn durch Liebkosungen. Er hielt sie anfangs für die Gräfin, aber ihr stärkerer Gliederbein erinnerte ihn an Riekchen. – Sie ist es! dachte er, und schloß sie mit Entzücken in seine Arme. – Wie schön, rief er: daß du mich allein findest! Geschwinde die Thüre zu! Madame kann auf dem Gange logiren.

Das Mädchen war zu weit gegangen, um wieder zurück zu können, auch hatte sie wahrlich keine Lust dazu. – Mir zu gefallen! dachte sie: es soll sich nun einmal so schicken. – Ohne ein Wort zu sagen, ließ sie den Grafen seine Rolle spielen, und fand den trefflichsten Acteur in ihm.

Allein am Ende verließ ihn die Sprache, und er mußte auf einmal abtreten. Freilich hätte [81] sie noch ein bischen zuhören mögen; aber wer konnte es ändern? Er hatte bereits die halbe Nacht gesprochen. Sie ließ ihn schlafen, und dachte darauf, sich fortzuschleichen; aber es war unmöglich, die Thüre aufzumachen.

12. Kapitel

Zwölftes Kapitel.

Indessen lag Rickchen im Bette, ohne ein Auge zuzuthun. Sie hatte entsetzlichen Durst, und konnte sich vor Hitze nicht lassen. Der böse Graf! Seine Arznei hatte sie nur noch kränker gemacht; es half nichts, sie mußte aufstehen, und zu ihm gehen.

Gesagt, gethan! Sie schlüpfte unbemerkt zum Bette heraus, schlich auf den Gang, und stößt an jemand an. Eine Mannsperson im Hemde von der Größe des Grafen. Er muß es selbst sein. – Ach, seufzte sie leise, und drückte ihn heftig an sich – Ich sterbe noch!

Pleßy, denn er war es selbst, antwortete nichts, aber es gieng ihm eben so. Die Gräfin hatte sein Blut in Wallung gesetzt; die Wirthin sollte es abkühlen. Er erwiederte ihre Liebkosungen mit Feuer, fand die Stube des Kammermädchens offen, und führte sie hinein.

[82] Sie war zu sehr mit ihrem Entzücken beschäftigt, um ihn zu erkennen; beide Theile sprachen nur durch Küsse. Allein der beste Virtuos ermüdet; Pleßy schlief ein, und Riekchen war zu müde, um lange zu wachen.

So haben wir also den Grafen mit dem Kammermädchen, die Gräfin mit dem Offizier, Riekchen mit dem Kammerdiener verlassen. Alle sind eingeschlafen, und alle vollkommen zufrieden.

13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel.

Der Tag brach an; die Gräfin erwachte. Man urtheile von ihrem Entsetzen, als sie den Offizier neben sich sahe. Zum Glück schlief er fest, und sie entschloß sich kurz. Aus dem Bette springen, das Zimmer verlassen, war im Augenblicke geschehen.

Sie trat in das Ihrige. Ihr Gemahl hatte so eben das Kammermädchen erkannt. – Eh bien Monsieur! sagte sie lächelnd: comment avez vous passé la nuit? Der Graf antwortete nichts und küßte ihr die Hand.

Wir müssen bezaubert sein! sagte er endlich, und das Kammermädchen verkroch sich unter die Decke. – Wo haben Sie denn geschlafen, Madam? – Auf einem Stuhle in der Unterstube! [83] gab sie erröthend zur Antwort: je suis trop indulgente pour troubler vos plaisirs.

Ihre eigenes Abentheuer machten sie nachsichtig. – Allons Lisette! fuhr sie fort, als sie die Angst des armen Mädchens bemerkte: lever vous, et bouche otose! indem sie ihr mit dem Finger drohte.

Lisette gieng fort, aber ihre Stube war verschlossen. Ihr Geräusch machte die Schlafenden aufmerksam, denn die Thüre gieng bald nachher auf. Sie drehte sich um, und die Wirthin sprang schnell über den Gang; gleich darauf kam auch Pleßy. Sie thaten nicht, als ob sie sich sahen, aber sie mußten beide lachen.

Die Gräfin hütete sich wohl, ihren Ohrring zurück zu fordern, und fand bald Gelegenheit, den zweiten dazu zu geben. Der Graf ließ seinen Mantel mit Freuden im Stiche, und nahm seine Prügel geduldig hin.

Die Nacht hatte alles in's Gleiche gebracht. Er war bestraft, wodurch er gesündigt hatte. Zwei Ehemänner hatten doppelte Kronen empfangen; drei arme Täubchen waren erquickt worden, und drei Tauber hatten ihre Lust gebüßt. Laßt es nur gut sein, lieber Leser! Das Schicksal weiß alles in's Gleiche zu bringen.

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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Die tolle Nacht. Die tolle Nacht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7F6-F