Caroline Auguste Fischer
Margarethe

Ein Roman

Von der Verfasserin von
Gustavs Verirrungen

[1] Stephani an seine Verwandten.

Scheltet nur! es ist nichts angefangen, noch weniger vollendet. Eure Empfehlungsschreiben sind nicht abgegeben und euere Aufträge nicht besorgt. Der Alte! – werdet ihr rufen. O nein! nicht ganz der Alte. Seit acht Tagen, die ich hier bin, noch kein Schauspiel besucht, alle Kunstschätze unbesehen, alle mondhellen Nächte durchschlafen.

Ihr werdet das Alles begreifen, wenn ich euch sage, daß Bernhard plötzlich in Dienstesangelegenheiten verreist war, von meiner Ankunft nichts wußte und nun gerade am Abende vor seinem Geburtstage zurückkehren wollte. Da nahmen mich dann sogleich die Kinder in Beschlag und forderten Altäre, verschlungene Namen und Illuminationen. Das herrliche Weib, die Mutter, schämte sich beinahe ihres Ungestümms; doch ging ihr der Tadel auch nicht von Herzen, und so machten die kleinen Quälgeister mit mir, was sie wollten.

Bernhards Ueberraschung war unbeschreiblich. Er vergaß im ersten Augenblicke Weib und Kind. O die glückseligen Menschen! Ich sage euch, mein sehnsüchtiger Geist ist befriedigt, oder wenn ihr wollt, eingewiegt, seitdem ich das Alles so dicht um mich her sehe.

[2]

Die Kinder nennen mich den grossen Bruder und Abends mag ich mich flüchten, wohin ich will, sie wissen mich aufzufinden und an das Rasenplätzchen zu bringen, [2] wo des Erzählens kein Ende wird; es sey denn, daß uns die Mutter zum Abendessen herein treibt.

Gelingt es ihnen aber nicht, mich von der Gegend zu entfernen, komme ich früher als sie, so bin ich unbeweglich und sie müssen mich allein lassen. Auch des Morgens dürfen sie mich nicht stören. So hoffe ich doch noch etwas zu Stande zu bringen und, seyd nur ruhig, euere Aufträge sollen auch besorgt werden.


Es ist eine liebliche Gegend und schon vom südlichen Hauche belebt. Landschaft möchte ich aber doch nicht hier studiren: denn, wie gesagt, es bleibt Alles beim Lieblichen, und Scenen wie bei uns, fehlen ganz und gar. Um so treuer widme ich mich dem historischen Fache, für welches [3] ich, wie ihr wißt, unschätzbare Kleinode hier finde.

Ob das nun der Zweck meines Lebens werden soll? – Ich bitte euch, laßt mich! laßt mich doch! Ich gebe euch nichts zu bereuen, darauf könnt ihr bauen.

Wenn nun der Anblick himmlischer Schönheit mich erquickt, wenn mein umdüsterter Geist heller, mein hochpochendes Herz ruhiger wird, handle ich dann wider euch? wider mich? Denkt an euere Angst, ich würde mich der Bühne widmen – war sie gegründet? Vertraut nur der Mutter, wenn ihr mir wieder nicht glaubt. Sie wußte immer früher als ich selbst, was ich wollte.


Ich bin im Schauspiele gewesen, und es hat mich wunderbarer als jemals angezogen. [4] Besonders tief hat mich das Ballet erschüttert. Sie haben Tänzer! eine Tänzerin! bei dem allwissenden Gott, das ist ein Geschöpf sonder Gleichen! Thränen des Entzückens füllen mein Auge, wenn ich daran zurückdenke.

Ich weiß nicht, warum man bei uns so viel Komisches in das Ballet verflicht. Hier ist Ernst, hoher, heiliger Ernst. Ich kann, ich mag euch noch nicht sagen, welche Ahnungen das Alles in mir erweckt hat. Ich wollte, ihr kämet und sähet selbst.


Seht, ich prüfe, vergleiche, finde nichts ihr Gleiches, Aehnliches; nicht einmal unter den Werken der Kunst. Das ist Alles todt neben ihr.

[5] Nur in dieser Lebendigkeit, sagen ihre Feinde, liege der ganze Reiz ihrer unvergleichlichen Schönheit. Die Thoren bilden sich ein, das sey Tadel. O daß sie den Blicken dieser Menschen Preis gegeben ist! die ihren Werth kaum ahnen. Ob sie das weiß? Ob sie weiß, wie sie verkannt wird? Sonderbar genug hat mich bis jetzt eine gewisse Scheu abgehalten. Aber soll sie das ferner? Sie ist nicht männlich diese Scheu – und was fürcht' ich? – Wahrlich es fehlt mir die Antwort!


Wohin ich sehe, wohin ich gehe, da schwebt sie. Diese Scheu war Ahnung, Ahnung, daß sie mein ganzes Wesen umfangen würde. Ich denke nichts mehr, als sie.

[6] Bernhard scheint mich zurückhalten zu wollen. Wovon? Von Anbetung der höchsten, seelenvollsten Schönheit, die ich je sah? Und ihr Auge ruht mit Wohlgefallen auf mir. Sie ahnet, daß ich sie kenne; verstehen wir keiner den Andern. Doch hat sie noch kein Wort von mir gehört. Wie könnt' ich auch sprechen, wenn diese Rosenlippen sich öffnen! O nur diesen Mund möcht' ich euch zeichnen!

Ein erbärmlicher Mensch, ein Graf, bat mich letzt um ihr Bild; aber ich schlugs ab und gab vor, Porträt sey nicht mein Fach. Doch stellt er sich, als gäbe er die Hoffnung nicht auf, und meinte, wenn sie mir nur sitzen wolle, würde ich mich schon erbitten lassen.Erbitten!


[7] Morgen! Morgen! Aber daß dieser Mensch mich bei ihr einführt, soll ich es dulden? Nein, wie sie es auch nimmt, ich gehe früher.

Mathilde erblaßte, da sie es hörte, und Bernhard ward roth, wie vor Zorn. Bald hätte mich das erbittert; doch Mathildens Blick machte, daß ich mich schnell wieder faßte. Die Kinder drängten sich dicht um mich her, als geschähe ein Unglück, und Bernhard verließ plötzlich das Zimmer.

Die guten besorglichen Menschen nehmen das Alles ganz anders, befürchten eine gemeine Verbindung: von mir! von ihr! – Mathilden spräch' ich, beruhigte ich gern; aber Bernhard ist bei ihr.


Ich war bei ihr. Ein ganzes Zimmer voll Rosen duftete mir entgegen; Stühle, [8] Tische, der Fußboden, Alles mit Rosen bedeckt. Sie selbst schwebte aus einem andern Rosenzimmer herein, gestand mir diese Rosenleidenschaft, die sich jeden Frühling erneuere, und ihr den Winter ertragen helfe. »Uebrigens,« fügte sie hinzu, »scheinen mir die Männer am liebenswürdigsten, welche die wenigsten Rosen zertreten.«

Auf diese Worte setzte ich mich schnell ihr zur Seite. Sie war wunderbar schön, fühlte es, lächelte, und wurde noch schöner. Ich starrte sie eine Weile sprachlos an, aber da ihr Auge fragend auf mir ruhete, faßte ich mich endlich und wagte meine Bitte.

»Ach ja!« – antwortete sie – »der Graf hat mir schon lange davon gesagt, aber ich habe immer gezweifelt, daß irgend Jemand die nöthige Geduld mit mir haben [9] würde, denn lange auf einer Stelle zu bleiben, ist mir unmöglich.«

Ich versicherte ihr, dies sey gar nicht nöthig, und ich hoffe um so mehr für meine Arbeit, je weniger Zwang sie sich anthun werde.

»O wenn das ist!« – rief sie mit einer unaussprechlich reizenden Bewegung – »so können wir anfangen, wann Sie wollen.«

Wir sprachen nun noch einiges über den Anzug, und sie gestand mir, daß sie sich für die Bühne in ganze Stücke Zeug kleide, welche, ohne Hülfe des Schneiders, sich nach ihrer Laune fügen müßten, dann reichte sie mir noch ein Paar Rosen, und verschwand in das andere Rosenzimmer.

Den Abend sah ich sie noch als Psyche und so will ich sie bitten, sich malen zu lassen.


[10] Bernhard war nicht bei Tisch und doch nicht verreist; Mathildens Augen waren roth, die Kinder fragten nach dem Vater, der Aelteste wollte ihn holen und sie verbot es. Länger nun zu schweigen war mir unmöglich. Mathilde – sagt' ich – warum sind wir getrennt? –

Warum? O Gott! Bernhard sagt, ich sey Schuld.
Sie?
Ja, ich hätte Sie früher warnen sollen.
Was fürchten Sie?
Ach Gott! daß die ganze Ruhe Ihres Lebens verloren gehe.
Wenn ich das bewundere, was Jeder, der ein fühlendes Herz hat, bewundert?
Bewunderten Sie es so, was hätt' es dann für Noth? Sie lieben! lieben! und wen! –
Mathilde! wen! – rief ich ausser mir.
[11] Sie verbarg das Gesicht in den Händen und eilte weinend davon.

Ich war heftig erschüttert, und schloß die ganze Nacht kein Auge. Mein Gott, wie werde ich diese besorglichen Menschen zurückbringen! Unbegreiflich ist es mir, wie sie, bei ihrer Bildung, sich von so ganz rohen Urtheilen hinreissen lassen. Sie, die mich liebten, die noch vor Kurzem, da sie mich in euerer Mitte sahen, Schätze für etwas, das meinen gedrückten Geist hätte erheben können, geboten haben würden, sie verbittern jetzt meine Freude.

Heute wollte sie mir sitzen; glücklicher Weise wurde sie abgehalten. Wer wüßte, was sonst aus mir, aus dem Bilde geworden wäre.


[12] Ich sah sie gestern auf der Bühne. O du! Inbegriff von tausendfältigem Leben! von Seligkeit! bist du es; die sie lästern? – Morgen, Morgen! Wird meine Hand nicht zittern?


Mag Alles wahr seyn, was ihr vermuthet und fürchtet; mich kümmert das nicht mehr. Diese göttlichste Form, die mein Auge je sah, war bestimmt, einen göttlichen Geist zu umschliessen. Kann dieser Geist nun irren, geirrt haben, war es möglich, daß er sich selbst verkannte, eben weil andere ihn verkannten? – Das nun ist gerade euere Sache zu beweisen. Und, wie gesagt, mich kümmert das nicht mehr.

Kommt und seht. Meint ihr, ihr hättet schon gesehen? – Ich sage euch, ihr irrt. Und stört mich nur nicht in meiner [13] Seligkeit! Was hattet ihr? Was botet ihr, mich zu retten, da ich trostlos meine Bücher anstarrte? sie die mein Herz mit immer giftigern Zweifeln erfüllten. Ihr betrachtet mich, wie einen Kranken, träumt von Gefahr und von Tod. Seyd ruhig! Jetzt, gerade jetzt fühle ich die ganze Kraft, die volle Lebendigkeit meines Geistes. Naht mir der Tod, den ihr fürchtet, ich erkenne ihn, rette mich, bin genesen schneller, als ihr glaubt.


Nicht als Psyche, als Hebe will ich sie malen. Sie ist die ewige Jugend. In dieses Auge voll Leben und Seligkeit darf nichts Schmachtendes kommen. Ich vertraute das einem lieben, herzlichen Jungen, der mich versteht, und wie ich der Kunst leidenschaftlich ergeben ist. Er wandte [14] mir ein, ihr Körper sey, wenn gleich entfernt von üppiger Fülle, dennoch zu vollendet und es fehle ihrem Gesichte Hebens characteristischer Zug. Fehlen! Haben kann sie etwas, was Hebe nicht hat; fehlen kann ihr nichts.

Wir stritten lange darüber. Endlich meinte er, wenn das Gemälde fertig sey, werden wir sehen.

Die Menschen haben alle etwas gegen sie, können es nicht leiden, daß ich so mit ganzer Seele an ihr hänge. Am Ende ist es der blosse Neid – freilich bei diesem herrlichen Jungen wohl nicht – denn ihr Auge ruht mit Wohlgefallen auf mir.


Es quält mich, daß irgend etwas Wahres an seiner Bemerkung seyn möchte. – Aber bin ich nicht ein Thor? Warum will [15] ich sie so oder so? warum nicht ganz als sie selbst malen? – Die Tänzerin! – da liegt es! die Menschen haben mich schon mit ihren kleinlichen Vorurtheilen angesteckt. Glücklicherweise ist von dem Allen noch nichts laut geworden, und ich behalte freies Feld.


Die Zeichnung ist fertig und das Bild untermalt. Sie, sie selbst ist es. Nicht ruhend, nicht stehend, schwebend, wie ich sie immer sehe, auch dann, wenn ich fern von ihr bin.

Die armen Menschen! sie erzählen mir allerhand, fragen mich um dieses und jenes, und geben nachher nicht undeutlich zu verstehen: daß ich wohl so gewissen Abwesenheiten unterworfen seyn müsse. – Ganz recht! ich bin abwesend. O Gott, [16] möchte ich es ewig so seyn! Eine Fülle von Seligkeit durchströmt mein ganzes Wesen. Ich schliesse Mathilde, Bernhard, dessen Zorn mich schon lange nicht mehr beleidigt, in die Arme, und sie fühlen es, wiewohl, sonderbar genug, trauernd, daß ich selig bin.

Wunderbar verstehen mich die Kinder. Sie wissen, daß ich Alles thue, was sie wollen; daß sie dafür aber auch schweigen und mein Rasenplätzchen heilig halten müssen. Sie nahen sich mir immer nur mit bedeutendem Lächeln, in das sich bei den älteren, eben so sonderbar, wie bei Bernhard und Mathilden, etwas Wehmüthiges mischt.


Alle Künste sind verschwistert, deuten alle die Sehnsucht nach der verschleierten Mutter, lindern, trösten, geben Antwort [17] auf tausend weinende Fragen; aber keine erheitert so schnell als Malerei. Seht, ich habe sie nicht, male nur ihr Gewand und mein Geist schwebt in Sonnenschein.

Wunderbare Gewalt der Farben! noch wunderbarere Gewalt der göttlich-menschlichen, der menschlich-göttlichen Form! O es ist mein gelungenstes Bild! das sagen Alle. Aber idealisirt – setzen sie hinzu. Und ich sage nein. Sie selbst, nichts als sie selbst ist es; aber in ihrem glücklichsten Momente. So sehen sie sie nicht, so können sie sie nicht sehen; denn dazu gehört nicht allein das Auge des Künstlers, sondern das Auge der Liebe, das allenthalben das Wahrste, das heißt: das Schönste entdeckt.

Nun quälen sie mich um Copien. Jetzt, da sie festgehalten ist auf der Leinwand, ahnen sie doch ihren Werth. Die sind mir [18] nun gerade die Unerträglichsten, die das läugnen, Alles auf die Kunst schieben, und sich in ein ewiges Geschwätz über Bescheidenheit und dergleichen vertiefen wollen. Ich weiß am besten, was an dieser Bescheidenheit ist. War ich begeistert, durch dieses göttliche Auge bin ich es geworden. Morgen bringe ich ihr das Bild.


Eben war sie aufgestanden und saß im Garten unter blühenden Gesträuchen. O sie war schöner als das Bild. Ich kniete nieder und überreicht' es ihr. Sie sprach von Lohn. Das schmerzte tief. Aber die Nachtigall schlug. Sie beugte sich nieder und ihr Rosenmund berührte meine Stirne. Ich bin belohnt.


[19] Gestern, da ich zu ihr ging, begegnete mir der Graf. Er kehrte plötzlich um und klagte in ihrer Gegenwart: sie habe ihm das Bild nicht ohne meine Zustimmung lassen wollen, und es sey doch für ihn gemalt. Da sey Gott vor! – rief ich erzürnt. – Wie so? – sagt' er verwundert – ich verstehe mich zu jedem Preis. Kann seyn! – erwiedert' ich gefaßter und mit scheinbarer Kälte – das Bild ist für mich und für Niemand anders. Doch haben sie es mir zugesagt – fiel er ein. Da rief ich, plötzlich wieder ausser aller Fassung: ist erlogen! Wie! – sagte er mit einem widerlich affectirten Zorn – Sie unterstehen sich? Das verdient eine Züchtigung! Die Ihnen werden soll! – entgegnete ich schnell, und so verliessen wir beide das Zimmer.

Wir schlugen uns. Ich bekam eine leichte Schmarre über die linke Wange [20] und er einen ernsthafteren Hieb, als ich wollte, über den einen Arm. Seitdem ist er artiger und bettelt nur um die Copie. Ich sage weder nein, noch ja; glaube aber nicht, daß ich sie mache. Warum? – Es widersteht mir; weiter kann ich nichts sagen.


Der Fürst hatte von dem Bilde gehört und ließ mich rufen. Welch ein liebenswürdiger Mensch! welch ein wahrhafter Adel in allen Bewegungen! welch ein schönes, tiefes Zartgefühl für die Kunst!

Er fragte mich: wem das Bild eigentlich gehöre; ich gestand ihm, daß es Anfangs für mich bestimmt gewesen, daß Rosamunde aber von Lohn gesprochen, mich wirklich belohnt, und es sich demnach zum Eigenthum erkauft, ich aber bis jetzt gezittert [21] habe, es ihr ganz zu überlassen, aus Furcht, es möge in unrechte Hände kommen, es wieder mitgenommen und seitdem allerhand Kleinigkeiten daran verbessert habe.

Er faßte mit sonderbarer Heftigkeit meine Hand, und fragte, welche Summe ich bekommen habe. Ich sah beschämt vor mir nieder, und konnte die Worte nicht finden. Er aber drang immer heftiger in mich, und ich gestand die Wahrheit.

»O du lieblicher Schwärmer!« – rief er – »kann man dich so gewinnen? dann bist du mehr mein, als irgend eines Anderen! Ich habe Küsse zu verkaufen, die du mir mit noch köstlicheren Gemälden einhandeln sollst. Das heißt viel gesagt, wenn man dieses sieht – denn du mußt nur wissen, daß ich es und zwar in deiner eigenen Wohnung gesehen habe – doch soll es [22] nicht zu viel gesagt seyn. Hier seh' ich sie all!« – rief er begeistert, indem er die Hand auf meine Stirne legte – »die schönen Gebilde! sie sollen mir hervor und ich will der Zauberer seyn, der sie ruft!«

Seitdem muß ich täglich zu ihm kommen, und wie ihr seht, wäre es nun wohl Thorheit, eine andere Laufbahn zu wählen.


Auch der Fürst ist gegen sie. Das schmerzt tief. Wer ist der Blinde? ich oder sie Alle? –

Gestern saß ich zu ihren Füssen, sie streichelte meine Wange, und mein Auge blickte thränenvoll zu ihr auf. Warum weinest du? – fragte sie.

Ach! – sagte ich – sie wissen nicht, wer du bist! lästern, verkennen dich ganz. –

[23] Was glaubst du? – fragte sie weiter mit ihrem Zauberlächeln.

O! – rief ich – ich fühle Schmerz! Könnt' ich dich retten vor ihren Blicken! –

Sie schwieg.

Giebt es kein Mittel? – rief ich angstvoll und lauter – O sag'! giebt es kein Mittel? –

Fasse dich! – sprach sie – und sag was du meinest.

Was ich meine? – rief ich unwillig aufspringend – Fühlst du nicht, was ich meine? –

Der verhaßte Mensch, der Graf, trat herein, und ich ging.


Meine hohe Freude hat sich in Schmerz verwandelt. Ich kann sie nicht mehr auf [24] der Bühne sehen. O wer versteht mich, wem soll ich es klagen?

Schade, daß sie nicht Schauspielerin ist – rief letzt ein unerträglicher Mensch. Gott sey gelobt, daß sie nicht Schauspielerin ist! – rief ich mit glühenden Wangen. Der dumme häßliche Mensch schien auf eine spitzige Antwort zu sinnen. Aber der Fürst schob mich in sein Kabinet und sagte: fangen Sie mir nur nicht von dergleichen mit meinem Tollkopf an! da hat er seine eigenen Grillen.

Ach er glaubt mich zu schonen! und ein einziger spöttischer Blick von ihm ist mehr, als Alles, was sie schwatzen.

[25]

Gretchen an ihre Mutter.

Herzliebste Mutter! ich bin recht glücklich und wohl angekommen, und von all dem Unglücke, wovor uns so bange war, ist mir gar nichts begegnet. Der Herr Vetter sagt, das komme daher, weil ich fleissig gebetet und gar keine bösen Gedanken gehabt habe; das könne einem gleich jedermann ansehen, und nehme sich in Acht, einen zu beleidigen.

Nun, herzliebste Mutter! so braucht sie sich denn gar nicht mehr zu fürchten, daß mir ein Leides geschehe.

Was das aber für eine schöne Stadt ist und wie viel prächtige Sachen man da [26] zu sehen bekommt, das kann sie sich gar nicht vorstellen. Die Frauen sind fast alle sehr freundlich und haben fast alle recht gute Augen; die Männer aber haben fast alle sehr häßliche Augen, und gefallen mir nicht. Sie sieht wohl, daß ich ihre Lehre noch nicht vergessen habe: ich solle den Leuten nur gleich nach den Augen sehen.

Einen jungen Herrn habe ich aber gesehen, der kommt mir gerade wie ein Engel vor, und ich weiß gewiß, herzliebste Mutter, daß er ihr eben so vorkommen würde. Er wohnt bei dem Herrn Präsidenten, und malt so schöne Bilder, daß einem die Thränen in die Augen kommen, wenn man sie ansieht, und daß man des Nachts davon träumt.

Der Herr Vetter konnte uns nicht genug davon erzählen, als er die vielen Bilderrahmen hingebracht hatte, und sagte [27] auch, die Frau Präsidentin wolle dem jungen Herrn gar zu gern ein Dutzend recht feine schöne Hemden schenken, und ob's denn gar nicht möglich wäre, daß die Frau Base sie nähen könne; denn die Frau Präsidentin werde wohl vor den vielen Kindern und vor der grossen Haushaltung nicht dazu kommen.

Als nun die Frau Base hinging, die Leinwand abzuholen, bat ich gar zu sehr, ob ich nicht mitgehen dürfe? Die Frau Base sagte aber: das schicke sich nicht. Der Herr Vetter wurde aber fast böse, und sagte: das schicke sich recht wohl; ich sey ehrlicher Leute Kind und könne allenthalben hinkommen, und wenn ich so sittsam und gottesfürchtig bleibe, müssen alle Menschen Freude an mir haben, und die Mutter habe mich gerade in die Stadt geschickt, daß ich mich ein wenig umthun und nicht [28] leutescheu werden solle, und die Frau Präsidentin sey eine Frau, die ihres Gleichen nicht habe, und sey ein grosses Glück für mich, wenn ich manchmal hinkommen dürfe.

So nahm mich die Frau Base dann mit, und während sie von der Frau Präsidentin die Leinwand empfing, sah ich in den Garten, und da saß der junge Herr in tiefen Gedanken und sah aus, wie ein trauernder Engel.

Die Frau Präsidentin erzählte auch, daß er eine Gemüthskrankheit habe, und daß sie recht in Verlegenheit wegen seines Zimmers sey, denn es könne ihm Niemand vorsichtig genug mit den Gemälden umgehen, und seitdem eine alte Aufwärterin, an die er einmal gewöhnt gewesen, todt sey, wisse sie gar nicht mehr, was sie anfangen solle.

[29] Die Frau Base sagte: daß ich die Aufwartung nicht wohl übernehmen könne, es der Herr Vetter auch nicht leiden werde, denn er sey ein wenig eigen; daß ich aber jeden Tag, wenn der junge Herr ausgegangen sey, kommen solle, das Zimmer zu reinigen; denn sie habe mich schon zugelehrt, und ich wisse mit feinen kostbaren Möbeln recht gut umzugehen; daß die Frau Präsidentin aber mit dem Herrn Vetter ja nicht von Geld und dergleichen sprechen solle; sonst werde er es nicht leiden. Auch der junge Herr dürfe nichts davon wissen; sonst könne es gleich ein böses Gerede geben.

Die Frau Präsidentin freute sich gar sehr darüber und streichelte mich, und nannte mich ihr liebes Kind. Der Herr Vetter hatte auch nichts dagegen; sagte aber: ich müsse ihr erst schreiben, habe nicht nöthig, den Leuten dienstbar zu werden; da [30] es aber die Frau Präsidentin sey, möchte ich ihr nicht verhehlen, daß er es gern sähe; doch wolle er nichts gesagt haben, sobald sie nicht ihren vollen Willen darein gäbe.

Und so bitte ich sie denn, herzliebste Mutter, leide sie es doch! und gebe sie dem Boten nur mündliche Antwort, damit sie durch das Schreiben nicht zu lange aufgehalten werde. Nun, ich befehle sie dem lieben Gott, herzliebste Mutter.

[31]

Gretchen an ihre Mutter.

Ich danke ihr tausendmal, herzliebste Mutter! und ich habe auch dem Boten das schöne Silberstück von der Frau Pathe geschenkt. Ich weiß gewiß, daß sie nicht bös werden wird; denn ich habe ja oft gesehen, daß sie auch in der Freude so etwas weggeschenkt hat.

Sey sie nur ruhig, herzliebste Mutter! Sie soll gewiß Freude an mir erleben. Alle Leute, die mich kennen lernen, haben mich gleich über die Maassen lieb, und da gebe ich mir immer mehr Mühe, daß ich Alles recht schön und ordentlich mache. Ich habe auch der Frau Base an [32] den Hemden geholfen, und zuletzt hat sie gesagt, ich könne sie nur ganz allein machen, denn so gute Augen habe sie doch nicht mehr.

Nun muß ich ihr aber etwas gestehen, herzliebste Mutter, wovon ich nicht weiß, ob es Recht ist.

Sie kennt ja das schöne Liederbuch, was mir der Herr Pfarrer geschenkt hat. Da hab' ich nun, als die Hemden ganz fertig waren, und sie die Frau Base nicht mehr in die Hände bekam, des Nachts allerhand schöne Verse aus dem Buche hineingenäht. Immer einen ganzen Vers um den Hals, und einen um die beiden Aermel, auf jedem die Hälfte; und vorn auf der Brust, weiß sie ja, macht man immer so ein doppeltes Herzchen von Leinwand, daß es nicht einreissen soll; das hab' ich aber viel grösser gemacht, denn es hält[33] besser, und ich hätte auch sonst nicht die grosse Krone aus meinem Zeichentuche darüber nähen können, denn es sind gar zu viel Zierrathen daran; so aber sieht es sehr schön aus, und da der junge Herr eine Gemüthskrankheit hat, so kann der liebe Gott es wohl einmal fügen, daß er die schönen Verse bemerkt, und daß sie ihn trösten, wenn er am allerbetrübtesten ist.

Ach liebste Mutter, ich glaube gewiß nicht, daß sie bös darüber wird. Es betrübt mich nur, daß ich es der Frau Base noch nicht gesagt habe, denn ich schäme mich jetzt, daß ich es heimlich gemacht. Meint sie aber, daß es Unrecht ist, wenn ich es länger verschweige, so will ich es sagen.

Nun, ich befehle sie dem lieben Gott, herzliebste Mutter, und lasse sie mich doch bald ihre Meinung wissen.

[34]

Stephani an seine Verwandten.

Sie vermeidet mich. O mein Gott! bin ich ihr Feind? – Wenn es möglich wäre, daß sie mich verkenne, meine wahrhafte Liebe nicht begriffe, wäre sie dann noch meiner würdig? –

Fort! der Gedanke vergiftet mich! Sie, die Grausamen, die sich weiden an meiner Marter, haben ihn mir gegeben.

Liebe verschloß mir den Mund, Liebe soll mir ihn öffnen. Schmerz werd' ich hervorbringen. O mein Innerstes selbst wird er durchdringen. Am Ende ist es wohl Feigheit und Eigensucht, daß ich noch zaudere.[35] – Dieser Vorstellung bedurft' es, um mich unwiderruflich zu bestimmen.


Es war des Fürsten Geburtstag, und sie feierte ihren glänzendsten Sieg. Der Beifall wurde ein anhaltendes Jauchzen. Aber sie war tödtlich ermüdet und klagte über Schmerzen in der Brust.

Ich trug sie in ihr Zimmer. Meine Hände zitterten, und das laute Schlagen meines Herzens versetzte mir den Athem.

Wie dein Herz schlägt – sagte sie.

O! – rief ich, mit halb erstickter Stimme – so trage ich dich bald, wenn das deine aufhört zu schlagen.

So bald noch wohl nicht – antwortete sie mit erzwungenem Lächeln – doch was seyn muß, muß seyn.

Meiner gedenkst du nicht dabei!

[36] Hältst du mich für unsterblich?

Ist das eine Antwort auf meine Klage?

Du klagst das allgemeine Loos der Menschheit.

O nein! – rief ich ausser mir – Ich klage, daß du der Ruhe deines Herzens, deiner Jugend und Schönheit das Grab gräbst.

Schön und jung zu sterben, wahrlich ein neidenswerthes Loos!

Meiner gedenkst du nicht? – rief ich abermals – Erwiedere mir nichts! Ruhe und schweige! Was du hörtest, erpreßte mir der Schmerz. Bald, ein andermal, wollen wir uns gegenseitig vertrauen, was uns drückt.

Mich drückt nichts! – sagte sie dennoch mit Lächeln.

Ich rief ihre Frauen und entfloh, den giftigen Stachel im Herzen.


[37] Am andern Tage kam sie mir wieder blühend, wie ihre Rosen, entgegen. Ich setzte mich traurig und schwieg.

Nun? – sagte sie – siehst du nun, daß du irrst?

Ich sehe – antwortete ich – daß dich nichts drückt, nicht einmal der Kummer, mir welchen zu bereiten.

Und wenn dein Kummer ohne Grund wäre?

So wär' er dennoch Kummer. Aber deinen Worten fehlt der Sinn. Kein Kummer ist ohne Grund, denn er gründet sich immerdar auf die Vorstellungsart desjenigen, der ihn empfindet.

Was müßt ich nun thun, dich zu beruhigen?

Was du thun müßtest? – rief ich mit glühenden Wangen – du müßtest mich lieben und dich selbst!

[38] Es giebt der Arten zu lieben so mancherlei. Soll ich dir sagen, welche du von mir forderst? – Wohlan ich will es versuchen! und du wirst hoffentlich gestehen, daß ich dich sehr wohl begreife. Aufgeben soll ich mein wahres, lebendiges Leben, um ein Scheinleben, einen verkappten Tod mit dir zu versuchen. Unterbrich mich nicht! Gestern gebotest du mir Schweigen. Darf ich dich bitten, dir heute dasselbe zu gebieten.

Angenommen, du wolltest läugnen, was ich jetzt sagte, wie würdest du es anfangen, das Gegentheil zu beweisen? – Wer von euch, die ihr uns da von unten herauf bekrittelt, lebt wirklich? Ihr? Dichter und Künstler? – O ja! wenn eine nie befriedigte Sehnsucht nach einem unerreichbaren Ideale Leben heißt. Ist nun aber Sehnsucht Schmerz, wiewohl gemilderter Schmerz, also das Gegentheil [39] von Wohlseyn, welches allein den Namen Leben verdient; wer kann behaupten: daß ihr lebt? Müßt ihr nun aber dem wahren Leben entsagen; wem von den Andern wollt ihr es zusprechen? – Euern Fürsten, Staatsbeamten, Rechtsbeflissenen, Kaufleuten, Handwerkern? wohl schwerlich.

Nur Genuß ist dir Leben!

Und dir? was ist es dir? Nichts, oder das Streben nach einem künftigen (Gegenwärtiges verachtest du) in allen Perioden deines Daseyns immer künftigen Genusse. Aber du wolltest mich nicht unterbrechen, und so erlaube, daß ich die Zeit benutze, und dir schnell das Gemälde unseres künftigen Lebens, wofern deine Vorstellungen mich bestimmten, vorhalte.

Angenommen demnach, ich stiege hinauf, oder hinunter zu den Frauen, welche du mir ohne Zweifel als Muster vorhalten [40] wirst, und die es euch allen, Weisen und Unweisen, nur in so fern sind, als sie zu den Männern, denen sie das Schicksal unterworfen hat, passen. Wie müßt' ich nun seyn, um zu dir zu passen, deine Forderungen zu befriedigen? –

Daß ewige Schönheit und Jugend eine der unerläßlichsten ist, wirst du, wo nicht laut, doch im Herzen sicherlich bekennen. Von euch zugegeben oder geläugnet, bleibt es nicht minder wahr, daß Alter und Häßlichkeit in euern Augen Verbrechen sind, die ihr bestraft, wie und wodurch ihr nur könnt.

Eine sogenannte glückliche Ehe kann demnach nur statt finden, wo die Frau jene euch allen sehr natürlich vorkommende Strafe in Demuth erduldet, und mit weiser List, die ihr der grossen Nutzbarkeit wegen auch der heiligen Jungfrau im Nothfalle [41] erlaubet, es gar nicht zu bemerken scheint, wenn ihr gestrenger Herr und Meister, des ewigen Strafens müde, sich heimlich oder öffentlich nach einem Gegenstande umsieht, wo er fürs erste nicht verpflichtet ist, dieses unangenehme Amt zu verwalten. – Du wolltest mich nicht unterbrechen! – Das Unerläßlichste habe ich genannt. Doch, warum will ich unterscheiden? Das Folgende ist nicht minder nothwendig, und eben deswegen gleich unerläßlich.

Was ist es? Nichts weniger als die Unendlichkeit, die du in mir umfassen willst. Wehe mir in dem Augenblicke, wo du die Täuschung gewahrst! Du rächst dich, rächst dich um so sicherer, je weniger du eine nahe Aussicht hast, dich auf ähnliche Weise zu täuschen. Für alle deine zerstörten Hoffnungen werde ich büssen.

[42] Halt' ein! – rief ich aufspringend – halte ein, Grausame! Willst du mich langsam tödten, so ists auch morgen noch Zeit!

Ich stürzte fort, und meine armen Freunde brachten die Nacht an meinem Lager zu. Ich lag im Fieber ohne Besinnung.


Ein göttliches Kind stand ihnen zur Seite. Es reichte mir Trank. Ein Paar grosse Tropfen aus seinen Himmelaugen fielen hinein. Doch lächelte es. Begierig verschlang ich den Trank, und das Feuer, was mein Inneres zu verzehren drohete, wurde gelöscht. Ich fiel in Schlummer und träumte fort von dem Kinde. Ach ich erwachte! und Niemand wollt' es gesehen haben. 1


[43] Zwei Tage irrt' ich herum auf Felsen und Höhen. Meine Kunst lag darnieder; doch zeichnete ich ein Mädchen von untadelichem Wuchse, das einen Korb mit Früchten auf dem Kopfe trug. 2

Oft sah sie sich um, vielleicht nach dem Geliebten – doch nein! ihr Gang, ihre Haltung hatten so viel wunderbar Jungfräuliches, Schwebendes – nein, auf der Erde hatte sie noch keinen Geliebten. – Ja, oft sah sie sich um; aber ihr Profil konnte ich dennoch nicht fassen. Ich ersetzt' es aus der Phantasie, ach und da ich zu Hause kam, hatte die Gestalt alle Züge der Schrecklichen, die mein Herz zerreißt.

Der Fürst, der mich oft überrascht, fand mich darin vertieft und versunken. [44] Immer Sie und nichts alsSie – rief er drohend und lächelnd. – Ich sprach schnell von etwas Anderem. So kamen wir auf die hohe Grazie der Stellung. Sie gefiel ihm so überaus wohl, daß er in mich drang, ein Gemälde nach der Zeichnung in Lebensgrösse zu entwerfen.

So wuchere ich dennoch mit meinem Schmerze, ohne es zu wissen und zu wollen.


Wer ist mein Feind und verräth mein Innerstes? Ach ich bin es selbst! Sie wissen es, daß ich durch sie leide, und wollen mich rächen. So muß ich sie wieder sehen, wo ich am meisten sie fürchte; denn ich dulde es nicht, daß man sie kränkt. Ist es Geschwätz, oder Wahrheit, was sie [45] von meinem Werthe faseln? Wohlan! in ihr mögen sie mich ehren.


Sie bedurfte meines Schutzes nicht, und meine Härte gegen den Fürsten, die mich schmerzt, war überflüssig. Ich hatte gedroht, ihn zu verlassen, wofern nicht die ernsthaftesten Vorkehrungen gegen Alles, was sie beleidigen könnte, getroffen würden. Ich konnte nicht anders.

Sie schwebte herein, und Alles verstummte. Göttlich reizender ist sie wohl niemals gewesen. Ihre bittersten Feinde wurden an diesem Abende gewonnen. Der Fürst kam in die kleine Loge, die er sonst immer für sich allein behielt, und mir nun eingegeben hat. Als sie verschwand, faßte er plötzlich meine Hand, und zog mich fort. [46] Sein Wagen fuhr leer davon, und wir durchschweiften die Gassen.

Wie wäre es, – sagt' er mich aufhaltend – wenn ich versuchte, ob sie würdig ist, zu dir erhoben zu werden? Wie wäre es, wenn ich mich melden liesse? –

Sie würden nicht angenommen werden – antwortete ich mit Empfindlichkeit.

Warum nicht?

Weil sie Niemand so spät noch sieht.

Auch den Fürsten nicht?

Ich glaube nicht.

Wollen es versuchen! – sagte er forteilend, und ohne weiter auf mich zu achten. Nur da wir vor dem Hause standen, drückte er mir die Hand, und hieß mich einen Augenblick warten.

So gewiß ich auch war, sie werde ihn abweisen, so wenig möchte ich diesen Augenblick noch einmal leben. Doch war er [47] kurz, denn der Fürst kehrte schnell wieder zurück.

Du hattest Recht! – rief er – und ich bekenne, daß es mich wundert, daß du Recht hattest. Wahrlich! das Mädchen ist eine Ausnahme und der Mühe werth, es kennen zu lernen. Die Zofen empfingen mich recht artig und ergeben; aber von dem Willen ihrer Gebieterin abzuweichen, schien ihnen unmöglich. Das deutet auf vollkommene Herrschaft auch über diese Leute, die doch sonst leicht zu bestechen sind, und wer die Herrschaft vollkommen ausübt, der ist der Herrschaft würdig und stets ein erhabenes Gemüth.

Ich zog seine Hand schnell an mein Herz, denn das waren mir Worte des Lebens. Er drückte mich fest gegen das seinige, nahm mich mit in den Pallast und[48] befahl das Nachtessen in seinem Kabinete aufzutragen.

So blieben wir zusammen bis weit in die Nacht, und ich vertraute ihm das ganze, tiefe Klagelied meiner Liebe.


Nimm mich einmal mit – sagte er, als wir uns trennten – Ich könnte sie zu mir kommen lassen; aber das ist doch immer unartig von unser einem, und mich nun noch feierlich melden, würde auch ein dummes Aufsehen machen. An dem Fürsten ist ihr, wie es scheint, nicht viel gelegen, laß sehen, wie sie deinen Freund aufnimmt.

Wir gingen. Ich hatte sie in zwei Tagen nicht allein gesehen, und es war mir lieb, daß er mitging, denn ich fürchtete mein Herz.

[49] Wie unaussprechlich schön war sie! Zum erstenmale sah ich den Fürsten verlegen um die Worte, und seinen freien, herrlichen Anstand in Schüchternheit verwandelt.

Er faßte sich endlich, sprach von dem letzten Abende, und vertiefte sich in das Lob ihrer Kunst, was eigentlich ihrer Schönheit gehörte. O ich fühle es wohl – sagte er – welch ein Opfer mein Freund von Ihnen fordert, aber was ist der Liebe zu schwer und zu groß? –

Nichts! – antwortete sie – Es kommt nur darauf an, ob das Opfer ihm frommt.

Auch danach frägt die Liebe nicht.

Das sollte sie doch. Eine Blume, die auf mütterlichem Boden erhalten, uns lange ergötzt, verwelkt schnell in unsern Händen und wird bald weggeworfen. Könnte sie lieben, durch Worte, oder Blicke uns[50] warnen, sie würde uns bewegen, um unserer selbst willen sie nicht zu pflücken.

Recht gut, daß sie das nicht kann! denn sonst würde sie nie das Eigenthum eines Einzigen, würde nie von ihm als Eigenthum geliebt, genossen und bedauert werden.

Das mögte für den Einzigen schlimmer, als für sie selbst seyn.

Das ist die Frage! – rief der Fürst aufspringend und mit grossen Schritten das Zimmer messend – das ist die Frage. Und – setzte er nach einer Weile hinzu – giebt es kein Alter? Verzeihen Sie! es ist vielleicht grausam, Sie in der höchsten Blüte daran zu erinnern – aber giebt es kein Alter? und ist es nicht furchtbarer für die Weiber als für uns?

O ja! für die Freien, so wie für die, welche Einer sich als Eigenthum unterworfen [51] hat. Nur mit dem Unterschiede, daß die Letzten, früh oder spät, den Mißhandlungen ausgesetzt sind, vor denen sich die Ersten schützen können.

Welchen Mißhandlungen? Wer wird ein liebendes Weib mißhandeln, das uns Jugend und Schönheit geopfert, vor mehreren Verirrungen still gewarnt, und die unvermeidlichen großmüthig verziehen hat? Wer wird, wer kann das mißhandeln?

Der, der den reizbarsten Sinn für Jugend und Schönheit hat, und der eben deswegen, wenn beide entfliehen, unaussprechlich elend die schreckliche Leere seines Herzens mit irgend etwas, sollte es auch mit dem Hasse seyn, auszufüllen gezwungen ist. Der kann es und wird es.

Nimmermehr! Er wird Mitleiden haben mit ihrem Schicksale und mit dem seinigen, er wird sie jetzt großmüthig lieben, [52] so wie er sie vormals geniessend und vielleicht eigensüchtig geliebt hat.

Kann seyn! – fiel sie schnell ein – ich aber denke niemals von Allmosen zu leben.

Schweigend sah er sie eine Weile an: Bewundern kann ich sie – sagte er dann – aber vor der Liebe haben Sie mich geschützt. Bleibst du? – fuhr er dann sich zu mir wendend fort – ich gehe.


Du bleibst? – sagte sie, als er uns verlassen hatte – Das ist nach solcher Aufforderung sehr großmüthig.

Rosamunde! – antwortete ich – vermeide solche Worte! Sie klingen wie Spott und über wen möchtest du hier spotten?

Ich meinte im vollen Ernste, was ich jetzt sagte, und war von Spott sehr weit [53] entfernt. Es ist in der That sehr großmüthig, daß du, nachdem ich mich gegen alle deine Wünsche erklärte, hier bleibst.

Es ist liebevoll, und so würdest du es nennen, wenn du die Liebe kenntest.

Ich kenne sie, und werde dich davon überzeugen, wenn du Geduld hast, die Geschichte meines Lebens zu hören. Nur erwarte das Ende des Karnevals, dann habe ich mehr Ruhe.

Sie entfernte sich schnell, und ihre Augen waren voll Thränen.

[54]

Gretchen an ihre Mutter.

Wie geht es ihr, herzliebste Mutter? und was denkt sie wohl, daß ich so lange nicht geschrieben? Es giebt gar zu viel zu thun, und in des Herrn Präsidenten Hause ist auch viel Leiden gewesen. Der junge Herr kam zu einer ganz ungewöhnlichen Zeit zu Hause, und wurde von Stunde an so krank, daß er uns Alle in grossen Schrecken versetzte.

Wir durften ihn gar nicht allein lassen, und wenn die Frau Präsidentin nicht konnte, mußte ich bei ihm bleiben. Der Herr Vetter hatte zwar ausdrücklich verlangt, er solle nicht wissen, daß ich im Hause [55] sey: aber im ersten Schrecken dachte Niemand daran, und nachher sahen wir wohl, daß er keinen von uns kannte.

Wie mir aber war, herzliebste Mutter! wenn ich so an seinem Bette stand, kann ich ihr gar nicht sagen. Ich glaube gewiß, daß er mit uns verwandt ist, nur daß wir es noch nicht wissen. Doch hat er etwas ganz Wunderbares an sich, was wir nicht haben. Alles, was er anrührt, kommt mir vor, als hätte es einmal auf dem Altare gelegen, das Glas, aus welchem er trinkt, kommt mir wie ein Kelch, und das Zimmer, was er bewohnt, wie eine Kirche vor.

Und so ists auch mit seinen Bildern. Sie stellen wohl ordentliche Menschen vor, ja, so natürlich und traulich, daß einem ist, als hätte man sie lange gekannt und geliebt; aber dann doch wieder so hoch und [56] wunderbar, daß einem wird, wie zu Weihnacht oder Ostern, wenn alle Glocken unter Kanonendonner läuten und alle Menschen festlich gekleidet in stillen Schaaren zur Kirche ziehen.

Ich habe schon oft gedacht, herzliebste Mutter! und hoffe doch, ich werde mich nicht damit versündigen, daß in Herrn Stephani ein ganz eigentlich göttlicher Geist wohnen müsse. Er soll zwar eine Gemüthskrankheit haben, und das ist freilich bei einem göttlichen Geiste nicht möglich; man sagt aber auch, daß die Person, welche er liebt, seiner nicht würdig, und er eben deswegen so betrübt sey. Das ist ja aber dann eine wahrhaft göttliche Betrübniß. Weinte nicht unser Heiland über Jerusalem, und war das eine Gemüthskrankheit?


[57] Herzliebste Mutter! mir ist etwas sehr Sonderbares begegnet. Als Herr Stephani krank war, trat plötzlich ein sehr schöner Mann herein, gegen den der Herr Präsident und die Frau Präsidentin und der Herr Doctor sehr ehrerbietig waren. Das bemerkte ich wohl, gab aber, vor Angst und Schrecken, nicht weiter Acht auf ihn. Dieser Mann war aber der Fürst, was ich freilich nach seinem dunkeln, ganz einfachen Kleide nicht glaubte.

Er hatte nachher gefragt: wer ich wäre; und die Frau Präsidentin hatte ihm allerhand von mir erzählen müssen. Auch von den Hemden hatte sie ihm gesagt, und daß ich wegen der Sprüche, die darauf genäht wären, so bange vor der Frau Base gewesen. Er hatte hierauf gesagt, er möge auch wohl solche Hemden haben, aber, da er nicht krank am Gemüthe sey, [58] mit Sprüchen, die sich für Fürsten schicken.

Das hat mich sehr erschreckt, herzliebste Mutter! denn ich weiß keine Sprüche, die sich für Fürsten schicken, und wenn ich mir auch einbildete, ich wüßte welche, könnte ich mir doch kein Herz fassen, sie hinein zu nähen. Was helfen auch Sprüche, die man sich bestellt und bezahlt?

Ach alle meine heimliche Freude an den Hemden ist dahin, und wenn ich über die Strasse gehe, denk' ich immer, die Leute werden sagen: da geht das Mädchen, das den Leuten Sprüche in die Hemden näht! und ich habe es doch nur ein einzigesmal gethan, und ist mir gar nicht eingefallen, es mehreren Leuten zu thun.

Ich sagte das auch der Frau Präsidentin, und bat sie, es dem Fürsten vorzustellen. Er hat aber geantwortet: ich soll nicht [59] bange seyn, es werde es Niemand erfahren, und ich solle nur zu ihm kommen, er wolle selbst mit mir darüber sprechen. Das thue ich aber gewiß nicht, herzliebste Mutter! ehe sie nicht die Sache mit dem Herrn Pfarrer überlegt und er die Sprüche gewählt hat. Eile sie, herzliebste Mutter! denn der Herr Vetter sagt: solche Leute seyen nicht an das Warten gewöhnt.

[60]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Ich bin recht inniglich betrübt, wegen Alles dessen, was ich ihr geschrieben habe, und in grosser Angst, der Herr Pfarrer möge sagen, ich solle die Sprüche für den Fürsten nähen. O hätt' ich mich doch nur keinem Menschen vertraut!

Nun soll ich doch nicht auf ihre Antwort warten, schon morgen zu dem Fürsten gehen, und ihm selbst sagen, was ich geschrieben habe. Die Frau Präsidentin will mich begleiten. Ich glaube aber gewiß, daß ich krank werde.

[61] Doch ich will auf Gott vertrauen. Vielleicht kommt morgen der Brief von dem Herrn Pfarrer. Da weiß ich ja gleich, was ich thun soll, und brauche nicht zu sagen, was ich geschrieben habe.

Herzliebste Mutter!

Ich bin nicht krank geworden und wirklich bei dem Fürsten gewesen. Die Frau Präsidentin sagte, ich solle nur mein weisses Kleid anziehen, und meine Haare hübsch flechten, so wäre es recht gut. Die Frau Base wollte mir aber noch ihren Brautschmuck angeben, und mir den einen Ohrring über der Stirn auf einem Bande fest machen. Das kam mir aber gar zu häßlich vor, und ich bat sie mit Thränen, sie möge es doch nicht von mir verlangen, [62] ich wolle ja lieber den ganzen Schmuck in einem Schächtelchen mitnehmen und ihn der Frau Präsidentin zeigen; die werde gewiß meiner Meinung seyn. Sie war es auch und sagte, ich habe ganz Recht gehabt.

So gingen wir dann zum Fürsten. Er war sehr freundlich und sah mich eine Weile an, ohne was zu sagen. Endlich fragt' er mich, warum ich so betrübt wäre. Ich erschrack anfangs, denn ich wußte nicht, ob ich die Wahrheit sagen dürfe. Aber der liebe Gott gab es mir plötzlich in's Herz, daß ich sie doch nur sagen, und mich nicht fürchten solle.

Gnädigster Herr! – fing ich darauf an und sah ihm auch recht gerade ins Gesicht – ich bitte Sie, daß Sie nicht unwillig auf mich werden! aber ich muß es nur rein heraus sagen, daß ich über die Hemden so [63] betrübt bin, und besonders darüber, daß sie wissen wollen, was ich geschrieben habe. Ich kann Sie versichern, daß ich so etwas, wenn ich ein Fürst wäre, niemals von den Leuten verlangen würde. Bedenken Sie auch selbst, wie würde Ihnen seyn, wenn Sie das, was Sie einem Freunde schrieben, Andern vertrauen sollten?

Gutes Kind! – antwortete er – wir haben eigentlich keinen Freund. Wir gehören dem Ganzen, sollen und dürfen keinem Einzelnen gehören, dafür gehört aber auch uns kein Einziger.

Das jammerte mich nun unbeschreiblich, das Weinen war mir nahe, und es gereuete mich recht schmerzlich, was ich wegen der Hemden gesagt hatte.

Ach gnädigster Herr! – fing ich endlich wieder an – Gott ist mein Zeuge, daß ich Ihnen gern die Hemden nähen [64] wollte, wenn ich nur Sprüche wüßte, die sich für Fürsten schicken, und ich will es Ihnen auch gestehen, daß ich meine Mutter gebeten habe, mit dem Herrn Pfarrer deswegen zu sprechen. Weiß der nun Sprüche, die sich für Fürsten schicken, so will ich sie Ihnen ja herzlich gerne nähen.

Du hast nicht wohl gethan! – sagte er verdrüßlich – Es war mir nicht um die Sprüche eines Pfarrers zu thun.

Das verdroß mich nun aber auch; denn ich kann es nicht leiden, wenn man etwas über den Herrn Pfarrer sagt, und antwortete darum ganz hastig: Ja gnädiger Herr! Sie haben aber auch nicht wohl gethan, so etwas von einem armen, einfältigen Mädchen zu verlangen, und so kommt immer Eins aus dem Andern.

Die Frau Präsidentin sah mich erschrocken an, ich erschrack nun auch, und wußte [65] nicht mehr, was ich anfangen sollte. Aber der Fürst faßte mich sehr gütig bei der Hand und sagte: Du hast Recht, und es soll nicht wieder geschehen. Eins mußt du mir aber doch versprechen: sieh ich habe viel Arbeit und Sorge, und erblicke selten was Erfreuliches. Am wenigsten gefallen mir die Menschen, von denen ich umgeben bin; aber ein solches Gesicht, wie das deinige, kann mir den ganzen Tag erheitern. Wenn du nun des Morgens auf einige Augenblicke zu mir kämest und brächtest mir etwas – du magst es mir schenken – Blumen, ein Paar Früchte, oder was du sonst willst; so wär' ich auf den ganzen Tag gestärkt, und hätten viel tausend Menschen gut davon. Sey nicht bange und sieh mich nur an, ich bin kein böser Mensch, und ist mir unmöglich, dich zu beleidigen. Nein, ich will väterlich für dich sorgen, [66] und wenn du dieses oder jenes lernen willst, so vertrau' es mir nur; aber es muß Alles dein freier Wille seyn.

Das ist schön! gnädigster Herr – antwortete ich – denn sonst wäre ich gewiß wieder sehr betrübt gewesen, und mein Kommen hätte Ihnen nichts geholfen. Nun will ich aber meiner Mutter schreiben, und wenn die nichts dawider hat, so komme ich gewiß. Er war sehr erfreut, und begleitete uns bis in das äusserste Zimmer.

Schreibe sie mir bald, herzliebste Mutter.

[67]

Stephani an seine Verwandten.

Alles will mich trösten. So muß ich denn wohl des Trostes sehr bedürfen. Sie ist abermals krank, und ihr Zustand bedenklich. Einige wollen mich vorbereiten auf das, was vielleicht geschehen könnte, würde; aber dann ist mein Schmerz ohne Gränzen. O wer von ihnen, die sich erfrechten, sie zu lästern, der lauten Stimme meines Herzens zu widersprechen, kannte sie wirklich? Höret die Geschichte ihres Lebens! Höret sie selbst.


[68] Rosamundens Geschichte.


Ich war von eilf Kindern das jüngste. Alle wurden von meiner Mutter getränkt, ich allein mußte einer Fremden anvertraut werden, und blieb immerdar fremd unter meinen Geschwistern. Auch meine Eltern kannten mich nicht, und vereinigten sich bald in dem Urtheile: daß von meiner Fassungskraft nicht viel zu erwarten sey.

Von dem Augenblicke, wo ich dieses entdeckte, war es mir unmöglich, ihnen anders, als sie mich dachten, zu erscheinen. Diese Eigenheit ist mir mein ganzes Leben hindurch geblieben und es braucht nur Jemand eine unvortheilhafte Meinung von mir zu äussern, um sie durch tausend kleinen Zufälligkeiten bestätigt zu sehen.

Es wäre mir wohl möglich, sie alle zu meinem Vortheile zu benutzen, und die [69] gegen mich eingenommenen Menschen vielleicht für immer zu gewinnen, aber eine unüberwindliche Scheu hält mich davon ab, auch ist mir eine überlegte Freundschaft und Anhänglichkeit unerträglich.

So kam es denn, daß ich, mitten unter Eltern und Geschwistern in immer tiefere Einsamkeit gerieth, und zuletzt beinahe gänzlich verstummte. Dafür aber war ich allein immerdar begeistert. Unaufhörlich schwebten tragische Situationen vor meinem Sinne, denen ich durch Stimm' und Geberde Leben zu geben bemüht war.

Aber wie oft mußte ich vor meinen Geschwistern aus einem düstern Winkel in den andern fliehen und das, was ich mit Thränenströmen, mit Triumph und Klagegesang luftdurchtönend hätte verkünden mögen, in mein Inneres verschliessen. Ganz konnte ich es gleichwohl nicht ohne mein [70] Leben durch die gewaltige Empfindung zerstört zu sehen. Was blieb mir übrig, als Tanz und Geberde?

Ich trauerte Anfangs darüber; entdeckte aber bald, daß eben dieses gänzliche Verstummen mir eine eigene, heilige Welt bildete, wo ich das den übrigen Künsten, trotz allem Bemühen, dennoch Unaussprechliche seelenerhebend andeuten konnte. Aber wen erhob ich? – Mich selbst und Tausende, die um mich versammelt waren. Wer waren diese Tausende? Geister, die vor meinem inneren Sinne so lebendig schwebten, als hätten sie geathmet.

Von Niemanden gekannt, erreichte ich so das fünfzehnte Jahr. Meine Schwester hatte das siebenzehnte zurückgelegt, und wurde allgemein für ein sehr reizendes und geistvolles Mädchen gehalten. Nur das erste war sie wirklich, doch schien sie mir [71] damals, so wie Andern, das letzte in eben dem Grade, und ich war fest überzeugt, in ihrer Gegenwart nicht besser als durch Schweigen für mich sorgen zu können.

Eben deswegen blieb ich aber auch ganz unbemerkt neben ihr, und von allen Männern, die sie umflatterten, war gewiß kein einziger, der mein Herz geahnet hätte. Ich fand dieses, durch meine Kindheit vorbereitet, sehr natürlich, und sogar dann, als meine ganze Lebenskraft für einen der eifrigsten Anbeter meiner Schwester erwachte, kam es mir nicht in den Sinn, von ihm geliebt werden zu können.

Diese Ueberzeugung von Unliebenswürdigkeit äusserte sich immerdar minder oder mehr bei mir; gleichwohl half ich meine Schwester, die sich gern putzte, verschönern, und wenn auch oft ein stechender Schmerz [72] meine Brust durchfuhr, that ich doch, in stiller Trauer, Alles, was sie wollte.

Dieses gefiel ihr, sie machte mich zu ihrer Vertrauten, und bereitete mir dadurch einen neuen schmerzlichen Genuß: sie sprach von dem Geliebten.

Er war sehr schön, ein mir oft schreckliches Lächeln ausgenommen, was meine Liebe, wäre ich auch minder von der Unmöglichkeit, geliebt zu werden, überzeugt gewesen, immerdar in meine Brust zurückgeschreckt haben würde.

Meine Schwester übersah dieses Lächeln, vertraute ihm ihr Herz und ihr Schicksal, wurde seine Gattin. Mit heimlichem Schaudern begleitete ich sie zum Altare, ergriff, als sie in die Kirche trat, plötzlich ihr Kleid und wollte sie nicht lassen. Aber er fühlte ihr Zögern und riß sie mit fort, so, daß [73] ein Stück ihres Kleides in meinen Händen blieb.

Tiefsinnig betrachtete ich das Stück, und folgte langsam zum Altare. In dem Augenblicke, wo sie dasJa sagen sollte, versagte ihr die Stimme. Sie sah mich an und erbleichte. Aber der Geistliche fragte sie zum zweitenmale, und sie sagte das schreckliche Ja.

Die Hochzeit war lärmend, aber die Braut traurig, und der Bräutigam witzig. Es überfiel mich ein Grauen bei diesem Witze, und bei dem mir so furchtbaren Lächeln traten mir brennende Thränen in die Augen.

Noch acht Tage sollte meine Schwester im väterlichen Hause verweilen, dann wollte er sie nach Italien auf seine Güter führen.

[74]

Erst jetzt, da meiner Mutter die eine Tochter entrissen werden sollte, schien ihr die andere etwas werth, und sie widerstand fortwährend Charlottens Bitte um meine Begleitung.

Der achte Trauertag brach an, Alles war zur Abreise bereit; aber meine Mutter unbeweglich. Schon saß meine Schwester im Wagen; aber noch einmal streckte sie die Hände nach mir aus. Sprachlos starrte ich sie an, sprang dann plötzlich in den Wagen, winkte dem Kutscher, und schlug die Thüre hinter mir zu.

Ungeduldig hatten die Pferde lange gewartet, nun aber rissen sie uns fort im heftigsten Gallop. Meine Mutter, mein väterliches Haus, meine Vaterstadt verschwand, der heimische Boden entfloh, Feuerfunken sprühten umher, hinaus in die [75] fremde Welt rissen uns die schnaubenden Pferde.

Meine Schwester umklammerte mich mit Thränen. Ich aber konnte nicht weinen. Ich wußte ja schon, daß es keine Thränen und keine Worte für meine Empfindungen gab, und betrachtete die Menschen, welche die ihrigen dadurch auszudrücken suchten, mit fortwährendem Erstaunen. Ich hielt meine Schwester, und sah schweigend in die Ferne.

Als wir die Gränze erreichten, schien sie des Trostes nicht mehr fähig, ihre Thränen flossen unaufhaltsam, und sie bestürmte uns mit Bitten, sie in ihrem Vaterlande zu lassen. Antonio züchtigte sie mit dem beissendsten Spotte. Nun schwieg sie wie ich, und in Kurzem waren wir auf italienischem Boden.

[76] Der reine Himmel, die balsamische Luft, der lachende Frühling, zu einer Zeit, wo sie ihr väterliches Haus mit Schnee bedeckt verlassen hatte, das Alles schien meine arme Schwester wohlthätig zu zerstreuen. Um so tiefer verwundete es mich, als ihr Mann fortfuhr, sie mit boshaften Witzeleien an ihren vorigen Schmerz zu erinnern. Als er ihr aber mit hämischem Lächeln vorschlug, wofern sie ihn nicht begleiten wolle, stehe es ihr nun frei, wieder zurückzukehren, war es, als werde mir das künftige Schicksal der Unglücklichen durch einen Blitzstrahl erleuchtet.

Zum erstenmale brach ich das Schweigen, und stellte ihn, sobald ich es vor meiner Schwester unbemerkt thun konnte, dieser Aeusserung wegen zur Rede. Er versicherte, sie sey völliger Ernst; im Fall ich aber nicht Lust habe, meine Schwester zu [77] begleiten, könne ich bei ihm bleiben, und solle es recht gut haben.

Ich fühlte meine Wangen plötzlich erkalten, dann all mein Blut gewaltsam hineinströmen; aber meine Schwester trat zu uns, und ich schwieg.

Mit Einbruch der Nacht erreichten wir Florenz; hörten aber zu unserm Erstaunen, daß Antonio alle nöthigen Vorkehrungen traf, diese schöne Stadt schon am dritten Tage zu verlassen.

Sogleich fragte ich meine Schwester, wo sich die beiden Wechsel, welche hier umgesetzt werden sollten, befänden. Sie sagte mir, daß Antonio sie schon zweimal gefordert, aber mit andern wichtigen Papieren, welche ganz unten in ihrem Koffer lägen, noch nicht habe erhalten können.

Mit Heftigkeit entriß ich ihr die Schlüssel, ließ augenblicklich den Koffer in mein [78] Zimmer bringen, fand die Wechsel, und verbarg sie mit einem Ringe von grossem Werthe in meinem Bette. Die Juwelen meiner Schwester waren leider in Antonio's Koffer.

Ich schloß kein Auge, und diese Nacht schien mir die längste meines Lebens. Kaum war es Tag, als ich zu dem Kaufmann eilte, und ihm Alles entdeckte. Er sagte mir, daß er zwar noch keine Nachricht erhalten, mir aber, wenn ich es verlange, die Summe auszahlen wolle. Ich beschwor ihn, es nicht zu thun, und die Sache ihren gewöhnlichen Gang gehen zu lassen.

Schon war ich von meiner Schwester vermißt worden, und Antonio fragte mich, wo ich gewesen? Ich sagte es, und versicherte, ohne auf seine wüthenden Blicke zu achten, daß es nun wohl unmöglich seyn werde, am dritten Tage weiter zu reisen. [79] Ich aber – rief er – werde es möglich machen! – und stürzte fort, ohne weiter auf uns zu achten.

Meine unglückliche Schwester, äusserst befremdet und erschüttert, tadelte meinen Vorwitz, wie sie es nannte, und beschwor mich, ihren Mann doch ja nicht wieder auf solche Weise zu reizen. Ich antwortete, wie gewöhnlich durch Schweigen; kämpfte aber doch mit mir selbst, ob ich ihr nicht Alles entdecken solle.

Noch war ich nicht mit mir einig, als Antonio zurückkehrte. Er kommt! – sagte ich nun schnell – fürchte nichts und verlaß dich auf mich! Alles, was ich that, war nothwendig. Mit diesen Worten verließ ich das Zimmer, und verschloß mich in das meinige.

Zu meinem Erstaunen blieb Alles ganz ruhig. Ich wurde zum Essen gerufen, und [80] hätte mich nicht Antonio's giftiges Lächeln gewarnt, ich würde ihn für unbefangen gehalten haben. Aber eben dieses schreckliche Lächeln erregte mir Zweifel, und ich eilte noch spät zu dem Kaufmanne, mich zu überzeugen.

Er hatte nichts ausgezahlt, und Antonio mit der Weisung zurückgeschickt: er werde sich an die Person halten, welche den Wechsel vorgezeigt habe. So ging ich dann einigermassen beruhigt zu Haus, und fiel endlich in Schlaf.

Ich erwachte sehr spät, und fand meine Schwester in grosser Unruhe. Antonio hatte sich Nachts von ihrer Seite geschlichen und war abgereist, ohne daß Jemand im Hause Auskunft geben konnte, wohin. Was glaubst du davon? – rief meine unglückliche Schwester – Ich brauche nichts zu glauben – antwortete ich – Ich weiß [81] Alles! Was zu retten war, ist gerettet! dein Herz ist leider verloren! doch hoffentlich nicht auf immer. Fasse dich! Was ich dir gestern sagte, wiederhol' ich dir heute: du kannst dich auf mich verlassen. Willst du zurückkehren ins väterliche Haus?

Sie schrie laut auf bei diesen Worten und verbarg ihr Gesicht in den Händen.

Willst du nicht – wohlan! so machen wir uns selbst ein Schicksal.

Das Schicksal macht sich nicht! – rief sie laut schluchzend. –

Wir wollen sehen! – erwiederte ich – Wäre dein Herz nur geheilt!

Nimmer! – fiel sie ein.

Wie bald! – fuhr ich fort – könnt' ich dir nur einen Theil meiner tiefen Verachtung gegen den Elenden mittheilen! Doch, traure aus du Unglückliche, und laß mich sorgen!

[82] Mit diesen Worten bracht' ich sie wieder auf ihr Lager, und eilte, den Arzt zu benachrichtigen. Aber er versicherte mir, seine Hülfe sey hier überflüssig, und Alles von der Zeit zu erwarten.

So war ich denn für den Augenblick beruhigt, und konnte meine ganze Aufmerksamkeit unserer Lage widmen.

Ich sah bald, daß die Wechsel samt dem Ringe uns kaum ein Paar Jahre vor Mangel schützen könnten, und daß meine Schwester, nach dem, was sie geäussert, sich nicht entschliessen werde, in das väterliche Haus zurückzukehren. Ich selbst mußte es mir nach ihrer Zurückkunft mit Jammer erfüllt denken; doch nahm ich mir vor, sie noch einmal auf das Aeusserste zu prüfen, und nur dann, wenn ich ihren Widerwillen unüberwindlich gefunden, einen festen Entschluß zu fassen.

[83] Jemals zu heirathen schien mir, bei der Ueberzeugung, ich werde nie geliebt werden, unmöglich. Auch hatte ich sogenannte glücklichen Ehen genug beobachtet, um zu wissen, daß Ein Theil durchaus der Leidende seyn müsse, um dieses scheinbare Glück hervorzubringen und zu erhalten. Leiden erregte mir aber nicht Furcht, sondern Eckel. Es schien mir eine Krankheit, die, besonders wo sie anhaltend wäre, den Tod des Geistes nothwendig zur Folge haben müsse. So war ich dann fest entschlossen, es zu fliehen, wie und wo es mir drohen möge, und seine beiden furchtbarsten Feinde, Freiheit und Thätigkeit, zu erhalten.

Aber worauf sollte sich diese Thätigkeit wenden? Auf die Geschäfte des gemeinen Lebens? – Das schien mir gleichfalls unmöglich. War es gedenkbar, daß [84] sie mich vor Geistesleiden, vor Geistestod schützten? Wurden sie nach einem gewissen Zeitmaasse, wurden sie harmonisch verrichtet? Drückten sie die grosse Angelegenheit der Menschheit: den Kampf des Unordentlichen mit dem Ordentlichen, des Häßlichen mit dem Schönen, oder, was dasselbe ist: des Guten mit dem Bösen aus?

Tief lag es als Ahnung in meiner Seele, daß dieses der geheime Sinn aller Künste, und der Grund aller Gewalt sey, welche sie an den Menschen üben. Ich hatte beweisen gesehen, daß Töne Gestalten hervorbringen, und diese hohe Bedeutung würde mich zur Musik hingezogen haben, hätte sie mich nicht zu gewaltsam ergriffen; so daß ich meine Empfindung durch Tanz ausdrücken, oder untergehen mußte. So war mir dann das Räthsel meiner Jugend [85] gelöst, und der Entschluß, als tragische Tänzerin aufzutreten, befestigt.

Ich theilte ihn meiner Schwester mit; aber es währte lange, ehe sie sich von der Wahrhaftigkeit meines Berufes überzeugen, und über die gemeine Ansicht erheben konnte. Gleichwohl begriff sie, daß irgend etwas Ausserordentliches geschehen müsse, und ließ mich, ohne mir gerade beizupflichten, wenigstens gewähren.

Ich benutzte diese Stimmung, und eilte, meinen Entschluß auszuführen. Nur kurze Zeit ließ man mich als Nebentänzerin auftreten, und schon an meinem sechszehnten Geburtstage wurde mir eine der Hauptrollen übergeben. Man schien viel von mir zu erwarten, und das Haus konnte die Zuschauer nicht fassen.

Mein Auge überflog die Menge, die Geister meiner Kindheit umschwebten mich, [86] und göttliche Kraft belebte meine Glieder. Ich tanzte, tanzte die Geschichte meiner Kindheit, tanzte meine gestorbene Liebe, meine Sehnsucht nach der unvergänglichen Schönheit. Der Beifall wurde rauschend, wie ein seliger Geist schwebte ich über der Menge, die Ungeliebte plötzlich von Tausenden geliebt. Ich fühlte es, fühlte mit unaussprechlicher Wonne, daß ich das Rechte gewählt habe, der kleinlichen Erdennoth entrückt, ein freier Geist durch die Kunst sey.

Mein Heimgang wurde ein Triumphzug. Ich war mit Rosen geschmückt, von beiden Seiten flogen Rosen in meinen Wagen, und ich blieb seit diesem Abende, unter dem Namen Rosamunde, ein Liebling der Florentiner.

Seitdem gehört der geheimnißvolle Duft der Rosen zu meinem Wohlbefinden, [87] und ich suche ihr schönes Leben mit der äussersten Sorgfalt zu bewahren.

Oft haben mich Künstler versichert, wie tief sie auch Anfangs durch den Beifall der Menge erschüttert seyen, habe derselbe doch bald allen Reiz für sie verloren, und sey ihnen am Ende beinahe eckelhaft geworden.

Mir nicht also. Ich feierte mein eigentliches Leben nur mit dieser von ihnen verachteten Menge, und fühlte geisterhebend, daß alles andere Leben kaum den Namen Leben verdiene. Ihr Beifall schien mir der Chor zu meinem Tanze, durch den ich die Schwere beinahe überwunden, und mich dem Himmel genähert hatte. Wir alle feierten einen seligen Triumph.

Meine unglückliche Schwester allein trauerte bei meinem Glücke. Ihre Liebe wurde Krankheit. Mir ganz unähnlich [88] nährte und pflegte sie ihren Kummer und wieß jede Linderung zurück.

Die Bedauernswürdige litt auch noch durch meine Forderungen. Ihren Zustand gänzlich verkennend wähnte ich noch immer, sie werde sich über ihr Schicksal erheben. Vergebens! Ihre Kraft war dahin, und ich sah endlich mit tiefem Jammer, daß ich mich schrecklich geirrt hatte. Es zeigten sich Spuren eines langsamen Giftes, und ein anderer Arzt, den ich nun schnell berief, verhelte mir nicht, daß ich mich auf ihren Verlust vorbereiten müsse.

Nach dringenden Bitten erhielt ich die Erlaubniß, mich ganz ihrer Pflege widmen zu können, bis sie entweder genesen, oder ihr Leiden für immer geendigt seyn werde.

Ach nicht lange verwaltete ich mein trauriges Amt! In wenigen Tagen lag [89] sie ohne Hoffnung darnieder, und entschlummerte noch früher, als der Arzt und wir alle geglaubt hatten.

Florenz sah mich trauern und trauerte mit mir. Zart schonend enthielt man sich lange, mich an mein Ver sprechen zu erinnern, und schon blühten Rosen auf meiner Schwester Grabe, als man mich endlich darum mahnte. Zum erstenmale erschien ich nun wieder öffentlich, und die Begeisterung dieses Abends war eine der höchsten meines Lebens.

Viele Männer warben jetzt um mein Herz. Ein russischer Graf unter allen am eifrigsten. Er sah mich Reichthum und Wohlleben zurückweisen, und glaubte mit seiner Hand Alles zu überbieten. Um so grösser war sein Erstaunen, als ich auch diese, wiewohl dankbar, aber gleichfalls mit Lächeln zurückwieß.

[90] Mußt ich nicht lächeln, daß Menschen, die ich ihrer Armuth wegen bedauerte, mich bereichern wollten? daß der gute Graf, der mich so frei sah, wie ein menschlicher Geist es werden konnte, mich durch vornehme Sclaverei zu beglücken dachte? Begeistert und selig über Tausende schwebend, sollte ich mich da unten, wo es mir vielleicht schon nach Jahresfrist nicht mehr gelang, die Falten seiner flachen Stirne zu verwischen, erhoben glauben! –

Diese unbegreifliche Eitelkeit, welcher ich mehrere seines Standes und Geschlechtes ergeben sah, war eben so wenig, als das Schicksal der unglücklichen Weiber, welche ihrer sogenannten Liebe vertraueten, geschickt, mir eine höhere Meinung von den Männern beizubringen. Beantwortete ich ihre Anträge immer noch mit Lächeln! so war dies vielleicht ein gutmüthigerer [91] Ausdruck meiner Empfindung, als sie rechtmässigerweise erwarten konnten.

Gleichwohl war es eben dieses Lächeln, was mir eine Menge der bittersten Feinde erweckte. Jeder, dessen Wünsche nicht erfüllt wurden, schloß auf einen glücklichern Nebenbuhler, und schrieb es nur der Tiefe meiner Heuchelei zu, wenn er ihn nicht entdeckte.

Oft wurde die Erbitterung allgemein, und mein Untergang beschlossen. Ich wußte es; aber vertraute der Kunst. Mit Recht; denn sie verwandelte mehrmals an Einem Abende das ganze Heer meiner Feinde in eben so viele Lobpreiser und Beschützer.

Immer durch die Kunst überwunden, gaben sie es endlich auf, mich zu verfolgen, und nur dann, als sie dich tiefer als sie Alle erregt sahen, beschlossen sie, dich und [92] Alles, was sie längst verziehen hatten, noch einmal auf das empfindlichste zu rächen.

Ob es ihnen gelungen ist, hast du gesehen. Willst du mich nun in Frieden scheiden lassen; sie werden meine Ruhe nicht mehr stören.

[93]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Was sie mir geschrieben, habe ich nicht recht verstanden. Der Herr Vetter und die Frau Präsidentin sagen aber, das thue nichts, sie habe es nur so in der Angst hingeschrieben, und werde jetzt wohl begreifen, daß ich es nicht verstehen könne. Auch bedeute es Alles nichts anderes, als daß ihr bange sey, ich werde nicht so fromm und gottesfürchtig bleiben, als sie mich hergeschickt habe.

Da sey sie aber nur ganz ausser Sorge, herzliebste Mutter! Es ist ja nicht mit mir, wie mit einigen andern unglücklichen [94] Leuten, die nur fromm und gottesfürchtig aus Zwang sind. Ich bin es ja, weil ich meine Freude daran habe, und ist mir ja Alles zuwider, was mich daran hindern kann. Es betrübt mich aber recht inniglich, daß sie nur daran zweifeln und sogar glauben kann, ich würde ganz anders werden. Ach bilde sie sich so was nicht ein, herzliebste Mutter! Ich hab's ihr ja schon gesagt, sie soll gewiß Freude an mir erleben, und ich wäre auch nicht zum Fürsten gegangen, wenn sie es mir verboten hätte. Aber der Herr Vetter und die Frau Präsidentin sagen: sie habe es mir nicht verboten, und die verstehen ja doch ihren Brief besser als ich, wenn ich ihn auch noch so oft lese.

Der Fürst ist zwar wohl manchmal ein wenig hastig und sonderbar; aber doch sonst ein sehr braver Herr. Ich fürchte mich darum [95] auch gar nicht mehr, und sage Alles, wie ich es denke. Es freuet ihn gar herzlich, das kann ich sehen, und wenn er manchmal noch so verdrießlich ist – er mag auch wohl seine Noth haben – wird er doch immer heiter, wenn ich komme.

Sehr gut ist's, daß der Herr Vetter einen Garten hat; sonst wüßte ich nicht, was ich dem Fürsten bringen sollte. So aber giebts immer Blumen und Früchte, und der Fürst versichert, es seyen die schönsten und wohlschmeckendsten, die er in seinem Leben gesehen und gegessen habe, und die auf seiner Tafel werden ihm ganz zum Eckel.

Wie das nun zugeht, kann ich nicht begreifen. Wenn andere Leute Gastereien geben, suchen sie doch immer Blumen und Früchte vom Hofgärtner zu bekommen, und müssen also wohl wissen, daß es die schönsten [96] sind. Doch was soll man mit solchen grossen Herren anfangen? Man muß nur schweigen, und es so hingehen lassen.

Liebstes Gretchen! – sagte er letzt, als ich eben den Korb vor ihn hinstellte – du bringst mir nun alle Tage so viel Schönes, ja das Schönste, was ich sehe; denkst du dann aber niemals daran, daß ich dir auch etwas dafür geben muß?

Ach, gnädigster Herr! – antwortete ich – ich bin nur froh, daß ich immer etwas zu bringen habe, und der Tag geht so schnell hin, und ich habe an so viel andere Sachen zu denken, daß mir das noch gar nicht eingefallen ist.

So! – antwortete er sehr ernsthaft, stand schnell auf, und ging mit grossen Schritten vor mir hin und her. Mit einemmale blieb er aber stehen, faßte meine beiden Hände, und sagte sehr freundlich: [97] Höre liebstes Gretchen! ich weiß, du hältst mich für deinen Freund und sagst mir Alles ganz aufrichtig. –

Ja, das weiß Gott! – fiel ich ein – und ich würde mich auch versündigen, wenn ich es nicht thäte.

Nun so sage mir doch einmal – fuhr er fort – woran denkst du nun wohl den ganzen Tag am meisten?

Das kann ich Ihnen wohl sagen, gnädigster Herr! – antwortete ich – Sie kennen ja den jungen Herrn in des Herrn Präsidenten Hause? der, der letzthin krank war, der die schönen Bilder malt?

Ja, ja, ich weiß! ich weiß! – rief er ungeduldig, ließ plötzlich meine Hände los, und ging von mir weg.

Mir war, als wär' er böse, und doch konnte ich nicht begreifen worüber. Indem ich noch darüber nachdachte, und nicht gleich [98] wußte, was ich anfangen sollte, kam er wieder auf mich zu. Warum schweigst du Gretchen? – fragt' er, und nun kam es mir vor, als wär' er betrübt – Gereuet es dich, was du gesagt hast?

Lieber Gott! – sagt' ich – wie könnte mich das gereuen? Es kam mir nur vor, als wären Sie erzürnt; ich wußte freilich nicht worüber.

Kehre dich nicht daran! – antwortete er – Uns geht mancherlei durch den Kopf. Fahre fort, Gretchen! fahre fort! – und indem er dieses sagte, preßte er meine Hände so stark, daß sie mich schmerzten.

Gnädigster Herr! – sagt' ich – ich merke nun wohl, daß Sie über den armen jungen Herrn, und besonders darüber erzürnt sind, daß er nicht von der Person, die ihn so unglücklich macht, lassen kann. Aber bedenken Sie nur, es hängt ja nicht [99] von einem Menschen ab, wen und wie sehr er lieben will.

Weißt du das? – rief er hastig – Das weißt du!

Wie sollt' ichs denn nicht wissen! – sagt' ich lächelnd – man hört ja davon so mancherlei Geschichten, die noch viel wunderbarer sind, als die mit dem jungen Herrn.

Aber Gretchen – sagte er – sollte denn die Vernunft gar nichts über einen Menschen vermögen? –

Da konnt' ich aber das Lachen nicht lassen, und antwortete: nehmen Sie es mir nicht übel, gnädiger Herr! aber das kommt mir gar zu possirlich vor, wenn man die Liebe durch die Vernunft austreiben will. Grosser Gott! die Liebe ist ja das Allervernünftigste auf der Erde. Vor dem lieben Gott wird der, der da liebt, immer und ewig Recht behalten, und nur der da[100] hasset, wird verdammt werden, und zwar durch seinen eigenen Haß. Man sieht's ja auch alle Tage, die Liebe erhält, und der Haß zerstört. Nun wäre es ja aber unvernünftig, wenn ich mir einbildete: der liebe Gott wolle seine eigenen Werke zerstört haben. O nein! er hat den Menschen die Liebe gegeben, damit sie erhalten werden, und hat den Heiland gesandt, damit er die Menschen durch sein heiliges Leben an die Liebe – an das Eine, was Noth thut, – erinnere.

Liebstes Gretchen – sagte der Fürst – du sprichst da von einer ganz andern Liebe.

Nun konnt' ich wieder das Lachen nicht lassen, denn es war mir einmal so lächerlich zu Muthe. Gnädigster Herr! – sagt' ich – nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich heute so viel lache; aber das ist nun wieder ganz was Sonderbares, daß die [101] Leute einen Unterschied unter der Liebe machen. Liebe ist Liebe, sie mag vermischt seyn, womit sie will. So wie Gold Gold bleibt, mag auch noch so viel anderes Metall dazu kommen. Wie unvollkommen die Leute auch anfangen zu lieben, das thut Alles nichts, wenn sie nur immer fortfahren, werden sie es schon einmal lernen. Wenn sie aber hassen, sich im Hassen üben, kann in Ewigkeit nichts Gutes herauskommen.

Du wirst aber doch nicht läugnen – sagte der Fürst nun wieder – daß die Liebe viel Unheil anrichten kann.

Ach lassen Sie sich so was nicht weiß machen, gnädiger Herr! – fiel ich schnell ein – die Liebe hat, so lange sie da ist, noch kein Unheil angerichtet. Alles, was die Leute von dieser sogenannten Liebe erzählten, war nichts, als ein herausgeputzter [102] Haß, und der mag freilich viel Unheil angerichtet haben.

Aber es kann doch Verhältnisse geben, – fuhr er fort – in welchen die Liebe unerlaubt ist.

Das mögen mir schöne Verhältnisse seyn! – rief ich nun wieder lachend – wo die Liebe unerlaubt ist! Solch ein Verhältniß möcht' ich wohl einmal sehen, in welchem mir das Lieben verboten werden könnte!

Gretchen – sagt' er nun sehr ernsthaft – du lachst; aber denke nur einmal darüber nach: ob es nicht solche Verhältnisse giebt. –

O ja! – rief ich noch lauter lachend, indem ich meinen Korb nahm – ich will darüber nachdenken! unterdessen, gnädiger Herr! denken Sie auch einmal darüber nach: ob es nicht Verhältnisse giebt, in [103] welchen einem das Athemholen verboten werden könne.

O Mädchen! – rief er nun, indem er mich fest um den Leib faßte – gieb mir einen einzigen – Apfel wollt' er gewiß sagen. Aber ich zeigte auf seinen Tisch, wo schon zwölf der allerschönsten lagen. Da schämte er sich, und ließ mich plötzlich wieder los.


Den andern Tag kam ich wieder und brachte ihm Erdbeeren und Blumen. Er nahm sie, setzte sie schweigend vor sich hin, und reichte mir die Hand. Wer pflückt die Erdbeeren? – fragt' er dann.

Ich, gnädigster Herr!

Aber du hast ja so viel zu thun.

Dazu muß immer Zeit werden.

[104] Aber die Erdbeeren sind jetzt selten. Du mußt wohl lange suchen?

Das schadt nichts! Ich thue es ja gern.

Aber gestern sagtest du mir, du dächtest an den jungen Maler in des Präsidenten Hause am meisten. Das Suchen stöhrt dich aber.

O ganz und gar nicht! indem ich suche, kann ich ja denken, was ich will.

Du hast Recht! Du kannst denken, was du willst – sagte er, ließ meine Hand los, stand plötzlich auf, und ging wieder, was er immer thut, wenn ihm etwas nicht Recht ist, mit grossen Schritten auf und ab.

Gnädiger Herr! – sagt' ich darum gleich – es wird noch wohl so herauskommen, daß Sie nicht allein böse auf den [105] armen jungen Herrn, sondern auch auf mich sind.

Wer sagt dir, daß ich böse auf euch bin?

Ach gnädigster Herr! ich bin nur ein einfältiges Mädchen; aber wenn Jemand bös auf mich ist, das kann ich gleich merken, und wenn Sie so mit grossen Schritten auf und ab gehen, da weiß ich immer schon, wie viel es an der Zeit ist.

Gretchen! – sagt' er nun mit einemmale wieder lächelnd – ich gebe dir mein Ehrenwort, daß du nicht weißt, wie viel es an der Zeit ist. Sey ruhig! Ich bin weder bös auf ihn, noch auf dich; würde es nur dann seyn, wenn du anders sprächest, als du dächtest.

Das wär' schön! – rief ich.

Nein! nein! – fuhr er fort – ich weiß, daß du das nicht kannst und nicht willst. [106] So sag' mir aber denn einmal, was denkst du nun so immer über den Maler und sein Verhältniß mit der Tänzerin?

Ach, gnädigster Herr! wie soll ich Ihnen das beschreiben! Sagte mir Einer: hundert Meilen von hier wächst ein Kraut, was ihm helfen kann, ich ginge und holte es herbei. Oder sagte Einer: ich will ihm helfen; aber du sollst mir dein ganzes Leben dafür dienen; ich riefe geschwind: hilf ihm, und ich will dir mein ganzes Leben dafür dienen und arbeiten, daß mir das Blut aus den Händen spritzt.

Aber Gretchen, wenn du nun das Alles thätest, und es würde ihm wirklich dadurch geholfen, weißt du dann aber auch, daß er es erkennen würde?

Gnädigster Herr! – antwortete ich – dergleichen thut man nicht, daß es erkannt [107] werde. Wollte Gott, ich könnt' ihm nur helfen! möcht' er es meinetwegen nimmermehr erfahren.

Jetzt ging er wieder eine ganze Weile mit grossen Schritten tiefsinnig auf und ab. Hat er dich niemals gesehen? – fragt' er endlich.

Niemals! ausser da er krank war; aber da wußt' er ja nichts von sich selbst.

Hast du auch niemals gewünscht, er möge dich sehen?

Ach Gott, nein! ich habe es immer gefürchtet.

Gefürchtet? –

Ja! denn ich weiß schon vorher, daß ich in grosse Verlegenheit kommen und mich sehr einfältig benehmen werde. Im Stillen ihm dienen, seine Schmerzen lindern, ist meine innigste Freude. Daß schon einiges davon bekannt wurde, hat mich eine [108] Weile ganz betrübt gemacht. Mir war, als würde mir was genommen. Jetzt hab' ichs verschmerzt, und ist mir wieder so still und heilig in seinem Zimmer, wie in einer Kirche.

Was malt er jetzt?

Ich habe nicht gesehen, daß er etwas Neues angefangen; aber man hat genug an dem, was fertig ist, zu sehen.

Weißt du auch, warum er nicht malt?

Sie ist krank.

Ja! und ihr Zustand bedenklich. Die Aerzte sprechen sehr zweifelhaft davon. Wenn sie stürbe –

Dann wäre der gute Herr für uns Alle verloren.

Vielleicht auch für immer gerettet.

Das glaub' ich nicht! Was sie ihm war, wird keine ihm werden.

Sie liebt ihn nicht.

[109] Das ists eben.

Warum ists das eben?

Ich kann es auch nicht begreifen; aber die Frau Präsidentin sagt es.

Die Präsidentin. Aber du, was sagst du?

Ach, gnädiger Herr! ich hab' es ja schon gesagt, daß ich es nicht begreife. Aber wie vieles giebt es nicht, was man nicht begreift. So erzählte letzt eine Dame bei der Frau Präsidentin, ein junges Mädchen habe sich in einen ganz wilden, ausschweifenden jungen Menschen verliebt, so daß die Eltern gar nicht mehr gewußt hätten, was sie mit ihr anfangen sollten. Da habe ihnen eine Freundin gerathen, sie sollen einen jungen Mann, der aber über 18 Jahre alt seyn müsse – ein Mädchen brauche nur 14 zu seyn – aufsuchen. Habe dieser junge Mann noch niemals aus [110] Eitelkeit einem jungen Mädchen gefallen wollen – aus Liebe schade es nichts – und überhaupt noch keine bösen Gedanken gehabt; so dürfe er nur ein Stückchen von dem feinsten Scharlache Nachts und Tags, drei Monate lang, auf dem Herzen tragen, und er könne damit das Mädchen retten.

Wie so?

Ja, das Stückchen Tuch müsse ihr dann auch aufs Herz gebunden werden. Habe der junge Mensch aber, in der Zeit, wo er es getragen, etwas Böses gedacht oder gethan; so helfe es nichts.

Nun wie ging es? Half es wirklich?

Ach sie haben keinen solchen jungen Menschen gefunden.

Ich glaube es! Aber du, Gretchen, könntest das einmal mit dem Maler versuchen.

Ich hab' es schon versucht.

[111] Du hast es versucht?

Ja! aber auf eine andere Art. Die Dame setzte noch hinzu: wenn auch die Leute einen solchen jungen Mann gefunden hätten, wär' es noch immer die Frage gewesen, ob er die Liebe des Mädchens gewünscht hätte. Dafür sey aber auch Rath. Man brauche nur nicht das Stückchen Tuch dem Mädchen gerade aufs Herz zu binden, sondern nur Alles, was sie an sich trage, und berühre, damit zu bestreichen, so werde sie doch gleich ruhig und alle ihre Leidenschaften gemässigter.

Und du?

Ja, mein seliger Vater sagte immer, all dergleichen sey Aberglauben. Man sieht aber doch heut zu Tage, daß manches für Aberglauben gehalten worden, was es nicht ist, sondern wirklich tief in der Natur liegt. So dacht' ich dann: hilft es nicht, so schadet [112] es doch auch keinem Menschen, du kannst es immerhin versuchen.

Du trägst ein solches Stückchen Tuch?

Ja, ich trage es.

Und nach drei Monaten wirst du es ihm aufs Herz binden lassen?

Gott bewahre!

Warum Gott bewahre? Es wäre ihm ja dann für immer geholfen.

Ach Gott, nein! ich mag es nicht!

Das ist sonderbar! Du willst ihm helfen, und dann willst du es wieder nicht.

Ach, gnädiger Herr! – rief ich – Verstehen sie mich doch nur recht! Ich will ja wohl, daß ihm geholfen; aber nicht, daß er gezwungen werde, mich zu lieben.

Ich sehe nicht ein – sagte er nun ganz heftig – warum du dich so sehr dagegen wehrst! Liebe ist ja Liebe, sagst du, sie mag kommen, woher, und mag vermischt [113] seyn, womit sie will. Wie schlecht er dich Anfangs auch liebt, er wird es schon einmal lernen.

Ach, gnädiger Herr! – rief ich nun, und konnte das Weinen nicht mehr zurückhalten – das hätte ich nicht geglaubt, daß Sie meine einfältigen Worte so gegen mich kehren, und so durch und durch bös auf mich werden würden! Was ich Ihnen jetzt vertrauete, hat noch kein Mensch, ja meine Mutter nicht einmal erfahren.

Nicht wahr? – sagte er nun recht bitter lächelnd – es gereuet dich, daß du so aufrichtig warest? Doch nein! es darf dich nicht gereuen, und du mußt nun aufrichtig bleiben, sonst verliert ja der Scharlach seine Kraft.

Das war mir nun ein rechter Stich durchs Herz. Ich riß das Stückchen Tuch hervor, hielt es ihm hin und rief: nehmen [114] Sie es, gnädiger Herr! wenn Sie das glauben. Sie haben keinen Freund, sagen Sie, und trauen keinem Menschen recht mehr, als mir. Aber nun trauen Sie ja auch mir nicht mehr, und da sind Sie noch viel unglücklicher als der arme junge Herr.

Er sah mich mit grossen Augen an, nahm das Stückchen Tuch und betrachtete es von allen Seiten. Dann gieng er schnell damit zum Fenster – ich erschrack und dachte; er wolle es hinaus werfen; denn er glaubt doch nicht daran, das konnt' ich an seinen Mienen sehen – verbarg es in seinen Busen und kam dann wieder ganz freundlich auf mich zu.

Gretchen! – sagte er – ich sehe nun wohl, daß wir beiden, der arme Maler, so wie ich, uns nur deines Mitleids zu erfreuen [115] haben. Viel können wir uns freilich nicht darauf einbilden.

Grosser Gott! – rief ich – was könnten Sie sich denn auch darauf einbilden? –

Laß das! – sagte er – untersuche das nicht! Was wir auch könnten; du hast uns davor geschützt. Geh lieber Engel! (es war närrisch, daß er mich nun mit einemmale einen Engel nannte, nachdem er kurz zuvor geglaubt hatte, meine ganze Aufrichtigkeit komme von dem Stückchen Tuche her). Ich habe mancherlei zu überlegen, besonders aber, wie ich dir meine grossen und manchfaltigen Schulden abtragen will.

So nahm ich dann mein Körbchen, und ging voller Gedanken über all das Sonderbare, was ich von dem Fürsten gesehen und gehört hatte.

Er ist wohl, wie sie immer gesagt hat, daß die Männer sind, aufbrausend und [116] launisch, aber doch gleich wieder gut und herzlich, und gar nicht so, wie der Herr Vetter sagt, daß die Fürsten sind. Sie sieht auch, herzliebste Mutter! daß ich ihr Alles, wie sie es verlangt hat, schreibe. Das werde ich auch immer thun, damit sie weiß, daß sie nicht nöthig hat, angst meinetwegen zu seyn.

Nun lebe sie wohl, herzliebste Mutter! Ich arbeite viel auf die Weihnacht für die Frau Präsidentin; denn die Reihe der lieben Kinder ist gar zu lang, und sie kann es nicht allein bestreiten. Wenn der Bote aber zurückkömmt, habe ich doch einen ganzen Pack Geschriebenes wieder fertig. Man braucht nur ein bischen früh aufzustehen, so muß sich Alles schicken.

[117]

Stephani an seine Verwandten.

Sie wurde an einen der benachbarten Höfe mit verdoppeltem Gehalte berufen. Der Brief kam gerade an dem Tage, als sie zum erstenmale das Bett verlassen hatte. Sie gab ihn mir lächelnd und sagte: die guten Leute glauben, mit Geld sey Alles gethan. Aber ich will bei meiner Schwester ruhen, und gehe nicht weiter; es sey denn, daß man mich gehen heißt.

Ich hinterbrachte diese Worte dem Fürsten, und er kam am folgenden Tage, ihr das, was sie aufgeopfert hatte, zu ersetzen.

Von jeder Krankheit ersteht sie schöner, und ich sah, daß ihr Anblick ihn abermals [118] überraschte. Er gestand es mir, und versicherte, er werde sie um keinen Preis gehen lassen. Ihre Kunst sey unersetzlich.

Und ihre Gestalt! – rief ich.

Das möcht' ich nicht so geradezu behaupten – antwortete er.

Kennen Sie etwas Schöneres? – rief ich abermals.

Ja! – rief er eben so lebhaft; aber es war sichtbar, daß er seine Lebhaftigkeit bereuete.

Schon lange verbarg er mir etwas; aber ich war zu sehr mit meinem Schmerze beschäftigt, auch mocht' ich mich nicht aufdringen. So schwieg ich denn auch jetzt, und zeichnete, wie ich oft während des Sprechens zu thun pflege.

Es war eine Gruppe spielender Knaben, welche ich auf dem Wege zu ihm mit Entzücken betrachtet hatte. Er ging kämpfend [119] mit sich selbst auf und ab, blieb dann wieder eine Weile bei mir stehen, und betrachtete die Zeichnung.

Himmlische Unschuld! – rief er – Für wen die Knaben?

O ich weiß nicht! Für mich selbst! Lebende habe ich doch nicht zu hoffen.

Unselige Leidenschaft! Wenn ich so sehe, wie sie deine Jugendkraft verzehrt! dich mir der Kunst raubt – dann möcht' ich bereuen, was ich gethan habe, möchte sie ziehen lassen, möchte dich retten, um welchen Preis es auch sey!

Von ihr getrennt, wär' ich gerettet? – Ewig – verlöre die Kunst etwas an mir – ewig für sie verloren! Mein Leben ruht tief in Rosamunden, nur von ihren Lippen empfang ich es wieder. Trennung? – Wahnsinn! Selbstmord! Wohin [120] sie auch geht, ich folge, so gewiß mein Schatten mir selbst.

Unbegreiflich!

Warum? Sie ist das Vollkommenste, was ich kenne. In ihr ruht eine Welt herrlicher Gebilde. Nur sie durchschaut mein Innerstes, kennt den leisesten Wunsch meiner Seele .....

Wie? Und das Weib läßt dich verschmachten? O wenn ich sie nicht gerade sehe, und durch ihre Schönheit bestochen werde; ergreift mich oft eine ordentliche Wuth, und ich könnte das kalte, selbstsüchtige Geschöpf ermorden.

Sie blüht schon dem Tode entgegen.

Und zieht dich mit in die Gruft. Bei Gott ich fordre Rechenschaft von ihr! Ich kann und darf es nicht länger mit ansehen. Du gehörst nicht allein dir! du gehörst uns, der Kunst, der Welt! Melde [121] ihr, daß ich komme, daß sie sich bereit halte, entscheidende Antwort zu geben.

Wann?

Morgen! wenn es irgend meine Geschäfte erlauben.

So wird es dann gut seyn – erwiederte ich, indem ich ihm die Geschichte ihres Lebens, die ich, seit ich sie empfing, beständig mit mir herumtrage, überreichte – dieses vorher zu lesen. Und hierauf entfernt' ich mich schnell, ohne seine Antwort abzuwarten.

Am folgenden Tage ließ er mich plötzlich, als ich gerade vor der Staffelei saß, rufen. Aber ich ließ ihm zurück melden, daß es mir, ohne Gefahr für mein Bild, welches mir theilweise eintrocknen würde, unmöglich sey zu erscheinen. Es seyen die spielenden Knaben. Wenn sie ganz untermalt waren, würde ich aufwarten. Er soll [122] lernen – dacht' ich – wofern er es noch nicht weiß, daß die Kunst, wie das Gemüth, frei ist.

Aber er ließ mir sogleich zurück sagen: ich solle mich nicht stören. Er wolle sich gedulden, bis das Bild vollendet sey, und, wäre es ihm möglich, selbst lieber kommen.

Diese plötzliche Nachgiebigkeit, diese tiefe Verehrung vor der Kunst, rührte mich dann wieder bis in das Innerste der Seele, und ich hätte ihm zu Füssen fallen, und Vergebung meiner Härte von ihm erflehen mögen.

Er kam wirklich, war so liebe-, freudevoll, so entzückt von dem Bilde, so ganz entfernt zu ahnen, ich habe mich gegen ihn vergangen, daß ich wie vernichtet vor ihm stand, und nichts, als häßliche, falsche Scham mich abhielt, ihm meine tiefe Reue zu bekennen.

[123] Er gab mir die Handschrift zurück, gestand, daß sie ihm vieles erläutere, er aber dennoch auf Entscheidung dringen werde.

Am folgenden Tage gingen wir zu ihr. Ich sah, daß er eine harte Anrede im Sinne hatte, aber im Augenblicke, da wir eintraten, verändert und im höchsten Grade verwirrt wurde. Sein Unmuth darüber war unverkennbar. Sich selbst und dem mächtigen Eindrucke zum Trotze, schien er nun seinen Vorsatz ausführen zu wollen. Wie gewöhnlich ging er mit grossen Schritten auf und ab, während ich mit Rosamunden die spielenden Knaben, die ich auf ihr Bitten hatte zu ihr bringen lassen, betrachtete.

Endlich trat er auch zu dem Bilde, und rief, nachdem er es gleichfalls eine Weile betrachtet hatte: glückselige Mutter, die solche Kinder der Welt hinterläßt! [124] Wie arm ist das gepriesenste Weib neben ihr! Nach wenigen Jahren ihre Spur nicht mehr zu finden! Nutzlos verwelkt ihre Schönheit, verloschen in dem Andenken der Menschen!

Rosamunde sah schweigend vor sich nieder.

Wozu seyd ihr da? – fuhr er fort – als gleich Blumen das Auge zu ergötzen, das innerste Leben zu erquicken, und Früchte zu tragen? Euer schnelles Verblühen predigt euch jeden Augenblick die treffende Aehnlichkeit dieses Bildes. Was seyd ihr? was bleibt ihr, wenn Früchte nicht an euer kurzes Daseyn erinnern?

Blumen – antwortete sie lächelnd. –

Blumen! – wiederholte er spöttisch. –

Die durch ihre Schönheit – fuhr sie sanft und heiter fort – das Auge ergötzen, [125] das innerste Leben erquicken, nur keine Früchte tragen.

Und wenn es bey dem Ersten nur bleibt?

Das Erste schließt das Zweite schon in sich. Alle Schönheit erquickt das innigste Leben.

Sie kann auch zur Marter werden – rief er heftig – Darüber haben Sie als Weib keine Stimme. Sehen Sie ihn an! – fuhr er fort, und sein Zorn stieg höher – Er stirbt! und Sie haben ihn mir, der Kunst und der Welt ermordet! Glauben Sie, daß ich das so dulden werde? Ich sage Ihnen nein! ich werde es nicht dulden. Von mir fordert ihn die Kunst, die Welt, und wüßten Sie, was das gesagt heißt, so würd' ich sagen: von Ihnen. Aber Sie haben nur Gefühl für Ihren eigenen Werth. Doch stirbt Ihre Kunst mit Ihnen. Nicht so bei ihm! er wird von [126] ihr überlebt. Nach Jahrhunderten werden seine Bilder ergötzen, und Menschen über Erdennoth erheben. Ein unvergängliches Denkmal könnten Sie sich stiften, wenn Sie sein Leben verlängerten. Aber Sie verkürzen es, und so seyen Sie meines Hasses gewiß; es sey denn, daß Sie plötzlich bereuen. Gern will ich auch Ihre Kunst meinem Volke erhalten, denn ich bin ihm dafür, wie für alles Schöne, was ihm als das höchste Bildungsmittel geraubt werden kann, verantwortlich. Aber dann eilen Sie, sich zu entschliessen! Seyen Sie ein Weib, ein wahrhaft schönes, ein liebendes Weib! Opfern Sie sich auf, und werden Sie – gelüstet Sie nach Ruhm – durch dieses Opfer grösser, als der, dem Sie sich opfern.

Ich zweifele – erwiederte sie – daß [127] er das Opfer annähme, und nähme er es an, so wäre er dessen nicht würdig.

O ja! – rief er, glühend vor Zorn – Er wär' es! er wär' es! Wem anders, als dem Manne, gehört die Schönheit der Frau?

Ich glaube – fuhr sie sehr sanft und lächelnd fort – sie gehöret ihr selbst; so wie ihr Herz und ihr Leben. Wem sie es auch giebt, es ist ein freies Geschenk; oder es giebt keine Freiheit mehr auf Erden.

Er maß nun wieder mit grossen Schritten das Zimmer, blieb dann plötzlich vor ihr stehen, und fragte, wie er glaubte, sehr gefaßt; aber mit blitzenden Augen – Wo aber soll das enden? das frag' ich Sie, und darauf will ich Antwort.

Es endet mit meinem Leben – antwortete sie ruhig – und davon ist nicht viel mehr übrig.

[128] Täuschung! Schwärmerei! Wer, der Sie sieht, kann das glauben? Wohlan Sie wollen nicht endigen! so endige dann ich, auf eine Art, die Sie nimmermehr erwarten. Verstehen Sie mich? auf eine Art, die Sie nimmermehr ahnen.

Ich habe verstanden – antwortete sie. –

Nein, Sie haben mich nicht verstanden! – rief er – Ich kenne ein Mädchen, das schöner ist, als Sie..... Ha sehen Sie! erbleichen Sie nur! Ja schöner! Ein Mädchen, das nichts kennt, nichts weiß, als lieben. Ein Engel stralend von Unschuld. Sein Ideal, dafür bürg' ich mit meinem Leben! sein Ideal, das er aufgab, da er Sie kennen lernte, wähnend es sey auf Erden nicht zu finden. Es ist gefunden! Jubelnd als Mann und als Künstler wird er bekennen, daß es gefunden ist. Mit unendlichem Preise gegen den Allgütigen, [129] der ihn schon lebend in seinen Himmel erhob. Ja, ein himmlisches, tausendfältiges Leben wird er beginnen! Unsterbliche Werke wird er hervorbringen. Dieser Engel, voll ewiger Unschuld und Liebe, das Urbild aller Schönheit wird er ihm werden, und sein Bild wird der Nachwelt den ewigen Frieden aus jedem seiner Werke zulächeln. Sie, o Sie sind verschwunden, vertilgt aus seinem Gedächtnisse! Gedenkt er Ihrer, so ist es, wie einer schweren Krankheit, wo sein Geist verfinstert, seine Kraft gelähmt war, wo sein Schatten nur lebte. Wollen Sie das? Wollen Sie, daß ich so endige?

Wofern nicht auch mein Geist gänzlich verfinstert ist, so muß ich das wollen.

Wie!

Ist dieses Mädchen sein Ideal, kann es mich aus seinem Herzen vertilgen: so [130] wäre ja das Opfer, was Sie fordern, zwecklos, widersinnig, ja schändlich; denn ich verkennete durch dieses Verschleudern meines Herzens, meines Lebens, den Werth, welchen sogar Sie mir noch beilegen. Ist seine Liebe zu mir Krankheit, und geneset sein Geist nur durch Verbindung mit diesem Mädchen, wie eigensüchtig und hassenswürdig, ihn nicht genesen zu lassen. Nur dann, sagen Sie, wird sein wahres, sein himmlisches Künstlerleben beginnen, nur dann wird er die unsterblichen Werke hervorbringen, die nun mit ihm untergehen. Was fordert die Welt nun von mir? was kann und muß sie nun fordern? Daß er erhalten werde, um welchen Preis es auch sey, ja, daß, liebt' ich ihn, sogar dieser Liebe nicht geachtet werde.

Mit diesen Worten schien ein Lichtstral in seine Seele zu fallen. Er betrachtete [131] sie mit schweigender Rührung, und sagte dann sanft: Warum aber, wenn sie ihn lieben, zwingen Sie mich zu dieser Härte? warum wollen Sie ihn nicht sich selbst und uns Allen erhalten?

Es ist ja eben die Frage, ob ich dieses vermag?

Ja Sie vermögen es! Das Herz hat seine Launen. Wie himmlisch auch mir und Vielen das Mädchen erscheint, Ihnen gehört nun einmal sein Herz, und über Verwandschaft der Geister läßt sich nicht rechten.

Aber das Alles ist Täuschung. Sieht er das Mädchen, muß sie verschwinden. Doch was thut's? hat doch seine Laune ihr freies Spiel gehabt. Mir Weggeworfenen, Nichtgeachteten mag das Herz nur brechen. Hat er doch Alles gekonnt, was er gewollt hat.

[132] Nun ging er wieder schweigend und heftig auf und ab. Sie strafen mich hart sagte er dann – für meine unbesonnenen Worte.

Oft – erwiederte sie – scheint uns unbesonnen, was das Besonnenste ist. Indem Sie mir die Zukunft so wahr und treu vorhielten, wurden Sie mein Wohlthäter, und Ihre Härte wurde die höchste Güte. Sie haben mich mir selbst erhalten, mich vor dem grausamsten Spiele geschützt. Ein Spiel, was die Männer mit unserm ganzen herabgewürdigten Geschlechte treiben, und dessen Anblick mir das Herz schon lange empört und zerrissen hat. Ich will die Schmach dieses schändlich mißhandelten Geschlechts nicht länger mit ansehen. Ich bin dem Tode geweiht, will es seyn, wer darf es mir wehren?

[133] Er trat jetzt schnell auf sie zu, wollte etwas sagen; aber mußte sich abwenden, denn seine Augen füllten sich mit Thränen.

Wie aber – hub er endlich an – wenn das Herz, was so oft Recht hatte, auch hier Recht gehabt hätte? Wenn er, den wir für den Unvernünftigsten hielten, der Vernünftigste gewesen wäre? allein Ihren ganzen tiefen Werth, gegen den auch ich leider verblendet war, empfunden und für alle Zeiten gewürdigt hätte? Wenn seine Ahnung, daß Nichts sie ersetzen kann, Wahrheit würde? er sich Ihnen nach ins Grab stürzte, und Sie jenseits erränge? O wenn er für uns dennoch verloren wäre!

Wer wäre Schuld daran? – rief ich durch dieses Aufzählen meiner Schmerzen aus trostloser Betäubung erwachend – wer wäre Schuld daran, als die, welche dieses hohe, und wahrhaft liebende Wesen [134] irre machten über seinen tiefen und ewigen Werth. Wer wäre Schuld daran, als die, welche mein Herz besser verstehen wollten, als ich selbst. Längst wäre sie mein, hätten grausame Vernünftler mich nicht für Augenblicke geblendet, und mir ihre verwirrten Ansichten aufgedrungen. Ach sie trauet nicht mehr der Kraft meines Herzens! Jetzt ist sie verloren, und ich bin es mit ihr!

Nein! – rief er – du bist es nicht und sollst es nicht seyn! Nicht wir allein haben geirrt; auch sie. Hatte sie nicht in ihrem eigenen Herzen den Maaßstab ihres Werthes? mußte sie sich von uns Kurzsichtigen bethören lassen? Hätte sie deine Wünsche erfüllt, längst wären wir beschämt. Sie wird sie erfüllen, denn sie hat ein liebendes Herz, und unser aller Trauer wird sich in Freude verwandeln.

[135] Sie lächelte; aber ihr Lächeln war ein Stral der untergehenden Sonne, und in meinem Herzen blieb die Trauer.

[136]

Gretchen an ihre Mutter.

Endlich, herzliebste Mutter! kann ich einmal wieder schreiben. Wir haben Nacht und Tag auf die Weihnacht gearbeitet. Dafür ists aber auch eine Freude geworden, wie ich in meinem Leben nicht gesehen habe.

Die Frau Präsidentin macht es recht klug. Alles, was die Kinder das ganze Jahr durch nöthig haben, spart sie auf die Weihnacht. Sie hätten – sagt sie – tausendmal mehr Freude daran, und hielten es viel werther.

Der Herr Präsident ist ein vortrefflicher Herr; aber doch ein bischen sehr ernsthaft, [137] und meint, die Frau Präsidentin mache gar zu viel aus dem Feste, und für die ältesten Kinder sey das ganze Wesen nicht mehr passend. Die Frau Präsidentin aber meint, man könne gar nicht genug aus dem Feste machen. Es sey die traurigste Zeit im ganzen Jahre, und ein wahres Glück für Groß und Klein, daß das Fest gerade in diese Zeit falle. Was den Kindern an Spielen in freier Luft abgehe, ersetze die Freude vor und nach Weihnacht. Sie halte ihren Geist munter, und stärke sie gegen vielerlei Unarten, und mit dem wildesten Buben sey im ganzen Jahre nicht so gut auszukommen.

Das giebt dann der Herr Präsident für die Kleinen wohl zu; spricht aber doch immer von der Unschicklichkeit für die Grossen. Die Grossen, sagt aber die Frau Präsidentin, seyen eben die Hauptsache. Sie [138] wissen Alles, was die Kleinen bekommen, helfen es mit herbeischaffen und zubereiten, und freuen sich tausendmal vorher über die Freude der Kleinen. Sie geben sich auch um diese Zeit ein viel weniger gelehrtes Ansehen gegen sie, schlichten mancherlei Streitigkeiten, eben weil sie Freude im Sinne hätten, mit Güte, und gestern haben sie ihnen noch zugerufen – sie habe es im Nebenzimmer gehört – ach wer will sich denn streiten! hört ihr denn nicht die Glocken? es geht ja auf Weihnacht!

Nun immerhin! – sagte der Herr Präsident, und lachte doch wieder recht freundlich – aber das sag' ich dir! in meiner Nähe kann ich den Spectakel nicht mehr dulden. Meine Geschäfte leiden darunter.

Der Saal – meinte die Frau Präsidentin – sey ja noch zwei Zimmer von dem seinigen entfernt.

[139] Nichts! nichts! – rief aber der Herr Präsident – der ganze Troß läuft dann von Morgen bis Abend auf und ab, und des Thürzuschlagens wird kein Ende.

So blieb uns dann nichts übrig, als Herrn Stephani's Vorzimmer; denn im Wohn- und Eßzimmer ist man keinen Augenblick sicher vor den Kleinen. Seit Rosamundens Krankheit war auch Herr Stephani noch keinen Abend zu Hause; sondern entweder bei ihr, oder bei dem Fürsten.

So schaften wir dann in der Dämmerung den grossen Tisch mit allem Zubehör herein, und putzten so prächtig auf, daß die ältesten Kinder vor Freude auf den Stühlen herumsprangen, und die Frau Präsidentin genug zu wehren hatte.

Da nun aber Alles fertig war, umringten sie sie mit einemmale und riefen: [140] ach du allerweltssüsseste Mutter! – so nennen sie sie immer, wenn sie recht bitten wollen – nun thue uns aber noch einen einzigen Gefallen! mach' es nun einmal ganz so, wie die andern Leute, und laß auch ein Christkind dabei kommen! Sieh! Gretchen kann das Christkind seyn. Gieb ihr dein silberflornes Kleid! Wir haben schon eine Krone von dem Stück Goldstoff, was du uns schenktest, gemacht, und vom Hofgärtner einen Palmzweig dazu bekommen. Wir haben die Krone schon vor acht Tagen gemacht, mochten sie dir aber nicht zeigen. Sonst hättest du es dem Vater gesagt, und der hätt' es nicht gelitten. Nun aber, wenn es so mit einemmale kommt, wird er sich prächtig darüber freuen. Du weißt es ja! wenn er auch manchmal etwas nicht leiden will, freuet er sich doch nachher darüber, und sagt dann: so, ja [141] so wäre es ganz anders, als er gedacht hätte. Und es macht ja auch gar keine Unruhe, und Gretchen zerreißt dir auch nichts an dem Kleide. O allerweltssüsseste Mutter! thue es nur! Und so liessen sie nicht nach, bis sie endlich Ja nickte.

Nun wurde ich geschwind in der Frau Präsidentin Kammer gezogen, bekam das silberflorne Kleid an, den Palmzweig in die Hand, und die goldene Krone dazu auf. Meine Haare wurden ganz lang herunter gekämmt, und da sie sich ein wenig locken, paßte es recht gut dazu.

Aber es war spät über dem Allen geworden, beinahe wären die Kleinen eingeschlafen; da sie aber das gewöhnliche Zeichen mit der Glocke hörten, wurden sie Alle wieder munter, und stürmten nun mit einemmale herein.

[142] Aber, mein Gott! wie wurde mir! als Herr Stephani, der Fürst und der Herr Präsident hinter ihnen her kamen. Ich stand oben am Tische, und sollte mich gar nicht rühren; hätte aber vor Zittern bald den Palmzweig fallen lassen. Nun wurden mich auch erst die Kinder recht gewahr, und riefen mit einemmale: ach Gretchen! Gretchen ist das Christkind!

Ich hätte in die Erde sinken mögen, so schämte ich mich. Nun trat aber noch Herr Stephani hinzu, und betrachtete mich so erstaunt, als hielte er mich für ein wirkliches Christkind. Darüber kamen mir dann vor Verlegenheit die Thränen in die Augen, und ich wurde so bestürzt und betäubt, daß ich gar nicht mehr wußte, was ich anfangen sollte.

Die Kinder hatten sich indessen an die Spielsachen gemacht; aber Herr Stephani [143] stand noch immer unbeweglich und staunte mich an. Ach Gott! hätte mir ein Mensch von meinem Putze geholfen, ich hätte ihm Alles zu Gefallen gethan. Vor Angst bekam ich entsetzliche Kopfschmerzen, die vielen Lichter blendeten mich auch, und ohne mehr recht zu wissen, was ich that, nahm ich die Krone ab, und gab sie mit dem Palmzweige Herrn Stephani.

Ich wollte nun geschwind hinauslaufen; aber die Knie zitterten mir so schrecklich, daß ich kaum die paar Schritte zur Thüre machen konnte. Das war aber gewiß ein grosses Glück; denn sonst hätt' ich vor Angst das ganze Kleid zerrissen.

Die Frau Präsidentin kam gleich hinter mir her, und sagte, der Herr Präsident habe befohlen, ich solle den Abend mit an ihrem Tische essen. Das war nun gewiß eine grosse Ehre; konnte sie aber [144] doch nicht annehmen; sondern mußte zu Hause gehen, und mich geschwind zu Bette legen. Mir war, als hätt' ich ein Fieber; fiel aber doch bald in Schlaf, und wachte den andern Morgen, beim herrlichen Glockengeläute, frisch und munter wieder auf.###

Ich war wohl eigentlich nicht krank; sondern nur von dem vielen Nähen bis tief in die Nacht, und von dem Schrecken, sehr angegriffen. Nach der Kirche ging ich aber doch gleich wieder zu der Frau Präsidentin. Lieber Gott! was hatt' ich aber da wieder für ein freudiges Schrecken! In der Frau Präsidentin Stube war für mich beschert. Ich wollt' es Anfangs gar nicht glauben, daß das Alles für mich seyn sollte. Aber die Kinder riefen immer: ja, Gretchen, es ist Alles für dich! Nimm's nur! nimm's nur! es ist Alles für dich! Sieh, das prächtige Clavier und die Harfe,[145] und die Kiste mit lauter feinen weissen Kleidern hat dir der Fürst, das schöne Stück Leinwand und die hübsche Nählade die Mutter, und das Gesangbuch mit Silber beschlagen der Vater, und wir haben dir Alle von unserm Honigkuchen, Zuckergebackenen, Aepfeln und Nüssen dazu beschert. Nimm! nimm! – riefen die Kleinen darein – schmeckt gut, und sollst doch, wenn wir auch unsers aufgegessen haben, Alles behalten, und wollen nichts wieder von dir fordern!

Nun entstand mit einemmale im Nebenzimmer ein Gelächter. Es ist der Fürst und Herr Stephani und der Vater! – flüsterten die Aeltesten – sie haben sich versteckt und zugesehen, wie du erschrocken bist, und dich gefreut hast, und du wirst jetzt eine ordentliche vornehme Dame, und sollst Clavier und Harfe spielen, und Singen [146] und Zeichnen lernen, und gar nicht mehr für die Leute nähen.

Was schwatzt ihr denn da? – sagte endlich die Frau Präsidentin – Laßt doch das arme Mädchen zu sich selbst kommen! Und nun zeigte sie mir Alles und sagte: es sey wirklich für mich, und der Fürst wolle mich Alles lernen lassen, und wenn es die Mutter und der Herr Vetter zufrieden wären, wolle sie mich ganz zu sich ins Haus nehmen. Ich solle es ihr heute gleich schreiben und bitten, daß sie es überlege, und mir bald Antwort gäbe. Es sey ja Alles zu meinem wahren Glücke; denn zu etwas Anderem werde sie nimmermehr rathen.

Das sagte sie auch zu dem Herrn Vetter. Der wurde aber ganz betrübt, und sagte: er werde es nicht verschmerzen, und werde ihm kein Essen mehr schmecken.

[147] Da hieß mich aber die Frau Präsidentin hinausgehen, und sagte, sie wolle mit dem Herrn Vetter allein sprechen. Sie muß ihm gewiß recht zugeredet haben, denn als er zu Hause kam, sagte er: packe zusammen Gretchen, und mache, daß du aus dem Hause kommst. Aber thue's heimlich, sprich mir nichts von Abschied, und wenn du mich alten Mann nicht kränken willst, so sieh des Tages wenigstens einmal nach mir. Hoffärtig wirst du nicht werden, das weiß ich schon, und so gehe mit Gott! Ich will in die Werkstätte und will's verarbeiten.

Ich hielt' ihn aber fest bei der Hand, und sagte: liebster Herr Vetter! sey er doch nicht gar zu betrübt! sonst kann ich nicht aus dem Hause, und was hilft mir all mein Glück, wenn er es nicht ertragen kann?

[148] Ich will's ertragen – sagte er wischte sich aber die Thränen ab – und jetzt laß mich gehen! Ich will dir ein Andenken machen, das sollen mir die jungen, neumodischen Bursche ungehudelt lassen, und soll Jedermann Respect dafür haben.

Ich aber konnte nun auch das Weinen nicht mehr lassen, und hätte beinahe gewünscht, es mögte ganz anders gekommen seyn. Als ich mich aber recht ausgeweint hatte, wurde ich mit einemmale wieder heiter, und dachte: wie, wenn du nun aber dem Vetter in der einen Stunde, wo du etwa kommen kannst, mehr Freude machtest, als sonst am ganzen Tage? – Kannst ja immer vorher daran denken, kannst ihm ein Gericht, was er gern ißt, oder sonst etwas Angenehmes bereiten, kannst dir die Zeitungen anschaffen, und ihm gleich, ehe er es noch sonst wo erfährt, das Neueste[149] daraus erzählen. Den Mägden kannst du auch immer etwas mitbringen, daß sie besser arbeiten und mit der Frau Base nicht uneinig werden, und wenn sie's geworden sind, läßt sich auch in einer Stunde viel wieder gut machen.

So dacht' ich, und packte meine Sachen zusammen. Als ich nun aber Alles ausgeleert hatte, wurde mir doch wieder ganz wehmüthig, und als ich mich endlich in der Dämmerung fortschlich, kam ich doch mit ganz rothgeweinten Augen zu der Frau Präsidentin.

Nun lebe sie wohl, herzliebste Mutter! Ich hoffe doch, daß sie nicht böse darüber wird, daß ich ihre Erlaubniß nicht abgewartet habe. Der Herr Vetter hatte aber keine Ruhe mehr, und sagte: was geschehen müsse, solle gleich geschehen, denn das Aufschieben könne er vollends nicht aushalten, [150] und er wolle es schon bei ihr verantworten.

Nun lebe sie nochmals wohl, herzliebste Mutter! Ich wünsche ihr ein fröliches neues Jahr, und bitte Gott, daß er sie auf all ihren Wegen begleite.

[151]

Stephani an seine Verwandten.

Ich habe eine himmlische Erscheinung gehabt, und in meine ganz umdüsterte Seele ist ein belebender Lichtstral gefallen. Alles schien mir dem Grabe geweiht; aber das Glockengeläute zum heiligen Feste scheint mir jetzt nur Auferstehung zu verkündigen. Ein unverwelklicher Frühling ist mir aufgegangen, alle Blumen öffnen mir Seligen den Kelch, und ich kann nichts denken, als Leben.

O es war kein Traum! Das göttliche Mädchen, was mir einst Trank im brennenden Fieber reichte, was Niemand gesehen haben wollte, ich hab' es gesehen.

[152] O ihr versteht mich nicht, und so muß ich erzählen.

Die spielenden Knaben waren ganz fertig, der Fürst trug grosses Verlangen, sie zu sehen, und wollte mich mit Bernhard, der gerade bei ihm war, in meine Werkstätte begleiten. Als wir aber vor das Haus kamen, schien mein ganzes Vorzimmer in Flammen zu stehen. Bernhard erschrack so wie wir, faßte sich aber bald, und rief zu unserm Erstaunen mit Lächeln: ich wette, das haben die Weiber angestellt!

Schnell drangen wir nun durch den Haufen des gaffenden Volks, und Bernhard, vielleicht seiner Sache doch nicht gewiß, eilte voraus. Als er aber das Zimmer öffnete, leuchtete uns mit einemmale eine ganze Christbescherung mit allen neun Kindern entgegen. Anfangs sah ich nichts als [153] die Kinder; plötzlich aber stralte mir vom andern Ende des Tisches ein Mädchen im Gewande der Himmelskönigin entgegen.

Ich trete näher, sehe ein Wunder unvergleichlicher Schönheit, eine Jungfrau im höchsten Sinne des Worts. Meine Knie wollen sich beugen. Da nimmt sie die Krone vom Haupt, und reicht sie mir mit einem Palmzweige. In dem Augenblicke fällt ein Lichtstral in meine Seele. Ich erkenne das himmlische Kind, was mir im Fieber einst Trank reichte. Aber die göttliche Erscheinung wendet sich von mir und verschwindet.

Betäubt staun' ich ihr nach, da tritt der Fürst zu mir, betrachtet schweigend, was sie mir gegeben, wendet sich dann ebenfalls schnell, beinahe unwillig von mir weg, und verläßt uns.

[154] Noch erstaunter betracht' ich nun die Gabe, als eins der Kinder ruft: sieh Mutter! Gretchen hat die Kron' und den Palmzweig Herrn Stephani gegeben!

Wer ist Gretchen? – frag' ich nun schnell. –

Sie ist die Tochter eines Landschulmeisters – antwortet Mathilde – nach unserer Stadtsprache, ein ganz ungebildetes Mädchen; aber gewiß die engelreinste Seele, die man finden kann.

Ja wohl! – fiel Bernhard ein – und nie habe ich sie in einem passendern Kleide gesehen. Sie hat mich auf das herrlichste überrascht; doch schien sie es noch mehr, als wir Alle. Sieh doch nach ihr und bitte sie, diesen Abend bei uns zu bleiben.

Mathilde aber kam mit der Antwort zurück: ihr sey nicht wohl, und sie habe [155] gebeten, sich schnell nach Hause begeben zu dürfen. Es ist wahrscheinlich nichts als Schrecken und Ermüdung – fuhr sie fort – morgen wird sie wieder hergestellt seyn, und wir werden ihr hier im Hause Alles bescheren können. Auf diese Worte fingen die Kinder an zu jubeln, und ich trat gedankenvoll in mein Zimmer.

Den andern Morgen holten sie mich mit der Nachricht: es solle Gretchen beschert werden, der Fürst sey da; wolle sich aber mit uns im Nebenzimmer verbergen, um recht zu sehen, wie Gretchen erstaunen und sich freuen werde.

Ich sah sie wieder. O du himmlische, himmlische Unschuld! Du liebenswürdigstes aller Geschöpfe, die auf Erden geboren wurden! wofern du nicht gerade vom Himmel stiegest. Du meine innigste, heiligste Erscheinung! die ich oft auf der Leinwand [156] darstellen wollte, damit ich sie auch mit körperlichem Auge schauen möchte; die dann aber zerfloß, nicht sichtbar werden wollte. Die ich dann schnell wieder, wie ein heiliges Geheimniß, in mein Innerstes verschloß, trauernd, daß es mir nicht vergönnt sey, dich als sichtbare Gottheit den Menschen zu hinterlassen.

O du athmest wie ich! Körper bist du dennoch geworden. Sey, werde unsterblich! oder verschwinde nur nicht von der Erde, bevor meine Augen sich schliessen! Was soll ich sehen, wenn ich dich nicht mehr sehe? –

So weit hatt' ich geschrieben, als ein Geräusch mich aus meiner Entzückung weckte. Es war der Fürst.

Was treibst du? – fragte er – Alle deine äusseren Sinne waren verschlossen. Man meldete mich dir, ich trat mit Geräusch [157] zu dir ein, und du bliebst unbeweglich.

Ich betheuerte, daß kein Mensch bei mir gewesen, daß ich ihn gesehen habe, ohne zu begreifen, woher er so plötzlich gekommen. Gleichwohl – antwortete er – ist mir mein Laufer auf deiner Schwelle begegnet. Aber, wie gesagt, du warest der Erde völlig entrückt. Hätt' ich dich malend gefunden, wär' es begreiflich gewesen; aber mich dünkt, du schriebst, oder hattest geschrieben.

An meinen liebsten Verwandten – sagt' ich – dessen Briefe an Alle und für Alle gelten. Man sieht mir viel nach, und so schreibe ich ohn' alle Rücksicht. Auch wird ein Brief in unserer Familie wie ein Heiligthum gehalten, und ein Jeder, der daraus das Geringste verriethe, würde ein Verbrechen zu begehen glauben.

[158]

Eine Lehre für mich! – rief er – denn wie dürft' ich nun, wie sehr mich mein Herz dazu drängt, nach dem Inhalte fragen? –

Er hielt inne und schien auf Antwort zu warten. Ich aber sah schweigend vor mich nieder. – Eins aber – fuhr er fort – ist mir dennoch vergönnt, rathen ist mir nicht untersagt. Du schriebst, so rath' ich nun, von der, von welcher du immer schreibst. Er sah mich forschend an, ich wollte seinen Blick vermeiden; aber eine brennende Röthe überzog meine Wangen.

Nicht? nicht? – rief er, und ging, als er keine Antwort bekam, in heftiger Bewegung auf und ab, blieb dann plötzlich wieder vor mir stehen, ergriff meine Hande, und sagte mit der höchsten Wehmuth: Stephani! du schriebst nicht von ihr? nicht von Rosamunden? –

[159] Nein! – sagt' ich halblaut, und wandte mein Gesicht von ihm weg.

Du wendest dich weg? – rief er – du schreibst nicht von ihr? So weiß ich.... und plötzlich hielt er wieder inne, und ging, kämpfend mit sich selbst, auf und ab. Stephani – fing er dann wieder an – das Einzige sage mir! von wem schriebst du?

Von dem wunderbaren Mädchen – antwortete ich nun – welches mir in Gestalt der Himmelskönigin erschien, mir im Fieber einst Trank reichte, Niemand wollte gesehen haben, und ich am Ende für ein Gebilde meiner Phantasie hielt.

Jetzt nicht mehr! – rief er. –

Wie kann ich? – fuhr ich fort – Da liegt die Krone und die Palme und gestern sah ich sie ja zum zweitenmale mit Ihnen. –

[160] O ich bin ein armer Mann! – rief er abermals, und warf sich in einen Sessel.

Sein Zustand drang mir tief durch die Seele. Dankbarkeit begeisterte mich. Mein Fürst und mein Wohlthäter – hub ich an – geben Sie dem Schmerze nicht Raum! Kann es Sie beruhigen, wenn mein ganzes Herz offen vor Ihnen liegt, wohlan blicken Sie hinein! und so möge mich Gott in der letzten Stunde verlassen, wofern Ihnen eine Empfindung, deren ich mir bewußt bin, verborgen bleibt!

Er sah mich gerührt und zweifelhaft an.

Lesen Sie dann! – fuhr ich fort – und wenn Ihnen dieses Blatt entdeckt, daß Ihre Weissagung erfüllt ist; so erfahren Sie auch zu gleicher Zeit, daß dieses wunderbare Mädchen ein überirdisches Wesen für mich ist. Das kann es bleiben. Nur [161] seinen Anblick entziehen Sie mir nicht! sonst möchte meine schon umdüsterte Seele gänzlich verfinstert werden.

O! – rief er – es ist geschehen! Ich wollte mein Unglück und mußte es wollen. Wer konnte mich schützen vor meinem eigenen Willen?

Ich mein Fürst kann es vielleicht! Ich kann, ich darf vielleicht ihrem edeln Willen Einhalt thun. O wie tief fühl' ich mich beschämt, gezüchtigt, für so manche Künstlerlaune, die ich dem feinfühlendsten, edelsten Menschen und Fürsten entgegensetzte! Möchte mein Blut fliessen, diesen Fleck in meinem Leben zu vertilgen! oder möcht' ich würdig seyn, ihm, der es zu einem himmlischen erheben wollte, einen himmlischen Lohn durch ewige Entsagung zu bereiten!

[162] Zu spät! – rief er – das Schicksal hat längst schon bereitet! Wen sie liebt, dem wird sie gehören! verwahrte sie der Andere hinter dreifachen Riegeln.

Wen wird sie lieben? – fiel ich ein – als den grössesten Menschenfreund, ihren grössesten Wohlthäter? der mit dem Strale seiner hohen Vernunft ihre schöne Seele erleuchtet.

O! – rief er lächelnd – sie kann unserer Vernunft, wie unseres Lichtes entbehren! Ihre Vernunft ist die höchste Liebe! Liebe ihre höchste Vernunft! Ihr Herz hell und tief, wie der blaue Himmel! Ihr ganzes Leben und Weben nichts als Wahrheit und Licht!

Ich hab' es gesehen! – fiel ich ein – denn meine Knie wollten sich beugen. Sie ist meine innigste, heiligste Erscheinung. [163] Ich habe sie gesehen, lange, eh' ich sie sah!

Diese unbesonnenen Worte verwundeten abermals sein edles Herz. Er sprang auf und verließ mich.

[164]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Mir ist, als wäre ich in den Himmel gekommen. Des Nachts träum' ich auch immer von Engeln, träume, daß ich schon die Harfe und das Clavier spielen könnte, und daß sie mir zuhörten. Die Harfe, die mir immer etwas schwer vorkommt, und mich manchmal, weil ich sie noch nicht recht zu halten verstehe, ein wenig drückt, ist mir im Traume ganz leicht. Ja, ich schwebe mit ihr frei in der Luft, singe aus voller Brust Lieder, die ich in meinem Leben nicht hörte, greife voll Zuversicht in die [165] Saiten, und bebe von unaussprechlicher Wonne, wenn sie ertönen.

O meine herzallerliebste Mutter! was bin ich so selig! Sehe sie! ich kann gar nicht mehr beten, wie sonst, und Gebete aus den Gebetbüchern kann ich auch nicht mehr beten. Ich kann nur die Hände falten, und manchmal auf das Clavier, und manchmal auf die Harfe blicken. Und dann kann ich das Weinen nicht mehr lassen, denn ich bin gar zu selig, und der ganze herrliche Tag, wo ich so viel lernen werde, steht mir vor Augen.

Wenn ich nun so gar nicht mehr weiß, was ich sagen und wie ich beten soll, dann tröste ich mich mit der Nacht, wo ich in den herrlichen Liedern, die ich nie gelernt habe, Alles sagen kann, was ich jetzt muß verschweigen.

[166] Der vortreffliche Mann, der Fürst, wußte wohl, was mir gut war. Er sah, daß ich Manches dachte, was ich nicht ausdrücken konnte. Er hat mir eine Sprache gegeben, und in dieser Sprache will ich ihm danken.

Seit mehreren Tagen hab' ich ihn nicht gesehen; denn er hat der Frau Präsidentin gesagt: ich solle nicht kommen. Anfangs erschrack ich darüber. Aber die Frau Präsidentin sagte: er habe gar zu viel Geschäfte, und dürfe nicht gestört werden.

Herrn Stephani seh' ich nun alle Tage; aber es ist sonderbar, wir sprechen kein Wort miteinander. Das thut auch nichts; denn wenn ich nur seine Stimme höre, ist's einerlei, mit wem er spricht.

Herzliebste Mutter! ich sagte ihr einmal, er gliche einem trauernden Engel. Sehe Sie nur in die grosse Bilderbibel. [167] Da wo der junge Tobias zu seinem Vater kommt. Gerade so, wie der Engel, der dabei steht, sieht er. Aber traurig ist er nicht mehr. Besonders nicht, wenn er einem unvermuthet entgegen kommt.

Gestern trug ich gerade einen Veilchenbusch, den ich heimlich für die Frau Präsidentin gezogen hatte, in ihr Schlafzimmer, und gerade, wie ich in die Thüre trat, kam er mir entgegen.

Es waren Fremde bei der Frau Präsidentin; und da hatte er sich geflüchtet. Sie quälen ihn gewöhnlich mit Lobsprüchen, und wollen mit Gewalt in sein Zimmer, und seine Bilder sehen. Das kann er aber nicht leiden.

So standen wir dann wieder dicht voreinander, wie am Weihnachtsabend. Aber ich weiß nicht, wie es kam – diesesmal war ich gar nicht verlegen; sondern[168] sah ihm so freudig ins Gesicht, als ob ich im Traume die Harfe spielte, und dazu sänge.

Auch er sah vor Freude ganz verklärt aus, und es war wirklich, als hätten wir uns lange verloren, und jetzt erst gefunden.

Der Blumentopf glitt leise an mir nieder auf den Teppich. Er hob ihn auf, gab ihn mir wieder, und wartete schweigend, bis ich das Zimmer verlassen hatte.

Herzliebste Mutter! ich habe seitdem erst begriffen, was in der Bibel vom Anschauen Gottes steht, und daß die Geister schon dadurch selig würden.

[169]

Stephani an seine Verwandten.

Wie viel widersprechende Gefühle vermag des Menschen Brust zu umfassen! Reue, Dankbarkeit, Entzücken. Welches ist das Herrschende? welches wird es bleiben? Ach ich weiß es nicht! – Was wollt ich vor wenigen Wochen? Was will ich jetzt? Warum tödtet mich diese Frage nicht? – Mich! Kann auch ein Seliger getödtet werden?

Soll ich hin zu ihr? soll ihr gestehen, daß sie mich besser kannte, als ich mich selbst? – Aber was liegt dann in diesem Bekenntnisse? liegt nicht darin, sie sey mir weniger geworden? und ist das wahr? [170] Nein, bei dem allwissenden Gott! das ist nicht wahr! Möcht' ich sie lassen? sie verlieren? O ich kann es nicht denken! eben so wenig, als von der Himmlischen, die mich umschwebt, verbannt werden. Was will ich dann? –

Ach! ich ließ die Feder fallen, breitete meine Arme weit aus, und rief: sie beide! – Sie beide! – Ich? – Wer bin ich, daß ich diesen Wunsch dachte? laut rief? Was that ich, ihn denken zu dürfen? – Nichts! Aber tief in meinem Innern fühl' ich den Werth dieser Unvergleichlichen; tief in meinem Inneren fühl' ich, daß kein Mann ihn so würdigen kann und wird. Woher ich das weiß? O ich sehe es! Wird irgend Einer von Allen, die mich umgeben und der Kunst huldigen, von Schönheit so ergriffen, durchdrungen, wie ich? Wäre das, so müßten sie sie darstellen, wie ich; [171] denn alle Darstellungsgabe ist nichts, als Uebermaaß des Gefühls, des inneren Lebens, das gewaltsam hervorbricht, um getrennt von dem, welchem es zu mächtig ward, ein eigenes, selbstständiges Leben zu beginnen.

Ist es nicht längst bekannt, daß nur der sich ein Gut am meisten zueignet, der es am meisten zu würdigen und zu geniessen versteht? – Wenn das ist; darf ich dann nicht rufen: sie sind mehr mein, als irgend eines Andern! – Wenn das ist; darf ich mich dann nicht niederwerfen vor Gott, und bitten: gieb, erhalt' sie mir Beide! und liegt in dieser Bitte mehr, als ich mit meinem innigsten Gefühle, mit meinem mächtigsten Bedürfnisse rechtfertigen kann und will? –

Ach, wohin bin ich gerathen! Ist mein [172] Wille das Schicksal? – Unglücklicher! bin ich es, der Verzicht thun wollte?


Was klag' ich? Wem lächelt das Schicksal dennoch so wie mir? Während ich den Blick zur Erde heftete, wurde himmlischer Trost mir bereitet.

Die Stadt Pisa fordert eine Madonna, als Altarblatt, von mir. Ja, ihr sollt sie haben! Gerade ich kann sie euch geben!

Ach die nöthigen Vorbereitungen halten mich noch auf! Aber warum soll ich warten? Kann ich nicht selbst Handwerker, Handlanger werden? Ja, das will ich! und reinigen will ich die Farben, daß alles Irrdische daraus verschwindet. Gefärbtes Licht sollen sie bleiben; auch da, wo sie Schatten werden müssen.

[173] Rosamunde, du schwebtest! Margarethe, du sollst schweben, wie sie! Aus eigener Kraft erhob sich jene von der Erde; du warst vom Anfange erhoben. Genien meines Lebens! Kunst und Liebe hält euch in meiner Nähe! Halleluja, ihr könnt nicht mehr von mir weichen!

[174]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Es war gestern des Fürsten Namenstag. Ich wußte es schon lange, und hatte meinen Lehrer gebeten, mich ein recht schönes Lied zu lehren, was ich meinem theuern Wohlthäter singen könnte. Es war ein prächtiges Lied, und mein Lehrer sagte, ich sänge es recht gut.

Ach, wie freuete ich mich! Ich zog das schönste von den weissen Kleidern an, mit dem feinen goldenen Gürtel, den mir der Fürst dazu geschenkt hat, und dem Perlenhalsbande mit dem goldenen Schlosse. [175] Ich war gewiß recht schön geputzt, und als ich fertig war, dacht' ich einmal über das andere: ach, wenn doch meine herzliebste Mutter hier wäre, und mich sähe! denn ich bin ja doch ihre einzige Freude auf der Erde.

Der Herr Präsident ließ mich auf das Schloß fahren, und meine Harfe wurde mir bis in das Vorzimmer gebracht. Als ich aber in des Fürsten Zimmer treten sollte, wurde mir bange, und ich dachte: ach, die Harfe ist so schwer! wie ungeschickt wirst du damit hineinkommen! Aber es ging besser, als ich dachte.

Dicht neben der Thüre ist eine Erhöhung, auf diese kniete ich, und setzte die Harfe etwas tiefer vor mir nieder. Ich sagte nichts, sondern fing gleich an zu spielen und zu singen. Es überraschte den Fürsten ausserordentlich, und gefiel ihm [176] über die Maassen; denn er kam in grosser Bewegung auf mich zu, und sagte: was kniest du Engel? Steh' auf!

Ich aber blieb immer noch liegen, und spielte das Lied erst ganz aus, und sang die letzten Verse, welche die schönsten sind, viel besser als die ersten. Die grosse Freude, daß ich ihm mit so schönen Worten danken konnte, trieb alle Angst von mir weg, und die Harfe klang, wie im Traume.

Er aber nahm sie mir aus dem Arme, und sagte wiederum: O, steh' auf! Wer kann dich so sehen! –

Nein! – rief ich – gnädiger Herr! lassen Sie mich Ihnen so danken für das Leben, was Sie mir gegeben haben! Ach ich war todt vorher! Nur jetzt leb' ich wirklich! fühle jeden Tag ein erhöhteres Leben! Was soll ich, was kann ich thun, [177] Ihnen zu danken? O, möchten Sie etwas recht Schweres von mir fordern! Etwas, das kein Mensch thun könnte, als ich.

Steh' auf! – rief er wieder – Du lieber Engel! was dir schwer wird, kann mir nicht frommen! nur was dir leicht würde, könnte mich beglücken.

O! – rief ich wieder – gnädiger Herr! ich will es lernen! ich will es lernen! bis es mir leicht wird.

Er lächelte schmerzhaft, hob mich auf, und führte mich hinunter ins Zimmer. Nun sah er mich eine ganze Weile schweigend und gerührt an, und sagte dann: mich dünkt, du bist grösser geworden Gretchen!

Das glaub' ich wohl, gnädiger Herr! – antwortete ich – Es ist so lange, daß ich nicht zu Ihnen kommen durfte.

[178] Du wolltest also doch zu mir kommen? Ich glaubte, du hättest nicht einmal an mich gedacht.

Da wär' ich wohl ein verabscheuungswürdiges Geschöpf, wenn ich an den nicht dächte, der mein grössester Wohlthäter ist. O, Nacht und Tag hab' ich an Sie gedacht und Gottes Segen für Sie erfleht.

Doch weiß ich Jemand, an den du noch viel mehr dachtest.

Nun den möcht' ich wohl sehen!

Wie! – rief er erstaunt und sah mich wieder eine Weile forschend und schweigend an.

Ich kann mir nun wohl einbilden, gnädiger Herr! – sagte ich – daß Sie Herrn Stephani meinen. Aber von dem kann ich eben so wenig sagen, daß ich an ihn denke, als ich sagen kann, daß ich an mein Auge, oder an mein Herz denke. Er [179] steht mir immerdar vor Augen, ich mag ihn sehen oder nicht. Ich habe auch meiner Mutter schon längst geschrieben: ich glaube er sey unser Verwandter, und habe immer zu uns gehört.

Ich also – rief er ganz empfindlich – gehöre nicht zu euch?

Ach, gnädigster Herr! – sagte ich – Sie sind ja ein Fürst! wie können Sie denn zu uns gehören? Freilich – setzt' ich schnell hinzu: denn es fiel mir wie ein Stein auf's Herz, was er vormals von den Fürsten, und daß sie keine Freunde hätten, gesagt hatte – freilich! wenn der Vater zu den Kindern, wenn Gott zu den Menschen gehört, wenn unsere innigste Liebe Sie uns zu eigen machen kann, so gehören Sie zu uns, und werden immer zu uns gehören.

[180] O, schweig! – rief er – das klingt, als hättest du es von meinen Hofleuten gelernt. Es war mein Trost, daß du diese Sprache nie lernen würdest. Den wenigstens hättest du mir lassen können.

Gnädiger Herr! – sagte ich – Gott gebe, daß es Ihre Hofleute so gut mit Ihnen meinen, wie ich! Dann wird Ihr Widerwille gegen sie sehr ungerecht seyn. Daß ich mich aber ungeschickt und unbesonnen ausdrücke, habe ich immer geglaubt, würden Sie mir zu gute halten.

Davon ist nicht die Rede! – sagte er verdrüßlich – Wenn ich dir etwas nicht zu gute halte, so ist es eben das Geschickte und Besonnene.

Ach, gnädiger Herr! – rief ich nun, und konnte das Weinen nicht mehr zurückhalten – ich habe es schon lange gemerkt, daß, so gütig und gnädig Sie auch gegen [181] mich sind, doch etwas in mir seyn muß, was Ihnen zuwider ist. Ich bitte Sie flehentlich! sagen Sie mir, was es ist? Was ist das Geschickte und Besonnene? Ich will es ablegen. Was man ernstlich will, sagte mein seliger Vater, das kann man auch, und der allwissende Gott ist mein Zeuge! daß ich es ernstlich will. Aber gerade jetzt, da Sie mich geschickt und besonnen nannten, ging mir Ihr Zustand tief durch die Seele. Muß ich und kann ich das nun auch ablegen?

Nun kam er mit einemmale wieder ganz freundlich und gerührt auf mich zu und sagte: weine nicht, du heiliges Herz! Ich will es überlegen, ja ich will es überlegen, ob es gut ist, daß ich dir sage, was du nicht weißt. Geh in Frieden! meine Geschäfte rufen mich jetzt. Aber deine Harfe [182] laß mir hier. Ich schicke dir zur Stund eine andere.

Ich wollte mir nun ein Herz fassen und seine Hand küssen; aber er zog sie schnell weg und sagte: O Gretchen! Gretchen! geh geschwind!

Aber ich hatte mich schon zu sehr verspätet, und mußte in meinem ganzen Putze zu Tische gehen; so daß Herr Stephani einmal über das andere lächelte, wenn er mich ansah. Doch war es gewiß kein spöttisches Lächeln. Als aber die Kinder fragten: ei Gretchen! wo bist du denn so schön geputzt hingewesen? und die Frau Präsidentin antwortete: beim Fürsten, da lächelte Herr Stephani nicht mehr, sondern blickte traurig vor sich nieder.

Ach, herzliebste Mutter! warum wirft sich doch immer etwas zwischen die Menschen, daß sie sich nicht so lieben, wie sie [183] sich lieben könnten? Es ist gewiß etwas zwischen dem Fürsten und Herrn Stephani. Und das wird es auch wohl seyn, wovon der Fürst sagt: er wolle überlegen, ob es mir gut sey, daß ich es wisse. –

O nein! es wird mir nicht gut seyn. Aber ihnen wird es noch weniger gut seyn; und darum werde ich auch nicht ruhen, bis ich es weggeräumt habe.

Der Haß ist gewiß das grösseste wahre Leiden auf der Erde. Ja, ich muß ihr gestehen, herzliebste Mutter! daß er mir wie eine ordentliche Verrücktheit vorkommt, die mein tiefstes Mitleiden erweckt, und daß ich es darum so recht inniglich mit meinem ganzen Wesen begreife, wie der Heiland sein Leben opfern konnte, damit sich die Menschen nur lieben lernten.

Ach, herzliebste Mutter! ich erschrecke davor, wenn ich denke, daß es Hochmuth [184] oder Gotteslästerung seyn könnte; aber ihr darf ich es doch nicht verhelen, daß mir immer wunderbarer zu Muthe wird, je älter ich werde, ja, daß mir ganz anders wird, als den jungen Mädchen, die ich kenne. Sie bekommen immer mehr Gefühl für die Freude, und ich immer mehr für den Schmerz, nicht für den eigenen, sondern für den fremden. Wenn ich so Mütter ihre Kinder, Kinder ihre Mütter beweinen sehe, ach noch gestern sah ich es, dann ergreift es mich mit unbeschreiblicher Gewalt, und ich werfe mich nieder, und flehe zu Gott, er möge doch die Menschen vom Tode erlösen. O, wenn sie von der Sünde, von der Strafe der Sünden, durch einen Gerechten erlöst werden konnten, warum nicht auch vom Hasse und vom Tode?

O, meine herzliebste Mutter! wenn man sich durch ein ganz reines Leben würdig [185] machen könnte, als ein Opfer für die Menschheit angenommen zu werden; – wenn es genug wäre, daß Einer über Alles liebte, Einer eines vieltausendfachen Todes stürbe; damit kein Haß, kein Todeskampf mehr auf Erde gefunden würde. O meine Herzensmutter! wäre ein solcher Tod nicht der tiefsten Sehnsucht würdig? –

[186]

Stephani an seine Verwandten.

Noch weiß Niemand, was ich vorhabe, und Alles erstaunt über die ungewöhnlichen Vorbereitungen. Da mein Zimmer ein viel zu beschränkter Raum für das Bild ist, hat man mir auf mein Bitten den Saal eingeräumt. Er ist durch eine grosse Glasthüre mit dem Wohnzimmer verbunden, und so kann ich die Himmlische beobachten, wann ich will. Glückseliger! kein Kummer darf mir nahen.


Auge! du göttliches! ich habe dich! und dich geschlossener heiliger Mund! O, [187] mir sagt's mein Geist! dich wird wohl kein Mann jemals berühren. Geschähe es, dann wäre sein irrdisches Daseyn beschlossen, und er schwebte entsündigt zu den Seraphinen, die dich bildeten.

[188]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Unser Wohnzimmer ist ganz verändert, und doch ist keine Veränderung darin vorgegangen. Aber Herr Stephani malt in dem grossen Saale, der daran stößt, und seitdem ist Alles ganz anders. Die Gemälde scheinen lebendig zu werden, und scheinen freudig zu lächeln, die Menschen scheinen Gemälde zu werden, und alles Häßliche zu vermeiden. Der Saal ist geheimnißvoll und prächtig, wie eine Kirche. Mehrere Fenster sind verhangen; aber in die offenen blickt die Sonne, wie ein göttlicher Geist.

[189] Das Bild, was Herr Stephani malt, steht mit der Rückseite gegen die Glasthüre unseres Zimmers. Alles ist verschlossen, Niemand darf hinein. Es muß etwas ganz Auserordentliches vorstellen; denn Herr Stephani sieht aus, wie ein Entzückter, wenn er zurücktritt, um es zu betrachten. Da er dieses sehr oft thut, und das Bild von ganz ungewöhnlicher Grösse ist; so sagt die Frau Präsidentin: es müsse wahrscheinlich bestimmt seyn, aus einer grossen Entfernung gesehen zu werden.

Gestern hab' ich auch gesehen, daß es wirklich so seyn muß. Herr Stephani ging ganz bis an das Ende des Saals, der sehr lang ist, um das Bild zu betrachten.

O, wenn nur auch gleich ein Maler da gewesen wäre, der ihn hätte malen können! Es würde ein eben so wunderbares Gemälde, ja, vielleicht ein noch wunderbareres, [190] als das, woran er arbeitet, geworden seyn.

So habe ich noch keinen Menschen gesehen. Sein Haar schien sich zu heben, sein Auge stralte, wie eine Sonne, sein Arm streckte sich aus; er wollte malen und hatte die Entfernung vergessen. Plötzlich wurde er sie gewahr, und kam wieder auf das Bild zugeflogen.

O wie wurde mir, herzliebste Mutter! – Ich ging schnell in mein Zimmer, und spielte kniend ein Danklied.

[191]

Stephani an seine Verwandten.

Der Fürst war da, sah mich malen, und wollte wissen, was ich vorhabe. Niemand konnte es ihm sagen, und so ließ er mich gestern zu sich rufen. Ich sah den Laufer durch die Glasthüre, konnte wohl denken, daß es mir gälte, und trat heraus zu bitten: der Fürst möge mir erlauben, ihm Abends aufwarten zu dürfen. Ich war auf den Morgen bestellt. Die seltene Güte dieses grossen Menschen macht einen dreist, und er ahnet nicht einmal, daß diese Dreistigkeit etwas Ungeziemendes enthalte.

Während ich aber mit dem Laufer sprach, war Fränzchen, ein Kind von zwei [192] Jahren, mit seinem Steckenpferde durch die offene Thüre getrabt, und stand nun, wie versteinert, vor dem Bilde. Sobald er zu sich selbst kam, rief er überlaut: Gretchen! Gretchen! und wollte im vollen Gallop wieder davon.

Aber ich nahm ihn gefangen, bedeutete ihm, daß es eine grosse Freude, wie am Christabend werden solle, aber Niemand etwas davon wissen dürfe. Wolle er artig und verschwiegen seyn, so solle er Farben und Pinsel bekommen, und mir unten an dem Bilde malen helfen.

Er versprach Alles; verlangte aber sogleich Pinsel und Farben, legte sein Steckenpferd zur Seite, und machte sich an das Geschäft. Jetzt wurden ihn die andern draussen gewahr, und verlangten nun auch eingelassen zu werden. Er aber versicherte ihnen sehr ernsthaft: das könne [193] nicht geschehen. Sie seyen viel zu laut und unartig; er aber sey artig und verschwiegen, habe auch Farben und Pinsel, und sie mögen nur gleich weiter ziehen, und uns nicht stören. Wollen sie nun etwa böse darüber werden, und sein Steckenpferd zerschlagen, so gehe das auch nicht; denn er habe es bei sich behalten.

Es ist ein herrliches Kind, mit einem grossen, brennenden Dichterauge. Ich will ihn unter die himmlischen Heerscharen, von denen die Heilige angebetet wird, versetzen, und mich soll wundern, ob er sich findet.


Wenn sie aufsteht, sich setzt, sich zu den Kindern beugt – wie ganz anders, als die übrigen weiblichen Körper! – keine Begierde, Leidenschaft in irgend einer [194] Bewegung. O, wie soll ich es ausdrücken! – Nichts, nichts Irrdisches! Heilig! heilig vom himmlischen Haupte bis zur Ferse! und nie wird das sichtbarer, als wenn sie steht.

Will ich dann mit einem Worte meine ganze Seligkeit ausdrücken, so sage ich leise: die Jungfrau! – Ich weiß nicht, ob ihr den erhabenen Reiz dieses Wortes nachempfindet? – Mir ist es die höchste Musik. Auch sage man von der Göttlichkeit der männlichen Gestalt, was man wolle, zu dieser Heiligkeit erhebt sie sich nicht. Ich weiß wohl, was man mir einwenden kann. Aber versteht mich!

Die höchste männliche Schönheit, welche jemals dargestellt ist, wurde entweder zum Kampfe gerüstet, oder nach siegreich gekämpftem Kampfe dargestellt (Jupiter, Apoll). Tief in der Seele jener [195] Künstler, welche das Ideal männlicher Schönheit darstellten, lag also die Ahnung: daß Kraft; keinesweges Sittlichkeit das Erste sey, wonach sie zu streben haben.

Ihr zweifelt? – Wohlan! macht die Probe! Werft die Kraft weg! laßt Schönheit und Sittlichkeit. Habt ihr einen Mann? – Das behaupten wir nicht! – ruft ihr – Haben wir die Kraft als nothwendiges Erforderniß geläugnet? Aber schön, zum edeln Zwecke geleitet, harmonisch, mit einem Worte: sittlich soll sie seyn. Das aber läugne ich euch geradezu. War Jupiters, Apolls Kraft eine sittliche? – Aber läugnet einmal, daß es eine männliche war!

Was folgt hieraus? – daß das Ideal der männlichen Schönheit nie ohne Kraft, wohl aber ohne Sittlichkeit, um wie viel mehr ohne Heiligkeit bestehen könne.

[196] Führt nur keine Venus an! denn wofern sie euch mehr, als idealisirter Liebreiz ist, thut ihr ihr zu viel Ehre. Ich aber spreche von einer Jungfrau im höchsten Sinne des Worts, und vor der fällt eure Venus nieder; sey es auch, daß sie in dieser Stellung jene an Reiz tausendmal übertreffe. Was beweißt das für euch? – Aber denkt euch einmal den knienden Jupiter, den knienden Apoll – Wahnsinn! – Nicht wahr? Ihr gesteht es?

Oder seyd ihr noch nicht zufrieden? Wollt ihr der Proben noch mehrere? Gut! so fragt euch dann: wer ist der unmännlichste Mann? der Häßlichste? derUnsittlichste? – Keinesweges! es ist der Schwächste. Nun fragt weiter: welches ist das unweiblichste Weib? – das stärkste? das häßlichste? – keinesweges! es ist das unreinste, das unsittlichste.

[197] Und so müßt ihr dann zugeben: daß, wollt ihr Männlichkeit mit einem Worte ausdrücken, ihr Kraft, Weiblichkeit, ihr Reinheit, oder, was dasselbe ist,sittliche Schönheit sagen müsset.

Gesteht, ihr seyd überwunden! und wenn ihr es nicht gesteht; so kommt und seht mein Bild.


Ich bin weit von der Furcht entfernt, ihr möchtet das Alles für kindischen Dünkel nehmen. Ihr kennt mich ja. – O nein! nein! ich will mich nicht halten! will laut triumphiren, daß es mir gelang, daß ich gewürdigt wurde, die Himmlische darzustellen. O, ich bin zu selig, als daß ich irrdische Rücksichten nehmen könnte.

Verzeiht dem Künstler! ich halte das Bild für eine Angelegenheit der Menschheit. [198] Schlösse der Tod einst das Auge des heiligen Mädchens, ihr und andere könnten sagen: es habe niemals gelebt. Eure Venus müßte dann das Höchste bedeuten, und ein ganzes herabgewürdigte Geschlecht würde vielleicht seine hohe Bestimmung verkennen, und glauben, es sey nicht mehr werth, als wir es gelten lassen wollen.

[199]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Vor einigen Tagen war der Fürst da, kam gerade in das Wohnzimmer, und sah Herrn Stephani malen. Er wollte wissen, welch ein Gemälde es sey; aber Niemand konnte ihm Auskunft geben. Da ließ er mich rufen und sagte: nicht wahr, Gretchen! du weißt, was er malt? Nein! gnädigster Herr! – antwortete ich – Es weiß es kein Mensch, ausser Fränzchen. Sehen Sie! da steht er schon wieder bei Herrn Stephani. Aber wir können nichts aus ihm bringen: als daß es ein Weihnachtsbild [200] sey, er auch mit darauf stehe, und daran helfe, weil er artig und verschwiegen sey, und daß ich am meisten darüber erschrecken und mich freuen werde.

Und Stephani?

Ja, der spricht mit Niemand mehr, scheint auch nichts von Allem, was um ihn vorgeht, zu bemerken. Selten kommt er zum Essen, und dann haben wir an den Kindern genug zu wehren; denn er giebt ihnen Antworten, die gar nicht auf ihre Fragen passen. Dann lachen die kleinen Schelme, wir mögen winken, wie wir wollen. Die Aeltesten aber reden ihn gar nicht mehr an, sondern betrachten ihn mit einer zärtlichen Furcht, und machen gleich Platz, wenn er irgendwo durchgeht.

Aber mit dir Gretchen spricht er doch?

Ich wüßte die Zeit nicht, daß er ein Wort mit mir gewechselt hätte!

[201] Er wollte vor einigen Tagen zu mir kommen.

Ach, gnädigster Herr! zürnen Sie ja nicht deswegen auf ihn! Er liebt und verehrt Sie vor allen andern Menschen; aber er vergißt Alles, was nicht das Bild ist.

Unmöglich! – rief er – oder das Bild ..... Dann hielt er plötzlich inne, und sah mich an, als ob er mir bis auf den Grund des Herzens sehen wollte.

Was sehen Sie mich nun so an, gnädigster Herr? – sagte ich – Trauen Sie mir nun schon wieder nicht, und glauben, daß ich mehr weiß, als ich sage?

Nein, Gretchen! – rief er wieder – ehe glaube ich, daß ich mehr weiß, als du sagst.

Da er aber so laut rief, hatte Herr Stephani ihn gehört, und kam zu uns herein. Er entschuldigte sich sehr, daß er [202] nicht gekommen. Aber der Fürst sagte: lassen Sie das! lassen Sie das! Doch warum sind Sie so grausam gegen uns? – Keiner Ihrer Freunde weiß, was Sie arbeiten.

Es ist ein Altarblatt – antwortete Herr Stephani – was die Stadt Pisa bei mir bestellt hat.

Der Fürst wollte nun eben fragen: was es denn vor stelle, da erschrack Herr Stephani so, daß er ganz roth wurde, öffnete plötzlich die Thüre, und ließ den Fürsten hineingehen. Er muß gewiß befürchtet haben, ich würde das Bild auch sehen wollen; denn er sahe mich so bittend und so angstvoll an, daß es mir im Herzen wehe that, und ich geschwind sagte: lieber Herr Stephani! ich will nicht mit hinein.

[203] Da sah er mich noch einmal an, und es war, als wolle er mir mit diesem Blicke seine ganze Seele geben.

Herzliebste Mutter! diesen Blick werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Denn es ist mir, als hätte ich wirklich mit diesem Blicke etwas bekommen, und als sey es mir hier mitten in der Brust geblieben.

[204]

Stephani an seine Verwandten.

Der Fürst hat das Bild gesehen, und ist heftig dadurch erschüttert worden. Lange staunte er es sprachlos an. Dann fiel er mir plötzlich um den Hals und sagte: versprich mir, daß du erfüllen willst, warum ich dich bitte! – Ich erschrack; denn ich ahnete, was er wollte.

Du thust es nicht! – rief er – Mir nicht? deinem Freunde nicht, der Alles für dich thun würde? Ich bitte dich, sage nicht nein! Mache den Pisanern eine Copie. Laß mir dieses Bild. – Die Hände sanken mir nieder.

[205] O, mein Gott! – rief er abermals – du kannst es nicht? –

Ich muß es können – antwortete ich – sobald Sie es wollen.

Er schwieg, und betrachtete das Bild von neuem. Sage mir aufrichtig – hub er dann wieder an – warst du wirklich entschlossen, dieses Bild wegzugeben? –

Nein – sagte ich – aber ich habe mich oft deswegen getadelt.

Wie so?

Die Pisaner haben keine Copie von mir gefordert.

Glaubst du, daß sie den Unterschied fühlen?

Ich fühle ihn.

Aber was würdest du am Ende gethan haben?

Ich weiß es nicht.

Die Idee bleibt dieselbe.

[206] Die Idee – aber die Ausführung! –

Wie? du getraust dich nicht?

Wie viel ich mir trauen, mit Recht trauen konnte, mußte die Folge erst lehren.

Wie viel Zeit hat man dir gelassen?

Das ist die Hauptschwierigkeit. Man wünscht sehnlich, die Kirche möge zu Ostern eingeweiht, und das Bild zugleich aufgestellt werden.

Sie können dir nichts vorschreiben.

Nein. Aber sie haben mich dringend gebeten.

Es ist himmelschreiend, dieses Bild von dem Volke verräuchern zu lassen.

Doch wird es schwerlich mehr, als gerade an diesem Orte wirken.

Wohlan, so trete ich mit ihnen in Unterhandlung. Wir haben auch Kirchen. Mag es dem Volke dann bleiben; aber mir soll es auch nicht ganz entrissen werden. [207] In meiner Nähe will ich es behalten. Wenn sie es zufrieden sind – fuhr er, meine Hand mit Heftigkeit ergreifend, fort – wenn ich ihnen verspreche, versprechen darf: du wollest das Bild zum zweitenmale, diesem vollkommen gleich darstellen? – Sie sollen es von mir geschenkt, und nach meinem Tode auch das erste als Vermächtniß erhalten? Wie dann? Wie dann? –

O! – rief ich – dann ist uns Allen geholfen, und wir bleiben ewig Ihre Schuldner!

Oder wir die deinigen! – fiel er ein, und schloß mich fest in die Arme.

In diesem Augenblicke waren wir seitwärts von dem Bilde gekommen, und das heilige Mädchen erblickte uns. Der Fürst bemerkte es, und sagte: Du Glückseliger besitzest sie zweimal! während ich Armer [208] von elenden verzerrten Halbmenschen umgeben bin.

Sie hat geklagt – antwortete ich – daß sie nicht zu Ihnen kommen dürfe.

Ach ich fürchtete mich selbst! fürchtete ein Geständniß nicht mehr zurücknehmen zu können, was ihren hohen Kindersinn für immer zerstört hätte. Denn ich weiß es! bleibe ich in den Schranken, so ist es diese himmlische Unbefangenheit allein, die mich hält. Meine lauernden Höflinge haben mich errathen und mir eine Reihe Schönheiten vorgeführt, von denen du manche deines Pinsels würdig gefunden haben würdest. Vergebens! Berauscht haben sie mich; aber das Nüchternwerden konnten sie nicht hindern.

Ich gestehe, daß dieses Bekenntniß eine Art Freude bei mir erweckte. Ich fühlte mich der Himmlischen näher, und fühlte [209] mich ihrer würdiger. Er errieth mich augenblicklich, und eine finstre Wolke verbreitete sich über sein schönes Gesicht. Dann verließ er mich plötzlich, und ging, wie gewöhnlich, wenn er uneins mit sich selbst ist, heftig auf und ab.

Ein Paar heimliche Blitze aus seinen Augen schossen an mir vorüber. Ach, ich begriff und beklagte ihn. Eben so plötzlich als er mich verlassen hatte, blieb er jetzt vor mir stehen, und als ob er seine Empfindung in einem Worte zusammenpressen wollte, sagte er im Tone des Vorwurfs: Rosamunde! – Ich sah vor mir nieder. Rosamunde! – wiederholte er, meinen Arm ergreifend, als ob er mich aus einem Traume wecken wollte – Rosamunde! was macht sie, die Unglückliche? –

Ich habe sie – antwortete ich – seit ich das Bild anfing, nicht gesehen.

[210] Sie liebt dich.

Doch nicht so, wie sich selbst.

Wenn sie dir aus Liebe entsagte, liebte sie dich nicht, wie sich selbst?

Sie hat niemals gestanden, daß sie mir aus Liebe entsagte.

Wenn die That redet, was bedarf es der Worte?

Sie fürchtete unglücklich mit mir zu werden.

Sie fürchtete dich unglücklich zu machen.

Sie übt eine schöne Kunst, und so muß ihr Herz ewig getheilt bleiben.

Und das deine?

Ich bedarf zur Ausübung der meinigen der Schön heit ausser mir. Sie aber stellt sie durch sich selbst dar, und ist demnach unabhängiger von der Liebe, wie von der Schönheit.

[211] Du aber scheinst jetzt eben so unabhängig von ihr, wie von ihrer Liebe zu seyn.

Wenn das ist, mein Fürst! muß ich glauben, es sey ein Verbrechen? – Sie sagten mir einst, ich werde ein höheres Ideal kennen lernen. Wenn ich es kennen lernte, führte ich, oder das Schicksal es herbei? – Wenn ich, wie Sie und andere behaupten, die Schönheit reiner und erhabener, als bisher geschah, darstellte, so mußte ich sie auch tiefer empfinden. Strafen Sie mich dann, daß ich das bin, wozu die Natur mich bildete.

Warlich! sie hat dich und uns Alle tiefer durchschaut, als wir glaubten. Meine Härte gegen sie gereuet mich bitter. Aber sie so gänzlich zu verlassen – dazu wär' ich nicht fähig.

Gott ist mein Zeuge! daß ich sie weder verlassen habe, noch verlassen wollte. [212] Sie ist und bleibt mir unaussprechlich theuer, und so gewiß ich lebe, hat Niemand ihren hohen Werth inniger, als ich, gewürdigt. Aber das, was mich in diesen Tagen beschäftigte, mußte meine ganze Seele einnehmen. Und Sie selbst, mein Fürst! frage ich: konnt' es auf andere Weise werden, was es ist?

Die Unglückliche!

Wahrlich! nicht unglücklicher als ich selbst.

Du! du? unglücklich?

Bin ich es nicht, so ist es die Kunst allein, die mich schützt. Was kann ich ausser ihr hoffen! –

Wie, wenn ich nicht wäre?

Ich bin mir bewußt, diesen Gedanken niemals gedacht zu haben, und es schmerzt mich, daß ihn irgend Jemand denkt. Aus mir wird er nie kommen.

[213] Natürlich wär' er gleichwohl.

Es ist manches natürlich, was mir verächtlich und meiner durchaus unwürdig scheinen würde. Ich gelobte Ihnen einst ewige Entsagung. Kann ich mehr thun, als dieses Gelübde erneuern?

O, ich weiß! ich weiß – rief er mit flammendem Auge – woher sie dir kommt, diese gewaltige Kraft! Du bietest aus, wovon du gewiß bist, daß es dir nie genommen werden könne. Aber wie? wenn du irrtest? – Wenn ich sie dahin setzte, wohin sie gehört? Wenn ich mich über elende Vorurtheile erhöbe? – Denk' einmal diesen Gedanken ganz aus, und dann sag' mir, was du empfindest.

Mit diesen Worten verließ er mich, und der übrige Theil des Tages war für mich und die Kunst verloren.

[214]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Ich konnte das vorigemal nicht weiter schreiben; denn ich war gar zu heftig erschüttert. Ach der Fürst ist ein guter Herr; aber er verändert sich gar zu plötzlich, und kann oft böse werden, wenn man es am wenigsten denkt.

Ich schrieb ihr, daß Herr Stephani ihn mit in das Zimmer genommen; was er gewiß keinem andern Menschen gethan haben würde. Anfangs schien der Fürst auch höchlich darüber erfreut. Er umarmte Herrn Stephani, und sah sehr gütig [215] dabei aus. Mit einemmale aber wurde er heftig, und sein Gesicht gänzlich verändert. Es entstand ein Wortwechsel, ich hörte den Namen Rosamunde, und ehe ich es mich versah, stürzte der Fürst ganz entrüstet durch das Zimmer; so, daß seine Leute kaum herbeifliegen und ihm folgen konnten.

Herr Stephani kam nicht zu Tische; malte aber auch nicht; sondern ging gleich auf sein Zimmer. Mir war es unmöglich, einen Bissen zu essen, und das Herz schlug mir so gewaltig, daß ich kaum Athem holen konnte.

Die Frau Präsidentin wollte wissen, was vorgegangen sey; aber ich konnte ihr nichts sagen, als: daß ich den Namen Rosamunde gehört, und daß der Fürst ganz aufgebracht davon gegangen sey. Sie sah vor sich nieder und sagte: das ist sonderbar! Mir aber wurde so angst, daß [216] ich geschwind hinausgehen, und bitterlich weinen mußte.

Ach, es ist mir so, wie ich ihr schon einmal geschrieben habe: daß mir der Haß wie eine ordentliche Verrücktheit vorkommt. Sage sie mir auch um Gotteswillen! was sollen die Menschen auf der Erde, wenn sie sich nicht lieben wollen? – Sie weiß es, vielleicht noch nicht – denke sie einmal, herzliebste Mutter! die Erde schwebt so in der Luft, wie die Sonne und die Sterne. Nun ist es mir manchmal (sage Sie es aber keinem Menschen) als schwebte ich über der Erde. Die grossen Länder, die gewaltigen Ströme, kommen mir dann sehr klein vor, die Menschen noch kleiner, und ihr Zank und Streit erscheint mir nicht bloß wie Verrücktheit; sondern wie völlige Raserey.

[217] Ach, wie unnatürlich ist es, daß sie nicht in fester Liebe zusammenhalten, um dem gewaltigen Schicksale, was sie, bedräuet, zu widerstehen. Denn, herzliebste Mutter! ich muß es ihr nur frei heraus sagen, daß ich von der Allmacht Gottes nicht so denken kann, wie uns geboten wird, von ihr zu denken. Seine Güte aber stelle ich mir noch viel grösser vor, als man sie uns schildert, und das ist auch mein einziger Trost, jetzt, da mich der Fürst in der Geschichte unterrichten läßt.

Ach, herzliebste Mutter! hätte ich nicht schon einmal angefangen, und wäre ich nicht jetzt begierig, an das Ende zu kommen, nimmermehr hätt' ich mich damit abgegeben. Etwas Schrecklicheres und Empörenderes, als schon auf dieser Erde vorgefallen ist, kann sie sich gar nicht denken. Aerger, als reissende Thiere haben Menschen [218] gegen einander gewüthet, und unter tausendmalen hat die Unschuld neunhundertmal der Bosheit unterliegen müssen.

Das Alles, sagen die gelehrten Leute, konnte, sobald der Mensch frei bleiben sollte, nicht anders seyn. Aber, herzliebste Mutter! sie sagen das nur so, um sich etwas vorzumachen; bluten sie aber unter den Klauen eines Wüthrichs, so langen sie nicht mehr damit aus.

Nein! nein! Gott ist gewiß nicht allmächtig! sonst hätt' er das Böse gehindert. Es war, das sieht man tausendfältig bestätigt, eine Kraft, welche sich ihm von Ewigkeit her widersetzte, und die er von Ewigkeit her bekämpfte. Wie dieser Kampf endigen wird, ist, glaube sie mir, liebste Mutter! noch lange nicht entschieden.

Ach, wir blödsichtigen, in Leidenschaft und Irrthum taumelnden Kinder! kennen [219] vielleicht noch lange nicht die Sorgen unseres grossen, liebevollen Vaters. – Schaudern und Entsetzen würde uns vielleicht ergreifen, wenn sie uns offenbar würden. Wohl mögen wir beten: dein Reich komme! erlöse uns von dem Bösen! – Glaube sie mir, herzliebste Mutter! in diesen Worten unseres göttlichen Lehrers liegt weit mehr, als wir denken; so wie in seiner Versicherung:ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.

Unzähligemale aber wiederholte er, daß Liebe und Reinigkeit des Herzens das Einzige seye, was Noth thue. Ach er wußte, daß das Eine zu dem Andern führe, und daß das Reich des Bösen am sichersten dadurch zerstört werde.

So glaube auch ich, liebste Mutter! daß die Macht Gottes durch jeden schönen [220] Gedanken, durch jede liebevolle Handlung der Menschen vermehrt werde, und daß, wenn sie sich in Liebe und Tugend vereinigten, sein Reich kommen würde und müßte.

Aber, o Gott! wenn die Erde ganz dem Bösen hingegeben würde – sänke! sänke mit allen denkenden und empfindenden Wesen, welche keinen geheiligten Willen, keine Kraft hätten, sich über sie zu erheben! – sänke in die bodenlose Tiefe! zerschellte, zerschmetterte, zerstiebe! – Oder wenn sie ganz zur Hölle würde! Wahrheit und Gerechtigkeit verhöhnete Schatten – die göttliche Gestalt des Menschen durch Laster bis zum Unkenntlichen verzerrt – das Siegel der ewigen Verworfenheit ihm aufgedrückt – gebeugt zur Erde – kriechend wie ein Wurm – die Ahnung der Unsterblichkeit, [221] mit ihr sie selbst auf ewig verloren!!

Bei diesem entsetzlichen Gedanken hörte ich ein durchdringendes Geschrei. Ach ich hatte es selbst ausgestossen, und ein unaussprechlicher Schmerz meine ganze Brust eingenommen.

Ich kann das Alles nicht mehr so mit ansehen. Herzliebste Mutter! ich führe aus, was ich jetzt denke. Ja, ich führe es aus, und Niemand soll es mir wehren.

[222]

Stephani an seine Verwandten.

Mehrere Tage verflossen, und ich vermochte nicht, mich über die kleinmüthige Trauer, welche meine ganze Seele umfangen hatte, zu erheben. Endlich sah ich sie wieder, und, was ich für unmöglich hielt, ihr Gesicht war in einem noch höheren Grade veredelt.

Oft hatte ich bei rohen Menschen bemerkt, daß der Schmerz ihre Züge veredle. Allerdings mußte es kein leidenschaftlich hervorbrechender, sondern ein gehaltener Schmerz seyn. Nur bei der Unübertrefflichen schien es mir ungedenkbar. Aber [223] so wie ihre Gestalt über Andere erhaben ist, so ist es ihr Schmerz. Es ist kein menschlicher, der Erde zugewandter.

Was ich dem Fürsten sagte: daß ich keinen andern Trost, als in der Kunst zu erwarten habe, ist mir jetzt noch wahrer, als damals. Ich werde immer überzeugter, daß kein Mann sich der ausschliessenden, noch weniger der leidenschaftlichen Liebe dieses wunderbaren Mädchens zu erfreuen haben werde. Aber ein viel innigeres, thätigeres Mitleid, als Menschen sonst gegen einander empfinden, scheint ihr Herz zu beleben und gänzlich zu erfüllen. Der Leidendste ist immer derjenige, welcher sie am meisten beschäftigt, und es scheint mir jetzt, da ich sie näher kenne, nur ein lächerlicher Dünkel, wenn ich mir je mit etwas Mehrerem schmeichelte.

[224] Mein Wortwechsel mit dem Fürsten, der ihr, da sie im nächsten Zimmer war, nicht verborgen bleiben konnte, schien sie tief zu bewegen. Um meinetwillen, glaubte ich Thor! – Aber gestern wurde von zwei Familien gesprochen, die ihre Kinder, den einzigen Sohn und die einzige Tochter, für einander bestimmten; nun aber plötzlich zerfielen, und ihr Versprechen zurücknahmen.

Der Vater des jungen Mannes war der Beleidiger, und der Erste, welcher sein gegebenes Wort brach. Um so tiefer fühlte sich der Andere gekränkt. Und damit sich kein Zweifel erhebe, ob er, als der Aermere, die Beleidigung vielleicht verschmerze, und die Tochter dennoch für eine mögliche Versorgung aufspare, schickte er sie augenblicklich ins Kloster.

[225] Bei dieser Nachricht gab sich der junge Mann zwei gefährliche, doch nicht tödliche Messerstiche in die Brust, und wehrte sich gegen das Verbinden mit allen noch übrigen Kräften, bis der Vater ihm versprach, den Beleidigten um Verzeihung zu bitten, und noch einmal förmlich um das Mädchen anzuhalten.

Der Sohn nahm jetzt die Hülfe des Arztes an; wurde aber nach seiner völligen Genesung von dem Vater wegen seiner Leichtgläubigkeit verlacht, und dadurch bis zum Wahnsinn erbittert. Er verschwand, und Niemand wußte, oder weiß, wohin.

Diese allerdings schreckliche Begebenheit, im Tone der Stadtneuigkeiten von einem Bekannten mitgetheilt, hat mich, ich sehe es, ganz aus Margarethens Herze verdrängt.

[226] Mit unbeschreiblicher Angst forscht sie täglich nach dem Aufenthalte des jungen Mannes, nach dem Namen des Klosters, wo das Mädchen eingesperrt ist, und da all ihr Forschen vergebens bleibt, hat sie sich endlich an den Fürsten gewandt.

Mathilde versichert: daß Margarethe weder den jungen Mann, noch sonst Jemand aus der Familie kenne, daß ihr aber dieses lebhafte und ungewöhnlich thätige Mitleid schon oft bemerkbar, und bei einer in sanfter Fröhlichkeit durchlebten, und von keinem Schmerze irgend einer Art getrübten Jugend, fast unbegreiflich sey.

Sie ist eine höhere Natur – sagte Bernhard – und nur dadurch wird Manches begreiflich, das weder in ihrer Erziehung, noch in den auf sie wirkenden Umständen gegründet ist. Ich bin begierig – setzte er, mit einem Seitenblicke auf mich, [227] hinzu – ob es einem Manne gelingen wird, ihr Herz ganz für sich zu gewinnen. – Oft bin ich geneigt, es zu glauben; dann aber scheint es mir wieder zweifelhafter, als jemals.

Ich erwiederte keine Sylbe, sondern ging mit zerrissenem Herzen in meine Werkstätte. Ergriff dann aber, beim Anblicke des Bildes, den Pinsel zum erstenmale wieder, mit nie gefühlter Begeisterung, und vollendete in einem Tage, was ich für die Arbeit mehrerer Wochen gehalten hatte.

[228]

Rosamunde an Ludovika Arnoldi.

Warum bliebst du nicht bei uns Geliebte? Dein Scherz: du reisest bloß, um Briefe von uns zu bekommen, hat uns wenig getröstet; und Jedermann behauptet: du habest dich wenigstens zehn Jahre zu früh dem allgemeinen Beifalle entrissen.

Von Stephani kann ich dir wenig melden; denn ich habe ihn in mehreren Wochen nicht gesehen. Er soll mit einem grossen Gemälde, wahrscheinlich noch mehr mit dem Originale, dem Mädchen, mit welchem der Fürst mir einst drohete, beschäftigt seyn.

[229] Wie unaussprechlich elend hätte ich werden können; wäre ich länger über den Charakter dieses Mannes im Zweifel geblieben. Wehe auch ihr, der unglücklichen! wofern sie ihr Herz an ihn hängt, und sich die Möglichkeit, ihn fest zu halten, erträumt. Er liebt das ganze Geschlecht, und zwar tiefer und leidenschaftlicher, als irgend ein Mann. Wird er auch jetzt von ihrer hohen Einfalt angezogen, so kann er doch als Künstler den Sinn für Mannigfaltigkeit nicht verlieren. Ja, dieser Sinn muß sich bei hellerem Blick und höherer Vollendung nur immer mehr entwickeln. Gerade als Künstler wird er sich zu vielem berechtigt glauben, was mit der Treue schwerlich bestehen kann.

Gott sey gelobt! ich bin aus seinem Zauberkreise gerettet, und habe das, was mir in hellen Augenblicken das Wünschenswürdigste [230] war, seine Achtung behalten. Da ich ihm weder mein Herz noch mein Schicksal Preis gegeben, hat mich auch seine Aenderung nicht erbittert, und ich kann gegen ihn und seinen Ruhm immer gerecht bleiben.

Diejenige, welcher er jetzt huldigt, wird nun auch eine gewisse Celebrität erhalten. Ihr Bild ist zu einem Altarblatte bestimmt. Nur auf diese, oder auf eine ähnliche Weise, ist es möglich, daß eben diese Berühmtheit, zu welcher sie durch ihn gelangt, ihr nichts bei ihm schade. Denn so weit ich die Männer kenne, ist die Berühmtheit nächst dem Alter, der Häßlichkeit und der Kränklichkeit, derjenige Fehler, welchen sie am empfindlichsten rächen, und vielleicht hat es, seit Männer leben, kaum zehn gegeben, welche wahrhaft groß genug waren, eine grosse Frau zu ertragen.

[231] Allerdings ist Berühmtheit und Grösse keinesweges gleichbedeutend, und manche göttlich grosse Frau hat kaum ihren nächsten Verwandten für das, was sie war, gegolten. Diese Grösse können die Männer gar wohl ertragen; um so mehr, da man sie benutzen kann, ohne sie anzuerkennen.

Wie dem auch sey! ich habe nur kurze Zeit gelitten, und meine Ruhe ist von neuem gesichert. Ich habe das Grab meiner Schwester besucht, und mir von neuem die Ursache ihres Todes vergegenwärtigt. Die Klagen über meine Freundlichkeit, Höflichkeit und – Kälte sind darauf nur bitterer geworden.

Warum aber klag' ich nicht? Hab' ich kein Herz? und ist es nicht schmerzhafter, ewig von einer Liebe schwatzen zu hören, die keine ist, als ohne Aufmunterung um [232] eine zu werben, welche man im Kurzen nicht mehr die Kraft hat zu erwiedern?

In der Zeit, wo er wirbt – sagst du vielleicht – weiß das kein Mann. Glaube mir! er weiß es; oder kann es mit einiger Aufmerksamkeit auf sich selbst wissen, und ist er dieser Aufmerksamkeit nicht fähig; so bringt er schuldlos dasselbe Leiden hervor, als hätte er absichtlich betrogen. Und so ist dann nicht besser für die Männer gesorgt, als wenn sie sich mit ihrer Liebe dahin wenden, wo sie auf gleiche Weise erwiedert, und Niemand beim Tausche vervortheilt wird.

Genug! und mehr, als genug, von einer Sache, die längst unter uns abgemacht ist.

Meine Rosen blühen wieder in schöner Stille um mich her, die Kunst reicht [233] mir wieder die schwesterliche Hand, und wenn du kommst, findest du mich wieder in meinem Paradiese.

[234]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Wo soll ich anfangen, ihr Alles, was mir begegnet ist, zu schreiben?

Wegen einer sehr traurigen Begebenheit, welche sich in diesen Tagen zutrug, ging ich zum Fürsten.

Ein abscheulicher Vater hatte die einzige Tochter ins Kloster gesperrt, damit ein anderer nur nicht glauben sollte, er werde eine von ihm empfangene Beleidigung vergessen, und das unglückliche Mädchen dem Sohne des Feindes dennoch geben. Der Andere, noch abscheulicher, brach [235] hohnlachend sein dem Sohne feierlich gegebenes Versprechen, dem Beleidigten Friede und Freundschaft anzubieten, und das Mädchen noch einmal zu erbitten. Nur unter dieser Bedingung hatte sich der Sohn zwei gefährliche Wunden, die er sich in der Verzweiflung mit dem Messer gemacht hatte, verbinden lassen, und verließ nun, nach entdecktem Betruge, wahnsinnig das väterliche Haus.

Ach, man erzählte dieses, wie man alles Andere erzählt, und das Herz wollte mir brechen vor Angst und Entsetzen. Ich lief zu der trostlosen Mutter, die so, wie der Sohn, von dem Vater verlacht wurde, und auf ihr Flehen, ihn aufsuchen zu lassen, keine Antwort erhielt, als: daß der Narr, wenn er ausgerast habe, schon wiederkehren werde.

[236] Eben so unerbittlich war der Vater des Mädchens; dessen Aufenthalt vor der Mutter, wie vor dem Gesinde, ein unerforschliches Geheimniß blieb.

Ich schloß die Nacht kein Auge, und ging den folgenden Morgen zum Fürsten.

Er schien erstaunt, mich zu sehen; hörte mir aber aufmerksam zu; und befahl in meiner Gegenwart: die beiden Väter unverzüglich zu ihrer Pflicht anzuhalten. Auch wurden von seinen Leuten sogleich Boten nach dem jungen Manne, wie nach dem Mädchen geschickt. Mit unbeschreiblich gütigem Gesichte wandte er sich dann zu mir, und sagte: ists nun so recht, Gretchen? –

Gott lohn' es Ihnen tausendfältig, gnädigster Herr! – antwortete ich – Die armen geretteten jungen Leute werden es Ihnen ewig danken.

[237] Siehst du Gretchen – sagte er – ohne dich könnte mir das Gott nun nicht lohnen; denn ich würde es nicht haben thun können, und auf die Weise bin ich dir mehr Dank schuldig, als du mir.

Gnädigster Herr! das denken Sie nur so aus lauter Güte; Hätt' ich es Ihnen nicht gesagt, so hätt' es ein Anderer gethan, und Alles würde geschehen seyn, wie es nun geschah.

Du irrst! meine Hofleute haben andere Dinge zu treiben. Und hätten sie davon gesprochen; so würde es, wo nicht mit höfischem Lächeln, doch mit höfischem Bedauern gewesen seyn.

Sie aber, gnädigster Herr! hätten doch Alles gesehen, wie es ist.

Du gutes Herz! Säh' ich Alles, wie es ist, so wäre ich da, wohin ich strebe, aber lange nicht bin. Laune, Arbeit, und [238] Etwas, das mich vielleicht zu sehr beschäftigt, trübt nur gar zu oft meinen Blick. Um so mehr bedürft' ich eines Auges, wie das deinige.

Ach, gnädigster Herr! – rief ich – Sie haben in meinem Herzen gelesen!

Wie meinst du das, Gretchen?-fragte er, mit einer sonderbaren Heftigkeit.

Gnädigster Herr – sagte ich – ich bin mit lauter guten Menschen umringt: aber noch hab' ich es nicht gewagt, Jemanden zu vertrauen, was ich Ihnen jetzt sagen werde.

O, Gretchen! was ist es? verschweige mir nichts!

Nein, gnädigster Herr! denn ich weiß, daß Sie Alles gütig aufnehmen, und wenn es auch sonderbar ist, doch entschuldigen; daß Sie – ach, wie soll ich es sagen? Ja! daß Sie weiter und besser sehen, als [239] Andere, und daß sie, wenn auch nicht Diesen und Jenen, doch überhaupt die Menschen mehr lieben, als Andere, und sie gern alle glücklich machen möchten.

Gretchen! Gretchen! wie klingt das aus deinem Munde! Willst du mich stolz machen?

Ach, glauben Sie nur so was nicht, gnädigster Herr! Aber, wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über.

O, Gretchen! – rief er, und drückte meine Hand fest an sein Herz – Wie sagtest du? Sage, ich bitte dich! sage das noch einmal.

Ich will es noch hundertmal sagen – rief ich eben so laut – Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über! Ja gnädigster Herr! mein Herz ist voll von Ihrer grossen Güte und Menschlichkeit, und ich kann Gott nicht genug danken, daß ich zu [240] Ihnen gekommen bin; denn sonst wüßte ich nun nicht, ob mich Jemand verstände.

Und das weißt du von mir! Ich also verstehe dich besser, als andere? O Gretchen! – fuhr er fort, ergriff abermals meine Hand, und seine Augen standen voll Thränen – dies wird ein wichtiger Tag!

Vielleicht der wichtigste meines Lebens, gnädigster Herr!

Vollende Gretchen! Sage Alles! wenn es dann wahr ist, daß ich dich besser verstehe.

Ja, gnädigster Herr! Sie verstehen mich besser, weil Sie höher stehen, als Alle, und die allgemeine Noth besser überschauen können. Worüber erstaunen Sie, gnädigster Herr? Ich habe es schon lange eingesehen, daß das so ist, und nicht anders seyn kann. Wie gut die Menschen, welche mich umgeben, auch sind, ist es ihnen [241] doch nicht möglich, Jedermann zu helfen. So sind sie dann gezwungen, sich gegen Leiden zu verhärten, und denken gar bald: was hilft's? durch uns wird's nicht besser. Auch dann denken sie so, wenn's gar oft besser würde. Sie aber, gnädigster Herr! haben die Macht in Händen, und darum denken Sie das nicht, und können es nicht denken.

Er sah ganz bedenklich und betroffen vor sich nieder. Das machte mich irre, und ich schwieg eine Weile. Dann aber fuhr ich herzhaft fort: Gnädigster Herr! ich bin so glücklich, habe Alles, was mein Herz wünscht; aber ich kann dieses Glück nicht länger mehr tragen.

Wie! – rief er, und es kam mir vor, als ob sich sein Gesicht gänzlich verfinsterte. Da fürchtete ich, er möchte, wie gewöhnlich, plötzlich böse werden, und fiel [242] schnell vor ihm nieder. Nein! gnädigster Herr! – sagt' ich noch einmal – ich kann nicht mehr so still dem Leiden der Menschen zusehen. Ich muß hinaus und ihnen helfen. Vor allen Andern habe ich mich geschämt das zu sagen; vor Ihnen brauche ich mich nicht zu schämen. Sie begreifen was ich meine, und gingen, so wie ich, wären Sie durch Stand und Pflicht nicht gebunden.

Stehe auf! – rief er – stehe auf! ich bin nicht, wofür du mich hältst.

O ja, Sie sind es! und darum werden Sie mir auch meine Bitte gewähren.

Welche?

Es giebt Klöster, gnädigster Herr! ... O glauben Sie nur nicht, daß ich mich in Mauern einsperren will! Aber es giebt Klöster, in welchen man das nicht nöthig hat.

[243] Meines Wissens nicht.

Wohlan, so stiften Sie eins! nur mit dem Unterschiede, daß die Nonnen ausgehen und helfen können, wo sie wollen.

Und du?

Ich komme in dieses Kloster, kann helfen, wo ich will, kann die Menschen bitten; in Liebe und Einigkeit zusammen zu halten, ohne mich zu schämen, oder von den Leuten verlacht zu werden.

Das war deine Bitte?

Ja, gnädigster Herr! das war meine Bitte.

Du willst nicht bei mir bleiben?

Ich komme täglich zu Ihnen, berichte Ihnen Alles, was ich gesehen, gehört, fordre sie auf zur Hülfe. Kein Tag, keiner wird vergehen, ohne eine schöne, menschliche Handlung, ohne getrocknete Thränen,[244] ohne gestillete Seufzer. Ein himmlisches, ein göttliches Leben werden wir führen.

Wir?

Ja wir! wer sonst, wenn wir es nicht führen.

Wir! weißt du auch, wer du bist?

O, ich weiß es! aber bei Ihnen darf man vergessen, wer man ist.

Vergessen! O du! o knie nicht mehr!

Was denken Sie nun gnädigster Herr? Warum soll ich nicht knien? Ach Gott! geben Sie nur solchen Vorstellungen nicht nach, sonst schäme ich mich vor Ihnen, wie vor den Andern, und aus der ganzen Sache wird nichts.

Nun ging er mit grossen Schritten auf und ab, und sagte kein Wort mehr. Da schlug die Glocke aber zwölf, und ich durfte nicht länger mehr warten. Leben Sie wohl, gnädigster Herr! – sagt' ich nun – [245] Ich muß fort; denn die Kinder kommen jetzt zu Hause, und stürmen sonst gleich zu der Frau Präsidentin, und plagen sie gar zu sehr. Morgen aber, wenn Sie es erlauben, komme ich wieder, und höre, ob Sie mir meine Bitte gewähren.


Den andern Tag kam ich wieder, und da ich unangemeldet hineintreten darf, hatte er mich nicht bemerkt, und saß in tiefen Gedanken. Mir wurde bange; denn er sah finster aus, und ich hatte nicht das Herz, ihn anzureden. Endlich bemerkte er mich, und kam sehr freundlich auf mich zu.

Du da, Gretchen? – sagte er – plötzlich, wie eine Erscheinung! Eben so plötzlich sah ich dich diese Nacht; aber mit einem glänzenden Flügelpaare. Du erhobst dich in die Lüfte, ich wollte dir folgen, [246] sank aber bald ermattet auf die Erde zurück. Ich erwachte in einer trüben Stimmung, die mir bis zu dem Augenblicke, wo ich dich sah, geblieben ist.

Glauben Sie denn auch an Träume, gnädiger Herr?

Wie du willst! Ich glaube daran und glaube nicht daran. Aeusserlich weiß ich gewaltig viel dagegen vorzubringen; innerlich bin ich vielleicht abergläubischer, als irgend ein Anderer.

Das ist sonderbar!

Sonderbar und natürlich, wie so vieles in der Welt, wie du selbst, Gretchen.

Wie ich?

Ja gewiß! du bist die sonderbarste und dann doch die natürlichste Erscheinung meines ganzen Lebens!

Ei mein Gott, gnädiger Herr! wie sollte das zugehen?

[247] Sage selbst, Gretchen! bist du wohl so, wie andere Mädchen? denkst du wohl an Männer, ihnen zu gefallen? Auch nur an einen Einzigen, ihn zu besitzen? so zu besitzen, wie die Frau den Mann?

Ei, mein Gott! das ist wirklich sonderbar! Woher wissen Sie denn das?

Ich weiß es, weil ich dich beobachte. Lange habe ich geglaubt, du machest mit Stephani eine Ausnahme; jetzt glaub' ich es nicht mehr; denn ich sehe dich von Anderer Leiden noch tiefer, als von den seinigen erschüttert. Ja, du willst das Haus, wo er ist, verlassen, und dein Leben fremden Unglücklichen widmen. Oder irrte ich? war es nicht so?

O nein, gnädigster Herr! Sie irrten nicht. So war es. Ich sag' es ja! es begreift und versteht mich kein Mensch so, wie Sie.

[248] Auch nicht Stephani?

Das weiß ich nicht; denn wir haben, so lange wir uns kennen, gar wenig mit einander gesprochen. Aber wenn es auch wäre, so hat er doch nicht die Macht, mir ausführen zu helfen, was Noth thut.

Also nur wegen der Macht ziehst du mich vor?

Ach, gnädigster Herr! ist denn hier von einem Vorzuge die Rede? – Ich liebe ihn unbeschreiblich, ich liebe und achte Sie eben so unbeschreiblich. Kann das nicht mit einander bestehen?

Aber du sagtest mir einst, es komme dir vor, als sey Stephani dein Verwandter, du denkest unaufhörlich an ihn, und wenn hundert Meilen weit ein Kraut wüchse, was ihm helfen könnte, du würdest es holen.

[249] Ja gewiß, gnädigster Herr! und das thät' ich auch jetzt, wenn er es bedürfte.

Bedarf er es nicht mehr?

Ich glaube nicht. Er scheint durch Rosamunde nicht mehr zu leiden, scheint in seiner Kunst ganz glücklich zu seyn. Betrübt ihn noch etwas, so ist es, glaube ich, wenn er, ohne es zu wollen, Sie, gnädiger Herr! erzürnt.

Weswegen aber glaubst du wohl, daß ich mit ihm zürnen könne?

Ach; ich begreif' es nicht!

Wohlan! so erfahre es dann! Deinetwegen zürne ich mit ihm.

Grosser Gott! meinetwegen? –

Ja, deinetwegen. Er glaubte Rosamunden zu lieben, und sieht, daß er irrte. Er glaubt jetzt dich zu lieben – wie, wenn er nach einiger Zeit auch sähe, daß er irrte? –

[250] Was könnte das schaden, gnädiger Herr?

Was es schaden könnte! – Es würde dich unglücklich machen.

O glauben Sie das nicht, gnädigster Herr! Es wäre ja nur ein Irrthum, und wenn ich das weiß, wie kann es mich unglücklich machen?

Was wäre ein Irrthum?

Daß er mich nicht mehr zu lieben glaubte. Denn sollte es wahr werden, so müßte ich schlecht und böse werden. Aber würde es auch ohnedem wahr, so kommt es ja, so lange man auf Erden ist, nicht darauf an, wie sehr man geliebt wird; sondern, wie sehr man liebt, und geliebt hat.

Bei dem allwissenden Gott, das Erhabenste und Göttlichste, was ein Mensch sagen kann! Wer lehrte dich das?

[251] O, gnädigster Herr! – rief ich lachend – so Etwas weiß man aus sich selbst; das braucht man nicht zu lernen.

Du weißt es aus dir selbst. Wer sonst noch? –

Viele! aber sie vergessen es, und denken an tausend andere Dinge, die sie für wichtiger halten. Gäben sie aber nur Acht, wie unglücklich es sie macht, daß sie immer dieses und jenes wünschen, was sie entweder gar nicht, oder nur dadurch, daß sie schlechter werden, erhalten können; wie bald würden sie inne werden: daß Lieben die Hauptsache auf Erden, und alles Uebrige ohnedem nur Tand ist.

O, Gretchen! warum bist du nicht für einen Thron geboren?

Ei, gnädiger Herr! weil ich mich nicht auf ihn schicke.

[252] Soll ich dir beweisen, daß du dich auf ihn schickst?

Das müßten Sie – rief ich wieder lachend – wunderlich anfangen!

Ganz natürlich fang' ich es an. Ich setze dich darauf.

Da würden die Leute was zu lachen bekommen.

Das Lachen würde sich geben; denn die Lacher würden es mit mir zu thun haben.

Dann hätten sie aber schon gelacht.

Würde dich das abhalten?

Lieber Gott, gnädiger Herr! warum sollen wir von Sachen sprechen, die ja gar nicht möglich sind?

Ja, sie sind möglich! – rief er – ich werde sie möglich machen! aber du selbst mußt es wollen.

[253] Ich verstand ihn immer noch nicht, und sagte ganz verwirrt und betäubt: mein Gott! was muß ich denn wollen?

Du mußt mein, ganz mein werden wollen. Dann setz' ich dich dahin, wo du Tausende beglücken kannst. Doch schmerzen würd' es mich, wenn nur das dich bestimmte.

Wie mir nun wurde, herzliebste Mutter! kann ich gar nicht sagen. Ich sah nichts mehr, das Herz stand mir ganz still, und ich würde gefallen seyn, hätte mich der Fürst nicht auf einen Sessel gebracht. Er sagte mir nun noch vielerlei; aber ich verstand nichts mehr, und man mußte mich zu Hause und ins Bette bringen.

Als ich mich wieder erholte, saß die Frau Präsidentin vor meinem Bette, und schien sehr bekümmert zu seyn. Ich sah es ihr an, daß sie mich gern fragen wollte, [254] und dann doch wieder Bedenken trug zu fragen. Darum sagt' ich ihr nun gleich Alles, und wie Angst und Schrecken mich so betäubt haben, daß ich nichts mehr von mir selbst gewußt.

Daß du über diesen Antrag erstaunen konntest – sagte sie – begreife ich wohl; aber woher dieses gewaltige Schrecken? –

Ach, liebste Frau Präsidentin! – antwortete ich – Sie kennen ja den Fürsten! wie leicht er aufgebracht wird. – Wenn ich nun seinen Antrag nicht annehme, wird der arme Herr Stephani Alles büssen müssen.

Ah, jetzt begreif' ich! Für Stephani ist dir bange. Sey unbesorgt. Der Fürst ist ein sehr edler Mensch. Sey ganz offen gegen ihn. Er wird deinem Herzen keine Gewalt anthun. Hast du einen andern Mann gewählt, er wird, wie viel Ueberwindung [255] es ihm auch kostet, er wird die Wahl billigen.

Liebste Frau Präsidentin! – rief ich – ich habe ja gar keinen Mann gewählt, und werde auch keinen wählen!

Sie sah mich nun ganz erstaunt und betroffen an, und sagte weiter kein Wort. Ich aber konnte vor Unruhe nicht mehr im Bette bleiben, und bat sie, da ich ja gar nicht krank sey, wieder aufstehen zu dürfen. Nur mit Mühe willigte sie darein; kaum aber war ich wieder ordentlich angekleidet, als man den Fürsten meldete.

Liebste Mutter! es ist Nacht, der Bote kommt morgen früh 6 Uhr, und ich muß schliessen. Sey sie aber nur ganz unbesorgt. Gott schützt mich auf allen Wegen, und seine heiligen Engel werden über sie wachen, und vor aller Kümmerniß [256] bewahren. Mir, herzliebste Mutter! wird es immer gut gehen: das glaube sie nur festiglich.

[257]

Stephani an seine Verwandten.

Franz kam ausser Athem zu mir herein mit der Nachricht: Gretchen sey vom Fürsten krank zu Hause gebracht, und liege im Bette. Es schien mir unglaublich; denn ich hatte sie noch niemals krank gedacht. Doch eilt' ich voll Zweifel und Schrecken zu Mathilden; aber in dem Augenblicke wurde der Fürst gemeldet und trat fast zu gleicher Zeit mit mir ins Zimmer.

Er schien äusserst bewegt, auch da noch, als Mathilde ihm versicherte: Gretchen sey wieder auf und vollkommen hergestellt.

Ich hatte nicht den Muth, ihn anzureden, und auch er blickte nur seitwärts [258] und verstohlen nach mir hin. Bis endlich Fränzchen Farben und Pinsel ebenfalls mit der Nachricht brachte: Gretchen sey schon wieder auf, habe wieder ganz rothe Wangen, und wir können wieder malen.

Alle Einwendungen halfen nichts, er zog mich fort, und der Fürst folgte nach.

Nach langem Stillschweigen fragte dieser endlich: Weiß sie noch nichts von dem Bilde?

Ich glaube nicht.

Und das Kind schweigt wirklich?

Franz nickte schalkhaft mit dem Kopfe und zeigte nach der Gegend, wo auch er abgebildet ist.

Das Gemälde ist fertig.

Nicht ganz.

Wann denkst du es zu vollenden?

Gewiß zum heiligen Feste,

Hast du Antwort von Pisa?

[259] Nein. Aber ich zweifle nicht, daß man die Bedingungen annehmen werde.

Man soll mich augenblicklich benachrichtigen.

Ich werde nicht ermangeln.

Ich wünsche, daß sie das Bild zuerst in der Kirche an dem ihm bestimmten Orte sehe.

Ich schwieg.

Oder hast du es anders beschlossen?

Ich beschliesse nichts mehr über dieses Bild.

Doch scheinst du etwas zu fürchten.

Vielleicht eine zu starke Erschütterung bei Margarethen.

Ich will sie vorbereiten.

Ich schwieg abermals, kurz darauf trat sie in das Wohnzimmer und er verließ mich.

[260] Was war die Ursache ihres plötzlichen Uebelbefindens? – Er wußte es, das war sichtbar. Ja, er schien es veranlaßt zu haben. Wodurch? – O trügt mich nicht die Stimme meines Herzens! – – Geduld! das kann nicht verborgen bleiben.

[261]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Wie danke ich es meinem geliebten Vater in der Erde, wie dank' ich es ihr, herzliebste Mutter! daß sie mich früh vor Hochmuth und vor allem Tand, der vom ewigen Frieden abziehen kann, gewarnt haben. Wie leicht könnt' ich sonst nun eine dumme Thörin werden, und glauben, das, was das Glück mir gäbe, oder was andere in übertriebener Einbildung mir zuschrieben, wäre ich selbst. Nein! nein! herzliebste Mutter! vertraue sie nur auf Gott! Er hat mich bisher vor solchem [262] dummen Uebermuth bewahrt, und wird es auch ferner.

Es kam mir einmal der schlechte Gedanke, ich wolle ihr, herzliebste Mutter! etwas verheimlichen, damit sie sich nur keine unnöthige Sorge machen möge. Aber das war Abends, und als ich am andern Morgen meine Haare flocht, und sie vor dem Spiegel aufstecken wollte, konnte ich mich schon nicht mehr ausstehen. Vor Unmuth fing ich bitterlich an zu weinen, dann aber faßte ich mich und dachte: es gehe, wie es wolle! deiner herzliebsten Mutter sagst du mal Alles.

Was meint sie nun wohl, herzliebste Mutter! sey auf dem Bilde, was Herr Stephani malt, vorgestellt? – Ich selbst, sagt der Fürst. Nicht wahr, sie erstaunt? Ich aber bin noch weit mehr erstaunt, und habe nichts davon glauben wollen. Ich solle [263] nur Fränzchen fragen, und ob ich mich nicht erinnere, wie das Kind gesagt habe? ich werde am meisten darüber erschrecken und mich freuen.

Nun erschrack ich wirklich, und zwar so, daß ich kein Wort mehr vorbringen konnte. Glaubst du nun noch nicht – fuhr der Fürst fort – daß du eines Thrones würdig bist?

Gnädigster Herr! – antwortete ich, und fing heftig an zu weinen – wessen ich würdig bin, das weiß ich wohl! nämlich, daß sich Gott meiner erbarme, und mich vor Hochmuth bewahre.

Mein Gott! – rief er – was bewegt dich so tief?

Gnädigster Herr! – sagt' ich – ich weiß es selbst nicht recht; aber mir ist schon seit einigen Tagen so zu Muth; denn ich sehe [264] wohl, daß mein Leben ganz anders wird, als ich es mir gedacht habe.

Wie hast du es dir gedacht? – So soll es werden! das betheure ich dir bei meiner fürstlichen Ehre!

Gnädiger Herr! – rief ich, weinte noch viel stärker, und fiel ihm zu Füssen – Sie werden Ihr Wort erfüllen! denn Sie haben es immer gethan.

So werde ich es ferner thun. Und darum steh' auf, und sage mir Alles.

Nun stand ich auf, und sagte: wie gern wollt' ich es, wenn ich es nur recht könnte.

Du wirst es können. Sammle dich, und verbanne alle Gedanken der Furcht.

Gnädigster Herr! – hub ich nun an – Sie verstehen mich am besten, wenn ich von dem Leiden der Menschen, und von dem Wunsche, ihnen zu helfen spreche. [265] Werden Sie mich aber auch verstehen, werden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich ein Wohlgefallen an der Niedrigkeit, ja, daß ich eine ordentliche Sehnsucht nach ihr habe? – Gnädigster Herr! Ihre Zimmer sind schön; Ihre Gemälde sind unaussprechlich schön; aber wie viel Niederschlagendes ist in ihrer Nähe. – Man braucht nur einen der Menschen, die hier aus- und eingehen, zu sehen, fort ist alle Freude. Eine Angst, eine Beklommenheit überfällt einen. – Man muß fort, und oft dünkt einem, irgend ein Unglück folge dicht auf der Ferse – dünkt einem, fliehe man nicht schnell, werde man sich selbst verlieren.

Mir das, Gretchen!

Ach! ach! – rief ich nun schluchzend – ich weiß es wohl, daß ich Ihnen weh thue! und Gott ist mein Zeuge! wie Sie mir [266] letzthin erzählten: Sie haben mich im Traume mit ein Paar Flügeln gesehen, dacht' ich gleich: ach, hättest du nur ein Paar solche Flügel! wärst du nur ein recht starkes übermenschliches Wesen! du rissest ihn gleich heraus, und brächtest ihn dahin, wo Fried' und Seligkeit ist.

Wo ist Friede? Wo ist Seligkeit? – auf Erden nicht mehr!

Da sey Gott vor! Ach gnädiger Herr! wüßten Sie nur, wie einem so in einem kleinen, reinlichen Stübchen zu Muthe ist! Ein weisser hölzerner Tisch, ein Strohstuhl, ein reinliches Bettchen. Ach, so wie in meines Vaters Hause! Und des Sonntags noch Alles ganz anders! und an den Festtagen himmlisch schön! und keine Lüge, kein Betrug! Alles ein Herz und eine Seele! Und das man weiß, was man hat, haben Tausende, und ist deswegen [267] Niemanden etwas genommen worden, und wenn man es verliert, kann es durch Arbeit alle Tage wieder erworben werden.

Wie? dieses ruhige Glück wäre das, was du suchst? du? die hinaus will in die Welt unter Noth und Jammer!

Ich sprach nicht von mir, gnädiger Herr! Ich wollte nur sagen, daß es gewiß noch Fried' und Seligkeit auf Erden giebt.

Welches beides dennoch von dir verschmäht wird.

O glauben Sie das nicht, gnädiger Herr! Wer weiß aber besser, als Sie, daß der eine Mensch so, der andere so empfindet? Mir läßt es nun einmal keine Ruhe, und wenn ich auch wenig hätte, würde ich doch denken: es giebt Tausende, die noch weniger haben. Darum, gnädigster Herr! fleh' ich Sie an, lassen Sie[268] mich ziehen und thun, was mein Herz mir gebeut!

Sonderbar, daß die ganze Welt sich deines Mitleids erfreut! wir allein, meinst du, bedürfen dessen nicht.

Ach, gnädigster Herr! wäre Ihnen denn mit meinem Mitleiden gedient? –

Nun wandte er sich schnell von mir ab, und ich fürchtete schon, er würde sich wieder erzürnen; als er mit einemmale wieder auf mich zukam und sagte: Aber wie, wenn mir nun damit gedient wäre? – Wie, wenn ich es darauf wagte?

Ach, Sie würden sich irren, gnädiger Herr! Sie verlangen weit mehr.

Und was wäre dieses Mehrere.

Sie verlangen, daß ich glücklich seyn soll.

Und, nicht wahr? das ist mit mir, an meiner Seite unmöglich?

[269] O, nicht unmöglich mit Ihnen, an Ihrer Seite! aber an Ihrem Hofe.

Wie, wenn ich ihn abschaffte?

Gnädigster Herr! Sie spotten meiner nicht; wenn aber Jemand dieses hörte, würd' er es glauben.

Was er glauben würde, weiß ich nicht; aber sehen würde er, und wahrscheinlich zum erstenmale: daß es in den Augen eines Mädchens ein Fehler ist, Fürst zu seyn.

Ach ja, gnädigster Herr! und er würde mich auslachen, und darum sehen Sie wohl, daß ich mich an einen Hof niemals schicken werde.

Und darum?

O, darum lassen Sie mich ziehen!

Und wie es mir dann geht? – Wie kommt es, daß diese Frage dir gar nicht einfällt?

[270] O, sie fällt mir ein! Es wird Ihnen gut gehen, und Sie werden bald wieder einsehen, was Sie schon lange gewußt und eingesehen haben: daß Sie zum Fürsten geboren sind, und ich zur Niedrigkeit und Verborgenheit.

Verborgen! wenn du dein Leben Hunderten widmest?

O ja, gnädigster Herr! Stiften Sie nur das Kloster! Dann trag' ich ein Kleid, wie Alle, die darin sind, und wer kann dann gerade wissen: ob es Diese oder Jene ist, die Diesem oder Jenem geholfen habe? –

Er sah mich nun wieder unbeschreiblich gütig an, und sagte: Wohlan, ich stifte das Kloster! Die Schwärmerei hat ihre Periode, wie die Ruhmsucht, und beides sind Krankheiten, die geheilt werden können. Worüber lachst du?

[271] Daß Sie mich für krank halten.

Jetzt sah er wieder etwas verdrüßlich von mir weg, fragte dann aber mit einemmale: Wer soll die Gesetze für das Kloster erfinden? – Du?

Jetzt, gnädiger Herr! spotten Sie meiner ganz gewiß.

Nichts weniger! Der Gedanke kommt von dir, und die Gesetze eines Andern könnten dir vielleicht nicht gefallen.

Wenn sie von Ihnen kommen, werden sie mir schon gefallen.

Auch das, daß die Nonnen niemals ein Gelübde ablegen, und das Kloster verlassen können, wann sie wollen? –

Das vor allem Andern.

Wohlan! Deine Bitte ist dir gewährt. Ich stifte das Kloster.

Nun fiel ich ihm wieder zu Füssen, und dankte ihm mit tausend Thränen. Er [272] aber hob mich ganz gerührt wieder auf, und sagte: Thue nur so etwas nicht mehr! denn ich kann es nicht tragen. Gehe, du heiliger Engel! meine Geschäfte rufen mich jetzt. Und wenn du dann ausziehst, den Verlassenen zu helfen; so denke, daß ich der Verlassenste von Allen bin.

Diese Worte drangen mir, wie ein zweischneidiges Schwerdt durch die Seele; ich konnte meine Thränen nicht mehr stillen, und als ich durch die häßlichen Menschen in den Vorzimmern ging, dacht' ich recht mit Unwillen: o möcht' euch Gott bessern, oder Alle vertilgen! Da ihr den vortrefflichen Mann so unglücklich macht, daß er sich für den Verlassensten von uns Allen hält.

[273]

Stephani an seine Verwandten.

Franz behauptete schon seit mehreren Tagen: Gretchen wisse von dem Bilde. Auch war sie sichtbar verändert, und ihr unschuldvolles Himmelauge begegnete dem meinigen nicht mehr. Gestern kam dann auch die Antwort von Pisa, und ich mußte zum Fürsten.

Er empfing mich sehr ernst; aber doch gütig, und auf die Nachricht mit sichtbarer Freude. Dann aber brach er schnell ab, und ließ einige Gemälde, die er gekauft hatte, und über welche er meine Meinung wissen wollte, herein bringen. [274] Es waren zwei vortreffliche darunter, eine Madonna, und ein Johannes in der Wüste.

Wir sprachen viel über die Stellung der Ersten, und von der gefährlichen Klippe, bei Darstellung heiliger Gegenstände an der Grazie zu scheitern. Er behauptete: sie solle ganz bei denselben verbannt werden; ich aber sucht' ihm das Gegentheil zu beweisen.

Er brauste auf, wie gewöhnlich, und ließ mich nicht zu Worte kommen. Endlich wurd' er aber doch aufmerksam, als ich sagte: es kommt Alles darauf an, über die Bedeutung des Wortes Grazie einverstanden zu seyn. In dem Sinne, in welchem ich es nehme, muß ich darauf bestehen, daß kein heiliger Gegenstand richtig ohne dieselbe dargestellt werden könne.

Und ich sage dir: daß mich gerade diese verwünschte Grazie bei der Madonna ärgert, [275] und daß ich sechsmal so viel, wenn sie das Bild nicht hätte, dafür bezahlt haben würde.

Mit Recht! denn sie ist ihr einziger Fehler.

Heute verstehst du dich wohl selbst nicht.

Ich glaube doch. Nehmen Sie ein gesundes Kind, in den ersten Monaten seines Lebens, befreien sie es von seinen Windeln; oder noch besser, sorgen Sie, daß es nie welche gehabt habe, legen Sie es auf den Rasen, schützen Sie es vor Hitze und Kälte, und vor einem unbefriedigten Bedürfnisse. Geben Sie nun Acht auf die Bewegungen dieses Kindes, und Sie werden erstaunen, keine einzige unmalerisch, im Gegentheile alle höchst graziös, höchst malerisch zu finden.

Woher kommt das?

[276] Daher: daß die Grazie tief in der heiligen Natur liegt, und eben deswegen allen heiligen Gegenständen vorzugsweise zukommt. Daher: daß sie nur der höchsten Unschuld eigen ist, und eben deswegen nur bei ganz unverdorbenen Kindern, oder bei Menschen, welche diese göttliche Reinheit nie verloren, gefunden werden kann; nicht sowohl dem Plumpen und Rohen, als dem Erlernten und Conventionellen entgegengesetzt ist. Wer dieses bezweifelt, kann augenblicklich durch die französische Grazie überzeugt werden.

Und die griechische?

Wird ewig das Wunderbarste dieser wunderbaren Nation bleiben. Sie wurde dargestellt, ohne begriffen zu werden. Ein Produkt reiner Naivität. Denn offenbar sagten die Griechen mit ihren Werken mehr, als sie sagen wollten, oder sich bewußt [277] waren, gesagt zu haben. Inspirirte, die ihre selbstverkündigten Orakel nicht verstanden. Gleichwohl können nicht alle ihre Werke von dem Conventionellen freigesprochen werden, und ermangeln eben deswegen der wahrhaften Grazie. Eine Behauptung, der man noch so lange widersprechen, als man fortfahren wird, Reiz mit Grazie zu verwechseln.

Wie aber, wenn man dir sagt: deine Grazie solle Unschuld und nicht Anmuth heissen?

So würde ich das nicht zugeben, sondern nur eingestehen, daß sie nicht ohne Unschuld bestehen könne, ohne darum die Unschuld selbst zu seyn. Wer das Erste wiederum bezweifelt, betrachte nur einen, in allen sogenannten Künsten der Grazien vollkommen geübten Wüstling, und sehe zu, ob er sich das heimlich Verrenkte, [278] Widrige und Unharmonische seiner Bewegungen läugnen kann.

Gewiß und wahrhaftig giebt es aber doch Menschen, welche, obwohl durchaus unschuldig, der Grazie gänzlich entbehren.

Allerdings! und dieses beweißt abermals, daß sie nicht die Unschuld selbst ist.

Nun! was ist sie denn?

Die zarteste Blüte vollkommen menschlicher Organisation! Welche leider durch Erziehung oft im Keime erstickt, oft, wenn dieses auch nicht geschehen, durch widriges Schicksal am Entfalten gehindert, durch Laster völlig zerstört wird; deren Anblick aber, wo sie sich noch findet, das Auge des Kenners mit hohem Entzücken erfüllt.

Rosamunde!

Rosamunde hat sie im hohen, Margarethe im höchsten von mir erblickten Grade. Und man kann mit Wahrheit sagen: [279] die ganze Fülle der menschlichen Gottheit, der göttlichen Menschheit ruhe in ihr.

Bei diesen Worten wandt er sich von mir weg, und ging mit heftigen Schritten auf und ab, ergriff dann aber sichtbar gerührt meine Hand, und sagte: O du fühlst ganz ihren Werth! aber dir wird sie nicht werden, und mir auch nicht.

Nach langem Stillschweigen setzt' er hinzu: weißt du, daß sie uns verläßt? –

Nein! – sagt' ich – auch ist es mir unglaublich.

Unglaublich? – Warum?

Ach ich kann es nicht sagen! aber es widersteht Allem, was ich denken kann. Warum sollte sie uns verlassen?

Weil sie das Glück, welches sie hier genießt, nicht mehr tragen kann.

Ich sah ihn an, ohne zu antworten.

[280] Ja! ja! – fuhr er mit bitterm Lächeln fort – bei einem hölzernen Tische, einem Strohstuhle, einem reinlichen, aber ärmlichem Bettchen, in einem niedrigen Zimmerchen, da kann man viel glücklicher seyn, als bei uns. Und wenn nun Sonntags, oder wohl gar Festtags die Glocken läuten, dann steigt die Glückseligkeit bis zu einem überirdischen Grade! – Es ist zwar ganz hübsch bei uns, meine Gemälde, unter anderm, ganz erträglich; aber was sie umgiebt, gar zu häßlich. Ich ein armer, mitleidswerther Mann, den man gern, wär' es nur möglich, aus dieser höllischen Pracht reissen möchte, und da dieses nun nicht möglich ist, rathe was geschieht!

Ich sah ihn abermals, von der Bitterkeit seines Tones erschreckt, fragend und stillschweigend an.

[281] Du erräthst es nicht? – Nun wohl, so erfahre es dann! Ein Kloster wird gestiftet; ich selbst muß es stiften. Nicht etwa, damit sie die Oberste und Alles darin nach ihrem Willen eingerichtet werde. O nein! das ist ihr Alles ganz gleichgültig, lästig sogar. Die Hauptsache ist und bleibt, daß sie ein Kleid, wie die Andern bekomme, damit sie nicht erkannt, nicht verlacht werde, wenn sie nach Osten und Westen zieht, die Kranken, Nothleidenden, Verwundeten aufzusuchen. Ja! ja! staune, wie du willst! Das bleibt die Hauptsache. Und wenn du ihr auch die unbeschreibliche Glückseligkeit des hölzernen Tisches, des Strohstuhles und des niedrigen Zimmerchens verschaffst; so wähne darum nicht, sie zu halten: denn so lang' es noch Tausende giebt, die auch das nicht haben, bleibt sie dir nicht. Bedürfte sie der Gesundheit nicht unumgänglich, [282] würde sie es unfehlbar unerträglich finden, nicht krank zu seyn, weil Tausende es sind. Wie es aber dir, wie es mir geht; ob wir von Sehnsucht verzehrt werden – das kümmert sie nicht. Der himmlische Vater, auf welchen sie sich freilich in Ansehung der Andern nicht verläßt, wird schon für uns sorgen. Du hast deine Kunst, ich mein Reich, und damit Gott befohlen.

Und Sie haben wirklich Ihre Einwilligung gegeben?

Konnt' ich sie verweigern? – Sie beweist mir, daß mir mit ihrem Mitleid nicht gedient sey. Daß ich weit mehr, daß ich ihr Glück, ihre Zufriedenheit verlange. Daß aber daran bei uns nicht zu denken sey, war nach ihrer Meinung längst erwiesen,

Sie wird uns auf ewig verlassen?

[283] Nein! Das ist das Einzige, was ich mir bei dieser unerhörten Schwärmerei vorbehalten habe. Die Nonnen können das Kloster verlassen, wann sie wollen, und es wird in meiner Nähe gestiftet.

Gott sey gelobt!

Was hilft es dir? was mir? – Wofern wir nicht dafür sorgen, krank, oder verwundet zu werden, wird sie uns schwerlich erscheinen. Und darum mache nur schnell Anstalt zu einem Bilde für mich. Ganz eigentlich für mich! Aber in keiner himmlischen Glorie will ich sie haben! So, wie ich sie zum erstenmale an deinem Bette sah, im ländlichen Gewande der Unschuld; so will ich sie! Zweimal will ich sie so! Im Grossen und im Kleinen, damit ich sie mit mir führen, sie zwingen kann, mich nicht zu verlassen.

[284] Wann wird das Kloster gestiftet?

So bald, als möglich! ja! so bald, als möglich! denn je früher die Schwärmerei ans Ziel kommt, je früher wird sie geheilt.

Sollte sie ihre Freunde vergessen?

O nein. Führt die Strasse gerade dahin, wird sie ihrer schon gedenken. Liegt aber irgend ein Vagabund am Wege, mögen sie sich nur gedulden: denn fürs erste ist ihr dieser der Nächste.

Seine Bitterkeit stieg bei diesen Worten, und er warf ein kleines Gemälde, was er die ganze Zeit scheinbar betrachtet hatte, mit Unwillen zur Seite. Nach langem Stillschweigen machte er endlich eine Bewegung mit der Hand, und ich deutete dies sogleich als Zeichen meiner Entlassung. Er aber schien erst jetzt aus seiner Träumerei zu erwachen, und rief hinter mir her: daß du dich nur meines Auftrages erinnerst![285] – Ich neigte mich noch einmal schweigend und bejahend, und eilte, in freier Lust Athem zu holen.

[286]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Ich danke dem allgütigen Gotte, daß sie es eingesehen, wie das, was ich erwählet, das sicherste Mittel ist, mich vor Hochmuth, Eigendünkel und Weichlichkeit zu verwahren. Die guten Menschen, welche mich umgeben, bedauern mich, und meinen, ich sey von einer Krankheit befallen.

Ach, – denk' ich dann – möge euch Gott nur immer so gesund erhalten, als ich mich fühle, und möget ihr nie mehr zu bereuen haben, als ich zu bereuen haben werde! Alles, was ihr mir von Genuß [287] des Lebens vorsagt, ist ja keiner für mich. Könnt ihr in Ruhe geniessen, während Andere im Elende verschmachten – O ich tadle euch ja nicht! Nur laßt mich gehen und thun, was mein Herz mir gebeut.

Alle Tage, herzliebste Mutter! wird so in mich hinein geredet. Herr Stephani schweigt zwar ganz still; aber sein Gesicht verräth die äusserste Wehmuth.

Ach, denk' ich dann, wenn du nur wüßtest, daß du der erste Leidende bist, dem ich helfen will, und dem ich gerade durch meine Entfernung die grösseste Wohlthat erzeige.

Denn, sage sie selbst, herzliebste Mutter! giebt es wohl einen andern Rath, oder eine andere Hülfe? Würden sich die beiden vortrefflichen Menschen, er und der Fürst, nicht hassen, wenn ich Einen von [288] Beiden erwählte? – Und das müßt' ich mit ansehen und ertragen! –

Nein! nein! so ist's am besten! Sehen sie mich nicht mehr, werden sie meiner auch nicht so vielfältig gedenken. Wer hätte glauben sollen, Herr Stephani werde Rosamunde vergessen? und doch ist es geschehen. So werden sie auch mich vergessen, und sehen sie mich hin und wieder, sich doch an meine Abwesenheit gewöhnen.

Sie werden Freunde bleiben, und wenn sie ja unwillig werden wollen, ihren Unwillen auf mich werfen. Das hat aber auch nichts zu sagen; denn wenn sie mich wiedersehen, werden sie mir doch nicht böse seyn können, und begreifen, daß das was ich that, das beste war, was ich thun konnte.

Eine Viertelstunde von der Stadt, mitten in einem unabsehbaren Garten, [289] wird das Kloster erbaut. Die Nonnen können aus- und eingehen, wie sie wollen, die Kranken und Verwundeten in ihren Häusern oder im Kloster pflegen.

Gestern zeigte mir der Fürst den Riß, nach welchem das Gebäude von ausserordentlicher Grösse, und mit allen für die Unglücklichen erforderlichen Bequemlichkeiten versehen wird.

Nun! was sagst du dazu – fragte er.

Ich sage – rief ich ihm zu Füssen fallend, und indem mir die Freudenthränen aus den Augen stürzten – daß ich schon selig werde hier auf Erde!


Am andern Morgen.


Ich dachte noch mehr zu schreiben, herzliebste Mutter! aber ich mußte schliessen, [290] denn es giebt auf das Fest noch gar viel zu nähen. Die Kinder sollen alle neu gekleidet werden, weil am ersten Ostertage ein sehr prächtiger Gottesdienst mit herrlicher Musik wird gehalten werden.

Die Frau Präsidentin sagt: ich müße diesesmal auch mit in die katholische Kirche gehen, sie wolle mich mit in ihren Stuhl nehmen, welcher dicht neben dem Fürstenstuhle ist; und ich möge nur Alles so machen, wie sie, dann werde es nicht auffallen.

Herzliebste Mutter! frage sie doch den Herrn Pfarrer: ob ich das thun soll, und ob es auch Recht ist 3?

[291]

Stephani an seine Verwandten.

Das Bild ist vollendet, in Gretchens Abwesenheit fortgetragen, und über dem Hochaltare aufgestellt. Ich sehe zu meiner Freude, daß ich die Höhe und die Entfernung richtig berechnet, und die wahre Proportion zu den Umgebungen gefunden habe.

Gretchens Vetter, ein Handwerker, der sich zum Künstler erhebt, hat beim Aufstellen geholfen, und sein Entzücken kaum mässigen können. Ich habe mir seinen wahrhaft patriarchalischen Kopf, im Augenblicke der überirdischen Freude, sogleich abgezeichnet, und finde, daß er einer der schönsten Menschen gewesen seyn muß. Er [292] ist Margarethens Mutter Bruder, und die Schönheit ohne Zweifel schon lange erblich in dieser Familie.

Ich denke den Fürsten mit diesem Kopfe auf das herrlichste zu überraschen. Noch herrlicher aber wird er sich mit einer Figur im weitfaltigen Gewande, auf dem nach Pisa bestimmten Bilde, ausnehmen.

Der Alte wußte noch nichts von Gretchens Entschlusse, und gerieth in das höchste Erstaunen. Als ich ihm aber sagte, daß sie ihrer Freiheit durchaus nicht beraubt werde, faßte er sich, blickte noch einmal mit gefaltenen Händen und Thränen im Auge nach dem Bilde und sagte: Ach, ich habe es lange gedacht, daß sie auf dem gewöhnlichen Wege nicht bleiben werde! Ihr Sinn war niemals auf Irdisches gerichtet. Aber, theuerster Herr! sagen Sie doch unserm gnädigsten Fürsten [293] im Namen eines armen Mannes den demüthigsten Dank, daß er sie vor dem Einsperren bewahrt hat. Es wäre ein Nagel zu meinem Sarge gewesen.

Auch zu dem meinigen, liebster Alter! erwiederte ich, drückt' ihm die Hand, und entfernte mich schnell.

Als ich zu Hause kam, fühlte ich erst meinen Verlust. Ach, der Platz, auf welchem das Bild gestanden hatte, war leer, und das ganze Zimmer eine Wüste. Aber Gretchen war vom Fürsten noch nicht zurück, und so eilte ich, die schon angefangene Zeichnung zu dem Bilde nach Pisa sogleich an die Stelle des vorigen setzen zu lassen.

Alles im Hause ist in ungewöhnlicher Bewegung. Die Kinder springen lächelnd hin und her, machen allerhand bedeutende [294] Zeichen, und als das Bild weggetragen wurde, war des Flüsterns kein Ende.

Auch mir kommt dieses Fest ganz anders vor, als alle, die ich jemals erlebte. Ein unüberwindlicher Trübsinn, den selbst die Kunst nicht zerstreut, hält meine ganze Seele umfangen, und es dünkt mich, als fürchte ich nicht blos den bekannten, sondern einen noch fremden Schmerz, welchen das Schicksal mir bereitet. Ich kann mich zu keiner neuen Arbeit entschliessen und thue nichts, als die vorigen mustern.

Es ist auffallend, wie ich in meinen ersten Entwürfen nur nach dem Leidenschaftlichen gestrebt, und erst später Sinn für das Harmonische bekommen habe.

Bisher fehlte mir die Zeit zu dieser Uebersicht; jetzt ist sie die einzige Beschäftigung, [295] zu welcher ich fähig bin, und wird mir in der That sehr anziehend und lehrreich.

[296]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Da es der Herr Pfarrer erlaubt, werde ich mit in die Kirche gehen, und habe es auch der Frau Präsidentin gesagt. Wir sind mit Allem fertig, und die Kinder freuen sich über die Maassen.

Herzliebste Mutter! wie schön ist es doch, wenn es auf Ostern geht! Man freut sich nicht blos wegen der Auferstehung des Heilandes, sondern auch wegen der Auferstehung der ganzen Natur.

Unsere Winter sind freilich nicht mit den nördlichen, von welchen sie und der selige [297] Vater erzählten, zu vergleichen. Die mögen wohl schrecklich seyn; aber hier sind sie eine wahre Wohlthat des Himmels.

Und, herzliebste Mutter! – Ach, wie soll ich's nur recht sagen? – dünkt ihr nicht, als läge etwas ganz Wunderbares in der Frühlingsluft? – Ach, es ist nicht blos die Stimme der Vögel, das Sumsen der tausend und tausend Würmchen, die zum neuen Leben erwachen, ach es ist noch ganz etwas Anderes. Mutter! herzliebste Mutter! wenn ich so des Morgens, gleich nach Sonnenaufgang unter die Blumen gehe, rauscht es an mir vorbei in einem Getön, daß mein Innerstes von hoher Wonne erbebt. Es spricht zu mir, aber nicht menschliche Worte; doch fühl' ich, was sie bedeuten; aber mit Worten ausdrücken kann ich es auch nicht. Singen konnt' ich es, und sing' es auch, wenn ich allein bin. O Mutter, [298] es antwortet mir! – Ist das Gott? – O geliebte Mutter! ich glaube, das ist Gott.

[299]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Wo soll ich anfangen, ihr das viele Wunderbare, was mir in diesen Tagen begegnet ist, zu erzählen?

Wir gingen unter herrlichem Glockengeläute in die Kirche, und fanden eine unzählbare Menge Leute in derselben versammelt. Auch der Fürst war schon da, und saß dicht neben unserm Stuhle. Ich war verschleiert, wie fast alle Frauenzimmer in der Kirche, und sehr froh, es zu seyn. Ich hätte mich des vielen Herumsehens geschämt, und hätte es doch wohl nicht lassen können.

[300] Ich glaube, man muß an die Pracht des katholischen Gottesdienstes gewöhnt seyn, um nicht durch dieselbe zerstreut zu werden. Mir wenigstens war es Anfangs unmöglich, mich zu sammeln. Nun aber ging die prächtige Musik an, und alles verschwand vor meinen Augen.

Ach, herzliebste Mutter! von einer solchen Musik hat sie gar keine Vorstellung! Kann auch kein Mensch, der sie nicht gehört, eine davon bekommen. Mir war als sey mein Geist schon vom Körper befreit, und schwebe gerade hinauf zu dem Allgütigen.

Nur manchmal wurde ich in meinem himmlischen Traume durch die Kommenden und Gehenden gestört. In einem solchen Augenblicke sah ich ein ganz schwarz gekleidetes, und ebenfalls verschleiertes Frauenzimmer hereintreten. Ihr Gang war [301] ganz ungewöhnlich, mehr ein Schweben zu nennen, und schien von dem Augenblicke, da sie eintrat, mit der Musik im Einklange.

Nicht weit unter unserm Stuhle kniete sie nieder, und war in dieser Stellung unaussprechlich schön; so, daß ich mein Auge nicht mehr von ihr wenden konnte. Immer hoffte ich, sie werde, wie mehrere Frauenzimmer, den Schleier zurückschlagen, aber vergebens.

Jetzt hatte sie ihr Gebet verrichtet, setzte sich; und heftete, nach der Wendung ihres Kopfes zu urtheilen, ihren Blick unbeweglich auf den Hochaltar, der uns zur Linken war, und den ich bis dahin noch nicht beachtet hatte.

Nun aber folgte mein Auge dem ihrigen, und – denke sie sich, herzliebste Mutter, um Gotteswillen mein Erstaunen! erblickte [302] mein eigenes Bild im Gewande der heiligen Jungfrau. Ich sah schnell wieder weg, und hätte vor Scham und Schrecken in die Erde sinken mögen. Aber jetzt sah ich auch die Fremde sinken, und bei diesem Anblicke kehrten alle meine Lebensgeister zurück. Ich wandte mich plötzlich um, machte mir Platz durch die Kinder, und eilte hinunter in die Kirche, der Fremden zu Hülfe.

Sie schien völlig erstarrt, und ihre Augen waren geschlossen. In dem Augenblicke, wo wir sie in den ersten Wagen bringen wollten, lief ein Bedienter herbei, und ließ schnell einen andern vorfahren. Ohne ihn weiter deswegen zu befragen, brachten wir sie hinein, und ich setzte mich ihr zur Seite.

Wir hielten vor einem prächtigen Hause, der Bediente eilte hinein, und gleich [303] darauf liefen zwei junge Mädchen herbei, und schrien laut auf, als sie den Wagen öffneten, und das Frauenzimmer leblos in meinen Armen erblickten.

Aber gerade dieses Geschrei schien sie zu erwecken. Sie schlug die Augen auf voll unaussprechlichen Schmerzens, blickte mich lange mit sprachlosem Erstaunen an, und schloß sie dann wieder, wie für immer. Wir eilten nun, sie in ihre Zimmer zu bringen.

Sonderbar fiel es mir, ungeachtet meines Schreckens auf, daß sie alle Rosenwäldern glichen, und ich sah gleich darauf bestätigt, was ich oft unsern Vater behaupten hörte, daß der Rosenduft äusserst heilsam und der einzige, sogar im Uebermaasse, nicht schädliche sey.

Die Fremde erholte sich augenblicklich, und winkte verneinend, als sie von einem [304] Arzte sprechen hörte. Ich bat sie, etwas Stärkendes zu sich zu nehmen, und sie nickte bejahend. Hierauf entfernten sich die Mädchen, um es herbei zu holen, und wir blieben allein.

Kennen Sie mich? – fragte sie nach einigem Stillschweigen.

O nein! – sagte ich.

Sind sie niemals im Schauspiele gewesen? –

Nein! – sagt' ich wieder; aber in dem Augenblicke wurde mir Alles klar, und ich rief, mit Heftigkeit ihre Hand ergreifend: Rosamunde!

Ja, ich bin Rosamunde – antwortete sie – aber warum – setzte sie mit einem forschenden Blicke hinzu – waren Sie niemals im Schauspiele?

Ich kann es wirklich nicht recht sagen ... es hat sich nicht so gefügt.

[305] Und Sie haben auch niemals einiges Verlangen darnach bezeigt?

Nein, niemals.

Das muß doch irgend einen Grund haben – wiederholte sie. –

Ach ja! – antwortete ich – den hatte es auch. Ich hörte, daß Frauenzimmer mit auf das Theater kommen, und das that mir gar zu leid; denn sie müssen ja dort ganz anders scheinen, als sie sind.

Und die Männer?

Ja, die sind ohnehin bei so vielen Gelegenheiten gezwungen, sich öffentlich zu zeigen, und sagen selbst, daß es ihnen ganz unmöglich sey, immer zu scheinen, was sie sind.

Und das wäre der wahre und einzige Grund, der Sie abhielt?

Nein! – sagt ich, und fühlte, daß ich [306] sehr roth ward – es hatte auch noch einen anderen.

Und der war?

Ich wußte, daß ich auch Sie dort sehen würde, und liebte Sie damals nicht, weil ich glaubte, daß Sie Herrn Stephani muthwillig unglücklich machten.

Die Mägde kamen nun wieder herein, und ich konnte nicht fortfahren. Sie aber nahm ihnen das, was sie brachten, schnell ab, und winkte ihnen, uns zu verlassen.

Sie liebten mich damals nicht – sagte sie nun – und jetzt?

Sehe ich wohl, daß Sie Recht hatten, und Herrn Stephani besser kannten, als wir Alle.

Sie antwortete nichts, aber ihr Gesicht wurde noch bleicher. Nach einiger Zeit richtete sie sich auf, und sagte: meine [307] Brust schmerzt mich. Man soll doch zum Arzte schicken.

Ich eilte hinaus. Aber, denke Sie sich, herzliebste Mutter! mein Entsetzen, als ich sie schwimmend im Blute, und einer Todten ähnlich wieder fand.

Auf mein Geschrei stürzten die Mädchen herein, und gleich darauf kam auch der Arzt. Sie hatte einen Blutsturz bekommen, und war nur auf kurze Zeit noch zu retten.

Die Mädchen wehklagten, und mir wollte die Angst den Athem benehmen. Doch war ich fest entschlossen, sie nicht mehr zu verlassen, und ließ dies auch der Frau Präsidentin mit allen Umständen wissen.

Rosamunde lag den übrigen Theil des Tages, und die ganze darauf folgende Nacht in einem betäubenden Schlummer. Als die Sonne aufging, waren auch die Mädchen [308] eingeschlafen; aber Rosamunde wurde von ihr erweckt.

Sie blickte um sich, sah mich allein an ihrem Bette, und zog meine Hand mit einem unbeschreiblich liebevollen Blick an ihr Herz.

Ein Engel – sagte sie – steht mir im Tode bei! so muß ich wohl schuldlos gelebt haben.

O mein Gott! – rief ich voll Angst; denn ich fand jetzt, beim Tageslichte, alle ihre Züge bis zum Unkenntlichen verändert – wären Sie nur nicht in der Kirche gewesen!

Du hast Recht – antwortete sie – Ich sah dort, was ich nicht bin, und das schließt meine Augen auf ewig.

Ich konnte nichts mehr antworten, und fing heftig an zu weinen.

[309] O weine nicht! – sagte sie – Du mußt ewiglich lächeln. Worüber kannst du weinen? – Sieh ich werde vom Leben genesen. Stelle mir die Rosen um mein Bett. Wecke Niemanden. Ich will leise entschlummern.

Ich that, was sie sagte, und nahm sie, da sie sich aufgerichtet hatte, aber zu schwach war, sich zu erhalten, in meine Arme. So hielt ich sie wohl eine Stunde. Aber bei der tiefen Stille und der immer gleichen Stellung wurde auch ich vom Schlummer überfallen. Als ich erwachte, fand ich sie noch an meiner Brust gelehnt, und fest von meinen Armen umschlungen. Aber, ach Gott! ich war allein erwacht, und ihr Auge nicht wieder zu öffnen. Herzliebste Mutter! ich kann nicht weiter schreiben.

[310]

Stephani an seine Verwandten.

Rosamunde hat die Erde verlassen, und meine düstere Ahnung ist mir völlig enträthselt. Alle gingen in die Kirche, und ich versprach augenblicklich zu folgen. Zweimal war ich schon an der Thüre, und wurde jedesmal von einem unwiderstehlichen Gefühle zurückgehalten. Endlich ging ich dennoch; gerade dieser Empfindung zum Trotze.

Als ich in die Kirche trat, suchte mein Auge Gretchen vergebens. Es hieß: sie sey einer Unbekannten zu Hülfe geeilt und mit ihr aus der Kirche verschwunden. Ich wollte sogleich wieder davon; aber in dem[311] Augenblicke hört' ich den Fürsten Befehl geben: daß man ihr folgen solle, und blieb nun, da er mir winkte, unbeweglich auf meiner Stelle.

Bernhard und Mathilde brachen auf und erst jetzt erwacht' ich aus meiner Betäubung. Als wir zu Hause kamen, fanden wir schon Nachricht von Margarethen. Es war Rosamunde, der sie zu Hülfe geeilt, und welche, nach der Aussage des Arztes, nur kurze Zeit noch zu leben hatte.

Ich stürzte fort. Aber am Eingange kam mir der Arzt entgegen, betheuerte: die geringste Erschütterung müsse ihren Tod augenblicklich zur Folge haben, und mit seinem Willen solle, ausser denjenigen, welche schon bei ihr seyen, Niemand zugelassen werden. Sie selbst sind krank – sagte er – und ich beschwöre Sie, mir zu folgen!

[312] Bei diesen Worten zog er mich fort, und übergab mich Bernharden und Mathilden. Nun überwältigte mich der Schmerz, und ich sank bewußtlos auf mein Lager.

Die Stimme des Friedensengels weckte mich wieder. Margarethe stand, wie vormals, an meiner Seite, und reichte mir Trank. Plötzlich belebte mich die Kraft der Verzweiflung. Ich sprang auf, und stürzte ihr zu Füssen. Sag' Himmlische! – rief ich – daß sie mir verzieh, und mich nicht hassend verließ! –

O Gott! – antwortete sie, und grosse Thränen rollten über das heilige Sonnengesicht – sie hat ja niemals aufgehört, Sie zu lieben!

Ein stechender Schmerz fuhr bei diesen Worten durch meine Brust; aber mein Auge wurde heller. Ich sah Bernhard, Mathilde [313] und den Fürsten. Man zwang mich, aufzustehen; aber zur Ruhe war ich nicht wieder zu bringen.

Rosamunde – glauben sie – werde morgen begraben.

[314]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Rosamunde ist an ihre Ruhestätte gebracht. Wir hatten sie sehr schön mit weissen Rosen geschmückt, und sie selbst glich einer Rose ohne Farbe.

Herr Stephani sah uns stillschweigend zu. Als aber die Träger erschienen, und den Sarg aufheben wollten, wurde er plötzlich von einem schrecklichen Zorne ergriffen. Er warf sich über den Sarg her, und drohete Jedermann, der es wagen würde, sich zu nahen.

Geht nur Alle wieder davon! – rief er – Erst will ich wissen, ob sie todt ist!

[315] Die Leute sahen sich bestürzt an; und in der That wagte es Niemand, sich zu widersetzen.

Während dieser Bestürzung hatte der Diener den Arzt herbei geholt; welcher nun versuchte, Herrn Stephani zuzureden.

Ich werde nachgeben – sagte er – sobald ich überzeugt bin; aber das kann ich heute und morgen nicht werden. Sie ist an keiner ansteckenden Krankheit gestorben, und Niemand braucht dieses Haus zu bewachen. Ich werde allein bei ihr bleiben, und ist sie wirklich todt, sie dem Grabe überlassen. Aber überzeugt muß ich werden, wofern meine Sinne zusammen halten sollen.

Der Arzt bemerkte nur noch, daß es einer ausdrücklichen Erlaubniß der Regierung bedürfe

[316] Die werde ich erhalten! – antwortete Herr Stephani, und eilte, einige Zeilen aufzusetzen, während er bald ängstlich bald drohend nach dem Sarge hinblickte. Lassen Sie dieses – sagt' er darauf – dem Fürsten übergeben, und man wird mir meine Bitte nicht abschlagen. Der Arzt gab nun den Leuten ein Zeichen, sich zu entfernen, und eilte, den Fürsten zu benachrichtigen.

Jetzt befragte uns Herr Stephani auf das genaueste: was man nach Rosamundens Tode mit ihr vorgenommen habe, und wir mußten ihm alle Versuche, sie ins Leben zurückzurufen, auf das Umständlichste beschreiben.

Er gestand, daß alles Mögliche geschehen sey. Doch – setzte er hinzu – es glückte damals nicht; wer steht euch dafür, daß es auch jetzt nicht glückt? – Fort mit den [317] Rosen! – rief er, und warf sie heftig zur Seite – Weg mit dem Sarge! Was soll sie darin? Niemand weiß, ob sie todt ist!

Bei diesen Worten hatte er die Schnüre zerrissen, und den Körper herausgehoben. Er trug ihn ohne unsere Hülfe ins Bett, und wiederholte alle schon gemachten Versuche. Es war Nacht darüber geworden, und er hieß uns zur Ruhe gehen.

Morgen – sagte er – wiederholen wir, was wir heute gethan, und ich nehme noch einen Arzt mit zu Hülfe.

Der Diener und die Mädchen wollten ihn bereden, auch einige Ruhe zu geniessen; aber er versicherte, daß das verlorne Mühe, und er fest entschlossen sey, nicht von der Stelle zu weichen.

So mußten wir dann gehen; beredeten uns aber im Nebenzimmer, abwechselnd zu wachen, und sahen ihn noch, die [318] ganze Nacht, jene fruchtlosen Versuche wiederholen.

Am Morgen fanden wir ihn endlich zu den Füssen des Leichnams liegen, und glaubten er schliefe. Als wir aber näher hinzu traten, sprang er plötzlich auf, und blickte wild und mißtrauisch um sich her.

Gleich darauf befahl er den Leuten, einen andern Arzt, den er ihnen nannte, herbei zu holen. Sie wagten es nicht, ihm zu widersprechen; konnten aber ihre Hoffnungslosigkeit nicht bergen.

Der Arzt kam, und der ganze Tag wurde nun mit Wiederholung der schon gemachten Versuche, und mehrerer andern hingebracht.

Sie waren abermals fruchtlos, und Herr Stephani erklärte endlich: daß er sich dem Begräbnisse nicht mehr widersetzen, sobald nämlich Rosamunde am folgenden [319] Tage geöffnet, und ihr Herz ihm übergeben seyn werde. Dieses geschah wirklich, und nun sah er wieder stillschweigend alle nöthigen Vorkehrungen machen.

Wir zitterten dennoch vor dem Begräbnisse; aber zu unserm Erstaunen sahen wir ihn schweigend dem Zuge folgen, und eine Fassung behaupten, welche uns Allen unmöglich wurde.

Alle Rosenbüsche Rosamundens sind auf ihr Grab gepflanzt, und statt eines Leichensteins ist sie mit einem Rosenwalde bedeckt. Sie liegt dicht neben ihrer Schwester, wie sie es ausdrücklich verlangt hat.

Herzliebste Mutter! wie mag einem wohl seyn, wenn man so eben gestorben ist? – Steigt der Geist dann gleich in die reinen hohen Lüfte, oder verweilt man noch an der Erde, wo man so viele geliebten Menschen im Kummer und schweren [320] Sorgen zurückläßt? – Schwebt Rosamunde noch um ihre Rosen? –

Ich sah diese Frage in Herrn Stephani's Auge; aber er folgte still, da wir vom Grabe zurückkehrten. Nur als von Rosamundens Bilde gesprochen wurde, erklärte er mit Heftigkeit: daß er es als sein Eigenthum zurücknehme, und bei der geringsten Schwierigkeit jede dafür verlangte Summe bezahlen werde.

Es ist ihm aber auf Befehl des Fürsten unentgeldlich ausgeliefert, und die übrige sehr ansehnliche Verlassenschaft theils unter Rosamundens Leute getheilt, theils ihren in Deutschland noch lebenden Eltern übermacht worden.

Ungeachtet Herrn Stephani's äusserlicher Ruhe fürchten wir dennoch, ihn allein zu lassen. Aber ausser mir und Fränzchen will er Niemanden um sich dulden. Er [321] spricht selten; aber dann immer mit einer sonderbaren Heftigkeit, welche man, während er schweigt, gar nicht erwarten sollte.

Der Arzt sagt: er müsse reisen; aber ist nicht im Stande, ihn zu bereden. Nur wenn er Rosamundens Gemälde betrachtet, wird er heiterer, und gestern hat er angefangen, es in einen grossen Blumenkranz zu fassen.

Fränzchen und ich trugen herbei, was wir nur konnten. Da lächelte er und ordnete die Blumen so schön, daß sie dadurch noch tausendmal schöner wurden.

Sie sind nun schon untermalt, und nimmermehr hätt' ich geglaubt, daß sich Blumen so täuschend darstellen liessen.

Herzliebste Mutter! Sie weiß, daß ich ihr Alles sage, und so will ich ihr auch Etwas nicht verhelen, was mich in diesen Tagen beunruhigt hat.

[322] Wenn ich es mir selbst läugnen wollte, so würd' ich es doch wissen, daß, als ich Rosamunde so todt in meinen Armen hielt, das Herz mir vor Schmerz fast brechen wollte, und ich willig mein Leben für das ihrige hingegeben hätte. Aber jetzt nun, da ich sehe, daß Alles von diesem Tode spricht, und Niemand mehr an das Bild in der Kirche denkt, herzliebste Mutter! ach Gott! ich kann es mir auch nicht läugnen, daß mich das freut.

Wo hätt' ich bleiben, wohin mich verbergen sollen? wäre nicht alle Aufmerksamkeit auf Rosamunde gerichtet worden.

So freuest du dich also doch wohl über ihren Tod – dacht' ich dann, und wurde von einer unbeschreiblichen Angst überfallen.

Aber, herzliebste Mutter! ich betheure es ihr vor dem allwissenden Gott! daß ich [323] mich nicht über Rosamundens Tod freue. Frage sie doch den Herrn Pfarrer: woher es kommt, daß ich das weiß, und doch unruhig bin?

[324]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Ich danke ihr tausendmal für ihre schleunige Antwort. Der Herr Pfarrer hat mir ins Herz gesehen. Ach, es ist so, wie er sagt! Schon oft bin ich erröthet, nicht weil ich etwas Böses gethan hatte, oder thun wollte; sondern weil ich mir lebhaft vorstellte, daß ich es gethan haben könnte.

O wie schön, wie unaussprechlich schön sind die Worte: nur fleckenlos genießt sich ganz das Herz! Mit Freudenthränen und mit gefalteten Händen [325] hab' ich sie mir unzähligemale wiederholt. Mir war, als sey diese himmlische Wahrheit erst jetzt gefunden, die Menschen auf ewig durch sie geadelt, und ihres göttlichen Ursprunges vergewissert. Sie klingen mir, wie Triumphgesang. So ruf' ich sie Morgens der Sonne entgegen, so wiederhol' ich sie, wenn die Sterne mir leuchten. Mein ganzes Daseyn enträthseln sie mir, und ich brauche nichts mehr, als sie, um Alles zu begreifen, was mir dunkel war.

Es sind Zauberworte. Versuch' sie es nur, herzliebste Mutter! Sprech' sie sie laut aus, und, was sie auch ängstigt, plötzlich wird ein himmlischer Friede über sie kommen, im tiefen Blau des Himmels wird sie Engel lächeln sehen, und ein nie gehörter Wohllaut wird in ihr Ohr dringen.

[326] Herzliebste Mutter; an diesen himmlischen Worten müssen einst die Geister sich selbst und den Grad ihrer Seligkeit erkennen. Ruft einer dem andern zu:nur fleckenlos genießt sich ganz das Herz! und er ist auf derselben Stufe der Bildung, der Seligkeit, so wird jener ihm dasselbe antworten. Sie fliegen dann auf einander zu, und dringen, mit vereinten Kräften und gestärkten Augen, in Räume des Lichts, welche sie vorher nicht erblickten. O, geliebte Mutter! ich verliere mich in dieser seligen Vorstellung, und was ich empfinde, ist nicht mehr zu beschreiben.

[327]

Stephani an seine Verwandten.

Sie war nicht mehr zu erwecken. Auf ihrem Grabe blühen jetzt Rosen. Sie liebte mich! Unglückseliger! und ich konnte es in ihrem Auge nicht mehr lesen! – Der Anblick der Himmlischen tödtete sie, und da ich scheinbar ihres Werthes nicht achtete, verachtete sie ihn, und wollte nicht mehr seyn, da sie das Höchste nicht war.

Aber, ach! hat sie nun aufgehört zu empfinden? – Kann sie das Ewige, wie das Irdische verwerfen? – und ist es gewiß, daß ein Quell der Vergessenheit dort rinnt? –

[328] Rosamunde! Rosamunde! warum eiltest du hinweg und verschmähtest, was dir ewig gehörte? – Wenn es Verwandschaft der Geister giebt, warum glaubtest du nicht an Verwandschaft der Körper? –

[329]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Der Fürst war gestern bei uns und fragte mich bitter: ob ich schon herumwandere, den Unglücklichen zu helfen. – Ich erschrak vor seinem Ton, und wußte nicht, was ich antworten sollte. Aber die Frau Präsidentin antwortete für mich, schilderte ihm Herrn Stephani's Zustand, und setzte hinzu: daß dieser wohl unglücklicher, als Viele jetzt wäre, und Niemanden, als Fränzchen und mich um sich dulde.

Ein sonderbarer Unglücklicher! – fuhr er mit noch grösserer Bitterkeit fort – da [330] ihm das Beste immer zu Gebote steht, und was nicht für ihn sterben kann, für ihn lebt.

Wir sahen, daß ihn jedes Wort mehr aufbringen würde, und schwiegen. Er trat ans Fenster und erblickte ein Paar Hyazinthen, welche die schönsten sind, die ich in meinem Leben gezogen habe, und eben deswegen für ihn bestimmt waren.

Wem gehören die Blumen? – fragte er. –

Ihnen gnädigster Herr! – sagt' ich nun schnell – Schon gestern wollt' ich sie bringen .....

Und brachtest sie nicht – fiel er ein – Natürlich! wie hättest du gekonnt! –

Die Thränen traten mir vor Schmerz und Verlegenheit in die Augen. Ich glaubte aber doch nicht, daß man es meiner Stimme anhören würde, und fragte ihn: [331] darf ich sie' heute nicht bringen? – Aber die Worte klangen doch schon wie Weinen, und er sah nun auch die Thränen auf meinem Gesichte. –

Bringe sie, wann du willst! – antwortete er finster – Blumen mit Thränen werden mich nicht glücklicher machen. – Hierauf wandte er sich schnell von mir, und verließ uns.

Nun konnt' ich aber das Weinen nicht mehr zurückhalten, fiel der Frau Präsidentin um den Hals und rief: Ach, was muß ich nun thun? –

Ziehe dich schnell an – sagte sie – und bring' ihm die Blumen. Aber weine nicht mehr! sonst wird man es sehen.

Ja! man sah es schon. Und wievielmale ich mich auch wusch, sah man es doch. Endlich kleidete ich mich recht schön an, dachte, es wird schon von der Luft vergehen, [332] und steckte auch meine Haare mit der goldenen Nadel, die ich vom Fürsten bekommen hatte, zusammen.

Als ich aber die Blumen Herrn Stephani's Zimmer vorbei trug, jammerte es mich, daß er sie nicht einmal gesehen; da er doch – dacht' ich – besser als wir Alle weiß, wie schön sie sind. Ich stand wohl still, ging aber nicht hinein; denn ich hätt' es dem Fürsten sagen müssen. Auch fiel mir nun bei, daß Herr Stephani einmal sagte: die Hyacinthen seyen zu gradlinicht, und darum nicht malerisch schön. Jetzt eilt' ich, was ich konnte.

Aber beim Eingange überfiel mich ein Zittern, und ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Indem wurde die Thüre geöffnet, und ich mußte hineintreten.

Der Fürst saß an einem grossen Tische mit Papieren, in tiefen Gedanken. Er sah [333] gar nicht nach mir her, und nun konnt' ich vor Zittern die Blumen nicht mehr halten. Ich setzte sie ihm schnell zu Füssen; denn sonst wären sie gefallen. Nun sah er die Blumen und auch mich.

Du zitterst – sagte er – Wovor zitterst du? –

Gnädigster Herr – antwortete ich – Ihr Unwille schmerzt mich tief in der Seele, und ich zittre, ihn durch etwas zu vermehren. Er stand schnell auf, und wandte sich finster zur Seite. Dann sagte er plötzlich: was macht Stephani?

Er malt.

Dein Bild?

O nein! an Rosamundens Bilde.

Was kann er daran malen? – Es ist ja vollendet.

Einen grossen Blumenkranz rund um das Bild.

[334] Und dem siehst du so zu?

O ja! es ist das Einzige, was ihn erheitert. Fränzchen und ich haben aus zwei Gärten die schönsten Blumen zusammengetragen, und – was ich Anfangs nicht glaubte – das Bild ist schöner dadurch geworden.

Und dabei erheitert sich dein Auge, und man sieht, daß es dich freuet.

Grosser Gott! warum sollt' es mich denn nicht freuen?

O Mädchen! – rief er nun, und schloß meine Hand fest in die seinige – deine Stunde ist noch nicht gekommen! Wer wird der Mann seyn, durch welchen du die Liebe begreifst?

Da er jetzt wieder gütig aussah, bekam ich auch wieder Muth, und sagte: da sey Gott vor, gnädiger Herr! daß ich die Liebe jemals durch den Haß begreife. O, [335] glauben Sie es mir! diese ausschliessende Liebe, welche mit dem Hasse so genau verbunden ist, den geliebten Gegenstand so absondern, ja, ohne es zu wissen, verzehren, vernichten will, ist nichts, als eine Ausgeburt der Verderbtheit der Menschen. Liebt Gott so? – Liebten göttliche Menschen so? Kann der Mensch durch diese dürftige, eingeschränkte, und eben deswegen sich selbst zerstörende Liebe, das werden, was er werden soll? – So gewiß nicht, gnädigster Herr! als ein Mensch nicht das ganze lebendige Weltall in sich schließt. Ach diese Liebe ist eine Krankheit, welche tausend und tausend Menschen elend macht, eben weil sie sie für die höchste Gesundheit halten.

Sag', was du willst – antwortete er – das Aehnliche wird sich ewig suchen, verbinden [336] und eben dadurch von dem Uebrigen absondern.

Und durch diese Absonderung – fiel ich schnell ein – so lange in Dürftigkeit schmachten, bis es wieder mit dem Ganzen verbunden wird.

Der ewige Kreislauf der Dinge! dem auch du unterworfen bist. Und darum sag' ich: deine Stunde ist noch nicht gekommen.

Käme sie jemals auf diese Weise, so würde ich elender, als Andere seyn; da ich jetzt schon weiß: daß ich elender machen würde.

Vielleicht – sagte er, und sah mich durchdringend dabei an – ist es nur diese Furcht, welche sie verzögert.

Nein! – antwortete ich – aber sagen Sie selbst, gnädiger Herr! wenn ich jemals [337] einen Mann wählte, würden Sie diese Wahl billigen? –

Kaum hatte ich die Worte gesagt, als es mich schmerzlich gereuete; denn sein ganzes Gesicht wurde mit einer düstern Wolke umzogen, und er antwortete mit dumpfer Stimme: ich könnte sie billigen, und das Leben fortschleppen, weil ich müßte.

Ach, ich hatte sein edles Herz verwundet! darum rief ich nun schnell: O, mein theuerster Wohlthäter! so sagen Sie dann nicht, daß jene Stunde einst kom men werde! Sie wird nicht kommen! Denn – mag es ein Fehler an mir seyn – der Leidendste beschäftigt mich immer am meisten, und ich bin vielleicht eben deswegen nicht würdig, daß ein Mann sich mir ganz hingebe. Das werden auch Sie endlich begreifen und empfinden, und ein zärtlicheres Herz mit Ihrem grossen Herzen beglücken.

[338] Du versüssest den Wermuth, so gut du kannst. Aber wie, wenn ich dich auf eine Probe stellte, der du unterlägest? –

Stellen Sie mich, auf welche Sie wollen! gnädigster Herr! Kenn' ich mich nicht, so ist es gut, daß ich mich kennen lerne.

Wie, wenn Stephani dich vergässe, wie er Rosamunde vergaß? – ein Mädchen fände, welches an Schönheit dir gleich käme, seine Liebe endlich erwidert sähe, sich auf immer verbände, glücklich wäre, glücklich ohne dich? –

O! – rief ich, fiel vor ihm nieder, und die Thränen stürzten mir stromweise von den Wangen – Wo ist das Mädchen? Führen Sie es her, und ich schmücke es als Braut mit dem Besten, was ich habe!

Stehe auf! – sagte er nun mit ganz verändertem Gesichte – ziehe hin! Du gehörst [339] nicht mehr zu uns, und wenn wir es glaubten, so waren wir Thoren!

Ach, so konnt' ich ihn nicht verlassen! Ich ging furchtsam zu den Blumen, hob sie von der Erde, und stellte sie vor ihn hin. Gnädigster Herr! – sagt' ich dann leise – mit diesen Worten werden Sie mich nicht entlassen! – Was hab' ich gethan, daß ich nicht mehr zu Ihnen gehöre? – Darf ich Ihnen nicht mehr Rechenschaft geben von meinem Leben, und werden Sie keinen Theil mehr daran nehmen? – Ach dieser Ort dünkte mich mein väterliches Haus! und ich glaubte wiederkehren zu dürfen, wann ich wollte!

Hör' auf Margarethe! – rief er nun schnell – Was du darfst, kann Niemand besser wissen, als du selbst. – Stephani hat den Auftrag, dein Bildniß zu machen. Geh', und melde ihm, daß er eile.

[340] Mit diesen Worten wandt' er sich wieder zu dem grossen Tische mit Schriften, und ich mußte nun gehen; ergriff aber doch noch schnell genug, ehe er es hindern konnte, seine Hand, und drückte sie fest an meine Lippen. Dann aber eilt' ich fort, ohne mich umzusehen.

[341]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Alles, was ich denke und empfinde, ist ein Lobgesang; denn Herr Stephani ist ganz wieder hergestellt.

Als Rosamundens Bild fertig war, verfiel er wieder in eine so tiefe Schwermuth, daß wir Alle in die grösseste Angst geriethen. Unglücklicherweise vergaß ich auch ganz darüber, was mir der Fürst wegen meines Bildes aufgetragen hatte, und nur zufällig erinnerte ich mich einmal gegen die Frau Präsidentin daran.

[342] Sie verlangte, ich solle es Herrn Stephani augenblicklich sagen. Aber, herzliebste Mutter! das war mir unmöglich, und so sprach die Frau Präsidentin selbst mit ihm darüber.

Herr Stephani fragte: ob ich noch wohl den Anzug besitze, in welchem ich zuerst ins Haus gekommen sey? denn der Fürst wolle mich in einem ländlichen Kleide dargestellt haben. Aber der Anzug war verschenkt. Hierauf zog er eine farbige Zeichnung unter seinen Papieren hervor, und sagte: dies sey ein unbekanntes Mädchen, welches er einmal auf einem Spaziergange gezeichnet, dessen Gesicht er aber nicht gesehen, und ihm deswegen Rosamundens Züge gegeben habe.

Mein Gott, das ist ja Gretchen! – rief nun die Frau Präsidentin – dieses [343] Mieder trug sie gewöhnlich, wenn sie in ihres Oheims Garten arbeitete. Es ist ihr Wuchs! ihre Stellung! Gerade so trägt sie den Korb. O es ist Gretchen!

Herrn Stephani's Freude darüber war ausserordentlich, und er versicherte, daß er das Bild ganz so entwerfen werde. Keine Spur von Krankheit mehr an ihm zu erblicken.

Der Fürst hat die Zeichnung auch gesehen, ist aber nicht so dadurch erheitert worden.

Herzliebste Mutter! es ist doch eine grosse Wohlthat Gottes um eine schöne Kunst, und der Mensch, welcher sie übt, scheint eine allmächtige und immer wieder sich erneuernde Kraft gegen alle Erdennoth zu bekommen.

Wer sollte nicht glauben der Fürst [344] müsse in seiner grossen Bestimmung mehr Seelenerhebendes, als Herr Stephani in seiner Kunst finden? – Aber dem ist nicht so, das seh' ich tagtäglich, und kann keine andere Ursache finden, als: daß die schwere Regierungskunst auf der Erde festhält; statt, daß die schöne Kunst über die Erde erhebt.

Ach, möchte das Gemälde lange nicht fertig, und dann gleich wieder etwas Erheiterndes für Herrn Stephani gefunden werden!

Ich sagte das der Frau Präsidentin, und sie erzählte mir: der Fürst werde einen Sommerpallast in der Nähe des Klosters erbauen lassen, und Herr Stephani verschiedene grosse Deckengemälde in demselben auftragen.

Gott sey gelobt! O herzliebste Mutter! [345] ein heiteres Leben wird wieder beginnen, und es wird sich noch Alles zu einem schönen Wohlklange vereinigen.

[346]

Gretchen an ihre Mutter.
Herzliebste Mutter!

Der Bau des Klosters 4 wird eifrig betrieben, der Fürst hat es reichlich beschenkt, und die Aebtissin aus seiner eigenen Familie ernannt. Drei Frauen und ein Mädchen haben sich schon gemeldet; Alle durch Leiden unerhörter Art vom Schicksale bezeichnet. Ich, herzliebste Mutter! bin die [347] einzige Glückliche, und darum erscheint mir auch wohl Alles ganz anders.

Wo die Andern nur beifällig lächeln, da juble ich. Die Vögel, die Blumen, die Thäler und die Höhen scheinen mir zu antworten, und mein Gang dünkt mich nur ein seliges Schweben durch diese paradiesischen Gefilde.

Ich habe schon mein Kleid, herzliebste Mutter! ich trage es schon! Darf schon helfen, wo ich will!

O, wie matt war die Vorstellung dieses glückseligen Lebens! Wie ganz anders ist die Wirklichkeit! Wie viele Herzen, die sich trennen wollten, in Liebe vereinigt! Wie viele Thränen getrocknet!

Wird sie nicht zu uns kommen, herzliebste Mutter? Arbeiten sollen nicht auf sie warten; aber pflegen wollen wir ihr [348] Alter, zu einem Himmel wollen wir es machen.

Der eine Flügel des Gebäudes ist schon ganz vollendet. Komme sie, meine theure, geliebte Mutter! O, komme sie doch!

[349]

Diese Zeilen waren das Letzte, welches von Margarethens Briefwechsel aufbewahrt wurde. Ihre Mutter langte wirklich kurz darauf an, sah ihre geliebte Tochter einen Engel der Rettung für Tausende werden, und das, was man für Schwärmerei gehalten hatte, sich in die erhabenste Wirklichkeit verklären.

Margarethe wurde durch die beseligende Thätigkeit, der sie sich widmete, noch schöner, und verwandelte, ohne es zu ahnen, Stephani's, wie des Fürsten leidenschaftliche Liebe, in tiefe Verehrung.

Dieser wurde nach einiger Zeit durch mächtige Umstände zu einer Vermälung bewogen. Stephani aber, welcher in der [350] That, wie Rosamunde einst schrieb, das ganze Geschlecht tiefer und leidenschaftlicher, als irgend ein Mann liebte, vermälte sich nie. Er hatte viele Geliebten, oft mehrere zu gleicher Zeit, und versetzte sie, noch kurz vor seinem Tode, in einem grossen Deckengemälde, unter die Götter. Margarethe aber, vom höchsten Lichtglanze umflossen, als Venus Urania über sie Alle.

Von ihr gepflegt, starb er, auf einem schmerzhaften Krankenlager, in ihren Armen, und in der Blüte seines Lebens. Leidenschaftliche Liebe für die Kunst, wie für die Weiber, grub sein frühzeitiges Grab.

Mehrere Jahre darauf starb auch der Fürst, ebenfalls in Margarethens Armen, und von ihr bis zum letzten Augenblicke verpflegt.

[351]

Sie weinte lange. Aber Franz 5, Stephani's geliebtester Schüler, behauptete: sie habe bei des Fürsten Tode nur Stephani's Tod zum zweitenmale gefühlt; auch sey damals eine gänzliche Veränderung in ihrem Wesen sichtbar geworden.

Doch blieb sie länger schön, als Sterbliche es bleiben, und brachte ihr himmlisches Leben, mit dem Gebrauche aller Sinne, bis zum höchsten menschlichen Alter.

Nur von Einer Schwäche wurde dieses ausserordentliche Alter begleitet. Sie vermochte nicht mehr den Anblick verzerrter, noch weniger durch das Laster entstellter Menschen zu ertragen, und verfiel, wiewohl eine Feindin aller Pracht, beim Anblick des Schmutzes und der Unordnung in Schwermuth.

[352] Man war daher gegen das Ende ihres Lebens bemüht, nur schöne Gegenstände um sie zu versammeln, und die höchste Sauberkeit in ihrer Nähe zu erhalten. Sie wurde sichtbar dadurch erheitert, und ihren Freunden, ohne Zweifel, mehrere Jahre erhalten.

Endlich fiel sie in einen anhaltenden, nur durch kurzes Erwachen unterbrochenen Schlummer, und die Aerzte verkündigten ihr Ende.

Nun wurde ihr Bett mit Kindern jedes Alters umringt, die sie entweder selbst, oder deren Aeltern sie dem Tode, dem Hasse, oder dem Elende entrissen hatte.

Sie erwachte noch einmal, erblickte die Kinder, und verschied mit einem Lächeln, welches ihren himmlischen Zügen eingedrückt blieb.

[353] Ihr Grab liegt auf einem Hügel, und die Sage geht, daß Gemüthskranke dort geheilet werden. Ob die reine Bergluft hierzu beitrage – wag' ich nicht zu entscheiden.

Fußnoten

1 Es war Gretchen.

2 Gretchen.

3 Gretchen war eine Protestantin und in Deutschland geboren.

4 Es war nie ein eigentliches Kloster, sondern bestand, bis zu Ende der Regierung Gustavs von Medizis, unter dem Namen einer wohlthätigen Anstalt.

5 Er war es, der diese Papiere sammelte.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fischer, Caroline Auguste. Romane. Margarethe. Margarethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7C6-C