[84] Der Storch.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Was? sagte der Hauptmann R–: ein junges Weibchen und ein alter Mann, das müßte doch vom Teufel sein! – Es war die Frau eines Seilers in der Nachbarschaft, der er schon lange zu Gefallen gegangen war. – Nein, nein! fuhr er fort: es muß gehen; es muß, hol mich der Teufel! gehen.

Seid einer Frau gut, sie wird's von selbst gewahr werden. Auch die schöne Seilerin hatte den Hauptmann längst bemerkt. Er war jung und schön; sie fieng an, ihn zu lieben, und beschloß, dankbar zu sein.

Eines Abends sah er den Mann allein ausgehen und das schöne Weibchen gleich darauf an der Thüre erscheinen. – Fort, fort! sagte er zu sich selbst: jetzt müssen wir eine Approche machen!

2. Kapitel

[85] Zweites Kapitel.

Schönen guten Abend! sagte er freundlich und machte ihr ein tiefes Kompliment. – Immer so fleißig? Die hübschen Weiberchen haben doch alle Tugenden!

Sie: Gehorsame Dienerin, mein Herr Hauptmann! Sie belieben zu spassen.

Er: Wahrhaftig nicht, mein schönes Weibchen! Es ist mein völliger Ernst. Ach wollte der Himmel, es wäre mit meiner Krankheit Spaß.

Sie: Krankheit? Sie, Herr Hauptmann? Ih, Sie blühen ja wie eine Rose!

Er: Aber es sitzt innerlich bei mir.

Sie: Mein Himmel! Was fehlt Ihnen denn?

Er: Ach, ich sterbe noch vor Liebe!

Sie: Vor Liebe? Daß Gott erbarm'!

Er: Ja, bei dem ist mehr Erhörung, als bei den schönen Weiberchen.

Sie (verlegen): Was meinen Sie, Herr Hauptmann? Ich habe Sie nicht verstanden.

Er: Nun, sag' ich's Ihnen: ich bin Ihnen so gut, daß es mir noch das Leben kosten wird.

Sie (freudig): Mir? Ach Sie sind gar zu gütig!

Er: Ja Ihnen! Ihnen, liebes Weibchen! [86] Sehen Sie, ob Sie's nun wissen? Aber nun sagen Sie mir auch –

Sie: Was denn?

Er: Ob Sie mir gut sind?

Sie: Wie soll ich's Ihnen denn sagen?

Er: Wissen Sie was? Geben Sie mir ein Zeichen.

Sie: Was denn für ein Zeichen?

Er: Ach, Sie werden es schon wissen, liebes Weibchen! Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen.

Sie: Nein, lieber Herr Hauptmann! Ich weiß es wirklich nicht, wenn Sie mir's nicht sagen.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Sie schlug die Augen nieder, und der Hauptmann drehte seinen Hut hin und her. – Ich wollte es Ihnen wohl sagen, fuhr er fort, aber Sie müssen es nicht übel nehmen.

Sie: Nein, wenn ich kann, so will ich's gewiß nicht übel nehmen.

Er (heimlich): Machen Sie mich zu Ihrem Freunde.

Sie (lächelnd): Nun das konnten Sie ja laut sagen.

[87] Er: Aber –

Sie: Nun?

Er (heimlich und bedeutend, indem er sie küßte): Der kleine Freund hat auch eine Bitte.

Sie: Und was fehlt ihm denn?

Er: Ein Zimmerchen, wo er logiren kann.

Sie (lächelnd): Und das soll ich ihm geben?

Er (immerfort küssend, wovon man aber keine Notiz nehmen will): Sie haben ja so ein kleines, niedliches, allerliebstes –

Sie: Nun, weil Sie so schon bitten können: ich will sehen, was ich thun kann. Sagen Sie ihm nur, er soll wieder zufragen: heute geht's nicht, denn der Alte kommt wieder: aber morgen Vormittag.

Er: Liebes englisches Weibchen! Der arme kleine Freund wird ganz außer sich sein; er wird Decken hoch springen, wenn ich's ihm sage.

Sie: Er soll sich nur keinen Schaden thun, hören Sie! – Nun morgen punkt zehne.

Der Hauptmann war entzückt. – Wir haben Posto gefaßt! rief er: und morgen wollen wir's Defilee passiren.

Die schone Seilerin war nicht weniger zufrieden. – Es ist doch ein charmanter Mann, dachte Sie: wie er's verblümt zu geben weiß! [88] – Man sagt, sie habe die ganze Nacht vom kleinen Freund geträumt. –

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Zehn Uhr schlug; der Hauptmann kam und brachte den kleinen Freund mit. – Man kann denken, wie sie empfangen wurden.

Die schöne Seilerin räumte ihm ihr niedliches Zimmerchen ein und umarmte ihn tausendmal. Seine Figur, seine Lebhaftigkeit, seine Beredsamkeit, die ihm so gut von den Lippen floß; alles bezauberte sie. Sie selbst gefiel ihm nicht weniger. Ihre Herzlichkeit, ihre Gefälligkeit, ihr zuvorkommendes Wesen, alles entzückte ihn. Sie schienen für einander gemacht zu sein.

Wie viel hatten sie sich nicht zu sagen! Wie viel zärtliche Ergießungen! Wie viel trauliche Geständnisse! Jeder Augenblick brachte sie näher zusammen; sie gaben sich eines dem andern hin und vergaßen die ganze Welt um sich.

Aber auf einmal läßt sich die Stimme des Mannes hören. – Himmel, wir sind verloren! rief das Weibchen, Kaum hatte der Freund Zeit, sich zu retten. – Geschwinde hinter den Ofen! ruft sie athemlos, und der Mann tritt zur Thüre hinein.

[89] Du bist ja so erhitzt, sagte er mürrisch: was hat's denn gegeben?

Sie: Ach lieber Mann! Ach ich habe eine rechte Freude gehabt!

Er: Es wird was rechts gewesen sein. Laß doch hören!

Sie: Da kam der fremde Wundermann – du wirst ihn auch gesehen haben?

Er: Was für ein Wundermann? Ich habe keinen gesehen.

Sie: Der indianische Schaman, oder wie sie hier heißen? Mit der großen spitzigen Mütze, voll lauter goldener Figuren, und dem langen gros de tournen Kaftan.

Er: Nun was war denn mit dem?

Sie: Der kam herein und fragte nach dir, ob wir Kinder hätten und so weiter.

Er: Nun, und was gabst du ihm denn zur Antwort?

Sie (verschämt): Ih nun, daß es dem lieben Gott gefiele – du weißt ja, lieber Mann, wie du immer sagst: der liebe Gott straft uns, daß wir keine kriegen.

Er: Ja wohl straft er uns; denn an mil liegt's wahrhaftig nicht.

Sie: Nun, sagte der Schaman: ich will Ihnen ein Kunststück zeigen, wie Sie den Storch [90] beschwören können. Machen Sie das nach, und ehe ein Jahr vergeht, so müssen Sie ein oder zwei Kinder haben.

Er: Das wäre? Ach wenn mir Gott die Gnade gäbe, auf den Knieen wollte ich ihm dafür danken.

Sie: Das dacht' ich eben, lieber Mann, und darum gab ich ihm acht Groschen mit Vergnügen und ließ mir das Kunststück lernen.

Er: Nun, worinnen besteht es denn?

Sie: Wenn du's sehen willst, lieber Mann, so will ich's einmal probiren, aber du mußt alles thun, was ich dir sage.

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Der alte einfältige Seiler versprach es ihr und es war ihr alles gelungen. – Die hat Witz für zwei, dachte der Hauptmann: aber wenn ich nur fort wäre.

Nun lieber Mann, fuhr sie fort: jetzt mußt du dich auf die Erde legen. – Nein mit dem Gesicht auf den Boden. – So! – Nun leg' ich ein Betttuch über dich, aber du mußt dich nicht rühren. – und nun den Backtrog. – Lieg' ja stille, oder es ist alles verloren.

[91] Der arme Schächer ließ sich alles gefallen und lag da wie eine Schildkröte. – Nun decke ich dir den Kopf mit einem Kissen zu, fuhr sie fort, spreitze mich über den Backtrog aus und sage die Formel her. Wenn ich inne halte, mußt du dreimal husten, und dann weiden wir sehen.

Gesagt, gethan! Sie deckte ihm den Kopf mit einem dicken Kissen zu, spreitzte sich über den Backtrog aus und fieng ihr Abrakadabra an. Der Hauptmann merkte ihre List und kroch hinter dem Ofen hervor. – Bscht! sagte sie, als ob sie dem Manne ein Zeichen gäbe, und er hustete nach Herzenslust.

Der zweite Theil der Formel: der Mann hustete abermals. Der Hauptmann schlich weiter nach der Thüre. Eben wollte sie schließen; sie winkte, und er sprang glücklich hinaus. – Ach der Storch! der Storch! schrie sie freudig: Da fliegt er! Da fliegt er! Geschwinde, geschwinde, lieber Mann! – Aber ehe sie ihm aufhalf, war der Hauptmann Storch über alle Berge.

Nun so gebe Gott sein Gedeihen dazu! seufzte der alte Seiler. – Amen! sagte die Frau: es ist mir sauer genug geworden.

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TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Der Storch. Der Storch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7E4-8