Henry Fielding
Tom Jones
oder
Die Geschichte eines Findelkindes
(The History of Tom Jones, a Foundling)

Erstes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Einleitung in das Werk, oder Küchenzettel zum Gastmahle.


Ein Schriftsteller muß sich nicht sowohl als einen wohlhabenden Mann betrachten, der ein häusliches oder mildthätiges Gastmahl ausrichtet, sondern vielmehr als einen Mann, der einen öffentlichen Speisetisch hält, an dem jedermann für sein Geld willkommen ist. Im ersten Falle gibt, wie bekannt, der Herr Patron des Gastmahls, was ihm selbst gefällt; und wäre das auch schlecht und nichts weniger als nach dem Geschmack seiner Gesellschaft, so dürfen seine Gäste doch nicht klagen; vielmehr zwingt sie die gute Lebensart, alles, was ihnen vorgesetzt wird, zu loben und gut zu finden. Bei einem öffentlichen Gastwirt aber verhält sich das Ding ganz umgekehrt. Leute, welche ihre Mahlzeit bezahlen, wollen ein für allemal ihren Gaumen befriedigen, so lecker und verwöhnt der auch sein mag; und wenn sie nicht ein jedes Gericht nach ihrem Geschmacke befinden, so wollen sie sich das Recht nicht nehmen lassen, zu tadeln und auf Wirt und Koch zu schelten und zu schimpfen.

Um also ihren Kunden keine Gelegenheit zu solchem Mißvergnügen zu geben, haben die ehrlichen und vorsichtigen Gastwirte den Gebrauch eingeführt, daß jeder Gast, wie er ankommt, auf einem Küchenzettel die Gerichte angezeigt findet, welche zu haben sind, damit er, nachdem er weiß, was die Küche vermag, entweder bleiben und sich mit dem, was da ist, gütlich thun, oder sich einem andern Tische, wo sich seine Zunge und sein Magen mehr Behagen versprechen, umsehen kann.

[11] Da wir nicht zu stolz sind, von irgend einem Menschen Witz oder Weisheit zu borgen, der im stande ist, uns dergleichen zu leihen, so haben wir uns ganz bescheidentlich entschlossen, es diesen ehrlichen Speisewirten nachzumachen, und wollen nicht nur einen allgemeinen Küchenzettel von unserm ganzen Traktament im voraus geben, sondern wollen auch dem Leser von jedem Gange, so wie er in diesem und den folgenden Bänden zur Tafel gebracht wird, einen zur Uebersicht vorlegen.

Der Vorrat also, den wir hier zusammengebracht haben, ist nichts Anderes, als menschliche Natur. Auch fürchte ich nicht, daß mein verständiger Leser, wäre sein Geschmack auch noch so verwöhnt, darüber stutzig, mißvergnügt oder mir abspenstig werden wird, daß ich nur einen Artikel genannt habe. Die Schildkröte, wie der hoch-eß-weise Ratsherr von Bristoll aus vieler Erfahrung bezeugen kann, enthält, außer den höchst deliziösen Calipash und Calipee 1 noch mancherlei Arten von genießbaren Gerichten; auch kann es einem geehrten Leser nicht unbekannt sein, daß in der menschlichen Natur, so wie solche hier unter einem allgemeinen Namen begriffen ist, sich eine solche unendliche Verschiedenheit befindet, daß ein Koch viel eher durch alle verschiedenen Gerichte aus dem Tier- und Pflanzenreiche sich hindurchkochen, als ein Schriftsteller diesen so reichen und mannigfaltigen Vorrat erschöpfen könnte.

Vielleicht sieht von dem zartest-gewöhnten Leser der Einwurf zu besorgen, daß diese Schüssel gar zu gemein und alltäglich sei; denn, was sonst anders ist der Gegenstand aller der Romane, Dramen und Gedichte, womit die Höckerbuden angefüllt sind? Der epikuräische Esser könnte manches vortreffliche Stück Essen verwerfen, wenn es, als gemein und alltäglich zu verrufen, schon damit genug wäre, daß es auch bei den elendesten Gar- und Sudel-Köchen unter eben dem Namen zu haben sei. In der That ist wahre Natur bei Schriftstellern ebenso rar und ebenso selten zu haben, als Bajonner Schinken und Bologneser Socisgen bei den Schlächtern.

Die Hauptsache aber, um bei einerlei Metapher zu bleiben, besteht in der Kochkunst des Autors, anzurichten; denn, wie Pope sagt:


True wit is Nature to Advantage drest,
What oft' was thought, but ne'er so well exprest.
Witz ist Natur, in schöner Form zu Tisch gebracht,
Mit neuem Reiz gesagt, was vor schon oft gedacht.

[12] Eben das Tier, dem die Ehre widerfährt, daß ein Teil seines Fleisches an der Tafel eines Fürsten verzehrt wird, kann vielleicht in andern Teilen sehr erniedrigt werden, und einige seiner Glieder in der stinkendsten Wildbude der Stadt gleichsam wegen Missethat hängen. Wo liegt nun der Unterschied zwischen dem Fleische, das Seine hochwohlgeborne Gnaden genießen, oder der Lastträger, wann beide von eben und demselben Tier, sei es Ochse oder Kalb oder Sau, ihre Mahlzeit halten, wenn er nicht in der Art und Weise zu kochen, zu braten, spicken, würzen und anzurichten liegt? Daher denn das eine die erschlaffteste Eßlust reizt und kitzelt, und das andere dem stärksten Heißhunger die Lust verleidet. Auf eben die Weise besteht die Vortrefflichkeit einer Geistesmahlzeit weniger in der Materie der Speise, als in der Geschick lichkeit des Autors, solche hübsch zu- und anzurichten. Welch ein Vergnügen wird es also dem Leser machen, wenn er findet, daß wir in dem folgenden Werke uns ganz genau an einen der höchsten Grundsätze eines der besten Köche dieses Jahrhunderts, oder vielleicht gar des Jahrhunderts, worin Heliogabal die Kochkunst schützte, gehalten haben. Dieser große Mann, wie allen feinen Eßliebhabern bekannt ist, beginnt damit, daß er seinen hungrigen Gästen ganz einfache Speisen vorsetzt; hernach stufenweise steigt; so, wie nach und nach ihr Appetit, nach seiner Meinung, sinken muß, bis er sich zur feinsten Quintessenz von Würz und Brühen hinaufschwingt. Auf eben die Weise werden wir dem scharfen Appetite unserer Leser anfangs menschliche Natur der einfachen Art vorsetzen, wie solche auf dem Lande gefunden wird; und nachher wollen wir solche haschieren und ragoutieren mit alle dem heißen Französischen undItalienischen Gewürz von Lastern und Thorheiten, welche Höfe und Städte uns liefern. Vermöge dieses Kunstgriffes soll, wie wir nicht zweifeln, unser Leser Lust bekommen, ohne aufhören fortzulesen, so, wie der eben vorhin genannte große Mann viele Personen soll haben essen lassen. Nachdem wir so weit unsern Behuf vorgebracht, wollen Wir denjenigen, denen unser Küchenzettel behagt, nicht länger ihren Genuß vorenthalten, sondern wollen ohne weiteres Verweilen den ersten Gang unserer Geschichte aufsetzen.

Fußnoten

1 S. die Note in Sterne, Empfindsame Reise, Band 4.

Zweites Kapitel
[13] Zweites Kapitel.

Eine kurze Beschreibung des Junkers Alwerth und eine längere Nachricht von Fräulein Brigitta, Alwerths Schwester.


In der Landschaft, welche in dem westlichen Teile von England liegt und gewöhnlich Sommersetshire genannt wird, lebte ehedem ein Landedelmann (und lebt vielleicht noch), dessen Name Alwerth hieß, und den man gar füglich einen Liebling beides, der Natur und des Glücks, nennen konnte; denn beide schienen um die Wette gestritten zu haben, wer ihn am meisten begünstigen und bereichern sollte. In diesem Streite mag, nach einiger Bedünken, die Natur gesiegt haben, weil sie ihn mit mancherlei Gaben beschenkte; derweile das Glück nur eine einzige besaß, in Bescherung dieser aber so freigebig war, daß andere vielleicht denken mögen, diese einzige Gabe sei mehr als hinreichend gewesen, allen Spenden, die er von der Natur empfangen hatte, Gleichgewicht zu halten. Von der Natur erhielt er eine angenehme Figur und Gestalt, ein dauerhafte Gesundheit, einen gründlichen Verstand und ein wohlthätiges Herz; von dem Glück erhielt er die Erbschaft eines der größesten Landgüter. Dieser Edelmann hatte in seiner Jugend ein würdiges und schönes Frauenzimmer geheiratet, die er sehr zärtlich geliebt hatte. Mit ihr hatte er drei Kinder, welche alle sehr jung starben; er hatte auch das Unglück erlebt, selbst diese seine geliebte Gattin zu begraben, ungefähr fünf Jahre vorher, als diese Geschichte ihren Anfang zu nehmen beliebt. Diesen Verlust, so groß er auch war ertrug er wie ein verständiger, gesetzter Mann, ob man gleich nicht ableugnen kann, daß er oft ein wenig sonderbar über diesen Punkt sprach; denn zuweilen sagte er: er hielte sich noch beständig für verheiratet und dächte, seine Frau habe nur ein wenig früher als er eine Reise angetreten, auf welcher er ihr ganz gewiß früher oder später folgen werde; er hege nicht den geringsten Zweifel, sie an einem Orte wieder anzutreffen, wo er sich nie wieder von ihr trennen würde. Wegen dergleichen Aeußerungen hatte ein Teil seiner Nachbaren seinen Verstand, ein zweiter seine Religion und ein dritter seine Aufrichtigkeit im Verdacht.

Jetzt lebte er die meiste Zeit auf dem Lande mit einer Schwester, für die er zärtlichste Bruderliebe hatte. Dies Fräulein war schon etwas über die dreißig hinaus; ein Alter, in welchem man nach der Meinung gewisser hämischer Leute den Titel: alte Jungfer mit aller Schicklichkeit führen kann. Sie war von derjenigen Gattung Frauenzimmer, an welchen man eher die guten Eigenschaften als die Schönheit preiset, und welche von ihrem eignen [14] Geschlechte gewöhnlich so ein guter Schlag von Mädchen genannt wird. – In der That! so ein guter Schlag von Mädchen, Madame, als Sie zu kennen wünschen mögen. Wirklich war sie so weit entfernt den Mangel an Schönheit zu bedauern, daß sie dieser Vollkommenheit (wenn es noch einmal eine genannt werden kann) nie anders, als mit Verachtung erwähnte und oft dem lieben Gott dankte, daß sie nicht so hübsch sei als dieses oder jenes Fräulein, welche ihre Schönheit vielleicht zu Fehltritten verleitet hätte, die sie ohnedem hätte vermeiden können. Fräulein Brigitta Alwerth (denn so hieß dieses Frauenzimmer) sah sehr richtig ein, daß die persönlichen Reize eines Frauenzimmers nichts Besseres wären als Fallstricke, aufgestellt für sich selbst und für andere, und dennoch war sie so bedächtlich in ihrer Aufführung, daß ihre vorsichtige Klugheit ebenso scharf wachte, als ob sie alle Fallstricke zu befürchten hätte, die nur jemals ihrem ganzen Geschlechte gelegt sein mögen. In der That habe ich bemerkt (so unbegreiflich dem Leser die Sache vorkommen mag), daß diese Wache der klugen Vorsicht ebenso wie die alten Pfahlbürger beständig dann und am liebsten auf solche Posten zieht, wann und wo die wenigste Gefahr ist. Oft verläßt sie niederträchtiger, feigherziger Weise solche Schönheiten, nach welchen die Männer insgesamt trachten, um die sie seufzen, für die sie sterben und denen sie so viele Netze aufstellen, als sie nur haben und erdenken können; und hingegen gehet sie jener höhern Gattung von Weiblein nicht von der Ferse, für welche das männliche Geschlecht eine weit größere und tiefere Ehrfurcht hegt, und welche es (aus Verzweiflung glaube ich, daß es ihm glücken könne) niemals anzugreifen wagt.

Lieber Leser, ich erachte für rathsam dich, ehe wir noch einen Schritt mit einander weiter gehen, zu benachrichtigen, daß ich willens bin, diese ganze Geschichte hindurch so oft einen Nebenweg zu nehmen, als sich dazu Gelegenheit findet, worüber ich ein besserer Richter bin als irgend ein winziger Kritikus: und hier muß ich alle diese Kritiker ersuchen, sich um ihre eigenen Händel zu bekümmern und sich in keine Sachen oder Werke zu mischen, die sie auf der Welt nichts angehen: denn ich werde ihre richterliche Gewalt nicht eher anerkennen, bis sie die Vollmacht aufweisen, wodurch sie sich als Richter gehörig legitimieren können.

Drittes Kapitel
[15] Drittes Kapitel.

Ein sonderbarer Zufall, welcher Herrn Alwerth begegnete, als er nach Hause zurückkam. Das anständige Benehmen der Jungfer Deborah Wilkins, mit einigen schicklichen Betrachtungen über Bankerte.


Ich habe meinen Lesern im vorigen Kapitel erzählt, daß Herr Alwerth ein großes Vermögen erbte; daß er ein gutes Herz und dabei weder Frau noch Kind hatte. Hieraus werden gewiß manche schließen, daß er lebte wie ein honetter Mann; niemand einen Pfennig schuldig war; nichts nahm, als was ihm gebührte; ein gutes Haus machte; seine Nachbarn gern und fleißig bewirtete, und gegen Arme (das heißt, gegen solche, die lieber betteln als arbeiten mögen) barmherzig war; daß er ihnen die Brosamen gab, die von seinem Tische fielen; daß er unermeßlich reich starb und ein Spital erbaute.

Und wahr ist's, daß er manches von diesen Dingen that; hätt' er aber nichts mehr gethan, so hätt' er meinetwegen hingehen und seine Verdienste auf einer hübschen Marmortafel über der Thüre seines erbauten Spitals der Nachwelt erzählen mögen.

Es werden in dieser Geschichte Dinge vorkommen, die von einer weit ungewöhnlichern Art sind; ich hätte sonst meine Zeit recht schändlich verklittert, die ich aufs Schreiben eines so bändereichen Werks verwandte; und Sie, meine einsichtsvollen Freunde, könnten mit gleichem Nutzen und Vergnügen sich durch einige Seiten solcher Bücher hindurch lesen, welche gewisse drollige Autoren im spaßhaften Mute die Geschichte von England zu nennen beliebt haben.

Herr Alwerth war ein ganzes Vierteljahr abwesend und in London gewesen, wo er einige wesentliche Geschäfte gehabt hatte, von denen ich zwar nicht sagen kann, worin sie bestanden, auf ihre Wichtigkeit aber daraus schließe, daß sie ihn so lange von seinem Hause entfernt gehalten, da er es seit manchen Jahren auch nicht einen Monat lang verlassen hatte. Er kam des Abends ziemlich spät zu Hause, und nach einem kurzen Abendessen mit seiner Schwester begab er sich ermüdet nach seiner Kammer. Als er hier, zufolge einer Gewohnheit, wovon er sich durch nichts abwendig machen ließ, einige Minuten auf seinen Knieen zugebracht hatte, machte er sich fertig, ins Bett zu steigen, als er, beim Aufschlagen der Decke, zu seinem großen Erstaunen ein in grobe Leinwand gewickeltes Kind erblickte, welches zwischen seinen Betttüchern lag und sanft und ruhig schlief. Er stund eine Weile, verloren in Verwunderung über den Anblick; jedoch weil Gutherzigkeit allemal die Oberhand in seinen Gesinnungen hatte, fühlte er sich bald von Empfindungen [16] des Mitleids gegen das arme, kleine Geschöpf gerührt. Er zog also an der Schelle und gab Befehl, daß eine ältliche Hausjungfer sogleich aufstehn und zu ihm kommen sollte, und war unterdessen so vertieft im Anschauen der Schönheit der Unschuld, welche sich hier in den lebhaften Farben zeigte, womit Kindheit und Schlaf sie allemal darstellt, daß seine Gedanken zu sehr beschäftigt waren, um sich zu erinnern, daß er im bloßen Hemde dastünde, als die ehrbare Jungfer hereintrat. Sie hatte ihrem Herrn in der That Zeit genug gelassen, sich anzukleiden; denn aus Respekt für ihn und aus Achtung für den Wohlstand hatte sie viele Minuten hingebracht, ihr Haar vorm Spiegel in Ordnung zu bringen, ungeachtet der Hast, in der sie der Bediente gerufen hatte, und ungeachtet sie nicht wissen konnte, ob nicht ihr Herr am Schlage, oder sonst einem Zufalle in den letzten Zügen läge.

Man wird sich nicht darüber wundern, daß ein Geschöpf, das für seine eigne Person so streng auf den Wohlstand achtete, über die geringste Abweichung davon bei andern empfindlich wurde. Sie öffnete also nicht sobald die Thüre und sah ihren Herrn an der Seite des Bettes mit einem Leuchter in der Hand im bloßen Hemde stehen, als sie in der entsetzlichsten Bestürzung zurückfuhr und vielleicht gar in Ohnmacht gefallen wäre, hätte er sich jetzt nicht besonnen, daß er unangekleidet wäre, und ihrem Schrecken dadurch ein Ende gemacht, daß er ihr sagte, sie solle draußen warten, bis er sich in etwas Kleidung geworfen habe, und dadurch unfähig geworden, die reinen Augen der Jungfer Deborah Wilkins zu beleidigen, die, obgleich im zweiundfünfzigsten Jahre ihres Alters, aufs heiligste beteuerte: sie habe nie einen Mann anders, als gehörig bekleidet, gesehen. Spottvögel und profane Witzlinge lachen vielleicht über ihren ersten Schreck, mein ernsthafterer Leser aber, wenn er erwägt, daß es Nachtzeit war, da man sie aus ihrem Bette gerufen, und dazu die Umstände erwägt, worin sie ihren Herrn antraf, so wird er ihr Benehmen sehr rechtfertigen und billigen; es sei denn, daß die Klugheit, die, wie man annehmen muß, ein Mädchen von dem Alter, worin sich Jungfer Deborah befand, immer zu begleiten pflegt, seine Bewunderung ein wenig verringern möchte.

Als Jungfer Deborah wieder hereinkam, und von ihrem Herrn vernahm, wie er das kleine Kind gefunden hätte, da ward ihre Bestürzung viel größer als die seinige gewesen war; auch konnte sie sich nicht enthalten, mit ebenso großem Abscheu im Blick als Stimme auszurufen: »Lieber Herr, was ist nun anzufangen?« Herr Alwerth antwortete: sie müsse heute abend für das Kind sorgen, und morgen frühe wolle er Anstalt machen, daß es eine Amme bekäme. »Ja, Herr,« sagte sie, »und ich hoffe, Sie werden Ihren Gerichtsbefehl [17] hinausschicken, die Schlumpe von seiner Mutter beim Kopf zu nehmen (denn aus der Nachbarschaft muß sie sein), und 's soll mir 'ne Freude sein, zu erleben, daß sie nach'm Spinnhause kommt und 'n Staupbesen kriegt. Fürwahr, solche gottlose Nickels können nicht zu arg bestraft werden. Ihr erstes ist's nicht, das will ich wohl schwören, aus der Unverschämtheit, daß sie 's 'R Gnaden zusagen will«. »Mir es zusagen, Deborah?« antwortete Alwerth, »ich kann nicht glauben, daß sie einen solchen Vorsatz habe. Ich denke, sie hat bloß diese Methode gewählt, um ihr Kind zu versorgen; und wirklich freut es mich, daß sie nichts Schlimmeres gethan hat.« »Schlimmer's! Ich wüßt' nicht, was Schlimmer's wäre«! rief Deborah aus; »vor solche Sodomsbagage, als ihre Sünden vor honetter Männer Thür zu legen, und obschon's wohl 'R Gnaden Ihr eigen Unschuld wissen mög'n: so hat die Welt doch 'n bös Maul und manch ehrlich Mann hat schon leiden müssen, daß Kinder nach ihm heißen, wozu er gar nicht Vater war; und wenn der Herr fürs Kind was thun, so werden die Leute meinen, sie müßten's glauben. Ohnedem, warum woll'n 'R Gnaden für was sorgen, das der Armkasten vom Kirchspiel ernähren muß? Für meins Teils, wenn's 'n ehrlich Manns Kind wär', nun, ja! Aber so kann ich's, für meins Teils nicht übers Herz bringen, solche Bankerte anzufassen und's für meine Nebengeschöpfe zu achten. Fuh! wie's stinkt! 's riecht gar nicht nach'n Christen. Wenn 'ch so frei sein dürfte, meine Meinung zu sagen, so sollte man's in 'n Korb thun, und's hinschicken, und vor's Kirchenvorstehers Thür legen. 'S ist 'ne hübsche Nacht, nur 'n bischen regnig und windig; und wenn's tapfer eingewickelt wird und in 'n warmen Korb gelegt, so will'ch wohl doppelt gegen einfach wetten, oder 's lebt so lange bis man's morgen früh findet. Aber wenn's auch nicht thäte, so haben wir das Unsrige gethan, daß wir's ordentlich versorgt haben; und vielleicht ist's vor solche Kreaturen besser, wenn sie im Stande der Unschuld sterben, als daß sie aufwachsen und's der Mutter nachmachen, denn bessers ist doch nicht von 'n zu hoffen.«

In dieser Rede befanden sich einige Züge, die Herr Alwerth vielleicht nicht zum besten aufgenommen haben möchte, wenn er eben genau darauf gehört hätte; so aber war einer seiner Finger in ein Händchen des Kindes geraten, welches mit leisen Drücken seinen Beistand zu erflehen schien und ohne weiteres die Beredsamkeit der Jungfer Deborah vernichtet haben würde, wenn solche auch noch zehnmal mächtiger gewesen wäre. Jetzt gab er der Jungfer Deborah gemessenen Befehl, das Kind mitzunehmen nach ihrem eigenen Bette und eine Magd rufen zu lassen, die ihm Papp und Panade mache, wenn es erwache. Er befahl ebenfalls, daß [18] man für die erforderliche Kleidung morgen beizeiten besorgt sein und ihm das Kind selbst bringen sollte, sobald er aufstünde.

Jungfer Deborah hatte einen so hellen Verstand und so viel Respekt vor ihrem Herrn, unter dem sie eine vortrefflich einträgliche Stelle bekleidete, daß ihr Gewissen sich unter seine ernstlichen Befehle ganz willig beugte, das Kind ohne irgend einen scheinbaren Ekel an seiner unehlichen Geburt in die Arme nahm und unter der Beteurung, es sei doch eine kleine süße Krabbe, damit nach ihrer eigenen Schlafkammer zuwanderte.

Hierauf ergab sich Alwerth diesem erquickenden Schlummer, dessen ein Herz, das nach Wohlthun hungert, so ruhig genießen kann, wenn es satt ist. Da dieser Schlummer wohl süßer sein mag, als irgend ein andrer, den eine noch so reichliche Mahlzeit herbeilockt, so würde ich keine Mühe scheuen, ihn dem Leser zu beschreiben, wenn ich nur eine Luft wüßte, die ich ihm zur Erregung eines solchen Hungers empfehlen könnte.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Der Leser wird durch eine Beschreibung in Gefahr gebracht, den Hals zu brechen; seine Rettung und die große Herablassung des gnädigen Fräuleins Brigitte von Alwerth.


Junker Alwerths Haus war das edelste Gebäu, was der gotische Stil hervorbringen konnte. Es herrschte darin ein air de Grandeur, welches einen mit stiller Ehrfurcht erfüllte und mit den Schönheiten der griechischen Architektur wetteiferte. Dabei war es ebenso bequem inwendig, als ehrwürdig auswendig.

Es stund an der Südostseite eines Hügels; aber näher zu nach dem Fuße als nach der Spitze, so daß es von der Nordostseite durch einen Hain von alten Eichen, die darüber in einer Strecke von mehr als tausend Ruten an dem Hügel hinauf hervorragten, bedeckt ward, und doch hoch genug stand, um daraus ein nahegelegenes, höchst reizendes Thal zu übersehen.

Mitten in dem Hain lag eine schöne grüne Wiese, die sich gegen das Haus heruntersenkte, in deren oberster Höhe sich ein ergiebiger Quell befand, der aus einem mit grünen Fichten bedeckten Felsen hervorsprudelte, einen beständigen, mehr als dreißig Fuß hohen Wasserfall machte, und nicht sowohl in einem regelmäßigen Guß von Stufen herabstürzte, als in einem natürlichen Falle über gebrochene und moosigte Steine herabrieselte, bis er an die Wurzel des Felsens gelangte; dann in einem kieseligen Kanal über geringe [19] Wehren sich fortschlängelte, bis er in einen See fiel, der am Fuß des Hügels ungefähr achthundert Fuß entfernt vom Hause nach Süden hin lag und aus jedem Zimmer der Fronte des Gebäudes gesehen werden konnte. Aus diesem See, der den Mittelpunkt einer reizenden, mit Gruppen von Birken und Ulmen und weidenden Schafen verschönerten Ebene füllte, floß ein Bach, dessen Krümmungen das Auge durch eine schön verwickelte Abwechslung von Wiesen und Gebüschen bis dahin folgen konnte, wo er sich ins Meer ergoß, wovon ein breiter Arm und eine jenseits gelegene Insel den Prospekt begrenzten.

Zur Rechten dieses Thales öffnete sich ein anderes von geringerer Breite, geziert mit verschiedenen Dörfern und eingeschlossen von einem der Türme einer alten verfallenen Abtei, welcher mit Eibisch bewachsen war, und von einem Teile der Front, die noch ganz dastand.

Die Szene zur Linken zeigte einen schönen Park von unebenem Grunde, der mit einer so großen Mannigfaltigkeit von Hügeln, Grasplätzen, Wäldchen und Gewässern abwechselte, als man es nur immer von dem vortrefflichsten Geschmacke eines Erbauers er warten kann, dessen Bescheidenheit es fühlt, daß die Kunst nur die Hebamme der Natur sein muß. Hinter diesen erhob sich der Boden allmählich zu einer Erhöhung von wilden Gebirgen, deren Spitzen bis über die Wolken hinausragten.

Es war jetzt um die Mitte des Monats Mai und der Morgen vorzüglich heiter, als Herr Alwerth hinaus auf die Terrasse ging, wo der werdende Tag von Minute zu Minute seinem Auge den Prospekt mehr beleuchtete, den wir vorhin beschrieben haben. Und nach vorausgesendeten Strömen Lichts, welche am blauen Firmament gleich einer Schar von Herolden heraufzogen, den folgenden Pomp anzukünden, erschien im vollen Glanze ihrer majestätischen Pracht die Sonne, über deren Herrlichkeit nur ein Wesen in dieser niedern Schöpfung den Vorzug haben konnte, und dieses stellte Herr Alwerth selbst vor; ein Mensch voll Mild' und Güte, begriffen im Nachsinnen, wie er sich seinem Schöpfer gefälliger machen und einen Mitgeschöpfen das meiste Gute erweisen könne.

Lieber Leser, vorgesehn! Unbedachtsamerweise habe ich Sie an Alwerths Höhe hinaufgeleitet und weiß nun nicht wie ich Sie wieder herunterbringen soll, ohne das Genick zu brechen. Doch wagen wir es miteinander herunterzuglitschen; denn Fräulein Brittjen zieht an ihrer Schelle und Herr Alwerth wird zum Frühstück gerufen, wobei ich zugegen sein muß, und wenn's Ihnen beliebt, soll mir Ihre Gesellschaft sehr angenehm sein.

Nachdem die gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen zwischen [20] Herrn Alwerth und Fräulein Brigitten vorüber und der Thee eingeschenkt worden, ließ er Jungfer Wilkens rufen und sagte seiner Schwester, er habe für sie ein Geschenk; wofür sie ihm dankte, weil sie wohl denken mochte, es wäre ein Kleid oder sonst ein Schmuck für ihre Person. In der That machte er ihr dergleichen Geschenke sehr oft, und sie, aus Gefälligkeit für ihn, verwandte viele Zeit darauf, sich zu putzen. Ich sage, aus Gefälligkeit für ihn, weil sie beständig die größeste Verachtung gegen den Kleiderputz und solche Frauenzimmer bezeigte, die daraus ihr Studium machten.

Allein, wenn ihre Erwartung darauf ging, wie sehr sah sie sich getäuscht, als Jungfer Wilkins, zufolge dem von ihrem Herrn erhaltenen Befehle, das kleine Kind zum Vorschein brachte. Starke Ueberraschungen, wie man bemerkt hat, machen gerne stumm; und das war Fräulein Brigitte so lang, bis ihr Bruder zu reden begann und ihr die ganze Begebenheit erzählte, welche wir aber nicht wiederholen, weil sie der Leser schon weiß.

Fräulein Brittjen hatte beständig für das, was die Damen Tugend zu nennen geruhen, eine so große Achtung geäußert, und sich selbst in ihrer eigenen Aufführung so streng bewiesen, daß man erwarten konnte, besonders die Wilkins, sie würde bei dieser Gelegenheit sich mit vieler Bitterkeit herausgelassen und dafür gestimmt haben, das Kind, als ein unreines Tier, alsofort aus dem Hause zu schaffen; es ergab sich aber gerade das Gegenteil; sie nahm die Sache vielmehr von der mildherzigen Seite, ließ einiges Mitleid mit dem armen hilflosen kleinen Geschöpfe blicken, und pries die Barmherzigkeit ihres Bruders in dem, was er gethan hatte.

Vielleicht setzt der Leser dies Betragen auf Rechnung der Nachgiebigkeit gegen Herrn Alwerth, wenn wir ihm berichtet haben, daß dieser gute Mann seine Erzählung damit geschlossen, daß er den Vorsatz gestand, für dieses Kind ebenso zu sorgen und es ebenso zu erziehen, als ob es sein eigenes wäre; denn die Wahrheit zu gestehen, sie war immer bereit, ihrem Bruder gefällig zu leben, und bestritt seine Meinung niemals, oder doch wenigstens nur höchst selten; zuweilen machte sie wohl freilich eine oder die andre Anmerkung, wie zum Beispiel: Mannspersonen wären doch immer starrköpfig und müßten ihren Willen haben; ihr Unglück sei's, daß sie nicht reich genug wäre, nach ihrem eigenen Gefallen zu leben; – aber so etwas sagte sie immer nur mit leiser Stimme und ging damit nie weiter, als höchstens zu dem, was manzwischen den Zähnen murmeln nennt.

Was sie unterdessen dem Kinde schenkte, das ließ sie die arme unbekannte Mutter im vollgerüttelten Maße entgelten, die sie eine [21] unverschämte Schlumpe, liederliche Vettel, Allmannsmetze, üppiges Nickel hieß, und ihr alle die Benennungen beilegte, womit tugendbegabte Zungen niemals ermangeln, solche Weiber und Mädchen zu stäupen, die ihrem Geschlechte eine Schande sind.

Nun ward eine Beratschlagung angestellt, wie man es machen sollte, die Mutter ausfindig zu machen. Erst ward eine Untersuchung über die Aufführung der Mägde im Hause angestellt, die aber Jungfer Wilkins alle für unschuldig erklärte, und zwar nicht ohne gute Gründe; denn sie selbst hatte sie ausgesucht, und, nebenher gesagt, möchte es vielleicht sehr schwer gewesen sein, ein solches zweites Nest von Vogelscheuchen zusammenzubringen.

Der nächste Schritt war, unter den Kirchspielkindern ein Examen anzustellen, und dieses ward Jungfer Wilkins aufgetragen, welche dies Examen besten Fleißes anstellen und des Nachmittags ihren Bericht erstatten sollte.

Nachdem die Sachen solchergestalt eingeleitet waren, begab sich Alwerth nach seiner Schreibstube, wie's seine Gewohnheit war, und ließ das Kind bei seiner Schwester, welche, auf sein Verlangen, es über sich genommen hatte, dafür zu sorgen.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Enthält einige wenige Alltagsmaterien, nebst einer sehr seltenen Beobachtung darüber.


Als ihr Herr das Zimmer verlassen hatte, sagte Jungfer Wilkins keine Silbe und erwartete, daß Fräulein Brigitte ihr Stichwort brächte; denn auf das, was in Gegenwart ihres Herrn gesagt worden, baute kluge Hausjungfer nicht das geringste, weil sie oft erfahren hatte, daß die Gesinnung des Fräuleins in Gegenwart ihres Bruders gewaltig von demjenigen verschieden gewesen, was sie in seiner Abwesenheit hatte verlauten lassen. Fräulein Brittjen ließ sie indessen nicht lange in dieser zweifelhaften Lage schwanken; denn, nachdem sie einige Zeit das Kind, so wie es schlafend auf Jungfer Deborahs Schoße lag, ernsthaft angesehen hatte, konnte sich das gutmütige Fräulein nicht enthalten ihm einen herzlichen Kuß zu geben, und zugleich zu beteuren, sie habe ein außerordentliches Wohlgefallen an seiner Schönheit und Unschuld. Jungfer Deborah merkte dies nicht so bald, als sie mit ebenso warmem Entzücken zu küssen und zu drücken begann, wie wohl zuweilen eine Braut, in den Jahren des Verstandes, bei ihrem jugendlichen, flinken Bräutigam anwandelt, und rief dabei [22] mit kreischender Stimme: »O das teure, liebe Kindchen! das teure, süße, scharmante Knäbchen! Ja, das muß wahr sein, e'n so feines Bübchen ist's, als ihn nur ein Bildhauer malen kann.«

Diese Ausrufungen dauerten fort, bis sie vom Fräulein unterbrochen wurden, welche jetzt zur Ausführung des Auftrages schritt, den sie von ihrem Bruder erhalten hatte, und Befehl gab, alles Benötigte für das Kind zu besorgen, und ein sehr gutes Zimmer im Hause zur Kinderstube anwies. Ihre Verordnungen waren wirklich so mildgebig, daß sie nicht mehr hätte thun können, wär's auch ihr eigenes Kind gewesen. Doch, damit die tugendsamen Leserinnen sie nicht verdammen mögen, als habe sie die Sorgfalt für ein schandgebornes Kind zu weit getrieben, mit welchem Barmherzigkeit zu haben die Gesetze für Religionslosigkeit erklären: so halten wir es für schicklich, anzumerken, daß sie das Ganze mit folgenden Worten beschloß: »Weil es einmal so ihres Bruders Grille wäre, die Krabbe als sein eignes Kind zu halten, so müßte man das junge Herrchen ja wohl mit großer Zärtlichkeit behandeln; sie für ihr Teil könne nicht umhin, zu glauben, man gäbe dadurch der Liederlichkeit Vorschub; sie kenne den Steifsinn des Mannes aber zu gut, um sich seinen lächerlichen Einfällen zu widersetzen.«

Mit Betrachtungen dieses Schlages begleitete sie, wie wir bereits zu verstehen gegeben haben, jede nachgiebige Handlung gegen ihres Bruders Neigungen; und sicherlich konnte nichts mehr beitragen, das Verdienst ihrer Gefälligkeit zu erhöhen, als eine Erklärung, daß sie die Thorheit und Widersinnigkeit dieser Neigungen recht gut einsähe, denen sie sich unterwürfe. Schweigender Gehorsam zeigt keine Gewalt über den Willen, und kann eben daher leicht sein und ohne Kampf geleistet werden; wenn aber eine Ehefrau, ein Kind, eine Verwandte, ein Freund oder eine Freundin das, was wir begehren, mit Murren, mit Widerwillen, mit Aeußerungen von Mißvergnügen und Willenszwang verrichten, so muß die offenbare Schwierigkeit, womit sie ringen, den Wert ihrer Gefälligkeit um vieles erhöhen.

Und dies ist eine von den tiefen Beobachtungen, wozu, weil man sehr wenigen Lesern die Fähigkeit, sie für sich selbst zu machen, zutrauen darf, ich ihnen meinen Beistand zu leihen für gut befunden habe; indessen ist dies ein Liebesdienst, auf welchen man im Fortgange dieses Werkes sich nur sehr selten Rechnung machen darf. In der That werde ich dem Leser selten oder niemals diese Willfährigkeit erzeigen, es sei denn in solchen Fällen, wie dieser, wo nichts Geringeres, als die Inspiration, womit wir Schriftsteller begabt sind, unumgänglich nötig ist, um auf die wahre Entdeckung zu kommen.

Sechstes Kapitel
[23] Sechstes Kapitel.

Jungfer Deborah wird mit einem Gleichnis im Kirchspiele aufgeführt. Eine kurze Nachricht vonHannchen Jones und den Schwierigkeiten, welche junge Frauenzimmer von dem Streben nach Gelehrsamkeit abschrecken können.


Wie Jungfer Deborah mit der Einrichtung fürs Kind nach dem Willen ihres Herrn fertig war, schickte sie sich an, diejenigen Wohnungen zu besuchen, welche, nach aller Vermutung, seine Mutter verborgen hielten.

So, wenn der Habicht, der furchtbare Satrape, von der gefiederten Schar in ferner Höhe schwebend und über ihren Häuptern unglückdrohend entdeckt wird; die liebegirrende Taube, und jeder kleine unschuldige Vogel weit umher die Gefahr verkündigt und jeder zitternd zu seinem Schutzort flieht: Er schlägt mit stolzen Schwingen die Luft, sich selbst bewußt seiner hohen Würde, und sinnt auf zu verbreitendes Weh:

So flogen zitternd in ihre Häuser alle Bewohner des Orts, als Jungfer Deborah Ankunft auf den Gassen verkündet ward. Jede Matrone war voll Angst, der Besuch möchte ihr selbst zum Lose fallen. Hoch trägt sie ihr türmend Haupt, angefüllt mit Gedanken über ihre eignen Vorzugsrechte, und mit Entwürfen, wie sie sie bewirken will, die beabsichtigte Entdeckung.

Der scharfsichtige Leser beliebe wegen dieses Gleichnisses nicht sich einzubilden, als habe das arme Volk die geringste Ahnung von dem Vorsatze gehabt, mit welchem Jungfer Deborah jetzt zu ihnen kam; da aber die große Schönheit des Gleichnisses die nächsten hundert Jahre vielleicht schlafen möchte, bis ein künftiger Kommentator dies Werk einmal unter seine antiquarische Feder nimmt: so finde ich für gut, dem Leser an dieser Stelle ein wenig zu Hilfe zu kommen.

Mein Vorsatz also ist, anzudeuten, daß so, wie es in der Natur des Habichts liegt, kleine Vögel zu fressen, es in der Natur solcher Personen, als JungferDeborah Wilkins, liegt, geringere Leute zu mißhandeln und zu tyrannisieren. Hierin liegen die eigentlichen Mittel, durch welche sie sich wegen der kriechenden, sklavischen Gefälligkeit gegen Vornehmere schadlos zu halten suchen; denn nichts kann billiger sein, als daß Sklaven und Schmeichler von jedem Geringern eben den Tribut eintreiben, welchen sie selbst jedem Vornehmern zollen.

So oft Jungfer Deborah Anlaß gehabt, gegen Fräulein Brigitte eine außerordentliche Unterwürfigkeit zu üben, und dadurch ihre [24] natürliche Gemütsart ein wenig mehr versäuret hatte, so oft hatte sie die Gewohnheit, unter diese Leute zu gehen, um ihr Gemüt dadurch wieder zu klären, daß sie gleichsam seine Hefen abbrausen ließ und die Unreinigkeiten wegpurgierte; aus welcher Ursache sie dann ganz und gar kein willkommener Besuch war. Mit kurzem die Wahrheit zu sagen, sie ward durchgehends gehaßt und von allen gefürchtet.

Bei ihrer Ankunft in diesem Orte ging sie gradenweges nach der Wohnung einer ältlichen Matrone; diese, weil sie das Glück hatte, ihr im Punkte der Anmutigkeit ihrer Person sowohl, als am Alter zu ähneln, war von jeher in größern Gunsten bei ihr gestanden, als alle übrigen. Dieser Matrone teilte sie das mit, was sich begeben hatte, nebst der Absicht, in welcher sie diesen Morgen hergekommen war. Beide machten sich sogleich darüber her, die Konduitenlisten aller jungen Mädchen des Orts zu untersuchen, und hefteten endlich ihren stärksten Verdacht auf eine gewisse Hanna Jones, welche nach beider einstimmigen Meinung die wahrscheinlichste Person wäre, die die That begangen haben müßte.

Dieses Hannchen Jones war eben kein hübsches Mädchen, weder von Gesicht noch von Wuchs. Die Natur hatte aber diesen Mangel an Schönheit einigermaßen durch etwas ersetzt, welches gewöhnlich von solchen Damen, deren Urteil mit den Jahren zur völligen Reife gediehen ist, noch höher geschätzt wird; denn sie hatte ihr ein ungemeines Maß von Verstand geschenkt. Diese Bescherung hatte Hannchen um ein Großes durch Gelahrtheit erhöhet. Sie hatte verschiedene Jahre als Magd bei einem Schulmeister gedient, der, weil er an dem Mädchen eine große Lebhaftigkeit des Geistes und eine außerordentliche Lernbegierde entdeckt, (denn jede müßige Stunde fand man sie in den Schulbüchern lesen), die Gutheit oder Narrheit, wie es der Leser belieben will zu nennen, gehabt hatte, ihr insoweit Unterricht zu geben, daß sie eine ziemliche Fertigkeit in der lateinischen Sprache gewann, und vielleicht ebenso gelehrt war, als die meisten jungen Herrn vom Adel unserer Zeit. Dieser Vorzug war aber, wie fast alle von einer außerordentlichen Gattung, von einigen kleinen Unbequemlichkeiten begleitet. Denn, wie es nicht zu verwundern ist, daß ein so gelehrtes junges Frauenzimmer wenig Gefallen an der Gesellschaft solcher Personen finde, welche das Glück ihr zwar gleich, die Erziehung aber so weit unter sie herabgesetzt hat: so darf es auf der andern Seite auch eben nicht sehr befremden, daß dieser Vorzug an Hannchen, zusammengenommen mit dem Betragen, welches seine gewisse Folge ist, bei andern eine Art von Neid und Mißgunst erweckte; und diese hatten vielleicht [25] schon in den Busen ihrer Nachbarinnen die ganze Zeit über heimlich gelodert, da sie aus dem Dienste gegangen war.

Ihr Neid brach indessen nicht eher öffentlich aus, bis das arme Hannchen, zu jedermanns Erstaunen und zum Aerger aller jungen Weibsbilder dieser Gegend, an einem Sonntage öffentlich in einem seidenen Kleide, einem spitzen Kopfzeuge und andern dazu paßlichen Sachen Parade machte.

Die Flamme, welche vorher nur unter der Asche geglimmt hatte, brach nun aus; Hannchen hatte durch ihre Gelehrsamkeit ihre Eitelkeit vergrößert, und doch war keine von ihren Nachbarinnen so gütig, ihr die Ehrerweisung zur Nahrung zu bringen, die sie zu verlangen schien; und nun gewann sie durch ihr Staatmachen anstatt Respekt und Verehrung nichts anders als Haß und Mißhandlung. Das ganze Kirchspiel war der festen Meinung, solche Dinge könnte sie mit Ehren nicht haben; und Eltern, anstatt ihren Töchtern eben solche Sachen zu wünschen, wünschten sich selbst Glück, daß ihre Kinder so etwas nicht hätten.

Daher kam es vielleicht, daß die gute Frau den Namen des armen Mädchens der Jungfer Wilkins gleich zuerst nannte; es zeigte sich aber auch noch ein anderer Umstand, der die letzte in ihrem Argwohn bestärkte, denn Hannchen war seit kurzem sehr oft auf Junker Alwerths Hofe gewesen. Sie hatte dem Fräulein Brittjen in einer Unpäßlichkeit als Krankenwärterin gedient und hatte manche Nacht bei und mit ihr gewacht; und überdem noch hatte sie Jungfer Wilkins selbst noch genau am Tage der Heimkunft des Herrn Alwerth dort gesehen; obgleich diese scharfsichtige Haushälterin, was diesen Punkt anbelangte, anfangs gar keinen Verdacht auf sie gehabt hatte. »Denn,« wie sie selbst sagte, »sie hätte die Hanna beständig für 'n sehr eingezogenes Mädchen gehalten (ob sie gleich im Grunde wenig mit ihr zu schaffen gehabt hätte), und wäre mit ihr'm Verdachte viel eher auf eine von den andern Bankmagdalenen verfallen, die sich ich weiß nicht was dünken, weil sie sich, ei seht mir doch! für schön halten.«

Hannchen ward nun vorgefordert, vor der Jungfer Deborah coram zu erscheinen, welcher Einladung sie denn augenblicklich gehorsamte. Jungfer Deborah setzte sich denn da in die feierliche Ernsthaftigkeit eines Richters und begann mit etwas mehr als gewöhnlicher Richterstrenge ihre Anrede mit folgenden Worten: »Ihr verwegenes Mensch«, womit sie denn viel eher ein Urteil über den Gefangenen zu sprechen, als seine Anklage vorzubringen schien.

Obgleich Jungfer Deborah, aus den Ursachen, die der Leser bereits oben gesehen hat, von dem Verbrechen der armen Hannah [26] hinlänglich überzeugt war, so war's doch möglich, daß Herr Alwerth zu ihrer Ueberführung triftigere Beweise für nötig erachtet haben möchte; aber Hannchen ersparte ihren Anklägern alle dergleichen Mühe dadurch, daß sie die That, deren sie angeklagt ward, ganz freiwillig bekannte.

Dies Bekenntnis, obgleich es allem menschlichen Anscheine nach mit Ausdrücken der Reue gethan wurde, erweichte doch die Jungfer Wilkins nicht im geringsten; denn sie sprach ein zweites Urteil gegen sie in einer noch schimpflichern Rede als vorher; auch ging's dem armen Mädchen nicht besser mit allen Umherstehenden, deren Anzahl nach und nach sehr groß geworden war. Viele von ihnen riefen aus: »Sie hätten's wohl gedacht, worauf es mit dem seidenen Kleide der Dame hinauslaufen würde!« Andere sprachen sehr beißend über ihre Gelehrsamkeit. Nicht ein einziges weibliches Geschöpf war zugegen, das nicht auf eine oder die andere Art seinen Abscheu an der armen Hannah ausgedrückt hätte, welche alles ganz geduldig ertrug, ausgenommen die Bosheit eines Weibes, welche sich über ihre Person lustig machte und mit zurückgeworfener Nase sagte: »Nun wahrhaftig, den Mann mußte auch der Hunger sehr plagen, der für solch einen Bissen ein seidenes Kleid geben konnte.« Dieser antwortete Hannchen mit einer Bitterkeit, die eine kluge Person befremdet haben könnte, welche wahrgenommen hätte, mit welcher Gelassenheit Hannchen alle Beschimpfungen ihrer Keuschheit ertrug. Aber vielleicht hatte man ihre Geduld ermüdet, denn dies ist eine Tugend, die man durch Uebung leichter erschöpft als andere.

Nachdem Jungfer Deborah in ihren Verrichtungen glücklicher gewesen als sie hoffen konnte, kehrte sie mit vielem Triumph zurück und erstattete zu der bestimmten Stunde dem Herrn Alwerth einen getreuen Bericht, welcher dann über die Erzählung sehr verwundert ward; denn ihm waren die außerordentlichen Fähigkeiten und der ausgebildete Verstand des Mädchens bekannt geworden, die er deswegen willens gewesen an einen benachbarten Pfarrer zu verheiraten, indem er ihn mit einer besseren Stelle versorgt hätte. Sein Bedauern war also bei dieser Gelegenheit ebenso groß als das Vergnügen, welches Jungfer Wilkins bezeigte und das auch manchem Leser weit vernünftiger scheinen mag.

Fräulein Brigitta kreuzigte und segnete sich, indem sie sich vernehmen ließ: »hinfüro wollte sie von keiner Weibsperson mehr eine vorteilhafte Meinung hegen!« Denn Hannchen hatte gleichfalls das Glück gehabt, bei ihr sehr in Gnaden zu stehen.

Die kluge Hausjungfer ward abermals fortgeschickt, die unglückliche Sünderin dem Herrn Alwerth vorzuführen, um nicht sowohl wie einige hofften und alle erwarteten, nach einem Werk- oder Zuchthause [27] geschickt zu werden, als um einige heilsame Verweise und Ermahnungen zu empfangen, welche diejenigen, die eine solche Art von lehrreichen schriftlichen Aufsätzen lieben, im nächsten Kapitel lesen können.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Voll solcher ernsthafter Materie, daß der Leser das ganze Kapitel hindurch nicht ein einziges Mal lachen kann, es sei denn, daß er über den Autor lachen wollte.


Als Hannchen vor Herrn Alwerth erschienen, nahm Herr Alwerth sie mit in seine Schreibstube und redete mit ihr folgendermaßen:

»Gutes Kind, Sie weiß es, als einer Magistratsperson steht es in meiner Macht, Sie für das was Sie gethan hat sehr strenge zu bestrafen, und Sie fürchtet vielleicht, daß ich mich dieser Gewalt um so eher bedienen werde, weil Sie gewissermaßen Ihre Sünde vor meine Thüre gelegt hat.

Doch das ist vielleicht eine von den Ursachen, die mich bewegen, mit Ihr auf eine mildere Art zu verfahren: denn da Privatrache niemals den geringsten Einfluß auf einen Richter haben soll, so will ich den Umstand, daß Sie ihr Kind in meinem Hause niedergelegt hat, so wenig als eine Vergrößerung Ihres Vergehens ansehen, daß ich vielmehr zu Ihrer Entschuldigung annehmen will, Sie habe dies aus natürlicher Liebe zu Ihrem Kinde gethan; weil Sie dabei einige Hoffnung haben konnte, es auf dieser Art besser versorgt zu sehen, als es Ihr selbst oder seinem gottlosen Vater möglich war. Ich würde in der That sehr auf Sie er zürnt gewesen sein, wenn Sie das kleine verlassene Geschöpf, nach Art der unnatürlichen Mütter, welche mit ihrer Keuschheit ihr mütterliches Gefühl zugleich verleugnet zu haben scheinen, weggelegt hätte. Dieserwegen will ich Ihr nur wegen des Teils Ihres Vergehens die nötigen Weisungen geben, welcher in der Verletzung Ihrer Keuschheit besteht. Ein Verbrechen, das so gering es auch von liederlichen Personen geachtet werden mag, schon an sich selbst sehr schändlich in seinen Folgen, aber sehr fürchterlich ist.

Die Schändlichkeit dieses Vergehens muß jedem Christen hinlänglich deutlich sein, um so mehr, da es den Gesetzen unserer Religion schnurstracks entgegen begangen wird und das ausdrückliche Gebot dessen übertritt, der diese Religion gründete. Und hier ist es nicht zu leugnen, daß seine Folgen mit Recht für fürchterlich angesehen werden können; denn was kann fürchterlicher sein, als [28] durch Uebertretung eines göttlichen Gebots Gottes Ungnade auf sich zu ziehen und zwar in einem Fall, wo die strengste Strafe ausdrücklich an das Gebot geheftet ist.

Doch diese Betrachtungen, so sehr ich besorgen muß, daß man ihrer zu wenig achte, sind so natürlich und auffallend, daß sie keiner besonderen Einschärfung bedürfen. Mag es also mit dieser kurzen Erinnerung genug sein, um Ihr eigenes Nachdenken über diese Materie zu erwecken; denn meine Absicht ist, Sie zur Reue zu bringen, nicht aber zur Verzweiflung zu treiben.

Es ergeben sich noch andere Folgen, die freilich nicht so fürchterlich und schrecklich sind, als diese; und welche doch, wenn man sie genau betrachtet, nach meiner Meinung alle Menschen, wenigstens aber Personen Ihres Geschlechts, von Begehung dieses Lasters abschrecken sollten.

Denn Ihr werdet dadurch ehrlos gemacht und gleich den ehemaligen Aussätzigen unter den Juden aus der menschlichen Gesellschaft verbannt. Wenigstens könnet Ihr keinen andern Umgang haben, als mit bösen Menschen, weil ehrsame Personen Euch in ihrer Gesellschaft nicht dulden.

Wenn Ihr eigenes Vermögen habt, so werdet Ihr dadurch unfähig gemacht, desselben auf eine angenehme Weise zu genießen. Habt Ihr keins, so werdet Ihr dadurch verhindert, welches zu erwerben, ja nur Euch Euren Unterhalt zu verschaffen; denn niemand von unbescholtener Ehre will Euch in sein Haus aufnehmen und so werdet Ihr oft von der Not selbst in einen Stand von Schande und Elend hineingezwungen, der sich unvermeidlicherweise mit dem Verderben beides, Leibes und der Seele, endigen muß.

Kann man irgend ein Vergnügen als einen Ersatz für diese Uebel ansehen? kann irgend eine Versuchung mit aller ihrer Sophisterei und Täuschung beredt genug sein, Euch zu einem so einfältigen Tausche zu bewegen? oder kann irgend ein Gelüsten des Fleisches Eure Vernunft dergestalt überwältigen und so völlig übertäuben und dadurch verhindern, daß Ihr nicht mit Schrecken und Abscheu vor einem Laster fliehet, dem solche Strafen auf dem Fuße folgen.

Wie niedrig und kriechend muß das Frauenzimmer denken, welches jene Würde der Seele und jenen anständigen Stolz nicht fühlt, ohne welchen wir des Namens menschlicher Geschöpfe nicht wert sind; die es ertragen kann, mit dem niedrigsten Tier in Einer Klasse zu stehen; die alles das, was groß und edel ist, ihren ganzen himmlischen Teil einem Gelüsten aufopfern kann, welches sie mit den niedrigsten Tieren der Schöpfung gemein hat! Denn Leidenschaft der Liebe wird doch sicherlich kein Weib als Entschuldigung[29] anführen wollen! Das hieße gestehen, daß sie sich bloß für eine Puppe und für ein Spielzeug der Männer achtete. Liebe, in so barbarischem Sinne wir auch immer die Meinung dieses Wortes nehmen mögen, ist an und für sich eine vernünftige und löbliche Leidenschaft und kann niemals ohne gegenseitig zu sein, gewaltthätig werden. Denn obgleich die Schrift uns gebietet, unsere Feinde zu lieben, so versteht sie darunter doch nicht jene innige Liebe, die wir natürlicherweise gegen unsere Freunde hegen; viel weniger daß wir ihnen unser Leben und, was uns noch teurer sein muß, unsere Unschuld aufopfern sollen. In was für einem Licht kann nun ein vernünftiges Frauenzimmer den Mann betrachten, welcher in sie dringt, alles das Elend, was ich oben beschrieben habe, ihm zu Gefallen über sich zu ziehen und ihm also auf ihre zu große Unkosten ein kurzes, gemeines und verächtliches Vergnügen zu erkaufen? kann Sie ihn anders betrachten als ihren Feind? Denn nach den Gesetzen der Gewohnheit fällt die ganze Schande nebst allen ihren fürchterlichen Folgen allein auf die weibliche Seite. Kann Liebe, welche allemal das Beste des geliebten Gegenstandes sucht, ein Frauenzimmer zu einem Handel verleiten wollen, der so völlig zu ihrem Nachteile ist? Wenn ein solcher Verführer also so unverschämt sein sollte, eine wirkliche Liebe zu ihr vorzugeben, sollte das Frauenzimmer ihn nicht billig nicht nur als einen Feind, sondern als den ärgsten aller ihrer Feinde, für einen falschen, ränkevollen, betrügerischen Heuchelfreund ansehen, der nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Verstand zu verführen und zu verderben trachtet?«

Hier zeigte Hannchen große Reue und Herr Alwerth, nachdem er einige Minuten stillgeschwiegen fuhr folgendergestalt fort:

»Ich habe Ihr dies sagen wollen, gutes Kind, nicht um Ihr das, was geschehen, unwiderruflich geschehen ist, vorzurücken, sondern Sie auf die Zukunft zu warnen und zu stärken. Und auch diese Mühe würde ich mir nicht gegeben haben, wenn ich nicht einigermaßen eine gute Meinung von Ihrem Verstande hätte, ungeachtet des fürchterlichen Fehltritts, den sie begangen hat; und wenn ich nicht einige Hoffnung zu Ihrer herzlichen Reue hätte, die ich auf die Offenherzigkeit und Aufrichtigkeit Ihres Geständnisses gründe. Wenn ich mich darin nicht irre, so will ich sorgen, Ihr von dieser Schaubühne Ihrer Schande weg und an einen Ort zu verhelfen, wo Sie als unbekannt die Strafe vermeiden kann, welche, wie ich gesagt habe, auf Ihr Verbrechen in dieser Welt folgt; und ich hoffe, durch aufrichtige Reue werde Sie das viel drückendere Urteil von sich ablehnen, was darüber für jene Welt verkündigt ist. Führe Sie sich in Zukunft gut auf, Kind, so soll Sie kein Mangel wieder [30] auf eben die Abwege verleiten; und glaube Sie mir, schon in dieser Welt ist mehr Freude bei einem unschuldigen und tugendhaften Wandel als bei einem liederlichen und lasterhaften Leben.«

»Was Ihr Kind betrifft, so laß Sie sich darüber keinen Gedanken beunruhigen; ich will dafür auf eine bessere Weise sorgen, als Sie nur hoffen kann. Und nun bleibt nichts weiter übrig, als daß Sie mir bekenne: wie der böse Mann heißt, der Sie verführt hat? Denn mein Unwille gegen diesen wird weit größer sein, als Sie bei dieser Gelegenheit gegen sich selbst erfahren hat.«

Hier erst hub Hannchen die Augen von der Erde in die Höhe und begann mit bescheidenem Blick und ehrerbietiger Stimme wie folgt:

»Sie zu kennen, bester Herr Alwerth, und ihre menschenfreundliche Güte nicht zu lieben, wäre ein Beweis von gänzlichem Mangel an Verstand und Güte des Herzens bei jedermann. Bei mir aber würde es die höchste Stufe von Undankbarkeit anzeigen, wenn ich von dem hohen Grade der Güte, welche Sie bei dieser Gelegenheit auszuüben geruhet haben, mich nicht tief im Innersten meines Herzens gerührt fände. Ich weiß, Sie ersparen mir die Schamröte, Ihnen meine Reue über das Vergangene nochmals zu wiederholen. Meine künftige Aufführung wird meinen Vorsatz viel besser zu Tage legen, als alle meine Versprechungen, die ich hier thun könnte. Erlauben Sie mir, gnädiger Herr, Sie zu versichern, daß mir Ihre Vermahnung tiefer ans Herz gegangen ist, als das großmütige Erbieten, womit Sie solche beschlossen haben. Denn, wie Sie zu sagen belieben, sie ist ein Beweis, daß Sie von meinem Verstande eine gute Meinung haben.« –

Hier hielt sie ein paar Minuten inne, weil ihre Thränen häufig herabrollten und fuhr dann weiter fort:

»Wirklich, gnädiger Herr, Ihre Güte überwältigt mich; aber ich will streben, diese gütige Meinung zu verdienen; denn wenn ich den Verstand besitze, den Sie so gütig sind, mir zuzutrauen, so können solche Warnungen bei mir nicht verloren gehen. Ich dank' Ihnen herzlichst, gnädiger Herr, für Ihren gefaßten liebreichen Vorsatz zu gunsten meines armen hilflosen Kindes; es ist unschuldig und ich hoffe, es soll lange genug leben, um sich für alle die Wohlthaten, die es von Ihnen empfangen wird, dankbar zu erzeigen. Aber nun, gnädiger Herr, muß ich Sie auf meinen Knien anflehen, verschonen Sie mich mit dem Befehl, Ihnen den Vater meines Kindes zu nennen. Ich verspreche heilig, Sie sollen ihn eines Tages erfahren. Ich bin aber unter den feierlichsten Zusagungen und Versprechungen der Ehe und den heiligsten Eiden und Gelübden der Religion gebunden, seinen Namen, für jetzt noch, [31] zu verschweigen, und Ihre Gesinnungen sind mir zu wohl bekannt, als daß ich besorgen könnte, Sie wollten von mir verlangen, ich solle meine Ehre oder meine Religion aus den Augen setzen.«

Herr Alwerth, dem die geringste Erwähnung dieser heiligen Worte schon hinlänglich war, um höchst bedächtlich zu verfahren, besann sich einen Augenblick, ehe er antwortete, und dann sagte er zu ihr: sie habe unrecht gethan, gegen einen schlechten Menschen solche Gelübde einzugehen. Da es aber geschehen, könne er nicht drauf dringen, daß sie wortbrüchig werden sollte.

Er sagte, es sei nicht aus persönlicher Neugierde, daß er nach ihm gefragt habe, sondern um den Kerl zu strafen; wenigstens, damit er nicht unwissenderweise solchen Leuten Wohlthaten zufließen ließe, die es nicht verdienten.

Was diese Punkte betreffe, so beruhigte ihn Hannchen durch die feierlichsten Beteuerungen, der Mann sei ganz und gar außer seinem Wirkungskreise und so wenig seiner Macht unterworfen, als er, nach aller Wahrscheinlichkeit, jemals der Gegenstand seiner Mildthätigkeit werden würde.

Hannchen hatte sich durch ihr treuherziges Betragen bei diesem würdigen Manne so viel Zutrauen erworben, daß er ihr ganz willig glaubte, was sie ihm sagte; denn da sie die Niederträchtigkeit verachtet hatte, sich selbst durch eine Lüge zu entschuldigen, und in ihrer gegenwärtigen Lage lieber sein ferneres Mißfallen auf sich laden, als ihrer Ehre und Zusage dadurch untreu werden wollte, daß sie einen andern verriete, so besorgte er sehr wenig, daß sie sich gegen ihn einer Falschheit schuldig machen würde.

Er entließ sie also mit der Versicherung, er würde sie bald von dem Orte entfernen, wo sie so viele Zungen wider sich gereizt hätte, und beschloß mit noch einigen hinzugefügten Vermahnungen, in welchen er Reue und Besserung empfahl, und sagte: »Bedenke Sie wohl, Kind, dort oben ist noch einer, dessen Gnade Sie sich noch wieder zu erbitten hat, und dessen Wohlwollen für Sie weit wichtiger ist, als das meinige.«

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Dialog zwischen Mesdames Brigitta und Deborah; der zwar unterhaltender, aber nicht so lehrreich ist als der vorige.


Als Herr Alwerth sich mit Hannchen Jones nach seinem Arbeitszimmer verfügt hatte, wie wir oben gesehen haben, begab sich Fräulein Brittjen mit der guten Haushälterin auf einen Posten, [32] der zunächst an besagtes Studierzimmer stieß, woselbst sie, vermittelst eines Schlüsselloches, die lehrreiche Vermahnung des Herrn Alwerth zugleich mit Hannchens Antworten in ihre Ohren fließen ließen, und wirklich sich von allem, was im vorigen Kapitel vorkommt, aufs genaueste unterrichteten.

Dieses Loch in der Thüre des Studierzimmers ihres Bruders war Fräulein Brittjen ebenso gut bekannt, und von ebenso öfterem Gebrauche, als vor alten Zeiten das berüchtigte Loch in der Mauer der Thisbe. Dies hatte so seinen mancherlei guten Nutzen: denn auf diese Weise ward Fräulein Brittjen oft mit ihres Bruders Wünschen bekannt, ohne ihm die Mühe zu machen, ihr solche erst zu sagen. Wahr ist's, diese Vertraulichkeit hatte auch ihr Unangenehmes, und sie hatte bisweilen Ursache, mit der Thisbe beim Shakespeare auszurufen: »O böse, böse Mauer!« Denn da Herr Alwerth ein Friedensrichter war, so kamen in den Verhören über uneheliche Geburten und dergleichen zuweilen gewisse Dinge vor, die etwas sehr Beleidigendes für keusche jungfräuliche Ohren an sich haben, besonders wenn die Jungfrauen das Alter von vierzig erreichen, wie es der Fall mit Fräulein Brittjen war. Indessen hatte sie bei solchen Gelegenheiten den Vorteil, ihr Erröten vor den Augen der Männer zu verbergen, und De non apparentibus et non existentibus eadem est ratio. Auf deutsch: Wenn man ein Frauenzimmer nicht erröten sieht, so ist's so gut, als ob sie gar nicht errötet.

Beide zarte Jungfrauen beobachteten ein genaues Stillschweigen während des ganzen Auftritts zwischen Herrn Alwerth und der armen Sünderin; sobald er aber geendigt und der Inquisitor so weit entfernt war, daß er nichts mehr hören konnte, gab Jungfer Deborah dem Drange ihres Herzens Raum und ergoß sich in Ausrufung über die gütige Nachsicht ihres Herrn und besonders darüber, daß er das Mädchen durchwischen lassen, ohne den Namen des Kindes Vaters zu nennen, den sie, wie sie mit einem Eide beteuerte, heraus haben wollte, noch ehe die Sonne zur Ruhe ginge.

Bei diesen Worten entfaltete Fräulein Brigitta ihre Gesichtszüge in ein Lächeln (bei ihr eine sehr ungewöhnliche Sache); nicht daß ich wollte, mein Leser solle sich einbilden, es sei dies eins von jenen mutwilligen Lächeln gewesen, wovon sie Homer glauben machen will, es käme von der Venus her, wenn er diese die lächelliebende Göttin nennt; auch war es keins von jenen Lächeln, welche Ihro Gnaden Seraphina aus ihrer Loge im Schauspielhause umherwirft, und wofür Venus ihre Unsterblichkeit hingeben würde, wenn sie es nachmachen könnte. Nein! es war vielmehr eins von jenen Lächeln, wovon man glauben könnte, es sei von den grübchenvollen [33] Wangen der majestätischen Tysiphone oder von ihren gnädigen Fräulein Schwestern entlehnt.

Mit solch einem Lächeln also und mit einer Stimme süß melodisch wie ein Abendhauch des Boreas im angenehmen Monat November, verwies gar glimpflich Fräulein Brigitte der Jungfer Deborah ihre Neugierde; ein Fehler, der, wie es scheint, der letztern zu sehr anklebte, und welchen die erste mit großer Bitterkeit tadelte und hinzusetzte: sie danke dem Himmel, daß bei allen ihren Fehlern, ihre Feinde selbst sie nicht bezüchtigen könnten, daß sie sich in anderer Leute Sache mische und naseweis wäre.

Darauf fuhr sie fort, die Ehrlichkeit und den Mut zu loben, mit welchem Hannchen gesprochen hatte. Sie sagte: sie könne nicht umhin, mit ihrem Bruder dafür zu halten, es läge etwas Verdienstliches in der Aufrichtigkeit ihres Bekenntnisses und in der Treue des Worthaltens gegen ihren Liebhaber. Sie habe solche beständig für ein sehr gutes Mädchen gehalten und zweifle nicht, sie müsse durch irgend einen Schurken verführt worden sein, der unendlich viel strafbarer wäre, als das Mädchen, und der sie höchst vermutlich durch ein Eheversprechen oder ein anderes dergleichen heimtückisches Verfahren zu seinem Willen verleitet habe. Dies Betragen des Fräuleins machte Jungfer Deborah höchst bestürzt; denn dies wohlerzogene Frauenzimmer öffnete selten ihre Lippen, weder gegen ihren Herrn noch seine Schwester, sie habe denn vorher ihre Meinung ergründet, mit welcher dann ihre Aeußerungen allemal völlig übereinstimmend waren. Hier hatte sie indessen gedacht könne sie mit Sicherheit den ersten Ton angeben; und der scharfsinnige Leser wird sie vermutlich nicht dabei eines Mangels an entsprechender Vorsicht beschuldigen, sondern vielmehr bewundern, mit welch unglaublicher Schnelligkeit sie den Ton veränderte, als sie merkte, sie habe nicht die rechte Modulation getroffen.

»Nein, gnädiges Fräulein,« sagte dieses geschickte und wirklich sehr staatskundige Frauenzimmer, »das muß ich gestehen, ich kann den Mut des Mädchens nicht genug bewundern, so wenig als 'R Gnaden, und wie 'R Gnaden sagen, wenn sie betrogen ist, von 'm Schurken von Kerl, so muß man das arme Mensch bedauern; und gewiß genug, wie 'R Gnaden sagen, das Mädchen hat mir immer geschienen wie ein gut, ehrlich, bescheiden Mädel, und nicht breitthuerisch mit ihrem Gesicht wie wohl andre schnippsche Flirtgen in unsrer Nachbarschaft.«

»Sie hat recht, Deborah,« sagte Fräulein Brigitte, »wäre das Mädchen eins von den eiteln Schlumpen gewesen, deren wir nur zu viel im Kirchspiel haben, so hätt' ich meinen Bruder wegen seiner Gelindigkeit gegen sie selbst getadelt. Ich sah neulich zwei Pachterstöchter [34] in der Kirche mit bloßem Busen; gewiß, ich ärgerte mich erschrecklich darüber! Wenn die Menscher Lockspeise für die Kerls auswerfen, so mögen sie auch wieder leiden, was recht ist. Solche Kreaturen hass' ich; und es wäre viel besser für sie gewesen, wenn die Blattern ihnen dicke Säume ins Gesicht genähet hätten. Aber das muß ich bekennen, an Hannchen hab' ich niemals ein solches üppiges Betragen wahrgenommen. Ich bin überzeugt, ein listiger Schuft muß sie betrogen haben, vielleicht hat er gar Gewalt gebraucht, und ich bedaure das arme Mädchen von ganzem Herzen!«

Jungfer Deborah gab allen diesen Meinungen Beifall, und der Dialog endigte mit allgemeinem und bitterem Schmälen auf Schönheit und mit mitleidsvollem Bedauern aller ehrlichen bescheidenen Mädchen, welche durch die gottlosen Künste ränkevoller Mannspersonen verführt werden.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Enthält Materien, welche des Lesers Erstaunen erregen werden.


Hannchen ging wieder nach Hause, ganz vergnügt über die Aufnahme, die ihr von Herrn Alwerth widerfahren war, dessen ihr erwiesene Güte sie mit bestem Fleiß öffentlich bekannt machte; teils vielleicht als ein Opfer, das sie ihrer eigenen Eitelkeit brachte, und teils aus der klüglichern Absicht, ihre Nachbarn mit sich auszusöhnen und ihr Gerede zum Schweigen zu bringen.

Allein obgleich diese letztere Absicht, wenn sie solche wirklich hatte, vernünftig genug scheinen mag, so entsprach doch der Erfolg keineswegs ihrer Erwartung; denn obgleich, als sie vor den Friedensrichter geladen ward, die allgemeine Vermutung dahin ging, sie würde nach einem Zucht- oder Spinnhause wandern müssen; – und einige junge Dirnen ausriefen: »das wär' ihr schon recht!« und sich mit dem Gedanken kitzelten, wie es Hannchen lassen würde, wenn sie in einem seidnen Kleide Hanf klopfte; – so gab's doch viele, welche anfingen, ihren Zustand zu bedauern: als es aber bekannt wurde, auf was Weise Herr Alwerth die Sache aufgenommen hatte, da kehrte sich das Gerede durchaus gegen sie. Die eine sagte: »ja, ja, Mamsell hat von Glück zu sagen, wahrhaftig!« Eine zweite schrie: »da sieht man's! Gunst geht über Kunst!« Und eine dritte: »ja, das kommt von ihrer Gelehrsamkeit!« Jedermann machte diese oder jene hämische Anmerkung, und alle stichelten auf die Parteilichkeit des Richters.

[35] Das Betragen dieser Leute mag dem Leser unbesonnen und undankbar scheinen, wenn er an die Gewalt und Wohlthätigkeit des Herrn Alwerths denkt; allein, was seine Gewalt betrifft, so bediente er sich derselben niemals; und seine Wohlthätigkeit die übte er dermaßen, daß er dadurch alle seine Nachbarn gegen sich aufbrachte: denn es ist ein allen großen Männern wohlbekanntes Geheimnis, daß sie durch erwiesene Dienstleistung nicht immer einen Freund gewinnen, aber gewiß sich manche Feinde machen.

Indessen ward Hannchen durch die Vorsorge und Güte des Herrn Alwerth an einen Ort geführt, wo sie die bösen Zungen nicht weiter erreichen konnten; und als die Bosheit ihre Wut nicht länger an Hannchen auslassen konnte, fing sie an, einen andern Gegenstand ihrer Verleumdung zu suchen, und dies war kein geringerer, als Herr Alwerth selbst; denn es ging bald ein Geflüster umher, daß er selber der Vater des Findlings sei. Diese Mutmaßung vertrug sich nach der allgemeinen Meinung so wohl mit seinem Betragen, daß sie durchgängig Beifall fand; und das Geschrei gegen seine Sanftmut begann eine andere Wendung zu nehmen und verwandelte sich in Beschuldigung und Beschwerden über die Grausamkeit gegen die arme Dirne. Sehr ernsthafte gute Weiber schmälten auf solche Männer, welche erst Kinder zeugten und sie dann verleugneten. Auch fehlte es nicht an einigen, welche nach Hannchens Abreise zu verstehen gaben, sie wäre hinweggedräuet worden aus einer Absicht, die zu schwarz wäre, um sie zu nennen; und diese ließen sich nicht selten verlauten, die ganze Sache wäre einer richterlichen Untersuchung wohl wert, und gewisse Leute sollten mit Gewalt angehalten werden, das Mädchen wieder ans Tageslicht zu bringen.

Diese Verleumdungen hätten vermutlich für eine Person von einem zweideutigern und verdächtigern Charakter als Herrn Alwerth seiner war, böse Folgen hervorbringen können, (wenigstens würden sie Unruhen und Mißvergnügen veranlaßt haben) allein in diesem Falle thaten sie keine solche Wirkung; und weil er sie herzlich verachtete, so dienten sie bloß zum unschuldigen Zeitvertreib für die guten Plauderschwestern in der Nachbarschaft.

Da wir indessen nicht wohl zu erraten vermögen, von was für einer Gemütsfarbe unser Leser ist, und da einige Zeit darüber hingehen wird, bevor wir etwas weiter von Hannchen zu hören bekommen, so halten wir für ratsam, ihm hier so geschwind als möglich die Anzeige zu thun, daß Herr Alwerth, wie sich in der Folge weiter zeigen wird, nicht der geringsten strafbaren Absicht schuldig war. Er hatte in der That nichts weiter als einen politischen Irrtum begangen, da er Gerechtigkeit mit Barmherzigkeit milderte und sich[36] nicht entschließen konnte, die gutherzige Neigung des Pöbels 1 zu befriedigen, indem er ihnen in Hannchens Person einen Gegenstand verschaffte, an dem sie ihr Mitleid üben könnten; denn um sie bedauern zu können, hätte dieser gutherzige Pöbel gewünscht, sie wäre nach dem Werkhause geschickt und solchergestalt durch eine schimpfliche Strafe in äußerste Not, Schande und Elend versetzt worden. Entfernt also, sich dieser Neigung zu fügen, wodurch alle Hoffnung der Besserung vernichtet und ihr selbst die Thüren verschlossen geworden, wenn ihre eigene Neigung sie nachher wieder auf den Pfad der Tugend leiten wollen, war Herr Alwerth vielmehr bedacht, das Mädchen durch die einzig möglichen Mittel zu dieser Rückkehr zu ermuntern. Denn ich fürchte, es sei nur allzu wahr, daß manches Weibsbild gerade dadurch in Liederlichkeit geraten und zur tiefsten Stufe des Lasters herabgesunken ist, weil sie ihren ersten Fehltritt zu verbessern unfähig war. Dies wird, fürcht' ich, allemal der Fall sein, solange solche unglückliche Personen unter ihren vorigen Bekannten bleiben. Von Herrn Alwerth war es deshalb sehr weise gethan, daß er Hannchen nach einem Orte schaffte, wo sie das Vergnügen eines guten Leumunds genießen konnte, nachdem sie die kränkenden Folgen seines Verlustes gekostet hatte.

Nach diesem Orte (mag sein, welcher er will) wollen wir ihr eine glückliche Reise wünschen, und für jetzt sowohl von ihr als dem kleinen Findling, ihrem Kinde, Abschied nehmen, weil wir dem Leser Sachen von größerer Wichtigkeit mitzuteilen haben.

Fußnoten

1 So oft dies Wort in unsern Schriften vorkommt, bezeichnet es Personen ohne Tugend und Verstand unter allen Ständen, und zuweilen werden dadurch viele vom höchsten Range gemeint.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Alwerths Gastfreundschaft; nebst einem kurzen Entwurf des Charakters zweier Brüder, eines Geistlichen und eines Offiziers, welche Alwerths Gastfreunde waren.


Alwerths Haus, so wenig als sein Herz, waren vor irgend einem Teile der Menschenkinder verschlossen; besonders aber standen sie Männern von Verdiensten offen. Die Wahrheit zu sagen, war dieses das einzige Haus im Königreiche, wo man bloß deswegen eine Mahlzeit zu genießen hatte, weil man solcher wert war.

Vor allen andern teilten Männer von Talenten und Gelehrsamkeit den vornehmsten Platz in seiner Zuneigung; und auf diese [37] verstand er sich sehr gut: denn, ob er gleich nicht den Vorteil einer gelehrten Erziehung genossen hatte, so waren doch seine natürlichen Fähigkeiten genügend, durch eine ununterbrochene obgleich späte Anstrengung und durch häufigen Umgang mit den ausgezeichnetsten Gelehrten es dahin zu bringen, daß er in den meisten Zweigen der Litteratur als ein zulässiger Richter erkannt werden konnte.

Kein Wunder ist es, daß zu einer Zeit, wo diese Art von Verdienst so wenig nach der Mode ist und wo so wenig Rücksicht darauf genommen wird, Männer, die es besitzen, sich so pferchgierig nach einem Orte drängen, wo sie sicher sind, mit so vielem Wohlgefallen aufgenommen zu werden; wo sie wirklich fast eben die Bequemlichkeiten einer wohlhabenden Wirtschaft genießen können, als ob sie ein unstreitiges Erbschaftsrecht darauf hätten: denn Herr Alwerth war keineswegs einer von diesen großmütigen Personen, welche bereit und willig sind, Männer von Witz und Gelehrsamkeit aus höchster Milde mit Essen, Trinken und Wohnung zu belehnen, und dagegen keine andere Gegenleistung fordern als Unterhaltung, Unterricht, Schmeichelei und Unterthänigkeit; oder kurz, daß besagte Männer die Zahl der Diener des Hauses vermehren ohne die Livree ihres Herrn zu tragen und ohne von ihm Jahrlohn zu bekommen.

In diesem Hause war vielmehr jeder Fremde oder Besuchende völlig Herr seiner Zeit, und so wie er alle seine Wünsche befriedigen konnte, die nicht von den Gesetzen der Tugend und Religion verboten waren, so konnt' er auch, sobald es seine Gesundheit erforderte oder wenn ihn seine Neigung zur Mäßigkeit oder gar zur Enthaltsamkeit antrieb, von jeder Mahlzeit wegbleiben oder solche verlassen, wenn ihm dazu die Lust ankam, ohne mit Nötigen geplagt zu werden: denn in der That hat das Nötigen der Vornehmen beständig einen starken Anstrich von Befehlen. Hier hingegen war jedermann vor dieser groben Höflichkeit sicher, nicht nur diejenigen, deren Gesellschaft auch an allen andern Orten wegen Gleichheit der Glücksumstände für Ehre und Gefälligkeit geachtet wird, sondern selbst jene, welche wegen ihrer dürftigen Umstände solche Häuser gern als milde Stiftungen benutzen, und welche an den Tafeln großer Herren eben deswegen weniger willkommen sind, weil gerade sie solcher bedürfen.

Unter andern von dieser Gattung war Doktor Blifil, ein Mann, der das Unglück gehabt hatte, durch den Eigensinn seines Vaters die Vorteile großer Geistesgaben zu verlieren, weil er ihn zu einer Profession erziehen wollte, wozu er keine Lust hatte. Aus Gehorsam gegen diesen Eigensinn war der Doktor in seiner Jugend genötiget gewesen, die Arzneikunde zu studieren, oder um besser zu sagen, sollte er sie noch studieren; denn in der That waren Bücher [38] in diesem Fache beinahe die einzigen, mit denen er unbekannt war; und zum Unglück für ihn war der Doktor Meister in fast jeder andern Wissenschaft, nur nicht in der, mit welcher er sein Brot verdienen sollte; wovon dann die Folge war, daß der Doktor in seinem vierzigjährigen Alter kein Brot zu essen hatte.

Ein solcher Mann wie dieser war sicher, eine freundliche Aufnahme an Herrn Alwerths Tafel zu finden, welcher Unglück allemal für eine Empfehlung hielt, wofern nur die Person sich solches nicht selbst zugezogen hatte, sondern durch die Thorheit oder Bosheit anderer litt. Neben diesem negativen Verdienste hatte der Doktor auch eine positive Empfehlung: diese war ein großer Anschein von Religion. Ob diese Religion wirklich war, oder nur im Schein bestand, das getrau' ich mir nicht zu sagen, weil ich keinen Probierstein besitze, womit ich die wahre von der falschen unterscheiden könnte.

Wenn dieser Zug in Doktor Blifils Charakter Herrn Alwerth gefiel, so entzückte er Fräulein Brigitta. Sie ließ sich in manchen Religionsstreit mit ihm ein, bei welchen Gelegenheiten sie beständig eine große Zufriedenheit über des Doktors Gelehrsamkeit äußerte, und keine viel geringere über die Komplimente, die er ihr öfters über ihre eigene machte. Die Wahrheit zu sagen, so hatte sie viel theologische Bücher in ihrer Muttersprache gelesen und mehr als einem benachbarten Pfarrer was zu schaffen gemacht. In der That war ihre gesellschaftliche Unterhaltung so rein, ihr Blick so unschuldig, und ihr ganzes Betragen so feierlich und ernsthaft, daß sie den Geruch der Heiligkeit ebensogut verdiente, als jene, von der sie den Namen führte, oder als irgend eine Heilige im römischen Kalender.

So wie Sympathien aller Art gerne Liebe gebären, so lehrt uns auch die Erfahrung, daß keine unter allen so geradezu auf diese Erzeugung hinwirkt, als Sympathien von religiöser Art zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte. Der Doktor fand, er sei dem Fräulein Brittjen so angenehm, daß er jetzt anfing, einen unglücklichen Zufall, der ihm vor ungefähr zehn Jahren begegnet war, zu beklagen; nämlich seine Heirat mit einer andern Frau, die nicht nur noch wirklich am Leben, sondern was noch schlimmer, dem Herrn Alwerth als noch lebend bekannt war. Dies war ein verwünschter Riegel gegen die Glückseligkeit, welche er sonst bei dieser jungen Dame zu erlangen hinlängliche Wahrscheinlichkeit sah; denn was sträfliche Lüste und Begierden anbelangt, die stiegen gewiß nicht bei ihm auf. Und dies war entweder die Wirkung seiner Religion, wie sehr wahrscheinlich ist, oder der Reinheit seiner Leidenschaft, welche auf solche Dinge gerichtet war, wozu ihm allein der [39] Ehestand und keineswegs ein strafbares Liebesverständnis verhelfen oder ein Recht geben konnte.

Er hatte nicht lange über diese Sache nachgegrübelt, als er sich erinnerte, daß er einen Bruder habe, dem diese böse Unfähigkeit nicht anklebte. Er zweifelte nicht, es würde diesem Bruder glücken; denn er glaubte zu bemerken das gnädige Fräulein sei nicht ohne Neigung zum heiligen Ehestande, und der Leser wird vielleicht, wenn er die Eigenschaften des Bruders vernimmt, die Zuversichtlichkeit nicht tadeln, womit er seinem Bruder einen guten Ausgang prophezeite.

Dieser Herr war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt. Er war von mittlerer Statur, und das, was man wohlgebaut nennt; er trug eine Narbe an der Stirn, welche weniger seiner Schönheit schadete, als von seiner Tapferkeit zeugte (denn er war Offizier und stand auf halbem Sold), er hatte gute Zähne, und wenn er wollte etwas Freundliches in seinem Lächeln. Obgleich von Natur sein Anstand, seine Mienen und sein Blick viel Rauhes hatten, so konnt' er doch dieses Rauhe jede Minute ablegen und ganz freundlich und wohlaufgeräumt scheinen. Es mangelte ihm nicht an guter Lebensart, auch nicht völlig an Witz, und in seiner Jugend hatte er manchen lustigen Streich vollführt; nun hatte er zwar seit kurzem einen ernsthafteren Charakter angenommen, aber wenn er wollte, konnte er wieder spaßhaft genug sein.

Er hatte ebenso wie der Doktor eine akademische Erziehung gehabt, denn sein Vater bestimmte ihn, aus eben der väterlichen Macht und Gewalt, deren wir vorhin erwähnt haben, zum geistlichen Stande. Da aber der alte Herr das Zeitliche segnete, bevor der Sohn ordiniert war, so wählte er Degen und Kokarde für Mantel und Kragen, und zog ein Offizierpatent vom Könige der Vokation zu einem Pfarrdienst vor.

Er hatte sich eine Leutnantsstelle unter den Dragonern gekauft, und brachte es hernach bis zum Kapitän. Weil er aber mit seinem Oberst Händel anfing, ward er genötigt seine Kompanie zu verkaufen, von welcher Zeit an er denn ein völliges Philisterleben geführt, sich aufs Lesen der heiligen Schrift gelegt hatte, und wegen eines Hanges zur Pietisterei eben nicht verdächtig war.

Es schien daher nicht unmöglich, daß ein solcher Mann bei einer Dame von so gottesfürchtiger Gesinnung, und deren Herz, außer einem Zuge zum heiligen Ehestande, überhaupt von keiner Sympathie zu einem besondern Gegenstand gefesselt war, sein Glück machen würde; warum aber der Doktor, der gewiß keine große Freundschaft für seinen Bruder hegte, doch seinetwegen darauf dachte, die Gastfreundschaft des Herrn Alwerth mit solchem Undank zu belohnen, das ist ein Punkt, der sich nicht so leicht aufklären läßt.

[40] Gibt es wirklich einige Gemüter, die ihr Vergnügen ebenso im Unheilstiften suchen, wie andere, von denen man denken muß, daß sie es in der Tugend und im Wohlthun finden; oder steckt darin ein Vergnügen, bei einem Diebstahle, den man nicht selbst begehen kann, ein Helfershelfer zu sein? Oder endlich (welches die Erfahrung sehr wahrscheinlich zu machen scheint) finden wir einen Wohlgefallen darin, unsere Anverwandten emporzubringen, selbst dann, wenn wir nicht die geringste Liebe und Achtung für sie hegen?

Ob einer von diesen Bewegungsgründen auf den Doktor wirkte, das wollen wir nicht entscheiden, aber so verhielt sich die Sache. Er schickte nach seinem Bruder und fand leicht Gelegenheit, ihn dem Herrn Alwerth als eine Person vorzustellen, die ihm nur einen kurzen Besuch zu machen gedächte.

Der Kapitän war noch keine Woche im Hause gewesen, als der Doktor Ursache fand, sich über seine Menschenkenntnis Glück zu wünschen. Der Kapitän war wirklich ein ebenso großer Meister in der Kunst zu lieben, als vor alten Zeiten Ovid. Obendrein hatte er noch einige nötige Fingerzeige von seinem Bruder erhalten, die er nicht ermangelte zu seinem besten Vorteile anzuwenden.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Enthält viele Regeln und einige Beispiele für Liebeslustige: Beschreibung von Schönheit und andern klugheitsgemäßeren Verleitungen zum Ehestande.


Es ist von weisen Männern oder Weibern, ich habe vergessen von wem von beiden, angemerkt worden, daß alle Menschen einmal in ihrem Leben verliebt zu werden verurteilt sind. Ein gewisses Alter ist, soviel ich mich erinnere, dafür nicht festgesetzt; das Alter aber, welches Fräulein Brittjen erreicht hatte, scheint mir zu dieser Bestimmung eine ebenso schickliche Periode zu sein, als irgend eine andere; freilich tritt sie oft viel früher ein, wenn das aber nicht geschieht, so habe ich bemerkt, fehlt's um diese Zeit selten oder gar niemals. Wir können noch ferner bemerken, daß in diesem Alter die Liebe von ernsthafterer und stetigerer Natur sei, als die, welche sich zuweilen in jüngern Jahren des Lebens blicken läßt. Die Liebe junger Dirnen ist zu schwankend, grillenhaft, eigensinnig und läppisch, daß wir nicht allemal entdecken können, was das junge Ding eigentlich will; ja man kann fast zweifeln, ob sie's auch allemal selbst wisse.

Nun aber sind wir bei einem Frauenzimmer von vierzigen hierüber [41] nie in Verlegenheit; denn da solche ernsthafte, bedächtige und wohlerfahrene Personen wohl wissen, was sie selbst wollen, so ist es einem Manne vom geringsten Scharfsinne um so leichter, es mit der höchsten Gewißheit zu entdecken.

Fräulein Brigitta ist ein Beispiel von allen diesen Beobachtungen. Sie war noch nicht lange in der Gesellschaft des Kapitäns gewesen, als sie von dieser Leidenschaft befallen wurde. Sie ging auch nicht lange welk und wimmernd im Hause herum wie ein unreifes, närrisches Mädchen, das nicht weiß, was und wo es ihm fehlt; sie fühlte, sie kannte, und genoß die angenehme Empfindung, die sie ebensowenig fürchtete, als sich ihrer schämte, da sie wohl wußte, daß sie nicht nur unschuldig wäre, sondern sogar auf ganz löbliche Endzwecke ginge.

Und die Wahrheit zu sagen, befindet sich durchgehends ein großer Unterschied wischen der vernünftigen Leidenschaft, welche Jungfrauen von diesem Alter zu Mannspersonen befällt, und der eiteln kindischen Liebelei eines Mädchens gegen einen Knaben, welche öfters nur auf das bloße Aeußerliche und auf dergleichen Dinge von geringem Werte und keiner Dauer hinaus geht; als da sind: rosenrote Wangen, kleine, lilienweise Hände, schleenschwarze Augen, fliegende Haarlocken, Daunenfedern, sprossendes Kinn, ein gedrungener Wuchs, ja zuweilen auch Reize von noch geringerem Werte als diese, und noch weit weniger ein wirkliches Eigentum des Burschen; der gleichen als äußere Verzierungen der Person, welche er dem Schneider, dem Spitzenwirker, dem Friseur, dem Hutmacher, der Stickerin und nicht der Natur zu verdanken hat. Solcher Leidenschaften mögen die Mädchen sich freilich wohl schämen, wie sie gewöhnlich thun, sich selbst oder andern zu gestehen.

Die Liebe des Fräulein Brigitta war von einer andern Art. Der Kapitän hatte in seinen Kleidungen jenen Stutzerschöpfern nichts zu verdanken; und auch seine Person war der Natur eben nicht viel mehr schuldig. Seine Person und Kleidung waren so beschaffen, daß, wären sie in einer Assemblee oder in einem Zirkel bei Hof erschienen, sie das Gelächter und die Verachtung aller feinen Damen auf sich gezogen hätten. Die letzte war in der That reinlich, aber schlichtweg von altem Schnitt, grob und außer der Mode; die erste so, wie wir solche ausdrücklich oben beschrieben haben. Die Haut seiner Wangen war so weit von der Rosenfarbe entfernt, daß man nicht einmal unterscheiden konnte, von was für einer natürlichen Farbe seine Wangen wären, weil ein schwarzer Bart, der bis an die Augen hinaufreichte, solche völlig bedeckte. Sein Wuchs und seine Gliedmaßen waren allerdings von richtigem Verhältnis, aber so plump, daß sie vielmehr die Stärke [42] eines Pflugtreibers als eines Städters verrieten. Seine Schultern waren über alle Maßen breit und seine Waden dicker als die Waden eines Sänftenträgers. Kurz, seine ganze Person hatte nichts von der zierlichen Schönheit, welche gerade das Gegenteil von plumper Stärke ist und welche die meisten unserer feinen Herren vom Stande so anmutiglich schmückt und die sie großenteils dem hohen Blute ihrer Anherren zu verdanken haben; das heißt, dem Blute, welches sich von hochgewürzten Brühen, edlen Weinen und teils durch eine frühzeitige Hof- und Stadterziehung absondert.

Obgleich Fräulein Brigitta eine Dame von höchst delikatem Geschmack war, so fand sie doch den Umgang des Kapitäns so reizend, daß sie die Fehler seiner Person völlig übersah. Sie bildete sich ein und das vielleicht sehr weislich, daß sie mit dem Kapitän mehr angenehme Minuten genießen würde als mit einem viel hübschern jungen Burschen; und achtete nicht auf das, was ihren Augen gefallen möchte, um sich eine viel gegründetere Zufriedenheit zu verschaffen. Der Kapitän merkte nicht so bald Fräulein Brigittens edle Leidenschaft (in welcher Entdeckung er sehr schnellsichtig war), als er solche treulich erwiderte. Die Dame war ebensowenig als ihr Geliebter von sehr auffallender Schönheit. Ich würde versuchen, ihr Porträt zu entwerfen, wenn das nicht bereits von einem geschicktern Meister, vom großen Hogarth selbst geschehen wäre, dem sie vor verschiedenen Jahren zu dieser Zeichnung saß, welche Zeichnung von diesem großen Kupferstecher neulich in einem Blatte bekannt gemacht ist, das der Wintermorgen heißt und wovon sie kein unschickliches Sinnbild war. Auf diesem Blatte kann man sie nach Koventgarden-Kirche gehen sehen (denn auf dem Blatte ist sie gehend dargestellt) mit einem verhungerten Diener hinter sich, der ihr das Gebetbuch nachträgt.

Der Kapitän gab ebenfalls mit überlegender Weisheit dem solideren Genuß, den er sich mit dieser Dame versprach, vor den vergänglichen Reizen der Person den Vorzug. Er war einer von den weisen Männern, welche die Schönheit am weiblichen Geschlecht als eine sehr wertlose und unbedeutende Eigenschaft betrachten oder, um es der Wahrheit gemäßer zu sagen, welche lieber alle Bequemlichkeiten des Lebens mit einer häßlichen Gattin, als eine schöne Ehefrau ohne alle jene Bequemlichkeiten besitzen wollen; und da er einen sehr guten Appetit besaß und eben nicht lecker war, so dünkte ihn, er wolle beim Ehestandsmahle seine Rolle recht gut spielen, ohne eben der Schönheitsbrühe zu bedürfen.

Um mit dem Leser ganz ehrlich umzugehen, wollen wir ihm sagen, daß der Kapitän sogleich nach seiner Ankunft wenigstens von dem Augenblick an, da ihm sein Bruder die ersten Vorschläge gethan [43] hatte und lange vorher noch, eh er einige schmeichelhafte Anzeichen an Fräulen Brittja entdeckte, heftig verliebt worden war: nämlich in Herrn Alwerths Häuser, Gärten, Ländereien, Meiereien und was so zu der Erbschaft gehörte, in welches alles der Kapitän so innigst verliebt geworden, daß er sie höchst wahrscheinlicherweise erheiratet haben würde, wäre er auch genötigt gewesen, die Hexe von Endor als Zugabe mit in den Kauf zu nehmen.

Da also Herr Alwerth sich gegen den Doktor erklärt hatte, daß er gar nicht willens sei, eine zweite Frau zu nehmen; da seine Schwester seine nächste Verwandte war, und da ferner der Doktor ausfindig gemacht hatte, daß sein Vorsatz sei, wenn seine Schwester ein Kind bekäme, solches zum Erben einzusetzen, welches denn freilich die Gesetze ohne sein Zuthun würden befohlen haben: so hielten es der Doktor und sein Bruder für eine wohlthätige Handlung, einem menschlichen Geschöpfe sein Dasein zu geben, welches mit den wesentlichsten Mitteln zur Glückseligkeit so gar reichlich versehen sein würde. Alle Gedanken beider Brüder waren also darauf gerichtet, wie die Liebe dieses holdseligen Frauenzimmers zu gewinnen stehe.

Aber Madame Fortuna, die eine so zärtliche Mutter ist und oft mehr für ihre Augäpfelkinder thut, als solche verdienen oder nur wünschen, hatte so fleißig zum Besten des Kapitäns gewirkt, daß das Fräulein, unterdessen daß er Plänchen zur Ausführung seines Zweckes anlegte, mit ihm einerlei Verlangen empfand und ihrerseits darauf sann, wie sie dem Kapitän schicklicherweise Hoffnung machen könnte, ohne dabei zu vorschüssig zu scheinen; denn sie war eine strenge Beobachterin aller Regeln der Zucht und Ehrbarkeit. Dies gelang ihr indessen ohne viel Mühe; denn da der Kapitän beständig auf der Warte stand, so entwischte ihm kein Blick, Gebärde oder Wort.

Die Freude, welche der Kapitän über das holdselige Betragen des Fräulein Brigitta empfand, ward nicht wenig durch die Furcht vor Herrn Alwerth gemindert; denn ungeachtet seiner uneigennützigen Erklärung deuchte doch dem Kapitän, würde er, wenn es zur That käme, dem Beispiel der übrigen Weltmänner folgen und seine Einwilligung zu einer Verbindung versagen, die seiner Schwester in Ansehung der Glücksumstände so nachteilig wäre. Von was für einem Orakel er diese Meinung mitgeteilt erhalten hatte, das überlasse ich der Entscheidung des Lesers. Er sei aber dazu gekommen, wie er wolle, so setzte es ihn doch in nicht geringe Verlegenheit, wie er sein Benehmen so einrichten sollte, zu gleicher Zeit seine Neigung der Dame zu entdecken und ihrem Bruder zu verhehlen. Am Ende beschloß er, alle geheime Gelegenheiten wahrzunehmen, [44] wo er sich ihr als Verliebten zeigen konnte; in Gegenwart des Herrn Alwerth aber so zurückhaltend und so sehr auf seiner Hut zu sein als nur immer möglich; und dieses Betragen fand den höchsten Beifall des Bruders.

Er fand bald Mittel, seiner Schönen einen förmlichen Liebesantrag zu thun und von ihr eine Antwort in gehöriger Form zu erhalten; das heißt, eben die Antwort, welche vor etlichen tausend Jahren schon auf den ersten Antrag gegeben worden und welche seitdem allezeit durch eine ununterbrochene Tradition von Mutter auf Tochter gebracht ist. Sollte ich sie ins Lateinische übersetzen, so würde ich es durch zwei Worte, nolo episcopari, geben; eine bräutliche Redensart, die bei andern Gelegenheiten schon seit undenklichen Jahren her im Gebrauch ist.

Der Kapitän, wie er auch immer zu der Kenntnis gelangt sein mochte, verstand seine Schöne vollkommen richtig und wiederholte sehr bald darauf seine Anwerbung mit mehr Ernst und Wärme als vorher und ward abermals in gehöriger Form abgewiesen; so wie aber bei ihm das Verlangen immer dringender wurde, so nahm in eben dem Verhältnis bei der Dame die Heftigkeit im Verweigern immer mehr ab.

Um dem Leser damit keine Langeweile zu machen, daß wir ihn durch jeden Auftritt dieser Liebeshandlung hindurch führen (welche zwar nach der Meinung eines gewissen großen Gelehrten die behaglichste Szene des Lebens für die handelnde Person selbst ausmacht, dennoch für die Zuschauer vielleicht so schal und langweilig ist, als nur immer eine andre Szene sein kann), sagen wir hiermit in aller Kürze, der Kapitän machte seine Approchen nach den Regeln der Kunst in gehöriger Form; die Zidatelle ward in gehöriger Form verteidigt und ergab sich endlich in gehöriger Form auf Diskretion.

Während dieser ganzen Zeit, welche beinahe einen Monat betrug, beobachtete der Kapitän ein sehr ehrfurchtsvolles Bezeigen gegen das Fräulein, wann ihr Bruder zugegen war, und je weiter er es unter vier Augen mit ihr brachte, desto zurückhaltender betrug er sich gegen sie in Gesellschaft anderer Zeugen. Die holde Braut anlangend, so hatte sie nicht so bald den Geliebten in ihre sichere Gewahrsame gebracht, als sie sich gegen ihn in Gesellschaft mit dem höchsten Grade von Gleichgültigkeit betrug, so daß Herr Alwerth die Einsicht des Teufels (oder noch eine von seinen schlimmern Eigenschaften) hätte besitzen müssen, um den geringsten Argwohn von dem, was vorging, zu fassen.

Zwölftes Kapitel
[45] Zwölftes Kapitel.

Enthält, was vielleicht der Leser darin zu finden erwartet.


Bei allen Händeln, sei's, um sich zu schlagen oder zu verheiraten oder sonst dergleichen Geschäften, werden wenig vorläufige Zeremonien erfordert, um sie abzuthun, wenn es beiden Parteien damit ein wahrer Ernst ist. Dies war hier gegenwärtig wirklich der Fall und in weniger als einem Monate waren der Kapitän und seine Schöne Mann und Frau.

Nunmehr war der große Punkt, dem Herrn Alwerth die Sache beizubringen, und dies unternahm der Doktor.

Eines Tages also, da Herr Alwerth in seinem Garten spazieren ging, kam der Doktor zu ihm und sagte mit großer Ernsthaftigkeit in den Mienen und mit alle dem Kummer, den er nur in seinem Wesen nachzumachen vermochte: »Ich komme, lieber Herr Alwerth, Ihnen eine Sache von der größten Wichtigkeit vorzubringen; aber wie soll ich Ihnen da mitteilen, was mir fast den Kopf verwirrt, da ich nur dran denke!« Hierauf brach er in die bittersten Schmähungen aus, beides gegen Männer und Weiber; beschuldigte die ersten, ihr Sinnen und Trachten ginge bloß auf ihren Eigennutz, und die letztern, sie wären den verbotenen Neigungen so ergeben, daß man sie niemals mit Sicherheit einer Person des männlichen Geschlechts anvertrauen könnte. »Hätte ich's vermuten können, teuerster Herr Alwert, daß eine Dame von so kluger Vorsichtigkeit, so richtigem Urteile und solcher Gelehrsamkeit einer so unüberlegten Leidenschaft Raum geben würde; oder hätte ich mir einbilden können, daß mein Bruder – doch, was nenn' ich ihn Bruder? er ist mein Bruder nicht mehr –«

»Gewiß aber ist er das,« sagte Alwerth, »und der meinige dazu.« – »Ums Himmelswillen, Herr Alwerth,« sagte der Doktor, »wissen Sie die häßliche Geschichte?« – »Sehen Sie, lieber Doktor,« antwortete der gute Mann, »es ist beständig in meinem Leben hindurch meine Maxime gewesen, alles, was mir begegnet, von der besten Seite zu nehmen. Meine Schwester, ob sie gleich viele Jahre jünger ist als ich, ist dennoch wenigstens alt genug, um ihre eigene Vernunft brauchen zu können. Hätte er ein Kind überlistet, so würde es mir sauer geworden sein, ihm zu verzeihen. Von einem Frauenzimmer aber, die über die dreißig hinaus ist, muß man gewiß vermuten, daß sie unterscheiden könne, was sie am glücklichsten machen werde. Sie hat einen Mann von freiem Stande, obgleich nicht von völliger Gleichheit des Vermögens, geheiratet; [46] und insoferne der in ihren Augen solche Vollkommenheiten besitzt, welche jenen Mangel ersetzen, sehe ich keine Ursach, warum ich gegen ihre eigene Wahl von Glückseligkeit Einwendungen machen sollte; da ich ebenso wenig als sie mir einbilde, daß dieses Glück allein in unermeßlichen Reichtümern bestehe. Ich hätte vielleicht, nach meinen oft wiederholten Erklärungen, daß ich mir fast jede Verbindung gefallen lassen würde, erwarten dürfen, daß man mich bei dieser Gelegenheit zu Rate gezogen hätte; aber diese Art Angelegenheiten sind von sehr delikater Natur, und gewisse jungfräuliche Bedenklichkeiten lassen sich vielleicht nicht überwinden. Was Ihren Bruder betrifft, o habe ich wirklich ganz und gar keinen Widerwillen gegen ihn. Er hat gegen mich keine Verbindlichkeiten; ebensowenig, denke ich, lag es ihm ob, mich um meine Einwilligung zu ersuchen; weil meine Schwester, wie ich schon gesagt habe, sui juris ist und in dem erforderlichen Alter, um nur sich allein von ihrem Betragen Rechenschaft geben zu dürfen.«

Der Doktor wiederholte die vorigen Anklagen gegen seinen Bruder, beschuldigte Herrn Alwerth einer zu großen Nachgiebigkeit, und beteuerte, nichts sollte ihn wieder vermögen, ihn jemals wieder zu sehen oder für seinen Bruder zu erkennen. Er brach darauf in eine Lobrede über die Güte und Menschenliebe des Herrn Alwerth aus, erhob seine Freundschaft mit vielem Dank und Preise, und beschloß damit, daß er sagte: er werde es seinem Bruder niemals vergeben, daß er den Platz, den er in dieser Freundschaft erhalten, so aufs Spiel gesetzt habe.

Alwerth antwortete hierauf: »Hätte ich auch einigen Unwillen gegen Ihren Bruder gefaßt gehabt, so hätt' ich solchen doch niemals den Unschuldigen empfinden lassen: allein ich versichere Sie, ich weiß nichts von einem solchen Unwillen. Ich halte Ihren Bruder für einen Mann von Verstand und Ehrliebe. Ich mißbillige den Geschmack meiner Schwester nicht; will auch nicht zweifeln, daß sie gleichermaßen der Gegenstand seiner Neigungen sei. Ich habe immer dafür gehalten, Liebe sei der einzige Grund vom Glück des Ehestandes, weil nur sie diese warme und zärtliche Freundschaft erzeugen kann, welche allemal das Band dieser Vereinigung dauerhaft machen sollte, und nach meiner Meinung sind alle Heiraten, welche aus andern Beweggründen geschlossen werden, nicht wenig sündlich; sind eine Profanation einer sehr heiligen und feierlichen Handlung, und enden gewöhnlich in Kummer und Elend; denn wirklich können wir es eine Profanation nennen, wenn man diese so heilige Einrichtung in ein gottloses Opfer verwandelt, das man dem Geiz oder der Wollust darbringt: und was kann man besseres von solchen Eheverbindungen sagen, zu welchen sich Menschen durch [47] bloße Rücksichten auf eine schöne Person oder auf großes Vermögen verleiten lassen!

Es wäre falsch und thöricht zugleich, zu behaupten, daß Schönheit kein angenehmer Gegenstand fürs Auge und selbst einiger Bewunderung würdig sei.Schön ist ein Beiwort, dessen die heilige Schrift sich öfters bedient und allemal mit Ehren erwähnt. Ich selbst war so glücklich, eine Frau zu heiraten, welche von der Welt für hübsch geachtet wurde; und ich kann mit Wahrheit sagen, sie war mir dadurch desto lieber. Diesen Umstand aber zum einzigen Grunde der ehelichen Vereinigung machen, so heftig darnach gelüsten, daß man deswegen über alle Unvollkommenheit hinwegsieht, oder ihn so unbedingterweise zu verlangen, daß man darüber Religion, Tugend und Vernunft als unbedeutende Dinge achtet (welche doch ihrer Natur nach weit höhere Vollkommenheiten sind), bloß, weil die Person der äußerlichen Schönheit ermangelt; – dies kann sicherlich mit dem Charakter weder eines weisen Mannes noch eines guten Christen bestehen. Und vielleicht übertreibt man die Liebe des Nächsten, wenn man meint, solche Personen suchen durch ihre Verheiratung etwas mehr, als ihre fleischlichen Lüste stillen zu wollen, zu deren einzigen Befriedigung der Ehestand, wie uns gelehrt worden, gar nicht eingesetzt ist.

Was zunächst die Glücksumstände anbelangt, so kann vielleicht die weltliche Klugheit verlangen, solche einigermaßen in Betracht zu ziehen; und das möchte ich nicht so ganz platterdings verdammen. So, wie jetzt die Einrichtung der Welt besteht, erfordern die Bedürfnisse einer ordentlichen Haushaltung nebst der Sorge für Kinder eine kleine Rücksicht auf das, was man Glücksumstände nennt. Diese Vorsorge wird aber insgemein von Thorheit und Eitelkeit, welche unendlich mehr Bedürfnisse schaffen als die Natur, weit weit über die Grenzen des wirklich Notwendigen hinausgetrieben. Kutsche und Pferde für die Ehefrau und einen reichen Nachlaß für die Kinder hat die Gewohnheit auf das Verzeichnis des Unentbehrlichen gesetzt; und um dieses herbeizuschaffen, wird alles Uebrige, was wirklich dauerhaft, angenehm, tugendhaft und christlich ist, übersehen und vernachlässigt.

Und das in mancherlei Graden, wovon der letzte und höchste sich kaum von Wut und Unsinn zu unterscheiden scheint. Ich meine nämlich, wenn Frauenzimmer von unermeßlichem Reichtum mit solchen Personen unauflösliche Kontrakte eingehen, die ihnen zuwider sind und sein müssen; mit Narren und Taugenichtsen, um ihr jährliches Einkommen zu vermehren, das ohnedem schon größer ist, als selbst ihre Begierden zu befriedigen erfordert wird. Wirklich, wenn solche Menschen nicht für wahnsinnig geachtet sein [48] wollen, so müssen sie bekennen, daß sie sich nicht fähig fühlen, die Freuden der zärtlichsten Freundschaft zu schmecken, oder daß sie die größte Glückseligkeit, dafür sie freilich keinen Sinn haben, den eiteln, unsichern und unvernünftigen Gesetzen der Meinung des dummen Pöbels aufopfern, Gesetze, deren Kraft sowohl als Ursprung auf Thorheit beruht.«

Hier endigte Alwerth seinen Sermon, auf welchen Doktor Blifil mit der tiefsten Aufmerksamkeit gehorcht hatte; wiewohl es ihm einige Anstrengung kostete, von Zeit zu Zeit ein kleines unfreiwilliges Entfalten seiner Muskeln zu verhüten. Nun preisete er jede Periode von all dem, was er gehört hatte, mit der Wärme eines angehenden Kandidaten der heiligen Gottesgelahrtheit, dem die Ehre widerfährt, an eben dem Tage bei dem Herrn Generalsuperintendenten zu speisen, an welchem Se. Magnifizenz die Kanzel bestiegen haben.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Welches das erste Buch beschließet; daneben ein Beispiel von Undankbarkeit, welches, wie wir hoffen, unnatürlich scheinen soll.


Aus dem, was wir beigebracht haben, wird der Leser schon einsehen, daß die Aussöhnung (wenn man's einmal so nennen kann) bloß der Form nach stattfand; wir wollen sie also überschlagen und zu etwas Anderem eilen, das man gewiß für sehr wesentlich achten wird.

Der Doktor hatte seinen Bruder mit dem, was zwischen ihm und Herrn Alwerth vorgefallen war, bekannt gemacht und setzte mit einem schmunzelnden Lachen hinzu: »Ich meine nur, ich hatte dir die volle Ladung gegeben! Ja, ich verlangte ausdrücklich, der ehrliche Junker sollt's dir nicht verzeihen, denn du weißt, nachdem er sich einmal dir zu gunsten erklärt hatte, konnte ich bei einem Menschen von seiner Gemütsart ein solches Begehren mit aller Sicherheit wagen; und es war mir daran gelegen, sowohl deinet-als meinetwegen, der geringsten Möglichkeit eines Verdachts vorzubeugen.«

Kapitän Blifil schien damals gar nicht acht hierauf zu geben, in der Folge aber machte er davon einen höchst wichtigen Gebrauch.

Eine von den Maximen, welche der Satan bei seinem letzten Umherzug auf Erden seinen Jüngern hinterließ, heißt: Wirf den Stuhl mit dem Fuße um, wenn du nicht selbst mehr sitzen magst; [49] oder deutlicher: Wenn du durch Beihilfe eines Freundes dein Glück gemacht hast, so laß dir raten, und setz' ihn beiseite, sobald du kannst.

Ob der Kapitän sich diese Maxime deutlich dachte, mag ich nicht gewiß bestimmen; so viel aber läßt sich mit Zuversicht sagen, daß seine Handlungen ohne alle List und Gefährde von diesem satanischen Grundsatze hergeleitet werden können, und in Wahrheit möchte es schwer halten, irgend einen andern Bestimmungsgrund dafür aufzufinden; denn kaum war er im Besitz seiner teuren Brigitta und ausgesöhnt mit Alwerth, als er begann, seinem Bruder eine ziemlich kalte Miene zu zeigen, die dann täglich zunahm, bis sie zuletzt Grobheit und jedermann sehr sichtbar wurde.

Der Doktor machte ihm insgeheim über dies Benehmen Vorstellung, konnte aber keine andere Genugthuung erlangen, als die folgende trockene Erklärung: »Wenn dir in meines Schwagers Hause irgend etwas nicht nach dem Kopfe ist, Bruder, so weißt du, daß dir's frei steht, es zu meiden.« Diese unerhörte, grausame und fast unbegreifliche Undankbarkeit des Kapitäns ward dem Doktor ordentlich ein Nagel zu seinem Sarge. Denn Undank durchbohrt das menschliche Herz niemals tiefer, als wenn er von solchen Personen erwiesen wird, welchen zu Gefallen man über die Grenzen der Redlichkeit hinausgeschritten ist. Große und edle Handlungen mögen von denen, zu deren Besten man sie gethan hat, aufgenommen und vergolten werden wie sie wollen, ihr Bewußtsein gibt uns immer einigen Trost; was für Beruhigung aber können wir in einem so stechenden Jammer finden, welchen die undankbare Begegnung unsres Freundes verursacht, wenn unser verletztes Gewissen zu gleicher Zeit sich gegen uns empört und uns darüber schilt, daß wir es im Dienste eines so Unwürdigen befleckt haben?

Herr Alwerth sprach selbst mit dem Kapitän zum Besten seines Bruders und verlangte zu erfahren, was für ein Versehen der Doktor begangen habe? Da beging denn der hartherzige Bösewicht die Niederträchtigkeit, zu sagen, daß er ihm niemals die Anschwärzung vergeben würde, wodurch er ihn aus Herrn Alwerths Gunst zu setzen getrachtet habe; welche er, wie er vorgab, aus ihm herausgelockt hätte, und eine solche Grausamkeit wäre, die keine Verzeihung stattfinden ließe.

Alwerth sprach in sehr scharfen Ausdrücken über diese Erklärung, welche, wie er sagte, keinem menschlichen Geschöpfe geziemte. Er zeigte wirklich einen so ernstlichen Unwillen gegen ein unversöhnliches Gemüt, daß sich der Kapitän endlich stellte, als hätten ihn seine Gründe überzeugt, und äußerlich that, als wäre er versöhnt.

[50] Was die neue Ehegattin anbelangt, so schwebte die jetzt in ihren Flitterwochen, und war so inniglich in ihren Gemahl verliebt, daß er ihr nie Unrecht haben zu können schien und sein Mißvergnügen über irgend eine Person war für sie ein hinreichender Grund, ihm völlig beizutreten.

Der Kapitän war auf Alwerths Vorstellung, wie wir gesagt haben, dem äußern Ansehen nach mit seinem Bruder ausgesöhnt; aber der alte Groll steckte ihm im Herzen; und er fand so manche Gelegenheit, ihm hievon insgeheim Winke zu geben, daß dem armen Doktor zuletzt das Haus ganz unerträglich ward, und er sich lieber allen Unbequemlichkeiten, die ihn in der Welt betreffen möchten, preisgeben, als noch länger diese grausamen und undankbaren Beleidigungen von einem Bruder erdulden wollte, für den er so viel gethan hatte.

Einst war er willens, Herrn Alwerth die ganze Beschaffenheit der Sache zu entdecken; allein er konnte es nicht über sich gewinnen, ein Geständnis zu thun, wodurch er einen so großen Teil des Vergehens auf sich selbst laden mußte. Dazu kam, daß je schwärzer er Herrn Alwerth seinen Bruder abmalte, solchem sein eigenes Verschulden um so viel größer erscheinen müsse und sein Zorn, wie er Ursache hatte sich einzubilden, um so heftiger sein würde.

Er gab also Geschäfte vor als eine Entschuldigung seiner Abreise und versprach, bald wieder zu kommen, und nahm mit so viel verstellter Freundlichkeit von seinem Bruder Abschied, daß, weil der Kapitän seine Rolle ebenso meisterhaft spielte, Alwerth an der Aufrichtigkeit ihrer Versöhnung nicht im geringsten zweifelte.

Der Doktor reiste geradenwegs nach London, woselbst er bald darauf an heimlichem Kummer starb; eine Krankheit, welche weit mehr Menschen wegrafft, als man insgemein glaubt, und einen gegründeten Anspruch auf eine Rubrik in den Sterbelisten hätte, wenn sie sich nicht durch einen Umstand von allen andern Krankheiten unterschiede, dadurch nämlich, daß kein Arzt sie heilen kann.

Jetzt, nachdem ich das vorherige Leben beider Brüder aufs fleißigste erforscht habe, finde ich, außer der oben angezeigten verdammten und höllischen Maxime der Politik, noch eine andere Ursache für die Aufführung des Kapitäns. Der Kapitän war neben dem, was wir vorher von ihm sagten, ein Mann von großem Stolz und Trotze, und hatte seinem Bruder, der von einer entgegengesetzten Gemütsart war und dem es sehr an jenen beiden Eigenschaften fehlte, beständig mit einem gebieterischen Wesen begegnet. Der Doktor besaß indessen weit mehr Gelehrsamkeit und stand bei vielen im Rufe eines bessern Verstandes. Dies wußte der Kapitän [51] und konnte es nicht ausstehen. Denn obgleich der Neid an sich selbst schon eine sehr nagende Leidenschaft ist, so wird doch seine Bitterkeit um gar vieles geschärft, wenn sich noch Verachtung gegen den beneideten Gegenstand dazu mischt; und ich fürchte, kommt noch gar zu diesen beiden eine empfangene Wohlthat hinzu, so wird Haß und nicht Dankbarkeit das Produkt von allen dreien sein.

Zweites Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Stellt dar, was für eine Art von Geschichte die gegenwärtige ist: womit man sie vergleichen kann und womit nicht.


Obwohl wir dieses unser Werk mit geziemender Zierlichkeit Geschichte betitelt haben und nichtLeben und Thaten, oder Leben und Meinungen, wiewohl mehr die Mode ist: so sind wir dennoch gesonnen, vielmehr der Weise jener Schriftsteller zu folgen, welcher Thun es ist, die großen Begebenheiten von Ländern und Reichen zu beschreiben, als es dem mühseligen und bändereichen Annalisten nachzumachen, welcher, um die regelmäßige Länge und Breite seiner Chronika beizubehalten, sich notgedrungen glaubt, ebensoviel Papier mit den geringfügigen Kleinigkeiten von Monaten und Tagen zu beschreiben, in welchen nichts Merkwürdiges vorgefallen ist, als er zu jenen wichtigen Zeitläufen braucht, in welchen die größesten Auftritte auf dem Tummelplatze des menschlichen Lebens vorgefallen sind.

Solche Geschichten sind nach ihrem Wesen sehr gut mit einer Zeitung zu vergleichen, welche so ungefähr allemal dieselbe Anzahl Worte enthält, es mag etwas darin stehen oder nicht. Man kann sie auch ebenfalls mit einem Postwagen ins Gleichnis setzen, welcher beständig den Weg her macht und wieder hin, er sei leer oder beladen. Der Geschichtschreiber scheint freilich zu denken, er müsse gleichen Schritt halten mit der Zeit, deren Amanuensis [52] er ist, und so schleicht er ebenso leise, wie seine Herrschaft, durch die Centurien von Mönchsstumpfheit, da die Welt im Schlafe zu liegen schien, als durch jenes glänzende thatenschwangere Zeitalter, welches der vortreffliche lateinische Dichter auf eine so edle Weise auszeichnet, wenn er davon sagt:


»Ad confligendum venientibus undique Poenis;
Omnia cum belli trepido concussa tumultu
Horrida contremuere sub altis aetheris aures
In dubioque fuit sub utrorum regna cadendum
Omnibus humanis esset, terraque marique.«

Von welchen Versen ich dem Leser eine bessere Uebersetzung zu geben wünschte, als die folgende:

Als er herannahte der fürchterliche Kampf
Um die Herrschaft über die Meer' und die Erde;
Die Welt erbebt' und zittert' ob dem Getös' und Getümmel
Des unglückschwangeren Kriegs: Jedes Herz schneller pochte
Vor ängstlichem Erharren der furchtbaren Entscheidung:
Welches Reich steigen würd' und welches hinstürzen.

Nun ist unsere Willensmeinung, in den folgenden Blättern einer jener ganz entgegenstehenden Methode zu folgen. Wenn sich ein außerordentlicher Auftritt darbietet (und wir verlassen uns darauf, solche Fälle sollen nicht selten vorkommen), so werden wir weder Mühe noch Papier sparen, um solchen unserem Leser mit Anfang und Ende vor die Augen zu bringen: sollten aber ganze Jahre hingehen, ohne daß solche etwas hervorbrächten, was seiner Aufmerksamkeit wert wäre, so soll uns eine Lücke in unserer Geschichte keinen Kummer machen, sondern wir werden forteilen zu Dingen von Wichtigkeit, und solche Zeitperioden ganz unbemerkt vorbeistreichen lassen.

Diese kann man wirklich als Nieten in der großen Zeitlotterie ansehen. Also wollen wir, als wohlbestallte Buchhalter bei dieser Lotterie, jenen klugen Männern nachahmen, welche ihr Wesen mit jenen haben, die in großen Städten auf den Rathäusern gezogen werden; welche Männer das Publikum keineswegs mit den vielen Nieten behelligen, die sie austeilen; wird aber ein beträchtlicher Gewinn gezogen, flugs lassen sie es in Zeitungen und Intelligenzblättern ankündigen, und die Welt ist sicher, zu erfahren, bei welchem Kollekteur das glückliche Los gekauft ist. Es ist sogar nicht ungewöhnlich, daß zwei oder drei verschiedene Kollekten auf diese Ehre Anspruch machen; wodurch dann, wie ich glaube, den Glücksspielern [53] zu verstehen gegeben werden soll, als ob gewisse Makler Madame Fortunens Vertraute und ihre wirkliche Geheimen Räte wären.

Mein Leser muß sich also nicht wundern, wenn er im Fortgange dieses Werks einige Kapitel sehr kurz und andere dagegen sehr lang findet. Etliche, die nur den Zeitraum eines einzigen Tages enthalten, und andre, die ganze Jahre umfassen. Eine Einrichtung, wegen welcher ich mich keinem kleinen oder großen kritischen Gerichtshofe Red' und Antwort zu geben für schuldig halte: denn, da ich der wahre erste Stifter einer neuen Provinz in der Gelehrten-Republik bin, so klebt mir das Recht an, derselben nach meinem eigenen Gefallen Gesetze zu geben. Und an diese Gesetze sind meine Leser, die ich als meine Unterthanen betrachte, verpflichtet, mit freudiger Unterwerfung zu glauben; und damit sie hierzu um so bereitwilliger sein mögen, gebe ich ihnen hiermit die Versicherung, daß ich bei allen solchen Institutionen vorzüglich ihr eigenes Beste und Wohlsein beabsichtigen werde; denn ich bilde mir nicht ein, wie ein Tyrann von Gottes Gnaden, daß sie meine Sklaven oder sonst ein verkäufliches Eigentum sind. Ich bin wirklich bloß zu ihrem eigenen Besten über sie gesetzt worden, und ich ward für ihren Nutzen geschaffen, und nicht sie für den meinigen. Sonach zweifle ich nicht, sie werden, so lange ich ihr Bestes zur herrschenden Regel meines Schreibens mache, einhellig das ihrige beitragen, um meine Würde aufrecht zu erhalten, und werden mir alle die Ehre erweisen, die ich verdienen oder nur verlangen mag.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Fromme Warnungen gegen zu günstige Behandlung der Bankerte und eine von Jungfer Deborah Wilkins gemachte große Entdeckung.


Acht Monate nach feierlich vollzogenem Beilager des Kapitäns Blifil mit dem Fräulein Brigitta Alwerth, einem jungen Frauenzimmer von großer Schönheit, vielem Verdienst und Reichtum, ward die junge Dame wegen gehabten Schrecks von einem wackern Söhnlein entbunden. Das Kind war freilich, allem Anscheine nach, vollkommen; die Hebamme aber entdeckte, es sei einen Monat zu früh gekommen.

Obgleich die Geburt eines Erben seiner geliebten Schwester für Herrn Alwerth eine sehr fröhliche Begebenheit war: so verminderte solche doch die Gewogenheit nicht, die er für seinen kleinen [54] Findling hegte, den er aus der Taufe gehoben und nach seinem eigenen Namen Thomas genannt, und bis dahin selten verfehlt hatte, wenigstens einmal des Tages auf seiner Kinderstube zu besuchen.

Er sagte seiner Schwester, wenn's ihr so gefällig wäre, so könnte dem Neugebornen einerlei Wartung und Erziehung mit dem kleinen Thomas gegeben werden; worein sie auch willigte, obgleich ein wenig ungern: denn sie war wirklich gegen ihren Bruder gar sehr gefällig; und daher war sie dem Findling beständig viel liebreicher begegnet, als wohl Damen von strenger Tugend zuweilen über sich zu gewinnen vermöchten, solchen Kindern zu begegnen, die bei aller ihrer Unschuld, doch mit Recht, lebende Denkmale der Unenthaltsamkeit genannt werden können.

Der Kapitän konnte es nicht so leicht über sich gewinnen, das zu dulden, was er an Herrn Alwerth als einen Fehler verdammte. Er ließ sich oft verlauten: wer Sündefrüchte aufnimmt, bestärkt die Sünder in Sünden. Er führte verschiedene Sprüche an, (denn in der Bibel war er sehr belesen) dergleichen waren: Er sucht die Sünden der Väter heim an den Kindern; und, die Väter haben Herlinge gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden, u.s.w. Hieraus verteidigte er die Rechtmäßigkeit, das Verbrechen des Vaters an dem Bankert zu bestrafen. Er sagte: »Obgleich die Gesetze nicht ausdrücklich erlaubten, solche Schandgeburten aus der Welt zu schaffen, so hätten sie solche doch für erb- und ehrenunfähig erklärt; die Kirche betrachte solche als erb-und ehrlos, und das Höchste, was man für sie thun dürfte, wäre, daß man sie zu den niedrigsten und verächtlichsten Diensten in der bürgerlichen Gesellschaft aufwachsen ließe.«

Herr Alwerth antwortete auf alles dieses und auf noch weit mehreres, was der Kapitän über diesen Punkt vorgebracht hatte: »So strafbar die Eltern sein möchten, so wären die Kinder doch gewiß unschuldig. Betreffend die Sprüche, die er angeführt habe, so wäre der erste eine an die Juden besonders gerichtete Drohung, gegen die Sünde der Abgötterei, wenn sie ihren himmlischen König verließen und haßten; und der letzte wäre eine Parabel, oder Gleichnißrede, und ginge mehr darauf, die gewissen und notwendigen Folgen der Sünden anzuzeigen, als daß es ein ausdrücklicher Urteilsspruch sein sollte. Den Allmächtigen aber als einen Rächer hinzustellen, der den Unschuldigen die Sünden des Verbrechers büßen lasse, sei unanständig, wo nicht gar Gotteslästerung, weil man dadurch sagte, Gott handle gegen den höchsten Grundsatz der natürlichen Gerechtigkeit, und gegen die ursprünglichen Begriffe von [55] Recht und Unrecht, die er doch selbst in unsre Seelen gepflanzt habe; nach welchen wir nicht nur alle nicht geoffenbarten Dinge, sondern die Wahrheit der Offenbarung selbst beurteilen müßten.« Er sagte: »er wüßte es, daß viele über diesen Punkt mit dem Kapitän einerlei Grundsätze hätten; er aber selbst sei vom Gegenteile fest überzeugt, und wolle er in eben dem Maße für dies arme Kind sorgen, als ob ein echt-eheliches Kind das Glück gehabt hätte, an eben der Stelle gefunden zu werden.«

Unterdessen daß der Kapitän jede Gelegenheit wahrnahm, diesen und ähnlichen Gründen alle Stärke und Nachdruck zu geben, um den kleinen Findling aus Herrn Alwerths Hause zu schaffen, über dessen Zärtlichkeit gegen das Kind er eifersüchtig zu werden begann, hatte Jungfer Deborah eine Entdeckung gemacht, welche in ihren Folgen dem armen Tom wenigstens mehr Unheil drohte, als alle Gründe und Warnungen des Kapitäns.

Ob die unersättliche Neugier dieser braven Jungfer sie zu diesem Geschäfte angetrieben, oder ob sie es unternahm, um sich in der Gnade und Gewogenheit der Ehegemahlin des Herrn Blifil festzusetzen, welche, ungeachtet ihres äußerlichen Betragens gegen den Findling, insgeheim doch öfter auf das arme Kind schalt, und auf ihren Bruder obendrein, wegen seiner Affenliebe zu demselben, das will ich nicht entscheiden; aber sie hatte nunmehr, wie sie fest meinte, den Vater des Bankerts völlig ausgespähet.

Da dies nun aber eine Entdeckung von wichtigen Folgen ist, so wird es nötig sein, ihr bis zur ersten Quelle nachzugehen. Wir wollen daher die vorläufigen Sachen, wodurch solche herausgebracht wurde, mit aller Genauigkeit erzählen; und zu diesem Ende werden wir genötigt sein, alle Geheimnisse einer kleinen Familie zu offenbaren, mit welcher der Leser bis dahin noch völlig unbekannt ist, und deren Haushaltung so seltsam und sonderbar war, daß ich besorge, es werde der höchsten Glaubenswürdigkeit vieler meiner verheirateten Leser etwas sauer eingehen.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Beschreibung einer häuslichen Regierungsform, errichtet auf Gründe, welche denen vom Aristoteles gegebenen schnurstracks entgegenlaufen.


Mein Leser habe die Güte, sich zu erinnern, wie er benachrichtigt worden, daß Hannchen Jones einige Jahre bei einem gewissen Schulmeister gedient, der sie auf ihr dringendes Bitten [56] im Latein unterwiesen hatte, in welcher Sprache sie, um ihrem Genie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, es hernach für sich selbst so weit gebracht hatte, daß sie an Gelehrsamkeit ihren Meister übertraf.

In der That, obgleich dieser arme Mann sich einer Profession unterzogen hatte, zu welcher bekanntermaßen Gelehrsamkeit erfordert wird, so war diese doch die geringste unter seinen empfehlenden Eigenschaften. Er war einer der gutherzigsten Gesellen von der Welt und besaß dabei so viele Spaßhaftigkeit und Laune, daß er als Schöngeist der Gemeinde berühmt war; und alle benachbarte Landjunker hatten seine Gesellschaft so gern, daß er, weil Versagen eben sein Talent nicht war, in ihren Häusern manche liebe Zeit versaß, die er mit mehr Nutzen in seiner Schule hätte anwenden können.

Es läßt sich denken, daß ein Edukator von solchen Eigenschaften und Neigungen gar keine Gefahr lief, den gelehrten Seminarien zu Eaton oder Westminster großen Abbruch zu thun. Unverblümt zu sprechen, seine Schüler waren in zwei Klassen verteilt. In der obersten saß ein junger Herr, der Sohn eines benachbarten Gutsherrn, welcher in einem Alter von siebzehn Jahren eben bis in seine Syntaxis gekommen war, und in der niedern saß ein zweiter Sohn eben jenes Landjunkers, welcher darin nebst sieben Jungens aus dem Kirchspiele lesen und schreiben lernte.

Das Einkommen, welches diese Schulanstalt abwarf, möchte schwerlich hingereicht haben, dem Lehrer die fröhlichen Genüsse des Lebens zu verschaffen, hätte er nebst diesem Amte nicht auch zugleich die Aemter eines Küsters und Barbierers verwaltet, und hätte nicht Herr Alwerth dem Ganzen einen Jahrgehalt von zehn Pfund hinzugethan, welche der arme Mann jede Weihnachten empfing und wodurch er instandgesetzt war, sein Herz während dieses heiligen Festes fröhlich und guter Dinge sein zu lassen.

Unter andern Schätzen besaß der Pädagog auch ein Weib, das er aus Herrn Alwerths Küche ihres Vermögens wegen geheiratet hatte, denn sie hatte wirklich an zwanzig Pfund zusammengespart.

Dieses Ehegemahl war nicht sehr liebreizend von Person. Ob sie wirklich meinem Freunde Hogarth zu der Zeichnung saß, lasse ich dahingestellt sein, aber sie glich dem jungen Frauenzimmer Zug für Zug, das auf dem dritten Blatte vom Harlots Progreß ihrer Gebieterin Thee einschenkt. Sie war dabei eine offenbare Anhängerin jener berühmten Sekte, welche in sehr alten Zeiten von der heiligen Xanthippe gestiftet worden; vermittelst dessen sie in der Schule sich mehr Ehrfurcht erwarb, als selbst ihr Eheherr. Denn die Wahrheit zu gestehen, war er dort ebensowenig jemals Herr, als er es sonst irgendwo in ihrer Gegenwart sein durfte.

[57] Obgleich ihre Physiognomie eben nicht die größte natürliche Sanftmut andeutete, so mochte doch ihr Gemüt durch einen Umstand noch etwas mehr versäuret sein, der gewöhnlich das Glück der Ehen vergiftet. Denn Kinder werden gar richtig Liebespfänder genannt und ihr Mann, ob sie schon neun Jahre im Ehestande lebten, hatte ihr noch kein solches Pfand gegeben. Ein Fehler, den er mit nichts entschuldigen konnte, weder mit Alter noch mit Krankheit; denn er war nicht volle dreißig und dabei das, was man so einen wackern fixen jungen Mann nennt.

Hieraus entstand ein andres Uebel, welches dem armen Edukator nicht wenig Unruhe zuzog, auf den sie unaufhörlich so eifersüchtig war, daß er kaum mit einem Weibe oder Mädchen im Kirchspiel sprechen durfte, denn war er gegen ein weibliches Geschöpf nur im geringsten höflich, oder wechselte er nur einige Worte mit ihr, so war ihr sein Weib gewiß auf dem Dache und ihm dazu.

Um sich in ihrem eigenen Hause gegen allen Ehestandsverlust in Sicherheit zu stellen, trug sie beständig Sorge, da sie doch eine Magd halten mußte, solche aus einer Klasse von den Töchtern des Landes zu wählen, deren Gesichter man als eine Art von Bürgschaft für ihre Ehrlichkeit nimmt; von welcher Zahl, wie der Leser vorher schon belehrt worden ist, Hanna Jones eine war.

Da das Gesicht der jungen Dirne eine sehr annehmliche Bürgschaft von vorbesagter Art genannt werden mochte und ihre Aufführung allezeit höchst ehrbar gewesen war (welches beim weiblichen Geschlecht allemal die Folge von Verstand und Klugheit ist), so hatte sie in Herrn Rebhuhns Hause (denn so hieß der Schulpräzeptor) über vier Jahre hingebracht, ohne ihrer Hausfrau den mindesten Argwohn einzuflößen. Man war ihr sogar mit ungewöhnlicher Güte begegnet, und ihre Hausfrau hatte Herrn Rebhuhn erlaubt, ihr die Unterweisung zu geben, von welcher unsre Geschichte bereits Meldung gethan hat.

Allein mit der Eifersucht geht's gerade, wie mit dem Podagra; ist die Krankheit einmal im Blute, so ist man keine Stunde sicher vor ihrem Ausbruche; und der stellt sich oft ein bei der geringsten Veranlassung, und wenn man's am wenigsten vermutet.

So überfiel es die Frau Rebhuhn, welche es sich vier Jahre hindurch hatte gefallen lassen, daß ihr Ehemann der jungen Dirne Unterricht gebe, und ihr oft nachgesehen hatte, wie sie ihre Arbeit versäumte, um ihrer Gelehrsamkeit obzuliegen. Denn als sie eines Tages, da das Mädchen eben in einem Buche las und ihr Lehrer über ihr gelehnt stand, vor der Stube vorbeiging und die Dirne, ich weiß nicht warum, plötzlich von ihrem Stuhle aufsprang, war [58] dies zum erstenmale, daß sich in dem Kopfe ihrer Gebieterin ein Verdacht einstellte.

Dieser entdeckte sich gleichwohl nicht sogleich zu der Zeit, sondern lag und lauerte in ihrem Gemüte wie ein versteckter Feind, der eine Verstärkung erwartet, bevor er sich öffentlich erklärt und wirkliche Feindseligkeiten verübt, und diese Verstärkung langte bald an, um ihren Verdacht zu vermehren: denn als nicht lange nachher Mann und Frau beim Mittagessen saßen, sagte der Herr zur Magd: »Da mihi aliquid Porum,« worauf die arme Dirne lächelte, vielleicht über das schlechte Latein, und als ihre Hausfrau die Augen auf sie warf, ward sie rot, vermutlich darüber, daß sie es für unrecht hielt, über ihren Lehrer und Herrn gelacht zu haben. Frau Rebhuhn geriet hierüber augenblicklich in Wut und warf den hölzernen Teller, von welchem sie aß, der armen Hanna nach dem Kopfe, wobei sie schrie: »Du unverschämtes Nickel! willst du vor meiner Nase dein Spiel mit meinem Manne treiben?« Und in eben dem Augenblick sprang sie von ihrem Stuhle auf mit einem Messer in der Hand, womit sie vermutlich eine sehr tragische Rache verübt haben würde, hätte nicht das Mädchen den Vorteil benützt, daß sie der Thüre näher war als ihre Herrschaft, und wäre sie nicht ihrer Wut dadurch ausgewichen, daß sie davonlief. Denn der arme Hausvater, sei es nun, daß ihn das Erstaunen erstarrt hatte, oder daß ihn die Furcht (welches ebenso wahrscheinlich ist) abhielt, die geringste Widersetzlichkeit zu wagen, der saß da zitternd und mit aufgesperrten Augen in seinem Stuhle; er machte auch nicht die geringste Miene sich zu regen oder zu sprechen, bis seine Hausehre, als sie von ihrem Nachjagen zurückkam, einige Verteidigungsanstalten zu seiner eignen Erhaltung notwendig machte; und er ebenfalls geraten fand, dem Beispiele der Magd zu folgen und sich zurückzuziehen.

Diese gute Frau war ebensowenig als Othello von einer Stimmung:


To make a Life of Jealousy,
And follow still the Changes of the Moon
With fresh suspicions.
(Ein Leben voll Eifersucht zu leben,
Folgen der Wandelbarkeit des Mondes
Mit oft erneutem Verdacht.)
Bei ihr wie bei ihm,
To be once in doubt
Was once to be resolved –
(Nur einmal einen Zweifel
Hieß auf einmal ihren Entschluß fassen.)

[59] Sie befahl also der Hanna, auf der Stelle ihre Siebensachen zu packen und sich zu trollen, denn sie wäre entschlossen, sie solle die Nacht nicht mehr unter ihrem Dache schlafen.

Rebhuhn hatte aus Erfahrungen zu viel gelernt, um sich in eine so heikliche Sache zu mischen. Er nahm also Zuflucht zu seinem gewöhnlichen Rezepte: Geduld! denn, ob er freilich wohl nicht ein großer Adept im Latein war, so hatte er doch den Rat ins Herz wie ins Gedächtniß gefaßt, welcher heißt:


Leve fit, quod bene fertur Onus.
deutsch: »Die wohlgetragne Last wird leicht.«

Ein Weisheitsbrocken, den er immer im Munde führte, und von dessen Wahrheit er oft, wie man auch nicht leugnen kann, Gelegenheit hatte, sich durch Erfahrung zu überzeugen.

Hannchen wollte ihre Unschuld verteidigen, aber der Sturm brauste zu heftig, um sie Gehör finden zu lassen. Sie machte sich also ans Einpacken, wobei sie nur wenig Makulatur brauchte; und nachdem sie ihren schmalen Bissen von Lohn zugeworfen erhalten hatte, ging sie heim.

Der Schulmonarch und seine Ehehälfte brachten ihren Nachmittag und Abend unangenehm genug hin; vor dem nächsten Morgen aber fiel eins oder das andre vor, welches die Wut der Frau Rebhuhn ein wenig milderte und dem Manne die Erlaubnis bewirkte, seine Entschuldigung vorzubringen: diese fand um so eher Glauben, da er, anstatt zu verlangen, daß sie Hannchen wieder in Dienst nehmen möchte, vielmehr seine Zufriedenheit über ihre Entlassung bezeigte und sagte, sie wäre zu einer Dienstmagd ziemlich untauglich geworden, da sie alle ihre Zeit aufs Lesen verwendet habe, und obendrein wäre sie noch vorlaut und eigensinnig. Denn in der That hatten sie und ihr Lehrer seit einiger Zeit öfter über literarische Dinge disputirt, worin sie, wie bereits gesagt, ihm sehr überlegen geworden war. Dies wollte er indessen keinesweges zugeben, und weil er es Eigensinn nannte, wenn sie das behauptete, worin sie recht hatte; so begann er sie so ziemlich aufrichtig zu hassen.

Viertes Kapitel
[60] Viertes Kapitel.

Beschreibung einer der blutigsten Schlachten oder vielmehr Zweikämpfe, die nur jemals in Hausgeschichten auf die Nachwelt gebracht worden.


Aus den im vorigen Kapitel beigebrachten Gründen und wegen andrer ehelichen Vorteile, welche den meisten Ehegenossen wohl bekannt sind und die gleich den Geheimnissen der Freimaurer niemand bekannt gemacht werden sollten, der nicht von der hochlöblichen Brüderschaft Mitglied ist: war Frau Rebhuhn darüber gar wohlgemut, daß sie ihren Eheschatz unschuldigerweise verdammt hatte, und gab sich Mühe, ihren falschen Verdacht durch Liebesbezeigungen wieder gut zu machen. Ihre Leidenschaften waren wirklich gleich heftig, wohin sie auch gerichtet sein mochten; denn, wie sie sehr heftig zürnen konnte, so konnte sie auch fast ebenso heftig lieben.

Allein, obgleich diese Leidenschaften gewöhnlich einander ablösten und selten einmal vierundzwanzig Stunden hingingen, während welcher der Pädagog nicht gewissermaßen der Gegenstand von beiden gewesen; so war doch bei außerordentlichen Gelegenheiten, wenn die Leidenschaft des Zorns sehr arg getobt hatte, der Nachlaß gewöhnlich länger, und so war gegenwärtig der Fall: denn sie beharrte länger in einem Stande milder Freundlichkeit, nachdem dieser Anfall von Eifersucht vorüber war, als ihr Ehegemahl jemals erlebt hatte. Und wär es nicht bloß wegen einiger kleinen Uebungen gewesen, wozu alle Anhänger der Xanthippischen Sekte täglich verbunden sind, so hätte Herr Rebhuhn einige Monate hindurch einer vollkommen heitern Stille genossen.

Völlige Stille zur See wird von erfahrnen Seemännern allemal für einen Vorboten des Sturms geachtet: und ich kenne einige Leute, die, ohne eben durchgängig am Aberglauben zu hängen, zu besorgen geneigt sind, daß große und ungewöhnliche Ruhe und langer Frieden Vorläufer von ihrem Gegenteile sind. Aus dieser Ursache hatten die Alten bei solchen Gelegenheiten die Gewohnheit, der Göttin Nemesis zu opfern: eine Göttin, welche nach ihrer Meinung mit einem neidischen Auge auf menschliche Glückseligkeit herabsähe und in ihrer Vernichtung ein ganz eigenes Behagen fände.

Da wir weit entfernt sind, an irgend eine solche heidnische Gottheit zu glauben oder irgend jemand in seinem Aberglauben zu bestärken, so wünschen wir, daß irgend ein haarscharfer Philosoph sich ein wenig Mühe geben wollte, die Grundursache dieses schnellen Uebergangs vom Glück zum Unglück heraus zu demonstrieren. Ein Uebergang, der so oft bemerkt worden und wovon wir ein Beispiel [61] zu geben im Begriff stehen; denn unser Geschäft ist, Thatsachen zu erzählen, und die Ursachen müssen wir Männern von viel höherm und tiefern Genie überlassen.

Die Menschenkinder haben von jeher ein großes Vergnügen darin gefunden, das Thun und Lassen anderer zu wissen und zu untersuchen. Daher hat man zu allen Zeiten und unter allen Völkern gewisse Plätze für öffentliche Zusammenkünfte ausgesonnen, woselbst die Neubegierigen zusammenkommen und ihre gegenseitige Neugier befriedigen könnten. Unter diesen haben die Barbierstuben mit Recht den Vorzug gewonnen. Bei den Griechen war Barbierzeitung ein sprichwörtlicher Ausdruck und Horaz thut in einer von seinen Episteln von römischen Barbieren in eben dem Lichte sehr ehrenvolle Erwähnung.

Die Barbierer in England sind dafür bekannt, daß sie ihren griechischen und römischen Vorgängern nichts nachgeben. Man sieht bei ihnen die auswärtigen Affairen auf eine Art ausmachen, welche der, womit solche in den Kaffeehäusern behandelt werden, fast sehr nahe kommt, und häusliche Vorfälle werden in den ersten weit umständlicher und freimütiger vorgenommen als in den letztern. Doch diese Oerter sind eigentlich nur für Mannspersonen. Da nun aber das Frauenzimmer dieses Landes von den niedern Klassen sich häufiger zu einander gesellt als das von andern Nationen, so wäre unsere Polizei höchst fehlerhaft gewesen, hätte sie nicht gleichfalls einige Oerter festgesetzt, wo unsere Weiblein für ihre Neugier Nahrung finden können, da man sieht, daß sie in diesem Punkte nicht weniger Bedürfnisse haben als die andere Hälfte des Geschlechts.

Im Genuß solcher Versammlungsplätze müssen sich also die britischen Schönen viel glücklicher achten als alle übrigen ihrer Schwestern in fremden Landen; weil ich mich nicht erinnere, von dergleichen Art etwas in der Geschichte gelesen oder auf meinen Reisen gesehen zu haben.

Dieser Versammlungsplatz ist denn kein anderer als die Lichtgießerbude, der bekannte Sitz aller Neuigkeiten oder, wies es wohl besser, obgleich etwas gemeiner heißen möchte, alles Gevatternschnacks. Als Frau Rebhuhn in dieser weiblichen Versammlung gegenwärtig war, befragte sie eine von ihren Nachbarinnen, ob sie nichts Neues von Hannchen Jones gehört hätte, worauf sie verneinend antwortete; worauf die andere mit einem Lächeln versetzte: das Kirchspiel sei ihr viel Dank schuldig, dafür, daß sie das Mädchen, so wie sie gethan, fortgejagt hätte.

Frau Rebhuhn, deren Eifersucht, wie der Leser recht gut weiß, längst vertrieben war und die keine andere Klage über ihre Magd gehabt hatte, antwortete ganz keck: sie wisse nicht, was sie damit [62] sagen wollte; ihr sei das Kirchspiel dafür nichts schuldig, denn Hannchen hätte schwerlich, wie sie glaubte, ihresgleichen hinter sich gelassen.

»Nein, gewiß nicht,« sagte Trine Gevatterin, »ich hoffe nicht! Doch, denk' ich, hätten wir Schlumpen noch genug! Sie hat also noch nicht gehört, dünkt mich, daß die Dirne mit zwei Wechselbälgern niedergekommen ist? Doch was geht's uns an, sagt mein lieber Mann und der andere Kirchen-Jurat; da sie hier nicht geboren sind, haben wir's nicht nötig, sie zu füttern.«

»Zwei Wechselbälger!« antwortete Frau Rebhuhn hastig. »Sie macht mich erstaunen. Ob sie hier aufgefüttert werden müssen, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie das Mensch hier aufgesackt haben muß, denn sie ist noch keine neun Monate von hier weg.«

Nichts kann so schnell und plötzlich sein, als das Geschäft der Phantasie, besonders wenn Hoffnung oder Furcht, oder Eifersucht, bei welcher die beiden vorigen nur als Handlanger arbeiten, solche in Gang setzt. Es fiel ihr augenblicks ein, daß Hannchen fast niemals aus dem Hause gegangen wäre, so lange sie bei ihr gedient. Das Lehnen über dem Stuhle, das plötzliche Aufspringen, das Latein beim Essen, das Lächeln, das Rotwerden und viele andere Dinge drängten sich auf einmal in ihr Gehirn. Die Zufriedenheit, die ihr Mann über Hannchens Entlassung bezeigte, kam ihr jetzt als bloße Verstellung vor, in dem Augenblick aber wieder als wahr, und doch wieder, um ihre Eifersucht zu bekräftigen, als wäre solche aus Sättigung entstanden und aus hundert andern schlimmen Ursachen mehr. Mit einem Wort, sie war überzeugt von ihres Mannes Verbrechen und verließ augenblicklich voller Verwirrung die gesprächige Versammlung.

So wie der schöne Kater Murner, welcher, obgleich der jüngste vom Geschlecht der mausenden Löwen, dennoch nicht ausartet von der Wildheit des ältern Zweiges ihres Hauses, und, obgleich geringer an Stärke, doch gleich bleibt an Blutgier dem edlen Tiger selbst; wenn ein kleines Mäuslein, das er lange spielend gequält, seinen Krallen für ein Weilchen entwischt, herumspringt, das Haar sträubt, einen hohen Buckel macht und schreit und kratzt; wenn aber der Koffer oder Kasten, wohinter sich das Mäuslein verkrochen hatte, weggenommen wird, wie in Blitz auf seine Beute schießt, sie packt, und mit vergifteter Wut beißt, quetscht und das arme Tierchen in Stücke zerreißt:

So, mit nicht geringerer Wut schoß Frau Rebhuhn auf den Pädagogen! Ihre Zunge, Zähne und Hände fielen alle zugleich über ihn her. Seine Perücke war in einem Hui! vom Kopfe; [63] sein Hemd in Fetzen vom Leibe, und seinem Angesichte entflossen fünf blutige Ströme und bezeichneten die Zahl der Krallen, womit die Natur unglücklicherweise seinen Feind bewaffnet hatte.

Rebhuhn focht einige Zeit bloß verteidigungsweise, und strebte wirklich nur, sein Angesicht mit seinen Händen zu schützen; da er aber fand, daß seine Widersacherin von ihrer Wut nicht nachließ, so dachte er, er könne wenigstens suchen, sie zu überflügeln oder ihre Flügel unthätig zu machen. Da er also ihre Arme packte, verlor sie im Ringen ihr Kopfzeug; und ihr Haar, das zu kurz war, die Schultern zu erreichen, sträubte sich auf ihrem Kopfe empor; ihr Schnürleib, das nur unten durch ein Loch befestigt war, barst auf, und ihr Busen, woran sie weit mehr Vorrat hatte, als an Haaren, fiel bis unter den Gürtel herab; auch ihr Gesicht war befleckt mit dem Blute ihres Bettgenossen; ihre Zähne knirschten vor Wut; und Feuer, wie es vom Amboß eines Grobschmieds sprühet, schoß ihr aus den Augen, so daß alles zusammengenommen diese amazonische Heldin einem weit kühneren Manne, als Rebhuhn war, ein Gegenstand des Schreckens hätte werden können. Er hatte endlich das Glück, durch den Besitz ihrer Arme die Waffen, welche sie am Ende ihrer Finger trug, unbrauchbar zu machen; welches sie nicht so bald merkte, als die wässerige Weichheit ihres Geschlechts das Feuer ihres Zorns löschte und sie plötzlich in Thränen zerschmolz; worauf denn bald eine Ohnmacht die Schlacht endigte.

Das bißchen Besinnung, welche Rebhuhn während dieses Auftritts, von dessen Anlaß er kein Wort wußte, noch übrig behalten hatte, verließ ihn nunmehr noch völlig. Er lief augenblicklich auf die Straße und schrie aus: seine Frau läge in Todesnöten, und flehete die Nachbarn an, sie möchten ihr doch aufs eiligste zu Hilfe kommen! Verschiedene gute Weiber thaten sein Begehren, gingen in sein Haus, brauchten die in solchen Fällen gewöhnlichen Mittel, und Frau Rebhuhn ward zur innigsten Freude ihres Mannes wieder zu sich selbst gebracht. Sobald sie ihre Lebensgeister ein wenig wieder gesammelt und durch ein herzstärkendes Gläschen wieder etwas beruhiget hatte, begann sie die Gesellschaft von den mancherlei Beleidigungen, die sie von ihrem Manne erfahren hätte, zu benachrichtigen. Er begnügte sich nicht damit, sagte sie, ihr eigenes Ehebette zu beflecken, sondern als sie ihm das vorgeworfen, habe er sie noch dazu auf die entsetzlichste Weise, die man sich nur erdenken könnte, gemißhandelt; habe ihr das Kopfzeug und die Haare vom Kopfe gerauft, habe ihr die Schnürbrust vom Leibe gerissen und zu gleicher Zeit ihr einige Stöße und Schläge versetzt, davon sie die Mäler wohl mit in ihr Grab nehmen würde.

[64] Der arme Mann, welcher in seinem Gesichte mehr sichtbare Merkzeichen des ausbrechenden Aergers seiner Frau aufzuweisen hatte, stand da im stillen Erstaunen über diese Anklage, welche, wie ihm hoffentlich der Leser bezeugen wird, weit über die Schranken der Wahrheit hinausging; denn in der That, er hatte ihr nicht einen einzigen Schlag gegeben. Da aber sein Stillschweigen von der ganzen Gerichtsbank als ein Geständnis des Verbrechens angesehen ward, so begannen sie alle una voce ihn herunterzumachen und auszuhunzen, wobei oft wiederholt ward, nur eine feige Memme könne ein Weib schlagen.

Rebhuhn ertrug alles mit Geduld, als aber seine Frau sich auf das Blut in ihrem Gesichte als auf einen Zeugen seiner Grausamkeit berief, da konnte er nicht umhin, das Eigentum seines Blutes zu reklamieren (wir wissen, daß es sein war), weil er es für unnatürlich hielt, daß sein eigenes Blut wider ihn selbst um Rache schreien sollte, wiewohl ehemals das Blut der Erschlagenen gegen ihre Mörder gethan haben und noch thun soll.

Auf diese Reklamation gaben die Weiber keine andere Antwort, als: es wäre schade, daß das Blut nicht aus seinem Herzen wäre, anstatt aus seinem Gesichte, und alle erklärten dabei, daß, sollten ihre Ehemänner nur eine Hand gegen sie aufheben, sie ihnen das Blut aus dem Herzen abzapfen wollten.

Nach manchem Verweise, wegen des Vergangenen, und mancher Vermahnung, die dem armen Rebhuhn wegen seiner künftigen Aufführung gegeben worden, ging endlich die Gesellschaft auseinander und ließ Mann und Weib zu einer persönlichen Konferenz bei einander, worin Rebhuhn sehr bald die Ursache aller seiner Leiden erfuhr.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Enthält viel Materie, woran der Leser sein Urteil und sein Nachdenken üben kann.


Ich glaube, es ist eine wahre Bemerkung, daß wenige Geheimnisse nur einer Person mitgeteilt werden; aber wahrlich, es würde einem Wunderwerke sehr nahe kommen, wenn eine Begebenheit von dieser Art einem ganzen Kirchspiele bekannt sein und sich gar nicht weiter verbreiten sollte.

Und wirklich waren nur wenige Tage vergangen, als die Gegend umher über den Schulmeister vom kleinen Baddington, um mich eines Volksausdrucks zu bedienen, die Schandglocke zog und [65] von ihm sagte, er habe seine Frau entsetzlich geprügelt. An einigen Orten ward sogar ausgesprengt, er habe sie ermordet, an andern, er habe ihr die Arme gebrochen, wieder an andern, er habe ihr die Beine entzwei geschlagen; kurz, es ließ sich kaum eine Beschädigung erdenken, die einem menschlichen Körper zugefügt werden kann, die nicht hie und da versichert wurde, Frau Rebhuhn habe solche von ihrem Manne erlitten. Die Ursache des Streits ward gleichfalls gar verschieden erzählt, denn wie einige Leute sagten, Frau Rebhuhn habe ihren Mann mit der Magd im Bette ertappt, so wandelten auch andere Ursachen von verschiedenem Inhalt umher; ja einige übertrugen die Verschuldung auf die Frau, und auf den Mann die Eifersucht.

Jungfer Wilkins hatte längst schon von diesem Zwist gehört, da aber eine andere Ursache desselben, als die wahre, zu ihren Ohren gelangte, so hielt sie für ratsam, davon zu schweigen, um so mehr vielleicht, als die Schuld durchgehends auf Herrn Rebhuhn gelegt wurde, und seine Frau, als sie noch in Herrn Alwerths Hause diente, die Jungfer Wilkins einigermaßen beleidigt hatte, und weil Jungfer Wilkins zum Vergessen und Vergeben nicht viel Anlage besaß.

Jedoch, Jungfer Wilkins, welche Dinge von weitem sehen und sehr gut einige Jahre in die Zukunft hinausblicken konnte, hatte als große Wahrscheinlichkeit wahrgenommen, daß Herr Kapitän Blifil wohl einst ihr Brotherr werden würde, und da sie sehr deutlich unterscheiden konnte, daß der Kapitän dem kleinen Findling nicht eben gar zu wohl wollte, so meinte sie, würde sie ihm einen angenehmen Dienst leisten, wenn sie etwas auskundschaften könnte, wodurch die Zuneigung geschmälert werden müßte, welche Herr Alwerth zu diesem Kinde gefaßt zu haben schien, und welche dem Kapitän so sichtbare Unruhen verursachte, daß er sie sogar nicht einmal so gänzlich vor Herrn Alwerth selbst verbergen konnte. Obgleich seine Gemahlin, die ihre Rolle öffentlich weit besser spielte, ihm verschiedenemal ihr eigenes Beispiel empfahl, um über die Thorheit ihres Bruders, die sie, wie sie sagte, wenigstens ebensogut einsähe und darüber ebenso unwillig wäre, als nur irgend ein anderer, ein Auge zuzudrücken.

Als derohalben Jungfer Wilkins zufälligerweise, obgleich lange nachher, das Wahre von der obigen Geschichte erfahren hatte, so ermangelte sie nicht, alle, auch die kleinsten dabei vorgefallenen Umstände auszuspähen, und hinterbrachte dann dem Kapitän, sie habe endlich den wahren Vater des kleinen Bankerts ausfindig gemacht, über dem es ihr so leid thäte, sagte sie, daß ihr Herr seinen guten Namen im Lande verlieren sollte, weil er soviel aus ihm machte.

[66] Der Kapitän verwies ihr den Schluß ihrer Rede als eine unschickliche, vorlaute Beurteilung der Handlung ihres Herrn, denn hätte es auch des Kapitäns Ehre oder sein Verstand ihm zugelassen, mit Jungfer Deborah ein Bündnis einzugehen, so wollte sein Hochmut keineswegs darein willigen. Und die Wahrheit zu sagen ist keine Aufführung unpolitischer, als wenn man sich mit Bedienten seiner Freunde in eine Konföderation gegen ihren Herrn einläßt; denn dadurch wird man hernach zum Sklaven eben dieser Bedienten, und steht in übler Gefahr von ihnen verraten zu werden. Und diese Rücksicht war's vielleicht, welche den Kapitän Blifil verhinderte, gegen Jungfer Wilkins näher herauszugehen, oder sein Gefallen an ihren hämischen Anmerkungen über Herrn Alwerth zu bezeigen.

Allein, ob er gleich der Jungfer Wilkins kein Vergnügen über diese Entdeckung blicken ließ, so machte ihm solche doch innerlich nicht wenig Freude, und er beschloß den bestmöglichsten Gebrauch davon zu machen.

Er hielt die Sache lange Zeit in seiner Brust verschlossen, in der Hoffnung, Herr Alwerth würde sie von einer andern Seite her erfahren; Jungfer Wilkins aber, ob sie das Betragen des Kapitäns übel nahm, oder ob ihr seine List zu sein war, um sie zu merken, und sie wirklich fürchtete, die Entdeckung möchte ihn böse machen, kurz sie ließ nachher von der Sache weiter kein Wort fallen.

Bei weiterem Nachdenken habe ich's ein wenig befremdlich gefunden, daß die Hausjungfer ihre Neuigkeit nicht der Madam Blifil mitteilte, weil das weibliche Geschlecht geneigter ist, alle neue Zeitungen dem seinigen zuzutragen, als dem unsrigen. Der einzige Weg, wie es mir scheint, diese Schwierigkeit zu heben, ist, wenn man solche auf Rechnung der Entfernung setzt, welche zwischen der Dame und der Hausjungfer entstanden war: diese mochte wohl ihren Grund in der Eifersucht haben, die Madam Blifil darüber hegte, daß die Wilkins zu große Achtung für den Findling bezeigte; denn während diese damit umging, dem kleinen Kinde zu schaden, um sich beim Kapitän in größere Gunst zu setzen, lobte sie es doch von Tage zu Tage immer mehr und mehr in Gegenwart des Herrn Alwerths, weil seine Liebe zu demselben täglich zunahm. Dieses mochte ungeachtet aller Sorgfalt und aller Mühe, die sie sich zu andern Zeiten gab, vor Madam Blifil das gerade Gegenteil auszudrücken, vielleicht diese delikate Dame beleidigt haben, welche jetzt die Wilkins ganz gewiß haßte; und ob sie dieselbe gleich nicht völlig abschaffte oder vielleicht nicht abschaffen konnte, so fand sie doch Mittel, ihr das Leben herzlich sauer zu machen. Dies nahm Jungfer Wilkins endlich so übel, daß sie dem kleinen Tom[67] alle mögliche Arten von Achtung und Liebe, aus Widersetzlichkeit gegen Madam Blifil, ganz öffentlich bewies.

Der Kapitän, welchem solchergestalt die Geschichte in Gefahr der Vergessenheit zu schweben schien, ergriff zuletzt eine Gelegenheit, sie selbst zu offenbaren.

Er war eines Tages mit Herrn Alwerth in einem Gespräche über die Liebe des Nächsten begriffen, in welchem der Kapitän mit großer Gelehrsamkeit dem Herrn Alwerth bewies, daß das Wort, Liebe des Nächsten, in der heiligen Schrift keineswegsWohlthätigkeit oder Freigebigkeit bedeuten soll.

»Die christliche Religion,« sagte er, »wäre uns zu weit höheren Endzwecken gegeben, als uns eine Vorschrift einzuschärfen, welche viele heidnische Philosophen uns lange vorher schon gelehrt hätten, und welche, ob sie gleich vielleicht eine moralische Tugend heißen könnte, dennoch nur sehr wenig von der erhabenen Christus-Gesinnung, von der großen Erhebung der Gedanken enthielte, welche in ihrer Reinheit sich der Vollkommenheit der Engel näherte, und die man nicht anders erreichen, ausdrücken und empfinden könne, als vermittelst der Gnade. Diejenigen«, sagte er, »kämen der Meinung der Schrift näher, welche darunter die Sinneseinfalt verstünden, oder die Bereitwilligkeit, eine leutselige Meinung von unsern Brüdern zu fassen und über ihre Handlungen ein liebreiches Urteil zu fällen; eine Tugend, weit höher und viel umfassender, nach ihrer innern Natur, als eine erbärmliche Gabe an Almosen, welche, wenn wir es damit auch so weit trieben, daß wir dadurch den unsrigen wehe thäten, oder sie gar an den Bettelstab brächten, dennoch sich nicht auf sehr viele erstrecken könnte. Dahingegen die Liebe des Nächsten, in dem andern und wahrern Sinne, über das ganze menschliche Geschlecht ihren Einfluß hätte.«

Er sagte: »wenn man betrachtete, was für Männer die Jünger gewesen, so wäre es einfältig, sich vorzustellen, daß ihnen die Lehre von Freigebigkeit und Almosengeben habe gepredigt werden können. Und da wir uns nicht wohl einbilden könnten, daß diese Lehre von ihrem göttlichen Urheber solchen Menschen sollte vorgetragen worden sein, die sie nicht ausüben konnten, um so weniger dürften wir annehmen, daß sie von solchen Leuten, in dem Sinne verstanden werde, die sie ausüben können, aber es nicht thun.«

»Unterdessen, obgleich,« fuhr er fort, »wie ich besorge, wenig Verdienst bei wohlthätigen Handlungen ist, so möchte doch, ich gestehe es, für einen guten Menschen viel Vergnügen dabei sein, wenn es nicht durch eine gewisse Betrachtung sehr gemäßigt würde. Ich meine damit, daß wir dem Betruge ausgesetzt sind und unsere besten Wohlthaten denen erzeigen, die solche am wenigsten verdienen, [68] wie es denn, wie Sie mir einräumen müssen, der Fall mit ihrer Freigebigkeit gegen den unwürdigen Rebhuhn ist; denn zwei oder drei solcher Beispiele müssen die innere Zufriedenheit um ein merkliches vermindern, welche sonst ein guter Mann im Wohlthun finden würde. Ja sogar könnten sie ihn schüchtern machen, seine milde Hand aufzuthun, aus Furcht der Sünde, dem Laster unter die Arme zu greifen und dem Gottlosen seinen Weg zu ebnen; ein Verbrechen von blutroter Farbe, und das dadurch keineswegs hinlänglich entschuldigt wird, zu sagen, wir hatten nicht die Absicht Böses zu stiften; wofern wir nicht die äußerste Behutsamkeit in der Wahl solcher Gegenstände angewendet haben, denen wir unsere Wohlthaten zufließen lassen. Eine Betrachtung, welche, wie ich nicht zweifle, überhaupt die Freigebigkeit manches frommen würdigen Mannes eingeschränkt hat.«

Herr Alwerth antwortete: »Er könne mit dem Kapitän nicht in griechischer Sprache disputieren, und könne deswegen auch nichts über den wahren Sinn des Wortes sagen, welches durch Liebe des Nächsten übersetzt wäre, aber er habe immer gedacht, es bestünde nach der besten Auslegung in Handlungen, und das Almosengeben sei wenigstens ein Zweig von dieser Tugend.«

»Was das Verdienstliche dabei beträfe,« sagte er, »wäre er mit dem Kapitän völlig einerlei Meinung; denn was könne bei bloßer Ausübung einer Pflicht für Verdienst sein; und daß es eine Pflicht wäre,« sagte er, »man möchte nun das Wort, Liebe des Nächsten, erklären wie man wolle, das erhelle aus dem ganzen Inhalt des Neuen Testaments, und so wie er es für eine unumgängliche Pflicht, nach den Gesetzen der christlichen Religion sowohl, als nach den Gesetzen der Natur hielte, so wäre solche außerdem noch so angenehm, daß, wenn man von einer Pflicht sagen könne, sie sei ihr eigener Lohn, oder sie vergelte uns durch ihre Ausübung selbst, man es von dieser sagen müsse.«

»Die Wahrheit zu gestehen,« sagt' er, »so gibt es einen Grad von Freigebigkeit (von Nächstenliebe, hätte ich lieber gesagt), welcher einigen Schein von Verdienstlichkeit hat, und dieser Grad ist, wenn wir aus Nächsten- und Christenliebe einem andern das geben, dessen wir wirklich selbst bedürfen; wenn, um die Not eines andern zu mindern, wir willig einen Teil davon über uns selbst nehmen, indem wir selbst von demjenigen hingeben, was wir nicht ohne wesentliche Unbequemlichkeit missen können. Dies ist, glaube ich, verdienstlich; aber unsern Brüdern bloß von unserem Ueberfluß ihre Not erleichtern; barmherzig sein oder Nächstenliebe üben (ich muß das Wort brauchen) mehr auf Kosten unseres Geldkastens als auf unsere eigenen; lieber einige Familien vom Elend retten, als [69] ein köstliches Gemälde in unserem Hause aufhängen, oder sonst eine von unsern thörichten und lächerlichen Eitelkeiten befriedigen, damit ist man nichts weiter, als ein bloßer Christ; ja, eigentlich nichts mehr, als ein bloßes menschliches Geschöpf. Noch mehr, ich wag' es noch weiter zu gehen, man ist damit gewissermaßen ein Epikuräer: denn was könnte der größeste Wollüstling mehr wünschen, als mit viel Mäulern statt mit Einem Munde zu essen! und dies, glaub' ich, kann man von jedem Manne sagen, der es weiß, daß das Brod vieler seine eigene Gabe ist.«

»Was die Besorgnis betrifft, man möchte seine Wohlthaten an solche verschwenden, die ihrer nachher unwürdig befunden werden, wie das nicht selten geschehen sein mag, so kann solches gewiß keinen Mann abschrecken, freigebig zu sein: Ich denke nicht, daß ein paar oder auch viele Beispiele von Undankbarkeit einen Mann rechtfertigen können, wenn er sein Herz gegen die Leiden seiner Mitgeschöpfe verhärtet. Ich glaube auch nicht, daß sie auf einen wirklich wohlthätigen Mann jemals diese Wirkung thun werden. Nichts weniger als die Ueberzeugung von allgemeiner Verderbtheit der Menschen kann einem guten Mann die Liebe des Nächsten verleiden; und diese Ueberzeugung müßte ihn, wie ich denke, entweder zum Atheisten, oder zum Enthusiasten machen. Aber es ist gewiß unbillig, auf eine solche allgemeine Verderbnis aus dem fehlerhaften Betragen einiger wenigen Menschen zu schließen; auch hat es, glaube ich, noch nie ein Mann gethan, der, wenn er sein eigenes Herz untersuchte, darinnen nur eine einzige Ausnahme von der allgemeinen Regel bemerkte.« Hier beschloß er damit, daß er fragte, wer der Rebhuhn sei, den er einen unwürdigen Kerl genannt hatte.

»Ich meine,« sagte der Kapitän, »Rebhuhn, den Barbierer, den Schulmeister, und was weiß ich alles? Rebhuhn, den Vater des Kindes, das Sie in Ihrem Bette fanden.« Herr Alwerth zeigte ein großes Erstaunen über diese Nachricht, und der Kapitän schien ebenso sehr verwundert darüber, daß er sie noch nicht wisse, denn er sagte, er habe es schon seit länger als einem Monat gewußt, und er schien sich mit vieler Mühe zu erinnern, daß er es durch Jungfer Wilkins erfahren habe.

Hierauf wurde die Wilkins augenblicklich vorgefordert, und nachdem sie das, was der Kapitän gesagt, bestätigt hatte, ward sie von Herrn Alwerth, auf und mit des Kapitäns Rat, nach Kleinpaddington gesandt, um sich nach der Wahrheit der Sache zu erkundigen: denn der Kapitän bezeigte einen großen Widerwillen gegen hastiges Verfahren in Kriminalsachen, und sagte, er möchte um aller Welt willen nicht, daß Herr Alwerth einen Entschluß [70] faßte, weder zum Nachteile des Kindes noch seines Vaters, bevor er nicht gewiß von der Schuld des letztern überzeugt wäre: denn, ob er gleich selbst für sich insgeheim diese Ueberzeugung von einem von Rebhuhns Nachbarn eingeholt hatte, so war er doch zu edelmütig, vor Herrn Alwerth dies Zeugnis abzulegen.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Des Schulmeister Rebhuhns Verhör in Puncto Sexti; Zeugnis seiner Ehefrau; eine kurze Bemerkung über die Gesetze des Landes nebst andern ernsthaften Materien, die denen am meisten gefallen werden, die solche am besten verstehen.


Man wundert sich vielleicht, daß eine so bekannte Geschichte, und welche so viel Geredes gemacht hatte, dem Herrn Alwerth selbst nie zu Ohren gekommen sei, welcher vielleicht der einzige in der ganzen Gegend war, der noch nichts davon vernommen hatte.

Um dies dem Leser einigermaßen zu erklären, finde ich nötig, ihm zu berichten, daß im ganzen Britischen Reiche keinem Menschen weniger dran gelegen war, die Lehre von der neueren Bedeutung des Worts,Liebe des Nächsten, zu bestreiten, welche aus dem vorigen Kapitel erinnerlich sein wird, als unserem guten Manne, Herrn Alwerth. Er hatte wirklich gleiche Ansprüche auf diese Tugend, in welchem Sinne man sie nahm; denn, so wie kein Mensch die Bedürfnisse anderer schneller fühlte, oder williger war, ihnen abzuhelfen, so konnte auch niemand behutsamer in Ansehung ihres Leumunds, oder langsamer sein, irgend etwas zu ihrem Nachteile zu glauben.

Verleumdung fand also niemals Zutritt bei seiner Tafel: denn so wie vorläufig schon bemerkt worden, wie man einen Mann aus seinem Umgang kennen kann; so erkühne ich mich zu sagen, daß, wenn man auf die Unterredung an den Tafeln eines vornehmen Mannes acht gibt, man sich von seiner Religion, seinem Patriotismus, seinem Geschmacke, mit einem Worte, von der ganzen Denkungsart des Mannes überzeugen könne; weil, obgleich einige Sonderlinge ihre Herzensmeinung allerorten frei heraussagen, doch die meisten Menschenkinder Hofschranzen genug sind, ihre Gespräche nach dem Geschmacke und den Neigungen ihrer vornehmen Gönner einzurichten.

Um aber wieder zur Jungfer Wilkins zu kommen, so brachte diese, nachdem sie ihren Auftrag mit großer Eile, ungeachtet sie [71] einen Weg von fünfzehn englischen Meilen hatte machen müssen, besorgt hatte, eine solche Bestätigung von dem Verbrechen des Schulmeisters mit, daß Herr Alwerth beschloß, den armen Sünder vorfordern zu lassen, und ihn viva voce zu vernehmen. Rebhuhn ward also vorgeladen, um seine Notdurft wahrzunehmen, und seine Verteidigung (falls er dergleichen wüßte) gegen die Anklage vorzubringen.

Zur angesetzten Zeit erschien vor dem Herrn Alwerth, zu Paradise-Hall sowohl obgenannter Rebhuhn mit Anna seiner Ehefrau, als auch Jungfer Wilkins, seine Anklägerin.

Nachdem sich Herr Alwerth auf seinen Richterstuhl gesetzt hatte, ward Rebhuhn vorgeführt. Nach deutlich vernommener Anklage aus dem Munde der Jungfer Wilkins behauptete er, unschuldig zu sein, und zwar that er solches mit großem Beteuern.

Hierauf ward Anna Rebhuhn vernommen; die dann, nach einigem Lamentieren über den Notzwang, wider ihren eigenen Ehemann die Wahrheit bezeugen müssen, alle die Umstände erzählte, die dem Leser schon bekannt sind, und am Ende damit beschloß, daß ihr Mann gegen sie die That gestanden hätte.

Ob sie ihm verziehen hatte oder nicht, das wage ich nicht zu beantworten; gewiß aber ist's, sie war in dieser Sache ein unwilliger Zeuge, und würde sich aus gewissen anderen Ursachen niemals haben dahin bringen lassen, wider ihn vor Gericht zu treten, hätte nicht Jungfer Deborah in ihrem eigenen Hause mit großer Kunst alles aus ihr herausgeholt, und hätte die ihr nicht das ausdrückliche Versprechen gegeben, und zwar in Herrn Alwerths Namen, ihres Mannes Strafe solle so ausfallen, daß seine Angehörigen ganz und gar nichts darunter litten.

Rebhuhn verharrte beständig beim Leugnen, ob er gleich das oben von Zeugin erwähnte Geständnis als gethan erkannte, doch aber anders zu drehen suchte, indem er beteuerte, er sei dazu gezwungen worden, durch das unablässige Placken und Plagen, was er er leben müssen, wobei sie ihm noch zugeschworen hätte, sie wolle ihn, da sie gewiß wisse, er sei schuldig, so lange unaufhörlich quälen, bis ers gestünde, und dabei getreulich versprochen, ihm hernach kein Wort mehr darüber zu sagen. Hierdurch hätte er sich fälschlicherweise verleiten lassen, die That einzugestehen, ob er gleich unschuldig gewesen und noch sei; und glaubte er, sie hätte auf diese Art ihn zum Geständnis eines Mordes bringen können.

Anna Rebhuhn konnte diese Bezichtigung nicht mit Geduld ertragen; da sie aber, an dem Orte hier, kein ander Gegenmittel hatte, als Thränen, rief sie davon einen zahlreichen Beistand hervor; wendete sich dann an Herrn Alwerth und sagte, oder vielmehr [72] schluchzte: »Gnädiger Herr Richter, glauben mir 'R Gnaden, alle ihr' Leb's tage ist kein' arme Frau so g'mißhandelt als ich's werde, von dem schändl'chen Kerl da: 's ist nicht das Einz'gste mal, daß 'r mir falsch und untreu ist. Nein mit 'R Gnaden Wohlnehm'! er hat mein Eh'bett oft und manchmal besudelt. Ich hätt' ihm sein Saufen und Schwelgen und Versäum'n seiner Arbeit noch hingeh'n lassen, wenn 'r nicht eins der heil'gen zehn Gebote übertreten hätte; und wenn's nur noch außerm Hause gewesen wäre, so hätt' ich noch nicht so viel draus gemacht; aber'st mit meiner eigenen Magd, in meinen eignen vier Wänden, unter mein'm Dach, mein eignes keusches Eh'bett zu verunreinigen, denn das hat 'r gewiß mit seinen ruppigen Stinkhaaren gethan. Ja, du Lump, du! Du hast mein Ehebett besudelt, das hast du, und denn willst du mich beschuldigen, ich hätt' dich verblüfft, die Wahrheit zu bekennen. Ja, 'R Gnaden, er sieht mir auch darnach aus, daß ich'n verblüffen könnte! Ich trage die Zeichen an meinem eign'n Leichnam, die ich von seiner ochsigen Grausamkeit aufweisen kann. Wär'st du ein rechtl'cher Kerl gewesen, du Halunke! so hätt'st dich wohl geschämt, ein schwaches Werkzeug so zu traktieren; aber, du bist nicht e'nmal ein halber Kerl, das weist du! Bist für mich nicht 'nmal ein halber Ehemann gewest, siehstu! Hast wohl not, d'n Huren nachzulaufen, hast wohl große Not! da ich doch weiß – – und da er mir's Maul aufreißt, so bin erbötig, mit 'R Gnaden Wohlnehmen ein'n körperlichen Eid vor fünf Geistlichen drauf zu thun, daß ich sie miteinander im Bett gefunden habe. Was, du hast's wohl vergessen, glaub' ich, als du mich prügeltest, daß ich davor eine Ohnmacht kriegte, und mir's Blut vom Kopfe rann, weil ich dir deine Ehebrecherei, so ganz in aller christlichen Sanftmut, vorhielt! Aber! alle meine Nachbar'n können mir's bezeugen! 's wird e'n Nagel zu meinem Sarge sein, das wird's! so wird's!«

Hier fiel ihr Herr Alwerth ein und bat sie, sich zu beruhigen; wobei er ihr versprach, ihr sollte Gerechtigkeit werden. Hierauf redete er den Delinquent Rebhuhn an, welcher ganz blaß dastand, und die Hälfte seiner fünf Sinne vor Bestürzung, und die andere Hälfte vor Furcht verloren hatte, und sagte: es thät ihm leid, daß ein so gottloser Mann in der Welt wäre. Er versicherte ihn, seine listigen Ausflüchte, sein Lügen hinter- und vorwärts vermehre seine Schuld um ein großes: und er könne solches durch nichts anders gut machen, als durch ein aufrichtiges Bekenntnis und inniges Bereuen. Er ermahne ihn also, damit auf der Stelle den Anfang zu machen, daß er die That gestünde, und nicht länger beharre etwas zu leugnen, dessen er durch seine eigene Frau so deutlich überwiesen worden wäre.

[73] Hier, lieber Leser, bitte ich, sich eine Minute zu gedulden, derweil ich der Weisheit und Klugheit der Landesgesetze ein billiges Kompliment mache, welche das Zeugnis einer Ehefrau für oder gegen ihren Ehemann für unzulässig erklären. Dies, sagt ein gewisser gelehrter Autor, welcher, wie mich dünkt, wohl niemals bisher in irgend einem andern als in einem juristischen Buche angeführt worden, würde das Mittel sein, ewige Uneinigkeiten unter ihnen anzustiften. Es würde in der That viele Meineide und viele Staubbesen, Geldstrafen, Inhaftierungen, Landesverweisungen, Hängen und Köpfen veranlassen.

Rebhuhn stand eine Weile verstummt, bis er, da ihm zu reden geboten wurde, sagte, er habe bereits die Wahrheit gesagt, und berufe er sich auf den Himmel als Zeugen seiner Unschuld, und endlich auf das Mädchen selbst, die er seine Gestrengen bat, sobald als möglich vorfordern zu lassen; denn es war ihm nicht bekannt oder wenigstens stellte er sich so, daß sie diese Gegend des Landes verlassen hätte.

Herr Alwerth, dessen natürliche Gerechtigkeitsliebe, vereint mit seiner Kaltblütigkeit, ihn zu einem sehr geduldigen Richter machte, der alle die Zeugen anhörte, welche die beklagte Person zu ihrer Verteidigung beibringen konnte, willigte drein, das Endurteil in dieser Sache bis zu Hannchens Ankunft zu verschieben, nach welcher er auf der Stelle einen Boten abschickte; und dann, nachdem er Rebhuhn und seiner Frau Frieden geboten hatte, (ob er sich hierbei gleich vornehmlich an die unrechte Person wandte) beschied er sie auf den dritten Tag wieder vor; denn er hatte Hannchen Jones auf eine ganze Tagereise weit von seinem Hause weggeschickt.

Auf die bestimmte Zeit erschienen die Parteien coram: als der wiederkommende Bote Nachricht brachte, Hannchen Jones sei nicht zu finden; denn sie habe vor einigen Tagen in Gesellschaft eines Offiziers ihren Aufenthalt verlassen.

Hierauf erklärte Herr Alwerth, daß das Zeugnis eines so liederlichen Mädchens, als sie zu sein schien, keinen Glauben verdient haben würde; doch, sagte er, könne er nicht umhin, zu glauben, daß, wäre sie erschienen und hätte die Wahrheit ausgesagt, so könne sie nicht anders, als bekräftigt haben, was so manche Umstände benebst seinem eignen Geständnis und der Aussage seiner Ehefrau, (daß sie ihren Mann auf frischer That ergriffen) schon hinlänglich erhärteten. Er vermahnte also Rebhuhn noch einmal, sein Verbrechen zu gestehen; da er aber immer noch sich auf seine Unschuld berief, so erklärte sich Herr Alwerth, er sei von seinem Verbrechen überzeugt, und er, Rebhuhn, sei ein zu gottloser Mensch, um ferner einige Unterstützung von ihm zu verdienen. Er entzog [74] ihm also seinen Jahrgehalt und empfahl ihm Reue in Hinsicht auf die zukünftige Welt, und Fleiß, um sich und seine Frau auf dieser zu ernähren.

Es gab vielleicht wenig unglücklichere Menschen als den armen Rebhuhn. Er hatte, durch das Zeugnis seines eignen Weibes, den besten Teil seiner Einkünfte verloren und doch rückte sie ihm unter vielen andern Dingen noch täglich vor, wie er schuld sei, daß sie dieser Wohlthat entbehren müsse; aber das war nun einmal sein Schicksal, und er war genötigt, sich darein zu finden.

Ich habe ihn zwar im vorigen Absatz den armen Rebhuhn genannt; aber ich wollte, der Leser möchte dieses Beiwort vielmehr dem Mitleiden meines Herzens zuschreiben, als es für eine Erklärung seiner Unschuld ansehen. Ob er unschuldig war oder nicht? das wird sich vielleicht in der Folge zeigen. Wenn mir aber auch die historische Muse einige Geheimnisse anvertraut hat, so will ich mir keineswegs die Schuld aufladen, sie früher zu entdecken, als bis sie mir es erlaubt.

Hier muß also der Leser seine Neugier an den Nagel hängen. Gewiß ist es, auf welcher Seite auch die Wahrheit liegen mochte, die Beweise waren mehr als hinlänglich für Herrn Alwerth, ihn straffällig zu finden. Gewiß würde für ein hochpreisliches Konsistorium in Ehe- und Ehebruchssachen weit weniger, zur Findung eines Urteils, hingereicht haben; und dennoch, ungeachtet Anna Rebhuhns standhafter Aussage, worauf sie das heilige Abendmahl zu nehmen bereit war, ist doch eine Möglichkeit vorhanden, daß der Schulmeister völlig unschuldig sein könne; denn, ob es gleich ganz klar schien, wenn man die Zeit, um welche Hanna Jones aus Kleinbaddington wegging, mit der Zeit ihrer Niederkunft zusammenhält, daß das Kind dort gezeugt sein müsse, so ist es doch noch keine notwendige Folge, daß eben Rebhuhn der Vater gewesen. Denn, andere Nebenumstände beiseite gesetzt, befand sich in demselben Hause ein Bursche von fast achtzehn Jahren, zwischen welchem und Hannchen genugsame Bekanntschaft obgewaltet hatte, um darauf einen nicht unvernünftigen Verdacht zu gründen; und doch, so blind ist Eifersucht! dieser Umstand kam dem tollen Weibe nicht ein einzigesmal in den Kopf.

Ob Rebhuhn sein Vergehn, nach Herrn Alwerths gutem Rate, bereute oder nicht, das liegt im Dunkeln. Gewiß ist's, daß seiner Frau das Zeugnis, was sie wider ihn abgelegt hatte, herzlich leid that; besonders als sie fand, daß Jungfer Deborah sie betrogen hatte und sich weigerte, bei Herrn Alwerth ein gutes Wort für sie einzulegen. Indessen hatte sie etwas bessern Trost bei Madame Blifil gefunden, welche, wie der Leser gemerkt haben muß, ein viel [75] mitleidigeres Gemüt besaß, und es mit vieler Güte übernahm, bei ihrem Bruder zu bitten, daß er ihr den vorigen Jahrgehalt wieder bewilligen möchte. An welchem Mitleiden, obgleich Gutherzigkeit dabei ein wenig das ihrige thun mochte, doch eine viel stärkere und natürlichere Ursache den größten Teil hatte, wie aus dem nächsten Kapitel erhellen wird.

Diese Fürbitten waren indes vergebens; denn obgleich Herr Alwerth nicht dachte wie einige neuere Schriftsteller, daß Gnade bloß in Bestrafung der Verbrecher bestehe, so war er doch ebenso weit entfernt, zu denken, es gezieme dieser vortrefflichen Eigenschaft besonders, ein Verbrechen, ohne irgend einige Ursache, aus bloßer Willkür, zu verzeihen. Der geringste Zweifel bei der Thatsache oder irgend ein mildernder Umstand wurden allemal in Betracht gezogen: aber die Bitten eines Verbrechers oder die Fürsprachen von andern, erschütterten ihn nicht im geringsten. Kurz, er verzieh niemals deswegen, weil der Verbrecher oder seine Freunde es ungerne sahen, daß er bestraft würde.

Rebhuhn und seine Frau waren also beide genötigt, ihr Schicksal zu ertragen, welches wirklich schwer genug war: denn so weit war er davon entfernt, seinen Fleiß wegen verringerter Einnahme zu verdoppeln, daß er sich gewissermaßen der Verzweiflung überließ. Und weil er von Natur schon faul und träge war, so gewann dieser Fehler immer mehr Wachstum, und er verlor dadurch die kleine Schule, die er hatte. Solchergestalt würden weder seine Frau noch er einen Bissen Brod gehabt haben, wäre nicht die Barmherzigkeit irgend eines guten Christen ins Mittel getreten und hätte sie mit dem versorgt, was zur bloßen Unterhaltung ihres Lebens hinreichte.

Da ihm dieser Unterhalt von unbekannter Hand gereicht wurde, so bildeten sie sich ein, und das wird, wie ich nicht zweifle, der Leser gleichfalls thun, daß Herr Alwerth ihr heimlicher Wohlthäter sei; welcher zwar öffentlich kein Laster aufmuntern mochte, jedoch heimlich das Elend, selbst lasterhafter Personen, zu lindern trachtete, wenn es zu bitter, oder, verhältnismäßig gegen ihr Verschulden, zu groß ward. In welchem Lichte die Not dieser Leute dem Glücke selbst erschien; denn dieses erbarmte sich endlich des Elendes dieses Ehepaars und erleichterte den jammervollen Zustand Rebhuhns dadurch nicht wenig, daß sie das Lebensende seiner Ehefrau verkürzte, welche bald darauf die Kinderpocken bekam und starb.

Die Gerechtigkeit, mit welcher Herr Alwerth den Rebhuhn gerichtet hatte, fand anfangs allgemeinen Beifall: sobald aber hatte er nicht davon die Folgen empfunden, als seine Nachbarn begannen, weichherzig zu werden und seinen Zufall zu bedauern und [76] bald darauf dasjenige als Härte und Strenge zu tadeln, was sie vorher als Gerechtigkeit gepriesen hatten. Nunmehr schalten sie auf das Strafen bei kaltem Blute und sangen Loblieder auf Barmherzigkeit und Gnade.

Dieses Geschrei ward um ein merkliches durch den Tod von Rebhuhns Frau verstärkt, welchen einige, ob sie gleich an der vorgenannten Seuche starb, welche keineswegs eine Folge von Armut oder Kummer ist, sich nicht schämten, auf die Rechnung der Strenge oder wie sie es jetzt nannten, Grausamkeit des Herrn Alwerth zu setzen.

Rebhuhn, der nunmehr seine Frau, seine Schule und sein Jahrgeld verlor, entschloß sich, nachdem die unbekannte Person die vorhin erwähnten milden Gaben nicht weiter fortsetzte, den Schauplatz zu verändern, und verließ, zum allgemeinen Bedauern seiner Nachbarn, das Land, in welchem er Gefahr lief, zu verhungern.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Eine kleine Skizze von derjenigen Glückseligkeit, welche kluge Eheleute aus dem Hasse erzielen können; nebst einer kleinen Schutzrede für solche Leute, welche die Fehler ihrer Freunde übersehen.


Obgleich der Kapitän den armen Rebhuhn wirklich zu Grunde gerichtet hatte, so erntete er doch nicht die Früchte, welche er von seiner Mühe hoffte, nämlich den Findling aus Herrn Alwerths Hause zu bringen.

Dieser edle Mann ward vielmehr von Tag zu Tag verliebter in seinen kleinen Tom, gerade als ob er seiner Strenge gegen den Vater durch außerordentliche Liebe und Güte zu dem Sohne, das Gegengewicht halten wollte.

Dies verpfefferte die Gemütsart des Kapitäns nicht wenig; so wie alle die täglichen Beweise von Herrn Alwerths Freigebigkeit: denn er betrachtete alle solche milde Gaben als eine Verminderung seines eigenen Reichtums.

Hierin war er, wie wir gesagt haben, nicht einerlei Sinnes mit seiner Gattin, so wie freilich überhaupt in keinen Dingen. Denn obgleich eine Liebe, die auf den Verstand gefallen ist, von vielen weisen Personen für viel dauerhafter geachtet wird, als eine auf Schönheit gegründete Zärtlichkeit, so zeigte sich doch hier in diesem Falle gerade das Widerspiel. Ja sogar war der Verstand für dieses Ehepaar der eigentliche Zankapfel und eine große Ursache [77] manchen Zwistes, der sich von Zeit zu Zeit unter ihnen hervorthat, und welcher zuletzt abseiten der Dame in eine herzliche Verachtung ihres Eheherrn, und abseiten des Herrn Gemahls, in völlige Verabscheuung seiner Gattin ausschlug.

Als diese beiden ihre Talente vorzüglich aufs Forschen in der Schrift verwendet hatten, so war diese, von ihrer ersten Bekanntschaft an, der gewöhnlichste Stoff ihrer Gespräche. Der Kapitän hatte, wie ein Mann von Lebensart, vor der Heirat allemal seine Meinung der Dame unterworfen, und zwar nicht auf die plumpe und grobe Art eines eigenwilligen Dummkopfs, welcher, indem er den Gründen eines Vornehmern nachgibt, sich gern merken läßt, daß er bei alledem doch recht habe; vielmehr überließ der Kapitän, ob er gleich einer der stolzesten Gesellen von der Welt war, seiner Gegnerin den Sieg so völlig, daß sie, die nicht den geringsten Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hatte, sich allemal mit Bewunderung ihres eigenen Verstandes und mit Verliebtheit in den seinigen aus dem Dispute zog.

Jedoch, obgleich diese Gefälligkeit gegen eine Person, welche der Kapitän durchaus verachtete, ihm nicht so schwer ankam, als wenn Hoffnung auf Beförderung eine gleiche Unterwerfung gegen einen examinierenden Generalsuperintendenten oder irgend sonst einen berühmten Gottesgelehrten nötig gemacht hätte, so kostete ihn doch diese schon so viel, um solche ohne einen Bewegungsgrund auszuhalten. Nachdem also die Heirat alle diese Bewegungsgründe gehoben hatte, ward er dieses Nachgebens müde, und fing an, die Meinungen seiner Frau mit einem solchen beleidigenden Stolze abzufertigen, den niemand, als der, welcher selbst einige Verachtung verdient, bezeigen, und nur der, welcher keine Verachtung verdient, ertragen kann.

Als der erste Strom von Zärtlichkeit abgeflossen war, und in den ruhigen und langen Zwischenzeiten ihrer Anwandlungen, die Vernunft die Augen der Dame zu öffnen begann, und sie dann diese Aenderung im Betragen des Kapitäns gewahr ward, welcher auf alle ihre Gründe endlich nichts anders antwortete, als: Poh! pah! so war sie nichts weniger als gewillt, solche Ungezogenheiten mit zahmer Unterwürfigkeit zu ertragen. Es brachte sie wirklich im Anfang in einen solchen Zorn, daß daraus eine tragische Begebenheit hätte entstehen können, hätte ihr Verdruß nicht dadurch eine unschädlichere Wendung genommen, daß sie die völligste Verachtung für den Verstand ihres Ehemanns faßte, welches denn ihren Haß gegen ihn etwas minderte, ob sie gleich davon noch einen so ziemlichen Vorrat behielt.

Der Haß des Kapitäns gegen sie war von reinerer Art. Denn [78] wegen eines Mangels an Wissenschaften oder an Verstand verachtete er sie ebensowenig, als deswegen, daß sie keine sechs Fuß hoch war. In seiner Meinung vom weiblichen Geschlecht trieb er die Scheelsucht noch weiter als selbst Aristoteles. Er betrachtete ein Weib als ein Tier vom häuslichen Gebrauch, von etwas mehr Vorzug als eine Katze, weil ihre Dienste von etwas größerer Wichtigkeit wären. Den Unterschied zwischen beiden aber hielt er für so gering, daß es ihm bei seiner Verheiratung mit Herrn Alwerths Gütern und Ländern so ziemlich einerlei gewesen wäre, welche von beiden er mit in den Kauf bekommen hätte. Und doch war sein Stolz so zart, daß er die Verachtung fühlte, welche jetzt seine Frau gegen ihn zu zeigen anfing, und dieses, vereint mit der Sättigung, die er schon längst vor ihrer Liebe gespürt hatte, erzeugte bei ihm einen Grad von Ekel und Abscheu, die wohl schwerlich ihresgleichen haben möchten.

Nur eine Situation des heiligen Ehestandes ist keiner Freude fähig, und das ist die Situation der Gleichgültigkeit. Wie aber viele von meinen Lesern, wie ich hoffe, wissen, welch ein inniges Vergnügen es sei, dem geliebten Gegenstande Freude zu machen; so fürchte ich, mögen auch einige die Freude aus Erfahrung kennen, die es macht, wenn man jemand peinigen kann, den man haßt. Es geschieht in der Absicht, besorge ich, um sich diese letzte Freude zu verschaffen (wie oft geschieht), daß beide Geschlechter der Behaglichkeit im Ehestande entsagen, welcher sie außerdem genießen könnten, so angenehm ihr Gatte ihnen übrigens sein möchte. Aus dieser Ursache nimmt oft das Weib ihre Anwandelungen von Liebe, vor Eifersucht zur Hand, ja versagt sich selbst jedes Vergnügen, um die Vergnügungen ihres Mannes zu vereiteln und zu stören, und er hingegen zur Wiedervergeltung, thut sich oft selbst Gewalt an, und bleibt zu Hause in einer Gesellschaft, die ihm mißfällt, um seiner Frau den vollen Genuß dessen, was sie verabscheuet, zu gewähren. Aus dieser Ursache müssen wohl auch jene Thränen fließen, welche zuweilen eine Witwe in solchem Ueberflusse über der Asche eines Mannes vergießt, mit dem sie ihr Leben in ununterbrochenem Zank und Streit hingebracht hat, und den ferner zu quälen, sie nunmehr alle Hoffnung hat aufgeben müssen.

Wenn aber jemals ein Ehepaar dieses Vergnügen gekostet hat, so genossen es auch jetzt in aller seiner Fülle der Kapitän und seine Gemahlin. Bei ihnen beiden war's beständig eine hinlängliche Ursache, auf einer Meinung hartnäckig zu bestehen, wenn der andre vorher nur das Gegenteil geäußert hatte. Sie liebten oder haßten, lobten oder tadelten niemals eine und dieselbe Person. Und weil der Kapitän den Findling nicht mit günstigen Augen betrachtete, [79] so war dies Ursache genug, daß seine Ehegenossin anfing, ihm fast ebensosehr zu liebkosen als ihr eigen Kind.

Der Leser wird leicht begreifen, daß diese Aufführung zwischen Gemahl und Gemahlin eben nicht sonderlich beitrug, Herrn Alwerth sein Leben angenehm zu machen, weil die heitere Glückseligkeit, die er sich von dieser Verbindung für alle drei verheißen hatte, so wenig dadurch befördert wurde. Die Wahrheit aber ist, daß, obschon er sich wohl ein wenig in seinen Hoffnungen und Erwartungen getäuscht finden mochte, er doch bei weitem das ganze Spiel nicht übersehen konnte. Denn sowie der Kapitän, aus sehr in die Augen fallenden Gründen, in Alwerths Gegenwart ungemein auf seiner Hut war, so sah sich auch die Dame, aus Furcht ihrem Bruder zu mißfallen, ebenfalls genötigt, dieselbe Aufführung zu beobachten. Kurz, es ist für eine dritte Person möglich, mit einem verheirateten Paare sehr gut bekannt zu sein, ja sogar eine ziemliche Weile mit ihm in einem Hause zu wohnen, ohne daß, wenn es nur einige Weltklugheit besitzt, sie seine wahren Gesinnungen gegen einander nur mutmaßen könne. Denn obgleich der ganze lange Tag sowohl für den Haß, als für die Liebe zuweilen zu kurz fallen mag, so geben doch die manchen Stunden, die sie allein ohne Beobachter hinbringen, für Leute von nur einiger Mäßigkeit, so reichliche Gelegenheit an die Hand, jede von diesen Leidenschaften zu befriedigen, daß, wenn sie sich lieben, sie wohl ein paar Stunden in Gesellschaft sein können, ohne mit einander zu tändeln, oder wenn sie sich hassen, ohne einander ins Gesicht zu fahren.

Unterdessen ist es doch möglich, daß Alwerth genug sah, um ihn ein wenig unruhig zu machen, denn man muß nicht allemal schließen, ein weiser Mann fühle nichts, wenn er nicht so klagt und winselt, wie andre Leute von einem kindischen oder weibischen Gemüte. In der That aber ist es möglich, daß er einige Fehler an dem Kapitän entdeckte, ohne sich im geringsten darüber zu beunruhigen, denn Menschen wahrer Weisheit begnügen sich, Personen und Sachen so zu nehmen wie sie sind, ohne sich über ihre Unvollkommenheiten zu beklagen, oder ohne sich zu bemühen, sie zu bessern. Sie können an einem Freunde, einem Verwandten oder Bekannten einen Fehler bemerken, ohne dessen gegen die Personen selbst oder gegen andre zu erwähnen, und dieses oft, ohne daß ihr Wohlwollen darunter leide. Wirklich, wenn nicht ein heller Verstand mit dieser duldsamen Nachsichtigkeit vermischt ist, so sollten wir lieber mit Leuten von einem gewissen Grade von Dummheit Freundschaft eingehen, die wir betrügen können: denn ich hoffe, meine Freunde werden mir's verzeihen, wenn ich's frei gestehe, ich kenne niemand unter ihnen ohne einen Fehler, und es sollte mir leid thun, zu [80] denken, ich hätte einen Freund, der die meinigen nicht sehen könnte. Wir geben und fordern hierüber wechselseitige Nachsicht. Es ist eine Uebung in der Freundschaft, und vielleicht keine von den unangenehmsten. Und diese Verzeihung müssen wir erteilen ohne Besserung zu fordern. Es gibt vielleicht kein sichres Kennzeichen von Thorheit als das Bestreben, die natürlichen Schwachheiten einer Person zu verbessern, die wir lieben. Die feinste Komposition in der menschlichen Natur sowohl, als das feinste Porzellan, kann einen kleinen Makel haben und dieser, fürchte ich, läßt sich in beiden nicht ändern, obgleich dabei übrigens das Stück von der höchsten Kostbarkeit sein kann.

Im Allgemeinen also sah Herr Alwerth zwar gewiß einige Gebrechen an dem Kapitän, allein weil er ein verschlagener Mann und in Alwerths Beisein unablässig auf seiner Hut war, so erschienen ihm diese Mängel nichts mehr zu sein, als Schattenstriche in einem guten Charakter, die ihn seine Güte übersehen und seine Weisheit sich abhalten ließ, sie nur dem Kapitän selbst bemerklich zu machen. Ganz verschieden würde seine Empfindung gewesen sein, wenn er den ganzen Zusammenhang gewußt hätte, wozu es vielleicht mit der Zeit gekommen sein möchte, hätten Mann und Frau dieses Benehmen gegeneinander so fortgetrieben; aber dies zu verhindern wendete das gute Glück die zweckmäßigsten Mittel an, indem es den Kapitän zwang, dasjenige zu thun, was ihn seiner Gattin wieder sehr teuer machte und ihm alle ihre Liebe und Zärtlichkeit von neuem erwarb.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Eine Universalmedizin, die verlorene Liebe einer Ehefrau wieder zu gewinnen, welche in allen, auch in den desperatesten Fällen als probat befunden werden wird.


Für die angenehmen Minuten, die der Kapitän im Umgang seiner Ehegattin zubrachte, und deren er so wenige machte, als er es mit seiner List und Kunst bewirken konnte, ward er durch die ergötzlichen Betrachtungen reichlich schadlos gehalten, denen er sich überließ, wenn er allein war.

Diese Betrachtungen beschäftigten sich ganz allein mit Herrn [81] Alwerths Vermögen; denn erstlich übte er seine Gedanken fleißig daran, so genau, als durch Zahlen möglich, den Belauf des ganzen zu berechnen; welche Berechnung er oft zu seinem Vorteil zu verändern Ursache fand, und zweitens und vornehmlich that er sich gütlich mit Entwürfen zu Veränderungen im Hause und Garten, und mit Durchdenkung mancher andern Plane, zur Verbesserung der Güter sowohl, als zur Vergrößerung und Verschönerung der Gebäude. Zu diesem Endzwecke legte er sich auf das Studium der Bau- und Gartenkunst und las in beiden Wissenschaften manches Buch durch; denn diese Wissenschaften nahmen ihm wirklich alle Stunden weg und machten seinen ganzen Zeitvertreib aus. Endlich brachte er einen gar vortrefflichen Plan ins reine. Und sehr leid thut es uns, daß es nicht in unsrem Vermögen steht, solchen dem Leser vorzulegen, weil selbst die Ueppigkeit und Prachtsucht unsrer Tage schwerlich, wie ich glaube, seinesgleichen würde aufweisen können. Dieser Plan hatte in der That in einem sehr hohen Grade zwei der vorzüglichsten Eigenschaften, welche erforderlich sind, um alle großen und edlen Entwürfe zu empfehlen, denn es gehörte ein unmäßiger Aufwand dazu, ihn auszuführen, und eine Zeit von vielen Jahren, bevor er nur einigermaßen vollendet werden konnte. Das erste von diesen beiden, den Aufwand an Geld, versprach sich der Kapitän mit dem unermeßlichen Reichtum des Herrn Alwerth, den er ganz sicher zu erben dachte, ganz gemächlich zu bestreiten, und in Ansehung des zweiten setzten ihn sein guter Gesundheitszustand und sein Alter, das nicht höher ging, als was man das mittlere zu nennen pflegt, außer alle Sorgen, daß er nicht die Ausführung erleben sollte.

Nichts fehlte weiter, um ihn instandzusetzen, das Werk von Stund an in Gang zu bringen, als der Tod des Herrn Alwerths; diesen auszurechnen hatte er manchen Abend auf seine eigne Hand algebraisirt und überdem noch jedes Buch gekauft und gelesen, das über die Wahrscheinlichkeit der Lebensjahre, zum Behufe der Lebensversicherungen, Witwenkassen, Leibrenten u.s.w. zu haben war. Vermittelst dessen allem er sich überzeugte, daß, sowie er Wahrscheinlichkeit für sich hätte, daß sein Erblasser jeden Tag sterben könne, so hätte er überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß er in wenig Jahren sterben würde.

Unterdessen aber, als der Kapitän eines Tages in tiefem Nachdenken über Sachen dieser Art begriffen war, begegnete ihm einer der unglücklichsten und zugleich unzeitigsten Zufälle. Die tückischste Bosheit des Glücks hätte wirklich nichts so Grausames, soMal-à-propos, so Grundstürzendes für alle seine Projekte herausgrübeln können. Kurz, um den Leser nicht lange in Zweifel zu lassen, [82] gerade in demselben Augenblicke, da sein Herz voll Jubels klopfte, in anschaulicher Betrachtung der Glückseligkeiten, die ihm zuwachsen müßten durch Alwerths Tod – starb er selbst dahin am Schlage.

Dieser überfiel den Kapitän beklagenswürdigerweise, als er eben für sich allein seinen Abendspaziergang im Garten that, so daß niemand zur Hand war, der ihm hätte Hilfe leisten können, wenn anders Hilfe ihm hätte das Leben retten mögen. Er nahm also Maß von dem Teil des Erdbodens, welches nunmehr für all seine künftigen Bedürfnisse hinlänglich geworden war, und er lag da auf der Erde, ein großes (obgleich nicht lebendes) Beispiel von der Wahrheit jener Bemerkung des Horaz:


»Tu secanda marmora
Locas sub ipsum funus: et sepulchri
Immemor, struis domos.«

Welches ich für den Leser folgender Gestalt übersetzen will:


»Du schaffest kostbaren Vorrat zum bauen herbei, wenn's nur des Spatens und der Hacke bedarf; – bauest Häuser fünfhundert Fuß lang und hundert breit, und vergissest jenes von sechs Fuß zu zwei.«

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Ein Beweis von der Unfehlbarkeit der vorhergehenden Universalmedizin in der Jammerklage der Witwe; anbei noch andre schickliche Dekorationen bei Sterbefällen, als Aerzte u. dergl. und ein Epitaphium im echten Stile.


Herr Alwerth, seine Schwester und eine andre Dame hatten sich zur gewohnten Stunde des Abends im Speisesaale versammelt, woselbst sie ziemlich lange über die gewöhnliche Zeit gewartet hatten, als Herr Alwerth der erste war, welcher sagte, er finge an, über des Kapitäns Außenbleiben unruhig zu werden (denn er pflegte sich sehr pünktlich bei den Mahlzeiten einzustellen), und Ordre gab, man sollte die Gartenglocke läuten, besonders nach den Gängen hin, welche der Kapitän gewöhnlich zu nehmen pflegte.

Als man alles Läuten und Rufen vergebens fand (denn der [83] Kapitän hatte den Abend durch einen widrigen Zufall einen ganz neuen Weg genommen), erklärte Madame Blifil, sie wäre ernstlich erschrocken, worauf die andere Dame, die eine von ihren vertrautesten Bekannten war und welche die wahren Umstände ihrer Zärtlichkeit recht gut kannte, that, was sie konnte, um sie zu beruhigen, indem sie ihr sagte, sie könne freilich nicht umhin, bekümmert zu sein, man müsse aber das beste hoffen; – vielleicht habe das schöne Abendwetter den Kapitän weiter als seinen gewöhnlichen Spaziergang vom Hause weggelockt, oder es könne ihn auch ein Nachbar aufhalten. Madame Blifil antwortete: O nein! Sie wäre sicher, ihm müsse etwas zugestoßen sein; denn er würde gewiß nicht ausbleiben, ohne es ihr sagen zu lassen, da er wüßte, welche Besorgnis es ihr machen müsse. Die andere Dame, welche keine Gründe weiter vorrätig hatte, legte sich auf die bei solchen Gelegenheiten üblichen Bitten, sie möchte sich nicht so sehr ängstigen, denn es könne sonst sehr schlimme Folgen für ihre eigene Gesundheit haben, und dabei schenkte sie ein wacker großes Glas voll Wein ein und beredete sie endlich, es auszutrinken.

Nunmehr kam Herr Alwerth wieder in den Saal zurück, denn er war selbst hingegangen, den Kapitän zu suchen. Seine Mienen zeigten genugsam die Bestürzung, die ihn befallen und fast völlig der Sprache beraubt hatte; wie aber die Betrübnis auf verschiedene Gemüter verschiedentlich wirkt, so erhob eben die Beängstigung, welche seine Stimme erstickte, Madame Blifils Stimme zu helleren Tönen. Sie fing nun an, sich aufs bitterlichste zu beklagen, und Ströme von Thränen begleiteten ihr Jammergetöne, worüber ihre Gesellschaftsdame, wie sie ausdrücklich sagte, sie zwar nicht tadeln konnte, aber sie doch ermahnte, ihrem Schmerze nicht so heftig nachzuhängen, wobei sie den Kummer ihrer Freundin durch philosophische Betrachtungen über die mancherlei leidigen Glücksschläge zu mildern suchte, denen das menschliche Leben täglich bloßgestellt ist und welche, wie sie sagte, ein hinlänglicher Grund wären, unsere Seelen gegen jeden Zufall zu waffnen, so plötzlich und fürchterlich er sein möchte. Sie sagte ferner, ihres Bruders Beispiel sollte sie Geduld lehren, welcher freilich wohl nicht für so nahe getroffen geachtet werden könnte, als sie selbst; aber ohne Zweifel doch sehr unruhig wäre, obgleich seine Ergebung in den Willen Gottes seinen Schmerz in gehörigen Schranken hielte.

»Sagen Sie mir nichts von meinem Bruder!« sagte Madame Blifil, »nur ich allein verdiene Ihr Erbarmen. Was sind Gefühle der Freundschaft gegen das, was ein treues Weib bei solchen Unglücksfällen empfindet? – O! er ist dahin! Ein Widersacher hat ihn erschlagen! – Meine Augen werden ihn nicht mehr sehen!« [84] Hier that ein Thränenguß eben die Wirkung, welche eine Beklemmung bei Herrn Alwerth hervorgebracht hatte, und sie blieb stumm.

In dieser Zwischenzeit kam ein Bedienter außer Athem hereingestürzt und rief aus, der Kapitän wäre gefunden! Und ehe er noch weiter fortfahren konnte, folgten ihm zwei andre, welche den toten Körper hereintrugen.

Hier hat der Leser Gelegenheit, noch eine andre Verschiedenheit der Wirkung des Grams zu bemerken: denn so wie Herr Alwerth aus eben der Ursach stumm gewesen, aus welcher seine Schwester in laute Klagen ausgebrochen war, so trocknete dieser Anblick, welcher dem Bruder Thränen ablockte, die Augen der Witwe auf einmal. Sie that erst einen heftigen Schrei und sank darauf plötzlich in Ohnmacht.

Das Zimmer war bald voller Bedienten, deren einige mit der besuchenden Dame beschäftigt waren, der trostlosen Witwe Beistand zu leisten, und die übrigen mit Herrn Alwerth halfen einander, den Kapitän in ein gewärmtes Bett zu tragen, wo jeder Versuch angewendet wurde, ihn wieder ins Leben zu bringen.

Und wie gerne sagten wir unserm Leser die Nachricht, daß es beiden Gewerkschaften auf gleiche Weise geglückt sei. Denn jenen, welche die Sorge für die Dame übernahmen, gelang es so gut, daß nachdem die Ohnmacht eine anständige Weile gewährt hatte, sie solche zu ihrer großen Zufriedenheit wieder ins Leben kehren sahen. Bei dem Kapitän aber waren alle Versuche mit Aderlassen, Reiben, Einspritzen u.s.w. ohne Wirkung. Der Tod als unentbehrlicher Richter hatte sein Urteil über ihn gesprochen und wollte ihn mit keinem Aufschub begnadigen, obgleich zwei gelehrte Doktoren, welche geholt waren und denen man gleich bei ihrem Eintritt mit dem Honorar die Hand füllte, seine Verteidiger waren.

Diese zwei Doktoren, welche wir, um alle hämische Deutungen zu vermeiden, durch die Namen Doktor Y. und Doktor Z. unterscheiden wollen, fühlten dem Patienten alsobald den Puls; Doktor Y. nämlich am rechten und Doktor Z. am linken Arme. Beide waren einstimmig darüber, er sei tot, ohne Widerrede. Ueber die Krankheit oder die eigentliche Ursache des Todes aber waren sie gar nicht einig. Doktor Y. war der Meinung, es sei eine Apoplexie, Doktor Z. aber, es sei eine Epilepsie gewesen.

Hierüber entstund ein wissenschaftlicher Streit unter diesen gelehrten Männern, worin jeder die Gründe seiner Meinung gegen den andern behauptete. Diese waren nun von so gleicher Kraft, daß sie jeden Doktor in seiner eigenen Meinung bestärkten und auf seinen Antagonisten nicht den geringsten Eindruck machten.

[85] Die Wahrheit zu sagen, fast jeder Arzt hat so seine Favoritkrankheit, der er alle Siege über die menschliche Natur zuschreibt. Das Podagra, die Gicht, der Stein, Gries und Auszehrung haben alle ihren eigenen Patron in der medizinischen Fakultät und keine mehr als das Nervenfieber oder das Fieber der Lebensgeister. Und hieraus können wir die mancherlei widersprechenden Meinungen über die Ursachen des Todes eines Patienten herleiten, welche zu weilen unter den gelehrtesten Kollegen obwalten und worüber sich solche Menschen höchlich zu wundern pflegen, welche von der Thatsache nicht unterrichtet sind, die wir oben festgesetzt haben.

Der Leser mag sich vielleicht wundern, daß die beiden gelehrten Herrn Aerzte, anstatt sich zu bemühen, den Verblichenen wieder zum Leben zu bringen, alsobald in einen Streit über die Ursache seines Todes verfielen; in der That aber waren alle solche Versuche vor ihrer Ankunft bereits angestellt worden. Denn man hatte den Kapitän in ein gewärmtes Bette gebracht, man hatte ihm die Adern geöffnet, hatte ihm die Schläfe und die Fußsohlen gerieben und ihm alle Arten von starkem Spiritus vor die Nase gehalten und in den Mund gegossen.

Da also die Doktoren fanden, daß man ihnen in allen den Dingen, die sie hätten verordnen können, zuvorgekommen wäre, waren sie verlegen, wie sie den Teil der Zeit hinbringen sollten, den sie des Gebrauchs und des Honorars wegen anständigerweise zu verweilen pflegten und waren deßhalb genötigt, eine oder die andere Materie zum Gespräch hervorzusuchen, und was konnte sich für eine schicklichere Materie darbieten, als die oben erwähnte?

Unsere Aerzte waren im Begriff, sich zu beurlauben, als Herr Alwerth, der nun den Kapitän aufgegeben und sich in den Willen Gottes gefügt hatte, nach seiner Schwester zu fragen begann und die Aerzte bat, solche noch vor ihrem Weggehen zu besuchen.

Die Dame hatte sich jetzt von ihrer Ohnmacht erholt und befand sich, um mich einer gewöhnlichen Redensart zu bedienen, so wohl, als man es bei ihren Umständen erwarten konnte. Die Doktoren also, nachdem alle gebührlichen Zeremonien vorläufig abgethan waren, machten den verlangten Besuch und bemächtigten sich jeder einer ihrer Hände, wie sie's vorher bei dem Leichnam gemacht hatten.

Der Fall der Witwe war von den Umständen ihres Gemahls so weit entfernt, als die beiden Pole von Süden und Norden. Denn sowie bei ihm keine Arznei mehr anschlagen konnte, so war bei ihr wirklich ganz und gar keine nötig.

Ich kenne nichts Ungerechteres, als die gemeine Meinung, welche [86] die Aerzte irrigerweise als Freunde des Todes vorstellt! Ich glaube im Gegenteil, wenn man die Zahl derer, welche unter ihren Händen besser werden, gegen die Zahl ihrer Märtyrer aufstellen könnte, die erste fast größer sein würde, als die letzte. Ja einige Aerzte sind in diesem Punkt so vorsichtig, daß sie, um alle Möglichkeit den Patienten zu töten, zu vermeiden, sich jeder medizinischen Kurart enthalten und nichts anders verschreiben, als was weder nutzen noch schaden kann. Von diesen habe ich einige es mit einer sehr wichtigen Miene als eine Maxime sagen gehört, man müsse die Natur in ihren Wirkungen nicht stören, und der Arzt wäre gleichsam ein Zuschauer, der ihr auf die Schultern klopfte, um sie aufzumuntern, wenn sie's gut machte.

So wenig Vergnügen fanden also unsere Doktoren an Toten, daß sie den verblichenen Körper nach einem einzigen bezahlten Besuche verließen; bei der lebenden Patientin aber nicht so unfreundlich waren, über deren Kasum sie augenblicklich einig wurden und großen Fleißes sich zum Verschreiben anschickten.

Ob, nachdem die Dame zuerst ihre Aerzte überredet hatte, zu glauben, sie sei krank, sie selbige hinwieder überredeten, sich selbst für krank zu halten, das will ich nicht entscheiden; aber sie brachte einen ganzen Monat mit allen Dekorationen der Krankheit hin, während welcher Zeit sie von den Aerzten besucht, von einer Krankenwärterin gepflegt, und von allen ihren Bekannten täglich nach ihrem Befinden gefragt wurde.

Nachdem endlich die anständige Zeit für Krankheit und übermäßigen Kummer verstrichen war, entließ man die Aerzte und die Dame fing wieder an, Gesellschaft zu sehen, und man ward keiner andern Veränderung durch das, was sie trug, an ihr gewahr, als die Farbe der Trauer, in welche sie ihre Person und ihre Mienen gekleidet hatte.

Der Kapitän war nunmehr begraben und mochte vielleicht schon einen ziemlichen Weg zur Vergessenheit zurückgelegt gehabt haben, hätte nicht die Freundschaft des Herrn Alwerth dafür gesorgt, sein Andenken durch folgendes Epitaphium zu erhalten, welches von einem Manne von großem Genie und großer Wahrheitsliebe, und welcher dabei den Kapitän recht gut kannte, verfertigt wurde.

[87]

HIER RUHEN IN GOTT UND IN ERWARTUNG EINER FROEHLICHEN AUFERSTEHUNG DIE GEBEINE DES HOCHWOHLGEBOHRENEN KAPITAIN

HERRN JOHN BLIFIL.

LONDON WAR STOLZ AUF SEINE GEBURT, OXFORD AUF SEINE ERZIEHUNG. SEINE GEISTESGABEN WAREN EINE EHRE SEINES STANDES UND SEINER NATION, SO WIE SEIN LEBEN DER RELIGION UND DER MENSCHLICHEN NATUR. ER WAR EIN PFLICHTVOLLER SOHN, EIN ZAERTLICHER GATTE, EIN LIEBEVOLLER VATER, EIN AUFRICHTIGER FREUND, EIN FROMMER CHRIST, UND EIN WOHLTHAETIGER MANN. SEINE UNTROESTLICHE WITTWE SETZTE DIESEN STEIN ZUM ANDENKEN SEINER TUGENDEN UND IHRER EWIGEN LIEBE.

Drittes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Enthält wenig oder nichts.


Der Leser wird so gefällig sein, sich zu erinnern, daß wir ihm zu Anfang des zweiten Buches dieser Geschichte einen Wink von unserem Vorsatze gegeben haben, daß wir verschiedene lange Zeitperioden, in welchen nichts vorgefallen, das in unserer Chronika aufgezeichnet zu werden verdiente, völlig überschlagen würden. Bei dieser Verfahrungsart ziehen wir nicht nur unsere eigene Würde und Bequemlichkeit zu Rate, sondern auch den Nutzen und Vorteil des Lesers, denn überdem, daß wir ihn dadurch abhalten, seine Zeit beim Lesen solcher Dinge wegzuwerfen, die ihm weder Nutzen noch Vergnügen schaffen können, geben wir ihm bei allen solchen Lücken eine Gelegenheit, seinen erstaunlichen Scharfsinn zur Ausfüllung dieser leeren Zeiträume mit seinen eigenen Konjekturen anzuwenden, und wir sind besorgt gewesen, ihn in den vorhergehenden Blättern zu diesem Unternehmen tüchtig zu machen.

Wo ist zum Exempel der Leser, welcher nicht wisse, daß Herr Alwerth über den Verlust seines Freundes jene Bewegungen der Traurigkeit fühlte, welche bei solchen Gelegenheiten alle Menschen ergreift, deren Herzen nicht aus Kieselsteinen, oder deren Köpfe nicht aus ebenso harter Materie gemacht sind? Ferner, welcher Leser weiß nicht, daß Philosophie und Religion mit der Zeit die Traurigkeit mäßigt und endlich gar hinwegnimmt? Die erste dieser beiden, indem sie die Thorheit und Eitelkeit derselben lehrt, und die letzte, indem sie solche, als unserer Pflicht entgegenlaufend, bestrafet und zu gleicher Zeit durch solche Hoffnungen und Zusicherungen besänftigt, welche ein starkes und frommes Gemüt fähig machen, von einem Freunde auf seinem Sterbebette mit etwas minderer Gleichgültigkeit Abschied zu nehmen, als wenn er zu einer [89] langen Reise Vorkehrungen träfe, und freilich auch mit etwas weniger Hoffnung, ihn wiederzusehen.

Ebensowenig kann auch der verständige Leser in Ansehung der Frau Brigitta Blifil in Verlegenheit sein, welche, wie er ihr nur dreist glauben mag, die ganze Zeit hindurch, welche sie in äußerlicher Traurigkeit des Körpers zu erscheinen hatte, sich nach den strengsten Regeln der Gewohnheit und des Wohlstandes betrug und die Veränderung ihrer Mienen genau nach der Aenderung in den Trauerkleidern einrichtete. Denn sowie diese von der dichten Florkappe bis zur schwarzen Kreppe, von der Kreppe zum Grauen, vom Grauen zum Weißen, und endlich von Franzen zu Spitzen sich abändert, ebenso veränderten sich ihre Mienen und ihr Gesicht vom Untröstlichen zum Gram, vom Gram zur Betrübnis, von der Betrübniß zum Traurigen, vom Traurigen zum Ernsthaften, bis der Tag ankam, da es ihr erlaubt war, zu ihrer vormaligen Heiterkeit zurückzukehren.

Wir haben dieser beiden Exempel bloß als solcher Aufgaben erwähnt, die man den Lesern von der niedrigsten Klasse vorlegen kann. Von den höher Graduierten in der edlen Kunst der Kritik kann man nach aller Billigkeit weit schwerere und mühsamere Uebungen der Beurteilungskraft und des Scharfsinns erwarten. Von solchen werden, wie ich nicht zweifle, manche merkwürdige Entdeckungen gemacht werden über die Begebenheiten, welche in der Familie unseres würdigen Mannes alle die Jahre hindurch vorfielen, die wir für ratsam erachtet haben, zu überschlagen. Denn obgleich während dieser Zeit nichts vorging, welches einen Platz in dieser Geschichte verdiente, so ereigneten sich doch verschiedene Zufälle von gleicher Wichtigkeit mit denen, welche die täglichen und wöchentlichen Geschichtschreiber unserer Zeit zu Papiere bringen, bei deren Lesung eine große Anzahl Menschen einen wichtigen Teil ihrer Zeit hinbringen und zwar, wie ich fürchte, mit gar geringem Nutzen. Nun kann man aber bei den hier vorgeschlagenen Konjekturen einige der vortrefflichsten Geistesfähigkeiten mit vielem Vorteil üben, indem es eine weit nützlichere Kunst ist, die Handlungen der Menschen unter allerlei Umständen aus ihrem Charakter vorherzusagen, als ihre Charaktere aus ihren Handlungen zu beurteilen. Das erste, gesteh' ich, erfordert tiefere Einsichten, ist aber bei wirklichem Scharfsinn mit so großer Gewißheit thunlich, als das letzte.

Da wir einsehen, daß der ungleich größeste Teil unserer Leser diese Eigenschaft in einem sehr hohen Grade besitzt, so haben wir ihm einen Zeitraum von zwölf Jahren überlassen, woran er solche üben kann, und wollen nun unsern Helden in einem Alter von [90] ungefähr vierzehn Jahren auftreten lassen, nicht zweifelnd, daß schon manche mit Ungeduld die Gelegenheit erwartet haben, mit ihm etwas nähere Bekanntschaft zu machen.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Der Held dieser großen Geschichte erscheint unter sehr schlimmen Vorbedeutungszeichen. Eine kleine Erzählung von so niedriger Gattung, daß einige meinen werden, sie hätte wohl wegbleiben können. Ein paar Worte über einen Landjunker und mehrere über einen Wildmeister und über einen Schulmeister.


Da wir uns, sowie wir uns niedersetzten, diese Geschichte aufzuschreiben, alsobald vornahmen, keinem Menschen zu schmeicheln, sondern unsere Feder durchgängig nach Anweisung der Wahrheit zu führen, so sind wir genötigt, unsern Helden auf eine viel nachteiligere Weise auf die Bühne zu bringen, als wir wohl gewünscht hätten, und selbst bei diesem ersten Auftritte ganz ehrlich und redlich zu gestehen, daß alle Hausgenossen des Herrn Alwerth der einstimmigen Meinung waren, er sei gewiß zum Galgen geboren.

In der That, es thut mir leid, es zu sagen! es waren nur zu viele Gründe für diese Ahnung vorhanden. Der Bursche hatte von seinen frühesten Jahren an einen Hang zu manchen Lastern geäußert, und besonders zu einem, welches ebenso geraden Weges als alle übrigen zu diesem Ende führt, das, wie wir eben bemerkt haben, ihm in prophetischem Geiste vorher verkündigt ward. Er war bereits dreier Verbrechen wider das siebente Gebot überwiesen worden, nämlich der Beraubung eines Obstgartens, des Diebstahls einer Ente vom Hofe eines benachbarten Pächters, und der Mauserei eines Balls aus der Tasche des kleinen Blifil.

Die Laster dieses Jünglings bekamen dabei noch eine häßlichere Gestalt durch das nachteilige Licht, in welchem sie erschienen, wenn sie den Tugenden des jungen Herrn Blifils, seines Spielkameraden, entgegengestellt wurden: ein Jüngling von einer so verschiedenen Gemütsart von Jones, daß nicht nur die Leute des Hauses, sondern die ganze Nachbarschaft ihn lobpreiseten. Er war in der That ein Knabe von hervorstechendem Charakter, eingezogen, klug und fromm über sein Alter. Eigenschaften, welche ihm die Liebe eines jeden gewannen, der ihn nur kannte; währenddessen den Tom Jones niemand leiden mochte, und mancher seine Verwunderung äußerte, wie Herr Alwerth zugeben könnte, daß ein solcher Junge [91] mit seinem Neffen erzogen würde, weil die Lippen des letzteren so leicht durch sein Beispiel verdorben werden könnten.

Ein Zufall, welcher sich ungefähr um diese Zeit zutrug, wird die Charaktere dieser beiden Jünglinge dem einsichtsvollen Leser weit richtiger darstellen, als es durch die längste Dissertation möglich ist.

Tom Jones, der nun einmal, so schlecht er auch ist, unserer Geschichte zum Helden dienen muß, hatte nur einen Freund unter allen Bedienten des Hauses, denn Jungfer Wilkins hatte sich seiner schon längst entsagt und war mit ihrer gnädigen Frau völlig wieder ausgesöhnt. Dieser Freund war der Wildmeister oder Förster, ein Kerl von sehr lockern Sitten, und von dem man meinte, er habe eben nicht viel richtigere Begriffe von dem Unterschiede zwischen meum und tuum, als das junge Herrchen selbst, und dieserwegen gab diese Freundschaft Gelegenheit zu manchen beißenden Anmerkungen, wovon die meisten entweder schon Sprichwörter waren, oder es doch wenigstens nachher geworden sind, und in der That kann man den Witz von allen in dem kurzen lateinischen Spruche begreifen: Noscitur a socio, welchen soviel ich weiß, unsere Vorfahren auf folgende Art ausdrückten: Gleich sucht sich, gleich find't sich! – Die Wahrheit zu sagen, mochte wohl etwas von der abscheulichen Ruchlosigkeit des Jones, wovon wir eben drei Beispiele angeführt haben, der Aufmunterung zuzuschreiben sein, die er von diesem Kerl erhalten hatte, welcher in zwei oder drei Fällen das gewesen war, was man einen Hehler oder Teilnehmer nach der That heißt, denn die ganze Ente und ein großer Teil von den Aepfeln ward im Gebrauche des Wildmeisters und der seinigen verwendet, obgleich Jones, der arme Bursche, weil er allein entdeckt ward, nicht nur den ganzen Schmerz, sondern auch den ganzen Tadel allein davontragen mußte, und beides fiel ihm abermals, bei folgender Gelegenheit, zum Lose. Hart an Herrn Alwerths Ländereien lag der Wohnsitz eines jener Landjunker, die man Wildheger nennt. Wegen der großen Strenge, womit diese Gattung von adeligen Herrn den Tod eines Hasen oder Feldhuhns rächen, sollte man glauben, sie wären von der abergläubischen Sekte der Bannianen in Indien, von welchen manche, wie uns erzählt wird, ihr ganzes Leben zur Verteidigung und Beschützung gewisser Tiere widmen, wenn nicht unsere engländischen Bannianen, derweil sie solche gegen andere Feinde verteidigen, höchst unbarmherziger Weise ganze Pferdeladungen davon niederschössen; dergestalt also muß man sie wohl von jenem heidnischen Aberglauben los und ledig sprechen.

Ich habe wirklich eine bessere Meinung als alle andern von dieser Gattung von Landedelleuten, weil ich dafür halte, daß sie [92] der Ordnung der Natur und den guten Endzwecken, zu welchen sie da sind, auf eine sehr thätige Weise entsprechen. So wie nun Horaz uns sagt, daß es eine Art menschlicher Geschöpfe gibt,


»Fruges consumere nati«


»geboren, die Früchte des Landes zu verzehren,« so zweifle ich im geringsten nicht, daß es eine andere gibt,


»Feras consumere nati«


»geboren, das Vieh des Feldes zu verzehren,« oder wie man's gemeiniglich nennt, das Wild. Und ich sollte denken, niemand wird es leugnen wollen, daß diese Junker den Zweck ihrer Schöpfung redlich erfüllen.

Der kleine Jones ging eines Tages mit dem Wildmeister auf die Jagd, als zufälligerweise nahe an der Grenze jenes Landsitzes, über welchen die Glücksgöttin, den weisen Zweck der Natur zu erfüllen, einen von jenen Wildverzehrern zum Herrn gesetzt hatte, eine Kitte Feldhühner aufstieg. Die Vögel flogen über die Grenze, und wurden von den beiden Weidmännern in einem Tangelbusche, ungefähr dreihundert Schritte aus dem Revier des Herrn Alwerth, gemarkt.

Herr Alwerth hatte dem Wildmeister strenge Befehle gegeben, bei Verlust seines Dienstes die Wildfuhr seiner Nachbarn zu vermeiden; selbst sogar derjenigen, welche in diesem Punkt nicht so heikel waren als der Herr des ebengedachten Gutes. In Ansehung der übrigen waren nun freilich die Befehle nicht immer sehr gewissenhaft befolgt worden; da aber die Gesinnungen des Junkers, bei welchem die Feldhühner sich in Schutz begeben hatten, ganz ruchbar waren, so hatte es der Wildmeister noch nicht gewagt, ihm ins Gehege zu gehen. Auch hätte er's jetzt noch nicht gethan, hätte ihn nicht der jüngere Geselle, welcher außerordentlich hitzig war, das Flügelwild zu verfolgen, ihn dazu überredet; bei Jones' Andringen aber gab er, da er schon selbst schießlustig genug war, diesen Bitten nach, setzte über das Mal und schoß eins von den Hühnern.

Dieser Grenznachbar war eben zu Pferde in einer geringen Entfernung von ihnen, und als er den Schuß fallen hörte, ritt er augenblicks nach der Stelle zu und entdeckte den armen Jones, denn der Wildmeister war in ein Dickicht des Tangelbusches gesprungen, woselbst er sich glücklich verborgen hielt.

Nachdem der Junker den Burschen durchsucht und das Feldhuhn bei ihm gefunden hatte, gelobte er ihm bittere Rache und schwur: er wolle es Herrn Allwerth anzeigen. Er hielt redlich Wort, denn er ritt von der Stelle nach seinem Hause und beklagte sich [93] über den Einfall in sein Gehege mit ebenso kräftigen Worten und bittern Redensarten, als ob man Einbruch in sein Haus gethan und das köstlichste Gerät daraus gestohlen hätte. Er fügte hinzu, daß noch ein anderer Bursche dabei gewesen, ob er ihn gleich nicht hätte entdecken können, weil zwei Gewehre fast in einem Augenblick wären abgeschossen worden, »und«, sagt' er, »ich habe wohl nur dies eine Stück gefunden, aber Gott weiß, welchen großen Schaden sie mir angerichtet haben.«

Bei seiner Heimkunft ward Tom augenblicklich vor Herrn Alwerth zu erscheinen beordert. Er gestand die That ein, und führte nichts zur Entschuldigung an, als was wirklich wahr war, nämlich, daß das Volk in der eigenen Markung des Herrn Alwerth aufgestiegen wäre. Hierauf ward Tom befragt, wen er bei sich gehabt hätte? Und Herr Alwerth erklärte ihm, daß er das ein für allemal wissen wolle; dabei er ihm den Umstand mit den beiden Flinten vorhielt, welchen der Junker und seine beiden Bedienten in der Klage urgiert hatten; allein Tom beharrte standhaft dabei, er sei allein gewesen, doch stockte er die Wahrheit zu sagen anfangs ein wenig, welches dann Herrn Alwerths Glauben bestärkt haben würde, wofern das, was der benachbarte Junker und seine beiden Bedienten denunziert hatten, einer weiteren Bekräftigung bedurft hätte.

Der Wildmeister ward, als sonst bereits anrüchig, herbeigeholt und ihm die Frage vorgelegt; er aber, der sich auf das Versprechen, was ihm Tom gethan hatte, verließ, verneinte ganz kecker Weise, daß er in der Gesellschaft des jungen Herrn gegangen wäre, oder ihn nur den ganzen Nachmittag mit Augen gesehen hätte.

Hierauf wandte sich Herr Alwerth an Tom mit mehr als gewöhnlichem Verdruß im Gesicht, und riet ihm zu bekennen, wer mit ihm gewesen wäre, mit nochmaliger Wiederholung, er bestehe darauf, es zu wissen! Der junge Mensch blieb indes fest auf seiner Entschließung, und ward von Herrn Alwerth in großem Zorn entlassen, der ihm sagte: bis zum nächsten Morgen habe er noch Bedenkzeit, dann solle er von einer andern Person und auf eine andere Art verhört werden.

Der arme Knabe hatte eine sehr melancholische Nacht! Um so mehr, da er seinen gewöhnlichen Kameraden vermißte; denn der junge Herr Blifil war mit seiner Mutter auf einen Besuch gegangen. Furcht vor der Strafe, die ihm bevorstand, war bei dieser Gelegenheit sein geringster Kummer. Seine größeste Angst war, es möchte ihn seine Standhaftigkeit verlassen und er dahin gebracht werden, den Wildmeister zu verraten, wodurch dieser, wie er wußte, völlig unglücklich werden müßte.

Der Wildmeister brachte seine Zeit ebenfalls nicht viel ruhiger [94] hin. Er hatte mit dem Jüngling einerlei Besorgnis, für dessen Ehre er gleichfalls mehr Zärtlichkeit empfand, als für dessen Haut.

Als Tom des folgenden Morgens Sr. Ehrwürden, Herrn Schwöger (der Mann, dem Herr Alwerth den Unterricht der beiden Jünglinge anvertrauet hatte) aufwartete, wurden ihm von diesem Herrn dieselbigen Punkte wieder vorgelegt, worüber er des Abends vorher war befragt worden, auf die er eben dieselbige Antwort gab; die Folge davon war ein so derber Schilling, daß die Schmerzen davon vielleicht nahe an die Tortur grenzten, womit man in einigen Ländern den Verbrechern das Geständnis abnötigt.

Tom ertrug diese Züchtigung mit großer Standhaftigkeit, und obgleich ihn sein Lehrer zwischen jedem Hiebe fragte: Will man gerne bekennen? so wollte er sich doch lieber die Haut abschinden lassen, als seinen Freund verraten oder sein gegebenes Wort brechen.

Der Wildmeister war nun von seiner Angst befreit, und Herr Alwerth selbst begann mit Tom und seinen Schmerzen Mitleid zu fühlen; denn überdem, daß Herr Schwöger, der sich heftig darüber erboste, daß er den Knaben nicht dahin bringen konnte, zu sagen, was ihm beliebte, die Strenge sehr viel weiter trieb, als die Meinung des guten Pflegevaters war: so fing dieser letzte auch an zu mutmaßen, der Junker Nachbar könne sich geirrt haben, welches sein außerordentlicher Eifer und Aerger wahrscheinlich zu machen schien, und was das Zeugniß der Bedienten zur Bekräftigung ihres Herrn anlangte, so hielt er das nicht eben für sehr wichtig. Da nun Grausamkeit und Ungerechtigkeit zwei Ideen waren, deren Verschuldung sich bewußt zu sein, er nicht eine einzige Minute aus halten konnte, so ließ er Tom zu sich rufen und sagte zu ihm nach mancher sanften und freundlichen Vermahnung: »Ich bin überzeugt, mein liebstes Kind, daß ich dir mit meinem Verdachte zu wehe gethan habe; es thut mir leid, daß du darüber so strenge gezüchtigt bist.« Und schenkte ihm zuletzt zum Schmerzensgelde ein kleines Pferd, wobei er nochmals sein Bedauern über das Vorgegangene bezeugte.

Hierdurch ward sein Gewissen zu weit schärfern Bissen gereizt, als durch alle Strenge hätte geschehen können. Er konnte die Hiebe des ehrwürdigen Schwögers leichter ertragen, als die Großmut des Herrn Alwerth. Die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und er fiel auf die Kniee und rief aus: »Ach liebster Herr Vater, Sie sind zu gütig gegen mich! Gewiß, das sind Sie! In der That, ich bin's nicht wert.« Und in eben dem Augenblicke hätte er fast aus voller Herzensergießung das ganze Geheimnis verraten. Allein der gute Genius des Wildmeisters flüsterte ihm zu, was es für Folgen [95] über den armen Kerl bringen würde, und diese Rücksicht versiegelte ihm die Lippen.

Schwöger that alles, was er konnte, um Herrn Alwerth auszureden, dem Knaben Güte und Mitleiden zu bezeigen und sagte dabei: »er sei auf einer Unwahrheit bestanden,« und ließ sich soviel merken, eine zweite Geißelung möchte wohl die Wahrheit herausholen können.

Herr Alwerth aber weigerte sich rund aus, zu diesem Versuche seine Einwilligung zu geben. Er sagte, der Knabe habe bereits genug für die Verhehlung der Wahrheit gelitten, wenn er auch schuldig wäre; indem man sähe, er könne dabei keinen andern Bewegungsgrund haben, als eine mißverstandene Ehrliebe.

»Ehrliebe!« rief Herr Schwöger mit einiger Hitze, »klare Hartnäckigkeit! Barer Starrsinn! Kann Ehrliebe jemand lehren, Lügen zu sagen? Kann die geringste Ehre ohne Religion bestehen?«

Dies Gespräch fiel am Tische, zu Ende der Mittagsmahlzeit vor und waren dabei Herr Alwerth, Herr Schwöger und noch ein dritter Herr, der sich nun mit in die Untersuchung mischte und den wir, ehe wir einen Schritt weiter gehen, ganz in der Eile unserm Leser zur nähern Bekanntschaft präsentieren wollen.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Charaktere des Herrn Quadrat, des Philosophen und des Herrn Schwöger, des Theologen, mit einer Disputation über – – –


Der Name dieses Herrn, der sich einige Zeit in Herrn Alwerths Hause aufgehalten hatte, hieß Quadrat. Seine Naturgaben waren eben nicht von der ersten Klasse. Sie waren aber durch eine gelehrte Erziehung um ein Großes ausgebildet. Er besaß eine tiefe Belesenheit in den Alten und alle Werke des Plato und Aristoteles wußte er auf den Fingern auswendig. Nach diesen großen Mustern hatte er sich hauptsächlich gebildet und hing zuweilen an der Meinung des einen und zuweilen an der Meinung des andern. In der Moral war er ein offenbarer Platoniker und in der Religion hing er auf die Seite der Aristotelianer.

Allein, ob er gleich, wie wir gesagt haben, das System seiner Moral aus dem Plato abstrahiert hatte, so war er dabei doch einstimmig mit dem Aristoteles, insoferne er diesen großen Mann mehr in dem Lichte eines spekulativen Philosophen als eines Gesetzgebers [96] betrachtete. Diese Meinung trieb er sehr weit; so weit in der That, daß er alle Tugend als einen bloßen Gegenstand der Theorie betrachtete. Freilich sagte er dieses niemals gegen irgend einen Menschen aus drücklich; wenigstens wüßte ich nicht etwas davon gehört zu haben und gleichwohl kann ich bei der geringsten Aufmerksamkeit auf seine Handlungen nicht umhin, zu glauben, daß es seine wahre Meinung gewesen sei, weil dies verschiedene Widersprüche, die man sonst in seinem Charakter finden würde, auf einmal und völlig aufhebt.

Dieser Herr und Herr Schwöger kamen selten an einem Orte zusammen, ohne zu disputieren, denn ihre Glaubensgrundsätze liefen einander schnurstracks entgegen. Quadrat behauptete, die Natur des Menschen sei der Inbegriff aller Tugend und das Laster sei eine Abweichung von unsrer Natur, ungefähr ebenso, wie die Häßlichkeit des Körpers. Schwöger hingegen bestand darauf, das menschliche Herz sei seit dem Sündenfalle nichts anders als ein tiefer Morast von Bosheit, bis es durch die Gnade wieder gereinigt und erlöset worden. In einem einzigen Punkte trafen sie zusammen. Dieser war, daß sie in allen ihren Gesprächen über die Moral niemals des Wortes Herzensgüte mit einer Silbe gedachten. Der Lieblingsausdruck des erstern war natürliche Schönheit der Tugend; das Steckenpferd des letztern war göttliche Gnadenwirkung. Der erste maß alle Handlungen nach der unveränderlichen Regel des Rechts und der von Ewigkeit her bestimmten Harmonie der Dinge. Der letztere entschied jeden Satz durch Machtsprüche; jedoch führte er dabei allemal biblische Sprüche und ihre Ausleger an, so, wie etwa der Jurist seinen Text und dessen Kommentatoren anführt und die letztern für ebenso entscheidend hält, als den ersten. Nach dieser in kurzem gemachten Bekanntschaft wird der Leser die Güte haben, sich zu erinnern, daß der geistliche Herr seine Rede mit einer triumphierenden Frage beschlossen hatte, welche er für unbeantwortlich halten mochte, nämlich: Kann die geringste Ehre ohne Religion bestehen?

Hierauf antwortete Quadrat: es wäre unmöglich, philosophisch über Worte zu reden, bis ihre Meinung genau bestimmt wäre; es gäbe schwerlich noch zwei andere Worte von einer so ungewissen und schwankenden Bedeutung, als die zwei, die er gebraucht hätte: denn es gäbe fast ebenso verschiedenerlei Meinungen über das Wort Ehre als über das Wort Religion. »Allein,« sagte er, »wenn Sie unter der Ehre die wahre natürliche Schönheit der Tugend verstehen: so behaupte ich, daß sie von allem, was man Religion nennen mag, unabhängig sei. Ja,« fügte er hinzu, »Sie selbst werden mir einräumen, daß sie von allen übrigen unabhängig sei, nur [97] eine einzige ausgenommen; dasselbige thut auch der Mohamedaner, der Jude und alle verschiedenen Sekten in der Welt.«

Schwöger erwiderte, dies hieße mit den gewöhnlichen Tücken aller Feinde der rechtgläubigen Kirche argumentieren. Er sagte, er zweifle nicht, alle Ketzer und Ungläubige in der ganzen Welt würden, wenn sie nur könnten, die Ehre innerhalb ihrer eigenen abgeschmackten Irrtümer und verdammten Ketzereien einschränken; »allein,« sagte er, »deswegen ist die Ehre noch lange nicht vielartig, weil es so manche dumme Meinungen darüber gibt; ebensowenig, wie es deswegen, mehr als eine Religion gibt, weil sich die Sekten und Ketzereien in der Welt vervielfältigt haben! Wenn ich das Wort Religion brauche, so versteh' ich die christliche Religion und nicht bloß die christliche Religion, sondern die protestantische Religion, und nicht bloß die protestantische Religion, sondern die in den neununddreißig Artikeln, als unsern symbolischen Büchern enthaltene Religion. Und wenn ich Ehre sage, so meine ich die Bestimmung von göttlicher Gnade, welche nicht nur konsistent ist mit, sondern dependent von dieser Religion, und weder konsistent ist mit, noch dependent von irgend einer andern Religion. Nun aber sagen wollen, die Ehre, welche ich hier meine, und welche, wie ich dachte, alle die Ehre wäre, die man mir zutrauen könnte, zu meinen, sei fähig, eine Unwahrheit zu unterstützen oder gar einzuflößen, das wäre eine Behauptung, deren Dummheit unbegreiflich wäre.«

»Ich vermied mit Fleiß,« sagte Quadrat, »eine Folgerung zu ziehen, weil ich glaubte, sie wäre an sich schon, aus dem was ich gesagt hatte, evident; allein wenn Sie solche wahrgenommen haben, so seh' ich doch wohl, Sie haben nicht rätlich erachtet, darauf eine Antwort zu versuchen. Jedoch, beiseite gesetzt den Artikel der Religion, ist es hell und klar, denke ich, daß wir mit dem Worte Ehre ganz verschiedene Ideen verbinden; wie könnten wir sonst über ihre nähere Definition von entgegengesetzter Meinung sein? Ich habe behauptet, daß wahre Ehre und wahre Tugend beinahe gleichbedeutende Ausdrücke und beide auf die unveränderliche Regel des Rechts und die ewig vorherbestimmte Harmonie der Dinge gegründet sind, und weil sich nun platterdings damit keine Unwahrheit vereinigen läßt, so ist es klar, daß wahre Ehre keine Unwahrheit unterstützen kann. Hierin also, dünkt mich, sind wir beide einerlei Meinung. Daß man aber von dieser Ehre sagen könne, sie gründe sich auf Religion, da sie doch älter ist, als diese, wenn Religion so viel sagen soll als irgend ein positives Gesetz –«

»Einerlei Meinung?« fiel Schwöger mit großer Wärme ein, »mit einem Manne, welcher behaupten kann, die Ehre sei älter als die Religion! Herr Alwerth, war ich mit ihm einerlei Meinung?«

[98] Er stand im Begriff fortzureden, als sich Herr Alwerth ins Mittel legte und ihnen kaltblütig sagte: sie hätten ihn mißverstanden, denn er habe nichts von der wahren Ehre gesagt. – Indessen ist es wahrscheinlich, daß er die Disputierenden, welche beide in gleiche Hitze geraten waren, nicht so leicht zum Schweigen gebracht haben möchte, wenn nicht ein anderer Vorfall dazwischen gekommen wäre, welcher der Disputation für dieses Mal ein Ende gemacht hätte.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Notgedrungene Apologie für den Autor und ein Kinderstreich, der vielleicht eben auch seine Apologie nötig hat.


Ehe ich weiter fortfahre, muß ich um Erlaubnis bitten, einige Mißverständnisse zu heben, zu welchen sich einige wenige Leser durch ihren Eifer möchten verleiten lassen, denn ich möchte nicht gern jemand Aergernis geben, am wenigsten solchen Seelen, welche in Sachen der Tugend und Religion gerne warm sind.

Ich hoffe deswegen, es werde niemand aus grobem Mißverständnis oder Verdrehung meiner Meinung mich dafür ausschreien, als strebte ich darnach, die höchsten Vollkommenheiten der menschlichen Natur lächerlich zu machen, welche ohne Widerspruch das Herz des Menschen allein reinigen und über die tierische Schöpfung erheben. So viel, mein Leser, untersteh' ich mich zu sagen, (und um so vielmehr du zu den besseren Menschen gehörest, um so geneigter wirst du sein, mir zu glauben) daß ich lieber die Meinung dieser beiden Männer in ewige Vergessenheit wollte begraben haben, als einer von diesen beiden unendlich ehrwürdigen Grundursachen im geringsten zu nahe getreten sein.

Im Gegenteil ist es vielmehr die Absicht, dafür zu wirken, daß ich unternommen habe, das Leben und die Handlung zweier ihrer falschen und vorgeblichen Verfechter in diesem Werke zu beschreiben. Ein verräterischer Freund ist der gefährlichste Feind und ich will es ganz kühnlich sagen, daß beide, Religion und Tugend, mehr Nachteil von Heuchlern erlitten haben, als die witzigsten Freigeister oder Ungläubige ihnen hätten zuziehen können; ja noch mehr, so wie diese beiden in ihrer Reinheit mit Recht die Banden der bürgerlichen Gesellschaft genannt werden und wirklich für die Menschen die größte Wohlthat sind; so sind sie auch, wenn sie durch das Gift des Betrugs, des vorgegebenen Eifers und der eigensüchtigen Anhänglichkeit angesteckt worden, zum größten bürgerlichen [99] Fluche gediehen und haben die Menschen fähig gemacht, über ihr eigenes Geschlecht das grausamste bitterste Elend zu verbreiten.

In der That zweifle ich nicht daran, daß dieses Lächerliche überhaupt genommen, zulässig sei. Meine größte Besorgnis ist nur, daß, weil manche wahre und richtige Meinung oft durch den Mund solcher Personen gehen, man sie überhaupt in Bausch und Bogen zusammen nehmen und dafür halten möchte, ich habe sie insgesamt lächerlich machen wollen. Nun aber wird der Leser so geneigt sein, zu bedenken, daß, wie keiner von diesen beiden Männern geradezu ein Thor war, man also auch nicht annehmen könne, daß sie keine andere als irrige Grundsätze gehabt und nichts als lächerliche Meinungen geäußert hätten; was für Ungerechtigkeit müßte ich also nicht ihren Charakteren haben widerfahren lassen, wenn ich bloß das hervorgesucht hätte, was schlecht war, und wie abscheulich elend und verstümmelt müßten nicht ihre Entscheidungsgründe dem Leser vorgekommen sein.

Im ganzen ist es weder Religion noch Tugend, sondern der Mangel an beiden, welcher hier zum Schau gestellt worden. Hätten nicht, Herr Schwöger der Tugend, und Herr Quadrat der Religion, in Erbauung ihrer Systeme zu wenig geachtet; und hätten nicht beide die natürliche Güte des Herzens völlig beiseite gesetzt, sie wären niemals in dieser Geschichte als Gegenstände des Lächerlichen aufgeführt worden; in welcher Geschichte wir nunmehr fortfahren wollen.

Die Sache also, welche dem im letzten Kapitel erwähnten Wortgezänke ein Ende machte, war nichts mehr und nichts weniger, als ein Zweikampf zwischen dem jungen Herrn Blifil und Tom Jones, welcher dem ersten eine blutige Nase zugezogen hatte; denn, obgleich der junge Herr Blifil bei alle dem, daß er jünger, doch dem andern am Wuchs weit überlegen war, so war doch Tom sein Meister in der edlen Kunst des Fäustlens.

Indessen vermied Tom mit aller Vorsicht, mit diesem Jüngling in Händel zu geraten: denn, außerdem daß Tom Jones bei allen seinen Bubenstreichen ein friedfertiger Junge war und seinen Spielgesellen Blifil lieb hatte, so war auch Herr Schwöger, als ein allzeit fertiger Sekundant des erstern, furchtbar genug, um ihn davon abzuschrecken.

Aber sehr richtig ist, was ein gewisser Autor sagt: Kein Mensch ist zu allen Stunden weise! Es ist daher kein Wunder, wenn ein Knabe es auch nicht immer ist. In einem Zwist, der sich unter den beiden Jünglingen beim Spielen äußerte, schalt der junge Herr Blifil den Tom einen schäbigen Bastard. Worauf der [100] letztere, der ein wenig hitzig vor der Stirn war, augenblicklich das Gesicht des ersteren in den Zustand setzte, dessen wir oben gedacht haben.

Nun erschien Neffe Blifil, mit aus der Nase strömenden Blute und aus den Augen rinnenden Thränen, vor seinem Onkel und dem furchtbaren Herrn Schwöger, von dessen Gerichtsbank auf der Stelle ein Urteil zu Bestrafung der Gewaltthätigkeit, feindlichen Anfalls und Gliederbeschädigung über Tom ausgesprochen wurde, der zu seiner Entschuldigung nichts weiter, als die heftige Reizung anführte; welche freilich das einzige gewesen, was sein Ankläger beizubringen vergessen hatte. Es ist wohl möglich, daß dieser Umstand seinem Gedächtnis entwischt sein konnte, denn in seiner Replik bestand er darauf ausdrücklich, daß er sich solcher Benennung nicht bedienet habe; »der liebe Gott,« fügte er hinzu, »behüte mich, daß solche gottesvergessene Worte niemals aus meinem Munde gehen!«

Tom, ob es gleich gegen alle gesetzliche Formalitäten war, duplizierte mit bloßer Behauptung seiner ersten Exzeption. Worauf Neffe Blifil versetzte: »Es ist kein Wunder, wer einmal eine Lüge sagt, dem wird die andere nicht sauer werden! Hätte ich meinem Herrn Informator eine so gottlose Lüge gesagt, als du gethan hast, so könnte ich vor Scham meine Augen nicht aufschlagen.«

»Was für eine Lüge, Kind?« schrie Herr Schwöger sehr hastig.

»Ach nun, er sagte ihnen ja, daß niemand mit ihm aufs Schießen gegangen wäre, als er das Feldhuhn wegpickte; aber er weiß wohl, (hier brach er in Thränen aus,) ja er weiß recht gut; denn er hat mir's gestanden, daß der schwarze Jakob, der Förster, mit ihm war; ja, er sagte – ja! leugn' es nur, wenn du kannst! – hast du's nicht gesagt, daß du die Wahrheit nicht hättest gestehen wollen, und wenn dich der Herr Informator auch in Stücken gehauen hätte?«

Hierbei sprüheten Herrn Schwöger die Funken aus den Augen, und er rief aus im Siegeston: »Ho! ho! Da haben wir die mißverstandenen Begriffe von Ehre! Da haben wir den Jüngling, der nicht wieder geschlagen werden durfte!« Allein Herr Alwerth wandte sich mit einem mildern Blick an den Jüngling und sagte: »Ist dies wahr, Kind? wie kamst du dazu, so hartnäckig auf einer Unwahrheit zu bestehen?«

Tom sagte: »er verabscheue eine Lüge so sehr, als nur ein Mensch auf der Welt: er habe aber gemeint, seine Ehre verpflichte ihn, so zu handeln, wie er gethan; denn er hätte dem armen Menschen versprochen gehabt, ihn nicht zu verraten, wozu, –« sagte er, »er sich noch verbunden hielte, weil ihn der Wildmeister[101] so ernstlich gebeten hätte, die Wildflur des Nachbarn nicht zu betreten, und Jakob hernach, nur aus bloßer Gefälligkeit, sich hätte überreden lassen, mit ihm zu gehen. Dies,« sagte er, »sei die pure, reine Wahrheit der ganzen Sache, und die könne er beschwören.« Und er beschloß damit, daß er Herrn Alwerth gar innigst bat, er möchte doch Mitleiden mit des armen Mannes Frau und Kindern haben; besonders deswegen, weil er ganz allein schuldig gewesen, und der andere zu dem, was er gethan, mit großer Schwierigkeit zu überreden gewesen wäre. »Gewißlich, theuerster Herr Vater! es kann kaum eine Lüge heißen, was ich gesagt habe; denn der arme Mann war ganz und gar unschuldig an der Sache! Ich wäre dem Volk Hühnern gewiß allein nachgegangen, ja ich ging auch wirklich voran, und er folgte mir bloß nach, um größer Unheil zu verhüten. O! liebster, liebster Vater! thun Sie's doch; lassen Sie mich bestrafen, nehmen Sie mir mein klein Pferd wieder weg, aber, bitte, bitte! vergeben Sie dem armen Jakob!«

Herr Alwerth bedachte sich ein paar Augenblicke, drauf entließ er die beiden Knaben mit der Vermahnung, freundlich und friedlich mit einander zu leben.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Die Meinungen des Theologen und des Philosophen über diese beiden Jünglinge, nebst einigen Gründen für diese Meinungen und andere Dinge mehr.


Es ist wahrscheinlich, daß der junge Blifil durch Entdeckung dieses Geheimnisses, welches ihm in höchstem Vertrauen mitgeteilt worden, seinem Spielgesellen einen derben Schilling ersparte: denn die blutrünstige Nase würde für sich allein dem Herrn Schwöger ein hinlänglicher Grund gewesen sein, zur notgedrungenen Züchtigung zu schreiten; jetzt aber verlor sich das Vergehen gänzlich in der andern viel wichtigern Sache; und in Ansehung dieser ließ sich Herr Alwerth insgeheim vernehmen: nach seiner Meinung habe der Knabe eher Belohnung, als Bestrafung verdient; daß sonach dem Herrn Schwöger durch einen Generalpardon die Hände gebunden wurden.

Schwöger, vor dessen Gedanken beständig Stock und Ochsenziemer schwebten, schmälte auf diese weichliche und, wie er's zu nennen wagte, gottlose Gelindigkeit. Die Strafe solcher Verbrechen zu erlassen, sagte er, hieße zu ihrer Begehung Aufmunterung geben. Er sagte ein langes und breites über die Zucht, worunter Kinder [102] gehalten werden müßten, und führte manchen Spruch aus den Büchern Salomonis und an dere Schriftstellen an, welche aber, weil sie in so vielen andern Büchern zu finden sind, hier nicht hergesetzt werden sollen. Darauf machte er sich über das Laster des Lügens her; über welches Kapitel er fast ebenso gelehrt sprach, als über das vorige.

Quadrat sagte, er habe darüber nachgedacht, das Betragen des Tom mit seiner Idee von der vollkommenen Tugend zu vereinigen, er könne es aber nicht; er gestand zu, auf den ersten Anblick wäre etwas in der Handlung, welches Stärke des Geistes zu sein schien; da aber Stärke des Geistes eine Tugend und Falschheit ein Laster sei, so ließen sich beide auf keine Art vereinigen oder zusammenstimmen. Er setzte hinzu, da dies gewissermaßen Laster und Tugend miteinander verwechseln hieße, so möcht' es Herrn Schwögers reiflichere Erwägung wohl wert sein, ob nicht gerade dieserwegen eine härtere Züchtigung zu verhängen wäre.

So einig diese beiden gelehrten Männer darin waren, den Jones zu tadeln, so waren sie nicht weniger einstimmig im Lobe des jungen Herrn Blifil. Die Wahrheit an den Tag bringen, war, nach der Behauptung des Theologen, eine Pflicht jedes Mannes von Religion und der Philosoph erklärte es für höchst übereinstimmend mit der Regel des Rechts und der ewigen und unwandelbaren Harmonie der Dinge.

Alles dies hatte indessen sehr wenig Gewicht beim Herrn Alwerth. Man konnte es nicht von ihm gewinnen, das Urteil zur Exekution des armen Jones zu unterschreiben. Es wohnte etwas in seiner eigenen Brust, welches mit der unüberwindlichen Treue, in welcher der Jüngling verharrt hatte, in viel besserer Harmonie stand, als mit Schwögers Religion oder mit Quadrats Tugend. Er verlangte also aufs gemessenste vom ersten dieser gelehrten Herren, er solle sich enthalten, wegen dessen, was vorgegangen war, an Tom gewaltthätige Hand zu legen. Der Pädagog war genötigt, diesem Befehle zu gehorchen; das that er aber nicht ohne großen Widerwillen und öfteres Murmeln im Barte, »der Junge würde gewiß verzogen werden.«

Gegen den Wildmeister verfuhr der gute Mann mit mehr Strenge. Er ließ den armen Kerl alsobald vor sich rufen und nach vielen bittern Vorwürfen bezahlte er ihm seinen rückständigen Gehalt und damit gab er ihm seinen Abschied; denn Herr Alwerth bemerkte sehr richtig, es sei ein großer Unterschied, eine Falschheit zu begehen, um sich selbst weiß zu brennen oder um einen andern zu entschuldigen. Er führte auch zum vornehmsten Bewegungsgrunde seiner unerbittlichen Strenge gegen diesen Menschen noch [103] ferner an, er habe niederträchtigerweise zugegeben, daß Tom Jones seinetwegen eine so harte Züchtigung bekommen, welches er dadurch hätte verhindern sollen, daß er sich selbst als Mitschuldigen angegeben.

Als diese Geschichte öffentlich bekannt wurde, waren viele Leute in ihrem Urteile über das Betragen der beiden Jünglinge bei dieser Gelegenheit ganz verschieden mit Quadrat und Schwöger. Der junge Blifil hieß durchgängig ein kopfhängerischer Bube, ein leisetretender Lump; nebst andern Beinamen mehr von dieser Art; unterdessen Tom mit dem Namen eines braven Jungen, eines wackern Burschen und eines zuverlässigen Jünglings beehrt wurde. In der That machte sein Betragen gegen den schwarzen Jakob ihn allen Bedienten lieb und wert, denn obgleich dieser Mensch vorher von niemand geliebt wurde, so war er nicht so bald aus dem Dienst geschafft, als er von jedermann bedauert ward und die Freundschaft und die wackere Aufführung des Tom Jones ward von allen mit dem höchsten Beifall gerühmt und ebenso tadelten alle den jungen Blifil so öffentlich und laut, als sie nur durften, ohne Gefahr zu laufen, seine Mutter zu beleidigen. Unterdessen trug Tom Jones für alles dieses die Schmerzen an seinem Fleische davon, denn obgleich Herrn Schwöger untersagt worden, wegen des vergangenen seine Arme zu üben, so sagt doch das Sprichwort, wer gern tanzt, dem ist leicht gepfiffen. So war auch leicht eine Ursache aus der Luft gegriffen, und in der That war die Unfähigkeit, eine zu finden, das einzige, was Herrn Schwöger im geringsten länger abhalten konnte, den armen Jones seine schwere Hand fühlen zu lassen.

Wäre bloße Lust und Liebe hierzu beim Pädagogen das einzige gewesen, was ihn antrieb, eine lebendige Haut zu gerben, so ist es wahrscheinlich, daß der junge Blifil auch sein bescheiden Teil an der ungebrannten Asche gehabt haben würde; allein, so oft es ihm auch Herr Alwerth gesagt hatte, er solle keinen Unterschied unter den beiden Knaben machen, so war doch Herr Schwöger gegen den einen ebenso freundlich und milde, als hart, ja selbst barbarisch gegen den andern. Die Wahrheit zu sagen, so hatte Blifil sich bei seinem Lehrer in mächtige Gunst gesetzt, teils durch den tiefen Respekt, den er beständig gegen seine Person bezeigte, weit mehr aber noch durch die ziemende Ehrfurcht, womit er seine Lehrsätze aufnahm, denn er hatte seines Lehrers Redensarten auswendig gelernt und ließ sie oft in seinen Gesprächen hören, und behauptete alle Religionssätze seines Herrn Informators mit einem Eifer, darüber man bei einem so jungen Menschen billig erstaunte, und das machte ihn dann seinem würdigen Herrn Präzeptor so teuer und lieb!

[104] Tom Jon hingegen ließ es nicht nur an den äußerlichen Zeichen des Respekts so sehr ermangeln, daß er zuweilen gar nicht einmal den Hut abnahm oder sich bückte, wenn sein Informator sich näherte, sondern war fast ebenso unachtsam auf seines Informators Lehren und Beispiele. Es war wirklich ein unbesonnener Wirbelkopf vom Burschen, von keiner Stätigkeit in seinen Sitten und weniger noch in seinen Gebärden, da er zuweilen sehr unverschämt und ausgelassen über seines Schulkameraden ehrbare Frömmigkeit lachte.

Herr Quadrat hatte dieselben Ursachen, dem ersten den Vorzug zu geben; denn Tom machte sich ebensowenig aus den gelehrten Abhandlungen, welche dieser Herr zuweilen an ihn zu verschwenden beliebte, als aus den erwecklichen Reden des Herrn Schwöger. Er war einst so verwegen, aus der Regel des Rechts einen Spaß zu machen, und sagte ein andermal: er glaubte, keine Regel in der Welt sei im stande, einen solchen Mann zu bilden, als seinen Vater. (Denn daß Herr Alwerth sich Vater von ihm nennen ließ, werden meine Leser wohl schon ein paarmal bemerkt haben.)

Dahingegen hatte Blifil mit sechzehn Jahren schon Geschicklichkeit genug, zu einer und eben der Zeit sich diesen beiden Männern zu empfehlen. Bei dem einen war er ganz Religion, bei dem andern ganz Tugend, und wenn beide gegenwärtig waren, so beobachtete er ein genaues Stillschweigen, was dann beide zu seinem Besten und ihrem eigenen Vorteil auslegten.

Auch ließ es Blifil nicht dabei bewenden, diesen beiden gelehrten Herren unter den Augen zu schmeicheln; er nahm oft Gelegenheit, sie bei Herrn Alwerth hinter ihrem Rücken zu preisen. Denn, wenn er mit seinem Onkel allein war und dieser irgend einen guten Gedanken über die Religion oder die Tugend lobte, (und in Anführung solcher Gedanken war Blifil stark) so ermangelte er selten, solchen dem guten Unterrichte zuzuschreiben, den er entweder von Schwöger oder von Quadrat empfangen hätte: denn er wußte, sein Onkel sagte alle solche Komplimente den Personen wieder, für deren Gebrauch sie eigentlich angefertigt waren, und die Erfahrung lehrte ihn den tiefen Eindruck, welchen sie auf den Philosophen sowohl als auf den Theologen machten; denn es ist eben keine unbekannte Wahrheit, daß keine Schmeichelei so unwiderstehlich ist, als die aus der zweiten oder dritten Hand.

Der fromme Jüngling merkte überdem auch bald, wie herzlich angenehm alle diese Lobreden auf seine Lehrer dem Herrn Alwerth selbst waren, weil sie zugleich das Lob des besondern Erziehungsplans widerhallten, den er entworfen hatte. Denn dieser Mann, dem die Unvollkommenheit unserer öffentlichen Schuleinrichtungen [105] nicht entgangen war und der wußte, wie manchen Verführungen die Knaben darin ausgesetzt sind, hatte beschlossen, seinen Neffen sowohl als den andern Knaben, den er gewissermaßen an Kindesstatt aufgenommen hatte, in seinem eigenen Hause zu erziehen, weil er glaubte, hier würden ihre Sitten unschuldiger und vor allen Gefahren der Verführung, die auf öffentlichen Schulen und Universitäten herumschleichen, gesichert bleiben.

Nachdem er also beschlossen hatte, die Knaben der Aufsicht eines eigenen Hauslehrers zu übergeben, ward ihm zu dieser Stelle Herr Schwöger von einem sehr guten Freunde empfohlen, von dessen Verstande Herr Alwerth eine hohe Meinung hatte und in dessen Redlichkeit er ein großes Vertrauen setzte. Dieser Schwöger lebte seit einiger Zeit auf einer Universität und stand in sehr gutem Rufe wegen seiner Gelehrsamkeit, Religion und sehr anständigen Sitten. Und dies waren ohne Zweifel die Eigenschaften, welche Herrn Alwerths Freund vermocht hatten, ihn bestens zu empfehlen, obgleich dieser Freund aus der Schwögerischen Familie einige Verbindlichkeiten hatte, weil sie aus den angesehensten Personen eines kleinen Marktfleckens bestand, den dieser Herr im Parlamente repräsentierte.

Schwöger war bei seiner ersten Ankunft dem Herrn Alwerth sehr angenehm: und er entsprach auch wirklich dem Zeugnisse, das man ihm gegeben hatte. Bei längerer Bekanntschaft und genauerem Umgang mit ihm sah indes dieser würdige Mann Schwachheiten an dem Lehrer, wovon er ihn frei zu sein gewünscht hätte; da solche gleichwohl von seinen guten Eigenschaften merklich überwogen zu werden schienen, so ließ sich Herr Alwerth dadurch nicht bewegen, ihn wieder zu entlassen, sie wären auch wirklich nicht hinreichend gewesen, ein solches Verfahren zu rechtfertigen. Denn der Leser irrt sich gewaltig, wenn er meint, Schwöger sei dem Herrn Alwerth in eben dem Lichte erschienen, in welchem er ihm selber in dieser Geschichte dargestellt ist, und ebenso sehr irrt er sich, wenn er sich einbildet, die genaueste Bekanntschaft, welche er mit diesem Geistlichen hätte haben können, würde ihn von diesen Dingen unterrichtet haben, welche wir durch unsere Inspiration fähig gemacht sind, zu offenbaren und zu enthüllen. Von solchen Lesern, die aus dergleichen voreiligen Einbildungen die Weisheit und Einsicht des Herrn Alwerth gering schätzen, mache ich mir kein Bedenken, zu sagen, daß sie einen sehr schlechten und undankbaren Gebrauch von der Kenntnis machen, die wir ihnen mitgeteilt haben.

Diese scheinbaren Irrtümer in Schwögers Lehrsätzen dienten großenteils dazu, die entgegengesetzten Irrtümer in den Lehrsätzen des Herrn Quadrat unschädlicher zu machen, die unser würdige [106] Mann nicht weniger sah und mißbilligte. Er dachte in der That, die verschiedenen wilden Auswüchse dieser beiden Männer würden ihre gegenseitigen Unvollkommenheiten verbessern und von beiden mit seinem Beistande vornehmlich würden die beiden Knaben hinreichenden Unterricht zur wahren Religion und Tugend genießen. Wenn der Ausgang seiner Erwartung gar nicht entsprach, so lag das vielleicht an einem Fehler in dem Plane selbst, den der Leser meine Erlaubnis hat, zu entdecken, wenn er kann: denn wir maßen uns nicht an, irgend einen unfehlbaren Charakter in dieser Geschichte aufzuführen, in welcher man, wie wir hoffen, nichts finden soll, welches bis dahin in der menschlichen Natur noch niemals ist gesehen worden.

Also wieder zur Sache! Der Leser wird, denke ich, sich nicht darüber wundern, daß das verschiedene Betragen der beiden Zöglinge die verschiedenen Wirkungen hervorbrachte, wovon wir bereits einige Proben gesehen haben, und nebenher gab es noch eine andere Ursache für das Benehmen des Philosophen und des Pädagogen. Da dies aber eine Sache von großem Belang ist, so wollen wir solche im nächsten Kapitel entwickeln.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Entwickelt eine noch triftigere Ursach der vorerwähnten Meinungen.


Sei es also hierdurch kund gethan, daß diese zwei gelehrten Männer, welche seit einiger Zeit eine ansehnliche Rolle auf der Schaubühne dieser Geschichte gespielt haben, von dem ersten Eintritt in Herrn Alwerths Haus an, eine so große Zuneigung, der eine zu seiner Religion, der andere zu seiner Tugend, gefaßt, daß sie mit ihm in die genaueste Verbindung zu treten beabsichtigt hatten.

Zu diesem Endzweck hatten sie ihre Augen auf jene holde Witwe geworfen, welche, ob wir gleich derselben seit einiger Zeit gar keine Meldung gethan, der Leser, wie wir hoffen, nicht vergessen haben soll. Madame Blifil war wirklich das Kleinod, nach dem sie beide rangen.

Es mag sonderbar scheinen, daß von vier Personen, deren wir in Herrn Alwerths Hause gedacht haben, ihrer drei mit ihrer Neigung auf eine Dame verfielen, die niemals wegen ihrer Schönheit sehr berühmt gewesen war und welche jetzt noch überdem auf der Stufenleiter der Jahre schon ein wenig herabstieg. Nach That und Erfahrung aber haben Busenfreunde und genaue Bekannte eine [107] Art von natürlichem Hange gegen besondere weibliche Personen in dem Hause eines Freundes, als nämlich: gegen dessen Großmutter, Mutter, Schwester, Tochter, Tante, Nichte und Base, wenn sie reich sind, und gegen seine Frau, Schwester, Tochter, Nichte, Bäschen, Maitresse, oder Nähterin oder Stubenmädchen, wenn sie hübsch sein sollten.

Wir möchten indessen unsre Leser nicht zu der Meinung verleiten, als hätten Personen von solchem Charakter, als Schwöger und Quadrat in der Welt vorstellten, sich einer Sache unterziehen wollen, welche von einigen strengen Moralisten fast ein wenig gemißbilligt worden ist, ehe und bevor sie solche nicht von allen Seiten untersucht und überlegt gehabt, ob es, wie Shakespeare sagt:


»Stuff o' th' Conscience«


(Gewissensstoff) sei oder nicht. Schwöger ward zu der Unternehmung durch die Betrachtung aufgemuntert, daß es nirgends verboten ist, die Schwester unsers Nächsten zu begehren, und er wußte die juristische Regel: »Expressum facit cessare Tacitum«, welche so viel sagen will: »Wenn ein Gesetzgeber seinen ganzen Sinn deutlich ausdrückt, so sind wir nicht befugt, ihm unsere eigene Meinung unterzuschieben.« Da nun in dem göttlichen Gesetze, welches uns verbietet, zu begehren, was des Nächsten ist, einige weibliche Benennung angeführt, die Schwester aber ausgelassen ist, so schloß er, sei es erlaubt. Und was Herrn Quadrat anbetrifft, der von Person das war, was man einen artigen Menschen, oder einen Witwen- und Weibermann nennt, so paßte der seine Wahl sehr leicht unter vorher bestimmte Harmonie der Dinge.

Da nun diese Herren alle beide mit großem Fleiß jede Gelegenheit wahrnahmen, sich bei der Witwe beliebt zu machen, so meinten sie, eins von den sichersten Mitteln wäre, wenn sie ihrem Sohne beständig vor dem andern Knaben den Vorzug gäben; und wie sie ferner meinten, die Güte und Wohlgewogenheit, welche Herr Alwerth dem letzten bezeigte, müsse ihr sehr mißfällig sein, so zweifelten sie nicht, es könne ihr nicht anders, als sehr gefallen, wenn sie jeden Anlaß ergriffen, ihn herunterzusetzen und zu demütigen; denn, da sie den Knaben haßte, müßte ihr jedermann lieb sein, der ihm eins versetzte. In diesem nun hatte Schwöger den Vorteil; denn derweile Quadrat den guten Leumund des armen Kindes kaum schrammen konnte, konnte jener ihm das Fell über die Ohren ziehen; und in der That betrachtete er jeden Hieb, den er ihm versetzte, als ein Kompliment, das er seiner Geliebten brächte, so daß er mit der größesten Schicklichkeit jene alte Litanei der Schulrute dabei absingen können: »Castigo te non quod odio habeam, sed [108] quod amem«: »Ich strafe dich nicht aus Haß, sondern weil ich liebe.« Und diesen Spruch führte er wirklich oft im Munde, oder besser, nach der alten Redensart, brachte ihn niemals besser an, als wenn er ihm damit durch Mark und Bein drang.

Aus dieser Ursache hauptsächlich waren die beiden Herrn, wie wir eben gesehen haben, über die beiden jungen Burschen einerlei Meinung; dagegen war's auch das einzige, worüber sie jemals einig waren; denn außer der Verschiedenheit ihrer Systeme, hatten sie schon längst einer des andern Absicht stark geargwöhnt, und haßten einander mit einem ziemlichen Maß von Groll.

Diese wechselseitige Feindseligkeit ward durch ihr abwechselndes Glück um ein Großes verstärkt. Denn Madame wußte schon, wo sie hinaus wollten, lange vorher, ehe sie sich einbildeten, oder auch nur wünschten, daß sie es wissen möchte; weil sie mit großer Behutsamkeit zu Werke gingen, aus Furcht, sie möchte es übel nehmen, und es dem Herrn Alwerth sagen, aber sie hatten keine Ursache zu einer solchen Besorgnis. Sie ließ sich eine Leidenschaft ganz wohl gefallen, von der, nach ihrem Vorsatze, niemand Früchte ziehen sollte, als bloß sie, für sich selbst. Und die einzige Frucht, die sie für sich selbst bezweckte, waren Schmeichelei und Liebelei. Zu diesem Ende that sie einem um den andern eine lange Zeit hindurch schön. Wirklich war sie geneigter, die Lehrsätze des geistlichen Herrn zu begünstigen, aber Quadrats Person gefiel ihren Augen besser, denn sein Wuchs und seine Mienen zeigten männliche Würde; der Pädagog hingegen hatte in seiner Gestalt viel Aehnliches mit der gerichtlichen Person, welche in Harlots Progreß von Hogarth die Damen im Werkhause beim Hanfklopfen zur Buße leitet.

Ob Madame Blifil sich an den Süßigkeiten des Ehestandes den Magen verdorben, oder vor seinen Bitterkeiten einen Ekel hatte, oder was sonst die Ursache sein mochte, will ich nicht entscheiden, aber man konnte sie nicht dahin vermögen, sich zu einer zweiten Verbindung zu entschließen. Unterdessen geriet sie am Ende mit Quadrat in einen so genauen Umgang, daß boshafte Zungen anfingen, solche Dinge von ihr herumzuflüstern, denen wir, sowohl der Dame wegen, als, weil sie sich keineswegs mit der Regel des Rechts und der ewigen Harmonie der Dinge reimen ließen, keinen Glauben beimessen, und also damit unser Papier nicht beflecken wollen. Der Pädagog, das ist gewiß, peitschte immer frisch zu, ohne einen Schritt auf seinem Wege weiter zu kommen.

In der That hatte er einen großen Irrtum begangen. Dies entdeckte Quadrat viel früher, als er selbst. Madam Blifil (wie vielleicht der Leser vorhin erraten hat) war nicht gar zu außerordentlich mit der Aufführung ihres Gemahls zufrieden; ja um es [109] ganz ehrlich zu gestehen, sie haßte ihn recht treuherzig, bis endlich der Tod ihm ihre Liebe ein wenig wieder erwarb. Daher ist es denn eben nicht sonderlich zu verwundern, daß sie nicht die höchste Zärtlichkeit gegen das edle Reis hegte, was von ihm entsprossen war. Und in der That hegte sie von dieser Zärtlichkeit so wenig, daß sie ihren Sohn in seiner Kindheit sehr selten sah, oder im geringsten sich um ihn bekümmerte, und daher ließ sie sich, nach ein paar sauren Mienen, alle die Gunstbezeigungen gefallen, welche Herr Alwerth auf den Findling gleichsam regnen ließ, den der gute Mann seinen eignen lieben Jungen nannte, und in allen Dingen mit dem jungen Blifil in völliger Gleichheit hielt. Diese nachgebende Gefälligkeit der edlen Witwe ward von den Nachbarn und von den Hausgenossen als ein Zeichen betrachtet, daß sie sich gerne in ihres Bruders Einfälle fügte, und alle sowohl wie auch Schwöger und Quadrat, dachten nicht anders von ihr, als daß sie im Grunde ihres Herzens den Findling haßte; ja, je freundlicher sie ihm begegnete, je mehr, meinten sie, wäre sie auf ihn erbittert, und desto sichrer reifte der Plan, den sie zu seinem Untergang ersönne; denn weil sie dachten, sie müßte ihn ihres eignen Nutzens wegen hassen, so wurde es ihr um so schwerer, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen.

Schwöger war um so mehr in seiner Meinung bestärkt, weil sie ihn mehr als einmal unter der Hand vermocht hatte, den armen Tom zu peitschen, wenn Herr Alwerth, der diese Handarbeit haßte, ausgegangen war; und weil ihr in Ansehung des jungen Blifils dergleichen Zumutungen niemals eingefallen waren. Dies hatte auch den Quadrat zu einem falschen Urteil verleitet. In Wahrheit, ob sie gleich ihren eignen Sohn gewißlich haßte, worin es, so unnatürlich es auch scheint, gewiß mehrere Mütter ihresgleichen giebt, so schien sie doch, ungeachtet ihrer äußerlichen Nachgiebigkeit, in Ansehung aller Wohlthaten, welche Herr Alwerth dem Findling angedeihen ließ, in ihrem Herzen mißvergnügt zu sein. Sie klagte oft darüber hinter ihres Bruders Rücken, und tadelte ihn deswegen sehr scharf gegen beide Herren, Schwöger und Quadrat; ja sie warf es selbst Herrn Alwerth ins Angesicht vor, wenn ein kleines Mißverständnis vorfiel, oder wenn, wie der gemeine Mann sagt, die Sonne auf den Schornstein schien.

Unterdessen, als Tom heranwuchs, und von der wackern Gemütsart Zeichen gab, durch welche die Männer bei den Weibern so hoch ans Brett kommen, verminderte sich nach und nach diese Abneigung, welche sie gegen ihn, da er noch ein Kind war, hatte blicken lassen, und zuletzt zeigte sie höchst deutlich und zwar so deutlich, daß es länger unmöglich war, sich darüber zu irren, daß sie [110] für ihn eine weit größere Gewogenheit habe, als für ihren eigenen Sohn. Sie war so begierig darauf, ihn oft bei sich zu haben, und fand eine solche Freude an seiner Gesellschaft, daß er, bevor er noch das achtzehnte Jahr erreicht hatte, Schwögers und Quadrats Nebenbuhler geworden war; und was noch ärger ist, so begann die ganze Nachbarschaft, ebenso laut von ihrer Neigung gegen Tom zu sprechen, als sie vorher sich über die gegen Quadrat lustig gemacht hatte; worüber denn der Philosoph auf unsern armen Helden einen unversöhnlichen Haß warf.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Worinnen der Autor in eigner Person auf der Bühne erscheinet.


Obgleich Herr Alwerth von Haus aus eben nicht der Schnellste war, die Sachen in einem nachteiligen Lichte zu besehen, und von dem öffentlichen Gerede nichts wußte, weil solches einem Bruder oder Ehemann selten zu Ohren kommt, ob es gleich in der ganzen Nachbarschaft von Haus zu Haus erschallt; so ward doch dieser Vorliebe seiner Schwester zum Tom, und der Vorzug, welchen sie ihm in zu sichtbarer Weise vor ihrem Sohne gab, dem armen Tom höchst nachteilig.

Denn so stark war das Mitleiden, welches Herrn Alwerths Gemüte innewohnte, daß solches bloß vom Schwerte der Gerechtigkeit besiegt werden konnte. Auf irgend eine Art unglücklich sein, wofern nur kein grobes Verbrechen das Gegengewicht hielt, reichte hin, die Schale des Mitleidens bei ihm zu senken und seine Freundschaft und Güte in Thätigkeit zu setzen.

Als er daher deutlich sah, sein Neffe Blifil würde von seiner Mutter ordentlich gehaßt (denn das ward er), so begann er, bloß deßwegen, ihn mit mitleidigen Augen zu betrachten, und was für Wirkungen das Mitleiden bei edlen gutherzigen Menschen hervor bringt, das darf ich den meisten meiner Leser hier nicht vorerklären.

Von dieser Zeit an sah er jeden Schein von Tugend an diesem Jüngling durch die vergrößernde Seite des Glases, und alle seine Fehler durch die verkleinernde, so daß er solcher kaum gewahr wurde. Und das mag vielleicht wegen der Liebenswürdigkeit eines mitleidigen Gemüts noch alles Lobes wert sein. Den nächsten Schritt aber kann nur allein die Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigen. Denn nicht sobald bemerkte er den Vorzug, welchen Madame Blifil dem Tom gab, als dieser arme Jüngling (bei aller seiner Unschuld) in seiner Neigung, so wie er in [111] der ihrigen stieg, zu sinken begann. Dies, es ist wahr, würde für sich allein niemals vermögend gewesen sein, den Tom aus seiner Brust zu reißen, aber es war ihm doch höchst nachteilig und breitete Herrn Alwerths Gemüt auf jene Eindrücke vor, welche nachher die großen Begebenheiten veranlaßten, welche die Folge dieser Geschichte enthalten wird, und wozu, wie ich gestehen muß, der unglückliche junge Mensch durch seine Ausschweifungen, seine Wildheit und seinen Mangel an Vorsicht so vieles beitrug.

Indem wir davon einige Beispiele aufzeichnen, werden wir, wofern man uns richtig versteht, der gutgesinnten Jugend, welche einst unser Werk lesen wird, eine sehr nützliche Lektion geben; denn solche wird hier finden, daß Güte des Herzens und Unbefangenheit des Gemüts, ob solche gleich ihnen großen innerlichen Trost verleihen und ihrem eignen Bewußtsein einen edlen Stolz geben können, jedoch leider gar nicht hinreichen, in der Welt ihr Glück zu machen. Klugheit und Behutsamkeit sind selbst dem besten Menschen unentbehrlich. Sie sind in der That gleichsam eine Leibwache der Tugend, ohne welche sie niemals in Sicherheit ist. Es ist nicht genug, meine lieben jungen Leser, daß Sie es gut meinen, daß sogar Ihre Handlungen innerlich gut sind; Sie müssen auch dafür sorgen, daß sie so scheinen. Ihr Inwendiges mag noch so schön sein, Sie müssen auch eine schöne Außenseite beibehalten. Hierauf muß man beständig achthaben, sonst werden Bosheit und Neid Sorge tragen, sie dergestalt anzuschwärzen, daß die Einsicht und Herzensgüte eines Alwerths nicht vermögend sein wird, hindurch zu sehen und die Schönheit des Inwendigen zu bemerken. Lassen Sie dies, meine jungen Leser, Ihre beständige Maxime sein, daß kein Mensch gut genug sein kann, um berechtigt zu sein, die Regeln der Klugheit zu vernachlässigen, auch wird selbst seine Tugend von ihrer Schönheit verlieren, wenn solche nicht mit der äußeren Zierde des Anständigen und Schicklichen ausgeschmückt ist. Und wenn Sie, meine würdigen Jünger, diese Lehre mit gehöriger Aufmerksamkeit fassen, so werden Sie solche, wie ich hoffe, durch die in den folgenden Blättern enthaltenen Beispiele hinlänglich bestätigt finden.

Ich bitte wegen dieses meines kurzen Auftritts, in der Manier eines Chors der Griechen auf der Bühne, um Verzeihung. Es ist wirklich meiner selbst wegen, damit, wenn ich die Klippen entdecke, woran oft Unschuld und Gutherzigkeit scheitern, man mich nicht dahin mißverstehen möge, als ob ich meinen Lesern gerade die Mittel anempföhle, wodurch sie ihr Verderben befördern. Und da ich dieses zu sagen von keiner meiner handelnden Personen erhalten konnte, so war ich genötiget, diese Erklärung selbst zu thun.

Achtes Kapitel
[112] Achtes Kapitel.

Ein kindisches Werk, aus welchem man gleichwohl einen Hang zur Gutmütigkeit des Tom Jones ersehen wird.


Der Leser wird sich erinnern, daß Herr Alwerth dem Tom Jones als eine Art von Schmerzensgeld für die Strafe, die er nach seiner Meinung unschuldigerweise erlitten hatte, ein kleines Pferd schenkte.

Dies Pferd behielt Tom ein halbes Jahr, und dann ritt er es zu einem Markte in der Nachbarschaft und verkaufte es.

Als er nach seiner Heimkunft von Schwöger quästioniert wurde, was er mit dem Gelde angefangen habe, das er aus dem Verkaufe des Pferdes gelöst, erklärte er ganz ungescheut: »das wolle er ihm nicht sagen!«

»Oho!« sagte Schwöger, »das will man mir nicht sagen, so soll man's meinem Haselstocke schon bekennen;« denn dies war der Mittler, an den er sich in zweifelhaften Fällen, die Wahrheit herauszubringen, allemal zu wenden pflegte.

Tom war schon auf den Rücken eines Bedienten gestreckt und alles in Bereitschaft zur Exekution, als Herr Alwerth ins Zimmer trat, dem armen Sünder eine Gnadenfrist erteilte und ihn mit sich in ein anderes Zimmer nahm, woselbst er, als er mit Tom unter vier Augen war, ihm dieselbe Frage vorlegte, welche Schwöger an ihn vorher hatte ergehen lassen.

Tom antwortete: Sein Gehorsam erlaube nicht, ihm irgend etwas zu verhehlen; dem tyrannischen Orbil würde er aber niemals anders antworten als mit einer Karbatsche, und er hoffte bald im stande zu sein, ihm damit alle seine Grausamkeiten einzutränken.

Herr Alwerth gab dem Jüngling einen sehr scharfen Verweis wegen seiner unanständigen und unehrerbietigen Ausdrücke gegen seinen Lehrer, noch mehr aber wegen seines erklärten Vorsatzes, sich zu rächen. Er bedrohte ihn mit dem gänzlichen Verluste seiner Gunst, wofern er jemals wieder ein ähnliches Wort aus seinem Munde hörte; denn, sagte er: der Freund und die Stütze eines gottlosen Taugenichts wolle er niemals sein. Durch diese und dergleichen Erklärungen drang er dem Tom einige Zeichen der Reue ab, welche dem Burschen aber kein sonderlicher Ernst war, denn er sann wirklich auf eine Wiedervergeltung der schmerzhaften Gunstbezeigungen, welche er von den Händen des Pädagogen genossen hatte. Gleichwohl ward er von Herrn Alwerth dahin gebracht, wegen seiner Rachgier gegen Schwöger sich reuig zu bezeigen, und [113] darauf erlaubte ihm der gute Mann, nachdem er ihm noch einige heilsame Vermahnungen gegeben hatte, weiter zu reden, welches er that, wie folgt.

»In Wahrheit, mein teuerster Herr Vater! ich liebe und verehre Sie mehr als die ganze Welt. Ich weiß, wie unendlich viel ich Ihnen zu verdanken habe, und ich würde mich selbst verabscheuen, wenn ich mein Herz der Undankbarkeit fähig hielte. Könnte das kleine Pferd sprechen, das Sie mir geschenkt haben, gewiß es würde Ihnen erzählen, wie lieb und teuer mir Ihr Geschenk war; denn ich hatte größere Freude daran, es zu füttern, als darauf zu reiten. Ja, gewiß, liebster Herr Vater, es ging mir durchs Herz, daß ich es missen sollte, ich hätt's aus keiner andern Ursache auf der Welt verkauft, als aus der, welche mich dazu nötigte. Sie selbst, liebster Herr Vater, hätten an meiner Stelle ebendasselbe gethan, denn keiner hat noch so innig die Not andrer Menschen gefühlt, als Sie. Was würden Sie fühlen, teuerster Vater, wenn Sie bedächten, daß Sie es selbst verursacht hätten? – Gewiß, gewiß, kein Elend könnte größer sein, als das Ihrige.« – »Als wessen, Kind,« sagte Alwerth, »was willst du damit sagen?« – »O liebster Vater,« antwortete Tom, »Ihr armer Wildmeister ist mit seiner Frau und vielen Kindern, seitdem Sie ihn abgedankt haben, fast vor Mangel und Hunger umgekommen. Ich konnt's nicht aushalten, diese armen Leute so nackt und verhungert zu sehen, und dabei zu wissen, daß ich die Ursache aller ihrer Leiden gewesen bin. – Ich konnt's nicht aushalten, liebster Vater, bei meiner Seele, ich konnt's nicht!« (Hier rieselten ihm die Zähren über die Wangen und er fuhr weiter fort) »Es war, um sie vom völligen Untergange zu retten, daß ich mein teures Geschenk hingab, ungeachtet ich es so unendlich lieb hielt. – Für sie habe ich das Pferd verkauft, und sie haben alles Geld bis auf den letzten Heller bekommen.«

Hier stund Herr Alwerth einige Augenblicke im stillen Nachdenken, und ehe und bevor er sprach, stürzten ihm die Thränen aus den Augen. Endlich ließ er Tom mit einem sanften Verweise von sich, wobei er ihm den Rat gab, wenn es künftig darauf ankäme, jemand aus der Not zu helfen, so solle er sich lieber an ihn wenden, als zu außerordentlichen Mitteln greifen, um es für sich selbst allein zu thun.

Diese Sache war nachher die Materie zu manchen Untersuchungen zwischen Schwöger und Quadrat. Schwöger hielt dafür, es wäre eine offenbare Auflehnung gegen Herrn Alwerth, dessen Absicht gewesen, den Kerl wegen seines Ungehorsams zu bestrafen. Er sagte: in einigen Fällen käme ihm das, was die Welt Barmherzigkeit nenne, vor, als ein Eingriff in den Willen des Allmächtigen, [114] welcher gewisse Personen ausgezeichnet hätte, unglücklich und elend zu sein, und hier wäre auf eben die Art, gegen den Willen des Herrn Alwerth gehandelt worden, und er beschloß, wie gewöhnlich, mit einer herzlichen Empfehlung seines Schulszepters.

Quadrat focht hart dagegen an; vielleicht aus Parteilichkeit gegen Schwöger, oder auch aus Gefälligkeit gegen Herrn Alwerth, welcher das, was Tom gethan hatte, gar sehr zu billigen schien. Was er aber anführte, würde hier, da ich überzeugt bin, daß die meisten meiner Leser viel geschicktere Advokaten für den armen Jones sein müssen, unschicklich und vorlaut sein, zu erzählen. In der That war es nicht schwer, eine Handlung unter die Regel des Rechts zu bringen, die es unmöglich gewesen sein würde aus der Regel des Unrechts herzuleiten.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Enthält eine Geschichte von einer schändlichern Art, mit Schwögers und Quadrats Kommentarien darüber.


Ein Mann, der seiner Weisheit wegen weit berühmter war, als ich es bin, hat schon die Bemerkung gemacht, daß ein Unglück selten allein kommt. Ein Beispiel davon kann man, glaube ich, an solchen Herren sehen, welche das Unglück haben, daß eine von ihren Schelmereien entdeckt wird; denn selten steht die Entdeckung eher still, bis sie alle ans Tageslicht gebracht worden. So ging's mit dem armen Tom, dem nicht sobald der Verkauf seines Pferdes verziehen worden, als es ans Licht kam, daß er einige Zeit vorher eine schöne Bibel verkauft hätte, die ihm Herr Alwerth geschenkt, von welchem Schleichhandel er das Geld auf eben die Art verwendet hatte. Diese Bibel hatte der junge Herr Blifil, ob er schon selbst eine ähnliche hatte, teils aus Ehrfurcht für das Buch, teils aus Freundschaft für Tom erstanden, weil er nicht gern wollte, daß die Bibel für den halben Wert aus der Familie kommen sollte. Er erlegte diesen halben Wert also lieber selbst; denn er war ein sehr kluger Knabe, und so sorgsam für sein Geld, daß er fast jeden Pfennig, den er von Herrn Alwerth erhalten, bedächtlich aufgespart hatte. Einige Leute sind dafür berühmt gewesen, daß sie in keinem andern Buche, als ihrem eignen haben lesen können. Der gute Neffe Blifil hingegen brauchte, seitdem er im Besitz dieser Bibel war, niemals eine andere. Ja man sah ihn viel öfter darin lesen, als vorher in seiner eigenen. Da er nun Herrn Schwöger öfters um die Erklärung schwerer Stellen bat, so bemerkte der Herr [115] Informator unglücklicherweise Toms Namen, der hin und wieder in diesem Buche von seiner kindischen Hand gekritzelt war. Dies veranlaßte eine Untersuchung, welches Blifil nötigte, den ganzen Kaufhandel zu entdecken.

Schwöger war fest entschlossen, ein Verbrechen von dieser Art, welches er ein Sakrilegium nannte, sollte nicht ungestraft hingehen. Er schritt also unmittelbar zur Züchtigung, und nicht zufrieden damit, machte er auch Herrn Alwerth das nächste Mal, als er ihn sprach, mit diesem, wie es ihm vorkam, ungeheuern Verbrechen bekannt. Er zog in den bittersten Ausdrücken auf den Tom los, und verglich ihn mit den Käufern und Verkäufern, welche aus dem Tempel hinausgetrieben worden.

Quadrat betrachtete diesen Handel in einem sehr verschiedenen Lichte. Er könne, sagte er, kein strafwürdigeres Verbrechen darin finden, ob man dies Buch verkaufe oder ein anderes. Bibeln zu verkaufen sei, nach allen göttlichen und weltlichen Gesetzen, völlig erlaubt, und folglich wäre damit gegen keine Regel des Rechts verstoßen. Er sagte zu Schwöger, das große Aufheben über diesen Handel brächte ihm die Geschichte einer sehr christlich-frommen Frau ins Gedächtnis, welche aus bloßer heiliger Andacht einer Dame von ihrer Bekanntschaft Tillotsons Predigten gestohlen hätte.

Ueber dieses Geschichtchen stieg dem Theologen eine gewaltige Menge Blut ins Gesicht, welches ohnedem schon das bleichste war, und er stund auf dem Sprunge, mit großer Hitze und Aerger zu antworten, hätte sich nicht Madame Blifil, welche zugegen war, ins Mittel geschlagen und Frieden erhalten. Diese Dame erklärte sich ausdrücklich für Quadrats Meinung. Sie führte dafür in der That sehr gelehrte Gründe an, und schloß damit, daß sie sagte: wenn Tom dabei ja einen Fehler begangen hätte, so müsse sie gestehen, daß ihr Sohn ihr ebenso schuldig vorkäme, denn sie könne keinen Unterschied unter Käufern und Verkäufern finden, weil beide dergleichen aus dem Tempel getrieben worden wären.

Dadurch, daß Madame Blifil ihre Meinung eröffnet hatte, war dem Streite ein Ende gemacht. Quadrats Triumph hätte fast allein ihm die Worte im Munde erstickt, wenn er welcher bedurft hätte, und Schwöger außerdem, daß er aus bereits erwähnten Ursachen es nicht wagen durfte, etwas der Dame Mißfälliges zu sagen, erstickte fast an seinem Eifer. Was den Herrn Alwerth betrifft, so sagte der, weil der Knabe bereits schon abgestraft worden, so fände er nicht nötig, seine Meinung über die Sache zu sagen, und ob er über den Jüngling böse war oder nicht, das muß ich dem Leser selbst zu erraten überlassen.

Bald nach diesem ward bei dem Junker Western (der Landedelmann, [116] in dessen Gehege das Feldhuhn geschossen worden) eine Klage gegen den verabschiedeten Wildmeister, wegen ähnlicher Verbrechen, eingebracht. Dies war ein höchst unglücklicher Umstand für den Kerl, weil er ihm nicht nur an und für sich selbst mit großem Unglück drohte, sondern dabei auch noch Herrn Alwerth verhinderte, ihn wieder zu Gnaden anzunehmen. Denn als dieser würdige Herr eines Nachmittags mit seinem Neffen Blifil und dem jungen Tom spazieren ging, lenkte ihn der letztere ganz unvermerkterweise nach der Wohnung des schwarzen Jakob, wo die Angehörigen dieses armen Menschen, nämlich seine Frau und Kinder, in aller Not und allem Jammer befunden wurden, die nur Kälte, Hunger und Blöße über menschliche Geschöpfe verbreiten können; denn das Geld, das ihnen aus Toms Hand zugeflossen, war fast gänzlich zur Bezahlung alter Schulden draufgegangen.

Ein solcher Anblick wie dieser konnte nicht verfehlen, auf das Herz des Herrn Alwerth zu wirken. Er gab auf der Stelle der Mutter einige Goldstücke und sagte dabei, sie solle davon ihren Kindern etwas auf den Leib schaffen. Die arme Frau zerfloß bei dieser Gütigkeit in Thränen und konnte bei ihrer Danksagung sich nicht enthalten, auch ihre Erkenntlichkeit gegen Tom auszudrücken, welcher, wie sie sagte, lange schon sie und die ihrigen vom Verhungern errettet hätte. Wir haben, sagte sie, nicht einen Bissen zu essen, noch diese armen Kinder einen Lumpen anzuziehen gehabt, die wir nicht von seiner milden Güte empfangen hätten. In der That hatte Tom noch außer dem Pferde und der Bibel einen Schlafrock und andere dergleichen Sachen der Notdurft dieser notleidenden Familie aufgeopfert.

Als sie wieder nach Hause gekommen, bot Tom alle seine Beredsamkeit auf, um das Elend dieser Leute und die Reue und das Leid des schwarzen Jakob selbst mit den lebhaftesten Farben zu schildern, und hierin glückte es ihm so wohl, daß Herr Alwerth sagte, er glaube, der Mann habe für sein begangenes Versehen schon genug gelitten und er wolle ihm verzeihen und auf eine Versorgung für ihn und die seinigen denken.

Jones war über diese Neuigkeit so voller Freuden, daß er, ob es gleich schon finster war, als sie nach Hause kamen, sich nicht enthalten konnte, in einem starken Regenschauer eine Viertelmeile Weges zurückzulaufen, um der armen Frau die fröhliche Botschaft zu überbringen. Allein gleich andern schnellen Zeitungsverbreitern hatte er sich nur die Mühe verursacht, widerrufen zu müssen, denn das widrige Geschick des schwarzen Jakob bediente sich gerade der Abwesenheit seines Freundes als einer Gelegenheit, alles wieder über den Haufen zu werfen.

Zehntes Kapitel
[117] Zehntes Kapitel.

In welchem Neffe Blifil und Tom Jones in verschiedenem Licht erscheinen.


Neffe Blifil stand wirklich in Ansehung der liebenswürdigen Eigenschaft des Erbarmens mit Anderer Not in ziemlicher Entfernung hinter seinem Schulkameraden; aber einen desto größern Vorsprung hatte er vor ihm in einer viel wichtigern Eigenschaft, nämlich in der Gerechtigkeitsliebe, in welcher er sowohl den Lehren als Beispielen beider, des Herrn Schwöger und Quadrat, folgte; denn ob diese gleich alle beide das Wort Erbarmen oder auch Barmherzigkeit zum öftern gebrauchten, so war es doch deutlich, daß Quadrat solche Worte wirklich mit der Regel des Rechts für unvereinbar hielt, und Schwöger war für die Ausübung der Gerechtigkeit und der Meinung, daß man die Barmherzigkeit dem Himmel allein überlassen müsse. Diese beiden Gelehrten waren in der That in ihren Meinungen über den eigentlichen Gegenstand dieser erhabenen Tugend etwas verschieden, und diese Verschiedenheit wäre vielleicht schuld gewesen, daß Schwögers Meinung die eine Hälfte und Quadrats seine die andere Hälfte der Welt zu Grunde gerichtet hätte.

Ob also gleich Neffe Blifil, so lange Jones zugegen gewesen war, stille geschwiegen hatte, so war er doch nach reiflicherer Ueberlegung der Sache nicht im stande den Gedanken auszuhalten, daß seines Oheims Wohlthaten auf einen Unwürdigen fallen sollten. Kurz und gut entschloß er sich also, ihn mit der Thatsache bekannt zu machen, welche wir oben dem Leser so ganz im Vorbeigehen zu verstehen gegeben haben, deren wirkliche Beschaffenheit folgende war.

Als einstens der vorige Wildmeister, ungefähr ein Jahr nachdem er aus Herrn Alwerths Diensten gekommen, und bevor noch Thomas das Pferd verkauft hatte, sich in großem Brodmangel befand und so wenig für sich selbst als für die Seinigen einen Bissen aufzutreiben wußte, und in dieser Not eben durch ein dem Junker Western zuständiges Feld ging, spürte er einen Hasen in seinem Lager. Diesen Hasen hatte er niederträchtiger- und schändlicherweise gegen alle löblichen Gesetze der Weidmannschaft, noch mehr aber gegen die Gesetze des Landes hinter die Löffel geschlagen.

Der Wildhehler, dem der Hase verkauft worden, wurde unglücklicherweise einige Monate nachher mit einer ziemlichen Ladung dieser Ware beim Kopf genommen und dadurch genötigt, wofern er sich sonst einigermaßen beim Junker Western aus der Patsche ziehen [118] wollte, ein Angeber der Wilddiebe zu werden. Nun fiel er auf den schwarzen Jakob, als auf einen Kerl, der Herrn Western ohnedem schon mehr als verdächtig und von nichts weniger als gutem Rufe in der Nachbarschaft war. Ueberdem war er das beste Opfer, das der Wildhehler wählen konnte, weil er ihm seitdem nichts weiter zum Kauf gebracht hatte, auch hatte der Angeber durch dieses Mittel eine gute Gelegenheit, seine besseren Kunden hintern Schirm zu stellen; denn der jagdlustige Junker, dem das Herz darüber hüpfte, daß er den schwarzen Jakob in die Kluppe bekommen, welchen auf den Anstand zu bringen es nur einer einzigen Feldjagd bedürfte, stellte alles Suchen nach weitern Uebertretern ein.

Wäre dieses Faktum dem Herrn Alwerth nach seiner reinen Wahrheit vorgelegt worden, so ist es wahrscheinlich, daß es dem Wildmeister wenig geschadet haben würde. Aber kein Eifer ist blinder als der, welchen Liebe zur Gerechtigkeit gegen Uebertreter einflößt. Neffe Blifil hatte die Zeit der That vergessen; so war er auch nicht ganz genau in Anführung der Umstände, und dadurch, daß er das einzige zweisilbige Wort Einen ausließ, gewann die Erzählung ein ganz anderes Ansehen, denn so hieß es: der schwarze Jakob hätte Hasen, statt Einen Hasen hinter die Löffel geschlagen. Jedoch wäre diese Auslassung wahrscheinlicherweise wohl wiederhergestellt worden, wäre nicht Neffe Blifil so unglücklicherweise bei Herrn Alwerth, ehe er ihm die Sache entdeckte, darauf bestanden, er solle ihm Verschwiegenheit versprechen. Hierdurch aber ward der arme Jäger verdammt, ohne eine Gelegenheit zu haben sich zu verteidigen; denn da das Faktum des gemausten Hasen und der Anklage, in puncto Wilddieberei betreffend, ihre Richtigkeit hatte, so hegte Herr Alwerth in Ansehung des übrigen weiter keinen Zweifel.

Von sehr kurzer Dauer war also die Freude dieser armen Leute; denn schon den nächsten Morgen erklärte Herr Alwerth, er habe ganz neue Gründe (jedoch ohne sie anzuführen) für seinen Unwillen und verbot Tom aufs strengste, den Jakob nicht weiter vor ihm zu nennen; obgleich in Ansehung seiner Familie er, wie er sagte, suchen wolle, sie vor'm Hungerleiden zu bewahren; was aber den Kerl selbst beträfe, wolle er ihn den Gesetzen überlassen, in welche einen Eingriff zu thun ihn nichts bewegen könnte.

Tom konnte auf keine Art begreifen, was den Herrn Alwerth so in Harnisch gejagt hätte; denn auf seinen Spielgesellen Blifil den geringsten Argwohn zu werfen, fiel ihm nicht ein; gleichwohl, da seine Freundschaft durch ein oder den andern vergeblichen Versuch nicht gleich den Atem verlor, so entschloß er sich nunmehr, einen andern Weg einzuschlagen, um den armen Wildmeister vom äußersten Verderben zu retten.

[119] Jones war seit kurzem mit Junker Gestern sehr genau bekannt geworden. Er hatte sich bei diesem Landjunker durch sein Uebersetzen über hohe Schlagbäume und durch andere einen kühnen Weidmann zierende Handlungen dergestalt eingeschossen, daß der Junker erklärt hatte, aus dem Tom würde einst gewiß noch ein großer Mann werden, wenn ihm gehörig unter die Arme gegriffen würde. Er wünschte, daß er selbst einen Sohn von solchen hohen Gaben haben möchte, und eines Tages beteuerte er zwischen Flasche und Becher, Tom sollte um eintausend Pfund von seinem eignen Gelde mit einer Kuppel Hunde mit jedem Parforce-Jäger in der Nachbarschaft in die Wette jagen.

Durch dergleichen Talente war er dem Junker so lieb und wert, daß er ein sehr willkommener Gast bei seinem Tische und ein gar lieber Geselle bei seinen Jagden geworden war. Alles was der Junker am teuersten hielt, das heißt: seine Büchsen, Hunde und Jagdklepper standen jetzt unserm Jones ebensogut zu Befehl, als wären sie sein Eigentum gewesen. Daher faßte er den Entschluß, diese Gunst zum Besten seines Freundes anzuwenden und den schwarzen Jakob, nach seiner Hoffnung, bei Herrn Western in eben dem Dienst anzubringen, welchen er ehedem bei Herrn Alwerth versehen hatte.

Der Leser, wenn er bedenkt, daß dieser Kerl bei Herrn Western bereits in einem sehr schlechten Geruche stand, und ferner die Wichtigkeit des Verbrechens überlegt, wodurch dieser Herr zur Ungnade bewogen war, verurteilt vielleicht Toms Vorsatz als ein thörichtes und verzweifeltes Unternehmen. Wenn er indes den jungen Menschen deswegen nicht gänzlich verdammt, so wird er ihn darüber nicht wenig loben, daß er bei einem so kühnen Vorhaben alle ersinnliche Hilfe und Beistand aufsuchte.

Zu dem Ende nun wendete sich Tom an Junker Westerns Tochter, ein Fräulein von ungefähr fünfzehn Jahren, welche ihr Vater, nächst den vorherbenannten Gerätschaften der Jagd, über alle Dinge in der Welt lieb hatte. So aber, wie nun diese einigen Einfluß bei dem Junker hatte, so hatte auch Tom einigen Einfluß bei ihr selbst. Doch da dies die bestimmte Heldin unserer Geschichte und ein Mädchen ist, in welches wir selbst nicht wenig verliebt sind und in welches sich wahrscheinlicherweise mancher von unsern Lesern verlieben wird, ehe wir noch aus einander gehen, so ist es auf keine Weise schicklich, daß wir sie gerade am Ende eines Buchs zum erstenmale auftreten lassen sollten.

Viertes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Enthält zehn Seiten beschriebenes Papier.


Obgleich unser Werk durch den Stempel der Wahrheit vor allen jenen schalen Romanen kennbar sein soll, in welchen es von solchen Mißgeburten wimmelt, die keineswegs Geschöpfe der Natur, sondern eines leeren Gehirns sind und deswegen von einem vortrefflichen Kunstrichter zum alleinigen Gebrauch der Pastetenbäcker und Pfefferkrämer empfohlen sind, so möchten wir doch auch auf der andern Seite die mindeste Aehnlichkeit mit jener Gattung von Geschichte vermeiden, welche, wie ein berühmter Poet dafür hält, nur zum Nutzen der Bierbrauer geschrieben worden, weil ein jeder, der sie lesen will, allemal eine Kanne starkes Bier zur Hand haben sollte:


While – History with her comrade Ale
Sooths the sad series of her serious tale.
Würgt an der Mähr', die ihr Kamrad, der Gerstensaft,
So trocken, dürr sie ist, ihm schlingbar macht.

Denn da dies (wenn wir dem verstorbenen Butler trauen können, welcher in dem englischen Bier, Ale genannt, die Inspiration findet,) der neuern Geschichtschreiber Getränke, ja vielleicht gar ihre Muse ist: so muß es auch der Labetrunk der Leser sein, weil jedes Buch in eben dem Geiste und eben der Stimmung gelesen werden muß, worin es geschrieben ward. Deswegen sagte der berühmte Autor des Hurlotrumbo einem gelehrten Bischof, die Ursache, warum Seine Magnifizenz der Vortrefflichkeit seines Werkes keinen Geschmack abgewinnen könne, wäre, daß Dieselben es nicht mit einer Geige in der Hand gelesen hätten, welches Instrument er beständig in der seinigen gehabt, so lang er an dessen Komposition gearbeitet hätte.

Damit also unsre Schrift in keine Gefahr geraten möge, mit den Tagewerken jener Historiker eine Aehnlichkeit zu gewinnen, so haben wir jede Gelegenheit wahrgenommen, durch das Ganze hindurch Gleichnisse, Malereien und andere dergleichen Arten von [121] poetischen Zieraten einzuweben. Diese Dinge sind dann in vollem Ernste bestimmt, die Stelle des besagten Weizen- und Gerstensaftes zu ersetzen und das Gemüt des Lesers wacker zu erhalten, wenn der Schlummer, dem bei einem langen Werke sowohl der Leser als der Verfasser ausgesetzt sind, sich herankriecht und ihn beschleichen will. Ohne diese Arten von Unterbrechung würde die beste Erzählung simpler Thatsachen den Leser überwältigen; denn ich wüßte nichts in der Welt – das ewige Wachen ausgenommen, welches Homer dem mächtigen Zeus zuschreibt – das nicht unter einer Zeitung von einigen Heften dahinsinken müßte.

Mag der Leser bestimmen, mit wie viel Kunstsinn wir die verschiedenen Gelegenheiten erhascht haben, jene Zieraten in unserem Werke anzubringen. So viel wird man wenigstens einräumen, daß keine schicklicher sein kann als die gegenwärtige, da wir im Begriff stehen, eine wichtige Person auf unserer Bühne auftreten zu lassen; und zwar keine geringere als die Hauptheldin dieses heroischen, historischen, reim-und versefreien Gedichts. Wir haben also für diensam erachtet, hier den Geist des Lesers auf ihren Empfang dadurch vorzubereiten, daß wir ihn mit allen den lieblichen Bildern anfüllen, die wir dem Angesicht der Natur nachzeichnen können. Und diese Methode können wir mit manchem Beispiele rechtfertigen. Erstlich ist es eine ganz bekannte und auch geläufige Kunst bei unsern tragischen Dichtern, welche selten ermangeln, ihre Zuschauer auf den Empfang ihrer Hauptpersonen vorzubereiten.

Deswegen machen allemal, wenn der Held auftritt, die Pauken und Trompeten einen Lärmschlag, um in der Versammlung einen martialischen Geist zu erregen und ihre Ohren an den hohlen Klang der, gleich einer Götterstimme ertönenden Reden zu gewöhnen, welche Lockens blinder Mann, ohne eben gröblich zu irren, mit dem schmetternden Schalle einer Trompete verglichen haben würde. Ferner, wenn Liebende auftreten, werden sie oft von sanfter Musik begleitet, entweder um die Zuhörer mit allem Wonnegefühl der zärtlichen Minne zu sanfter Milde zu stimmen, oder sie in den Schlummer einzuwiegen und zu säuseln, in welchen sie höchst wahrscheinlicherweise der folgende Auftritt versenken wird.

Und nicht nur die dramatischen Dichter, sondern auch die Lohn- und Brodherren dieser Dichter, die Theaterprinzipale, scheinen um das Geheimnis zu wissen; denn außer den vorbesagten Heerpauken u.s.w., welche die Ankunft des Helden verkünden, wird dieser auch die meiste Zeit noch von einem prächtigen Aufzuge eines halben Dutzends Theatertischler und Schneider begleitet. Und wie nötig diese bei seiner Erscheinung erachtet werden, mag man aus folgender Theateranekdote schließen.

[122] König Pyrrhus saß in einem Bierhause, das ans Theater stieß, und verzehrte seine Vesperkost, als man ihm ansagte, sein Auftritt käme. Der Held, welcher seine Hammelskeule nicht gerne aufgeben und doch auch nicht gerne den Unwillen des Herrn Wilks (seines Bruder Co-Prinzipals) auf sich laden wollte, wenn er das Auditorium harren ließe, hatte diese Paradeurs bestochen, sich nicht bei der Hand finden zu lassen. Derweil also Herr Wilks herumdonnerte: »wo stecken die vermaledeiten Gesellen, die vorm König Pyrrhus paradieren sollen?«, verzehrte dieser Monarch ganz ruhig seinen Schöpsenbraten und das Auditorium war bei aller seiner Ungeduld genötigt, sich, bis er kam, die Zeit mit Musik vertreiben zu lassen.

Gerade herauszugehen, so gestehe ich meinen großen Argwohn, daß die Politiker, welche gewöhnlich eine feine Nase haben, etwas von dem Nutzen dieses Kunstgriffs gewittert haben mögen. Nach meiner Ueberzeugung zieht die erhabene obrigkeitliche Person, Mylord Mair von London, einen großen Theil des hohen Ansehens, welches ihm das Jahr seiner Regierung hindurch anklebt, aus dem mancherlei Gepränge, welches seinem Pomp vorausgeht. Ja, ich muß gestehen, daß ich selbst, ob ich gleich eben nicht gar zu leicht durch leeren Schauprunk zu fangen bin, mich eines ziemlichen Eindrucks von großem vorgehenden Staate nicht habe erwehren können. Wenn ich einen Mann in einer Prozession daherstolzieren sah, hinter andern her, deren Geschäft bloß darin bestand, vor ihm her zu schreiten, so habe ich eine höhere Meinung von seiner Würde bekommen, als ich von ihm hatte, wenn ich ihn in gewöhnlichen Lagen und Um ständen sah. Allein noch eins kann ich anführen, das sich ganz genau auf mein Vorhaben paßt. Dies ist die Gewohnheit, ein Sträußermädchen zu bestellen, welches die prächtige Feier des Krönungstages eröffnen und den Weg mit Blumen bestreuen muß, bevor die Großen des Reichs ihre Prozession beginnen. Die Alten hätten gewiß die Göttin Flora beschworen, das Geschäft zu verrichten, und ihren Priestern und Politikern würde es keine Schwierigkeit gemacht haben, das Volk von der wirklichen Gegenwart der Göttin zu überreden, obgleich eine bloße Sterbliche ihre Person vorgestellt und ihr Geschäft verrichtet hätte. Wir aber haben keine solche Absicht unsern Lesern etwas auf den Aermel zu heften, und deswegen mögen diejenigen, welche mit der heidnischen Theologie nichts zu thun haben wollen, unsere Göttin nach Belieben in obbesagtes Sträußermädchen verwandeln. Unsere Absicht mit kurzen Worten ist, unsre Heldin mit der größesten Feierlichkeit, die in unsern Kräften steht, mit einer Erhabenheit des Stils und mit allen Umständen einzuführen, welche dazu beitragen können, die Ehrerbietung des Lesers zu erhöhen. In der That möchten[123] wir, aus gewissen Ursachen, unsrem Leser, wenn er sich eines Herzens bewußt ist, raten, nicht weiter fort zu lesen, wären wir nicht versichert, so liebenswürdig auch das Porträt unsrer Heldin erscheinen wird, weil es wirklich nach der Natur gemalt ist, werden trotz dem manche unsrer schönen Landsmänninen würdig erfunden werden, die edelsten Leidenschaften einzuflößen, und jeder Idee von weiblicher Vollkommenheit entsprechen, deren unser Pinsel fähig ist.

Und nun gehen wir ohne weitere Vorrede über zu unserem nächsten Kapitel.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Kurzer Wink von dem, was wir im Erhabenen zu leisten vermögen, und eine Beschreibung des Fräuleins Sophie Western.


Schweig', selbst leisestes Lüftchen, schweig'! Und du, heidnischer Satrap der Winde, leg' in eiserne Fesseln die groben Glieder des brausenden Boreas und den scharfbeißenden, mit spitzer Adlersnase dahersausenden Eurus. Und du, leiser Zephyr, hebe dich aus deinem Blumenlager; besteig' den westlichen Himmel und führ' uns herauf jenes liebliche Wehen, dessen Reiz die Farben entzündende Flora ihrer von Perlentau duftenden Kammer entruft, wenn sie am ersten des Juni, ihrem jährlichen Feste, schwebenden Fußes leicht hinhüpft über grünende Auen, wo jede Blum' emporstrebt der schönen Göttin zu huldigen, bis bunter Schmelz die Felder bedeckt und Farben streiten mit Wohlgerüchen, wer mehr, wer angenehmer sie entzücken soll.

In so reizvoller Schönheit möge sie nun erscheinen. Und ihr, gefiederte Sänger der Büsche und Wälder, deren süßwirbelnde Melodeien selbst ein Händel mit Künstlerneid bewundert, stimmt eure tonreichen Kehlen, ihrer Erscheinung entgegenzugrüßen. Liebe erzeugte euer Lied und lockt wieder Liebe hervor. So erweckt denn dies sanfte Gefühl in jedes zarten Jünglings Brust, denn siehe! geschmückt mit jedem Reiz, womit Natur nur schmücken kann; geziert mit Schönheit, Jugend, Unschuld, regem Geiste und zart bescheidner Sittsamkeit; von ihren Rosenlippen Maiendüfte atmend; von ihrem funkelnden Auge Morgenglanz strahlend, kommt sie daher, die liebenswürdige Sophie!

Leser, du hast vielleicht die Statue der mediceischen Venus gesehen. Vielleicht hast du auch eine Sammlung der ähnlichsten Porträts von den berühmtesten Schönheiten, verfertigt durch die ersten [124] Meister unsrer Zeit, in dem Studierkabinette eines Fürsten oder Liebhabers gesehen; vielleicht erinnerst du dich noch von deinen Reisen durch England, Frankreich und Italien der schönsten Prinzessinnen, Gräfinnen und anderer Schönheiten, auf deren Wohl so manches Glas Wein geleert wurde; oder wenn ihr Reich nicht in deine Tage fiel, so hast du vielleicht ihre nicht weniger reizenden Töchter gesehen, deren Namen, wenn wir sie hierher setzen wollten, wie wir fürchten, den ganzen Band anfüllen würden.

Nun, hast du alles das gesehen, so fürchte nur nicht die ziemlich ungefeilte Antwort, welche einst Lord Rochester einem Manne gab, der viele Dinge gesehen hatte. Nein. Wenn du alles jenes gesehen hast, ohne zu wissen, was Schönheit sei: so hast du keine Augen, und hast du's gesehen, ohne seine Macht zu empfinden – nun so hast du kein Herz.

Dennoch, lieber Freund, ist's möglich, daß du alles jenes gesehen haben magst, ohne fähig zu sein, dir ein genau treffendes Bild von Sophie vorzustellen. Denn genau glich sie keiner einzigen von jenen allen. Am genauesten glich sie dem Porträt der Gräfin A. Mehr noch hat man mir gesagt, der Herzogin von Z. Am meisten aber glich sie einem Mädchen, dessen Bild nimmer aus meinem Herzen verlöschen wird, und wenn du dich deren noch erinnerst, mein Freund, so hast du eine ganz ähnliche Idee von Sophie.

Allein, weil du allenfalls nicht so glücklich gewesen sein möchtest, so wollen wir uns nach unsrem besten Vermögen bemühen, dieses Urbild zu beschreiben, ob wir gleich sehr wohl fühlen, daß unsre höchste Geschicklichkeit dieser Unternehmung nicht gewachsen sein wird.

Sophie also, die einzige Tochter des Junker Western, war ein Frauenzimmer von mittlerer Größe; doch eher darüber als darunter. Ihr Wuchs war nicht nur sehr regelmäßig, sondern sehr zierlich, und das genaue Ebenmaß ihres Arms versprach das schönste Verhältnis ihres übrigen Gliederbaues. Ihr schwarzbraunes Haar war von so langem Wuchs, daß es, ehe sie es, um sich nach der Mode zu bequemen, abschnitt, bis über ihren Gürtel herabreichte; und nun fiel es ihr in so anmutigen Locken um den Nacken, daß wenige glauben wollten, es sei ihr eignes. Wofern die Scheelsucht einen Teil ihres Gesichts aufspüren konnte, der weniger Bewunderung verdiente als das übrige, so mochte sie vielleicht meinen, die Stirn hätte ohne Nachteil des Ganzen ein wenig höher sein können. Ihre Augbrauen waren voll, eben und so gewölbt, daß keine Kunst vermögend war, sie nachzuahmen. Ihre schwarzen Augen hatten einen strahlenden Glanz, den alle ihre Sanftmut nicht auszulöschen [125] vermochte. Ihre Nase war durchaus regelmäßig, und ihr Mund, welcher zwei Reihen Elfenbeins enthielt, entsprach pünktlich der Beschreibung des Dichters Suckling in folgenden Zeilen:


»Her Lips were red, and one was thin,
Compar'd to that was next her Chin.
Some Bee had stung it newly.«
Ihre Lippen war'n rot, und eine war dünn,
Verglichen mit der zunächst ihrem Kinn.
Ein Bienlein hatte sie neulich gestochen.

Ihre Wangen waren von der ovalen Art, und in der rechten hatte sie ein Grübchen, welches sich beim kleinsten Lächeln zeigte. Ihr Kinn hatte gewiß seinen Anteil an Ausbildung der Schönheit ihres Gesichts; es war aber schwer zu sagen, ob es schmal oder breit sei, vielleicht war es ein wenig mehr das letzte. Ihre Gesichtsfarbe ähnelte mehr der Lilie als der Rose; wenn aber körperliche Bewegung oder Schamhaftigkeit ihre natürliche Farbe erhöhte, so kam ihr das schönste Karmin nicht bei. Dann war man geneigt mit dem Dr. Donne auszurufen:


»– Her pure and eloquent Blood
Spoke in her Cheeks, and so distincty wrought,
That one might almost say her Body thought.«
– Ihr reines und beredsam Blut
Sprach auf den Wangen; sprach so hell, so gut,
Daß man fast gern gesagt, ihr Körper denke.

Ihr Hals war lang und stand auf einem höchst feinen Gewölbe; und hier, wenn ich nicht besorgte, ihre Delikatesse zu beleidigen, möchte ich mit Grund der Wahrheit sagen, wären die höchsten Schönheiten der Mediceischen Venus übertroffen worden. Hier war eine Weiße, mit der sich weder Lilien, noch Elfenbein, noch Alabaster messen konnten. Den feinst gebleichten Musselin konnte man beschuldigen, er bedecke aus Neid einen Busen, weil er weißer als er selbst. Er war wirklich:


»Nitor splendens Pario marmore purius.«


Reinern Glanzes als der hellest polierte Marmor von Paros.


So war Sophiens Aeußeres beschaffen. Auch ward dieser schöne Bau von keinem unwürdigen Bewohner erniedrigt. Ihre Seele war in allem Betracht dem Körper gleich; ja der letztere entlieh noch Reize von der erstern, denn wenn sie lächelte, goß die sanfte Güte[126] ihres Herzens jenen strahlenden Schimmer über ihr Antlitz, den keine Regelmäßigkeit den Gesichtszügen zu geben im stande ist. Jedoch, da sie keine Tugendvollkommenheit besitzt, welche sich nicht in der vertrautesten Bekanntschaft, in die wir unsern Leser mit diesem liebenswürdigen jungen Geschöpfe zu bringen willens sind, von selbst entdecken werden, so ist es überflüssig solche hier aufzuzählen. Ja, es wäre sogar eine Art von Mißtrauen in den Verstand des Lesers und würde ihn des Vergnügens berauben, welches er dabei empfinden wird, wenn er sein eigenes Urteil über ihren Charakter fällt.

Es mag indessen nicht undienlich sein zu sagen: daß ihre Geistesgaben, so viele sie deren auch von der Natur empfangen hatte, doch einigermaßen durch die Kunst weiter ausgebildet waren; denn sie war unter der Aufsicht einer Tante erzogen, die viel Klugheit und eine vollkommene Weltkenntnis besaß, indem solche in der Jugend am Hofe gelebt, den sie aber seit etlichen Jahren verlassen und sich aufs Land begeben hatte. Durch den Umgang und Unterricht dieser Dame hatte Sophie vollkommene Lebensart gelernt, ob es ihr gleich vielleicht noch ein wenig an der Leichtigkeit des Betragens fehlte, welche sich bloß durch Gewohnheit erwerben läßt und dadurch, daß man fleißig und viel mit der sogenannten feinen Welt lebt. Doch wird diese, die Wahrheit zu sagen, oft ein wenig teuer erkauft; und ob sie gleich einen so unnennbaren Zauber hat, daß die Franzosen unter anderen Eigenschaften vermutlich auch diese mit auszudrücken meinen, wenn sie ihr Ich weiß nicht was? nennen: so wird doch ihr Abgang durch Unschuld sehr reichlich ersetzt. Auch kann eine gesunde Vernunft und natürliche Artigkeit derselben sehr wohl entbehren.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

In welchem die Geschichte rückwärts geht, um einen geringfügigen Umstand nachzuholen, der sich vor einigen Jahren zutrug; der aber, so unbedeutend er war, nachher einige Folgen hatte.


Die liebenswürdige Sophie war in ihrem achtzehnten Jahre, da sie in dieser Geschichte aufgeführt wird. Ihr Vater, wie schon gesagt ist, hatte sie lieber als irgend ein anderes menschliches Geschöpf. An sie wendete sich also Tom Jones, um ihre Fürsprache für seinen Freund, den Wildmeister, zu erbitten.

Doch, ehe wir zu diesem Geschäfte kommen, wird eine kurze Wiederholung einiger vorläufigen Materien nötig sein.

[127] Obgleich die Verschiedenheit der Charaktere des Herrn Western und Herrn Alwerth keine eben allzugenaue Freundschaft verstattete, so lebten sie doch, wie man's zu nennen pflegt, auf einem ganz freundschaftlichen Fuß. Vermöge dessen waren die jungen Leute aus beiden Familien von Jugend auf mit einander bekannt gewesen, und weil sie alle von ungefähr gleichem Alter waren, hatten sie auch oft mit einander ihre Kinderspiele getrieben.

Das muntre Wesen des Tom vertrug sich besser mit Sophie als die trockne, ernsthafte Gemütsart des jungen Herrn Blifil; und der Vorzug, den sie dem ersteren von ihnen gab, zeigte sich oft so deutlich, daß ein Jüngling von heftigerer Leidenschaft, als Neffe Blifil war, wohl sein Mißfallen darüber bezeigt haben möchte.

Da er unterdessen äußerlich kein solches Mißvergnügen äußerte, so wäre es von uns eben nicht freundschaftlich gehandelt, wenn wir in dem Geheimzimmer seines Herzens einen Besuch abstatten wollten, wie wohl einige hämische Leute die geheimsten Sachen ihrer Freunde durchsuchen und oft ihre Bücher und Silberschränke durchstänkern, bloß um ihre Armut und Kleinheit der Welt zu entdecken.

Weil gleichwohl Personen, welche vermuten, daß sie andern Ursache gegeben haben sich für beleidigt zu halten, leicht schließen, daß sie wirklich beleidigt sind: so schob Sophie eine Handlung des jungen Blifil auf seinen gereizten bösen Willen, die die höhern Einsichten Schwögers und Quadrats aus einem weit bessern Grundsatze herzuleiten im stande waren.

Tom Jones hatte, als er noch sehr jung war, Sophie einen kleinen Vogel geschenkt, den er aus dem Neste genommen, aufgefüttert und singen gelehrt hatte.

In diesen Vogel war Sophie, die damals ungefähr dreizehn Jahre alt sein mochte, so verliebt, daß es ihr Hauptgeschäft war, sein zu warten und zu pflegen, und ihr Hauptvergnügen, mit ihm zu spielen. Hier durch war Tömchen, denn so ward der Vogel genannt, so zahm geworden, daß er seiner Herrin aus der Hand fraß, sich auf ihren Finger setzte und sang und ganz ruhig in ihrem Busen lag, woselbst er sich seiner Glückseligkeit ordentlich bewußt zu sein schien; ob sie ihn gleich immer an einem dünnen Faden am Fuße gefangen hielt und sich niemals getraute ihn frei herumfliegen zu lassen.

Eines Tages, als Herr Alwerth mit seiner ganzen Familie bei Herrn Western zum Mittagessen geladen war, befand sich Neffe Blifil mit der kleinen Sophie im Garten, und da er so die außerordentliche Liebe bemerkte, die sie zu ihrem kleinen Vogel hatte, bat er sie, sie möchte ihn doch nur auf einen Augenblick in seine Hände geben. Sophie willigte augenblicklich in das Verlangen [128] ihres Spielkameraden, und nach vorläufiger Warnung, ihn ja nicht fliegen zu lassen, gab sie ihm den Vogel hin, in dessen Besitz er sich nicht so bald sah, als er den Faden von dem Fuße abstreifte und ihn in die Luft schnellte.

Das dumme Tier fühlte sich nicht so bald in Freiheit, als es alle Gunst, die es von Sophien genossen, vergaß, gerades Weges von ihr weg flog, und sich in einiger Entfernung auf einen Zweig setzte.

Sophie, die ihren Vogel verloren sah, erhub ein so lautes Geschrei, daß Tom Jones, der sich nicht weit von da befand, augenblicklich zu ihrem Beistande hereilte.

Sobald er vernommen, was vorgegangen, schalt er Blifil einen duckmäuserischen Leisetritt von Buben, warf flugs den Rock ab und machte sich dran, den Baum hinaufzuklettern, auf welchen der Vogel geflogen war.

Tom hatte seinen kleinen Namensvetter beinahe schon wieder erhascht, als der Zweig, auf dem das Tierchen saß und der über einem Kanal hing, brach, und der arme Knabe über Hals und Kopf ins Wasser plumpte.

Sophiens Besorgnis veränderte nun den Gegenstand, und weil sie fürchtete, des armen Jungen Leben sei in Gefahr, so schrie sie noch zehnmal lauter als vorher; und in der That half ihr jetzt Neffe Blifil aus allen Kräften schreien, was seine Kehle nur vermochte.

Die Gesellschaft, welche in einem am Garten gelegenen Zimmer saß, ward augenblicklich aufgeschreckt und kam insgesamt herbei; aber eben, als sie den Kanal erreichten, kam Tom (denn das Wasser war zum Glück an der Stelle ziemlich flach) wohlbehalten ans Ufer.

Schwöger fiel heftig über den armen Tom her, welcher triefend und vor Frost schaudernd vor ihm stand, als Herr Alwerth ihn bat, Geduld zu haben und darauf, indem er sich zu seinem Neffen Blifil wendete, sagte: »Sprich doch, Kind! Was hat denn dieser Auflauf zu bedeuten? Was gibts denn?« Neffe Blifil antwortete: »O, lieber Onkel, es thut mir gewiß sehr leid, was ich gethan habe; ich bin unglücklicherweise an allem schuld gewesen. Ich hatte Sophiens Vogel in der Hand, und da kam's mir vor, als ob er sich nach der Freiheit sehnte, und da konnt' ich's nicht über mein Herz bringen, ich muß es gestehen, ich mußt' ihm seinen Wunsch thun; denn ich habe immer gedacht, es wäre was Grausames darin, ein lebendiges Wesen einzusperren. Es dünkte mich gegen das Gesetz der Natur, nach welchem jedes Ding ein Recht zur Freiheit hat. Ja, es ist sogar unchristlich; denn es ist nicht [129] gethan, wie wir wollen daß man uns thue. Hätte ich aber gedacht, daß es Fräulein Fiekchen so sehr sich zu Herzen nehmen würde, so würde ich mich gewiß wohl gehütet haben es zu thun; ich hätte es auch nicht einmal gethan, wenn ich gewußt hätte, wie es dem Vogel selbst ergehen würde; denn als Tom, der den Baum hinauf kletterte, um ihn wieder zu kriegen, ins Wasser fiel, flog der Vogel wieder auf, und da kam gleich ein Habicht und fing ihn weg.«

Die arme Sophie, die jetzt erst das Schicksal ihres Vogels vernahm, (denn ihre Besorgnis um Jones hatte sie abgehalten weiter nach dem Vogel zu sehen), vergoß nun einen Strom von Thränen. Diese suchte Herr Alwerth dadurch zu trocknen, daß er ihr einen viel hübscheren Vogel versprach; sie sagte aber, sie wolle in ihrem Leben keinen wieder haben. Ihr Vater schalt sie darüber aus, daß sie so über einen dummen Vogel heulte; konnte sich jedoch dabei nicht entbrechen, dem jüngern Blifil zu sagen: wenn er sein Sohn wäre, so wollte er ihm dafür den Rücken derb abbläuen.

Sophie ging nun nach ihrem Zimmer; die jungen Herrchen wurden nach Hause gesandt und die übrige Gesellschaft kehrte wieder zu ihren Flaschen und Gläsern zurück; woselbst über den Vorfall mit dem Vogel ein Gespräch erfolgte, das so sonderbar war, daß wir meinen, es verdiene sein eigenes Kapitel.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Enthält solche gründliche und ernsthafte Materien, daß vielleicht einige Leser wenig Behagen daran finden werden.


Quadrat hatte nicht so bald seine Pfeife angezündet, als er sich an Herrn Alwerth wendete und folgendergestalt anhub: »Herr, ich kann nicht umhin, Ihnen zu Ihrem Neffen Glück zu wünschen, der in einem Alter, worin wenige Knaben andere als sinnliche Begriffe haben, schon das Vermögen erlangt hat, zwischen Recht und Unrecht zu distinguieren. Irgend ein lebendiges Wesen einzuschränken, scheint mir gegen das Gesetz der Natur, nach welchem jedes Ding ein Recht zur Freiheit hat. Das waren seine Worte; und der Eindruck, den solche auf mich gemacht haben, wird niemals wieder verlöschen. Kann ein Mensch auf der Welt höhere Begriffe von der Regel des Rechts und der ewigen Harmonie der Dinge haben? Ich kann mich nicht entbrechen, mir von solch einer Morgenröte zu versprechen, daß der volle Tag dieses Jünglings ebenso [130] glänzend sein muß, als eines von beiden, des ältern oder des jüngern Brutus.«

Hier fiel ihm Schwöger hastig ins Wort, verschüttete etwas Wein aus dem Glase, verschlang eilig das übrige und antwortete: »Aus einem andern Ausdruck, dessen er sich bediente, hoff' ich, soll er viel bessern Männern ähnlich werden. Gesetz der Natur ist ein Klingklang von Worten, wohinter gar nichts steckt. Ich weiß nichts von solchen Gesetzen, noch von irgend einem Recht, das daraus hergeleitet werden könnte. Thu' andern, was du willst daß dir geschehe, das ist das wahre christliche Motiv, wie sich der Knabe sehr richtig ausdrückte; und ich freue mich, zu finden, daß mein Unterricht so gute Früchte erzeugt hat.«

»Wenn Eitelkeit mit der ewigen Harmonie der Dinge bestehen könnte,« sagte Quadrat, »so dürfte ich mir über eben den Umstand vielleicht einiges erlauben; denn, aus welcher einzigen Quelle er seine Begriffe von Recht und Unrecht geschöpft haben könne, liegt, sollt' ich meinen, klar genug am Tage. Wenn es kein Gesetz der Natur gibt, so gibt's auch weder Recht noch Unrecht.«

»Wie?« sagte der Theolog, »Sie leugnen also die Offenbarung? Sprech' ich hier mit einem Deisten oder Atheisten?«

»Gläser eingeschenkt!« sagte Western, »packt ein, mit eur'n Gesetzen der Natur! Ich weiß nicht, was ihr beide meint, mit eur'm Recht und Unrecht! Mein'm Mädchen sein'n Vogel nehm'n, war Unrecht! das mein' ich. Und mein Nachbar Alwerth mag's mach'n wie 'r will, was schiert's mich! Aber, die Jungens in solch'n Kniffen bestärken, das heißt Galgenschweng'l draus ziehn!«

Alwerth antwortete: was sein Neffe gethan habe, thäte ihm freilich leid; doch könne er nicht darein willigen, daß der Knabe dafür gestraft würde, weil er mehr aus einem großmütigen, als aus einem niederträchtigen Bewegungsgrunde gehandelt habe. Er sagte: »Wenn der Bursche den Vogel gestohlen hätte, so würde er selbst für eine viel strengere Züchtigung, als der Herr Nachbar, gestimmt haben. Aber es wär' klar, daß solches seine Absicht nicht gewesen.« Und in der That war es ihm klar, daß er keine andre Absicht dabei gehabt haben könnte, als die er selbst gestand. (Denn was die hämische Tücke betrifft, wegen welcher Sophie ihn im Verdacht hatte, so kam die dem Herrn Alwerth nicht einmal in die Gedanken.) Endlich schloß er damit, daß er nochmals die Handlung als unbedachtsam tadelte und solche nur bei einem Kinde für verzeihlich hielt.

Quadrat hatte seine Meinung so unverhohlen herausgesagt, daß er, wenn er jetzt geschwiegen, gleichsam eingeräumt hätte, sein Urteil sei ganz nichtig gewesen; er sagte daher mit einiger Hitze: [131] »Herr Alwerth habe zu viel Achtung für die lumpige Rücksicht auf Eigentum. Alle dergleichen besondere Rücksichten müsse man beiseite setzen, wenn man über große und mächtige Handlungen ein Urteil fällen wollte. Denn, wenn man sich an solche eingeschränkte Regeln halten wollte, so müßte man den jüngern Brutus verdammen als einen Undankbaren, und den ältern als einen Mörder seines eignen Blutes.«

»Und wenn sie beide wegen ihrer Schandthaten wären gehängt worden,« schrie Schwöger, »so wär' ihnen weiter nichts geschehen, als was ihre Thaten wert waren. Die heidnischen Schurken, die! Gott sei gelobt, daß wir heutigestags keine Brutusse mehr haben! Ich wünschte, Herr Quadrat, Sie wollten sich enthalten, die Gemüter meiner Untergebenen mit solchem antichristlichen Wischiwaschi anzufüllen; denn es kann nichts andres daraus entstehen, so lange sie unter meiner Aufsicht sind, als daß ich's wieder herausprügeln muß. Da ist Ihr Zögling, Tom, der ist fast schon völlig verderbt. Ich hört' ihn vor einigen Tagen mit meinem Blifil disputieren: beim Glauben ohne Werke wäre kein Verdienst. Ich weiß, das ist so einer von Ihren Glaubensartikeln, und ich denke, er hatte das von Ihnen und von niemand sonst.«

»Klagen Sie nur nicht, daß ich ihn verderbe,« sagte Quadrat. »Wer lehrte ihn über alles zu lachen, was tugendhaft ist und wohlanständig und schicklich und recht, nach der Harmonie der Natur der Dinge? Ihr Schüler ist er, nicht der meine! Nein; das verbitt' ich mir, nein, nein! Blifil, das ist mein Herzblatt. So jung er ist, so fordre ich Sie heraus, des Jünglings Begriffe von moralischer Rechtschaffenheit wieder auszurotten.« Schwöger antwortete hierauf mit einem verächtlichen Naserümpfen und sagte: »Nu, nu! Den will ich Ihnen wohl anvertrauen. Er ist zu wohl gegründet, als daß ihm all Ihr philosophisches Geschwätz etwas schaden könnte. Nein, nein! Dafür hab' ich gesorgt, und hab' ihm solche Grundsätze beigebracht, daß« –

»Und auch ich habe ihm Grundsätze beigebracht,« schrie Quadrat. »Was, außer der erhabenen Idee von Tugend, könnte einem menschlichen Gemüt den großmütigen Gedanken einflößen, Freiheit zu erteilen? Und, ich sag's Ihnen noch einmal, wenn es schicklich wäre, stolz zu sein, so könnte ich auf die Ehre Anspruch machen, ihm diese Idee beigebracht zu haben.« –

»Und wenn nicht geschrieben stände: Niemand rühme sich selbst,« sagte Schwöger, »so dürfte ich von mir sagen, daß ich ihn die Pflicht gelehrt habe, welche er selbst als seinen Bewegungsgrund anführt.«

»So! Zankt Euch wohl noch drum!« sagte der Junker. »Von [132] allen beiden, seh' ich, lernen die Knab'n meiner Tochter ihren Vogel zu stehlen. Ich sehe wohl, 'ch muß uf mein Geheg' weidlich Achtung geb'n! Es kömmt m'r sonst noch ein oder der andere Kerl und setzt mir aus purer Tugend oder christlicher Andacht meine Hasen und Rebhühner in Freiheit.«

Hierauf klopfte er einem neben ihm sitzenden Rechtsgelehrten auf die Schulter und schrie: »Was sagen Sie dazu, Herr Lizentiat? Ist das nicht gegen die Gesetze?«

Der Jurist gab mit großer Ernsthaftigkeit folgendesDecisum von sich:

»Falls der Fall ein Rebhuhn beträfe, so ist es zweifelsohne, daß eine standhafte Aktion stattfinden müßte. Denn, alldieweilen zwar sothanes Rebhuhnferae naturae ist: so kann es doch als ein durch Lehn oder Kauf acquiriertes Eigentum zu Recht reklamieret werden; wenn aber andernfallsigenteils das Objectum litis ein Singvogel ist: so muß es, obgleich rechtsbeständig reklamiert, dennoch als ein seiner Natur und Wesen nach wenig bedeutendes Ding billig als nullius in bonis konsiderieret werden. In diesem Falle wäre, nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten,actor mit seiner Klage ab- und zurückzuweisen; und, falls ein solcher Kläger mich als seinen Rechtsbeistand konsultieren wollte, so würde mein zu Recht gegründetes Bedenken dahin gehen: einen solchen Prozeß sogleich in seiner Entstehung fallen zu lassen.«

»Wohlan,« sagte der Junker, »wenn's denn nullus bonus ist, so lassen Sie uns 'nmal trinken und 'n bißchen vom Zustand der Nation sprechen; oder von sonst so was, das wir all' verstehn. Nein, mein Seel! Ich versteh kein Wort von euerm ganzen Tischkurse. Gelehrt und sehr klug mag's wohl sein; 'ch hab nichts dagegen; aber, mich sollt ihr's niemals weißmachen! der Hagel! seht! Da hat keiner von euch des armen Jungen mit einem einzigen Worte gedacht, der so brav ist und so viel Lob verdient. Der's wagte, sein'n Hals zu brechen, mein'm Fiekchen zu Gefallen. Das war mir 'ne großmutsherzige That! So gelehrt bin ich, daß ich das einsehen kann. Sapperment! Hier, uf Toms Gesundheit! Ich werde den Jungen lieb haben, und wenn ich auch noch hundert Jahre leben sollte.«

Auf diese Art ward die gelehrte Debatte unterbrochen. Sie würde aber wahrscheinlicherweise sehr bald wieder angeknüpft worden sein, hätte nicht gleich darauf Herr Alwerth seine Kutsche vorrufen lassen und die beiden gelehrten Fechter mit sich genommen. So war der Ausgang des Abenteuers mit dem Vogel und der dadurch veranlaßte Dialog beschaffen, welchen wir unsern Lesern erzählen mußten; ob solcher gleich, oder vielmehr, ob die Geschichte [133] gleich einige Jahre vor der Periode zutraf, bis zu welcher wir mit unsrer Geschichtserzählung fortgerückt sind.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Enthält Materien, die für jedermanns Geschmack zugerichtet sind.


Parva leves capiunt animos; »Leichter Sinn ist leicht gefangen;« war der Spruch eines großen Meisters in der Leidenschaft der Liebe. Und gewiß ist es, daß von diesem Tage an Sophie anfing, einige kleine Gewogenheit für den Tom Jones und eine nicht kleine Abneigung gegen seinen Schulkameraden zu empfinden. Verschiedene Zufälle verstärkten von Zeit zu Zeit diese Leidenschaften in ihrer Brust; welches der Leser eben auch ohne unsre Erzählung aus demjenigen schließen wird, was wir uns über die Verschiedenheit der Gemütsarten dieser Knaben, und wie sehr die eine mehr als die andre mit ihrer eignen übereinstimmte, haben merken lassen. Die Wahrheit zu sagen, so hatte Sophie, noch als sie sehr jung, bereits ausfindig gemacht, daß, obgleich Tom ein lockerer, windiger, tobender Zeisig wäre, er doch keines Menschen als nur sein eigner Feind sei. Und daß der Junker Blifil, obgleich ein kluger, vorsichtiger, stiller Jüngling, doch nur dem Vorteile einer einzigen Person auf stärkste ergeben wäre; und wer diese einzige Person war, das wird der Leser auch wohl ohne unsern Beistand erraten.

Diese beiden Charaktere werden in der Welt nicht allemal mit der verschiedenen Achtung aufgenommen, welche ein jeder besonders für sich zu verdienen scheint, und welche, wie man glauben sollte, ihnen die Menschen aus Selbstinteresse widerfahren lassen müßten. Doch ist dazu vielleicht eine politische Ursache vorhanden: Die Menschen, wenn sie ein wahrhaft wohlthätiggesinntes Gemüt finden, so mögen sie wohl ganz vernünftigerweise denken: sie haben einen Schatz gefunden, den sie gern für sich behalten wollen, sowie alles übrige Gute, was sie besitzen. Daher mögen sie sich einbilden, das Lob einer solchen Person auszuposaunen, würde ungefähr ebensoviel heißen, als die gemeine Aufschrift auf einem Schilde: »Hier speist man nach Belieben,« und so gut, als Teilnehmer an einem Gute herbeizurufen, welches sie zu ihrem alleinigen Gebrauche aufbewahren wollen. Wenn dieser Grund dem Leser kein Genüge leistet, so weiß ich mir wenigstens die geringe Achtung auf keine andre Weise zu erklären, welche ich gewöhnlicherweise einem Charakter erzeigen [134] gesehen habe, welcher der menschlichen Natur wirklich große Ehre macht und der bürgerlichen Gesellschaft so unendlichen Nutzen bringt. Mit Sophien war es indessen ganz anders. Sie hatte viel Hochachtung für Tom Jones und eine herzliche Verachtung für Blifil, sobald als sie nur mit diesen beiden Worten einen Begriff zu verbinden gelernt hatte.

Sophie war beinahe drei Jahre mit ihrer Tante abwesend gewesen, während welcher Zeit sie keinen von beiden Jünglingen anders, als nur sehr selten, gesehen hatte. Unterdessen aß sie eines Tages mit ihrer Tante in Herrn Alwerths Hause zu Mittage. Dies war einige Tage nach der bereits erwähnten Geschichte mit dem geschossenen Feldhuhn. Sophie hörte die ganze Geschichte bei Tische, wo sie kein Wort sagte; auch konnte sogar ihre Tante nur wenige Worte aus ihr herausbringen, als sie wieder nach Hause fuhren. Als aber ihr Kammermädchen beim Auskleiden von ungefähr zu ihr sagte: »Nun, Fräulein! heute hab'n Sie doch Junker Blifil gesehen?« antwortete sie ganz ärgerlich: »Ich hasse den Namen Blifil so wie alles, was niederträchtig und verräterisch ist; und ich wundre mich, wie Herr Alwerth leiden kann, daß ein alter barbarischer Schulmeister einen jungen Menschen dergestalt um etwas züchtigen darf, was doch bloß die Wirkung seines guten Herzens war.« Sie erzählte hierauf ihrer Jungfer die ganze Geschichte und schloß mit den Worten: »Was meint Sie, ist es nicht ein Junge von recht edlem Gemüte?«

Dies junge Frauenzimmer war nunmehr bei ihrem Vater wieder einheimisch geworden, welcher ihr die Führung seines Hauses anvertraute und ihr die oberste Stelle an seinem Tische anwies, an welchem Tom Jones (der durch seine große Liebe zum Jagen ein großer Liebling des Junkers geworden war) manche Mahlzeit einnahm. Junge Leute von einem offnen freien Gemüte sind von Natur zur Galanterie geneigt, die sich, wenn sie einen richtigen Verstand besitzen, wie bei Tom Jones wirklich der Fall war, durch ein gefälliges, verbindliches Betragen gegen das ganze weibliche Geschlecht überhaupt äußert. Hierdurch unterschied sich Tom Jones sehr vorteilhaft, auf einer Seite von der lärmenden Ungezogenheit und Grobheit der bloßen Strohjunker, und auf der andern Seite von dem feierlichen und etwas finstern Betragen des jungen Herrn Blifil. Und in seinem zwanzigsten Jahre nunmehr fing er an, bei allen Frauenzimmern in der Nachbarschaft ein artiger junger Mensch zu heißen.

Tom spielte bei Sophien keineswegs den Verliebten, ausgenommen vielleicht, daß er ihr mit mehr Ehrerbietung begegnete, als irgend einem andern Frauenzimmer. Diesen Vorzug schien ihre [135] Schönheit, ihr Vermögen, ihr Verstand und ihr liebenswürdiges Betragen ganz natürlicherweise zu verdienen. Absichten auf ihre Person aber hatte er keine. Für jetzt müssen wir's dulden, daß ihm das der Leser zur Unempfindlichkeit anrechnet; vielleicht aber sind wir in der Folge im stande, es auf eine ganz andere Art zu erklären.

Sophie war beim höchsten Grade von Unschuld und Bescheidenheit von sehr aufgewecktem Gemüt. Diese Munterkeit ward, wenn sie mit Tom in Gesellschaft war, so sichtbarlich erhöht, daß er's hätte merken müssen, wär' er nicht zu jung und zu gedankenlos gewesen; oder daß auch beim Junker Western hätte Verdacht darüber entstehen können, wären nicht seine Gedanken fast immer im Felde, im Pferde- und Hundestalle beschäftigt gewesen. Aber dieser gute Junker war so weit entfernt, auf einen solchen Verdacht zu geraten, daß er dem jungen Menschen vielmehr alle Gelegenheit gab, mit seiner Tochter allein zu sein, die ein Verliebter sich nur immer hätte wünschen können; und diese Gelegenheit machte sich Tom in aller Unschuld weit besser zu nutze, indem er bloß den Eingebungen einer natürlichen Galanterie und eines guten Herzens folgte, als vielleicht geschehen sein möchte, wenn er die tiefsten Pläne auf das Herz des Mädchens angelegt gehabt hätte. In der That aber kann es eben keine Verwunderung verursachen, daß diese Sache der Bemerkung aller Uebrigen entwischte, weil die arme Sophie selbst kein Wort davon wußte und ihr Herz unwiederbringlich verloren war, ehe sie nur noch die geringste Gefahr ahnte. So standen die Sachen, wie Tom, als er Sophien eines Nachmittags allein fand, nach einer kurzen, mit sehr ernsthaftem Gesicht vorgebrachten Entschuldigung sein Begehren vorzubringen anfing, daß er sie um eine Gunst zu bitten hätte, welche ihre Gütigkeit, wie er hoffte, ihm nicht versagen würde.

Ob nun gleich so wenig des jungen Menschen bisheriges Betragen, als auch die Art und Weise, wie er sein Gesuch einleitete, von der Beschaffenheit waren, daß sie ihr hätten eine billige Ursache zum Verdacht geben können, er wolle ihr einen Liebesantrag thun, so mußten doch (sei's nun, daß ihr die Natur etwas ins Ohr raunte, oder aus was Ursache sonst, die ich nicht entscheiden will, genug so viel ist gewiß) einige Ideen von der Art bei ihr entstanden sein, denn ihre Wangen verloren ihre Farbe, sie zitterte an allen Gliedern und ihre Zunge würde gestottert haben, hätte Tom auf eine Antwort gewartet; aber er erlöste sie bald aus dieser Verwirrung, indem er fortfuhr, ihr den Inhalt seines Gesuchs zu erklären, welcher darin bestand, daß er sie um ihre Fürsprache für den Wildmeister bäte, dessen eigenes sowohl als seiner Frau und [136] Kinder Verderben die unausbleibliche Folge davon sein müßte, wenn Herr Western ihn weiter gerichtlich verfolgte.

Sophie erholte sich augenblicklich von ihrer Verwirrung und sagte mit einem höchst holdseligen Lächeln: »Ist das die wichtige Gunstbezeigung, um die Sie so feierlich baten? das will ich vom Grunde des Herzens gern thun. Ich habe wirklich Mitleiden mit dem armen Schlucker und erst gestern noch habe ich seiner Frau eine geringe Kleinigkeit hingeschickt.« Diese geringe Kleinigkeit war: eins von ihren Kleidern, etwas Wäsche und einige Gulden an Gelde; wovon Tom Jones gehört und welches ihm wirklich den Vorsatz in den Kopf gesetzt hatte, sich um diese Fürbitte zu bewerben. Unser Jüngling, der dadurch, daß es ihm so weit gelungen, kühner geworden war, wollte nun die Sache weiter treiben, und wagte es sogar, sie zu bitten, sie möchte ihn zu ihres Vaters Diensten empfehlen. Er beteuerte dabei, er hielte ihn für einen der ehrlichsten Kerle in der ganzen Gegend umher, und für die Stelle eines Wildmeisters, die eben glücklicherweise bei ihrem Herrn Vater erledigt wäre, auf alle Fälle sehr tüchtig.

Sophie antwortete: »Gut! Auch das will ich versuchen! Aber ich kann nicht versprechen, daß ich's eben so gut zustandebringen werde als das erste, denn so viel versichre ich Sie, ich lasse meinen Vater nicht eher, bis er mir das zugesagt hat. – Doch will ich alles für den armen Kerl thun, was ich nur kann; denn ich betrachte sowohl ihn, als die Seinigen, aufrichtiglich für einen Gegenstand des Mitleidens. – Und nun, lieber Herr Tom Jones, muß ich auch Sie um eine Gefälligkeit bitten.«

»Um eine Gefälligkeit, Fräulein! Mich!« rief Tom Jones. »Kennten Sie das Vergnügen, das Sie mir durch die Hoffnung erwecken, einen Ihrer Befehle zu erhalten, Sie würden überzeugt sein, daß Sie mir durch die bloße Erwähnung dieses Befehls die größeste Gewogenheit erweisen; denn bei dieser lieben Hand schwöre ich's, mein Leben gäbe ich gerne hin, um Ihnen einen Gefallen zu erzeigen.«

Hierbei haschte er ihre Hand und küßte solche mit Inbrunst; welches das erste Mal war, daß seine Lippen sie berührten. Das Blut, welches vorher ihre Wangen verleugnet hatte, büßte seine Sünde dadurch völlig, daß es ihre Wangen und ihren Busen mit solcher Heftigkeit durchströmte, daß sie beide die höchste Scharlachfarbe bekamen. Sie fühlte hier zum erstenmal eine Empfindung, die ihr bis dahin fremd gewesen war, und welche sie, als sie Muße gewann darüber nachzudenken, mit einem Geheimnis bekannt machte, welches der Leser, wofern er's noch nicht so ganz völlig erraten haben sollte, in gehöriger Zeit erfahren wird.

[137] Sophie, sobald sie zu reden vermochte (und das war nicht so augenblicklich), belehrte ihn, die Gewogenheit, die sie sich von ihm ausbäte, wäre, ihren Vater nicht in so viele Gefahren beim Jagen zu leiten; denn nach dem, was sie gehört, wäre sie täglich in großer Angst, wenn sie zusammen ausritten, und müßte erwarten, daß er eines Tages mit gebrochenen Gliedmaßen nach Hause gebracht würde. Sie bäte ihn deswegen, er möchte, aus Freundschaft für sie, doch vorsichtig sein: und da, wie er wohl wüßte, ihr Vater bei keinem gefährlichen Ritte ihn allein lassen oder zurückbleiben würde: so möchte er doch nicht gar zu tollkühn reiten, oder künftig so waghalsig über Graben und Hecken setzen.

Tom versprach, ihren Befehlen getreulich nachzuleben; und nachdem er ihr für die gütigste Gewährung seiner Bitte bestens Dank gesagt hatte, nahm er seinen Abschied und ging höchst entzückt über seine Verrichtung nach Hause.

Die arme Sophie war zwar auch entzückt, aber auf eine sehr verschiedene Weise. Ihre Empfindungen wird sich aber des Lesers Herz (wenn er oder sie eins hat) viel besser vorstellen, als ich sie darstellen kann, hätte ich auch so manche Zunge, als jemals ein Poet sich gewünscht hat – vermutlich um die vielen Leckerbissen zu kosten, womit er so reichlich versehen wird. Es war Herrn Westerns Gewohnheit, alle Nachmittage, sobald er sein Räuschchen hatte, seine Tochter auf'm Klavier spielen zu hören: denn er war ein großer Liebhaber der Musik und hätte, wenn er in einer Stadt gewohnt, für einen Kenner passieren mögen; denn er hatte beständig an den schönsten Kompositionen etwas auszusetzen. Nichts gefiel ihm in der Musik, was nicht leicht und singbar war. Und daher denn auch seine liebsten Stücke von folgender Art waren, als: »Ihr Schönen höret an – Die Tochter will ins Kloster ziehen – Stürmt, reißt und ras't ihr Unglückswinde – und dergleichen mehr.«

Seine Tochter war eine so feine Kennerin der Musik und eine so geschickte Klavierspielerin, daß sie für sich selbst keine andere Sachen als von Händel, Bach, Benda und solchen großen Meistern gespielt haben würde; doch war sie so sehr auf ihres Vaters Vergnügen bedacht, daß sie auch jene Murkys und Gassenhauer sich hatte aufschreiben lassen. Unterdessen versuchte sie es zuweilen, ihn zu ihrem eigenen Geschmacke herüberzuziehen, und wenn er sie um seine Leibstückchen bat, antwortete sie wohl zuweilen mit einem: »Ach, nun! lieber Papa!« und bat ihn dann, er möchte ihr erlauben, daß sie ihm eine von ihren neuen Sonaten vorspielen dürfte.

Diesen Abend aber, als ihr Vater mit seiner Weinflasche fertig war, spielte sie ihm, ohne sich erst bitten zu lassen, alle seine Leibstückchen [138] dreimal hintereinander vor. Dies gefiel dem guten Junker dergestalt, daß er aus seinem Lehnstuhl aufsprang, seiner Tochter einen Kuß gab und schwur, ihre Hand sei viel fertiger geworden. Sie nahm diese Gelegenheit wahr, ihr dem Tom Jones gegebenes Versprechen auszurichten, und es glückte ihr damit so gut, daß der Junker sich erklärte, wenn sie ihm noch einmal: »drei Jäger ritten auf die Jagd,« vorspielen wollte, so sollte der Wildmeister schon morgen früh seine Bestallung haben. Drei Jäger ritten wurde nun gespielt und wiederge spielt, bis der Zauber der Musik Herrn Western in einen süßen Schlummer wiegte. Den andern Morgen versäumte Sophie nicht, ihn an sein Versprechen zu erinnern. Herrn Westerns Sachwalter ward augenblicklich geholt, ihm aufgetragen, die gerichtliche Verfolgung einzustellen und die Bestallung auszufertigen.

Die Wirkung von der Fürbitte des Tom Jones erscholl sehr bald über Flecken und Dorf, und verschieden waren darüber die Urteile. Einige billigten es sehr, was er gethan, als einen Beweis von einem guten Herzen; andre sagten mit Hohnlächeln: kein Wunder, daß ein Bettler beim Diebe Gevatter steht. Der junge Blifil war darüber ganz wütig. Er hatte lange schon den schwarzen Jakob in eben dem Maße gehaßt, als Tom ihm günstig war. Nicht als ob er von ihm jemals wäre beleidigt worden, sondern aus purer Liebe zur Religion und Tugend: denn der schwarze Jakob stand im Rufe eines losen Zeisigs von Kerl. Blifil legte also diese Handlung des Tom Jones so aus, als strafte er dadurch Herrn Alwerth ins Angesicht über Jakobs Abschied und bezeigte mit großem Leidwesen, daß es unmöglich wäre, einen andern Beweggrund für diesen, einem gottlosen Schuft erwiesenen Liebesdienst zu finden.

Schwöger und Quadrat stimmten in das nämliche Liedlein ein: sie waren nun, besonders der letzte, auf Tom Jones mit der Witwe sehr eifersüchtig geworden; denn er näherte sich nun seinem zwanzigsten Jahre, war wirklich ein sehr hübscher junger Mensch, und die Dame schien ihn nach ihrer täglich zunehmenden Freundlichkeit mehr und mehr dafür zu halten.

Alwerth ließ sich indessen durch ihre Heimtücke nicht bewegen. Er erklärte, er sei mit dem, was Jones gethan, sehr zufrieden. Er sagte: die Beharrlichkeit und redliche Treue seiner Freundschaft sei höchlich zu loben und wünschte er nur, daß er häufigere Beweise von dieser Tugend sehen möchte. Allein Madame Fortuna, welche selten solchen luftigen Burschen, als mein Freund Tom war, sehr günstig ist, vielleicht weil sie sich nicht dringender um ihre Gunst bewerben, gab nunmehr allen seinen Handlungen eine sehr schlimme [139] Wendung und zeigte solche dem Herrn Alwerth in einem weit unangenehmeren Lichte als die Güte dieses Herrn solche bisher gesehen hatte.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Apologie der Unempfindlichkeit unsres Tom Jones gegen alle Reize der liebenswürdigen Sophie, durch die wir vielleicht seinen Charakter in der Achtung jener witzigen und galanten Männer, welchen die Helden in den meisten unsrer neuern Komödien und Dramen so sehr gefallen, um einen merklichen Grad heruntersetzen.


Es gibt zwei Gattungen von Leuten, welche bereits, wie ich befürchte, unsern Helden wegen seines Betragens gegen Sophie mit einiger Verachtung ansehen. Die ersten unter denselben werden darin seine wenige Klugheit tadeln, daß er eine Gelegenheit vernachlässigte, sich in den Besitz von Junker Westerns Vermögen zu setzen; und die letztern werden nicht weniger seine Blödigkeit bei einem so hübschen Mädchen verhöhnen, welches bereit zu stehen schien, in seine Arme zu fliegen, wenn er sie nur aufthun wollte, um sie zu empfangen.

Ob ich nun freilich vielleicht wohl nicht fähig bin, ihn von beiden Vorwürfen so völlig zu reinigen (denn Mangel an Klugheit läßt keine Entschuldigung zu, und was ich gegen den letzten Vorwurf vorbringen werde, wird, besorge ich, schwerlich befriedigend sein), so will ich doch, da zuweilen ein Zeugnis zur Milderung des Vergehens abgelegt werden kann, die Sache, wie sie ist, ganz ungekünstelt darlegen und das Ganze der Entscheidung des Lesers überlassen.

Unser Tom Jones fühlte so etwas in sich, welches, obgleich, so viel ich weiß, die Schriftsteller über seinen Namen noch nicht ganz einig sind, dennoch in einigen menschlichen Busen Herberge hat, dessen Gebrauch nicht sowohl eigentlich darin besteht, das Recht vom Unrecht zu unterscheiden, als vielmehr zum ersten anzutreiben und vom letzten ab- und zurückzuhalten.

Dieses Etwas kann wirklich mit dem berühmten Schreiner im Schauspielhause verglichen werden, welcher zu Addisons Zeiten auf der Galerie zu stehen pflegte und mit seinem Stocke den übrigen Zuschauern ein so zuverlässiges Zeichen gab, wo sie bei einer schönen Stelle Beifall klatschen sollten: denn so oft die Person, welche es besitzt, etwas thut das recht ist, so ist kein entzückter oder freundschaftlicher Zuschauer so hitzig und laut mit seinem Beifall; thut [140] sie hingegen etwas, das unrecht ist, so ist kein Kunstrichter so fertig zum Pfeifen und Auspochen.

Um von diesem Urgefühl, welches ich meine, sowohl eine höhere, als unsrem Zeitalter geläufigere Idee zu geben, so kann man sich's vorstellen als sitzend auf seinem Throne in dem Geiste des Menschen, gleich dem Lord Groß-Kanzler von England in seinem höchsten Obergericht, woselbst es den Vorsitz hat, regiert, richtet, losspricht und verdammt, sowie Recht und Gerechtigkeit es heischen; mit einer Einsicht, welcher nichts entwischt, mit einem Scharfblick, den nichts täuschen, und einer Redlichkeit, die nichts bestechen kann. Von diesem lebendigen Urgefühl kann man vielleicht sagen, daß es die wesentlichste Grenze zwischen uns und unsern Nachbarn, den vernunftlosen Tieren, bestimme; denn, wenn einige in menschlicher Gestalt sich betreten ließen, die seine Gerichtsbarkeit nicht anerkennen wollten, so betrachte ich solche lieber als Ueberläufer von uns zu unsern Nachbarn, bei welchen sie das Schicksal aller Ueberläufer haben und nicht ins erste Glied kommen werden.

Ob unser Held es vom Schwöger oder Quadrat erhalten hatte, will ich unausgemacht lassen; genug, er stand unter einer starken Leitung dieses Urgefühls, denn ob er gleich nicht immer richtig handelte, so ließ er doch seine Stimme nie außer acht, ohne dafür empfindlich zu leiden. Dies Urgefühl war's, welches ihn lehrte, derjenige, der Höflichkeiten und kleine Gastfreundschaft damit bezahlt, daß er das Haus beraubt, in welchem er sie genossen hat, sei der schändlichste und niederträchtigste Dieb von allen. Er war nicht der Meinung, daß die Niederträchtigkeit dieses Verbrechens durch die Größe des begangenen Raubes vermindert würde; es schien ihm im Gegenteil vielmehr, daß, wenn der Diebstahl irgend eines Silbergeräts einen schimpflichen Tod verdiene, so ließe sich für denjenigen keine hinlänglich angemessene Strafe erdenken, der einem Mann sein ganzes Vermögen raubte und sein Kind obendrein.

Dies Urgefühl hielt ihn also von jedem Gedanken zurück, durch solche Mittel sein Glück zu machen. (Denn, wie gesagt, es ist ein lebendiges oder wirksames Urgefühl und besteht nicht bloß im Wissen oder Glauben.) Wäre er sehr heftig in Sophien verliebt gewesen, so hätt' er vielleicht anders gedacht; aber, erlauben Sie mir es zu sagen, es steckt ein großer Unterschied darin, ob man mit der Tochter eines Mannes davon läuft bloß der Liebe wegen, oder ob man dasselbe thut bloß des Stehlens wegen.

Ob nun gleich unser junger Held gegen Sophiens Reize nicht unempfindlich war; ob ihm gleich ihre Schönheit gefiel und er alle ihre übrigen Eigenschaften sehr hoch schätzte, so hatte sie doch keinen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht. Hierüber, da es ihm den [141] Vorwurf der Gefühllosigkeit, oder wenigstens Geschmacklosigkeit zuzuziehen scheint, wollen wir nunmehr suchen, eine Erklärung zu geben.

Die Wahrheit also ist: sein Herz gehörte schon einem andern Frauenzimmer. Hier, zweifle ich nicht, wird der Leser erstaunen, daß wir über diese Sache so lange verschlossenen Mund gehalten haben, und wird nicht wenig in Verlegenheit sein, zu erraten, was für ein Frauenzimmer das sei, weil uns bisher noch nicht das mindeste Wort von einem solchen entfallen ist, das nur wahrscheinlicherweise Sophiens Nebenbuhlerin sein konnte; denn was Madame Blifil betrifft, ob wir gleich genötigt gewesen sind, eines Verdachtes zu erwähnen, als ob sie unsern Tom sehr gerne leiden möge: so haben wir doch bis diese Stunde noch nicht den geringsten Grund zu der Mutmaßung gegeben, daß er eine Neigung zu ihr hätte; und in der That, mit Leidwesen muß ich es sagen; aber die Jugend, beiderlei Geschlechts, ist nun einmal so! – Sie läßt es gar zu leicht an der Dankbarkeit ermangeln, wenn Personen, die etwas höher an Jahren sind als sie, die Güte haben, sie mit einer gewissen vorzüglichen Achtung zu beehren.

Damit der Leser nicht länger in Ungewißheit bleiben möge, wird er die Güte haben, sich zu erinnern, daß wir oft der Familie des Wildmeisters, Jakob Seegrim, gemeiniglich der schwarze Jakob genannt, erwähnt haben, welche gegenwärtig aus einer Frau und fünf Kindern bestand.

Das zweite von diesen Kindern war eine Tochter, die Maria, oder nach einer gewöhnlichen Umänderung, Molly hieß und für eins von den hübschesten Mädchen in der ganzen Gegend gehalten wurde.

Congreve sagt sehr wahr, in der wahren Schönheit liegt etwas, das gemeine Seelen nicht bewundern können; so kann auch weder Schmutz noch Lumpen dieses Etwas vor solchen Seelen verbergen, welche nicht von gemeinem Schlage sind.

Die Schönheit dieses Mädchens machte indessen auf Tom nicht eher Eindruck, als bis sie gegen ihr sechzehntes Jahr ging, da Tom, welcher fast drei Jahre älter war, zuerst begann einen Blick der Liebe auf sie fallen zu lassen, und diese Liebe hatte er lange zuvor schon auf das Mädchen geheftet, ehe er es von sich erhalten konnte, einen Versuch auf den Besitz ihrer Person zu thun: denn, ob ihn sein Blut zwar hierzu gar mächtig reizte, so hielten ihn doch seine Gundsätze davon eben so mächtig zurück. Ein junges Frauenzimmer verführen, so gering ihr Stand auch war, schien ihm ein schwarzes Verbrechen; und die Gewogenheit, die er für den Vater, und das Mitleiden, welches er mit seiner Familie hatte, kamen solchen enthaltsamen [142] Betrachtungen sehr stark zu Hilfe; so daß er einstens beschloß, seine Neigung gänzlich zu unterdrücken, und sich wirklich drei ganze Monate enthielt, nur einmal nach Seegrims Hause zu gehen oder seine Tochter zu sehen.

Ob nun gleich Molly, wie gesagt, durchgängig für ein hübsches Mädchen gehalten wurde und es auch in der That war, so war doch ihre Schönheit eben nicht von der sanftesten Gattung. Sie hatte wirklich sehr wenig Weibliches und hätte einem Manne ebensogut angestanden als einem Frauenzimmer; denn, die Wahrheit zu sagen, so hatte Jugend und blühende Gesundheit einen wichtigen Anteil an der Komposition ihrer körperlichen Schönheit; auch ihr Gemüt war eben nicht viel weiblicher als ihre Person. So wie diese groß und derb war, so war jenes dreist und kühn; so wenig besaß sie von der weiblichen Schamhaftigkeit, daß Jones mehr Achtung für ihre Tugend hatte als sie selbst, und da sie wahrscheinlicherweise den Tom eben so gerne leiden mochte als er sie, so ward sie, nach eben dem Verhältnis, wie sie seine Blödigkeit wahrnahm, dreist und vorlaut; und als sie sah, daß er ganz und gar das Haus vermied, so fand sie Mittel, sich ihm in den Weg zu stellen, und betrug sich auf eine solche Art, daß der Jüngling entweder sehr viel oder auch sehr wenig von einem Helden hätte an sich haben müssen, wenn ihr Vorhaben nicht gelungen wäre. Mit einem Wort, sie siegte bald über unsres Tom Jones tugendhafte Entschließung. Denn, ob sie schon zuletzt sich mit allen anständigen Weigerungen betrug, so will ich doch den Sieg lieber ihr zuschreiben, weil es in der That ihr Plan war, der zur Ausführung kam. Bei dieser Ausführung spielte indessen Molly ihre Rolle so gut, daß Tom Jones die Eroberung ganz allein sich selbst zuschrieb und das junge Mädchen für eine Person ansah, die sich den heftigen Anfällen seiner Leidenschaft ergeben hätte. Ebenso auch setzte er ihre Ergebung auf Rechnung der unwiderstehlichen Stärke ihrer Liebe zu ihm; und dies wird der Leser für eine sehr natürliche und wahrscheinliche Voraussetzung halten, da wir schon mehr als einmal der ungemeinen Anmut seiner Person gedacht haben; denn er war wirklich einer der schönsten Jünglinge von der Welt.

Wie es einige Gemüter gibt, welche gleich dem jungen Herrn Blifil ihre Neigung auf eine einzige Person heften, deren Nutzen und Behaglichkeit sie einzig und allein bei jeder Gelegenheit in Betrachtung ziehen; die, in Absicht aller übrigen, Gutes und Böses für ziemlich gleichgültig halten, insoferne es keinen Bezug auf den Vorteil oder das Vergnügen jener Person hat: so gibt es eine andere verschiedene Gemütsart, welche einen gewissen Grad der Tugend von der Eigenliebe fast entlehnt. Ein solches Gemüt [143] kann niemals eine Art von Gefälligkeit von einem andern Menschen erhalten, ohne das Geschöpf zu lieben, dem es diese Gefälligkeit zu verdanken hat, und ohne dessen Wohlsein zu einem notwendigen Bedürfnis für seine eigene Gemütsruhe zu machen.

Von dieser letztern Gattung war unser Held. Er betrachtete dies arme Mädchen als eine Person, deren Glückseligkeit oder Elend er von sich abhängig gemacht hätte. Ihre Schönheit war noch immer ein Gegenstand seiner Begierden, obgleich größere Schönheit oder ein frischerer Gegenstand es noch mehr gewesen sein möchten. Aber die kleine Erkältung, welche der Genuß wie einen Wirtel in dieses Gewölbe geschlagen hatte, ward durch die Rücksicht auf die Anhänglichkeit, womit sie ihm ergeben war, und durch die Lage, in die er sie versetzt hatte, mehr als aufgewogen. Die erste, ihre Anhänglichkeit nämlich, erzeugte Dankbarkeit und die letzte Mitleiden; und beide zusammen mit dem Begehren nach ihrer Person erregten in ihm eine Leidenschaft, die man, ohne dem Worte eben große Gewalt zu thun, jetzt wohl Liebe nennen konnte; wenn auch das Wort vorher nicht so eigentlich hätte gebraucht werden können.

Dies war demnach die wahre Ursache jener Unempfindlichkeit, die er gegen Sophiens Reize hatte blicken lassen, und des Betragens von ihrer Seite, welches man wohl nicht unbilligerweise als eine Aufmunterung, mit seinem Liebesantrage herauszugehen, hätte auslegen dürfen. Denn da es ihm nicht einfallen konnte, seine arme hilflose Molly zu verlassen, so konnte er auch nicht den Gedanken fassen, ein solches Geschöpf, wie Sophie, zu hintergehen. Und wahrhaftig, hätte er das geringste gethan, bei diesem jungen Frauenzimmer eine Leidenschaft für sich zu erregen, so wäre er platterdings eines oder des andern jener Verbrechen schuldig gewesen, wovon ihn eines schon in sehr gerechter Weise demjenigen Schicksal unterworfen hätte, das ihm, wie ich bei seiner ersten Einführung in diese Geschichte erwähnte, unfehlbar als sein gewisses Lebensende prophezeit worden war.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Ist das kürzeste in diesem Buche.


Die Mutter war die erste, welche die Veränderung im Wuchse der Molly wahrnahm, und um solche vor ihren Nachbarn zu verbergen, kleidete sie ihre Tochter unbesonnenerweise in den Schlenter, den Sophie ihr geschickt hatte; obgleich das Fräulein auf Meilen [144] weit nicht daran gedacht hatte, das arme Weib würde schwach genug sein, ihn einer von ihren Töchtern in derselben Gestalt zum Tragen zu geben.

Molly war vor Freuden außer sich über die erste Gelegenheit, die sie jemals gehabt hatte, ihre Schönheit in vorteilhaftem Anputze zu zeigen. Denn, ob sie es gleich recht gut aushalten konnte, sich in ihrem Spiegel zu beschauen, als sie noch völlig in Lumpen einherging, und ob sie gleich in solcher Kleidung die Eroberung von Toms Herzen und vielleicht von noch einigen mehr gemacht hatte, so dachte sie doch, der Zusatz von besserem Putz würde ihre Reize erhöhen und ihre Eroberungen ausdehnen.

Molly also, nachdem sie sich mit diesem Schlenter, mit einer neuen Spitzenhaube und anderm Putzwerke, das ihr Tom geschenkt, bestens in Staat gesetzt hatte, wandelte mit einem Fächer in der Hand den ersten besten Sonntag den Weg zur Kirche. Die Vornehmen und Großen täuschen sich, wenn sie glauben, Hoffart und Eitelkeit sei ihr ausschließliches Eigentum. Diese edlen Eigenschaften blühen ebenso frisch und lustig in Dorfkirchen und auf deren Kirchhöfen, als in den Putzzimmern und Assembleesälen. In den Dreßkammern der Dorfkirchen sind oft solche Projekte gemacht worden, deren sich ein Kardinalskonklave schwerlich schämen dürfte. Hier finden sich ein Minister und seine Oppositionspartei, Faktionen und Kabalen, gleich denen, welche man bei Höfen findet.

Ebenso sind auch die Weiblein hier nicht weniger geübt in den höchsten Künsten ihres Geschlechts als die schönen vornehmern Damen von Stand und Vermögen. Hier gibt es Spröde und Koketten; hier gibt es Kleiderstaat und Liebäugelei, Falschheit, Neid, Bosheit, Verleumdung, kurz alles was in den glänzendsten Assembleen oder vornehmsten Gesellschaften gewöhnlich ist. Laß also die Vornehmern nur nicht länger der Unwissenheit der Geringern spotten; noch die Niedern hinfort mehr über die Laster der Höhern das Maul aufreißen!

Molly hatte sich schon eine Zeit vorher niedergesetzt, ehe noch ihre Nachbarinnen sie erkannten; und ein Geflüster lief durch die ganze andächtige Versammlung: »Wer ist sie?« Als sie aber entdeckt ward, erfolgte ein solches Naserümpfen, Lippenwerfen, Kichern und Lachen unter den Frauen und Jungfrauen, daß Herr Alwerth genötigt war, sein Ansehen anzuwenden, um leidiges Aergernis unter ihnen zu verhüten.

Achtes Kapitel
[145] Achtes Kapitel.

Eine Schlacht, besungen von der Muse im Stile Homers und nur genießbar dem Leser von klassischer Gelehrsamkeit.


Herr Western hatte ein kleines Gut in diesem Kirchspiele, und da sein Haus nur um ein weniges weiter von dieser als von seiner eigenen Kirche entfernt war, so kam er oft hier zur Predigt; und sowohl er als die schöne Sophie waren gerade diesmal gegenwärtig.

Sophien hatte die Schönheit des Mädchens ungemein gefallen und bedauerte sie solche wegen ihrer Einfalt, daß sie sich auf diese Weise gekleidet hatte, weil sie den Neid wahrnahm, den es unter ihresgleichen veranlaßt hatte. Sie war nicht so bald nach Hause gekommen, als sie nach dem Wildmeister schickte und ihm befahl, seine Tochter zu ihr zu bringen, und sagte: sie wolle solcher eine Stelle im Hause geben und vielleicht nähme sie sie zu ihrer eigenen Aufwartung, wenn ihre Jungfer, der sie eben aufgekündigt hätte, abgegangen wäre.

Der arme Seegrim ward wie vom Blitze gerührt, denn er war mit dem Fehler unter seiner Tochter Schnürleibchen nicht unbekannt; er antwortete mit stammelnder Zunge, »daß er fürchte, Molly möchte zu ungeschickt sein, dem gnädgen Fräulein als Jungfer aufzuwarten, weil sie noch nirgends im Dienste gewesen.« »Das hat nichts zu bedeuten,« sagte Sophie, »das wird sie bald lernen. Das Mädchen gefällt mir, und ich bin entschlossen, es mit ihr zu versuchen.«

Der schwarze Jakob wandte sich nun an seine Frau, zu deren Klugheit er das Vertrauen hatte, sie würde ihn aus dieser Patsche ziehen; aber als er da anlangte, fand er sein Haus in einiger Verwirrung. Solch einen entsetzlichen Neid hatte dieser Schlenter erregt, daß, als Herr Alwerth und die übrigen Herrschaften aus der Kirche fort waren, die Wut, welche bisher verschlossen gelegen, in ein lautes Getümmel ausbrach; und nachdem sich solche vorher in Schimpfreden, Gelächter, Zischen und höhnischen Gebärden Luft gemacht hatte, griff sie endlich zu gewissen Schleuderwaffen, welche zwar wegen ihrer plastischen Natur weder den Verlust des Lebens noch eines Gliedes drohten, dabei aber doch immer noch für ein wohlgekleidetes Frauenzimmer fürchterlich genug waren. Molly hatte zu viel Herzhaftigkeit, um eine solche Begegnung in zahmer Geduld zu ertragen. Nachdem sie also – Aber, halt! da wir in unsre eigenen Kräfte ein Mißtrauen setzen, so laß uns hier eine höhere Macht zu unsrem Beistand anrufen.

Ihr Musen, also, wer ihr auch seid, die ihr gerne Schlachten [146] besinget; vor allen aber du, die du ehemals die Thaten jener Gefilde erzähltest, wo ein Hudibras focht und Trulla, wofern du nicht Hungers starbst mit Buttler, deinem Liebling, so leihe mir deinen Beistand bei diesem Unternehmen! Aller Mache steht nicht in aller Macht.

Wie eine zahlreiche Herde von Kühen im Grashof des reichen Pachters, wenn sie gemelkt wird und dann in einiger Entfernung ihre Kälber über den Raub durch Schreien und Blöken jammern hört: so brüllte, schrie und blökte der Janhagel von Sommersetshire ein Hollolo, in Stimmen hoch und tief und grob und fein, so wie's die Kehlen gaben, oder wie's der Wind der Leidenschaften stärker oder schwächer in die dünnern oder dickern Pfeifen blies. Einige wurden getrieben von Wut, andere wieder begeisterte die Furcht und andere suchten weiter nichts als einen scharmanten Blitz-Hagels-Spaß; vornehmlich aber schwebte hoch über dem Haufen die Scheelsucht, die Zwillingsschwester Satans und seine getreue Gefährtin, hauchte herab ihren Gift und fachte zischend die Wut der Weiber auf zu hellen Flammen. Und kaum konnten sie die Strecke berechnen, wie weit die Sehne ihrer Arme zum Ziele zu reichen vermöchte, als sie den Angriff mit Kot und Unrat und Sandkies begannen.

Molly, nachdem sie versucht, sich ohne Ehrenverlust aus dem Treffen zu ziehen, machte endlich Rechtsum! ergriff die lumpengezierte Liese, die den Vortrab des feindlichen Haufens führte, und streckte sie mit einem Faustschlag zu Boden. Das ganze Heer des Feindes (obgleich fast hundert an der Zahl) wich bestürzt zurück, als es den Fall seiner Führerin vernahm, und suchte sich zu decken hinter dem Wall eines neu aufgescharrten Grabes. Denn der Kirchhof war das Gefilde der Schlacht und am Tage des blutigen Treffens sollte eine Leiche dort die Stätte zu ihrer Gebeine Vermoderung finden. Molly trieb den Sieg vor sich her; faßte einen Schädel auf, der da lag auf der aufgeschütteten Erde des Grabes und schleudert ihn unter den Haufen der Feinde mit ihrem gewaltigen Arm; er traf einem Schneider den Kopf. Sowie beide Schädel einander berührten, erklangen sie beide gleich dumpfig und hohl, und der Schneider nahm sogleich das Maß seiner Länge auf der Fläche der Erden und beide Schädel lagen da nebeneinander, und schwer war es zu sagen, welcher von beiden der leereste sei. Nunmehr ergriff Molly mit ihrer mächtigen Rechten ein Hüftbein, brach ein in die weichende Phalanx, schmetterte nieder damit zur Linken und Rechten und streckte hin ins Gras der Helden eine große Zahl in Hüten und Hauben.

Nenne, o Muse, die Namen derer, die fielen an diesem unvergeßlichen [147] Tage. Den ersten Streich des schwerfallenden Gebeines fühlte an seinem Hinterhaupte Heins Quinkel. Ihn hatten die lieblichen Ufer des sanftschlängelnden Stowers zum Manne gebildet. Dort lernte er erst die Kunst der holden Musika, womit er, wandelnd von Kirmsen zu Märkten, das Herz der ländlichen Nymphen und Hirten erfreute, wenn sie auf grünem Anger in raschen Tänzen die bunten Reihen webten; da stund er dann an der Weide, fiedelte sich den Schweiß auf die Stirn und lehrte mit stampfendem Fuße der zitternden Erde den Takt. Was hilft ihm nun Fiedel und Bogen? Er stürzt dahin auf die grüne Flur, wie eine falsche Oktav herabplumpst. Nächst ihm fiel ein Schlag von unsrer amazonischen Heldin auf die Stirn des alten Scharfkniep, des Schneiders der Schweine. Er selbst war wohl gemästet und krachte im Fallen wie ein Haus, das einstürzt. Seine Tabaksbüchse rollte ihm beim Fallen aus dem Sacke; Molly hob sie auf als eine redliche Beute. Dann strauchelte Müllers Kate unglücklicherweise über einen Leichenstein, der faßte einen ihrer unaufgebundenen Strümpfe, verkehrte die Ordnung der Natur und stellte ihre Fersen zu oberst des Hauptes. Betsy Pippen nebst dem jungen Roggen, ihrem Geliebten, fielen beide zu Boden, woselbst, o widerwärtiges Schicksal! sie die Erde, er die Wolken beguckte. Tom Schmutz, des Schmieds Sohn, war das nächste Opfer ihres Grimms. Er war ein kunstbegabter Mann in Eisen und Stahl und schmiedete hellklingende Schlittschuhe. O wär' er in der Kirche gesessen und hätte Psalmen gesungen, so hätt' er ein verschundnes Haupt vermieden. Jungfer Krähe, die Tochter eines Pflugführers; Hans Schwindel, selbst ein Führer der Pflugschar; Hanna Plierke, Esther Apfelmus, Helmke Meerschaum, Tom Simper, die drei Jungfer Töpfers, deren Vater den roten Leuen aushängen hat, Liesgen Bettwärmer, Jochen Striegel und manche mehr von minderem Ruhm und Thaten lagen da, sich wälzend zwischen den Gräbern.

Nicht daß der tapfre Arm der Molly diese alle erreichte; denn viele von ihnen warfen in der Flucht einander sich selber zu Boden.

Jetzt aber wähnte die Göttin des Glücks, sie habe ihr selbst ungleich gehandelt und schon zu lang es mit einer Seite gehalten, und um so mehr das, da an dieser Seite das Recht war; sie wandte sich also plötzlich herum, denn nun ergrimmte Frau Braunsch, die Zäckel Braun in seinen Armen liebkost; doch nicht er allein, sondern nebenher noch die Hälfte des Kirchspiels; so berühmt war sie im Heerlager der Venus, obwohl auch nicht minder in Mavors Gefilden. Von beiden trug ihr Ehemann die Trophäen auf seiner Stirn und Nase umher; denn wenn je ein menschliches Haupt durch seine Hörner den Liebesruhm seines Weibes verkündete, so that es [148] Zäckel Braun. Nicht weniger war seine wohlzerkratzte Nase ein Zeuge von ihren andern Gaben oder vielmehr ihrem Gift.

Nicht länger konnte diese Amazone die schändliche Flucht ihrer Partei erdulden. Sie faßte plötzlich Fuß und indem sie allen Flüchtlingen laut rief, sprach sie wie folgt: »Ihr Männer, oder besser, ihr Weiber von Sommersetshire, schämt ihr euch nicht, vor einem einzigen Weibsen zu fliehen? Doch, will niemand sonst sich ihr entgegenstellen, so wollen ich, die Frau Braunsch und Max Kräusel hier den Ruhm des Sieges allein gewinnen.« Nachdem sie's gesagt, flog sie hin auf Molly Seegrim und wandt' ihr das Hüftbein mit leichter Müh' aus der Hand, wobei sie ihr zu gleicher Zeit die Haube vom Kopfe abkrallte. Drauf, einen Schopf von Mollys Haaren mit der Linken gepackt haltend, that sie mit ihrer Rechten einen so wütenden Anfall auf ihr Antlitz, daß ihr bald das Blut aus der Nase zu träufeln begann. Molly war derweile nicht müßig. Sie ward bald fertig damit, das Haarnestel der Frau Braunsch zu lösen, dann griff sie mit einer Hand fest in den Wulstkranz und mit der andern pochte sie zwei gleich blutige Ströme aus beiden Nasenrinnen ihrer Feindin.

Nachdem jede von den Fechtenden eine hinlängliche Beute an Haaren vom Kopf ihrer Widersacherin errungen, ging die Wut über Gewand und Kleider her. Bei diesem Angriff übten sie solche Gewalt, daß sie in wenig Minuten beide, bis auf den Gürtel, nackt da stunden.

Glücklich für die Weiber ist's, daß der Platz des Faustkampfkrieges bei ihnen eben derselbige ist wie bei den Männern; allein ob solche gleich ein wenig ihr Geschlecht zu verleugnen scheinen, wenn sie einen Faustkampf beginnen, so habe ich doch bemerkt, daß sie es niemals so weit aus den Augen setzen, daß sie einander auf die Brust zielen sollten, woselbst einige wenige Püffe den meisten höchst verderblich sein würden. Dies, ich weiß es wohl, leiten einige daher, daß sie blutgieriger sein sollen als die Mannspersonen; weshalb sie denn die Nase lieber wählen, als einen Teil, aus welchem man leichter Blut zapfen könne; allein dies scheint mir eine zu weit hergesuchte sowohl, als auch eine zu gehässige Andichtung zu sein.

Frau Braunsch hatte in diesem Punkte einen großen Vorteil über Molly, denn die erste hatte eigentlich gar nichts in der Schnürbrust. Ihr Busen (wenn man's so nennen kann) glich sowohl an Farbe als noch mehr andern Eigenschaften ganz genau einem Stück alten Pergaments, worauf man eine ziemliche Weile hätte lospauken können, ohne ihr eben sonderlichen Schaden zu thun.

Molly war, nicht mitgerechnet ihre jetzige unglückliche jungfräuliche [149] Leibesbeschaffenheit, unter dem Halstuche ganz anders gebildet, und möchte vielleicht den Neid der Frau Braunsch gereizt haben, ihr einen hämischen Puff zu versetzen, hätte nicht die glückliche Ankunft des Tom Jones in diesem Augenblicke dem blutigen Auftritte ein unmittelbares Ende gemacht.

An diesem glücklichen Zufall war eigentlich Herr Quadrat schuld; denn er, Blifil und Jones, waren nach der Kirche zu Pferde gestiegen, um ein wenig spazieren zu reiten, und kaum waren sie einige hundert Schritte geritten, als Herr Quadrat sich eines andern besann, (nicht aus wetterwendischer Laune, sondern aus einer Ursache, die wir dem Leser enthüllen wollen, sobald es unsre Muße zuläßt) und die jungen Herren bat, einen andern Weg mit ihm zu reiten, als den sie sich zuerst vorgesetzt hatten. Da der Vorschlag durchging, brachte es sie notwendigerweise wieder zum Kirchhofe zurück.

Herr Blifil, der voranritt und solch einen Haufen von Janhagel in Assemblee sah, und darunter zwei weibliche Gestalten, in der Verfassung, in welcher wir die Braushühnlein verließen, hielt sein Pferd an, um sich zu erkundigen, was da vorginge. Ein Bauertölpel, der sich dabei hinter den Ohren kraute, antwortete ihm: »o 'ch wäs nät, äch nät! mät Verlobnäß zu sagen, Knädiger Jonker. 'S äß'r so'n Hophäh k'wäst, onger Fra Praunsch un Maari Seekrem: S'han sech 'nander en'n Haar'n K'rähn, tänk'ch.« »Wer? wo?« rief Tom. Ohne aber eine Antwort abzuwarten, indem er eben die Züge seiner Marie bei aller Entstellung, worin sie sich jetzt befanden, entdeckte, stieg er hastig vom Pferde, ließ es ledig stehen, sprang über die Mauer und lief auf sie zu. Nun erst fing sie an, in Thränen auszubrechen, und erzählte ihm dann, wie barbarisch man sie behandelt habe. Worauf er Frau Braunsch, ihr Geschlecht vergessend (oder auch, daß er's in seiner Wut nicht erkannte, denn sie zeigte eben nichts Weibliches an sich, Schürz und Rock ausgenommen, die er leicht übersehen konnte), einen oder ein paar Hiebe mit der Reitpeitsche versetzte; dann auf den hellen Haufen zueilte und unter selbigem, weil er insgesamt von Molly verklagt war, von allen Seiten seine Hiebe so freigebig austeilte, daß ich, wofern ich die Muse nicht von neuem anrufen will (welches der gutherzige Leser für ein wenig zu hart für sie finden würde, da sie erst kürzlich sich so außer Atem hat singen müssen) ganz außer stande bin, das Peitschen und Schwöppen dieses Tages zu beschreiben.

Nachdem er das ganze Schlachtfeld von Feinden völlig gereinigt hatte, so gut als jemals die Helden Homers oder Don Quichotte, oder irgend sonst ein andrer irrender Ritter auf dieser Welt gethan [150] haben könnten, kehrte er zu Molly zurück, die er in Umständen antraf, die sowohl mir als meinen Lesern wehe thun müßten, wenn ich solche hier beschreiben wollte. Tom gehabte sich, als wär' er von Sinnen gekommen, zerschlug sich die Brust, raufte sein Haar, stampfte den Boden und schwur allen die bitterste Rache, die nur Hand mit im Spiele gehabt hätten. Dann schälte er seinen Rock ab, knöpfte solchen um ihre Schulter, setzte ihr seinen Hut auf den Kopf, wischte ihr mit seinem Taschentuche, so gut er konnte, das Blut aus dem Gesichte und rief dem Bedienten zu, er solle reiten was er könne und einen Sattel oder Reitkissen holen, damit er sie sicher nach Hause bringen könnte.

Neffe Blifil hatte seine Einwendungen gegen das Wegreiten des Bedienten, weil sie nur einen bei sich hätten; allein, da Herr Quadrat den Befehl unterstützte, ward er auch genöthigt, sich's gefallen zu lassen.

Der Bediente kam in sehr kurzer Zeit mit dem Reitkissen zurück, und Molly, nachdem sie ihre zerrissenen Kleidungsstücke, so viel als thunlich, wieder angesammelt hatte, ward hinter ihm aufs Pferd gesetzt. Auf dieser Weise ward sie nach Hause geführt, in Quadrats, Blifils und Jones' Begleitung.

Hier, nachdem Jones seinen Rock wieder genommen, ihr einen verstohlnen Kuß gegeben, und ihr ins Ohr geraunt hatte, daß er diesen Abend noch wieder zu ihr kommen wolle, verließ er seine Maria und ritt seiner Gesellschaft nach.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Nicht gar zu friedsamen Inhalts.


Molly hatte sich nicht so bald wieder in ihre gewöhnlichen Fetzen geworfen, als die Zungen ihrer Schwestern gewaltiglich über sie herfuhren, der ältesten vorzüglich, welche ihr sagte: es sei ihr ganz recht geschehen. »Was hat sie die Ausverschämtheit und zieht ein Putzkleid an, das Vrölen Western der Mutter keschenken hat. Wenn's ja Eens von uns sollt' tragen,« sagte sie, »sollt' ich meenen, währ ich's; mihr käm's von Gotts und Rechtsweg'n zuhe. Aber näh, da meent se, Wunder was m'r Pisse! 's käm' ihrer kroossen Schenhet alleen' zuhe; denkst wohl kahr, wär'st scheen Rahel alleene.« »Kriegt'r doch emaal den Scherben von Spiegelglas vom Thresorchen!« sagte eine andre; »'ch wollt' mer toch woll erst das Plutt vons Kesicht' runner waschen, eh 'ch von mein Scheensein [151] schwätzte.« »Pesser thät's, 's hätt geholten was ter Pfarrer kesogt,« schrie ihre älteste Schwester, »und nicht uf te Mannsberschoonen kehorcht.« »Wohl wahr!« seufzte die Mutter aus tiefer Brust, »wohl wahr! Uns alle medenander hat's in Schimpf un Schant kebracht. 'S ist tie erpärmlichste Huhre, tie merr nach in tär Vamilje erlebt hahn.« – – »Nah, tas laß ich merr och nicht so uf te Nase häft'n; Mutter! Worzu's schält'n?« schrie Molly. »Merr wiss'n jo ooch, taß Mutter med mihner ältsten Schwäster ta nedder kamb, als se nach 'er Hoochzig sprieben: un ta acht Tage umme waren. Merr wiss'ns rächt kuht.« »Ja, Nickel!« schrie die wütende Mutter, »ja, tas dath 'ch: was för 'n krooß Unheel war'n aber tabei, heh? 'ch war schon acht Tage vorhin en ehrliche Frau kemacht worden. Un wänn du ooch met Ehrn unner te Hauben kommen thätst: so sollt's mech net ärgern; schär mech nichts drum. Aber näh, ta muß sie's met 'm Jonker vom Aetelhoff ufnähm'n, tie albern Pälmke; un nu kregt s' en Huhrkind! Ja! Luder! 'n Huhrkind kregste! un wär kann sich's understöhn, mir tas nachzesag'n, mir! he?«

In dieser Lage fand der schwarze Jakob die Seinigen, als er wegen der vorhin erwähnten Verrichtung in seinem Hause anlangte. Seine Frau und drei Töchter sprachen alle auf einmal und zugleich, und zwar die meisten aus voller Lunge; er mußte also eine ziemliche Zeit harren, bis er sein Wort anbringen konnte; sobald er aber eine kleine Pause wahrnahm, erzählte er der Gesellschaft, was ihm Sophie gesagt hatte.

Nun fing die gute Frau Seegrim erst recht an, ihrer Tochter die Epistel zu lesen: »Ho'! 'n lustige Patsche is es, ta tie Schandbalg ons nein führt! Was wert nu Vröhl'n von dein'n Tambursack sag'n. O, taß 'ch so 'n Schimpf erleben muß!«

Molly antwortete mit großer Keckheit: »Was is es tän for'n fornähmer Tienst, den Fatter for mech kefunden hat? (denn er hatte nicht recht verstanden, was Sophie mit den Worten, ›zu ihrer eignen Aufwartung‹, hatte sagen wollen) 's werd wohl uf'ne Küch'nmagd, unner der Köch'n n'aus loofen. Aber, näh, 'ch will keen'n Menschen te schmutz'gen Teller ufwasch'n, tas will 'ch net. Mein Jonker werd' mech kans pesser versorg'n. Ta säht, was 'r mirr noch heint' Nachmeddag keköb'n hat; 'r hat mirr wohl versproch'n, taß mirr's nimmer an Kält fehlen soll, tas gloob' ech! Un ehr, Mutter, soll's ooch net an Kält fählen, wann's nur ehre Zunge zahm'n kann, un sich's will wohl sein lass'n!« Und indem sie so sagte, zog sie verschiedne Goldstücke hervor und gab der Mutter eins davon ab.

Das gute Weib fühlte nicht so bald das Gold in ihrer Faust, als sich ihr Zorn (so mächtig wirkend ist diese Panacee) zu mildern anfing. »Aber, Mann!« sagte sie, »warste ooch nicht 'en rechter [152] Pinselstiel! nicht e'mal zu frag'n, was för'n Tienst 's war, eher'n für Tochter Molly annahmst? Wer weiß, ob's net in'ner Küch'n is? Wie's Tochter Mahry sagt'. Un, ja wahrhaftig, zem Aschenbröd'l iß se mir doch ooch ze saur geworden, uf te Welt ze setz'n. Tänn, so arm ich pin, so stammte 'ch toch von wohl kuter Vammilje. Obschons, weil mein Vatter, das ein geistlicher Djaknus war, mir keine große Brautschatzung nachließ; Gott hab'n selig! als er starb hatt er net so viel, taß mirr'n kaum unner de Erde pringen konnt'n – ja, so wollt' ich sag'n, taß ich mich so wegwerf'n mußt, 'en armen Schlucker von Jäger zu frei'n: so trag' ich mein' Nas' toch eb'n so hoch, als all solch vornehm Volks. Sieh doch, daß dich te Hunde nich peissen! Se thäte pesser, Vröle Western, wenn s' nich so dick thäte, und pedächt, wer tänn er Kroßvatter war. Kewisse Leute, von unser Vammilje sollt 'ch meenen, konnt'n wohl in Gutsch un Karreten fahren, wenn te Kroßvätter von andren, tie nun's krosse Maul hab'n, ver petz post lohren gingen. Je, meen Treu! meent, wohl Wunder, was se kethan hat, taß se uns tie alte Fahne von Kleed schickte. Mancher von mein'r Vamilje hätt solch'n Bettel nich von'r Kassen ufkehob'n; aber an armen Leut'n will all's die Füße wischen! – Tie Kirchleut brauchten's och nich so 'n Spektakel über Molly ufzehüb'n. – Hätts tem Pack wohl sagen könn'n, Kind, tas dein Frau Kroßmama viel pess're Kleeder trug; un alles bar von d'r Ellen. Sie dah!«

»Nun, gut!« schrie Jakob, »aber denk' nur drauf, was soll ich dem Fräulein für Antwort bringen?« »Antwort? hem, was ze Antwort da!« sagte sie; »ich wees keene! Er führt seine Vamilje immer so, taß te Ochsen an Berge stihn. Weist's noch, als du's Feldhuhn stipitztest? Riet ich tir nicht, sollst dich für Junker Westers Wildzahn hüten? Sagt' ich's tir net manch lebes Jahr voraus, wie's keh'n würd'? Aber da bestund 'r uf sein'n tummen sechs Sinnen! Ja, ja! that's du's nicht? Du – Lotterbub, du. –«

Der schwarze Jakob war, im ganzen genommen, eine friedliche Haut von Kerl, und gar nicht hastig oder jähzornig: doch trug er sich so mit etwas herum, das die Alten glubtückisch nannten; und welches seine Frau, wenn sie mit mehr Weisheit begabt gewesen wäre, gefürchtet haben würde. Er hatte aus langer Erfahrung bemerkt, daß, wenn der Sturm anfing heftig zu werden, alle seine vernünftigen Vorstellungen nur als Winde wirkten und ihn eher wütender machten, als daß sie ihn legen sollten. Er ließ sich deshalb selten ohne eine kleine Haselgerte finden, ein niederschlagendes Mittel, dessen wundervolle Kraft er aus öftern Versuchen kannte, und über dessen nötige Anwendung ihm das Wort Lotterbube einen Naturwink zu geben schien.

[153] Dies Symptom hatte sich also nicht so bald hören lassen, als er unverzüglich zum Gegenmittel griff; es ging nun freilich damit wie mit allen sehr wirksamen Arzneien, und es schien das Uebel nur ärger zu machen; allein es brachte doch bald eine gänzliche Stille hervor und verhalf der Patientin zu einer völligen Ruhe.

Bei alledem ist dies doch so eine Art von Pferdekur; es gehört eine sehr starke Konstitution dazu, um sie an sich probieren zu lassen, und ist daher auch nur für den gemeinen Mann, es sei denn in dem einzigen Falle, wenn das Vornehmere von Herkunft zum Ausbruch käme. In einem solchen Kasu würde es nach unsrer Meinung mit Fug und Sicherheit von jedem Ehemanne, ohne Unterschied des Standes, anzuwenden sein, wenn nicht die Operation an sich selbst so niedrig wäre, daß sie (sowie gewisse andre, nach Verordnung des Arztes, von denen man nicht einmal gerne spricht) die Hände, die sich damit abgeben, so sehr erniedrigt, daß kein Mann, der auf Ehre hält, den bloßen Gedanken an etwas so Gemeines und Abscheuliches ausstehen kann.

Die ganze Familie war sehr bald wieder in einen völlig ruhigen Zustand versetzt; denn die Kraft dieser Medizin wird oft, gleichwie die Kraft der Elektrizität, durch eine Person vielen andern mitgeteilt, die selbst die Maschine nicht berührt haben. Die Wahrheit zu sagen, entsteht bei mir ein Zweifel, ob nicht beide Kräfte, da sie beide durch Friktionen operieren, etwas Analoges haben sollten? und Herr F. würde wohl thun, sich hiervon überzeugen zu lassen, bevor er die nächste Edition seines Buches über die Elektrizität herausgäbe.

Nunmehr ward der geheime Rat gehalten, in welchem, nach vielen Debatten, Molly darauf beharrte, daß sie nicht in Dienste gehen wollte, und also endlich der Schluß gefaßt wurde, Frau Seegrim sollte selbst Fräulein Western aufwarten und die Stelle für ihre älteste Tochter zu erhalten suchen, welche eine große Bereitwilligkeit bezeigte, sie anzunehmen. Aber das Glück, welches dieser kleinen Familie gar nicht günstig schien, schob nochmals einen Riegel vor ihre Beförderung.

Zehntes Kapitel
[154] Zehntes Kapitel.

Herr Schickelmann, der Pastor loci, erzählt eine Geschichte. Junker Westerns Scharfsinnigkeit. Seine große Liebe zu seiner Tochter und in was Maßen sie solche erwidert.


Den nächsten Morgen ritt Tom Jones mit Junker Western auf die Jagd, und ward, als sie wieder nach Hause kamen, von diesem Herrn zum Mittagessen gebeten.

Die liebenswürdige Sophie strahlte diesen Tag mit mehr Munterkeit und Witz hervor als gewöhnlich. Ihre Batterie war ganz gewiß auf unsern Helden gerichtet; wiewohl ich glaube, daß sie sich ihrer Absicht kaum selbst bewußt war; wenn sie aber jemals willens war ihn zu bezaubern, so glückte es ihr heute.

Herr Schickelmann, der Prediger an Herrn Allwerths Pfarrkirche, war mit von der Gesellschaft. Es war ein gutmütiger, würdiger Mann; besonders aber war er merkwürdig wegen seines tiefen Stillschweigens bei Tische, ob ihm dabei gleich niemals der Mund stillstand. Kurz, er hatte den herrlichsten Appetit von der Welt. Indessen ward der Nachtisch nicht so bald abgenommen, als er allemal sein Stillschweigen wieder reichlich gut machte; denn er war ein sehr herziger Gesell, und sein Gespräch war oft unterhaltend, niemals beleidigend.

Bei seiner Ankunft, welche gerade zutraf, da man den Rindsbraten aufsetzte, hatte er zu verstehen gegeben, daß er eine Neuigkeit mitbrächte, und war im Begriff zu erzählen, daß er eben von Herrn Alwerths Hause herkäme, als der Anblick des Rindsbratens ihn verstummen ließ und ihm bloß erlaubte das Tischgebet zu sprechen, und zu erklären, er müsse dem Herrn Baron (denn so nannte er das Lendenstück) seine Ehrfurcht bezeigen.

Als die Mahlzeit zu Ende ging und er von Fräulein Sophie an seine Neuigkeit erinnert ward, hub er folgendergestalt an: »Ich glaube, gnädiges Fräulein, Ihro Gnaden haben gestern, beim Gottesdienst in der Kirche, eine junge Dirne bemerkt, welche in einen Teil von Ihrem ausländischen Flitterstaat gekleidet war; ich meine, ich hätte Ihro Gnaden wohl ehedem in so einem gesehen, indessen sind solche Kleidungen auf dem Lande


rara avis in terris, nigroque simillima cygno;

das heißt, mein gnädiges Fräulein, so viel, als:

Ein seltner Vogel auf unsrer Erde, und sehr ähnlich einem schwarzen Schwane.


Der Vers steht im Juvenal; aber, wieder auf das zu kommen, [155] was ich erzählen wollte. Ich wollte sagen, solcher Putzstaat ist auf dem Lande ein seltsamer Anblick, und vielleicht hielt man ihn wegen der Person, die ihn trug, noch für um so seltsamer; denn es ist, wie man mir sagte, die Tochter des schwarzen Jakob, des gnädigen Herrn Junkers Wildmeister, den, nach meiner Meinung, sein Kreuz und Leiden mehr gewitzigt haben sollte, als seine Dirnen so üppiglich herauszukleiden. Das Ding machte eine solche Verwirrung in der Versammlung meiner Gemeinde, daß der ganze Gottesdienst dadurch würde gestört worden sein, wenn nicht noch Herr Alwerth die Ruhe wieder hergestellt hätte; denn ich hätte fast mitten in der ersten Abteilung meiner Predigt gestockt. Unterdessen, nichts destoweniger, nachdem ich meine Amtsverrichtung geendigt und ich die Kirche verlassen hatte, um nach Hause zu gehen, veranlaßte es eine Schlägerei, wobei, unter andern Freveln, einem reisenden Musikanten der Kopf arg zerschlagen wurde. Diesen Morgen kam der Musikant zu meinem Herrn Kirchenpatron von Alwerth und verklagte die Dirne, welche den Augenblick darauf vor Gericht geholt wurde. Als sie kam, siehe da! so zeigte sich's auf einmal, daß die Dirne (ich bitte Ihro Gnaden ergebenst um Verzeihung) so gleichsam, mit Respekt zu sagen, eben auf dem Sprunge stände, ein Hurenkind auf die Welt zu setzen. Mein Herr Kirchenpatron fragte sie, als Richter, nach dem Namen des Vaters; sie war aber so halsstarrig, daß sie gar nicht antworten wollte, so daß, als ich wegging, Herr von Alwerth darüber her war, ihr einen Reisepaß nach dem Spinnhause zu schreiben.«

»Und ist denn 'ne Dirne, die 'n Hurenkind haben soll, Ihre ganze Neuigkeit, Magister?« rief Western; »ich dachte, 's wäre was von Krieg und Frieden gewest, oder was vom Zustand der Nation.«

»Ich besorge leider freilich wohl,« antwortete der Pfarrer, »daß es etwas sehr Alltägliches ist, doch dachte ich, die ganze Geschichte zusammengenommen wäre wohl erzählenswert. Denn den Zustand der Nation verstehen der gnädige Herr Junker besser als ich, denn ich habe mich nur um den Seelenzustand meiner Pfarrkinder zu bekümmern.«

»Nun, ja wohl,« sagte der Junker, »'ch sollt's glauben, ich verstünde mich 'n bischgen drauf, wie Sie sagen; aber, komm Tömgen, schenk' ein, und laß den Wein nicht verrauchen, 's ist an dich, 'ne Gesundheit auszubringen.«

Tom bat, er möcht' ihn entschuldigen, weil er noch dringende Geschäfte habe; damit stand er vom Stuhle auf, entwischte den Klauen des Junkers, welcher aufstehen und ihn zurückhalten wollte, und ging ohne weitern Abschied zu nehmen davon.

Der Junker schickte ihm einen derben Fluch nach auf die Reise; [156] drauf wandte er sich wieder an den Pfarrer und schrie heraus: »Ich rieche was, ich rieche was! Tom ist gewiß der Vater zum Bastard. Der Hagel, Magister, wissen's noch, wie er'n Vater gegen mich herausstrich und lobte, daß 'chn nehmen sollte. Hol'n der Satan! was das für'n listiger Dachs ist! Ja, ja, Tom ist der Vater zum Bastard, oder 'ch laß m'r mein'n Fuchs vernageln.«

»Das sollte mir vom Herzen leid thun,« sagte Pastor Schickelmann. »Was leid thun,« schrie der Junker, »warum? was wär' nun so Greuliches dabei? was! ich glaub', der Herr Magister will m'r weiß machen, er habe nie'n Bastard in die Welt gesetzt. Hagel! ich halt'n für 'n viel wackrern Kumpan: mein'n Hals setz' 'ch drauf, er hat manchen Wackern in der Welt 'rumlaufen, und wer will dar was von?«

»Der gnädige Herr Junker belieben zu spaßen,« antwortete der Pfarrer; »aber ich wollte nicht sowohl von der Sündlichkeit der That sprechen, ob die gleich auch in Betracht zu ziehen ist, sondern ich fürchte, seine Vergehungen können ihm beim Herrn Alwerth großen Schaden thun. Und, gewiß, ich muß es sagen, ob man ihn gleich für ein wenig zu wild hält, so hab' ich doch nichts Böses an ihm wahrgenommen, und auch andre haben mir nichts dergleichen von ihm gesagt, ausgenommen, was ich da eben vom gnädigen Herrn Junker vernehme. Ich möchte freilich wünschen, er käme ein wenig ordentlicher zum Katechismusexamen in die Kirche; sonst aber, überhaupt, scheint er


Ingenui vultus puer ingenuique pudoris.


Das ist ein lateinischer Vers, mein gnädiges Fräulein, und will in unsrer Muttersprache so viel sagen als:


Ein Jüngling von angenehmer Gestalt und von angenehmer Bescheidenheit.


Denn dies war bei den Lateinern und Griechen eine sehr hochgeschätzte Tugend; und ich muß sagen, der junge Herr (denn so mag ich ihn, ungeachtet seiner Geburt, wohl nennen) scheint mir ein sehr bescheidner, heiklicher Jüngling, und es sollte mir sehr leid thun, wenn er sich in des Herrn von Alwerths guter Meinung herabsetzte.«

»Puh!« sagte der Junker, »herabsetzen in Alwerths Meinung! nu, nu! Alwerth haßt die Dirnen auch nicht. Weiß denn die ganze Nachbarschaft nicht, wessen Sohn Tom ist? 'm andern muß der Herr so was sagen: ich kenn' Alwerth noch von Universitäten her! –«

»Ich dachte,« sagte Herr Schickelmann, »er hätte keine Universität besucht.«

[157] »Doch, doch, das hat er!« sagte der Junker. »Und manche hübsche Nymphe haben wir zusammen gehabt! 'S war 'n solcher Nimrod auf die Menscher, als man nur weit und breit ein'n finden konnte. Nah, näh! bei ihme wird 'n das nicht schaden, da sein Sie nur ruhig d'vor, auch bei niemand sonst, da fragen Sie nur Sophien – nicht wahr, du bist kein'm jungen Kerl drum böse, wenn 'r 'n mal extra Vater wird; bist du wohl, Kind? Nah, näh! die Weibsen mögen sie drum nur desto lieber leid'n.«

Dies war für die arme Sophie eine grausame Frage. Sie hatte bemerkt, daß Tom bei der Erzählung des Pfarrers sich entfärbt hatte, und dies, zusammengenommen mit seinem plötzlichen und übereilten Aufbruch, gaben ihr hinlängliche Ursache, zu glauben, ihres Vaters Argwohn sei nicht ohne Grund. Ihr Herz entdeckte ihr nun auf einmal das große Geheimnis, das es ihr, seit so langer Zeit schon, nur nach und nach entwickelt hatte; und sie fand, daß sie an der Sache sehr großen Teil nähme. In solch einer Lage brachte ihres Vaters plumpe Frage, womit er sie gleichsam plötzlich überfiel, einige Erscheinungen auf ihren Wangen hervor, welche ein zum Verdacht geneigtes Herz beunruhigen können. Aber das war, um gegen den Junker gerecht zu sein, sein Fehler gar nicht. Als sie demnach von ihrem Stuhl aufstand und zu ihm sagte, ein Wink von ihm wäre genug, um sie nach ihrem Zimmer zu schicken: so widersetzte er sich ihrem Weggehen nicht und sagte darauf mit sehr ernsthaftem Gesicht, es wäre besser eine Tochter zu haben, die gar zu bescheiden, als eine die gar zu dreist wäre. Eine Meinung, welcher der Pastor seinen vollen Beifall gab.

Nun erfolgte zwischen dem Junker und dem Pfarrer ein gar vortrefflicher politischer Diskurs, der aus Zeitungen und Journalen zusammengestoppelt wurde, während welchem sie ein doppeltes Paar Flaschen auf die Wohlfart des Landes ausstachen; und als drauf der Junker in seinen festen Schlaf versunken war, zündete Herr Schickelmann seine Pfeife an, stieg auf sein Pferd und ritt heim.

Als der Junker seinen halbstündigen Nachmittagsschlaf vollbracht hatte, verlangte er seine Tochter vor ihrem Klavier; allein sie bat, er möchte sie diesen Abend wegen heftiger Kopfschmerzen entschuldigen. Diese Nachsicht ward augenblicklich bewilligt: denn in der That hatte sie selten Gelegenheit, ihn zweimal um etwas zu bitten; weil er sie mit solch einer Inbrunst liebte, daß er gewöhnlich sich selbst den größesten Gefallen erzeigte, wenn er ihr in irgend etwas zu Willen sein konnte. Sie war wirklich, wie er sie oft nannte, sein kleines Herzblatt, und sie verdiente es auch zu sein; denn sie erwiderte ihm alle seine Liebe mit aufgehäuftem Maß. Sie hatte ihm in allen Dingen den unverbrüchlichsten Gehorsam [158] geleistet, und dies machte ihr ihre Liebe nicht bloß leicht, sondern so angenehm, daß Sophie einer von ihren Gespielinnen, welche einstmalen darüber lachte, daß sie sich ein solches Verdienst aus ihrem gewissenhaften Gehorsam mache (so beliebte es dies junge Frauenzimmer zu nennen), antwortete: »Sie irren sich, liebe Freundin, wenn Sie meinen daß ich mir daraus ein Verdienst mache; denn, außerdem daß ich bloß meine Pflicht erfülle, thue ich mir selbst den größten Gefallen. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich kein Vergnügen habe, welches dem gliche, wenn ich zu meines Vaters Glückseligkeit etwas beitragen kann; und wenn ich mir aus etwas ein Verdienst mache, so ist es, daß ich dies Vermögen besitze, und nicht, daß ich es anwende.«

Dies war übrigens ein Vergnügen, welches, diesen Abend zu genießen, die arme Sophie unfähig war. Sie bat also nicht nur um Entschuldigung, daß sie diesen Abend nicht am Klavier aufwarten könne, sondern ersuchte gleichfalls um die Erlaubnis, nicht beim Nachtessen erscheinen zu dürfen. Auch diese Erlaubnis bewilligte ihr der Vater, obgleich nicht ohne einigen Widerwillen; denn er ließ sie gar ungern aus dem Gesicht, ausgenommen, wenn er mit seinen Pferden, seinen Hunden oder seinen Weinflaschen zu thun hatte. Gleichwohl fügte er sich dem Bitten seiner Tochter, ungeachtet der arme Mann zu gleicher Zeit sich in der Notwendigkeit sah, um seine eigne Gesellschaft zu vermeiden (wenn ich mich so ausdrücken darf), zu ein paar benachbarten Pächtern zu schicken, um den Abend mit ihnen hinzubringen.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Wie Molly noch mit genauer Not dem Spinnhause entwischte, nebst einigen Beobachtungen, welche zu machen wir gezwungen gewesen, sehr tief in die menschliche Natur hineinzugehen.


Tom Jones hatte den Morgen auf der Jagd eins von Junker Westerns Pferden geritten, so daß er, weil er kein eignes zur Hand hatte, sich genötigt sah, zu Fuß nach Hause zu gehen. Dies bewerkstelligte er mit solcher Eile, daß er über zwei Drittel von einer guten deutschen Meile in einer halben Stunde lief.

Eben als er am äußersten Thorweg von Herrn Alwerths Landsitze ankam, begegnete er dem Gerichtsvogt mit seinem Geleite, welche seine Molly in Gewahrsam hatten und mit ihr nach dem Hause zu wandelten, in welchem die niedrigere Klasse von Menschen [159] wenigstens eine gute Lektion lernen kann, nämlich: Respekt und Gehorsam gegen ihre Obern; indem es ihnen den weiten Unterschied zeigen muß, welchen das Glück unter solchen Personen, welche wegen ihrer Fehler gezüchtigt und welche nicht gezüchtigt werden sollen, zu machen beliebt hat; wofern sie diese besagte Lektion nicht lernen, so besorge ich, werden sie sehr selten eine andre lernen, oder in einem dergleichen Zuchthause ihre Sitten bessern.

Ein behender Jurist mag vielleicht denken, Herr Alwerth habe bei dieser Gelegenheit seine Autorität ein wenig überschritten. Und, die Wahrheit zu sagen, bin ich selbst ungewiß, da hier keine förmliche Klage eingebracht worden, ob sein Verfahren so ganz in der Ordnung war. Dennoch, da seine Absicht wirklich gut gemeint war, muß man ihn in foro conscientiae entschuldigen, weil tagtäglich so manche obrigkeitliche Personen nach eignem Gutdünken verfahren, welche diese Entschuldigung keineswegs für sich anführen können.

Tom hatte nicht sobald vom Gerichtsvogt Nachricht erhalten, wohin er seinen Weg nähme (in der That war er von selbst schon auf die ziemlich richtige Mutmaßung verfallen), als er die Molly in seine Arme faßte und solche vor aller Augen sehr zärtlich an seine Brust drückte, wobei er schwur: er wolle den ersten besten ermorden, der sich unterstehen wollte sie anzurühren. Er sagte ihr, sie solle sich die Thränen abtrocknen und sich zufrieden geben, denn wohin sie auch ginge, wollte er mit ihr gehen. Drauf kehrte er sich zu dem Gerichtsvogt, welcher mit abgezognem Hute dastand und zitterte, und begehrte von ihm, mit gemilderter Stimme, er möchte nur auf einen Augenblick mit ihm nach seines Vaters Hause (so nannte er jetzt Herrn Alwerth) zurückkehren. Denn, sagte er, er könne sich drauf verlassen, sobald er dem würde gesagt haben, was er zu ihrem Besten vorzubringen hätte, so würde das Mädchen frei und ledig gesprochen worden.

Der Gerichtsvogt, der, wie ich nicht zweifle, seine Gefangene losgegeben hätte, wofern es Tom verlangt hätte, willigte sehr gern in dies Verlangen. Sonach gingen sie alle wieder zurück in Herrn Alwerths Richtsaal, woselbst ihm Tom zu bleiben befahl, bis er wieder käme, und dann selbst hinging, den guten Mann aufzusuchen. Sobald er ihn gefunden, warf sich ihm Tom zu Füßen, flehte um ein geduldiges Gehör, und bekannte sich selbst für den Vater des Kindes, mit welchem Molly schwanger war. Er flehte ihn an, Mitleiden mit der armen Dirne zu haben und in Betrachtung zu ziehen, daß, wenn ja ein Verbrechen dabei wäre, solches hauptsächlich vor seine Thüre zu legen sei.

»Ein Verbrechen dabei wäre?« antwortete Alwerth mit ziemlicher [160] Wärme. »Bist du denn also ein so verhärteter, so verlassner Wollüstling, daß du zweifeln kannst, ob bei Uebertretung göttlicher und menschlicher Gesetze, bei Verführung und Verderbung eines armen Mädchens ein Verbrechen vorhanden sei oder nicht? Ich gestehe freilich, daß es hauptsächlich auf dir liegt; und ein so schweres ist es, daß du fürchten solltest, es werde dich gänzlich zu Boden drücken.«

»Was ich auch dafür werde leiden müssen,« sagte Tom, »lassen Sie mich nur mit meiner Fürbitte für das arme Mädchen glücklich sein. Ich bekenne, daß ich sie verführt habe; aber ob sie völlig ins Verderben geraten soll, das steht bei Ihnen. Ums Himmels willen, gütigster Herr Vater, nehmen Sie den Verhaftsbefehl zurück und senden Sie sie nicht an einen Ort, der ihren unvermeidlichen Untergang zur Folge haben muß!«

Alwerth befahl ihm, sogleich einen Bedienten zu rufen. Tom antwortete, es würde nicht nötig sein, weil er den Leuten zu gutem Glück am Thorwege begegnet sei und sie voll Vertrauen auf seine Güte wieder mit zurück ins Haus genommen habe, wo sie nun im großen Saale seinen endgültigen Entschluß erwarteten, und welchen, wie er nochmals auf seinen Knieen bäte, er zu Gunsten des armen Mädchens fassen möchte: daß sie doch nach Hause zu ihren Eltern gehen und nicht noch mehr Schimpf und Spott aushalten dürfe, der sonst notwendigerweise auf sie fallen müßte. »Ich weiß wohl,« sagte er, »es ist zu viel. Ich weiß, daß ich der gottlose Urheber bin. Ich will streben, womöglich es wieder gutzumachen; und wenn Sie nach diesem die Güte haben werden, mir zu verzeihen, so hoffe ich es zu verdienen.«

Alwerth besann sich ein wenig und sagte endlich: »Wohl, ich will den Verhaftsbefehl zurücknehmen. Du kannst mir den Gerichtsvogt heraufschicken.« Er ward augenblicklich gerufen, entlassen, und das Mädchen gleichfalls.

Man wird nicht glauben, daß Herr Alwerth ermangelt habe, dem Tom bei dieser Gelegenheit eine scharfe Bußpredigt zu halten; allein es ist unnötig solche hier einzuschalten, da wir getreulich nachgeschrieben haben, was er zur Hanne Jones im ersten Buche sagte, wovon das meiste ebenso gut für Mannspersonen paßt, als für Frauenzimmer. Eine so tiefe Wirkung that diese Ermahnung auf den jungen Menschen, der kein verstockter Sünder war, daß er sich auf seinem Zimmer verschloß, wo er den Abend allein und in sehr melancholischen Betrachtungen hinbrachte.

Alwerth nahm dem Jones diese Uebertretung sehr übel; denn, ungeachtet der Behauptung des Herrn Western, ist es doch nicht weniger gewiß, daß dieser würdige Mann sich in seinem Leben kein [161] verbotenes Vergnügen mit dem andern Geschlechte erlaubt hatte und an andern das Laster der Unenthaltsamkeit ernsthaft tadelte. In der That hat man Ursache zu glauben, daß an allem, was Junker Western behauptete, kein wahres Wort gewesen; um so mehr, da er den Schauplatz solcher Unsauberkeiten nach einer Universität verlegte, woselbst Herr Alwerth niemals gewesen war. Es erhellt klar, daß der ehrliche Junker nur zu geneigt war, sich diese Art von Scherzen zu erlauben, die man dort gemeiniglich Renommisten-Jux nennt, die man aber mit aller Schicklichkeit durch ein viel kürzeres Wort ausdrücken könnte, und vielleicht schieben wir diesem kleinen zweisilbigen Worte deswegen ein anderes unter, weil wir demjenigen, was in der Welt so häufig für Witz und Spaß durchgeht, nach der strengsten Sprachrichtigkeit diese kurze Benennung geben müßten, welche ich hier, in Gemäßheit der überhöflichen Gesetze eingeführter Lebensart, unterdrücke.

Allein, welchen Abscheu auch Herr Alwerth vor diesem oder jedem andern Laster hegte, so ward er dadurch doch nicht so sehr geblendet, daß er nicht an der schuldigen Person auch jede Tugend ebenso klar und deutlich hätte wahrnehmen können, als ob in demselben Charakter gar keine Mischung von Lastern stattgefunden. Derweil er also über Jones' Unenthaltsamkeit zürnte, war er nicht weniger zufrieden mit der redlichen Offenherzigkeit seiner Selbstanklage. Er begann nun in seinem Gemüte von diesem Jünglinge eben die Meinung zu fassen, welche, wie wir hoffen, der Leser von ihm gefaßt haben wird. Und indem er seine Fehler und seine Vollkommenheiten gegen einander auf die Wagschale legte, schienen die letzten das Uebergewicht zu behalten.

Es war also vergebens, daß Ehren-Schwöger, welchem Neffe Blifil die Geschichte brüheheiß zugetragen hatte, allem seinem Groll gegen Tom den Zügel schießen ließ. Alwerth hörte diese Schmähungen ganz gelassen an und antwortete hernach mit kaltem Blute, daß junge Leute von Toms Temperament zu gewöhnlich diesem Laster ergeben wären; er glaube aber, dieser Jüngling wäre aufrichtig von demjenigen gerührt, was er ihm bei dieser Gelegenheit gesagt hätte, und er hoffe, er würde keine neue Uebertretung der Art begehen. Sonach, da die Tage des Schulzepters zu Ende gegangen waren, konnte der Herr Informator seiner Galle keinen andern Ausweg schaffen als durch seinen eigenen Mund; der gewöhnliche und armselige Behelf ohnmächtiger Rache.

Quadrat hingegen war ein weniger heftiger aber auch ein weit schlauerer Mann; und weil er unsern Tom ärger haßte als vielleicht Schwöger selbst, so wußte er es so anzulegen, daß er ihm in Alwerths Gemüt auch mehr Schaden that.

[162] Der Leser muß sich der verschiedenen kleinen Vorfälle mit dem Feldhuhn, dem Pferde und der Bibel erinnern, welche im zweiten Buche erzählt sind; durch welche alle Jones die Gewogenheit, die Herr Alwerth gegen ihn zu unterhalten geneigt war, mehr vergrößert als vermindert hatte. Ebendasselbe müßte ihm, nach meiner Meinung, mit jedem andern Menschen begegnet sein, der nur einigen Begriff von Freundschaft, Großmut und Seelenstärke hatte; das heißt, der einige Spuren von Menschengefühl in seiner eignen Brust fand.

Quadrat kannte nun zwar selbst wohl die wahren Eindrücke, welche diese verschiedenen Beweise von Herzensgüte auf die edle Seele des Herrn Alwerth gemacht hatten; denn der Philosoph wußte recht gut, was Tugend sei, ob er gleich nicht allemal gar zu standhaft in ihrer Ausübung sein mochte. Herrn Schwöger aber kamen (aus was für Gründen? mag ich nicht entscheiden) dergleichen Gedanken niemals in den Kopf. Er betrachtete den Tom in einem nachteiligen Lichte und nach seiner Einbildung that das Herr Alwerth ebenfalls; nur meinte er von dem, er wolle aus Stolz oder verkehrtem Eigensinn einen jungen Menschen nicht aufgeben, den er ehedem geliebt hätte, weil er hierdurch sonst stillschweigend bekennen müßte, daß er sich in seiner vorigen Meinung geirrt habe.

Quadrat ergriff demnach diese Veranlassung, dem Jones an seiner zartesten Seite eins zu versetzen, indem er allen vorbesagten Begebenheiten eine sehr böse Wendung gab. »Es thut mir leid, Herr Alwerth,« sagte er, »gestehn zu müssen, daß ich mich ebensogut habe hintergehen lassen als Sie selbst. Ich konnte nicht umhin, ich bekenne es, über etwas meine Freude zu haben, das ich auf Rechnung der Freundschaft schrieb, ob es gleich bis zum Uebermaß getrieben ward und alles Uebermaß schädlich und fehlerhaft ist; doch dies schob ich auf die Jugend. Wie konnt' ich argwöhnen, daß das Opfer der Wahrheit, wovon wir beide meinten, er habe es der Freundschaft gebracht, in der That nichts andres wäre, als eine schändliche Entheiligung derselben zum Dienst seiner tierischen und liederlichen Gelüste? Sie sehen nun deutlich, woher alle die anscheinende Großmut dieses jungen Menschen gegen die Familie des Wildmeisters entstand. Er unterstützte den Vater, um die Tochter verführen zu können, und bewahrte die Familie vor Hungersnot, um eine davon in Schande und Elend zu stürzen. Das sei mir eine Freundschaft! das sei mir eine Großmut! Wie Richard Steele sagt: Freßkehlen, welche große Summen hingeben für Leckerbissen, verdienen ebensogut großmütig genannt zu werden. Kurz, von diesem Augenblicke an bin ich entschlossen, der Schwäche meiner menschlichen Natur nichts mehr einzuräumen oder hinfüro etwas [163] andres für Tugend zu halten, als was sich ganz genau unter die untrügliche Regel des Rechts bringen läßt.«

Herrn Alwerths Gutherzigkeit hatte es verhindert, daß ihm selbst diese Betrachtungen eingefallen waren. Indessen waren sie zu wahrscheinlich, um sie ganz und eilig zu verwerfen, da sie ihm von einem andern vor die Augen gelegt wurden. In der That senkte sich das, was Quadrat gesagt hatte, sehr tief in sein Gemüt, und die unruhigen Bewegungen, welche es darin anrichtete, waren dem andern sehr sichtbar; ob dies gleich der edle Mann nicht eingestehen wollte, sondern vielmehr eine unbedeutende Antwort darauf gab und gezwungenerweise das Gespräch auf eine andre Materie lenkte. Es war vielleicht ein Glück für Tom, daß dergleichen Einbläsereien nicht eher angebracht worden waren, bevor er seine Verzeihung erhalten hatte; denn sie pflanzten gewiß die ersten nachteiligen Eindrücke gegen Jones in Alwerths Gemüt.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Enthält viel deutlichere Materien, die aber mit denen im vorigen Kapitel aus einer Quelle fließen.


Dem Leser wird es angenehm sein, glaube ich, mit mir zu Fräulein Sophie zurückzukehren. Sie brachte die Nacht, nachdem wir sie zuletzt gesehen, gar nicht angenehm hin. Der Schlaf erwies ihr wenig Freundschaft, und die Träume noch weniger. Des Morgens, als Honoria, ihre Kammerjungfer, zur gewohnten Stunde hereintrat, fand sie ihre Dame schon aufgestanden und angekleidet.

Leute, welche auf dem Lande in einer Entfernung von etlichen Meilen Feldweges zerstreut wohnen, sind als Nachbarn, Wand an Wand, zu betrachten, und die Begebenheiten eines Hauses fliegen mit unglaublicher Schnelligkeit zum andern. Jungfer Honoria hatte also die ganze Geschichte von Mollys Schimpf und Schande erfahren; welche sie, sobald sie nur einen Fuß in ihres Fräuleins Zimmer gesetzt hatte (denn ihre Zunge war gar redselig), folgendermaßen zu erzählen begann:

»Ha! Frölen, was denkt 'R Gnad'n! das Mäd'l, das 'R Gnad'n letzt Sonntags inn'r Kirch sah'n, und vor so hipsch hielt'n; obschons Sie sie auch nicht vor so hipsch möcht'n gehalt'n hab'n, wenn Sie sie näher geseh'n hätt'n. Aber, bei mein'r Ehr! sie hab'n sie für'n Richter geholt, daß sie 'n Kind hab'n soll. Mir [164] schien sie auszuseh'n, wie ein dummdreist Nickel; und mein'r Ehr! sie hat auf'n jungen Herrn Jon's ausgesagt. Und's ganze Kirchspiel sagt, Herr Alwerth ist so böse mit dem jungen Herrn Jon's, daß er'n nicht vor Augen seh'n mag. Mein'r Ehr! der junge Herr ist zu bedauern; und doch verdient 'r auch's Bedauern eben nicht, daß er sich so mit 'n Mistfinken abgeb'n konnte. Und doch ist's so'n hipscher jung'r Mensch, daß es ein'n leid thun sollt', wenn er weggejagt würde. Ich will wohl 'n entsetzlich'n Eid d'rauf thun, daß 's Mensch ebenso allart dazu gewest ist, als er; denn sie ist ihr Lebszeit ein dreist naseweise Pelmke gewest. Und wenn die Menscher so vorwill'g sind, so sind die jungen Mannsen doch auch so tad'lich eben nicht; denn, mein'r Ehr! thun sie doch nichts, als was natürlich ist. Schämen sollt'n sie sich freilich, daß sie sich mit solch'n schmutz'gen Lumpenpack gemein machen, und 's geschicht ihn'n ganz recht, wenn 's ihn'n so darnach geht. Und doch hat die Bagasche von Menschern immer die meiste Schuld. Ich wollt' mit Grund des Herzens wünschen, daß sie alle, so recht dapfer, am Pranger gestäupt würden; denn 's ist große Sünd' und Schande, daß sie so'n fein'n jung'n Mensch'n in Kreuz und Leiden bringen soll'n; und das kann doch, mein'r Ehr! niemand ableugn'n, daß Herr Jons einer d'r scharmant'sten jungen Mannsen ist, die einer nur jemals –«

Sie ließ die Klappermühle lustig fortlaufen, als Sophie, mit einer unmutigern Stimme, als sie jemals hatte hören lassen, ihr zurief: »Laß Sie es doch endlich einmal genug sein, mit all' dem Geträtsche! Ich denke, eine ist so gut wie die andre! Und es scheint mir, als ob Sie sich darüber ärgerte, daß das Glück nicht Ihr so gut gewollt hat.« »Mir, Frölen! Mir!« antwortete Jungfer Honoria. »Das sollte mir nahe geh'n, wenn 'R Gnad'n so 'ne Meinung von mir hätten. Bei mein'r Ehr! so was kann mir kein' Christenseele nachsag'n. Meinthalben könn'n alle hipsche junge Kerls in der Welt zum gläunigen Satan fahren; meinthalben! Weil ich sag', 's ist ein hipscher junger Mann! hm! Alle Leute sag'n 's ebensogut als ich. – Mein'r Ehr! ich hätt' doch nicht gedacht, 's wäre so 'n große Sünde, zu sagen, daß 'n junger Mensch hipsch ist und artig; aber, ja! bei meiner Ehr! ich will's nun selbst nicht mehr glaub'n; denn hipsch ist, wer sich hipsch aufführt. Eine Bettel-Mieke! –«

»Laß es einmal gut sein, mit deinem Geschwätz,« rief Sophie, »und siehe zu, ob mein Vater mich beim Frühstück zu sehen verlangt.«

Jungfer Honoria flog dann zum Zimmer hinaus und murmelte zwischen den Zähnen, – von welchem Gemurmel: »Seht doch! ich [165] dächt; was mir bisse! Je so geht und laßt 'r 'en Thee kochen!« alles war, was man noch so ziemlich deutlich vernehmen konnte.

Ob Jungfer Honoria den Verdacht wirklich verdiente, welchen ihre Herrschaft merken ließ, das können wir, so gern wir auch unsern Lesern zu gefallen leben, hier nicht auflösen. Dagegen wollen wir ihm zur Vergütung enthüllen, was in Sophiens Gemüt vorging.

Der Leser wird die Gefälligkeit haben, sich zu erinnern, daß sich eine geheime Neigung für Tom Jones unvermerkt in den Busen dieses jungen Frauenzimmers eingeschlichen hatte, und daß solche daselbst bis zu einer ziemlichen Höhe emporgewachsen war, ehe sie es selbst gewahr geworden. Als sie ihre ersten Anzeichen bemerkte, war ihr Gefühl dabei so süß und behaglich, daß sie nicht Entschlossenheit genug hatte, diese Regung zu unterdrücken, oder auch nur zu mäßigen; und also fuhr sie fort, eine Leidenschaft zu unterhalten, davon sie die Folgen keineswegs in Ueberlegung zog.

Diese Begebenheit mit der Molly öffnete ihr zum erstenmale die Augen; sie ward hier zuerst die Schwachheit gewahr, die sie sich hatte zu schulden kommen lassen; und ob es ihr gleich den größten Aufruhr im Gemüt anrichtete, so war doch die Wirkung davon, wie von andern widerstehenden Arzneien, und vertrieb solche auf einige Zeit die Unpäßlichkeit. Die Wirkung war in der That außerordentlich schnell, und in der kurzen Zwischenzeit, daß ihre Jungfer abwesend war, hatte das Mittel alle Symptome so völlig vertrieben, daß, als Jungfer Honoria mit dem Verlangen ihres Vaters zurückkam, sie schon völlig ruhig war und eine gänzliche Gleichgültigkeit gegen Jones gefaßt hatte.

Die Krankheiten des Gemüts gleichen fast in allen Punkten den Krankheiten des Körpers. Aus dieser Ursache hoffen wir, wird es uns jene gelehrte Fakultät, für die wir eine so tiefe Ehrerbietung hegen, verzeihen, daß wir uns genötigt gesehen haben, eine unheilige Hand an verschiedne Worte und Redensarten zu legen, welche nach allen Rechten ihr Eigentum sind und ohne welche unsre Beschreibung oft hätte unverständlich bleiben müssen.

Nun ist aber kein Umstand, in welchem die Krankheit des Gemüts eine genauere Analogie mit jenen hat, welche man körperliche nennt, als diese Neigung, welche beide zum Rückfalle haben. Dieses ist sehr auffallend bei den Seuchen des Ehr- und Geldgeizes. Ich habe es erlebt, daß der Ehrgeiz, wann er bei Hofe durch manche niedergeschlagene Hoffnung (welches die einzigen Heilmittel dagegen sind) kuriert war, wieder bei einem Rangstreit auf Landtagen oder Landgerichten aufs neue zum Ausbruch gekommen ist, und habe von einem Manne gehört, welcher den Geldgeiz insoweit überwunden hatte, daß er einen halben Gulden wegschenken konnte, der [166] sich endlich auf seinem Sterbebette darüber freute, daß er mit dem Manne, der seine einzige Tochter zur Frau hatte, einen listigen und vorteilhaften Kontrakt über seine Beerdigungskosten erschlichen hatte.

Bei den Begebenheiten der Liebe, die wir wegen genauer Gemäßheit mit der stoischen Philosophie als eine Krankheit behandeln müssen, ist diese leichte Gefahr des Rückfalls nicht weniger sichtbar. So ging es auch der armen Sophie; bei welcher gleich das nächste Mal, da sie den jungen Jones sah, die vorigen Anzeichen wiederkehrten und von der Zeit an ihr Herz abwechselnd mit Hitze und Frost angriffen.

Die Umstände dieses jungen Frauenzimmers waren jetzt sehr verschieden von dem, was sie vorher gewesen waren. Dieselbe Leidenschaft, die ihr vordem so unaussprechlich behaglich gewesen, ward jetzt zum Skorpion in ihrer Brust. Sie widerstand ihr daher aus äußersten Kräften, und bot alle Gründe auf, die ihre Vernunft (die für ihr Alter bewunderungswürdig stark war) nur an die Hand geben konnte, um sie zu unterdrücken und aus ihrem Herzen zu verbannen. Hierin glückte es ihr insofern, als sie anfing, von Zeit und Entfernung eine vollkommne Genesung zu hoffen. Sie beschloß demnach, den Tom Jones so viel als möglich zu vermeiden; zu welchem Ende sie einen Vorsatz faßte, ihre Tante zu besuchen, wozu sie ihres Vaters Einwilligung zu erhalten nicht zweifelte.

Das Glück aber, welches andre Anschläge im Schilde führte, machte dadurch einen plötzlichen Strich durch alle ihre Rechnungen, daß es einen Zufall herbeiführte, welcher im nächsten Kapitel erzählt werden soll.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Sophien begegnet ein fürchterlicher Zufall. Tom Jones' wackeres Betragen und die fürchterlichen Folgen dieses Betragens für die junge Dame nebst einer kurzen Abschweifung zu Gunsten des schönen Geschlechts.


Junker Western ward von Tag zu Tag verliebter in seine Tochter, und es ging damit so weit, daß seine geliebten Hunde fast in den Fall kamen, ihr in seiner Freundschaft Platz zu machen; jedoch weil er's nicht über's Herz bringen konnte, diese zu verlassen, so erfand er den schlauen Kunstgriff, ihre Gesellschaft und die Gesellschaft seiner Tochter zu gleicher Zeit zu genießen, indem er in sie drang, sie solle mit ihm auf die Jagd reiten.

Sophie, der ein Wort von ihrem Vater ein Gesetz war, weigerte sich nicht lange, sein Begehren zu erfüllen, obgleich sie nicht das [167] geringste Vergnügen an einer Belustigung fand, die zu viel Rauhes und Mannhaftes mit sich führte, um sich mit ihrer Gemütsart zu reimen. Unterdessen hatte sie außer ihrem Gehorsam noch einen andern Beweggrund, den alten Herrn auf seinen Jagden zu begleiten; denn vermittelst ihrer Gegenwart hoffte sie seine Heftigkeit in etwas zurückzuhalten und ihn zu verhindern, daß er sich nicht so oft der äußersten Gefahr des Halsbrechens aussetzte.

Das Widrigste für sie dabei war das, was ehedem das Anlockendste gewesen sein würde; nämlich, die öftere Gelegenheit mit Jones zusammenzutreffen, den sie zu meiden beschlossen hatte; gleichwohl, da das Ende der Jagdzeit herannahte, so hoffte sie, durch eine kurze Abwesenheit bei ihrer Tante sich aus ihrer unglücklichen Leidenschaft völlig heraus zu vernünfteln, und zweifelte nicht, sie würde sich, wenn die Jagd das nächste Jahr wieder aufginge, im stande sehen, ihm ohne alle Gefahr im freien Felde begegnen zu können.

Am zweiten Tage ihres Jagens, als sie vom Zuge heimritt und bis auf eine kleine Entfernung von ihres Vaters Hause angelangt war, fing ihr Klepper, dessen Kraft und Mut einen bessern Reiter erfordert hätte, so zu kurbettieren und zu kapriolieren an, daß sie in höchster Gefahr stand, abgeworfen zu werden. Tom Jones, der in einiger Entfernung hinter ihr folgte, sah dies und galoppierte stracks hin, ihr beizustehn. Sobald er bei ihr war, sprang er von seinem Pferde und griff dem ihrigen in den Zügel. Das unbändige Tier bäumte sich in die Höhe und warf seine schöne Bürde vom Rücken, die Jones in seine Arme auffing.

Sie war so heftig erschrocken, daß sie nicht sogleich im stande war, dem Jones Bescheid zu geben, welcher sich sehr ängstlich erkundigte, ob sie auch Schaden genommen hätte. Sie faßte sich indessen bald wieder, versicherte ihm, ihr sei ganz wohl, und dankte ihm für die Sorgfalt, die er für sie getragen hätte. Jones antwortete: »Wenn ich Sie gerettet habe, gnädiges Fräulein, so bin ich reichlich belohnt; denn ich versichre Ihnen, ich hätte Sie aus der kleinsten Gefahr retten wollen, und hätte mir's ein weit größeres Unglück für mich selbst kosten sollen, als ich bei dieser Gelegenheit erlitten habe.«

»Was für ein Unglück!« fragte Sophie sehr lebhaft; »ich hoffe doch nicht, daß Sie Schaden genommen haben!«

»Sei'n Sie außer Sorgen, Fräulein,« antwortete Jones. »Dem Himmel sei Dank, daß Sie so gut davongekommen sind, nach der Gefahr, worin Sie schwebten. Daß ich meinen Arm gebrochen habe, ist eine Kleinigkeit in Vergleichung mit dem, was ich für Sie befürchtete.«

[168] Hier schrie Sophie laut auf: »Ihren Arm gebrochen? das wolle Gott nicht!«

»Ich denke doch, es ist so, mein Fräulein,« sagte Jones; »aber ich bitte, erlauben Sie mir nur, daß ich erst für Sie sorge. Ich habe eine rechte Hand zu Ihren Diensten, um Ihnen aufs nächste Feld zu helfen; von da haben wir nur noch einen ganz kleinen Weg bis zu Ihres Vaters Hause.«

Sophie, die seinen linken Arm schlaff an seiner Seite hängen sah, derweil er sich des andern bediente, um sie zu führen, zweifelte nicht länger an der Wahrheit. Sie ward nun viel bleicher, als die Furcht für ihre eigene Person sie vorher hatte färben können. Es überfiel sie ein solches Zittern an allen Gliedern, daß Jones sie kaum aufrecht erhalten konnte; und weil ihre Gedanken in ebenso heftiger Bewegung waren, so konnte sie sich nicht enthalten, dem Tom einen Blick so voll Zärtlichkeit zu geben, daß man daraus fast ein weit stärkeres Gefühl abnehmen sollte, als selbst Dankbarkeit, vereint mit Mitleiden, ohne Beihilfe einer dritten und mächtigern Leidenschaft, in der edelsten weiblichen Brust erwecken kann.

Herr Western, der eine Strecke vorausgeritten war, als sich dieser Zufall begab, war nun wieder umgekehrt, wie die übrigen Reiter alle. Sophie berichtete ihnen, was dem Tom begegnet, und bat sie, für ihn Sorge zu tragen. Western, den eine große Angst überfallen hatte, als er seiner Tochter Pferd ohne dessen Reiter vor sich vorbeisprengen gesehn und den nun die Freude überwältigte, daß er sie unbeschädigt wieder fand, rief jetzt aus: »Gut, gut, daß 's nicht ärger ist! Wenn Tom sein'n Arm abgebrochen hat, wollen wir schon einen Mann finden, der'n wieder anleimt.«

Der Junker stieg vom Pferde und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause mit seiner Tochter und mit Jones. Ein unbefangener Zuschauer, der ihnen auf dem Wege begegnet wäre und ihre verschiedenen Gesichtsmienen beobachtet hätte, würde geschlossen haben, Sophie allein sei der Gegenstand des Bedaurens: denn, was den Jones anbelangte, dem hüpfte das Herz vor Freuden, daß er wahrscheinlicherweise dem Fräulein das Leben erhalten und daß ihm solches nichts weiter gekostet hatte als einen Armbruch. Und Junker Western, obwohl ihm der Unfall, der dem Jones zugestoßen, nicht gleichgültig war, so hatte doch bei ihm die Freude über seine aller Gefahr entronnene Tochter ein großes Uebergewicht.

Sophiens großmütige Denkart legte dem Tom Jones dies sein Betragen als hohe Tapferkeit aus, und es machte einen tiefen Eindruck auf ihr Herz: denn gewiß ist es, daß es keine andre [169] Eigenschaft gibt, welche den Männern so durchgängig die Achtung des schönen Geschlechts erwirbt, und das liegt, wenn wir der gemeinen Meinung trauen dürfen, in der natürlichen Furchtsamkeit dieses Geschlechts, welche, wie Osborne sagt, so weit geht, daß ein Frauenzimmer das feigste unter allen Geschöpfen ist, die Gott jemals auf die Welt gesetzt hat. Ein Ausspruch, der mehr wegen des platten Ausdrucks als wegen seiner Wahrheit merkwürdig ist. Aristoteles läßt ihnen, glaub' ich, in seinen Abhandlungen über die Politik mehr Gerechtigkeit widerfahren, wenn er sagt: »Die Bescheidenheit und Seelenstärke des Mannes ist weit unterschieden von eben diesen Tugenden bei dem Weibe; denn eben der Mut, welcher ein Weib ziert, wäre für einen Mann nur Feigheit, und die Bescheidenheit, welche dem Manne wohl ansteht, würde bei einem Weibe Frechheit sein.« Vielleicht steckt auch nicht mehr Wahrheit in der Meinung derer, welche die Parteilichkeit, womit die Weiber den tapfern Männern anzuhängen pflegen, aus diesem Uebermaße ihrer Furchtsamkeit herleiten. Bayle (ich glaube im Artikel Helena) schreibt es, und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit, ihrer heftigen Liebe zum Heldenruhme zu. Eine Wahrheit, wofür wir die Autorität eines Dichters haben, der vor allen übrigen die tiefsten Blicke in die menschliche Natur gethan hat und welcher die Heldin der Odyssee das große Muster ehelicher Liebe und Treue so vorstellt, daß der Ruhm ihres Gemahls der einzige Quell ihrer Liebe für ihn gewesen sei.

Wie dem aber auch sei, so ist gewiß, daß die Begebenheit sehr stark auf Sophie wirkte; und in der That, nachdem ich mich nach der Sache genau erkundigt habe, bin ich geneigt zu glauben, daß eben zu derselbigen Zeit die reizende Sophie nicht weniger Eindruck auf das Herz unsres Helden machte; die Wahrheit zu sagen, er hatte schon vor einiger Zeit die unwiderstehliche Macht ihrer Zauberreize empfunden.

Vierzehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel.

Die Ankunft eines Wundarztes. Seine Operationen und ein langer Dialog zwischen Sophien und ihrer Jungfer.


Als man in Westerns Wohnsitze angelangt war, sank Sophie, welche mit Not und Mühe den Weg hergewankt war, in einen Lehnstuhl nieder; durch Beihilfe von Riechwassern ward sie aber vor einer Ohnmacht bewahrt, auch war sie schon ziemlich wieder zu Kräften gelangt, als der Wundarzt erschien, den man für[170] Jones hatte rufen lassen. Herr Western, der die Symptome an seiner Tochter ihrem Falle zuschrieb, riet ihr, sich alsobald eine Ader öffnen zu lassen. In dieser Meinung ward er von dem Wundarzte unterstützt, der so viele Gründe fürs Aderlassen anführte und so manchen Kasum hererzählte, wo es den Leuten übel ergangen, die es versäumten, daß der Junker sehr dringend ward und wirklich, einmal für allemal, darauf bestand, seine Tochter solle Blut lassen.

Sophie gab bald den Befehlen ihres Vaters nach, obgleich ganz und gar wider ihre eigne Neigung: denn sie besorgte, wie ich glaube, weit weniger Gefahr von ihrem Schrecken, als beide, der Vater und der Wundarzt. Sie hielt also ihren schönen weißen Arm hin und der Operateur schickte sich an zum Werke.

Unterdessen, daß die Bedienten die erforderlichen Gerätschaften herbeiholten, begann der Chirurgus, welcher Sophiens bezeigten Widerwillen ihrer Furcht zuschrieb, sie mit Versicherungen zu trösten, daß nicht die geringste Gefahr dabei sei; denn, sagte er, beim Aderlassen könne niemals das geringste Unglück geschehen, es sei denn durch die abscheuliche Unwissenheit elender Pfuscher in der Chirurgie, welches, wie er so ziemlich deutlich zu verstehen gab, hier gar nicht der Fall sei. Sophie versicherte, ihr sei gar nicht ängstlich dabei, und fügte hinzu: »Wenn Sie auch eine Arterie träfen, so versprech' ich, daß ich's Ihnen verzeihen will.« – »Willst du!« rief Western. »Ein Schurke bin ich, wenn ich will!« – »Wenn er dir's geringste Unheil macht, ein Schelm will 'ch sein, wenn 'ch 'n nicht en Aderlaß in sein Herz hinein mache!« Der Wundarzt willigte ein, ihr auf diese Bedingung die Ader zu öffnen, und schritt darauf zur Operation, die er mit all der Geschicklichkeit verrichtete, die er verheißen hatte, und auch mit großer Geschwindigkeit, denn er nahm ihr nur sehr wenig Blut, weil es, wie er sagte, besser wäre, lieber öfters zu lassen, als auf einmal zu viel Blut wegzunehmen.

Sophie begab sich auf ihr Zimmer, sobald ihr Arm verbunden war, denn sie war nicht gesonnen, (auch war's vielleicht nicht so ganz wohlanständig) bei der Operation an Jones gegenwärtig zu sein.

In der That war eine von den Ursachen, warum sie dem Aderlaß hatte ausweichen wollen, (ob sie sie gleich nicht sagte) die Verzögerung gewesen, die der Verband von Jones' Armbruch darüber leiden würde. Denn Western hatte, wenn Sophie im Spiele war, eine andre Gedanken als an sie; und was Jones selbst anbelangt, so saß er da »wie die Gelassenheit, welche auf einem Monumente dem Grame zulächelt«. In Wahrheit, als er das Blut [171] aus dem lieblichen Arme der Sophie springen sah, dachte er kaum an das, was ihm selbst begegnet war.

Der Wundarzt befahl nun, seinen Patienten bis aufs Hemde zu entkleiden, und nachdem er selbst den Arm völlig entblößt hatte, fing er an, ihn dergestalt zu recken und zu visitieren, daß der Schmerz davon den Jones einigemal saure Gesichter ziehen ließ, worüber der Chirurgus, der das wahrnahm, sich höchlich wunderte und schrie: »Was haben denn der Herr? Ich weiß doch gewiß, es ist ganz unmöglich, daß ich Leids thun kann.« Dann hielt er den gebrochenen Arm gegen die Versammlung und dabei eine lange und sehr gelehrte anatomische Vorlesung, worin er die einfachen und doppelten Knochenbrüche, wie auch die mancherlei Arten auseinandersetzte, auf welche Jones seinen Arm hätte brechen können, mit den erforderlichen Noten, zu beweisen, welche besser und welche schlimmer gewesen sein würden als der vorliegende Kasus.

Nachdem er endlich seine ausgearbeitete Rede zu Ende gebracht hatte, wovon das Auditorium, ob solche gleich dessen Aufmerksamkeit und Bewunderung erregt hatte, doch vielleicht deswegen nicht sonderlich erbaut war, weil es von allem, was der Redner gesagt, wirklich nicht eine einzige Silbe verstanden hatte: so schritt er zu seinem Geschäft, welches er dann auch geschwinder zu Ende brachte, als er geschwind gewesen war es anzufangen.

Jones wurde darauf angewiesen, zu Bette zu gehen, welches ihn Western nötigte in seinem Hause anzunehmen, und dann ward ihm die Haferwelgenbuße angekündigt.

Unter der honetten Gesellschaft, welche im Saal der Operation des Armschienens beigewohnt hatte, war auch Jungfer Honoria. Sobald aber der Verband angelegt worden, ging sie auf den Ruf der Schelle zu ihrem Fräulein hinauf, welche sie fragte, was der junge Herr Jones mache? Zur Antwort ergoß sich die treue Putzjungfer in ein übertriebenes Loben und Preisen des Höllenmuts, wie sie's nannte, seines Benehmens, welches, wie sie sagte, »einen so scharmanten jungen Herrn so allerliebst kleidete.« Dann brach sie in noch wärmere Lobsprüche aus über die Schönheit seiner Person, wobei sie manche einzelne Teile derselben besonders durchging und zuletzt mit der Versicherung schloß, daß seine Haut bis zum Entzücken weiß wäre.

Dieses Gespräch hatte eine solche Wirkung auf Sophiens Fassung, daß es vielleicht dem Scharfblick der Kammerjungfer nicht entwischt sein möchte, hätte sie ihrer Herrschaft nur ein einziges Mal ins Angesicht gesehen, so lange sie mit ihrer Erzählung im Gange war. Ein Spiegel aber, der ihr sehr bequem gegenüber hing, gab [172] ihr Gelegenheit, diejenigen Gesichtszüge zu betrachten, die vor allen übrigen das meiste Vergnügen gewähren, so daß sie während ihrer ganzen Rede die Augen von diesem liebenswürdigen Gegenstande nicht ein einziges Mal wegwenden konnte.

Jungfer Honoria war mit dem Gegenstande, worüber sich ihre Zunge bewegte, und mit dem teuren Bilde, das ihr da vor Augen schwebte, so emsiglich beschäftigt, daß sie ihrem Fräulein Zeit ließ, ihre Verwirrung zu unterdrücken, die dann, als sie damit fertig war, ihrer Jungfer mit Lächeln sagte: »sie wäre gewiß in den jungen Menschen verliebt.« – »Ich, verliebt, 'R Gnad'n!« antwortete sie, »mein'r Ehr, Gnädigs Frölen, ich versichre, auf meine Seele, 'R Gnad'n, ich bin's nicht.« – »Nun, nun,« sagte ihre Herrschaft, »wenn Sie's nun wäre! Ich seh' nicht, warum Sie sich dafür schämen sollte, denn es ist gewiß ein hübscher junger Mann.« – »Ja wohl, 'R Gnad'n, das sagen 'R Gnaden nur noch einmal. 'S ist Ihn'n der schönste Mann, den 'ch mein Lebetage gesehn habe; ja mein'r Ehr, das ist er! Und wie 'R Gnad'n sag'n, w'rum sollt 'ch mich schämen, wenn 'ch 'n lieb hielt? Obschons er viel vornehm'r ist, als ich; denn, mein'r Ehr, adliche Leute sind auch nur Fleisch und Blut, und nichts mehr, als wir hipsche Diensten. Und, ja, Herr Tom Jones, obschons Herr von Alwerth en'n Junker aus 'n gemacht hat, so ist 'r doch nicht 'emal so ehrbar auf d' Welt kommen, als unser Eins: denn, ob 'ch wohl nur 'ne demüt'ge Kammerjungfer bin: so bin 'ch ein ehrlicher Leute ehrlich's Kind, und mein Vater und Mutter war'n ordentlich zusammen von 'm Pastor getraut; das könn'n nicht alle Leute sag'n, sie mög'n ihr Nas' auch noch so hoch tragen! – Daß mir doch nicht übel werd'! wisch dir d' Nase, Schmutzvetterchen! Laß sein' Haut sein, als se will; und ja, mein'r Ehr, 's ist die weißeste, die man sehn kann; 'ch bin doch ein' Christenseele, so gut wie ähr; und, dem biet 'ch Trotz, der sag'n kann, 'ch wär'n Hurenkind. Mein Großpapa war'n geistlicher Herr; und 's würd' ihn nicht wenig kekränkt hab'n, glaub' ich, wenn 's ihm jemand gesagt hätt', jemand von sein'r Familie würd's aufraff'n, was Molly Seegrims aus ihr'n klaatrigen Klauen hätt' liegen lass'n.«

Vielleicht hätte Sophie ihre Abigail noch lange in diesem Tone fortschwatzen lassen, aus Mangel an Mut und Kraft ihrer Zunge Einhalt zu thun, welches, wie der Leser aus ihrem fließenden Stile wohl ersehn wird, kein so leichtes Unternehmen war. Denn gewiß waren hin und wieder einige Brocken in diese Rede eingeworfen, welche ihrer Dame nichts weniger als angenehm sein konnten. Endlich hemmte sie doch diesen Strom, weil er von selbst kein Ende nehmen zu wollen schien. »Ich wund're mich,« sagte sie, »über[173] Ihre Unverschämtheit, womit Sie sich untersteht, auf diese Weise von meines Vaters Freunden zu sprechen. Was die Dirne anbetrifft, so sag' ich es Ihr, einmal statt tausend, Sie soll ihren Namen in meiner Gegenwart nicht wieder nennen. In Ansehung der Geburt des jungen Herrn, so könnten diejenigen, die nichts Nachteiligeres von ihm zu sagen wissen, nur fein darüber ihre Zunge ruhen lassen, so, wie ich's Ihr für's zukünftige im Vertrauen gleichfalls empfohlen haben will.«

»'S thut mir leid, daß 'ch was gesagt habe, das 'R Gnad'n übelnehm'n,« sagte Jungfer Honoria. »Men'r Ehr! ich hasse Molly Seegrims ebensosehr, als 'R Gnaden nur thun könn'n. Aberst, daß ich Herrn von Jones sollt' gelästert hab'n, da kann 'ch all's Gesinde im Hause zu Zeug'n rufen, so of nur von Pankerts-Kindern gesprochen word'n ist, ich immer sein' Partie genomm'n habe. Denn pfleg' ich zu den Lakaien zu sagen, wer von euch wollt' nicht gern' ein Pankertskind sein, wenn 'r nur könnt', um 'n Junker zu werden? und, sag' ich, mein Ehr' verwett' ich drauf, 's ist ein scharmanter Junker; und 'r hat die weißesten Händ' auf Gott's Erdboden: denn mein'r Ehr! das hat er! Und, sag' ich, einer der sanftestenlichen und gutmüt'lichsten Menschen von der Welt ist ähr; und, sag' ich, all hipsche Diensten und Nachbarn, im ganzen Land umher, halten ihn lieb. Und, mein'r Ehr! ich könnte 'R Gnaden solche Dinge erzählen thun! – wenn 'ch nicht angst wär' daß 'R Gnad'n mir drüber böse würden!« – »Nun! was könnte Sie mir dann erzählen?« – »Ach, neh, Arg hatt' er nicht draus, mein'r Ehr! drum wollt' ich auch nicht, daß 'R Gnaden mir böse drüber würd'n.« – »Will Sie wohl so gut sein und erzählen?« sagte Sophie, »denn nun will ich's wissen, auf der Stelle!« – »Je, nu ja!« antwortete Jungfer Honoria. »Er kam ein's Tags, verläden' Woch, uf meine Stube, als ich bei'r Arbeit saß; und da lag dar 'R Gnad'n Muff, auf'n Stuhle; und mein'r Ehr, er steckte sein Händ hinein; Ja, gewiß! eben denselbigen Muff, den 'R Gnaden mich erst gestern geschonken hab'n. – Gehn 's doch! sag' ich, Herr von Jones; Sie verderben mein'r Frölen ihren Muff, und machen 'n zu weit; ja, mein'n 'R Gnaden, daß er 'n weglegte? Ja, Prost die Mahlzeit! Er hielt die Hand immer weg drin, und küßt'n! Ach, mein'r Ehr! ich glaub', ich hab' in mein'n Leb'n solch'n Kuß nicht gesehn, als er 'n gab.« – »Ich hoffe doch, er wußte nicht, daß es mein Muff wäre?« versetzte Sophie. – »Nun hör'n nur 'R Gnaden. Er küßt'n, und küßt'n, daß 's kein End neh men wollt', und sagt', es wär' der scharmantste Muff von der Welt! Gehn's doch! Junker,« sagt' ich. »Sie hab'n 'n ja wohl schon hundert Mal gesehn! – Nun ja, ruft er, Mansell Honoria, wer kann aber [174] sonst was hipsches sehn, wenn Ihre Fröln dabei ist, als sie selber! – Ja, nun, mein'n 'R Gnad'n wohl, das wär 's alle! Ach näh! gar nicht! Aberst, ich hoffe doch, 'R Gnad'n werden mir nich böse! denn, mein'r Ehr, ich hat' kein Args draus! Ein's Tages, als 'R Gnaden dem Gnäd'gen Herrn Papa was aufs Klafier vorspielten, da saß Herr von Jon's im Zimber nah' bei, und mir dünkte, er säh' melankolisch aus. Je! Je! Herr Junker, sag' ich, wie siehts dann aus? Ihr bekümmerten Gedanken, sagt mir doch, wo wollt ihr hin? sagt' ich. Ach, Spottvogel! sagt' er, und sprang auf, wie aus'm Traum. Woran kann ich denken, wenn der Engel, Ihre Frölen, aufm Klafier spielt? Und dann kriegt er mich bei die Hand – Ach, liebe Mansell Honoria, sagt' er, wie glücklich wird der Mann sein! und dann seufzt' er. – Mein'r Ehr! sein Athen ist so süß als 'n Blumenstrauß. – Aberst, mein'r Ehr! Er hat's kein Args draus – und so bitt 'ch, daß 'R Gnaden ihm ja nichts wieder sag'n! dann 'r gab mir 'ne Krone, daß ich nichts wieder sag'n sollt, und ließ mich drauf schwören. Aberst, ich streckte keine drei Finger darbey aus, und so glaub' ich, ist's kein rechter Eid.«

So lange bis der berühmte Karminmacher in Helmstädt kein schöneres Rot erfindet, sag' ich kein Wort von der Farbe auf Sophiens Wangen bei dieser Gelegenheit. »Nore,« sagte sie. »Ich – wenn Sie das mir niemals wieder sagen will, – noch sonst einem lebendigen Menschen, so will ich Sie nicht verraten – böse will ich nicht darüber werden, mein' ich; aber ich fürchte Ihre Zunge. Warum, gutes Mädchen, gibt Sie ihr so freien Lauf?« – »Ach, sehn Sie nur, Gnädigs Frölen, ich wollt' mir lieber die Zung' abbeissen, als 'R Gnaden bös machen. – Mein'r Ehre! mein Lebstage will 'ch 'R Gnaden wieder kein Wort darvon sag'n, wenn 's nicht haben woll'n.« – »Gut dann! Ich wollte, daß Sie mir nichts wieder davon erwähnte!« sagte Sophie, »denn es möchte meinem Vater zu Ohren kommen, und der würde Herrn Jones darüber böse werden; ob ich gleich wirklich glaube, wie Sie sagt, daß der gute Mensch nichts weiter dabei meinte. Ich würde selbst böse werden, wenn ich mir es anders einbildete.« – »Näh! Gnädigs Frölen, ich glaub, mein'r Ehr, er meinte nichts dabei,« sagte Honoria. »Ich dacht', 'r spräche so, als ob er nicht bei Sinnen wär'. Ja, er sagt' auch, er meint', er sey ganz allein, Mutter-Seelen allein, als er die Worte gesproch'n hätte. Ach, ja! Herr Junker, sag' ich, das glaub' ich auch. – Ja, gewiß, Mansell Honoria, sagt ähr, – Aberst, ich bitt' 'R Gnad'n um Verzeihung; ich könnt' mir die Zung' aus'm Hals reissen, wenn 'ch mein Frölen böse machte.« – »Fahre Sie nur fort,« sagte Sophie: »Sie kann alles erzählen, was Sie nicht schon bereits gesagt hat.« – »Ja, gewiß, Mansell [175] Honoria, sagt' er, (dies war ein Zeitlang hernach, als er mir die Krone gegeben hatte) ich bin wed'r ein solcher Hasenfuß noch ein solcher Schelm, daß 'ch in ein'r andern Rückensicht auf sie denken sollt', als an mein' Göttin; nur, als mein' Göttin will 'ch sie anbäten und verehren, so lang' ich Athen habe. – Das war's all, 'R Gnad'n; drauf kann ich drei aus fünfen ziehn, sonst besinn' ich mir nichts mehr: Ich ärgerte mich selbst nicht wenig, über'n, bis 'ch sah, er meint's nicht böse.« – »Nun wohl, Nore,« sagte Sophie, »ich glaube wirklich, Sie ist mir im Ernst zugethan! Ich war neulich ein wenig aufgebracht, als ich Ihr den Dienst aufsagte; wenn Sie aber Lust hat zu bleiben, so mag Sie.« – »Auf mein' Ehr, Gnädige Frölen,« sagte Honoria, »mir soll's nicht in Sinn komm'n, 'R Gnaden zu verlassen. Sicherlich, ich hab' mir fast die Aug'n aus'n Kopf geweint, als 'R Gnad'n mir aufsagt'n. Ich müßt' wohl sehr undankbarlich seyn, wenn' ich Lust hätt' 'R Gnaden zu verlassen, weil' ich, so zu sag'n, all' mein Lebstag kein'n so guten Platz wieder kriegte. Bei mein'r Ehr! Ich wollt' mit 'R Gnad'n leben und sterben – denn, wie der arme Herr Junker Jon's sagt: glücklich ist der Mann –«

Hier unterbrach die Glocke aus dem Eßsaal eine Unterredung, welche dergestalt auf Sophie gewirkt hatte, daß sie vielleicht ihrem Aderlassen des Morgens mehr zu verdanken hatte, als sie wohl damals vermutet hätte. Was ihre gegenwärtige Lage des Gemüts anbetrifft, werd ich mich an Horazens Regel halten und es nicht unternehmen, sie zu beschreiben, weil ich verzweifle, daß es mir gelingen möchte. Die meisten von meinen Lesern werden sich solche selbst leicht denken können, und die wenigen, welche dazu nicht im stande sind, würden das Gemälde nicht verstehen, oder wenigstens leugnen, daß es natürlich wäre, es möchte übrigens noch so richtig getroffen sein.

Fünftes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Ueber die ernsthafte Schreibart und zu welchem Endzwecke solche eingeführt worden.


Es kann sich leicht ereignen, daß keine Teile dieses stupenden Werkes dem Leser, beim Studieren desselben, weniger Vergnügen gewähren, als gerade diejenigen, welche seinem Verfasser in der Ausarbeitung die größeste Mühe gekostet haben. Hierunter mögen wahrscheinlicherweise diese Einleitungsversuche gerechnet werden, welche wir den in jedem Buche enthaltenen Geschichtsmaterien vorangesetzt haben, und welche, nach unsrer Entscheidung, dieser Art von schriftstellerischen Werken, der wir uns selbst an die Spitze gestellt haben, wesentlich notwendig sind.

Von dieser unsrer Entscheidung irgend eine Ursache anzuführen, halten wir uns eben nicht verbunden; da es mehr als hinlänglich ist, daß wir es als eine, bei allen prosaisch-komisch-epischen Schriften notwendige Regel festgesetzt haben. Wer hat jemals nach den Ursachen jener genauen Einheit der Zeit und des Orts gefragt, welche jetzt in der dramatischen Dichtkunst für so wesentlich nötig angenommen wird? Welchen Kunstrichter hat man jemals befragt, warum ein Schauspiel nicht ebenso gut die Dauer von zwei Tagen als von einem umfassen könne? Oder warum das Auditorium (vorausgesetzt, daß es, wie die Domherren in ihren Stiftern, auf Landesunkosten reise) nicht ebensowohl fünfzig, als fünf Meilen von dannen entrückt werden dürfe? Hat irgend ein Kommentator wichtige Ursachen für die Grenzen aufgefunden, welche ein alter Kritikus dem Drama gesetzt hat, vermöge welcher solches aus nicht mehr oder weniger als fünf Akten bestehen soll? Oder hat irgend einer von unsern jetzt lebenden Kritikern es zu erklären versucht, was die modernen Richter unsrer Theater mit dem Worte Niedrig für eine Meinung verknüpfen? Wodurch es ihnen unterdessen glücklicherweise gelungen ist, alle wahre Laune von der Bühne zu verdrängen und das Schauspielhaus zu einem ebenso langweiligen Orte zu machen, als eine fürstliche Antichambre! Bei all dergleichen Gelegenheiten scheint die Welt eine Maxime aus der Jurisprudenz angenommen zu haben, welche heißt: Cuicunque in arte sua perito credendum est. Denn es scheint vielleicht schwer zu begreifen, [177] daß irgend ein Mensch Unverschämtheit genug hätte haben können, in irgend einer Kunst oder Wissenschaft ohne allen Grund dogmatische Regeln festzusetzen. In solchen Fällen sind wir also geneigt, zu schließen, daß dennoch wohl gute und triftige Ursachen vorhanden sein mögen, ob wir gleich unglücklicherweise nicht fähig sind, so tief zu sehen.

Nun hat wirklich die Welt den Kunstrichtern ein zu großes Kompliment gemacht und hat sie für Männer von weit gründlicherer Gelehrsamkeit geachtet, als sie eigentlich sind. Durch diese nachgebende Gefälligkeit sind die Kritiker so kühn geworden, sich eine diktatorische Gewalt anzumaßen, und es ist ihnen so weit gelungen, daß sie jetzt Herren und Meister geworden sind und die Dreistigkeit besitzen, eben den Autoren Gesetze vorzuschreiben, von deren Vorgängern sie solche ursprünglich empfangen haben.

Der Kunstrichter, aus dem wahren Standpunkt betrachtet, ist weiter nichts als ein Protokollist, dessen Amt darin besteht, die Regeln und Gesetze abzuschreiben, welche von jenen hohen Richtern gegeben worden, deren große Kraft des Genies sie zu dem Ansehen von Gesetzgebern in den verschiedenen Künsten und Wissenschaften, denen sie vorstehen, erhoben hat. Dieses Amt war alles, wornach die Kunstrichter unter den Alten trachteten, und niemals wagten sie es, mit einem Ausspruch hervorzutreten, ohne ihn mit der Autorität des Richters, von dem er entliehen war, zu unterstützen.

Im Fortgange der Zeit aber und in den finstern Jahrhunderten der Unwissenheit, begann der Protokollist, sich die Macht und die Würde seines Vorgesetzten anzumaßen. Die Gesetze der Schriftsteller waren nicht länger auf die Gebräuche der Autoren gegründet, sondern auf die Vorschriften der Kritiker. Der Gerichtsschreiber ward Legislator, und nun gaben solche Menschen aus eigener Macht und Gewalt Gesetze und Vorschriften, deren Geschäft anfangs in nichts anderem bestand, als sie auf- und abzuschreiben.

Hieraus entstand ein auffallender und vielleicht unvermeidlicher Irrtum: denn da diese Kritiker Männer von sehr flachen Fähigkeiten waren, so verwechselten sie sehr leicht die bloße Form mit der Wesenheit der Sache. Sie handelten so, wie ein Richter thun würde, der sich an den toten Buchstaben der Gesetze hielte und den lebendigen Geist verwürfe. Kleine Umstände, welche bei einem großen Autor vielleicht bloß zufällig waren, wurden von diesen Kritikern als Dinge betrachtet, die sein Hauptverdienst ausmachten, und von ihnen allen seinen Nachfolgern als wesentliche Erfordernisse vorgeschrieben. Diesen dreisten Anmaßungen gaben Zeit und Unwissenheit, die beiden großen Säulen aller Täuschung, I et B, von deren etwas beschädigtem Symbol es noch jetzt heißt: adhuc [178] stat, eine gewisse Sanktion; und solchergestalt sind man che Regeln für die echte Schriftstellerei aufgekommen, welche nicht den geringsten Grund in der Wahrheit und Natur haben und welche gemeiniglich zu weiter nichts dienen, als das Genie einzuschnüren und zu fesseln. Ebenso wie es dem Tanzmeister ergangen sein würde, wenn es die verschiedenen vortrefflichen Abhandlungen über diese Kunst als eine wesentliche Regel festgesetzt hätten, daß jedermann in Fesseln geschlossen tanzen müsse.

Um also die Anschuldigung zu vermeiden, als hätten wir eine Regel für die Nachkommenschaft festgesetzt, die sich bloß auf das Ansehen eines ipse dixit gründe, für welches wir die Wahrheit zu sagen eben nicht die tiefste Ehrerbietung hegen: so wollen wir uns hier des Vorrechts entäußern, für welches wir oben gerungen haben, und dazu schreiten, dem Leser die Gründe vorzulegen, welche uns bewogen haben, die verschiedenen Bei- und Nebenversuche in den Fortgang dieses Werkes einzuweben.

Und hier wird uns die Notwendigkeit dahin bringen, eine neue Bergader der Wissenschaften einzuschlagen, welche, wenn sie auch bereits entdeckt worden, doch bis jetzt, so viel wir uns erinnern, von keinem, weder alten noch neuern Schriftsteller zur Gewerkschaft gebracht worden ist. Diese Ader oder Flötze ist keine andere, als die Schichte von Kontrast, welche unter allen Werken der Schöpfung hindurchstreicht und wahrscheinlicherweise viel dazu beitragen mag, unsre Begriffe von allem, was Schönheit heißt, sowohl in den Werken der Natur als der Kunst, näher zu bestimmen: denn, was gibt wohl eine anschaulichere Erkenntnis vom Schönen und Vortrefflichen, als eben ihr Gegensatz? Daher wird die Schönheit des Tages und die Schönheit des Sommers durch das Grausen der Nacht und des Winters gehoben. Und ich glaube, wenn es möglich wäre, daß ein Mensch nur die beiden ersten gesehen hätte, er nur einen sehr unvollkommenen Begriff von ihrer Schönheit haben würde. Doch, um ein gar zu ernsthaftes Ansehen zu vermeiden, kann man zweifeln, daß das schönste Frauenzimmer von der Welt alle Vorteile ihrer Reize in den Augen eines Mannes verlieren würde, der niemals ein Frauenzimmer von schlechterem Schlage gesehen hätte? Dies scheinen auch die Damen selbst so richtig zu fühlen, daß sie sehr geschäftig sind, ihren Reizen allerlei Arten von Folie unterzulegen; ja, sie machen sich zuweilen selbst zu ihrer eignen Folie; denn ich habe bemerkt (besonders bei Gesundbrunnen und Bädern), daß sie sich alle Mühe geben, des Vormittags so häßlich als möglich zu erscheinen, um die Schönheit, welche sie des Abends der Gesellschaft zu zeigen willens sind, desto mehr herauszuheben.

[179] Die meisten Künstler wenden dies Geheimnis bei ihren Werken an, ob sie gleich die Theorie davon nicht alle sonderlich studiert haben mögen. Der Juwelier weiß, daß der feinste Brillant eine Folie verlangt, und der Maler erwirbt sich oft durch Kontrastierung seiner Figuren einen großen Beifall. Ein unter uns lebendes großes Genie wird diese Sache in ihr völliges Licht setzen. Ich kann diesem Manne freilich in keiner Klasse von gewöhnlichen Artisten seinen Rang anweisen, weil er ein Recht hat, einen Platz unter jenen zu behaupten, d.i.:


Inventas qui vitam excoluere per artes.


Welche durch erfundene Künste das Leben verschönern.


Ich meine hier den Erfinder der höchstvortrefflichen Belustigung, genannt: Nikolinische Pantomimen.

Dieses Schau- und Lustspiel besteht aus zwei Teilen, welche der Erfinder durch die Benennung Serioso und Comico unterscheidet. Der Serioso, oder Ernsthafte, brachte eine gewisse Anzahl von heidnischen Göttern und Helden auf den Schauplatz, welche die elendeste und langweiligste Gesellschaft ausmachten, in welche nur jemals ein Auditorium versetzt worden ist und (aber das war ein Geheimnis, um welches nur wenige wußten) ausdrücklich dazu bestimmt war, dieParticomica, oder den komischen Teil des Lustspiels, zu kontrastieren und die lustigen Streiche des Harlekins um so willkommener zu machen.

Dies hieß nun vielleicht mit so hohen Personagen nicht gar zu höflich umgehen. Aber der Kunstgriff war indessen doch schlau genug ersonnen und that seine Wirkung. Und dies wird noch deutlicher erhellen, wenn wir, anstatt ernsthaft und komisch die Worte langweilig und langweilig setzen: denn, das Komische war gewiß langweiliger als alles, was man bisher auf dem Theater gesehen hatte, und konnte nur von dem übermäßigen Grade von Langeweile, welcher durch das Ernsthafte herrschte, in etwas beleuchtet werden. So unerträglich ernsthaft waren in der That diese Götter und Helden, daß Arlechino (obgleich der deutsche Herr von etwas ähnlicher Tracht und etwas ähnlicherem Zauberschwerte keineswegs mit der italienischen oder französischen Familie verwandt ist, denn er führt mehr Ruhe und Stätigkeit in seinem Temperamente) auf der Bühne allemal willkommen war, weil er das Auditorium von noch schlechterer Gesellschaft erlöste.

Einsichtsvolle Schriftsteller haben sich beständig dieser Kunst des Kontrapostierens mit großem Erfolge bedient. Es hat mich gewundert, daß Horaz über diese Kunst beim Homer sein Mißfallen [180] bezeigt. Doch in der That widerspricht er sich selbst gleich in der nächsten Zeile:


Indignor, quandoque bonus dormitat Homerus;
Verum operi longo fas est obrepere somnum.
Leid ist mir's, doch der treffliche Homer
Nickt auch zuweilen; aber, daß der Schlaf
Bei solchem langen Werk uns überschleiche,
Ist in der Ordnung –

Denn wir müssen das hier nicht so verstehen, wie es vielleicht einige verstanden haben, daß ein Autor wirklich einschlafe, derweil er sein Werk schreibt. Den Leser kann freilich so etwas leicht überfallen; wäre aber das Werk so lang, als irgend die längste Postille, so ist der Autor doch dabei viel zu behaglich beschäftigt, als daß ihn die geringste Schläfrigkeit anwandeln sollte. Er ist nach Popens Bemerkung


Sleepless himself to give his readers Sleep.


Schlaflos er selbst, um seinen Lesern Schlaf zu schaffen.


Die reine Wahrheit zu sagen, so sind diese schlafeinladenden Stellen so viele künstlich eingeschobene ernsthafte Szenen, um die übrigen zu kontrastieren und lebendiger zu machen: und dies ist die wahre Meinung eines jüngstverstorbenen witzigen Schriftstellers, welcher dem Publikum sagte: es könne sich darauf verlassen, es stecke allemal eine Absicht dahinter, wenn er Langeweile mache.

In diesem Lichte also, oder vielmehr in diesem dunkeln Schatten wünsche ich, daß der Leser diese Einleitungsversuche betrachten möge. Und wenn er, nach dieser Warnung immer noch der Meinung bleibt, daß er in andern Teilen dieser Geschichte genug Ernsthaftes finden könne, so mag er diese überschlagen, in welchen wir eingestandnermaßen langweilig sind, und geflissentlich die folgenden Bücher nur gleich beim zweiten Kapitel anfangen.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

In welchem Tom Jones, während der Zeit, daß er das Zimmer hütete, manchen freundschaftlichen Besuch erhält; nebst einigen feinen Tuschen im Gemälde der Leidenschaft der Liebe, welche unbewaffneten Augen kaum sichtbar sein möchten.


Tom Jones empfing, während er das Bett und Zimmer hütete, manchen Besuch, ob ihm gleich einige davon nicht gar angenehm [181] sein mochten. Herr Alwerth besuchte ihn fast täglich; allein, so viel Mitleiden er mit Toms Schmerzen hatte und so sehr er das wackere Betragen, wodurch er sich solche zugezogen, billigte, so dachte er dennoch, dies sei eine günstige Gelegenheit, ihn zu kalten Ueberlegungen seiner vorherigen unbesonnenen Aufführung zu bringen; daß also auf diesen Endzweck zielender heilsamer Rat zu keiner bequemern Zeit angebracht werden könne, als eben zu dieser, wo das Gemüt durch Schmerzen und Krankheit erweicht und durch Gefahr geängstet und seine Aufmerksamkeit nicht durch jene aufrührerischen Leidenschaften umnebelt wäre, welche den Menschen treiben, seinen Vergnügungen nachzujagen.

Zur Zeit, oder zur Unzeit also (wie ein gewisser erhabener Schriftsteller dazu anzumahnen scheint), wenn der gute Mann mit dem Jünglinge allein war, besonders wenn der letztre sich völlig in Ruhe befand, nahm er Gelegenheit ihn an seine vormaligen Fehltritte zu erinnern; aber auf die sanfteste und zärtlichste Weise, und bloß, um seinen Warnungen auf die Zukunft, die er ihm so väterlich erteilte, Eingang zu verschaffen. Von welcher zukünftigen Aufführung allein, wie er ihn versicherte, seine eigne Glückseligkeit und die Güte abhängen würde, welche er noch von seinem Pflegevater zu erhalten sich versprechen dürfe, wofern er sich in Zukunft dessen guter Meinung nicht ganz und gar verlustig machte. Denn, was das Vergangne anbeträfe, sagt' er, so sollte das völlig vergessen und vergeben sein. Deswegen also riet er ihm, von dem gegenwärtigen Zufalle den besten Gebrauch zu machen, damit solcher, als eine Heimsuchung, zu seinem eigenen Besten ausschlagen möge.

Schwöger war gleichfalls nicht zu saumselig in seinen Besuchen und auch er betrachtete ein Krankenlager als einen schicklichen Ort zu Bußpredigten. Sein Stil war indessen etwas eindringlicher und bitterer, als der Stil des Herrn Alwerth. Er schärfte seinem Zöglinge ein: er müsse sein zerbrochnes Glied als eine Züchtigung des Höchsten, wegen seiner Missethat ansehen: deshalben würde es seine Pflicht sein, sich täglich auf seine Kniee zu werfen und dem Himmel zu danken, daß er nur seinen Arm und nicht den Hals gebrochen habe, welches letztre, wie er sagte, sehr wahrscheinlicherweise auf eine künftige und nicht weit entfernte Gelegenheit verschoben sein möchte. Er für sein Teil, sagt' er, habe sich oft gewundert, daß ihn nicht schon längst ein Zorngericht des Himmels betroffen habe; allein aus dem Gegenwärtigen könne man schon ersehen, daß Gottes Rache zwar langsam aber doch gewiß den Sünder erreiche. Daher warnte er ihn dann gleichfalls mit eben solcher Gewißheit, die weit größern Uebel zu erwarten, welche ihm noch bevorstünden und die [182] ihn ebenso sicher, wie ein Dieb in der Nacht, in seinem unbekehrten Zustande überraschen würden. »Diese können nur,« sagt' er, »durch eine so völlige und aufrichtige Reue und Buße abgewendet werden, welche man von einem so gottvergessenen Jüngling weder erwarten, noch hoffen kann, dessen Herz, wie ich fürchte, völlig verderbt ist. Meine Pflicht indessen ist, Sie zur Buße und Besserung zu ermahnen, ob ich gleich nur zu sehr überzeugt bin, daß alles Vermahnen vergebens und fruchtlos sein wird. Aber meinetwegen! Liberavi animam meam. Ich kann mir in meinem Gewissen keine Versäumnis Schuld geben, ob ich gleich dabei mit innigster Bedauernis sehe, wie Sie dahin fahren, zu gewissem Verderben in dieser Welt und zur ebenso gewissen Verdammnis in jener Ewigkeit.«

Quadrat sprach aus einem ganz andern Tone. Er sagte: »Solche Zufälligkeiten, wie ein gebrochener Knochen, wären nicht wert, daß ein weiser Mann darauf achte. Es sei überflüssig hinreichend, um die Seele bei allen solchen Widerwärtigkeiten im Gleichgewichte zu erhalten, daß man wisse, wie sie auch die Weisesten unter den Menschenkindern befallen können, und daß solche ganz unbezweifelt zum Besten des Ganzen gereichen.« Er sagt: »es sei ein bloßer Mißbrauch der Worte, diese Dinge Uebel zu nennen, in welchen kein moralischer Widerspruch liege. Schmerz, das Aergste was aus solchen Zufällen entstehen könne, wäre die allerverächtlichste Kleinigkeit von der Welt,« – mit mehr dergleichen Sentenzen, entlehnt aus dem zweiten Buche von Ciceros tusculanischen Fragen, oder aus den Schriften des großen Lords Shaftesbury. Er war eines Tages so emsig, dergleichen Sentenzen herzusagen, daß er sich unglücklicherweise darüber auf die Zunge biß und zwar dergestalt, daß es nicht nur seiner Rede ein Ende machte, sondern ihn auch in heftige Bewegung setzte und ihn ein oder ein paar Flüche ausstoßen ließ. Was aber dabei das schlimmste war, so gab dieser Zufall dem Schwöger, der sich gegenwärtig befand und welcher alle solche Lehren für heidnisch und atheistisch hielt, Veranlassung, ihm ein Gottesurteil auf die Schultern zu heften. Nun geschah dies dazu noch mit einem so boshaften Himmelsblick, daß es die ganze Fassung des Philosophen, wenn ich so sagen darf, aus Thür' und Angeln hob, da sie der Biß auf die Zunge ohnedem schon ein wenig zum Wackeln gebracht hatte. Und weil er außer stand gesetzt war, seinen Aerger durch die Lippen auszulassen, so hätte er vielleicht gewaltsamere Wege gefunden, sich zu rächen, hätte sich nicht der Wundarzt, der zum Glück eben im Zimmer war, seinem eignen Vorteil zuwider dazwischen gelegt und den Frieden erhalten.

Herr Blifil besuchte seinen Freund Tom nur selten und niemals [183] allein. Dieser würdige junge Mann bezeigte indessen viele Achtung für ihn und ein herzliches Mitleiden mit seinem Unglücke, vermied aber mit vieler Behutsamkeit allen vertrauten Umgang, damit, wie er sich öfter merken ließ, solches seinem eigenen unbescholtenen Charakter keinen Makel anhängen möchte, des Endes er dann auch beständig das salomonische Sprichwort im Munde führte, welches gegen böse Gesellschaft gerichtet ist. Nicht, daß er ebenso bitter gewesen wäre als Schwöger, denn er äußerte immer noch eine schwache Hoffnung zu Jones' Bekehrung, welche, wie er sagte, die beispiellose Güte, die sein Onkel bei dieser Gelegenheit bewiesen habe, bei einem nicht ganz und gar verstockten Menschen bewirken müsse. »Aber,« schloß er dann, »wenn mein Freund Tom hernach von neuem ausschweift, so werd' ich nicht im stande sein, eine einzige Silbe zu seinem Besten zu sagen.«

Anlangend Junker Western, so entfernte der sich selten aus der Krankenstube, es sei denn, daß er gegen das Wild zu Felde zog oder sein Wesen mit der Weinflasche trieb. Ja, er begab sich zuweilen hierher, um sein Oktoberbier zu trinken, und es kostete Mühe, ihn abzuhalten, daß er den Jones nicht zwänge, ebenfalls von seinem Bier zu zechen: denn kein Marktschreier gab jemals seine Astralpulver für eine so allgemeine Panacee aus, als er sein Bier, welches, wie er sagte, mehr Kraft enthielt als alle Arzneien in einer großen Apotheke zusammengenommen. Er ward indessen durch vieles Bitten vermocht, sich des Eingebens dieser Medizin zu enthalten; davon aber, dem Patienten alle Morgen unter seinem Fenster ein Ständchen mit dem Jagdhorn zu machen: davon ihn abzuhalten, das war eine platte Unmöglichkeit. Auch unterließ er niemals sein Holloh, Holloh, womit er in jede Gesellschaft trat, wenn er Tom besuchte, ohne sich im geringsten darum zu bekümmern, ob der Kranke eben wachte oder schliefe.

Da er bei diesem unbesonnenen Betragen nichts Böses im Schilde führte, zog es auch zum Glück nichts Böses nach sich und ward dem Kranken, sobald er wieder außer dem Bette aufsitzen konnte, durch die Gesellschaft der Sophie wieder reichlich gut gemacht, welche alsdann der Junker zum Besuch mitbrachte. Auch währte es in der That nicht lange, bis Jones so weit kam, daß er sich, wenn sie auf'm Klavier spielte, hinsetzen und zuhören konnte, wo sie dann die liebreiche Gefälligkeit hatte, ihn ganze Stunden lang durch die seelenvollste Musik seine Schmerzen vergessen zu machen, wenn es eben dem Junker, ihrem Vater, nicht einfiel, sie zu unterbrechen, und auf seinem »stürmt, reißt und rast« oder sonst einem von seinen Leibstückchen zu bestehen.

Ungeachtet der genauesten Wachsamkeit, welche Sophie sich bestrebte [184] über ihr Betragen zu halten, konnte sie es doch nicht hindern, daß ihr nicht zuweilen ein bedeutender Blick oder eine verräterische Gebärde entwischt wäre: denn die Liebe kann auch hier abermals darin mit einer Krankheit verglichen werden, daß, wenn man ihr an einem Teile des Körpers den Ausbruch verrennt, sie ganz gewiß an einem andern ausbricht. Das also, was ihre Lippen verhehlten, das verrieten ihre Augen, das Erröten ihrer Wangen, und manche andre unfreiwillige Bewegungen.

Eines Tages, als Sophie an ihrem Instrumente saß und spielte und Jones aufmerksam zuhörte, kam der Junker ins Zimmer und schrie: »Da, Tom', da hab' ich da unten mit'n feisten Pfaffen, Schwög'r, deint'wegen ein' rechte Hatz geha't. – Da sagt 'r dir'n Alwerth, vor mein'n sichtlich'n Antlitz, der Armbruch wär'n Strafgericht vom Himmel. – Den Hagel auch! sag' ich, wie sollt' das zugehn? Kam 'r nicht dazu, als er eb'n 'en jung Mädchen rettete? Strafgericht, Strafgericht! auf dein'n eigen Dickkopf! Wenn 'r in sein'm Leben nichts Aergers thut: so kommt 'r eh'r in Himmel, als alle Pfaffen d's Landes. Er hat mehr Recht, sich der That zu rühm'n, als sich ihr ze schämen; das sagt' ich 'm.«

»In der That, lieber Herr Western,« sagte Jones, »ich habe zu beidem keine Ursach; wenn aber Ihr Fräulein Tochter dadurch gerettet worden, so werde ich's für den glücklichsten Zufall meines Lebens halten.« – »Und doch wollt' dir,« sagte der Junker, »der Schwöger da beim Alwerth die Flinte wegsprechen! Alle Hagel! hätt' der Pfaff nur nicht sein heilig Ding angehabt, 'ch hätt'n dir geprellt, wie 'n Fux, denn 'ch hab' dich erschrecklich lieb, Junge! und hol' mich der Velten, wenn 'ch nur's geringste in meiner Gewalt habe, daß ich dir nicht gern' zu G'fallen thun wollt'. Sollst dir morgen früh am Tage unt'r all mein'n Ross'n im Stall aussuch'n, was du vor ein's willst; nur nicht den Schevallie und die Murrpas, die nehm' ich aus!« Jones dankte ihm, lehnte aber das Anerbieten ab. – »Näh sieh! sollst die Schimmelstute hab'n, die Sophie ritt. 'S kost't mir meine bare fufzig Guineen, und wird nächste Graszeit sechs Jahr.« – »Und hätte sie mir tausend gekostet,« rief Jones ärgerlich, »ich hätte sie schon für die Hunde geschickt.« – »Puh! puh!« antwortete Western, »weil 's dir den Arm zweischlug! Sollt'st vergessen und vergeben. Hätt' gedacht wärst mehr Manns gewesen, als ein'n Stummvieh was nachzutragen!« – Hier mengte sich Sophie drein und machte dem Gespräch dadurch ein Ende, daß sie ihren Vater um Erlaubnis bat, ihm eins vorzuspielen. Eine Bitte, die er niemals abschlug.

Sophiens Gesichtsfarbe hatte während des vorigen Gespräches mehr denn eine Veränderung erlitten und wahrscheinlicherweise erklärte [185] sie den Eifer, womit Jones gegen die Schimmelstute gesprochen hatte, aus einem ganz andern Grunde, als ihr Vater ihn genommen hatte. Ihr Blut war jetzt in sichtlicher Wallung und sie spiele so unerträglich falsch, daß Western selbst es gemerkt haben müßte, wenn er nicht bald in seinen gewöhnlichen Schlaf gefallen wäre. Jones hingegen, der an nichts weniger dachte, als Schlaf, und dabei ebenso gute Ohren als Augen hatte, machte einige Bemerkungen, welche dann zusammengenommen mit alle dem, was vorher, wie sich der Leser erinnern wird, vorgegangen war, ihm ziemlich starke Versicherung gab, wenn er das Ganze wieder überdachte, daß es mit Sophiens zartem Herzen ein wenig kränkelte. Und mancher junge Herr wird sich ohne Zweifel außerordentlich wundern, daß er in dieser Meinung nicht vorlängst schon ganz fest bestätigt gewesen sei. Aber er hatte, die Wahrheit zu sagen, fast zu viel Mißtrauen in sich selbst und war nicht voreilig genug das Annähern eines jungen Frauenzimmers zu sehen, ein Unglück, welchem nur durch eine frühe Stadterziehung, dergleichen jetzt so durchgängig Mode wird, vorgebeugt werden kann.

Als diese Gedanken sich des Jones völlig bemeistert hatten, erregten sie eine solche Verwirrung in seinem Gemüte, daß es, bei wenig reinern und festern Grundsätzen, als den seinigen, und in einem solchen Alter, von sehr gefährlichen Folgen hätte werden können. Er fühlte wirklich Sophiens großen Wert. Er hatte ihre Person außerordentlich lieb, bewunderte nicht wenig ihre Vollkommenheiten und war von ihrer Güte aufs zärtlichste gerührt. In der That, weil er sich noch nie hatte einen Gedanken beigehen lassen, sie zu besitzen, oder seiner Neigung nur im geringsten mit seinem freien Willen geschmeichelt oder Raum gegeben hatte, so war seine Leidenschaft für sie weit stärker, als er sich es selbst bewußt war. Sein Herz entfaltete ihm nun das ganze Geheimnis zu eben der Zeit, da es ihn versicherte, der verehrungswürdigste Gegenstand erwidere seine Liebe.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Welches nach der Meinung aller derer, die kein Herz haben, viel Geschrei und wenig Wolle enthalten wird.


Der Leser mag sich vielleicht einbilden, daß die Empfindungen, welche sich in Jones regten, so süß und angenehm gewesen, daß solche vielmehr eine große Heiterkeit der Seele, als irgend eine von den vorhin erwähnten gefährlichen Wirkungen hervorbringen[186] müssen. Aber der Thatsache nach sind die Gefühle von dieser Art, was für ein Entzücken sie auch gewähren mögen, bei ihrer ersten Entdeckung, von sehr tumultuarischer Natur und führen sehr wenig Beruhigendes bei sich. Sie waren überdem noch, im gegenwärtigen Falle, durch gewisse Umstände verbittert, welche vermischt mit süßern Ingredienzien auf eine Mixtur hinausliefen, die man wohl Bitter-Süß nennen könnte und, so wie dem Gaumen nichts unangenehmer sein kann als solch ein Gemisch, so kann auch im metaphorischen Sinne dem Gemüte nichts Widerwärtigeres ersonnen werden.

Denn zuerst: ob er gleich hinlänglichen Grund hatte, sich mit dem, was er an Sophie bemerkt hatte, zu schmeicheln, so war er doch nicht frei von Zweifeln, ob er nicht bloßes Mitleiden oder allenfalls auch Hochachtung für eine wärmere Empfindung auslegte. Er war weit entfernt von dem zuversichtlichen Vertrauen, daß Sophie eine solche Zuneigung zu ihm trüge, welche, wenn sie genährt und gepflegt würde, zu der Höhe hinanwachsen müsse, welche erforderlich war, um seiner Liebe eine reife Ernte zu versprechen. Wenn überdem er auch hoffen konnte, daß von seiten der Tochter seinem Glück kein Hindernis in den Weg gelegt werden möchte: so hielt er sich doch versichert, daß er abseiten des Vaters sehr wesentliche finden würde, welcher, obgleich in seinem Zeitvertreibe ein Landjunker, in demjenigen aber, was sein Vermögen anbetraf, ein vollkommner Weltmann war, die heftigste Zärtlichkeit für seine Tochter hegte und dabei öfters bei seiner Flasche erklärt hatte, was für ein Vergnügen er sich davon verspräche, seine Tochter eines Tages an den reichsten Mann des Landes verheiratet zu sehen. Jones war kein so eitler einfältiger Hasenfuß, sich einzubilden, der Junker werde, aus immer was für Gewogenheit, die er für ihn zu hegen erklärt hatte, sich dahin bewegen lassen, diese hohen Absichten mit seiner Tochter fahren zu lassen. Er wußte recht gut, daß Vermögen und Reichtum gewöhnlichermaßen wo nicht das einzige, doch die Hauptsache sind, welche bei solcher Gelegenheit von den Eltern in Betrachtung gezogen zu werden pflegen: denn die Freundschaft läßt uns zwar an dem Interesse andrer warmen Anteil nehmen, sie bleibt aber sehr kalt, wenn es auf die Befriedigung ihrer Leidenschaften ankommt. In der That, um die Glückseligkeit zu fühlen, welche hieraus entspringt, ist es nötig, daß man die Leidenschaft selbst besitze. Da er sonach keine Hoffnung hatte, ihres Vaters Einwilligung zu erhalten, so dachte er: zu versuchen, seinen Wunsch ohne dieselbe durchzusetzen, und dadurch Herrn Western um die größeste Glückseligkeit seines Lebens zu bringen, wäre ein sehr schlechter Gebrauch, den er von seiner Gastfreundschaft machte, und eine sehr undankbare Vergeltung mancher kleinen Gunstbezeigung, [187] die er (obgleich plumper Weise) von seiner Hand empfangen hatte. Wenn er eine solche Folgerung mit Abscheu und Verachtung verwarf, um wie viel mehr empörte sich seine Seele, wenn er auf das Rücksicht nahm, was Herrn Alwerth betraf, für den er ebensowohl mehr als kindlichen Gehorsam hegte, wie er mehr als väterliche Wohlthaten von ihm genossen hatte. Er wußte, dieser gute Mann habe von Natur einen solchen Abscheu vor jeder Niederträchtigkeit und Bubenlist, daß der geringste Versuch von dieser Art die schuldige Person in seinen Augen auf ewig verhaßt und den Namen eines solchen Menschen zum abscheulichsten Klange für seine Ohren machen würde. Der Anblick solcher unübersteiglichen Hindernisse wäre hinlänglich gewesen, ihm alle Hoffnung zu benehmen, so heftig auch seine Wünsche gewesen sein möchten; aber auch selbst diese wurden vom Mitleiden gegen ein andres Frauenzimmer gezügelt. Jetzt drängte sich das Bild der lieblichen Molly vor seine Gedanken. Er hatte ihr in ihren Armen eine ewige Beständigkeit geschworen und sie hatte ihm ebenso oft beteuert, es nicht zu überleben, wenn er sie verlassen sollte. Er sah sie da vor sich in allen den schrecklichen Stellungen einer mit dem Tode Ringenden; ja noch mehr, er stellte sich alles Elend des schändlichen Lebens vor, in welches sie verfallen würde und wozu er die zweifache Veranlassung gegeben hätte; einmal, daß er sie verführt, und zweitens, daß er sie verlassen hätte: denn er kannte den Haß sehr gut, womit ihre Nachbarinnen, selbst ihre eigenen Schwestern sie haßten, und wie bereit sie alle sein würden, sie in die Pfanne zu hauen. In der That hatte er sie mehr dem Neide als der Schande bloßgestellt, oder vielmehr der letzten nur vermittelst des erstern. Denn manches Weibsbild verlästerte sie wegen Hurerei, unterdessen sie ihr ihren Buhlen und ihren Putz herzlich mißgönnte und beides gerne um eben den Preis erkauft hätte. Der Untergang dieses armen Mädchens mußte also, wie er voraussah, unvermeidlich erfolgen, wenn er sie sitzen ließe, und dieser Gedanke durchbohrte ihm die Seele. Armut und Not gab ihm nach seiner Meinung kein Recht, diese Widerwärtigkeit noch drückender zu machen. Die Niedrigkeit ihres Standes ließ ihn ihre Not nicht als unbedeutend betrachten, auch deuchte ihm nicht, daß solche sein Verschulden, wodurch er sie in diese Not gebracht, rechtfertige oder auch nur vermindere. Aber, was sage ich von rechtfertigen! Sein eigenes Herz gab nicht zu, daß er ein menschliches Geschöpf zu Grunde richte, von dem er dachte, es liebe ihn und habe dieser Liebe ihre Unschuld aufgeopfert. Sein eigenes gutes Herz war ihr Fürsprecher; nicht wie ein kalter Zungendrescher für die Gebühr, sondern wie ein redlicher Sachwalter, welcher warmen Anteil am Ausgang der Sache nimmt [188] und den Jammer lebhaft fühlt, unter welchem seine Partei erliegt.

Als dieser erfahrne Advokat bei Jones dadurch Mitleiden genug erregt, da er ihm die arme Molly in allen Umständen des Jammers vorgemalt hatte, rief er sehr listig eine andre Leidenschaft zur Hilfe herbei und stellte die Dirne dar in allen lieblichen Farben der Jugend, Gesundheit und Schönheit und als einen wünschenswerten Gegenstand der Begierden, und das um so mehr, wenigstens für ein gutes Gemüt, weil sie zu gleicher Zeit ein Gegenstand des Mitleids war.

Unter diesen Gedanken brachte der arme Jones eine lange schlaflose Nacht zu und des Morgens fiel das Resultat von allen dahin aus, daß er bei seiner Molly bleiben und nicht weiter an Sophie denken wolle.

In dieser tugendhaften Entschließung beharrte er den ganzen folgenden Tag bis zum Abend, indem er der Idee von Molly liebkoste und die von Sophie aus seinen Gedanken verbannte; allein an dem fatalen Abend machte ein an sich geringer Zufall seine ganze Leidenschaft wieder flott und bewirkte eine so gänzliche Veränderung in seiner Seele, daß wir es für wohlanständig erachteten, solchen in einem frischen Kapital mitzuteilen.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Ein kleines Kapitel, worin ein kleiner Zufall erzählt wird.


Unter manch andern Besuchen der Freunde, die dem jungen Manne in seiner Einsamkeit ihre Höflichkeit bezeigten, war auch Jungfer Honoria. Der Leser, wenn er einige Ausdrücke in Erwägung zieht, welche ihr vorhin entfielen, mag vielleicht meinen, sie habe selbst eine persönliche Neigung für Herrn Jones unterhalten, im Ernste aber, daran war nichts. Tom war ein wohlgebildeter junger Bursche und Jungfer Honoria hatte so einiges Gefallen an solchem Schlage von Mannspersonen, aber das war völlig in Bausch und Bogen, ohne alle Aussonderung. Denn nachdem es ihr einmal mit einer Liebesangelegenheit schief gegangen war, darein sie mit dem Lakaien eines vornehmen Herrn verwickelt worden, der sie böslicherweise verlassen, nachdem er ihr ein Eheversprechen gethan hatte, so hatte sie die zerbrochenen Reste ihres Herzens so sorgfältig bewahrt, daß seitdem keine lebendige Mannsperson vermögend gewesen war, sich nur eines einzigen Scherbens davon zu [189] bemächtigen. Sie beäugte alle wohlgemachten Mannspersonen mit der gleichschwebenden, temperierten Gefälligkeit und dem Wohlwollen, welches ein bedächtlich tugendhaftes Gemüt gegen alles Gute hat. – Man hätte sie aller dings eine Freundin der Menschenväter, wie den Sokrates einen Freund der Menschenkinder nennen können, indem sie einen dem andern wegen körperlicher, so wie er wegen geistiger Eigenschaften vorzog; aber diese Vorliebe ging bei ihr doch niemals so weit, daß sie eine Verdunkelung der philosophischen Heiterkeit ihrer Gemütsart hätte bewirken können.

Den Tag darauf, als Jones den harten Kampf mit sich selbst gekämpft hatte, welchem wir im vorigen Kapitel zugesehen hatten, kam Jungfer Honoria in sein Zimmer, und da sie ihn allein fand, redete sie ihn folgendermaßen an: »Nu, Herr Junker von Jon's, was mein's, wo 'ch gewest bin? Wett'n will 'ch, daß Sie's in hundert Jahr'n nicht raten; doch, 's hilft nichts; wenn Sie's auch rat'n thät'n, darf ich's doch nicht sag'n.« – »Je nun, wenn es etwas ist, das Sie mir nicht sagen darf,« sagte Jones, »so werde ich wohl so neugierig sein, mich zu erkundigen, und ich weiß, so barbarisch ist Sie nicht, Kind, daß Sie mir's abschlagen sollte.« – »Weiß nicht,« ruft sie, »warum ich's auch eb'n abschlag'n sollt', was die Sach' anlangt; denn, mein' Ehr' wollt' ich wohl wetten, Sie sag'ns nemand wied'r. Und, was die Sach' anlangt, – wenn Sie nicht wüßt'n, was 'ch g'macht hab', und warum, und wozu; nu! so wär 's auch noch nicht viel. Aber, was ist's denn auch? Ich seh' nicht ab, w'rum 's ein Geheimnis sein soll? Ich nicht! denn, mein'r Ehr, 's ist die beste Frölen von der Welt.« Bei diesen Worten fing Jones an, sehr ernstlich zu bitten, sie möchte ihm ihr Geheimnis anvertrauen, und versprach Ehre und Treue, es nicht weiter zu sagen. Sie fuhr also weiter fort. »Nun, Herr Junker müssen denn wissen, meine Frölen hat mich hingeschickt, nach Molly Seegrims nachzufrag'n, und zu sehn, obs Weibsstück was mangeln möcht'. – Nun, 'n Gang zur Hochzeit, kam's mir vor, war's nicht; aberst, mein'r Ehr, uns'r Ein'r muß ja leicht thun, was 'd Herrschaft hab'n will. – Aberst – Herr Junker Jones, wie konnt's sich so wegwerf'n, Herr Junker Jones? – Aberst, was wollt' ich sagen? Ja! meine Frölen, sagt' mir, ich sollt' hingehn und ihr Linn'nzeug und so Sachen hinbringen. – 'S ist gar zu gut! – Wenn so ausverschämmte Menscher nachs Spinnhaus wanderten, besser wär's für sie. Ich sagte zur gnädig'n Frölen: Gnäd'g Vrölen, sagt' ich, 'R Gnad'n stärken's in'r Hüppigkeit.« – »Ach, war meine Sophie so gütig?« sagte Jones. – »Meine Sophie! Seht doch! was mir bisse!« antwortete Honoria. »Und doch! ja freilich, wenn der Herr Junker all's wüßten. – [190] Mein'r Ehr' und Treu! Wenn ich Junker Jon's wär', ich wollte mein' Nas' ein bißchen höher tragen, als nach so 'ner Bakasche, als 're Molly Seegrims!« – »Was will Sie damit sagen: wenn ich alles wüßte?« unterbrach sie Jones. – »Ich meine, was 'ch meine,« sagte Honoria. »Wissen's noch, als Sie 'n Mal Ihre Händ' in mein Frölens Muff steckten? Mein'r Ehr, ich wär's kumpabel zu verzählen, wenn 'ch gewiß wüßt', daß mein Frölen nichts wied'r davon zu hör'n kriegte.« – Thomas that ihr hierauf vermiedene Beteurungen; und die Zofe fuhr fort: »Nun so, wie 'ch sage, mein Frölen gab mir die Muffe, und denn, hernach, als sie 'rfuhr, was Sie gethan hätt'n –« »Sie sagte ihr also, was ich gethan hatte?« fiel Jones ein. »Ja wohl, sagt' ich's, Herr Junker,« antwortete sie: »brauch'n mir drüber gar nicht bös' zu sein. Mancher Mann hätt' seinen Kopf drum gegeb'n, daß 'n's 'R Gnaden gesagt hätt', wenn 's gewußt hätt'n. – Aberst, mein'r Ehr, nun hab' ich groß Lust 's Ihnen nicht zu sag'n.« Jones legte sich aufs Bitten und erlangte bald von ihr, daß sie folgendergestalt fortfuhr: »Nun meinthalben! So müß'n 's denn wissen, daß Frölen den Muffe mich gegeb'n hatte. Aberst, ein Tag oder zwo hernach, als ich'r die Historie erzählt hatte, war 'r ihr Muffe nicht zu Danke; und doch ist's die prächtigste Muff, die'n mir sehn kann. Norchen, sagt sie, dies ist 'n dumme Muffe, 's ist mir zu weit. Ich mag's nicht tragen. Bis 'ch 'ne andre kriege, muß Sie mich die andre wiedergeben. Sie kann diese davor hinnehmen; denn 's ist 'ne liebe Frölen, die nicht bald giebt, bald nimmt, das glauben Sie nur. So, was hatt' ich zu thun? ich holt 's er wieder her, und, ich glaube, sie hat's nachhermals fast Tag und Nacht uf ihren leibhaftigen Arme, und glaub'ns mir, mein'r Ehr, Sie hat ihr'n manchen Kuß gegeb'n, wenn's kein Mensch gesehn hat.«

Hier ward das Gespräch von Herrn Western selbst unterbrochen, welcher kam, Jones zum Klavier abzurufen, wohin der arme junge Mensch, ganz blaß und zitternd, mitging. Western bemerkte es zwar, allein wie er Jungfer Honoria gewahr ward, schob er's auf eine falsche Ursach; und nachdem er dem Jones, halb im Scherz und halb im Ernste, einen derben Fluch an den Hals geworfen, sagte er, er solle hübsch ein guter Weidmannsgesell sein und sein eigenes Revier hübsch rein halten.

Sophie schien diesen Abend schöner zu sein als gewöhnlich; und wir dürfen immer glauben, es habe, in Jones' Augen, ihrer Schönheit keinen geringen Zuwachs gegeben, daß sie nun eben gerade den Muff an ihrem rechten Arme haben mußte.

Sie spielte eben eins von ihres Vaters Leibstückchen, und Jones stand und lehnte sich auf ihren Stuhl, als ihr der Muff herunter [191] auf die Finger glitschte und sie am Spielen hinderte. Das war dem alten Junker so ärgerlich, daß er ihr den Muff wegriß und ihn mit einem derben Fluche ins Feuer warf. Sophie sprang augenblicklich auf und rettete ihn mit der äußersten Geschäftigkeit aus den Flammen.

Obgleich diese Begebenheit vermutlich manchem unsrer Leser von geringer Erheblichkeit scheinen wird, so that sie doch bei aller ihrer Geringfügigkeit eine so heftige Wirkung auf den armen Jones, daß wir es für Pflicht hielten, sie zu erzählen. Es gibt in Wahrheit manche kleine Umstände, welche von unverständigen Geschichtschreibern übergangen werden und aus welchen gleichwohl die wichtigsten Folgen entspringen. Man kann mit allem Fug die Welt als eine weitläufige Maschine betrachten, in welcher die großen Räder ihre ursprüngliche Bewegung von andern erhalten, die sehr klein und fast keinem andern, als nur dem schärfsten Auge bemerkbar sind.

Solchergestalt waren alle Reize der unvergleichbaren Sophie; aller blendende Glanz und alles sanfte Schmachten ihrer Augen, die Harmonie ihrer Stimme und des Baues ihrer Glieder, aller ihr Witz, alle ihre fröhliche Laune, ihre Größe der Seele, ihre milde Sanftmut – alles das, kurz, war nicht vermögend gewesen, das Herz des armen Jones so völlig zu besiegen und fesseln, als der kleine Umstand mit dem Muff. So singt der Dichter sehr lieblich von Troja:


Captique dolis lacrymisque coacti,
Quos neque Tydides, nec Larissaeus Achilles,
Non anni domuere decem, non mille carinae.
Die Diomedes, die Achilles nicht,
Die in zehn Jahren nicht der Griechen Heer
Mit tausend Schiffen überwält'gen konnte,
Sie sank anjetzt, besiegt von Thränen und der List.

Jones' Citadelle ward durch Ueberrumpelung eingenommen. Alle jene Rücksichten auf Redlichkeit und Klugheit, welche unlängst unser Held mit so großer Kriegsweisheit als Wachen vor die Zugänge zu seinem Herzen gestellt hatte, liefen fort von ihren Posten und der Gott der Liebe zog triumphierend hinein!

Fünftes Kapitel
[192] Fünftes Kapitel.

Ist ein sehr langes Kapitel und enthält eine sehr große Begebenheit.


Jedoch, obgleich diese siegende Gottheit sehr leicht ihre offenbaren Feinde aus Jones' Herzen vertrieb, so fand sie es doch schwerer die Besatzung zu entfernen, welche sie selbst hineingelegt hatte. Alles Allegorisieren beiseite gesetzt, die Sorge, was aus der armen Molly werden müsse, ging dem würdigen Jüngling sehr im Kopfe herum und machte ihm viele Unruhe. Der unendliche Vorzug Sophiens verdunkelte, oder vielmehr verlöschte zwar gänzlich die Schönheit der armen Dirne; aber Mitleiden, anstatt Verachtung, folgte auf die Liebe. Er war überzeugt, das Mädchen liebe ihn aus allen ihren Kräften, und habe all' ihre Hoffnung auf künftige Glückseligkeit einzig und allein auf ihn gebaut. Er wußte, daß er dazu mehr als genug Veranlassung gegeben hätte, durch seine äußerst verschwenderischen Beteurungen von Zärtlichkeit und Liebe. Eine Zärtlichkeit, deren ewige Dauer er ihr durch alle möglichen Mittel einzureden gesucht hatte. Sie ihrerseits hatte ihm versichert, daß sie festen Glauben an seine Versprechungen habe, und hatte durch die feierlichsten Gelübde erklärt, daß es von dem Festhalten oder Brechen seiner Zusage abhänge, ob sie die glücklichste oder die elendeste unter allen Muttertöchtern werden sollte. Und der Urheber dieses äußersten Grades von Elend für ein menschliches Wesen zu werden, das war ein Gedanke, welchem einen Augenblick nur nachzuhängen ihm unerträglich war. Er betrachtete das arme Mädchen aus dem Gesichtspunkte, daß sie ihm alles, was in ihrem kleinen Vermögen stand, aufgeopfert, sich selbst auf ihre eigene Unkosten zum Gegenstande seines Vergnügens gemacht hatte, ja noch in eben diesem Augenblicke nach ihm schmachtete und seufzte. Soll denn also, sagte er, meine Genesung, welche sie so sehnlich wünscht, soll meine Gegenwart, welche sie so brünstig erwartet, anstatt ihr die Freude zu geben, mit welcher sie sich geschmeichelt hat, sie auf einmal in Elend und Verzweiflung hinabstürzen? Kann ich ein solch niederträchtiger Bösewicht sein? Wenn hierMollys guter Geist zu siegen schien, so stürmte Sophiens Liebe zu ihm, welche jetzt nicht mehr zweifelhaft schien, von neuem auf sein Herz los und warf jedes ihr widerstehende Hindernis aus dem Wege. Endlich fiel es ihm ein, daß er vielleicht im stande sein könne, Molly auf andere Weise schadlos zu halten, wenn er ihr nämlich eine Summe Geldes gäbe. Uebrigens verzweifelte er fast daran, daß sie solche annehmen würde, wenn er sich der häufigen und feurigen Versicherungen erinnerte, die er von ihr erhalten hatte, daß die ganze Welt, gegen [193] ihn auf die Wagschale gelegt, ihr seinen Verlust nicht ersetzen würde. Gleichwohl gaben ihm ihre außerordentliche Armut und ihre überschwengliche Eitelkeit (von der wir den Leser bereits so etwas im Vorbeigehen haben merken lassen) einige kleine Hoffnung, daß sie, ungeachtet aller ihrer belobten Zärtlichkeit, doch wohl mit der Zeit dahin gebracht werden könnte, sich mit einem Glücke zu begnügen, welches ihre Erwartung überstiege und ihrer Eitelkeit dadurch schmeichelte, daß sie über alle Ihresgleichen emporgesetzt würde. Er beschloß also, die erste beste Gelegenheit wahrzunehmen, ihr Vorschläge von dieser Art zu machen.

Eines Tages sonach, als sein Arm so weit wieder geheilt war, daß er mit demselben in einer Binde ganz gemächlich gehen konnte, stahl er sich zu einer Zeit, da der Junker in seinen Jagdübungen begriffen war, aus dem Hause und ging seine Schöne zu besuchen. Ihre Mutter und Schwestern, die er beim Theetrinken fand, berichteten ihm anfangs, Molly sei nicht zu Hause; hernach aber sagte ihm die ältere Schwester mit einem boshaften Lächeln, sie läge im zweiten Stock in ihrem Bette. Tom ließ sich diese Situation seiner Geliebten gefallen und stieg augenblicks die Leiter hinauf, welche zu ihrem Schlafgemach führte. Als er aber an die oberste Sprosse gelangte, fand er zu seiner äußersten Verwunderung die Thüre verriegelt; auch konnte er einige Zeit lang von innen heraus keine Antwort erlangen, denn Molly, wie sie ihm hernach selbst sagte, lag im festen Schlafe.

Die äußersten Grenzen von Gram und Freude bringen, wie man bemerkt hat, sehr ähnliche Wirkungen hervor, und, wenn eins von beiden uns unvermutet überrascht, kann es leicht solch eine gänzliche Verwirrung und Betäubung in uns hervorbringen, daß wir dadurch des Gebrauchs all unseres Sinnesvermögens beraubt werden. Man kann sich demnach nicht darüber wundern, daß der unerwartete Anblick des lieben Jones so heftig auf Mollys Gemüt wirkte, daß sie einige Minuten hindurch unvermögend war, die großen Entzückungen auszudrücken, welche sie, wie der Leser leicht voraussetzen wird, bei dieser Gelegenheit überströmten. Jones, seinerseits, war von der Gegenwart des geliebten Gegenstandes dergestalt eingenommen, oder gleichsam so bezaubert, daß er für eine Weile Sophien, und folglich den Hauptzweck seines Besuches, vergaß.

Dieser kam ihm gleichwohl bald wieder in die Gedanken, und nachdem die ersten Entzückungen ihres Wiedersehens vorüber waren, fand er Mittel, die Unterredung allmählich auf die widerwärtigen Folgen zu leiten, welche ihre Liebe treffen müßten, wenn Herr Alwerth, der es ihm ausdrücklich verboten hätte, sie jemals wieder [194] zu besuchen, die Entdeckung machte, daß sie ihren Umgang noch immer fortsetzten. Eine solche Entdeckung, welche er seiner Feinde wegen für unvermeidlich halten müßte, würde sein Verderben, und folglich auch das ihrige nach sich ziehen. Weil also ihr hartes Geschick es einmal so beschlossen hätte, daß sie sich trennen müßten, so riete er ihr, sich mit standhaftem Mute darein zu schicken, und schwur, er wolle Zeit seines Lebens keine Gelegenheit vorbeilassen, ihr die Aufrichtigkeit seiner Liebe zu beweisen, indem er auf eine Art für sie sorgen wolle, die ihre äußerste Erwartung oder selbst ihre Wünsche übertreffen sollte, sobald es nur in seinem Vermögen stände, wobei er noch schließlich hinzusetzte, daß sie bald irgend einen Mann finden könne, der sie heiraten und glücklicher machen könne, als sie es bei Fortsetzung eines tadelhaften Lebens mit ihm werden würde. Molly blieb ein paar Minuten im Stillschweigen vergraben; dann brach sie in eine Thränenflut aus und begann ihm mit folgenden Worten Vorwürfe zu machen: »So, ist das Ihre Liebe zu mich, mich nun so sitzen zu lass'n! nun sie mich geruiniert haben? Wie oft und manch'malen, wenn ich's Sie gesagt habe, daß die Mannsen falsch sind, und meeneedig, der ehne wie der andre, und uns satt werden, sobald sie nur ihren gottlosen Willen mit uns gehabt haben, wie manchmals hab'n Sie mir's nicht da zugeschworen, Sie wollten mich Ihr Lebstage nicht verlassen? und nun wollen Sie so ein'n abscheulicher, meeneediger Mensch werden? Was helfen mir alle Schätze dieser Welt ohne Ihnen! Nun Sie mir haben mein Herz gestollen, ja das hab'n – das hab'n Sie, wie können Sie mir wohl von ehnen andern Mann sagen? Ich kann keenen andern Mann lieben, als Ihnen, so lang ich lebe. All' andre Mannsen sind m'r nichts, nichts vor mich; wenn der größte adliche Herr im ganzen Lande morgen im Tage herkeeme und nach mir freite, ich wollt' ihm meine Gesellschaft nicht geben. Nee, nee! Ich hass' und verachte die Männer allmiteinander, aus Liebe zu Sie! –«

Ihre leidenschaftliche Beredsamkeit war noch im besten Gange, als ein Zufall ihrer Zunge plötzlich Einhalt that, bevor solche noch die Hälfte ihrer Laufbahn durchrannt hatte. Das Zimmer, oder vielmehr das Dachkämmerlein, worin Molly lag, war eine Treppe, oder vielmehr Leiter hinauf, das heißt im obersten Stockwerk des Hauses, und hatte die zugespitzte Figur, welche dem großen Delta im griechischen Alphabet etwas ähnelte. Unsere Leser mögen sich davon vielleicht einen richtigeren Begriff machen können, wenn wir ihnen sagen, es war unmöglich, darin anderwärts als nur in der Mitte aufrecht zu stehen. Da es nun diesem Zimmer an der Bequemlichkeit eines Alkovens gebrach, so hatte Molly, diesen Mangel [195] zu ersetzen, eine alte Haardecke an die Sparren des Hauses genagelt, zum Vorhange vor ein enges Räumchen, worin sie ihre besten Sachen, zum Exempel die Ueberreste von dem Schlenter, dessen wir vorhin erwähnt haben, einige Hauben und dergleichen Siebensachen mehr, die sie sich neulich angeschafft hatte, aufgehängt und vorm Staub in Sicherheit gebracht hatte. Dieser abgescherte Platz lag genau dem Fuße des Bettes gegenüber, und die Haardecke hing demselben wirklich so nahe, daß sie gewissermaßen den Abgang einer Bettgardine ersetzte. Ob nun Molly im Eifer der Wut diese Haardecke mit ihren Füßen wegstieß, oder ob Jones sie berührte, oder ob die Nägel von selbsten nachließen oder ausfielen, das weiß ich nicht gewiß! aber, als Molly die letzen Worte aussprach, welche oben aufgezeichnet stehen, riß die gottlose Haardecke von ihrer Befestigung los und entdeckte alles und jedes, was sie verborgen hatte; da dann, unter andern weiblichen Geräten, zum Vorschein kam (mit Scham schreibe ich's, und mit Betrübnis wird man's lesen) der Philosoph Quadrat in einer Positur (denn der Platz gestattete keineswegs, daß er auf seinen Füßen aufrecht stehen konnte), die sich nicht lächerlicher ersinnen läßt.

Diese Positur, in welcher er stand, war wirklich der Stellung eines Soldaten nicht unähnlich, den man an Händen und Füßen krumm geschlossen hat, und vielleicht drückt sie das neuerlich in Kurs gekommene Wort so ziemlich richtig aus, welches ich mir also die Erlaubnis nehme zu gebrauchen, wenn ich sage: Seine Stellung war sehr geduckt. Auf seinem Kopfe hatte er eine von Mollys Nachthauben, und seine beiden großen Augen starrten, als der Haardecken-Vorhang fiel, gerade auf Jones, so daß, wenn die Idee von Philosophie zu dieser hier entdeckten Figur hinzukam, es wohl für jeden Zuschauer in der Welt sehr schwer gewesen sein möchte, sich des lautesten Gelächters zu enthalten.

Ich zweifle nicht, der Leser wird hier ebenso erstaunt sein, als es Jones war, weil der Verdacht, welcher aus der Erscheinung dieses weisen und ernsthaften Mannes in solch einem Winkel entstehen muß, sich nicht mit dem Charakter zu reimen scheint, welchen er zweifelsohne bis daher in der Meinung eines jeden behauptet hatte.

Aber, die Wahrheit zu bekennen, so ist diese Unverträglichkeit mehr eingebildet als wirklich. Philosophen haben so gut wie andere menschliche Geschöpfe Fleisch und Blut; so sublimiert und raffiniert ihre Theorie auch sein mag, so ist ihnen doch eine kleine praktische Schwachheit ebenso eigentümlich als andern Sterblichen. Eigentlich, wie wir bereits zu verstehen gegeben haben, liegt der Unterschied bloß in der Theorie und nicht in der Ausübung: denn, obgleich solche erhabene Männer viel besser und weiser denken, so [196] handeln sie doch immer gerade wie andre Menschen. Sie wissen es sehr gut, wie man alle Lüste und Begierden dämpfen und beides, Schmerz und Vergnügen, verachten soll; und diese Wissenschaft gewährt ihnen manche sehr behagliche Kontemplation und ist leichtlich erworben; die Ausübung aber würde mühsam und beschwerlich sein, und daher lehrt sie dieselbe Weisheit die beschwerliche Ausübung vermeiden, welche sie die vorbesagte leichtere Theorie lehrt.

Herr Quadrat war gerade eben den Sonntag in der Kirche, als Mollys Aufzug in ihrem Schlenter, wie der Leser sich zu erinnern belieben wird, alle die Unruhen anrichtete. Hier bemerkte er sie zum erstenmale und fand dermaßen Gefallen an ihrer Schönheit, daß er die jungen Herren beredete, eine Veränderung in ihrem vorhabenden Spazierritt zu treffen, damit er bei Mollys Wohnung vorbeireiten und auf solche Weise ihrer noch einmal ansichtig werden könnte. Da er jedoch dieser Absicht damals gegen niemand erwähnte, so hielten wir es gleichfalls nicht für diensam, solche dem Leser mitzuteilen.

Unter andern Besonderheiten, welche, nach Herrn Quadrats Meinung, gegen die ewige Harmonie der Dinge verstießen, waren auch die beiden: Gefahr und Schwierigkeiten. Die Schwierigkeit also, welche er dabei besorgte, dieses junge Weibsbild zu verführen, und die Gefahr, welche aus der Entdeckung für seinen guten Ruf entstehen konnte, waren zwei so starke Abmahnungen, daß es wahrscheinlich ist, anfangs sei sein Vorsatz nur gewesen sich mit den angenehmen Ideen zu begnügen, welche uns das Beschauen der Schönheit gewährt. Solche Ideen erlauben sich oft die ernsthaftesten Männer nach einer vollen Mahlzeit von ernsthaften Betrachtungen so gleichsam als zum Nachtisch. Zu diesem Ende finden dann auch gewisse Bücher, Gemälde und Kupferstiche den Weg in die geheimsten Verschlüsse ihrer Studierzimmer, und ein gewisser sehr berauschender Teil der Naturgeschichte ist daher oft der Hauptinhalt ihrer Unterredungen.

Als aber der Philosoph einen oder ein paar Tage nachher hörte, daß die Festung ihrer Tugend bereits einmal überstiegen gewesen sei, so begann er seinen Begierden ein bequemeres Ziel zu stecken. Sein Appetit war nicht von der heiklen Art, welche von keinem Leckerbissen kosten mag, weil ein andrer vorher schon daran geschmäckert hat. Kurz die Dirne gefiel ihm ihres Abganges der Keuschheit wegen um so besser, weil, wenn sie solche noch in Gewahrsam gehabt hätte, gerade eben diese jungfräuliche Gebärde als Palissaden gegen sein Vergnügen gestanden haben würde. Er also setzte ihr nach und haschte sie.

Der Leser irrt sich, wenn er glaubt, Molly habe Quadrat vor [197] dem jüngern Jones den Vorzug gegeben; keineswegs! Ohne allen Zweifel vielmehr wäre Jones, wenn sie unter beiden mit Gewalt einen hätte wählen müssen, der Sieger gewesen. Es war auch nicht einmal die Ueberlegung allein, daß zwei besser sind als einer, welcher Quadrat sein Glück zu verdanken hatte. Jones' Abwesenheit während der Kur seines Armbruchs war ein unglücklicher Umstand; und während dieser Zeitlücke beschwichtigten einige wohl ausgedachte Geschenke des Philosophen das wehrlose Herz des Mädchens dergestalt, daß eine günstige Gelegenheit unwiderstehlich ward und Quadrat die wenigen Reste von Wall und Mauern von Mollys Tugendfestung vollends sprengte.

Es mochte ungefähr vierzehn Tage nach dieser Eroberung sein, als Jones den eben erwähnten Besuch bei seiner Geliebten abstattete und gerade die Zeit traf, wo sie und Quadrat sich eben zu Bett befanden. Hierin steckte die wahre Ursache, warum die Mutter, wie wir gesehen haben, sie verleugnete. Denn weil die alte Frau ihren Teil an dem Gewinn hatte, den dieses sündliche Gewerbe ihrer Tochter abwarf, so leistete sie ihr darin allen ihr möglichen Beistand und Schutz. Aber so weit ging der Neid und Haß von Mollys älterer Schwester, ob sie gleich bei der Beute nicht ganz leer ausging, daß sie solche gutwillig fahren lassen wollte, wenn sie nur ihre Schwester stürzen und ihr das Handwerk legen könnte. Deswegen hatte sie Jones die Nachricht gegeben, sie befinde sich oben im Hahnbalken zu Bette, und hatte gehofft, er würde sie in Quadrats Armen überraschen. Dieser Ueberraschung fand Molly Mittel zuvorzukommen, indem sie die Thüre verriegelt hatte, welches ihr Gelegenheit gab, ihren Buhlen hinter die härene oder Pferdedecke zu verbergen, wohinter er jetzt unglücklicherweise entdeckt ward.

Quadrat kam nicht so bald zum Vorschein, als Molly in ihr Bett zurücksank, ausrief, sie sei verloren! und sich ganz der Verzweiflung überließ. Dies arme Mädchen, welches noch bloß eine junge Anfängerin in ihrem Gewerbe war, hatte sich noch nicht bis zu der vollkommenen Unbefangenheit hinaufgeschwungen, wodurch sich eine Stadtdame aus der äußersten Verlegenheit zu helfen weiß, und die ihr entweder eine Entschuldigung an die Hand gibt, oder ihr die eiserne Unverschämtheit einflößt, es mit ihrem Ehemanne rechtlich auszumachen, welcher dann aus Liebe zur Ruhe oder aus Besorgnis für seinen guten Namen, und vielleicht zuweilen aus Furcht vor dem Galan, wenn er, wie Herr Konstant in der Komödie, einen Degen führt, nur froh ist, daß er die Augen zudrücken und sein Paar Hörner in die Taschen stecken kann! Molly hingegen ward durch diesen Zeugen zum Verstummen gebracht und gab ein Sache völlig verloren, welche sie bisher mit so viel Thränen und [198] mit so feierlichen und heftigen Beteurungen der reinsten Liebe und Beständigkeit unterstützt hatte.

Was den Herrn hinter dem Vorhange betraf, so befand sich der in nicht geringerer Bestürzung. Er blieb eine Zeitlang wie versteinert und schien ebensowenig zu wissen was er sagen, oder wohin er seine Augen wenden sollte. Jones, der vielleicht unter allen dreien am meisten erstaunt war, fand am ersten den Gebrauch seiner Zunge wieder und, nachdem er sich unmittelbar von dem unangenehmen Gefühl erholt, welches Molly durch ihre Vorwürfe bei ihm erregt hatte, brach er in ein lautes Gelächter aus, grüßte dann den Herrn Quadrat und ging auf ihn zu, um ihm die Hand zu reichen und ihn aus seinem Gefängniswinkel hervorzuziehen.

Quadrat, der nunmehr in die Mitte des Kämmerleins gekommen war, woselbst er allein aufrecht stehen konnte, sah Jones mit einer sehr ernsthaften Miene ins Gesicht und sagte zu ihm: »Recht gut, junger Herr! Ich sehe, Sie kitzeln sich mächtig mit dieser Entdeckung und haben, wie ich wohl schwören will, eine innige Freude über den Gedanken, daß Sie mich dem Gelächter preisgeben können; wenn Sie aber die Sache ganz unbefangen betrachten wollen, so werden Sie finden, daß nur Sie allein zu tadeln sind. Mich trifft der Vorwurf nicht, daß ich die Unschuld verführt habe. Ich habe nichts gethan, weswegen mich der Teil der Welt verdammen kann, welcher die Sache nach der wahren Regel des Rechts beurteilt. Die ewige Harmonie hängt ab von der Natur der Dinge und nicht von Gewohnheit und Gebrauch, Formalitäten oder Polizeigesetzen. Nichts ist im Grunde dieser Harmonie zuwider als das, was unnatürlich ist.« – »Gründlich philosophiert, alter Herr!« antwortete Jones. »Aber warum denkt der Herr, ich sollte wünschen, ihn dem Gelächter preiszugeben? Verlass' sich der Herr d'rauf, daß er mir in meinem Leben nicht besser gefallen hat; und der Herr müßte selbst Lust haben, die Sache bekannt zu machen, sonst soll sie meinetwegen ein ewiges Geheimnis bleiben.«

»Nun wohl, lieber Herr Jones,« erwiderte Quadrat, »ich möchte auch eben nicht für den Mann gehalten werden, der sich aus einem guten Leumund gar nichts machte. Ein guter Ruf ist eine Art von Talon und ist keineswegs zu vernachlässigen. Ueberdem ist es ein gehässiges Laster und eine Art von Selbstmord, wenn man seinen eigenen guten Ruf vernichtet. Wenn Sie also für gut finden, diese meine Schwachheit zu verbergen, (denn Schwachheiten kann ich haben, weil ja kein Mensch ganz vollkommen ist) so versprech' ich Ihnen, daß ich selbst mich nicht verraten will. Man kann nach der Regel des Rechts ganz wohl Dinge thun, womit man sich nach der Regel des Rechts nicht brüsten muß, denn [199] nach dem verkehrten Urteile der Welt wird das oft ein Gegenstand des Tadels, was der Wahrheit nach nicht nur unschuldig, sondern sogar löblich ist.« – »Recht, recht!« rief Jones, »was kann unschuldiger sein, als seine natürlichen Begierden befriedigen? Oder was löblicher, als die Vermehrung des menschlichen Geschlechts?« – »Ganz ernsthaft mit Ihnen zu sprechen,« antwortete Quadrat, »versichere ich Ihnen, daß es mir immer und allemal so geschienen hat.« – »Unterdessen doch,« sagte Jones, »waren Sie andrer Meinung, als meine Geschichte mit diesem Mädchen bekannt wurde.« – »Nun ja, ich muß bekennen,« sagte Quadrat, »wie mir die Sache dazumal verkehrt vorgestellt wurde von dem Pfaffen Schwöger, so konnt' ich wohl das Verführen der Unschuld verdammen: das war's, guter Jones, ja ja, das war's! und – dann lieber Jones, das müssen Sie ja wissen, daß in der Betrachtung, der Regel des Rechts oder Unrechts sehr kleine Umstände, lieber Jones, einen großen Unterschied machen.« – »Gut!« sagte Jones, »sei dem wie ihm wolle! Ihr eigener Fehler soll es sein, wie ich Ihnen versprochen habe, wenn Sie von diesem Abenteuer wieder ein einziges Wort hören. Betragen Sie sich nur gütig und freundschaftlich gegen das Mädchen, so will ich über die Sache gegen keinen Menschen meine Lippen aufthun. Und du, Molly, sei deinem Freunde getreu, so will ich nicht nur dir deine Untreue gegen mich verzeihen, sondern dir alle Dienste erweisen, die mir nur möglich sind.« Mit diesen Worten nahm er eiligst seinen Abschied, schlüpfte die Leiter hinunter und ging mit aller Behendigkeit von dannen.

Quadrat war herzlich erfreut, zu finden, daß dieses Abenteuer allem Ansehen nach keine schlimmeren Folgen haben würde; und Molly, nachdem sie sich von ihrer Verwirrung erholt hatte, begann anfangs damit, dem Philosophen Vorwürfe zu machen, wie er schuld sei, daß sie ihren geliebten Jones verliere. Der philosophische Quadrat aber fand bald Mittel, ihren Zorn zu mildern, teils durch zärtliche Liebkosungen, teils durch ein kleines alchimistisches Mittel aus seinem Säckel, von wunderthätiger und erprobter Wirkung, und besser als Plummenäcks berühmtes Astralpulver, die Lebensgeister von der Finsternis zu entbinden und in ihr ursprüngliches und heiteres Licht zu versetzen.

Hierauf floß sie über in reichlichen Strömen von Zärtlichkeit gegen ihren neuen Geliebten, kehrte alles was sie zu Jones gesagt hatte und Jones selbst obendrein ins Lächerliche und beteuerte, ob jener gleich den Besitz ihrer Person gehabt hätte, wäre doch niemand als Quadrat der wahre Besitzer ihres Herzens gewesen.

Sechstes Kapitel
[200] Sechstes Kapitel.

Welches, wenn es der Leser mit dem vorigen vergleicht, vielleicht einige Irrtümlichkeiten heben kann, deren er sich bis dahin bei Anwendung des Wortes Liebe vielleicht hat zu Schulden kommen lassen.


Mollys Untreue, welche Jones jetzt entdeckte, möchte vielleicht einen weit größeren Grad von Empfindlichkeit entschuldigt haben, als er bei der Gelegenheit zeigte; und hätte er sie von diesem Augenblick an völlig verlassen, so würden ihn, glaube ich, nur wenig Menschen getadelt haben.

Er jedoch betrachtete sie als eine Person, die Mitleiden verdiene; und obgleich seine Liebe zu ihr nicht von einer solchen Art war, daß er sich über ihren Verlust so gar heftig beunruhigen konnte, so quälte es ihn doch nicht wenig, wenn er bedachte, daß er es doch ursprünglich selbst gewesen, der ihre Unschuld verführt hatte; denn dieser ersten Verführung rechnete er alle die Laster zu, in welche sie sich nun stürzen zu wollen schien.

Diese Betrachtung machte ihm nicht wenigen Kummer, bis Betty, die ältere Schwester, einige Zeit nachher so liebreich war, ihn durch einen Wink völlig zu heilen. Sie erzählte ihm nämlich, daß ein gewisser Wilhelm Barnes und nicht er der erste Verführer ihrer Schwester Molly gewesen sei, und daß das kleine Kind, das er bisher so gewiß für sein eigenes gehalten hätte, nach aller Wahrscheinlichkeit wenigstens ebensogut berechtigt sein möchte, diesen Barnes Vater zu nennen.

Sobald Jones auf diese Spur gebracht war, verfolgte er sie begierig und war in sehr kurzer Zeit hinlänglich überzeugt, daß das Mädchen ihm die Wahrheit gesagt hatte, nicht bloß aus dem Geständnisse des Kerls, sondern aus Mollys selbsteigenem Geständnis.

Dieser Wilhelm Barnes war ein Weiberheld fürs Kirchspiel und hatte in seiner Art ebensoviele Siegeszeichen aufzuweisen als irgend ein Fähndrich oder sonstiges Kraftgenie in den Städten und Garnisonen. Er hatte wirklich verschiedene Frauenspersonen bereits bis zur äußersten Liederlichkeit heruntergebracht; einige gingen seinetwegen in welker Verschmachtung umher, und auch die Ehre hatte er gehabt, daß er den gewaltsamen Tod eines armen Mädchens auf dem Gewissen hatte, die sich ersäuft, oder, was weit wahrscheinlicher war, die er selbst ins Wasser gestürzt hatte.

Unter andern Eroberungen solcher Art hatte dieser Kerl auch über das Herz der Betty Seegrim gesiegt. Seinen Liebeshandel hatte er lange vorher schon mit ihr getrieben, bevor Molly noch [201] ein tüchtiger Gegenstand zu solchem Zeitvertreibe geworden war. Nachher aber hatte er sie aufgegeben und sich an ihre Schwester gemacht, bei der es ihm auch fast augenblicklich geglückt war. Nun hatte Wilhelm wirklich allein den Besitz ihrer Neigung, währenddessen Jones und Quadrat, beide fast gleich gut, nur ihrem Eigennutze und ihrem Hochmut zu Opfern dienten.

Hieraus war der unversöhnliche Haß entstanden, welchen wir vorhin in Bettys Gemüt wüten sahen, ob wir es gleich nicht eher für nötig hielten, die Ursache davon anzugeben, weil der Neid allein schon alle Wirkungen hervorbringen konnte, deren wir erwähnten.

Jones war durch den Besitz dieses Geheimnisses, in dem was Molly betraf, völlig beruhigt; in Ansehung Sophiens aber war er von diesem Gemütszustande weit entfernt. Vielmehr ward er von dem heftigsten Kummer gequält. Sein Herz war jetzt, wenn ich die Metapher brauchen mag, völlig geräumt, und Sophie nahm davon unbestrittenen Besitz. Er liebte sie mit unbegrenzter Leidenschaft und sah ganz deutlich die zärtlichen Empfindungen, welche sie für ihn hegte. Dennoch konnte diese Vergewisserung weder seine Verzweiflung über den Punkt der unfehlbaren Weigerung ihres Vaters, noch das Grausen mindern, welches ihn überfiel, wenn er an irgend ein niederträchtiges oder verräterisches Mittel sie sich anzueignen dachte.

Die Beleidigung, die er dadurch dem guten Junker Western zufügen würde, und der Kummer, der daraus dem würdigsten Herrn Alwerth erwachsen müßte, waren die Vorstellungen, welche ihn den Tag hindurch quälten und ihn des Nachts auf seinem Kopfkissen ängstigten. Sein Leben war ein beständiges Ringen zwischen Ehre und Liebe, welche wechselsweise über einander in seiner Seele siegten. Er entschloß sich oft, in Sophiens Abwesenheit ihres Vaters Haus zu verlassen und sie nicht wieder zu sehen, und eben so oft vergaß er in ihrer Gegenwart alle solche Entschließungen und nahm sich dann dagegen vor, sein Leben und alles was ihm noch teurer als dies war daran zu wagen, um zum Besitz seiner Sophie zu gelangen.

Dieser Kampf begann bald sehr starke und sichtbare Wirkungen hervorzubringen, denn er verlor alle seine natürliche Munterkeit und Lebhaftigkeit, und ward nicht nur melancholisch, wenn er allein, sondern auch niedergeschlagen und zerstreut, wenn er in Gesellschaft war; ja, wenn er auch, um mit Junker Westerns Laune zu stimmen, sich Gewalt anthat munter zu scheinen, so war der Zwang so fühlbar, daß er gerade dadurch den stärksten Beweis von demjenigen gegeben zu haben scheint, was er durch diesen Zwang eben zu verbergen suchte.

Es mag vielleicht eine Frage sein, ob die Kunst, die er anwendete, [202] seine Leidenschaft zu verbergen, oder die Mittel, deren die ehrliche Natur sich bediente, sie zu offenbaren, ihn am meisten verrieten: denn während die Kunst ihn mehr als jemals gegen Sophie zurückhaltend machte und ihn abhielt, irgend eines seiner Gespräche an sie zu richten, ihn sogar die äußerste Sorgfalt lehrte, ihre Blicke zu vermeiden, war die Natur nicht weniger beschäftigt, seine Pläne zu vereiteln. Daher kam es denn, daß er bei ihrer Annäherung erblaßte, und wenn sich solche unerwartet fügte, zusammenfuhr. Wenn zufälligerweise seine Augen den ihrigen begegneten, schoß ihm das Blut in die Wangen, und sein Gesicht ward über und über scharlachrot. Wenn ihn die gewöhnlichste Höflichkeit einmal nötigte sie anzureden, zum Beispiel wenn er bei Tische auf ihre Gesundheit trinken mußte, so lief's gewiß nicht ohne Stammeln ab. Wenn er ihre Hand berührte, so zitterte die seinige, ja sogar sein ganzer Körper. Und wenn irgend das Gespräch auch nur noch so leise die Idee von Liebe anregte, so fehlte es selten, daß sich nicht ein unfreiwilliger Seufzer seiner Brust entstahl; und die Natur war wunderbar sinnreich, ihm dergleichen Zufälle tagtäglich in den Weg zu werfen.

Alle diese Symptome entgingen der Aufmerksamkeit des Junkers, aber nicht der von Sophie. Sie ward dieser Gemütsunruhe an Jones sehr bald gewahr und war über ihre Ursache gar nicht zweifelhaft, denn sie durfte solche nur mit demjenigen vergleichen, was in ihrem eigenen Busen vorging. Und dieses Vergleichen ist, wie ich dafür halte, jene Sympathie, die man so oft an Liebenden wahrgenommen hat und woraus es sich zur Genüge erklären lassen wird, warum sie so unendlich viel scharfsichtiger war als ihr Vater.

Jedoch, um die Wahrheit zu sagen, gibt es eine einfachere und näher liegende Methode, diese erstaunenswürdige Ueberlegenheit an Scharfsichtigkeit zu erklären, welche wir oft an einzelnen Menschen über das ganze übrige Menschengeschlecht wahrnehmen, und zwar eine Erklärung, die nicht nur in Liebesfällen, sondern in allen übrigen Stich hält. Denn woher kommt es, daß der Schelm fast durchgängig so schnell und scharfsichtig bei den Merkzeichen und Schlichen der Schelmerei ist, wodurch oft ein redlicher Mann von weit hellerem Verstande betrogen wird? Es herrscht doch gewiß keine allgemeine Sympathie unter den Schelmen, und sie haben doch auch nicht wie die Freimaurer ein allgemeines Erkennungszeichen? Die Sache steckt wirklich nur darin, daß sie einerlei Absicht im Kopfe haben und ihre Gedanken einerlei Richtung nehmen. Daher kann es uns nicht wundern, daß Sophie die deutlichen Merkmale der Liebe an Jones sah und Western nicht, wenn wir bedenken, daß die Idee von Liebe dem Vater niemals in den Kopf [203] kam, seine Tochter hingegen zu dieser Zeit an gar nichts andres dachte.

Seitdem Sophie fest von der Leidenschaft überzeugt war, welche den armen Jones quälte und nicht minder gewiß war, daß sie selbst der Gegenstand dieser Leidenschaft sei, ward es ihr außerordentlich leicht, die wahre Ursache seines jetzigen Betragens zu entdecken. Dies vermehrte ihre Neigung zu ihm um ein großes, und erweckte in ihrem Herzen zwei der vorteilhaftesten Bewegungen, die nur ein Liebender in seiner Geliebten zu erwecken wünschen mag. Diese waren Hochachtung und Bedauern. Nun sollte ich doch glauben, die entsetzlichste Rigoristin müßte sie entschuldigen, daß sie einen Mann bedauerte, den sie ihretwegen so viel leiden sah, ebensowenig könnte diese Rigoristin sie darüber tadeln, daß sie einen Mann hochschätzte, der so sichtbarlich aus den redlichsten Ursachen strebte, eine Flamme in seinem Busen zu ersticken, welche, gleich dem berühmten spartanischen Diebstahl, an seinen eigenen Eingeweiden nagte. Daher seine Blödigkeit, seine Entfernung, seine Kälte und sein Stillschweigen seine eifrigsten, fleißigsten, wärmsten und beredtesten Sachwalter wurden und so heftig auf ihr zärtliches und sanftes Herz wirkten, daß sie bald alle die milden Empfindungen für ihn fühlte, welche in einer tugendhaften und erhabenen weiblichen Seele stattfinden können. – Kurz alles, was Hochachtung, Dankbarkeit und Mitleiden einer solchen Person gegen einen angenehmen Mann einflößen – in der That alles, was die reinste Delikatesse erlaubt – mit einem Wort – sie war in ihn verliebt bis über die Ohren.

Eines Tages begegnete sich dies junge Paar von ungefähr im Garten am Ende von zwei Gängen, welche beide auf den Kanal stießen, in welchem Jones ehemals fast ertrunken wäre, als er den Vogel wieder fangen wollte, den Sophie da verloren hatte.

Die letzte Zeit her hatte Sophie diese Gegend sehr fleißig besucht. Hier pflegte sie mit einer Mischung von Schmerz und Vergnügen über einen Zufall nachzudenken, der, so geringfügig er an und für sich selbst sein mochte, doch vermutlich den ersten Samen der Liebe ausgestreut hatte, die jetzt in ihrem Herzen zu solcher Reife gediehen war.

Hier also begegnete sich das junge Paar. Sie waren einander fast ganz nahe gekommen, ehe eines vom andern das geringste wahrgenommen hatte. Ein Zuschauer würde in beiden Gesichtern Zeichen genug von Verwirrung entdeckt haben. Sie fühlten aber selbst zu viel, um die geringste Beobachtung zu machen. Sobald als Jones sich ein wenig von seiner ersten Bestürzung erholt hatte, näherte er sich dem Fräulein mit den gewöhnlichen Begrüßungsformeln,[204] welche sie auf eben die Art erwiderte, und ihre Unterredung begann ganz alltäglich über die Lieblichkeit und Schönheit des Morgens. Von da gingen sie über zu der Schönheit des Platzes, über welchen Jones in treffliche Lobsprüche ausbrach. Als sie an den Baum kamen, von dem er ehemals in den Kanal gepurzelt war, konnte Sophie nicht umhin, ihn an jenen Zufall zu erinnern, und sagte: »Ich sollte denken, Herr Jones, Sie müßten einen kleinen Schauder fühlen, wenn Sie das Wasser da sehen.« – »Ich versichre Ihnen, gnädiges Fräulein, die Betrübnis, die Sie über den Verlust Ihres kleinen Vogels fühlten, wird mir beständig der wichtigste Umstand in jener Begebenheit bleiben. Das arme kleine Tömchen! das ist der Ast, auf dem er saß. Wie konnte der kleine Narr so thöricht sein, aus dem Zustande der Seligkeit hinwegzufliegen, zu welchem ich die Ehre hatte ihm zu verhelfen? Sein Schicksal war eine gerechte Strafe für seine Undankbarkeit.« – »Auf mein Wort, Herr Jones,« sagte sie, »Ihre herzhafte Gefälligkeit hätte Ihnen um ein Haar ein ebenso hartes Schicksal zugezogen. Wirklich, das Andenken daran muß Ihnen rührend sein.« – »Wirklich, gnädiges Fräulein,« antwortete er, »wenn ich irgend Ursache habe, mich nicht mit Freuden daran zu erinnern, so ist's vielleicht deswegen, daß das Wasser nicht ein wenig tiefer war, wodurch ich manchem bittern Leiden entgangen wäre, welches mir das Schicksal noch scheint aufgehoben zu haben.« – »Pfui! Herr Jones,« erwiderte Sophie, »gewiß, das kann nicht Ihr Ernst sein! Diese affektierte Verachtung des Lebens ist bloß eine Aeußerung der Höflichkeit gegen mich. Sie möchten gerne die Verbindlichkeit verringern, die ich gegen Sie habe, daß Sie es zweimal für mich aufs Spiel setzten. Aber nehmen Sie sich fürs drittemal in acht!« Diese letzten Worte sagte sie mit einem unaussprechlich sanften Lächeln. Jones antwortete mit einem Seufzer: Er fürchte, die Warnung komme bereits zu spät. Und drauf, indem er sie zärtlich aber scharf ansah, sprach er: »O, gnädiges Fräulein Western, können Sie befehlen, daß ich leben soll? Können Sie, Sie mir so etwas Böses wünschen?« Sophie schlug hierbei die Augen zur Erde und antwortete mit einigem Stottern: »Gewiß, lieber Herr Jones, ich wünsche Ihnen nichts Böses!« – »O,« sagte Jones, »ich kenne Ihr himmlisches Gemüt zu gut. – Diese unendliche Güte, welche über alle Ihre übrigen Reize so weit erhaben ist.« – »Nein, lieber Jones,« antwortete sie, »da versteh' ich Sie nun nicht. – Ich kann nicht länger bleiben.« – »Ich – ich – ich will nicht verstanden sein,« rief er, »freilich unverständlich, man muß mich nicht verstehn, ich weiß selbst nicht, was ich sage. Da ich Sie hier so unerwartet antreffe – es hat mich aus aller Fassung gebracht.[205] – Ums Himmels willen, verzeihen Sie mir es, wenn ich was gesagt habe, das Sie beleidigt – ich wollte das nicht – wahr haftig, ich wollte lieber sterben – ja der bloße Gedanke könnte mich töten!« – »Sie setzen mich in Erstaunen,« antwortete sie, »wie können Sie sich's nur einbilden, etwas gesagt zu haben, das mich beleidige?« – »Furcht, gnädiges Fräulein,« sagte er, »kann leicht unsinnig machen! und keine Furcht in der Welt ist so groß als die, welche ich fühle, Ihnen etwas Unangenehmes zu sagen. Wie kann ich also reden? O, sehen Sie mich nicht so ernsthaft an! Ein zorniger Blick von Ihnen wird mich töten. – Ich habe nichts sagen wollen. – Zürnen Sie mit meinen Augen oder zürnen Sie mit dieser Schönheit? – O was hab' ich gesagt? Verzeihen Sie mir, wenn ich zu viel sagte. Mein Herz floß über. Ich habe gegen meine Liebe aufs äußerste angekämpft und habe gestrebt, ein Fieber zu verbergen, das mein Inwendiges verzehrt und nächstens, wie ich hoffe, es mir unmöglich machen wird, Sie jemals wieder zu beleidigen.«

Hier fing unser Jones an zu zittern und zu beben, als ob ihn ein Anfall von kaltem Fieber zusammengeschüttelt hätte. Sophie, die sich in nicht viel bessern Umständen, als er selbst, befand, antwortete mit folgenden Worten: »Herr Jones, ich will mich nicht stellen, als ob ich Sie mißverstände; ich habe Sie wirklich nur zu gut verstanden, aber, ums Himmels willen! wenn Sie mir nur ein wenig gut sind, so lassen Sie mich so bald als möglich nach Hause eilen. Ich wünsche nur, daß meine Füße im stande sein mögen, mich dahin zu tragen.«

Jones, der kaum im stande war selbst aufrecht zu stehen, bot ihr seinen Arm an, den sie so gefällig war anzunehmen, ihn aber dabei bat, er möchte ihr jetzt von der Sache kein Wort weiter erwähnen. Er versprach Gehorsam und bestand bloß darauf, sie möchte ihm ein Geständnis verzeihn, welches ihm die Liebe wider seinen Willen entrissen hätte. Diese Verzeihung, sagte sie, würde er durch sein künftiges Betragen zu erhalten wissen. Solchergestalt ging dies junge Paar zitternd und strauchelnd fort und der Liebhaber wagte es nicht einmal, die Hand seiner Geliebten zu drücken, ob sie gleich in der seinigen eingeschlossen lag.

Sophie begab sich unmittelbar in ihr Zimmer, woselbst sie Jungfer Honoria und Hirschhornwasser zu ihrem Beistand kommen ließ. Das einzige, was der zerrütteten Seele des armen Jones zur Hilfe kam, war eine unangenehme Neuigkeit, welche, da sie einen Auftritt von verschiedener Natur von demjenigen eröffnet, womit der Leser sich einige Zeit her unterhalten hat, wir ihm im nächsten Kapitel mitteilen wollen.

Siebentes Kapitel
[206] Siebentes Kapitel.

In welchem wir Herrn Alwerth auf einem Krankenlager finden.


Junker Western war in unsern Jones so verliebt geworden, daß er ihn sehr ungerne missen mochte, obgleich sein Arm schon längst geheilt war, und Jones, entweder wegen seiner Liebe zur Jagd, oder auch anderer Ursachen wegen, ließ sich ohne Schwierigkeit bereden, in seinem Hause zu bleiben, welches denn auch zuweilen ganze Tage hindurch geschah, ohne Herrn Alwerths Haus ein einzigsmal zu besuchen, ja, oder auch nur das geringste von dort zu hören.

Herr Alwerth befand sich seit einigen Tagen nicht wohl an einer Erkältung, welche von einem kleinen Fieber begleitet war. Diese kleine Unpäßlichkeit hatte er indessen nicht geachtet, wie es seine Gewohnheit bei allen Zufällen war, die ihn nicht das Bett zu hüten nötigten, oder ihm die Kräfte benahmen, seinen gewöhnlichen Beschäftigungen obzuliegen. Eine Gewohnheit, welche zu billigen oder zur Nachahmung zu empfehlen man uns ja nicht zutrauen muß; denn ganz gewiß haben die Herren von der hippokratischen Kunst großes Recht, wenn sie der Meinung sind, denselben Augenblick, da die Krankheit zu einer Thüre hereinträte, solle man den Arzt alsobald durch die an dere herbeiführen. Denn was sollte man sonst bei dem alten Spruche denken: Venienti occurrite morbo? »Beim ersten Schritt einer Krankheit muß man sich ihr entgegenstellen.« Solchergestalt teilen Arzt und Krankheit auf eine redliche Weise Wind und Sonne; dahingegen, wenn man der Krankheit Zeit läßt, so gibt man ihr oft Raum, sich zu entwickeln und zu befestigen, wie ein Kriegsherr im Felde, so daß es den gelehrten Herren oft sehr schwer und zuweilen gar unmöglich fällt, dem Feinde beizukommen. Ja oftmals, wenn man dem Uebel Zeit läßt, bedient es sich noch dazu allerlei Kriegslist und besticht die Natur, zur Krankheit überzulaufen, und dann ist alle Macht der Arzneikunst verloren, oder kommt zu spät. Auf diese Bemerkung gründete sich die Klage eines großen, von fast allen europäischen Höfen mit Attestaten versehenen Wunderdoktors, der sich sehr emphatisch darüber beschwerte, wenn man sich so spät an seine Geschicklichkeit wendete und sagte: »Sur mon Ame! die Leut, meine Patient, er muß mich nehmen für den Grubenher: denn sie schick nick ehr bald, bis die klein Doktor ihn hab mackt sterben.«

Des Herrn Alwerth Unpäßlichkeit gewann durch diese Geringschätzung so viel Feld, daß, als die Zunahme des Fiebers ihn [207] nötigte, nach Hilfe zu schicken, der Doktor bei seiner Ankunft die Achseln zuckte, wünschte, man möchte ihn früher gerufen haben, und zu verstehen gab, er halte dafür, der Patient sei in großer Gefahr. Herr Alwerth, der alle seine Sachen in dieser Welt in Ordnung gebracht hatte und auf die künftige so wohl vorbereitet war, als es für die menschliche Natur nur immer möglich ist, empfing diese Nachricht mit der größesten Gelassenheit und Freudigkeit des Gemüts. Er konnte in der That, so oft er sich schlafen legte, mit Cato in Addisons Trauerspiel sagen:


– – »Let Guilt or Fear
Disturb Man's Rest, Cato knows neither of them;
Indifferent in his Choise, to sleep or die.«
»Laß Schuld, laß Furcht
Die Ruh des Menschen stören! Ein Cato kennt
Sie beide nicht: drum ist die Wahl ihm gleich,
Ob schlafen, oder sterben!«

In der That und Wahrheit konnte er dieses mit zehnfach besserem Grunde und größerer Zuversicht sagen, als Cato oder irgend ein andrer ruhmrediger Geist unter den alten oder neuern Helden: denn er war nicht nur frei von Furcht, sondern man konnte ihn betrachten als einen treuen Arbeiter, den der gütige Hausvater am Ende vor sich ruft, um ihm seinen Lohn zu erteilen.

Der edle Mann gab augenblicklich Befehl, daß alle seine Hausgenossen sich um ihn her versammeln möchten. Niemand war damals abwesend, als Madame Blifil, die sich seit einiger Zeit in London aufhielt, und Jones, von dem der Leser sich eben in Herrn Westerns Hause getrennt hat und welcher die Botschaft in eben dem Augenblicke erhielt, als ihn Sophie verlassen hatte.

Die Nachricht von Herrn Alwerths Lebensgefahr (denn der Bote sagte ihm, er läge in den letzten Zügen) vertrieb ihm alle Gedanken an Liebe aus dem Kopfe. Er warf sich über Hals und Kopf in die Chaise, die man für ihn geschickt hatte, ermahnte den Kutscher, er solle zufahren was er könne, und auf dem ganzen Wege, glaube ich, kam ihm Sophiens Bild nicht ein einziges Mal in die Gedanken.

Und nun, nachdem alles im Hause, nämlich der Neffe Blifil, Tom Jones, Ehrn Schwöger, Herr Quadrat und einige Bediente (denn so hatte es Herr Alwerth verlangt) um sein Bett her versammelt war, richtete sich der gute Mann in demselben auf und wollte anheben zu sprechen, als Blifil in ein Geheul verfiel und sehr laute und bittere Klaglieder anstimmte. Auf dieses faßte ihn [208] Herr Alwerth bei der Hand, schüttelte solche und sagte: »Jammere nicht so, mein lieber Neffe, über die gewöhnlichste aller menschlichen Begebenheiten. Wenn unsern Freunden Unglücksfälle zustoßen, so mögen wir uns mit Recht betrüben; denn das sind solche Zufälle, die man oft hätte vermeiden können, und sie mögen auch das Los des einen Menschen unglücklicher zu machen scheinen als das Los eines andern; der Tod aber ist sicherlich unvermeidlich, und ist das allgemeine Los, worin das Schicksal aller Menschen gleich ist; auch macht die Zeit, wo er eintrifft, den Unterschied nicht wesentlich. Da der weiseste der Menschen das Leben mit einer Spanne verglichen hat: so dürfen wir es auch wohl mit einem Tage vergleichen. Mein Los ist, daß ich es am Abend verlasse; jene aber, die früher hinweggenommen werden, haben bloß ein paar Stunden verloren, welche, wenn's die köstlichsten waren, doch des Bejammerns nicht wert, wohl aber, weit öfter, Stunden der Arbeit und Mühe, der Sorgen und des Kummers sind. Einer unter den römischen Dichtern vergleicht, so viel ich mich erinnere, unsern Hintritt aus dem Leben mit dem Abschiednehmen von einem Gastmahle. Dieser Gedanke ist mir oft eingefallen, wenn ich gesehen habe, daß Menschen darnach strebten, ein Gastmahl zu verlängern und der Gesellschaft ihrer Freunde noch einige Minuten länger zu genießen! Ach, und wie ist dennoch die weiteste Ausdehnung eines solchen Genusses so kurz! Wie unmerklich der Unterschied zwischen dem, der sich am ersten wegbegibt, und dem, der der letzte ist! Dies heißt das Leben von seiner schönen Seite betrachten, und diese Unwilligkeit, unsre Freunde zu verlassen, ist die schönste Ursache, aus welcher wir die Furcht vor dem Tode herleiten können; und doch ist das längste Freudenfest dieser Art, das wir hoffen können, von so geringer Dauer, daß es kaum der Beachtung eines weisen Mannes würdig ist. Wenige Menschen, ich gestehe es, denken also; denn freilich denken wenig Menschen an den Tod eher, als bis sie ihm im Rachen sitzen. So riesenhaft und fürchterlich der Tod ihnen bei seiner Annäherung vorkommen mag: so sind sie gleichwohl nicht vermögend, ihn in einiger Entfernung zu sehen; ja, ob sie gleich große Angst und Furcht erlitten, wenn sie sich in Gefahr zu sterben hielten: so sind sie doch nicht so bald von dieser nahen Besorgnis befreit, als auch das geringste Andenken daran aus ihrem Gemüte verschwindet. Aber, ach! wer einer Todesgefahr entrinnt, dessen Urteil ist nicht aufgehoben, sondern nur auf kurze Frist verschoben.

Darum also, mein liebes Kind, gräme dich nicht weiter über diesen Fall. Eine Veränderung, die uns jede Stunde, durch jedes Element, fast durch jedes Teilchen der Materie, die uns umgibt, überkommen kann, und welche uns am Ende allzumal ganz unvermeidlicher [209] Weise treffen wird, treffen muß, sollte uns weder bestürzt machen, noch uns in Gram und Betrübnis versenken.

Mein Arzt hat mir gesagt (und ich nehme es als eine wahre Gefälligkeit auf), daß ich in Gefahr stehe, euch alle in kurzem zu verlassen, deswegen wollte ich euch bei unserm Scheiden noch ein paar Worte sagen, bevor meine Krankheit, die, wie ich fühle, merklich zunimmt, mir es unmöglich macht.

Aber ich strenge meine Kräfte zu sehr an. – Ich bin willens, über mein Testament zu sprechen; ich hab' es zwar vorlängst schon gemacht, doch will ich davon einige Artikel berühren, die euch, die ihr da seid, betreffen, damit ich den Trost mitnehmen kann, daß ihr alle mit der Vorsorge zufrieden seid, die ich für euch gehabt habe.

Dir, mein Neffe Blifil, überlasse ich, als meinem Universalerben, mein sämtliches Vermögen; ausgenommen bloß fünfhundert Pfund jährlicher Renten, welche dir nach dem Ableben deiner Mutter wieder heimfallen sollen; ausgenommen ferner fünfhundert Pfund jährlicher Renten und die bare Summe von sechstausend Kapital, worüber ich folgendermaßen disponiert habe.

Die fünfhundert Pfund jährlicher Renten habe ich dir vermacht, lieber Tom; und da ich weiß, welche Verlegenheit der Mangel an barem Gelde verursachen kann, so habe ich noch tausend Pfund gleich zahlbar hinzugefügt. Ich weiß nicht, ob du mehr oder weniger von mir erwartet hast. Vielleicht denkst du, ich habe dir zu wenig gegeben, und die Welt wird ebenso bereitwillig sein, mich zu tadeln, daß ich zuviel gethan habe; allein den Tadel der letztern achte ich nicht; und was das erste betrifft, wofern du nicht in dem gemeinen Irrtum steckst, den ich so oft habe als eine Entschuldigung für allen Mangel an thätiger Menschenliebe anführen gehört, nämlich: daß wir durch freiwillige Wohlthaten statt der Dankbarkeit nur Forderungen zu erregen pflegen, welche unter allen Erwartungen und Forderungen die grenzenlosesten und am schwersten zu befriedigen sind. – Verzeih' mir, Tom, die bloße Erwähnung dieses Gedankens! Ich will nichts Aehnliches von dir vermuten!« –

Jones flog hin zu den Füßen seines Wohlthäters, faßte mit Inbrunst eine seiner Hände und versicherte ihm: seine, sowohl gegenwärtige, als zu allen andern Zeiten ihm erzeigte Güte habe nicht nur sein Verdienst, sondern auch sein Hoffen so unendlich weit überstiegen, daß Worte unvermögend wären, sein Gefühl der Dankbarkeit auszudrücken. »Und, teuerster Vater und Wohlthäter,« setzte er hinzu, »Ihre jetzige Großmut läßt mir keinen andern Kummer als den über die gegenwärtige melancholische Veranlassung. – O [210] mein Freund, mein Vater!« – Hier stockten ihm die Worte, und er kehrte sich weg, um eine Thräne zu verbergen, welche ihm aus den Augen quoll.

Alwerth drückte ihm liebreich die Hand und fuhr dann fort: »Ich bin überzeugt, mein Kind, daß es dir gar nicht an gutem Herzen, an Großmut und an Redlichkeit fehlt; wenn du diesen in dir liegenden Eigenschaften nur noch Klugheit und Religion hinzufügst, so mußt du glücklich werden: denn die drei ersten, ich geb' es zu, machen dich des Glückes wert, aber nur die beiden letztern können dir es wirklich geben.

Eintausend Pfund hab' ich Ihnen vermacht, Herr Schwöger; ich bin überzeugt, daß diese Summe bei weitem Ihre Wünsche sowohl als Ihre Bedürfnisse übersteigt. Indessen werden Sie solche als ein Andenken meiner Freundschaft annehmen; und was für Ueberfluß Ihnen auch immer zuwachsen mag, die gottesfürchtige Frömmigkeit, die Sie so streng behaupten, wird Sie lehren, solchen wohl anzuwenden.

Eine ähnliche Summe habe ich Ihnen vermacht, Herr Quadrat; dies hoffe ich, wird Sie instandsetzen, Ihrer Wissenschaft mit besserem Glück obzuliegen, als bisher. Ich habe oft nicht ohne Kummer bemerkt, daß Dürftigkeit fähiger ist, Verachtung als Bedauren zu erregen, besonders bei Männern von Geschäften, und bei Beförderern, welche geneigt sind, dafür zu halten, Armut sei ein Zeichen des Mangels an Geschicklichkeit. Allein das Wenige, was ich vermögend gewesen bin Ihnen nachzulassen, wird Sie aus den Verlegenheiten reißen, gegen welche Sie bisher haben ringen müssen; und dann, zweifle ich nicht, werden Sie Unterstützung genug finden, um des übrigen nicht zu ermangeln, dessen ein Mann von Ihrer philosophischen Denkart benötigt sein kann.

Ich fühle, daß ich schwächer werde; also beziehe ich mich auf mein Testament, in Ansehung des übrigen. Meine Bedienten werden darin einiges finden, wobei sie sich meiner erinnern mögen, und dann sind noch einige Vermächtnisse darin für Arme, welche, wie ich das Vertrauen habe, meine Exekutoren treulich besorgen werden. Gott segne euch alle! Ich gehe um ein kleines vor euch voraus.«

Hier trat ein Bedienter hastig in die Stube und sagte, es wäre ein Advokat da aus Salisbury, mit einem besondern Auftrage, den er, wie er sage, an Herrn Alwerth selbst ausrichten müsse; er scheine in heftiger Eile zu sein, und beteure, er habe so viel zu thun, daß er nicht allem nachkommen könne, und wenn er sich auch in vier Teile zerrisse.

»Gehe hin, Kind,« sagte Alwerth zu seinem Neffen, »und sieh zu, [211] was der Mann bringt. Ich bin jetzt nicht vermögend ein Geschäft zu besorgen; er kann auch keins mit mir haben, das dich gegenwärtig nicht näher anginge, als mich selbst. Es ist mir jetzt unmöglich, jemand zu sprechen oder meinen Kopf länger anzustrengen.« Er grüßte sie darauf alle, wobei er sagte, daß er vielleicht im stande sein würde, sie noch ein mal zu sehen, er möchte sich aber gerne jetzt ein wenig zur Ruhe anschicken, weil er merkte, daß er durch zu vieles Sprechen ermattet wäre.

Einige von der Gesellschaft vergossen beim Hinausgehen Thränen; und selbst der Philosoph Quadrat wischte sich die Augen, obgleich nicht weichlicher Thränen gewohnt. Aber Jungfer Wilkins tröpfelte ihre Perlen so mildiglich, als die arabischen Bäume ihren schmerzstillenden Balsam, denn dies war eine Zeremonie, welche dies Frauenzimmer bei keiner schicklichen Gelegenheit versäumte.

Nach alle diesem legte Herr Alwerth sich wieder nieder auf sein Kissen und suchte eine bequeme Lage zur Ruhe.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Enthält mehr natürliche als angenehme Dinge.


Außer der Betrübnis über ihren Herrn war noch eine andre Quelle für den heißen Strom vorhanden, welcher über die beiden bergrückenhaften Augenknochen der Hausjungfer so ergiebig hervorrieselte. Sie war nicht so bald in ihrem Kämmerlein alleine, als sie auf folgende lustige Weise für sich in den Bart zu murmeln begann: »Fürwahr, der Herr hätte doch, sollt' ich meinen, einen klein'n Unterschied mach'n soll'n zwischen mir und dem Gesinde. Seht doch, 'r hat mir wohl gar das Trauerzeug vermacht! Aber, je ja doch! wenn's sonst nichts ist, so mag meinetwegen Herr Urians Großmutter um ihn schwarz gehn, ich nicht! Der gnäd'ge Herr Strohjunker muß wissen, daß 'ch kein Bettelmensch bin. Ich hab' mir in seinem Dienst ein fünfhundert Pfund zusammengespart, und nun sollt' ich mich noch dazu so begegnen lassen! Das sollte Dienstboten schöne Lust machen, ehrlich und treu zu sein! Ja wohl, ja wohl! Wenn 'ch auch dann und wann mal eine Lumperei auf die Seit' gebracht habe; andre haben's ja zehnmal mehr gethan; und nun schert'r uns all über ein'n Kamm! Wenn's so ist, daß 's so ist: so mag das Legatrum der Gottseibeiuns! holen, mit samt dem der's gibt! Doch neh! ausschlagen will ich's doch auch nicht; denn das würd' gewissen Leut'n nur 'ne Freude sein. Nein! das [212] bunteste Kleid will ich mir kaufen, das 'ch nur finden kann, und damit will ich über des alten Kalmäusers Grab herum tanzen! Das is nun mein Dank, daß 'ch sein' Partei so oft genommen hab', wenn all Leute Sünd' und Schand' über ihn schrien, daß 'r sein'n Pankert so herrlich und in Freuden aufzog. Doch er muß nun gehn dahin, und für sein' Sünd'n wohl büßen. Besser hätt 'r gethan, er hätte hüpsch Reu' und Buß' gethan, auf sein'n Todbette für seine Sünden, als daß 'r sich noch damit breit macht, und seine Güter aus der Familie weggibt, an so 'n Schandkind. In sein Bett gefunden, seht doch! Eine feine Mär das ist! Ja, ja! wer selbst versteckt, kann am besten finden! Verzeih' mir die Sünd'! aber mein'n Kopf wett' ich, er hat mehr herum laufen, die nicht Vater sagen dürfen; wenn 's so recht bekannt wär'. Ein Trost ist's, da, wo er nun hin muß, werden wir sie alle schon kennen lernen. – ›Meine Bedienten werden was finden, wobei sie sich meiner erinnern mögen'!‹ das war'n die ausdrücklichen Worte! ich werd' sie nicht vergessen, wenn 'ch noch tausend Jahr erlebe. Ja wohl, ja wohl, freilich! werd's nicht vergessen, daß 'r mich so unters Gesinde gemengselt. Man sollt' doch gedacht haben, 'r hätte meinen Namen wohl eb'n so gut nennen könn'n, als des Quad Rats seinen; aber, meins großen Herzleids! das is 'n hochgelahrter Herr obschons 'r keinen Rock uf'n Leib hatte, als er erst ins Haus kam. O, ich dacht' was mir bisse, mit solch'n hochgelahrten Herrn! Da hat 'r'n manch hüpsch Jahr im Haus gegessen, getrunken und geschlafen, und noch soll die niedrigste Bettmagd erst lernen, wie sein Geld aussieht. Ja, ich wollt' solch'n Kerlen was ufwart'n, ich!« – Weit mehr noch, von eben dem Schlage, murmelte sie für sich weg; dies Pröbchen mag aber für den Leser genug sein.

Weder Schwöger noch Quadrat waren mit ihren Vermächtnissen eben viel besser zufrieden. Ob sie gleich ihre Gesinnungen nicht so platt heraussagten, so haben wir doch sowohl aus dem Mißvergnügen, das sich in ihren Mienen zeigte, als aus dem folgenden Gespräche so viel zusammengebracht, daß keine sehr große Freude in ihren Gemütern regierte.

Ungefähr eine Stunde nachher, als sie das Krankenzimmer verlassen hatten, begegnete Quadrat Herrn Schwöger im Vorsaale und redete ihn an folgendergestalt: »Nun, Herr Schwöger, haben Sie, seitdem wir das Zimmer verlassen haben, wieder etwas gehört von Ihrem Freunde?« – »Wenn Sie Herrn Alwerth meinen,« antwortete Schwöger, »so dächte ich, Sie könnten ihn vielmehr Ihren Freund nennen; denn, nach meiner Meinung, hat er diesen Titel sehr wohl um Sie verdient!« – »Um Sie ist sein Verdienst nicht geringer, denk' ich,« erwiderte Quadrat; »denn seine [213] Freigebigkeit, so wie sie nun ist, ist für beide von einerlei Maß.« – »Ich würde nicht der erste gewesen sein, dies zu erwähnen,« versetzte Schwöger, »weil Sie aber davon anfangen, so muß ich Ihnen zur Nachricht melden, daß ich darüber ganz verschiedener Meinung bin. Es ist in himmelweiter Unterschied unter freiwilligen Geschenken und unter Belohnungen. Die Pflichten, die ich in dieser Familie übernommen, und die Sorge, die ich für die Erziehung seiner beiden jungen Herrn gehabt habe, sind Dienste, für welche einige Leute mehr Erkenntlichkeit erwartet haben möchten. Doch müssen Sie deswegen eben nicht glauben, ich sei darüber mißvergnügt. Sankt Paulus hat mich gelehrt, zufrieden zu sein mit dem Wenigen, was ich habe. Wäre das Kleine noch geringer gewesen, so hätte ich meine Pflicht gekannt. Aber, obgleich die Schrift mich nötigt, mich mit meinem beschiedenen Teile zu begnügen, so befiehlt sie doch nicht, vor meinem eigenen Verdienst die Augen zu verschließen, oder mich zu enthalten, es zu sehen, wenn man mir durch eine ungerechte Vergleichung zu nahe tritt.« – »Weil Sie mich reizen,« erwiderte Quadrat, »so muß ich Ihnen denn sagen, daß mir zu nahe geschehen ist. Ich hätte mir in meinem Leben nicht eingebildet, daß Herr Alwerth meine Freundschaft so gering geachtet hätte, um mich mit einem, der seinen Jahrlohn zog, auf gleichen Fuß zu setzen: aber ich weiß wohl, woher es kommt. Es ist eine Folge von den eingeschränkten Grundsätzen, die Sie sich seit so langer Zeit bemüht haben ihm einzuflößen, mit Uebergehung alles dessen, was groß und edel ist. Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der Freundschaft sind zu stark für seine Augen; und freilich kann man solcher durch kein andres Medium gewahr werden, als durch die untrügliche Regel des Rechts, welche Sie sich oft bemüht haben lächerlich zu machen, und wodurch Sie den Verstand meines Freundes verschroben haben.« – »Ich wünschte,« rief Schwöger ganz wütend, »ich wünsche, aus Liebe zu seiner Seele, daß Ihre verdammlichen Lehrsätze nicht seinen Glauben verschroben hätten. Darauf fällt die Schuld seines jetzigen, einem Christen so unanständigen Betragens. Nur ein Atheist konnte so sorglos die Welt verlassen, ohne vorher mit seiner Seele in Richtigkeit zu sein; ohne seine Sünden zu beichten und diejenige Absolution zu empfangen, die ihm, wie er wohl weiß, ein Mann zu erteilen nach allen Rechten befugt ist, den er selbst in seinem eignen Hause bei sich hat. Er wird den Abgang dieser Notdurft schon fühlen, wenn's zu spät ist. Wenn er an den Ort wird gekommen sein, wo Heulen ist und Zähnklappen; alsdann, alsdann wird er's erfahren, wie mächtig jene heidnische Gottheit, jene Tugend, die Sie und alle jetzigen Freigeister verehren und anbeten, ihm beistehen [214] und ihn vertreten wird. Dann wird er nach seinem Priester rufen, wenn keiner zu finden ist; dann wird er den Mangel der Absolution bereuen, ohne welche kein Sünder selig werden kann.« – »Wenn sie denn so unumgänglich nötig ist,« sagte Quadrat, »warum geben Sie ihm solche nicht ganz aus freien Stücken?« – »Sie hat keine Kraft,« schrie Schwöger, »als an denen, welche solche, nach der zuvorkommenden Gnade, begehren. Aber, warum sage ich dergleichen zu einem Heiden und Ungläubigen? Sie sind es, Herr, der ihm diese Lehren beigebracht hat, die Ihnen in dieser Welt so reichlich vergolten sind, wie Ihrem Jünger ohne Zweifel auch bald in der künftigen widerfahren wird.« – »Ich weiß nicht, was Sie unter meiner reichlichen Vergeltung verstehen,« sagte Quadrat; »wenn Sie aber auf das winzige Andenken unsrer Freundschaft anspielen, welches ihm beliebt hat mir zu vermachen, so verachte ich das, und nichts in der Welt, als die unglückliche Lage meiner Umstände, hätte mich vermögen können, es anzunehmen.«

Hier kam der Arzt dazu und erkundigte sich bei den Disputierenden, wie es oben stünde? »Höchst schlecht,« antwortete Schwöger. – »Das hab' ich mir wohl vorgestellt!« rief der Doktor. »Aber ich bitte, was für Symptomata haben sich hervorgethan, seitdem ich Sie verlassen habe?« – »Keine guten, besorg' ich,« versetzte Schwöger. »Nach dem was seit unsrem Weggehen vorgegangen ist, glaube ich, bleibt wenig Hoffnung.« Der leibliche Arzt mochte den Seelenarzt wohl mißverstanden haben, und noch ehe sie sich einander deutlicher erklärten, kam Blifil zu ihnen mit höchst melancholischer Miene und sagte ihnen, er bringe betrübte Nachricht, denn seine Mutter sei zu Salisbury gestorben. Sie sei auf der Heimreise von einer Kopf- und Magengicht befallen worden, woran sie in wenig Stunden verschieden. – »Je so bewahre! Je so bewahre,« sagte der Doktor. »Man kann für Unglück freilich nicht! Aber ich wünschte doch, ich wäre zur Hand gewesen, daß man mich hätte dazu rufen können. Podagra und Gicht sind Krankheiten, die nicht so leicht zu behandeln sind; aber ich bin noch immer vorzüglich glücklich damit gewesen.« Schwöger und Quadrat bezeugten beide Herrn Blifil ihr Beileid über den Verlust seiner Mutter, welchen der eine ihm riet zu ertragen als ein Mann und der andre als ein Christ. Der junge Herr sagte, er wisse sehr wohl, daß wir alle sterblich wären, und er wolle sich bestreben, sich seinem Verluste so gut als möglich zu unterwerfen. Indessen könne er sich doch nicht enthalten, sich ein wenig über die besondere Härte seines Schicksals zu beklagen, indem die Nachricht von einem so großen Unglück ihn so unerwartet überfiele, und gerade zu einer Zeit, da er stündlich den härtesten Schlag erwarten müsse, den das boshafte Glück ihn jemals fühlen [215] zu lassen im stande wäre. – Die gegenwärtige Gelegenheit, sagte er, würde die vortrefflichen Unterweisungen bewähren, welche er von den Herren Schwöger und Quadrat genossen habe, und nur ihnen allein würde er es zu verdanken haben, wenn er solche Unglücksfälle überleben könnte.

Es ward nun in Ueberlegung gezogen, ob man Herrn Alwerth vom Tode seinem Schwester Nachricht geben sollte. Der Doktor war heftig dagegen, und darin, glaube ich, hatte er die ganze vernünftige Fakultät auf seiner Seite. Herr Blifil aber sagte, er habe von seinem Onkel so ausdrückliche Befehle, ihm niemals aus dem Grunde weil's ihn beunruhigen könnte ein Geheimnis zu verschweigen, daß er nicht daran denken könne, ihm ungehorsam zu sein, was auch immer die Folgen davon sein möchten. Und für sein Teil, sagte er ferner, könne er, in Erwägung der religiösen und philosophischen Gemütsfassung seines Onkels, mit dem Doktor nicht einerlei Meinung sein. Er wäre also entschlossen, es ihm zu sagen, denn wenn sein Onkel wieder aufkäme (um was er den lieben Gott von Herzen bitten wolle), so wäre er überzeugt, er würde es ihm nie verzeihen, daß er ihm ein Geheimnis von dieser Wichtigkeit zu verhehlen getrachtet habe.

Der Arzt war genötigt, sich eine Entschließung gefallen zu lassen, welche von den beiden andern Herren so höchlich gerühmt wurde. Sonach gingen Blifil und der Doktor nach dem Krankenzimmer zu, wo der Arzt zuerst hineintrat und sich dem Bette näherte, um seinem Patienten an den Puls zu fühlen, welches er dann auch kaum gethan hatte, als er erklärte, er fände ihn viel besser, die letzte Medizin habe Wunder gethan und habe das Fieber bereits geschwächt; dergestalt, sagte er, scheine jetzt ebensowenig Gefahr mehr zu sein, als er vorher von Hoffnung besorgt hätte.

Die Wahrheit zu gestehen, so waren Herrn Alwerths Umstände gar nicht so schlimm gewesen als sie der Doktor vorgestellt hatte. So wie aber ein weiser General niemals seinen Feind für gering achtet, soviel er auch an der Anzahl schwächer sein mag, so hält ein weiser Arzt niemals eine Krankheit für gering, wenn sie auch noch so unbedeutend wäre. So wie der erste immer auf dieselbe strenge Mannszucht hält, eben die Posten ausstellt, eben die Patrouillen thun läßt, der Feind mag so schwach sein als er will, so behält der letzte immer dieselbe Ernsthaftigkeit in den Mienen, zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf mit eben der Wichtigkeit, lass' die Krankheit so geringfügig sein als sie wolle. Und beide können unter manchen andern ganz guten auch diese sehr triftige Ursache für ihr Verfahren anführen, daß sie auf diese Art, wenn sie siegen, um so mehr Ehre einernten und um so weniger Unehre, falls sie [216] ja durch einen unglücklichen Zufall einmal den kürzeren ziehen sollten.

Herr Alwerth hatte nicht so bald sein Haupt emporgehoben und dem Himmel für die gute Hoffnung zu seiner Genesung gedankt, als sein Neffe Blifil mit einem höchst niedergeschlagenen Wesen seinen Stuhl näher zum Bette rückte und, nachdem er sein Taschentuch vor die Augen gebracht hatte, um seine Thränen abzuwischen, oder, wie Ovid sich irgendwo bei einer andern Veranlassung ausdrückt:


»Si nullus erit, tamen excute nullum,«

»Ist keine da, so wisch' die weg, die nicht da ist,«

machte er seinem Onkel bekannt, was der Leser eben erfahren hat.

Alwerth nahm die Nachricht auf mit Betrübnis, mit Geduld und mit Unterwerfung. Er vergoß eine Thräne der Zärtlichkeit, dann nahm er ein unruhiges Gesicht an und rief endlich aus: »Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«

Er erkundigte sich nunmehr nach dem Ueberbringer dieser Nachricht, aber Blifil sagte ihm, es wäre ihm unmöglich gewesen, den Mann nur einen Augenblick aufzuhalten, denn aus der übergroßen Eile, worin er gewesen, habe es ihm geschienen, daß er ein sehr wichtiges Geschäft in Händen haben müßte: er habe sich beklagt, daß er dergestalt herumgetrieben würde, daß er seines Lebens kaum froh würde, und habe oft wiederholt, daß, wenn er sich in vier Teile teilen könnte, er doch für jeden Teil der Geschäfte die Menge habe.

Herr Alwerth sagte darauf seinem Neffen, er möchte für das Leichenbegängnis Sorge tragen. Er äußerte dabei, daß seine Schwester in seiner eigenen Kapelle niedergesetzt werden möchte; die übrigen Umstände überließ er seiner eignen Willkür, nur daß er den Geistlichen ernannte, welcher bei der Bestattung sein geistliches Amt vernichten sollte.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Welches unter andrem auch als ein Kommentar über die Stelle im Aeschines dienen kann, wo er sagt: Trunkenheit zeigt das Gemüt eines Menschen, wie ein Spiegel seine persönliche Gestalt zurückwirft.


Der Leser mag sich vielleicht wundern, daß er im vorigen Kapitel kein Wort von Jones gehört hat. Die Ursache davon ist: [217] sein Betragen war von dem Betragen der andern darin erwähnten Personen so verschieden, daß wir lieber seinen Namen mit den ihrigen nicht vermengen mochten.

Nachdem der edle Mann seine Rede abgebrochen hatte, war Jones der letzte, der das Zimmer verließ. Er begab sich von da in sein eigenes, um seiner Betrübnis freien Lauf zu lassen. Allein die Unruhe seines Gemüts erlaubte es ihm nicht, lange daselbst zu verbleiben. Er schlich sich also leise auf den Zehen herunter bis an Herrn Alwerths Stubenthür, vor der er eine ziemliche Zeit lauschte, ohne darin die geringste Bewegung zu vernehmen, ausgenommen ein heftiges Schnarchen, welches ihn endlich seine Furcht für das letzte Todesröcheln halten ließ. Dies beängstigte ihn dergestalt, daß er sich nicht enthalten konnte, in das Zimmer hineinzuschleichen. Hier fand er nun den guten Mann in einem hübschen geruhigen Schlafe und seine Krankenpflegerin auf die obbesagte Art am Fuße des Bettes herzlich schnarchen. Er ergriff augenblicklich das einzige Mittel, diesen Generalbaß ins Pausieren zu setzen, weil er fürchtete, seine Musik möchte den Schlaf des Herrn Alwerth stören; und nachdem er sich bei der Wärterin niedergesetzt hatte, blieb er still, ohne sich zu regen, bis Herr Blifil und der Doktor zusammen hereintraten und den guten Mann aufweckten, damit der eine ihm den Puls befingern und der andre ihm die Zeitung überbringen könne, welche schwerlich unter diesen Umständen ihren Weg zu Herrn Alwerths Ohr gefunden haben möchte, wenn Jones den geringsten Wind davon gehabt hätte.

Jones, als er den Anfang dieser Geschichte hörte, welche Blifil seinem Onkel erzählte, konnte kaum den Zorn zurückhalten, welcher sich in seiner Brust über des andern Unbehutsamkeit entzündete, um so mehr da der Doktor dabei den Kopf schüttelte und seine Unzufriedenheit darüber bezeigte, daß man dem Kranken diese Nachricht sagen wollte. Allein da ihn sein Zorn nicht in dem Grade des Gebrauches seines Verstandes beraubte, daß er nicht die Folgen hätte begreifen sollen, welche heftige Ausdrücke gegen Blifil hätten für den Kranken hervorbringen können, so besänftigte diese Sorgsamkeit für jetzt seinen Aerger, und nachher ward er so vergnügt, als er fand, daß diese Nachricht wirklich kein Uebel gestiftet habe, daß er seinen Unwillen in seiner eigenen Brust ersterben ließ, ohne seiner jemals gegen Herrn Blifil zu erwähnen.

Der Arzt aß des Mittags in Herrn Alwerths Hause, und als er nach Tische seinen Patienten besucht hatte, sagte er der Tischgesellschaft, da er wieder zurück kam, daß er nunmehr das Vergnügen haben könne, mit Zuverlässigkeit zu sagen: sein Patient sei außer aller Gefahr, sein Fieber habe sich nunmehr völlig gebrochen [218] und er zweifle nicht, er würde mit einer Gabe Chinarinde sicher verhindern, daß es wiederkehre.

Diese Nachricht gefiel unserm Jones dermaßen und setzte ihn in einen solch hohen Grad der Entzückung, daß man mit Wahrheit von ihm hätte sagen können, er sei freudetrunken. Eine Trunkenheit, welche der Wirkung des Weines sehr zu statten kommt. Und da er bei dieser Gelegenheit gar nicht blöde mit seiner Weinflasche war (denn er trank manchen Bumper auf die Gesundheit des Doktors sowohl als andrer Personen), so ward er bald in buchstäblichem Verstande betrunken.

Jones hatte von Natur sehr bewegliche und heftige Lebensgeister. Da diese durch den Weinspiritus vermehrt und in Gang gesetzt wurden, so brachte das die allersonderbarsten Wirkungen hervor. Er küßte den Doktor und umarmte ihn unter den heftigsten Liebkosungen, schwur, daß er ihn nächst Herrn Alwerth selbst unter allen lebenden Menschen am liebsten hätte. »Doktor,« setzte er hinzu, »Sie verdienen, daß man Ihnen auf gemeine Kosten ein öffentliches Denkmal setzte, weil Sie einen Mann erhalten haben, der nicht nur der Liebling aller guten Menschen ist die ihn kennen, sondern eine Wohlthat für die Menschheit, eine Ehre seines Vaterlandes und ein Triumph der menschlichen Natur. Gott soll mich strafen, wenn ich ihn nicht lieber habe wie meine eigne Seele!«

»So mehr Schande für Sie, junger Herr!« rief Schwöger, »ob ich wohl glaube, daß Sie Ursache haben ihn zu lieben, denn er hat sie gar artig bedacht. Und vielleicht wäre es für jemand besser gewesen, wenn er nicht gelebt hätte, um gute Gründe zu finden, sein Vermächtnis wieder zurückzunehmen.«

Jones, der jetzt auf Schwöger mit unaussprechlicher Verachtung herabsah, antwortete: »Und glaubt Eure jämmerlich kleine Seele, daß irgend eine solche Betrachtung bei mir vom geringsten Gewicht sein könne? Nein, laßt die Erde sich aufthun und ihren eigenen Kot verschlingen (denn so würde ich es nennen, wenn ich eine Million Acker besäße), lieber, als daß sie meinen teuern, glorwürdigsten Freund verschlinge.«


Quis desiderio sit pudor aut modus
Tam cari capitis?
Um solch ein liebes Herz, wer schämte sich
Der Sehnsucht, oder wüßte je ihr Maß?

Hier legte sich der Doktor dazwischen und verhinderte die Wirkungen eines Zorns, der sich zwischen Jones und Schwöger entzündet hatte. Hierauf gab der erste seiner Munterkeit Raum, sang ein Paar oder mehr verliebte Lieder und fiel in alle jene Unordnung, [219] welche eine ungezähmte Freude einzuflößen pflegt. Aber so weit war er entfernt von aller Neigung zum Zank, daß er womöglich noch zehnmal friedfertiger und aufgeräumter war, als bei gewöhnlichem nüchternen Mute.

In Wahrheit, nichts kann irriger sein als die gemeine Sage, daß bösartige, zänkische Menschen beim Trunke die würdigsten Personen bei nüchternem Mute sind, denn wirklich kehrt Trunkenheit die menschliche Natur nicht um, oder erschafft Leidenschaften in ihnen, welche vorher nicht da waren. Sie schafft allerdings die wachende Vernunft beiseite und nötigt uns folglich, uns in der Gestalt zu zeigen, welche manche, so lange sie nüchtern sind, Kunst genug besitzen, zu verbergen. Sie erhöht und entzündet unsre Leidenschaften (freilich am gewöhnlichsten diejenige, welche eben in unsrem Gemüt die Oberhand hat,) solchergestalt, daß die zänkischen Gemüter, die Verliebten, die Großmütigen, die Friedseligen, die Geizigen, kurz alle menschlichen Gemütsarten beim Trunke sich am deutlichsten zu Tage legen.

Und dennoch, weil keine Nation so viele Zänkereien im Trunke hervorbringt als die englische, besonders unter dem gemeinen Manne (denn wirklich heißt bei ihnen mit einander trinken und sich schlagen fast einerlei und ebendasselbe), so möchte ich doch nicht, nach meiner Ueberzeugung, daß man daraus schlöße, das englische Volk sei eben das schlimmste auf der Welt. Vielleicht liegt bloß die Liebe zum Ruhme dabei zum Grunde, so daß die reinste Schlußfolge zu sein scheint, unsre Landsleute besitzen mehr von dieser Liebe und mehr Tapferkeit als der Pöbel irgend eines andern Reiches. Und dies um so mehr, als selten etwas Ungroßmütiges, Hinterlistiges oder Niederträchtiges bei diesen Gelegenheiten verübt wird. Ja es ist gewöhnlich, daß die Fechter, selbst in dem Augenblick ihrer Balgereien, einer dem andern eine gewisse Gutherzigkeit bezeigt, und so wie ihre trunkene Fröhlichkeit sich gemeiniglich mit einer Schlägerei endigt, so endigen sich die meisten ihrer Schlägereien in Freundschaft.

Aber wieder zu unsrer Historie. Obgleich Jones keinen Vorsatz gezeigt hatte jemand zu beleidigen, so ward Herr Blifil doch sehr aufgebracht über ein Betragen, das zu der ehrbaren, klugen Mäßigkeit seiner eigenen Gemütsart so wenig stimmte. Er ertrug es mit desto größerer Ungeduld, weil es ihm höchst unanständig vorkam, besonders zu einer Zeit, da, wie er sagte, das Haus ein Haus der Trauer und Klage sei über den Tod seiner Mutter, und wenn der Himmel so gnädig gewesen, ihnen einige gute Hoffnung auf Herrn Alwerths Besserung zu verleihen, so würde es sich besser für sie schicken, die Freude ihrer Herzen durch Lob- und Dankpsalmen [220] auszudrücken, als durch Saufen und Schwärmen, wodurch man den Zorn des Himmels reize, anstatt solchen von sich abzuwehren. Schwöger, der weit mehr Wein und Bier zu sich genommen hatte als Jones, nur daß ihm nicht so leicht etwas zu Kopfe stieg, unterstützte diese fromme Strafrede des Herrn Blifil; Quadrat aber blieb aus Ursachen, die der Leser vielleicht erraten wird, dabei völlig stumm.

Jones war vom Weine dergestalt überwältigt, daß er sich an Blifils Verlust gar nicht erinnerte, bis jetzt, als desselben erwähnt wurde. Da nun kein Mensch bereitwilliger war als Jones, seine Irrtümer und Fehler zu bekennen und zu verdammen, so bot er dem Herrn Blifil die Hand, um ihn um Verzeihung zu bitten, und sagte dabei: seine übermäßige Freude über Herrn Alwerths Genesung habe alle übrigen Gedanken aus seinem Kopf und Herzen verjagt.

Blifil schlug seine Hand mit Verachtung aus und antwortete mit zornigem Unwillen: »Es wäre eben kein Wunder, wenn tragische Schauspiele keinen Eindruck auf Blinde machten; für sein Teil aber habe er das Unglück, zu wissen wer seine Eltern gewesen, und folglich müsse ihr Verlust ihm wohl zu Herzen gehen.«

Jones, der ungeachtet seines aufgeräumten Gemüts doch eine kleine Mischung von Galle in seinem Blute hatte, sprang hastig von seinem Stuhle auf, faßte Blifiln bei der Halskrause und rief aus: »Ei, du verdammter Schurke! willst du mir das Unglück meiner Geburt in die Zähne werfen?« Er begleitete diese Worte mit so unsanften Handlungen, daß solche sehr bald das friedsame Gemüt des Herrn Blifil überwältigten; und es erfolgte auf der Stelle eine Balgerei, welche hätte unglücklich ablaufen können, wenn sich nicht Schwöger und der Arzt dazwischengelegt und es verhindert hätten; denn die Philosophie des Quadrats setzte ihn über alle Gemütsbewegungen hinaus und er schmauchte gelassen seine Pfeife fort, wie seine Gewohnheit bei jedem Zank und Streite war, es sei denn, daß er Gefahr besorgte, sie möchte ihm im Munde zerschlagen werden.

Nachdem die Fechter verhindert worden, für jetzt ihre Rache aneinander auszulassen, nahmen sie ihre Zuflucht zu den gewöhnlichen Mitteln einer ohnmächtigen Wut und machten ihrem Aerger Luft durch Schimpfen und Drohen. In dieser Art von Kampfe war das Glück, welches beim persönlichen Angriff sich auf Jones' Seite zu neigen schien, seinem Feinde hinwiederum ebenso günstig.

Nichtsdestoweniger ward endlich durch Vermittlung der neutralen Mächte ein Waffenstillstand beliebt, und die ganze Gesellschaft setzte sich wieder an den Tisch; wo man Jones dahin vermochte, daß er um Verzeihung bat, und Blifil, daß er sie erteilte und also [221] der Friede hergestellt und alles wieder in statu quo zu sein schien.

Allein, obgleich der Streit nach allem Anschein völlig ausgeglichen war, so ward doch die gute Laune, welche dadurch unterbrochen worden, keineswegs wiederhergestellt. Alle frohe Munterkeit hatte nun ein Ende und das folgende Gespräch bestand in steifen Erzählungen von Thatsachen und in Anmerkungen darüber, die ebenso steif und trocken waren. Eine Art von gesellschaftlicher Unterredung, wobei zwar viele Würde und Belehrung, aber sehr wenig Unterhaltung stattfindet. Da wir also nur die letzte dem Leser zu verschaffen beabsichtigen, so wollen wir alles überschlagen was gesagt wurde, bis die übrigen von der Gesellschaft nach und nach fortgegangen waren und den Arzt und Quadrat allein bei einander gelassen hatten. Um diese Zeit ward das Gespräch etwas lebhafter durch diese und jene Anmerkung über dasjenige, was zwischen den jungen Herren vorgefallen war. Beide, meinte der Doktor, wären am Ende weiter nichts als ein paar dumme Jungen; welche Benennung der Philosoph durch ein sehr weises Achselzucken bestätigte.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Zeigt die Wahrheit mancher Bemerkung des Ovid und andrer tiefsinnigen Weltweisen mehr, welche ohne Widerrede bewiesen haben, daß oft der Wein ein Vorläufer der Unenthaltsamkeit sei.


Jones begab sich aus der Gesellschaft, in welcher wir ihn gesehen haben, hinaus aufs Feld, wo er sich durch einen Spaziergang in freier Luft ein wenig abzukühlen dachte, bevor er zum Herrn Alwerth hineinging. Hier begegnete ihm unterdessen, daß er die Beobachtungen über seine teure Sophie erneuerte, welche die gefährliche Krankheit seines Freundes und Wohlthäters auf eine Zeitlang unterbrochen hatten, ein Zufall, welchen wir mit Betrübnis erzählen und welchen man gewiß mit Betrübnis lesen wird. Gleichwohl zwingt uns die Wahrheit, der wir bekanntlich die treueste Anhänglichkeit gelobt haben, diesen Zufall der Nachwelt mitzuteilen.

Es war eben ein sehr anmutiger Abend, gegen Ende des Juni-Monats, als unser Held in dem lieblichsten Wäldchen spazieren ging, wo die linde Luft, welche die Blätter fächelte, das sanfte Rieseln eines murmelnden Bächleins, die melodischen Töne der Nachtigallen miteinander eine bezaubernde Harmonie ausmachten. [222] In dieser für die Liebe so wonniglich zubereiteten Szene überließ er sich dem Nachdenken über seine teure Sophie. Derweil seine erwärmte Phantasie alle ihre Schönheiten mit ungebundener Freiheit umflatterte und seine verliebte Einbildungskraft ihm das reizende Mädchen in tausend verschiedenen entzückenden Gestalten vormalte, zerschmolz sein warmes Herz in Zärtlichkeit, und endlich warf er sich hin ins Gras am Ufer eines rieselnden Stroms und brach aus in folgende Ergießungen eines liebequellenden Herzens:

»O Sophie! wollte der Himmel dich meinen Armen schenken, wie überschwenglich glücklich wäre mein Los! Verwünscht sei das Glück, welches die weite Kluft zwischen uns legte! Könnte ich nur zu deinem Besitze gelangen und dein ganzes Vermögen enthielte nur einen einzigen Anzug von schlechten Lumpen, wo wäre der Mann auf dieser Welt, den ich beneiden könnte! Wie verächtlich wäre dann meinen Augen die blendendste cirkassische Schöne, geschmückt mit allen Schätzen beider Indien an köstlichen Steinen! Aber was hat ein andres weibliches Geschöpf mit meinen Gedanken zu schaffen! Könnte ich nur glauben, meine Augen wären fähig, eine andre mit Zärtlichkeit anzublicken, diese Hände sollten sie mir aus dem Kopfe reißen. Nein, meine Sophie, sollte auch das grausame Glück auf immer uns trennen, so soll doch meine Seele ewig nur an der deinigen festhangen. Dein Bild will ich ewig mit reinster Keuschheit in meinem Herzen bewahren. Sollte ich auch niemals deine reizende Person besitzen, dennoch bleibt dir allein der unumschränkte Besitz meiner Gedanken, meiner Liebe, meiner Seele. O, mein liebekrankes Herz ist so in jene treue Brust verwebt, daß die glänzendste Schönheit für mich keinen Reiz hätte, noch ein Einsiedler bei ihrer Umarmung kälter sein könnte, als ich. Sophie, Sophie nur soll die meinige sein. Welch Entzücken liegt in diesem Namen! In jeden Baum will ich ihn schneiden.«

Bei diesen Worten sprang er auf und sah – nicht seine Sophie – nein, auch nicht eine cirkassische Schöne, reich und zierlich geschmückt für den Harem des Großtürken. Nein, ohne Rock, im Hemde, das so ziemlich ins gröbste fiel und nicht eben das reinste, durchtaut ein wenig mit gewissen starkriechenden Dünsten, erregt durch die Arbeit des Tages, mit einer Heugabel in der Hand – kam daher – Molly Seegrim. Unser Held hielt in der Hand sein Federmesser, welches er zum vorhin gedachten Endzweck, in die Baumrinden zu graben, hervorgezogen hatte. Als das Mädchen näher hinzukam, rief sie mit einem Lächeln: »Sie meenen mich doch nicht tot zu stecken, Junker, hoffe ich!« – »Warum meint Sie, sollte ich Sie erstechen?« antwortete Jones. – »Nu,« erwiderte sie, »nach der grausamen Begegnung, die Sie mir thäten, als [223] ich Ihnen das letztemal sah, wär's wohl die größte Küte, die 'ch von Sie erwarten könnte, wenn Sie mich umbrächten.«

Hier begann eine Kapitulation, welche ich weglasse, weil ich mich nicht verbunden erachte, solche der Länge nach anzuführen. Genug, daß eine ganze Viertelstunde über ihrer Schließung hingebracht wurde, worauf sich die Parteien in den dicksten Teil des Wäldchens begaben.

Einige von meinen Lesern mögen geneigt sein diesen Vorfall für unnatürlich zu halten. Gleichwohl hat die Sache ihre Richtigkeit und vielleicht läßt sie sich hinlänglich erklären, wenn man annimmt, daß Jones wahrscheinlicherweise dachte, ein Frauenzimmer sei besser als gar keins, und Molly ebenso wahrscheinlicherweise der Meinung war, zwei Männer wären besser als nur einer. Der Leser wird auch die Güte haben, zum besten unsers Jones sich zu erinnern, daß außer den vorangeführten Beweggründen seiner jetzigen Aufführung er auch wirklich in diesem Augenblicke nicht Herr von der wundermächtigen Gewalt der Vernunft war, welche weise und ernsthafte Männer so geschickt macht, ihre unbändigen Leidenschaften zu bezähmen und alle Anwandlungen von dergleichen verbotenen Gelüsten von sich abzulehnen. Der Wein hatte jetzt alle dergleichen Macht und Gewalt in unserm Jones weggeschwemmt, wie in allgewaltigen Wassern der Sintflut! Er war wirklich in einem Zustande, worin die Vernunft, hätte sie sich obgleich nur als Ratgeberin ins Mittel legen wollen, leicht eben die Antwort erhalten können, welche ein gewisser Kleostratus bereits vor vielen Jahren einem einfältigen Gesellen gab, der ihn fragte: ob er sich nicht schäme, betrunken zu sein? »Schämst du dich nicht,« sagte Kleostratus, »einem betrunkenen Menschen etwas vorzuwerfen?« – Die Wahrheit zu sagen, muß zwar in bürgerlichen Gerichten Betrunkenheit für keine Entschuldigung gelten; dennoch ist es eine vor dem Gerichte des Gewissens. Deswegen denn Aristoteles, welcher die Gesetze des Pittakus lobt, nach welchen ein Betrunkener doppelte Strafe für sein Verbrechen erlitt, dennoch eingesteht, daß dieses Gesetz sich mehr auf Polizei als auf Gerechtigkeit gründe. Da nun aber manche Vergehungen der Trunkenheit wegen zu entschuldigen sind, so gehören gewiß diejenigen darunter, in welche jetzt unser Jones verfiel; über welchen Satz ich eine große Menge von Gelehrsamkeit auskramen könnte, wenn ich dächte, daß solches meine Leser belustigen oder irgend etwas lehren könnte, was sie nicht bereits wissen. Ihretwegen also will ich meine Gelehrsamkeit lieber nicht auspacken und wieder auf meine Geschichte kommen.

Man hat die Beobachtung gemacht, daß das Glück eine Sache selten nur halb thue: und es ist wahr, ist es einmal in der Laune, [224] jemand etwas zu Gefallen oder zuwider zu thun, so nimmt es mit seinem Hisse Bissen kein Ende. Nicht so bald also hatte sich unser Held mit seiner Dido auf die Seite begeben,


Speluncam Blifil, dux et divinus eandem
Deveniunt –

Wo mit dem göttlichen Helden auch Blifil zu eben derselben Höhle gelangte – –


als der geistliche Herr Schwöger und der Junker Blifil, welche einen ernsthaften Spaziergang zusammen machten, bei der Höhe ankamen, über welche man steigen mußte, um in das Wäldchen zu kommen, und der letzte einen Blick von den Verliebten erhaschte, gerade als sie aus dem Gesichtskreise verschwinden wollten.

Blifil erkannte seinen Jones sehr gut, obgleich in einer Entfernung von ein paar hundert Schritten; und ebenso gewiß war er in Ansehung des Geschlechts seiner Begleiterin, obwohl nicht in Ansehung ihrer eigentlichen Person. Er stutzte, entsetzte sich und sagte ein paar Stoßgebete vor sich hin.

Schwöger bezeigte sein Verwundern über diese plötzliche Gemütsbewegung und fragte nach ihrer Veranlassung. Worauf Blifil antwortete: er sei gewiß, er habe einen Kerl und ein Weibsbild ins Gebüsch schleichen sehen, und zweifle nicht, daß solche auf bösen Wegen gingen. Was Jones' seinen Namen anbetrifft, so hielt er für ratsam den zu verschweigen, und das warum? müssen wir dem Urteil des einsichtsvollen Lesers überlassen; denn wir mögen nicht gern Ursachen für die Handlungen der Menschen anführen, solange noch die geringste Möglichkeit vorhanden ist, daß wir uns dabei irren können.

Ehrn Herr Schwöger, der nicht nur sehr streng keusch für seine eigene Person, sondern auch ein großer Feind des entgegengesetzten Lasters bei andern war, geriet bei dieser Nachricht in Feuer und Flammen. Er begehrte, Herr Blifil solle ihn augenblicks zu dem Platze hinführen: und so wie sie hingingen, stieß er Schmähreden und Klaglieder aus; auch enthielt er sich nicht auf den Herrn Alwerth einige Seitenhiebe fallen zu lassen, indem er zu verstehen gab, das Sittenverderbnis des Landes sei hauptsächlich eine Folge davon, daß er die Gottlosen in ihrer Bosheit dadurch bestärkte, daß er einem Bastarde so liebreich begegnet sei und die heilsame Strenge des Gesetzes gemildert habe, welches den unzüchtigen Weibsbildern eine harte Züchtigung auferlegt.

Der Weg, den unsre Jäger nehmen mußten, um ihr Wildbret zu verfolgen, war dergestalt mit Dorngesträuchen verwachsen, daß es ihnen sehr beschwerlich fiel, hindurchzukommen, und nebenher machten [225] sie auch ein solches Geräusch, daß Jones dadurch hinlänglich von ihrer Annäherung Warnung erhielt, ehe sie ihn überrumpeln konnten; ja, Schwöger war auch wirklich so wenig fähig, seinen heiligen Eifer zu verbergen, und solche Rache drohte er bei jedwedem Schritte mit vernehmlicher Stimme, daß Jones dadurch überflüssig überzeugt werden mußte, man habe ihn (nach Weidmannssprache) im Kessel gerahmt.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Ein Gleichnis in einer von Popens meilenlangen Perioden als Vorbereitung zu einer so blutigen Schlacht, als nur jemals ohne Beihilfe des Stahls oder kalten Eisens ausgefochten werden kann.


Zur Zeit der Brunft (ein hartes Wort, jedoch der wahre und ehrenvolle Kunstausdruck, um das süße Liebeln und Lübeln unter den edelsten Bewohnern der hohen Wälder zu bezeichnen, welches der gemeine Mann, auf Gefahr des Weidmessers, Brunst zu nennen pflegt) wenn der hochgekrönte Hirsch auf seine sultanischen Freuden ausgeht und sich ein paar Stöber oder andre Tiere von feindseligem Rufe dem Tempel der Venus Ferina so weit nähern sollten, daß die schöne Hindin, gerührt von dem etwas, sei es Furcht oder Schalkheit, Scheu oder Schamhaftigkeit, womit die Natur jedes weibliche Geschöpf geschmückt, oder wenigstens es gelehrt hat, sich damit zu zieren, damit nicht wegen des Ungestüms des Männleins die Sameanischen Mysterien von unheiligen Augen belauscht werden: denn bei Feierung dieser Gebräuche pflegt die Priesterin mit jener beim Virgil (welche damals nach aller Wahrscheinlichkeit eben in voller Arbeit war, die heiligen Mysterien zu feiern) auszurufen:


Procul, o procul este profani;
Proclamat vates, totoque absistite luco.
– Fern, fern, hinweg von hier, Profane!
Hinweg den Blick von diesem Wäldchen! schrie laut die Sybille.

– Ich sage, wenn diese heilige Feier, welche von allem, was lebt und liebt, und liebt und lebt, als allgemein heilig begangen wird, eben zwischen dem hochendigen Hirsch und seiner Geliebten gerade im Werke ist und ein feindseliges Tier sich zu nahe hinzuwagen sollte und die zartscheue Hindin das geringste Zeichen des Schreckens darüber merken läßt, stolz und furchtbar stürzt er hervor, [226] der hochgekrönte Edelhirsch, hin bis an die äußerste Grenze des Brunstplatzes; da steht er kühn und wacht über seine Liebe, stampft den Boden mit seinen Läufen, schwingt sein Geweihe in der Luft und fordert mutbeseelt den von seiner Geliebten gefürchteten Feind zum tötlichen Kampf heraus.

So, und fürchterlicher noch, sprang unser Held hervor, als er die Annäherung des Feindes vermerkte. Manchen Schritt that er vorwärts, um die scheue Hindin zu verhehlen und womöglich ihren Rückzug zu decken. Und nun, nachdem Schwöger erst einige schwefelgelbe Blitze aus seinen stieren Augen geschossen, begann er loszudonnern. »Pfui, pfui, junger Herr! Ist es möglich, daß ich Sie so antreffe!« – »Sie sehen,« antwortete Jones, »daß es möglich ist, denn ich bin hier.« – »Und wer,« sagte Schwöger, »ist das gottlose Weibsstück, das Sie da bei sich haben?« – »Wenn ich ein gottloses Weibstück bei mir habe,« schrie Jones, »so ist's möglich, daß ich Sie's nicht wissen lasse, wer sie ist!« – »Ich befehl' Ihnen, es mir den Augenblick zu sagen,« sagte Schwöger, »und Sie müssen sich nicht einbilden, junger Mensch, daß Ihr Alter, ob es gleich den Zwang des Unterrichts nicht so viel mehr bedarf, Sie aller Macht und Ansehens des Lehrers entzieht. Das Verhältnis des Lehrers und Schülers ist unzerstörbar, so gut wie alle übrigen Standesverhältnisse; denn sie sind ursprünglich alle vom Himmel eingesetzt. Wisse der Herr also, daß er noch ebenso verbunden ist, jetzt zu gehorchen, als damals, da ich ihn seinen Donat lehrte.« – »Daß Sie das verlangen,« schrie Jones, »glaub' ich wohl! Aber geschehen wird's nicht. Sie müßten denn noch eben die Birken und Haselstauden zu meiner Ueberzeugung brauchen können.« – »So muß ich Ihnen denn ohne Umstände sagen,« versetzte Schwöger, »daß ich fest entschlossen bin, das gottlose Mensch zu kennen.« – »Und ich muß Ihnen denn wieder ohne alle Umstände sagen,« erwiderte Jones, »ich bin fest entschlossen, Sie sollen sie nicht kennen.« – Schwöger erdreistete sich vorwärts zu gehen, und Jones packte ihn beim Arm, welchen Herr Blifil freizumachen suchte und dabei sagte: er könne es nicht leiden, seinen alten würdigen Lehrer so gemißhandelt zu sehen.

Jones, der sich jetzt mit zweien verwickelt fand, hielt für nötig, sich so bald als möglich von einem seiner Widersacher zu befreien. Er wandte sich also an den Schwächsten zuerst, ließ den Theologen los und führte einen Schlag auf die Brust des Junkers, welcher so glücklich seine rechte Stelle traf, daß er ihn der Länge nach auf den Boden hinstreckte.

Schwöger war so erpicht auf die vorhabende Entdeckung, daß er den Augenblick, da er sich in Freiheit sah, nach dem Gebüsch [227] hinwackelte, ohne sich eben darum zu bekümmern, wie's derweile seinem Freunde ginge; aber er war nur wenige Schritte vorwärts gekommen, als Jones, welcher Blifiln zu Boden gestreckt hatte, den Geistlichen einholte und ihn beim Zipfel seines Kleides zurückzerrte.

Dieser Stiegelhüpfer war in seiner Jugend ein allzeitfertiger »Komm heraus auf den Platz« gewesen, und hatte sich durch seine Fäuste viel Ehre erfochten, sowohl auf Schulen als auf Universitäten; er hatte nun allerdings seit ziemlich vielen Jahren her keine Uebung mehr in dieser edlen Kunst, dennoch war sein Mut noch ebenso handfest als sein Glaube, und seine Gliedmaßen nicht weniger stark als beide. Ueberdem lief ihm, wie der Leser vielleicht schon bemerkt haben wird, ein wenig leicht die Galle über. Sonach, als er sich umsah und seinen Freund, die viere von sich, auf'm Boden gestreckt, erblickte, und zu gleicher Zeit sich so unbehende angefaßt fühlte, und zwar von jemand, der bisher bei allen zwischen beiden vorgefallnen Kampfspielen sich bloß passive verhalten müssen (ein Umstand, welcher das ganze um so verhaßter machte): so entging ihm endlich die Geduld; er warf sich in eine angreifende Stellung, raffte alle seine Kräfte zusammen und ging ebenso ungestüm auf Jones Fronte los, als er's ehedem mit seinem Hintergliede gewohnt war.

Unser Held stand dem Angriffe des Feindes mit der unerschütterlichsten Tapferkeit, und sein Brustgewölbe erklang von dem Schlage. Er gab solchen sogleich mit nicht minderer Heftigkeit zurück und zielte dabei ebenfalls auf Ehrn Schwögers Brust; der aber drückte nach guter Boxer Art und Kunst, Jones' Fäuste niederwärts, so daß er bloß den Bauch traf, welcher mit zwei Pfund Rindfleisch und ebensoviel Pudding angefüllt war, und also vom Schlage nicht hohl erschallen konnte. Ein mancher fester Faustschlag, lustiger und leichter anzusehen, als zu lesen oder zu beschreiben, ward von beiden Seiten gegeben und empfangen; und es hatte ein heftiger Fall, bei welchem Jones seine Kniee auf Schwögers Brust geworfen hatte, den letzten so entkräftet, daß der Sieg nicht länger zweifelhaft geblieben wäre, hätte nicht Blifil, der unterdessen wieder zu Kräften gekommen, das Gefecht wieder erneuert und dadurch, daß er mit Jones anband, dem geistlichen Herrn einen Augenblick Zeit verschafft, wo er die Ohren schütteln und sich verschnaufen konnte.

Und nun griffen beide unsern Helden an, dessen Streiche nicht mehr die Kräfte behielten, womit sie zu Anfang gefallen waren: so geschwächt hatte ihn dieser Kampf mit Schwögern. Denn, obgleich der Pädagog lieber sein Solo auf dem Menscheninstrument [228] spielen mochte und die letzte Zeit her nur dergleichen Sonaten geübt hatte, so hatte er doch von seiner alten Wissenschaft noch soviel behalten, daß er auch noch ganz gut mit einem Duett zurechtkommen konnte.

Der Sieg schien der neuern Gewohnheit nach sich auf die Seite der stärkern Anzahl zu lenken, als plötzlich ein viertes Paar Fäuste in der Schlacht erschienen und im Augenblick gleich dem geistlichen Herrn ihr Kompliment machten, wobei ihr Führer ausrief: »Sei'n keine Sünd' und Scham in euch, verdammte Kerls, daß 'r zwei auf einen fallt!«

Die Schlacht, welche von der Art war, welche man zum Unterschiede von kleinen Wettfäusteleien die königliche nennt, wütete nun mit entsetzlicher Heftigkeit einige Minuten hindurch fort; bis Schwöger, als er sah, daß Blifil zum andernmale von Jones zu Boden gestreckt worden, sich herabließ, um Quartier bei seinem neuen Widersacher anzusuchen, in welchem man nunmehr Herrn Western selbst entdeckte; denn in der Hitze des Treffens hatte ihn keiner von den Kombattanten erkannt.

Die Sache traf so zu: dieser ehrliche Junker ging bei seinem Abendspaziergange mit einiger Gesellschaft, zufälligerweise eben in der Gegend, wo die blutige Schlacht gefochten wurde; und nachdem er daraus, daß er drei Mann im Handgemenge erblickte, schloß, daß zwei davon auf einer Seite sein müßten, so verließ er eilig seine Gesellschaft und nahm biederherzig genug, aber ganz unpolitisch, sich der schwächern Partei an. Vermittelst dieses großmütigen Verfahrens, verhinderte er wahrscheinlicherweise, daß Jones nicht Schwögers Zorne und der frommen Freundschaft, welche der pflichtliebende Blifil für seinen alten Lehrer hegte, hingeopfert wurde. Denn, die überlegene Anzahl abgerechnet, hatte Jones in seinem eben geheilten Arme noch nicht alle Kräfte wieder. Diese Verstärkung machte indessen dem Treffen bald ein Ende, und Jones und seine Alliierten behielten das Feld.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

In welchem ein weit rührender Schauspiel zu sehen ist, als alles Blut in Schwögern und Blifils, und zwanzig andrer solcher Helden Leibern zu verschaffen im stande ist.


Die übrigen von Herrn Westerns Gesellschaft waren nun angelangt, gerade in dem Augenblicke, da sich das Treffen endigte. [229] Es waren folgende: der ehrliche Pfarrer, den wir bereits an Junker Westerns Tafel gesehen haben; Ihro Gnaden, das Hochwohlgeborne Fräulein von Western, Sophiens gnädige Tante und endlich die liebenswürdige Sophie selbst.

Um diese Zeit war der Anblick des blutigen Schlachtfeldes folgender: An einer Stelle lag auf dem Erdboden sehr blaß und atemlos der überwundene Blifil. Bei ihm stand sein Besieger Jones, fast ganz bedeckt mit Blut, davon ein Teil von Natur sein eigenes, ein andrer Teil aber noch vor kurzem das Eigentum des Ehrn Herrn Schwögers gewesen war. Auf einem dritten Platze stand dickbesagter Schwöger, wie ehemals König Porus, dem Sieger sich mit verbissenem Unmut unterwerfend. Die letzte Figur im Gemälde war Western der Große, höchst heldenmütig des besiegten Feindes schonend.

Blifil, an welchem sich wenige Zeichen des Lebens befanden, war anfänglich der Hauptgegenstand der Sorgen aller und besonders von Ihro Gnaden, Tante Western, welche aus ihren Taschen ein Riechflakon hervorgezogen hatten und sich selbst in eigner Person bemühten, es ihm vor die Nase zu halten; als plötzlich und auf einmal die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft von dem armen Blifil weggelenkt wurde, dessen Geist, wenn er nur im geringsten Lust dazu gehabt, jetzt diese schöne Gelegenheit hätte wahrnehmen können, sich ohne alle Zeremonien nach der andern Welt davonzuschleichen.

Denn da lag vor ihnen ein eben so melancholischer, als liebenswürdiger Gegenstand ohne alle Lebensbewegung. Dies war kein geringerer als die reizende Sophie selbst, welche von Ansicht des Bluts, oder aus Angst um ihren Vater, oder aus einer andern Ursache, in eine Ohnmacht hingesunken war, bevor ihr jemand hatte zu Hilfe eilen können.

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, sahen das zuerst und machten ein helles Geschrei. Flugs darnach schrieen zwei oder drei Stimmen zugleich: »Fräulein Sophie ist tot!« Eau de Luce! Hirschhorngeist! Wasser! Um jedes Hilfsmittel ward auf einmal und fast in einem Augenblick gerufen.

Der Leser geliebe sich zu erinnern, daß wir in der Beschreibung dieses Wäldchens eines rieselnden Bächleins erwähnt haben; welches Bächlein nicht dahin kam, wie dergleichen sanfte Silberbäche durch die alltäglichen Romane fließen, ohne da irgend etwas anders zu thun zu haben, als zu rieseln und zu murmeln. Nein, das Glück hatte beschlossen, diesen kleinen Rhein mit höhern Ehren zu adeln, als alle jene, welche die arkadischen Thäler bewässern, jemals verdient haben.

[230] Jones war darüber her, Blifils Schläfe zu reiben: denn er begann zu besorgen, er möchte ihm einen Schlag zuviel gegeben haben, als die Worte, Fräulein Sophie und Tod, ihm zugleich in die Ohren schallten. Er sprang auf, überließ Blifil seinem Geschick und flog nach Sophien, und unterdessen, daß alle übrigen die Kreuz und Quere durcheinander sich an die Köpfe rannten, und sich in den trockenen Steigen nach Wasser umsahen, faßte er sie in seine Arme, und fort lief er damit querfeldein, nach dem oben bemeldeten kleinen Bache; hier patschelte er selbst ins Wasser und besprengte ihr Kopf, Gesicht und Busen aufs reichlichste.

Ein Glück für Sophien war's, daß eben die Verwirrung, welche ihre andren Freunde hinderte, ihr Beistand zu leisten, solche ebenfalls hinderte, unsern Jones aufzuhalten. Er hatte sie schon den halben Weg fortgetragen, ehe sie wußten, was er thun wollte, und hatte sie wirklich schon wieder ins Leben zurückgerufen, bevor sie bei dem Wässerchen anlangten. Sie streckte ihre Arme aus, öffnete die Augenlider und seufzte: Ach Himmel! eben als ihr Vater, ihre Tante und der Pfarrer Schickelmann herzukamen.

Jones, der bisher seine liebliche Bürde in den Armen gehalten hatte, ließ nunmehr seine Schlingen los, drückte ihr aber in eben dem Augenblicke einen so zärtlichen Kuß auf die Wange, daß sie, wenn ihre Sinne damals schon völlig wiederhergestellt gewesen wären, es gewiß gefühlt haben müßte. Da sie also über diese herausgenommene Freiheit kein Mißvergnügen zeigte, so glauben wir, ihre Ohnmacht sei zu der Zeit wohl noch nicht so völlig vorüber gewesen.

Dieser tragische Auftritt ward nun auf einmal in eine Freudenszene verwandelt. Hierin war unser Held, außer allem Zweifel, die Hauptperson. Denn so, wie er wohl gewiß ein inniges Vergnügen darüber fühlte, Sophien gerettet zu haben, als sie selbst darüber empfand, gerettet zu sein: so wurden auch Sophien nicht soviel Glückwünsche gemacht, als dem Jones darüber gesagt wurden, besonders von Herrn Western selbst. Dieser, nachdem er seine Tochter ein- oder ein paarmal in seine Arme gedrückt hatte, konnte nicht satt werden, Jones zu umhalsen und zu küssen. Er nannte ihn Sophiens Retter, und beteuerte, er wüßte nicht, seine Tochter und seine liegenden Gründe ausgenommen, was er ihm nicht gerne gäbe; nach ein wenig Besinnen aber, nahm er hernach doch noch seine Jagdhunde, den Chevalier und den Murpaß aus. (So nannte er seine liebsten Reitpferde.)

Nachdem nun die Sorge um Sophie zerstreut war, ward Jones der Gegenstand von des Junkers Sorgfalt. »Komm, komm, lieber Bursch,« sagte Western, »'runter mit'm Rock, und wasch' dir's [231] Angesicht; denn 's ist dir in'n höllisch saubern Unflat, glaub' mir's. Komm, komm, wasch' dir; und sollst mit mir nach Haus gehn und woll'n dir 'n andern Rock such'n.«

Jones that augenblicklich was man verlangte: warf den Rock ab, stieg ins Wasser und wusch sich das Gesicht und den Busen, denn der letztere war eben so zerschlagen und blutig als das erstere. Allein, obgleich das Wasser das Blut hinwegnehmen konnte, so konnte es doch nicht die schwarzen und blauen Flecken abwaschen, welche Schwöger beiden eingedrückt hatte und welche, als Sophie sie wahrnahm, ihr einen Seufzer abnötigten und dabei einen Blick voll unaussprechlicher Zärtlichkeit.

Diesen faßte Jones mit seinen Augen auf, ohne von dessen Kraft das geringste auf die Erde fallen zu lassen, und er that auf ihn eine stärkere Wirkung als alle Verletzungen, die er vorher empfangen hatte. Eine Wirkung, die bei alledem von höchst verschiedener Art war; denn sie war so erquickend und balsamisch, daß, wären alle auf ihn gefallene Streiche Dolchstiche gewesen, sie ihn auf einige Minuten verhindert haben würde, die Schmerzen dieser Stiche zu fühlen.

Die Gesellschaft begab sich nun wieder auf den Rückweg und langte bald wieder auf der Stelle an, wo Schwöger dem Blifil von neuem auf die Beine geholfen hatte. Hier können wir den frommen Wunsch nicht unterdrücken, daß alle Mißverständnisse durch keine andre, als diese Waffen beigelegt werden möchten, womit die Natur, welche recht gut weiß was sich für uns ziemt, uns ausgerüstet hat; und daß das kalte Eisen niemals gebraucht werden möchte, in andern Eingeweiden zu wühlen, als in den Eingeweiden der Erde. Dann würde der Krieg, dieser liebe Zeitvertreib großer Monarchen, fast gänzlich unschädlich werden, und man könnte Schlachten schlagen, so oft es nur hier oder dort eine Dame von Stande zu wünschen äußerte; und diese selbst könnten denn ebensowohl als die Könige dabei persönliche Zuschauer abgeben. Alsdann könnte das Schlachtfeld diesen Augenblick mit leblosen Körpern dick bestreut liegen und den folgenden könnte die tote Mannschaft, wenigstens dem größten Teile nach, wieder aufstehn, wie die gelenken Personen einer nichtessenden Schauspielerbande, und könnte nach dem Schall einer Trommel oder einer Klingenthaler Geige abmarschieren, je nachdem man vorher darüber Abrede getroffen hätte.

Ich möchte, wenn's möglich wäre, diese Sache nicht gerne spaßhaft behandeln, damit die ernsthaften Männer und politischen Staatslotsen, welche, wie ich recht gut weiß, keinen Spaß verstehen, mich nicht auszuzischen Anlaß hätten; könnten bei alledem aber nicht die Schlachten ebensogut nach der größern Anzahl von zerlappten Köpfen, [232] blutigen Nasen und blaugeklopften Augen entschieden werden, als nach den größern Haufen von verstümmelten und ermordeten Leichen und menschlichen Körpern? Könnte man sich nicht auf eben die Art um Städte balgen? Freilich kann man dieser Vorschlag für ein nachteiliges Projekt für solche Kriegsmächte halten, die durch das Uebergewicht ihrer Genies (vielleicht deutlicher gesagt, ihrer Ingenieurs) einen Vorteil über andre Nationen haben, den sie sich nicht werden aus den Händen winden lassen wollen. Wenn ich aber auf der anderen Seite wieder die höchst uneigennützige Großmut und offene kunstlose Biedermütigkeit der Völkerschaften gegen einander in Betrachtung ziehe, so bin ich überzeugt, keine wird es ablehnen, sich mit ihrem Freunde auf einen völlig gleichen Fuß zu setzen oder, wie der alte Ausdruck lautet, Godes Ordeel nicht durch unfertige Waffen zu erschleichen.

Dergleichen Reformation steht nun aber wohl freilich mehr zu wünschen als zu hoffen; weshalben ich mich denn mit diesem kurzen Winke begnügen und zu meiner Geschichtserzählung zurückkehren will.

Western fing nunmehr an, sich nach der ursprünglichen Veranlassung des Haders zu erkundigen; worauf weder Blifil noch Jones eine Antwort erteilten; Schwöger aber sagte mit verbissenem Groll: »Ich glaube die Ursache braucht man nicht weit zu suchen; wenn Sie nur das Gebüsch recht durchstöbern wollen, so werden Sie sie finden.« – »Finden? sie?« erwiderte Western. »Um 'ne sie habt 'r euch also gerauft?« – »Fragen Sie nur den Herrn da im Kamisol,« sagte Schwöger, »der weiß es am besten!« – »Ja, nu denn!« schrie Western, »so ist gewiß ein Weibsen auf'r Fährt! – Ha, Tom, Tom! du bist doch ein lockrer Zeitz von Kerl du! – Aber kommt, kommt, Leut', vertragt 'ch und geht mit nach mein Haus und macht gemein Fried beim Punschnapf!« – »Ich bitte um Entschuldigung, Herr von Western,« sagte Schwöger. »Für einen Mann von meinem Stande ist's keine solche Kleinigkeit, so schimpflich behandelt und gepufft zu werden von einem Junker, der seine Knabenschuh kaum vertreten hat; bloß weil ich meine Amtspflicht thun und es an mir nicht ermangeln lassen wollte, ein liederliches Weibsmensch zu entdecken und zur gerechten Strafe zu bringen. Aber wahrlich, wahrlich, die größte Schuld fällt auf Herrn Alwerth und auf Sie selber; denn wenn Sie recht nach den Gesetzen thäten wie Sie billig sollten, so würden Sie das Land bald von solchem Ungeziefer reinigen.«

»Von Füchsen würd' ich's Land ebenso leicht reinigen, und ebenso lieb,« schrie Western. »Sollte meinen wir verlören doch täglich Leut' g'nug im Krieg; und sollt' uns lieb sein, und sollt'n was zu geb'n, wenn Leute vor Rekruten sorgen. – Aberst wo ist [233] sie? – Bitt' dich, Tom zeig' mir's!« Hierauf fing er an umher zu spüren, gerade so, als ob er einen Hasen auf der Fährte gehabt hätte, und rief endlich aus: »Holloho! Märten ist nicht weit! Bei Pulver und Blei! da seht ihr's Lager. Glaube, ich kann rufen: fortgeschlichen!« Und das konnte er in der That; denn er hatte jetzt die Stelle entdeckt, von welcher sich die arme Dirne beim Anfange des Handgemenges auf ebensoviel Füßen weggeschlichen hatte, als ein Hase gewöhnlich zu seinen Reisen braucht.

Sophie bat jetzt ihren Vater, daß sie wieder nach Hause kehren möchten, weil, wie sie sagte, sie sich nicht recht wohl befände und eine neue Anwandlung besorgte. Der Junker willigte alsobald in die Bitte seiner Tochter (denn er war der liebreichste Vater). Er drang ernstlich darauf, daß die ganze Gesellschaft mit ihm gehen und zu Abend bei ihm essen möchte. Blifil und Schwöger aber lehnten es ab. Der erste sagte, er habe mehr Ursachen als er jetzt sagen könne, warum er sich die Ehre verbitten müßte! und der letztere behauptete (und vielleicht mit Recht): Es sei für eine Person von seinem Amte nicht schicklich, sich in seinen jetzigen Umständen an irgend einem Orte sehen zu lassen.

Jones war unvermögend, das Vergnügen bei seiner Sophie zu sein auszuschlagen. Sonach marschierte er hin mit Junker Western und seinen Damen, und der Pfarrer Schickelmann machte den Nachtrab. Dieser hatte sich wirklich erboten, bei seinem Amtsbruder Schwöger zurückzubleiben, um seine Achtung für den ehrwürdigen Rock zu bezeigen, der ihm nicht erlaubte, ihn allein im Stiche zu lassen; Schwöger aber wollte diese Gefälligkeit nicht annehmen, sondern stieß ihn, nicht eben mit äußerster Höflichkeit, hinter Herrn Western her.

Auf diese Weise schloß sich dieses blutige Scharmützel; und damit soll sich auch das fünfte Buch dieser Geschichte beschließen.

Sechstes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Ueber die Liebe.


In unserm letzten Buche haben wir uns genötigt gesehen, uns so ziemlich viel mit der Leidenschaft der Liebe abzugeben; und in unsrem folgenden Buche werden wir gezwungen sein, diesen Gegenstand noch umständlicher abzuhandeln. Es wird daher an dieser Stelle nicht unschicklich sein, uns auf die Untersuchung jener neuen Lehre einzulassen, wodurch gewisse Philosophen unter andren wundersamen Entdeckungen auch diese gemacht haben wollen, daß es keine solche Leidenschaft im Herzen des Menschen gebe.

Ob diese Philosophen zu jener unbegreiflichen Sekte gehören, welcher der verstorbene Doktor Swift mit allen Ehren als solcher Menschen erwähnt, die bloß und allein durch die Stärke ihres Genies, ohne die geringe Beihilfe von irgend einiger Gelehrsamkeit oder nur Belesenheit, das tiefe und unschätzbare Geheimnis ausfindig gemacht haben, daß kein Gott sei; oder ob sie nicht vielmehr unter diejenigen zu zählen sind, welche seit einigen Jahren her die Welt dadurch sehr in Harnisch gejagt haben, daß sie beweisen wollen, in der menschlichen Natur sei nichts dergleichen zu finden, was man Tugend oder Güte nennt, und die unsre edelsten Handlungen aus dem Stolze herleiten, das will ich mir nicht anmaßen zu entscheiden. Im Grunde bin ich geneigt zu vermuten, daß alle diese verschiedenen Wahrheitsmacher gerade ebendieselben leibhaften Leute sind, welche von andern Goldmacher genannt werden. Der geheime Prozeß dieser im Verborgenen arbeitenden Adepten, sowohl auf Wahrheit als auf Gold, ist in der That ein und derselbe und besteht hauptsächlich darin, die Prima materia zu finden und darnach in einem schmutzigen Orte zu wühlen, zu suchen und zu untersuchen. Und für den ersten Fall wirklich in dem allerschmutzigsten aller Plätze, einem schlechten Gemüte.

Doch, obgleich in diesem Betracht und vielleicht auch in Betracht dessen, was sie durch ihre Prozesse herausbringen, der Wahrheitsmacher und der Goldmacher sehr schicklich mit einander verglichen werden können: so findet doch in Ansehung der Bescheidenheit gewiß keine Vergleichung unter beiden statt. Denn wer hat [235] wohl von irgend einem Gold- und Rosenkreuzer gehört, der die Unverschämtheit und Thorheit gehabt hätte zu behaupten, daß deswegen, weil er nichts herausbringen können, kein solches Metall in der Welt sei, das man Gold nennt? Da hingegen der Wahrheitsmacher, wenn er den Stinkwinkel seines eigenen Gemüts durchgeackert hat, und nicht vermögend ist darin die mindeste Spur oder den geringsten Strahl der Göttlichkeit, noch irgend etwas Tugendhaftes, Gutes, Liebenswürdiges oder Liebendes zu entdecken, ganz aufrichtig, ehrlich und logikalisch schließt, dergleichen Dinge seien nirgends in der ganzen Schöpfung zu finden.

Und gleichwohl, wenn es angeht allen Streit mit diesen Philosophen zu vermeiden (wenn sie nun einmal so heißen wollen), und um unsere Bereitwilligkeit zu zeigen, die Sache ganz friedlich unter uns abzumachen, so wollen wir ihnen hier einige Punkte einräumen, wodurch vielleicht dem ganzen Zanke ein Ende gemacht wird.

Erstlich wollen wir eingestehn, daß manche Gemüter, und vielleicht gerade die Gemüter dieser Philosophen, von der leichtesten Spur solch einer Leidenschaft völlig rein sind.

Zweitens, daß dasjenige, was man gemeiniglich Liebe nennt, nämlich: das Verlangen, seinen gierigen Appetit mit einer gewissen Quantität zarten, weißen Menschenfleisches zu stillen, keineswegs die Leidenschaft sei, für welche ich hier fechte. Das ist freilich, genauer bestimmt, Hunger; und so wie sich kein Fresser schämt, seinen Appetit durch das Wort Liebe aus zudrücken, und zu sagen, ich liebe dieses oder jenes Gericht; so kann auch der Liebhaber dieser Gattung mit eben der Schicklichkeit sagen, ihn hungre nach diesem oder jenem Frauenzimmer.

Drittens will ich zugeben, (und man wird daraus, hoff' ich, erkennen, wie höchst billig ich bin,) daß diese Liebe, für welche ich als Sachwalter spreche, ob sie gleich ihre Wünsche auf eine weit feinere, geistigere Weise befriedigt, doch nichtsdestoweniger ihre eigene Befriedigung ebenso dringend sucht, als der gröbste von allem unsrem Hunger.

Und endlich viertens, daß die Liebe, wenn sie nach einer Person von verschiedenem Geschlecht hinwirkt, sehr geneigt ist, zu ihrer völligen Beseligung denjenigen Hunger zur Hilfe zu rufen, dessen ich oben erwähnt habe; und welcher so entfernt ist sie niederzuschlagen, daß er vielmehr alle ihre Freuden zu einem so hohen Grade erhebt, wie es sich diejenigen kaum einbilden können, welche niemals einer andern Regung fähig gewesen sind, als solcher, welche vom Appetit allein entstanden.

Gegen alle diese zugegebenen Punkte verlange ich von den Philosophen, mir einzuräumen, daß in einigen (ich glaube in vielen) [236] menschlichen Herzen ein milder, wohlthätiger Hang anzutreffen sei, der bloß sich darin behagt, zur Beförderung der Glückseligkeit andrer beizutragen; daß dieses Behagen allein schon, wie zum Exempel in der Freundschaft, in der väterlichen und kindlichen, und überhaupt in der allgemeinen Menschenliebe, ein großes und inniges Entzücken gewähre: so daß, wenn wir diesen Hang, diese Neigung, nicht Liebe nennen wollen, wir keinen Namen dafür haben; daß, obgleich das Vergnügen, welches aus einer so reinen Liebe entsteht, durch die Dazukunft von verliebtem Verlangen erhöht und noch süßer gemacht werden kann, dennoch das erste für sich allein bestehen könne und auch nicht durch die Hinzukunft der letztern zerstöret werde; endlich, daß Hochachtung und Dankbarkeit die wahren Beweggründe zur Liebe sind, sowie Jugend und Schönheit zum Verlangen; und obschon daher solches Verlangen natürlicherweise aufhören kann, wann Alter oder Krankheit seinen Gegenstand befallen, diese Zufälligkeiten dennoch keine Wirkung auf die Liebe haben, oder in einem guten Gemüte diese Empfindung oder Leidenschaft erschüttern oder vertilgen, welche auf Dankbarkeit und Hochachtung gegründet sind.

Das wirkliche Dasein einer Leidenschaft leugnen, von der wir oft die deutlichsten Merkmale sehen, scheint sehr befremdlich und abgeschmackt zu sein, und kann wirklich nur von jener Selbsterkenntnis herrühren, deren wir oben gedacht haben; aber heißt das redlich zu Werke gehen? Schließt der Mann, der in seinem Herzen keine Spur von Geld- oder Ehrgeiz an trifft, deswegen gleich, daß solche Leidenschaften nicht in der menschlichen Natur sind? Warum wollen wir nicht mit gehöriger Bescheidenheit eben dieselbe Regel beobachten, ob wir über das Gute andrer Menschen urteilen, oder über ihr Böses? Oder, warum wollen wir in irgend einem Falle, wie Shakespeare es ausdrückt, die Welt in unsre eigene Person setzen?

Hier ist, besorge ich, die herrschende Eitelkeit zu sehr im Spiele. Dies ist eine Probe von dem Räucherwerke, welches wir, fast ohne jemand auszunehmen, unsren eigenen Gesinnungen so sanft anheucheln. Denn es gibt beinahe nicht einen einzigen Menschen, wie sehr er auch den Charakter eines Schmeichlers verachtet, der sich nicht herablassen sollte, sich selbst auf die kriechendste Weise zu räuchern und zu schmäucheln.

Wegen der Wahrheit obiger Bemerkungen wende ich mich also an jene, deren eigenes Herz und Gemüt von demjenigen, was ich behauptet habe, ein Zeugnis ablegen können.

Untersuchen Sie Ihr Herz, mein guter Leser, und machen es mit sich aus, ob Sie diese Sachen mit mir glauben. Ist das, so [237] können Sie weiter fortfahren, wie sie auf den folgenden Blättern in Beispielen dargestellt finden; glauben Sie es nicht, so haben Sie, ich versichere Sie dessen, bereits mehr gelesen als Sie verstanden haben, und Sie thäten weiser, wenn Sie Ihren Geschäften oder Ihren Vergnügungen (worin sie auch bestehen mögen) nachgingen, als noch ferner das geringste Teilchen von Ihrer Zeit daran zu verschwenden, etwas zu lesen, das so wenig für Ihren Geschmack ist, als für Ihren Verstand. Mit Ihnen von den Wirkungen der Liebe sprechen, das wäre eben so unüberlegt, als mit einem Blindgebornen sich über Farben unterreden; denn Ihre Vorstellung, die Sie sich von der Liebe machen, möchte ebenso einfältig sein als die Vorstellung, die sich einst ein solcher Blinder, wie man erzählt, von der roten Farbe gemacht hatte. Diese Farbe schien ihm die meiste Aenlichkeit mit dem Tone einer Trompete zu haben; und nach Ihrer Meinung möchte wohl die Liebe viel Gleichheit mit einem Napf voll Fleischbrühe, oder einem saftigen Rindsbraten haben.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Ihro Gnaden, Tante von Western, Charakter. Ihre große Gelehrsamkeit und Weltkenntnis und eine Probe von der großen Scharfsichtigkeit, welche sie durch jene Vorzüge erworben hatte.


Der Leser hat gesehen, wie Herr Western, seine Schwester und Tochter, nebst dem jungen Jones und dem Pfarrer, mit einander nach Hause gingen, woselbst der größeste Teil der Gesellschaft den Abend mit vieler Lust und Fröhlichkeit zubrachte. In der That war Sophie die einzige ernsthafte Person; denn was unsern Jones anlangt, obgleich nunmehr die Liebe unumschränkten Besitz von seinem Herzen genommen hatte, so setzten doch die erfreulichen Gedanken an Herrn Alwerth Genesung, die Gegenwart seiner Geliebten, und einige zärtliche Blicke, die sie von Zeit zu Zeit auf ihn zu werfen sich nicht enthalten konnte, unsern Helden in eine so hohe Stimmung, daß er an der Lustigkeit der übrigen drei teilnahm, und es waren vielleicht so frohe Menschen, als man irgend in der Welt finden konnte.

Sophie behielt am nächsten Morgen beim Frühstück noch immer ihr ernsthaftes Betragen. Sie begab sich davon früher hinweg als gewöhnlich und verließ ihren Vater und die Tante bei einander. Der Junker gab nicht acht auf die Veränderung an seiner Tochter. Die Wahrheit zu sagen, war er so etwas von einem Staatskundigen [238] und wäre auch zweimal beinahe von der Grafschaft zum Parlamentsgliede erwählt worden; bei alledem aber gab er sich mit dem Beobachten eben nicht ab. Seine Schwester war eine Dame von ganz andrem Schlage. Sie hatte Hofluft geatmet und die Welt gesehen. Daher hatte sie alle die Kenntnisse erworben, welche besagte Welt gewöhnlich zu erteilen pflegt, und verstand sich vollkommen auf Manieren, Gebräuche, Zeremonien und Moden; damit war aber ihr Gelehrsamkeit noch nicht zu Ende. Sie hatte durch Studieren ihren Geist gar merklich aufgeklärt; sie hatte nicht nur alle neuen Dramen, Opern, Oratorien, Musenalmanache und Romane gelesen, worin sie kritische Einsichten zeigte, sondern sie hatte sich auch durch Rapins Geschichte von England, Rollins griechische und römische Historien und noch viele andre französische Mémoires pour servir à l'Histoire hindurchgearbeitet. Zu diesen hatte sie noch die meisten Journale, Hefte und Wische über Staatssachen, die seit den letzten zwanzig Jahren geschrieben worden, hinzugefügt. Durch alles dieses hatte sie sich eine nicht geringe Einsicht in die Politik erworben und konnte sehr gelehrt von den Affairen in Europa diskurieren. Sie war überdem noch außerordentlich wohlgeschickt und erfahren in der Lehre von der Liebe und wußte besser als irgend sonst ein Mensch, wer und welche sich gut mit einander ständen, eine Wissenschaft, welche sie sich um so leichter erwarb, weil sie in ihrer Nachjagung durch keine eigene Liebesaffairen aufgehalten oder zerstreut wurde, denn entweder hatte sie keine solchen Triebe, oder es hatte sich keiner darum beworben; welches letzte sehr wahrscheinlich ist, denn ihre mannhafte Person, die eine Länge von ungefähr sechs Fuß hatte, zusammengenommen mit ihrer Manier und mit ihrer Gelehrsamkeit, mochten vielleicht das andre Geschlecht abhalten, sie, ungeachtet ihrer langen Kleidung, für eine wirkliche Dame anzusehen. Da sie unterdessen die Sache wissenschaftlich betrachtet hatte, ob sie gleich niemals bis zur Ausübung gelangt, so kannte sie alle Künste, welche vornehme Damen anwenden, wenn sie gesonnen sind, einem Liebhaber Mut zu machen, oder wenn sie ihre Schwachheiten verhehlen wollen, nebst alle dem langen Register von Lächeln, Liebäugeln, Seitenblicken, Fächerwinken u.s.w., so wie solche dieser Zeit in der Beau-Monde in Brauch und Uebung sind. Summa Summarum, keine Art von Verstellung oder Affektation war ihrer Aufmerksamkeit entwischt; aber die klaren, kunstlosen Wirkungen der unverderbten Natur hatte sie niemals gesehen und also wußte sie davon ungefähr so viel als gar nichts.

Vermittelst dieser wundervollen Einsicht hatten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, um diese Zeit, wie Dieselben nicht anders meinten, eine gewisse Entdeckung in Sophiens Herzen gemacht. [239] Den ersten Wink dazu nahmen Dieselben aus dem Betragen des jungen Fräuleins auf dem Schlachtfelde. Und der Argwohn, welchen Ihro Gnaden daselbst faßten, ward durch gewisse Beobachtungen, welche Sie den Abend noch gemacht hatten, gar merklich bestärkt, sowie auch des nächsten Morgens beim Frühstück. Unterdessen da Dieselben gegen einen Irrtum in vielerlei Sachen gar sehr auf Dero Hut waren, so hatten Sie das Geheimnis ganzer voller vierzehn Tage im stillen mit sich herumgetragen und hatten sich davon bloß durch einen in lächelnde Falten gezogenen Mund, durch Augenwinke, Achselzucken und Kopfschütteln nur so ganz von ferne etwas merken lassen; hatten auch wohl dann und wann so ein Wörtchen fallen lassen, welches Sophien allerdings genug beunruhigte, vor hoch Dero Bruder aber so ganz unbemerkt zur Erde fiel.

Nachdem aber Ihro Gnaden von der Richtigkeit Dero Bemerkungen aufs zuverlässigste überzeugt waren, nahmen Dieselben, als Sie sich eines Morgens mit Dero Herrn Bruder tête à tête befanden, die Gelegenheit wahr, ihn in seinen musikalischen Uebungen, ein Lied mit dem Munde zu pfeifen, durch folgende Anrede zu unterbrechen:

»Mon cher frère! haben Sie nicht seit einiger Zeit etwas Außerordentliches an ma Nièce bemerkt?« – »Wüßte nicht!« antwortete Junker Western. »Sollte dem Mädchen was fehlen?« – »Ja, so meine ich,« antwortete sie, »und zwar etwas von großer Konsequenz.« – »Was? Sie klagt doch wohl über nichts!« schrie Western. »Die Blattern hat sie ja gehabt.« –»Mon frère,« versetzte sie, »junge Mädchen, wenn sie gleich die Blattern überstanden haben, sind gleichwohl noch andern und vielleicht noch viel schlimmern Krankheiten ausgesetzt.« Hier fiel ihr Herr Western sehr ernsthaft in die Rede und bat sie, wenn seiner Tochter irgend was fehlte, möchte sie es ihm doch augenblicklich sagen, und fügte hinzu: sie wüßte ja, er liebte seine Tochter mehr als seine eigene Seele, und wie er bis ans Ende der Welt schicken wollte, um ihr den besten Arzt zu verschaffen. – »Nun, nun!« antwortete das gnädige Fräulein mit schalkhaftem Lächeln, »so fürchterlich ist die Krankheit nun wohl nicht; doch glaube ich, mon cher frère, Sie sind überzeugt, ich kenne die Welt, und dich versichere Ihnen, ich wäre in meinem Leben nicht ärger getäuscht worden, wenn ma Nièce nicht unsterblich verliebt ist.« – »Was, was?« schrie Western ganz zornig, »verliebt! verliebt! ohn' mich zu fragen? Enterben will ich ihr! Aus dem Hause will ich ihr stoßen, wie sie geht und steht, ohne 'nen roten Heller. Hab' ich das vor alle mein' Güte? vor mein' väterliche Liebe? daß sie sich verliebt, ohne mich um mein' [240] väterliche Einwilligung zu bitten!« – »Aber, mon frère,« antworteten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, »werden doch Ihr Fräulein Tochter, die Sie mehr lieben als Ihre eigene Seele, nicht aus dem Hause stoßen, bevor Sie wissen, ob Sie die Wahl des Fräuleins billigen oder nicht? Wie wär's nun, wenn sie auf ebendieselbe Person verfallen wäre, die Sie selbst gewünscht hätten, mon frère? Dann würden Sie doch nicht böse darüber sein, hoffe ich.« – »Näh, näh!« schrie Western, »wenn's das ist, so wär's ganz was anders. Wenn sie den Mann nimmt, den ich haben will, so mag sie lieben wen sie will, meinethalben!« – »Das heiß' ich sprechen,« antwortete die Schwester, »wie ein Mann von Vernunft! Aber ich glaube, eben der Mann, den sie gewählt hat, würde eben der Mann sein, den mon frère für sie wählt. Allen Anspruch auf meine Weltkenntnis gebe ich auf, wenn es nicht so ist; und doch glaube ich,mon frère werden gestehen, daß ich die Welt so ziemlich kenne.« – »Nu, siehst du, ma soeur!« sagte Western, »will nicht leugnen, daß du so viel hast, als immer 'en ander Weibsbild, und freilich sind sowas Weibersachen. Weißt wohl, daß ich's nicht leiden kann, wenn du von Staatssachen schwätzest; die gehören vor uns, und Haub' und Schürz' sollt'n sich nicht drinn mengen! Aber, komm, komm, wie heißt der Mann?« – »En sérieux mon frère!« sagte sie, »Sie können ihn selbst ausfindig machen, wenn Sie belieben. Ihnen, als einem so großen Staatskundigen, kann das nicht schwer sein; dem seinen Verstande, welcher bis in die Kabinette der Prinzen dringt und die verborgenen Springfedern entdecken kann, welche die großen Staatsräder in allen politischen Maschinen von ganz Europa in Umtrieb setzen, dem muß es nur ein Geringes sein, dasjenige ausfindig zu machen, was in dem rohen, unerfahrenen Gemüt eines Mädchens vorgeht.« – »Schwester, Schwester!« schrie der Junker, »wie oft hab' ich dich gewarnt, mir nicht mit deinem Hofplauderschnack zu kommen. Ich sag' dir's, ich versteh' das Wischi Waschi nicht, aber ich kann 'en Journal lesen und meinen Relator refero. Freilich kommt hin und wieder ein Versch vor, den ich nicht ganz auswendig verstehe, weil die Buchstaben oft abblitzen; aber ich weiß wohl, was der Kerl damit will, daß er den Baum auf beiden Schultern trägt und er's mit niemand verderben darf.« – »Mon frère, mich dauert Ihre krasse Unwissenheit von ganzem Herzen!« rief die Dame. – »So? thust du?« antwortete Western, »und ich, ich bedaure dein Hofgeträtsch! Ich weiß nicht, was ich nicht lieber sein wollt', als so 'en Hofsternschlepper und Presbyterianer, und so einer, der 's mit 'm ausländ'schen König hält, wie gewisse Leute, wie ich glaube.« – »Wenn Sie mich meinen,« antworteten Ihro Gnaden, »so wissen Sie, ich bin eine Dame, mon [241] frère und es hat nichts zu bedeuten, was ich bin. Ueberdem« –»Weiß wohl, daß du ein Weibsbild bist,« schrie der Junker, »ein Glück ist's für dich; wärst du 'n Mann, verzeih' mir die Sünde, hätt'st schon längst 'ne Dachtel hinter die Löffel, glaub's nur.« – »Ach! da haben wir's!« sagte sie, »in deinen Dachteln hinter die Löffel steckt alle eure eingebildete Oberherrschaft. Eure Fäuste, und nicht euer Gehirn, sind stärker als die unsrigen; glaub' mir der Herr, 's ist ein Glück für die Herren der Schöpfung, daß sie die bäurische Stärke haben, uns zu schlagen, oder wir würden aus euch allen machen was der Tapfere und Weise und Witzige und Höfliche schon ist – unsre Sklaven.« – »Wohl, wohl!« antwortete der Junker, »daß ich weiß, wo ihr 'naus wollt! Aber wollen 'en andermal von der Sache sprechen; jetzund sag' mir nur, wie der Mann heißt, den du meinst mit meiner Tochter.« – »Nur einen Augenblick Geduld,« sagte sie, »daß ich erst die große Verachtung, die ich für das Mannsgeschlecht habe, verdauen kann. Ich möchte sonst dem Herrn Bruder vor Aerger nicht antworten können. So, da! – ich hab' mir Müh' gethan, es zu verschlucken. Und nun, mein guter Herr von Staatsmann, was denken Sie vom Junker Blifil? Fiel sie nicht in Ohnmacht, als sie ihn atemlos zu Boden liegen sah? Und ward sie nicht bleich und blaß den Augenblick, als wir wieder an den Ort kamen, da er wieder aufgestanden war und sie seiner ansichtig ward? und, wenn ich bitten darf, was wäre sonst die Ursache von aller ihrer Melancholei des damaligen Abends beim Souper, des nächsten Morgens, und kurzum die ganze Zeit nachher gewesen?« – »Beim Sankt Jürgen und allen Lindwürmern!« schrie der Junker, »du erinnerst mich d'ran! 'ch weiß alles auf 'en Haar, nun! Mein Seel! so ist's, und 's ist mir lieb von ganzem Herzen. Wußt's wohl, Fiekchen ist 'en gutes Mädchen, und konnt' sich nicht verlieben, mir 'en Aerger zu machen. In meinem Leben hab' ich mich nicht so gefreut; denn, sieh nur! Nichts kann so wacker bein' ander lieg'n, als unsre Feldmarken. Schon manch' liebe Zeit hat mir's Ding im Kopf 'rum gelauf'n. Denn sieh nur, mein Seel! die beiden Güter sind schon sozusagen mit enander versprochen und verheiratet, und 's wär jammer und schad', wenn's geschieden werden sollten. 'S ist wohl wahr, 's gibt größere Güter im Lande, aberst nicht in dieser Grafschaft, und 'ch will lieber mit was wenigern vorlieb nehmen, als mein' Tochter unter fremd' und ausländische Leute verheiraten. Ueber und darzu sind die großen Güter in Händen von dem Grafen- und Baronzeug, und ich hab'n Satan von allen den Hansen! Nu gut, Schwester! was ist's, was rätst mir? denn 'ch sag' dir ja, Weiber verstehen derlei Sachen besser als wir!« – »O votre servante très [242] humble Monsieur!« antworteten Ihro Gnaden, das Fräulein von Western. »Wir sind Ihnen wohl sehr verbunden, daß Sie uns in irgend einer Sache Kapazite zugestehen. Weil Sie also geruhen, mon très politique frère, mich um meinen Rat zu bitten, so wäre meine Meinung, Sie trügen selbst diese Verbindung dem Herrn Alwerth an. Es ist kein Indekorum dabei, von welcher Seite der Eltern die Proposition gemacht wird. Der König Alcinous, in Monsieur Popens Odyssee, bietet dem Ulysses seine Tochter an. Ich habe wohl nicht nötig, hoffe ich, einem so staatsklugen Herrn zu insinuieren, daß er eben nicht zu sagen brauche, seine Tochter sei in den Junker verliebt! das wäre freilich gegen alle Regeln des Wohlstandes.« – »Gut, gut,« sagte der Junker, »will's vorschlagen, aber gewiß gebe ich 'n ene Dachtel hinter die Löffel, wenn er nicht gleich Topp sagt.« – »Unbesorgt für das, mon frère,« riefen Ihro Gnaden, Fräulein Western, »die Mariage ist zu vorteilhaft, um sie zu refüsieren.« – »Ja, wer weiß?« antwortete der Junker. »Alwerth ist ein albern Querkopf und geht verdammt geschlossen, und Geld thut 'n nichts.« – »Mon frère,« sagte die Dame, »ich erstaune über Ihre wenige Politik, lassen Sie sich denn wirklich durch das blenden, was die Leute sagen? Meinen Sie denn, daß Herr Alwerth mehr Verachtung für's Geld hat, als andre Leute, weil ihm das so zu sagen beliebt? Eine solche Leichtgläubigkeit würde uns schwache Werkzeuge besser kleiden, als das weise Geschlecht, welches der Himmel zu Staatsmännern gebildet hat. En verité, mon frère, Sie würden einen feinen Minister plénipotentiaire an einem fremden Hofe abgeben, um einen Frieden zu negoziieren. Sie würden sich bald überreden lassen, daß man aus bloßen defensiven Grundsätzen Städte und Festungen wegnähme.« – »Schwester,« antwortete der Junker mit großer Verachtung, »laß deine Freunde bei Hofe sich um die Städte bekümmern und Festungen, die sie uns wegnehmen, weil ein Weibsen bist und keinen Bart hast, will ich dir's zu gute halten, denn ich sollte meinen, sie wären weiser, als Weibern Geheimnisse vertrauen.« Er begleitete dieses mit einem so verächtlichen Lachen, daß Ihro Gnaden, Fräulein von Western, es nicht länger aushalten konnten. Diese Dame war die ganze Zeit über schon an ihrer empfindlichsten Seite geneckt worden (denn sie war wirklich in dieser Materie sehr gründlich erfahren, und verstand darüber gar keinen Spaß), und geriet daher in nicht geringe Wut, erklärte, ihr Bruder sei ein Tölpel und Dummkopf, und sie wolle keinen Augenblick länger in seinem Hause bleiben.

Der Junker, der vielleicht niemals den Machiavell gelesen hatte, war dennoch in manchen Punkten ein vollkommener Staatsmann. Er hielt steif und fest an den weisen Grundsätzen, welche in der [243] Schule der peripatetischen Politiker am Börsengange so eindringlich gelehrt werden. Er kannte den wahren Wert und einzigen Gebrauch des Geldes, nämlich es anzuhäufen. Ebenso war er auch sehr wohl erfahren in der genauesten Wahrscheinlichkeitsberechnung von Leibrenten, Tontinen, Erbschaften, Heimfällen u.s.w. und hatte schon oft den Belauf der Nachlassenschaft seiner Schwester berechnet, nebst der Wahrscheinlichkeit, die er oder seine Nachkommenschaft hatte, solche zu erben. Diese einem nichtsbedeutenden Zwiste aufzuopfern, dazu war er unendlich viel zu weise. Sobald er also fand, daß er die Sache zu weit getrieben habe, so sann er d'rauf, wie er's wieder ins Feine bringen möchte, was denn auch deswegen eben nicht viel Schwierigkeiten kostete, weil die Dame eine große Neigung zu ihrem Bruder, und eine noch größere zu ihrer Nichte hegte; und ob sie gleich gegen eine Geringschätzung ihrer Geschicklichkeit in der Staatswissenschaft, auf welche sie sich nicht wenig zu gute that, vielleicht ein bißchen gar zu empfindlich sein mochte, so war es doch übrigens eine Dame von äußerst gutem und nachgebendem Gemüt.

Nachdem er also vor allen Dingen gewaltsame Hand an die Pferde gelegt hatte, für welche kein andrer Weg aus dem Stalle übrig blieb als durch die Fenster, so machte er sich selbst an seine Schwester, besänftigte und beschwichtigte sie dadurch, daß er alles wieder zurücknahm, was er gesagt hatte, und daß er gerade das Gegenteil von dem behauptete, was sie so in Zorn gejagt hatte. Zuletzt bot er noch Sophiens Beredsamkeit zu seinem Beistand auf, welche außer einem höchst anmutigen und einschmeichelnden Wesen noch den Vorteil hatte, daß ihre Tante sie ungemein gerne und mit Vorliebe reden hörte.

Die Wirkung von alledem war ein gnädiges Lächeln, abseiten Ihro Gnaden des Fräuleins von Western, welche sagten: »Mon frère, Sie sind wirklich ein leibhaftiger Kroat; indessen, weil diese auch in der Armee der Kaiserin Königin gebraucht werden, so haben Sie gleichfalls noch einiges Gute an sich. Ich will daher noch einmal einen Friedenstraktat mit Ihnen unterschreiben; nur seh'n Sie zu, mon frère, daß Sie solchen Ihrerseits nicht durchlöchern; wenigstens darf ich erwarten, weil Sie ein exzellenter Staatsminister sind, daß Sie die Traktate nicht eher brechen werden, als bis Sie dabei Ihren ungezweifelten Vorteil seh'n.«

Drittes Kapitel
[244] Drittes Kapitel.

Enthält zwei Herausforderungen an die Kunstrichter.


Nachdem der Junker mit seiner Schwester die Sache ins reine gebracht hatte, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, war er so ungeduldig, seinen Vorschlag beim Herrn Alwerth anzubringen, daß es seiner Schwester die äußerste Mühe kostete, ihn abzuhalten diesen Herrn noch während seiner Krankheit zu besuchen und dies Gewerbe auszurichten.

Herr Alwerth war um die Zeit, da ihn seine Krankheit überfiel, eingeladen worden, bei Herrn Western zu Mittag zu essen. Er war also nicht so bald aus dem Arreste des Arztes entlassen, als er d'rauf dachte (wie seine Gewohnheit sowohl bei den wichtigsten als unbedeutendsten Dingen war) seine Zusage zu erfüllen.

Während der Zeit, zwischen dem Gespräche im letzten Kapitel und diesem Tage eines feierlichen Gastmahls, hatte Sophie aus verschiedenen dunkeln Anspielungen, die ihrer Tante entfielen, einen Argwohn geschöpft, daß diese einsichtsvolle Dame ihre Leidenschaft für Jones ahnte. Sie entschloß sich daher, diese Veranlassung zu nehmen, alle dergleichen Mutmaßungen zu vernichten, und that zu dem Ende ihrem Betragen einen völligen Zwang an.

Erstlich also bemühte sie sich, ein traurig klopfendes Herz hinter der äußersten Munterkeit in ihrem Thun und Lassen und der größten Fröhlichkeit in ihrem ganzen Wesen zu verbergen. Zweitens richtete sie alle ihre Reden an Herrn Blifil, und that den ganzen Tag nicht, als ob sie den armen Jones bemerkte.

Der Junker war über dies Betragen seiner Tochter so entzückt, daß er die ganze Mahlzeit über kaum einen Bissen aß und fast seine ganze Zeit damit zubrachte, auf Gelegenheiten zu lauern, seiner Schwester durch Blicke und Kopfnicken seinen Beifall zu verstehen zu geben, welche anfangs von dem was sie sah nicht so gänzlich befriedigt war, als ihr Bruder.

Kurz, Sophie übertrieb ihre Rolle dermaßen, daß ihre Tante anfangs darüber stutzte und bei ihrer Nichte einige Verstellung zu mutmaßen begann. Da sie indessen selbst ein Frauenzimmer von großer Kunst war, so schrieb sie auch dieses sehr bald einer weit getriebenen Kunst bei Sophien zu. Sie erinnerte sich der vielen Anspielungen, deren sie sich gegen ihre Nichte über ihre Verliebtheit hatte entfallen lassen, und bildete sich ein, das junge Fräulein habe diesen Weg gewählt, um sie durch eine übertriebene Höflichkeit aus ihrer Meinung herauszuwitzeln; eine Meinung, welche durch die ungemeine Munterkeit, womit das Ganze begleitet ward, gar [245] sehr bestärkt wurde. Wir können hier nicht umhin, anzumerken, daß diese Mutmaßung besser gegründet gewesen wäre, wenn Sophie ungefähr zehn Jahre in der Hofluft gelebt hätte, woselbst junge Damen eine wundersame Fertigkeit erlernen, mit dieser Leidenschaft zu schäkern und zu tändeln, welche in einer zwanzig Meilen weiten Entfernung von der Residenz in Hainen und Wäldern eine höchst ernsthafte Angelegenheit ist.

Die Wahrheit ist, wenn wir den Betrug bei andern entdecken wollen, so kommt es sehr viel darauf an, daß unsre eigene List mit der ihrigen genau in einem Tone gestimmt sei (wenn ich mich dieses musikalischen Kunstworts bedienen darf), denn sehr feine Schälke schießen zuweilen vorbei, weil sie andre für weiser oder, mit andern Worten, für größere Schelme halten, als solche wirklich sind. Da diese Bemerkung so ziemlich aus der Tiefe heraufgeholt ist, so will ich solche durch folgendes Geschichtchen ein wenig illuminieren. Drei Landleute setzten einem Diebe von Wiltshire durch Brentford nach. Der Einfältigste von ihnen riet seinen Gefährten, als er ein Haus erblickte, das die Wiltshirer Herberge zur Aufschrift aushängen hatte, man müßte hineingehen, denn da würden sie, meinte er, ihren Landsmann finden. Der zweite, welcher weiser war, lachte über seine Einfalt; der dritte aber, der noch weiser war, antwortete: »doch, doch! laßt uns hineingehen, denn er wird nicht denken, daß wir ihn für so dumm halten, daß er unter seine eigene Landsleute gehen solle.« Sie gingen also hinein und suchten das Haus durch, und dadurch versäumten sie es, den Dieb einzuholen, der damals nur einen kleinen Vorsprung vor ihnen hatte, und der, wie sie alle wußten, nur nicht daran dachten, nicht lesen konnte.

Der Leser wird mir eine kleine Abschweifung verzeihen, worin in so schätzbares Geheimnis mitgeteilt wird, weil jeder weise Spieler die Notwendigkeit eingestehen wird, genau zu wissen, wie der andre seine Karten zu spielen gewohnt ist, um ihn zwischen die Hand zu bringen, wie der Kunstausdruck lautet. Dies gibt aber eine Ursache an die Hand, warum der weisere Mann, wie man oft sieht, dem schwächern zur Katzenpfote dient, und warum unbefangene, unschuldige Charaktere gemeiniglich mißverstanden und mißdeutet werden; was aber noch wesentlicher ist, dies wird es erklären, wie Sophie ihre Tante hatte hintergehen können.

Nachdem die Mahlzeit geendigt war und die Gesellschaft sich in den Garten begeben hatte, zog Herr Western, der von alledem was seine Schwester ihm gesagt durch und durch überzeugt war, Herrn Alwerth auf die Seite und plumpte mit dem Vorschlage einer Verbindung zwischen Sophien und dem jungen Herrn Blifil heraus.

Herr Alwerth war keiner von jenen Menschen, denen bei einer [246] unerwarteten plötzlichen Nachricht von zeitlichen Vorteilen gleich das Herz pocht. Sein Gemüt war wirklich mit derjenigen Philosophie gestählt, welche einem Mann und einem Christen geziemt. Er heuchelte keine Unempfindlichkeit gegen alles Vergnügen, alle Schmerzen, alle Freuden und allen Gram. Er war aber auch nicht sogleich durch jeden zufälligen Windstoß, durch jedes Lächeln oder Stirnrunzeln des Glücks zerknittert und aus den Falten gebracht. Er hörte also Herrn Westerns Vorschlag an, ohne irgend eine sichtbare Gemütsbewegung und ohne im geringsten seine Fassung zu verlieren. Er sagte, das Bündnis sei von der Beschaffenheit, wie er es aufrichtig wünsche. Darauf ließ er sich in sehr gerechte Lobsprüche über die Verdienste des jungen Fräuleins heraus, gestand, daß das Anerbieten, was den Punkt des Vermögens beträfe, vorteilhaft sei; und nachdem er Herrn Western für die gute Meinung, die er für seinen Neffen geäußert, Dank gesagt hatte, schloß er damit, wenn die jungen Leute einander leiden möchten, so würde er sehr bereit sein, die Sache abzuschließen.

Herr Western war ein wenig betroffen über Herrn Alwerths Antwort, welche nicht so warm war als er erwartete. Er behandelte den Zweifel »ob die jungen Leute einander leiden möchten« mit großer Schnödigkeit, indem er sagte: Eltern wären die besten Richter über die Zulässigkeit der Verbindungen ihrer Kinder; seinerseits würde er auf dem unterwürfigsten Gehorsam seiner Tochter bestehen, und wenn irgend ein junger Bursche eine solche Bettgesellin ausschlagen könnte, so wäre er sein gehorsamer Diener! Und somit hoff' er, wär' das Unglück nicht groß.

Alwerth bemühte sich, seines Nachbarn Zorn durch manche Lobsprüche auf Sophie zu besänftigen und versicherte ihm, er zweifle gar nicht, sein Neffe würde das Anerbieten mit viel Freuden annehmen; aber alles war umsonst! Er konnte von dem Junker keine andre Antwort herausbringen als: »Ich sag' nichts weiter – hoff' unterthänigst, d's Unglück ist nicht groß – dabei bleibt's!« welche Worte er wenigstens wohl hundertmal wiederholte, ehe seine Gäste wegfuhren.

Alwerth kannte seinen Nachbar zu gut, um ihm sein Betragen übelzunehmen; und ob er gleich die Strenge, womit manche Eltern ihre Kinder im Punkte des Verheiratens behandeln, dergestalt mißbilligte, daß er beschlossen hatte, seines Neffen Neigungen niemals Gewalt anzuthun, so war ihm bei dem allem doch die Aussicht auf die Vereinigung sehr angenehm, denn das ganze Land erscholl von Sophiens Lob, und er selbst hatte die ungemeinen Gaben ihres Geistes und Vollkommenheiten ihres Körpers aufrichtig bewundert; wozu wir dann auch noch, wie ich glaube, die Rücksicht [247] auf ihr Vermögen mitrechnen können, denn so wie er zu mäßig war sich davon berauschen zu lassen, so war er doch auch zu vernünftig, um es zu verachten.

Und hier muß und will ich trotz aller belfernden Kritiker in der Welt eine Nebenbetrachtung über die wahre Weisheit einschalten, in welcher Herr Alwerth wirklich ein ebenso großes Muster war, als in der Güte des Herzens.

Wahre Weisheit also, ungeachtet alles dessen, was Herrn Hogarths Poet gegen den Reichtum mag geschrieben haben, und trotz alledem, was irgend ein reicher, wohlgenährter geistlicher Redner gegen das Vergnügen predigen mag, besteht nicht in schnöder Verachtung des einen oder des andern dieser Dinge. Ein Mann kann beim Besitz eines sehr erklecklichen Vermögens ebensoviel Weisheit haben, als irgend ein Bettler in den Gassen, oder kann sich seines schönen Weibes, oder seines herzigen Freundes erfreuen, und doch dabei noch immer ebenso weise bleiben, als irgend ein trübsinniger Mönch, der alle seine geselligen Triebe vergräbt und seinen Bauch schmachten läßt, derweil er seinen Rücken tapfer geißelt.

Die Wahrheit zu sagen, ist der weiseste Mann gerade der tüchtigste, alle zeitliche Vorteile in einem hohen Grade zu besitzen; denn so wie diejenige Mäßigkeit, welche die Weisheit vorschreibt, der sicherste Weg zu nützlichem Reichtum ist, so kann auch eben diese Mäßigkeit allein uns fähig machen, manch ein Vergnügen zu schmecken. Der weise Mann labt jeden Appetit und jede Leidenschaft, unterdessen daß der Thor alle übrigen aufopfert, um nur eine Leidenschaft bis zum Eckel zu sättigen.

Man kann mir einwerfen, daß sehr weise Männer äußerst geizig gewesen sind. Ich antworte: In dem Fall waren sie nicht weise. Ebenso kann man sagen, daß die weisesten Männer in ihrer Jugend das Vergnügen unmäßig geliebt haben. Ich antworte: Sie waren damals noch nicht weise.

Kurz die Weisheit, deren Lehren für den, der bei ihr in die Schule gegangen ist, als so schwer zu begreifen hingestellt worden sind, lehrt uns, eine klare Maxime (die selbst von den niedrigsten Ständen allgemein erkannt und befolgt wird) ein wenig weiter auszudehnen, als es in den niedern Ständen angeht, und die heißt: »Kaufe nichts zu teuer.«

Wer nun diese Maxime mit auf den großen Markt der Welt nimmt und sie bei jeder Ware, sei es Ehre, Reichtum, Vergnügen, oder was da sonst feil ist, zu Rate zieht, der ist, ich wage es zu behaupten, ein weiser Mann und muß nach dem buchstäblichen Sinne des Worts dafür erkannt werden: denn er trifft den besten Handel, weil er in der That jedes Ding für den Preis von ein [248] wenig Mühe einkauft, und bringt alle die obgenannten hübschen Sachen mit nach Hause, und behält dabei seine Gesundheit, seine Unschuld und seinen guten Namen, (die gewöhnlichen Preise, welche andre dafür bezahlen), unverringert, ungeschmälert für sich.

Von dieser Mäßigung lernt er gleichfalls noch zwei andre Lektionen, welche seinen Charakter vollenden. Erstlich, niemals zu jauchzen, wenn er den besten Kauf gethan hat; und zweitens, niemals niedergeschlagen zu sein, wenn der Markt leer ist, oder wenn der Marktpreis für ihn zu hoch gestiegen sein sollte.

Jedoch, ich muß nicht vergessen, was ich eigentlich schreibe und muß die Geduld eines gutmütigen Kunstrichters nicht zu sehr mißbrauchen. Hier mache ich also diesem Kapitel ein Ende.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Enthält allerlei Dinge für die Neugier.


Sobald Herr Alwerth zu Hause kam, nahm er seinen Neffen beiseite, und nach einer kurzen Vorrede teilt er ihm den Vorschlag mit, welcher vom Herrn Western gethan worden, und sagte ihm dabei zugleich, wie angenehm ihm selbst diese Verbindung sein würde.

Sophiens Reize hatten auf Herrn Blifil nicht den geringsten Eindruck gemacht; nicht als ob sein Herz schon vorher verplempert, oder er überhaupt gegen alle Schönheit unempfindlich gewesen wäre, oder, als ob er vor dem weiblichen Geschlechte einen Abscheu gehabt hätte: sondern seine Begierden waren von Natur so gemäßigt, daß er durch Philosophie, durch Studieren, oder durch andre Mittel sehr leicht im stande war, sie zu dämpfen; und was jene Leidenschaft betrifft, von der wir im ersten Kapitel dieses unsers sechsten Buches gehandelt haben, davon hatte er kein Gränchen in seiner ganzen Leibes- und Seelenmasse.

Aber so gänzlich rein er auch von der gemischten Leidenschaft war, die wir dort behandelten und von welcher Sophiens Tugend und Schönheit einen so vortrefflichen Gegenstand ausmachten: so war er doch mit andern gewissen Leidenschaften fast ebenso reichlich ausgerüstet, die sich einen weiblichen Genuß an dem schönen Vermögen der jungen Braut versprachen. Diese waren Geldgeiz und Ehrgeiz, welche die Herrschaft über sein Gemüt unter sich teilten. Er hatte den Besitz dieses Vermögens schon oft als eine sehr wünschenswerte Sache betrachtet und hatte darüber gewisse entfernte [249] Absichten gehegt und gepflegt. Seine eigene Jugend aber, und die Jugend des Fräuleins, und freilich dann auch und hauptsächlich der Gedanke, daß Herr von Western noch wieder heiraten und mehr Kinder auf die Welt setzen könnte, hatten ihn abgehalten, nicht gar zu hastig bei der Sache zu verfahren.

Dieses große und höchst wesentliche Hindernis war nun meistentheils gehoben, da der Vorschlag von Herrn Western selbst herkam. Blifil antwortete also dem Herrn Alwerth nach einem sehr kurzen Besinnen: »Heiraten sei eine Sache, an die er noch nicht gedacht habe; er sei aber von seiner freundschaftlich väterlichen Vorsorge so gerührt und überzeugt, daß er in allen Dingen sich gerne seinem Willen unterwerfen würde.«

Alwerth war von Natur ein lebhafter Mann und sein gegenwärtiges gesetztes Wesen war ein Werk der Weisheit und Philosophie und nichts weniger als natürliches Phlegma: denn er hatte in seiner Jugend viel Feuer besessen und hatte eine schöne Frau aus Liebe geheiratet. Er war also von dieser kalten Antwort sei nes Neffen eben nicht sehr erbaut; auch konnte er sich nicht enthalten, sehr warm zu Sophiens Lobe zu sprechen und sich seine Verwunderung merken zu lassen, wie das Herz eines jungen Mannes der Macht solcher Reize widerstehen könnte, wofern es nicht von einer ältern Liebe bewacht würde.

Blifil versicherte, er wisse nichts von einer solchen Wache, und dann fing er an, so weise und fromm über Liebe und Ehestand zu sprechen, daß er einem Vater oder Vormunde, der weit weniger von der Frömmigkeit gehalten hätte, damit das Maul gestopft haben würde. Am Ende ward der edle Mann überzeugt, daß sein Neffe gegen Sophie nicht die geringste Einwendung, vielmehr für sie diejenige Hochachtung habe, welche bei gesetzten und tugendhaften Gemütern der sichere Grund von Freundschaft und Liebe ist. Und da er nicht zweifelte, der Bräutigam würde in kurzer Zeit seiner Braut ebenso angenehm werden, so versprach er allen Teilen viel Glück, das aus einer so anständigen und wünschenswerten Verbindung erwachsen müßte. Mit Blifils Einwilligung also schrieb er den nächsten Morgen an Herrn Western die Nachricht, sein Neffe habe den Vorschlag mit Dank und Freude aufgenommen, und er würde bereit sein, der jungen Dame die Stunde seine Aufwartung zu machen, wo es ihr gefällig sein würde, seinen Besuch anzunehmen.

Western war sehr erfreut über diesen Brief und schickte auf der Stelle seine Antwort; in welcher er, ohne seiner Tochter ein Wort davon gesagt zu haben, noch denselben Nachmittag bestimmte, um die Szene des Brautspiels zu eröffnen.

[250] Sobald er diesen Boten abgefertigt hatte, suchte er seine Schwester auf, die er dabei antraf, daß sie Herrn Schickelmann die Zeitung vorlas und erklärte. Dieser Erklärung mußte er eine gute Viertelstunde beiwohnen, so hart auch der Zwang war, den sein natürliches Ungestüm darunter litt, ehe ihm gestattet ward, zu reden. Endlich fand er gleichwohl eine Lücke, der Dame zu sagen, er habe ein Geschäft von großer Wichtigkeit mit ihr zu überlegen, worauf sie antwortete: »Mon frère, ich bin ganz zu Ihrem Dienste. Im Norden stehn die Sachen so gut, daß ich heute rechten humeur bin.«

Der Pfarrer ging dann hinaus, und Western hinterbrachte ihr alles, was vorgegangen war, und verlangte, sie möchte die Sache Sophien kundthun, was sie gerne und willig übernahm, obgleich bei dem allem ihr Bruder es den freudigen Aspekten im Norden ein wenig zu verdanken haben mochte, daß er so ohne alle kritische Noten über sein Benehmen durchwischte: denn er war wirklich ein wenig zu hastig und heftig.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

In welchem erzählt wird, was zwischen Sophien und ihrer Tante vorfiel.


Sophie saß in ihrem Zimmer und las, als ihre Tante hereintrat. Den Augenblick, daß sie Ihro Gnaden ansichtig ward, schob sie das Buch so emsig weg, daß die gute Dame sich nicht entbrechen konnte, zu fragen, was das für ein Buch sei, welches sie sich so sehr zu zeigen fürchtete? »Auf mein Wort, gnädige Tante,« antwortete Sophie, »es ist ein Buch, das ich wohl gestehen darf gelesen zu haben, ohne mich zu schämen oder zu fürchten. Es ist das Werk eines jungen Frauenzimmers von Stande, deren richtiger Verstand nach meiner Meinung ihrem Geschlechte Ehre macht, und deren edles Herz ein Ruhm der menschlichen Natur ist.« Hier nahmen Ihro Gnaden das Buch in die Hand, warfen es aber gleich wieder hin und sagten: »Ja, die Verfasserin ist von sehr guter Familie; aber sie hält eben keinen Umgang mit Personencomme il faut. Ich hab's niemals gelesen, denn die besten Richter sagen: Il n'y a pas grand' chose.« – »Ich wage es nicht, gnädige Tante,« sagte Sophie, »meine Meinung den besten Richtern entgegenzusetzen; aber mir scheint darin viel Kenntnis der menschlichen Natur zu liegen; und in manchen Stellen eine so wahre Zärtlichkeit und ein so feines Gefühl, daß es mir manche Zähre gekostet [251] hat.« – »So!« sagte die Tante, »magst du denn so gerne weinen?« – »Ich liebe eine wahre Empfindsamkeit,« antwortete die Nichte, »und will sie gerne allemal um den Preis einiger Thränen erkaufen.« – »Nun wohl! aber zeige mir,« sagte die Tante, »was lasest du eben, als ich hereintrat? Es mußte gewiß etwas sehr Zärtliches sein; und was Verliebtes dazu, denk' ich. Du errötest, ma chère Sophie! Ach, Kind, du solltest Bücher lesen, die dich ein wenig mehr Verstellungskunst lehrten, damit du ein wenig besser wüßtest, deine Gedanken zu verbergen.« – »Ich hoffe, liebe Tante,« antwortete Sophie, »ich habe keine Gedanken, deren ich mich schämen dürfte, wenn ich sie sehen lasse.« – »Schämen! Nein!« rief die Tante. »Ich glaube nicht, daß du solche Gedanken hast, deren du dich schämen müßtest; und doch, Kind, bist du errötet, eben jetzt, da ich das Wort verliebt nannte. Ma chère Sophie, glaube mir, du hast nicht einen einzigen Gedanken, mit dem ich nicht sehr bekannt wäre. Ebensogut, als die feindlichen Generäle mit unsern Märschen und Bewegungen, lange vorher, ehe wir sie ins Werk setzen. Meintest du, mon enfant, weil du deinem Vater ein Blendwerk vorgemacht hast, du könntest auch mir eins vormachen? Bildest du dir ein, ich hätte nicht die Ursach ergründet, warum du gestern all' deine Freundschaft gegen Herrn Blifil so arg übertriebst? Ich habe ein wenig zuviel von der Welt gesehen, um so leicht hintergangen zu werden. Na, na! verfärbe dich nur nicht wieder von neuem! – Ich sage dir, es ist eine Liebe, deren du dich nicht zu schämen brauchst. – Es ist eine Liebe, die ich selbst billige, und ich habe deinen Vater bereits dahin gebracht, daß er seine Einwilligung auch dazu gibt. In der That, ich ziehe pur und allein deine Neigung zu Rate; denn, die möchte ich immer gerne befriedigt sehen, womöglich, ob man gleich dabei gewisse höhere Absichten aufopfern mag. Komm! Ich habe Zeitungen für dich, die dich in der Seele freuen werden. Mache mich zu deiner Confindente, und ich nehme es über mich, du sollst glücklich werden, über alles dein Wünschen und Hoffen!« – »Ach, meine gnädigste, beste Tante!« sagte Sophie, und sah dabei einfältiger aus, als es ihr in ihrem Leben begegnet war: »ich weiß nicht, was ich sagen soll. – Wie, gnädigste Tante, sollten Sie mich im Verdacht haben?« – »Nun, nur keine Verstellung,« erwiderte die Tante. »Bedenke, daß du mit einer Person von deinem eigenen Geschlechte redest, mit deiner Tante! und ich hoffe, du weißt das, mit einer Freundin. Bedenke, daß du mir nichts weiter entdeckst, als was ich längst schon weiß und was ich gestern ganz deutlich durch die künstlichste aller Verstellungen hindurch sah, die du angenommen hattest und die einen jeden getäuscht haben müßte, der nicht die Welt so vollkommen [252] kennte. Und endlich bedenke, daß es eine Leidenschaft ist, welche ich vollkommen billige.« – »Ach, liebe Tante,« sagte Sophie, »Sie überfallen einen so plötzlich, so unerwartet! – Ich bin allerdings nicht blind, meine gnädigste Tante. – Und gewiß! wenn es ein Fehler ist, alle menschenmögliche Vollkommenheiten zu sehen. – Aber, ist es möglich, daß mein Vater und Sie, beste Tante, mit meinen Augen sehen?« – »Ich sag' dir's ja!« erwiderte die Tante, »wir billigen sie beide völlig: und noch heute nachmittag, diesen Nachmittag, hat dein Vater bestimmt, daß du den ersten Bräutigamsbesuch annehmen sollst« – »Mein Vater? diesen Nachmittag?« schrie Sophie, und das Blut entfloh dabei plötzlich ihren Wangen. – »Ja, Kind,« sagte die Tante, »diesen Nachmittag. Du weißt ja, mit welchem Ungestüm nun einmal dein Vater alles treibt. Ich sprach mit ihm von deiner Leidenschaft, die ich zuerst an dir entdeckte, als du den Abend auf dem Felde in Ohnmacht fielst. Ich sah sie in deiner Ohnmacht. Ich sah sie gleich darauf, als du wieder zu dir selbst kamst. Ich sah sie den Abend beim Essen und des nächsten Morgens beim Frühstück. (Du weißt, mon enfant, ich habe die Welt gesehen.) Nun gut! Ich machte es meinem Bruder nicht so bald bekannt, als er den Augenblick Herrn Alwerth den Vorschlag thun wollte. Er hat es gestern gethan. Alwerth willigte ein (und mit großen Freuden, wie sich das von selbst versteht), und diesen Nachmittag, wie ich dir sage, Kind, mußt du dich aufs beste ankleiden.« – »Diesen Nachmittag!« rief Sophie. »Meine gnädigste Tante, ich weiß mich vor Angst nich zu lassen.« – »O, ma chère Nièce,« sagte die Tante, »du wirst bald wieder in deine Fassung kommen; denn es ist ein gar lieber Jüngling, das muß ich bekennen!« – »Ja, ich leugne es nicht,« sagte Sophie, »ich kenne keinen von so viel Vollkommenheiten! So herzhaft und doch so sanftmütig; so witzig und doch so schonend; so menschlich, so höflich, so artig, so schön und wohl gewachsen! Was thut seine niedrige Herkunft, wenn man sie solchen Eigenschaften entgegenstellt, wie diese?« – »Niedrige Herkunft! Was niedrige Herkunft! Ist Junker Blifil,« sagte die Tante, »von niedriger Herkunft?« Sophie ward plötzlich bleich und blaß, bei dem Namen, den sie mit erstickter Stimme wiederholte. Worauf ihre Tante schrie: »Junker Blifil, nun ja! Junker Blifil! Von wem sonst haben wir denn gesprochen?« »Gütiger Himmel!« antwortete Sophie, auf'm Punkte, in Ohnmacht zu sinken, »vom Herrn Jones, dacht' ich. Ich gewißlich, ich wüßte keinen andern, der verdiente –.« – »Nun, ma foi,« rief die Tante, »nun erschreckst du mich wieder, daß ich mich nicht zu lassen weiß. Ist es Jones und nicht Junker Blifil, der dein Herz eingenommen hat?« – »Junker Blifil!« widerholte Sophie. »Nun, [253] gewiß gnädigste Tante, das kann nicht Ihr Ernst sein; wär' es dennoch, so wäre ich das unglücklichste Mädchen von der Welt!« Ihro Gnaden, Fräulein von Western, standen jetzt ein paar Augenblicke in tiefem Stillschweigen, derweil Funken des heftigsten Zorns aus ihren Augen sprühten; endlich faßte die mannhafte Dame das fortissimo ihrer Stimme und donnerte dann heraus, in folgenden artikulierten Tönen:

»Wie kann es dir einfallen, deiner Familie den Schandfleck anzuhängen, einen Bastard zu ehelichen! Kann das Westernsche Blut eine so unreine Vermischung zulassen? Wenn deine Vernunft nicht stark genug ist, eine so unnatürliche Liebe zu unterdrücken: so dächt' ich, hätte dich der Stolz auf deine uralte Familie abhalten sollen, nur mit einem Gedanken auf so eine horrible Mesalliance zu verfallen. Viel weniger noch hätte ich mir nur träumen lassen, daß du so dreist sein könntest, mir so etwas ins Angesicht zu gestehen.«

»Gnädigste Tante,« erwiderte die zitternde Sophie, »was ich gesagt habe, das haben Sie mir abgepreßt. Ich erinnere mich nicht, den Namen des Herrn Jones, in gewissen Absichten, gegen irgend jemand genannt zu haben; und noch wäre es nicht geschehen, hätte ich nicht gemeint, er habe den Beifall meiner Tante. Wie vorteilhaft ich auch von dem armen unglücklichen jungen Menschen denken mochte, so war ich willens, diese Gedanken mit mir ins Grab zu nehmen. – Ja, ins Grab, wo ich, wie ich nun finde, einzig und allein meine Ruhe suchen muß.« – Hier sank sie nieder auf ihr Kanapee, und in Thränen schwimmend, in dem rührenden Schweigen eines stummen Grames stellte sie einen Anblick dar, welcher fast das härteste Herz hätte bewegen müssen.

Aber diese rührende Betrübnis erregte bei ihrer Tante kein Mitleiden. Vielmehr geriet sie nun in den wütendsten Zorn. – »Und ich wollte lieber,« schrie sie mit fast krachender Stimme, »dir zu deinem Grabe folgen, als mit ansehen, daß du dich und deine Familie durch eine solche Bettelmariage beschimpftest! Himmel, Himmel! hätte ich jemals vermuten können, so lange zu leben, daß ein Fräulein von Western, meine eigene Nièce, eine Affektion für solch einen niedrigen Menschen hegen und gestehen würde. Du bist die erste – ja Fräulein von Western, Sie sind die erste Ihres Namens, der ein so pöbelhafter Gedanke in den Sinn kam. – Eine Familie, so berühmt wegen der ungemeinen Klugheit ihrer weiblichen Deszendenz!« – – Hier ging das noch eine volle Viertelstunde immer so fort, bis sie, nachdem mehr ihre Brust als ihre Wut erschöpft war, mit der Drohung schloß, sie wolle es augenblicklich ihrem Bruder hinterbringen.

[254] Sophie warf sich ihr nun zu Füßen, ergriff ihre Hände und bat sie mit Thränen, »sie möchte doch das, was sie ihr abgelockt hätte, verschweigen, und doch die Gemütsheftigkeit ihres Vaters beherzigen;« und beteuerte, »daß ihre Leidenschaft, so warm sie auch sein möchte, sie doch niemals verleiten sollte etwas zu thun, das ihn beleidigen könnte.«

Die Tante Western stand eine Weile und sah sie an; und als sie sich besonnen, sagte sie: »Auf eine Bedingung wolle sie das Geheimnis ihrem Bruder verschweigen, und die wäre, daß Sophie versprechen müsse, Herrn Blifil noch heute nachmittag als ihren Liebhaber zum Besuche anzunehmen, und ihn als die Person zu betrachten, welche ihr Gemahl werden sollte.«

Die arme Sophie war zu sehr in der Gewalt ihrer Tante, um ihr irgend etwas geradezu abzuschlagen; sie war genötigt, zu versprechen, daß sie Herrn Blifils Besuch annehmen und so höflich als möglich gegen ihn sein wollte. Nur bat sie ihre Tante, sie möchte hindern, daß die Sache mit dem Ehekontrakt nicht übereilt würde. Sie sagte: »Junker Blifil sei ihr nichts weniger als angenehm, und sie hoffe, ihr Vater würde sich erbitten lassen, sie nicht zur unglücklichsten Person von der Welt zu machen.«

Die Tante versicherte ihr: die Verbindung sei völlig ausgemacht, und nichts könne oder solle sie rückgängig machen. »Ich muß bekennen,« sagte sie, »ich habe die Sache mit gleichgültigen Augen betrachtet; ja, vielleicht hätte ich vorher noch meine gewisse Bedenklichkeiten dabei gehabt, die ich aber wirklich unterdrückte, weil ich glaubte, die Verbindung wäre so ganz nach deiner eigenen Neigung; von nun an aber betrachte ich sie als die allerratsamste Sache von der Welt; und es soll auch, wenn ich es verhindern kann, kein Augenblick Aufschub stattfinden.«

Sophie erwiderte: »Aufschub wenigstens darf ich sowohl von meiner gnädigsten Tante, als von meines Vaters Güte erwarten. O gewiß, Sie sind so gnädig und verwilligen mir Zeit, um mich zu bestreben, eine so starke Abneigung, als ich gegenwärtig gegen seine Person habe, zu überwinden.«

Die Tante antwortete: »Sie kenne die Welt viel zu gut, um sich so hintergehen zu lassen; da sie nunmehr wisse, daß eine andere Mannsperson ihre Zuneigung besäße, so würde sie Herrn Western bereden, mit der Vermählung soviel als möglich zu eilen. Es würde in der That, eine elende Politik sein,« fuhr sie fort, »eine Belagerung in die Länge zu ziehn, wenn die feindliche Armee in der Nähe ist und mit Entsatz droht. Nein, nein, Sophiechen,« sagte sie, »ich bin überzeugt, du hast eine heftige Leidenschaft, die du niemals mitHonneur befriedigen kannst. Ich will alles mein [255] Mögliches thun, deine Honneur außer Verantwortung der Familie zu setzen. Denn, wenn du vermählt bist, so sind das Sachen, um die sich dein Gemahl allein zu bekümmern hat. Ich hoffe, mon enfant, du wirst allemal so klug und vorsichtig handeln, als es dir geziemt; thätest du das aber nicht – nun, so hat die Mariage schon manche Frau bei Ehren erhalten.«

Sophie verstand wohl, was ihre Tante meinte; fand es aber nicht ratsam, darauf zu antworten. Unterdessen faßte sie den Entschluß, Herrn Blifils Besuch anzunehmen und sich gegen ihn so höflich zu benehmen, als sie könne: denn auf diese einzige Bedingung erhielt sie von ihrer Tante das Versprechen, das Geheimnis ihrer Liebe zu verschweigen, welches mehr ihr widriges Geschick, als alle Politik der Tante, ihr unglücklicherweise abgelockt hatte.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Ein Dialog zwischen Sophien und Jungfer Honoria, welcher ein wenig jene zartweichen Gefühle besänftigen mag, die in dem Gemüt eines gutherzigen Lesers durch die vorige Szene erregt sein dürften.


Nachdem Ihro Gnaden, Tante von Western, die Zusage von ihrer Nichte erzwungen hatten, die wir in dem vorigen Kapitel ersehen, begaben Sie sich hinweg, und unmittelbar darauf trat herein Jungfer Honoria. Sie saß und arbeitete im Nebenzimmer und war durch gewisse laut vorragende Töne im vorigen Dialog ans Schlüsselloch gerufen worden, an welchem sie dann solange verharrt hatte, bis er völlig geschlossen war. Bei ihrem Eintritt ins Zimmer fand sie Sophie ohne alle Bewegung stehend und mit über die Wangen rollenden Thränen. Worauf sie dann augenblicklich eine gehörige Quantität Thränen an ihre eigenen Augen beorderte, und darauf also begann: »O Jemine! 'r Gnaden, gnädigs Frölen, was gibt's denn!« – »Nichts!« sagte Sophie. – »O teuerste 'r Gnaden,« antwortete Jungfer Honoria, »sagen Sie mir das nicht, wenn 'r Gnaden so im Unheil sind, und wenn solch'n Präambulum zwischen 'r Gnaden und 'r Gnaden Tante gewest ist.« – »Lasse Sie mich zufrieden,« erwiderte Sophie, »ich sage Ihr, es ist nichts – gütiger Gott! warum ward ich geboren!« – »Näe, 'r Gnaden,« sagte Jungfer Honoria, »das sollen S'e mir nicht weißmachen, daß 'r Gnaden so lamentierten um nichts und wieder nichts. Mein'r Ehr, 'ch bin nur 'ne Aufwartjungfer: aber fürwahr 'ch bin 'r Gnaden immer treu gewest, und mit mein'm Leben wollt 'ch 'r Gnaden [256] dienen, wenn's hülf'; das sag 'ch so mehr, als ich's denk'.« – »Meine gute Nore,« sagte Sophie, »es steht nicht in Ihrer Macht, mir Hilfe zu leisten. Ich bin ohn' alle Gnade verloren.« – »Behüt' und bewahre!« antwortete die Zofe, »wenn ich aber nur 'n bißchen worin dienen kann, o! so sag'n Sies lieber, 'r Gnaden, 's wird m'r en Trost sein, zu wissen; bitte, bitte! liebe Frölen, sag'n Sie m'r doch, was ist's?« »Mein Vater,« sagte Sophie, »steht im Begriff, mich an einen Mann zu verheiraten, den ich verachte und hasse.« »O teuerste, gnäd'ge Frölen,« versetzte die andere, »was vor'n gottloser Mensch ist das? Denn, mein'r Ehr', 's muß 'en rechter Thunichtgut sein, sonsten würden 'r Gnaden ihn ja nicht verachten.« – »Sein Name ist Gift für meine Zunge!« erwiderte Sophie. »Sie wird ihn noch zu früh erfahren, Nore.« – Wirklich wußte sie ihn schon, die reine Wahrheit zu gestehen; und deswegen war sie über diesen Punkt nicht andringlicher. Sie fuhr also folgendergestalt fort: »Ich maße mich nicht an, 'r Gnaden Rat zu geben, derweil 'r Gnaden viel mehr verstehen, als ich m'r einbilden darf, weil ich nur 'n Kammerjungfer bin. Aberst, so wahr ich ehrlich bin! Kein Vater im ganzen Reich sollte mich wider mein'n Will'n verheiraten. Und, das ist wahr! unser gnäd'ge Herr sind so gut, daß si's nur wissen dürften, daß 'r Gnaden den jungen Menschen verachten und hassen, so würden s'e nicht drauf stehn, daß 'r Gnaden ihn doch nehmen sollten; um wenn 'r Gnaden m'r nur Verlaubnis geben wollten, daß ichs dem gnäd'gen Herrn sagen dürfte – ja, nu freilich! wär's wohl besser, wenn von 'r Gnaden eignem Munde käme; aberst, weil 'r Gnaden den häßlichen Namen nicht über die Zunge nehmen mögen –« – »Sie irrt sich, gute Nore,« sagte Sophie, »mein Vater hatte es schon beschlossen, noch ehe er jemals für dienlich erachtet hat, mir das Geringste davon zu sagen.« – »Desto schlimmere Schande für ihn,« schrie Honoria. »'R Gnaden sollen mit dem Manne zu Bette gehen, und nicht unser gnäd'ge Herr. Und ob schon's en Mann, ein ganz guter Mann sein kann, so kann's doch mit recht guten Dingen zugehen, wenn er nicht allen Frauenzimmern gleichgut gefällt. Meine Ehr wett' ich, gnäd'ger Herr würden nich so thun, als sie thun, aus eigenem Kopfe; wenn nur gewisse Leute für ihr'r eigenen Thür fegen wollten und nicht den Löffel in all'n Brei steckten! 'ch wollte meinen, s'e würden mächt'ge krause Nasen machen, wenn man ihn'n bei ähnlichen Dingen ebenso mitspielte: denn, ob 'ch wohl keine gnädige Frölen bin, so glaube ich doch leicht, daß alle Mannsbilder nicht gleich lieb sein können: und worum hätten denn 'r Gnaden soviel Schätze und Reichtümer, wenn Sie nicht den Mann freien können, den 'r Gnaden für 'n allerschönsten halten? Gut! 'ch sage nichts! aber Sünd' un Schad' ists, daß gewisse [257] Leute nicht besser von Stand un Geburt sind. Doch, dem Ding viel Guts! würd' ich sagen, und würd' mich selbst darüber keen grau' Haar wachsen lassen! Ja, nu! aber'st da ist auch nicht so en Haufen Geld! Je nu! was thut's denn; 'r Gnaden haben Gelds die Fülle für alle beide; und wor kann 'r Gnaden Vermögen besser angelegt werden? Denn, das ist wahr, das muß man gestehen! 's ist der schönste, scharmantste, feinste, längste, vortrefflichste, properste Mann auf's lieben Gott's Erdboden.« – »Was meint Sie damit, daß Sie mir dergleichen Dinge vorschwatzt, Jungfer Honoria?« unterbrach sie endlich Sophie mit einer sehr ernsthaften Miene. »Wie kömmt Sie dazu, sich solche Freiheiten bei mir herauszunehmen? was gibt Ihr die Erlaubniß?« – »Ja so 'r Gnaden, bitt' ich demütigst um Verzeihung!« antwortete die Zofe. »Aber'st, ich meint's nicht böse, und mein'r Ehr! der arme junge Herr hat mir beständig im Kopfe herumgelaufen, seitdem ich'n diesen Morgen sah – gewiß und wahr! hätten 'r Gnaden ihn nur jetzund eben gesehen, Sie müßten Mitleid mit ihm gehabt hab'n. Der arme Herr! ich wünschte, wenn ihn nur keen Unglück begegnet ist: denn er ging Ihn'n da herum, und hatte die Arme über'nander geschlagen, und sah den ganzen Morgen so melancholisch aus! Ja, ich g'lobe und schwöre, ich hätte bald geweint als ich 'n sah« – »Sah! wen sah?« sprach Sophie. – »Den armen Herrn Tom Jones,« antwortete Honoria. – – »Gesehen! ihn! wie? wo sah Sie ihn?« rief Sophie. – »Im Garten beim Kanal, 'r Gnaden,« sagte die Jungfer. »Darhat' er den ganzen langen Vormittag herumspazieren gegangen, und zuletzt hat er sich dar auf Gott's Erdboden gelegt; und 'ch glaube er liegt dar noch. Ja nun! wenn 'ch nicht zu bescheiden gewest wär', weil ich 'ne Jungfer bin, so wär' ich zu 'n gangen und hätt' mit 'n gesprochen. Hör'n 'r Gnaden! laß'n mich noch gehn und zusehn, bloß vor Spaß, ob er noch dar ist.« – »Puh,« sagte Sophie, »da! nein, nein! was sollt' er da machen? Er ist gewiß schon längst weggegangen. Ueberdem, wie – was – warum wollte Sie gehn und zusehn? – Ueberdem hab' ich sonst etwas für Sie zu thun. Geh' Sie, und hol' Sie meinen Hut und meine Handschuhe. Ich muß vor Tische noch mit Tante ins Wäldchen gehen.« Die Jungfer that alsobald wie ihr befohlen war, und Sophie befestigte ihren Hut auf dem Kopfe. Als sie in den Spiegel sah, deuchte sie, das Band um den Hut stände nicht gut; und so schickte sie die Jungfer wieder fort, um eins von anderer Farbe zu holen: und, nachdem sie der Jungfer Honoria verschiedentlich eingeprägt hatte, sie solle ja nicht von ihrer Arbeit gehn, weil es damit gar große Eile habe und sie noch heute damit fertig werden müßte, murmelte sie noch für sich verschiedenes[258] vom Spazierengehn nach dem Wäldchen, und ging dann fort, und nahm einen ganz verschiedenen Weg mit so eiligen Schritten, als ihre zarten, zitternden Glieder sie tragen konnten, grades Weges hin nach dem Kanal.

Jones war da gewesen, wie ihr Jungfer Honoria erzählt hatte. Er hatte daselbst wirklich diesen Morgen in melancholischen Gedanken an seine Sophie zwei Stunden zugebracht, und war eben zu einer Thüre des Gartens hinausgegangen, als sie durch eine andere hereintrat. So, daß die unglücklichen Minuten, welche auf die Verwechselung des Bandes verwendet worden, die Liebenden verhindert hatten, nicht zu dieser Zeit einander anzutreffen. Ein höchst trauriger Zufall, aus welchem meine schönen Leserinnen nicht ermangeln werden, eine sehr heilsame Lehre zu ziehen. Und hier verbiete ich auf's strengste allen Kunstrichtern vom Männergeschlecht, das Geringste über einen Umstand zu sagen, welchen ich bloß den Damen zu Gefallen erzählt habe, und worüber es nur diesen frei steht, ihre Anmerkungen zu machen.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Gemälde von einer förmlichen Brautwerbung, en Miniature, wie solche Gemälde immer gemacht werden sollten, und eine Szene von zärtlicherer Gattung, gemalt in Lebensgröße.


Es hat einer (und vielleicht mehrere) sehr richtig angemerkt, daß selten ein Unglück allein kommt. Diese weise Maxime ward jetzt von Sophien bewährt befunden, welche sich nicht nur in der Hoffnung, den Mann zu sehen, den sie liebte, getäuscht fand, sondern auch noch den Verdruß hatte, daß sie sich ankleiden und herausputzen mußte, um von dem Manne, den sie haßte, einen Besuch anzunehmen. Diesen Nachmittag eröffnete Herr Western seiner Tochter zum erstenmale seine Willensmeinung, indem er sagte: er wüßte recht gut, daß sie es schon von ihrer Tante erfahren hätte. Sophie machte hierzu eine sehr ernsthafte Miene, und konnte einem Paar Thränen nicht wehren, die sich in ihre Augen drängten. »Komm! komm! weg mit deinem Jungferngeziere! Weiß all's, glaub' mir's, weiß alles, d'e Schwester hat mir alles gesagt.«

»Ist es möglich,« sagte Sophie, »daß meine Tante mich bereits verraten haben kann?« – »Wieso?« sagte Western, »verraten! dich! hm! hast dich gestern mittag bei Tisch nicht selbst verraten? mir dünkt, d' hätt'st deinen Herzenswunsch deutlich genug sehen[259] lassen. Aber so ist's, ihr jungen Dinger wißt niemals, was ihr recht wollt. So! weißt wohl nich, daß ich dich mit dem Manne verheiraten will, in den du verliebt bist! dein' Mutter selige, 'ch erinner' mich's noch, zimperte und flensete auf eben die Manier. Aber, kaum vierundzwanzig Stunden währt's, als wir getraut waren, da war all's über, all's über. Blifil ist 'n junger, frischer Kerl, der wird dir das Geziere bald abgewöhnen. Komm, freundlich! bis freundlich! er muß all' Augenblick kommen.«

Sophie war nunmehr überzeugt, daß ihre Tante ihr redlich Wort gehalten habe; und sie beschloß diesen unangenehmen Nachmittag so standhaft als möglich auszuhalten, um ihrem Vater nicht den geringsten Verdacht zu erwecken.

Bald darauf langte Herr Blifil an. Nach einer kleinen Weile begab sich Herr Western hinweg und ließ das junge Paar allein.

Hier erfolgte ein Stillschweigen, das beinahe eine Viertelstunde dauerte; denn der Herr Bräutigam, der doch die Konversation beginnen sollte, besaß alle jene unanständige Bescheidenheit, welche in der Blödigkeit besteht. Er strengte sich oft an, zu sprechen; und ebenso oft verschluckte er seine Worte wieder, wenn er sie eben bis zur Spitze der Zunge gebracht hatte. Endlich brachen sie hervor in einem Strome von weit hergesuchten und hochtrabenden Komplimenten; auf welche von der andern Seite mit niedergeschlagenen Blicken, halben Knixen und einsilbigen Tönen geantwortet wurde. Blifil war im Umgange mit den Frauenzimmern so unerfahren und hatte eine so gute Meinung von sich selbst, daß er dieses Betragen für eine bescheidene Einwilligung in seinen Liebesantrag aufnahm, und als Sophie, um einen Auftritt zu verkürzen, den sie nicht länger aushalten konnte, aufstand und das Zimmer verließ, so setzte er auch das auf Rechnung ihrer schüchternen Blödigkeit, und tröstete sich damit, daß er ihre Gesellschaft bald oft und satt genug haben würde.

Er war wirklich mit dem guten Gange seines Liebesgeschäftes vollkommen wohl zufrieden: denn was den gänzlichen und völligen Besitz des Herzens seiner Geliebten anlangte, welchen romantische Liebhaber zu begehren pflegen, so war ihm daran noch nicht der mindeste Gedanke in den Kopf gekommen. Ihr Vermögen und ihre Person waren die einzigen Gegenstände seiner Wünsche, zu deren Besitz er, wie er nicht zweifelte, gar bald gelangen würde; weil Herrn Westerns Sinn so ernsthaft auf dieses Familienpaktum gestellt war, und weil er den strengen Gehorsam wohl kannte, welchen Sophie dem Willen ihres Vaters in allen Dingen zu leisten gewohnt war, und den noch weit strengern, welchen der Vater erzwingen würde, wenn Not an Mann gehen sollte. Dieses väterliche[260] Ansehen also, zusammengenommen mit den Reizungen, die, nach seiner Einbildung, sich in seiner Person und seinem Umgange befänden, könnten nach seiner Meinung nicht fehlen, den Willen des Fräuleins zu lenken, deren Neigung, wie er nicht zweifelte, noch völlig frei wäre.

Auf Jones war er ganz und gar nicht eifersüchtig; und ich habe es oft für wunderseltsam gehalten, daß er es nicht war. Vielleicht bildete er sich ein, daß der Ruf, in welchem Jones in der ganzen Nachbarschaft umher stand (mit welchem Recht oder Unrecht, mag der Leser entscheiden), daß er einer der wildesten Burschen im ganzen Reiche sei, ihn bei einem so außerordentlich modesten Frauenzimmer verhaßt machen könne. Vielleicht auch, daß Sophiens und Jones' Betragen, wenn sie alle beisammen in Gesellschaft waren, ihn in Schlaf gewiegt hatte. Endlich, und eigentlich hauptsächlich, war er sicher überzeugt, daß ihm keine andere Ichheit im Wege stand. Nach seiner Einbildung kannte er unsern Jones durch und durch bis auf den Grund, und hatte wirklich eine große Verachtung für seinen Verstand, weil er so wenig auf seinen eigenen Nutzen bedacht war. Er besorgte nicht, daß Jones in Sophien verliebt wäre, und, was die übrigen kleinen Finanzgründe bei einer solchen Sache beträfe, meinte er, solche würden auf einen so einfältigen Gauch wenig wirken. Ueberdem, dachte der kluge Blifil, wäre die Bekanntschaft mit Molly Seegrim noch im vorigen Gange, und meinte wirklich, dieser Gang würde das Paar zum Traualtar führen: denn Jones liebte ihn wirklich von Kindesbeinen an, und hatte für ihn kein Geheimnis gehabt, bis sein Betragen während der Krankheit des Herrn Alwerth sein Herz völlig von ihm abgezogen hatte. Und diese Mißhelligkeit welche damals entstanden und noch nicht so völlig wieder ausgesöhnt war, machte, daß Blifil nichts von der Veränderung erfahren hatte, die mit dem Liebeshandel zwischen Molly und Jones vorgegangen war.

Aus diesen Ursachen sah Herr Blifil also kein Hindernis, das seinem Glücke bei Sophien im Wege stände. Er machte in seinem frommen Sinne den Schluß, ihr Benehmen sei so, wie aller jungen Bräute beim ersten Besuche des Bräutigams; und im Grunde hatte er nicht das Mindeste weiter erwartet, als was er fand.

Herr Western trug Sorge, dem Bräutigam den Weg zu verrennen, als er von seiner Geliebten heimgehen wollte. Er fand ihn so entzückt über sein Glück, so verliebt in seine Tochter, und so zufrieden über die Art wie sie ihn aufgenommen hätte, daß der alte Herr anfing, auf seine eigene Hand in seinem Vorsaale herumzuspringen und zu tanzen, und durch allerlei andre Handlungen und Gebärden das Uebermaß seiner Freude an den Tag zu legen; [261] denn er hatte nicht die geringste Macht über seine Gemütsbewegungen, und diejenige, welche eben in seinem Herzen die Oberhand hatte, riß ihn allemal zu den wildesten Ausschweifungen fort.

Gleich nachdem Blifil sich empfohlen hatte, welches erst nach vielen Umarmungen und herzlichen Küssen von Herrn Western geschehen konnte, ging der gute Junker alsobald hin seine Tochter aufzusuchen, und er hatte sie nicht so bald gefunden, als er in die allerzügellosesten Freudebezeigungen ausbrach; ihr gebot, sie solle sich an Kleidern und Juwelen aussuchen was ihr nur gelüste; und beteuerte, er habe sein Vermögen zu keinem andern Gebrauche als sie froh und glücklich zu machen. Dann liebkoste er sie abermals und abermal mit dem größten Uebermaß von Zärtlichkeit; gab ihr die tändelndsten Liebe-Kinder-Namen, und versicherte aufs feierlichste, sie sei seine einzige Freude auf Erden.

Als Sophie ihren Vater in dieser Anwandlung von Herzensergießung sah, wovon sie die Ursache nicht so eigentlich begriff (denn, Anwandlungen von Zärtlichkeit waren wohl freilich nicht so selten bei ihm, aber die jetzige war doch heftiger als gewöhnlich), so dachte sie, sie könne niemals eine bessere Gelegenheit finden als diese, ihm ihr Herz zu eröffnen, wenigstens insofern, als es Herrn Blifil anbeträfe, weil sie gar zu gut voraussah, daß sie bald in die Notwendigkeit geraten würde, die ganze Lage der Sache aufzuklären. Nachdem sie ihrem Vater also für alle Zärtlichkeitsversicherungen gedankt hatte, fügte sie mit einem unaussprechlich sanften Blicke hinzu: »Ist's möglich, daß mein teuerster Papa so gütig sein kann, alle seine Freuden in dem Glück seiner Sophie zu finden!« – Und nachdem Western diese Frage mit einem kräftigen Schwur und einem Kuß bejahet hatte, ergriff sie seine Hand, fiel auf ihre Kniee und bat ihn, nach wiederholten warmen und herzlichen Versicherungen von kindlicher Liebe und Gehorsam, sie nicht dadurch zum unglücklichsten Geschöpfe auf Erden zu machen, wenn er sie zwänge, einen Mann zu heiraten, den sie ganz und gar nicht ausstehen könnte. »Dies flehe ich von Ihnen, liebster Papa,« sagte sie, »sowohl um Ihretwillen, als um meiner selbst willen, weil Sie so höchst gütig sind, mir zu sagen, daß Ihre Glückseligkeit an die meinige geheftet ist.« – »Wa – was?« sagt Western und starrt dabei wild umher. – »O, herzlichgeliebter Papa, nicht bloß die Glückseligkeit Ihrer armen Sophie, nein, selbst ihr Leben, ihr Dasein hängt daran, daß Sie diese Bitte erhören. Ich kann nicht leben mit diesem Blifil. Mich zu dieser Heirat zwingen, heißt mich töten.« – »Kannst nicht leben mit Blifil?« sagte Western. – »Nein, so wahr ich selig zu werden hoffe, ich kann nicht!« antwortete Sophie. – »Nun so stirb und fahr' zum Satan!« schrie er und stieß sie [262] fort von sich. – »O, Papa!« schrie Sophie und hielt einen Schoß seines Rockes, »erbarmen Sie sich meiner, ich bitte, ich flehe! sei'n Sie nicht so zornig und so gar grausam! – – Können Sie unerweicht bleiben, wenn Sie Ihre Sophie in so fürchterlichen Umständen vor sich sehen? Kann der beste von allen Vätern mein Herz durchbohren? Will er mich des schmerzhaftesten, bittersten, langsamsten Todes sterben seh'n?« – »Pah, pah!« schrie der Junker. »Wischi waschi! Unsinn! Lauter Jungferngeziere! Sterben sehn! Je, ja doch! Wirst du auch vom Heiraten sterben!« – »O teuerster Papa,« antwortete Sophie, »solch eine Heirat ist ärger als der Tod. – Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich hass', ich verabscheu' ihn.« – »Hass'n hin, hass'n her!« schrie Western, – »sollst'n hab'n!« Dies bekräftigte er mit einem Eide, der zu fürchterlich war, um ihn zu wiederholen. Und nach mancher heftigen Beteurung schloß er mit diesen Worten: »Ich habe mein'n Sinn einmal drauf gesetzt, und wenn du nicht willst, wie ich: so kriegst du kein'n Schilling, nicht 'n roten Heller mit; nein, sag' ich dir, und sollt' ich dich auf der Straßen vor Hunger krepieren sehn! Nicht 'n Stück Brot wollt 'ch dir geben, um's Leben zu retten. Da hast du mein'n festen Entschluß, damit geh' 'ch; darnach kannst du dich richten!« Er riß sich darauf mit solcher Gewalt von ihr los, daß sie mit dem Gesicht gegen den Fußboden schlug, und er stürzte geradeswegs zum Zimmer hinaus und ließ die arme Sophie auf dem Boden hingestreckt liegen.

Als Western an den großen Vorsaal kam, fand er daselbst Herrn Jones; dieser, als er seinen Freund so wild aussehend, blaß und fast atemlos sah, konnte sich nicht entbrechen, sich nach der Ursache dieses melancholischen Anblicks zu erkundigen. Worauf ihn der Junker alsobald mit der ganzen Sache bekannt machte, und mit bittern Drohungen gegen Sophie, jämmerlichen Klagen über die Not und das Elend aller solcher Väter, welche so unglücklich wären, Töchter zu haben, seine Rede schloß.

Jones, welchem alle die Beschlüsse, welche man zu Gunsten Blifils gefaßt hatte, noch ein Geheimnis waren, stand anfangs bei dieser Erzählung fast wie vom Blitze gerührt; als er aber seine Lebensgeister ein wenig wieder gesammelt hatte, flößte ihm die bare Verzweiflung, wie er hernachmals sagte, den Einfall ein, Herrn Western etwas vorzuschlagen, wozu, wie es schien, mehr dreiste Unverschämtheit erfordert wurde, als jemals einer menschlichen Stirn beschert worden. Er bat um Erlaubnis, zu Sophien zu gehen, um zu versuchen, ob er ihre Zustimmung zu ihres Vaters Absichten bewirken könne.

Wäre der Junker ebenso scharfsichtig gewesen, als er wegen [263] des Gegenteils merkwürdig war, so könnte ihn doch gegenwärtig sehr wohl sein Zorn geblendet haben. Er dankte Jones für das Anerbieten, diesen Dienst zu übernehmen, und sagte: »Geh, geh, bitte! Versuch's, was du thun kannst.« Und dann stieß er eine Schar entsetzlicher Flüche aus, wie er sie aus'm Hause werfen wolle, wenn sie nicht in die Heirat willigte.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Zwiegespräch zwischen Jones und Sophie.


Jones ging alsobald fort, um Sophie zu suchen, die er fand, wie sie eben vom Boden aufgestanden war, auf welchem ihr Vater sie hatte liegen lassen, da noch die Thränen ihr aus den Augen tröpfelten und das Blut ihr aus den Lippen floß. Er lief stracks auf sie zu, und mit einer Stimme, die zugleich Zärtlichkeit und Entsetzen verriet, sagte er: »O meine Sophie, was bedeutet dieser furchtbare Anblick?« Sie blickte ihn erst auf einen Augenblick mit Sanftmut an, ehe sie redete, und dann sagte sie: »Herr Jones, um des Himmels willen! Wie sind Sie hierher gekommen? Verlassen Sie mich, noch diesen Augenblick, ich bitte Sie.« – »Legen Sie, ich bitte,« sagte er, »mir kein so hartes Gebot auf! Mein Herz blutet stärker als diese Lippen. O Sophie, wie gerne möchte ich meine Adern ausleeren, um nur einen Tropfen von diesem kostbaren Blute zu ersparen!« – »Ich bin Ihnen bereits schon zuviel Verbindlichkeit schuldig,« antwortete Sophie, »denn gewiß, Sie meinten mir welche zu leisten.« Hier sah' sie ihn, fast eine Minute lang, zärtlich an, und dann sagte sie mit sichtbarem Gefühl der innigsten Rührung: »O, Herr Jones, – warum retteten Sie mein Leben? – Mein Tod wäre weit glücklicher für uns beide gewesen!« – »Glücklicher für uns beide?« rief er. »Könnten mich alle Qualen der härtesten Folter so schmerzhaft töten, als meine Sophie? – Ich kann den Schall des entsetzlichen Worts nicht ausstehen! Lebe ich für etwas anderes, als für Sie?« Beides, seine Stimme und seine Blicke waren voll unaussprechlicher Zärtlichkeit, als er diese Worte sprach und zugleich ganz leise ihre Hand ergriff, die sie ihm nicht wegzog. Die Wahrheit zu sagen, so wußte sie wohl kaum, was sie sagte, oder was sie litt. Einige wenige Minuten gingen jetzt unter den Verliebten in Stillschweigen hin; unterdessen seine Augen inniglich auf Sophie, und die ihrigen auf den Boden gerichtet waren. Endlich sammelte sie Stärke genug, ihn noch einmal [264] zu bitten, er möchte sie verlassen, weil es zu ihrem unausbleiblichen Verderben gereichen würde, wenn man sie beieinander anträfe; und sie fügte hinzu: »O, Herr Jones, Sie wissen nicht, Sie wissen nicht, was diesen entsetzlichen Nachmittag hier vorgefallen ist.« – »Ich weiß alles, meine teuerste Sophie,« antwortete er; »Ihr grausamer Vater hat mir alles erzählt; und er selbst hat mich zu Ihnen hergeschickt!« – »Mein Vater, Sie zu mir geschickt?« erwiderte sie; »gewiß Sie träumen!« – »Wollte der Himmel,« rief er, »es wäre weiter nichts als ein Traum! O Sophie, Ihr Vater hat mich hergesandt zu Ihnen, ein Sachwalter meines verhaßten Nebenbuhlers zu sein und bei Ihnen sein Bestes zu reden. – Ich ergriff jedes Mittel, um Zutritt zu Ihnen zu gewinnen. O, sprechen Sie mir zu, Sophie, trösten Sie mein blutend Herz! Gewiß, noch nie hat ein Mensch so wahr, so herzinniglich geliebt als ich! Entziehen Sie mir nicht so ungütig diese teure, diese liebe, diese sanfte Hand. – Ein Augenblick trennt mich vielleicht von Ihnen auf ewig. – Nichts Geringeres als diese grausame Veranlassung hätte, glaube ich, jemals den Respekt, diese unendliche Ehrfurcht überwinden können, die Sie mir eingeflößt haben.« Sie stand einen Augenblick schweigend in Gedanken und Verwirrung; dann hob sie ihre Augen sanft gegen ihn auf und sprach: »Was möchte Herr Jones, daß ich ihm sagen sollte?« – »O, versprechen Sie nur, daß Sie sich niemals dem Blifil ergeben wollen!« – »Nennen Sie mir den verhaßten Namen nicht wieder! Seien Sie versichert, in meinem Leben erhält er von mir nicht das Geringste von dem, was ihm zu verweigern in meiner Gewalt steht!« – »Nun dann,« sagte er, »da Sie so höchst gütig sind, so bitte ich, gehen Sie noch einen kleinen Schritt weiter und fügen hinzu, daß ich hoffen dürfe!« – »Ach, Herr Jones,« sprach sie, »wohin wollen Sie mich verleiten? Was kann ich für Hoffnung geben? Sie kennen die Absicht meines Vaters.« – »Aber ich weiß auch,« antwortete er, »daß Ihre Einwilligung nicht erzwungen werden kann.« – »Was würden,« erwiderte sie, »die fürchterlichen Folgen meines Ungehorsams sein? Mein eigenes Unglück wäre mein geringster Kummer! Aber den Gedanken kann ich nicht ertragen, schuld an meines Vaters Elend zu sein!« – »Die Schuld ist seine,« versetzte Jones, »daß er sich eine Gewalt über Sie anmaßt, die ihm die Natur nicht gegeben hat. Denken Sie an den Jammer, der mich treffen muß, wenn ich Sie verliere, und sehen Sie, auf welche Seite das Mitleiden die Wagschale senken wird.« – »Daran denken!« wiederholte Sophie; »glaubten Sie wohl, daß ich das Elend nicht fühle, das ich über Sie bringen müßte, wenn ich Ihrem Begehren nachgäbe? – Ach, nur dieser Gedanke ist es, der mir den Mut gibt, von Ihnen zu [265] verlangen, daß Sie mich auf ewig fliehen und Ihr eigenes Verderben vermeiden sollen.« – »Ich fürchte kein Verderben,« schrie er, »als den Verlust meiner Sophie; wenn Sie mich von der bittersten aller Qualen erretten wollen, so widerrufen Sie diesen Ausspruch. – – Nein, nein, ich kann Sie nicht lassen; gewiß ich kann nicht; kann nicht!«

Die Liebenden standen nun beide stumm und zitternd; Sophie war unvermögend, ihre Hand aus Jones' Hand wegzuziehen, und er war beinahe ebenso unvermögend, sie zu halten; da wurde der Auftritt, welchen, wie ich glaube, einige meiner Leser schon für lang genug halten, durch einen andern von stürmischer Natur unterbrochen, dessen Erzählung wir aufs nächste Kapitel versparen.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Viel stürmischer als das vorige.


Ehe wir weiter fortfahren zu erzählen, was nun unsrem liebenden Paar begegnete, wird es dienlich sein, dasjenige beizubringen, was während ihrer zärtlichen Unterredung unten im Vorsaal vorging.

Sobald als Jones den Herrn Western auf die vorhin erzählte Weise verlassen hatte, kam seine Schwester zu ihm und empfing sehr bald Nachricht von allem, was zwischen ihrem Bruder und ihrer Nichte in Ansehung Blifils vorgefallen war.

Dieses Betragen ihrer Nichte legte die gute Dame aus als einen völligen Bruch der Traktate, nach welchen sie sich verbunden hatte, aus ihrer Liebe gegen Jones ein Geheimnis zu machen. Sie hielt sich also demzufolge für völlig frei, alles was sie wußte dem Junker zu offenbaren, was sie auch den Augenblick ohne alle Vorrede oder sonstige Zierlichkeiten und in den deutlichsten Ausdrücken that.

Der Gedanke an eine Heirat zwischen Jones und seiner Tochter war dem Junker niemals, weder in den wärmsten Minuten des Wohlwollens gegen diesen jungen Mann, noch aus Argwohn oder Verdacht, noch bei sonst einer Gelegenheit in den Sinn gekommen. Er hielt wirklich eine Gleichheit des Vermögens und des Standes für ebenso physikalisch notwendig bei einer Ehe, als die Verschiedenheit der Geschlechter, oder ein ander dergleichen wesentliches Erfordernis, und hatte ebensowenig besorgt, daß seine Tochter sich in einen armen Menschen verlieben würde, als irgend in ein andres Tier von verschiedener Gattung.

[266] Ihm ward also bei seiner Schwester Erzählung als einem vom Donner getroffenen. Anfangs war es ihm unmöglich zu antworten, weil ihn die gewaltige Bestürzung fast alles Atems beraubt hatte. Dieser stellte sich indessen bald wieder ein und zwar, wie es bei andern Fällen nach einer Ruhezeit zu geschehen pflegt, mit verdoppelter Stärke und Wut.

Den ersten Gebrauch, den er von der Gabe der Sprache machte, nachdem er solche nach überstandener Wirkung seines plötzlichen Erstaunens wieder erlangt hatte, war, eine derbe Ladung von Flüchen und Verwünschungen herabzudonnern. Hierauf wackelte er hastig nach dem Gemach, wo er die Verliebten anzutreffen meinte, und murmelte oder vielmehr brauste Vorsätze von Rache bei jedwedem Schritt, den er that.

So wie zwei Tauben oder zwei Turteltauben, oder so wie wenn Strephon und Phyllis (denn das letztere liegt näher zum Ziele) sich in einem angenehmen einsamen Wäldchen verborgen halten, um der ergötzlichen Unterhaltung des Gottes Amor zu genießen, dieses blöden Götterknabens, welcher sich schämt, in Gesellschaft zu sprechen, und niemals bei mehr als zweien zugleich ein guter Gesellschafter ist; sollte hier, wenn alles umher heiter erscheint, plötzlich ein lauter Donner durch die zerrissenen Wolken hervorkrachen und sein fürchterliches Gebrüll über ihren Häuptern dahinrollen, so rafft sich das erschrockene Mädchen auf vom moosigen Ufer, oder vom grünenden Rasen; die bleiche Livree des Todes folgt auf die rote Regimentsfarbe, womit Amor vorher ihre Wangen bekleidet hatte; Angst und Furcht erschüttern ihr ganzes Gebein, und kaum kann ihr Geliebter ihre zitternden, schwankenden Glieder unterstützen. – Oder als wenn zwei durstige Herren, unbekannt mit dem erfindungsreichen Witze des Orts, in einem Gasthofe oder Weinhause zu Salisbury sitzen und ihre Flasche leeren. Wenn der große Löhley, der seine Rolle als Tollhäusler ebensogut spielt, als einige seiner Ansteller die Rolle des Narren, mit seinen Ketten zu rasseln beginnt und sein Lied zwischen den Zähnen brummend auf der Galerie daherkommt, der erschrockene Fremde Maul und Augen aufreißt, die von dem fürchterlichen Getöse gellenden Ohren zuhält – einen Ort sucht, der ihn vor der annahenden Gefahr schützen könne, und, wenn die wohlvergitterten Fenster ihm einen Ausgang erlaubten, seinen Hals daran wagen würde, der drohenden Wut zu entwischen, welche jetzt sich ihm zu nahen scheint: – So zitterte die arme Sophie, so erblaßte sie vor dem Getöse ihres Vaters, der mit einer Stimme, erschrecklich zu hören, fluchend herbeikam und ihrem Jones den Untergang drohte und schwur. Die Wahrheit zu sagen, glaube ich, würde der Jüngling selbst aus einigen klugen Bedenklichkeiten in diesem [267] Augenblicke einen andern Ort des Aufenthalts vorgezogen haben, hätte sein Schrecken und seine ängstliche Besorgnis für Sophie ihm Freiheit gelassen, über etwas nachzudenken, das ihn selbst auf keine andre Weise betraf, als insofern seine Liebe ihn an allem teilnehmen hieß, was seine Sophie anging.

Und nun erblickte der Junker, nachdem er die Thüre aufgesprengt hatte, einen Gegenstand, der augenblicklich aller seiner Wut gegen Jones Einhalt that; dies war Sophiens totenbleiche Gestalt, die ohne Leben in ihres Geliebten Arm hingesunken war. Western ward dieses dramatischen Anblicks nicht sobald gewahr, als ihn seine ganze Raserei verließ. Er schrie mit der heftigsten Gewalt um Hilfe, rannte erst auf seine Tochter zu, dann wieder zurück nach der Thüre, rief: Wasser, Wasser! und dann abermal zurück nach Sophie, ohne darauf zu achten, in wessen Armen sie sich befände, oder auch vielleicht ohne sich einmal zu erinnern, daß ein solcher Mensch wie Jones in der Welt sei; denn wirklich, glaube ich, war jetzt der gegenwärtige Zustand seiner Tochter der einzige Punkt, welcher seine Gedanken beschäftigte.

Es währte gar nicht lange, so kam die gnädige Tante Western und eine große Anzahl von Bedienten mit Wasser, Herzstärkungen und allen übrigen Erfordernissen bei solchen Gelegenheiten herbei, um Sophien Hilfe zu leisten. Diese Dinge wurden mit so gutem Erfolg angewendet, daß Sophie nach einigen wenigen Minuten sich zu erholen begann und wieder alle Merkmale des Lebens blicken ließ.

Hierauf ward sie alsobald von ihrer eignen Jungfer und ihrer Tante hinweggeführt; auch trat diese gute Dame nicht eher vom Schauplatze ab, als bis sie ihrem Bruder einige heilsame Erinnerungen hinterlassen, betreffend die schrecklichen Wirkungen seines Zorns, oder, wie sie es zu nennen geruhte, seiner Tollheit.

Der Junker verstand vielleicht diesen guten Rat nicht, weil er mit dunkeln Anspielungen, Achselzucken und Verwunderungszeichen gegeben ward. Zum wenigsten, wenn er ihn auch verstand, machte er davon eben keinen Gebrauch, denn seine unmittelbare Besorgnis um seine Tochter war nicht so bald vorüber, als er in seine vorige Raserei verfiel, welche auf der Stelle eine Schlägerei mit Jones hätte hervorbringen müssen, wenn nicht Herr Pastor Schickelmann, ein Herr von vieler Knochenstärke, zugegen gewesen wäre und mit seinem kräftigen Arm den Junker von Gewaltthätigkeiten abgehalten hätte.

Den Augenblick, als Sophie weggebracht worden, nahte sich Jones in bittender Stellung dem Junker, welchen der Pfarrer in seinen Armen hielt, und bat ihn, sich zu fassen, weil es unmöglich [268] sei, so lange er in solchem Zorn verharre, ihm die geringste Satisfaktion zu geben.

»Satisfakschon will 'ch haben von dir,« antwortete der Junker, »und so nur abgeschält den Kittel! Bist'n halber Kerl nur; 'ch will dich wixen, sollst nicht so abgewixt sein in dein'n ganzen Leben!« Hierauf bespritzte er den Jüngling mit einem Ueberfluß von solchen Redensarten, welche unter unerzogenen Landjunkern und Pächtern gewöhnlich sind, wenn sie über eine Sache verschiedene Meinungen behaupten, und dabei gab er ihm wiederholte Einladungen, denjenigen Teil seines Leibes zu küssen, dessen Namen unter dem patriarchalisch lebenden und redenden niedern Adel des Landes in allen ihren Streitigkeiten bei Pferderennen, Hahnengefechten und andern dergleichen Lustbarkeiten so oft gehört, und auf welchen, des lieben Spaßes wegen, so oft angespielt wird, ohne zu bedenken, daß es den Philistern kein Spaß war, als sie vor alten Zeiten den Juden, um ferneres Blutvergießen zu verhindern, fünf goldene und fünf silberne Abgüsse dieses blöden Teils zum Tribute bringen mußten. Bei alledem, glaube ich, herrscht ein allgemeiner Mißverstand bei diesem Witze. Eigentlich steckt es nur im unähnlichen Klange der Wörter Kuß und Fuß, daß ein Herr von jemand fordert, er solle ihm da einen Kuß geben, wohin er demselben kurz vorher gedroht hat, mit dem Fuß zu stoßen; denn soviel habe ich genau bemerkt, daß niemand diesen Kuß einem andern anbietet, noch um den Fußtritt bittet. Es mag gleichfalls bewundernswürdig scheinen, daß bei den vielen Tausenden freundschaftlicher Einladungen von dieser Art, welche ein jeder der mit jenen patriarchalisch-philistrischen Nachkömmlingen nur einigen Umgang hat, gehört haben muß, doch niemand, wie ich glaube, ein einziges Beispiel gesehen habe, wo man das Begehren erfüllt hätte. Ein großer Beweis von ihrem Mangel an feiner Lebensart! denn in der Residenzstadt ist unter den Herren von der feinsten Lebensart nichts gewöhnlicher, als diese Zeremonie täglich bei ihren Obern und Vorgesetzten zu verrichten, ohne einmal von solchen um diese Gunstbezeigung gebeten zu werden.

Auf diesen Witz antwortete Jones ganz gelassen: »Herr von Western, diese Begegnung mag vielleicht eine jedwede andre Verbindlichkeit, die Sie mir erwiesen haben, aufheben; eine aber ausgenommen, die Sie niemals aufheben werden; auch soll mich Ihr Schimpfen und Drohen nicht so weit aufbringen, meine Hand gegen Sophiens Vater aufzuheben.«

Bei diesen Worten ward der Junker noch rasender als vorher, so daß der Pfarrer den Jones bat, sich zu entfernen, indem er sagte: »Sie sehen ja, Herr Jones, Ihre Gegenwart macht ihn nur [269] immer ärger; darum lassen Sie mich Sie bitten, hier nicht länger zu verweilen. Sein Zorn ist zu sehr entbrannt, als daß Sie jetzt ein vernünftiges Wort mit ihm wechseln könnten. Sie thun daher besser, Ihren Besuch abzubrechen, und das was Sie zu Ihrer Vertheidigung anzuführen haben, auf eine andre Gelegenheit zu verschieben.«

Jones nahm diesen Rat mit Dank an und ging den Augenblick fort. Der Junker erhielt nun seine Hände wieder frei und so viel Mäßigung, darüber seine Zufriedenheit zu bezeigen, daß man ihn mit Gewalt zurückgehalten hätte, denn er beteuerte, er würde ihm gewiß das Gehirn aus dem Kopf geschlagen haben, und setzte hinzu: »'s würd' ein'n doch verflucht geärgert haben, wenn man eines solchen Schufts wegen aufs Schafott gekommen wäre.«

Der Geistliche fing nun an zu triumphieren über den glücklichen Ausgang seines Pazifikationsgeschäftes und ging dann über zu einer Predigt gegen den Zorn, welche vielleicht vermögender gewesen sein möchte, diese Leidenschaft bei einigen hastigen Gemütern eher zu erregen, als zu besänftigen. Diese Predigt verbrämte er mit mancher wichtigen Stelle aus den Alten, besonders aus dem Seneka, welcher wirklich so viel Gutes über diese Leidenschaft gesagt hat, daß ihn niemand, als ein zorniger Mann, ohne großen Nutzen und großes Vergnügen lesen kann. Der Herr Magister schloß seine Standrede mit der Geschichte vom Alexander und Clitus. Doch, da ich finde, daß in meinem Kollektaneenbuche diese Geschichte unter dem Artikel Betrunkenheit steht, so nehme ich Anstand, solche hier einzuschalten.

Der Junker gab auf diese Geschichte keine Achtung, sowie vielleicht auf nichts von alledem, was er sagte, denn er fiel ihm, noch ehe er damit zu Ende war, in die Rede und verlangte eine Kanne Bier, wobei er bemerkte (und seine Bemerkung war vielleicht ebenso wahr, als irgend eine andre Bemerkung über dieses Seelenfieber,): »Aerger macht einen trockenen Hals.«

Der Junker hatte nicht so bald einen derben Zug hinuntergeschluckt, als er wieder von Jones zu sprechen begann und den Entschluß äußerte, er wolle den nächsten Morgen ganz früh hingehen und es Herrn Alwerth hinterbringen. Sein Freund wollte ihm aus bloßer Gutherzigkeit hiervon abraten, aber sein Abraten that weiter keine Wirkung, als eine große Ladung von Schwüren und Flüchen hervorzulocken, welche den andächtigen Ohren des Herrn Schickelmann sehr wehe thaten; doch wagte er es nicht, gegen die wohlhergebrachten Gerechtsamen eines frei- und edelgeborenen Junkers Vorstellungen zu thun. Die Wahrheit zu sagen, war dem Pfarrer das Vergnügen, das er seinem Gaumen an des Junkers Tische verschaffte, immer noch den Preis wert, den er dafür [270] von Zeit zu Zeit mit diesem Ohrenzwange bezahlen mußte. Er befriedigte sich damit, zu denken, daß er diese üble Gewohnheit nicht eigentlich bestärke, und daß der Junker deswegen keinen Fluch weniger ausstoßen würde, wenn er auch niemals zu seinen Pforten einginge. Unterdessen, ob er gleich nicht so wenig Lebensart besaß, einem ehrlichen Manne in seinem eigenen Hause Vorschriften zu geben, so machte er ihn dafür so ganz seitwärts von der Kanzel herunter. Dies that nun freilich nicht die gute Wirkung, den Junker selbst zu einer Besserung zu bewegen; aber so viel wirkte es doch auf dessen Gewissen, daß er gegen andre die Gesetze des Landes desto schärfer in Ausübung brachte, und die höchste obrigkeitliche Person war im ganzen Kirchspiele die einzige, welche ungestraft fluchen und schwören durfte.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Worin Herr Alwerth von Herrn Western besucht wird.


Herr Alwerth war eben mit seinem Neffen vom Frühstück aufgestanden und war sehr vergnügt über den Bericht des jungen Herrn, von dem guten Erfolge seines bei Sophie gemachten Besuchs (denn er wünschte diese Verbindung in allem Ernste mehr in Rücksicht auf den Charakter des jungen Fräuleins, denn auf ihren Reichtum), als Herr Western ganz unangemeldet zu ihm hereintrat und ohne alle Zeremonien folgendermaßen zu sprechen begann:

»Da! da hab'n wir nun 'en schön Stück Arbeit gemacht! da hab'n Sie Ihr'n Bastard zu was Rechts aufgefüttert! 'ch glaub' wohl nicht eben, daß Sie 'n Hand mit im Spiel haben, ich meine, wie m'n wohl sagt, mit Willen und Wissen, aber da ist 'n wacker Fischkessel drüber aufs Feuer gehängt, in unsrem Haus.«

»Sag'n Sie mir doch, was gibt's denn, Herr Nachbar?« sagte Alwerth. – »Gibt? was soll's geben? Dumm Zeug gibt's die Menge, mein Seel! Mein' Tochter hat sich in Ihren Bastard verliebt, das gibt's! Aber ich geb' ihr kein'n Schilling! näh, nicht 'en Bruch vom Bruch vom roten Heller. Hab' immer gedacht, was 'raus kommen würd', ein Bastard aufzuziehen, wie 'nen Junker, und 'n in ander Leute Häuser 'rum kommen zu lassen. Sein Glück ist's, daß 'ch nicht an 'n reichen konnte; 'ch wollt 'n gewixt haben, 'ch hätt' 'n des Rollengehn legen wollen! wollt 'en Hurensohn gelernt haben, am Braten zu riechen, der auf'n Herrntisch soll. Von mein'm Braten kriegt er kein'n Bissen mehr, und keinen Pfennig dazu, sich ein'n in seine Küche zu kaufen. Will [271] Sie 'n hab'n! Nu! ein Hemd und ein Paar Schuh', damit die Thür' hint'r ihr zu. 'ch will lieber mein' Felder un Wälder uf Leibrenten legen, daß sie's Parlement damit bestechen können, das will ich.« – »Es thut mir herzlich leid!« sagte Herr Alwerth. – »Was schert mich Ihr Leidsein!« sagte Western, »'s wird m'r mächtig was helfen, wenn ich's verloren habe, mein einzig Kind, mein' arme Fieke! S' war die Freude meines Herzens, mei'n Hoffnung, mein Stecken und Stab in mei'n alten Tagen; aber ich hab's beschlossen, 'ch will sie aus 'en Hause jagen, und betteln soll sie, verhungern und verfaul'n auf der Straßen! Nicht 'en Heller, nicht 'en blutg'n Heller soll sie vom mein'gen ihr Lebtag zu sehn kriegen. Der Spürhund der! Immer war 'r fix, d'n Hasen im Lager zu rahmen! Daß er die Kränk' kriegte! Wer konnt's denken, was für'n Märten er uf'n Korn hatt'? Aberst wart! So 'en magern Märzhasen sollst du in dein'n Leben noch nicht geschoss'n hab'n. Er soll d'rs Schußgeld nich wert sein; die bloße Haut soll sie mitbringen; und das können Sie 'n nur sagen!« – »Sie sehen mich im größten Erstaunen, Herr Nachbar Western, über das, was Sie mir da sagen!« rief Herr Alwerth, »nach dem, zumal was noch erst gestern nachmittags zwischen Ihrem Fräulein Tochter und meinem Neffen vorgefallen ist.« – »Ja, ja, das ist's eben!« antwortete Western; »erst nachher, was mit Ihr'm Neffen und ihr vorfiel, kam die ganze Schand' an Tag. Ihr Blifil war noch nicht so lang weg, daß'm Amen sag'n konnt', so war's Hurkind von Jon's dar, und spukt' um's Haus herum. Da hätt' ich denk'n soll'n, da 'ch 'n als 'n gut'n Weidg'sellen so lieb hielt, daß 'r all' die Zeit über auf Wilddieb'rei ausging, auf mein' Tochter!!« – »Nun wirklich,« sagte Herr Alwerth, »ich hätte gewünscht, Sie hätten ihm nicht so manche Gelegenheit bei Ihrem Fräulein Tochter gegeben! Und Sie werden billig genug gegen mich sein, zu bekennen, daß ich's niemals recht gerne gesehen habe, wenn er sich so lange in Ihrem Hause aufgehalten hat, ob ich gleich auf so etwas niemals den geringsten Verdacht hatte.« – »Wer, Hagel!« schrie Western, »wer hätt's denk'n könn'n! Er kam ja nich hin zum Karessieren mit ihr? Er kam ja hin zum Jagen mit mir.« – »Aber, wie war's möglich,« sagte Herr Alwerth, »daß Sie niemals ein Anzeichen von Liebe zwischen den jungen Leuten wahrnahmen, da Sie solche doch so oft beieinander sahen?« – »Mein Lebtag habe 'ch nichts davon gemerkt,« sagte Western, »so wahr ich selig werd'n will. S' hätten sich doch wohl 'n mal geküßt; aber nein! Blind will ich sein, wenn 'ch 's nur einmal gesehen hab'. Mein'n Sie, daß 'r 's nur einmal 'n bißchen karessiert hätt'? Was wollt' er? Näh! gar nicht! Wenn sie in der [272] Kump'nei war, saß 'r noch mehr, als ob 'r aufs Maul g'schlag'n wär', als wenn niemand dabei war. Und 's Mädchen – ja, die that nicht halb so zuthulich zu ihm, als zu all'n andern jung'n Burschen, die nur in's Haus kam'n. Hoho! in derlei Sachen laß 'ch mir ebensowenig was aufbinden, als in andern, das könn'n S'e mir nur glauben, Herr Nachbar Alwerth.« – Herr Alwerth konnte sich hierbei kaum des Lachens enthalten; doch hielt er sich und that sich Gewalt an; denn er kannte die Menschen zu gut, und besaß zu gute Lebensart und ein zu gutes Herz, um dem Junker in seiner jetzigen Lage etwas Unangenehmes merken zu lassen. Er fragte darauf Herrn Western, was er von ihm verlange, daß er bei dieser Gelegenheit thun solle? Worauf der andre antwortete: Er möchte den Schuft zurückhalten, daß er ihm nicht ins Haus käme, und daß er hingehen wolle, das Weibsstück einzuschließen; denn er wäre entschlossen, sie solle Herrn Blifil heiraten, und wenn sie darüber auch toll und rasend werden sollte. Darauf faßte er Blifil bei der Hand und schüttelte die und schwur, er solle sein Schwiegersohn werden und sonst keine lebendige Seele, und gleich darauf nahm er seinen Abschied und sagte dabei, sein Haus sei in solcher Unordnung, daß er nur eilen müsse, wieder heimzukommen, um zuzusehen, daß seine Tochter nicht buschein ginge; und was den Jones anlange, schwur er, »wenn er ihn in seinem Hause fände, wollt' er ein'n Kerl aus ihm machen, der sich nicht weiter um andrer Töchter sollte bekümmern können!«

Als Alwerth und Neffe Blifil wieder allein gelassen waren, erfolgte zwischen beiden ein langes Stillschweigen. Die ganze Länge desselben füllte der junge Herr aus mit Seufzern, welche teils aus fehlgeschlagener Hoffnung, aber mehr noch aus Haß entsprossen; denn Jones' gutes Glück nagte ihm weit mehr am Herzen, als Sophiens Verlust.

Endlich fragte ihn sein Onkel, was er willens sei, zu thun? und er antwortete in folgenden Worten: »Ach, teuerster Herr Onkel, kann es eine Frage sein, wohin sich der Liebhaber lenken soll, wenn Vernunft und Leidenschaft zwei verschiedene Wege anweisen? Ich besorge, er werde allemal in einer solchen Verlegenheit der letztern folgen. Die Vernunft schreibt mir vor, alle Gedanken auf ein Frauenzimmer fahren zu lassen, das seine Neigung auf einen andern geworfen hat; meine Leidenschaft gebietet mir zu hoffen, sie könne mit der Zeit sich zu meinem Besten verändern. Hier sehe ich gleichwohl einen Einwurf, den man mir machen möchte, welcher, wofern ich ihn nicht hinlänglich beantworten könnte, mich ganz und gar abhalten müßte, weiter an sie zu denken. Ich meine die Ungerechtigkeit, die darin läge, einen andern aus einem [273] Herzen zu verdrängen, in dessen Besitz er bereits zu sein scheint, allein der unveränderliche Entschluß des Herrn Western zeigt, daß ich in diesem Falle zur gemeinsamen Glückseligkeit aller beitragen werde, nicht bloß zur Glückseligkeit des Vaters, der auf diese Weise vor dem höchsten Grade des Jammers bewahrt werden wird, sondern auch der übrigen, welche durch jene Verbindung in Not und Elend geraten müßten. Das Fräulein wäre, wie ich gewiß bin, auf alle Weise verloren: denn, außer dem Verluste des größten Teiles ihres Vermögens, würde sie nicht nur mit einem Bettler verheiratet, sondern auch die kleine Mitgabe, welche ihr der Vater nicht verweigern könnte, würde sehr bald an das Weibsstück verschwendet werden, mit welchem er, wie ich weiß, sein Wesen noch bis auf diese Stunde treibt. – Aber das ist noch bloße Kleinigkeit! denn ich kenne ihn als den schlechtesten Menschen von der Welt. Ach! wenn mein teuerster Onkel gewußt hätten, was ich bisher mit vieler Mühe verschwiegen gehalten habe, mein Onkel müßten schon längst einen so äußerst verderbten Menschen seinem eignen Schicksal überlassen haben!« – »Wie so?« sagte Alwerth. »Hat er noch was Schlimmeres ausgehen lassen, als was ich bereits schon weiß? Sage mir's, ich bitte dich.« – »Nein,« antwortete Blifil. »Es ist einmal vorbei! Und wer weiß, ob er's nicht schon bereut hat.« – »Ich befehle dir's bei deinem schuldigen Gehorsam,« sagte Alwerth, »mir zu sagen, was du meinst.« – »Ach! Sie wissen, lieber Herr Onkel,« sagte Blifil, »daß ich Ihnen niemals ungehorsam bin; aber es thut mir leid, daß mir's entfallen ist, weil es jetzt aussehen kann als Rachgier, da doch, dem Himmel sei Dank! solche Gesinnungen noch niemals in mein Herz gekommen sind; und wenn Sie mich nötigen, mit der Sprache herauszugehen, so muß ich herzlich in seinem Namen bitten, daß Sie ihm gewiß verzeihen wollen.« – »Ich will von keinen Bedingungen wissen,« antwortete Alwerth. »Mich deucht, ich hätt' ihm schon Güte genug erwiesen, und mehr vielleicht, als du mir zu verdanken Ursache hast.« – »Gewiß, mein liebster Onkel; mehr als er verdiente,« versetzte Blifil, »denn gerade an demselbigen Tage, da Ihre Krankheit so äußerst gefährlich war, da ich und alle Menschen im Hause Ihretwegen in Thränen schwammen, füllte er das ganze Haus an mit Toben und Lärmen. Er trank und sang und schwärmte, und als ich ihm auf die sanfteste Weise die Unanständigkeit seines Betragens zu verstehen gab, geriet er in die heftigste Wut, fluchte und schwur, nannte mich einen Schurken und fiel über mich her, mich zu schlagen.« – »Wie!« rief Alwerth, »er unterstand sich, dich zu schlagen?« – »Mein Gewissen,« erwiderte Blifil, »ist mein Zeuge, daß ich ihm das längst verziehen habe, ich wünschte nur, daß ich [274] seine Undankbarkeit gegen den allerbesten Wohlthäter ebensoleicht vergessen könnte, und doch auch das, hoffe ich, werden Sie ihm verzeihen; denn er mußte den Tag gewiß von einem bösen höllischen Geiste besessen sein: denn, noch eben den Abend, als Herr Schwöger und ich aufs Feld gegangen waren, um ein wenig freie Luft zu schöpfen und uns über die guten Anzeichen der Besserung, die sich damals mit meines Herrn Onkels Krankheit zu äußern anfingen, in unsern Herzen miteinander zu freuen, sahen wir ihn unglücklicherweise auf eine solche Art mit einem Weibsbilde beschäftigt, welche sich für mich nicht schickt, zu erzählen. Herr Schwöger ging mit mehr Herzhaftigkeit als Ueberlegung auf ihn zu, um ihm Vorstellungen zu thun, als er (es kränkt mich in der Seele, daß ich's erzählen muß) über den würdigen Mann herfiel und ihn so unmenschlich zerprügelte, daß ich wünsche, er möge die Beulen davon nicht noch bis auf diese Stunde aufzuweisen haben. Auch ich bekam meinen Teil von den Wirkungen seiner bittern Bosheit, als ich das meinige thun wollte, meinen guten Lehrer zu beschützen: doch das hab' ich längst vergessen und vergeben! Auch beim Herrn Schwöger hab' ich so viel vermocht, daß er's ihm verziehen und nicht meinem lieben Onkel eine geheime Geschichte erzählt hat, die ihm freilich nichts Gutes hätte zuziehen können. Aber jetzt, mein teuerster Herr Onkel, da ich mir nun einmal unbehutsamerweise von dieser Sache ein Wort habe entfallen lassen, und Ihr Befehl mich genötigt hat, den ganzen Vorgang zu erzählen, so erlauben Sie mir, daß ich bei Ihnen eine Fürbitte für ihn einlegen dürfe.« – »Gutes Kind,« sagte Alwerth, »ich weiß nicht, ob ich deine Gutherzigkeit, nach welcher du mir solche Schändlichkeiten nur einen Augenblick verschwiegen hast, tadeln oder billigen soll! doch, wo ist Herr Schwöger? Nicht, daß ich von allem, was du sagst, einer Bestätigung bedürfte; aber ich will doch bei dieser Sache jeden Zeugen hören, um vor der Welt das Beispiel zu rechtfertigen, das ich gesonnen bin an einem solchen Ungeheuer aufzustellen.«

Herr Schwöger ward gerufen und erschien augenblicklich. Er bekräftigte jeden Umstand, welchen der andre ausgesagt hatte. Ja, er zeigte das Protokoll davon auf seiner Brust vor, woselbst Jones' eigne Handschrift in Schwarz und Blau noch sehr leserlich aufgezeichnet stand. Er schloß damit, daß er Herrn Alwerth versicherte, er würde ihm schon längst die Sache erzählt haben, hätte ihn nicht Herr Blifil durch inständiges Bitten daran verhindert. »O!« sagte er, »das ist ein vortrefflicher junger Mensch; obgleich ein solches ›Vergeben seinem Feinde‹ die Sache ein wenig zu weit getrieben heißt.«

Es war wirklich wahr, daß Blifil sich einige Mühe gegeben [275] hatte, den Herrn Schwöger zu bereden, um zu der Zeit eine Entdeckung, zu verhindern, wozu er freilich mehr als eine Ursache hatte. Er wußte, daß das menschliche Gemüt sehr geneigt ist, sich erweichen zu lassen und von der gewöhnlichen Strenge nachzugeben, solang einer krank ist. Ueberdem war er der Meinung, wenn die Geschichte erzählt würde, solange sie noch so neu und der Arzt im Hause wäre, welcher die eigentliche Wahrheit ans Licht stellen könnte, so würde er keineswegs im stande sein, ihr die hämische Wendung zu geben, die er sich vorgesetzt hatte. Ferner war sein Vorsatz, dies Geschäft solang beiseite zu legen, bis ihm Jones' unbedachtsame Aufführung eine und die andre neue Ursache zu Beschwerden an die Hand geben würde; denn er dachte, wenn das angehäufte Gewicht vieler Thatsachen auf einmal auf ihn fiele, würde es ihn um desto leichter zerschmettern, und demgemäß lauerte er auf eine ähnliche Gelegenheit wie diese, welche ihm das Glück so günstigerweise an die Hand gab. Endlich wußte er auch, wenn er vom Herrn Schwöger erhielte, daß er die Sache auf eine Zeitlang verschwiege, so würde er dadurch die Meinung von seiner Freundschaft gegen Jones bestärken, welche er mit so vieler Mühe seinem Oheim Alwerth beigebracht hatte.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Ein kurzes Kapitel, welches aber Materien genug enthält, um den gutherzigen Leser zu rühren.


Es war Herrn Alwerths Gewohnheit, niemals einen Menschen zu strafen, nicht einmal einen Bedienten zu verabschieden, solange er sich zornig fühlte. Er beschloß also, bis auf den Nachmittag zu warten, ehe er Jones sein Urteil spräche.

Der arme junge Mensch kam wie gewöhnlich zu Tische; sein Herz war zu schwer belastet, um ihm zu erlauben, zu essen. Sein Gram wurde um ein Großes durch die unfreundlichen Blicke des Herrn Alwerth vermehrt, weil er draus schloß, daß Western die ganze Sache zwischen ihm und Sophien entdeckt hätte. Von Blifils Geschichte aber hatte er nicht den geringsten Argwohn; denn an dem größesten Teile derselben war er völlig unschuldig, und was das übrige anbetraf, so argwöhnte er, weil er selbst vergessen und vergeben hatte, von der andern Seite gleichfalls nicht, daß sie es ihm nachtragen würden. Als das Mittagessen geendigt war und die Bedienten das Zimmer verlassen hatten, fing Herr Alwerth [276] eine Rede an. Er beleuchtete darin ziemlich umständlich die Vergehungen, welche sich Jones hatte zu schulden kommen lassen, besonders aber diejenigen, welche der heutige Tag ans Licht gebracht hatte, und schloß am Ende damit, daß er ihm sagte: Wofern er sich nicht von diesen Beschuldigungen reinigen könne, wäre er entschlossen, ihn auf ewig von seinem Angesichte zu verbannen.

Es trafen für Jones manche nachteilige Umstände zusammen, die ihn hinderten, seine Verteidigung zu führen; ja, er wußte kaum den Inhalt der wider ihn vorgebrachten Anklage: denn Herr Alwerth, indem er der Betrunkenheit und so weiter während seines Krankenlagers gedachte, überging aus Bescheidenheit jeden Umstand, der auf ihn selbst Beziehung hatte, in welcher doch das Verbrechen eigentlich steckte. Jones konnte also das beregte Faktum nicht leugnen. Sein Herz war ohnedem schon von Kummer überwältigt, und sein Mut war so tief gesunken, daß er nichts zu seiner Rechtfertigung zu sagen wußte, sondern das Ganze eingestand, und gleich einem Verbrecher in Verzweiflung sich aufs Gnadebitten legte und schließlich sagte: Daß, ob er sich gleich mancher Thorheiten und Unbedachtsamkeiten schuldig bekennen müsse, er dennoch hoffe, nie etwas gethan zu haben, womit er das verdiene, was für ihn die härteste Strafe in der Welt sein würde.

Alwerth antwortete: Er habe ihm bereits schon zu oft verziehen, sowohl aus Mitleiden mit seiner Jugend, als in Hoffnung auf Besserung: er fände jetzt aber, er sei ein verhärteter Bösewicht, und einen solchen in seinem gottlosen Wesen zu bestärken und zu stützen, würde für jedermann ein Verbrechen sein. »Ja,« sagte Herr Alwerth zu ihm, »dein verwegenes Vorhaben, ein junges Frauenzimmer ihrer Familie zu stehlen, macht mir's zur Pflicht, dich zu strafen, und dadurch meinen eigenen guten Namen zu rechtfertigen. Die Welt, welche mich schon wegen der Güte getadelt hat, die ich dir bewiesen habe, möchte mit einigem Schein von Gerechtigkeit wenigstens denken, daß ich einer so schändlichen, niederträchtigen Unternehmung durch die Finger sähe. Ein Unternehmen, an dem dir mein Abscheu nicht unbekannt sein konnte, und an welches du, wäre dir nur das geringste an meiner Ruhe und Ehre sowohl, als an meiner Freundschaft gelegen gewesen, niemals hättest denken können. Pfui über dich, junger Mensch! Ich kenne wirklich kaum eine Strafe, die deinem Verbrechen angemessen wäre, und weiß kaum, ob das, was ich im Begriff bin, an dir zu thun, mit der Gerechtigkeit bestehen kann. Indessen, da ich dich so gut als mein eigenes Kind erzogen habe, so will ich dich nicht nackt in die Welt hinausstoßen. Wenn du also dies Papier öffnest, so wirst du etwas finden, welches dich in den Stand setzen wird, bei ordentlichem [277] Fleiße deinen anständigen Unterhalt zu gewinnen: wirst du es aber zu bösen Endzwecken anwenden, so werde ich mich nicht verbunden erachten dir fernerhin weiter unter die Arme zu greifen, denn ich bin fest entschlossen, von heute an auf keine Weise weiter etwas mit dir zu schaffen zu haben. Das noch kann ich nicht unterlassen dir zu sagen: kein Punkt in deiner ganzen Aufführung hat mehr mein Mißfallen erregt, als dein schlechtes Betragen gegen diesen jungen Mann (er zeigte auf Blifil), welcher an dir so redlich und so zärtlich freundschaftlich gehandelt hat.«

Diese letzten Worte waren fast zu bittere Pillen, um sie verschlucken zu können. Ein Strom von Thränen ergoß sich über Jones' Wangen, und jedes Vermögen, zu sprechen oder sich zu bewegen, schien ihn verlassen zu haben. Es dauerte einige Zeit, bevor er im stande war, Herrn Alwerths bestimmten Befehl zur Abreise zu befolgen. Endlich that er's, nachdem er vorher seine Hände mit einer Inbrunst geküßt hatte, die sich schwerlich affektieren und ebenso schwerlich beschreiben läßt.

Der Leser müßte sehr schwach sein, wenn er, nachdem er überlegt, in welchem Lichte Jones damals dem Herrn Alwerth erschien, diesen wegen zu großer Strenge in seinem Urteile tadeln wollte. Und doch verdammte die ganze Nachbarschaft, entweder aus ähnlicher Schwachheit, oder aus andern schlimmern Gründen diese Gerechtigkeit und Strenge als die härteste Grausamkeit. Ja, eben die Leute, welche vorher den edlen Mann wegen der Güte und Zärtlichkeit getadelt hatten, die er einem Bastard (seinem eigenen, wie die allgemeine Meinung war,) bewiesen hatte, schrieen nun ebenso laut darüber, daß er sein eigenes Kind aus dem Hause gestoßen hätte. Besonders nahmen die Weiber ganz einstimmig Jones' Partei und trugen sich über die Veranlassung mit mehr Geschichtchen umher, als ich in diesem Kapitel Raum habe niederzuschreiben.

Eins muß ich indessen nicht vergessen, daß nämlich bei ihrem jetzigen Splitterrichten keiner der Summe mit einem Worte erwähnte, die sich in dem Papier befand, welches Herr Alwerth dem Jones zustellte, und welche nicht geringer war, als fünfhundert Pfund Sterling; vielmehr waren sie alle darüber einig, er sei ohne einen Pfennig, und einge sagten sogar, nackt von seinem unmenschlichen Vater aus dem Hause gestoßen worden.

Zwölftes Kapitel
[278] Zwölftes Kapitel.

Liebesbriefe und dergleichen.


Jones hatte Befehl erhalten, augenblicklich das Haus zu räumen; und es war ihm dabei gesagt, man würde ihm seine Kleider und alles übrige dahin schicken, wohin er's verlangen würde.

Diesem zufolge zog er aus und ging fast eine Meile, ohne zu wissen und wirklich ohne dranzudenken, wohin er ginge. Als ihm endlich ein kleiner Bach aufstieß, der ihn in seinem graden Wege hinderte, warf er sich am Ufer desselben nieder. Auch konnte er sich nicht enthalten, mit einigem kleinen Unwillen für sich zu murmeln: »Auf diesem Platze wird mir doch mein Vater nicht verbieten, auszuruhen?«

Er verfiel alsobald in die heftigsten Gemütsbewegungen; raufte sich die Haare aus dem Kopfe und that viel andre Dinge, welche gewöhnlicherweise solche Anwandlungen von Unsinn, Wut und Verzweiflung begleiten.

Als er auf diese Weise den ersten Anfällen seiner Leidenschaft Luft gemacht hatte, fing er nach und nach an, zur Besinnung zu gelangen. Sein Gram nahm jetzt eine andre Wendung, und ward nach und nach weniger ungestüm, bis er endlich sich genug abkühlte, um der Stimme der Vernunft Gehör zu geben, so daß er überlegen konnte, was er in seiner jetzigen kläglichen Lage für schickliche Schritte zu thun habe.

Und nun entstand die große Frage: wie er sich in Ansehung Sophiens benehmen sollte? Der Gedanke, sie verlassen zu müssen, zerspaltete fast sein Herz; allein die Betrachtung, sie in Elend, Mangel und Not zu bringen, machte ihm womöglich noch herbere Qual; und wenn das heftige Verlangen, ihre Person zu besitzen, ihn auch hätte verleiten können, nur einen Augenblick in der Wahl unschlüssig zu sein, so war er doch noch keineswegs versichert, ob sie sich entschließen würde, seine Wünsche um einen so hohen Preis zu befriedigen. Herrn Alwerths Unwille, der Kummer und die Unruhe, die er ihm verursachen müßte, waren starke Gründe gegen das letztere; und endlich noch kam die sichtbare Unmöglichkeit, daß sein Vorsatz gelingen könnte, auch selbst wenn er ihm alle diese Bedenklichkeiten aufopferte, zu seinem Beistande: dergestalt, daß am Ende die Ehre, unterstützt von Verzweiflung, von Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter, von wirklicher Liebe gegen seine Geliebte, seine brennenden Begierden überwand und er sich entschloß, Sophien lieber zu verlassen, als ferner darnach zu streben, sie zu ihrem eigenen Unglücke zu erlangen.

[279] Für jemand, der so etwas nicht empfunden hat, ist es schwer, sich die glühende Wärme vorzustellen, welche sich bei der ersten Uebersicht dieses Sieges über seine Leidenschaft in seiner Brust ausbreitete. Der Stolz liebkoste ihn so sanft, daß sein Gemüt vielleicht eine vollkommene Glückseligkeit genoß; lange aber dauerte freilich dieser Zustand nicht. Sehr bald stand Sophie wieder vor seiner Einbildungskraft und vermischte die Freuden über seinen Triumph mit nicht weniger qualvollen Herzensbeklemmungen, als jenen, die ein edelmütiger Feldherr fühlen muß, wenn er auf dem Schlachtfelde die blutigen Leichenhaufen sieht, welche der Preis seiner Siegeslorbeeren sind; denn tausende von zärtlichen Ideen und Wünschen lagen da ermordet vor dem Anblicke unsres empfindsamen Eroberers.

Fest entschlossen unterdessen, den Schritten dieses Recken, Ehre, (ich glaube so nennt es die nordische Riesenfabel Odins) zu folgen, ward er mit sich eins, Sophie einen Brief zuguterletzt zu schreiben; und so ging er nach einem nahegelegenen Hause, woselbst er, nachdem man ihm das Benötigte dazu gereicht hatte, schrieb wie folgt:


»Gnädiges Fräulein!


Wenn Sie die Lage erwägen, in welcher ich dieses schreibe, so wird Ihr gütiges Herz mir jede Ungereimtheit, jeden Wahnwitz verzeihen, der sich in diesen Brief einschleichen mag; denn jedes Wort hier fließt aus einem Herzen, welches so voll ist, daß keine menschliche Sprache auszudrücken vermag, was es ringt, Ihnen zu sagen.

Ich bin zu dem Entschlusse gelangt, mein gnädiges Fräulein, Ihren Befehlen zu gehorchen und auf ewig Ihr teures, Ihr unaussprechlich verehrtes Angesicht zu meiden. Diese Befehle, – o wie grausam sind sie! Aber diese Grausamkeit, sie ist ein Werk des Schicksals, nicht meiner Sophie! Das Schicksal hat es notwendig gemacht, – unumgänglich notwendig gemacht, Ihrer Selbsterhaltung wegen zu vergessen, daß ein solcher Unglücksball in der Welt sei, als ich bin.

Glauben Sie mir, teuerstes Fräulein, all' meine Leiden, bis auf das geringste, möcht' ich Ihnen so gerne verhehlen, wenn ich nicht gewiß wüßte, daß solche dennoch zu Ihren Ohren gelangen werden. Ich kenne die himmlischzärtliche Güte Ihres Herzens und möchte Ihnen gerne die Schmerzen ersparen, welche Sie allemal mit jedem Wesen, das leidet, empfinden. O, lassen Sie sich durch nichts, was man Ihnen von meinem Unglück erzählen wird, auch nur einen Augenblick betrüben; denn, nachdem ich, Sophie, dich verloren habe, ist alles auf der Welt für mich nur Kleinigkeit.

O, meine Sophie! Es ist hart, Sie verlassen müssen; härter [280] ist's noch, unendlich härter, Sie bitten müssen, daß Sie mich vergessen mögen, und doch zwingt die aufrichtigste Liebe mich zu beidem! Verzeihen Sie mir, Vortrefflichste, meine Einbildung, daß das Andenken an mich Sie beunruhigen könne. Wenn ich aber so namenlos elend bin, so opfern Sie mich in jedem Verstande auf, um ruhig zu werden. Denken Sie, ich habe Sie nie geliebt, oder denken Sie wahrer und richtiger, wie wenig ich Sie verdiente; und lernen Sie mich wegen einer Kühnheit verachten, die nicht zu strenge bestraft werden kann – ich bin unvermögend, ein meherers zu sagen – O ihr Engel des Himmels, beschützt die beste ihres Geschlechts!«


Er suchte nun in seinen Taschen nach Siegellack, fand darin aber weder dies, noch sonst etwas; denn wirklich hatte er in seinem rasenden Ungestüm alles von sich geworfen, und unter andern auch sein Taschenbuch, das er von Herrn Alwerth empfangen, aber bis dahin noch nicht geöffnet hatte, und welches ihm jetzt erst wieder in die Gedanken kam.

Er fand in dem Hause eine Oblate für den gegenwärtigen Gebrauch; und als er damit seinen Brief versiegelt hatte, kehrte er eilig zurück, nach der Stelle am Bache, um die Sachen zu suchen, welche er verloren hatte. Auf'm Wege dahin begegnete er seinem alten Freunde, dem schwarzen Jakob, welcher sein Unglück herzlich bedauerte; denn dies war ihm bereits zu Ohren gekommen, und in der That nicht nur ihm allein, sondern der ganzen Nachbarschaft umher.

Jones erzählte dem Wildmeister seinen Verlust, und er kehrte ganz bereitwillig wieder mit ihm um, nach dem Bache zu, wo sie jeden Grasbüschel auf der ganzen Wiese umher durchsuchten, sowohl da, wo Jones gewesen, als da wo er nicht gewesen war; aber alles vergebens, denn sie fanden nichts. Wirklich waren damals zwar die Sachen auf der Wiese, aber sie vergaßen den einzigen Ort zu durchsuchen, wo sie versteckt waren, nämlich in den Taschen des besagten Jakob; dieser hatte sie kurz vorher gefunden, und da er glücklicherweise ihren Wert entdeckt hatte, so bewahrte er solche höchst sorgfältig für seinen eigenen Gebrauch.

Nachdem der Wildmeister ebenso emsigen Fleiß im Suchen der verlorenen Sachen gezeigt hatte, als ob er gehofft hätte sie zu finden, bat er Herrn Jones sich zu besinnen, ob er nicht an einem andern Orte gewesen sei. »Denn,« sagte er, »wenn Sie die Sachen erst so kürzlich hier verloren hätten, so müßten sie sich noch finden lassen, weil an diese Stelle so leicht niemand herkommt.« Und in der That war es durch ein großes Ungefähr, daß er selbst hieher gewankt war, um Drahtschleifen zuzurichten, weil er einem Wildhändler [281] auf den folgenden Morgen einige Hasen unter der Hand zu liefern versprochen hatte.

Jones gab nunmehr alle Hoffnung auf, sein Verlornes wieder zu erhalten, und so auch fast jeden Gedanken daran; er wendete sich somit an den schwarzen Jakob und fragte ihn ernsthaft, ob er ihm den größten Gefallen in der Welt thun wolle?

Jakob Seegrim antwortete ein wenig bedenklich: »Herr Jones, Sie wissen, Sie dürfen nur befehlen! alles, was in meiner Macht steht! und ich wollte herzlich wünschen, daß es in meiner Macht stände, Ihnen womit zu dienen.« In der That machte ihn die Frage ein wenig stutzig; denn er hatte durch heimlichen Wildhandel in Herrn Westerns Diensten eine artige Summe Geldes gesammelt, und so war ihm angst, Jones möchte ihn ansprechen wollen, ihm eine Kleinigkeit zu leihen. Aus dieser Angst ward er bald dadurch gerettet, daß er gebeten wurde, Sophien einen Brief zu überbringen, was er mit großem Vergnügen zu thun versprach. Und ich glaube wirklich, es gibt wenige Gefälligkeiten, die er Herrn Jones nicht gerne und willig erwiesen hätte; denn er war so erkenntlich gegen ihn, als er sein konnte, und er war ein ebenso ehrlicher Kerl als alle solche, die das Geld allen übrigen Dingen in der Welt vorziehen, gemeiniglich zu sein pflegen.

Jungfer Honoria war nach beider Meinung die schicklichste Person, durch welche der Brief in Sophiens Hände gebracht werden müßte. Hierauf schieden sie von einander, der Wildmeister kehrte heim nach Herrn Westerns Hause, und Jones ging nach einem Wirtshause in der Nähe, um daselbst auf die Zurückkunft seines Boten zu warten.

Jakob trat kaum in das Haus seines Herrn, als ihm Jungfer Honoria begegnete, welcher er, nachdem er erst durch ein paar vorläufige Fragen bei ihr in's Haus gehorcht hatte, den Brief für ihre Herrschaft übergab und zu gleicher Zeit einen andern von ihr für Herrn Jones erhielt, den Honoria, wie sie sagte, den ganzen geschlagenen Tag schon im Busen getragen hatte und zu verzweifeln begann, daß sie ein Mittel finden würde, ihn zu bestellen.

Der Wildmeister kehrte hastig und voller Freuden zu Jones zurück, welcher, als er ihm Sophiens Brief abgenommen hatte, allein beiseite ging, den Brief gierig erbrach und folgendes las:


»Lieber Herr Jones!


Es ist mir unmöglich, Ihnen zu beschreiben, was ich empfunden habe, seitdem ich Sie sah. Dadurch daß Sie um meinetwillen so grausame Beleidigungen von meinem Vater mit Geduld hingenommen, haben Sie mir eine Verbindlichkeit auferlegt, die ich Ihnen niemals vergessen werde. Da Sie seine Gemütsart kennen, [282] so bitte ich Sie, vermeiden Sie ihn, um meinetwillen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas sagen, das Sie aufzurichten vermöchte: doch glauben Sie mir dies einzige: daß nichts in der Welt, als die äußerste Gewalt mich zwingen wird, meine Hand oder mein Herz auf eine Art vergeben zu lassen, die Ihnen Betrübnis verursachen könnte.«


Jones überlas diesen Brief wohl hundertmal, und küßte ihn noch hundertmal so oft. Seine Leidenschaft brachte nun in sein Herz alles zärtliche Verlangen zurück. Er bereute, daß er auf die Art an Sophien geschrieben, wie wir oben angezeigt haben; noch mehr aber bereute er, daß er die Zeit der Abwesenheit des Boten dazu angewendet hatte, an Herrn Alwerth einen Brief zu schreiben und abzuschicken, in welchem er treulich versprochen und angelobt hatte, alle Gedanken an seine Liebe fahren zu lassen. Als er indessen wieder zu kälterer Ueberlegung gelangte, sah er ganz deutlich ein, daß seine Umstände durch Sophiens Billet weder verändert noch verbessert wären; das einzige ausgenommen, daß sie ihm einen kleinen Strahl von Hoffnung auf ihre Beständigkeit bei künftigen günstigeren Zufällen gegeben hätte. Er faßte also wieder seine vorige Entschließung, nahm Abschied vom schwarzen Jakob und reiste weiter nach einem etliche Meilen von da gelegenen Städtchen, wohin er Herrn Alwerth gebeten hatte ihm seine Sachen nachzusenden, wofern es ihm nicht gefallen sollte, sein Urteil zurückzunehmen.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Sophiens Benehmen bei gegenwärtigen Umständen, welches keine Person von ihrem Geschlechte tadeln wird, die fähig ist, sich ebenso zu benehmen, und die Untersuchung eines verwickelten Knotens vor dem Richterstuhle des Gewissens.


Sophie hatte die letzten vierundzwanzig Stunden eben nicht auf die angenehmste Weise zugebracht. Während eines großen Teils derselben war sie von ihrer Tante mit Vorlesungen über die Klugheit unterhalten worden, worin sie ihr das Beispiel der feinen Welt empfahl, in welcher (so sagte die gute Dame) gegenwärtig die Liebe völlig verlacht wird, und worin die Damen den Ehestand ebenso, wie die Herren die Aemter betrachten, durch welche ihnen die Verwaltung öffentlicher Gelder anvertraut ist; nämlich bloß als Mittel ihr Glück zu machen und sich emporzuschwingen. In Erklärung dieses Textes hatten Ihro Gnaden, Fräulein Tante von [283] Western, verschiedene Stunden hindurch dero Beredsamkeit zu Tage gelegt.

Dieser gründliche Unterricht, so wenig er auch dem Geschmacke oder der Neigung Sophiens angemessen sein mochte, war ihr doch weniger lästig als ihre eigenen Gedanken, welche des Nachts ihre Unterhaltung ausmachten, während welcher sie kein Auge schloß.

Allein obgleich sie in ihrem Bette weder schlafen noch ruhen konnte, so hatte sie doch auch nichts außer demselben zu schaffen, und ihr Vater fand sie noch darin, als er von Herrn Alwerths Hause zurückkam, und das war schon nach zehn Uhr des Morgens. Er ging geradeswegs hinauf nach ihrem Zimmer, machte die Thüre auf, und da er fand, daß sie noch nicht aufgestanden wäre, schrie er: – »Hoho! bist also noch 'n Sicherheit; und in Sicherheit sollst' mir bleiben, davor will 'ch sorgen.« Darauf verschloß er die Thüre und gab Jungfer Honoria den Schlüssel, nachdem er ihr vorher die strengsten Befehle gegeben hatte, nebst großen Versprechungen von Belohnung ihrer Treue und schrecklichen Bedrohungen mit Strafen, woferne sie das ihr anvertraute Amt untreu verwalten würde.

Honorias erhaltene Instruktion ging dahin: nicht zuzugeben, daß ihre Herrschaft ohne vom Junker selbst vorher eingeholte Erlaubnis aus dem Zimmer ginge; und niemand zu ihr hinein zu lassen, als ihn selbst und ihre Tante. Sie selbst aber solle ihr alles reichen, was Sophien beliebte, ausgenommen Tinte, Feder und Papier, deren Gebrauch gänzlich untersagt war.

Der Junker befahl seiner Tochter sich anzukleiden und mit ihm am Tische zu essen. Sie gehorchte; und nachdem sie die übliche Zeit gesessen hatte, ward sie wieder nach ihrem Gefängnis geführt.

Gegen Abend brachte ihr die Schließerin Honoria den Brief, welchen sie vom Wildmeister empfangen hatte. Sophie las ihn sehr aufmerksam zwei- oder dreimal durch, warf sich darnach auf ihr Bett und brach in eine Thränenflut aus. Jungfer Honoria bezeigte über dies Bezeigen ihrer Herrschaft ihre große Verwunderung. Sie konnte sich auch nicht enthalten, sehr begierig nach der Ursache dieser Gemütsbewegung zu forschen. Eine Zeitlang gab ihr Sophie keine Antwort und darauf sprang sie plötzlich auf, faßte ihre Jungfer bei der Hand und rief aus: »O Nore, Nore, ich bin verloren!« – »Behüt' und bewahr'!« schrie Honoria. »Ich wollt' der Brief wär' im Feuer verbrannt, eh'r ich 'n 'R Gnaden gebracht hätt'. Mein'r Ehr', wenn 'ch nicht meint', er sollt' 'R Gnaden Trostzuspruch gebracht hab'n; 'ch hätt' sonst lieber heiße Kohlen angegriff'n, als den Hiobsbrief den!« – »Honoria,« sagte Sophie, »Sie ist ein gutes Mädchen! Und es ist vergebens, daß ich mich bemühe, meine Schwachheit länger vor Ihr zu verhehlen! Ich habe mein Herz [284] weggeworfen an einen Mann, der mich nun verläßt.« – »So! Ist Herr Jones,« antwortete die Jungfer, »ein so meineidischer Mann?« – »Er hat in diesem Brief Abschied – auf ewig – von mir genommen,« sagte Sophie; »ja, er verlangt von mir, ich soll ihn vergessen! Könnt' er das verlangt haben, wenn er mich geliebt hätte? Könnt' ihm ein solcher Gedanke eingefallen sein? Könnt' er ein solches Wort geschrieben haben?« – »Nein, mein'r Ehr' nicht! 'R Gnaden,« schrie die Zofe. »Und vorwahr, wenn d'r beste Mann im Reich mir sagt' ich sollt'n vergessen, so dächt' ich, seht doch, was mir biß, und thät'n sein'n Willen! Mein'r Ehr, gnädigs Frölen hab'n ihn 'n Haufen zu viel Ehr angethan, daß Sie nur mal an 'n gedacht hab'n. Eine so scharmante Frölen, die d'Wahl hat, unter 'n besten jungen Herrn in der ganzen Christenheit auf Erden. Und vorwahr, wenn 'ch so dreistig sein darf, 'R Gnad'n mein' geringe Meinung zu sag'n: so ist dar ja Herr Junker von Blifil, der nach oben drein, daß er so zu sag'n von honetten Eltern geboren ist, und wird auch noch 'mal der reichste Junker im Land' weit und breit, und dann so ist er, nach mein'r Meinung, so wahr ich Honoria heiße, ein viel viel hipscher Mann, und weiß viel besser zu leb'n; und darzu ist 'r so 'n sittzamer jung'r Herr, und so ehrbar, und kann all Nachbarn herausfod'rn, ob sie was an 'n zu mäkeln wiss'n und könn'n; läuft nicht hinter 'n Schmutznickels her, und hat kein' Pankerte aufzufüttern. Ei seht mir 'mal, vergessen! Nu Gott Lob und Dank! ich meins Parts, bin noch nicht so weit in mein letztes Gebet kommen, daß mich 'n Mann zweimal um Vergeben und Vergessen bitten sollt'! Der allerbeste Mannsen, der 'n Hut aufsetzt, wenn 'r sich's unterständ', solch 'n grobes Wort zu mir zu sag'n, ja vorwahr! wenn ich 'n an mein' Seit' wieder komm'n ließ', so lang' noch ein and'r junger Mensch im Reich zu finden wär! Mein'r Ehr, ja, wie 'ch gesagt hab!« »Dar ist der Herr Junker von Blifil« – »Nenne Sie mir den verhaßten Namen nicht nocheinmal,« rief Sophie, »das sag' ich Ihr.« – »Nu, so! gut! ja, wenn 'n 'R Gnaden nicht leiden könn'n, so gibt's ja noch mehr wackere hipsche junge Herrn, die 'R Gnaden die Kuhre machen werd'n, wenn sie nur 'n bischen Hoffnung merken. Mein'r Ehr! Ich sollt' nicht denk'n, daß 'n einz'ger junger Junker in'r Grafschaft wär', und in'r nächsten darzu, der nicht gleich komm'n sollt', wenn 'R Gnaden nur so ein bischen aussehn woll'n, so, als ob Sie wohl Lust zu ihn'n hätten, und sollt gleich anwerben.« – »Mädchen! für was für ein elendes Ding hält Sie mich,« unterbrach sie Sophie, »daß Sie mir die Ohren mit solchem Gewäsch vollschwätzt! – Ich hasse alles, was Mann heißt.« – »Ja, freilich wohl! 'R Gnaden hab'n schon gnug darvon gehabt, um sich den Magen zu [285] verderb'n. – Sich so zu mißhandeln lassen von 'm armen, lumpigten Pankert von Kerl!« – »Halte Sie Ihre gottlose Lästerzunge!« schrie Sophie. »Wie kann Sie sich unterstehen, seinen Namen in meiner Gegenwart mit Unehrerbietigkeit auszusprechen? Mich mißhandelt? Er? – Nein, nein! sein armes blutendes Herz litt viel mehr, da er diese harten Worte schrieb, als das meinige, da ich sie lese! O, er ist ganz voll Heldentugend und himmlischer Großmut. Ich schäme mich der Schwachheit, wozu mich meine eigene Leidenschaft verleitet – zu tadeln, was ich bewundern sollte. – O gute Nore! Nur mein Bestes ist es, was er zu Rate zieht; nur meinem Nutzen opfert er seine Liebe auf, und die meinige. – Seine Furcht, mich unglücklich zu machen, hat ihn zur Verzweiflung getrieben!« – »Sehr lieb thut mir's,« sagte Honoria, »zu vernehmen, daß 'R Gnaden das zu Herzen nehm'n; denn vorwahr, 's könnte nicht anders als pures Unglück 'raus kommen, wenn 'R Gnaden sich so mit Leib und Seel und all'n Kräft'n an einen Menschen hängten, der aus'm Hause gestoßen ist, wie die Magd Hagar, und in der Welt kein'n bar'n Pfen'g hat.« – »Aus dem Hause gestoßen?« rief Sophie hastig; »Wie! wie meint Sie das?« – »Nu, mein'r Ehr',« sagte Honoria, »unser gnäd'ge Herr hatte nicht sobald Herrn Junker von Alwerth erzählt, von dem, daß Herr Jon's sich sozusagen unterstand'n hätt', sich in 'R Gnad'n zu verlieb'n, so hatt'n Junker Nachbar flugs nackig ausziehn lassen, und hatt'n aus'm Haus' gejagt.« – »Ha!« sagte Sophie, »so bin ich dann die schnöde, verwünschte Ursache seines Verderbens? Nackt aus dem Hause verstoßen! – Hier, Nore, geschwind, nehm' Sie alles Geld, was ich habe; nehm' Sie die Ringe von meinen Fingern – hier, meine Uhr! Bring' Sie ihm alles hin; geh' Sie, geh' Sie augenblicklich hin zu ihm; bringe Sie hin!« – »Ums Himmelswillen! 'R Gnaden, gnädige Frölen,« erwiderte Honoria, »bedenk'n Sie doch! wenn unser gnäd'ge Herr von dies'n Sach'n was vermiss'n sollt, so müßt' ich rot und bleich davor stehn. Um derhalben lass'n 'R Gnaden mich bitt'n und flehn, Ihr Uhr und Juwelen zu behalten. Und denn, so ist's, mein'r Ehr, schon mit 'n Geld gnug, und darmit ist's ein ganz anders; dar kann unser gnäd'ge Herr kein Wörtchen von erfahr'n!« – »Nun dann!« sagte Sophie; »hier nimm, bis auf den letzten Pfennig, den ich habe, und bring's ihm hin, liebe Nore! Geh' geh'! Mädchen, verliere keinen Augenblick!«

Jungfer Honoria ging fort, wie befohlen, und da sie den schwarzen Jakob unten im Hause fand, so übergab sie ihm den Beutel, welcher sechzehn Guineen enthielt, und das war damals Sophiens ganzes Kapital; denn obgleich ihr Vater gegen sie sehr [286] freigebig war, so war sie doch viel zu wohlthätig gesinnt, um reich zu sein.

Als der schwarze Jakob den Beutel empfangen hatte, machte er sich auf den Weg nach dem Wirtshause; auf dem Weg aber fiel ihm ein Gedanke ein, ob er nicht dieses Geld ebenfalls behalten sollte? Sein Gewissen aber bäumte sich alsofort gegen diese böse Eingebung und begann ihm seine Undankbarkeit gegen seinen Wohlthäter vorzuhalten. Auf diese Einwendungen versetzte sein Geiz: sein Gewissen hätte vorher schon die Sachen besser bedenken sollen, als er den armen Jones um seine fünfhundert Pfund Sterling schnellte. Nachdem er zu einer um so viel wichtigeren Sache ganz still und ruhig seine Einwilligung gegeben, so wäre es Dummheit, wo nicht gar bare Heuchelei, wenn er jetzt bei einer solchen Kleinigkeit so zart thun wolle. Als Duplik auf dieses bestrebte sich das Gewissen, gleich einem tüchtigen Juristen, eine Distinktion zu machen zwischen einer Veruntreuung deponierter Güter und einer bloßen Verhehlung gefundener Sachen. Der Geiz zeigte sehr bald hiervon das Lächerliche; nannte es eine schikanöse und Diehlenläufer-Distinktion, und bestand ohne weiteres darauf, daß derjenige, welcher einmal auf Ehre und Gewissen bei einer Gelegenheit feierlich Verzicht gethan, kein Präjudikat für sich hätte, sich nachher auf diese moralischen Rechtswohlthaten berufen zu dürfen. Kurz, das arme bedrängte Gewissen war sehr schlimm daran, wäre nicht die Furcht zu seinem Notbeistand aufgetreten, und hätte, ich weiß nicht wie klar? dargethan, die Distinktion unter zwei Aktionen liege nicht in dem verschiedenen Grade der moralischen Redlichkeit, sondern in der Sicherheit, und sonach sei das Verhehlen und Beiseiteschaffen der fünfhundert Pfund Sterling in Ansehung des Wagens von unbedeutender Geringfügigkeit; dahingegen der Unterschleif dieser sechzehn Guineen mit der augenscheinlichsten Gefahr des Entdeckens verknüpft sei.

Durch diesen freundnachbarlichen Beistand von der Furcht erhielt das Gewissen einen entschiedenen Sieg im Gemüt des schwarzen Jakob, und nachdem ihm dieses einige Komplimente über seine Ehrlichkeit geschnitten hatte, nötigte es ihn, Herrn Jones das Geld in die Hände zu liefern.

Vierzehntes Kapitel
[287] Vierzehntes Kapitel.

Ist kurz. – Enthält ein nicht langes Gespräch zwischen Junker Western und Ihrer Gnaden, seiner Schwester.


Ihro Gnaden, Fräulein von Western, waren den ganzen Tag mit Besuchgeben beschäftigt gewesen. Der Junker begegnete Deroselben, als Sie wieder zu Hause kamen, und als dieselben sich nach Dero Fräulein Nièce Sophie erkundigten, so hinterbrachte denselben Dero Herr Bruder: er habe solche in sehr sichere Sicherheit gebracht: »Sie sitzt dir eingesperrt uf ihrer Kammer,« wisperte er ihr zu, »und Honorichen hat den Schlüssel!« Seine Blicke hatten etwas so unendlich Weises, Scharfsinniges und selbst Schlaues, als er seiner Schwester diese Nachricht gab, daß man wahrscheinlicherweise glauben muß, er erwartete von ihr für das, was er gemacht habe, nicht wenig Beifall. Aber, wie aus den Wolken fiel er, als sie mit höchst verachtungsvoller Miene ausrief: »Nun, wahrlich,mon frère! Sie sind doch der unbedachtsamste Mann im ganzen Reiche! Warum wollten Sie sich nicht auf meine Führung meiner Nièce verlassen? Warum müssen Sie sich, mon frère, immer dreinmischen? Da haben Sie nun wieder alles übern Haufen gestoßen, worüber ich mich fast aus dem Atem gesprochen habe um es zustandezubringen! da hab' ich mir nun die äußerste Mühe gegeben, ihr Gemüt mit den besten Maximen der Prudence anzufüllen; und mon frère kommen daher und reizen sie, solche zu verachten. Wir Frauenzimmer, mon frère, in polizierten Staaten, sind Gott Lob und Dank keine Sklavinnen! Auch lassen wir uns in diesem Reiche nicht so verschließen, wie die Weiber in dem unaufgeklärten Spanien und Italien. Das bitt' ich, sich zu merken! Wir haben ein so gutes Recht auf Freiheit, als ihr Männer selbst. Mit vernünftiger Ueberzeugung und nicht mit Gewalt und Macht regiert man uns. Ich kenne die Welt, mon frère, und weiß, was für Gründe man brauchen muß, und wenn Ihre Thorheit mich nicht verhindert hätte, so hätte ich's schon über sie erhalten wollen, daß sie ihre Aufführung nach den Regeln der Prudence undDiscretion, die ich sie zuvor gelehrt habe, hätte einrichten sollen.« – »Nun, meine Seele, dacht ich's nicht?« sagte der Junker, »ich muß immer das Kalb in die Augen geschlagen haben!« – »Mon cher frère,« antwortete die Dame, »Sie schlagen dem Kalbe, wie Sie sagen, niemals anders in die Augen, als wenn Sie sich in Sachen mengen, die über den Horizont Ihres Wissens hinaus liegen. Das müssen Sie mir doch einräumen, daß ich am meisten von der Welt gesehen habe; und ein Glück für ma Nièce wär' es gewesen, wenn [288] man sie nicht aus meiner Erziehung weggenommen hätte. Nur dadurch, daß sie hier zu Hause mit Ihnen gelebt, hat sie die romanhaften Ideen von Liebe und solchem Unsinn gelernt.« – »Wirst doch nicht glauben, ma soeur!« schrie der Junker, »daß ich 'r solch dumm Zeug gelernt habe!« – »Ihre Unwissenheit, mon frère,« erwiderte sie, »erschöpft, wie der große Milton sagt, die letzte Kraft meiner Geduld 1.« – »Was schert mich Milton!« entgegnete der Junker. »Hätt' er sich's unterstanden, mir so dumm Zeug ins Gesicht zu sagen, ich hätt'n ein' Dachtel ausgewischt hinter die Löffel und wär' er noch 'nmal so groß g'wesen und hätt 'ch an 'n 'rauf springen soll'n. – Geduld! seht mir doch! Wenn du mir damit kommst, 'ch habe mehr Geduld nötig als Hiob, wenn 'ch mich so aushunz'n lass'n muß, als 'n Schuljung mit 'n Bart, wie 'ch davor 'r steh. Alle Hagel! 'S wird ein'm 'ne rechte Lust und Freud' in der Welt, wenn kein' Seel drin mehr Verstand und Vernunft haben soll, als das Hofschranzen-Pack. Aber, alle Blitz! 'ch hoffe, die Zeit soll komm'n, daß wir's wieder zu Narren hab'n woll'n! und daß ein'r so klug sein soll als d'r andre! damit ist's all! Schwester, einer soll so klug sein als der andre, und damit Holla! Ich hoff' 's noch zu erleben, noch ehr und dies fremde Zeug von Rät'n und Ministerzeug 's Korn vorm Maule weggefress'n hat, und 's nichts nachläßt, als Rüb'n und Kartoff'ln zu fressen!« – »Mon frère!« schrie die Schwester. »Ich gestehe, Sie sprechen da Dinge, die weit über allen menschlichen Verstand hinaus sind. Ihre Weisheit von Korn vorm Maule, Rüben und Kartoffeln, ist mir völlig unverständlich.« – »Glaub's wohl,« schrie er, – »davon magst du nichts hören. Aber' 's Beste der Nation kann doch, magst's woll'n oder nicht, kann doch 'nmal oben schwimmen.« – »Ich wollte wünschen,mon frère, Sie dächten ein wenig auf das Beste Ihrer Tochter! denn glauben Sie mir, mon frère, sie ist in größerer Gefahr als die Nation.« – »'S ist ja noch kein'n Augenblick her, da schaltst du mich aus dafür, daß 'ch dran gedacht hatte! da wollt'st du, ich sollt's dich überlassen!« – »– Und wenn mir mon frère versprechen wollen, sich nicht weiter hineinzumischen,« versetzte sie, »so will ich aus besonderer Liebe zu ma Nièce, die Sorge für sie noch über mich nehmen!« – »Nun so thu's denn,« sagte der Junker. »Denn du weißt ja, 's ist immer mein Singen und Sagen g'west, daß Weibsen am besten wiss'n, wie sie Weibsen dressieren sollen.«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, begaben sich darauf hinweg [289] und murmelten so ein wenig piano, mit einer ziemlich höhnischen Miene, von Weibsen und Dressieren, und Regierung der Nation. – Sie begab sich geraden Wegs nach Sophiens Zimmer, welche nun, nach dem Arreste von einem Tage, wieder aus ihrer Gefangenschaft erlöst wurde.

Fußnoten

1 Der Leser möchte vermutlich die letzte Kraft seiner Geduld erschöpfen, wenn er diese Stelle im Milton aufsuchen wollte.

A.d. Autors.

Siebentes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Vergleicht die Welt mit der Schaubühne.


Man hat schon oft die Welt mit dem Theater verglichen; und manche ernsthaften Schriftsteller sowohl als die Dichter haben das menschliche Leben betrachtet wie ein Drama, das in fast jeder Rücksicht eine Aehnlichkeit mit den theatralischen Vorstellungen habe die nach der Sage zuerst von Thespis erfunden und seitdem in allen gebildeten Ländern mit so vielem Beifall und Vergnügen aufgenommen wurden.

Dieser Gedanke ist so weit ausgesponnen und so allgemein geworden, daß gewisse Worte, die man anfangs eigentlich vom Theater, und nur im metaphorischen Sinne von der Welt gebrauchte, heutigestags ohne Unterschied und buchstäblich von beiden gesagt werden. Sonach sind durch allgemeinen Gebrauch Bühne und Auftritte uns ebenso geläufig, wenn wir vom menschlichen Leben überhaupt sprechen, als wenn wir uns auf dramatische Vorstellungen insbesondere einschränken; und wenn wir von Vorgängen hinterm Vorhang reden, so fällt unsern Gedanken eher das Staatskabinett eines Hofes ein, als ein eigentliches Schauspielhaus.

Dies alles mag sich denn auch ziemlich leicht erklären lassen, wenn wir bedenken, daß die theatralische Bühne nichts weiter ist, als eine Darstellung, oder wie Aristoteles es nennt, eine Nachahmung dessen, was wirklich geschieht oder geschehen ist; und dieser Ursache wegen dürfen wir vielleicht, nach aller Billigkeit, jenen Männern ein sehr tiefes Kompliment machen, welche fähig waren, durch ihre Schriften oder Handlungen das menschliche Leben dergestalt nachzuahmen, daß man ihre Gemälde gewissermaßen mit dem Original verwechselt und wohl gar fürs Urbild selbst nimmt.

[290] In der That aber sind wir nicht sonderlich geneigt, diesen Leuten dergleichen Komplimente zu machen, vielmehr springen wir oft mit ihnen um, wie die Kinder mit ihrem Spielzeuge, und wir finden mehr Vergnügen daran sie auszuzischen und auszupochen, als ihre Vortrefflichkeit zu bewundern. Wir haben noch verschiedene andre Ursachen, die uns bewogen haben, diese Analogie zwischen der Welt und der Schaubühne näher zu besehen.

Einige haben den größten Teil der Menschenkinder als Schauspieler betrachtet, welche solche Charaktere vorstellten, die ebensowenig ihre eignen, und zu welchen sie im Grunde nicht mehr Recht hätten, als der Schauspieler auf der Bühne, wenn er im Ernst verlangte, man solle ihn für den Kaiser oder König halten, welchen er nach seiner Rolle vorstellt. Solchergestalt kann man von dem Scheinheiligen sagen, er sei ein Akteur; und in der That nannten die Griechen auch beide mit einem und demselben Namen.

Die Kürze des menschlichen Lebens hat gleichfalls zu dieser Vergleichung Anlaß gegeben; so sagt Shakespeare:


Life's a poor Player,
That storms and struts hìs Hour upon the Stage,
And then is heard no more.
Das Leben ist ein armer Bühnenheld,
Der kaum ein Stündchen auf den Brettern stürmt und strotz't,
Und dann dahin ist, wie ein Schemen.

Ein abgedroschenes Weidsprüchlein, für welches ich den Leser durch eine vortreffliche Stelle schadlos halten will, die, so viel ich glaube, noch wenige gelesen haben mögen. Ich nehme solche aus einem Gedicht, das schon vor einiger Zeit gedruckt und schon längst wieder vergessen ist und heißt: The Deity. Die Stelle mag beweisen, daß gute Bücher ebensowenig, als gute Menschen, allemal die schlechten überleben.


From thee (the Deity) all human Actions take their Springs,
The Rise of Empires, and the Fall of Kings!
See the Vast Theatre of Time display'd,
While o'er the Scene succeeding Heroes tread!
With Pomp the shining Images succeed,
What Leaders triumph, and what Monarchs bleed!
Perform the Parts thy Providence assign'd,
Their Pride, their Passions, to thy Ends inclin'd;
A While they glitter in the Face of Day,
Then at thy Nod the Phantoms pass away;
[291]
No Traces left of all the busy Scene,
But that Remembrance says: – The Things have been!
Aus dir (der Gottheit) fließt alle Kraft, und aller Menschen Thaten,
Der Reiche Wachstum, wie der Sturz der Staaten,
Der Zeiten hehres Schauspiel, vorgestellt
Von großen Scharen, Held auf Held!
Mit hoher Pracht flieh'n sie vorbei, die Bilder,
Da hier ein Feldherr siegt, dort blut'ge Schilder
Die Leichen and'rer decken! – Dein ist all ihr Spiel,
Ihr Stolz und ihre Leidenschaft, gelenkt zu deinem Ziel.
Ein wenig läßt du sie am hellen Mittag schimmern,
Dann stürzt dein Wink das Feenschloß zu Trümmern;
Nicht eine Spur verbleibt von Bühn' und Haus!
Nur das Gedächtnis sagt: – das Spiel ist aus!

Bei allen diesen, und bei jeder andern Vergleichung des Lebens mit dem Theater, ist jedoch die Aehnlichkeit bloß von der Bühne her genommen, und soviel ich mich erinnere, hat noch niemand die Zuschauer bei diesem großen Drama in Betrachtung gezogen.

So aber, wie oft die Natur einige ihrer besten Schauspiele vor einer sehr großen Versammlung vorstellt, so läßt sich auch die oben gemachte Vergleichung nicht weniger auf das Betragen ihrer Zuschauer, als auf ihre spielenden Personen anwenden. Vor dieser großen Schaubühne der Zeit sitzen der Freund und der Kritiker; hier wird geklatscht und gelacht, gezischt und gepfiffen; kurz alles das, was man bei Schauspielen auf großen Theatern nur jemals gesehen oder gehört hat.

Laßt uns dies an einem Beispiel untersuchen: Es mag das Betragen der zahlreichen Zuschauer bei jener Szene sein, welche die Natur geruhte im zwölften Kapitel des nächst vorhergehenden Buchs darzustellen; woselbst sie den schwarzen Jakob mit den fünfhundert Pfund Sterling seines Freundes und Wohlthäters sich heimlich davonschleichen ließ.

Diejenigen, welche in der obersten Galerie der Welt als Zuschauer saßen, gebärdeten sich bei dieser Begebenheit, wie ich ganz wohl überzeugt bin, mit ihrem gewöhnlichen Gelärme und stießen höchst wahrscheinlicher Weise alle bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Schimpf- und Schmähreden aus.

Wären wir bis zu der nächstfolgenden Klasse von Zuschauern heruntergestiegen, so würden wir einen ähnlichen Grad von Abscheu, obgleich weniger Schimpfen und Lärmen beobachtet haben; [292] unterdessen übergaben doch hier die guten Weiblein den schwarzen Jakob dem gehörnten Satan, und viele unter ihnen erwarteten alle Augenblicke, daß der Herr mit dem Pferdefuße kommen und sein Eigentum durch die Luft davonführen würde.

Das Parterre war ohne Zweifel, wie gewöhnlich, geteilt: diejenigen unter ihnen, welche an heroischer Tugend und vollkommnen Charakteren ihr Behagen finden, tadelten es nicht wenig, daß solche Beispiele von niederträchtiger Bosheit auf die Bühne gebracht würden, ohne sie aufs strengste zu bestrafen, um sich daran spiegeln zu können. Einige von den Freunden des Verfassers riefen: »Nun freilich, ihr Herren, der Kerl ist ein Schurke; bei alledem aber ist es dennoch Natur.« Und alle jungen Kritiker unsrer Zeit, Kaufmannsbursche, Gymnasiasten, Aktenschreiber und dergleichen, nannten es niedrig und gemein und thaten sich gütlich mit Stampfen und Pochen.

Die Ranglogen betrugen sich mit ihrer gewöhnlichen Politesse. Die meisten darin waren eben aus etwas anderes mit ihren Gedanken gerichtet. Einige unter den wenigen, welche noch zuweilen nach der Bühne hinblickten, erklärten, es wäre doch ein bösartiger Mensch, währenddem andere sich weigerten ihre Meinung von sich zu geben, bis sie erst die Meinung der besten Richter vernommen hätten.

Wir aber, die wir freien Zutritt hinter die Szene dieses großen Theaters der Natur haben (und nie sollte ein Autor irgend etwas schreiben, Wörterbücher und Buchstabiertäflein ausgenommen, der dieses Vorrecht nicht hat), wir können die Handlung nicht tadeln, ohne einen gänzlichen Abscheu gegen die Person zu fassen, welche die Natur vielleicht nicht bestimmt haben mag, in dramatischen Handlungen eine schlimme Rolle zu spielen. Denn in diesem Betracht gleicht das Leben ganz genau einer Schaubühne, wo es oft eben und dieselbe Person ist, welche einen Schurken und wieder einen Helden vorstellt, und er, der sich heute unsre Bewunderung erwirbt, wird sich vermutlich morgen unsre Verachtung zuziehen. So wie Garrick, den ich für das größte Genie unter allen tragischen Schauspielern halte, das jemals die Welt hervorgebracht hat, sich zuweilen herabläßt, die Rolle eines Narren zu spielen: so thaten schon vor vielen Jahren Scipio der Große und Lälius der Weise, wie Horaz erzählt, ja Cicero sagt sogar von ihnen, sie wären unglaublich kindisch gewesen. – Wahr ist's freilich, diese spielten, eben wie mein Freund Garrick, den Narren bloß im Spaß; aber verschiedene erhabne Personen haben bei unzähligen Vorfällen ihres Lebens in unermeßlichem Ernste den Narren vorgestellt und haben's damit so weit getrieben, daß sie es zu einer [293] zweifelhaften Sache gemacht, ob bei ihnen die Weisheit oder die Narrheit vorwalte, ob sie mehr Beifall oder Tadel, Bewunderung oder Verachtung, Liebe oder Haß beim menschlichen Geschlechte verdienten.

Solche Menschen, welche einige Zeit hinter der Szene dieses großen Theaters zugebracht haben und hinlänglich bekannt sind nicht nur mit den verschiedenen Verkleidungen, welche man daselbst anlegt, sondern auch mit dem eigensinnigen, phantastischen Betragen der Leidenschaften, welche die Direktoren und Unternehmer dieses Theaters sind, (denn die Vernunft als die eigentliche Prinzipalin desselben ist dafür bekannt, daß sie sehr weichlich ist und gerne müßig lebt und sich selten um die Direktion bekümmert), solche Menschen, sage ich, können höchst wahrscheinlicher Weise gelernt haben, Horazens berühmtes nil admirari richtig zu erklären, welches in unsrer Muttersprache ungefähr lauten möchte: »Worüber wundern wir uns denn?«

Eine einzige schlechte Handlung macht ebensowenig im Leben einen Schurken als eine einzige komische Rolle auf dem Theater einen Possenreißer. Die Leidenschaften zwingen oft, wie ein theatralischer Senat, einem Manne Rollen auf, ohne sein Urteil zu Rate zu ziehen, oder zuweilen auch nur die geringste Rücksicht auf seine Talente zu nehmen. Sonach kann der Mensch, so gut wie der Schauspieler, die Rolle verdammen, die er selbst spielt; ja, es ist nicht so ungewöhnlich, daß einige Menschen das Laster eben so unnatürlich kleidet als die Rolle des schändlichen Jago einen Schauspieler kleiden müßte, der ein offenes, redliches Gesicht hätte und es nicht verstände, es in die natürlichen Falten eines Schurken zu legen. Im ganzen also ist der unbefangene und wirklich verständige Mann niemals voreilig, etwas zu verdammen. Er kann eine Unvollkommenheit oder sogar ein Laster tadeln, ohne gegen die strafbare Person in Zorn und Wut zu geraten. Mit einem Worte, es sind eben die Thorheiten, eben die Kinderstreiche, eben die Ungezogenheiten und eben die Bosheiten, welche sowohl im menschlichen Leben, als auf der Bühne, all das Gelärme und all das Geschimpfe erregen. Die schlechtesten Menschen haben gemeiniglich die Worte: Schurke, Spitzbube und Schelm am meisten auf der Zunge; so wie die gemeinsten, elendesten Kerle im Parterre am fertigsten sind, auszurufen: gemein, niedrig!

Zweites Kapitel
[294] Zweites Kapitel.

Enthält eine Unterredung unsres Helden mit sich selbst.


Jones erhielt des Morgens früh aus Herrn Alwerths Hause seine Sachen mit folgender Antwort auf seinen Brief:


»Monsieur Jones!


Ich habe den Auftrag von meinem Herrn Onkel, Ihnen anzuzeigen, daß, so wie er zu den Maßregeln, die er in Ansehung Ihrer genommen hat, nicht ohne die größte Ueberlegung und ohne die völligste Ueberzeugung von Ihrer Unwürdigkeit geschritten ist, es auch niemals in Ihrer Gewalt stehen wird, in seinen Entschließungen die geringste Aenderung hervorzubringen. Mein Herr Onkel ist höchlich darüber verwundert, wie Sie sich erdreisten mögen zu sagen, Sie hätten alle Ansprüche auf eine junge Dame aufgegeben, auf welche Sie unmöglich jemals den geringsten Anspruch haben konnten, da ihre Geburt und ihr Reichtum solche so himmelhoch über Sie hinwegsetzt. Endlich und zuletzt hat mir mein lieber Onkel aufgetragen, Ihnen, Monsieur, zu melden, der einzige Beweis Ihres Gehorsams, den er von Ihnen gegen seine Befehle erwarte und begehre sei der, daß Sie sich, je eher je lieber, aus dieser Landesgegend entfernen.

Ich kann diesen meinen Brief nicht schließen, ohne Ihnen, Monsieur, meinen wohlmeinenden christlichen Rat angedeihen zu lassen, und zu bitten, Sie wollen ernstlich auf Buße und Besserung Ihres sündlichen Lebens bedacht sein; und, daß die vorkommende Gnade an Ihrer armen Seele nicht vergebens arbeiten möge, soll beständig der Inhalt des Gebets sein und der Fürbitte

Ihres

bereitwilligen Dieners

W.v. Blifil.«


In unsres Helden Busen empörten sich durch diesen Brief mancherlei Leidenschaften; doch behielt am Ende die Zärtlichkeit über Zorn und Aerger die Oberhand; eine Thränenflut kam ihm zu gelegnem Beistande und verhinderte nach aller Wahrscheinlichkeit, daß sein Unglück ihm nicht den Kopf verrückte oder das Herz zersprengte.

Indessen fing er sehr bald an, sich dieses Hilfsmittels zu schämen, sprang auf und sagte zu sich selbst: »Wohlan! ich will also Herrn Alwerth den einzigen Beweis geben, den er von meinem Gehorsam verlangt. Ich will mich diesen Augenblick aufmachen –[295] aber, wohin? – Nun, das laß das Glück entscheiden! Weil es niemand sonst der Mühe wert achtet, sich drum zu bekümmern, was aus diesem elenden Menschen wird, so soll es auch mir selbst ebenso gleichgültig sein. Soll ich allein auf etwas achten, was niemand in der Welt – Ha! habe ich nicht Ursache zu denken, daß noch jemand vorhanden ist? – Sie, deren Wert den Wert der ganzen Welt übertrifft! – Ja, ich darf, ich muß glauben, meiner Sophie sei es nicht gleichgültig, was für ein Schicksal mich trifft! Verlassen soll ich sie also, diese einzige Freundin? Und solch eine Freundin? Soll ich nicht bei ihr bleiben? – Aber wo? Wie kann ich das einrichten, bei ihr zu bleiben? Ist mir denn die geringste Hoffnung übrig sie nur zu sehn, auch wenn sie das ebensosehr wünschte als ich selbst, ohne sie dem Zorne ihres Vaters auszusetzen? Und wozu das? Kann ich darauf denken, ein so edles Geschöpf zu bereden, daß sie in ihren eigenen Untergang willige? Soll ich meine Leidenschaft um einen solchen Preis zu befriedigen suchen? Soll ich die Gegend umher durchschleichen wie ein Dieb, mit fast nicht besserer Absicht? – Nein, ich verachte, ich verabscheue den Gedanken. Lebe wohl, Sophie! Lebe wohl, Liebenswürdigste und Geliebteste!« – Hier schlossen die Leidenschaften den Mund und öffneten sich einen Weg durch die Augen.

Nachdem er solchergestalt den Entschluß gefaßt hatte, diese Gegend zu verlassen, begann er bei sich selbst zu überlegen, wohin er seinen Weg nehmen sollte. Die ganze Welt, wie Milton sagt, lag offen vor ihm; und Jones hatte ebensowenig, als Adam, irgend einen Menschen, an den er sich um Trost und Beistand hätte wenden können. Er hatte keine andre Bekanntschaft, als die Bekanntschaft des Herrn Alwerth, und er hatte keine Ursache sich von diesem die geringste Unterstützung zu versprechen, weil dieser Herr ihm seine Gunst völlig entzogen hatte. Männer von großem und gutem Charakter sollten wirklich sehr behutsam sein, wenn sie jemand aus ihrem Schutz und Schirm entfernen; denn die Folge für den entlassenen Unglücklichen ist, daß jedermann sich von ihm entfernt.

Was für eine Lebensart er erwählen, oder was für ein Geschäft er unternehmen sollte, war ein zweiter Punkt der Ueberlegung; und hier war alle Aussicht ebenso öde und leer. Jede Profession, selbst jeder kleine Handel erforderte Zeit und Weile, und was noch schlimmer war, Geld! Denn die Welt ist so beschaffen, daß es bei ihr heißt: aus nichts wird nichts! Ein ebenso wahrer Satz im menschlichen Leben als in der Physik; und jedermann, dem es gänzlich an Geld fehlt, ist durch diesen Mangel von allen Mitteln gänzlich ausgeschlossen, welches zu erwerben.

[296] Endlich öffnete das Weltmeer, dieser liebreiche Freund des Unglücklichen, seine langen, königlichen Arme ihn zu empfangen; und er entschloß sich augenblicklich, seine gütige Einladung anzunehmen. Um mich weniger figürlich auszudrücken, er entschloß sich zur See zu gehen.

Dieser Gedanke war ihm nicht so bald eingefallen, als er ihn eifrig festhielt, auf der Stelle Pferde mietete und sich auf den Weg nach Bristol begab, um ihn ins Werk zu setzen.

Allein bevor wir ihn auf dieser Reise begleiten, wollen wir ein wenig nach Herrn Westerns Hause zurückkehren und sehen wie es der reizenden Sophie weiter erging.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Enthält verschiedene Unterredungen.


An dem Morgen, an welchem Jones abreiste, ließen Ihro Gnaden, Fräulein von Western, ihre Nichte Sophie in ihr Gemach zu sich rufen; und nachdem sie solcher vorerst bekannt gemacht, wie sie ihre Freiheit von ihrem Vater erhalten hätten, begannen dieselben ihr eine lange Vorlesung über allerlei Materien des Ehestandes zu halten. Ihro Gnaden behandelten die Sache nicht wie ein romantisches Projekt der Glückseligkeit, welche, nach poetischer Sage, die Liebe gewähren soll. Ebensowenig erwähnten dieselben irgend einen von jenen Endzwecken, für welche, wie die Geistlichkeit uns den Ehestand betrachten lehrt, der Ehestand im Paradies eingesetzt worden; sie betrachteten solche vielmehr als eine Leibrenten-Lotterie, in welcher kluge Frauenzimmer ihr Vermögen am vorteilhaftesten anlegen, um hier davon größere Interessen zu ziehen, als sie davon auf sonst irgend eine Weise erhalten könnten.

Als Ihro Gnaden mit ihrer wohlbegründeten Rede zu Ende gediehen waren, antwortete Sophie: »Sie wäre unvermögend, einer Dame von ihrer gnädigen Tante vorzüglichen Kenntnissen und Erfahrung, Gegengründe anzuführen; besonders über eine Sache, über welche sie bisher so wenig nachgedacht hätte, als über den Ehestand.«

»Gegengründe mir? Kind!« versetzte die andere, »wirklich, ich erwartete keine von dir. Gewiß, ich müßte viel weniger von der Welt, und mit viel geringerem Nutzen gesehen haben, wenn ich von einem Kinde von deinen Jahren Gegengründe anhören sollte. Ich habe mich dieser Mühe unterzogen, um dich zu belehren und zu [297] unterrichten. Die alten Philosophen, Sokrates, Alcibiades und andere zum Exempel, waren auch nicht gewohnt, sich mit ihren Schülern aufs disputieren einzulassen. Du mußt mich ansehen, mon enfant, als den Sokrates; nicht, als ob ich dich um deine Meinung fragte, sondern daß ich dich von der meinigen belehre.« Aus diesen letzten Worten mag vielleicht der Leser schließen, daß sie ebensowenig von der Philosophie des Sokrates, als von den Schriften des Alcibiades gelesen habe. Und wirklich finden wir uns nicht im stande, ihm diesen Zweifelsknoten zu lösen.

»Gnädige Tante,« erwiderte Sophie, »ich habe mich nie unterfangen, irgend eine Ihrer Meinungen zu bestreiten, und über diese Sache habe ich, wie schon gesagt, noch niemals nachgedacht und werde auch vielleicht niemals darüber nachdenken.«

»In der That, Sophie!« versetzte die Tante, »diese deine Verstellung gegen mich ist sehr thöricht. Ebensoleicht würde mich der Kriegsminister unsres Feindes überreden, daß er fremde Städte wegnehmen lasse, bloß um sein eigenes Land zu decken, als du mir weißmachen kannst, zu glauben, du hättest noch niemals über den Ehestand ernsthaft nachgedacht. Wie, mon enfant, kannst du dich so verstellen und leugnen, du habest niemals darauf gedacht, eine Alliance zu schließen, da du doch so gut weißt, daß mir die Puissance bekannt ist, mit der du sie so gerne schließen möchtest? Eine Alliance, die so widernatürlich und so sehr gegen dein Interesse wäre, als ein Separat-Friede mit Frankreich gegen das Interesse der Holländer sein würde! Inzwischen, wenn du diese Materie bisher noch nicht in Betrachtung gezogen hast, so versichere ich dir, ist es dazu jetzt die höchste Zeit; denn mon frère ist entschlossen, die Traktate unverzüglich mit Junker Blifil zu schließen, und in der That bin ich bei der Affaire eine Art von Garantée und habe deinen Beitritt versprochen.«

»In der That, gnädigste Tante,« rief Sophie, »dies ist die einzige Sache, in welcher ich sowohl Ihnen, als meinem Vater, ungehorsam sein muß. Denn dieses ist eine Verbindung, bei der es mir sehr wenig Ueberlegung kostet, um sie auszuschlagen.«

»Wäre ich nicht eine ebensogroße Philosophin, als Sokrates selbst,« antwortete Ihro Gnaden, Fräulein von Western, »so könntest du meine Geduld besiegen! Was für Einwendungen könntest du wohl gegen diesen jungen Herrn haben?«

»Eine sehr triftige, nach meiner Meinung,« sagte Sophie, – »ich hasse ihn.«

»Wirst du denn niemals einen richtigen Gebrauch von deinen Worten machen lernen?« antwortete die Tante. »Wirklich, du solltest Bayle's Diktionär zu Rate ziehen, mon enfant. Du kannst [298] unmöglich einen Mann hassen, der dir keine Beleidigung zugefügt hat. Unter Hassen verstehst du also nichts weiter, als nicht lieben, und das ist keine hinlängliche Einwendung dagegen, ihn zu heiraten. Ich habe manches Ehepaar gekannt, die sich ganz und gar nicht liebten und dennoch ein ganz gemächliches, sehr höfliches Leben miteinander führten. Glaub' es mir, Kind, ich verstehe diese Sachen besser als du. Du wirst mir nicht ableugnen, hoff' ich, daß ich die Welt gesehen habe, und ich habe darin nicht eine einzige Bekannte, welche es nicht lieber sähe, daß man von ihr dächte, sie möchte ihren Mann nicht leiden, als daß sie ihn lieb hätte. Das Gegenteil ist ein solcher altfränkischer, romanhafter Unsinn, daß einem schon übel wird, wenn man nur daran denkt.«

»In der That, gnädigste Tante,« erwiderte Sophie, »ich werde niemals einen Mann heiraten, den ich nicht lieben oder leiden kann. Wenn ich meinem Vater verspreche, daß ich niemals in eine Heirat willigen will, die seiner Neigung zuwider ist, so glaube ich, darf ich hoffen, er werde mich niemals zu diesem Stande zwingen mit jemand, der wider die meinige ist.«

»Neigung!« schrie die Tante mit einiger Hitze, »Neigung! Ich erstaune über deine Verwegenheit! Ein junges Fräulein von deinem Alter und unverheiratet kann von Neigungen sprechen? Aber Neigungen hin, Neigungen her! Mon frère ist entschlossen, und nun ja, weil du von Neigung sprichst, will ich ihm zuraten, die Traktate zu beschleunigen. Neigung! Voyez-donc!« –

Hier warf sich Sophie auf ihre Kniee, und die Thränen begannen ihr aus den glänzenden Augen zu rinnen. Sie bat und beschwor ihre Tante: »Sie möchte sich ihrer erbarmen und ihren Widerwillen nicht so ungnädig grausam dadurch bestrafen, daß sie sie völlig elend machte; und gab ihr oft zu bedenken, daß es ja nur auf ihre eigene persönliche Glückseligkeit dabei ankäme.«

So wie ein Wettknecht, wenn er in voller Macht seines Freizettels sich der Person eines unglücklichen nicht pfandbaren Schuldners bemächtigt hat, alle seine Thränen mit unbewegtem Herzen ansieht; vergebens versucht's der jammervolle Gefangene, sein Mitleid zu erregen; vergebens nennt er das zärtliche, ihres Gatten beraubte Weib, den kleinen, stammelnden Knaben, oder das erschrockene Mägdlein, um ihn zur Nachsicht zu bewegen: der edle Pfahl der Gerechtigkeit ist blind und taub gegen jeden Umstand der höchsten Not, hoch ragt er hervor über alles, was Menschlichkeit heißt, und fest ist bei ihm Entschluß und That; er wandelt mit ihm hin zum Gefängnis, wo er verschmachten oder seine Gläubiger bezahlen muß.

Nicht weniger blind gegen die Zähren, nicht weniger taub gegen jedes Flehen Sophiens war die politische Tante, und nicht [299] weniger fest entschlossen war sie, das zitternde Fräulein in die Arme des Kerkermeisters Blifil zu liefern. Sie antwortete mit großer Heftigkeit: »So wenig kommt's hier auf das Fräulein allein an, daß das, was sie betrifft, das wenigste, wenigstens das wenigstwichtige ist. Auf die Ehre deiner Familie, auf diese kommt's an bei dieser Alliance! Du bist dabei bloß Werkzeug. Meinst du, petite Demoiselle, daß bei einer Vermählung unter Königreichen, wenn zum Exempel eine Madame de France an Spanien verlobt wird, auf die Prinzessin bei einer solchen Verbindung allein gesehen wird? Nein, es ist ein Bündnis zwischen zwei Königreichen vielmehr, als zwischen zwei Personen. Und das ist derselbe Fall mit großen Familien, wie die unsrige. Die Alliance unter den Familien ist die Hauptsache. Es geziemt dir, mehr auf die Ehre deiner Familie zu achten, als auf deine eigene Person; und wenn das Beispiel einer Prinzessin dir diese erhabene Art zu denken nicht einflößen kann, so darfst du es sicherlich nicht übelnehmen, wenn man dich nicht ärger behandelt, als alle Prinzessinnen behandelt werden.«

»Ich hoffe, meine gnädige Tante,« erwiderte Sophie mit etwas erhobener Stimme, »ich werde niemals etwas thun, was meine Familie entehren könnte! Was aber Herrn Blifil anbelangt, so ist mein Entschluß gegen ihn unbeweglich, und es entstehe nun daraus, was da wolle, so soll mich keine Gewalt zwingen, mich für ihn zu erklären.«

Western, welcher den größten Teil des vorstehenden Dialogs von fern mit angehört hatte, war nun mit aller seiner Geduld zu Ende gekommen. Er stürzte also mit heftigem Zorne ins Zimmer und schrie: »Teufel hol, wenn 'n nich' haben sollst! Teufel hol, sollst! Damit 's aus! Damit 's aus! Teufel hol, wenn 'n nicht sollst!«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, hatten einen hinlänglichen Vorrat von Zorn zum Gebrauch gegen Sophie in ihrem Magazine gesammelt; jetzt aber führten Sie den ganzen Vorrat gegen den Junker zu Felde.»Mon frère,« sagte sie, »es ist doch erstaunlich, daß Sie sich in Sachen mischen, welche Sie völlig meiner Negoziation überlassen hatten. Rücksichten auf meine Familie hatten mich dahin vermocht, als eine vermittelnde Macht zu agieren, um die politischen Fehler wieder gut zu machen, welche Sie in der Erziehung Ihrer Tochter begangen haben. Denn Sie sind es, mon frère, Ihr kopfloses Betragen ist es, welches all den Samen mit der Wurzel ausgereutet hat, den ich ehedem in ihr zartes Gemüt ausgestreut hatte. – Sie sind es selbst, Sie, die ihr Ungehorsam gelehrt haben.« – »Kreuz Hagelwetter!« schrie der Junker mit [300] Schaum vorm Munde; »du könntst den Satan selbst ungeduldig machen. Hab' ich meiner Tochter Ungehorsam gelernt, ich g'lernt? – Da, da steht's! Sprich Mädchen, sprich ehrlich, hab ich d'r mein Lebtage befohlen, sollst m'r ungehorsam sein? Hab' ich nicht all's in der Welt gethan, dir Lieb' zu machen und Freude, und zu machen daß du m'r gehorsam wärst? Und wohl gehorsam war 's mir, als sie noch e'n klein Kind war, eh'r du 's in die Hände kriegst und s'e verzogst, und ihr den Hofschnack in Kopf setzt'st! – Was? was? was? – hab' ich's nicht mit meinen Ohren gehört, mit meinen Ohren, daß du 'r sagtst, sie soll sich aufführen wie 'ne Prinzessin? Hast 'ne Hofschranze aus 'r gemacht; und wie kann ihr Vater oder sonst e'n Christenmensch von 'r erwarten, daß sie nun gehorsam sein soll?« – »Mon frère,« antwortete seine Schwester, mit höchst vornehmer, spöttischer Miene, »ich vermag die Verachtung nicht auszudrücken, die ich von Ihrer Politik in allen Dingen habe; aber auch ich will mich auf das Fräulein selbst berufen, ob ich ihr jemals Grundsätze des Ungehorsams beigebracht habe. Tout au contraire! Ma nièce, bin ich nicht immer bemüht gewesen, dir eine Idee von allen den verschiedenen Verhältnissen beizubringen, in welcher ein menschliches Geschöpf in der politischen Gesellschaft steht? Habe ich mir nicht unendliche Mühe gegeben, dir zu zeigen, daß das Gesetz der Natur den Kindern eine Pflicht gegen ihre Eltern auferlegt hat? Hab' ich dich nicht gelehrt, was Plato über die Sache sagt? – Eine Sache, worüber du so ungeheuer unwissend warst, als ich dich zuerst unter meine Aufsicht bekam, daß ich wahr und wirklich glaube, du kanntest nicht einmal das Verhältnis der Verwandtschaft zwischen Tochter und Vater.« – »Erlogen,« schrie Western, »so 'n Narr ist's Mädchen nicht, daß 's elfte Jahr erleben sollte und nicht wissen, daß sie ihr's Vaters Anverwandte wäre.« – »O mehr als gotische Unwissenheit!« entgegnete die Dame; »und was des Herrn Grobheit anbelangt, so verdienten Sie ein spanisches Rohr.« – »Nu, worum gib'st mirs denn nicht, wenn du meinst, daß du kannst?« schrie der Junker, »'ch sollt' denken, deine Nichte da ist ja wohl fix und fertig, dir beizustehen.« – »Monsieur,« sagten Ihro Gnaden von Western, »ob ich gleich Sie mehr verachte, als ich sagen kann, so bin ich doch nicht gesonnen, Ihre Grobheiten länger zu ertragen; deshalb verlang' ich, daß mein Wagen sogleich angespannt werden soll, denn ich bin entschlossen, das Haus noch diesen Vormittag zu verlassen.«

»Nu, so hab' ich rein Haus. Deine Grobheit kann ich so nicht mehr vertragen, wenn du doch davon sprechen willst. Hagel! dadurch allein schon könnte meine Tochter glauben, 'ch hätt' nicht viel Verstand, wenn si's hört, daß du mir all' Augenblick deine Verachtung [301] unter d' Nase reibst.« – »Ei, unmöglich! unmöglich! Wie könnte man so etwas denken von dem weisen, hellen Kopfe eines Kapuziners!« – »Kapziner!« antwortete der Junker, »ich bin kein Kapziner, Madam; kein Dickdiener auch nicht, und kein Jesuit dazu, bin 'n ehrlicher Protestant und keiner von dein'n Hoffschottsch-Katholschen, die d' Nation schling'n wollen, daß du's nur weißt.« – »Ja, Sie sind wohl ein protestantischer Jesuit an Weisheit und Verschlagenheit! Solche weise Männer wie Sie, mit solchen bodenlosen Grundsätzen, sind ein wahrer Schutz der Nation. Sie schwächen die Regierung zu Hause, schrecken unsre Freund ab und stärken die Hand unsrer Feinde.« – »Hoho! versteigst du dich schon wieder in die Politik?« schrie der Junker, »dein' Politik halt' ich soviel wert als das!« Bei diesen letzten Worten streckte er seine Hand aus gegen seine Schwester hin, und riß den Mittelfinger, den er fest gespannt auf den Daumen hielt, mit solcher Gewalt herunter, daß dessen Fall auf das Mäuslein des Daumens einen lauten Schall verursachte. Und war es dieser Schall und der dadurch angedeutete übermütige Trotz, oder die Verachtung, die er gegen seiner Schwester politische Einsichten ausdrückte, das will ich hier nicht entscheiden: genug, sie geriet in die heftigste Wut, stieß Redensarten aus, die wir schicklicherweise nicht wiederholen können, und stürzte augenblicklich zum Hause hinaus. Bruder und Nichte hielten auch nicht für diensam, sie weder aufzuhalten noch ihr nachzufolgen. Denn die eine war so sehr mit ihrer Betrübnis beschäftigt und der andere so ganz von Zorn hingenommen, daß sie beinahe ohne alle Bewegung da standen.

Der Junker schickte unterdessen seiner Schwester eben ein solches Holla nach, wie man einem Hasen nachzuschicken pflegt, wenn er zuerst vor den Hunden aufspringt. Er war wirklich ein großer Meister in dieser Art von lautschallenden Tönen, und hatte fast für eine jede Gelegenheit sein eigenes Holla.

Frauenzimmer, welche, wie Ihro Gnaden, Fräulein von Western, die Welt kennen und sich auf Philosophie und Politik gelegt haben, würden sich auf der Stelle der gegenwärtigen Gemütsverfassung des Junkers Western bedient und auf Kosten ihrer abwesenden Gegnerin seinem Verstande einige listige Komplimente angebracht haben. Aber die arme Sophie war die redlichste Einfalt. Bei diesem Worte sind wir nicht gesonnen, dem Leser zu verstehen zu geben, als wäre sie dumm, wiewohl zuweilen Einfalt und Dummheit für einerlei gehalten zu werden pflegen: denn sie war wirklich ein sehr verständiges junges Frauenzimmer, und ihr Verstand war von der feinsten Gattung; aber sie besaß nichts von der so brauchbaren List, welche die Weiber zu so manchem guten Zwecke ihres [302] Lebens anzuwenden wissen, und welche, sofern solche mehr im Herzen als im Kopfe steckt, oft ein Eigentum des dümmsten Gänschens unter Evens Töchtern ist.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Porträt der Ehegenossin eines Landjunkers, nach dem Leben gemalt.


Nachdem Herr Western sein Holla geendigt und wieder ein wenig Atem geschöpft hatte, begann er in sehr pathetischen Ausdrücken über den unglücklichen Zustand der Männer zu klagen, welche, wie er sagte, immer den Launen einer oder der andern verdammten Betze vor die Peitsche laufen müßten. »Ich meinte, 'ch wär von deiner Mutter hart genug gehetzt worden; aber nun die lahm liegt, kommt da 'n ander Tiffe und sitzt m'r auf'n Läufen, aber eher soll m'r die beste Mähre im Stall' umfall'n, eh'r ich mich so von 'n will stell'n lassen.«

Sophie hatte niemals die geringste Zwistigkeit mit ihrem Vater bis auf diese unglückliche Heiratssache mit Blifil gehabt, ausgenommen zur Verteidigung ihrer Mutter, welche sie sehr zärtlich geliebt, ungeachtet sie solche schon in ihrem elften Jahr verloren hatte. Der Junker, welchem diese arme Frau die ganze Zeit ihres Ehestandes hindurch beständig als eine getreue Oberaufseherin über das Hauswesen gedient, hatte diese treuen Dienste dadurch belohnt, daß er gegen sie das gewesen war, was man so einen guten Ehemann zu nennen pflegt. Er schalt und fluchte selten über sie (vielleicht die Woche nur einmal) und schlug sie niemals. Sie hatte nicht den geringsten Anlaß zur Eifersucht, und mit ihren Tagesstunden konnte sie anfangen was sie wollte; denn ihr Eheherr überlief sie zu keiner Zeit, weil er den ganzen Vormittag mit seinen weidmännischen Uebungen im Feld und Forst und den ganzen Nachmittag mit seinen nassen Brüdern zubrachte. In der That sah sie ihn selten anders als bei den Mahlzeiten, woselbst sie das Vergnügen hatte, von eben den Schüsseln vorzulegen, die sie vorher mit geholfen hatte anzurichten. Von diesen Mahlzeiten begab sie sich ungefähr fünf Minuten später hinweg als die übrigen Bedienten, indem sie bloß solange wartete, um des Junkers gewöhnliche politische Gesundheit mitzutrinken. Dies war so, wie es scheint, die Verordnung des Herrn Western; denn er hatte zum Sprichwort: die Weiber müßten mit der ersten Schüssel hereinkommen und nach dem ersten Glase wieder hinausgehen. Diesem Befehle Gehorsam zu leisten, mochte der guten Ehefrau eben wohl nicht schwer [303] sein; denn das Tischgespräch (wenn man's Gespräch nennen kann) war sehr selten so beschaffen, daß ein Frauenzimmer dabei Unterhaltung finden konnte. Es bestand mehrenteils in lautem Geschrei, Sanggeheule, Erzählungen von Jagdabenteuern, Zotenreißen und Durchhecheln der Weiber und der Landesregierung.

Dies waren gleichwohl die einzigen Tageszeiten, wo Herr Western seine Ehegattin sah: denn wenn er sich zu ihr ins Bett verfügte, war er gewöhnlich so benebelt, daß er nicht sehen konnte; und solange die Jagd offen war, stand er schon wieder auf, noch ehe der Tag graute. Auf diese Art war sie völlige Herrin ihrer Zeit und hatte dabei noch eine Kutsche mit vieren, über die sie gewöhnlicher Weise befehlen konnte; obgleich dabei das Unglück war, daß sie davon, wegen der schlechten Nachbarschaft und der schlechten Wege nur sehr geringen Nutzen hatte; denn niemand, der seinen Hals und seine Gebeine nur einigermaßen lieb hatte, mochte die Wege befahren, und wer nur irgend etwas mit seiner Zeit anzufangen wußte, mochte die Nachbarn nicht besuchen. Nun, um ganz offenherzig gegen den Leser zu sein, müssen wir gestehen, daß sie gegen diese großen Gefälligkeiten nicht alle die Erkenntlichkeit bezeigte, die man erwarten mochte; denn sie war von einem zärtlichen Vater wider ihren Willen verheiratet worden, weil diese Heirat auf ihrer Seite sehr vorteilhaft war, indem des Junkers Güter jährlich gegen dreitausend Pfund Sterling abwarfen und ihr ganzer Brautschatz sich nicht höher als achttausend Pfund belief. Hierdurch hatte sich etwas Trockenes und Finsteres in ihre Gemütsart geschlichen: denn sie war eine weit bessere Hausfrau, als eine gute Ehefrau. Dabei war sie auch nicht immer dankbar genug, den außerordentlichen Grad von lautlachender Fröhlichkeit, womit sie der Junker zuweilen zu empfangen pflegte, nur mit einem aufgeräumten Lächeln zu erwidern. Und überdem unterfing sie sich noch, sich zuweilen in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen, wie zum Exempel: in das übermäßige Trinken ihres Mannes, wogegen sie ihm bei den wenigen Gelegenheiten, die er ihr dazu gab, in den sanftesten Ausdrücken Vorstellung that. Und einmal in ihrem Leben bat sie ihn sehr ernsthaft, er möchte sie auf zwei Monat nach London führen, welches er ihr rund von der Hand abschlug; ja, nachher ihr dieser Bitte wegen beständig böse war, denn er wußte gar wohl, daß in der Hauptstadt alle Ehemänner das Jagdwappen an der Stirne trügen.

Aus dieser letzten und aus mancher andern guten Ursache hatte Western zuletzt seine Frau herzlich gehaßt; und so wie er ihr diesen Haß vor ihrem Tode niemals verhehlte, so wenig vergaß er ihn nachher, vielmehr, wenn ihm das Geringste in die Quere ging,[304] zum Exempel eine Fehljagd oder eine Seuche unter seinen Hunden oder andre dergleichen harte Plagen mehr, schüttete er allemal seine Galle in Schmähungen aus über die Verstorbene und pflegte zu sagen: »Wenn nun mein' Frau noch lebte, die würd' sich 'nmal freu'n darüber!« Besonders mochte er diese Schmähungen gerne in Sophiens Gegenwart hinwerfen: denn, sowie er sie mehr liebte als irgend etwas, so war er auch wirklich darüber eifersüchtig, daß sie ihre Mutter mehr geliebt hatte als ihn: und Sophie ermangelte bei solchen Gelegenheiten fast niemals, diese Eifersucht zu erhöhen; denn er begnügte sich nicht damit, bloß ihre Ohren mit den Stachelreden auf ihre Mutter zu beleidigen, sondern strebte auch darnach, zu allen diesen Schmähungen ihren ausdrücklichen Beifall zu erzwingen; welches Begehren er aber niemals, weder durch Versprechungen noch Drohungen, von ihr erhalten konnte.

Nach dem Gesagten wundern sich vielleicht einige meiner Leser, daß der Junker seine Tochter nicht ebensosehr haßte, als er ihre Mutter gehaßt hatte: aber ich muß sie belehren, daß Haß keine Wirkung der Liebe ist, selbst nicht durch Vermittlung der Eifersucht. Es ist wirklich einer eifersüchtigen Person sehr möglich, den Gegenstand ihrer Eifersucht zu töten, aber nicht ihn zu hassen. Da dieser Satz ein ziemlich harter Brocken ist und fast ein wenig nach Paradoxie schmeckt, so wollen wir hier das Kapitel schließen, um dem Leser Zeit zu lassen, ihn gehörig wiederkäuen zu können.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Sophiens großmütiges Betragen gegen ihre Tante.


Sophie sagte während der vorherigen Rede ihres Vaters kein Wort, und niemals antwortete sie anders, als durch einen Seufzer. Weil er aber von dieser Sprache, oder wie er's nannte, Augensprecherei, nichts verstand, so wollte er sich auch nicht ohne eine andre Billigung seiner Gedanken zufrieden geben. Diese Billigung begehrte er jetzt in dem gewöhnlichen Stil von seiner Tochter, indem er ihr sagte: er erwarte, daß sie ganz bereit wäre, jedermanns Partei gegen ihn zu nehmen, wie sie immer die Partei der Betze ihrer Mutter genommen hätte. Da Sophie noch immer schwieg, so schrie er heraus: »Was bist' stumm? Warum sprichst' nicht? War deine Mutter nicht en' vertrackte Betze gegen mich? Kannst's leugnen? he! Sieh, ich glaub' du veracht'st deinen Vater auch, un hältst'n nicht 'nmal gut genug, mit 'n zu sprechen!«

[305] »Ums Himmels willen, lieber Papa,« antwortete Sophie, »machen Sie von meinem Stillschweigen keine so grausame Auslegung! Wirklich, sterben wollt' ich lieber, als mich der geringsten Unehrerbietigkeit gegen Sie schuldig machen. Aber, wie kann ich es wagen, zu reden, wenn jedes Wort entweder meinen teuren Papa beleidigen, oder mich der schwärzesten Undankbarkeit und Gottlosigkeit gegen das Andenken der besten Mutter anklagen müßte? denn gewiß, das ist meine Mama beständig gegen mich gewesen.«

»Und deine Muhme, nicht wahr? is wohl die beste Schwester auch gegen mich!« versetzte der Junker, »willst' wohl so gut sein und zugeben, das die en' Betze ist? Das darf 'ch doch wohl mit Recht und Billigkeit fordern von dir, sollt' ich denken!«

»In der That, liebster Papa,« sagte Sophie, »ich habe meiner Tante sehr viel zu verdanken. Sie hat an mir gehandelt, als eine zweite Mutter.«

»Und als 'n zweites Weib, gegen mich auch dazu!« erwiderte Western. »So so, so willste der ihre Partie auch nehm'n? Willst nicht bekennen, daß sie sich aufgeführt hat gegen mich als die schändlichste Schwester von der Welt?«

»Auf mein Wort, teuerster Papa,« sagte Sophie, »ich müßte mein eigenes Herz böslich belügen, wenn ich das thäte! Ich weiß es, Sie und meine Tante weichen in Ihrer Art zu denken voneinander ab: aber ich habe sie wohl tausendmal die größte Zuneigung gegen meinen Papa ausdrücken gehört; und nach meiner innigsten Ueberzeugung ist sie so wenig die schlechteste Schwester von der Welt, daß es vielmehr sehr wenige Schwestern gibt, die mehr Liebe für einen Bruder haben können.«

»Beim Licht besehen,« antwortete der Junker, »soll das wohl wieder soviel heißen, als: Papa hat unrecht. O ja, gewiß! Ja ja, wie könnt's anders zugehen? 'S Weib hat immer recht, und der Mann muß immer unrecht hab'n.«

»Verzeihen Sie mir, lieber Papa,« sagte Sophie, »so sag' ich nicht.«

»Was? sagst' nicht so?« antwortete der Vater. »Bist' nicht so unverschämt, zu sagen, sie hat recht? Folgt's denn nicht wie Hund uf Hasen, daß ich muß unrecht hab'n? Und vielleicht hab' ich unrecht, daß ich's leide, daß so en' Hofschranzenbetze mir ins Haus kommen darf! Wer weiß, ob's mich nicht gar 'mal bei Hof verklagt und mich angibt, wenn 'ch mal so was über diese dumme Regierung sage und sie nicht sogar meine Länder und Güter dem König zuschanzt!«

»Soweit, liebster Papa, ist sie davon entfernt,« sagte Sophie, »daß sie gegen Sie, oder Ihre Güter Böses im Sinne haben sollte, [306] daß ich überzeugt bin, wäre meine Tante gestern gestorben, sie hätte Ihnen Ihr ganzes Vermögen hinterlassen.«

War es wirklich Sophiens Absicht, oder nicht, das maße ich mir nicht an zu entscheiden; so viel ist aber gewiß, die letzten Worte drangen sehr tief in die Ohren ihres Vaters, und brachten eine weit sichtbarere Wirkung hervor als alles übrige, was sie bis dahinge sagt hatte. Als ihn der Schall traf, machte er eben die Bewegung, wie ein Mann, den eine Musketenkugel in den Kopf trifft. Er stutzte, schwankte und ward blaß. Hierauf blieb er einige Minuten stumm; und brachte dann stotternd folgendes hervor: »Gestern! Ihre Güter mir hinterlassen! hatt' sie? W'rum eb'n gestern, von all'n Tagen im Jahr? hm! so! Also; wenn 's nu morgen stirbt, so läßt sie 's ein'n andern, und der wohl nicht 'mal zur Familie gehört!« – »Meine Tante,« fiel ihm Sophie in die Rede, »ist freilich sehr aufgebracht, und ich möchte für nichts Bürge sein, solange das bei ihr dauert.«

»So? möcht'st du nicht!« rief der Vater; »he! sag' doch mal, wer ist schuld, daß sie aufgebracht ist? Und noch dazu, wer eigentlich ist's, der 's so aufg'bracht hat? du und sie, wart ihr nicht hart an 'n ander, ehr' ich noch h'rein kam? und noch dazu, kam nicht das ganz' arme Leb'n um dich her? Ich, ich habe manch liebes Jahr mit Schwester nicht gezankt, als um dich; und nu möchtste gern mir's Wasser in d' Schuh gießen. Und so, als ob's ich gethan hätt', wenn sie ihr' Güter aus'r Familie vermacht. – Konnt's ja wohl vorhersehn, daß mir's so gehen würd'! Das wird wohl so all dein Dank sein, vor mein' schöne Lieb' und Zärtlichkeit, die 'ch vor dich g'habt hab'!«

»Ich bitte also« rief Sophie, »auf meinen Knieen bitte ich Sie, wenn ich die unglückliche Veranlassung zu dieser Veruneinigung gewesen bin, daß Sie suchen wollen, es bei meiner Tante wieder gutzumachen und nicht zu leiden, daß sie in diesem heftigen Zorn Ihr Haus verlasse. Sie hat ein sehr versöhnliches Gemüt und wird sich durch ein paar höfliche Worte besänftigen lassen. O, ich bitte, bitte, liebster Papa.«

»So! so soll ich hingehen und um Vergebung bitten, was du g'sündigt hast, nicht? muß ich?« antwortete Western, »du hast den Hasen abspring'n lass'n, und ich muß nu in Kreuz und Quer reiten, um 'n wieder vorzubringen. Je nun, ja! wenn ich gewiß wüßt« – – Hier stockte er, und da Sophie mit ihrem Bitten fortfuhr, ließ er sich endlich bereden; und nachdem er erst zwei oder drei stachelige Redensarten gegen seine Tochter ausgestoßen hatte, wackelte er so schnell fort als er konnte, um seine Schwester herumzubringen, eh' noch ihre Pferd' und Wagen fertig gemacht werden könnten.

[307] Sophie begab sich hierauf nach ihrem Trauergemache, woselbst sie (wenn ich den Ausdruck brauchen darf) sich mit dem ganzen Ueberflusse ihres zärtlichen Grames gütlich that. Sie las den Brief, den sie von Jones erhalten hatte, mehr als einmal wieder durch; auch ihr Muff ward bei der Gelegenheit gebraucht; und sie badete diese beide sowohl, wie sich selbst in ihren Thränen. In dieser Lage ihres Herzens wendete die freundschaftliche Jungfer Honoria ihre äußerste Geschicklichkeit an, um ihre betrübte Herrschaft zu trösten. Sie nannte hintereinander die Namen mancher jungen Herren her; und nachdem sie ihre Personen und Geistesgaben weidlich herausgestrichen hatte, versicherte sie Sophien, sie könne dreist darunter wählen, welchen sie wolle. Diese Methode muß gewiß schon mit gutem Erfolge bei Krankheiten von dieser Art angewendet worden sein, sonst würde ein so geschickter Arzt, als Jungfer Honoria, gewiß nicht gewagt haben, damit den ersten Versuch zu machen; ja, ich habe gehört, daß das Kollegium der Kammerjungfern dieses Remedium für so zuverlässig und allgemein halte, als nur irgend eines unter allen weiblichen Verschreibungen zu finden sei. Allein, ob Sophiens Krankheit innerlich von jenen Fällen verschieden war, mit welchen sie die äußerlichen Anzeichen gemein hatte, das kann ich hier nicht ausmachen; in der That aber machte es die gute Kammerzofe dadurch eher schlimmer als gut, und brachte endlich ihre Herrschaft in eine solche Hitze (und das war keine so leichte Sache), daß sie die Schnürjungfer mit zorniger Stimme aus ihrer Gegenwart entfernte.


Ende des ersten Bandes. [308]

Siebentes Buch [2]

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Enthält eine große Manigfaltigkeit von Materien.


Der Junker holte seine Schwester ein, als sie eben in ihre Kutsche steigen wollte, und brachte sie teils mit Gewalt, teils mit guten Worten dahin, daß sie befahl, wieder auszuspannen und die Pferde wieder in den Stall zu ziehen. Das Unternehmen glückte ihm ohne sonderliche Schwierigkeit; denn, wie wir bereits zu verstehen gegeben: die Dame war von sehr friedfertiger Gemütsart und hatte ihren Bruder sehr lieb, ob sie gleich seinen Verstand, oder vielmehr seine wenige Weltkenntniß, gering schätzte.

Die arme Sophie, welche die erste gewesen, diese Aussöhnung in Vorschlag zu bringen, ward nun selbst das Opfer. Beide vereinigten sich in ihrem Tadel über deren Aufführung; sie erklärten ihr mit gemeinschaftlichen Kräften den Krieg und hielten augenblicklich zusammen Rat, wie sie solchen am nachdrücklichsten führen sollten. Zu diesem Endzweck schlug die gnädige Tante von Western vor, nicht nur aufs fördersamste die Traktate mit Herrn Alwerth zu [5] schließen, sondern sie auch ebenso unmittelbar in Erfüllung zu bringen, und sagte dabei: Es sei kein andrer Weg mit ihrer Nichte durchzukommen, als auf gewaltsame Weise, welcher zu widerstehen, nach ihrer Ueberzeugung, Sophie nicht Entschlossenheit genug habe. »Mit der gewaltsamen Weise,« sagte sie, »meine ich eigentlich schleunige Maßregeln: denn an Gefangenschaft oder buchstäbliche Gewaltsamkeit kann und darf nicht gedacht werden. Unser Plan, den wir verabreden, muß auf Ueberrumpelung gehen, und nicht auf einen Sturm.«

Diese Dinge waren ausgemacht und beschlossen, als Herr Blifil kam, um seiner Braut einen Besuch zu machen. Sobald der Junker Western seine Ankunft vernahm, schlich er sich auf seiner Schwester Rat hin zu seiner Tochter, um ihr Ordre zu geben, daß sie ihren Liebhaber auf die gehörige Weise empfangen sollte; dieses that er [5] mit den bittersten Flüchen und Drohungen schrecklicher Folgen, wenn sie sich dessen weigerte.

Die Heftigkeit des Junkers warf alles vor sich nieder, zu Boden, und Sophie, wie ihre Tante sehr weislich vorhergesehen hatte, war nicht vermögend, ihm zu widerstehen. Sie willigte also ein, Herrn Blifil anzunehmen, ob sie gleich kaum so viel Kraft oder Atem hatte, ihre Einwilligung auszusprechen. In der That war es nicht so leicht, einem Vater, den sie so zärtlich liebte, so rundweg eine abschlägige Antwort zu geben. Wäre dieser Umstand nicht hinzugekommen, so hätte sie vielleicht weit weniger Entschlossenheit gebraucht, als sie wirklich besaß; allein es ist eben so ungewöhnlich nicht, daß man solche Handlungen bloß der Furcht zuschreibt, welche großenteils eine Wirkung der Liebe sind.

In Befolgung ihres Vaters gemessenster Befehle also nahm jetzt Sophie den Besuch des Herrn Blifil an. Auftritte wie dieser, wenn sie nach allen Teilen ausgemacht werden, geben, wie wir bereits angemerkt haben, dem Leser sehr wenige Unterhaltung. Wir werden uns demnach hier ganz genau an eine von Horazens Regeln halten, durch welche die Schriftsteller angewiesen werden, alle solche Sachen wegzulassen, welche sie in ein helles Licht setzen zu können verzweifeln. Eine Regel, welche nach unsrer Meinung sowohl für den Geschichtschreiber als für den Dichter von ungemeinem Nutzen ist, und deren Befolgung wenigstens die gute Wirkung haben muß, daß manches große Uebel (und so heißen alle dicken Bücher) dadurch zu einem kleinen heruntergebracht werde.

Es ist möglich, daß die große Kunst, welche Blifil bei diesem Besuch anwendete, Sophie dahin gebracht haben könnte, einen andern Mann in seinen Umständen zu ihrem Vertrauten zu machen und ihm das ganze Geheimnis ihres Herzens zu entdecken. Allein sie hatte sich von diesem jungen Herrn eine so schlechte Meinung in den Kopf gesetzt, daß sie sich entschlossen hatte, ihm nicht das geringste Vertrauen zu schenken. Denn wenn ein kunstloses Herz einmal erst mißtrauisch geworden ist, so kann solches es oft mit der List selbst aufnehmen. Ihr Betragen gegen ihn war sonach gänzlich gezwungen, und wirklich so beschaffen, wie es gemeiniglich den Jungfrauen bei einem zweiten förmlichen Besuche von demjenigen, der zu ihrem Ehemanne bestimmt ist, vorgeschrieben zu werden pflegt.

Unterdessen, obgleich Blifil sich gegen den Junker erklärte, daß er mit der erhaltenen Aufnahme völlig vergnügt sei, so war doch dieser Herr, der in Gesellschaft mit seiner Schwester alles belauscht hatte, nicht so gänzlich damit zufrieden. Er beschloß also, dem Rate dieser weisen Dame zufolge die Sache in aller Schnelligkeit so weit als möglich zu treiben, und indem er seinen künftigen Schwiegersohn [6] in Hoffnung nach seiner Weidmannssprache anredete, schrie er nach einem lauten Holla: »Hinteran, hinteran, Gesell! Muntre dich auf, lustig, da ist's, da ist's, da ist's, ehrlicher Bursch! Laß nicht ab, laß nicht ab! – Was thust so blöde, steh' nicht da, soll ich? darf ich? – Alwerth und ich könn'n heut nachmittag die Sach' unt'r uns abmachen, und laß uns gleich morgen im Tag' Hochzeit haben.«

Nachdem Blifil die äußerste Freude und Zufriedenheit in seinen Mienen zusammengerafft hatte, antwortete er: »Da nichts in dieser Welt ist, mein Herr von Western, was ich so sehnlich wünsche, als eine Verbindung mit Ihrer Familie, ausgenommen meine Bereinigung mit dem höchst liebenswürdigen und verdienstvollen Fräulein Sophie, so können Sie sich leicht einbilden, wie ungeduldig ich sein muß, mich im Besitz meiner beiden angelegentlichsten Wünsche zu sehen. Wenn ich also in dieser Sache Ihnen nicht bringender angelegen habe, so werden Sie es bloß meiner Furcht zuschreiben, dem Fräulein dadurch mißfällig zu werden, wenn ich mich bestrebte, eine so glückliche Begebenheit mit größerer Eile zu Ende zu bringen, als es die strengste Anhänglichkeit an alle Regeln des Wohlstandes erlauben möchte. Wenn Sie es aber, mein Herr Western, durch Ihre Ueberredung bei ihr dahin zu bringen vermöchten, daß sie nicht darauf achten wollte, was Formalitäten« –

»Formalitäten und alle Hagel!« unterbrach ihn der Junker. »Puh, was soll der Schnickschnack? Ich sage dir, sie soll dein sein, morgen im Tag! Wirst besser wissen, wie's in der Welt zugeht, biste nur erst so alt wie ich. Ja, Weibsen werd'n dir auch Ja sagen, da kannst' lange warten! 'S dürfen ja nicht, 's ist ja nicht Mode! Ja, hätt' ich so lang gewart't, bis ihre Mutter Ja gesagt hätt', da stünd ich 'r noch vor dir, als 'n Einspänner! – Drauf los, drauf los! Geh' ihr nicht von der Ferse, sag' ich dir. Da steckt's! sag' ich dir, wackrer Kumpe. Ich sag' dir's, morgen früh sollst's haben.«

Blifil ließ sich's gefallen, der andringlichen Beredsamkeit des Junkers gehörig nachzugeben, und nachdem man darüber eingekommen war, daß Western noch denselbigen Nachmittag mit Alwerth abschließen sollte, machte sich der Bräutigam wieder auf den Weg nach Hause, bat aber vorher noch sehr ernsthaft, man möchte dem jungen Fräulein durch diese Eile keine Gewalt anthun auf eben die Art, wie ein spanischer Inquisitor den weltlichen Richter bittet, mit dem Ketzer nicht gewaltsam zu verfahren, der ihm überliefert wird, und welchen die heilige Kirche bereits zum Scheiterhaufen verdammt hat.

Und die Wahrheit zu sagen, Blifil hatte Sophien gleichfalls schon verdammt. Denn so vergnügt wie er sich auch gegen Western [7] über seine Aufnahme gestellt hatte, so war er damit doch nichts weniger als zufrieden; denn alles, was er dabei gewonnen hatte, war die innige Ueberzeugung, daß ihn seine Braut haßte und verabscheute, und dies hatte dann nicht weniger gegenseitigen Haß und Verachtung bei ihm hervorgebracht. Vielleicht fragt man, warum er denn nicht auf einmal von seiner Bewerbung abgestanden sei? Ich antworte, grade eben aus dieser Ursache sowohl, als aus verschiedenen andern ebenso triftigen, welche wir jetzt sogleich dem Leser eröffnen wollen.

Obgleich Herr Blifil nicht einerlei Blutmischung mit unserm Jones hatte, und auch nicht ebenso allzeit fertig war, sich an jeder Weibsperson zu erlaben, die er erblickte, so mangelte es ihm doch keineswegs so gänzlich an dem Appetite, von welchem man sagt, daß er dem ganzen Tierreiche gemein sein soll. Neben diesem hatte er gleichfalls jenen unterscheidenden Geschmack, welcher dazu dient, die Menschen in der Wahl der Gegenstände oder des Futters für ihre verschiedenen Appetite zu leiten, und dieser lehrte ihn, Sophien als einen sehr schmackhaften Bissen zu betrachten, und sie wirklich mit eben der Begierde anzusehen, welche ein Ortolan der Seele eines Epikureers einflößt. Nun aber vermehrte der Kampf, welcher in Sophiens Seele vorging, ihre Schönheit vielmehr, als daß er solche verringert hätte; denn ihre Thränen erhöhten den Glanz ihrer Augen, und ihr Busen schwoll höher empor bei ihren Seufzern. In der That hat derjenige noch nie die Schönheit in ihrem höchsten Glanze gesehen, der sie noch nie in Kummer erblickte. Blifil sah also auf diesen menschlichen Ortolan mit größerer Begierde, als er ihn das vorige Mal betrachtet hatte, und diese Begierde ward auch nicht im geringsten durch den Abscheu vermindert, welchen er bei ihr vor seiner Person entdeckte. Er diente vielmehr dazu, das Vergnügen zu vergrößern, welches er sich beim Genuß ihrer Reize versprach, weil er der Wollust noch Triumph hinzufügte; ja, er hatte noch so einige fernere Absichten bei dem völligen unumschränkten Besitze ihrer Person, welche wir zu sehr verabscheuen', um sie nur zu nennen, und selbst die Rachgier hatte einigen Anteil mit an der behaglichen Befriedigung, die er sich versprach. Der Gedanke, daß er den Jones ausstäche und aus ihrem Herzen vertriebe, gab seinen Bewerbungen noch einen neuen Sporn, und versprach ihm einen neuen Zuwachs von Entzücken bei seinem Genuß.

Bei allen diesen Absichten, welche einigen grillenhaften Leuten vielleicht ein wenig zu stark nach Schadenfreude schmecken mögen, hatte er noch einen Punkt ins Auge gefaßt, welchen wohl wenige Leser mit großem Abscheu betrachten mögen, und dies waren Herrn Westerns Güter, die alle auf seine Tochter und deren eheliche [8] Leibeserben fallen sollten. Denn so ausschweifend war die Liebe dieses zärtlichen Vaters: wenn nur sein Kind einwilligen wollte, elend zu sein mit dem Ehemann, den er wählte, so war's ihm gleichviel, um was für einen hohen Preis er dieses väterliche Vergnügen erkaufte.

Aus diesen Gründen war Herr Blifil so begierig auf die Verbindung, daß er sich vornahm, Sophien zu täuschen, indem er sich stellte, als ob er sie liebte, und ihren Vater und seinen eignen Onkel dadurch zu hintergehen, daß er that, als ob er von ihr geliebt würde. Bei diesem Vornehmen half er sich mit der Frömmigkeit des Herrn Schwögers, welcher dafür hielt, daß, wenn der vorgesetzte Endzweck nur fromm und religiös sei (wie wirklich doch der Ehestand ist), so käm' es nicht darauf an, wenn auch die Mittel schändlich wären. So wie er bei andern Gelegenheiten die Philosophie des Herrn Quadrats anzuwenden pflegte, welche lehrte, der Endzweck sei eben nichts Wesentliches, wenn nur die Mittel rein wären und mit der moralischen Regel des Rechts bestehen könnten. Die Wahrheit zu sagen gab es wenige Vorfälle im menschlichen Leben, bei welchen er nicht aus den Lehrsätzen des einen oder des andern dieser großen Männer hätte großen Nutzen ziehen können.

Es bedurfte eben keiner großen Hinterlist oder großen Betrugs bei Herrn Western, welcher die Neigung seiner Tochter von ebenso geringer Bedeutung bei der Sache hielt, als sie dem Herrn Blifil nach seiner eigenen Meinung nötig war. Da indessen Herr Alwerth eine ganz andere Art von Gesinnungen hegte, so war es durchaus notwendig, diesen zu täuschen. Hierbei hatte unterdessen Herr Blifil an Herrn Western einen so guten Gehilfen, daß es ihm ohne Schwierigkeit gelang. Denn da Herr Alwerth von Sophiens Vater die Versicherung erhalten hatte, daß seine Tochter die erforderliche Neigung für Blifil habe und daß alles, womit er sie in Ansehung Jones' in Verdacht gehabt hätte, völlig falsch gewesen sei, so brauchte Blifil weiter nichts zu thun, als dieses Vorgeben zu bestätigen, welches er mit doppelsinnigen Worten that, daß er für sein Gewissen noch immer einen Rückhalt behielt, und er hatte das Vergnügen, seinem Onkel eine Lüge beizubringen, ohne die Sünde zu begehen, daß er sie sagte. Als er von Herrn Alwerth über den Punkt von Sophiens Neigung befragt ward, welcher sagte: er wolle auf keinerlei Weise etwas dazu beitragen, daß ein junges Frauenzimmer wider ihren Willen zu einer Heirat gezwungen würde, so antwortete er: »Es wäre sehr schwer, hinter die wahren Gesinnungen eines jungen Frauenzimmers zu kommen: ihr Benehmen gegen ihn sei völlig so gütig, als er es wünschte, und wenn er ihrem Vater glauben dürfe, so hätte sie alle die Liebe für ihn, welche nur irgend ein Liebhaber[9] sich wünschen könne. Was den Jones betrifft,« sagte er, »den ich ungern einen Schurken nenne, obgleich seine Aufführung gegen Sie, mein bester Onkel, die Benennung hinlänglich rechtfertigt, so mag ihn wohl seine große Eitelkeit oder sonst schändliche Absichten verleitet haben, sich einer Falschheit zu berühmen. Denn, wenn wirklich an Fräulein Westerns Liebe für ihn etwas Wahres gewesen wäre, so würde die Größe ihres Vermögens ihm niemals gestattet haben, sie zu verlassen, wie er doch gethan hat, wie Sie wohl wissen. Und am Ende, mein liebster Onkel, versichre ich Sie, würde ich selbst um keinen Preis in der Welt, ja um die ganze Welt selbst nicht drein willigen, das Fräulein zu heiraten, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß sie alle die Liebe zu mir hätte, welche ich von ihr wünsche.«

Diese vortreffliche Methode, eine Unwahrheit bloß mit dem Herzen zu verhandeln, ohne die Zunge einer Lüge schuldig zu machen, indem man sich des Mittels doppelsinniger Worte und Redensarten bedient, hat das Gewissen manches großen Betrügers beruhigt; und dennoch, wenn wir bedenken, daß es die Allwissenheit ist, welche sie zu hintergehen trachten, so möchte doch wohl so viel erhellen, daß diese Mittel nur einen sehr hinfälligen Trost verleihen können, und daß die künstliche und überfeine Distinktion zwischen eine Lüge mitteilen und eine Lüge sagen kaum der Mühe wert sei, welche sie dem Betrüger kostet.

Alwerth setzte kein Mißtrauen in dasjenige, was ihm die Herren Western und Blifil sagten, und der Ehekontrakt war in Zeit von zweien Tagen verabredet. Nichts blieb übrig zu thun, bevor der Priester sein Amt verrichtete, als die Amtsverrichtung des Rechtsgelehrten; aber diese drohte so viel Zeit hinwegzunehmen, daß Western sich erbot, sich lieber durch alle Arten von eidlichen Versprechungen zu binden, als das Glück des Brautpaars noch länger zu verschieben. In der That war er so ernst und dringend, daß eine gleichgültige Person daraus hätte schließen sollen, er wäre bei dieser Heirat noch mehr Hauptperson als er wirklich war. Aber diese Hitze war ihm bei allen Gelegenheiten natürlich; und alles, was er unternahm, betrieb er auf eine Art, als ob das Gelingen dieser einzigen Sache von der Wichtigkeit wäre, daß die Glückseligkeit seines ganzen Lebens davon abhinge.

Dies vereinigte Anhalten und Andringen beider, des Schwiegervaters und Schwiegersohns, hatte vermutlich Herrn Alwerth an der weichen Seite getroffen, welcher es nicht gut übers Herz bringen konnte, die Glückseligkeit seines Nebenmenschen auf die lange Bank zu schieben, hätte Sophie selbst es nicht verhindert und solche Maßregeln ergriffen, die dem ganzen Traktate ein- für allemal ein [10] Ende machten, und beide, die Geistlichkeit und die Juristen, um die Sporteln brachten, welche diese weisen Gesellschaften für diensam erachtet haben, auf eine rechtskräftige Weise der Vermehrung des Menschengeschlechts zu legen. Davon im nächsten Kapitel ein mehreres.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Eine sonderbare Entschließung Sophiens; und eine noch sonderbarere Kriegslist der Jungfer Honoria.


Jungfer Honoria war freilich hauptsächlich auf ihr eigenes Frommen bedacht; indessen war sie doch nicht so ganz ohne alle Anhänglichkeit an Sophie. Die Wahrheit zu sagen, so war es für jedermann sehr schwer, dieses junge Fräulein zu kennen, und es nicht zu lieben. Sie hörte also nicht so bald eine Neuigkeit, die ihr für ihr Fräulein von großer Wichtigkeit schien, als sie allen ihren Zorn und Unwillen, den sie vor zwei Tagen über die unfreundliche Verweisung aus Sophiens Gegenwart empfunden hatte, vergaß und stracks hinlief, ihr diese Zeitung zu hinterbringen.

Sie plumpte ebenso mit ihrer Rede heraus, als sie ins Zimmer hereingeplatzt war. »O liebst' 'R Gnaden,« sagte sie, »was sagen gnädige Frölen darzu? Mein'r Ehr', mir stehn drüber die Haare zu Berg'. Doch, dacht' ich, 's wäre meine Schuldigkeit, es 'R Gnaden zu sag'n, ob's m'r gleich Ungnädigkeit zuziehen kann; denn wir armen Bediensteten wissen nicht immer, was unsere Damens ungnädig machen kann; denn vorwahr, 'ne Kammerjungfer muß immer alles ausbad'n. Wenn unsre gnädigen Damens nicht in Laune sind, so schmälern sie mit uns, und, mein'r Ehr'! 's soll mich nicht wundern, wenn 'R Gnaden mißlaunisch wären; o ja freilich, 's muß Sie erstaunen, und erschrecken obendrein noch.« – »Liebe Nore, lasse Sie mich ohne längere Vorrede hören, was Sie hat,« sagte Sophie; »es gibt sehr wenige Dinge, ich versichre Sie, worüber ich erstaune, und noch weniger, worüber ich erschrecke.« – »Liebste 'R Gnaden,« antwortete Honoria, »vorwahr, auf meine Ehr', ich hab' unsern gnädigen Herrn mit Pastor Schickelmann so von fern sprechen hören, von'n Freischein zur Trauung hol'n, noch heut nachmittag; und mein'r Ehr, ich hört 'n sag'n, 'R Gnaden sollt'n morgen vormittag getraut werden.« Sophie ward bleich und blaß bei diesen Worten, und wiederholte hastig: »Morgen vormittag!« – »Ja, ja, 'R Gnaden; 'ch will mein'n körperlichen Eid drauf thun, daß ich's unsern gnädigen Herrn hab' sagen hören.« – »Nore,« sagte Sophie, »Sie hat mir ein solches Erstaunen und Schrecken gemacht, daß ich kaum [11] noch Atem schöpfen kann. Was soll ich bei meiner so fürchterlichen Lage anfangen?« – »Ich wollt' wünschen, 'ch könnt 'R Gnaden 'n guten Rat geben,« sagte sie. – »Thu Sie's, rate Sie mir,« sagte Sophie; »liebstes Norchen, ich bitte, gebe Sie mir einen guten Rat! Was meint Sie, würde Sie thun, wenn Sie an meiner Stelle wäre.« – »Vorwahr, gnädiges Frölen,« rief Honoria, »ich wollt' wünschen, 'R Gnaden und ich könnten tauschen; das ist, ich meine nur so, ohn' daß 's 'R Gnaden zu nah thät'; denn vorwahr! so bös mein' ich's mit 'R Gnaden nicht, daß ich wünschen sollt', Sie wären eine arme Kammerjungfer; sondern nur so, weil ich, wenn ich an 'R Gnaden Stelle wär', es mir ganz gemütlich sein sollt. Denn nach meiner geringen Meinung ist der junge Herr von Blifil ein so scharmanter, süßer, schöner Mann« – »Sage Sie mir nicht solch dummes Zeug vor!« rief Sophie. – »Dumm Zeug! dumm Zeug!« wiederholte Honoria. – »Ja, nun so! – Man mag wohl sagen: ein's Menschen sein' Speise, ist des andern Menschen sein Gift; und das ist, mein'r Ehr', ebenso wahr von's Weibsen.« – »Nore,« sagte Sophie, »ehe ich darein willigte, die Frau eines so elenden, verächtlichen Menschen zu werden, wollte ich mir einen Dolch ins Herz stoßen.« – »O Jemini! 'R Gnaden,« antwortete die andere, »vorwahr, Sie mach'n, daß 'ch zittr' und bebe, wie ein Hespenblatt. Lassen 'R Gnaden sich doch erbitten, und leid'n 'R Gnaden nicht, daß Ihnen ein so sinnloser Gedanke in 'n Kopf steige. O Jemini! Ich krieg' davon ein' Gänsehaut über mein'n ganzen Leib. O teuerste 'R Gnaden, bedenken 's doch! kein ehrlichs Begräbnis zu kriegen, bei frommer Christen Grab! und Ihre Leiche so hinschleppen zu lassen, an die Landstraßen und Zäune, und 'n großen Pfahl durchschlag'n zu lass'n, wie sie mit 'n Pachter Dreyer zu Ox-Croß umsprungen! und vorwahr, nun kann sein' arme Seele nicht zu Gnaden komm'n, und spukt da alle Nächte herum, denn 's haben 'n viel Leute gesehn. Vorwahr und sicher! Nichts in der Welt, als der leibhaftige Gott sei mit uns! kann 'n Menschen solche arge Gedanken einblasen; denn 's läßt sich nichts Aergers und Gottlosers denken. Lieber die ganze Welt zu Grund' richten, als sich Schaden an seinem eignen lieben Leibe thun; das hab' ich von mehr als ein'n P'storen sagen hören! – Wenn 'R Gnaden so 'n gräulichen Abscheu für den jungen Herrn haben, und so 'ne gräßliche Pike, daß Ihnen schon graust, wenn Sie nur dran denken, daß 'R Gnaden mit 'm zu Bett gehn soll'n! – Ja, freilich wohl, mag's solche Anterpartien in der Welt geben, daß einer lieber eine Kröte anfaßt, als das Fleisch von g'wissen Leuten. Ja, worum nicht?« –

Sophie war viel zu tief im Nachdenken versunken, um auf die vorhergehende gar ausbündige Rede ihrer Kammerjungfer die gehörige [12] Aufmerksamkeit verwenden zu können; sie fiel ihr also ein, ohne im geringsten darauf zu antworten, und sagte: »Liebes Norchen! Ich habe einen Entschluß gefaßt. Es ist bei mir ausgemacht, ich verlasse meines Vaters Haus noch diese Nacht; und wenn Sie die Freundschaft für mich hegt, die Sie mir oft beteuert hat, so wird Sie mir Gesellschaft leisten.« – »Das will ich, 'R Gnaden, so weit hin, da die Welt mit Brettern zugenagelt ist,« antwortete Honoria. »Aber ich bitt 'R Gnaden, bedenken 's wie 's gehn wird, ehr Sie 'ne unkluge That begehn. Wo könn'n 'R Gnaden wohl hingehn?« – »Ich kenne eine vornehme Dame in London,« versetzte Sophie, »die mir verwandt ist, welche verschiedene Monate bei meiner Tante auf dem Lande zubrachte, die mir während der ganzen Zeit gar viel Freundschaft erzeigte, und ein solches Wohlgefallen an meiner Gesellschaft hatte, daß sie meine Tante sehr dringend bat, sie möchte mir erlauben, daß ich mit ihr nach London gehen dürfte. Und es ist eine sehr wohlbekannte Dame, so, daß ich solche ganz leicht werde ausfragen können, und ich zweifle keineswegs, daß sie mich sehr gütig und freundschaftlich aufnehmen wird.« – – »Wohl gut, aber nicht allzugut!« versetzte Honoria. »Ich wollt' doch nicht, daß 'R Gnaden sich gar zu fest darauf verlassen thäten! Denn die erste Dame, die ich bediente, bat auch die Leute gar dringlich, 's sollten s' besuchen, und hernacher, wenn sie hörte, sie kämen: ja da ging 's ihn'n weit aus'm Wege. Darzu auch mein'r Ehr', wenn's auch dieser Dame sehr lieb wär', 'R Gnaden zu sehn, und Krety und Plethy muß das lieb sein, 'R Gnaden zu sehn, vorwahr! Aberst, wenn sie denn hört, daß 'R Gnaden so weggeloffen sind vom gnädigen Herrn« – »Da irrt' Sie sich, gute Nore,« sagte Sophie. »Sie hat gar keine so hohe Begriffe von der Macht eines Vaters, als ich habe. Denn sie bestand gar gewaltig darauf, daß ich mit nach London gehen sollte, und als ich mich weigerte, ohne Einwilligung meines Vaters mit ihr zu gehn, da lachte sie, und höhnte mich aus, und nannte mich ein einfältiges Landfräulein, und sagte, ich würde ein gehorsames Eheweib werden, weil ich ein so pflichtvolles Kind gegen meinen Vater wäre. – Sonach zweifle ich nicht, sie wird mich nicht nur aufnehmen, sondern auch beschützen, bis mein Vater, wenn er sieht, daß ich nicht mehr in seiner Gewalt bin, wieder auf billigere Gedanken gebracht werden kann.« – »Wohl gut genug,« antwortete Honoria, »aber wie meinen 'R Gnaden aus'm Hause zu komm'n? Wo nehmen Sie Pferd' her und Wagen, und so was? Denn 'R Gnaden eignes Reitpferd – ja, da wissen's die Knechte, daß 's zwischen 'n gnädigen Herrn und meiner gnädigen Frölen nicht so recht richtig ist; und Robert läßt sich ehr häng'n, als daß ers aus'm Stall läßt, wenn's unser gnädige Herr nicht selbst befiehlt.« – »Ich [13] denke aus'm Hause zu kommen, wie man daraus kommt,« sagte Sophie, »wenn man aus der Thüre geht, weil sie offen ist. Meine Füße sind, dem Himmel sei Dank, recht gut im stande mich zu tragen! Haben sie mich doch manchen langen Abend getragen, wenn ich nach einer Geige mit einem nicht sehr angenehmen Tänzer tanzte, und sicherlich werden sie mich nicht im Stiche lassen, wenn ich einem so verhaßten Tänzer auf meine ganze Lebenszeit zu entweichen suche.« – »O Jemini! Wissen 'R Gnaden auch was Sie sagen?« schrie Honoria. »Woll'n gnädiges Frölen wohl so bei nachtschlafender Zeit, so allein zu Fuß, durch Heid' und Weid gehn?« – »Nicht allein,« antwortete Sophie; »Sie hat mir ja versprochen, mir Gesellschaft zu leisten.« – »Nun ja, vorwahr!« sagte Honoria, »'ch will 'R Gnaden durch d' ganze Welt folgen. Aberst, 'R Gnaden, sind damit nicht besser, als mutterseelallein! denn ich, ja ich kann 's nicht schützen, wenn Räuber und andre Schelme Sie überfall'n sollt'n. Ach nöh! ich würd' mich eb'nso entsetzlich fürcht'n als 'R Gnaden; denn, mein' Ehr', sie würd'n uns, ohn' Gnad' und Barmherzigkeit, all' beide Notzucht anthun: und denn, bedenk'n 'R Gnaden, wie kalt die Nächte jetzunder sind! Wir frieren gewiß zu Tode.« – »Ein guter, rascher Schritt wird uns vor Kälte schützen,« antwortete Sophie. »Und wenn Sie mich nicht vor Räubern schützen kann, Honoria, so will ich Sie beschützen; denn ich will eine Pistole mitnehmen, es hängen immer welche im Vorsaale, die geladen sind.« – »Teureste 'R Gnaden,« – schrie Honoria, »Sie jagen mir größere Bangigkeit ein. Gnädigs Frölen werden's doch vorwahr nicht losschießen woll'n? Lieber laß mir's gehn, wie's der Himmel will, als 'R Gnaden das thun sollt'n.« – »Wie so?« sagte Sophie mit Lächeln; »wollte Sie nicht lieber, daß ich auf jeden Verwegenen eine Pistole abschösse, der ihre Tugend rauben wollte?« – »Wohl wahr, 'R Gnaden,« schrie Honoria, »Tugend ist 'n teur und wertes Ding! besonders vor uns arme Kammerjungfern, weil's unsre ganze Mitgabe ist, wie man wohl recht hat, zu sag'n: Aberst, ich kann's Schießen vorn Tod nicht leiden! 'S kommt so'n manch Unglück d'raus!« – »Nun gut denn!« sagte Sophie, »ich glaube, ich kann Ihre Tugend ganz wohlfeil assekurieren, wenn wir auch keine Pistolen mitnehmen; denn ich bin gesonnen, im ersten Orte, wo wir hinkommen, Pferde zu nehmen, und auf unserm Wege bis dahin werden wir schwerlich angefallen werden. Sieht Sie, Nore, zur Reise bin ich fest entschlossen, und will Sie mich begleiten, so will ich es Ihr so reichlich vergelten, als es nur immer in meinen Kräften steht.«

Dies letzte Argument hatte eine kräftigere Wirkung auf die Zofe, als alle vorhergehende; und da sie ihr Fräulein dermaßen entschlossen sah, enthielt sie sich alles fernern Ausredens. Sie fingen [14] nun an, über die Mittel und Wege zu beratschlagen, wie sie ihr Vorhaben ins Werk setzen könnten. Hier ergab sich eine härtere Schwierigkeit, die war, wie sie ihre Sachen fortschaffen wollten? Die Herrschaft war weit eher darüber hinaus, als ihre Jungfer: denn, wenn eine Dame einmal sich vorgesetzt hat, einem Liebhaber in die Arme, oder aus den Armen zu rennen, so werden alle Schwierigkeiten, zu Wasser und zu Lande, für sie bloße Kleinigkeiten. Aber Jungfer Honoria hatte nun eben solche Inspiration nicht; sie hatte keine Entzückungen zu erwarten, und keinem Entsetzen aus dem Wege zu gehen; und den wahren Wert ihrer Kleidungsstücke ungerechnet, worin ein großer Teil ihres Reichtums steckte, so hatte sie auch noch eine Art grillenhafte Liebschaft zu gewissen Röcken und dergleichen Dingen; entweder weil sie ihr gut paßten und sie gut kleideten; oder weil sie ein Geschenk von dieser oder jener werten Hand waren; oder, weil sie sie erst neulich gekauft; oder, weil sie solche schon lange gehabt hatte; oder aus andern ebenso triftigen Ursachen mehr: so, daß sie den Gedanken nicht ausstehen konnte, ihre armen Sachen Herrn Western auf Gnade und Ungnade zu überlassen, denn sie fürchtete zu sehr, er würde solche in seiner Grimmesflamme nicht verschonen.

Die sinnreiche Jungfer Honoria, nachdem sie vorher alle ihre Redekunst angewendet, ihrem Fräulein die Flucht auszureden, und fand, daß solche durchaus auf ihren Sinnen beharrte, grübelte endlich folgenden Behelf aus, ihre Sachen fortzuschaffen, daß sie sich nämlich selbst noch an eben dem Abend aus dem Hause jagen lassen wollte. Sophie erteilte dem Einfalle zwar alles verdiente Lob, zweifelte aber, ob und wie sie ihn wirklich ausführen konnte. – »O! sonst nichts!« schrie Honoria, »das lass'n 'R Gnaden mich nur über. Mein'r Ehr'! wenn wir Kammerjungfern woll'n, so wissen wir's schon so zu mach'n, daß die Herrschaften uns diese G'fälligkeit gern erweis'n; manchmal wohl, freilich! wenn 'm so mehr Lohn bei ihn'n steh'n hat, als sie eben bezahl'n könn'n, so kann 'm poch'n und verwogen thun wie 'm will, und sie stecken's all's ein, und thun, als ob sie 's nicht hören, wenn man 'n das Stühlchen für die Thüre setzt. Aberst unser Gnäd'ger ist'n ganz andrer Herre. Und derweil nun 'R Gnaden mit Gott's Gewalt noch heint Nacht auf und d'rvon wollen, vorwahr und mein'r Ehr', so will ich noch heint nachmittag mein'n Laufpaß hab'n, wie nichts!« Sonach ward beschlossen, sie solle für ihr Fräulein einige Wäsche und ein Nachtkleid zu ihren eigenen Sachen packen. Alle ihre übrigen Kleider verließ die gute Sophie mit ebenso wenigem Widerwillen, als der Bootsmann dabei fühlt, wenn er andrer Leute Frachtgüter über Bord wirft, um sein eignes Leben zu retten.

Achtes Kapitel
[15] Achtes Kapitel.

Enthält zänkische Auftritte von eben nicht ungewöhnlichem Schlage.


Jungfer Honoria war kaum von ihrem Fräulein weggegangen, als ihr etwas (denn ich möchte nicht gerne, wie das alte Weib beim Quevedo, dem Teufel durch falsche Beschuldigungen Unrecht thun, und möglich ist es doch, daß er die Hand nicht im Spiele hatte) als etwas, sage ich, ihr einblies, sie könne, wenn sie Sophien und alle ihre Geheimnisse dem Junker Western aufopferte, wahrscheinlicherweise ihr Glück machen. Mehr als eine Betrachtung rieten diese Entdeckung als vorteilhaft an. Die angenehme Aussicht auf eine hübsche Belohnung für einen dem Junker so großen und wichtigen Dienst führte ihre Habsucht in Versuchung; und dazu kamen die Gefahr bei der vorhabenden Unternehmung, die Ungewißheit der glücklichen Ausführung, die Nacht, die Kälte, die Räuber, die Keuschheitsschänder; alles empörte ihre Furcht. Und so mächtig wirkten alle diese Dinge bei ihr, daß sie beinahe entschlossen war, von der Stelle hin zum Junker zu gehen, und ihm die ganze Sache zu eröffnen. Unterdessen war sie ein zu gerechter Richter, um sogleich einer Seite Recht zu geben, ehe sie noch die andere gehört hätte. Und hier nun erschien zuerst eine Reise nach London und redete Sophiens Bestes. Sie hatte ein sehnliches Verlangen, einen Ort zu sehen, woselbst sie sich solche Wonne einbildete, die nur wenig geringer scheint, als sich ein schwärmender Heiliger den Himmel denkt. Nächst diesem wußte sie auch, Sophie sei viel freigebiger, als ihr Vater, und so versprach sich ihre Treue von dieser eine größere Belohnung, als sie durch ihre Verräterei gewinnen könnte. Sie nahm also alle die Artikel, welche ihre Furcht auf der andern Seite aufgewiegelt hatten, in ein nochmaliges scharfes Verhör; und nachdem sie die Sache ordentlich gesichtet hatte, fand sie, daß das meiste durchfiel. Da nun jetzt beide Schalen so ziemlich im Gleichgewicht schwebten, und ihre Liebe zu Sophie auf die Seite geworfen wurde, wo ihre Ehrlichkeit lag, so fing diese an, so ziemlich zu ziehen, als ihr ein Umstand in die Gedanken fiel, der eine gefährliche Wirkung hätte thun können, wäre er seiner ganzen Schwere nach auf die gegenseitige Schale gelegt worden. Dies war die Länge der Zeit, welche dazwischen verlaufen mußte, ehe Sophie im stande sein konnte, ihr Versprechen zu erfüllen; denn, ob ihr schon ihr mütterliches Vermögen nach dem Tode ihres Vaters nicht entgehen konnte, so wenig wie dreitausend Pfund Sterling, die ihr ein Oheim vermacht hatte, und welche ihr ausgezahlt werden mußten, sobald sie mündig geworden, so lag doch alles dies noch im weiten Felde, und mancherlei Zufälle konnten die aufs künftige verheißene [16] Freigebigkeit ihres Fräuleins verhindern; da hingegen die Belohnung, welche sie von Herrn Western zu erwarten hätte, unmittelbar erfolgen würde. Allein während sie noch diesen Gedanken nachhing, schickte Sophiens guter Geist, oder vielmehr der Geist, der über Jungfer Honorias Ehrlichkeit wachte, oder vielleicht auch das bloße Ungefähr, einen Zufall in die Wege, der auf einmal ihre Treue befestigte und sogar das vorhabende Geschäft erleichterte.

Die Kammerjungfer der gnädigen Tante von Western maßte sich bei verschiedenen Gelegenheiten einen großen Vorrang über Jungfer Honoria an. Erstlich war sie von vornehmerer Abkunft, denn ihre Ur-Großmutter mütterlicher Seite war eine nicht gar zu weitläufige Base von einem irländischen Reichsbaron; zweitens hatte sie mehr Jahrlohn, und endlich war sie in London gewesen und hatte folglich mehr von der vornehmen Welt gesehen. Sie hatte sich also beständig gegen Jungfer Honoria mit derjenigen steifen Zurückhaltung benommen und immer jene Merkmale des Vorrangs von ihr erzwungen, welche jede Klasse von Weibern, im Umgange mit denen von einem niedrigern Range, beobachtet und verlangt. Nun aber war Honoria mit dieser Lehre nicht zu allen Zeiten so völlig einstimmig, sondern pflegte oft den Respekt hintanzusetzen, welchen die andre von ihr begehrte. Die Kammerjungfer der ältern Dame fand an Honorias Gesellschaft nicht den mindesten Gefallen. In der That sehnte sie sich herzlich, nach dem Hause ihrer Herrschaft zurückzukehren, worin sie nach Herzenslust über alle übrigen Bediente schaltete und waltete. Es war ihr also ein böser Strich durch die Rechnung gemacht worden, als den Vormittag ihre gnädige Herrschaft, gerade da sie auf dem Punkte stand abzureisen, ihren Vorsatz geändert hatte, und sie war seitdem beständig, wie man zu sagen pflegt, voller Piken.

In dieser nicht gar sanften Laune kam sie in das Zimmer, woselbst Honoria auf die vorhin erzählte Art beratschlagte. Honoria ward ihrer nicht so bald gewahr, als sie solche auf folgende höfliche Weise anredete: »So! Mädäm, ich seh', wir werd'ns Vergnügen von Dero G'sellschaft noch läng'r hab'n! Ich fürchtet' schon, die Verunein'gung zwischen unsern gnäd'gen Herrn und Ihrer Dame hätt' uns Sie rauben woll'n.« – »Ich wees nich, Mätäm,« antwortete die andere, »wos Sie met tem Wir und Uns meenen? Kloben Se mir, ich kenne keene Perschon unterm kanzen Hooskesinde, die sich für meen Kesellschaft schickte. Ich meene, sollt' ich wohl hoffen, meine Kesellschaft sei nicht zu schlecht für Ihre Herrschaften, vom Sonntag bis zum Sonnabend henzu. Ich will das nich von Ihnen kesagt hoben, Jungfer Honoria, tänn Sie sind eene zivilisierte hübsche Jungfer, und wänn Sie eenmal nur een pischen mehr [17] von der Welt werden kesähn hoben, so werde ich mir keene Schande draus machen, mit Ihnen in London im Parke schpazieren zu köhn.« – »Daß dich! je! Wasch mir'n Pelz, und mach mir'n nicht naß!« rief Honoria. »Mein'r Ehr', die Dame thut 'n mal wieder mächtig vornehm! Jungfer Honoria! daß dich! Vorwahr, Madahme, Sie würde an meinem Zunamen nicht ersticken. Denn, obschons mein' Frölen mich Honoria nennt, so hab' ich doch ein'n Zunamen so gut als andre Leut'. Schande draus mach'n, mit mir spazieren zu gehn. Ich dacht' was mir biß! Ich meene, sollt ich wohl hoffen – ich bin eben so gut, wie Sie!« – – »Weil Sie tänn meine Höflichkeit so schlecht pelohnt,« sagte die andere, »so muß ich Ihr klaren Wein einschenken, Jungfer Honorja! daß Sie nicht so kut ischt, als ich. Ufm Lande ist mer wohl freelich kenötigt, met allerlei Fetzen vorlibe zu nehmen, davor aber, wenn ich in der Schtadt pin, so pesuch ich niemant als Kammerfrauen von Tamen vom vornähmschten Atel. Kewiß, Jungfer Honoria, es ist en kraußer Unterschied unter Ihr und mir, sollte ich wohl meenen.« – »Hoff' es gleich wiedrum so viel!« antwortete Honoria, »so'n g'wisser Unterschied in 'm Alter, und – ich denk' auch, in unsern Personen!« Sowie sie diese letzten Worte aussprach, strotzte sie mit der beleidigendsten, höhnischsten Miene vor Ihro Gnaden Kammerdienerin vorbei, warf die Nase in die Höhe, schüttelte den Kopf und knitterte ihr den Reifrock gewaltig mit ihrem eigenen zusammen. Das andre Dämchen machte eins von ihren boshaftesten Hohngesichtern, und sagte: »Keschöpf! Sie ist unter meinem Zorne! Man konnte mirsch vertänken, wänn 'ch mich durch niederträchtige Worte met so eenem frechen, naseweisen Treppenfeger kemeen machen wollte; aber, Mamselchen, tos muß ich Ihr sagen: Ihre Kemeenheeten zeigen sowohl von Ihrer schlechten Herkunft, als von Ihrer schlechten Erziehung, und beede machen Sie recht keschickt dazu, eine nietrige Aufpasserin pei eenen Landmädchen zu sein!« – »Mit Respekt von mein Frölen gesprochen«, schrie Honoria. »Solch Verwegenheit leid 'ch nicht von Ihr, mein'r Ehr, das sag' ich Sie. Sie ist ebensoviel besser, als Ihre, als sie jünger ist, und ist noch hunderttausendmal schöner!«

Hier führte das böse, oder vielmehr das gute Glück Ihro Gnaden das Fräulein von Western herbei, die ihre Jungfer in Thränen sehen mußte, welche bei ihrer Ankunft gar reichlich zu fließen begannen. Da ihre Herrschaft nach der Ursache fragte, so benachrichtigte sie ihr alsobald, ihre Thränen flössen über die grobe Behandlung, die sie von dem Geschöpfe da (womit sie Honoria meinte) hätte erleiden müssen. »Und, mein knädigste Fräulein«, fuhr sie fort, »ich hätte alles mit krausser Verachtung anhören können, was sie mir uf mich sagte, aber da hat sie die kräuliche Frechheit kehabt, [18] Ihro Knaden zu verunehren, und Ihro Knaden häßlich zu heißen. – Ja, Ihro Hochwohlkepornen Knaden, sie sagte es mir in mein Antlitz hinein, Ihro Knaden wären eene häßliche alte Katze. Ich konnt's nicht ausstehn, Ihro Knaden für häßlich ausschelten zu hören.« – »Nun, was hat Sie des Mensch seine Unverschämtheit so oft zu wiederholen?« sagten Ihro, des Fräulein von Westerns Gnaden. Und hierauf wendete sie sich zu Jungfer Honoria und fragte die, wie sie die Frechheit haben könne, ihren Namen mit Unehrerbietigkeit auszusprechen? – »Mit Unehrerbietigkeit, Ihro Gnaden!« antwortete Honoria, »ich habe R' Gnaden Namen nicht aus'm Munde gehn lass'n, gar nicht! Ich sagte nur, jemand wäre nicht so schön, als meine gnäd'ge Frölen; und vorwahr, das wissen 'R Gnad'n ja ebensogut, als ich selbst!« – »Mensch!« sagte die Dame, »ich will dich lehren, daß ein Name, wie der meinige, zu heilig ist, um über die Zunge eines solchen Schandnickels zu gehen. Und wenn mein Herr Bruder dich nicht, eh' ich noch hundert zähle, aus dem Hause weiset, so will ich unter seinem Dache kein Auge wieder zuthun. Hier von der Stelle geh' ich hin, ihn aufzusuchen, daß er dich den Augenblick aus'm Hause werfen lassen soll.« – »Aus'm Haus' werfen! mir! nun, wenn's weiter nichts ist!« schrie Honoria, »'s gibt ja mehr Plätz' in der Welt! Lieber Gott! gute Bediente wiss'n immer unterzukommen! ist's nicht hierum, so ist's dort. Und woll'n Se all' aus'm Dienst jag'n, die Sie nicht für schön halten, so wird's Ihn'n bald an Bedienten fehlen; das lassen's sich nur von mir sagen!«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western antworteten, oder vielmehr donnerten eine Antwort: da solche aber kaum artikuliert war, so können wir die eigentlichen Worte nicht genau anführen. Wir vermeiden es also, eine Rede beizubringen, welche doch am Ende ihr nicht sonderlich zur Ehre gereichen möchte. Sie ging dann gleich darauf fort, ihren Bruder aufzusuchen, mit einem Gesicht, dergestalt aufgeschwollen von Wut, daß sie mehr einer von den drei Furien, als einer menschlichen Gestalt ähnlich sah.

Nachdem die beiden Zofen abermals allein bei einander gelassen waren, begann ein neuer Zank loszubrechen, welcher bald darauf einen thätigern Handkampf veranlaßte. In diesem neigte sich der Sieg auf die Seite des Dämchens vom mindern Range; bei alledem doch nicht ohne einigen Verlust von Blut, Haaren und Fetzen von Blonden und Flor und Musselin.

Neuntes Kapitel
[19] Neuntes Kapitel.

Das hochweise Betragen des Herrn Western in der Amtsführung eines Richters. Ein Wort ins Ohr der Landrichter über die nötigen Eigenschaften ihrer Aktuarien oder Gerichtsschreiber; nebst außerordentlichen Beispielen von väterlichem Unsinn und kindlicher Liebe.


Die Logiker beweisen zuweilen durch einen künstlichen Schluß zu viel; und die Politiker machen oft ein Projekt, das sie selbst über die Gänseweide führt. Das wäre auch der Jungfer Honoria beinahe begegnet; welche, anstatt das übrige ihrer Kleider zu retten, auf dem Punkte stand, diejenigen im Stiche lassen zu müssen, welche sie an ihrem Leibe trug: denn der Junker hatte nicht sobald vernommen, daß sie seiner Schwester unehrerbietig begegnet hätte, als er wohl zwanzig Flüche ausstieß, er wolle sie nach dem Zucht- oder Werkhause schicken.

Ihro Gnaden, Fräulein Tante von Western, waren wirklich eine gutherzige Dame und gewöhnlich von einer sehr verzeihenden Gemütsart. Sie hatten noch neulich das Vergehen eines Postillons verziehen, der ihre eigene Reisechaise angefahren und in einen Graben geworfen hatte; ja, sie hatten die Gesetze des Landes übertreten, indem sie sich geweigert, einen Straßenräuber vor Gericht zu belangen, welcher Dieselben nicht nur einer Summe Geldes, sondern sogar ihrer Ohrringe beraubt und dabei schändlich geflucht, geschworen und gesagt hatte: »So schöne Wetterhexen, wie Sie, brauchen keine Juwelen, um sich noch mehr zu putzen, hol' Sie der Satan!« Jetzt aber, so unsicher ist unsre Art zu denken, und so ungleich sind wir uns selbst, von einer Zeit zur andern! – Jetzt wollte sie von keiner Milderung hören; noch konnte die verstellte Reue der Jungfer Honoria, oder alles Bitten der Sophie für ihre Kammerjungfer, sie dahin vermögen, von ihrem ernstlichen Begehren bei ihrem Bruder abzuzustehen, seine Gerechtigkeitshiebe (denn in der That konnte man's wohl nicht Gerechtigkeitsliebe nennen) an dem Mädchen auszuüben.

Zum Glück aber besaß der Gerichtsschreiber eine Eigenschaft, welche eigentlich keinem Gerichtsschreiber bei einem Gerichtsherrn auf dem Lande abgehen sollte; nämlich, eine gewisse Kenntnis der Gesetze des Landes. Er raunte also dem Gerichtsherrn ins Ohr, daß er seine Macht überschritte, wenn er die Diener ins Zuchthaus schickte; da nichts weniger, als eine wirkliche Gewaltthätigkeit erwiesen wäre; »denn ich besorge, gestrenger Herr,« sagte er, »es ist kein Gesetz vorhanden, nach welchem Sie befugt wären, jemand wegen Mangels an guter Lebensart nach dem Werk- oder Zuchthause zu schicken.«

In Sachen von wichtigem Belang, besonders in Sachen, die [20] hochadelige Jagdfreiheit betreffend, gab der Junker eben nicht allemal sonderlich acht auf die Vorstellungen des Aktuars: denn in der That dünken sich die Erb- und Gerichtsherren in Rechtssachen von dieser Art nicht immer so genau an den Buchstaben der Gesetze gebunden zu sein. Kraft dieser willkürlichen Gewalt, und in der Absicht, die Werkzeuge, welche zum Verderben des Wildes gehören, aufzusuchen und wegzunehmen, begehen sie oft ganz mutwillig solche unbefugte Gewaltsamkeiten, die nicht nur ungesetzlich, sondern schnurstracks wider die Gesetze sind.

Jedoch war Jungfer Honorias Vergehen nicht ganz von so wichtiger Natur, oder der Gesellschaft so schädlich; hierbei betrug sich also der Richter mit einiger Achtung gegen den Rat seines Gerichtsschreibers; und wirklich hatte man über ihn schon zweimal beim Obergericht geklagt, und er war eben nicht sehr darauf gesteuert, einen dritten ähnlichen Prozeß an den Hals zu bekommen.

Der Junker, nachdem er sein Gesicht in sehr weise und sehr bedeutsame Falten gelegt und eine lange Vorrede mit manchen Hems und Has zu Markte gebracht hatte, sagte also zu seiner Schwester, »nach der Sachen reiflicher Ueberlegung ginge seine Meinung dahin, daß, weil hier kein Friedensbruch statthabe, wie die Gesetze,« sagte er, »einen Einbruch durch die Thüre, Wand, Fenster, Zaun oder Hecke, oder auch in den Knochen eines Kopfes, benennen, oder auch überhaupt gar nichts gebrochen sei, so gehe die Sache nicht so weit als auf eine Verfestigung oder Atzkosten, Wettleistung oder Gerichtskostenersatz, und also stände in den Gesetzen darauf gar keine Strafe.«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, versicherten, wie sie die Gesetze weit besser inne hätten: sie hätten es aus Erfahrung, daß Bediente weit strenger bestraft wären, die sich gegen ihre Herrschaften nicht mit gehöriger Ehrerbietung aufgeführt hätten, und nannten Dieselben dabei einen gewissen Unter- oder Friedensrichter in London, welcher, wie sie sagten, jeden Augenblick bereit wäre, einen Dienstboten nach dem Zuchthause zu schicken, so oft es nur die Herrschaft verlange.

»Mag wohl sein!« schrie der Junker, »mag wohl angehen in der Residenz; ufm Land' aber sind die Gesetze ganz verschieden.« Hier folgte eine lange Disputation zwischen dem Bruder und der Schwester über die Gesetze der Polizei, die wir hersetzen würden, wenn wir glaubten, daß viele von unsern Lesern sie verstehen würden. Dieses ward am Ende dem Gerichtsaktuario von beiden Parteien überlassen, welcher dann zu Gunsten des Richters entschied, und Ihro Gnaden, Fräulein von Western, waren schließlich genötigt, sich mit der Genugthuung zufriedenzustellen, daß Honoria fortgejagt ward; wozu dann Sophie ihre herzliche Einwilligung gab.

[21] Nachdem sich also Madame Fortuna nach ihrer löblichen Gewohnheit mit zwei oder drei Koboldsneckereien einen Spaß gemacht hatte, fügte sie am Ende die Sachen zum Vorteil unsrer Heldin, welcher es mit ihrer heimlichen Absicht wirklich außerordentlich glückte, wenn man bedenkt, daß es die erste war, auf die sie sich eingelassen. Und, die Wahrheit zu gestehen, habe ich oft den Schluß gemacht, daß der ehrliche Teil der Menschenkinder dem schelmischen Teile derselben weit überlegen sein würde, wenn er sich entschließen könnte, dabei nicht auf das Strafbare zu sehen, oder es auch nur der Mühe wert achtete, sich mit Quängeleien abzugeben.

Honoria spielte ihre Rolle mit der äußersten Vollkommenheit. Sie sah sich nicht sobald vor aller Zuchthausgefahr in Sicherheit (ein Wort, welches in ihrem Gemüte die schreckvollsten Ideen erregt hatte), als sie ihre kecke Miene wieder annahm, die ihre Furcht vorher ein wenig kirre gemacht hatte. Sie legte ihre Stelle mit ebensoviel verstellter Freudigkeit und wirklich mit Verachtung nieder, wie es von jeher bei Resignationen von Stellen von weit größerer Wichtigkeit der gewöhnliche Brauch gewesen ist. Wenn es dem Leser also nicht unangenehm wäre: so möchten wir lieber sagen, sie resignierte – – eine Redensart, welche in der That zu allen Zeiten, mit Absetzen oder Fortjagen, einerlei Bedeutung gehabt hat.

Herr Western gebot ihr, sie sollte eilen mit ihrem Packen; denn seine Schwester beteuerte, sie wolle keine Nacht mehr mit einem so frechen Weibsstück unter einem Dache schlafen. Sie machte sich also ans Werk, und zwar mit solchem Ernste, daß sie mit Abendanbruch fix und fertig war; da sie denn, nachdem sie ihren Lohn empfangen hatte, mit Sack und Pack davonzog; zur großen Zufriedenheit aller, doch zu keines mehr als Sophiens, welche ihre Jungfer bestellt hatte, gerade um die fürchterliche grauenvolle Gespensterzeit, zwölf Uhr, ihrer an einem gewissen Orte, nicht ferne vom Hause, zu warten, und nun anfing, sich zu ihrem eigenen Abzuge vorzubereiten.

Vorher aber sah sie sich noch genötigt, ein paar ängstliche Audienzen zu geben. Eine ihrer Tante und die andre ihrem Vater. In dieser begannen Ihro Gnaden, Fräulein Tante, in einem viel entscheidendern Tone mit ihr zu sprechen als vorher; ihr Vater aber begegnete ihr auf eine so heftige und ungestüme Weise, daß sie vor Schrecken kein ander Mittel wußte, als sich zu stellen als ob sie seinem Willen nachgäbe. Dies machte dem guten Junker ein solches Behagen, daß er seine gerunzelte Stirne in Lächeln verwandelte und seine Drohungen in Versprechungen. Er schwur es, seine Seele hänge an der ihrigen; ihre Einwilligung (denn diesen Sinn legte er den Worten bei: Sie wissen, liebster Papa, ich kann, ich [22] darf nicht ungehorsam sein, wenn Sie mir etwas so ausdrücklich befehlen) habe ihn zum glücklichsten aller sterblichen Menschen gemacht. Er gab ihr auch eine ansehnliche Banknote, um sich dafür zu kaufen, was ihr Herz gelüste, und küßte und umhalsete sie mit aller erdenklichen Zärtlichkeit; wobei ihm Freudenthränen aus den Augen rannen, die noch ein paar Augenblicke vorher Feuer und Wut auf den teuersten Gegenstand aller Neigungen seines Herzens geschossen hatten.

Beispiele eines solchen Betragens von Eltern sind so gewöhnlich, daß der Leser, wie ich nicht zweifle, sich über das ganze Benehmen des Herrn Western gar wenig wundern wird. Sollte ich mich hierin irren, so gestehe ich, daß ich's nicht zu erklären weiß; weil es wohl außer allem Streit ist, daß er seine Tochter mit höchster Zärtlichkeit liebte. Doch, das ist auch bei vielen andern der Fall, die durch ihre Aufführung ihre Kinder im höchsten Grade unglücklich gemacht haben; welches, ob es gleich fast alle Eltern ohne Ausnahme ebenso machen, mir dennoch immer als die allerunerklärbarste Ungereimtheit vorgekommen ist, die nur jemals in das Gehirn des allersonderbarsten und wunderbarsten Geschöpfes namens Mensch gekommen sein kann.

Der letztere Teil von Herrn Westerns Benehmen that eine so starke Wirkung auf das zarte Herz seiner Tochter, daß es ihr einen Gedanken eingab, den weder alle politischen Sophistereien ihrer Tante, noch alle die Drohungen ihres Vaters hatten in ihrem Kopfe rege machen können. Sie ehrte ihren Vater so kindlich und liebte ihn so aufrichtig, daß sie kaum angenehmere Empfindungen kannte, als welche sie aus dem Anteile schöpfte, den sie oft daran hatte, zu seinem Zeitvertreibe mitzuwirken, und zuweilen vielleicht zu seinen höhern Freuden; denn er konnte sein Entzücken gar nicht bergen, wenn er sie loben hörte, und diese Freude hatte er fast alle Tage. Der Gedanke also an die unermeßliche Glückseligkeit, die sie ihrem Vater dadurch gewähren würde, wenn sie in die Heirat willigte, machte einen tiefen Eindruck auf ihre Seele. Dazu gesellte sich das hohe Verdienst eines solchen Beweises von kindlichem Gehorsam, welches, da sie im Herzen wirklich viel Religion hatte, ebenfalls stark wirkte. Zuletzt, wenn sie erwog, wie viel sie selbst zu leiden haben würde, indem sie wirklich nicht viel weniger denn ein Opfer oder eine Märtyrerin der kindlichen Liebe und Pflicht würde, so fühlte sie ein sanftes Kitzeln in einer gewissen kleinen Leidenschaft, welche nun freilich zwar weder mit der Religion noch mit der Tugend in genauer Verbindung steht, dennoch oft so gefällig ist, beiden zur Ausführung ihrer Endzwecke nicht geringen Beistand zu leihen.

Sophie hatte innige Freude an der Betrachtung einer so heldenmütigen [23] That, und begann schon, sich mit etwas voreiliger Schmeichelei zu bekomplimentieren, als Kupido, welcher in ihrem Muff versteckt lag, unversehens hervorkroch und, wie der Hanswurst in einem Marionettenspiele, alles mit den Füßen um-und fortstieß. Die Wahrheit ist (denn wir halten es uns für unanständig, den Leser zu hintergehen, oder den Charakter unsrer Heldin dadurch weiß zu brennen, daß wir ihre Handlungen einer übernatürlichen Eingebung zuschreiben) der Gedanke an ihren geliebten Jones, und eine kleine Hoffnung (so entfernt als man will), in welcher er hauptsächlich mit begriffen war, warfen auf einmal alles zu Boden, was kindliche Liebe, Pflicht, Gehorsam und Stolz mit vereinten Kräften aufzubauen gestrebt hatten.

Allein bevor wir mit Sophien einen Schritt weiter gehen, müssen wir erst wieder zurücksehen, was Herr Jones macht.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Verschiedene Sachen; natürlich genug, vielleicht aber –niedrig.


Der Leser wird wohl so gütig sein sich zu erinnern, daß wir zu Anfang dieses Buchs Herrn Jones auf seiner Fahrt nach Bristol verließen, woselbst er entschlossen war, sein Glück zur See zu suchen, oder, um es besser zu sagen, seinem Glücke zu Lande zu entfliehen.

Es begab sich nun, freilich nicht unerhörtermaßen, daß der Kerl, der ihm vorritt und sich also unternahm ihm den Weg zu zeigen, unglücklicherweise mit der Heerstraße nicht bekannt war, dergestalt, daß, sowie er vom rechten Wege abgekommen war und sich schämte Erkundigung einzuziehen, er immer umher wankte, bald vorwärts bald rückwärts, bis der Abend einbrach und es finster zu werden begann. Jones, welcher argwöhnte was vorging, sagte dem Pferdeknecht seinen Argwohn; aber er bestand darauf, sie wären im rechten Wege, und fügte hinzu: es müßte nicht mit rechten Dingen zugehn, wenn er den Weg auf Bristol nicht wissen sollte, obgleich in der That es mit sehr unrechten Dingen hätte zugehen müssen, wenn er ihn gewußt hätte, indem er diesen Weg in seinem Leben noch nicht gekommen war.

Jones hatte nun eben nicht solchen blinden Glauben an seinen Führer, daß er nicht im nächsten Dorfe, wo sie anlangten, den ersten besten Kerl, der ihm in Wurf kam, hätte fragen sollen, ob sie auf dem rechten Wege nach Bristol wären. – »Wo kommt Ihr d'n här?« schrie der Kerl. – »Gleichviel«, sagte Jones ein wenig hastig, »ich möchte gern wissen, ob dies die Heerstraße nach Bristol ist!«[24] – »Die Härstraße nach Bristol?« krächzt der Kerl und krauet sich hinter'm Ohre. »Nun Herr! ich j'laube schwerlich, daß Ihr auf diesem Wäje heut Obend nach Brissol kommen wäret.« – »Nun wohl, Freund,« antwortete Jones, »so sei Er so gut und sag' uns, welches der rechte Weg ist!« – »Der rechte Weg?« plärrte der Bauer, »Jod weeß, wie Ihr 'raus jekommen seid! denn dieser Wäg jeht nach G'lo'ster.« – »Gut! und welcher Weg geht nach Bristol?« sagte Jones. – »Je nun, Ihr jeht da von Brissel ab,« antwortete der Mann. – »Also,« sagte Jones, »müssen wir wieder umkehren?« – »Ja, dos müßt Ihr wohl!« sagte der Kerl. – »Wohl dann, und wenn wir wieder auf den Hügel kommen, welchen Weg müssen wir dann einschlagen?« – »Nu, denn müßt Ihr grad' vor euch wegreiten.« – »Ja, aber ich erinnere mich, da gehn zwei Wege, einer zur Rechten, und einer zur Linken.« – »Nu! da müßt Ihr den Wäg zur rechten Hand nähmen und dänn grade vor Euch wegreiten, nur jäht achtig, daß Ihr erst rächts lenkt, und dänn wieder links, und dänn hernach wied'r rächts, und das bringt Euch zum Gunker, und dänn müßt Ihr sträcks vor Euch uf'n Wäg halten und Euch links wänden.«

Nun kam noch ein andrer Kerl herbei und fragte, welchen Weg die Herren reiten wollten. – Nachdem er davon von Jones unterrichtet war, kraute er sich erst hinter'm Ohre, dann lehnte er sich auf seinen Spaten, den er in der Hand hatte, und begann ihm zu erzählen: er müsse sich ungefähr eine Viertelmeile oder so auf dem Wege rechter Hand halten, und dann müsse er sich scharf zur Linken wenden, das würd' ihn 'rum bringen zu Herrn Hans Bärnes Hofe. – »Aber wer ist denn der Herr Hanns Bärnes?« sagte Jones. – »Lieber Jott, kennt Ihr denn Herrn Hans Bärn's nicht? Wo kommt Ihr denn hähr?«

Diese beiden Kerle hatten so Jones' Geduld beinahe auf die Neige gebracht, als ein schlicht und wohl gekleideter Mann (es war wirklich ein Quäker) ihn folgendermaßen anredete: »Freund, ich merk's, du hast deinen Weg verloren, und wenn du meinem guten Rat folgen willst, so wirst du dich nicht verjebens bemühen, ihn heute Abend zu finden. Es ist beinah' schon dunkel, und die Straße ist nicht leicht zu rahmen; überdem sind die Wäge zwischen hier und Bristol nicht sicher vor Jaudieben. Hier ist eine richt jute Härberge dicht hier bei. Da kannst du für dich und dein Vieh Lebens Nahrung und Notdurft finden, und jute Härberge bis morgen.« Jones ließ sich's nach einigem Zureden gefallen, bis morgen in diesem Orte zu bleiben, und ward von seinem Freunde nach der Dorfschenke begleitet.

Der Wirt, ein sehr höflicher Kerl, sagte zu Jones, er hoffe, [25] er würde mit einer schlechten Bewirtung vorlieb nehmen, denn seine Frau wäre über Feld gegangen, habe im Hause fast alles verschlossen und die Schlüssel mitgenommen. Das wahre Verhalten an der Sache war, sie hatte eben eine Tochter, ihr Schoßkind, verheiratet, und die war diesen Morgen mit ihrem Manne nach seinem Hause gezogen, und diese nebst ihrer Mutter hatten den armen Schlucker fast rein ausgeplündert, sowohl an Hausrat, als an Geld. Er hatte freilich mehr Kinder, aber diese Tochter war der Augapfel der Mutter, und sie sorgte also nur für diese; und diesem einen Kinde zu Gefallen hätte sie alle übrigen aufgeopfert, und ihren Ehemann obendrein.

Tom Jones war zwar gar nicht zur Gesellschaft aufgelegt und wäre lieber allein gewesen. Dennoch konnte er der Zudringlichkeit des ehrlichen Quäkers nicht widerstehen, welcher um so geschäftiger war, sich zu ihm zu setzen, da er die Melancholie bemerkt hatte, welche sich in seinen Mienen und seinem Betragen äußerte, und welche der gute Quäker durch seine Unterredung ein wenig zu zerstreuen meinte.

Nachdem sie einige Zeit auf solche Weise mit einander zugebracht hatten, daß mein ehrlicher Freund hätte glauben können, er befände sich in einer von seinen stillen Zusammenkünften, fing der Quäker an, von einem oder dem andern Geiste, vermutlich wohl vom Geiste der Neugierde, getrieben zu werden, und sagte: »Freund, ich werde jewahr, dir muß ein trauriger Unfall bejegnet sein. Aber sei jutes Muts, ich bitte dich. Vielleicht hast du einen juten Freund verloren. Nun, wenn dem so ist, so mußt du bedenken, daß wir alle sterblich sind. Und warum wolltest du dich j'rämen, da du weißt, daß dein Freund davon kein Frommen hat? Wir sind alle zum Leiden jeboren; ich selbst habe meinen Kummer sowohl als du, und sehr wahrscheinlich ist er jrößer als der deinige. Ich habe zwar ein Jütjen, das mir des Gahrs seine sechshundert Thaler einträgt, und das ist so viel, daß ich nicht mehr bejähre; und ich habe ein jut Jewissen, und danke Jott, daß ich nicht bin wie von Sodom und Jommorha. Meine Jesundheit ist jut und stark, und niemand ist da, der mich um eine Schuld mahnen könnte, noch mich zu verklagen hätte, um eine bejangene Unjerechtigkeit bei der Gustitz – und doch, Freund, es sollte mir nahe jehn, wenn ich denken sollte, du wärest eben so schlimm daran als iche.«

Hier endigte der Quäker mit einem tiefen Seufzer, und Jones antwortete sogleich: »Es thut mir sehr leid, Herr, daß Sie sich unglücklich fühlen, es liege woran es liege.« – »O Freund,« erwiderte der Quäker, »es liegt an einer einijen Tochter. Die war meine j'rößeste Freude auf Erden, und die ist mir diese Woche davon jelaufen [26] und hat sich wider meinen Willen verheiratet. Ich hatte für eine hübsche Partie für sie jesorget, einen wackern, verständijen Mann, der was einzubrocken hatte; aber nein, da hört sie nur ihren eijenen Willen und Wahl, und fort ist sie jejang'n mit einem gungen Kerl, der keinen Dreyer in der Ficke hat. Wenn sie jestorben wäre, wie ich j'laube dein Freund ist, so wär' ich jelücklich jewesen.« – »Das ist sehr sonderbar, mein Herr!« sagte Jones. – »Wie so?« versetzte der Quäker. »Wäre es für sie nicht besser tot zu sein, als eine Bettlerin? Denn, wie ich jesagt habe, der Kerl hat keinen Dreier in der Ficke! und bei Mannen-Wahrheit, sie kann nicht erwarten, daß ich ihr in meinem Leben einen I'roschen jeben werde. Nein! hat sie aus Liebe jeheiratet, so mag sie nun auch von Liebe leben, wenn sie kann; lass' sie ihre Liebe zu Markte tragen und sehn, ob ihr gemand Silbergeld, oder auch nur kupferne Heller dafür jeben wird.« – »Ein jeder muß seine eigene Haut zu Markte tragen,« sagte Jones. – »Es muß schon längst,« fuhr der Quäker fort, »ein verabredetes Spiel jewesen sein, mich zu betrügen, denn sie haben sich von Kindesbeinen an jekannt, und ich habe ihr immer jegen die Liebe vorje predigt – ich habe es ihr wohl mehr als tausendmal jesagt, es wäre alles nur sündliche Thorheit damit. Ja, die listige Rahab stellte sich, als ob sie mich anhörte und alle Jelüste des Fleisches nicht achtete, und doch zuletzt aus einem Fenster im zweiten Stockwerke zu brechen! Denn ich fing wirklich an, ein wenig argwöhnisch auf sie zu werden, und hatte sie sorgfältig eingeschlossen, und war willens, sie eben des nächsten Vormittags nach meinem Sinne zu verheiraten. Aber sie machte mir mein Vorhaben in wenig Stunden zunichte und entwischte hin zu dem Liebhaber nach ihrem eijenen Kopfe, der keine Zeit verlor, denn sie waren in einer einzigen Stunde jetraut und zu Bette jebracht.«

»Aber sie sollen in ihrem janzen Leben keine Stunde so übel anjewandt haben, als diese, denn sie mögen meintwegen hungern, oder betteln, oder stehlen, was jeht mich es an. Ich will ihnen keinen Heller jeben, weder der einen noch dem andern!« Hier sprang Jones auf und sagte: »In der That, Sie müssen mich entschuldigen, ich wünsche, daß Sie mich verlassen möchten!« – »Komm, komm, Freund,« sagte der Quäker, »jib nicht Raum der Betrübnis! du siehst, es jibt noch mehr Leute, denen es unjelücklich jeht; du bist es nicht allein.« – »Ich sehe,« schrie Jones, »es gibt Tollhäusler, Narren und schlechte Buben in der Welt. Aber, Herr, lassen Sie mich Ihnen einen guten Rat geben: schicken Sie nach Ihrer Tochter und Ihrem Schwiegersohne und lassen Sie sie bei sich leben, und sein Sie nicht die einzige Ursach des Elendes einer Person, von der Sie vorgeben, daß Sie sie lieb haben.« – »Zu ihr schicken! sie wieder [27] aufnehmen!« schrie der Quäker ziemlich laut. »Lieber woll' ich zu zwei meiner ärgsten Feinde schicken, die ich in der Welt habe!« – »Nun! meinthalben,« sagte Jones, »gehen Sie nur selbst zu Hause, oder wohin Sie sonst wollen, denn ich will in solcher Gesellschaft nicht länger sitzen.« – »Ei nu, Freund,« antwortete der Quäker, »aufdringen mag ich meine Jesellschaft keinem Menschen.« Er that hiebei, als ob er Geld aus der Tasche ziehen wollte; aber Jones schob ihn mit einiger Heftigkeit zur Thüre hinaus.

Der Inhalt von des Quäkers Gespräch hatte Jones so ans Herz gegriffen, daß er die ganze Zeit über, da jener sprach, mit wilden Blicken umhersah. Dies hatte der Quäker bemerkt, und dies, zusammengenommen mit dem Uebrigen von Jones' Betragen, hatte dem ehrlichen Platthut den Einfall eingegeben, daß sein Gesellschafter wirklich und im Ernste nicht bei Sinnen wäre. Anstatt also die Beleidigung übelzunehmen, ward der Quäker von Mitleiden über seine unglücklichen Umstände gerührt; und nachdem er seine Meinung dem Wirte eröffnet hatte, bat er ihn, für seinen Gast die äußerste Sorge zu tragen und ihm ja mit der größten Höflichkeit zu begegnen.

»O nee,« sagte der Wirt, »ich werde ihm nicht so höflich begegnen, denn mir deucht, er ist mit aller seiner verbrämten Weste ebensowenig ein vornehmer Mann, als ich selbst; so en arm Spittelkind, das in en großen Gunkers Hause, ein halb Mandel Meilen von hier, aufjezogen ist, und nun aus dem Hause gejagt worden, wohl eben nicht seiner juten Aufführung wegen. Ich will'n aus'n Hause schaffen, sobald ich nur kann. Verlier' ich denn auch meine Rechnung, so ist der erste Verlust immer der beste. 'S ist noch kein Gahr her, da ist m'r en silberner Löffel weggekommen!«

»Was sprichst du da von Spittelkindern, Robert«, sagte der Quäker, »du irrst dich jewiß in deinem Mann.«

»O jar nicht,« versetzte Robert, »der Knecht der ihn hergebracht hat, der kennt ihn recht jut und hat mir's erzählt.« In der That hatte dieser Kerl sich nicht so bald am Küchenfeuer niedergesetzt, als er der ganzen Gesellschaft erzählte, was er von Jones wußte, oder nur jemals von ihm gehört hatte.

Kaum hatte der Quäker sich von diesem Kerl die Nachricht von Jones' Geburt und seinen geringen Glücksumständen geben lassen, als all sein Mitleiden für ihn verschwand, und der ehrliche schlichte Mann ging nach Hause, in nicht mindern Zorn entflammt, als etwa ein großer Herr im Ordensbande über einen empfangenen Schimpf von einer solchen Person gefühlt haben würde.

Der Wirt selbst fing an, eine ähnliche Geringschätzung für ihn zu fühlen, und diese ging so weit, daß, als Jones klingelte, um [28] sich sein Bett zeigen zu lassen, ihm gesagt wurde, er könne hier kein Bett bekommen. Neben der Verachtung über den geringen Stand seines Gastes hatte Robert auch einen heftigen Verdacht über seine Absichten gefaßt, welche, wie er voraussetzte, darauf hinausgingen, eine günstige Gelegenheit zu ersehen, um sein Haus zu bestehlen. Er hätte nun wirklich über diesen Punkt durch die kluge Vorsicht seiner Frau und Tochter sehr beruhigt sein können, welche bereits alles weggeschafft hatten, was nicht eisern Vieh und niet- und nagelfest war: aber er war von Natur argwöhnisch und war es seit dem Verlust seines silbernen Löffels noch mehr geworden, kurz die Angst, bestohlen zu werden, verschlang den tröstlichen Gedanken, daß er nicht bestehlbar wäre.

Nachdem Jones überzeugt war, daß er kein Bett haben könne, setzte er sich ganz gelassen in einen großen geflochtenen Rohrstuhl, da dann der Schlaf, welcher seit einiger Zeit seine Gesellschaft in weit bequemern Gemächern vermieden hatte, ihm in dieser niedrigen Hütte sehr großmütigerweise einen Besuch abstattete.

Der Wirt ward durch seine Furcht abgehalten, sich zur Ruhe zu begeben. Er kehrte also wieder zu seinem Küchenfeuer zurück, von wo er die einzige Thüre, die in die Gesellschaftsstube oder vielmehr in das Rauchloch ging, woselbst Jones saß, übersehen konnte. Und was die Fenster dieses ehrlichen Zimmers betraf, so waren sie so beschaffen, daß kein Geschöpf, das nur etwas größer war als eine Katze, dadurch entwischen konnte.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Abenteuer einer Kompanie Soldaten.


Der Krugwirt, welcher seinen Sitz grade gegenüber der Thüre von der Schenkstube genommen hatte, war entschlossen, daselbst die ganze Nacht hindurch Wache zu halten. Der Pferdeknecht, der Herrn Jones hergebracht hatte, und noch ein andrer Kerl blieben lange mit ihm auf dem Posten, ob sie gleich nichts von seinem Argwohn wußten oder für sich selbst irgend einen hatten. Die wahre Ursache ihres Wachens machte demselben in der Länge selbst ein Ende. Denn diese war keine andre, als die Güte und Stärke des Biers, von welchem sie, nachdem sie ein ziemliches Maß davon eingeschlürft hatten, erst sehr laut und lärmend wurden und darnach beide in einen festen Schlaf verfielen.

Aber kein Bier oder starkes Getränke war vermögend, Roberts Furcht einzuschläfern. Er saß beständig wachend auf seinem Stuhl und wendete die Augen nicht ab von der Thüre des Zimmers, wo [29] Jones schlief, bis ein entsetzliches Donnern an der äußersten Pforte des Hofes ihn von seinem Sitze abrief und ihn nötigte aufzumachen; dies war nicht so bald geschehn, als sich seine Küche plötzlich mit Herren in roten Röcken anfüllte, die alle in solchem Getümmel auf ihn herein drängten, als ob sie's im Werk hätten, sein kleines Kastell mit Sturm einzunehmen.

Der Wirt ward nun von seinem Posten verdrängt, um seine zahlreichen Gäste mit Bier zu versorgen, welches sie mit großer Hast und Eile begehrten, und bei seinem zweiten oder dritten Transporte aus dem Keller sah er Herrn Jones vorm Feuer mitten unter den Soldaten stehn. Es ist leicht zu glauben, daß die Ankunft so vieler guten Gesellschafter allem Schlafe ein Ende machen muß, nur jenem nicht, von welchem uns der Schall der letzten Posaune wecken wird.

Nachdem die Gesellschaft so ziemlich ihren Durst gestillt hatte, blieb weiter nichts übrig, als die Rechnung zu bezahlen; ein Umstand, der oft unter der niedern Klasse der Feuergewehrhelden allerlei Unheil und Mißvergnügen zu erregen pflegt. Denn gemeiniglich finden sie es sehr schwer, die Hauptsumme nach den strengsten Regeln der Gerechtigkeit in die gehörigen Brüche zu teilen, da diese Gerechtigkeit befiehlt, daß jeder Mann nach dem Verhältnis bezahlen solle, wie er mehr oder weniger getrunken hat. Diese Schwierigkeit that sich auch bei dieser Gelegenheit hervor und sie war um so größer, als einige von den Herren in ihrer außerordentlichen Eile gleich nach dem ersten Trunke wieder abmarschiert waren und darüber vergessen hatten, zu der vorbesagten Rechnung den geringsten Beitrag zu leisten.

Es entstand nun ein heftiger Wortwechsel, wobei, wie man sagen möchte, jede Silbe mit einem Eide bekräftigt wurde, denn es wurden wirklich ebensoviel Schwüre und Flüche vorgebracht, als sonstige Silben gesprochen. In dieser Uneinigkeit sprach die ganze Gesellschaft auf einmal und zugleich und ein jeder schien auf nichts anders zu denken, als die Summe zu schmälern, die auf seinen Anteil fiel: so daß der höchst wahrscheinliche Schluß, den man voraussehen konnte, dahinaus ging, daß die Zahlung eines großen Teils der Rechnung zu Lasten des Wirts fallen oder (welches auf eins hinausläuft) unbezahlt bleiben würde.

Diese ganze Weile über war Jones in einer Unterredung mit dem Wachtmeister begriffen. Denn diesen Befehlshaber ging der Streit ganz und gar nichts an, weil er nach undenklichem Gebrauch von allen solchen Kontributionen befreit war.

Der Streit war endlich dermaßen hitzig, daß er sich auf eine militärische Entscheidung zu lenken schien, als Jones hervortrat und das ganze Getümmel auf einmal dadurch stillte, daß er erklärte, er [30] wolle die ganze Rechnung bezahlen, welche wirklich ihrem ganzen Inhalte nach nur einige Dreier über einen Gulden betrug.

Diese Erklärung erwarb dem Jones den Dank und Beifall der ganzen Kompanie. Die Ausdrücke, gnädger Junker, stattlicher Herr, nobler Mann, erschollen aus allen Ecken der Küche; ja der Wirt selbst begann eine bessere Meinung von ihm zu schöpfen und der Erzählung des Pferdeknechts beinahe nicht mehr so recht zu glauben.

Der Wachtmeister hatte dem Herrn Jones Nachricht gegeben, wie sie auf dem Marsch gegen die Rebellen begriffen wären und daß sie erwarteten von dem großen Feldherrn, dem Herzog von Cumberland, gegen den Feind angeführt zu werden. Aus diesem Umstande (welchen wir nicht für nötig erachtet haben, bekannt zu machen) mag der Leser merken, daß es grade um die Zeit war, als es mit der Rebellion zum Höchsten gediehen, und in der That waren die besoldeten Mörder jetzt nach England marschiert in der Absicht, wie man dafür hielt, des Königs Armee zu schlagen und alsdann wo möglich nach der Hauptstadt vorzudringen.

Jones hatte etwas vom Helden in der Mischung seines Temperaments und war ein herzlicher Freund von der Freiheit des Vaterlandes und der protestantischen Religion. Es ist daher kein Wunder, daß bei Umständen, welche viel romantischere und wildere Unternehmungen gerechtfertigt haben würden, ihm der Gedanke in den Sinn kam, diesen Feldzug als Freiwilliger mitzumachen.

Unser kommandirender Wachtmeister hatte vom er sten Augenblick an, da er diese gute Gesinnung wahrnahm, alles gesagt, was in seinem Vermögen stund, um sie zu ermuntern und zu bestärken. Er erklärte diese edle Entschließung nunmehr öffentlich, welche dann mit großen Freuden von der ganzen Kompanie, die ein einstimmiges Vivat der König! und der noble Junker! schrie, aufgenommen wurde, und die Mannschaft setzte hierauf mit manchem Fluch hinzu: »Bei Euch beiden wollen wir standhaft aushalten bis auf den letzten Blutstropfen.«

Der Geselle, der den ganzen Abend mit dem Wirt und dem Pferdeknecht beim Feuer gesöffelt hatte, ward durch einige Gründe, die ihm ein Korporal in die Hand gegeben hatte, gleichfalls bewogen, den Zug mitzuthun, und nun, nachdem das Felleisen des Herrn Jones auf den Packkarren gelegt worden, stand das Heer im Begriff, sich vorwärts zu bewegen, als der Pferdeknecht, der Herrn Jones hergebracht hatte, auf ihn zuging und sagte: »Herr, ich hoffe doch, Sie werden bedenken, daß die Rosse eine ganze Nacht über die Zeit ausgeblieben sind und daß wir eine große Strecke auf dem unrechten Wege gemacht haben?« Jones wunderte sich nicht wenig über die Unverschämtheit dieses Begehrens und unterrichtete die[31] Soldaten von der Rechtmäßigkeit seiner Sache, welche alle den Kerl einstimmig verdammten, daß er sich unterstände, einen wackern Herrn beschnellen zu wollen. Einige sagten: man solle ihn krumm schließen, andere, er verdiene Spießruten zu laufen, und der Wachtmeister zeigte ihm ein spanisches Rohr, wünschte, er hätte ihn unter seiner Kompanie und schwur dabei recht herzlich, daß er sodann ein Exempel an ihm statuieren wolle.

Jones begnügte sich unterdessen mit einer verneinenden Bestrafung, ging mit seinen neuen Kriegskameraden davon und ließ dem Pferdeknechte die armselige Rache, hinter ihm her zu fluchen und zu lästern, in welches letztere der Wirt mit einstimmte und sagte: »Ja, ja, es mag mir der rechte Falk sein, versichre Euch 'n hübscher Gunker, fürwahr, der unter d' Soldaten geht! sie werden dich bebebrämten Westen, wart nur! Lieber Jott! 's ist en alt Sprichwort, aber wohl 'n wahr Wort, daß nicht alles Jold ist, was gleist. Ich bin froh, daß ich ihn aus dem Hause los bin.«

Diesen ganzen Tag über marschierten der Wachtmeister und der junge Soldat mit einander, und der erste, welches ein pfiffiger Kumpan war, erzählte dem letztern manches lustige Histörchen von seinen Feldzügen her, ob er gleich wirklich in seinem Leben noch keinen einzigen gemacht hatte, denn er war erst neulich in Dienste gekommen und hatte sich durch seine Verschlagenheit dergestalt bei seinen Offizieren in Gunst gesetzt, daß er sich zu einem Kurzgewehr emporgeschwungen hatte; hauptsächlich freilich durch sein Verdienst um die Werbung, wobei er durch seine verschmitzte List gar vortreffliche Dienste leistete.

Die Soldaten waren auf ihrem Marsche sehr lustig und fröhlich, wobei denn manche Begebenheiten erzählt wurden, welche sich in den letzten Quartieren zugetragen hatten, und jedermann hing mit vieler Freiheit den Offizieren eins an, worunter manches arg und schmutzig genug war und dicht am Verleumden herging. Dies brachte unserm Helden die Gewohnheit der Griechen und Römer in Erinnerung, nach welcher solche bei gewissen festlichen und feierlichen Gelegenheiten ihren Sklaven die Freiheit gaben, mit und über ihre Herren mit der ausgelassensten Zügellosigkeit zu sprechen.

Unsere kleine Armee, welche aus zwei Kompanien zu Fuß bestand, war nunmehr an dem Orte angelangt, wo sie den Abend Halt machen sollte. Der Wachtmeister rapportierte seinem Leutnant, der das Oberkommando hatte: Sie hätten unterwegs zwei Rekruten angeworben, wovon der eine, wie er sagte, ein so hübscher Kerl wäre, als er nur jemals einen gesehn hätte (er meinte damit den Söffler); denn er hätte fast seine sechs Fuß, wäre gut gewachsen [32] und stark von Gliedmaßen, und der andere (womit er Jones meinte) wäre für das mittelste Glied auch gut genug.

Die neuen Soldaten wurden nunmehr dem Offizier präsentiert, welcher, nachdem er vorher den vollzölligen Mann besehen hatte, hernach auch unsern Jones ins Auge nahm. Beim ersten Anblick desselben konnte sich der Leutnant einer gewissen Verwunderung nicht erwehren; denn außerdem, daß er wohlgekleidet ging und einen jungen Menschen von Erziehung verriet, hatte er auch etwas in seinen Blicken, das eine gewisse Würde anzeigte, welches man unter dem gemeinen Haufen selten antrifft und welches wirklich auch nicht immer ganz unzertrennlich mit der Gesichtsgestalt der Vornehmern verbunden ist.

»Mein Herr,« sagte der Leutnant, »mein Wachtmeister rapportiert mir, daß Sie gesonnen sind, sich bei der Kompanie, welche jetzt unter meinem Befehle steht, enrollieren zu lassen. Wenn das Ihr Vorsatz ist, mein Herr, so werden wir einen jungen Mann mit vielem Vergnügen annehmen, welcher der Kompanie so viele Ehre verspricht, indem er unter derselben die Waffen führen will.«

Jones antwortete: »Er habe kein Wort davon gesagt, daß er sich wolle enrollieren lassen; er wäre der rühmlichen Sache, für welche sie zu fechten gingen, mit herzlichem Eifer zugethan und wünschte sehr, als ein Freiwilliger zu dienen.« Er beschloß damit, daß er dem Leutnant einige Komplimente machte und ihm bezeugte, wie glücklich er sich schätzen würde, wenn er unter seinen Befehlen stehen sollte.

Der Leutnant erwiderte seine Höflichkeit, lobte sei nen Entschluß, schüttelte ihm die Hand und lud ihn ein, mit ihm und den übrigen Offizieren zu Mittag zu essen.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Abenteuer einer Gesellschaft von Offizieren.


Der Leutnant, dessen wir im vorigen Kapitel erwähnt haben und welcher diesen kleinen Haufen kommandierte, war beinahe sechzig Jahre alt. Er war sehr jung in Kriegsdienste getreten und hatte schon als Fähnrich der Schlacht bei Tannieres beigewohnt. Hier empfing er zwei Blessuren und hatte sich übrigens so wohl verhalten, daß ihn der Duke of Marlborough gleich nach der Bataille zum Leutnant avancierte.

In dieser Stelle war er seitdem beständig stehn geblieben, das heißt, seit beinahe vierzig Jahren, während welcher Zeit er eine große Anzahl hatte über sich wegspringen sehen müssen, und nun die [33] Demütigung erlebte, unter dem Kommando von Knaben zu stehen, deren Väter noch die Kinderschuhe trugen, als er schon die ersten Dienste that.

Diese Zurücksetzung im Avancement lag indessen nicht bloß daran, daß er keine Freunde unter den Großen im Kriegs-Departement hatte; er hatte das Unglück, bei seinem Obersten nicht wohl angeschrieben zu stehen, welcher seit langen Jahren schon dies Regiment hatte. Auch hatte er den Haß, welchen dieser Mann gegen ihn trug, durch kein Versäumnis oder Versehn als Offizier, auch nicht einmal durch einen Fehler als Mensch sich zugezogen, sondern hatte solchen bloß der Unbesonnenheit seiner Frau zu verdanken, welche ein schönes Frauenzimmer war, und ob sie gleich ihren Mann außerordentlich liebte, dennoch sein Avancement nicht auf Kosten gewisser Gunstbezeugungen erkaufen wollte, welche der Oberste von ihr verlangte.

Der arme Leutnant war hierin um so sonderbarer unglücklich, weil er zwar die Wirkung der Feindseligkeit seines Obersten fühlte, aber nicht einmal wußte oder argwöhnte, daß er dergleichen gegen ihn hege; denn er konnte keine Feindseligkeit vermuten, zu welcher er, nach seinem besten Bewußtsein, keine Ursach gegeben hatte. Und seine Frau, welche fürchtete, ihres Mannes zarte Begriffe von Ehre möchten ihn in schlimme Händel verwickeln, begnügte sich damit, ihre Tugend unbefleckt zu erhalten, ohne des Ruhms ihrer Eroberung zu genießen.

Dieser unglückliche Offizier (denn ich glaube ihn so nennen zu dürfen) hatte außer seinen militärischen Verdiensten noch manche andre gute Eigenschaft; denn er war ein frommer, redlicher, menschenfreundlicher Mann, und hatte sich in seinem Kommando so wohl betragen, daß er nicht nur von der Mannschaft der Kompanie, bei der er stand, sondern vom ganzen Regiment aufs äußerste geschätzt und geliebt wurde.

Die andern Offiziere, welche mit ihm marschierten, waren ein französischer Leutnant, der lange genug aus Frankreich gewesen war, um seine Muttersprache zu vergessen, aber noch nicht lange genug, um dafür eine andere zu lernen; so, daß er eigentlich gar keine Sprache redete und sich über die gemeinsten Vorfälle des Lebens kaum verständlich machen konnte. Es waren auch noch zwei Fähnriche da, aber beide sehr junge Männerchen. Der eine davon hatte bei einem Prokurator sein Handwerk lernen sollen, und der andere war der Sohn einer Frau eines Tafeldeckers beim Kriegsminister. Sobald die Mahlzeit vorbei war, erzählte Jones der Gesellschaft, wie lustig und spaßhaft die Soldaten auf ihrem Marsche gewesen: »und bei alledem,« sagte er, »so lustig und laut sie schwätzen, will [34] ich doch wohl darauf schwören, daß sie sich vielmehr gleich den Griechen, als gleich den Trojanern, betragen werden, wenn sie nur erst an den Feind kommen.« – »Griechen und Trojanern,« sagte einer von den beiden Fähnrichen, »was für Kerls sind das? Ich habe von allen Truppen in Europa gehört, aber von dergleichen noch kein Wort.«

»Nun stellen Sie sich doch nicht unwissender, als Sie sind, lieber Fähnrich,« sagte der würdige Leutnant. »Ich sollte meinen, Sie hätten von den Griechen und Trojanern dennoch etwas gehört, ob Sie gleich vielleicht niemals die Iliade des Homers in irgend einer Sprache gelesen haben mögen, welcher Dichter, wie ich mich jetzt, da dieser Herr darauf anspielt, wieder erinnere, den Marsch der Trojaner mit dem Geschnatter einer Herde Gänse vergleicht, und dagegen den stillen Marsch der Griechen vorzüglich lobt. Und auf meine Ehre die Bemerkung unsers Herrn Kadetts ist sehr richtig und treffend.«

»Die Deuvel hol'! icke sick erinnre das reckte gute!« sagte der französische Leutnant. »Mir icke das hab' gelesn in die Schul, in die Madame Daciers Uebersessenung. Von die Griech, und die Trojans mache die Krieg vor ein Dame; Oui, Oui! Ick haben gelesen all das.«

– »Zum Satan, mit all'n den Homo's!« sagte der Fähnrich Northerton! »Noch hab' ich die Striemen davon da, wo ich sitze. Da ist Tom, von unserm Regimente, der hat immer ein'n Homo in der Tasche; – verdammt will ich sein, kann ich nur dazu kommen, wenn ich ihn nicht ins Feuer werfe, und denn ist noch da der Corderius, ein ebenso verfluchtes Hurkind, das mir manche Knippchen gekostet hat.«

– »Sie sind also auf Schulen gegangen, Herr Fähnrich Northerton?« sagte der Leutnant.

»Vor allen Satan, was sollt' ich nicht!« antwortete er. »Mag mein Vater dafür braten, daß er mich hinschickte. Der alte Knasterbart wollte einen Pfaffen aus mir machen; aber, hol' mich der Teufel, dacht' ich bei mir selbst, ich will dem alten Paruckenstocke eine Nase drehen, die soll sich gewaschen haben! Nicht ein'n Pfifferling von alle dem dummen Zeuge soll'n sie mir in meinen Kopf hineinbringen! – da ist Jerom Oliver, von unserm Regiment, der stand schon auf'm Sprunge, so ein Tintenkleckser zu werden; und jammer und schade wär' das gewesen; denn, des Teufels bin ich! wenn's nicht einer der scharmantesten Kerls von der Welt ist. Aber, er hängte seinem alten Hosenschröter noch eine ärgere Nase an. Denn der Jeroms hat für alles Geld, was er dem alten Nußbeißer kostet, nicht einmal schreiben und lesen gelernt.«

[35] »Sie geben Ihrem Freunde ein sehr rühmliches Zeugnis, und ein sehr verdientes, wie ich nicht leugnen möchte,« sagte der Leutnant. »Aber, lieber Northerton, lassen Sie, ich bitte, lassen Sie das gottlose und ebenso thörichte Fluchen und Schwören beiseite; denn Sie irren sich, das versichre ich Sie heilig, wenn Sie glauben, es lasse witzig und artig. Ebenso wünschte ich, Sie folgten meinem Rate und ließen die Geistlichen ungeschoren. Spottnamen und spöttisches Witzeln über eine ganze Gesellschaft von Männern läßt sich niemals rechtfertigen; ganz vornehmlich aber nicht, wenn es über ein so heiliges oder nur ehrwürdiges Amt hergeht; denn, über die Männer im Amte spotten, ist ebensoviel, als über die Amtsverrichtung selbst spotten; und ich stelle es Ihrem Bedenken anheim, wie unanständig eine Aufführung für Männer sein muß, welche auf dem Marsche begriffen sind, für die protestantische Religion zu fechten.«

Herr Adderly (so hieß der andre Fähnrich) hatte bis dahin gesessen, und mit seinen Absätzen gespielt, und ein Liedlein mit Surdinen geträllert, ohne zu scheinen, als ob er auf die Unterredung merkte. Jetzt ließ er sich vernehmen: »O Monsieur, on ne parle pas de la Religion dans la Guerre.« – »Richtig gesagt, Töstel!« sprach Northerton. »Wenn la Religion die einzige Sache wäre, so möchten meinethalben die Pfaffen ihre Schlachten für sich allein ausfechten!«

»Ich weiß nicht, meine Herren,« sagte Jones, »was Ihre Meinung sein mag; für mein Teil aber denke ich, kein Mensch kann für eine wichtigere Sache fechten, als für seine Religion; und, so wenig ich auch in der Geschichte belesen bin, so habe ich doch immer bemerkt, daß keine Soldaten so brav gefochten haben, als die, welche der Religionseifer beseelte. Meinerseits, ob ich gleich, wie ich hoffe, meinen König und mein Vaterland ebenso aufrichtig liebe, als nur irgend ein Mann im ganzen Reiche, so hat doch die Sache der protestantischen Religion keinen geringen Anteil daran, daß ich in diesem Kriege als ein Freiwilliger zu dienen entschlossen bin.«

Hier winkte Northerton dem Adderly und raunte ihm mit einer listigen Miene ins Ohr: »Riechst du's, Adderly? Riechst du den Fuchs?« Dann wandte er sich an Jones, und sagte: »Bin sehr erfreut, daß Sie unser Regiment gewählt haben, um darin als Freiwilliger mitzugehen; denn sollte unser Feldprediger dann und wann ein Glas zuviel trinken: so sehe ich, können Sie gleich an seine Stelle treten. Ich glaube, Herr, Sie sind auf Universitäten gewest: darf ich mir die Freiheit nehmen, zu fragen, auf welcher?«

»So ferne davon, Herr Fähnrich,« antwortete Jones, »daß ich Universitäten besucht haben sollte, habe ich sogar den Vorzug vor Ihnen selbst, daß ich nicht einmal auf Schulen gewesen bin.«

[36] »Ich meinte nur so,« schrie der Fähnrich, »wegen Ihrer großen Gelehrsamkeit!« – »O, mein Herr Fähnrich,« versetzte Jones, »es ist für einen Mann ebensowohl möglich, etwas zu wissen, wenn er nicht auf Universitäten gewesen ist, als es unmöglich ist, die Schulen besucht zu haben, und dennoch nichts zu wissen.«

»Gut gesagt, junger Herr Kadett!« schrie der Leutnant. »Auf mein Wort, Herr Fähnrich Northerton, Sie thäten besser, Sie foppten ihn nicht; denn er ist Ihnen überlegen, wie Sie sehn!«

Northerton wurmte der Hieb des Jones nicht wenig; indessen dachte er doch, die Beleidigung sei nicht hinlänglich, eine Ohrfeige, einen Schurken oder Hundskopf zu rechtfertigen, welches die einzigen Antworten waren, auf die er sich eben besinnen konnte. Er schwieg also für jetzt stille; beschloß aber in seinem Sinne, die erste Gelegenheit wahrzunehmen, um den Witz mit Grobheit zu erwidern.

Jetzt kam die Reihe an Jones, ein Frauenzimmer zu nennen, auf dessen Gesundheit man trinken sollte, oder wie man's nennt, einen Toast zu geben; und er konnte sich nicht enthalten, seine teure Sophie zu nennen. Dies that er mit um so größerer Freimütigkeit, da er es für platterdings unmöglich hielt, daß jemand von den gegenwärtigen Herren die Person erraten würde, welche er meinte.

Der Leutnant aber, welcher den sogenannten Toastmaster, das ist Zeremonienmeister, bei den auszubringenden Gesundheiten vorstellte, war mit dem Namen Sophie allein nicht zufrieden, sondern sagte, er müsse auch ihren Geschlechtsnamen wissen; worauf Jones ein wenig Anstand nahm, aber gleich darauf Sophie von Western nannte. Fähnrich Northerton beteuerte, er wolle nicht auf ihre Gesundheit in einer Reihe mit seinem eigenen Toast trinken, wofern nicht jemand für ihre Würdigkeit Bürgschaft leiste, »ich kenne eine Sophie Western« sagte er, »die es fast mit der Hälfte aller jungen Kerls zu Bath zu thun gehabt hat, und vielleicht könnte es eben das Mädchen sein.« Jones versicherte ihm sehr feierlich das Gegenteil und beteuerte, das junge Frauenzimmer, das er genannt, sei von hohem Stande und großem Vermögen. »Ei, ja, ja!« sagte der Fähnrich, »das ist sie. Bei meiner Seele, 's ist dasselbige Mädchen, und wer wettet ein halb Dutzend Flaschen Burgunder? Tom Franz von unserem Regiment soll sie in jedem Weinhause in der Brückengasse uns zuführen, so wie wir da sind!« Er fuhr darauf fort, ihre Person ganz genau zu beschreiben, (denn er hatte sie dort mit ihrer Tante gesehen) und beschloß endlich damit, daß er sagte: ihr Vater besäße große Güter in Somersetshire.

Die Zärtlichkeit der Liebhaber kann nicht wohl den leisesten Spaß mit dem Namen ihrer Geliebten vertragen. Unterdessen ahndete doch Jones, der übrigens gemäß seines Temperaments Liebhaber [37] und Held genug dazu war, diese Verleumdung nicht so hastig, als er vielleicht gesollt hätte. Da er, die Wahrheit zu bekennen, von dieser Art Witz noch nicht viel erlebt hatte, so verstand er ihn wirklich nicht und bildete sich eine ganze Weile hindurch ein, Northerton habe sich in der Person seiner Geliebten geirrt. Jetzt aber wendete er sich mit einer ernstlich drohenden Miene gegen den Fähnrich und sagte: »Ich bitte, mein Herr, wählen Sie sich einen andern Gegenstand für Ihren Witz; denn, ein- für allemal ich leide keinen Mutwillen oder Spaß mit dem Charakter dieser jungen Dame.« – »Mutwillen oder Spaß! Der Teufel hol' mich, wenn ich in meinem Leben etwas ernsthafter gemeint habe! Tom Franz, von unserm Regiment, hat's zu Bath mit beiden zu thun gehabt; mit Nichte und Tante.« – »So muß ich denn im Ernst sagen,« schrie Jones, »daß der Herr einer der unverschämtesten Schurken auf Gottes Erdboden ist.«

Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als der Fähnrich, eine volle Weinflasche, begleitet von einer ganzen vollen Ladung von Flüchen, nach Jones' Kopfe warf; sie traf ihn ein wenig über dem Schlafe an der rechten Seite und streckte ihn augenblicklich zu Boden.

Als der Siegesheld gewahr ward, daß sein Feind ohne Bewegung vor ihm lag, und daß aus der Wunde ziemlich reichlich Blut hervorquoll, begann er darauf zu sinnen, das Schlachtfeld zu verlassen, woselbst keine Ehre mehr einzuernten war; allein der Leutnant verhinderte es, indem er sich vor die Thüre stellte und ihm solchergestalt den Rückzug abschnitt.

Northerton lag dem Leutnant sehr dringend an um seine Freiheit, indem er ihm die gefährlichen Folgen seines Bleibens zu Gemüte führte und ihn dabei fragte: was er weniger hätte thun können? »Schwere Not!« sagte er. »Ich hatte bloß meinen Spaß mit dem Kerl. Ich habe in meinem Leben kein böses Wort über Fräulein Western gehört!« – »Haben Sie nicht, wirklich?« sagte der Leutnant. »Nun, so verdienen Sie reichlich, gehangen zu werden; sowohl für Ihren Spaß, als dafür, daß Sie solche Waffen brauchen. Der Herr ist mein Arrestant, und soll keinen Schritt von dannen setzen, bis die gehörige Wache zu seiner sicheren Begleitung anlangt.«

Solch ein überwiegendes Ansehen hatte unser Leutnant über den Fähnrich, daß alle die brausende Kourage, welche unsern Held zu Boden gestreckt hatte, den besagten Fähnrich schwerlich soweit beseelt haben möchte, seinen Degen gegen den Leutnant zu ziehen, hätte er auch einen an der Seite hängen gehabt. Alle Degen aber, welche an der Seite des Eßzimmers aufgehängt waren, hatte der französische Offizier gleich beim Anbeginn des Zanks in Sicherheit[38] gebracht; so daß also Herr Fähnrich Northerton genötigt war, den Ausgang dieser Sache abzuwarten.

Der französische Herr und der Fähnrich Adderly hatten auf Verlangen des befehlhabenden Offiziers den Körpers unsers Jones von der Erde aufgehoben; da sie aber wenig oder gar keine Zeichen des Lebens an ihm spüren konnten, so ließen sie ihn wieder sinken. Adderly fluchte auf ihn, weil er ihm seine Weste blutig gemacht hätte, und der Franzose beteuerte: »Sur mon honneur! Icke, mick werd nick touchir die toter Mann; abend keört, die Kehäß von der Land ihr ängt hauf die Person, die hihm hat faß an der Leßte.«

Als sich der gute Leutnant an die Thüre stellte, ergriff er auch zugleich den Zug der Klingel und schellte; und als der Aufwärter darauf augenblicklich er schien, schickte er ihn hin, eine Rotte Musketiere und einen Wundarzt zu holen. Diese Ordre, nebst der Erzählung des Aufwärters von dem was er selbst gesehen hatte, schaffte nicht nur die Soldaten herbei, sondern brachte auch den Wirt vom Hause, seine Frau, alles Gesinde, und in der That jedermann, der sich eben in der Schenke befand, auf die Beine.

Alle Begebenheiten kurz und klein zu beschreiben und alle Gespräche des folgenden Auftritts zu erzählen, steht nicht in meinem Vermögen, ich müßte denn vierzig Federn haben und mit allen zugleich schreiben können, so, wie die Versammlung zugleich sprach. Der Leser muß sich daher mit den wichtigsten Vorfallenheiten begnügen und vielleicht schenkt er mir das übrige sehr gerne.

Das erste, was geschah, war, daß man sich der Person des Fähnrichs Northerton versicherte, welcher der Wache von sechs Mann, mit einem Korporal an ihrer Spitze, in Verwahrung gegeben und von dieser aus einem Orte weggeführt wurde, den er sehr gerne und willig verließ; sie führte ihn aber zum Unglück an einen Ort, wo er sehr ungerne hinging. Die Wahrheit zu sagen, sind die Wünsche des Ehrgeizigen sehr unstät und grillenhaft; denn denselbigen Augenblick, da dieser junge Held die obenerwähnte Ehre erhalten hatte, wäre es ihm ganz lieb gewesen, wenn er sich nach irgend einem Winkel der Welt hätte begeben können, woselbst der Ruf von seiner Heldenthat seine Ohren niemals erreicht hätte.

Es wundert uns und vielleicht auch einige Leser, wie der Leutnant, ein so würdiger guter Mann, seine erste Sorge vielmehr darauf gerichtet sein lassen konnte, den Thäter zu verfesten, als der verwundeten Person das Leben zu retten. Wir setzen diese Beobachtung hier nicht in der Absicht her, um uns anzumaßen, die Gründe für ein so sonderbares Betragen ausfindig zu machen; sondern, damit sich in der Folge nicht ein oder der andre Kritikus mit der Entdeckung breit machen könne. Wir möchten diesen Herren gerne [39] zeigen, daß wir das Sonderbare in einem Charakter ebensogut sehen können, wie sie selbst. Unser Geschäft aber ist, die Thatsachen zu erzählen, wie sie sind; und haben wir das gethan, so ist es die Sache des gelehrten und einsichtsvollen Lesers, im Originalbuche der Natur nachzuschlagen, aus welchem jede Stelle unsers Werks abgeschrieben ist, ob wir gleich nicht immer Kapitel und Seite zu unsrer Gewährleistung anführen.

Die Gesellschaft, welche nunmehr anlangte, war von einem ganz andern Schrot und Korn. Sie setzten ihre Neugierde in Ansehung der Person des Fähnrichs fürs erste beiseite, bis sie ihn hernachmals in einer weit anziehenderen Stellung zu sehen bekommen würden. Für jetzt war ihre ganze Sorge und Aufmerksamkeit auf den blutigen Gegenstand gerichtet, der vor ihnen auf dem Fußboden lag; und welcher, als man ihn auf einen Stuhl in eine aufrechte Stellung setzte, sehr bald wieder anfing, Zeichen des Lebens und der Bewegung an sich blicken zu lassen. Diese wurden nicht so bald von der Gesellschaft wahrgenommen (obgleich Jones anfänglich für völlig tot geachtet wurde), als sie flugs alle darüber herfielen, ihm Rezepte zu verschreiben, denn niemand war von dem Orden der wahren Aerzte vorhanden, sondern jedermann nahm das Amt derselben über sich.

Aderlassen! war die eintönige Stimme des ganzen versammelten Haufens im Zimmer; unglücklicherweise aber war niemand gegenwärtig, der die Operation verrichten konnte: jedermann schrie also, »laßt den Barbier kommen!« Kein Mensch aber setzte einen Fuß aus der Stelle. Verschiedne Herzstärkungen wurden ebenso vergeblicherweise verordnet; bis der Wirt eine Kanne von seinem Doppelbiere nebst einer Scheibe gerösteten Brots herzubringen befahl, welches, wie er sagte, die beste Herzstärkung von der Welt wäre.

Die einzige Person, welche die hauptsächlichsten, oder die in der That nur einige wirkliche Dienste leistete, oder doch schien als ob sie welche leisten wollte, war die Wirtin. Sie schnitt einige von ihren Haaren ab und legte solche auf die Wunde, um das Blut zu stillen. Sie machte sich selbst darüber her, mit ihrer Hand des Jünglings Schläfe zu reiben; und nachdem sie mit bitterer Verachtung von dem Bierrezepte ihres Mannes gesprochen hatte, schickte sie eine von ihren Mägden hin und ließ aus ihrem eigenen Schranke eine Flasche Branntwein holen. Sobald die gebracht war, erhielt sie's über Jones, der eben wieder zu Sinnen gekommen war, daß er einen starken, herzhaften Schluck davon nahm.

Nicht lange hierauf kam der Wundarzt, welcher, nachdem er die Wunde besichtigt, die Achseln gezuckt, den Kopf geschüttelt und alles getadelt, was bis daher gethan war, sogleich befahl, seinen Patienten [40] zu Bette zu bringen. Wir befinden für gut, ihn darin einige Zeit seiner Ruhe zu überlassen, und machen sonach diesem Kapitel ein Ende.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Enthält: die große Gewandtheit der Wirtin, die große Gelehrsamkeit eines Wundarztes und die solide Wissenschaft des würdigen Leutnants in der Kasuistik.


Nachdem der verwundete Mann nach seinem Bette gebracht und das Haus von dem Getümmel, das dieser Zufall veranlaßt hatte, wieder ein wenig zur Ruhe gekommen war, wendete sich die Wirtin mit folgender Anrede an den kommandierenden Offizier: »Ich besorge,« sagte sie, »lieber Herre, der junge Mensch hat sich wider die gnädigen Herren nicht so schicklich ungebührlich aufgeführt, als er wohl sollte; und wenn er dran stürbe, so glaube ich, hätte er seine rechte Lohnung; denn das ist wahr, wenn wohlnehmende Herrn solche niedrige Menscher in ihre Gesellschaft ziegen, so sollten die sich hübsch aufführen, wie's schicklich ungebührlich für sie ist; aber wie mein Mann seliger zu sagen pflag, das weiß nicht jedermann. Ich für mein Teil, das ist richtig, ich hätt' es nicht gelitten, daß sich Burschen in honetter Herrn Gesellschaft vermengt hätten; aber ich war der Vermeinung, es wäre eben auch ein Offizierer gewesen, bis mir's der Herr Wachtmeister verzählte, es wäre nur ein Rekrut.«

»Frau Wirtin,« antwortete der Leutnant, »Sie irrt sich in der ganzen Sache. Der junge Mann hat sich recht sehr gut aufgeführt, und ist, glaub' ich, ein vornehmerer Mensch und gewiß von weit besserer Erziehung als der Fähnrich, der ihn mißhandelt hat. Sollte der junge Mensch sterben, so wird der Mann, der ihm die Bouteille an den Kopf geworfen hat, die größte Ursach haben, es zu bereuen: denn das Regiment wird dadurch einen unruhigen Stänker los, der der Armee keine Ehre macht; und wenn er den Händen der Gerechtigkeit entrinnt, so gebe Sie mir die Schuld, Frau Wirtin! Weiter sag' ich nichts.«

»Ja, ja! Du allerliebste Zeit!« sagte die Wirtin, »wer sollte so was gedacht haben! Ach ja, das ist richtig! Ihro Gnaden, Herr Leutnant, werden auf Recht und Gerechtigkeit sehen, und dies sollte billig einem jeden widerfahren. Vornehme Herrn sollten keine arme Leute totschlagen und schmeißen, ohn' es verantworten zu können. Ein arm Mensch hat doch auch eine Seele, die auch erlöst werden muß, so gut als seine Vorgesetzten.«

»In der That, Frau Wirtin,« sagte der Leutnant, »Sie thut [41] dem Volontär unrecht; ich will wohl schwören, daß er von besserer Abkunft ist, als der Offizier.«

»Ei, ei,« schrie die Wirtin, »das seh' man doch! Ja, freilich, mein Mann seliger war ein sehr vernünftiger Mann; er pflag zu sagen, man kann es dem Rock nicht immer ansehn, was für ein Mann drin steckt. Ach ja, der war auch so schlecht wohl noch nicht, denn ich habe ihn nicht eher zum ansehn gekriegt, bis er voller Blut war, wer sollte so was gedacht haben! Kann wohl sein, 's ist ein junger Herr, dem 's in der Liebe die Quere geht. Ach du liebste Zeit! Wenn er sterben sollte, welch en Herzleid würde das machen für seine lieben Eltern. Nu, das ist richtig, der Teufel, Gott sei bei uns! muß den gottlosen Bösewicht besessen haben, der eine solche That thun kann. Ja wohl wahr, wie Ihr Gnaden, Herr Leutnant sagen, er macht der Armee keine Ehre; denn die meisten von den Herrn von der Armee, die ich noch zum ansehn gekriegt habe, sind ein ganz ander Art Korn von Leuten, und haben das Ansehn darnach, daß sie ebenso milchthätig sind wie andre, um nur einen Tropfen Christenbluts zu vergießen. Ich meine, das heißt auf eine höfliche Art, wie mein Mann seliger zu sagen pflag; denn das ist richtig, wenn sie in den Krieg kommen, da muß Blutvergießen sein! Aber daran haben sie denn auch ganz recht gethan und sind davor nicht zu tadeln. Jemehr sie daran von unserm Feind totmachen, desto besser; und ich wünschte, mit Herzensgrunde, daß sie ein jegliches Mutterkind von ihnen totschießen möchten!«

»O pfui, Frau Wirtin!« sagte der Leutnant, »alle! das ist doch ein zu blutgieriger Wunsch.«

»Gar nicht, lieber Herr Leutnant,« antwortete sie; »ich bin ganz und gar nicht von den blutgierigen und falschen! Nur gegen unsre Feinde, und da ist gar keine Sünde bei. Das ist doch richtig, es ist natürlich für uns, daß wir unsre Feinde aus der Welt wünschen, damit des Krieges einmal ein Ende wäre und wir nicht mehr so viel Steuern geben dürfen: denn es ist entsetzlich, was wir alles aufblechen müssen. Ja, sehn Sie nur, wir geben allein bis auf zehn Thaler fürs Fensterlicht, und doch haben wir so viel eingehn lassen, als wir nur immer können. Das ganze Haus haben wir fast blind gemacht, das ist wahr; und so sagt' ich zu den Steuerleuten, sie sollten uns, sag' ich, ein wenig günstig sein, denn wir sind recht gute Freunde der Regierung, und das ist wahr, das sind wir, denn wir geben ihr das Geld zu ganzen Händen voll; und doch kommt mir's zuweilen vor, als ob die Regierung nicht glaubt, sie sei uns mehr schuldig, als solchen Leuten, die ihr keinen Heller bezahlen; ja, liebste Zeit, das ist so der Lauf der Welt.«

Sie war diesergestalt in dem besten Laufe ihrer Rede, als [42] der Wundarzt ins Zimmer trat. Der Leutnant fragte ihn alsobald, wie's seinem Patienten ginge? Er befriedigte ihn aber nur folgendermaßen: »Besser, glaub' ich, als es jetzt schon gegangen sein würde, wenn ich nicht dazu gerufen worden wäre, und noch ebenso wie's ist, wär' es vielleicht glücklich gewesen, wenn ich hätte früher gerufen werden können.« – »Ich hoffe, mein Herr,« sagte der Leutnant, »es zeigt sich kein Bruch im Hirnschädel?« – »Hm!« sagte der Barbier, »Frakturen sind nicht immer die gefährlichsten Symptome. Kontusionen und Lazerationen sind oft von schlimmern Phänomenis begleitet und haben fatalere Folgen als Frakturen. Leute, welche nichts von der Sache verstehen, meinen, wenn sich nur keine Frakturen am Schädel zeigen, so sei alles schon gut; da ich doch lieber sehen wollte, daß eines Menschen sein Schädel in tausend Stücke zersplittert wäre, als gewisse Kontusionen, die mir in meiner Praxis vorgekommen sind.« – »Ich hoffe,« sagte der Leutnant, »daß hier keine dergleichen Symptome vorhanden sind!« – »Symptome,« antwortete der Wundarzt, »sind nicht immer regulär oder beständig. Mir sind Symptome vorgekommen, welche des Vormittags sehr bös aussahen und sich gegen Nachmittags sehr günstig veränderten. Von Wunden, ja freilich, wird ganz richtig und wahr gesagt: Nemo repente fuit turpissimus. Ich erinnere mich, daß ich einstens zu einem Patienten gerufen wurde, der eine violente Kontusion in die Tibia gekriegt hatte, wodurch die Cutis exterior ganz lazeriert worden, dergestalt, daß eine starke Extravasation vorhanden war, und die Membrana interior war dergestalt divelliziert, daß das Os, oder der Knochen, durch die Appertur der Vulnus, oder Wunde, ganz deutlich zu sehen war. Zugleich stellten sich einige febrilische Symptomata dabei ein (denn der Puls ging hoch und indizierte viel Phlebotomia). Ich besorgte eine immediate Mortifikation. Dieser zuvorzukommen, machte ich ein großes Orifizium in die Venam des linken Arms, und zog daraus zwanzig Unzen Bluts, und ich erwartete nichts anders, als ich würde solches sehr zäh und glutinös, oder wirklich koajuliert befinden, wie es im pleureitischen Zufällen zu sein pflegt. Aber zu meinem Erstaunen fand ich es ganz hellrot und rosenfarbig; und seine Konsistenz differierte nur sehr wenig von dem Blute eines ganz gesunden Menschen. Was that ich! Ich applizierte auf die Wunde ein hübsches Foment, welches dann die erwünschte Wirkung that; und nach drei oder vier Verbänden begann die Wunde einen dicken Puß, oder Eiter, auszuwerfen, vermittelst dessen die Kohäsion – aber vielleicht drücke ich mich Ihnen nicht ganz verständlich aus.« – »Nein, wirklich nicht!« antwortete der Leutnant. »Ich kann nicht sagen, daß ich eine Silbe verstände.« – »Recht gut denn«, sagte der Barbier, »so [43] will ich Ihre Geduld nicht länger mißbrauchen. Kurz, in sechs Wochen war mein Patient wieder auf den Beinen, und zwar so flink, als er's nur jemals sein konnte, bevor er die Kontusion wegkriegte.« – »Ich wünschte, mein Herr,« sagte der Leutnant, »Sie möchten bloß die Güte haben, mir zu sagen, ob die Wunde, welche dieser junge Mensch zu bekommen das Unglück hatte, so beschaffen ist, daß sie tötlich werden kann?« – »Mein Herr Leutnant,« antwortete der Barbier, »bei einem ersten Verbande zu sagen, ob eine Wunde tötlich werden könne oder nicht, das wäre eine thörichte Anmaßung. Wir sind alle sterblich; und während einer Kur ergeben sich oft solche Symptomata, welche der geschickteste Mann in unserer Profession keineswegs vorhersehen konnte.« – »Aber, halten Sie denn dafür, daß er in Gefahr sei?« sagte der andere. – »In Gefahr! nun wahrhaftig!« schrie der Pflasterdoktor. »Von wem unter uns, der sich in der vollkommensten Gesundheit befindet, kann man wohl sagen, er befinde sich in keiner Gefahr? Kann man also wohl von einem Manne mit einer so bösen Wunde sagen, er sei außer Gefahr? Alles, was ich für jetzt noch sagen kann, ist: man hat sehr wohl gethan, daß man mich dazu gerufen hat; und vielleicht wär's noch besser gewesen, wenn man mich früher gerufen hätte. Morgen in der Frühe will ich ihn wieder besuchen, und unter der Zeit muß er sich äußerst ruhig verhalten und fein fleißig Haferwelgen trinken.« – »Wollten Sie nicht erlauben,« sagte die Wirtin, »daß man ihm ein wenig Gerstengraupenwasser mit Sekt machte?« – »Ach ja,« sagte der Arzt, »da können Sie wohl thun! Nur ja nicht zu stark! nicht zu stark von Sekt.« – »Und ein wenig Brühe von jungen Hühnchen?« fügte sie hinzu. – »Ja, ja, junge Hühnerbrüh, aber schwach,« sagte der Doktor, »ist recht gut!« – »Darf ich ihm nicht auch ein bißchen Gallert machen?« sagte die Wirtin. – »Ach ja, warum nicht?« antwortete der Doktor; »Gallerte sind sehr gut für eine Wunde, sie befördern die Kohäsion.« Und in der That war's ein Glück, daß sie nicht starke Rindfleischsuppen und stark gewürzte Brühen genannt hatte, denn der Doktor hätte gerne alles zugegeben, um nur nicht die Kundschaft des Hauses zu verlieren. Der Barbier war kaum weggegangen, als die Wirtin anfing, gegen den Leutnant seinen Ruhm auszuposaunen, denn dieser hatte, während seiner kurzen Bekanntschaft mit ihm, keine so hohe Meinung von seiner Geschicklichkeit in der Wundarzneikunst gefaßt, als diese gute Frau und die ganze Nachbarschaft umher (und zwar wirklich mit Recht) von ihm hegte. Denn, ob ich freilich wohl fürchte, daß der Doktor einen kleinen Hasenfuß in der Tasche führte, so konnte er deswegen doch ein sehr guter Wundarzt sein.

Da der Leutnant aus der gelehrten Rede des Barbiers sich [44] so viel zusammenbuchstabiert hatte, daß Herr Jones in großer Gefahr sei, so stellte er Ordre, den Fähnrich Northerton aufs strengste zu bewachen, und setzte sich vor, ihn des Morgens nach einem Friedensrichter zu begleiten, und so lange das Kommando der Truppen auf ihrem Marsche nach Glocester dem französischen Leutnant zu übertragen, welcher, ob er gleich keine einzige Sprache weder lesen, schreiben noch sprechen konnte, dennoch bei alledem ein guter Offizier war.

Des Abends spät schickte unser Leutnant zu dem Herrn Jones und ließ ihm sagen, woferne ihm ein Besuch keine Unruhe verursachte, so wolle er auf ein paar Worte zu ihm kommen. Diese Höflichkeit ward vom Herrn Jones sehr gut und mit Dankbarkeit aufgenommen, und demzufolge ging der Leutnant hinauf nach seinem Zimmer zu ihm, woselbst er den Verwundeten in weit bessern Umständen antraf, als er erwartete; sogar gab Jones seinem Freunde die Versicherung, er würde schon längst aus dem Bette aufgestanden sein, wenn ihm der Wundarzt nicht ausdrücklich das Gegenteil befohlen hätte; denn er dünke sich so wohl zu befinden, als jemals, und spüre keine andre Folgen von seiner Wunde, als große Kopfschmerzen an derselbigen Seite.

»Es sollte mir sehr lieb sein,« sagte der Leutnant, »wenn Sie sich so wohl befänden, als Sie sich's einbilden; denn so wären Sie im stande, sich ohne Aufschub Recht zu verschaffen, denn wenn sich eine Sache nicht anders ausgleichen läßt, wie es bei erfolgten Thätlichkeiten der Fall ist, so ist das beste, seinen Mann je eher je lieber vor die Klinge zu nehmen! Aber ich besorge, Sie halten sich für besser als Sie sind; und er hätte zu große Vorteile über Sie.«

»Ich will's unterdessen doch versuchen,« antwortete Jones, »wenn Sie's erlauben und so gütig sein wollen mir einen Degen zu leihen, denn ich habe keinen eigenen bei mir.«

»Mein Degen ist Ihnen herzlich gern zu Dienste, mein lieber Kamerad,« sagte der Leutnant, und küßte ihn; »Sie sind ein braver junger Mann, und ich liebe Ihren Mut; aber ich fürchte für Ihre Kräfte, denn solch ein Schlag und solch ein Blutverlust muß Sie sehr geschwächt haben, und ob Sie gleich in Ihrem Bette keinen Mangel an Kräften spüren, so möchten Sie es doch nur gar zu sehr merken, wenn Sie ein oder ein paar Gänge mit ihm gemacht hätten. Ich kann's nicht zugeben, daß sie heut abend noch mit ihm hinausgehen; ich hoffe aber, Sie werden uns einholen können, ehe wir noch viele Märsche vor Ihnen voraus haben, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, er soll Ihnen Genugthuung geben, oder der Mann, der Sie beleidigt hat, soll nicht beim Regiment bleiben.«

»Ich wünschte,« sagte Jones, »es wäre möglich, die Sache noch [45] heute abend abzumachen; da Sie mich darauf gebracht haben, so kann ich nun einmal nicht eher ruhen.«

»Schlagen Sie sich das aus dem Sinne,« erwiderte der andere. »Ein Aufschub von ein paar Tagen kann nichts verderben. Die Wunden der Ehre sind nicht wie die Wunden des Körpers, welche einen schleunigen Verband erfordern. Sie verlieren nichts dabei, wenn Sie Ihre Genugthuung acht Tage früher oder später nehmen.«

»Aber wie wär' es,« sagte Jones, »wenn es mit mir schlimmer würde und ich nun an meiner Wunde stürbe?«

»Nun alsdann,« antwortete der Leutnant, »braucht Ihre Ehre weiter gar keine Rettung! Ich selbst will Ihrem Charakter das gerechte Zeugnis geben, und vor der Welt erklären, daß Sie willens gewesen sind, den Flecken gehörig auszuwischen, wenn Sie wieder besser geworden wären.«

»Dennoch,« erwiderte Jones, »ist mir bei dem Aufschub nicht wohl zu Mute. Ich fürchte mich fast, es vor Ihnen zu gestehen, denn Sie sind ein Soldat; allein, ob ich gleich meine Jugend so ziemlich wild hingebracht habe, so bin ich doch in meinen ernsthaften Augenblicken und im Grunde meines Herzens wirklich ein Christ.«

»Das bin ich ebenfalls auch, ich versichere Sie,« sagte der Offizier: »und zwar ein so eifriger Christ, daß ich mich bei Tisch wirklich deswegen über Sie gefreut habe, daß Sie sich der Sache der Religion annahmen; und ich bin fast jetzt wirklich ein wenig böse auf Sie, mein lieber Junker, daß Sie eine Besorgnis äußern, Ihren Glauben vor irgend jemand zu bekennen.«

»Aber wie schrecklich muß es für einen Menschen sein,« sagte Jones, »der wirklich ein Christ ist, und doch gegen das ausdrückliche Verbot seiner Religion Haß und Rachgier in seinem Herzen hegt? Wie kann ich dies auf einem Krankenbett aushalten, oder wie kann ich mit dem Himmel meine Rechnung machen, solange eine solche Schuld wie diese in meinem Busen wider mich zeugt?«

»Nun, ich glaube freilich, daß ein solches Verbot vorhanden ist,« sagte der Leutnant; »allein ein Mann von Ehre kann's nicht halten; und ein Mann von Ehre müssen Sie sein, wenn Sie zur Armee gehen wollen. Ich erinnere mich, daß ich einmal diese Gewissensfrage unserem Feldprediger bei einer Bowle Punsch vorgelegt habe, und er gestand mir, daß sie schwer aufzulösen sei; sagte aber, er hoffe daß den Soldaten in diesem einen Falle etwas Nachsicht zu statten kommen möchte. Und sicherlich ist es unsere Pflicht, diese Hoffnung zu haben; denn, wer könnt' es ausstehn, ohne seine unbefleckte Ehre zu leben! Nein, mein lieber Kamerad! sei'n Sie ein guter Christ, solange Sie leben; aber dabei auch ein Mann von [46] Ehre; und lassen Sie niemals etwas auf sich sitzen! Zu einem andern Glauben soll mich weder irgend ein Buch, noch alle Pastoren und Pröpste in der ganzen Welt bereden. Ich habe meine Religion von Herzen lieb, aber meine Ehre ist mir teurer als mein Leben. Es muß ein Irrtum in die Worte des Textes gekommen sein, oder in die Uebersetzung, oder Gott weiß es, wie und wo? Aber, dem sei wie ihm wolle, ein ehrlicher Mann muß es auf die Gefahr ankommen lassen; denn seine Ehre muß er heilig achten. Und damit schlafen Sie diese Nacht nur ganz ruhig; und ich versprech' Ihnen, Sie sollen Gelegenheit bekommen, sich Recht zu schaffen und Ihre Ehre herzustellen.« Hiermit gab er dem Jones einen derben Schmatz, schüttelte ihm die Hand und nahm seinen Abschied.

Allein, obgleich dem Leutnant selbst seine Art, über seine Ehre und seine Pflichten zu denken, Zufriedenheit genug geben mochte, so wollte solche doch bei seinem Freunde nicht so recht eingreifen. Jones faßte also, nachdem er die Sache in seinen Gedanken bald hierhin geworfen hatte, bald dorthin, endlich eine Entschließung, welche der Leser im nächsten Kapitel finden wird.

Vierzehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel.

Ein wirklich grauenvolles Kapitel, und wir raten nur wenigen Lesern, sich des Abends daran zu wagen, besonders wenn sie eben allein sein sollten.


Jones schlürfte einen großen Napf junge Hühner- oder vielmehr alte Hahnenbrühe mit ebenso gutem Appetite aus, wie er wirklich den Hahn selbst verzehrt haben würde, wovon sie gekocht war, und ein Pfund Schinken obendrein; und nunmehr da er nicht weiter spürte, daß ihm an Gesundheit oder Mut etwas abginge, entschloß er sich aufzustehen und seinen Feind aufzusuchen.

Erst aber schickte er zum Wachtmeister, welches seine älteste Bekanntschaft unter diesen Herren vom Militär war. Zum Unglück war dieser Kriegsmann, nachdem er im buchstäblichen Verstande sein Bier mit Maßen getrunken hatte, auf sein Streulager zur Ruhe gegangen, auf welchem er so laut schnarchte, daß es nicht leicht war, einen Schall in seine Ohren zu bringen, der vermögend gewesen, den Schall, der durch seine Nasenlöcher ertönte, zu übertäuben.

Weil indessen Jones auf seinem Verlangen beharrte, ihn zu sprechen: so fand endlich ein schreihalsiger Kellnerbursche Mittel, ihn in seinem Schlummer zu stören, und ihm die Botschaft zu hinterbringen. Der Wachtmeister hatte solche nicht so bald verstanden, als er sich von seinem Lager erhob und, da er sich nicht von neuem [47] anzukleiden brauchte, augenblicklich seine Aufwartung machte. Jones hielt es nicht für dienlich, dem Wachtmeister sein Vorhaben zu eröffnen, ob er's gleich mit großer Sicherheit hätte thun können; denn diese Zierde des Kurzgewehrs war selbst ein Mann von Ehre und hatte seinen Mann im Zweikampf erlegt. Er würde sonach dies Geheimnis getreulich bewahrt haben, oder in der That auch ein jedes andres, auf dessen Entdeckung kein Preis gesetzt worden. Da unterdessen Jones diese Tugenden bei einer so kurzen Bekanntschaft nicht hatte entdecken können, so war seine Behutsamkeit vielleicht klug und lobenswürdig genug.

Er fing also damit an, daß er dem Wachtmeister sagte: nachdem er jetzt unter die Armee gegangen sei, schäme er sich, daß ihm etwas fehle, was vielleicht das notwendigste Bedürfnis eines Soldaten ausmache, nämlich: ein Degen; und setzte hinzu, er würde ihm unendlich verbunden sein, wenn er ihm zu einem verhelfen könnte. »Ich will Ihnen,« sagte er, »gerne jeden billigen Preis dafür bezahlen. Es kommt mir auch eben nicht auf ein silbernes Gefäß an, wenn die Klinge nur gut ist und von der Beschaffenheit, daß sie ein ehrlicher Soldat an der Hüfte tragen kann.«

Der Wachtmeister, welcher recht gut wußte was vorgegangen war, und gehört hatte, daß Jones sich in gefährlichen Umständen befände, machte aus solch einer Botschaft, zu solch einer Zeit des Nachts, und von einem Manne in solch einer Lage, den unmittelbaren Schluß, es müsse in seinem Kopfe nicht ganz richtig zugehn. Da ihm nun (um die Redensart hier in gewöhnlicher Bedeutung zu nehmen) der Kopf allemal auf der rechten Stelle stand, so bedachte er sich nicht lange, aus dem Einfalle des kranken Mannes seinen Vorteil zu ziehen. »Herr,« sagte er, »ich glaube ich kann aushelfen. Ich führe ein wackeres Ding von dem Schlage in der Kompanie. Ein silbernes Gefäß ist nun freilich nicht daran, welches, wie Sie richtig bemerken, für einen braven Soldaten sich nicht einmal schickt; aber der Griff ist doch anständig genug, und die Klinge ist so gut als eine in Europa. Es ist eine Klinge, Herr! – eine Klinge! – die – kurzum, ich will Ihnen gleich den Degen herholen, und Sie sollen ihn sehen, und sollen 'n probieren! – 'S ist mir herzlich lieb, daß ich Ihr Gnaden so wohl sehe.«

Nachdem er im Augenblick wieder mit dem Degen zurückgekommen war, gab er solchen Herrn Jones in die Hände, welcher ihn nahm, ihn auszog, und darauf dem Wachtmeister sagte, er werde wohl angehn, und ihn darauf bat, seinen Preis zu fordern.

Der Wachtmeister fing nun an, seine Ware in die Länge und Breite herauszustreichen. Er sagte, (ja er beschwor es ganz kecklich,) die Klinge wäre in der Schlacht bei Dettingen von einem französischen [48] Offizier von sehr hohem Range erbeutet. »Ich nahm s' ihm selbst,« sagt' er, »von der Seite, nachdem ich 'n eins über'n Kopf versetzt hatte. Das Gefäß war von purem Golde; das verkauft' ich an einen von unsern vornehmen Putzdocken; denn, Ihr Gnaden wissen ja wohl, daß es der Leute genug gibt, die sich mehr aus dem Gefäße machen, als aus der Klinge.«

Hier fiel ihm der andere in die Rede und bat, ihm den Preis zu sagen. Der Wachtmeister, der gar nicht anders glaubte, als Jones habe seine Sinne nicht alle beieinander und wäre seinem Ende sehr nahe, meinte er thäte Sünde, wenn er seiner eigenen Familie dadurch zu nahe thäte, daß er zu wenig forderte, begnügte sich gleichwohl, nachdem er ein paar Minuten nachgedacht hatte, damit, daß er zwanzig Stück Karolinen forderte und dabei schwur, er wollte ihn seinem eigenen Bruder nicht um weniger verkaufen.

»Zwanzig Stück Karolinen!« sagte Jones mit der äußersten Verwunderung. »Der Herr hält mich gewiß für verrückt oder meint, ich habe in meinem Leben noch keinen Degen gesehen. Zwanzig Karolinen! Ich dächte gar! Ich hätte mir nicht eingebildet, daß mich der Herr so zu prellen suchen wollte. – Da, da nehm' der Herr seinen Degen! – Doch nein, besser gedacht, will ich ihn selbst behalten und ihn morgen früh Ihrem Offizier zeigen, und ihm dabei sagen, wie viel Sie von mir dafür gefordert haben.«

Der Wachtmeister, welchem, wie wir gesagt haben, der Kopf (in sensu praedicto) allemal auf der rechten Stelle stand, und der jetzt sehr deutlich merkte, daß es mit Jones' Kopfe nicht so beschaffen sei, wie er gedacht hatte, faßte sich auf der Stelle, äffte eine ebenso große Verwunderung nach, als der andere bezeigt hatte, und sagte: »Herr, ich bin gewiß, daß ich Ihnen nicht viel vorgeschlagen habe. Daneben müssen Sie bedenken, daß ich nur den einen Degen habe, und ich's darauf wagen muß, daß mich mein Offizier bestraft, wenn ich selbst ohne 'en Degen gehe; und wahrhaftig! alles das zusammengenommen, so sollt' ich denken, zwanzig Kopfstück wär' nicht so greulich viel dafür!«

»Zwanzig Kopfstück, wie? Der Herr forderte ja den Augenblick zwanzig Stück Karolinen.« – »Wie!« schrie der Wachtmeister, »sicher, Ihr Gnaden haben nicht recht gehört, oder ich habe mich versprochen – Nu! ein Wunder ist's auch nicht; denn ich bin noch halb im Schlafe. Zwanzig Karolinen, ja das glaub' ich! Kein Wunder, daß Ihr Gnaden das so übel nahmen! ich sagte auch zwanzig Stück Karolinen! – Nein, nein, ich meinte zwanzig Kopfstück, versichere Sie; und wenn Ihr Gnaden alles recht bedenken, so hoff' ich, werden Sie den Preis so überteuer nicht finden. Es ist freilich wohl [49] wahr, daß Sie einen Degen, der ebenso hübsch aussieht, wohl für etwas weniger Geld haben könnten, aber –«

Hier unterbrach ihn Jones und sagte: »Ich bin so wenig gesonnen, lange mit Ihnen zu feilschen, daß ich Ihnen lieber noch etwas mehr geben will, als Sie fordern.« Das that er denn wirklich und sagte ihm dabei: er solle nur wieder zu Bett gehen, und er wünschte ihm auf morgen einen guten Marsch, hinzufügend, er hoffte, die Division noch wieder einzuholen, bevor sie Glocester erreicht hätte.

Der Wachtmeister nahm sehr höflichen Abschied, herzlich zufrieden mit seinem getroffenen Handel, und nicht weniger vergnügt über seine Behendigkeit, womit er den falschen Schritt gewendet hatte, wozu er durch die Meinung, daß es dem kranken Manne im Kopfe spuke, sich hatte verführen lassen.

Sobald der Wachtmeister fortgegangen war, stand Jones auf von seinem Bett, kleidete sich völlig an, und zog sogar den Rock über, welcher, da er von weißer Farbe, die Ströme von Blut sehr sichtbar zeigte, welche darüber hingeflossen waren. Er faßte darauf seinen neugekauften Degen in die Hand und war im Begriff fortzugehen, als der Gedanke an das, was er zu thun auf dem Punkt stände, ihn plötzlich überfiel, und er zu überlegen begann, daß er vielleicht innerhalb ein paar Minuten einem menschlichen Wesen das Leben nehmen, oder auch sein eigenes verlieren mochte. »Sehr gut!« sagte er, »und in was für einer Sache wage ich denn mein Leben? Nun, in Sachen meiner Ehre! Und was für ein menschliches Wesen ist es denn? Ein Schurke, der mich, ohne daß ich ihn dazu gereizt habe, beleidigt hat und beschimpft. Aber verbietet nicht die Religion, sich zu rächen? – Ja; aber die Welt dagegen befiehlt es. Wohl! soll ich aber der Welt gehorchen, und dem ausdrücklichen Befehle des Himmels und der Religion zuwider handeln? Soll ich lieber den göttlichen Zorn auf mich laden, als mich von der Welt – ha! eine feige Memme, einen nichtswürdigen Schuft nennen lassen? – Ich will nicht mehr daran denken! Ich bin entschlossen! – Ich muß mich mit ihm schlagen.«

Es war schon über zwölf Uhr, und jedermann im Hause war zu Bett gegangen, ausgenommen die Schildwache, welche vor Northertons Gefangenzimmer stand, als Jones ganz leise seine Thüre öffnete und fortging, seinen Feind aufzusuchen, von dessen gefänglichem Aufenthalte er eine vollkommene Beschreibung von dem Kellnerburschen eingezogen hatte. Man kann sich nicht leicht eine fürchterlichere Gestalt einbilden, als er jetzt vorstellte. Er hatte, wie wir bereits gesagt haben, einen hellfarbigen Rock an, der mit Strömen von Blut bedeckt war. Sein Angesicht, dem eben dieses Blut sowohl, [50] als noch zwanzig Unzen mehr fehlten, welche ihm der Wundarzt abgezapft hatte, war ganz blaß. Rund um seinen Kopf herum hatte er einen großen Verband, der so ziemlich aussah wie ein türkischer Turban. In der Rechten trug er einen Degen, und in der Linken ein Licht! so, daß der blutige Banko im Trauerspiel nicht wert war, mit ihm in Vergleichung gestellt zu werden. Im Ernst glaube ich nicht, daß jemals ein fürchterlicheres Gespenst auf einem Kirchhofe erschienen, oder in die Einbildung der guten Leute gekommen sei, welche an einem winterlangen Abend in einer Christnacht sich um ein Kaminfeuer in Somersetshire versammeln.

Als der Mann auf dem Posten unsern Helden gewahr ward, begann sein Haar ganz leise seine Grenadiermütze zu heben, und zu gleicher Zeit fingen seine Kniee an gegeneinander einen Wirbel zu schlagen; und plötzlich darauf fing sein Körper noch heftiger als in einem kalten Fieber an zu zittern. Er schoß seine Flinte ab und fiel mit dem Knall der Länge nach auf sein Angesicht nieder.

Ob Furcht oder Kourage ihn die Flinte lösen ließ, oder ob er nach dem Gegenstande seines Schreckens zielte, das kann ich nicht sagen. Wenn er aber zielte, so war er so glücklich seinen Mann zu verfehlen.

Als Jones den Mann fallen sah, argwöhnte er die Ursache seines Schreckens; und er konnte sich nicht enthalten darüber zu lächeln, ohne im geringsten die Gefahr zu überlegen, der er eben entgangen war. Er ging darauf bei dem Kerl vorbei, welcher noch immer in der Stellung lag, wie er gefallen war, und trat in das Zimmer, in welchem, wie ihm gesagt worden, der Fähnrich Northerton gefangen saß. Hier in trauriger Einsamkeit fand er – einen leeren Bierkrug auf dem Tische stehend, auf welchem etwas verschüttetes Bier herunterfloß, und dadurch den Anschein gab, als ob das Zimmer noch vor kurzem bewohnt gewesen, für jetzt aber stand es völlig leer.

Jones fing an zu vermuten, es möchte wohl nach einer andern Kammer führen. Allein, nachdem er alles rund umher durchsucht hatte, konnte er keiner andern Thüre ansichtig werden als der, durch welche er hereingekommen und vor welcher die Schildwache ihren Posten gehabt hatte. Er fing darauf an, den Fähnrich Northerton verschiedene Male bei seinem Namen zu rufen, niemand aber antwortete, und dies Rufen diente in der Welt zu nichts weiterem, als die Schildwache in ihrem Schrecken zu bestärken, welche nun überzeugt wurde, daß der Volontär an seinen Wunden gestorben und der Geist gekommen sei, seinen Mörder zu peinigen. Der Kerl lag nun da in allen Qualen der grauenhaftigsten Angst und ich möchte von Herzen wünschen, daß einige von den Schauspielern, die [51] inskünftige einen Mann vorstellen sollen, der vor Schrecken alle seine Sinne verloren hat, ihn gesehen haben möchten, damit sie lernen könnten, die Natur getreu nachahmen, anstatt, zur Freude und zum großen Wohlgefallen der obersten Galerie ihre alten Gebärdenspiele und Gaukelpossen zu treiben.

Als er merkte, daß der Vogel ausgeflogen, wenigstens verzweifelte, ihn zu finden, und mit Recht besorgte, daß der Knall der Flinte das ganze Haus in Aufruhr setzen würde, blies unser Held sein Licht aus und schlich sich leise wieder nach seiner Kammer und in sein Bette, wohin er wohl schwerlich unentdeckt gekommen sein möchte, wenn irgend jemand außer ihm in dieser Flur gewohnt hätte, ausgenommen ein einziger alter Herr, den das Podagra im Bette hielt, denn ehe er noch seine Kammerthüre erreichen konnte, war der Vorplatz, woselbst die Schildwache ihren Posten gehabt hatte, schon halb mit Leuten angefüllt. Einige waren in bloßen Hemden und andere nur halb angekleidet, alle aber befragten sich untereinander sehr ernsthaft, was denn hier vorging?

Man fand nun den Soldaten auf eben der Stelle und in eben der Positur liegen, wie wir ihn kurz vorher verlassen haben. Einige machten sich gleich darüber her, ihn aufzurichten, und einige hielten ihn für tot; diese merkten aber bald ihren Irrtum. Denn er sträubte sich nicht nur gegen diejenigen, welche ihre Hände an ihn legten, sondern fing auch an zu brüllen wie ein Ochse, weil er wirklich meinte, es wären lauter Gespenster oder höllische Geister, welche ihn anpackten. Seine Einbildungskraft war einmal mit fürchterlichen Erscheinungen angefüllt und verwandelte also alles, was er sah oder fühlte, in lauter Geister und Gespenster.

Zuletzt ward er durch die Anzahl überwältigt und wieder auf die Beine gebracht. Als man mit Licht kam und er zwei oder drei von seinen Kameraden erblickte, kam er wieder ein wenig zu Sinnen; als sie ihn aber fragten, was da vorgegangen sei, war seine Antwort: »Ach ich bin ein Kind des Todes! das ist's alles! Ich bin ein Kind des Todes! Ich kann's nicht überwinden! Ich hab'n gesehn! Ich hab'n gesehn!« – »Was hast du gesehn, Jakob?« sagte einer von den Soldaten. – »O, ich hab'n gesehn, den Volontär, der gestern totgeschmissen wurde!« Er verwünschte sich dann mit den schwersten Flüchen, wenn's nicht wahr wäre, daß er den Volontär gesehn hätte, der über und über bedeckt mit Blut und Feuer aus dem Munde und Nasenlöchern speiend, vor ihm vorbeigegangen wäre in die Kammer, woselbst Fähnrich Northerton gefangen gesessen, und drauf noch ferner gesehn hätte, wie der Geist den Fähnrich beim Halse gepackt und mit ihm unter einem Donnerschlage davongeflogen wäre.

[52] Die Erzählung fand bei den Zuhörern einen sehr günstigen Beifall. Alle gegenwärtigen Weiber glaubten steif und fest daran und baten den lieben Gott, er möchte sie doch vor Mord und Totschlag bewahren! Auch unter den Männern hatten manche Glauben an die Historie; andere aber machten sich darüber lustig und suchten sie lächerlich zu machen, und ein dabei stehender Furier sagte ganz kaltblütig: »Junger Kerl! Ihr werdet so nicht davonkommen, daß Ihr auf Eurem Posten geschlafen und geträumt habt!«

Der Grenadier versetzte: »Strafen können sie mich so viel sie wollen, aber meine Augen waren eben so wach als jetzt, und der Urian soll mich holen, wie er den Fähnrich geholt hat, wenn ich nicht den toten Mann gesehen habe, wie ich euch sage, mit so großen und glühenden Augen, als zwei große Fackeln.«

Das Haupt der Truppen und das Haupt des Hauses waren nun beide herbeigekommen: denn der erste, welcher noch nicht eingeschlafen gewesen und die Schildwache ihr Gewehr abschießen gehört, hatte es für seine Pflicht gehalten, alsobald aufzustehen, ob er gleich kein großes Unglück besorgte; da hingegen die Besorgnis der andern um ein vieles größer war, ihre Löffel und Kannen möchten sich in Marsch setzen, ohne dazu von ihr die geringste Ordre empfangen zu haben.

Unsre arme Schildwache, welcher der Anblick dieses Offiziers nicht viel willkommner war, als die Gespenstererscheinung, die er nach seinen Gedanken vorhin gesehen hatte, erzählte von neuem die grausenvolle Geschichte und zwar mit einigen Zusätzen von Blut und Feuer; er hatte aber das Unglück, bei den beiden letztgedachten Personen keinen Glauben zu finden. Denn der Offizier war, obgleich ein sehr religiöser Mann, frei von aller dergleichen abergläubischer Furcht; überdem hatte er den Jones, wie wir gesehen, noch erst so kürzlich in solchen Umständen verlassen, daß er an seinen Tod gar nicht glauben konnte. Die Wirtin ihrerseits war zwar nicht gar zu religiös, doch hatte sie keinen großen Widerwillen gegen die Lehre von Geistern und Gespenstern; aber es fand sich ein Umstand in der Erzählung, von welchem sie besser wußte, daß er falsch sei: wie wir dem Leser den Augenblick berichten wollen.

Jedoch, ob Northerton im Donner oder im Feuer davongeholt, oder auf was Weise er davongekommen war: das Gewisse von der Sache bestand darin, daß sein Körper sich nicht mehr im Gefangnenstocke finden ließ. Ueber diesen Umstand fiel der Schluß des Leutnants nicht sehr verschieden aus von dem Urteile des Furiers, dessen wir kurz vorher erwähnt haben; er befahl daher, die Schildwache auf der Stelle in Arrest zu nehmen. Sonach ward, [53] nach einem sonderbaren Laufe des Glücks (obgleich beim Soldaten nicht gar so unerhört), der Bewachende zum Bewachten.

Fünfzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.

Ende und Ausgang des vorigen Abenteuers.


Außer dem Verdachte des Schlafens hegte der Leutnant noch einen andern und schlimmern Argwohn auf die arme Schildwache und zwar den Verdacht der Verräterei: denn weil er keine Silbe von der Gespenstererscheinung glaubte, so bildete er sich ein, das Ganze sei weiter nichts als eine Erfindung, um ihn hinters Licht zu führen, und daß beim rechten Lichte besehen der Kerl sich habe von Northerton bestechen lassen. Dies kam ihm um so wahrscheinlicher vor, je unnatürlicher die Furcht, worin er zu sein schien, bei einem Soldaten war, der das Zeugnis eines so braven und unverzagten Mannes hatte, als nur irgend einer unter dem Regimente, der in mehr als einem Treffen gewesen war, mehr als eine Wunde aufzuweisen, kurz, der sich beständig als ein wackerer Kriegsmann betragen hatte.

Damit also der Leser nicht die geringste üble Meinung von einem solchen Manne fassen möge, wollen wir's keinen Augenblick länger verschieben, seinen ehrlichen Namen von dieser Beschuldigung zu retten.

Also Herr Northerton hatte, wie wir vorhin bemerkt haben, gnug und satt an dem Ruhme, den er durch seinen Kampf davongetragen hatte. Er mochte vielleicht gesehen, gelesen oder erraten haben, daß der Neid geneigt ist, an großen Namen zu nagen. Nicht daß ich hier zu verstehen gegen wollte, als habe er nach heidnischen Vorurteilen an die Göttin Nemesis geglaubt oder ihr gar geopfert, denn genauer überlegt, bin ich überzeugt, er kannte solche nicht einmal dem Namen nach. Er war überdem von sehr thätigem Geiste und hatte eine große Antipathie gegen die engen Winterquartiere in dem Turme zu Glocester, wohin ihm leicht ein Kriminalrichter sein Billet geben möchte. Auch war er nebenher nicht ganz frei von gewissen lästigen Betrachtungen über ein gewisses hölzernes Gebäude, welches ich, um mich nach der Meinung der Menschenkinder zu bequemen, nicht namentlich nennen mag, welche aber nach meinen Gedanken dieses Gebäude vielmehr in Ehren halten, als sich seiner schämen sollten, weil es der bürgerlichen Gesellschaft nützlicher ist, oder wenigstens nützlicher gemacht werden könnte, als fast alle übrigen, die auf öffentliche Kosten errichtet werden. Mit einem Worte, um nicht noch mehr Ursachen für seine Aufführung aufzusuchen, [54] Herr Northerton trug ein herzliches Verlangen noch an dem Abend abzureisen, und ihm blieb nichts zu thun übrig, als das Quomodo auszusinnen, welches eben keine so leichte Sache zu sein schien.

Nun war dieser junge Herr zwar wohl ein wenig bucklich von Gemüte, aber vollkommen grade von Körper, welcher außerordentlich stark und wohlgebaut war. Auch sein Gesicht ward vom größesten Teile der Weiber für schön geachtet, denn es war breit und blühend, und dabei hatte er ziemlich gute Zähne. Solche Reize ermangelten nicht, auf unsre Wirtin einen Eindruck zu machen, welche an dieser Art von Schönheit kein geringes Wohlgefallen fand. Sie hatte wirklich ein wahres Mitleiden mit dem jungen Manne; und da sie von dem Wundarzte vernahm, daß die Sachen mit dem Volontär leicht mißlich ausfallen könnten, so fürchtete sie, es möchten für den Fähnrich noch schlimmere Aspekten darauf erfolgen. Nachdem sie also die erbetene Erlaubnis erhalten hatte, ihn zu besuchen und ihn in sehr melancholischer Stimmung fand, welche sie noch um gar Merkliches dadurch herunterzog, daß sie ihm sagte, es wäre kaum noch einige schwache Hoffnung für den Volontär, so bediente sie sich der Gelegenheit, gewisse Winke hinzuwerfen, welche der andre willig und gierig auffing, wodurch sie dann bald beide dahin gelangten, sich einander richtig zu verstehen. Und es ward endlich abgeredet, der Fähnrich sollte auf ein gewisses Zeichen in der Feueresse hinaufklettern, welche in einer kleinen Höhe an die Küche stieß, wo er sich wieder herunterlassen könne, wozu sie ihm Gelegenheit machen und um die Zeit die Küsten freihalten wollte.

Damit aber unsre Leserinnen von kälterem Temperament nicht diese Gelegenheit ergreifen und zu hastig alles Mitleiden als eine Thorheit und der menschlichen Gesellschaft schädlich verdammen mögen, so halten wir es für nötig, eines andern besondern Umstands zu erwähnen, der bei dieser Handlung wohl nicht ohne allen Einfluß sein mochte. Es traf sich, daß eben damals der Fähnrich eine Kasse von fünfzig Pfund Sterling besaß, welche zwar freilich nicht ihm, sondern der ganzen Kompanie zugehörte, denn der Kapitän, der mit dem Leutnant über'n Fuß gespannt war, hatte die Löhnung seiner Kompanie dem Fähnrich anvertraut. Dieses Geld fand er indessen für gut, in die Hände der Wirtin niederzulegen; kann sein als eine Art von Sicherheit oder Bürgschaft, daß er sich hernach stellen wolle, um auf die gerichtlichen Klagen Red' und Antwort zu geben; die Bedingungen mögen aber gewesen sein welche sie wollen, so ist so viel gewiß, daß sie das Geld und er seine Freiheit hatte. Der Leser mag vielleicht von dem mitleidigen Gemüte dieser guten Frau erwarten, daß, als sie die arme Schildwache wegen [55] eines Vergehens in Arrest bringen sah, an welchem sie ihn unschuldig wußte, sie sogleich hätte auftreten und ein Zeugnis zu seinem Besten ablegen sollen; aber ob es daher kam, daß sie bei der vorigen Verhandlung ihren ganzen Vorrat an Mitleiden erschöpft, oder daß die Gestalt dieses Kerls, ob sie schon viel ähnliches mit dem Fähnrich hatte, solches nicht erwecken konnte, das lasse ich unausgemacht; aber weit entfernt dem jetzigen Gefangenen das Wort zu reden, suchte sie noch, sein Vergehen bei dem Offizier zu vergrößern, indem sie mit gen Himmel gehobenen Augen und Händen beteuerte, sie möchte um alles in der Welt nichts damit zu thun gehabt haben, einen Mörder entwischen zu lassen.

Alles war nun wieder ruhig geworden, und die meisten von der Gesellschaft gingen wieder nach ihren Betten; die Wirtin aber, welche, entweder wegen der immer regen Thätigkeit ihres Geistes, oder wegen der Besorgnis um ihr Silber und Zinn, keinen Hang zum Schlafen fühlte, erhielt von den Offizieren, da ihre Zeit zum Aufbruche nicht viel über eine Stunde mehr entfernt wäre, diese Zeit bei einer Schale Punsch mit ihr zuzubringen.

Jones hatte diese ganze Zeit über wachend gelegen und ein großes Teil von dem Gewimmel und Getümmel im Hause mit angehört, und nun wandelte ihn eine kleine Neugier an, die besondern Umstände davon zu erfahren. Er machte sich also über die Klingel her, und schellte wenigstens wohl zwanzigmal, ohne daß jemand kam; denn die Wirtin war mit ihrer Gesellschaft so lustig und laut, daß man keine andre Klapper als ihre eigene zu hören vermochte, und der Kellner und das Stubenmädchen, welche beieinander in der Küche saßen (denn er konnte ebensowenig allein aufsitzen, als sie allein im Bett liegen), jemehr sie die Schelle klingeln hörten, je banger ward ihnen und sie waren sozusagen auf ihren Schemeln angenagelt.

Endlich drang, während einer kleinen Pause des Zungenkonzerts, der Klang bis zu den Ohren der Frau Wirtin, welche gleich ihren Ruf erschallen ließ, dem beide Bedienten auf der Stelle gehorchten. »Johann,« sagte die Frau, »hört Ihr nicht, daß der Herr oben klingelt? Warum geht Ihr nicht hinauf?« – »'S ist meines Thuns net,« sagte der Kellner, »für die Zimmer zu sorgen! das kommt der Liesel, dem Stubenmädel zu!« – »Ja, wenn hä mer so sprecht!« antwortete die Magd, »meins Thuns ists au'net, Herrn ufzewarte, ich ha'es wohl zewiele hethan, adder der schwarze Mann soll mer dorch te Fänster führe, wänn 'ch's wedder kethue; weel hä toch tavon schnattert.« Da die Glocke noch immer heftig erscholl, ward die Wirtin zornig und schwur, wenn der Kellner nicht den Augenblick hinaufginge, so wollte sie ihn noch diesen Morgen ablohnen. »Wänn Sie's thuän, Matam,« sagte er, »so muß ech mer's kefalle lasse, [56] ech thue nun eemal net, was mer net zukümmt.« Sie wendete sich also an die Magd und suchte es von der mit Güte zu erhalten; aber alles vergebens. Die Liesel war ebenso unbiegsam als der I'han. Beide bestanden darauf, es wäre nicht ihr Geschäft und sie wollten's nicht thun!

Der Leutnant fing darauf an zu lachen und sagte: »Kommt, ich will dem Zank ein Ende machen!« Dann wandte er sich an die Bedienten, lobte sie beide wegen ihrer Entschlossenheit nicht nachzugeben, aber, setzte er hinzu, er wäre versichert, wenn nur einer einwilligte zu gehen, so würde es der andre gleich auch thun. Diesen Vorschlag genehmigten beide im Augenblick und gingen demzufolge in Liebe und Eintracht dicht aneinandergeschlossen hinauf. Als sie fortgegangen waren, besänftigte der Leutnant den Zorn der Wirtin dadurch, daß er ihr begreiflich machte, warum sie so ungern allein hätte gehen wollen.

Sie kamen bald wieder und berichteten ihrer Frau, daß der kranke Herr so wenig tot sei, daß er vielmehr so munter spräche, als ob er ganz gesund wäre, und daß er sich dem Herrn Leutnant empfehlen ließe und sich freuen würde, wenn er ihn noch mit einem Besuche beehren wolle, ehe er abmarschierte.

Der gute Leutnant erfüllte alsobald sein Begehren, und nachdem er sich an sein Bett gesetzt hatte, erzählte er ihm den Auftritt, der unten vorgefallen war, und beschloß mit seinem Vorsatz, die Schildwache exemplarisch bestrafen zu lassen.

Auf diese Erklärung eröffnete ihm Jones die reine Wahrheit und bat ihn angelegentlichst, den armen Kerl nicht zu bestrafen, »der, wie ich überzeugt bin,« sagte er, »ebenso unschuldig an der Flucht des Fähnrichs, als unfähig ist, eine Lüge zu schmieden oder Ihnen etwas aufheften zu wollen.«

Der Leutnant bedachte sich ein paar Augenblicke und antwortete alsdann: »Nun wohl! einen Teil der Schuld haben Sie von dem Kerl abgewälzt und der andre wird unmöglich zu erweisen stehen, weil er den Posten nicht immer und allein gehabt hat. Aber ich habe große Lust, den Schäker für seine Zaghaftigkeit strafen zu lassen. Jedoch, wer kann es wissen, wie weit das Grauen einen Menschen bei einer solchen eingebildeten Erscheinung treiben mag. Die Wahrheit zu sagen, hat er sich gegen den Feind immer sehr wacker betragen. Wohlan! es ist doch immer gut bei solchen Kerlen ein Zeichen von Religion zu sehen; so also verspreche ich's Ihnen, er soll frei sein, sobald wir ausmarschieren.«

»Aber horch, da schlägt schon der Generalmarsch! Lassen Sie sich noch einmal umarmen, mein lieber Kamerad. Sei'n Sie ruhig und pflegen Ihrer Gesundheit und vergessen nicht, daß die christliche [57] Lehre zur Geduld vermahnt: so geb' ich Ihnen mein Wort, Sie sollen bald im stande sein, Ihre Scharte auszuwetzen und eine ehrenvolle Rache an dem Kerl zu nehmen, den Sie beschimpft hat.« Hiermit ging der Leutnant fort, und Jones versuchte sich zum Schlafen zurechtzulegen.

Achtes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Ein wundervolles langes Kapitel über das Wunderbare; bei weitem das längste von allen unsern Einleitungskapiteln.


Da wir jetzt ein Buch anfangen, in welchem der Faden unsrer Geschichte uns nötigen wird, einige Dinge von weit sonderbarerer und wundersamerer Art vorzubringen, als irgend etwas von dem, was bisher vorgekommen ist, so mag es nicht undienlich sein, in diesem vorläufigen oder Einleitungs-Kapitel etwas über die Art von Schriftstellerarbeit zu sagen, welche man das Wunderbare nennt. Für dieses werden wir, sowohl zum Nutz und Frommen für uns selbst als für andre, uns bestreben, gewisse Grenzlinien zu ziehen. Und in der That kann wohl nichts Notwendigeres erdacht werden, da Kritiker 1 von verschiedenem Maß und Gewicht hier sehr geneigt sind, auf ganz verschiedene Seiten über die Markpfähle hinaus zu schreiten. Denn unterdessen, daß einige mit Monsieur Dacier ganz willig einräumen, daß eben die Sache, welche unmöglich ist, dennoch wahrscheinlich sein könne 2, haben andre einen so schwachen historischen oder poetischen Glauben, daß sie meinen, nichts sei weder möglich noch wahrscheinlich, dessen Gleiches oder Aehnliches ihnen nicht bei ihren eigenen Beobachtungen aufgestoßen ist.

Zuerst also, denk' ich, kann man mit aller Billigkeit von jedem Schriftsteller fordern, daß er sich in den Grenzen der Möglichkeit halte und nie vergesse, daß das, was für den Menschen nicht möglich ist zu thun, auch schwerlich für den Menschen möglich sei zu glauben, einer hab' es gethan. Diese Ueberzeugung brachte vielleicht manches Geschichtchen von den alten heidnischen Göttern (wovon die meisten poetischen [58] Ursprungs sind) zur Welt. Die Dichter, welche gern in üppiger und ausschweifender Phantasie leben und weben, nahmen ihre Zuflucht zu diesem Seelenvermögen, dessen Stärke und Inhalt ihre Leser nicht messen konnten, oder vielmehr, welche sie für unendlich hielten und also kein dadurch hervorgebrachtes Wunder unter die Unmöglichkeiten rechneten. Hiervon hat man zur Verteidigung der Homerischen Wunder einen starken Gebrauch gemacht, und vielleicht kann es zu seiner Verteidigung gebraucht werden; nicht, wie Pope meint, weil Ulysses den Phäaken ein Schnürchen von Kindermärchen vorerzählt, weil es eine einfältige Nation war, sondern deswegen, weil der Dichter selbst für Heiden geschrieben, für welche die mythologischen Fabeln wirkliche Glaubensartikel ausmachten. Ich meinesteils muß bekennen, ich bin von Natur so mitleidig, daß ich wünschte, Polyphemus wäre von seiner Milchdiät nicht abgegangen und hätte also sein Auge behalten. Ebensowohl konnte auch Ulysses nicht wohl mehr Kummer fühlen, da seine Gefährten von der Circe in Schweine verwandelt wurden, welche hernachmals, wie mich dünkt, zu viel Lecken nach Menschenfleisch verriet, um uns glauben zu lassen, sie habe es bloß der geräucherten Schinken wegen gethan. Ebenso wünsche ich vom Grunde meines Herzens, daß Homer die vom Horaz gegebene Regel hätte wissen können, nach welcher man übernatürliche Wesen so selten als möglich ins Spiel mischen soll: so hätten wirs nicht erlebt, daß seine Götter bei den nichtsbedeutendsten Gelegenheiten sich geschäftig erweisen und sich zuweilen auf eine solche Art benehmen, daß sie nicht nur alle Ansprüche auf Göttern geziemende Ehrerbietung verlieren, sondern selbst Gegenstände des Hohns und Spotts werden. Ein Betragen, welches selbst der Leichtgläubigkeit eines frommen und aufgeklärten Heiden nicht leicht zu verdauen gewesen sein muß und welches sich auch niemals hätte verteidigen lassen, wenn nicht die Voraussetzung bei den meisten stattgefunden hätte, welcher ich selbst zuweilen beitreten möchte, nämlich, daß dieser vortrefflichste aller Dichter (denn das war er unstreitig), die versteckte Absicht hatte, den unvernünftigen Aberglauben seiner Zeit und seines Vaterlandes lächerlich zu machen.

Jedoch ich habe mich zu lange bei einer Lehre aufgehalten, welche für einen christlichen Schriftsteller von gar keinem Nutzen sein kann, denn, so wie er in seinen Schriften niemand von den himmlischen Heerscharen auftreten lassen kann, an welche er nach seiner Religion glaubt, so ist es das elendeste Kinderspiel in der heidnischen Mythologie nach solchen Gottheiten zu blättern, welche vorlängst schon von ihrem Throne der Unsterblichkeit herabgestürzt sind. Lord Shaftesbury macht die Bemerkung, er kenne nichts Frostigeres, als wenn die neuern Dichter eine Muse anrufen; er hätte hinzusetzen [59] können, daß auch in der Welt nichts Abgeschmackteres sei. Ein neuerer Schriftsteller könnte mit weit mehr Eleganz eine Ballade oder eine alte Romanze anrufen, wie einige von Homer geglaubt haben, oder einen Krug Bier, wie der Dichter des Hudibras, welcher letztere möglicherweise mehr Poesie und Prosa eingegeben hat, als alle Sprudelwasser der Hippokrene oder des Helikon zusammengenommen. Die einzigen übernatürlichen Wesen oder Kräfte, welche auf irgend eine Weise uns neuern Schriftstellern gestattet werden können, sind die Geister oder Gespenster, und dennoch möchte ich jedem Autor raten, damit sehr sparsam umzugehen. Diese sind gleichsam dem Arsenikum und andern gefährlichen Mitteln in der Arzneikunst zu vergleichen, welche mit der äußersten Behutsamkeit gebraucht werden müssen, und möchte ich ihre Einführung in keinem Werke, oder solchen Verfassern anraten, bei welchen, oder für welche die Lautlache des Lesers ein großer Nachteil oder eine große Demütigung werden könnte.

Der Gnomen- und Feengeschlechter oder dergleichen ähnlichen Mummenschanzes erwähne ich mit Fleiß nicht, weil ich höchst ungern solche bewundernswürdige Imaginationen in irgend einige Grenzen einschließen möchte, für deren unermeßliche Kräfte die Schranken der menschlichen Natur zu enge sind, deren Werke man als eine neue Schöpfung betrachten muß und welche folglich ein Recht haben, mit ihrem Eigentum nach eigenem Belieben zu schalten und zu walten.

Der Mensch ist also der höchste Gegenstand (es sei denn, daß eine außerordentliche Veranlassung wirklich eine Ausnahme gestatte), der sich der Feder unsers Geschichtsschreibers oder unseres Poeten darstellt. Und in Erzählung seiner Handlungen erfordert es große Sorgfalt, daß wir nicht über die Kräfte der handelnden Person, welche wir beschreiben, hinausgehen.

Auch die Möglichkeit allein ist nicht hinlänglich uns zu rechtfertigen; wir dürfen ebensowenig die Regeln der Wahrscheinlichkeit überschreiten. Es ist, glaube ich, die Meinung des Aristoteles, oder wo nicht, so ist es die Meinung eines weisen Mannes, dessen Ansehen ebenso wichtig werden wird, nachdem solche ebenso alt geworden ist: »Es sei keine Entschuldigung für einen Dichter, der etwas Unglaubliches erzählt, daß das Erzählte eine wirkliche Thatsache sei.« Dies mag vielleicht in Beziehung auf die Dichtkunst für eine Wahrheit gelten. Es aber auf die Geschichte auszudehnen, möchte wohl für unthunlich erachtet werden, denn die Pflicht des Geschichtschreibers ist, die Sachen so aufzuschreiben, wie er sie findet, ob sie gleich von einer so außerordentlichen Beschaffenheit sein mögen, daß kein geringer Grad von historischem Glauben dazu erfordert wird, sie hinunterzuschlingen. Von dieser Art war die fruchtlose Kriegsrüstung [60] des Xeres, welche uns Herodot aufgezeichnet hat, oder der glückliche Feldzug Alexanders, welchen uns Arrian erzählt. Von der Art waren in letzten Zeiten der Sieg bei Azincourt, welchen Heinrich der Fünfte erfocht, oder der bei Narwa, Karls des Zwölften von Schweden. Alle diese Beispiele scheinen uns immer wundervoller und erstaunlicher je länger wir darüber nachdenken.

Dergleichen Thatsachen indessen, weil sie an dem Faden der Geschichte hängen, ja weil sie wirklich den wesentlichsten Teil derselben ausmachen, so ist der Geschichtschreiber keinem Vorwurf unterworfen, wenn er sie so erzählt, wie sie sich wirklich zutrugen, sondern es wäre ihm wirklich nicht zu verzeihen, wenn er sie auslassen oder verändern wollte. Allein es gibt andre Fakta von minderer Wichtigkeit und mindern Folgen, welche, mit was für bewährten Zeugnissen man sie auch belegen kann, demungeachtet aus Gefälligkeit gegen die Zweifelsucht der Leser der Vergessenheit übergeben werden dürfen. Von der Art ist die merkwürdige Geschichte von dem Gespenste des George Villers, die man mit aller Anständigkeit dem Doktor Drelincourt hätte zum Geschenk machen können, um in seiner Vorrede zu der Abhandlung über den Tod dem Gespenste der Demoiselle Vealle Gesellschaft zu leisten. Dahin hätte sie sich weit besser geschickt, als in ein so ernsthaftes Werk wie die Geschichte der Rebellion.

Es ist ausgemacht, wenn sich der Geschichtschreiber bloß auf das einschränkt was wirklich geschehen ist, und jeden Umstand durchaus verwerfen will, von welchem er, so wohl bescheinigt er auch sein mag, dennoch weiß, daß er falsch sei, so wird er zwar zuweilen ins Wunbare, aber nie ins Unglaubliche verfallen. Er wird zwar öfter bei seinen Lesern Verwunderung und Erstaunen, niemals aber den ungläubigen Haß erregen, dessen Horaz Erwähnung thut. Nur da durch also, daß wir uns mit Fiktionen abgeben, sündigen wir gemeinglich wider diese Regel der vernachlässigten Wahrscheinlichkeit, von welcher sich der Geschichtschreiber niemals oder nur selten entfernt, bis er seinen Charakter verleugnet und zur Klasse der Romanschreiber übergeht. In diesem Punkte haben unterdessen solche Geschichtschreiber, welche bloß öffentliche Begebenheiten beschreiben, einen großen Vorteil vor uns voraus, die wir uns auf die Auftritte des Privatlebens einschränken. Die Glaubwürdigkeit der erstern hat lange Zeit hindurch einen dauerhaften Grund an der öffentlich bekannten Sage, und diese Sage nebst dem öffentlichen Zeugnis verschiedener Schriftsteller leistet auf künftige Jahrhunderte für ihre Wahrhaftigkeit Gewähr. Daher haben ein Trajan und ein Antonin, ein Nero und ein Caligula alle bei der Nachwelt Glauben gefunden, und niemand zweifelt daran, daß Männer von so höchst vortrefflichem und[61] ebenso schändlichem Charakter einstmals Herren der Welt gewesen sind.

Wir aber, die wir es mit Privatpersonen zu thun haben wir, die wir in den geheimsten Winkeln herumsuchen müssen und Beispiele der Tugend und des Lasters aus Hütten und Höhlen der Welt hervorziehen, wir befinden uns in einer gefährlichen Lage, da wir keine öffentliche Sage für uns haben, noch öffentlich bekannte Zeugnisse oder Chroniken und Protokolle, unsere Erzählungen zu bestärken; uns geziemt es, uns nicht nur in den Schranken der Möglichkeit, sondern auch in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu halten; und dies um so mehr, wenn wir uns darauf einlassen, das zu schildern, was in einem hohen Grade gut und liebenswürdig ist. Schelmerei und Thorheit, wenn sie auch noch soweit gehen, finden weit leichter Glauben; denn hier leiht ein schlechtes Herz der Zuversicht eine große Stärke und Stütze.

Dieserwegen können wir, vielleicht mit weniger Gefahr, die Geschichte eines gewissen Namens Fischer erzählen. Dieser hatte eine lange Zeit hindurch der Großmut des Herrn Derby sein Brot zu verdanken, und als er noch eben eines Vormittages von ihm eine ansehnliche Gabe empfangen hatte, versteckte er sich, um sich des Uebrigen, was noch in seines Freundes Schreibpulte übrig geblieben, zu bemächtigen, in einer öffentlichen Schreibstube des bekannten Gebäudes Tempel, durch welches ein Gang nach Herrn Derbys Zimmern ging. Hier überhörte er, wie Herr Derby sich an einem Gastmahle ergötzte, welches er den Abend seinen Freunden gab, und wozu dieser Fischer selbst mit eingeladen war. Diese ganze Zeit über war kein freundschaftlicher oder dankbarer Gedanke in seiner Seele aufgestiegen, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern; als aber der arme Herr Derby seine Gesellschaft durch das Schreibzimmer hinaus begleitet hatte, kam Fischer plötzlich aus seinem Lauscheplatz hervor, folgte ihm ganz leise auf den Zehen bis in sein Zimmer und schoß ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf. Dies kann man glauben, wenn schon die Gebeine des Fischer ebenso verfault sind, als sein Herz. Ja, vielleicht findet man nichts Unglaubwürdiges darin, daß der Bösewicht zwei Tage darauf mit einem jungen Frauenzimmer nach dem Schauspielhause ging, um den Hamlet aufführen zu sehen, und mit ganz unveränderten Mienen ein Frauenzimmer, das wohl wenig vermutet, wie nahe ihr der Mann saß, ausrufen hörte: »Gütiger Gott, wenn jetzt der Mann hier wäre, welcher den Derby ermordete!« und dadurch ein verhärteter und versteinerter Gewissen anzeigte, als selbst Nero hatte, von welchem uns Suetonius erzählt: daß gleich nach dem Tode seiner Mutter das Bewußtsein seines Verbrechens ihm unerträglich wurde und beständig so blieb, [62] und daß auch alle Glückwünschungen der Soldaten, des Senats und des Volks die Angst seines Gewissens nicht zu lindern vermochten.

Sollte ich nun aber auf der andern Seite meinem Leser erzählen, daß ich einen Mann gekannt habe, dessen durchdringendes Genie ihn instandsetzte, auf einer vor ihm ganz unbetretenen Bahn ein großes Vermögen zu erwerben; daß er dieses mit Bewahrung seiner vollkommensten Redlichkeit gethan, und nicht nur ohne irgend einer einzelnen Person den geringsten Nachteil oder Schaden zuzufügen, sondern mit dem höchsten Vorteil für das Kommerzium überhaupt und zur großen Vermehrung der öffentlichen Einkünfte; daß er einen Teil seines Reichtums dazu verwendet, einen Geschmack zu zeigen, desgleichen nicht viele haben, durch Werke, worin sich die höchste Würde mit der reinsten Einfalt vereinigte; und einen andern Teil des Reichtums, um ein Herz zu zeigen, dessen Güte alle Menschen übertraf, durch Handlungen der Wohlthätigkeit an Menschen, die weiter keine Empfehlung hatten, als ihre Verdienste oder ihre Bedürfnisse; daß er äußerst sinnreich war, darbende Verdienste aufzusuchen; höchst thätig, sie aus der Not zu reißen, und dann ebenso sorgfältig (vielleicht zu sorgfältig), das, was er gethan hatte, zu verbergen; daß sein Haus, sein Hausrat, seine Gärten, seine Tafel, seine tägliche Gastfreundschaft und seine öffentlichen Gaben alle das Herz anzeigten, aus welchem sie herflossen; alle einen innerlichen, großen, edlen Wert hatten, ohne Prunk, und äußerliche Großprahlerei; daß er jedes Verhältnis des Lebens mit der erforderlichen richtigsten Tugend erfüllte; daß er gegen seinen Schöpfer die frömmste, reinste Verehrung hegte, sowie den höchsten Eifer und die zuverlässigste Treue gegen seinen Landesherrn; daß er ein höchst zärtlicher Gatte war, ein liebreicher Verwandter, ein freigebiger Gönner, ein warmer und beständiger Freund, nachsichtig gegen sein Gesinde, gastfrei gegen seine Nachbarn, barmherzig gegen die Armen, und wohlthätig gegen das arme Menschengeschlecht; sollte ich zu diesen Beiwörtern noch hinzufügen die Namen: weise, mutvoll, elegant und in der That jedes edle Eigenschaften ausdrückende Beiwort in unsrer Sprache: gewiß dann dürft ich sagen:


Quis credet? nemo Hercule! nemo;
Vel duo, vel nemo.
– Wer wird es glauben? wer?
Beim Himmel, keiner! – keiner oder zwei!

Und dennoch hab' ich einen Mann gekannt, der gerade völlig so ist, wie ich ihn hier beschrieben habe. Ein einziges Beispiel aber (und ich gestehe freimütig, daß ich kein zweites kenne) ist nicht hinreichend, uns zu rechtfertigen, da wir für Tausende schreiben, welche [63] niemals von einem solchen Manne oder von einem etwas ähnlichen gehört haben. Solche weiße Raben sollte man in die Kabinette der Epitaphienschreiber, oder irgend eines oder des andern Poeten liefern, welche sich für euch vielleicht herablassen mögen, den Namen eines solchen Mannes in ein Distichon in zerstückeln, oder in einem Reime durchschleichen zu lassen, mit der ganzen Miene von Nachlässigkeit und Unachtsamkeit, damit sich ja der Leser nicht daran stoße.

Endlich und zuletzt müssen die Handlungen nicht nur von der Beschaffenheit sein, daß sie in den Grenzen der Kräfte eines menschlichen Wesens liegen, und daß man ihm solche mit Wahrscheinlichkeit zutrauen könne; sondern sie sollen sich auch gerade so für die handelnden Personen schicken, daß sie solche mit Wahrscheinlichkeit gethan haben können: denn dasjenige, was für den einen Mann bloß außerordentlich und wunderbar sein mag, kann, wenn es von einem andern erzählt wird, unwahrscheinlich, ja selbst unmöglich werden.

Dieses letzte Erfordernis enthält das, was die Dramaturgisten Haltung des Charakters nennen, und kann nur durch einen außerordentlichen Grad von Beurteilungskraft und eine tiefe Kenntnis der menschlichen Natur erreicht werden.

Es ist von einem vortrefflichen Schriftsteller mit äußerster Richtigkeit bemerkt worden, daß der Enthusiasmus eines Mannes ihn ebensowenig hinreißen kann, geradezu gegen seine Absichten zu handeln, als ein schneller Fluß ein Boot gegen seinen eigenen Strom führen kann. Ich will es wagen zu behaupten, es sei einem Menschen wo nicht unmöglich doch ebenso wunderbar und unwahrscheinlich, als man sich nur irgend etwas denken kann, daß er geradeswegs gegen die Vorschriften und Triebe der Natur handeln werde. Wollte man den besten Teil von der Geschichte des Antonin dem Nero zuschreiben, oder wollte man die schändlichsten von Neros Handlungen auf Antonins Rechnung setzen, könnte man etwas allem Glauben Widerstrebenderes ersinnen, als eins von diesen Beispielen? Dagegen alle beide, wenn sie von ihren wahren Urhebern erzählt werden, das eigentliche wahre Wunderbare ausmachen. Die Verfasser unserer neuern Schauspiele sind fast durchgängig in den hier angemerkten Irrtum verfallen. Ihre Helden sind meistenteils unverhohlene Taugenichtse, und ihre Heldinnen sind um nicht viel besser während des ganzen Laufes der vier ersten Aufzüge. Im fünften aber werden die ersten hübsche, würdige Männer, und die letzten vernünftige, edle und tugendhafte Weiber. Oft ist auch der Verfasser nicht einmal so gütig, sich die geringste Mühe zu geben, diese ungeheure Veränderung zu motivieren oder auch nur zu rechtfertigen. Man findet dafür wirklich keine andre Ursache angebracht, als daß sich das Spiel zum Ende neigt, so, als ob es ebenso natürlich [64] für einen Schurken wäre, sich in dem letzten Akte einer Komödie wie in dem letzten seines Lebens zu bekehren. Wir wissen es wohl, daß das gemeiniglich der Fall auf dem Theater des Hochgerichts ist, ein Platz der in der That mit vieler Schicklichkeit die Szene mancher Komödie schließen könnte; weil die Helden in diesen gewöhnlich große Vorzüge gerade in denjenigen Talenten besitzen, welche nicht nur einen Mann unter den Galgen führen, sondern ihn auch fähig machen, die Rolle eines Helden zu spielen, wenn er erst dort ist.

Unter diesen wichtigen Einschränkungen, denke ich, könne es jedem Schriftsteller erlaubt werden, sich mit dem Wunderbaren so viel abzugeben als er Lust hat; ja sogar, jemehr er den Leser überraschen kann, wenn er sich dabei innerhalb der Grenzen der Glaubwürdigkeit hält, jemehr wird er seine Aufmerksamkeit spannen, und jemehr Vergnügen wird er ihm verursachen. Wie ein Genie von der ersten Klasse in seinem fünften Buche über das Erhabene anmerkt: »Die höchste Kunst des Dichters besteht darin, die Wahrheit mit der Erdichtung zu vermischen, um das Glaubwürdige mit dem Ueberraschenden zu verbinden.«

Denn obgleich jeder gute Schriftsteller sich innerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit halten wird, so ist es doch keineswegs nöthig, daß seine Charaktere oder darzustellende Begebenheiten und Vorfälle alltäglich, gemein und von gewöhnlichem Schlage sein müßten, sowie solche in jeder Gasse oder jedem Hause vorgehen, oder wie sie in den schlichten Artikeln einer Zeitung erzählt werden. Auch muß es ihm unverwehrt bleiben, manche Personen und Dinge aufzustellen, welche einem großen Teil seiner Leser vielleicht noch niemals zur Wissenschaft gekommen sind. Beobachtet der Schriftsteller die vorgedachten Regeln genau: so hat er das seinige gethan; und dann hat er Anspruch auf einigen Glauben bei seinem Leser, welcher sich wirklich einer kritischen Atheisterei schuldig macht, wenn er sich weigert, seine Schrift für wahr zu halten. Der Mangel einer Portion von solchem Glauben verursachte, wie ich mich erinnere, daß der Charakter einer jungen Dame von Stande in einem Lustspiele, vor einer großen Versammlung von Schreibern und Kaufmannsburschen, einstimmigerweise als unnatürlich verdammt wurde, ob er gleich schon vorläufig den Beifall vieler Damen vom ersten Range erhalten hatte; wovon eine, deren sehr richtiger Verstand allgemein bekannt war, erklärt hatte: es wäre ein Gemälde von der Hälfte aller jungen Damen von ihrer Bekanntschaft.

Fußnoten

1 Unter diesem Worte werden hier und in den meisten andern Stellen unsers Werkes alle Leser in der Welt gemeint.

2 Ein Glück ist's für Monsieur Dacier, daß er kein Irländer war.

Zweites Kapitel
[65] Zweites Kapitel.

Worin die Wirtin Herrn Jones einen Besuch macht.


Als Jones von seinem Freunde, dem Leutnant, Abschied genommen hatte, versuchte er es, wieder einzuschlafen; aber vergebens. Seine Geister waren zu lebendig und schwach, um sich in Schlaf wiegen zu lassen. Nachdem er sich also mit dem Gedanken an seine Sophie, solange bis es heller Tag war, ergötzt oder vielmehr gequält hatte, rief er, daß man ihm Thee bringen sollte. Bei welcher Gelegenheit sich die Frau Wirtin selbst herabließ, ihm einen Besuch zu machen.

Dies war in der That das erste Mal, daß sie ihn gesehen oder wenigstens nur einigermaßen bemerkt hatte. Weil sie aber von dem Leutnant war versichert worden, Jones wäre gewiß ein junger Mann von guter Familie, so entschloß sie sich jetzt, ihm allen möglichen Respekt zu bezeigen. Denn der Wahrheit gemäß müssen wir es sagen, dies war eins von denen Häusern, woselbst vornehme Herrschaften (um in der Sprache der Avertissementer zu reden) um zivilen Preis die prompteste Bedienung erwarten konnten.

Kaum hatte sie angefangen den Thee zu machen, als sie auch zu reden begann: »Ach liebste Zeit!« sagte sie, »'s ist doch jammerschade, daß ein so scharmanter junger Herr sich so wegwerfen und mit diesem Soldatenvolke in der Welt herumziehen soll. Sie nennen sich alle freie Herren! o ja doch! wohlfeiler thun sie's nicht; aber wie mein Mann seliger zu sagen pflegt, sie sollten's bedenken, daß wir sie aus unserem Beutel bezahlen; und das ist richtig, hart genug is es für uns, daß wir genötigt sind zu bezahlen, und ihn'n noch Dach und Fach dazu zu geben, wie wir öffentlichen Oberschisten thun müssen. D' vorige Nacht hab' ich ihrer zwanzig im Hause gehatt, die Offizierers nicht emmal mitgerechnet. Doch das mag hingehn, ich mag noch lieber die Gemeinen haben als die Offizierers: denn solchen Springinsfelden ist nichts recht und gut genug; und, Herr, wenn Sie die Rechnungen sehn sollten, 's ist kaum der Mühe wert! Ich habe nicht soviel Unruhe davon gehatt, das kann ich versichern, mit der ganzen Familie eines adlichen Herrn vom Lande, welche für eine Nacht zehn bis zwölf Thaler bezahlt und für die Pferde noch apart. Und doch kann ich's versichern, da ist schwerlich einer von allen diesen Offiziervolke, der sich nicht in seinem Kopfe ebensogut dünken sollte als immer ein Landedelmann von sein'n drei, vier Tausend Thalern des Jahrs. Das ist richtig! 's ist eine Lust, wenn man's so anhört, wie sie sich von ihrer Mannschaft Ihr Gnaden hinten und Ihr Gnaden vorne nennen lassen. Das sind mir die rechten Ihr Gnaden mit ihrem halben Gulden Löhnung des [66] Tages! Und denn so treiben sie'en Fluchen und Schwören, daß einem davon die Haare zu Berge stehn! Das kann ich sagen, ich denke immer, 's ist unmöglich, es kann kein Segen bei solchen Leuten sein! und hat Sie noch darzu einer von diesem Volke so barbarisch zugericht! Ich dachte, gewiß und wahr! wie gut Ihnen die übrigen bewacht haben würden; aber 's ist alles schmieriges Fett und stinkende Butter! denn, wenn Sie auch in Gefahr gewesen wären des Todes zu sein, wie ich zu meiner Freude sehe daß Sie's nicht sind: so würden sich diese böse Menschen doch nichts draus gemacht haben, das glaub'n Sie nur. Sie hätten den Mörder doch entwischen lassen. Nun der liebe Gott mag Ihnen gnädig sein! Ich wollte so eine Sünde nicht auf meinem Gewissen haben, für alles in der Welt. Aber ob's nun schon das Ansehen hat, daß Sie mit Gottes Hilfe wieder besser werden können, so stehen die Leute doch noch unter einer Obrigkeit; und wenn Sie den Advokaten Klein annehmen wollen, so will ich wohl einen Eid drauf thun, er soll Ihnen den Kerl aus'm Lande jagen: ob er gleich vielleicht schon aus dem Lande gelaufen ist; denn solche Schnapphähne sind doch heute bald hier und morgen bald dort. Ich hoffe unterdessen, Sie werden sich das 'ne Warnung sein lassen ins Zukünftige, und werden wieder hübsch zu Ihrer Freundschaft zurückkehren. Ich versichere, Sie werden sich alle was Rechts grämen um Ihren Verlust; und wenn sie sogar wüßten, was hier vorgegangen ist? Ja, liebste Zeit, mich dünkt, ich wollt' um aller Welt willen nicht daß Sie's wüßten. Kommen, kommen Sie; wir wissen ja wohl, wo Sie der Schuh drückt! Aber wenn die eine nicht will, je nu! so will die andere. Ein so hübscher, junger Herr kann noch immer eine Gemahlin bekommen. Das ist gewiß, wenn ich so wäre wie Sie, das feinste Frauensbild, das nur immer einen Kopf auf ihren Schultern hätte, wollt' ich lieber aufhängen sehn als mich ihrentwegen zum Soldaten anwerben zu lassen. – Oho Herr, werden Sie nur nicht so rot!« (wirklich er ward es in einem hohen Grade) »Ei, ei! Sie dachten wohl, ich wüßte nichts um die Sache, nicht wahr, mit dem Fräulein Sophie?« – »Wie!« sagte Jones und sprang dabei auf, »kennen Sie meine Sophie?« – »Was sollt' ich nicht? was sollt' ich nicht?« schrie die Wirtin. »Ein manch' schönes Mal hat sie in meinem Hause geschlafen.« – »Mit ihrer Tante vermutlich?« sagte Jones. – »Richtig, das haben Sie getroffen!« schrie die Wirtin; »o, ja doch! Ich kenne die alte Dame sehr gut. Ein süßes, liebes Geschöpf ist die Fräulein Sophie.« – »Ein süßes Geschöpf!« seufzte Jones. »O Himmel!«


»Angels are painted fair to look like her.
There's in her all that we believe of Heaven,
[67]
Amazing Brightness, Purity and Truth,
Eternal Joy, and everlasting Love.«
»Damit ein Engel schön sei, malt man ihn
Ihr ähnlich. Was man sich im Himmel denkt,
Glanz, Schönheit, Unschuld, Treue, Zärtlichkeit,
Ewig Entzücken, ew'ge Liebe, wohnt
In ihr! in ihr!« –

»Und hätt' ich mir einbilden können, daß Sie meine Sophie gesehen hätten!« »Ich wünschte,« sagte die Wirtin, »Sie hätten nur halb so viel von ihr gesehen! Was hätten Sie drum geben sollen, wenn Sie so wie ich vor ihrem Bette hätten sitzen können. Was sie für einen weißen, reizenden Busen hat, ihre lieben Glieder haben sich da in dem Bette gedehnt, darin Sie jetzt liegen.« – »Hier!« rief Jones, »hat Sophie jemals hier geschlafen?« – »Ei, ei, das sollt' ich meinen! Ja wohl, hier, da in dem nämlichen Bette!« sagte die Wirtin, »worin Sie sie, wenn ich sie herwünschen könnte, diesen Augenblick bei sich haben sollten, und das mag sie wohl auch wünschen, oder ich verstehe mich auf so was ganz und gar nicht! Denn sie hat mir Ihren Namen genannt.« – »Ha!« schrie er, »hat sie jemals vom armen Jones mit Ihnen gesprochen? Sie schmeicheln mir da, das ist zu viel! Das kann ich nicht glauben!« – »Nun sehen Sie,« antwortete sie, »ich will nicht zu Gnaden kommen und der Teufel soll mich von der Stelle holen, wenn ich nur ein gebenedeites Wörtchen mehr sage, als die Wahrheit ist! Ich habe sie den Herrn Jones nennen hören, aber in allen Züchten und Ehren, das muß ich bekennen; doch merkt' ich wohl dabei, daß sie viel mehr dachte, als sie sagte.« – »O, meine teuerste Frau Wirtin, ich bin ihres Andenkens an mich nicht wert und werd's niemals werden! O, es ist lauter Sanftmut, Güte und Großmut. Warum ward ein solcher Taugenichts wie ich geboren, um ihrer edlen Brust nur einen Augenblick Unruhe zu verursachen! Warum mußt ich dazu verdammt sein? Ich, der gern alle Plagen und allen Jammer, die nur je ein Teufel, die Menschen zu quälen, erfunden hat, aushalten wollte, um ihr Wohlsein zu befördern! ja die Tortur selbst sollte mir kein Unglück scheinen, wüßte ich nur, daß sie glücklich wäre.« – »Ja nun, da haben wir's!« sagte die Wirtin, »ich hab's ihr wohl gesagt, daß Sie ein beständiger, treuer Liebhaber wären.« – »Aber ich bitte, Madame, sagen Sie mir doch, wie, wann oder wo Sie etwas von mir erfahren haben? Denn ich war noch niemals hier, erinnere mich auch nicht, Sie jemals gesehen zu haben.« – »Das war auch freilich nicht möglich,« antwortete sie, »denn Sie waren nur noch so ein klein Dingelchen, als ich Sie in des Junkers Hause auf'm Schoß [68] hielt.« – »Wie, in des Junkers Hause!« sagte Jones. »So kennen Sie den edlen und vortrefflichen Herrn Alwerth auch?« – »He! liebste Zeit, wie sollt' ich den nicht kennen? Wer ist in dieser Grafschaft, der ihn nicht kennt?« – »Der Ruf von seinem edlen Herzen,« antwortete Jones, »muß freilich viel weiter gedrungen sein; aber der Himmel nur allein kann ihn kennen, kann die wohlthätigen Gesinnungen kennen, welche er nach sich selbst bildete und als ein Muster nach ihm auf Erden sandte. Menschenkinder können diese himmlische Güte ebensowenig erkennen, als sie ihrer würdig sind. Aber, wer ist ihrer weniger würdig, als ich selbst! Ich, den er zu einer solchen Höhe erhob, mich aufnahm, wie Ihnen wohl bekannt sein muß, als ein armes, ausgesetztes Kind, mich zum Kinde annahm und als seinem eigenen Sohne begegnete! Ich mußte ihn durch meine Thorheiten betrüben, mußte seinen Zorn auf mich laden! Ja, ich verdiene es alles; denn so undankbar will ich niemals werden, nur zu denken, er habe im geringsten unrecht an mir gehandelt. Nein, ich hab' es wohl verdient, daß er mich von seinem Angesichte und aus seinem Hause verstoßen hat; ich hab' es wohl verdient! Und nun Madame,« sagte er, »glaube ich, werden Sie mich nicht tadeln, daß ich den Soldatenstand ergreife; besonders bei einem solchen Reichtum wie dieser.« Bei welchen Worten er einen Geldbeutel schüttelte, in welchem sich freilich nur sehr wenig befand, welches aber der Wirtin als noch weniger vorkam.

Die gute Wirtin war durch den letzten Teil von Jones' Rede (mit dem gemeinen Manne zu reden) wie vorn Kopf geschlagen. Sie antwortete ganz kalt: »Das ist wahr, die Leute müssen selbst am besten wissen, was sich für ihre Umstände schickt oder nicht – Aber horch!« sagte sie, »ich glaube, ich höre jemand rufen.« – »Ich komme schon, ich komme schon! Der Satan steckt in allen meinen Leuten! Das gottlose Zeug hat gar keine Ohren! Ich muß hinunter gehn. Wenn Sie noch mehr zum Frühstück verlangen, so soll die Liesel heraufkommen. – Ja doch! ich komme schon.« Bei welchen Worten sie, ohne weiter Abschied zu nehmen, zur Thür hinausflog, denn Leute von der gemeinern Gattung sind sehr haushälterisch mit ihrem Respekt, und ob sie sich gleich nichts daraus machen, Personen vom hohen Adel solchen ganz umsonst hinzugeben, so lassen sie doch keinen Menschen von ihrer eigenen Klasse davonkommen, ohne dafür zu sorgen, daß ihnen ihre Mühe reichlich bezahlt werde.

Drittes Kapitel
[69] Drittes Kapitel.

In welchem der Wundarzt seine zweite Aufwartung macht.


Bevor wir weiter gehen, wird es nötig sein, den Leser, welcher sich vielleicht irrigerweise einbildet, daß die Wirtin wirklich mehr gewußt habe als der Fall war, oder sich vielleicht wundert, daß sie so viel wußte, zu benachrichtigen, wie der Leutnant ihr erzählt hatte, daß der Name Sophiens Veranlassung zu dem Zanke gegeben hätte, und was das übrige ihres Wissens anbelangt, so wird der scharfsinnige Leser von selbst bemerken, wie sie in der vorhergehenden Szene dazu gelangte. In der That war ihren übrigen Tugenden eine große Portion Neugierde beigemischt, und mit Wissen und Willen litt sie nicht, daß jemand ihr Haus verließ, ohne daß sie sich vorher so viel als möglich nach seinem Namen, seiner Familie und seinen Glücksumständen erkundigt hätte.

Sie war nicht so bald fortgegangen, als Jones, anstatt über ihre Aufführung Anmerkungen zu machen, seine Gedanken damit beschäftigte, wie er in demselben Bette läge, in welchem, wie ihm gesagt worden, seine teure Sophie geschlafen hätte. Dies erregte bei ihm tausend verliebte und zärtliche Ideen, bei welchen wir uns länger aufhalten würden, wenn wir nicht bedächten, daß solche Art von Verliebten nur einen höchst unbedeutenden Teil von unsern Lesern ausmachen wird.

In dieser Gemütslage fand ihn der Wundarzt, als er kam, die Wunde zu verbinden. Da der Doktor bei seiner Untersuchung fand, daß der Puls unrichtig ging, und vernommen hatte, daß sein Patient nicht geschlafen habe, bezeugte er, daß er in großer Gefahr wäre: denn er befürchte, es sei ein Fieber im Anzuge, und diesem wolle er doch durch einen Aderlaß zuvorkommen. Darein aber wollte Jones nicht willigen, wobei er äußerte, er habe bereits Blut genug verloren; »und lieber Doktor,« sagte er, »wollen Sie nur so gütig sein und mir den Kopf verbinden, so zweifle ich nicht, ich werde in ein oder ein paar Tagen völlig gesund sein.«

»Ich wollte,« antwortete der Wundarzt, »ich könnte Sie versichern, daß Sie in einem oder ein paar Monaten hergestellt sein würden. Gesund! In der That! Nein, man wird nicht so schnell wieder gesund von solchen Kontusionen! Aber, mein Herr, ich bin viel zu alt dazu, mir meine Operation von einem Patienten vorschreiben zu lassen, und ich besteh' auf einer Revulsion, ehe ich Sie verbinde.«

Jones bestand hartnäckig auf seiner Meinung und der Doktor gab zuletzt nach, sagte ihm aber dabei, er wolle für die Folgen nicht verantwortlich sein und hoffe, er werde ihm die Gerechtigkeit widerfahren [70] lassen, zu bekennen, daß er ihm zum Gegenteile geraten habe, welches denn der Patient zu thun versprach.

Der Doktor verfügte sich hinunter in die Küche, wo er sich an die Wirtin wendete und sich sehr bitter über das widerspenstige Betragen seines Patienten beklagte, welcher nicht zur Ader lassen wolle, ob er gleich im Fieber läge.

»Das muß denn ein Freßfieber sein!« sagte die Wirtin, »denn er hat diesen Morgen ein paar geröstete Butterscheiben verschlungen, die sich sehen lassen konnten, das muß ich sagen!«

»Kann wohl sein!« sagte der Doktor. »Ich habe wohl eher Leute gesehen, die mitten im Paroxismus gegessen haben, und das läßt sich auch sehr leicht erklären, denn die acide Schärfe, welche die febrilische Materie hervorbringt, kann die Nerven des Diaphragma stimulieren und dadurch einen Heißhunger erregen, der nicht leicht von einem natürlichen Appetite zu unterscheiden ist. Aber das Aliment wird nicht konkresziert oder in den Chylum assimiliert und so korrodiert es das Orificium vasculare und verschlimmert dadurch die Symptomata febrilia. In Wahrheit, ich denke, der Herr ist in gefährlichen Umständen und ich fürchte, er kann sterben, wenn er keine Ader schlagen läßt.«

»Das müssen alle Menschen! Heute an mir, morgen an dir,« sagte die gute Frau, »also geht mich das nichts an. Ich hoffe doch nicht, Doktor, daß Sie verlangen, daß ich ihn halten soll, derweil Sie ihm zur Ader lassen. Aber hören Sie, ein Wort ins Ohr gesagt! Ehe Sie weiter gingen, möcht' ich Ihnen raten, ein bißchen zu sorgen, wer Ihr Zahlmeister sein wird.«

»Zahlmeister!« sagte der Doktor ganz stutzig. »Wie? hab' ich nicht einen hübschen Herrn unter'n Händen, hab' ich nicht?«

»Das dacht' ich ebensogut als Sie,« sagte die Wirtin; »aber wie mein Mann seliger zu sagen pflag, 's ist nicht alles Gold was gleist. Es ist ein kahler Lumpenhund, das glauben Sie mir! Unterdessen thun Sie nicht, als ob ich Ihnen über diese Sache das geringste Wörtchen gesagt hätte; aber ich meine, Leute, die sich ehrlich nähren wollen, sollten sich allemal von solchen Dingen einander freundnachbarlich Nachricht geben.«

»So! Und so hab' ich gelitten,« schrie der Doktor in vollem Eifer, »daß mir ein solcher Kerl was vorschriebe? Soll ich es anhören, daß mich jemand in meiner Kunst meistert, der mich nicht bezahlen kann? Es ist mir lieb, daß ich das noch zu rechter Zeit entdeckt habe! Ich will doch sehen, ob er Blut lassen will oder nicht?« Drauf stieg er eilig die Treppen hinauf, und indem er mit vieler Heftigkeit die Thüre des Schlafzimmers aufriß, weckte er den Jones aus seinem sehr gesunden Schlummer, in welchen er verfallen[71] war, und was noch weit schlimmer, er störte ihn in einem sehr angenehmen Traume von seiner Sophie.

»Will der Herr zur Ader lassen oder nicht?« schrie der Arzt ganz wütend. – »Ich habe Ihnen darüber meinen Entschluß bereits gesagt,« antwortete Jones, »und ich wünschte von Herzen, Sie hätten's mit meiner Antwort genug sein lassen: denn Sie haben mich aus dem süßesten Schlafe geweckt, den ich in meinem Leben gehabt habe.«

»Ja, ja!« schrie der Doktor, »mancher Mensch hat sich so aus dem Leben weggeschlafen! Schlaf ist nicht immer gut; so wenig als Essen; aber merken Sie sich's, ich frage Sie zum letztenmal, wollen Sie zur Ader lassen?« – »Und ich antworte zum letztenmal,« sagte Jones, »ich will nicht.« – »Nu, so wasch' ich über den Herrn meine Hände,« schrie der Doktor, »und ich begehre von dem Herrn, daß er mich vor meine bisher gehabte Mühe bezahle. Zwei Visiten à Stück 2 Gulden, zweimal Verband, zwei Gulden jeder ebenfalls und ein Gulden für ein Aderlaß.« – »Ich hoffe,« sagte Jones, »Sie sind nicht gesonnen, mich in diesen Umständen zu verlassen.« – »Das bin ich aber wirklich,« sagte der andre. – »Alsdann,« sagte Jones, »haben Sie sehr schlecht an mir gehandelt, und ich bezahle Ihnen keinen Heller.« – »Schon gut! schon gut!« sagte der Doktor, »der erste Verlust ist der beste!« – »Was Teufel!« meinte die Wirtin, »daß sie mich zu einem solchen Landstreicher rufen ließ?« Bei welchen Worten er aus dem Zimmer fortflog und sein Patient sich wieder auf die andre Seite kehrte und seinen Schlaf bald wieder einholte; sein Traum aber war unglücklicherweise verschwunden.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

In welchem einer der lustigsten Barbiere auftritt, deren jemals die Geschichte Meldung gethan hat. Den Barbier von Bagdad, oder den im Don Quichotte, nicht ausgenommen.


Die Glocke hatte schon fünf geschlagen, als Jones von einem siebenstündigen Schlafe erwachte so sehr erfrischt und in so vollkommener Gesundheit und Munterkeit, daß er sich entschloß, aufzustehen und sich anzukleiden. Zu diesem Ende schloß er seinen Mantelsack auf und nahm reine Wäsche heraus und ein ganzes Kleid; vorher aber warf er einen Frack über und ging hinunter in die Küche, um etwas zu bestellen, welches einen gewissen Tumult befriedigen könnte, den er in seinem Magen entstehen fühlte.

Da die Wirtin ihm begegnete, redete er sie mit großer Freundlichkeit an und fragte, was er zum Mittagessen haben könnte? – [72] »Zum Mittagessen!« sagte sie, »'s ist eine sonderliche Zeit am Tage, ans Mittagessen zu gedenken, und das Feuer wird wohl auch ausgegangen sein.« – »Mag sein!« antwortete er; »aber ich muß etwas zu essen haben, und es ist mir ganz einerlei, was es ist; denn Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich bin in meinem Leben noch nicht so hungrig gewesen.« – »Nun denn,« sagte sie, »ich glaube, da steht noch ein Stück kalt Rindfleisch mit Karotten, das wird es Ihnen ja wohl thun!« – »Vortrefflich!« antwortete Jones, »aber Sie würden mir einen Gefallen thun, wenn Sie's ein wenig in die Pfanne schneiden wollten!« welches die Wirtin zu thun versprach und dabei lächelnd sagte, es wäre ihr lieb, ihn wieder so wohl zu sehn; denn die Freundlichkeit im Betragen unsres Helden war fast unwiderstehlich, überdem war auch sie im Grunde wirklich kein mürrisches Frauenzimmer, aber sie liebte dermaßen das Geld, daß sie alles in der Welt haßte, was nur den Schein von Armut hatte.

Jones ging nun wieder hinauf, um sich anzukleiden, derweile das Essen fertig gemacht wurde, und es stellte sich auf sein Verlangen ein Bader oder Bartscherer bei ihm ein. Dieser Bader, welchen man den kleinen Benjamin hieß, war ein launiger Kerl, voller närrischen Einfälle, welche ihm sehr häufig kleine Verlegenheiten zugezogen hatten, dergleichen als Nasenstieber, Fußtritte, gebrochene Gliedmaßen und so weiter; denn alle Menschen verstehen nicht allemal Spaß und die, welche Spaß verstehen, nehmen's zuweilen ein wenig übel, wenn er auf sie selbst geht. Von diesem Laster war er aber nun einmal nicht zu heilen. Und obgleich oft seine Haut und Knochen dabei zu kurz gekommen waren, so mußte er doch jeden kurzweiligen Einfall, womit ihn sein Witz schwängerte, ohne Gnade zur Welt bringen, ohne die geringste Rücksicht auf Personen, Zeit oder Ort.

Er hatte noch viel mehr andere Besonderheiten in seinem Charakter, deren ich nicht erwähnen will, weil solche der Leser bei seiner fernern Bekanntschaft mit diesem außerordentlichen Manne gar leicht von selbst bemerken wird.

Jones, der aus einer Ursache, die man sich leicht einbilden kann, sehr ungeduldig war, mit dem Ankleiden fertig zu werden, meinte, der Bartscherer ginge sehr zauderhaft mit seinem Seifenschäumen zu Werke, und bat ihn, er möchte sich ein wenig fördern. Worauf der andre sehr gravitätisch antwortete (denn er hatte noch niemalen über irgend Etwas seine Gesichtsmuskeln verzogen): »Festina lente ist ein Sprichwort, das ich bereits lange vorher gelernt habe, eh' ich noch ein Schermesser anrührte.« – »Ich sehe, mein Freund, Sie sind ein Litteratus!« erwiderte Jones. – »Will nicht viel sagen,« versetzte der Bader,»non omnia possumus omnes!« [73] – »Noch mehr?« sagte Jones. – »Ich glaube, Herr, Sie wissen auch Ihren lateinischen Vers zu skandieren!« – »Verzeihen Sie mir, mein Herr,« sagte der Bader, »non tanto me dignor honore,« und damit ging er an seine Operation. »Mein Herr,« sagte er, »solange ich mich mit Seifenschaumschlagen abgebe, hab' ich niemals mehr als zwei Ursachen fürs Bartscheren ausfindig machen können, wovon die eine ist, einen Bart zu bekommen, und die andre, des Bartes ledig zu werden. Wenn ich recht urteile, mein Herr, so mag's wohl noch nicht lange her sein, daß Sie sich aus der ersten von diesen Ursachen haben rasieren lassen; auf mein Wort aber, es ist Ihnen sonderlich geglückt, denn man kann mit Recht von Ihrem Barte sagen, er sei tondenti gravior.« »Wenn ich nicht unrecht urteile,« sagte Jones, »so ist der Herr ein sehr komischer Kauz!« – »Sie haben sehr weit neben weggegriffen. Ich habe mich viel zu viel aufs Studium der Philosophie gelegt. Hinc illae lacrymae, mein Herr, darin liegt mein Unglück! Zu viele Wissenschaft hat mich ins Verderben gestürzt.« – »Wirklich?« sagte Jones. »Ich gesteh', mein Freund, Sie besitzen mehr Wissenschaft, als gewöhnlich zu Ihrem Gewerbe gehört. Ich kann aber nicht absehen, wie's Ihnen Schaden gebracht haben kann.« – »Ach leider! mein Herr,« antwortete der Bartputzer, »sie war schuld, daß mich mein Vater enterbte. Er war ein Tanzmeister; und, weil ich eher lesen als tanzen konnte, faßte er einen Haß gegen mich und verteilte alles, was er hatte, unter seine übrigen Kinder. – Befehlen Sie, daß ich Ihnen den Backenbart – holla, ich bitte um Vergebung, mich dünkt, da ist hiatus in manuscriptis! Ich hörte, Sie wollten in den Krieg gehen; aber, wie ich sehe, muß das wohl ein Irrtum sein.« – »Woher schließen Sie das?« sagte Jones. – »Nun, mein Herr,« antwortete der Barbier, »Sie sind ein zu weiser Mann, einen verwundeten Kopf dahin zu tragen; denn das wäre ja eben so viel, als trügen Sie Wasser ins Weltmeer.«

»Auf mein Wort,« sagte Jones, »der Herr ist ein spaßhafter Mann, und mir gefallen seine Einfälle ganz außerordentlich. Es soll mir lieb sein, wenn der Herr nach dem Essen zu mir kommen, und ein Glas Wein mit mir trinken will; ich möchte gern mit dem Herrn näher bekannt werden.«

»Ach, mein liebster Herr,« sagte der Bader, »ich könnte Ihnen wohl einen zwanzigmal größern Gefallen thun, wenn Sie ihn annehmen wollen.«

»Der wäre, mein Freund?« rief Jones. »Ei nun! ich will eine ganze Flasche mit Ihnen trinken, wenn Sie befehlen. Denn ich habe ein gutes Herz außerordentlich lieb; und da Sie es ausfindig gemacht haben, daß ich ein komischer Kauz bin, so will ich [74] Verzicht auf alle meine physiognomischen Kenntnisse thun, wenn Sie nicht einer der gutherzigsten Herren auf Gottes weitem Erdboden sind.« Jones ging nunmehr ganz reinlich angekleidet hinunter, und vielleicht war der berühmte Adonis nicht von liebenswürdigerer Gestalt; und dennoch hatte er keine Reize für unsre Frau Wirtin: denn so wie diese gute Frau in ihrer Person nicht die geringste Aehnlichkeit mit der Venus hatte, so hatte sie auch keine mit ihr im Geschmack. Glücklich wäre es für die Liesel, ihr Stubenmädchen, gewesen, wenn sie mit den Augen ihrer gebietenden Frau gesehen hätte; denn die arme Dirne war innerhalb fünf Minuten in unsern Jones so verliebt, daß ihr diese Leidenschaft nachher manchen Seufzer kostete. Diese Liesel war außerordentlich hübsch und fast eben so spröde; denn sie hatte einen Kellner ausgeschlagen, und einen oder zwei junge Pächter aus der Nachbarschaft. Aber die feurigen Augen unsres Helden tauten ihr Eis in einem Augenblick auf.

Als Jones wieder in die Küche kam, war für ihn noch kein Tischtuch aufgelegt; und wirklich war es auch nicht nötig, da das, was er essen sollte, noch in statu quo war, ebenso wie das Feuer, wobei es zubereitet werden sollte. Diese fehlgeschlagene Erwartung hätte manches philosophische Gemüt zum Zorne reizen können; auf unsern Jones that sie aber diese Wirkung nicht. Er gab bloß der Wirtin damit einen sanften Verweis, daß er sagte: weil es denn so schwer wäre, das Fleisch aufzuwärmen, so wolle er's lieber kalt essen. Nun aber fing die gute Frau an, ich weiß nicht, war es aus Mitleiden, oder aus Scham, oder aus sonst einer andern Ursache, ihre Bedienten nach der Reihe herum auszuschelten; warum sie nicht gethan hätten, was sie ihnen (niemals) befohlen; und darauf befahl sie dem Kellner, er solle in der Sonne den Tisch decken, machte sich selbst in vollem Ernst ans Werk und brachte das Gericht bald zu stande.

Diese Sonne, wohin jetzt Jones geführt ward, hatte wirklich den Namen, wie Lucas a non lucendo. Denn es war ein Zimmer, in welches die Sonne fast niemals einen Blick gethan hatte. Es war in der That das dunkelste Zimmer im ganzen Hause, und ein Glück für Jones, daß es das war. Indessen war er jetzt viel zu hungrig, um etwas schlecht zu finden. Allein, nachdem er einmal seinen Hunger gestillt hatte, befahl er dem Kellner, ihm eine Bouteille Wein in ein besser Zimmer zu bringen, und ließ sich ein wenig seinen Verdruß darüber merken, daß man ihn in ein solches Loch geführt hätte.

Nachdem der Kellner seinen Befehl ausgerichtet hatte, machte ihm bald darauf der Bader seine Aufwartung, welcher ihn wirklich nicht so lange auf seine Gesellschaft würde haben warten lassen, [75] hätte er nicht in der Küche der Wirtin ein wenig zugehört, welche daselbst einen Zirkel, den sie um sich her versammelt hatte, mit der Geschichte des armen Jones unterhielt, die sie teils aus seinen eigenen Lippen gezogen, und teils nach ihrer eigenen sinnreichen Erfindung zusammengesetzt hatte. Denn sie sagte: Es wäre ein armes Spittelkind, das Junker Alwerth ins Haus genommen hätte, um als Jägerbursche zu lernen, und wäre nun wegen Bubenstreiche weggejagt; hauptsächlich, weil er hätte Liebeshändel mit dem jungen Fräulein im Hause treiben wollen, und weil er wahrscheinlich auch das Haus bestohlen hätte. Denn wie sollte er sonst zu dem wenigen Geld gekommen sein, das er noch hatte? »Und dies,« sagte sie, »ist mir der schöne junge Herr! was sagt ihr dazu?« – »Ein Bedienter aus Junker Alwerths Hause!« sagte der Barbier; »wie heißt er?« – »Nun, er sagte mir, er heiße Jones,« antwortete sie. »Vielleicht hat er sich den Namen selbst gegeben. Ja, er sagte mir auch, der Junker hätte ihn als seinen eigenen Sohn gehalten, obschon er sich nun mit ihm gezankt hätte.« – »Nun, sehen Sie, wenn sein Name Jones heißt, so hat er Ihnen die Wahrheit gesagt,« erwiderte der Barbier; »denn ich habe in der Gegend Bekannte, von denen ich's weiß. Ja und einige Leute sagen, daß er sein Sohn sei.« – »Warum heißt er denn nicht nach seinem Vater?« fragte die Wirtin. – »Das kann ich Ihnen nicht sagen,« antwortete der Barbier. »Es gibt vieler Leute Söhne, die nicht nach ihren Vätern heißen.« – »Ja so!« sagte die Wirtin, »wenn ich wüßte, daß er der Sohn eines Junkers wäre, wär's auch nur so ein Beischlag, so wollte ich mich doch ganz anders gegen ihn benehmen; denn aus solchen Beischlägen werden oft große vornehme Männer, und wie mein armer erster Mann seliger zu sagen pflag: lege keinem Kunden was in Weg, wenn's ein hübscher Mann ist.«

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Ein Dialog zwischen Herrn Jones und dem Barbier.


Diese Unterredung ging zum Teil während der Zeit vor sich, da Jones in seinem dunkeln Loche beim Essen saß und teils unter der Zeit, daß er im Gesellschaftszimmer saß und den Barbier erwartete; und sobald als sie zu Ende war, machte ihm Herr Benjamin, wie wir gesagt haben, seine Aufwartung und ward sehr freundschaftlich gebeten, sich niederzusetzen. Dann füllte Jones ein Glas mit Wein und trank seine Gesundheit unter der Benennung von Doctissime tonsorum! »Ago tibi gratias, domine,« antwortete der Barbier; sah darauf Herrn Jones sehr starr an und sagte mit [76] großer Ernsthaftigkeit und mit einer anscheinenden Verwunderung, als ob er sich eines Gesichts wieder erinnerte, das er bereits früher gesehen hätte: »Mein Herr, darf ich mir die Gewogenheit ausbitten, zu erfahren, ob nicht Ihr Name Jones heißt?« Worauf der andere antwortete: So hieße er. »Proh Deum atque hominum fidem!« sagte der Barbier, »wie wunderbar sich Dinge fügen können! Herr Jones, ich bin Ihr ganz gehorsamster Diener. Ich sehe, Sie kennen mich nicht; und in der That ist es auch nicht zu verwundern, weil Sie mich nie mehr als einmal gesehen haben, und dazu waren Sie damals noch sehr jung. Haben Sie doch die Güte, mir zu sagen, wie befindet sich der gute Junker Alwerth? Was macht ille optimus omnium patronus?« – »Ich sehe,« sagte Jones, »daß Sie mich wirklich kennen. Aber ich bin nicht eben so glücklich, mich Ihrer zu erinnern.« – »Das nimmt mich kein Wunder,« schrie Benjamin. »Aber desto mehr wundert's mich, daß ich Sie nicht früher erkannt habe, denn Sie haben sich nicht im geringsten verändert, und wenn ich, ohne voreilig zu sein, bitten dürfte, zu wissen, wohin Sie dieses Weges zu reisen gesonnen sind?« – »Füllen Sie Ihr Glas, Herr Chirurgus,« sagte Jones, »und unterlassen das weitere Fragen.« – »Wohl, mein Herr Jones,« antwortete Benjamin, »ich wollte nicht lästig sein, und ich hoffe, Sie halten mich für keinen unverschämten, neugierigen Mann; denn das ist ein Fehler, welchen mir niemand zur Last legen kann. Aber um Vergebung! Denn, wenn ein Herr von Ihrer Art ohne Bediente reiset, so sollten wir freilich voraussetzen, es geschehe, wie wir sagen: in casu incognito; und vielleicht hätte ich Ihren Namen nicht nennen sollen.« – »Ich muß gestehen,« sagte Jones, »ich hätte nicht erwartet, hier so gut gekannt zu sein, als ich finde, daß ich's bin. Doch aus gewissen Ursachen werde ich Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie meinen Namen keinem andern Menschen sagen wollen, bis ich wieder von hier abgereist bin.« – »Pauca verba!« erwiderte der Barbier, »und ich wollte nur wünschen, daß niemand mehr hier Sie kennte, als ich; denn gewisse Leute haben lange Zungen! Ich aber, das versichere ich Sie, kann ein Geheimnis bei mir behalten. Diese Tugend können mir meine Feinde nicht absprechen.« – »Und doch, Herr Barbier, pflegt das die unterscheidende Eigenschaft Ihrer Profession nicht zu sein,« antwortete Jones. – »Ach, mein lieber Herr,« versetzte Benjamin. »Non si male nunc, et olim sic erat. Ich bin weder ein geborner, noch erzogener Barbier, versichere ich Sie. Ich habe meine meiste Zeit unter sehr anständigen Leuten zugebracht, und ich darf es sagen, ich weiß ein wenig, wie es bei vornehmen Leuten hergeht; und hätten Sie mich Ihres Vertrauens ebenso würdig geachtet, als Sie es gewissen andern Leuten geschenkt [77] haben, Sie hätten sehen sollen, daß ich ein Geheimnis zu verwahren weiß. Von mir hätte Ihr Name nicht in der Küche eines öffentlichen Wirtshauses heruntergekanzelt werden sollen. In der That, Herr Jones, gewisse Leute sind schlecht mit Ihnen umgegangen; denn außerdem, daß sie's so öffentlich ausrufen, was Sie ihnen von einer Veruneinigung zwischen Ihnen und dem Herrn Junker Alwerth anvertraut haben, so setzen sie auch noch Sachen von eigener Erfindung hinzu, von denen ich weiß, daß es Lügen, lauter Lügen sind.« – »Sie setzen mich in Erstaunen!« sagte Jones. – »Auf mein Wort,« erwiderte Benjamin, »ich sage Ihnen die Wahrheit, und habe wohl nicht nötig hinzuzusetzen, daß es die Wirtin ist, welche diese Schandtrompete bläst. Es ging mir durch die Seele, die Geschichte mit anzuhören: und, ich hoffe, sie soll durchaus falsch sein, denn ich habe für Sie großen Respekt, das versichere ich Sie, habe ich! und habe ihn immer gehabt, seit der Gutherzigkeit, welche Sie am schwarzen Jakob bewiesen, wovon weit und breit umher gesprochen wurde, und worüber mir mehr als ein Brief geschrieben ist. In der That, es machte Sie bei jedermann beliebt. Sie werden mir also verzeihen, denn ich hatte einen wirklichen Kummer über das, was ich gehört hatte, und das trieb mich an, Ihnen die Frage zu thun; denn ich habe keine dumme Neugier an mir, aber ich liebe ein gutes Herz, und daher amoris abundantia erga te.«

Bei einem Menschen, den der Unglückswind anweht, finden alle Freundschaftsversicherungen leicht Glauben; es ist daher kein Wunder, daß Jones, der außerdem noch, daß er unglücklich, auch von Natur außerordentlich offenherzig war, allen diesen Versicherungen des Benjamin gar willig Glauben beimaß und ihn in seinen Busen aufnahm. Die kleinen lateinischen Brocken, von denen Benjamin einige immer noch schicklich genug anbrachte, ob sie gleich eben nicht nach einer tiefen Litteratur schmeckten, schienen doch etwas mehr als einen alltäglichen Bartscherer anzudeuten. Jones glaubte also an die Wahrheit dessen, was er von seiner Herkunft und Erziehung erzählte, und endlich, nach oft wiederholtem Anliegen, sagte er zu ihm: »Weil Sie denn einmal so viel von meinen Angelegenheiten gehört haben, mein Freund, und so begierig scheinen, die Wahrheit zu wissen, so will ich Ihnen den ganzen Zusammenhang erzählen, wenn Sie Geduld genug haben, es anzuhören.« – »Geduld genug!« rief Benjamin, »die hab' ich, und wenn das Kapitel auch noch so lang ist; und ich bin Ihnen unendlich für die Ehre verbunden, die Sie mir erzeigen.«

Jones erzählte ihm also die ganze Geschichte, und vergaß bloß einen oder ein paar Umstände, namentlich alles und jedes, das an dem Tage vorging, an welchem er sich mit Herrn Schwöger geschlagen [78] hatte, und endigte mit seiner Entschließung, zur See zu gehn, bis die Rebellion an der schottischen Grenze ihn diesen Vorsatz hatte aufgeben lassen und ihn an den Ort gebracht hatte, wo er jetzt war.

Der kleine Benjamin war ganz aufmerksam und sagte während der ganzen Erzählung kein Wort, als sie aber zu Ende war, konnte er sich nicht entbrechen zu bemerken, daß ganz gewiß noch mehr Erfindungen seiner Feinde dahinter stecken und Herrn Alwerth gegen ihn aufgebracht haben müßten, sonst würde ein so guter Mann einen Jüngling nicht von sich entfernt haben, den er bis dahin immer so zärtlich geliebt habe. Worauf Jones antwortete, er zweifle nicht, man müsse sich wohl niederträchtiger Künste bedient haben, um sein Verderben zu bewirken.

Und allerdings war es irgend einem Menschen kaum möglich, daß er nicht mit dem Barbier dieselbe Bemerkung hätte machen sollen, welcher von Jones nicht einen einzigen Umstand vernommen hatte, worüber er war verurteilt worden, denn seine Handlungen waren jetzt nicht in das nachteilige Licht gestellt, in welches man sie dem Herrn Alwerth fälschlich vorgeschoben hatte. Er konnte auch nicht einmal der vielen falschen Anklagen erwähnen, welche dem Herrn Alwerth von Zeit zu Zeit gegen ihn waren vorgebracht worden, denn er war mit keiner davon irgend selbst bekannt. Ebensowohl hatte er, wie wir angemerkt haben, manches wesentliche Faktum in seiner gegenwärtigen Geschichtserzählung ausgelassen. Im ganzen genommen, erschien jetzt alles und jedes für unsern Jones in so vorteilhaften Farben, daß die Bosheit in Person es nicht leicht gefunden haben würde, den geringsten Tadel auf ihn zu bringen.

Nicht als ob Jones hätte vorsätzlicherweise die Wahrheit verbergen oder verkleistern wollen; nein, es würde ihm viel eher weh gethan haben zu sehen, daß auf Herrn Alwerth der Tadel gefallen wäre, weil er ihn gestraft, als auf seine eigene Handlungen, durch welche er diese Strafe verdient hatte; aber so ging es in der That zu und so wird es allemal zugehen. Denn laß einen Mann noch so ehrlich und aufrichtig sein, seine Erzählung von seiner eigenen Aufführung wird, ohne daß er's weiß oder will, so äußerst günstig für ihn ausfallen, daß seine Laster schneeweiß über seine Lippen gehen und gleich trüben Weinen, wenn sie über Hausenblasen abgezogen wurden, alle ihre Hefen zurücklassen werden. Denn obgleich die Thatsachen selbst angeführt werden, so werden doch die Beweggründe, die Umstände und die Folgen so von einander verschieden sein, wenn ein Mann selbst seine eigene Geschichte oder wenn sein Feind sie erzählt, daß man kaum wird erkennen können, ob es eine und dieselbe Thatsache sei.

[79] Obgleich der Barbier die Geschichte mit gierigem Ohre verschluckt hatte, so war's ihm doch noch nicht genügend. Es fehlte noch ein Umstand, nach welchem seine Neugier, so kalt solche war, sehr sehnlich verlangte. Jones hatte den Umstand seiner Liebe erwähnt und daß er Blifils Nebenbuhler gewesen, hatte aber ganz behutsam den Namen des jungen Frauenzimmers verschwiegen. Der Barbier bat also nach einigem Zaudern und Hms! und Ha's! um Erlaubnis, sich den Namen der Dame ausbitten zu dürfen, welche ihm die Ursache alles vorgegangenen Unheils zu sein schien. Jones stand einen Augenblick bei sich an und sagte darauf: »Weil ich Ihnen einmal soviel anvertraut habe und weil, wie ich fürchte, ihr Name bei dieser Gelegenheit bereits zu öffentlich bekannt geworden ist, so will ich solchen Ihnen nicht verbergen. Ihr Name ist Sophie Western.«

»Proh Deum atque hominum fidem! Herr Junker von Western hat schon eine mannbare Tochter?« – »Ja und zwar eine solche Tochter,« rief Jones, »daß die Welt ihresgleichen nicht aufzuweisen hat. Kein Auge hat jemals etwas so Schönes gesehen, doch das ist die geringste von ihren vortrefflichen Eigenschaften. Solch ein Verstand, solche außerordentliche Güte der Seele! O ich könnte sie unaufhörlich preisen, und doch nur die Hälfte ihrer Tugenden erzählen.« – »Herr von Western eine Tochter, die schon mannbar ist!« rief der Barbier. »Ich habe den Vater noch als einen Knaben gekannt, aber freilich tempus edax rerum.«

Der Wein ging bald auf die Neige und der Barbier drang sehr ernstlich darauf, auch seine Bouteille zum besten zu geben. Aber Jones schlug es platterdings aus und sagte: »Er habe schon mehr getrunken als er sollte und er müsse sich nunmehr auf sein Zimmer begeben, wo er wünschte das eine oder das andre Buch bekommen zu können.« – »Ein Buch?« rief Benjamin. – »Was für ein Buch möchten Sie haben? Ein lateinisches, oder in der Muttersprache? Ich habe einige kuriose Bücher in beiden Sprachen. Ich habe da des Erasmi Colloquia, Ovid de Tristibus, Gradus ad Parnassum, und in unserer Sprache habe ich einige der besten Bücher, obgleich einige ein wenig verschlissen sind. Aber ich habe noch einen großen Ueberrest von Stowe's Chronika, den sechsten Band von Popes Homer, den dritten Band vom Zuschauer, den zweiten Band von Eckards römischer Geschichte, den Robinson Crusoe, den Thomas a Kempis und zwei Bände von Thomas Browns Werken.«

»Diese letzten,« sagte Jones, »sind mir noch nie vorgekommen. Seien Sie also so gütig und leihen Sie mir einen von diesen Bänden.« Der Barbier versicherte ihm, sie würden ihm viel Vergnügen machen, denn er hielte den Verfasser für einen der größten witzigen[80] Köpfe, welche die Nation jemals gehabt habe. Er ging also nach seinem Hause, welches nahgelegen war und kam augenblicklich wieder, worauf, nachdem Jones dem Barbier die strengste Verschwiegenheit anempfohlen und dieser geschworen hatte solche unverbrüchlich zu bewahren, sie endlich von einander schieden. Der Barbier ging nach seinem Hause und Jones begab sich auf sein Zimmer.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

In welchem mehr Talente des Herrn Benjamin zum Vorschein kommen, so wie auch die Entdeckung, wer diese außerordentliche Person war.


Des Morgens ward Jones ein wenig unruhig darüber, daß ihn sein Wundarzt verlassen hatte, weil er besorgte es könnten nachteilige Umstände oder vielleicht gar Gefahr daraus erwachsen, wenn seine Wunde nicht verbunden würde. Er erkundigte sich also bei dem Kellner, was für andre Wundärzte in der Nachbarschaft zu haben wären. Der Kellner sagte ihm, es wohne einer ziemlich in der Nähe, aber er wüßte, der Mann käme nicht gern zu einem Patienten, zu dem er nicht gleich vom Anfange gerufen worden, »wenn aber mein Herr meinem Rate folgen wollen«, sagte er, »so ist weit und breit im ganzen Königreiche kein Mann besser für Sie als der Barbier, den Sie gestern abend bei sich hatten. Wir halten ihn für einen der geschicktesten Männer in der ganzen Nachbarschaft, an einem Menschen zu schneiden; denn er ist noch nicht über drei Monate hier und hat schon verschiedene große Kuren gethan.«

Der Kellner ward augenblicklich an den kleinen Benjamin abgefertigt, welcher, nachdem er vernommen in was für einem Geschäft man seiner bedürfe, sich dazu gehörig anschickte und sodann seine Aufwartung machte, aber mit einem so verschiedenen Aufzuge und Anstande von dem, welchen er hatte, wenn er sein Barbierbecken unterm Arm trug, daß man ihn kaum für eben dieselbe Person hätte halten sollen. »So, so, Tonsor,« sagte Jones, »ich sehe, Sie haben mehr als ein Gewerbe. Warum sagten Sie mir das nicht gestern abend?« – »Die Wundarzenei«, antwortete Benjamin ganz gravitätisch, »ist eine wissenschaftliche Kunst und kein Gewerbe. Die Ursache, warum ich Ihnen gestern nichts sagte, daß ich von dieser Kunst Profession mache, war, weil ich damals glaubte, Sie wären unter den Händen eines andern, und weil ich mich niemals in die Geschäfte meiner Kunstbrüder mische. Ars omnibus communis. Jetzt aber, Herr Jones, wenn es Ihnen so gefällig ist, will ich Ihren Kopf untersuchen, und wenn ich in Ihren Hirnschädel gesehen habe, will ich Ihnen meine Meinung von Ihrem Casu sagen.«

[81] Jones hatte keinen großen Glauben an diesen neuen Professor, indessen gab er zu, daß er den Verband abnehme und seine Wunde besehe. Dies war nicht sobald geschehen, als Benjamin anfing zu stöhnen und gewaltig den Kopf zu schütteln, worauf ihm Jones mit verdrießlichem Gesichte sagte, er solle keinen Spaß treiben, sondern ihm sagen in was für Umständen er ihn fände. Der antwortende Barbier sagte: »Soll ich antworten als Wundarzt oder als Freund?« – »Als ein Freund, und zwar ernsthaft,« versetzte Jones.

»Nun dann, auf meine Ehre und Gewissen!« schrie Benjamin, »es würde nicht wenig Kunst erfordern, zu verhindern, daß Sie nicht nach einigen wenigen Verbänden völlig geheilt wären, und wenn Sie mir erlauben, daß ich etwas von meiner Salbe auflegen darf, so stehe ich für den guten Erfolg.« Jones gab seine Einwilligung, welcher zufolge das Pflaster aufgelegt ward.

»Nun da, mein Herr,« sagte Benjamin, »jetzt will ich, wenn Sie erlauben, meine vorige Gestalt wieder annehmen, denn ein Mann ist verbunden eine gewisse Würde in seinem Wesen anzunehmen, wenn er dergleichen Operationen, wie diese, verrichtet, oder die Welt würde nicht leiden, sich von ihm behandeln zu lassen. Sie können sich nicht vorstellen, mein Herr, von wie wichtigen Folgen ein ernsthaftes Ansehen für einen Mann von ernsthaften Geschäften ist. Ein Barbier darf Ihnen was zu lachen machen, aber ein Wundarzt muß Ihnen Thränen abnötigen.«

»Mein Herr Barbier, oder Herr Wundarzt, oder Herr Baderbarbier,« sagte Jones – – »O mein teuerster Herr Jones,« fiel ihm Benjamin antwortend in die Rede, »Infandum regina jubes renovare dolorem! Sie rufen mir jene grausame Spaltung der vereinigten Brüderschaften ins Gedächtnis, welche bei den Gesellschaften so nachteilig ist, als alle Spaltungen sein müssen nach dem Spruche der Alten: Vis unita fortior, welches noch hin und wieder von einigen unter beiderlei Amtsgenossen richtig verstanden werden mag. Welch ein Schlag war diese Trennung für mich, der ich beides in meiner eignen Person vereinige –«

»Wohlan,« fuhr Jones fort, »unter welchem Namen von beide Sie auch zu passieren belieben, so sind Sie doch gewiß einer der sonderbarsten und schnackischten Gesellen, die mir jemals vorgekommen sind, und in Ihrer Lebensgeschichte muß etwas Wunderbares enthalten sein, welches ich, wie Sie bekennen müssen, ein Recht zu vernehmen habe.« – »Ich bekenne das,« antwortete Benjamin, »und bin bereit und willig sie Ihnen zum besten zu geben, wenn Sie hinlängliche Muße dazu haben, denn ich versichre Sie, es wird dazu Zeit und Weile erfordert!« Jones versicherte ihn, er habe niemals mehr Muße gehabt als jetzt. »Wohlan denn,« sagte Benjamin, »ich [82] will Ihnen gehorchen. Erst aber will ich die Thüre abschließen, damit uns niemand unterbrechen könne.« Er that das und darauf näherte er sich mit einem sehr feierlichen Wesen dem Jones, und sagte: »Ich muß damit anfangen, daß ich Ihnen sage, Herr Jones, daß Sie selbst der größte Feind gewesen sind, den ich jemals gehabt habe.« Jones war ein wenig betroffen über diese unvermutete Erklärung. – »Ich Ihr Feind, Herr?« sagte er mit vielem Erstaunen und etwas strengem Blicke. – »Ja werden Sie nur nicht böse,« sagte Benjamin, »denn ich versichre Sie, daß ich Ihnen darüber nicht böse bin. Sie sind völlig unschuldig an dem Vorsatze, mir irgend etwas zu leide zu thun, denn Sie waren damals noch ein Kind. Aber, ich glaube, ich werde das alles in eben dem Augenblick enträtseln, da ich Ihnen meinen Namen nenne. Haben Sie jemals, Herr, etwas von einem gewissen Rebhuhn gehört, der die Ehre hatte für Ihren Vater gehalten zu werden, und das Unglück, daß ihn diese Ehre ins Verderben brachte?«

»Ich habe wirklich von diesem Rebhuhn gehört,« sagte Jones, »und habe beständig geglaubt, ich sei sein Sohn.« – »Wohlan mein Herr!« antwortete Benjamin, »ich bin dieser Rebhuhn, aber ich spreche Sie hiermit von allen kindlichen Pflichten gegen mich frei und ledig, denn ich versichre Sie, daß Sie mein Sohn nicht sind.« – »Wie!« versetzte Jones, »und ist es möglich, daß Ihnen ein ungegründeter Verdacht alle diese böse Folgen zugezogen haben kann, die mir gar zu wohl bekannt sind?« – »Möglich ist es,« schrie Benjamin, »denn es ist wirklich an dem; aber ob es gleich den Menschen natürlich genug ist, selbst die unschuldigen Ursachen ihrer Leiden zu hassen, so bin ich doch von einer verschiedenen Denkungsart. Ich habe Sie beständig geliebt, seitdem ich Ihr Betragen gegen den schwarzen Jakob gehört, wie ich Ihnen schon gesagt habe, und ich werde durch diese wunderbare Zusammenkunft überzeugt, daß Sie geboren sind, mich für alles das, was ich über diesen Punkt gelitten habe, schadlos zu halten. Ueberdem träumte mir die Nacht vorher, ehe ich Sie sah, daß ich über einen Stuhl strauchelte ohne mir Schaden zu thun, welches mir ganz deutlich anzeigte, daß mir etwas Gutes begegnen würde; und vergangene Nacht träumte mir abermal, ich ritte auf einer milchweißen Stute hinter Ihnen her, welches gar ein vortrefflicher Traum ist und ein großes Glück bedeutet, dem ich auf dem Fuße zu folgen entschlossen bin, wofern Sie nicht die Grausamkeit haben, mir mein Begehren abzuschlagen.«

»Es sollte mir sehr lieb sein, Herr Rebhuhn,« antwortete Jones, »wenn es in meinem Vermögen stände, Ihnen für die meinetwegen erlittenen Widerwärtigkeiten Ersatz zu leisten, ob ich gleich für jetzt dazu noch keine Wahrscheinlichkeit sehe. Indessen verspreche ich Ihnen, [83] daß ich Ihnen nichts abschlagen will, was nur in meinen Kräften steht, Ihnen zu gewähren.«

»In Ihren Kräften steht es gewiß genug,« erwiderte Benjamin, »denn ich verlange nichts weiter, als die Erlaubnis, daß ich Sie auf dieser Reise begleiten dürfe. Ja mein Herz ist hierauf dermaßen gestellt, daß, wenn Sie mir's abschlagen sollten, Sie einen Bader und Barbier in einem Atem zugleich töten würden.«

Jones antwortete lächelnd: »Es sollte ihm leid thun, an einem so großen Verluste fürs gemeine Wesen schuld zu sein.« Er brachte darauf verschiedene Klugheitsgründe bei, um den Benjamin (den wir künftig Rebhuhn nennen wollen) von seinem Vorsatze abzubringen. Alle aber waren vergeblich. Rebhuhn steifte sich gewaltig auf seinen Traum von der milchweißen Stute. – »Und überdem, Herr Jones,« sagte er, »habe ich, das versichre ich Sie, eine ebenso warme Liebe für die Sache unsres Vaterlandes, als nur ein Mensch haben kann, und hinziehn will ich nun einmal, Sie mögen mir's erlauben, in Ihrer Gesellschaft mitzugehn oder nicht.«

Jones, der ebensoviel Gefallen an Rebhuhn fand, als nur Rebhuhn an ihm finden konnte, und der seine eigne Neigung gar nicht, sondern nur das beste der andern zu Rate gezogen hatte, wenn er ihn beredete daheimzubleiben, als er seinen Freund so entschlossen fand, gab endlich seine Einwilligung; besann sich aber bald wieder und sagte: »Vielleicht, Herr Rebhuhn, glauben Sie, ich sei im stande, Ihnen Unterhalt zu geben, aber das kann ich wirklich nicht;« und hierbei zog er seinen Geldbeutel hervor und zählte ihm neun Guineen vor und erklärte, daß hierin sein ganzer Reichtum bestände.

Rebhuhn antwortete, seine Rechnung ginge nicht auf sein gegenwärtiges, sondern bloß auf sein künftiges Glück; denn er wäre völlig überzeugt, Jones würde bald Vermögen genug besitzen. »Für jetzt, Herr Jones,« sagte er, »glaub' ich, bin ich von beiden bei weitem der reichste; alles aber, was ich habe, steht ohne Ausnahme zu Ihrem Dienst und Befehl. Ich verlange aufs ernstlichste, daß Sie alles zu sich nehmen, und bitte um nichts weiter, als daß ich Sie in der Eigenschaft eines Bedienten begleiten dürfe. Nil desperandum est Teucro duce et auspice Teucro.« Von dem großmütigen Vorschlage, das Geld betreffend, wollte nun aber Jones ein für allemal nichts hören.

Es war beschlossen, den nächsten Morgen die Reise anzutreten, als sich in Ansehung des Reisegelds eine Schwierigkeit hervorthat, weil Jones' Mantelsack zu groß und schwer war, um ihn ohne Pferd fortzubringen.

»Darf ich's wagen, meinen Rat zu geben?« sagte Rebhuhn. »Diesen Mantelsack mit allem, was darin ist, einige wenige Wäsche [84] ausgenommen, sollten wir dahinten lassen. Diese Wäsche kann ich für Sie leicht tragen und Ihre Kleider können ganz sicher in meinem Hause unterm Schlosse bleiben.«

Dieser Vorschlag ward ebensobald angenommen als gethan, und gleich darauf ging der Barbier fort, um alles Nötige zu der vorhabenden Reise zu beschicken.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Enthält bessere Gründe, als alle die, welche wir bisher für das Betragen Rebhuhns wahrgenommen haben; Schutzrede für Jones, Kurzsichtigkeit; und noch ein paar Anekdoten von unsrer Frau Wirtin.


Obgleich Rebhuhn zu den abergläubigsten Menschen gehörte, so würde er doch wohl schwerlich bloß auf Treu und Glauben seiner Träume vom Fallen über den Stuhl und der weißen Stute begehrt haben, den Herrn Jones auf seiner Reise zu begleiten, wenn er keine bessern Aussichten vor sich gehabt hätte, als die in Krieg und Schlachten eroberte Beute mit ihm zu teilen. Die Sache war diese: Als Rebhuhn über die von Jones gehörte Erzählung nachdachte, konnte er's in seinem Kopfe nicht reimen, daß Herr Alwerth seinen Sohn (denn dafür hielt er ihn steif und fest) wegen irgend einer der Ursachen, die er gehört hatte, sollte aus dem Hause gestoßen haben. Er machte also den Schluß, die ganze Geschichte möchte wohl eine Erdichtung sein, und Jones, von dem ihm seine Korrespondenten oft geschrieben, es sei ein sehr wilder Kopf, möchte wohl im Ernste von seinem Vater entlaufen sein. Er setzte sich's also in Sinn, wenn er's über den Jüngling erhalten könnte, daß er wieder nach Hause kehrte zu seinem Vater, so würde er dadurch dem Herrn Alwerth einen angenehmen Dienst leisten, der seinen ehmaligen Zorn gänzlich besänftigen müßte. Ja, er ging in seiner Grübelei soweit, daß er diesen Zorn für Verstellung hielt und meinte, Alwerth habe ihn seinem eignen guten Namen aufgeopfert. Und dieser Verdacht konnte ihm wirklich so ziemlich gegründet scheinen wegen der zärtlichen Gewogenheit, die dieser vortreffliche Mann gegen Jones äußerte, wegen der großen Strenge gegen Rebhuhn, der, weil er sich selbst unschuldig wußte, nicht begreifen konnte, daß ein andrer ihn für schuldig achten sollte, und endlich auch wegen der heimlichen Beisteuer, die er noch lange nachher von ihm erhalten hatte, als er ihm öffentlich die jährliche Pension genommen hatte, welche er als eine Art von Schmerzengeld, oder vielmehr als einen Ersatz für das ihm zugefügte Unrecht ansah: denn es ist sehr ungewöhnlich, glaub' ich, daß die Menschen die Wohlthaten, die sie von [85] jemand genießen, bloß seiner Barmherzigkeit zuschreiben, solange sie nur noch irgend einen andern Beweggrund dafür ersinnen können. Wenn er also, auf welche Art es auch anginge, den Jüngling bewegen könnte wieder heimzukehren, so zweifelte er nicht, Herr Alwerth würde ihm seine Gunst wieder angedeihen lassen und ihm seine Mühe sehr reichlich belohnen. Ja, auf diese Weise könnte er wieder in sein liebes Vaterland zurückkommen. Ein Wunsch, der selbst dem Ulysses niemals näher am Herzen gelegen hatte, als dem armen guten Rebhuhn.

Was Herrn Jones anlangt, so zweifelte der gar nicht an der Wahrheit dessen, was der andre vorgegeben hatte, und glaubte, Rebhuhn werde von nichts anderm als von der Liebe zu ihm und dem Eifer für die Sache des Vaterlandes getrieben. Ein tadelnswürdiger Mangel an Behutsamkeit und Mißtrauen in die Wahrheitsliebe andrer, wodurch er sich einer derben Weisung würdig machte! Die Wahrheit zu sagen gibt es nur zwei Wege, auf welchen ein Mensch zu dieser vortrefflichen Eigenschaft gelangen kann. Einer ist eine lange Erfahrung und auf den andern leitet die Natur selbst. Diese letzte ist oft unter demjenigen gemeint, was man Genie oder hellen natürlichen Verstand nennt und ist der unendlich sicherste von beiden, nicht allein deswegen, weil wir darin viel früher in unserm Leben Meister werden, sondern auch, weil er viel sichrer und zuverlässiger ist; denn ein Mann von bloßer Erfahrung kann noch so oft und mannigfaltig betrogen worden sein und dennoch immer hoffen, bei andern mehr Ehrlichkeit anzutreffen; dahingegen ein Mann, der von seinem innern Zeugen gewisse nötige Warnungen darüber erhält, daß das nicht möglich sei, wirklich nur sehr wenig Verstand haben müßte, wenn er sich nur ein einziges Mal der Gefahr bloßstellte, betrogen zu werden. Da Jones diese Gabe nicht von der Natur empfangen hatte, so war er noch zu jung, sich solche durch Erfahrungen erworben zu haben. Denn da dieses weise Mißtrauen, welches nach den Lehrsätzen einer gewissen Sekte geheimer unbekannter Philosophen die Mutter der Sicherheit ist (weswegen denn wohl auch so manche Auftritte gespielt werden, um es dieser Mutter nicht an Kindern fehlen zu lassen), nur erst bei sehr reifen Jahren erlangt werden kann, so ist dies vielleicht die Ursache, warum einige alte Männer so geneigt sind, den Verstand aller derer gering zu schätzen, welche nur ein wenig jünger sind als sie selbst.

Jones brachte fast den ganzen Tag in Gesellschaft eines Bekannten zu. Dies war niemand anders als der Wirt vom Hause, oder richtiger zu sagen, der Ehemann der Frau Wirtin. Er war erst ganz neulich wieder nach einem Lager am Podagra herunter ins Haus gekommen, an welcher Krankheit er gewöhnlich die eine Hälfte [86] des Jahres sein Zimmer hüten mußte und während der übrigen Hälfte im Hause umherwankte, seine Pfeife rauchte und mit seinen Freunden seine Flasche Wein trank, ohne sich im geringsten um das Hauswesen zu bekümmern. Er hatte eine Erziehung gehabt wie eines hübschen Mannes Kind, das heißt, erzogen zum Müßiggange, und hatte ein sehr geringes Vermögen, das er von einem fleißigen Landwirt, seinem Oheim, geerbt, mit Jagen, Pferderennen und Hahnengefechten durchgebracht und sich dann mit der Frau Wirtin verheiratet, die ihm wegen gewisser Endzwecke ihre Hand gegeben, welchen zu entsprechen er schon längst aufgehört hatte, weswegen sie ihn recht herzlich haßte. Weil er aber eine dickhäutige Art von Gesellen war, so begnügte sie sich damit, ihm sehr nachteilige Vergleichungen mit ihrem ersten Ehemanne aufzuschüsseln, dessen Lob und Preis sie unaufhörlich im Munde führte, und so wie sie sich des größten Teils des Profits bemächtigte, so ließ sie sich's auch gefallen, die Regierung und Besorgung des Haus- und Wirtschaftswesens auf ihre eignen Schultern zu nehmen und nach einem langen und glücklichen Kämpfen ihrem Manne nachzugeben, daß er sein eigner Herr sein durfte.

Des Abends als sich Jones nach seinem Zimmer begab, erhob sich über ihn ein kleiner Zank zwischen diesem zärtlichen Ehepaare. »Was!« sagte sie, »hast du mit dem Herrn gesöffelt, wie ich sehe!« – »Ja,« antwortete der Gemahl, »wir haben unsre Flasche miteinander ausgestochen; es ist eine hübsche Art Herrn von Manne, das muß ich sagen, und versteht sich nicht übel aufs Pferdefleisch. Jung ist er freilich noch etwas und kennt noch eben die Welt nicht, denn ich glaube, bei viel Pferderennen ist er noch nicht gewesen.« – »Ho, ho!« versetzte die Gattin, »ist er von deinem Orden, ist er nicht? So, ja, so muß er wohl ein Junker sein, wenn er ein Pferdeverständiger ist. Hol' der Satan solche Pferdejunker! Gott weiß, ich wollte, ich hätte in meinem Leben keinen zum Ansehen gekriegt. Ich habe wohl Ursache Pferdekennern gut zu sein! Ich, ja wahrhaftig!« – »Das hast du,« sagte der brave Ehemann, »denn ich bin selbst einer, das weißt du.« – »Ja, leider weiß ich's,« antwortete sie, »und der rechte, klare Kern dazu, wie mein lieber seliger Mann zu sagen pflag, und ebenso kann ich alles Gute, was ich von dir gehabt habe, in meine beiden Augen thun und doch um keinen Stich schlechter sein.« – »Daß du mit deinem lieben seligen Mann in der Hölle säßest!« schrie er. – »Mit Respekt von einem Manne gesprochen, bitte ich,« versetzte sie, »der nicht so dumm war, wie's andre gibt. – Wenn er noch lebte, du solltest dich's unterstehen, so was zu sagen; Wonne! Wonne!« – »Meinst du also,« sagte er, »ich hätte nicht soviel Kourage als du? Denn du hast ihn doch in [87] Abgrund der Hölle gewünscht, daß ich's selbst mit angehört habe.« – »Nun! wenn ich's ja einmal gethan habe, so hab' ich's hundertmal bereut. Und wenn er so langmütig war, mir ein Wort zu vergeben, das ich sowohl einmal in Brast und Hast sagte, so schickt sich das nicht für so einen wie du, mir das so wie Striegelstaub ins Ehebett zu streuen. An ihm hatte ich doch noch einen braven Ehemann, so hatt' ich! Und wenn mir auch einmal ein unrechtes Wort so im Eifer entfiel, so habe ich ihn doch niemals einen faulen Steinesel geheißen! Nein, da hätt' ich eine Lüge gesagt, wenn ich ihn so geheißen hätte.« Sie sagte noch weit mehr und spitzigere Dinge, aber ohne daß er's hörte, denn als er seine Pfeife angezündet hatte, wackelte er so hurtig ab als er nur konnte. – Wir wollen also von ihren wohlgewürzten Reden nichts weiter abschreiben, weil sich solche immer mehr und mehr einem Gegenstande näherten, welcher zu unfein ist, um einen Platz in dieser Geschichte zu finden.

Des folgenden Morgens ganz frühe erschien Rebhuhn vorm Bette des Herrn Jones, völlig fertig und gerüstet zur Reise, mit dem Knappsack auf den Schultern. Dieser war sein eignes Werk und Erfindung, denn außer seinen andern Gewerben war er auch kein schlechter Schneider. In diesen Knapp- oder Schnappsack hatte er bereits seinen ganzen Vorrat von Wäsche gepackt, der aus vier Hemden bestand, wozu er achte von Jones seinen hinzuthat, dann das Felleisen zuschnürte, aufpackte und damit zum Hause hinausmarschieren wollte nach seinem eignen, auf dem Wege aber von der Wirtin angehalten wurde, welche von keinem Ausziehen wissen wollte, bis nach bezahlter Rechnung.

Die Wirtin, wie wir gesagt haben, war in diesem Revier unumschränkte Beherrscherin; es war daher eine Notwendigkeit, ihren Gesetzen gehorsam zu sein, und somit ward die Rechnung augenblicklich ausgefertigt, die sich auf eine weit höhere Summe belief, als man nach der Bewirtung, welche Jones genossen, hätte erwarten sollen. Aber hier sehen wir uns genötigt, gewisse Maximen aufzudecken, welche die Gastwirtsleute als ein Brudergeheimnis verborgen halten. Die erste ist, wenn sie etwas Gutes im Hause haben (welches sich wirklich nicht oft zuträgt), so bringen sie es nur solchen Personen zum Vorschein, die mit einem großen Gefolge reisen. Zweitens eben diesen Leuten für die schlechteste Bewirtung ebensoviel anzusetzen, als ob es die beste gewesen wäre, und endlich drittens, wenn einer von ihren Gästen nur wenig fordert, für jede Sache die er bekommen, sich den doppelten Preis bezahlen zu lassen, so daß am Ende sich die Summe auf eins hinaus beläuft.

Nachdem die Rechnung aufgemacht und bezahlt worden, machte sich Jones auf den Weg und Rebhuhn mit dem Schnappsack auf [88] dem Buckel hinter ihm her. Die Wirtin gab sich nicht einmal die Mühe, ihnen glückliche Reise zu wünschen, denn dies war, müssen Sie wissen, ein Gasthof, wo nur vornehme Passagiere einkehrten, und ich weiß nicht wie es zugeht, aber alle Leute, die ihre Nahrung von Leuten von gewissem vornehmem Stande verdienen, gewöhnen sich gegen alle übrigen Menschen eben solche Grobheiten an, als ob sie selbst mit zu jenem Range gehörten.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Jones langt zu Glocester an, und tritt ab in der Glocke. Charakter dieses Hauses und eines juristischen Zungendreschers, den er dort antrifft.


Unser Jones und Rebhuhn, oder der kleine Benjamin (welcher Beiname klein ihm vielleicht ironischerweise angehängt war, weil er wirklich beinahe seine sechs Fuß maß), nachdem sie auf die vorbeschriebene Art ihr letztes Quartier verlassen hatten, wanderten fort auf Glocester zu, ohne daß ihnen ein Abenteuer aufstieß, welches des Erzählens wert wäre.

Als sie dort angelangt waren, wählten sie die Glocke zum Gasthofe. Dies ist ein vortreffliches Haus und ich empfehle es in allem Ernste einem jeden Leser, welcher diese alte Stadt einmal besuchen möchte. Sein Besitzer ist ein Bruder des großen Predigers Whitefield, er ist aber ganz und gar nicht von den Grundsätzen der Pietisterei oder sonst einer andern ketzerischen Sekte angesteckt. Er ist wirklich ein gerader, schlichter, ehrlicher Mann, und nach meiner Meinung scheint's nicht, daß er weder in der Kirche noch im Staate schlimme Händel anrichten wird. Seine Ehegattin hatte, wie mich dünkt, viel Anspruch auf Schönheit und ist noch eine sehr fein gebildete Frau. Ihre Person und ihr Anstand hätte in den vor nehmsten Gesellschaften eine glänzende Figur spielen können; allein so gut sie sich dessen bewußt sein muß, so scheint sie doch mit dem Stande des Lebens, in welchen sie versetzt ist, vollkommen zufrieden zu sein und sich in ihre Lage zu schicken und zu fügen. Diese Fügsamkeit ist ganz ein Werk ihrer Klugheit und Weisheit, denn sie ist gegenwärtig ebenso rein von allen methodistischen und pietistischen Grillen, wie ihr Ehemann. Ich sage gegenwärtig, denn sie gesteht ganz frei, daß anfänglich ihres Schwagers Lehren einigen Eingang bei ihr fanden und daß sie sich in die Unkosten eines langen Huts gesetzt habe, um dem außerordentlichen Treiben des Geistes mit beizuwohnen; da sie aber während einem Versuche von drei Wochen keine Bewegung verspürt, die, wie sie sagt, nur drei Dreier wert gewesen, so habe sie ihren langen Hut ganz weislich wieder abgelegt und Pietisten [89] Pietisten sein lassen. Um nicht weitläufig zu werden – sie ist eine sehr freundliche, gutmütige Frau und auf eine so sinnreiche Art dienstfertig und gefällig, daß die Gäste von sehr mürrischer Gemütsart sein müßten, die in ihrem Hause nicht außerordentlich zufrieden wären.

Madame Whitefield stand zufälligerweise auf dem Hofplatze, als Jones und sein Begleiter einmarschierten. Ihr Scharfblick entdeckte in dem äußeren Wesen unseres Helden bald ein Etwas, das ihn von dem gemeinen Haufen unterschied. Sie befahl daher ihren Bedienten, ihm sogleich ein Zimmer anzuweisen, und gab ihm gleich darauf die Einladung mit ihr zu mittag zu essen, welche Einladung er sehr dankbar annahm. Denn nach einem so langen Fasten und einem so langen Marsche würde ihm in der That eine wenig angenehmere Gesellschaft und eine weit schlechtere Mahlzeit, als sie besorgt hatte, willkommen gewesen sein.

Außer dem Herrn Jones und der guten Hausvorsteherin setzten sich noch an den Tisch ein Gerichtsprokurator von Salisbury; gerade ebenderselbe, welcher die Nachricht von Madame Blifils Tode an Herrn Alwerth überbracht hatte, und dessen Name, den wir soviel ich weiß noch nicht genannt haben, Dowling hieß; ferner ein anderer Mensch, der sich einen Juristen schelten ließ, und nahe bei Lidlinch in Somersetshire wohnte. Der Mensch sage ich, ließ sich einen Juristen schelten, in der That aber war er einer der schlechtesten unter der Gattung Zungendrescher, die man eigentlich Dielenläufer nennt, weil sie von einer Gerichtsdiele der Unterrichter zur anderen laufen, in geringfügigen Sachen die Termine abwarten, ob sie gleich oft nicht einmal schlichten Menschenverstand geschweige denn wissenschaftliche Kenntnisse haben; daher man sie denn auch juristische Freibeuter nennen konnte. Im Grunde sind sie die Mietpferde der ordentlichen Advokaten, auf denen sie gegen Häcksel und Heu (den Hafer behalten die Advokaten selbst) ihre Produkte und Exzeptionen vor den ersten Instanzen herumreiten lassen.

Während der Mahlzeit erinnerte sich der Dielenläufer des Gesichts des Herrn Jones, das er in Herrn Alwerths Hause gesehen hatte; denn er hatte in der Küche oder Gesindestube dieses Herrn manchen Besuch abgestattet. Er nahm also Gelegenheit, sich zu erkundigen, wie sich diese gute Familie befände? und zwar mit einer so vertraulichen Miene, daß man hätte meinen sollen, Herr Alwerth wäre so sein ordentlich guter Freund und Bekannter; und in der That ließ er's nicht an seinem Bestreben ermangeln, sich dafür halten zu lassen, ob er gleich niemals in diesem Hause mit einer höhern Person als dem Tafeldecker gesprochen hatte. Jones beantwortete alle seine Fragen mit vieler Höflichkeit, obwohl er sich nicht erinnerte [90] diesen Dielenläufer vorher gesehen zu haben, und ob er gleich aus dem äußerlichen Anzug und Wesen des Menschen schloß, daß er sich solche Freiheiten anmaße, zu denen er nicht berechtigt sei.

Da die Gespräche dieser Gattung Leute für jeden verständigen Mann höchst unausstehlich sind, so war kaum das Tischtuch abgehoben, als Jones fortging, und ein wenig unbarmherzigerweise Madame Whitefield sitzen ließ, eine Buße zu thun, die wie ich oft von vernünftigen Gastwirten klagen gehört habe, das bitterste Los ist, welches ihrem Berufe anklebt; nämlich die Notwendigkeit, worin sie sich befinden, ihren Gästen Gesellschaft zu leisten.

Jones hatte kaum den Eßsaal verlassen, als der Dielenläufer Madame Whitefield mit lispelndem Tone fragte: »ob sie den feinen Zeisig kenne?« Sie antwortete: »sie habe den Herrn niemals gesehen.« – »Den Herrn? ja, ja!« versetzte der Dielenläufer, »ein wackrer Herr, wahrlich! Ein schändlicher Bankert ist's! Sein Vater war ein Kerl, der wegen Pferdediebereien am Galgen hängt. Er war ausgesetzt worden vor Alwerths Thüre, wo ihn eine Magd fand, in einem Korbe so voller Regenwasser, daß er gewiß ersäuft sein würde, wenn nicht ein ander Schicksal auf ihn lauerte.« – »Nun, nun! brauchen's nicht zu nennen das Schicksal! Wir wissen recht gut, was es ist!« schrie Dowling mit einem sehr pfiffigen Kopfnicken. – »Wohl«, fuhr der andere fort, »der Junker befahl man sollte ihn hereinnehmen, denn der Mann ist ein wenig ängstlich, wie bekannt, und besorgte, er möchte garstige Händel an den Hals kriegen; und so ward der Bastard aufgezogen, gefüttert und gekleidet, daß die ganze Welt hätte denken sollen, 's wäre ein Junker; und da schwängerte er dann eine Dienstmagd im Hause und beschwatzte die arme Hure, daß sie es dem alten Junker selbst an den Hals schwören mußte. Und nachher da schlug er einem gewissen Schwöger, einem Geistlichen einen Arm entzwei, bloß weil er ihm einen Ausputzer gegeben hatte, daß er so hinter den Huren herliefe; und hernach da schoß er von hintenzu mit einer Pistole nach Junker Blifil; und eines Tages, als der alte Junker Alwerth sterbenskrank lag, nahm er eine Trommel und trommelte im Hause herum, um ihn am Schlafen zu hindern; und zwanzig andere solche Bubenstreiche hat er gespielt, wofür er endlich vor vier oder fünf Tagen, kurz vorher als ich aus der Grafschaft reisete, vom Junker splitterfasennackend ausgezogen und aus'm Hause gejagt ist.«

»Und das mit großem Recht dazu wahrhaftig!« sagte Dowling. »Meinen eigenen Sohn jagte ich zum Hause hinaus, wenn er mir nur halb soviel Tücke ausübte. Aber wenn ich bitten dürfte, wie heißt denn der Name dieses saubern Herrchens?«

[91] »Sein Name?« antwortete der Plattfuß; »Nun! sie nennen ihn Tom Jones.«

»Jones!« versetzte Dowling ein wenig hastig. »Was? Herr Jones, der beim Herrn Alwerth im Hause war! das war der Herr, der mit uns gegessen hat?« – »Eben derselbige;« antwortete der andre. – »Ich habe oft von dem Herrn gehört,« rief Dowling; »aber noch niemals etwas Schlimmes.« – »Und ich bin gewiß,« sagte Madame Whitefield, »wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was dieser Herr da erzählt, so hat Herr Jones das trüglichste Gesicht, das ich in meinem Leben gesehen habe; denn seine Blicke versprechen gewißlich ganz was anders, und ich muß sagen, nach dem wenigen was ich von ihm gesehn habe, ist er ein so artiger, wohlerzogner Mensch, als man sich nur zum Umgang wünschen könnte.«

Der Dielenläufer besann sich, daß er noch keinen Eid gethan hätte, wie er oft für sich und seine Parteien thun mußte, besonders Zeugen- und Reinigungseide, und bekräftigte jetzt seine Verkleinerung mit so manchen Schwüren und Flüchen, daß der guten Frau davon die Ohren gellten, und sie seinen Verwünschungen dadurch ein Ende machte, daß sie ihm versicherte, sie glaube ihm! Worauf er sagte: »Madame, ich hoffe, Sie trauen mir zu, ich würde mich enthalten, so etwas von irgend einer lebendigen Seele zu sagen, wenn ich nicht wüßte daß es wahr wäre. Was hätte ich davon einem Manne seine Ehre abzuschneiden, der mir niemals was zu leide gethan hat? Ich versichre auf meine Ehre, eine jede Silbe, die ich gesagt habe, ist ein Faktum, und die ganze Grafschaft weiß das.«

Da Madame Whitefield keine Ursache hatte zu argwöhnen, der Dielenläufer habe heimliche Beweggründe oder Versuchungen Herrn Jones zu verleumden: so kann sie der Leser nicht tadeln, wenn sie dem, was ihr unter so vielen Eiden versichert wurde, Glauben beimaß. Sie entsagte also ihrer Geschicklichkeit in der Physiognomik, und faßte von Stund' an eine so üble Meinung von ihrem Gaste, daß sie herzlich wünschte, er möchte nur erst aus ihrem Hause fort sein.

Dieser ihr Widerwille ward noch durch eine Nachricht vermehrt, die Herr Whitefield aus der Küche heimbrachte, woselbst Rebhuhn der Gesellschaft anvertraut hatte: »Ob er schon den Schnappsack trüge und mit den Bedienten in der Küche fürlieb nähme, unterdessen daß Tom Jones (so nannte er ihn kurzweg) sich am Herrschaftstische gütlich thue, so sei er doch nicht sein Bedienter, sondern bloß sein Freund und Gesellschafter, und so gut ein freier Herr als Jones selbst.«

Dowling saß die ganze Zeit über in Gedanken, biß sich die Finger, schnitt Gesichter, schmuzerte und sah listig und pfiffig aus; [92] endlich öffnete er seine Lippen und versicherte, der junge Herr käme ihm vor als eine ganz andre Art vom Manne. Er forderte darauf seine Rechnung mit dem größten Eide, beteuerte er müsse den Abend noch in Hereford sein, beklagte sich wegen überhäufter Geschäfte und wünschte, er könnte sich in zwanzig Teile teilen, um an zwanzig Orten zugleich zu sein.

Der geschwätzige Dielenläufer ging nun ebenfalls fort; und Jones erbat sich von Madame Whitefield die Gewogenheit, ihm bei seinem Thee Gesellschaft zu leisten; sie schlug's ihm aber ab, und zwar auf eine Art, die von derjenigen, womit sie ihn bei Tische aufgenommen hatte, so verschieden war, daß es ihn ein wenig wunder nahm. Und nunmehr merkte er bald, daß sie ihr Betragen gänzlich verändert hätte; denn anstatt ihrer gewohnten Freundlichkeit, welche wir vorhin an ihr gepriesen haben, hatte sie in ihren Mienen eine steife Ernsthaftigkeit angenommen, welche dem Herrn Jones so unangenehm wurde, daß er sich, so spät es auch war, entschloß, noch diesen Abend das Haus zu verlassen.

Er machte von dieser plötzlichen Veränderung freilich eine etwas unbillige Auslegung; denn über dem, daß er sie harter- und ungerechterweise, in seinen Gedanken, der weiblichen Unbeständigkeit und des Wankelmuts beschuldigte, begann er auch zu argwöhnen, er habe diesen Mangel der Höflichkeit seinem Mangel an Pferden zu verdanken. Eine Gattung von Tieren, welche, weil sie keine Bettücher schmutzig machen, in den Wirtshäusern für bessere Bezahler ihres Nachtlagers gehalten werden als ihre Reiter, und deswegen die willkommensten sind. Allein Madame Whitefield, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, besaß eine weit edlere Art zu denken. Sie war von vollkommen guter Lebensart und pflegte einem braven Manne alle Höflichkeit zu erweisen, ob er gleich zu Fuße reiste. In der That betrachtete sie unsern Helden als einen schlechten Taugenichts, und deshalb begegnete sie ihm als einem solchen; worüber selbst Jones sie nicht hätte tadeln können, wenn er ebensoviel gewußt hätte als unsre Leser; im Gegenteil hätte er sogar ihre Aufführung billigen, und sie wegen der Verachtung, die sie ihm bewies, nur um so höher schätzen müssen. Dies ist in der That ein um so strafbarerer Umstand bei der Bosheit, die die Menschen so ungerechterweise um ihren guten Leumund bringt: denn ein Mann, der sich's bewußt ist, daß man ihn für einen schlechten Kerl kennt, kann es mit Recht niemand übelnehmen, wenn er ihm kalt und verächtlich begegnet; sondern muß vielmehr diejenigen verachten, die sich nach seinem Umgang drängen; ausgenommen in dem Falle, da eine genaue Bekanntschaft beide Teile überzeugt hat, daß der Leumund [93] des Freundes fälschlich und boshafterweise bei der Welt angeschwärzt worden.

Dies war indessen Herrn Jones Fall nicht. Denn weil ihm die eigentliche Wahrheit unbekannt war, so hatte er allerdings recht, sich durch die ihm widerfahrene Begegnung für beleidigt zu halten. Demnach bezahlte er seine Rechnung und setzte seinen Stab weiter, fast schnurstracks gegen Rebhuhns Willen, welcher dawider die ernstlichsten Gegenvorstellungen that; aber da er merkte, daß alles vergebens wäre, sich's endlich gefallen ließ, seinen Schnappsack aufzuhucken und seinen Freund zu begleiten.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Mancherlei Dialoge zwischen Jones und Rebhuhn, über Liebe, Kälte, Hunger und mehr Materien; nebst der knappen Ausweichung einer Gefahr, an deren schroffem Rande Rebhuhn stund, seinem Freunde eine fatale Entdeckung zu machen.


Schon begannen die Schatten hoher Berge sich tiefer in die Thäler zu strecken; die gefiederte Schöpfung hatte sich bereits zu ihrer Ruhestätte begeben; schon setzten sich die vornehmsten der Sterblichen zu ihrem Mittags- und die geringsten zu ihrem Abendessen. – Mit weniger Worten, die Glocke schlug fünf Uhr, gerade als Jones von Glocester Abschied nahm. Eine Stunde (es war spät im Dezember), in welcher die Nacht mit ihrem schmutzigen Finger die schwarzen Vorhänge über den Weltball gezogen haben würde, hätte es ihr nicht der Mond verwehrt, der jetzt, mit einem Antlitz so rund und glänzend als das Antlitz der unbesorgtesten Sterblichen, die, wie er, aus Nacht Tag machen, sich aus seinem Bette erhob, woselbst er den Tag verdrönset hatte, um die ganze Nacht aufzusitzen. Jones hatte noch keinen weiten Weg zurückgelegt, als er nach Sitte aller empfindsamen Verliebten diesem sanften Fürsten der Sterne seine Kour machte, und, indem er sich gegen seinen Gefährten wandte, den fragte: ob er jemals einen so wonniglichen Abend gesehen hätte? Rebhuhn war nicht gar zu bereit, auf diese Frage eine Antwort zu erteilen, deshalben fuhr er fort, sich ein längeres und breiteres über die Schönheit des Mondes vernehmen zu lassen, und führte einige Stellen aus dem Milton an, welcher, ohne Widerspruch, in seinen Beschreibungen der himmlischen Lichter alle übrigen Dichter weit hinter sich zurückgelassen hat. Hierauf erzählte er dem Rebhuhn die Geschichte zweier Liebenden, aus dem Zuschauer, welche die Abrede genommen hatten, sich, wenn sie weit von einander getrennt sein würden, zu gewissen Stunden [94] damit zu unterhalten, daß sie zugleich mit einander in den Mond sähen und sich an dem Gedanken vergnügten, daß sie sich beide zu einerlei Zeit damit beschäftigten, einerlei Gegenstand zu betrachten, und an einander zu gleicher Zeit zu denken. »Diese Liebenden,« setzte er hinzu, »müssen Seelen gehabt haben, welche fähig waren, die Zärtlichkeit und Süßigkeit der erhabensten unter allen menschlichen Leidenschaften zu fühlen.« – »Mag wohl sein,« rief Rebhuhn; »aber ich beneide sie am meisten, wenn sie Körper hatten, die unfähig waren, die Kälte zu fühlen. – Denn ich bin beinahe totgefroren und bin sehr besorgt, ich werde noch ein Stück von meiner Nase verlieren, ehe wir noch ein andres Wirtshaus erreichen. Ja, in Wahrheit, wir dürfen's wohl erwarten, daß wir dafür gestraft werden, daß wir so bei Nachtzeit thöricht genug gewesen sind, von einem Wirtshause fortzulaufen, das noch eins der vortrefflichsten gewesen ist, worein ich jemals meinen Fuß gesetzt habe; denn das bin ich sicher, daß ich in meinem Leben keine vortrefflichern Dinge für den Schnabel angetroffen habe, und der größeste Herr im ganzen Lande kann in seinem eignen Hause nicht besser leben, als in dem Gasthofe zur Glocke in Glocester. Und einem solchen Hause Valet zu sagen und im Lande herumzuwanken, Gott weiß wohin? Per devia rura viarum! – Ich sage kein Wort für mein Teil; aber gewisse Leute möchten nicht Liebe des Nächsten genug haben, zu glauben, daß wir alle unsre Sinne beisammen hätten.« – »Pfui dich an, Herr Rebhuhn,« sagte Jones, »seien Sie doch nicht so kleinmütig; bedenken Sie doch, daß Sie einem Feinde unters Angesicht gehen wollen, und wollen Sie sich denn fürchten vor ein wenig Kälte? Ich wünschte freilich, wir hätten einen Wegweiser, der uns raten könnte, welchen Weg wir einschlagen müssen.« – »Darf ich so kühn sein,« sagte Rebhuhn, »meine Meinung vorzubringen? Interdum stultus opportuna loquitur.«

»Nun, welchen von beiden, meinen Sie, sollen wir nehmen?« – »Sicherlich keinen von beiden,« antwortete Rebhuhn; »der einzige Weg, den wir mit Sicherheit finden können, ist kein andrer als der, den wir ge kommen sind. Ein guter herzhafter Schritt wird uns in einer Stunde wieder nach Glocester bringen. Wenn wir aber vorwärts gehen, so weiß der Gottseibeiuns, wenn wir an irgend einen Ort kommen werden; denn ich sehe auf zwanzig Meilen vor mir in die Ferne und nicht ein einziges Haus auf dem ganzen Wege.« – »Wir haben freilich,« sagte Jones, »einen vortrefflichen Prospekt vor uns, welcher durch den herrlichen Mondschein unendlich verschönert wird. Unterdessen will ich mich auf den Weg hier links halten, denn der scheint grade nach jenen Hügeln zu führen, die, wie man uns gesagt hat, nicht weit von Worcester liegen; und, [95] sehn Sie hier! wenn Sie mich lieber verlassen wollen, so können Sie das thun und wieder umkehren; für mein Teil aber, ich bin entschlossen weiterzugehen.«

»Es ist ungütig von Ihnen, Herr Jones,« sagte Rebhuhn, »mir einen solchen Vorsatz zuzutrauen! Was ich geraten habe, war ebensogut aus Liebe zu Ihnen, als für mich selbst; weil Sie aber darauf bestehn, weiterzugehn, so bin ich ebensogut entschlossen, Ihnen zu folgen. I prae, sequar te.«

Sie stapften nun einige tausend Schritt fort, ohne einer dem andern ein Wort zu sagen, während welcher Pause des Gesprächs Jones oft seufzte und Rebhuhn ebenso bitterlich stöhnte, obgleich aus ganz verschiedenen Ursachen. Endlich stand Jones auf einmal still, kehrte sich herum und rief aus: »Wer weiß, Rebhuhn, ob nicht das liebenswürdigste Geschöpf auf diesem Erdboden gerade jetzt ihre Augen auf den Mond geheftet hat, welchen ich diesen Augenblick anschaue!« – »Das kann sehr wohl sein,« antwortete Rebhuhn, »und wenn meine Augen auf ein gutes Lendenstück von gebratnem Rindfleisch geheftet wären, so möchte meinethalben der Beelzebub den Mond holen, und seine Hörner obendrein!« – »Hat wohl jemals ein besonnener Mensch eine solche Antwort gegeben!« rief Jones. »Ich bitte, Rebhuhn, hat Ihn denn niemals die Liebe angewandelt, oder hat die Zeit alle Spuren davon aus Seinem Gedächtnis verlöscht?« – »Ach, du liebster Himmel,« rief Rebhuhn, »wie glücklich wär' es für mich gewesen, wenn ich niemals gewußt hätte, was Liebe wäre. Infandum regina jubes renovare dolorem. Sicherlich hab' ich alle Zärtlichkeit, alles Seelenhebende, und alle Bitterkeit dieser Leidenschaft gekostet.« – »So war Seine Geliebte wohl hartherzig,« sagte Jones. – »Ja wohl, hartherzig genug, Herr,« antwortete Rebhuhn; »denn sie heiratete mich und ging mit mir um als eins der ärgsten Weiber auf Gottes Erdboden. Jedoch, Gott sei Lob und Dank und habe sie selig! Das ist das beste an der Sache; und wenn ich glaubte, sie wäre im Monde, wie in einem Buche steht, das ich einstmals gelesen habe, welches uns lehrt, daß er der Sammelplatz der abgeschiednen Seelen sei, ich möchte nicht einmal hineingucken, vor Angst, ich möchte sie zu sehen bekommen. Aber, Herr Jones, ich wünschte, der Mond wäre ein Spiegel, Ihretwegen, und daß eben Fräulein Sophie davor stände.«

»Mein liebster Rebhuhn,« schrie Jones, »welch ein herrlicher Gedanke war das! ein Gedanke, der sicherlich in keiner andern, als in der Seele eines Verliebten aufsteigen konnte. O Rebhuhn, könnte ich hoffen, das Gesicht nur noch einmal wieder zu sehn! Aber ach, alle diese goldnen Träume sind verschwunden, und meine einzige Rettung gegen künftiges Elend ist, daß ich den Gegenstand aller [96] meiner vorigen Glückseligkeit vergesse.« – »Und verzweifeln Sie denn wirklich, Fräulein von Western jemals wieder zu sehn?« antwortete Rebhuhn; »wenn Sie meinem Rate folgen wollen, so mache ich mich anheischig, Sie sollen sie nicht nur wieder sehn, sondern sie auch in Ihre Arme schließen.«

»Ha! erwecke Er keinen solchen Gedanken in meiner Seele,« rief Jones. »Ich habe bereits genug gekämpft, um alle solche Wünsche zu ersticken.« – »Ja nun,« antwortete Rebhuhn, »wenn Sie nicht wünschen, Ihr geliebtes Mädchen in Ihren Armen zu haben, so sind Sie wirklich der außerordentlichste Liebhaber.« – »Gut, gut,« sagte Jones, »laß uns von dieser Sache nicht weiter sprechen! Aber worin besteht Sein Rat?« – »Um Ihnen solchen mit soldatischen Worten zu sagen,« sagte Rebhuhn, »rechtsum kehrt euch! Lassen Sie uns den Weg zurücknehmen, den wir gekommen sind; wir können heute abend noch wieder nach Glocester kommen; obgleich ein wenig spät. Hingegen wenn wir weiter gehn, so können wir, so viel ich sehe, lange fort marschieren, ehe wir Haus und Hof antreffen.« – »Ich habe ja schon meinem Entschluß gesagt, daß ich weiter gehn will,« antwortete Jones, »aber es soll mir lieb sein, wenn Er umkehrt; ich bin Ihm sehr verbunden, daß Er mir bisher hat Gesellschaft leisten wollen, und ich bitt' ihn, diese Guineen als ein kleines Zeichen meiner Erkenntlichkeit anzunehmen. Ja es wäre grausam von mir, wenn ich's litte, daß Er weiter mitginge; denn um es Ihm ganz offenherzig zu sagen, mein Hauptendzweck und Verlangen ist ein rühmlicher Tod im Dienste meines Königs und meines Vaterlands.« – »Was Ihr Geld anbelangt,« erwiderte Rebhuhn, »so bitte ich Sie, Herr, es nur wieder einzustecken. Ich will jetzt keines von Ihnen haben, denn gegenwärtig, denke ich, bin ich von uns beiden wohl der reichste; und weil Ihr Entschluß fest ist, so ist der meinige, Ihnen zu folgen, wenn Sie ihn ausführen. Ja, jetzt scheint meine Gegenwart platterdings notwendig, um auf Sie Achtung zu geben, weil Sie einen so verzweifelten Vorsatz haben; denn ich kann Sie versichern, meine Absichten sind weit klüger: so wie Sie entschlossen sind, in einer Schlacht zu fallen, wenn Sie können, eben so festiglich bin ich entschlossen, keinen Schaden zu nehmen, wenn ich's hindern kann. Und in der That hab' ich den Trost zu glauben, daß es keine große Gefahr haben wird; denn vor einigen Tagen sagte mir ein katholischer Priester, die Sache würde bald abgethan sein, und er glaubte ohne ein Treffen.« – »Einem katholischen Priester,« sagte Jones, »ist, wie ich gehört habe, nicht allemal zu glauben, wenn er für seine Religion spricht.« – »Wohl wahr, so weit!« antwortete der andere; »aber er sprach so wenig für seine Religion, daß er mir versicherte, die Katholiken erwarteten nicht, bei der Regierungsveränderung etwas [97] zu gewinnen; denn der Prinz Karl wäre ein so guter Protestant, als nur einer in England; und daß keine andere Rücksicht, als auf das Recht, ihn bei den übrigen von der Jakobitischen Partei erhielte.« – »Ich glaube, daß er ein ebensoguter Protestant ist, als er gegründete Rechte auf die Krone hat,« sagte Jones; »und ich zweifle gar nicht an einem guten Ausgange unserer Sache, aber wohl nicht ohne ein Treffen. Sonach bin ich nicht ganz so voller Hoffnung als Sein Freund, der katholische Priester.« – »Ja, wahr ist es wohl, Herr,« antwortete Rebhuhn; »alle Prophezeiungen, die ich noch gelesen habe, sprechen von vielem Blute, das in dem Streite vergossen werden soll; und der Müller mit den drei Daumen, welcher jetzt am Leben ist, soll die Pferde von drei Königen halten und bis an die Kniee im Blute waten. Gott sei uns allen miteinander gnädig und sende uns bessere Zeiten!« – »Mit was für unsinnigem Zeuge, Mensch, hast du deinen Kopf vollgepfropft!« antwortete Jones; »nicht wahr, das kommt auch von dem katholischen Priester her? Ungeheure und Wunder-Werke sind die gewöhnlichen Gründe, womit man Ungeheuer und unvernünftige Religionsmeinungen unterstützt. Die Sache unsers Königs Georg ist die Sache der Freiheit und der wahren Religion; oder mit andern Worten, es ist die Sache des schlichten Menschenverstandes, mein guter Mann; und sie wird obsiegen, darauf geb' ich Ihm mein Wort, sollte auch Briareus in eigener Person mit seinen hundert Daumen wieder aufstehn und ein Müller werden.« Rebhuhn gab hierauf keine Antwort, er war wirklich durch diese Erklärung des Herrn Jones in die äußerste Verwirrung gesetzt. Denn, um dem Leser ein Geheimnis zu eröffnen, welches ihm zu offenbaren wir bisher noch keine schickliche Gelegenheit hatten, Rebhuhn war eigentlich ein Jakobit, und hatte gemeint, daß Jones von eben der Partei und auf dem Wege wäre, sich mit den Rebellen zu vereinigen. Eine Meinung, auf welche er nicht ohne Gründe gekommen war. Denn die lange hochbeinigte Dame, deren Hudibras erwähnt, jenes vieläugige, vielzüngige, vielmäulige, vielöhrige Ungeheuer Virgils, hatte die Geschichte des Streits zwischen Jones und dem Offizier mit ihrer gewöhnlichen Achtung für die Wahrheit erzählt. Diese liebe Dame hatte wirklich den Namen Sophie in den Namen des Prätendenten verwandelt, und dabei ausgebreitet, Jones wäre deswegen auf den Kopf geschlagen worden, weil er dessen Gesundheit ausgebracht habe. Dies hatte Rebhuhn gehört und steif und fest geglaubt. Es ist also kein Wunder, daß er daher die obgedachte Meinung von Jones gefaßt hatte, und welche er beinahe an den Tag gelegt hätte, ehe er seinen Irrtum gewahr ward. Und hierüber wird der Leser sich um so weniger zu wundern geneigt sein, wenn er sich der zweideutigen [98] Reden zu erinnern beliebt, wodurch Jones zuerst dem Rebhuhn seinen Entschluß mitteilte; und wären auch wirklich die Worte bestimmter gewesen, so hätte doch Rebhuhn solche eben wohl so auslegen können als er that, weil er fest überzeugt zu sein glaubte, die ganze Nation sei im Herzen ebenso gesinnt wie er. Auch das machte ihn in dieser Meinung nicht wankend, daß Jones mit der Kompanie Soldaten gereist war; denn er hatte von der Armee eben die Meinung wie von dem übrigen Teile des Volkes.

So gut er indessen für Jakob oder Karl gesinnt sein mochte, so war er doch für den kleinen Benjamin noch treuer gesinnt, als für einen von beiden. Aus die ser Ursache hatte er nicht so bald die Grundsätze seines Reisegefährten entdeckt, als er für ratsam erachtete, seine eigenen zu verbergen und äußerlich gegen den Mann aufzugeben, von dem er fest hoffte, er werde sein Glück machen. Denn er glaubte keineswegs, daß Jones' Umstände mit dem Herrn Alwerth so verzweifelt beschaffen wären, als es sich der Wahrheit nach befand; denn da er einen beständigen Briefwechsel mit einigen von seinen Nachbarn unterhalten hatte, seitdem er die Gegend verlassen, so hatte er sehr viel, und mehr als wirklich wahr war, von der großen Zuneigung gehört, die Herr Alwerth für diesen jungen Menschen hätte, welcher, wie ihm gleichfalls geschrieben worden, den alten Herrn beerben sollte, und den er, wie wir gesagt haben, ohne im geringsten daran zu zweifeln, für seinen Sohn hielt.

Er bildete sich diesem nach ein, bei der Zurückkunft des Jones, der Zwist möchte auch noch so groß gewesen sein, würde alles wieder vergessen und vergeben werden. Ein Umstand, von dem er sich große Vorteile versprach, wenn er diese Gelegenheit wahrnehmen könnte, sich bei dem jungen Herrn in Gunst zu setzen; und wenn er auf irgend eine Weise beirätig wäre, seine Heimkehr zu bewirken: so zweifelte er nicht, wie wir bereits gesagt haben, es müsse ihn ebenfalls beim Herrn Alwerth sehr hoch ans Brett bringen.

Wir haben schon oben bemerkt, daß er wirklich ein sehr gutmütiger Schlag von Menschen war, und seine unverbrüchliche Anhänglichkeit an Jones' Person und Charakter hat er selbst erklärt; bei alledem mochte doch die obenerwähnte Absicht auch das ihrige beitragen, ihn zur Unternehmung dieser Reise zu bewegen, wenigstens ein Antrieb sein solche fortzusetzen, nachdem er entdeckt hatte, daß er und sein Herr ebensogut wie gewisse kluge Väter und Söhne, ob sie gleich in aller vertraulichen Freundschaft miteinander reisten, widerseitige Parteien ergriffen hatten. Ich bin auf diese Vermutung dadurch gebracht worden, daß ich bemerkt habe: so starke Wirkungen Liebe, Freundschaft, Hochachtung und dergleichen, auf die Seele des Menschen haben mögen, dennoch der eigene Vorteil ein Nebending [99] ist, das weise Männer selten außer acht lassen, wenn sie andere zu ihren eigenen Endzwecken leiten und bewegen. Dies ist in der That eine gar vortreffliche Medizin, und fliegt ebenso wie Wards Pillen, geradeswegs nach dem Teile des Körpers, auf welchen man willens ist zu wirken, es sei nun die Zunge, die Hand, oder jedes andere Glied, woselbst es selten ermangelt die gewünschte Wirkung unmittelbar hervorzubringen.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

In welchem unsern Reisenden ein sehr außerordentliches Abenteuer aufstößt.


Eben in dem Augenblicke, als Jones und sein Freund den vorigen Dialog endigten, kamen sie an den Fuß eines sehr steilen Hügels. Hier stand Jones plötzlich still, richtete seine Augen aufwärts und schwieg. Endlich rief er seinen Gefährten und sagte: »Rebhuhn, ich wünschte, ich wäre auf der Spitze dieses Hügels! Es muß von da aus eine vortreffliche Aussicht geben, besonders bei dieser Beleuchtung, denn die feierliche Dämmerung, die der Mond über alle Gegenstände wirft, ist schön über allen Ausdruck, besonders für eine Imagination, welche so geneigt ist melancholischen Ideen nachzuhängen.« – »Ja, das glaub' ich wohl!« antwortete Rebhuhn. »Wenn aber die Spitze des Hügels so herrlich dazu ist, melancholische Gedanken hervorzubringen, so bin ich der Meinung, es wird an seinem Fuße die beste Stelle zu lustigen sein, und das mein' ich doch wären wohl die besten Gedanken von beiden! Wahrhaftig, bloß dadurch, daß Sie nur die Spitze des Berges genannt haben, der mir der höchste in der ganzen Welt zu sein scheint, ist mir das Blut in allen meinen Adern erstarrt. Nein, nein! wenn wir ja nach etwas aussehen wollen, so mag es lieber nach irgend einer Höhle sein, in welcher wir uns gegen Frost und Kälte decken können.« – »In Gottes Namen!« sagte Jones. »Laß es nur nicht weiter von hier sein, als daß Er mich von dieser Stelle hören kann, so will ich Ihm laut zurufen, wenn ich wiederkomme.« – »Wahrhaftig, Sie haben den Verstand verloren!« sagte Rebhuhn. – »Freilich,« sagte Jones, »hab' ich ihn verloren, wenn es Unsinn ist, diesen Hügel hinauf zu klettern. Aber, da Er sich bereits so heftig über die Kälte beschwert, so verlang' ich, daß Er hier unten bleiben soll. Ich will gewiß in einer Stunde wieder bei Ihm sein.« – »Verzeihen Sie, Herr,« schrie Rebhuhn, »ich habe einmal beschlossen, Ihnen allenthalben zu folgen, wohin Sie gehen.« In der That war ihm jetzt bange allein zu bleiben, denn so zaghaft er in [100] allem Betracht auch war, so fürchtete er sich doch vor nichts so sehr, als vor Gespenstern, eine Furcht, welche bei dieser späten Nachtzeit in der Wildnis der Gegend einen außerordentlichen Eindruck auf ihn machte.

In diesem Augenblicke spähte Rebhuhn durch einige Bäume das Glimmern eines Lichtes aus, welches ihm sehr nahe zu sein schien. Er schrie augenblicklich auf, gleichsam als in einer Verzückung: »Oho! Herr Jones, endlich hat der Himmel mein Flehn erhört und uns an ein Haus gebracht! Vielleicht ist es gar eine Herberge. Wenn Sie nur ein Fünkchen Mitleiden haben für sich selbst oder für mich, so lassen Sie sich doch erbitten, die Güte der Vorsehung nicht gering zu schätzen, sondern lassen Sie uns doch grade auf jenes Haus zugehen. Mag's ein Wirtshaus sein oder nicht, so bin ich doch sicher, wenn die Leute, die darin wohnen, nur einigermaßen eine christliche Seele haben, sie werden Menschen in so jämmerlichen Umständen, wie wir sind, einen kleinen Platz in ihrem Hause nicht versagen.« Jones gab endlich dem dringenden Flehen Rebhuhns nach und beide wandelten geraden Weges auf den Ort zu, von welchen ihnen das Licht herschien.

Sie langten bald an der Thüre dieses Hauses oder dieser Hütte an, denn es konnte mit aller Schicklichkeit das eine oder die andere genannt werden. Hier klopfte Jones verschiedenemal an, ohne von innen heraus eine Antwort zu erhalten, worüber Rebhuhn, dessen Kopf mit nichts angefüllt war als mit Gespenstern, Teufeln und Hexen, anfing zu zittern und ausrief: »Gott im Himmel sei uns gnädig! Wahrhaftig, die Leute darin müssen alle gestorben sein! Ich sehe auch kein Licht mehr, und doch bin ich sicher, daß ich noch den Augenblick vorher eins gesehen habe. Ach ja! Ich habe von so etwas wohl eher gehört.« – »Wovon hat Er wohl eher gehört?« sagte Jones. »Die Leute liegen entweder im tiefen Schlafe oder vermutlich, weil es ein sehr einsamer Ort ist, fürchten sie sich ihre Thüre aufzumachen.« Er begann darauf mit ziemlich lauter Stimme zu schreien und zuletzt öffnete eine alte Frau oben im Hause einen Fensterladen und fragte, wer da wäre und was man wollte? Jones antwortete: sie wären Reisende, die vom Wege abgekommen wären, und da sie den Schein eines Lichts durch das Fenster gesehen hätten, so wären sie dadurch hierher geleitet worden, in der Hoffnung ein Feuer zu finden, wobei sie sich ein wenig erwärmen könnten. – »Ihr mögt sein wer ihr wollt,« schrie das alte Weib, »ihr habt hier nichts zu schaffen und ich werde bei dieser nachtschlafenden Zeit keinem Menschen die Thüre aufmachen.« Rebhuhn, dem der Klang von einer menschlichen Stimme seine Furcht benommen hatte, legte sich auf das flehentlichste Bitten, nur auf ein paar Minuten zum [101] Feuer zugelassen zu werden, und sagte, er sei vor Kälte fast des bittern Todes, wozu die Furcht wirklich ebensoviel beigetragen hatte als der Frost. Er beteuerte ihr, der Herr, der mit ihr spräche, wäre einer der vornehmsten Junker des Landes, und er bediente sich aller möglichen Ueberredungsgründe, ausgenommen nur einen, den Herr Jones hernach sehr wirksam hinzufügte, und dieser war das Versprechen einer halben Krone. Eine zu große Bestechung, als daß ihr eine solche Person hätte widerstehen können, zumal da Jones' Aufzug, den sie beim Schein des Mondes sehr deutlich entdeckt hatte, zugleich mit seinem übrigen menschenfreundlichen Betragen ihr alle jene Furcht vor Dieben benommen hatte, die ihr anfangs aufgestiegen war. Sie ließ sich also endlich bereden, sie einzulassen, und Rebhuhn fand zu seiner unendlichen Freude ein Kaminfeuer brennend, bei welchem er's sich ganz heimlich sein lassen konnte.

Der arme Kerl hatte sich indessen kaum ein wenig erwärmt, als jene Gedanken, die ihm beständig im Kopf herumliefen, schon wieder anfingen sein Gehirn ein wenig zu beunruhigen. In seinem ganzen Glaubensbekenntnisse war kein einziger Artikel, an welchen er standhafter glaubte, als an die Hexerei, und der Leser ist nicht vermögend sich eine Figur einzubilden, die geschickter wäre diese Ideen zu erwecken, als das alte Weib, welches er jetzt vor sich stehen sah. Sie hatte die genaueste Aehnlichkeit mit dem Gemälde, welches Otway davon in seinem Trauerspiel, der Waise, gemacht hat. Zuverlässig, wenn dieses Weib unter der Regierung Jakobs des ersten gelebt hätte, würde sie, bloß auf ihr äußerliches Ansehn, ohne allen weitern Beweis als eine Hexe verbrannt worden sein.

Dazu kamen noch manche Umstände, die Rebhuhn in seiner Meinung bestärkten, daß sie, wie er sich damals einbildete, ganz allein an einem so äußerst einsamen Orte wohnte, in einem Hause, dessen äußeres Ansehen für sie schon viel zu gut zu sein schien, das aber inwendig auf eine sehr reinliche und fast zierliche Art ausgeputzt war. Die Wahrheit zu sagen, war Jones selbst nicht wenig verwundert über das was er zu sehen bekam, denn außer der auffallenden Reinlichkeit des Zimmers war es noch mit einer Menge von Kabinettsstücken der Kunst und Naturseltenheiten ausgeschmückt, welche der Aufmerksamkeit eines Kunst- und Naturliebhabers nicht unwert waren.

Unterdessen daß Jones sich dabei aufhielt diese Raritäten zu bewundern, und Rebhuhn in seinem festen Glauben, daß er sich in dem Hause einer Hexe befände, am Feuer saß und zitterte, sagte das alte Weib: »Ich hoffe, die Herren werden es so eilig machen als sie können, denn ich erwarte meinen Herrn jeden Augenblick [102] und ich möchte für noch einmal so viel Geld als Sie mir gegeben haben, nicht, daß er die Herren hier fände.« – »Sie hat also einen Herrn?« rief Jones. »Wirklich, Sie muß mir verzeihn, meine liebe Frau, aber es hat mich gewundert, alle diese hübschen Sachen in Ihrem Hause wahrzunehmen.« – »Aber, lieber Herr,« sagte sie, »wenn nur der zwanzigste Teil von allen diesen Dingen mein gehörte, so wollt' ich eine Frau sein! Aber, lieber Herr, ich bitte, halten Sie sich nicht länger auf, denn ich seh' ihn schon alle Augenblick kommen.« – »Nun, er würde es Ihr doch sicherlich nicht übel nehmen,« sagte Jones, »daß Sie Ihrem Nächsten einen gemeinen Liebesdienst erwiesen hätte.« – »O Jemini! O Jemini! mein lieber Herr,« sagte sie, »es ist ein ganz sonderbarer Mann und ganz und gar nicht wie andre Leute. Er hält mit keiner Christenseele Umgang und geht sehr selten anders aus als bei nachtschlafender Zeit, denn er mag sich gar nicht gern sehen lassen, und die Leute hierherum auf'm Lande fürchten sich ebensosehr ihm zu begegnen, denn seine Kleidung ist allein schon genug den Leuten bange zu machen, welche nicht dran gewöhnt sind. Sie heißen ihn den Mann vom Berge (denn da wankt er des Nachts herum) und das Bauernvolk, glaub' ich, fürchtet sich nicht so arg vor dem Gottseibeiuns selbst. Er würde erschrecklich böse werden, wenn er Sie hier finden sollte.« – »O, ich bitte, Herr,« sagte Rebhuhn zum Jones, »lassen Sie uns dem Herrn keinen Aerger machen! Ich kann schon recht gut wieder gehen und bin in meinem Leben nicht wärmer gewesen als jetzt. Kommen Sie, ich bitte, lassen Sie uns gehn! Da hängen Pistolen überm Kamin. Der liebe Gott weiß, ob sie geladen sind oder nicht, oder wozu er sie da hängen hat.« – »Fürchte nichts, Rebhuhn!« sagte Jones, »ich will dich vor aller Gefahr beschützen.« – »Ach, was das anbetrifft, er thut gewiß keinem Menschen etwas zu leide!« sagte das alte Weib; »aber, lieber Gott! 's ist wohl nötig, daß er so was in Bereitschaft hält, um selbst sicher zu sein, denn sein Haus ist schon mehr als einmal umzingelt worden, und vor noch nicht vielen Nächten glaubten wir, daß wir Diebe drum herum schleichen hörten. Ich meinesteils habe mich oft verwundert, daß er nicht von diesem oder jenem Spitzbuben ermordet worden ist, wenn er so allein bei Nachtzeit herumgeht, aber wohl wahr, wie ich gesagt habe, den Leuten ist bange vor ihm, und dann mögen sie auch wohl denken, er habe nichts bei sich, das der Mühe wert wäre ihm abzunehmen.« – »Aus dieser Sammlung von Seltenheiten,« sagte Jones, »sollte ich schließen, Ihr Herr müßte viel gereist sein?« – »Ach ja, lieber Herr,« antwortete sie, »er hat viele und große Reisen gethan; es gibt wenige Herren, die von allen Dingen so viel zu erzählen wissen wie er. Ich glaube, es muß ihm einmal [103] in der Liebe unglücklich gegangen sein, oder ich weiß nicht was es sonst ist, aber ich bin nun schon über dreißig Jahre bei ihm im Hause und in all dieser Zeit hat er nicht mit über sechs lebendigen Menschen gesprochen.« Hierauf drang sie abermals auf ihre Abreise und Rebhuhn stand ihr dabei ehrlich bei. Jones aber zauderte ganz mit Fleiß, denn seine Neugierde war sehr rege geworden, diesen Sonderling von Mann zu sehen. Obgleich also das alte Weib eine jede von ihren Antworten mit der Bitte beschloß, er möchte doch weggehen, und Rebhuhn es so weit trieb, daß er ihn beim Aermel zupfte, so fuhr er doch immer fort, neue Fragen zu erfinden, bis endlich das alte Weib mit bestürztem Gesichte beteuerte, sie hörte das Zeichen ihres Herrn, und in dem Augenblick erschallte mehr als eine Stimme draußen vor dem Hause, welche schrien: »Hol dich der Satan! Kerl. Sag' den Augenblick, wo ist dein Geld? Dein Geld, du alter Schuft, oder wir schlagen dir das Gehirn aus dem Kopfe, daß dir's um die Ohren fliegen soll!«

»Ach du lieber Gott!« schrie das alte Weib. »Da ist mein Herr von Spitzbuben angefallen!« »Gott, was soll ich nun machen, was soll ich nun machen?« – »Hört,« schrie Jones, »sind diese Pistolen geladen?« – »O lieber Herr, es ist gewiß nichts darin. – O bitte, bitte, lieb'n Herren, lassen Sie uns doch leben!« denn sie hatte wirklich jetzt eben dieselbe Meinung von denen, die im Hause, als von denen, die draußen waren. Jones gab ihr keine Antwort, sondern riß einen alten Haudegen, welcher an der Wand hing, herunter und flog den Augenblick hinaus, wo er den alten Mann mit zwei Räubern ringend und um Barmherzigkeit flehend fand. Jones hielt sich nicht lange bei Fragen auf, sondern machte sich augenblicklich mit seiner breiten Klinge über sie her und arbeitete damit so flink, daß die Kerle auf der Stelle ihren Fang los ließen und ohne daran zu denken, sich gegen unsern Held zu wehren, ihm die Fersen zukehrten und ihr Heil in der Flucht suchten, woran er sie auch nicht zu hindern suchte, sondern sich damit begnügte, den alten Mann gerettet zu haben. Und in der That meinte er auch, er habe ihnen so ziemlich ihr Teil gegeben! Denn sowie sie davon liefen, schrieen sie beide unter bitterm Fluchen, sie wären Kinder des Todes!

Jones lief gleich hinzu, den alten Mann aufzuheben, welcher in dem Handgemenge niedergeworfen war, und bezeugte dabei ein herzliches Bedauern, wenn ihm von den Bösewichtern irgend ein Schaden sollte zugefügt sein. Der alte Mann sah einige Augenblicke den Jones sehr starr an und rief dann aus: »Nein, Herr, nein! Sie hab'n mir wenig gethan, ich dank' Ihnen. Gott erbarm sich meiner!« – »Ich sehe, mein Herr,« sagte Jones, »Sie sind noch [104] nicht außer aller Furcht, selbst vor denen, welche das Glück gehabt haben, Ihre Retter zu sein. Ich kann auch den Verdacht nicht tadeln, den Sie haben mögen, aber in Wahrheit! Sie haben dazu gar keine gegründete Ursache. Sie sehen niemand hier vor sich als Freunde. Da wir in dieser kalten Nacht von unserem Wege abgekommen waren, nahmen wir uns die Freiheit, uns ein wenig bei Ihrem Feuer zu wärmen, und wir wollten eben weiter gehen, als wir Sie um Hilfe rufen hörten, welche, wie ich sagen muß, die Vorsicht des Himmels allein Ihnen zugesendet zu haben scheint.« – »Vorsicht des Himmels! wirklich!« rief der alte Mann, »wenn es sich so verhält.« – »So verhält sich's wirklich, ich versichere Sie!« sagte Jones. »Hier ist Ihr eigenes Schwert, mein Herr. Ich hab' es zu Ihrer Verteidigung gebraucht und übergeb' es jetzt wieder Ihren eigenen Händen.« Als der alte Mann das Schwert genommen hatte, an welchem das Blut seiner Feinde zu sehen war, sah er unserm Jones eine kleine Weile steif ins Gesicht, dann holte er einen tiefen Seufzer und sagte: »Verzeihen Sie mir, lieber junger Herr, ich war nicht immer so zum Verdacht geneigt, auch ist Undankbarkeit nicht mein Fehler!« – »So bringen Sie denn Ihren Dank der Vorsicht des Himmels, welcher Sie Ihre Errettung schuldig sind! Ich meinerseits, ich habe bloß eine gemeine Pflicht der Menschheit erfüllt und weiter nichts gethan, als was ich für jeden meiner Nebenmenschen in Ihren Umständen gethan haben würde.« – »Laß mich Sie noch ein wenig länger betrachten!« rief der alte Herr. »Sind Sie denn also wirklich ein menschliches Geschöpf? – Nu! es kann ja wohl sein. Kommen Sie, ich bitte, gehen Sie mit mir in meine kleine Hütte. Sie sind mein Erlöser gewesen, wahrlich!«

Die alte Frau war außer sich vor Furcht vor ihrem Herrn sowohl als vor ihm, und Rebhuhn war wo möglich in noch größern Aengsten. Die erste indessen, als sie ihren Herrn freundlich mit Jones sprechen hörte und merkte was vorgegangen war, kam sie wieder zu sich selbst; Rebhuhn aber bekam nicht so bald den alten Herrn zu Gesicht, als seine ganz sonderbare Tracht dem armen Schelmen einen größeren Schrecken einflößte, als er vorher über die sonderbare Beschreibung, welche er gehört, über das Getümmel und über den Lärm vor der Thüre empfunden hatte.

Die Wahrheit zu sagen war es eine Erscheinung, welche ein weit gesetzteres Gemüt als Rebhuhns befremden konnte. Der Mann war von der größesten Länge und hatte einen langen schneeweißen Bart. Sein Körper war gekleidet in die Haut eines Esels, der der Mann einigermaßen den Schnitt eines Rocks gegeben hatte. Eben so trug er an seinen Füßen Stiefeln und auf dem Kopf eine Mütze, [105] welche beide aus der Haut eines oder des andern Tieres verfertigt waren.

Sobald der alte Herr ins Haus trat, begann das alte Weib ihre Glückwünschungen über seine glückliche Errettung aus den Händen der Räuber. »Ja,« antwortete er, »ich bin glücklich gerettet, gedankt sei es meinem Befreier!« – »O der Himmel segne ihn dafür!« rief sie. »Es ist ein gar braver Herr, das kann ich versichern. Ich dachte, Sie, gnädiger Herr, würden mit mir geschmählt haben darüber, daß ich ihn ins Haus gelassen, und gewiß hätt' ich's auch nicht gethan, hätt' ich nicht beim Mondscheine gesehn, daß es ein rechtlicher Herr wäre und fast vor Kälte erstarrt. Und gewiß muß es ein guter Engel gewesen sein, der ihn hierher und mich dabei in die Versuchung geführt hat, ihm aufzumachen.«

»Ich besorge, mein Herr,« sagte der alte Mann zu Jones, »daß ich in diesem Hause nichts habe, was ich Ihnen zu essen oder zu trinken vorsetzen könnte, ausgenommen einen Schluck Branntwein, wovon ich Ihnen recht vortrefflichen geben kann, den ich schon seit dreißig Jahren her im Hause habe.« Jones lehnte dies Anerbieten mit sehr höflichen und schicklichen Worten ab, und hierauf fragte ihn der andere: Wohin er habe gehen wollen, als er seinen Weg verfehlt? und sagte: »Ich muß bekennen, daß es mich wundert, solch eine Person, wie Sie zu sein scheinen, zu dieser Zeit der Nacht zu Fuße reisen zu sehen. Ich vermute, mein Herr, Sie sind ein Edelmann aus dieser Gegend herum: denn Sie sehen mir nicht so aus als jemand, der gewohnt ist, eine weite Reise ohne Pferde zu machen.«

»Der Schein,« rief Jones, »ist oft trüglich. Man hält die Menschen oft für etwas, was sie nicht sind. Ich versichere Sie, ich bin nicht aus dieser Gegend und wohin meine Reise gerichtet ist, das weiß ich wirklich kaum selbst.«

»Sie mögen sein wer und reisen wohin Sie wollen,« antwortete der alte Mann, »ich habe Ihnen Verbindlichkeiten, welche ich niemals erwidern kann.«

»Und ich,« versetzte Jones, »ich wiederhole es Ihnen noch einmal, daß sie mir keinen Dank schuldig sind: denn, wo wäre das Verdienst dabei, daß ich zu Ihrer Verteidigung etwas gewagt habe, worauf ich keinen Wert setze. Und nichts ist in meinen Augen so verächtlich, als mein eigenes Leben.«

»Es thut mir leid, mein lieber junger Herr,« sagte der Fremde, »daß Sie Ursache haben, sich bereits in Ihren Jahren für so unglücklich zu halten.«

»In der That, mein Herr,« antwortete Jones, »ich bin der unglücklichste unter allen Menschen.« – »Vielleicht hatten Sie einen [106] Freund oder eine Geliebte,« erwiderte der andere. – »Ach,« rief Jones, »daß Sie da zwei Worte nennen müssen, welche allein hinlänglich sind, mich von Sinnen zu bringen!« – »Eins von beiden schon ist allein hinlänglich, jedem Menschen den Verstand zu rauben,« antwortete der alte Mann. »Ich frage nicht weiter, mein Herr! Vielleicht hat meine Neugierde mich schon weiter getrieben, als ich hätte gehen sollen.«

»In Wahrheit, mein Herr,« antwortete Jones, »ich kann eine Regung nicht mißbilligen, welche ich diesen Augenblick in mir selbst aufs lebhafteste fühle. Sie werden mir verzeihen, wenn ich Sie versichere, daß alles und jedes was ich, seitdem ich einen Fuß in Ihr Haus gesetzt, gesehen und gehört habe, dazu beigetragen hat, in mir die größte Neugierde zu erwecken. Es muß etwas Außerordentliches sein, das Sie zu dieser Lebensart vermocht hat, und ich habe Ursache zu fürchten, der Lauf Ihres eigenen Lebens sei nicht ohne Unglücksfälle gewesen.«

Hier fing der alte Mann abermal an zu seufzen und schwieg einige Minuten lang stille; endlich sah er dem Jones sehr ernsthaft ins Angesicht und sagte: »Ich habe gelesen, eine gute Gestalt sei ein Empfehlungsschreiben; wenn dem also, so kann niemand bessere Empfehlungen haben als Sie. Wenn ich nicht einen geheimen Zug aus andern Betrachtungen zu Ihnen fühlte, so müßte ich das undankbarste Ungeheuer auf Erden sein, und es betrübt mich wirklich, daß ich mich nicht im stande befinde, Sie durch etwas anderes als bloße Worte von meiner Dankbarkeit zu überzeugen.«

Jones antwortete nach ein paar Augenblicken Bedenken: »Es stände in seinem Vermögen, ihm durch Worte ein großes Vergnügen zu machen. Ich habe Ihnen meine Neugierde bekannt, mein Herr,« sagte er; »brauche ich's also noch zu sagen, wie sehr Sie mich verbinden würden, wenn Sie solche zu befriedigen die Güte haben wollten? Wollen Sie mir also erlauben, zu bitten, daß Sie, wofern andere Rücksichten Sie nicht dran hindern, so gefällig sein möchten, mich mit den Ursachen bekannt zu machen, die Sie bewogen haben, sich solchergestalt von der menschlichen Gesellschaft zu entfernen und eine Lebensart zu wählen, für welche Sie, wie man gar wohl sehen kann, keineswegs geboren sind?«

»Ich halte mir's kaum für erlaubt, nach dem, was vorgefallen ist, Ihnen irgend etwas abzuschlagen,« versetzte der alte Mann. »Wenn Sie demnach ein Verlangen tragen, die Geschichte eines unglücklichen Mannes zu hören, so will ich sie Ihnen erzählen. Sie urteilen wirklich ganz richtig, wenn Sie meinen, es sei gewöhnlicherweise etwas sehr Außerordentliches in den Schicksalen solcher Menschen, welche der Gesellschaft der Menschen entfliehen: denn so paradox[107] oder selbst widersprechend es scheinen mag, so ist doch nichts gewisser, als daß es gerade die größte Liebe zur Menschheit ist, welche uns antreibt, das menschliche Geschlecht zu vermeiden und zu verabscheuen; nicht sowohl wegen seiner persönlichen und selbstsüchtigen Laster, als wegen der Laster von relativer Gattung, als da sind Neid, Haß, Verräterei, Grausamkeit und aller andern Arten von tückischer Bosheit. Dies sind die Laster, an welchen die wahre Menschenliebe einen Greuel hat und derentwegen sie die menschliche Gesellschaft selbst lieber flieht, als ihre Ausbrüche sehen und mit solchen lasterhaften Geschöpfen Umgang haben mag. Unterdessen, ohne Ihnen ein Kompliment zu machen, scheinen Sie mir keiner von denen zu sein, die ich fliehen oder verabscheuen möchte; ja, ich muß sagen, aus dem Wenigen, was Ihnen entfallen ist, scheint eine gewisse Aehnlichkeit in unsrem Schicksale zu erhellen; dennoch hoff' ich, soll das Ihrige einen glücklichen Ausgang nehmen.«

Hier sagten sich unser Held und sein Wirt wechselsweise einige Höflichkeiten und der letztere stand im Begriff, mit seiner Geschichtserzählung den Anfang zu machen, als Rebhuhn ihn unterbrach. Seine Angst hatte ihn nun so ziemlich verlassen; aber die Wirkungen seines Schreckens waren noch nicht völlig vorüber. Er erinnerte also den alten Herrn an den vortrefflichen Branntwein, dessen er erwähnt hatte. Dieser ward augenblicklich herbeigebracht und Rebhuhn verschluckte davon ein großes volles Glas.

Der alte Herr begann darauf, ohne weitere Vorrede, wie man in dem folgenden Kapitel lesen wird.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

In welchem der Mann vom Berge seine Geschichte zu erzählen beginnt.


»Ich ward in einem Dorfe der Grafschaft Somersetshire, namens Mark, im Jahre 1657 geboren. Mein Vater war einer von denen, welche man wohlhabende Pächter heißt. Er hatte ein eignes kleines Gut von ungefähr dreihundert Pfund Sterling Einkünfte des Jahres, und ein andres von ungefähr eben dem Ertrage in Pachtung. Er war klug und fleißig und ein so guter Landwirt, daß er ein sehr ruhiges und gemächliches Leben hätte führen können, hätte nicht ein Ausbund einer Hexe von Weib seine häusliche Glückseligkeit verbittert. Allein obgleich dieser Umstand ihn unglücklich machte, so machte er ihn doch nicht arm, denn er hielt sie sozusagen in gänzlicher Gefangenschaft daheim und wollte sich lieber in seinem eignen Hause beständig die Ohren vollzanken lassen, als dadurch sein Vermögen in Gefahr setzen, daß er ihr in den Ausschweifungen nachsähe, [108] welche sie außer demselben zu begehen begierig war. Von dieser Xantippe (so hieß die Frau des Sokrates, sagte Rebhuhn), von dieser Xantippe hatte er zwei Söhne, unter denen ich der jüngste war. Er war gesonnen, uns beiden eine gute Erziehung zu geben. Mein älterer Bruder aber, der zu seinem Unglück seiner Mutter Schoßkind war, verabsäumte es ganz und gar etwas zu lernen, dergestalt, daß, nachdem er fünf oder sechs Jahre mit geringem oder gar keinem Nutzen auf der Schule gewesen, sein Lehrer meinem Vater sagte, es würde vergebens sein, ihn länger da zu lassen, so daß mein Vater endlich einwilligte, ihn aus der Hand dieses Tyrannen, wie meine Mutter seinen Lehrer nannte, nach Hause zu nehmen. Obgleich dieser Tyrann den Knaben weit weniger züchtigte, als es seine Faulheit verdiente, so mocht' er ihn doch wohl ofter gezüchtigt haben, als es dem jungen Herrn lieb war, welcher sich beständig bei seiner Mutter über seine harte Strenge beklagte, die ihm auch immer geneigtes Gehör gab.« – »Ja, ja,« rief Rebhuhn, »solche Mütter gibt's mehr! Mich selbst haben einige davon mißhandelt und das sehr ungerechterweise, solche Mütter verdienen ebensoviel Züchtigung als ihre Kinder.«

Jones gab dem Pädagogen einen Verweis über diese Unterbrechung und darauf fuhr der Fremde fort: »Mein Bruder, der nunmehr fünfzehn Jahre alt war, gab allem, was lernen hieß, den Abschied und überhaupt allem, seine Hunde und seine Jagdflinte ausgenommen, mit welcher letztern er es zu solcher Geschicklichkeit brachte, daß er, ob Sie's gleich für unglaublich halten mögen, nicht nur mit ziemlicher Sicherheit eine stehende kleine Scheibe treffen konnte, sondern auch wirklich eine Krähe im Fluge aus der Luft geschossen hat. Er war ebenfalls gar vortrefflich geschickt, einen Hasen im Lager zu rahmen, und in Kuren hielt man ihn für einen der besten Jäger in der ganzen Gegend. Einen Ruhm, worüber er und seine Mutter sich ebenso inniglich ergötzten, als ob man ihn für einen der vortrefflichsten Gelehrten geachtet hätte.

Anfänglich ließ mich die Lage meines Bruders mein Los um desto härter achten, weil ich noch ferner in der Schule bleiben mußte; aber ich änderte bald meine Meinung, denn da mir mein Lernen so ziemlich von statten ging, so wurden mir meine Arbeiten bald leicht und meine Schulstunden so angenehm, daß ich keine unbehaglichere Zeit hatte als die Sonn- und Festtage, denn meine Mutter, welche mich niemals leiden konnte, fing an zu besorgen, ich hätte den größern Anteil an der Liebe meines Vaters, und weil sie fand, oder wenigstens zu finden meinte, daß mir einige gelehrte Männer und besonders der Pfarrer des Kirchspiels vor meinem Bruder den Vorzug gäben, so fing sie an, meinen Anblick zu hassen, und machte[109] mir das väterliche Haus dergestalt zuwider, daß das, was die Schulknaben den bittern Montag nennen, da sie wieder zur Schule müssen, mir der süßeste im ganzen Jahre war.

Nachdem ich endlich die Schule zu Daunton durchlaufen hatte, nahm man mich von da weg und that mich in das Exeter-Kollegium zu Oxford, woselbst ich vier Jahre verblieb, nach deren Verlauf sich ein Zufall begab, der allem meinem Studieren ein Ende machte, und von welcher Zeit ich den Anfang aller meiner nachherigen Schicksale des Lebens datieren kann.

In eben diesem Kollegium befand sich mit mir ein gewisser Sir George Gresham, ein junger Mensch, der ein ansehnliches Vermögen besaß, zu dessen freiem Besitze er aber zufolge seines Vaters Testament nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Jahre gelangen sollte. Indessen ließ ihm die Freigebigkeit seiner Vormünder wenig Ursache, die weitgetriebene Vorsicht seines Vaters hart zu finden, denn sie erlaubten ihm des Jahrs fünfhundert Pfund Sterling, solange er auf der Universität war, woselbst er seine Pferde und seine Konkubine hielt und ein ebenso ausschweifendes, schändliches Leben führte, als er nur hätte thun können, wenn er auch der unbeschränkteste Herr seines Vermögens gewesen wäre. Denn außer den fünfhundert Pfund, welche er des Jahrs von seinen Vormündern erhielt, fand er Mittel, noch andre tausend dazu zu verthun. Er war über einundzwanzig Jahre alt und fand keine Schwierigkeiten, soviel auf Kredit zu nehmen als er nur immer wollte.

Dieser junge Mensch hatte unter andern ziemlich schlimmen Eigenschaften auch eine, die höchst teuflisch war. Es war ihm eine große Freude, wenn er Jünglinge von geringem Vermögen dadurch ins Verderben stürzen konnte, daß er sie zu allerlei Art von Aufwand verleitete, den sie nicht so gut ausführen konnten als er selbst, und je besser, würdiger und vernünftiger ein junger Mensch war, je größere Freude und Triumph hatte er über dessen Verderben. Auf diese Art spielte er die Rolle des Teufels und ging umher zu suchen, wen er verschlinge.

Zu meinem Unglück mußte ich mit diesem jungen Edelmanne bekannt und vertraut werden. Der Ruf von meinem Fleiße im Studieren machte mich zum wünschenswertesten Gegenstande seiner Ränke und meine eigne Neigung machte es ihm leicht genug, zu seinem Zwecke zu gelangen, denn ob ich mich gleich sehr emsig mit meinen Büchern beschäftigt hatte und daran wirklich vieles Vergnügen fand, so gab es doch noch andre Ergötzlichkeiten, an denen ich weit größeres zu finden fähig war, denn ich war ziemlich warm vor der Stirn, hatte sehr heftige Lebensgeister, war ein wenig ehrgeizig und dabei von außerordentlich verliebter Natur.

[110] Ich hatte noch nicht lange meine vertraute Bekanntschaft mit Sir George gemacht, als ich schon ein Teilnehmer an allen seinen Ergötzlichkeiten wurde; und da ich einmal diese Bühne betreten hatte, so gaben es weder meine Neigungen, noch mein Ehrgeiz zu, auf derselben eine bloße Nebenrolle zu spielen. Ich gab niemanden von der Gesellschaft etwas nach, wenn es auf Ausschweifungen der Liederlichkeit und des Schwelgens ankam. Ja, ich machte mich bald bei allen Händeln und Nachtstreichen so merkwürdig und berühmt, daß mein Name gewöhnlich in der Liste an der Spitze der Rädelsführer stand, und anstatt mich als den unglücklichen Zögling des Sir George zu beklagen, beschuldigte man mich vielmehr, daß ich eben derjenige sei, welcher diesen hoffnungsvollen Herrn von Stande verleitet und verführt habe. Denn, ob er gleich der Anstifter alles Unheils und bei allen Händeln der Anführer war, so wurde er doch niemals dafür gehalten. Endlich ward ich vor dem Prorektor zu erscheinen vorgeladen und entging mit genauer Not der Relegation.

Sie können sich leicht vorstellen, mein Herr, daß ein solches Leben, wie ich jetzt beschreibe, sich mit keinem weitern Fortschritt in meinen Studien vertragen konnte, und daß ich in eben dem Verhältnis, wie ich mich in dieses zügellose Leben einließ, immer mehr und mehr meinen Fleiß vernachlässigen mußte. Dies war auch wirklich die Folge davon; nur war es nicht die einzige. Meine Ausgaben überschritten nicht nur um ein großes meine bisherigen Wechsel, sondern auch die Zuschüsse, welche ich von meinem armen großmütigen Vater unter dem Vorwande erpreßte, daß ich notwendig dazu Geld brauchte, mich auf meine herannahende Promotion zu präparieren. Diese Forderungen wurden unterdessen endlich so häufig und so übertrieben, daß mein Vater nach und nach den Nachrichten die Ohren öffnete, welche er von vielen Seiten her über meine gegenwärtige Aufführung erhielt, und welche meine Mutter nicht ermangelte, als ein getreues Echo sehr laut widerhallen zu lassen. Ha! ha! das ist der feine junge Herr, der Gelehrte, der seiner Familie so große Ehre macht und einst der Stecken und Stab seiner Eltern werden wird! Ich dachte wohl, wo's mit all der Gelehrsamkeit hinauslaufen würde! In Armut und Verderben wird er uns stürzen, nachdem man seinen ältern Bruder ihm zu Gefallen das Allernotwendigste verweigert hat, um ja seine vortreffliche Erziehung zu stande zu bringen, wofür er uns nun mit solchen Interessen belohnt. Herrliche Interessen sind mir das! Aber ich hab' es immer wohl vorhergesagt, – und was dergleichen mehr war! – aber ich meine, Sie haben an diesem Pröbchen genug.

Mein Vater begann nunmehr, mir anstatt des Gelder Verweise auf meine Briefe zu schicken; wodurch denn meine Sachen vielleicht [111] ein wenig früher zum Bruch kamen. Denn, hätt' er mir auch sein ganzes Einkommen geschickt, so würde es doch, wie Sie leicht erachten werden, nur eine sehr kurze Zeit für einen Menschen zugereicht haben, der sich in seinen Ausgaben mit Sir George Gresham auf gleichen Fuß setzte. Es ist mehr als möglich, daß die Verlegenheit um Geld, worin ich mich jetzt befand, und die unendliche Schwierigkeit, es auf diese Art weiter fortzutreiben, mich wieder zu meiner Besonnenheit und zu meinem Studieren zurückgebracht haben würde, hätt' ich früher die Augen geöffnet, eh' ich in Schulden verflochten wurde, aus welchen ich keine Hoffnung vor mir sah, mich wieder herauszuarbeiten. Hierin bestand eigentlich das große Kunststück des Sir George, wodurch er das Verderben vieler jungen Menschen zum höchsten Grade trieb, die er hernach als Gimpel und Narren auslachte, weil sie sich, wie er's nannte, bis zu seiner Größe hätten aufblasen wollen. Um diesen seinen Endzweck nicht zu verfehlen, streckte er selbst zuweilen einem jungen Menschen ein wenig Geld vor, damit der Unglückselige bei andern Leuten um so leichter Kredit finden möchte, bis er endlich durch eben diesen Kredit aufs unwiederbringlichste verloren war.

Durch diese Ränke war meine Seele in eben so verzweifelte Umstände geraten, als selbst meine Vermögensumstände; und es gab kaum ein Bubenstück, auf welches ich nicht gesonnen hätte, um mich aus diesem Elende zu reißen. Sogar der Selbstmord ward ein Gegenstand meiner ernsthaften Beratschlagung; und ich würde mich gewiß dazu entschlossen haben, hätte ihn mir nicht ein schändlicher, obgleich wenig sündlicher Gedanke aus dem Kopfe gebracht.« – Hier saß der Mann eine kleine Weile in Gedanken und rief darauf aus: »Glauben Sie mir, eine lange Reihe von Jahren hat die Scham über diese Handlung noch nicht aus meinem Gedächtnis verwaschen, und noch werden meine Wangen erröten, indem ich sie erzähle.« – Jones bat, er möchte über alles hinweggehn, dessen Erzählung seinem Herzen wehe thun könnte. – Rebhuhn aber rief ganz andringlich: »O lieber Herr, ich bitte, lassen Sie uns dies doch mit hören! Wahrhaftig! ich möchte das lieber hören, als alles übrige. Ich will das heilige Abendmahl drauf nehmen, daß es von mir kein Mensch wieder erfahren soll.« – Jones war im Begriff, ihm einen derben Verweis zu geben; allein der Fremde verhinderte es, indem er folgendergestalt fortfuhr:

»Ich hatte einen sehr vernünftigen, fleißigen jungen Menschen zum Stubenburschen, welcher, ob er gleich keine große Summen von Hause bekam, sich doch beinahe an vierzig Guineen zusammengespart hatte, welche Summe er, wie ich wußte, in seinem Schreibpulte verschlossen aufbewahrte. Ich nahm daher Gelegenheit, ihm den [112] Schlüssel heimlich aus seinen Beinkleidertaschen zu entwenden, derweil er schlief, und mich auf diese Weise in den Besitz aller seiner Reichtümer zu setzen. Nachdem solches geschehen, steckte ich ihm den Schlüssel wieder in die Taschen und stellte mich, als ob ich schliefe, ob ich gleich kein Auge zuthat, sondern nur im Bette liegen blieb, bis er aufgestanden und zum Gebete gegangen war; eine Uebung, die mir seit langer Zeit schon fremd geworden war.

Furchtsame Diebe geben oft selbst durch eine zu große Vorsicht Anlaß zu einer Entdeckung, welcher die verwegenern zu entgehen wissen. So begab sich's mit mir; denn hätte ich das Schreibpult ganz keck und kühn aufgebrochen, so wäre ich vielleicht selbst seinem Verdachte entgangen; allein, da es klar am Tage lag, daß der, welcher ihn bestohlen, sich seines Schlüssels bemeistert haben müßte, so blieb ihm kein Zweifel, als er zuerst sein Geld vermißte, der Dieb könnte gewiß niemand anders sein, als sein Stubenbursche. Nun war er etwas furchtsam von Natur, und bei weitem nicht so stark am Körper, als ich; auch, glaub' ich, hatte er nicht so viel Herzhaftigkeit. Sonach wagte er's nicht, mir mein Verbrechen unter die Augen zu sagen, aus Furcht, es möchte für ihn noch schlimmere körperliche Folgen haben. Er wendete sich also unmittelbar an den Prorektor, und auf eine eidliche Aussage des Diebstahls und der damit verbundenen Umstände erhielt er sehr leicht einen Verhaftsbefehl gegen einen Menschen, der bereits bei der ganzen Universität in einem so üblen Rufe stand.

Zum Glück für mich schlief ich die folgende Nacht außer dem Kollegio; denn den Tag brachte ich ein Frauenzimmer in einer Chaise nach Whitney, wo wir die ganze Nacht beisammen blieben, und bei unsrer Zurückkunft des nächsten Morgens zu Oxford begegnete mir einer von unsern Nachtvögeln, welcher mir von dem, was mir bevorstand, so viel erzählte, als genug war, um meine Pferde auf einen andern Weg zu lenken.«

»Ich bitte, lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »sagte er Ihnen denn wirklich was von dem Verhaftsbefehle.« – Aber Jones bat den alten Herrn, fortzufahren, ohne auf die unbesonnenen Fragen des Rebhuhn zu achten, welches er that wie folgt:

»Nachdem ich jetzt alle Gedanken hatte fahren lassen, wieder nach Oxford zurückzugehn, war das erste, was sich mir darbot, eine Fahrt nach London. Ich sagte diesen Vorsatz meiner weiblichen Begleiterin, die zwar anfangs Einwendungen machte; sobald ich ihr aber meinen Reichtum vorzeigte, in diese Reise willigte. Wir gingen also querfeld ein, um die Cirencester Heerstraße zu erreichen, und waren so eilig, daß wir den Abend des andern Tages in London anlangten.

[113] Wenn Sie erwägen, an was für einem Orte und in was für einer Gesellschaft ich mich nunmehr befand, so werden Sie, glaube ich, leicht begreifen, daß ich in kurzer Zeit mit der Summe zu Ende kommen mußte, der ich mich so schändlicherweise bemächtigt hatte.

Ich war jetzt in eine weit größere Verlegenheit gesetzt als vorher. Die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens fingen mir an zu mangeln, und was meine dürftigen Umstände noch drückender machte, war, daß meine Geliebte, an der ich jetzt mit Leib und Seele hing, einerlei Not und Elend mit mir teilte. Ein Frauenzimmer, das man liebt, in Mangel und Elend zu sehn, ohne im stande zu sein, ihr herauszuhelfen und dabei sich bewußt sein, daß man sie selbst in diese Umstände versetzt hat, ist vielleicht ein solcher Zustand der Verdammnis, dessen Qualen sich keine Einbildung vorstellen kann, wenn man sie nicht selbst erfahren hat.« – »Das glaub' ich Ihnen von ganzer Seele,« rief Jones, »und ich bedaure Sie im Grunde meines Herzens.« Der alte Mann ging hier zwei- oder dreimal im Zimmer auf und nieder, bat darauf um Verzeihung, warf sich in seinen Lehnstuhl und rief aus: »Ich danke dem Himmel, daß auch das überstanden ist.«

»Dieser Umstand,« fuhr der alte Herr fort, »vergrößerte den Jammer meiner gegenwärtigen Lage so sehr, daß er mir völlig unerträglich wurde. Ich konnte mit weniger Schmerzen das Nagen meiner eignen natürlichen unbefriedigten Bedürfnisse, selbst Hunger und Durst ertragen, als es ausstehen, die sonderbarsten Gelüsten und Begierden eines Frauenzimmers ungesättigt zu lassen, in welche ich so äußerst verliebt war, daß, ob ich gleich wußte, daß sie mit der Hälfte meiner Bekannten den genausten Umgang gepflogen, ich dennoch des festen Vorsatzes war, sie zu heiraten. Aber das gutherzige Geschöpf konnt' es gleichwohl nicht übers Herz bringen, in eine Handlung zu willigen, welche die Welt so sehr zu meinem Nachteile erklären möchte. Und da sie vielleicht mit dem täglichen Kummer, welchen sie mich ihrentwegen leiden sah, Mitleid hatte, so entschloß sie sich, meiner Not ein Ende zu machen. Sie fand wirklich bald Mittel und Wege, mich aus meiner unruhigen und höchst verwickelten Lage herauszureißen; denn derweil ich mir mit allerlei Erfindungen fast den Kopf zerbrach, wie ich ihr Vergnügungen verschaffen wollte, war sie so höchst gütig – mich an einen ihrer vorigen Liebhaber von Oxford – zu verraten, durch dessen Fleiß und Sorge ich unmittelbar drauf ergriffen und ins Gefängnis gesetzt wurde.

Hier fing ich erst an, ernsthaft nachzudenken über die Mißhandlungen meines vorigen Lebens, über die Irrtümer, die ich mir hatte zu schulden kommen lassen, über das Unglück, welches ich mir [114] zugezogen hatte, und über den Gram, in den ich den besten von allen Vätern versenkt haben mußte. Wenn ich zu allem diesem die schändliche Untreue meiner Geliebten noch hinzudachte, so wurden die Qualen meines Gemüts so groß, daß das Leben, anstatt mir länger wünschenswert zu bleiben, ein Gegenstand meines grauenvollen Abscheus wurde; und ich hätte mit Freuden den Tod als meinen teuersten Freund umarmen können, hätt' er sich nur meiner Wahl ohne Schimpf und Schande dargestellt. Die Zeit der vierteljährigen Gerichte kam herbei und ich ward nach den Landesgesetzen nach Oxford, dem Orte, wo ich das Verbrechen begangen hatte, ausgeliefert, woselbst ich gewiß erwartete, überführt und verurteilt zu werden. Zu meiner großen Verwunderung aber ward ich nicht zum Verhör gebracht und, nachdem die Dingzeit zu Ende gegangen, ward ich, weil sich kein Ankläger gegen mich stellte, wieder auf freien Fuß gesetzt. Kurz, mein Stubenbursche hatte Oxford verlassen und, war es aus Gleichgültigkeit oder aus andern Ursachen, das weiß ich nicht; aber er hatte nicht für gut befunden, sich weiter mit der Sache zu befassen.«

»Vielleicht,« rief Rebhuhn, »wollt' er nicht gern Ihr Blut auf seiner Seele haben, und daran that er auch ganz recht. Denn wenn jemals ein Mensch auf meine Anklage aufgehängt würde, in meinem Leben könnt' ich hernach kein Auge wieder zuthun vor Angst, daß er immer um mich spuken gehen würde.«

»Nachgerate wird mir's zweifelhaft, Rebhuhn,« sagte Jones, »ob Er mehr Tapferkeit oder mehr Weisheit besitzt.« – »Wenn Sie mich auslachen wollen, Herr, meinetwegen!« antwortete Rebhuhn. »Wenn Sie aber nur eine kurze Historie anhören wollten, die ich erzählen kann und die so wahr ist, daß nichts darüber geht, so können Sie vielleicht ganz andrer Meinung werden. In dem Kirchspiele, worin ich geboren bin –« Hier hätt' ihn Jones gern zum Schweigen gebracht, aber der Fremde legte eine Fürbitte ein, daß er seine Historie erzählen dürfte, und versprach zugleich, daß er das übrige der seinigen nicht vergessen wolle.

Rebhuhn hub also folgendermaßen an: »In dem Kirchspiele, worin ich geboren bin, wohnte ein Pächter, der hieß Zaum und der hatte einen Sohn namens Franz, einen guten, hoffnungsvollen Menschen. Ich ging mit ihm in die lateinische Schule und erinnere mich, wie er in Ovids Episteln kam, woraus er zuweilen drei ganze Zeilen hintereinander herexponieren konnte, ohne nur ein einziges Mal in seinen Faber zu sehen. Bei dem allem noch war's auch ein guter Knabe, er versäumte des Sonntags keinen Gottesdienst und passierte für den besten Choralsänger im ganzen Kirchspiel. Freilich mocht' er wohl dann und wann ein wenig zu tief ins Glas gucken, [115] und das war auch der einzige Fehler, den er hatte.« – »Recht gut! Aber wo bleibt das Gespenst?« sagte Jones. – »Seien Sie unbesorgt, Herr, es soll früh genug kommen,« antwortete Rebhuhn. »Sie müssen also wissen, daß Pächter Zaum eine Stute verlor, einen Apfelschimmel, wenn ich mich recht erinnere, und so kam's denn zu paß, daß dieser junge Franz kurz darauf, als er auf einer Kirmes zu Hindon war, ich glaub' es war – es war – ja nu, auf den eigentlichen Tag kann ich mich nicht besinnen, und wie nun Franz so da war, was sollte ihm begegnen als ein Mann, der auf seines Vaters Stute ritt. Franz schrie augenblicklich laut aus vollem Halse: greift den Dieb! und da es mitten in der Kirmes war, so war's unmöglich, wie Sie wohl sehen, daß der Mann entwischen konnte. Und so fingen sie'n auf und schleppten ihn hin vor den Richter. Ich erinnere mich's noch, als ob's heute wäre, es war der Richter Willoughby von Noile, ein gar sehr braver Herr, und der schickte ihn ins Gefängnis und beeidigte den Franz zur Rekogniszenz, so glaub' ich, nennen sie's. Ein schwer Wort, zusammengesetzt aus re undcognosco; aber es geht von dem eigentlichen Sinne des eigentlichen Stammwortes etwas ab, wie mehr andre Komposita thun. Nun gut, endlich und zuletzt kam der Herr Oberrichter Page ins Land und hielt das Landgeding, und so ward der Kerl vor die Schranken gebracht und Franz mußte gegen ihn aussagen. Fürwahr! In meinem Leben vergesse ich die Miene des Herrn Oberrichters nicht, als er ihn zu fragen begann, was er gegen den Gefangenen vorzubringen hätte? Er machte, daß der arme Franz an allen Gliedern seines Leibes zitterte und bebte bis in die Schuhe hinab. Nun, Kerl, sagte der Richter, was habt Ihr zu sagen? Steht so nicht da, und hmt! und ht! sondern sprecht rein aus dem Barte. Aber bald darauf ward er ebenso leutselig gegen Franz und fing an, auf den armen Sünder loszudonnern, und als er ihn fragte, ob er was zu seiner Entschuldigung vorzubringen hätte, so sagte der Kerl, er habe das Pferd gefunden. Ei! ei! antwortete der Richter, du bist ja ein glücklicher Kerl! Ich habe nun schon seit vierzig Jahren die Landgerichte bereist und habe noch in meinem Leben kein Pferd gefunden! Aber ich will dir etwas erzählen, guter Schlag, du bist glücklicher gewesen als du selbst weißt; denn sieh nur, du hast nicht allein ein Pferd gefunden, sondern auch einen Halfter dazu, das kannst du mir auf mein Wort glauben. Fürwahr, ich vergesse das Wort in meinem Leben nicht, und daher fingen alle, die um ihn herstunden, an zu lachen, und wie konnte man das auch lassen? Ja, und er sagte wohl noch zwanzig eben solche lustige Einfälle, die ich wieder vergessen habe. Es war so was dabei von Geschicklichkeit und Roßkamm, wobei alle ein groß Gelächter aufschlugen. Fürwahr, der [116] Richter muß ein recht braver Mann gewesen sein und auch sehr gelehrt dazu. Ich kann Ihnen nicht sagen was es für eine Lust ist, bei so einem Gerichte zu sein, wo's auf Leben und Tod hergeht. Eins freilich war dabei, muß ich gestehen, das schien mir ein bißchen hart, daß man den Defensor des gefangenen Kerls nicht sprechen lassen wollte, ob er gleich nur auf ein paar Worte um Gehör bat. Aber der Herr Oberrichter wollt' ihn nicht zum Worte kommen lassen, ob er gleich einen Advokaten, der wider ihn auftrat, wohl eine ganze halbe Stunde anhörte. Ich hielt's für hart, ich gesteh's, daß ihrer so viel waren, denn da war der Oberrichter und die Beisitzer und die Geschworenen und die Advokaten und die Zeugen, alle gegen einen armen Kerl, und er war noch dazu in Ketten geschlossen. Nun gut, aber der Kerl ward Ihnen aufgehängt, wie's denn nun freilich nicht anders sein konnte, und der arme Franz hatte darüber in seinem Leben wieder keine ruhige Stunde. Er war niemals allein im Finstern, oder ihn dünkte, er sähe den Geist des armen Sünders.« – »Nun, ist das deine ganze Historie?« fragte Jones. – »Nein, nein!« antwortete Rebhuhn, »Gott sei meiner armen Seele gnädig! – Ich komme eben just zu der eigentlichen Sache; denn als er eines Nachts aus einem Bierhause kam, durch eine lange, enge, finstre Gasse, rannte er ihm gerade auf den Leib, und das Gespenst sah ganz weiß aus und fiel über den armen Franz her, und Franz, ein handfester Bursche, fiel über den Geist her, und da ging's an ein Gebalge miteinander und der arme Franz ward greulich geprügelt. Endlich that er freilich sein Bestes, nach Hause zu kriechen, aber von dem Prügeln und von der Angst und von dem Grauen lag er doch seine vierzehn Tage zu Bette, und die Sache ist sicherlich wahr und das ganze Kirchspiel kann und wird's bezeugen.«

Der Fremde lächelte über die Geschichte und Jones konnte sich des Lautlachens nicht enthalten, worauf Rebhuhn schrie: »Ja, ja! Lachen Sie nur zu, Herr, das haben andre auch gethan, besonders ein gewisser Junker, der nun eben nicht viel besser sein mag als ein Atheist, der meinte so, weil man am nächsten Morgen ein Kalb mit einer weißen Blessen tot in derselben Gasse gefunden hatte, so müsse die Schlägerei zwischen diesem Kalbe und Franz vorgefallen sein. Das hätt' er gern so ausgebracht; ja, als ob auch ein Kalb einen Menschen anfiele. Ueberdem noch sagte mir Franz, er wüßte wohl, daß es ein Geist gewesen sei und das könne er vor jedem Gerichte der ganzen Christenheit beschwören, und er habe den Abend nur ein oder ein paar Maß Doppelbier getrunken gehabt. Gott sei uns armen Sündern gnädig und halte unsre Hände rein von Blutschulden! pflege ich zu sagen.«

»Wohlan mein Herr,« sagte Jones zu dem Fremden, »Rebhuhn [117] hat seine Geschichte geendigt und wird Sie, wie ich hoffe, nicht ferner unterbrechen.« Er knüpfte also den Faden seiner Erzählung wieder an, allein weil er eine Zeitlang her Atem geschöpft hatte, so halten wir für dienlich, unsre Leser gleichfalls zu Atem kommen zu lassen und wollen sonach dem gegenwärtigen Kapitel ein Ende machen.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Der Mann vom Berge fährt in seiner Geschichte fort.


»Meine Freiheit hatte ich nun wieder erhalten,« sagte der Fremde, »aber ich hatte meinen ehrlichen Namen verloren! Denn es ist ein gar weiter Unterschied zwischen dem Zustande eines Mannes, welcher bloß gerichtlicherweise von einem Verbrechen freigesprochen wird, oder desjenigen, den sein Herz und die Meinung des Volkes für unschuldig erklären. Ich war mir meines Vergehens bewußt und schämte mich, irgend einem Menschen unter die Augen zu sehen. Deswegen entschloß ich mich gleich den nächsten Morgen, ehe das Tageslicht mich den Augen der Zuschauer entdecken könnte, Oxford zu verlassen.

Als ich die Stadt weit genug hinter mir hatte, kam es mir anfänglich in die Gedanken, nach Hause zu meinem Vater zu kehren und seine Verzeihung zu erhalten zu trachten; da ich aber nicht zweifeln konnte, er müßte alles Vergangene erfahren haben, und da ich seinen großen Abscheu vor allen unredlichen Handlungen gar zu gut kannte, so durfte ich mir keine Hoffnung machen, daß er mich aufnehmen würde, zumal da ich der freundschaftlichen Dienste zu gewiß war, die mir meine Mutter nach allem ihrem Vermögen leisten würde. Ja, wär' ich auch der Verzeihung meines Vaters ebenso gewiß gewesen, als gewiß ich mir seinen Zorn vorstellte, so zweifle ich doch, ob ich die Dreistigkeit gehabt hätte, vor sein Angesicht zu treten, oder ob ich mich unter irgend einer Bedingung hätte drein ergeben können, unter Menschen zu leben und mit ihnen Umgang zu pflegen, welche, wie ich nicht anders glauben konnte, wußten, daß ich ein so niederträchtiges Verbrechen begangen hatte.

Sonach eilte ich wieder zurück nach London, dem besten Zufluchtsorte sowohl für Gram als Scham, wofern die Personen nicht gar zu bekannt oder berühmt sind, denn hier hat man den Vorteil der Einsamkeit ohne ihre Beschwerden, weil man zu gleicher Zeit einsam oder in Gesellschaft sein kann, und weil man ganz unbemerkt an öffentlichen Orten gehen oder sitzen kann, derweil Lärmen, Gewimmel und Getümmel und eine beständige Abwechslung der Gegenstände[118] das Gemüt unterhalten, und das eigne Bewußtsein verhindern, an sich selbst oder vielmehr an Reue und Scham zu nagen, welche für dasselbe die ungesundesten Nahrungsmittel von der Welt sind und wovon sich viele (ob es gleich oft manche gibt, welche davon nie einen Bissen anders als vor den Augen einer Menge Zuschauer zu sich nehmen) sehr reichlich, obgleich bitterlich, speisen, wenn sie sich mit sich selbst allein befinden.

So wie es aber kein menschliches Gute in der Welt gibt, das nicht zugleich sein eignes Uebel bei sich führen sollte, so gibt es auch Leute, die bei dieser Neigung der Menschen alle Uebel unbemerkt vorübergehen zu lassen, eine große Beschwerlichkeit empfinden. Ich meine solche Personen, welche kein Geld haben. Denn sowie man von denen, die uns nicht kennen, keine Gefahr läuft, beschämt zu werden, so kann man auch von ihnen nicht erwarten, daß sie uns kleiden und speisen werden. Und ein Mensch kann in der Gegend der Bank von London ebenso leicht verhungern, als in einer arabischen Wüste.

Mein gegenwärtiges Glück bestand darin, von einem Uebel (wie es verschiedene Schriftsteller, die nach meiner Meinung sehr gedrückt sein mußten, in Ruf gebracht haben) gänzlich befreit zu sein, nämlich vom Gelde.« – »Mit gütiger Erlaubnis, mein Herr,« sagte Rebhuhn, »ich wüßte keinen Schriftsteller, der es malorum genannt hätte; wohl aber irritamenta malorum. Effodiuntur opes irritamenta malorum!« – »Gut, Herr,« fuhr der Fremde fort, »laß es sein, Uebel für sich selbst, oder bloß eine Ursache des Uebels. Ich war davon gänzlich entblößt, und zugleich von Freunden; und, wie ich dachte, auch von Bekannten, als ich eines Abends, da ich sehr hungrig und sehr elend durch Innertempel ging, plötzlich eine Stimme hörte, die mich so ganz bekannt und vertraut bei meinem Taufnamen nannte; und sowie ich mich herumwandte, erinnerte ich mich alsobald der Person, die mich grüßte, als einer Bekanntschaft von der Universität her. Der Mensch hatte solche schon vor mehr als einem Jahre verlassen, lange vorher, als ich dort in irgend ein Unheil verfallen war. Watson, so hieß sein Name, schüttelte mir herzlich die Hand, bezeigte eine große Freude mich anzutreffen, und schlug vor, auf der Stelle hinzugehn und eine Flasche Wein miteinander zu trinken. Anfänglich lehnte ich den Vorschlag ab, unter Vorwand von Geschäften; als er aber sehr ernsthaft und dringend darauf bestand, besiegte zuletzt der Hunger meinen Stolz, und ich bekannte ihm ganz ehrlich, daß ich kein Geld bei mir hätte; jedoch nicht ohne eine Entschuldigungslüge zu schmieden und es darauf zu schieben, daß ich den Morgen andere Beinkleider angelegt hätte. Herr Watson antwortete: Ich dächte, Jakob, Sie und ich wären zu alte [119] gute Bekannte, um solcher Kleinigkeiten zu erwähnen. Er faßte mich also beim Arm, um mich mit sich fortzuzerren; ich machte es ihm aber gar nicht sauer, denn meine eigene Neigung zog mich stärker, als er es thun konnte. Wir gingen also nach der Mönchgasse, woselbst, wie Sie wissen, Wohlleben und Fröhlichkeit zu Hause sind. Als wir in die Schenke gekommen waren, wendete sich Herr Watson bloß an den Kellnerburschen, ohne mit einem Wort an den Koch zu gedenken; denn er hatte kein Arges dran, daß ich nicht längst schon zu mittag sollte gegessen haben. Da sich indessen die Sache wirklich ganz anders verhielt, so brachte ich eine ganz andere Unwahrheit zu Markte und sagte zu meinem Genossen: ich hätte am andern Ende der Stadt wichtige Geschäfte zu verrichten gehabt und nur im Fluge einen Bissen in einer Garküche zu mir genommen; wäre also schon wieder hungrig und wünschte, er wolle zum Weine auch etwas zu essen geben lassen.« – »Gewisse Leute,« schrie Rebhuhn, »sollten ein gutes Gedächtnis haben! Oder hatten Sie nur eben grade Geld genug in Ihren verwechselten Beinkleidern für den im Fluge genommenen Bissen in der Garküche?« – »Ihre Anmerkung ist richtig,« antwortete der Fremde, »und ich glaube, dergleichen Verschnappereien sind unvermeidlich, wenn man mit Unwahrheiten umgeht. – Um aber weiter fortzufahren, mir war nunmehr außerordentlich behaglich zu Mute. Die Kollation und der Wein stärkten meine Lebensgeister sehr merklich, und ich schöpfte ein großes Vergnügen aus der Unterredung mit meinem alten Bekannten; um so mehr, da ich dachte, ihm sei alles, was auf der Universität nach seinem Abzuge vorgefallen war, völlig unbekannt.

Jedoch er ließ mich nicht lange in dieser angenehmen Täuschung! Denn, nachdem er ein volles Glas in die eine Hand genommen und mit der andern die meinige angefaßt hatte, rief er aus: Hier! Ehrlicher Universitätskamerad, stoß' an! Ich bring's Ihnen auf gut Glück und Fröhlichkeit, daß Sie so mit Ehren aus der Sache losgekommen sind, die man Ihnen zur Last legte. Ich war wie vom Donner gerührt, so schämt' ich mich bei diesen Worten, und Watson, der solches merkte, fuhr folgendergestalt fort: – Na, Na! Was ist da zu schämen, alter Kumpan! Du bist frei und ledig gesprochen, und kein Mensch darf dir was vorwerfen! Aber ich bitte dich, sage mir, du weißt, ich bin dein Freund, ich hoffe doch, du hast ihm wirklich das Geld abgetrieben; denn sieh, ich will in meinem Leben keinen Treffer werfen, wenn ich's nicht für ein verdienstliches Werk halte, einem solchen Leisetritt und knickerigen Schlucker die paar Fettfedern auszurupfen, und anstatt der zweihundert Guineen Mutterpfennige wollte ich, du hättest ihn um ebensoviel Tausende geprellt. Komm, komm, Kamerad! sei nicht schüchtern, es mir [120] zu bekennen; du stehst hier vor keinem alten Pandektenphilister. Hol' mich der alte Drache, wenn ich dich deswegen nicht lieb und wert halte; denn, ich will keinen Teil am Himmel haben, wenn ich mir den geringsten Skrupel gemacht hätte, dasselbige zu thun.

Diese Erklärung befreite mich ein wenig von meiner Scham, und weil der Wein bereits mein Herz ein wenig aufgeschlossen hatte, so gestand ich ihm ohne Rückhalt, daß ich den Raub begangen hätte, sagte ihm aber, daß er über die genommene Summe unrecht berichtet wäre, indem es wenig mehr als der fünfte Teil von dem gewesen, was er angegeben hätte.

Das thut mir von ganzem Herzen leid, und auf ein andermal wünsch ich dir besser Glück; ob du gleich, wenn du meinem Rate folgen willst, keine solche halsbrechenden Wagestückchen wieder nötig haben sollst. Hier, sagte er, und zog eine Handvoll Würfel aus der Tasche, hier sind die rechten Knochen! Hier sind die wahren kubischen Steine, womit ein ehrlicher Kerl sein Glück bauen kann; hier ist das wahre Astralpulver, womit man alle Krankheiten und Gebrechen des Beutels heilen kann! Folgen Sie nur meinem Rat, und ich will Ihnen den Weg zeigen, wie Sie die Beutel eines querköpfigen Dummbarts fegen können, ohne die Schlinge des Blinden am Wege zu fürchten.« –

»Blinder am Wege!« rief Rebhuhn; »sagen Sie mir doch, Herr, wer ist das?«

»Nun mein Herr,« sagte der Fremde, »der bedeutet in der Gaunersprache den Galgen, weil er keine Fenster hat: denn so, wie die Spieler von Profession, oder die sogenannten Gauner, in ihren Sitten nur sehr wenig von den Straßenräubern unterschieden sind, so sind sie ihnen auch darin ähnlich, daß sie ihr eigenes Rotwelsch haben. –

Wir hatten nunmehr ein jeder seine Bouteille getrunken, als Herr Watson sagte, die Versammlung habe nun ihre Sitzung begonnen, und es wäre seine Zeit in derselben zu erscheinen; dabei drang er zugleich ernstlich in mich, ich sollte mit ihm gehn und mein Heil versuchen. Ich antwortete: Er wisse, es sei jetzt nicht in meinem Vermögen, da ich ihm gesagt, wie wüste es in meinem Beutel aussähe. Die Wahrheit zu bekennen, zweifelte ich nach seinen häufigen und starken Freundschaftsversicherungen nicht, er würde mir zu diesem Vorhaben eine kleine Summe vorzustrecken von selbst erbötig sein; allein seine Antwort war: Kehr' dich daran nicht, Kamerad! Halte du dreist auf den Fehler los;« (Rebhuhn hatte schon wieder das Maul gespitzt, um nach der Meinung dieses Ausdrucks zu fragen, Jones hinderte ihn aber damit hervorzubrechen) »aber wähle behutsam deinen Mann. Ich will dir schon winken, wen du nehmen [121] sollst; denn das möchte nötig sein, weil du die Stadt noch nicht kennst und keinen Querkopf von einem Quesenkopf unterscheiden möchtest.

Man brachte die Rechnung und Watson bezahlte seinen Teil der Zeche und wollte damit fortgehn. Ich erinnerte ihn nicht ohne zu erröten, wie ich mich ohne Geld befände. Er antwortete: Nu, was thut das? Schreib's hinter die Thüre, oder mach' einmal einen kühnen Borstigen, als ob's nichts wäre. – Oder, wart! Ich will vorher hinunter gehn, und dann nimm du mein Geld und bezahl' damit unten am Zahltische die ganze Rechnung im Rummel. Ich bezeigte ihm hierüber mein Mißbehagen, und ließ mir merken, daß ich erwartet hätte, er würde die ganze Bezahlung besorgt haben. Allein er schwur, er habe keine halbe Krone mehr im Sack.

Er ging also hinunter, und ich ließ mich überreden das Geld zu mir zu nehmen und ihm zu folgen; welches ich that und ihm so nahe auf den Fersen blieb, daß ich ihn zum Kellnerburschen sagen hörte, seine Zeche läge oben auf dem Tische. Der Kellner ging vor mir vorbei die Treppen hinauf, ich aber machte alle mögliche Eile auf die Gasse zu kommen, so, daß ich von seinen fehlgeschlagenen Erwartungen nichts hörte, auch sagte ich am Zahltische meiner Instruktion zufolge kein Wort.

Wir gingen nun geradeswegs hin zum Spieltische, an welchem Herr Watson zu meiner höchsten Verwunderung eine große Summe Geldes hervorlangte und vor sich hinlegte, eben wie viele andere thaten; und ein jeder von ihnen betrachtete ohne Zweifel seinen eigenen Haufen als einen Lockfinken, der die Haufen seiner Nachbarn nach seinem Vogelherde locken sollte.

Hier würde ich sehr langweilig werden, wenn ich alle die Possen erzählen sollte, welche das Glück oder vielmehr die Würfel in seinem Tempel spielten. Ganze Berge von Gold verschwanden in wenigen Minuten an der einen Seite des Tisches, und erhoben sich wieder auf der andern ebenso plötzlich. Der Reiche ward in einem Augenblick arm, und ebensoschnell der Arme reich; dergestalt, daß es schien, ein Philosoph habe seine Schüler an keinem andern Orte so nachdrücklich die Verachtung des Reichtums lehren können, wenigstens hätte er nirgends die Ungewißheit seiner Dauer so anschaulich zu machen vermocht.

Ich meinesteils, nachdem ich mein kleines Kapital so ziemlich ansehnlich vermehrt hatte, sah' es zuletzt gänzlich wieder zu Wasser werden. Herr Watson stand ebenfalls, nach mancher Abwechslung des Glücks, in einiger Hitze vom Tische auf und beteuerte, er habe seine runde hundert Guineen verloren und möchte nicht länger spielen. Darauf kam er zu mir her und verlangte, daß ich [122] wieder mit ihm nach der Weinschenke gehen sollte. Ich schlug es ihm aber rund ab, indem ich sagte: ich wollte mich nicht zum zweitenmale in eine solche Verlegenheit bringen, und um so weniger jetzt, da er alles sein Geld verloren hätte und sich in einerlei schlechten Umständen mit mir befände. Puh! sagte er, sonst nichts? Ich habe eben ein paar Guineen von einem Freunde geborgt, und eine davon steht Ihnen zu Diensten. Er drückte mir eine davon sogleich in die Hand; und so widerstand ich seinem Begehren nicht länger.

Anfangs wollte es mir nie recht eingehen, daß wir wieder in dasselbige Haus zurückkehren sollten, aus welchem wir eben nicht auf die schicklichste Art Abschied genommen hatten; als aber der Kellnerbursche auf eine sehr höfliche Art zu uns sagte: er glaube, wir hätten vergessen unsre Rechnung zu bezahlen, ward mir's wieder ganz frei ums Herz; ich gab ihm ohne Umstände eine Guinee und sagte, er solle mir das übrige herausgeben, und ließ mir übrigens die ungerechte Beschuldigung gefallen, die er meinem Gedächtnis aufgebürdet hatte.

Herr Watson bestellte nunmehr das leckerste Abendessen, worauf er sich nur besinnen konnte, und ob er sich gleich vorher mit gewöhnlichem roten Bordeauxwein beholfen hatte: so deuchte ihm doch jetzt der köstlichste Burgunder kaum gut genug.

Unsre Gesellschaft erhielt bald einen Zuwachs von verschiedenen Herren vom Spieltische, wovon die meisten, wie ich nachher fand, nicht sowohl Trinkens als Geschäfte wegen nach dem Weinhause kamen. Denn die wahren Würfelmeister gaben vor, sie befänden sich nicht wohl, und ließen ihr Glas vorbeigehen, unterdessen sie einem Paar jungen Leuten, auf welche es gemünzt war, desto mehr beizubringen suchten; die dann hernach auch ohne alle Gnade und Barmherzigkeit geplündert wurden. Ich hatte das Glück an dieser Beute meinen guten Anteil zu nehmen, ob ich gleich noch nicht in das Geheimnis eingeweiht worden war.

Bei diesem Weinkellerspiele ereignete sich ein sehr merkwürdiger Vorfall; nämlich nach und nach verschwand das Geld völlig, dergestalt daß, obgleich im Anfange des Spiels der Tisch über die Hälfte mit Gold bedeckt war, ehe es damit zu Ende ging, welches nicht vor dem nächsten Mittag (gerade ein Sonntag) geschah, man kaum noch ein einziges Goldstück darauf gewahr wurde: und dies ging um so wundersamer zu, da jedermann, mich allein ausgenommen, beteuerte, er habe verloren. Und wo das Geld hingekommen, wofern es der Herr Urian nicht selbst geholt hatte, läßt sich schwerlich ausmachen.«

»Das that er auch gewiß!« sagte Rebhuhn. »Denn die bösen [123] Geister können alles wegholen, ohne daß man sie sieht und wenn auch noch so viel Leute mit offnen Augen dabei stehn. Es sollte mich gar nicht gewundert haben, wenn er die ganze Ladengilde von so ruchlosen Kerln, die da unter der Predigt saßen und würfelten, durch das Schlüsselloch weggeführt hätte. Ja ich könnte Ihnen, wenn ich wollte, eine wahrhaftige Geschichte erzählen, wo der Gottseibeiuns einen Mann aus dem Bette der Ehefrau eines andern wegholte und bei verschlossenen und verriegelten Thüren durch die Luft davonführte. Ich habe mit meinen Augen das leibhaftige Haus gesehn, worin's geschah, und seit dreißig Jahren hat keine Seele drin wohnen können! Ja!«

Obgleich Jones sich ein wenig über Rebhuhns Ungezogenheit ärgerte, so konnte er sich doch nicht enthalten über seine Einfalt zu lächeln. Der Fremde that dasselbe und fuhr dann mit seiner Geschichte fort, wie im nächsten Kapitel zu ersehen sein wird.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

In welchem die vorhergehende Geschichte weiter fortgesetzt wird.


»Mein Universitätsbruder hatte mich nunmehr in eine neue Szene des Lebens eingeführt. Ich war bald mit der ganzen geheimen griechischen Brüderschaft bekannt und in ihre Geheimnisse eingeweiht. Ich verstehe unter ihren Geheimnissen die fast plumpen Kunstgriffe, womit man die rohen und unerfahrnen Dobbeler zu berücken pflegt, denn es gibt Handgriffe von Schnellen, Setzen und Kneifen der Würfel von einer feinern Gattung, welche nur einigen Wenigen von der Bande oder den Meistern von ihrer Profession bekannt sind; ein Grad von Ehre, der über meine Erwartung hinaus lag, weil der Trunk, dem ich bis zum Uebermaß ergeben war, und die natürliche Hitze meiner Leidenschaften mich verhinderten, es in einer Kunst bis zu einem hohen Grade zu bringen, welche ebensoviel Kaltblütigkeit erfordert als die strengste Schule der stoischen Philosophie.

Herr Watson, mit dem ich jetzt in der engsten Freundschaft lebte, hatte zum Unglück den ersten dieser Fehler gleichfalls in einem hohen Grade an sich, dergestalt daß er, anstatt sein Glück durch seine Profession zu machen, wie einige thaten, wechselsweise bald arm bald reich, und zuweilen genötigt war seinen kaltblütigeren Freunden bei einer Flasche Wein, wovon sie niemals kosteten, die Beute wieder auszuliefern, welche er einigen Gimpeln am öffentlichen Spieltische abgenommen hatte.

[124] Unterdessen suchten wir uns doch so gut als möglich durch dieses ungemächliche Leben durchzuhelfen, und ich blieb zwei Jahr hindurch bei diesem Gewerbe, während welcher Zeit ich alle die verschiedenen Abwechselungen des Glücks erfuhr, zuweilen im blühenden Wohlstande und zuweilen gezwungen gegen fast unglaubliche Not und Mangel anzukämpfen. Heute wälzte ich mich im üppigsten Ueberfluß und morgen war ich bis zu der kümmerlichsten Hausmannskost heruntergebracht. Oft trug ich meine feinsten Kleider des Abends auf meinem Leibe, und des folgenden Morgens standen sie schon wieder bei einem Wucherer zum Pfande.

Eines Abends, als ich mit völlig ausgeleerten Taschen vom Spieltische wegging, bemerkte ich in der Gasse ein großes Getümmel und einen starken Haufen von zusammengelaufenen gemeinen Leuten. Da ich von keinem Taschendiebe was zu besorgen hatte, wagt' ich mich unter das Gedränge, wo ich nach eingezogener Erkundigung fand, daß ein Mann von Spitzbuben bestohlen und dabei sehr übel behandelt worden war. Der verwundete Mann vergoß viel Blut und schien kaum noch so viel Kräfte zu haben, sich auf den Füßen halten zu können. Da mich nun meine gegenwärtige Lebensart und mein schlechter Umgang noch nicht aller meiner Menschlichkeit beraubt, ob mir solche gleich wenige Ehre und Scham übrig gelassen hatten, so bot ich der unglücklichen Person auf der Stelle meinen Beistand an. Der Mann nahm mein Anerbieten mit Dankbarkeit an, überließ sich meiner Führung und bat, ich möchte ihn nach einem Gasthause führen, woselbst er einen Wundarzt rufen lassen könne, weil er, wie er sagte, durch den starken Blutverlust ganz schwach wäre. Er schien wirklich sehr froh darüber zu sein, daß er einen rechtlich gekleideten Mann gefunden hätte, denn was alle übrigen von den um ihn her Versammelten betraf, so war keiner drunter, dessen Aeußeres von der Beschaffenheit gewesen, daß er sich ihm mit irgend einiger Klugheit hätte anvertrauen können.

Ich nahm den unglücklichen Mann an den Arm und führte ihn nach dem Weinhause, wo wir unsre Zusammenkünfte hielten, weil es uns grade das nächste bei der Hand war. Ein Wundarzt, der sich zum Glück eben im Hause befand, kam also herbei und machte sich dran, ihm seine Wunden zu verbinden, welche, wie ich zu meinem Vergnügen hörte, nicht den Schein hatten, daß sie tödlich werden könnten.

Der Wundarzt, nachdem er sein Geschäft mit vieler Behendigkeit und Geschicklichkeit verrichtet hatte, begann sich zu erkundigen, in welchem Teile der Stadt der verwundete Mann wohne? Dieser antwortete, er wäre eben heute morgen zur Stadt gekommen; sein Reitpferd stände in einer Herberge in Biccadilly und er habe noch [125] kein ander Logis und auch wenige oder gar keine Bekanntschaft in der Stadt.

Dieser Wundarzt, dessen Namen ich vergessen habe, ob ich mich gleich noch erinnere, daß solcher sich mit einem R anfing, war einer der geschicktesten in seiner Profession und Leibchirurgus des Königs. Er hatte überdem viele andre gute Eigenschaften; er war ein sehr großmütiger, menschenfreundlicher Mann und immer bereit seinen Nebengeschöpfen alle möglichen Dienste zu leisten. Er bot seinem Patienten an, er möge sich seines Wagens bedienen, um sich nach seiner Herberge bringen zu lassen und flüsterte ihm zu gleicher Zeit ins Ohr, wofern er Geld bedürfe, könne er ihm damit aushelfen.

Der arme Mann befand sich jetzt nicht im Stande ihm für dieses großmütige Anerbieten zu danken, denn nachdem er eine Zeitlang seine Augen fest auf mich geheftet hatte, fiel er in seinen Stuhl zurück und rief aus: ›O mein Sohn, mein Sohn!‹ und sank darauf in Ohnmacht.

Einige von den gegenwärtigen Personen meinten, dieser Zufall wäre von dem häufigen Verlust des Blut entstanden, ich aber begann um diese Zeit mich der Gesichtszüge meines Vaters zu erinnern, und seine Ausrufungen bestärkten mich in meiner Vermutung und überzeugten mich, daß er es selbst sei, den ich da vor mir hatte. Ich rannte augenblicklich auf ihn zu, faßte ihn in meine Arme und küßte seine kalten Lippen mit der wärmsten Inbrunst. Hier muß ich einen Vorhang über einen Auftritt ziehen, den ich nicht beschreiben kann. Denn ob ich gleich nicht wie mein Vater auf eine Zeit lang meine ganze Besonnenheit verlor, so waren doch meine Sinne von Schrecken und Erstaunen dergestalt überwältigt, daß ich mich nicht erinnere was einige Minuten hindurch um mich her vorgegangen ist, und dieser Betäubung dauerte solange bis mein Vater sich von seiner Ohnmacht wieder erholt hatte und ich mich in seinen Armen befand, da wir uns denn beide ganz zärtlich umfaßt hielten, unterdessen daß über unser beider Wangen ein reichlicher Thränenstrom herabrollte.

Die meisten von den gegenwärtigen Personen schienen über diesen Auftritt gerührt zu sein, den wir, die man als die spielenden Personen betrachten konnte, den Augen aller Zuschauer so bald als möglich zu entziehen wünschten. Mein Vater nahm also das gütige Anerbieten des Wundarztes an und ließ sich in seinem Wagen nach seiner Herberge bringen, wohin ich ihn begleitete.

Als wir uns allein befanden, machte er mir darüber sanfte Vorwürfe, daß ich so lange Zeit versäumt hatte, ihm zu schreiben, erwähnte aber des Verbrechens mit keiner Silbe, welches hierzu die Veranlassung gegeben hatte. Er gab mir hierauf Nachricht von [126] dem Tode meiner Mutter und bestand darauf, daß ich mit ihm nach Hause kehren sollte, indem er sagte, er habe schon seit langer Zeit meinetwegen den größten Kummer erlitten, er wisse nicht, ob er meinen Tod mehr gefürchtet oder gewünscht habe, weil er in so mancher schrecklichen Besorgnis um mich gewesen sei. Endlich, sagte er, habe ihm ein benachbarter guter Freund, welcher eben einen Sohn von eben dem Ort nach Hause bekommen hätte, Nachricht gegeben, wo ich mich aufhielte, und die einzige Ursache seiner Reise nach London wäre gewesen, mich von dieser Lebensart zurückzubringen. Er dankte dem Himmel, daß es ihm insofern gelungen mich durch einen Zufall ausfindig zu machen, der ihm sehr leicht das Leben hätte kosten können, und daß er das Vergnügen habe, zu denken, er habe seine Erhaltung großenteils meiner menschenfreundlichen Denkart zu verdanken, die ihm, wie er beteuerte, mehr Freude machte, als er über meine kindliche Empfindung gehabt haben würde, wenn ich gewußt hätte, daß der Gegenstand aller meiner Sorgfalt mein eigner Vater wäre.

Das Laster hatte mein Herz noch nicht bis zu dem Grade verderbt, daß es gegen eine so große väterliche Liebe, ob sie gleich auf einen so Unwürdigen fiel, hätte unempfindlich sein sollen. Ich versprach alsobald seinem Befehle zu gehorchen und mit ihm heimzukehren, sobald er im stande sein würde zu reisen, und unter dem Beistande des vortrefflichen Wundarztes der seine Kur übernommen hatte, war er in wenig Tagen vermögend den Rückweg anzutreten.

Den Tag vor meines Vaters Abreise (bis dahin hatte ich ihn kaum einen Augenblick verlassen) ging ich hin, von einigen meiner genauesten Bekannten Abschied zu nehmen, besonders vom Herrn Watson, welcher mir abriet mich aus bloßer Gefälligkeit gegen die affenliebigen Wünsche eines grillenhaften alten Mannes (wie er's nannte) lebendig zu begraben. Dergleichen Zureden hatten unterdessen keine Wirkung und ich betrat von neuem meine väterliche Wohnung. Mein Vater fing an stark in mich zu dringen, ich möchte drauf denken mich zu verheiraten. Meine Neigungen aber waren allen dergleichen Gedanken völlig zuwider. Ich hatte bereits gekostet was Liebe sei, und vielleicht kennen auch Sie den unbändigen Flug dieser zärtlichsten und heftigsten aller Leidenschaften.« Hier hielt der Alte inne und sah dem Herrn Jones sehr ernsthaft ins Gesicht, dessen Wangen in der Zeit einer Minute die äußersten Schattierungen von rot sowohl als weiß darlegten, worauf der alte Mann ohne irgend weitere Anmerkungen seine Erzählung wieder anknüpfte.

Da ich nunmehr mit allen Bedürfnissen des Lebens versorgt war, nahm ich abermals mein Studieren wieder vor, und zwar mit mehr und heftigerem Fleiße als jemals vorher. Die Bücher, welche [127] jetzt allein meine ganze Zeit beschäftigten, waren diejenigen, welche sowohl unter den alten als neuern von der wahren Philosophie handeln, ein Wort, welches von vielen für einen Gegenstand des Lachens und Spottens gehalten wird. Ich las nun von neuem die Werke des Aristoteles und Plato, nebst den übrigen jener unerschöpflichen Schätze, welche die alten Griechen der Welt hinterlassen haben.

Diese Schriftsteller lehrten mich nun freilich keine Wissenschaft, vermittelst welcher die Menschen sich versprechen können, den geringsten Reichtum oder die mindeste weltliche Macht zu erwerben. Aber sie lehrten mich den höchsten Erwerb beider verachten. Sie erheben den Geist und stählen und härten ihn gegen die eigensinnigsten Behandlungen des Glücks; sie lehren nicht nur die Weisheit finden und kennen, sondern bestärken auch die Menschen in ihrer Ausübung und zeigen uns deutlich, daß sie unser Wegweiser sein müsse, wofern wir uns vorsetzen, jemals zum höchsten Gipfel zeitlicher Glückseligkeit zu gelangen, oder uns mit einiger zuverlässigen Sicherheit gegen das Elend zu verteidigen, welches uns von allen Seiten umringt und belagert.

»Zu diesem fügte ich noch ein anderes Studium, verglichen mit welchem alle Philosophie, welche uns selbst die weisesten Heiden gelehrt haben, wenig besser ist als ein Traum und in der That eben so leer und eitel, als es dem einfältigsten Possenreißer jemals in den Sinn gekommen sein mag, sie vorzustellen. Dies ist diejenige himmlische Weisheit, welche allein in den Büchern der heiligen Schrift zu finden ist: denn diese leitet uns in die zuverlässige Kenntnis solcher Dinge, die unsrer Aufmerksamkeit weit würdiger sind als alles, was diese Welt unsrem Wünschen und Verlangen darzubieten vermag: solcher Dinge, welche der Himmel selbst sich herabgelassen hat, uns zu offenbaren und zu deren mindester Kenntnis der höchste menschliche Witz ohne höhern Beistand sich nicht emporschwingen könnte. Ich begann nunmehr zu denken, daß alle Zeit, welche ich auf die besten heidnischen Schriftsteller verwendet hatte, nicht viel besser als reiner Verlust gewesen sei; denn so angenehm und ergötzend ihre Lehren sein, oder so anwendbar solche auf die beste Einrichtung unsrer Aufführung in Rücksicht auf diese Welt befunden werden mögen, so werden doch, wenn man sie mit den erhabenen Endzwecken der heiligen Offenbarung vergleicht, ihre höchsten Gründe der Weisheit ebenso unwichtig und unbedeutend erscheinen, als die Gesetze und Regeln, nach welchen Kinder ihre kleinen kindischen Spiele und Zeitvertreibe einrichten. Wahr ist's, daß die Philosophie uns zu weiseren, aber das Christentum zu bessern Menschen macht. Die Philosophie erhöht und stählt den [128] Geist, das Christentum aber macht ihn mild und sanft. Die erste macht uns zu Gegenständen der menschlichen Bewunderung, das letztere aber zu Gegenständen der Liebe Gottes. Jene versichert uns eine zeitliche, dieses aber eine ewige Glückseligkeit. – Aber ich besorge, meine Rhapsodie mache Ihnen Langeweile.«

»Ganz und gar nicht!« rief Rebhuhn; »'s wäre schlimm, wenn wir nicht wüßten, was es heißt:

Je besser Ding je mehr Weile!«

»Ich hatte,« fuhr der Fremde fort, »ungefähr vier Jahre auf die angenehmste Weise für mich selbst hingebracht, mich ganz allein mit mir selbst und meinem Nachdenken beschäftigt, ohne mich um irgend eine Sache in dieser Welt zu bekümmern, als ich den besten der Väter verlor, den ich so aufrichtig liebte, daß mein Gram über seinen Verlust sich auf keine Weise beschreiben läßt. Ich legte jetzt meine Bücher beiseite und überließ mich einen ganzen Monat den Ausbrüchen der Betrübnis und Verzweiflung. Die Zeit, als der beste Arzt der Seele, brachte mir indessen am Ende einige Erleichterung.« – »Ja, ja; tempus edax rerum!« sagte Rebhuhn. – »Ich beschäftigte mich also,« fuhr der Fremde fort, »von neuem mit meinem vormaligen Studieren, welches, wie ich sagen mag, meine Genesung völlig zustandebrachte: denn Philosophie und Religion können Uebungen der Seele genannt werden, und wenn diese kränklich ist, so sind ihr solche ebenso heilsam und gesund, als Uebungen und Bewegungen einem schwachen kränklichen Körper. Sie bringen wirklich ähnliche Wirkungen wie die körperlichen Bewegungen hervor: denn sie stärken und kräftigen die Seele, bis der Mensch so wird, wie Horaz sagt:


Fortis et in se ipso totus teres atque rotundus,
Externi ne quid valeat per leve morari:
In quem manca ruit semper fortuna.
Fest auf sich selbst, vollendet um und an,
Gewandt und ganz und sicher seiner Bahn,
Daß nichts ihn seitwärts je verweile, daß
Des Unglücks Anfall stets den kürzern zieh'.«

Hier lächelte Jones über einen Einfall, der sich vor seine Imagination drängte; der Fremde aber, glaub' ich, ward solches nicht gewahr und fuhr folgendergestalt fort:

»Meine Umstände waren nunmehr durch den Tod dieses besten unter den Menschen gar merklich verändert worden: denn mein Bruder, der jetzt zum Besitze des Hauses gelangt war, besaß eine solche Denkungsart und solche Neigungen, die von den meinigen ganz verschieden waren. Auch lagen die Zwecke und Beschäftigungen [129] unseres Lebens so weit auseinander, daß wir die schlimmste Gesellschaft zusammen ausmachten. Was uns aber unser geselliges Leben noch unangenehmer machte, war die wenige Eintracht, welche unter den wenigen, welche mich besuchten und unter dem zahlreichen Haufen von Weidmännern, welche meinen Bruder von der Jagd zu Tische begleiteten, obwalten konnte. Denn solche Menschen, nicht gerechnet den Lärm und Unsinn, womit sie die Ohren vernünftiger Menschen quälen, bestreben sich beständig, sie durch allerlei Beleidigungen ihre Verachtung fühlen zu lassen. Dies ging hier soweit, daß weder ich selbst noch meine Freunde uns jemals mit ihnen zu einer Mahlzeit niedersetzen konnten, ohne ihnen dadurch zu ihren Spöttereien zu dienen, daß wir in der weidgerechten Sprache unbewandert waren. Männer von wahrer Gelehrsamkeit und fast allgemeiner Wissenschaft haben allemal Mitleiden mit der Unwissenheit anderer: Leute hingegen, welche in einer geringfügigen, niedrigen, unbedeutenden Kunst ein wenig mehr wissen als andere, glauben gewiß allemal berechtigt zu sein, diejenigen zu verachten, welche in dieser Kunst unerfahren sind.

Kurz wir säumten nicht, uns zu trennen, und auf den Rat eines Arztes reiste ich nach Bath, um den Brunnen zu trinken, weil mein heftiger Gram und meine stillsitzende Lebensart mir eine Art von Gicht zugezogen hatten, gegen welche das Wasser zu Bath für ein fast unfehlbares Mittel geachtet wird. Den zweiten Tag nach meiner Ankunft, als ich an dem Bache spazieren ging, schien die Sonne so innig heiß (ob's gleich noch früh im Jahre war), daß ich den Schatten einiger Bäume suchte, worin ich mich am Ufer des Baches niedersetzte. Hier war ich noch nicht lange gesessen, als ich an der andern Seite der Weiden jemand seufzen und bittere Klagen ausstoßen hörte. Auf einmal rief er mit Vorausschickung eines höchst gotteslästerlichen Fluches: Nein, das will ich nicht länger tragen! und damit stürzte er sich plötzlich ins Wasser. Ich sprang augenblicklich auf, rannte nach dem Orte hin und rief zu gleicher Zeit so laut ich konnte um Hilfe. Glücklicherweise war etwas tiefer den Strom hinab ein Mann mit Angeln beschäftigt, ob ihn gleich einiges Gebüsch meinem Blicke verborgen hatte. Er kam augenblicklich heraus, und wir beide zogen mit vereinten Kräften, nicht ohne einige Lebensgefahr, den Leichnam ans Ufer. Anfangs merkten wir kein Zeichen des noch vorhandenen Lebens an ihm, als wir ihn aber bei den Füßen in die Höhe hoben (denn wir bekamen bald Beistand genug), gab er eine Menge Wasser durch den Mund von sich, und endlich entdeckten wir einige Anzeichen von Respiration und kurz darauf, daß er an Händen und Füßen noch einige Bewegungen äußerte.

[130] Ein Apotheker, der unter andern gegenwärtig war, gab den Rat, daß der Körper, der sich nun so ziemlich vom Wasser ausgeleert zu haben schien und hin und wieder in krampfartige Bewegungen geriet, gleich aufgenommen und in ein warmes Bett gebracht werden müsse. Dieser Rat ward befolgt und der Apotheker und ich blieben bei ihm.

Als wir nach dem Wirtshause zugingen (weil wir nicht wußten, wo der Mann wohnte), begegnete uns zum Glück eine Frau, welche uns nach einem heftigen Geschrei sagte, der Herr wohne in ihrem Hause.

Nachdem ich den Unglücklichen daselbst in Sicherheit gebracht gesehen hatte, überließ ich ihn der Sorge des Apothekers, welcher nach meiner Meinung die beste Methode mit ihm einschlug; denn ich hörte des nächsten Morgens, er sei völlig wieder zu Sinnen gebracht worden.

Ich ging darauf hin, ihn zu besuchen in der Absicht, so gut ich könnte, die Ursache zu erfahren, die ihm zu einer so verzweifelten Handlung Anlaß gegeben hätte, und so viel bei mir stünde zu verhindern, daß er solch einen gottvergessenen Vorsatz inskünftige nicht ausführen möchte. Ich war nicht sobald in sein Zimmer getreten, als wir uns augenblicklich einander erkannten: denn wer sollte diese Person anders sein, als mein alter Universitätskamerad, Herr Watson! Hier will ich Ihnen nicht mit der Erzählung desjenigen beschwerlich sein, was bei unsrer ersten Erkennung vorging, weil ich so viel als möglich gern alle Weitschweifigkeit vermindern möchte.« – »O lassen Sie uns doch alles hören!« rief Rebhuhn; »ich bin nicht wenig neugierig zu erfahren, was ihn nach Bath gebracht hat.«

»Sie sollen alles hören, was wesentlich ist,« antwortete der Fremde und fuhr darauf fort zu erzählen, was wir fortfahren wollen zu schreiben, wenn wir vorher einen kleinen Ruhepunkt gemacht haben, damit sowohl wir selbst als der Leser ein wenig Atem schöpfen können.

Vierzehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel.

Worin der Mann vom Berge seine Geschichte beschließt.


»Herr Watson,« fuhr der Fremde fort, »erzählte mir ohne Umstände, daß die unglückliche Lage seiner Finanzen, in die ihn eine Folge von widrigem Glück gebracht, ihn gewissermaßen zu dem Entschluß gezwungen habe, sich selbst das Leben zu nehmen.

Ich begann hierauf sehr ernsthaft seine heidnischen oder vielmehr höllischen Grundsätze über die Zulässigkeit des Selbstmords zu [131] bestreiten und sagte ihm alle Gründe, die mir über diese Sache beifallen wollten. Zu meinem großen Leidwesen aber schienen solche nur wenig auf ihn zu wirken. Er schien über das, was er gethan, nicht die geringste Reue zu empfinden und gab mir Ursache zu fürchten, daß er bald einen zweiten Versuch von dieser scheußlichen Gattung wagen würde.

Anstatt mir, nachdem ich meine Rede geendigt hatte, auf meine Gründe zu antworten, sah er mir steif ins Angesicht und sagte mit Lächeln:

Sie haben sich gewaltig verändert, mein lieber Freund, seitdem ich Sie das letzte Mal gesehen habe! Ich zweifle, ob irgend einer von unsern Bischöfen eine nachdrücklichere Rede gegen den Selbstmord halten könnte, als die, welche Sie mir zum besten gegeben haben. Wofern Sie indessen niemand finden können, der mir ein Sümmchen von hundert Pfund Sterling vorstreckt, muß ich entweder mich hängen oder ersäufen, oder auch Hungers sterben. Nach meiner Meinung aber ist die letzte Todesart die schrecklichste von allen dreien.

Ich antwortete ihm sehr ernsthaft: ich wäre wirklich sehr verändert, seitdem ich ihn zuletzt gesehen hätte. Ich hätte Zeit und Muse gefunden, meine Thorheiten einzusehen und sie zu bereuen. Ich gab ihm hierauf den Rat, in eben diese Fußstapfen zu treten; und beschloß endlich mit der Versicherung, daß ich selbst ihm einhundert Pfund leihen wolle, wenn seinen Umständen damit aufzuhelfen wäre, und er es nicht in die Gewalt der Würfel setzen wolle, ihn dieses Geldes wieder zu berauben.

Herr Watson, welcher bei dem ersten Teile meiner Rede fast in einen völligen Schlummer versenkt zu sein schien, ermunterte sich bei dem letzten. Mit vieler Lebhaftigkeit faßte er mich bei der Hand, sagte mir tausend Dank und beteuerte, ich sei doch noch ein Freund! Er fügte hinzu, er hoffe, ich habe eine bessere Meinung von ihm, um zu glauben, er sei durch seine Erfahrung so wenig weiser geworden, daß er noch das geringste Zutrauen auf die verdammten Würfel setzen könnte, die ihn schon so oft betrogen hätten. Nein, nein! rief er, laß mich nur erst einmal wieder in ordentliche Umstände kommen, und wenn dann das Glück mich jemals wieder dahin bringt, daß ich Bankrott spiele, so will ich es ihm mit keinem Wörtchen zur Last legen.

Ich verstand sein Rotwelsch von glücklichen Umständen und Bankrottspielen sehr gut. Ich sagte ihm deswegen mit einem sehr ernsthaften Gesicht: Herr Watson, Sie müssen sich bemühen, eine Lebensart oder ein Geschäft ausfindig zu machen, wodurch Sie sich einen ordentlichen Lebensunterhalt verschaffen können, und ich verspreche [132] Ihnen, könnte ich nur irgend eine Wahrscheinlichkeit ersehen, in der Folge der Zeit zu meiner Wiederbezahlung zu gelangen, ich wollte Ihnen eine weit größere Summe vorschießen, als diejenige ist, deren Sie erwähnt haben, um Sie zu irgend einem ehrlichen und anständigen Berufe auszurüsten. Was aber das Spiel anbelangt, nicht zu erwähnen daß es niederträchtig und schändlich ist daraus ein Gewerbe zu machen, so sind Sie wirklich, nach meiner eigenen Erfahrung und Ueberzeugung, dazu gar nicht gemacht und es kann nicht anders als zu Ihrem völligen Untergang ausschlagen.

Nun seh' mir einer, ob das nicht höchst wunderbar ist, antwortete er. Weder Sie noch sonst jemand von meinen übrigen Freunden haben mir jemals zugestehen wollen, daß ich in dieser Sache die gehörige Geschicklichkeit besitze, und dennoch glaub' ich, versteh' ich alle Spiele so gründlich, als nur einer von euch allen, und ich wollte herzlich wünschen, daß ich nur mit Ihnen um Ihr ganzes Vermögen spielen könnte! Im Ernst, ich wünschte mir keinen größern Spaß, und dabei wollt' ich Ihnen unter allen Spielen die Wahl lassen! Aber kommen Sie, mein teuerster Freund, haben Sie die hundert Pfund bei sich in der Tasche?

Ich antwortete, ich hätte bloß ein Papier auf fünfzig Pfund bei mir. Dies gab ich ihm und versprach, die übrigen fünfzig des nächsten Morgens zu bringen; und nachdem ich ihm noch einen und den andern guten Rat gegeben hatte, nahm ich meinen Abschied.

Ich hielt noch mehr als ich versprochen hatte; denn ich ging noch denselben Nachmittag wieder zu ihm. Als ich ins Zimmer trat, fand ich ihn im Bette aufsitzend und mit einem berüchtigten Spieler im Kartenspiel begriffen. Dieser Anblick, wie Sie sich leicht einbilden werden, verdroß mich nicht wenig; dazu kam noch der Aerger, zu sehen, daß er meinen Wechsel seinem Gegner aushändigte und dafür nur dreißig Pfund bezahlt erhielt.

Der andere Spieler verließ augenblicklich das Zimmer und darauf erklärte Herr Watson: er schäme sich, mir unter die Augen zu sehen. Aber, sagte er, ich sehe, das Glück ist mir so verdammt zuwider, daß ich den Entschluß fassen will, auf ewig allem Spiel zu entsagen. Ich habe den gütigen Vorschlägen, die Sie mir gethan haben, seitdem beständig nachgedacht, und ich verspreche Ihnen, die Schuld soll nicht an mir liegen, wenn ich sie nicht ins Werk setze.

Ob ich nun gleich eben keinen sonderlichen Glauben an sein Versprechen hatte, so gab ich ihm dennoch zufolge meines eignen Versprechens das übrige, um die hundert Pfund voll zu machen; worüber er mir eine Handschrift gab, welches alles war, was ich für mein Geld jemals wieder zu sehen erwartete.

[133] Wir wurden verhindert, für jetzt etwas weiter mit einander zu reden, weil der Apotheker hereinkam, welcher mit vieler Freude auf dem Gesichte und ohne sich einmal zu erkundigen, wie sich sein Patient befände, ausrief: es wären in einem Briefe an ihn wichtige Neuigkeiten angelangt, welche, wie er sagte, bald öffentlich bekannt werden würden, nämlich: Der Duke of Monmouth wäre in Westen mit einer großen Armee Holländer gelandet und eine andere große Flotte kreuzte an der Küste von Norfolk und würde daselbst eine Landung thun, um durch eine Diversion von der Seite das Unternehmen des Dukes zu begünstigen.

Dieser Apotheker war einer der größten politischen Kannengießer seiner Zeit, denn die nichtsbedeutendste neue Zeitung machte ihm mehr Freude, als der beste Kunde; und das größte Entzücken, dessen er fähig war, genoß er, wenn er eine Nachricht eine oder ein paar Stunden früher erfahren konnte, als irgend jemand in der Stadt. Seine Neuigkeiten waren indessen selten zuverlässig, weil er alles, was man ihm aufhängte, als eine ausgemachte Wahrheit verschlang; und dieser Glaubensfähigkeit bediente sich denn mancher, um ihm allerlei Dinge auf den Aermel zu heften.

Dies war denn auch der Fall mit der Neuigkeit, die er jetzt ausbrachte. Denn sehr bald hernach ward es bekannt, daß der Duke allerdings gelandet war, daß aber seine Armee bloß in einigen Begleitern bestand; und was die Diversion in Norfolk betraf, so war daran kein Wort wahr.

Der Apotheker hielt sich nicht länger im Zimmer auf, als nötig war, uns mit seiner Neuigkeit bekannt zu machen; und dann, ohne seinem Patienten nur weiter ein Wort, es sei worüber es wolle, zu sagen, eilte er fort, um seine neue Zeitung über die ganze Stadt zu verbreiten.

Begebenheiten von dieser Art pflegen im Publikum alle Privatangelegenheiten zu verdunkeln und zu verdrängen. Sonach wurde unser Gespräch völlig politisch. Was mich selbst anbetraf, so war mir schon seit einiger Zeit die Gefahr sehr ernstlich und nahe zu Herzen gegangen, welcher die protestantische Religion unter einem römisch-katholischen Prinzen so sichtbarlich ausgesetzt war; denn es läßt sich gegen den Verfolgungsgeist des Katholizismus, wenn er mit der Gewalt bewaffnet ist, keine andre wahre Sicherheit ausfindig machen, als daß man ihm diese Macht benehme, wie die betrübte Erfahrung sehr bald lehrt. Sie wissen, wie sich der König Jakob benahm, nachdem er diesen Versuch vereitelt hatte; wie sehr wenig er sein königliches Wort, den Krönungseid, oder die Rechte und Freiheiten seines Volkes achtete. Aber nicht alle hatten die Klugheit, dies gleich anfangs vorauszusehen, und deshalb fand [134] der Duke of Monmouth nur sehr schwache Unterstützung; aber alle konnten es fühlen, als das Uebel über sie daherzog; und deswegen vereinten sich endlich alle, den König zu vertreiben, gegen dessen Ausschließung vom Throne eine große Partei unter uns während der Regierung seines Bruders so heftig im Parlament gestritten hatte, und für welchen sie jetzt mit solchem Eifer und so großer Anhänglichkeit fochten.«

»Was Sie da sagen,« unterbrach ihn Jones, »ist sehr wahr; und es ist mir oft als eine der wunderbarsten Sachen, die ich jemals in der Geschichte gelesen habe, aufgefallen, daß so kurz und bald nach dieser überzeugungsvollen Erfahrung, welche unsre ganze Nation dahin brachte, über die Vertreibung des Königs Jakob, als ein Bewahrungsmittel unsrer Religion und Freiheit, so einstimmig zu denken, sich wieder eine Partei unter uns finden könne, die rasend genug ist, zu wünschen, daß seine Familie wieder auf den Thron gelangen möchte.«

»Es ist nicht Ihr Ernst,« antwortete der alte Mann; »eine solche Partei kann es unmöglich geben. Eine so schlechte Meinung ich auch von dem Menschen habe, kann ich doch nicht glauben, daß er bis auf einen solchen Grad verblendet sein könne! Es mag hie und da einen Hitzkopf von Papisten geben, der sich von seinem Pfaffen verleiten läßt, an dem schändlichen Aufruhr teilzunehmen und es für einen heiligen Krieg zu halten: daß aber Protestanten, daß Mitglieder der englischen Kirche solche Apostaten, solche Feinde ihres eignen Wohls sein sollten, das kann ich nicht glauben. Nein, nein! mein junger Herr; so unbekannt ich mit allem bin, was seit den letzten dreißig Jahren in der Welt vorgegangen ist; so bin ich doch nicht leichtgläubig genug, mir ein so ungereimtes Histörchen weismachen zu lassen; aber ich sehe, Sie wollen sich mit meiner Unwissenheit einen Scherz machen.« – »Ist es möglich,« erwiderte Jones, »daß Sie so völlig von der Welt abgesondert leben, nicht einmal zu wissen, daß während der Zeit zwei Rebellionen zu Gunsten des Sohnes des Königs Jakob entstanden sind, davon die eine grade diesen Augenblick mitten im Herzen dieser Königreiche wütet?« – Bei diesen Worten sprang der alte Herr von seinem Stuhle auf und beschwor Herrn Jones mit einem höchst feierlichen Tone der Stimme bei seinem Herrn und Schöpfer, ihm zu sagen: ob das, was er von ihm gehört habe, wirklich wahr sei? Als dieser solches eben so feierlich beteuert hatte, ging der alte Mann verschiedenemal im tiefsten Stillschweigen das Zimmer auf und nieder; dann begann er zu weinen, dann zu lachen, und endlich fiel er nieder auf seine Kniee und pries Gott in einem lauten Dankgebet, daß er ihn von allem geselligen Umgang mit dem menschlichen Geschlecht erlöst habe, [135] das solcher ungeheuern Ausschweifungen fähig sein könnte. Worauf, nachdem ihn Jones erinnert, daß er seine Geschichte abgebrochen hätte, er solche folgendergestalt wieder anhob:

»Da die Menschen zu den Zeiten, von welchen ich sprach, noch nicht bis zu der Staffel von Raserei gelangt waren, auf welcher sie sich jetzt befinden, wie ich sehe, und welcher auch ich freilich nur dadurch entronnen bin, daß ich in der Einsamkeit und weiten Entfernung von der ansteckenden Seuche gelebt habe: so erhob sich ein sehr beträchtlicher Aufstand zur Unterstützung des Duke of Monmouth. Und da meine Grundsätze auch mich sehr stark auf diese Seite zogen, so faßte ich den Entschluß, mich zu seinem Heer zu begeben; und da der Herr Watson aus andern Ursachen in diesen Entschluß einstimmte, (denn der Trieb zum Spiele wird bei solchen Gelegenheiten über einen Mann ebensoviel vermögen, als der Trieb eines Patrioten), so machten wir bald Anstalt, uns mit allem Benötigten zu versehen und begaben uns zu dem Haufen unter dem Duke zu Bridgewater. Mit dem unglücklichen Ausgange dieser Unternehmung sind Sie, denk' ich, ebenso bekannt wie ich selbst. Ich entkam mit Herrn Watson aus der Schlacht bei Sedgemore, nachdem ich in diesem Treffen eine leichte Wunde bekommen hatte. Wir ritten zusammen wohl sechzehn Stunden Weges auf der Exeter Heerstraße. Alsdann verließen wir unsre Pferde, schlichen uns so gut wir konnten durch die Felder und Nebenwege, bis wir bei einer kleinen wilden Hütte an einem Viehanger anlangten, woselbst eine arme alte Frau so viel Sorge für uns trug, als sie nur konnte, und meine Wunde mit einer Salbe verband, wodurch sie sehr bald geheilt wurde.«

»O lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »wohin bekamen Sie die Wunde?« – Der Fremde befriedigte ihn, indem er sagte: »In den Arm!« und fuhr drauf in seiner Erzählung fort: »Hier, meine Herrn,« sagte er, »verließ mich Herr Watson des nächsten Morgens, um, wie er vorgab, aus der Stadt Cullumpton einige Lebensmittel für uns zu holen; aber – kann ich's erzählen? und werden Sie es glauben können? – Dieser Herr Watson, dieser Freund, dieser niedrige, barbarische, verräterische Schurke, verriet mich an einen Trupp Reiter von dem Heere des Königs Jakob und überlieferte mich bei seiner Zurückkunft ihren Händen.

Diese Reiter, ihrer sechse an der Zahl, hatten sich nun meiner bemächtigt und führten mich nach dem Gefängnis zu Taunton. Aber weder meine gegenwärtige Lage, noch die Furcht vor dem, was mir widerfahren würde, waren meiner Seele nur halb so unerträglich, als die Gesellschaft meines falschen Freundes, welcher, da er sich ebenfalls ergeben hatte, als ein Gefangener angesehen, aber besser behandelt wurde, weil er seinen Pardon auf meine Kosten [136] bewirken sollte. Anfangs bemühte er sich, seine Verräterei gegen mich zu entschuldigen; da er aber von mir nichts anderes als Verachtung und Vorwürfe erhielt, veränderte er bald den Ton, schalt mich den hämischsten, tückischsten Rebellen und setzte sein ganzes Verbrechen auf meine Rechnung; beteuerte, ich habe ihn verführt, sogar durch Drohungen dahin gebracht, die Waffen gegen seinen allergnädigsten, ja allerrechtmäßigsten Souverän zu ergreifen.

Diese falsche Anklage (denn in der That war er der bereitwilligste von uns beiden gewesen) durchbohrte mir das Herz und erregte einen solchen Zorn in mir, den sich schwerlich jemand vorstellen kann, der ihn nicht selbst gefühlt hat. Unterdessen hatte endlich das Glück Mitleiden mit mir; denn als wir eine kleine Strecke jenseits Wellington in einen engen hohlen Weg gelangt waren, erhielten meine Wächter eine falsche Nachricht, daß ungefähr fünfzig Mann von dem Feinde sich in der Nähe befänden; worauf sie auf ihr eignes Heil bedacht waren und mir und meinem Verräter überließen, dasselbe zu thun. Der Nichtswürdige rannte von mir weg, und noch ist mir's leid, daß er's that; denn sonst hätt' ich gewiß getrachtet, ob ich gleich keine Waffen hatte, für seine Niederträchtigkeit tötliche Rache zu nehmen.

Ich war nun abermals in Freiheit. Ich verließ augenblicklich die Heerstraße, wandte mich auf die Felder, ging immer fort und wußte kaum, welchen Weg ich ging. Meine vornehmste Sorge war, alle öffentlichen Wege, alle Städte und Flecken, ja selbst die schlechtesten Bauernhäuser zu vermeiden; denn ich bildete mir ein, jedes menschliche Geschöpf, das ich sah, ginge darauf aus, mich zu verraten.

Zuletzt, nachdem ich verschiedene Tage im Lande herumgeirrt war, während welcher Zeit das offene Feld mir einerlei Bett und einerlei Nahrung mit derjenigen reichte, welche die Natur unsern wilden Brüdern der Schöpfung beschert, langte ich endlich an diesem Orte an, wo mich die Einsamkeit und Wildnis der Gegend einlud, meine Wohnung aufzuschlagen. Die erste Person, bei der ich meine Wohnung nahm, war die Mutter dieser alten Frau, bei der ich mich so lange verborgen hielt, bis die Zeitung von der glückseligen Thronveränderung aller meiner Furcht vor Gefahr ein Ende machte und mir Gelegenheit gab, noch einmal meine väterliche Wohnung zu besuchen und von dem Zustande meiner Sachen einige Erkundigung einzuziehen. Ich brachte solche sehr bald, sowohl zum Vergnügen meines Bruders als zu meinem eignen, in Ordnung, indem ich auf alles und jedes gegen eine Auszahlung von tausend Pfund Sterling und eine jährliche kleine Leibrente meinen Ansprüchen entsagte.

[137] Sein Betragen bei dieser Gelegenheit war, wie bei allen andern, eigennützig und ungroßmütig. Ich konnte ihn nicht als meinen Freund betrachten, und wirklich war das auch nicht sein Wunsch. Somit nahm ich kurz drauf sowohl von ihm als von allen meinen übrigen Bekannten Abschied; und von dem Tage an bis auf den heutigen ist meine Geschichte nicht viel mehr als ein leeres Blatt.«

»Und ist es möglich, mein Herr,« sagte Jones, »daß Sie von der Zeit an bis auf den heutigen Tag hier gewohnt haben können?« – »Das nicht, mein Herr,« antwortete der Fremde. »Ich bin weit und breit gereist und es gibt wenige Teile von Europa, die ich nicht kennen gelernt hätte.« – »Mein Herr,« sagte Jones, »ich bin nicht so unbescheiden, es jetzt von Ihnen zu begehren; es wäre wirklich grausam nach den vielen Beschwerden, die ich Ihnen schon verursacht habe. – Aber Sie werden mir gütigst erlauben, daß ich mir in der Zukunft eine andre Gelegenheit wünsche, die vortrefflichen Bemerkungen zu hören, welche ein Mann von Ihrem Verstande und Ihrer Weltkenntnis auf so vielen und langen Reisen gemacht haben muß.« – »In der That, mein lieber junger Freund,« antwortete der Fremde, »ich will gerne suchen, auch über diesen Punkt, so weit ich dazu im stande bin, Ihre Neugierde zu befriedigen.« – Jones brachte neue Entschuldigungen vor, welche der Alte unterbrach; und unterdessen, daß Jones und Rebhuhn mit begierigen und ungeduldigen Ohren dasaßen, fuhr der Fremde fort und erzählte, wie im nächsten Kapitel folgt.

Fünfzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.

Eine kurze Historie von Europa, und ein merkwürdiges Gespräch zwischen Herrn Jones und dem Manne vom Berge.


»In Italien sind die Gastwirte sehr eigensinnig. In Frankreich sind sie gesprächiger, aber dennoch höflich. In Deutschland und Holland sind sie gemeiniglich neugierig, zudringlich und grob, und was ihre Ehrlichkeit anbelangt, so glaub' ich, sind sie sich in allen diesen Ländern so ziemlich ähnlich. Die Mietlakaien sind sehr auf ihrer Hut, keine Gelegenheit zu verlieren, wo sie den Fremden prellen können; in Ansehung der Postillone bin ich der Meinung, daß sie durch die ganze Welt von einem Schlage sind. Dies, mein Herr, sind die Bemerkungen, welche ich auf meinen Reisen über die Menschen gemacht habe. Denn mit andern Menschen habe ich niemals Umgang haben wollen. Mein Vorsatz, als ich außer Lands ging, war, mich über der unendlichen Mannigfaltigkeit von Prospekten, Tieren, [138] Vögeln, Fischen, Insekten und Pflanzen zu zerstreuen und zu vergnügen, womit es Gott gefallen hat, die verschiedenen Teile dieses Erdballs zu bereichern. Eine Mannigfaltigkeit, welche, indem sie dem nachsinnenden Beobachter ein inniges Vergnügen gewährt, auch zugleich die Macht, die Weisheit und Güte des Schöpfers auf eine bewundernswürdige Weise verkündigt. Die Wahrheit zu sagen, gibt es in seiner ganzen Schöpfung nur ein einziges Gemächte, das nicht zu seinem Preise gereicht, und mit diesem hab' ich schon längst vermieden, nur irgend etwas zu schaffen zu haben.« – »Sie werden mir verzeihen,« rief Jones. »Ich bin aber beständig der Meinung gewesen, daß gerade in diesem Gemächte, dessen Sie erwähnen, eine ebenso große Mannigfaltigkeit herrsche, als in allen übrigen. Denn nicht zu gedenken der großen Verschiedenheit der Gemütsarten, so haben, wie man mir gesagt hat, Klima und Gewohnheiten eine unendliche Verschiedenheit in der menschlichen Natur hervorgebracht.« – »In der That, eine sehr geringe!« antwortete der andre. »Wer deswegen reist, um sich mit den verschiedenen Sitten der Menschen bekannt zu machen, könnte sich viele Mühe ersparen, wenn er nach Venedig aufs Karneval ginge. Dort kann er auf einmal alles sehen, was er sonst an den verschiedenen europäischen Höfen zu entdecken sucht. Eben dieselbige Verstellungskunst, eben dieselbige Falschheit, kurz, eben dieselbigen Thorheiten und Laster, nur in verschiedene Formen gekleidet. In Spanien geht man mit großer Ernsthaftigkeit und in Italien mit vielem Glanze vermummt. In Frankreich geht der listige Gauner gekleidet wie ein Stutzer, und in den nordischen Ländern wie ein ungekämmter Lümmel. Die menschliche Natur aber ist überall und allenthalben ebendieselbe, überall und allenthalben ein würdiger Gegenstand des Abscheus und der Verachtung.

Ich meinesteils ging durch alle diese Nationen, wie Sie vielleicht durch einen gedrängten Haufen bei einem öffentlichen Spektakel gegangen sind. Ich schob mich mit beiden Ellbogen hindurch, hielt mit einer Hand meine Nase zu und verteidigte mit der andern meine Taschen, ohne weder links noch rechts mit jemand ein Wort zu sprechen, derweil ich mich durchdrängte, um zu sehen, was ich sehen wollte. Welches dann, so angenehm es auch an und für sich selbst sein mochte, mir dennoch kaum die Beschwerden belohnte, die mir die Gesellschaft verursachte.«

»Fanden Sie denn unter den Nationen, unter welchen Sie reisten, keine, die Ihnen weniger beschwerlich war, als die übrigen?« fragte Jones. – »Allerdings,« versetzte der alte Mann. »Die Türken waren mir weit erträglicher als die Christen. Denn das sind Menschen vom tiefsten Stillschweigen und belästigen keinen Fremden mit ihren Fragen. Von Zeit zu Zeit werfen sie ihm einen kurzen Fluch an [139] den Hals, oder spucken ihm ins Gesicht, wenn er durch die Gassen geht; aber damit lassen sie's dann auch gut sein, und man kann ein Jahrhundert in ihrem Lande leben, ohne ein Dutzend Worte von ihnen zu hören. Aber von allen Völkern, die ich jemals gesehen habe, bewahre mich Gott vor den Franzmännern! Mit ihrem verdammten Geschnatter und mit ihren Höflichkeiten und ihrem Faire l'honneur de la nation envers les Etrangers (wie sie's zu nennen belieben, in der That aber mit ihrer eignen lieben Eitelkeit zu prahlen) sind sie so lästig, daß ich tausendmal lieber mein ganzes Leben unter den Hottentotten zubringen, als wieder einen Fuß nach Paris setzen möchte. Ein unsauberes Volk sind die Hottentotten, wahr, aber ihre Unsauberkeit ist meistens nur äußerlich. In Frankreich hingegen und bei einigen andern Nationen, die ich nicht nennen will, steckt der Unflat innerlich und macht sie meiner Vernunft weit stinkender, als der Unflat der Hottentotten sie meiner Nase macht.«

»Hiermit, mein Herr, habe ich die Geschichte meines Lebens zu Ende gebracht, denn alle die übrigen Jahre, welche ich hier in der Einsamkeit gelebt habe, enthalten gar keine Veränderung, womit ich Sie unterhalten könnte, und in gewissem Betracht machen solche nur einen einzigen Tag aus. Ich habe so vollkommen abgesondert von der Welt gelebt, daß ich schwerlich in den Thebaischen Wüsten einer unumschränkteren Einsamkeit hätte genießen können, als hier, mitten in diesem volkreichen Lande. Da ich keine Landgüter besitze, so plagt mich kein Pächter und kein Verwalter; meine Leibrente wird mir ziem lich pünktlich ausbezahlt, wie ich's freilich mit Billigkeit erwarten kann, weil sie gegen das gerechnet, worauf ich Verzicht gethan habe, allerdings nur klein ist. Besuche nehm' ich nicht an, und die alte Frau, welche mein Haus in Ordnung hält, weiß, daß ihre Stelle platterdings davon abhängt, daß sie mir die Mühe erspart, alle Dinge einzukaufen, welche mir nötig sind, daß sie mich mit keinen Haushaltungsgeschäften behellige und ihre Zunge still halte, wenn ich ihr so nahe bin, daß ich sie hören könnte. Da ich niemals anders als zur Nachtzeit spazieren gehe, so bin ich in dieser wilden, unwirtbaren Gegend so ziemlich dagegen gesichert, Gesellschaft anzutreffen. Zufälligerweise bin ich einigen wenigen Personen begegnet und habe sie herzlich erschrocken nach Hause geschickt, weil sie mich wegen meiner sonderbaren Gestalt und Kleidung für ein Gespenst oder einen Kobold hielten. Jedoch der Zufall dieser Nacht beweist, daß ich auch nicht einmal hier vor der Bosheit der Menschen sicher sein kann. Denn ohne Ihren Beistand hätten sie mich nicht nur bestohlen, sondern höchst wahrscheinlicherweise auch ermordet.«

Jones dankte dem Fremden für die Mühe, die er sich genommen [140] hatte, ihm seine Geschichte zu erzählen, und bezeigte darauf einige Verwunderung, wie er's in einem solchen Einsiedlerleben solange hätte aushalten können. »Sie haben wohl recht,« sagte er, »dabei über den Mangel an Abwechslung zu klagen. Ich kann wirklich nicht begreifen, womit Sie einen so großen Teil Ihrer Zeit haben ausfüllen oder vielmehr töten können.«

»Es wundert mich ganz und gar nicht,« antwortete der andre, »daß jemand, dessen Neigungen und Gedanken an der Welt hängen, nicht begreifen kann, womit ich an diesem Orte mich in so viel müßigen Stunden beschäftigt habe. Es gibt aber ein einziges Geschäft, für welches das ganze Leben eines Menschen unendlich zu kurz ist. Welche Zeit könnte wohl hinreichen für die Betrachtung und Verehrung des erhabensten, unsterblichen und ewigen Wesens, unter dessen Werken in seiner unermeßlichen Schöpfung nicht nur dieser Erdball, sondern selbst jene unzähligen strahlenden Lichtkörper, womit wir den weit ausgedehnten Himmel besät sehen, obgleich die meisten von ihnen Sonnen sein mögen, welche ebensoviele Weltsysteme erleuchten und erwärmen, dennoch vielleicht mit dem Ganzen verglichen nichts mehr sein dürften als etwa einige Atome, verglichen mit der ganzen Erde, welche wir bewohnen? Kann ein Mensch, welcher durch göttliche Betrachtung gleichsam zum vertrauten Umgange dieser allumfassenden, unbegreiflichen Majestät zugelassen wird, Tage oder Jahre oder Jahrhunderte für die Dauer einer so entzückenden Ehre für zu lang halten? Sollten die leeren Zeitvertreibe, die übersättigenden Vergnügungen, die ermüdenden Geschäfte der Welt uns unsre Stunden zu schnell entrücken, und soll der Gang der Zeit einem Geiste gelähmt scheinen, der in so hohen, so wichtigen und so seligen Betrachtungen geübt ist? So wie keine Zeit hinreicht, so ist auch kein Ort unschicklich für diese erhabene Beschäftigung. Auf welchen Gegenstand könnten wir wohl unsre Augen werfen, der nicht geschickt wäre, uns mit Gedanken an seine Macht, an seine Weisheit und an seine ewige Liebe zu erfüllen? Es bedarf's nicht, daß die aufgehende Sonne ihre blendenden Strahlen über den östlichen Horizont verbreite, noch daß die tobenden Winde aus ihren Höhlen hervorstürmen, um die Bäume des hohen Waldes zu beugen, noch daß die regenschwangern Wolken zerreißen, um Ebenen und Thäler zu überschwemmen; es bedarf's nicht, sag' ich, daß diese größeren Naturerscheinungen die Herrlichkeit seiner Majestät verkündigen, kein Gewürm, kein Hälmchen Gras, so niedrig und unbemerkt es in der Schöpfung sei, das nicht mit Mal und Zeichen seines großen Schöpfers beehrt wäre, nicht nur mit Mal und Zeichen seiner Macht, sondern auch seiner Weisheit und ewigen Güte. Nur der Mensch, der König dieses Erdballs, das letzte und größte Werk [141] des allerschaffenden Wesens unter der Sonne, nur der Mensch hat niedrigerweise seine eigne Natur entehrt, und durch Falschheit, Grausamkeit, Undank und Verräterei die Güte seines Schöpfers zweifelhaft gemacht, indem durch ihn es fast zu einem Rätsel geworden, wie ein so allwohlthuendes Wesen ein so thörichtes, verworfenes Tier habe erschaffen können. Und doch ist dies das Geschöpf, von dessen Umgang ich, wenn ich Ihre Meinung recht verstehe, unglücklicherweise soll getrennt worden sein, und ohne dessen beseligende Gesellschaft nach Ihren Gedanken das Leben langweilig und freudenleer sein soll.«

»Ich bin mit dem ersten Teile von dem, was Sie gesagt haben,« erwiderte Jones, »völlig und von Herzen einverstanden. Ich glaube aber sowohl als ich's hoffe, daß der Abscheu, welchen Sie am Schlusse gegen das menschliche Geschlecht äußern, viel zu allgemein sei. Wirklich, Sie fallen hier in einen Irrtum, welcher, wie ich bei meiner wenigen Erfahrung bemerkt habe, sehr gewöhnlich ist, daß Sie den Charakter der Menschheit nach den schlechtesten und schlimmsten einzelnen Menschen zeichnen, da doch, nach der Bemerkung eines vortrefflichen Schriftstellers, eigentlich von einer ganzen Gattung nichts für charakteristisch gehalten werden sollte, als man an den besten und vollkommensten Individuen dieser Gattung findet. Dieser Irrtum, glaub' ich, wird gewöhnlich von denjenigen begangen, welche aus Mangel an gehöriger Vorsicht in der Wahl ihrer Freunde und Bekannten von schlechten und unwürdigen Menschen betrogen und hintergangen worden sind, und zwei oder drei solcher Beispiele werden dann sehr ungerechterweise der ganzen menschlichen Natur zur Last gelegt.«

»Ich sollte denken,« antwortete der andre, »ich hätte der Erfahrungen genug und satt gehabt. Meine erste Geliebte und mein erster Freund betrogen mich auf die schändlichste Weise, und zwar bei Gelegenheiten, wo es mir die ärgsten Folgen, ja selbst einen schimpflichen Tod hätte zuziehen können.«

»Dennoch werden Sie mir verzeihen,« rief Jones, »wenn ich Sie zu überlegen bitte, was für eine Geliebte und was für ein Freund das waren! Was ließ sich, mein lieber Herr, von einer Liebe erwarten, die sich auf einer Streu, oder von einer Freundschaft, die sich bei einem Würfeltische entspann und ernährte? Auf das ganze weibliche Geschlecht aus dem ersten, oder auf das männliche aus dem letztern schließen, wäre ebenso ungerecht, als wenn man behaupten wollte, die Luft sei ein ekelhaftes und ungesundes Element, weil wir sie in faulen Sümpfen von dieser Beschaffenheit finden. Ich habe nur eine kurze Zeit in der Welt gelebt, und doch habe ich Männer gefunden, welche der höchsten Freundschaft, [142] und Frauenzimmer, welche der höchsten Liebe würdig und fähig waren.«

»Ach, edler Jüngling,« antwortete der Fremde, »Sie haben, wie Sie selbst gestehen, nur eine sehr kurze Zeit in der Welt gelebt! Ich war schon etwas älter als Sie, da ich noch eben der Meinung war.«

»Und Sie hätten bis jetzt darin verharren können,« versetzte Jones, »wären Sie nicht unglücklich, ja, ich wag' es zu sagen, unvorsichtig darin gewesen, wem Sie Ihre Neigung und Freundschaft schenkten. Wäre auch wirklich noch weit mehr Bosheit in der Welt als nicht darin ist, so würde es doch für eine so allgemeine Behauptung gegen die menschliche Natur noch nichts beweisen, weil dergleichen oft durch bloßen Zufall geschehen kann, und weil mancher Mensch, der eine Uebelthat begeht, darum noch nicht von Grund aus bös und verderbt ist. Wahrlich, mich deucht, niemand sei berechtigt, von der menschlichen Natur zu behaupten, sie sei durchgängig und unbedingterweise verderbt, als nur derjenige, dessen eignes Herz ihm einen Beweis von diesem natürlichen Verderben gibt, und ich bin überzeugt, daß dies Ihr Fall nicht ist.«

»Und eben diese werden sich wohl hüten, jemals etwas dergleichen zu behaupten. Schelme werden sich ebensowenig bemühen, uns von der Verderbtheit des menschlichen Geschlechts zu unterrichten, als uns ein Straßenräuber Nachricht geben wird, daß die Heerwege vor Dieben nicht sicher sind. Denn dies wäre ja gerade das Mittel, ihrem eignen Endzwecke entgegenzuarbeiten und uns aufmerksam und vorsichtig zu machen. Das ist die Ursache, warum Schelme und Betrüger, wie ich mich noch aus vorigen Zeiten erinnere, zwar sehr geneigt sind, einzelnen Menschen viel Böses nachzusagen, gegen die menschliche Natur überhaupt aber niemals etwas einzuwenden haben.«

Der alte Herr sagte dies mit so vieler Wärme, daß Jones, welcher nicht hoffen konnte, ihn zu bekehren und ihn auch nicht gerne beleidigen wollte, ihm nichts darauf antwortete.

Der Tag begann nunmehr seine ersten Lichtströme auszugießen, als Jones sich bei dem Fremden entschuldigte, daß er so lang geblieben wäre und ihn dadurch vielleicht von seiner Ruhe abgehalten hätte. Der Fremde antwortete, er habe der Ruhe niemals weniger bedurft als jetzt; Tag oder Nacht sei ihm ziemlich gleichgültig für seinen Schlaf, und gemeiniglich sei der erste für seine Ruhe und die letzte für seine Spaziergänge und seine Geistesbeschäftigungen bestimmt. »Unterdessen,« sagte er, »ist es heute ein sehr liebreicher Morgen, und wenn Sie selbst noch etwas länger des Schlafs und der Nahrung entbehren können, so möchte ich Sie gerne mit dem [143] Anblick einiger sehr schönen Prospekte unterhalten, welche Sie, wie ich glaube, noch nicht gesehen haben.«

Jones nahm dieses Anerbieten mit vielen Freuden an, und beide gingen darauf sofort von der Hütte hinweg. Rebhuhn war den Augenblick, da der Fremde seine Geschichte geendigt hatte, in einen tiefen Schlummer verfallen; denn seine Neugier war befriedigt, und die folgende Unterredung war für ihn nicht wichtig genug, um durch ihre Wirkung den mächtigen Zauber des Schlafs zu überwältigen. Jones ließ ihm also die Freiheit, auf seinem Stuhle fortzunicken; und da vielleicht zu dieser Frist dem Leser eben diese Freiheit willkommen sein möchte, so wollen wir hier dem achten Buche unserer Geschichte ein Ende machen.

Neuntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Von denen, welche mit Fug und Recht solche Geschichten wie diese schreiben können, und von denen, welchen es nicht geziemt.


Unter andern guten Endzwecken, wozu ich diese verschiedenen Einleitungskapitel einzuführen für schicklich erachtet, habe ich solche als eine Art von Marke oder Stempel betrachtet, die inskünftige selbst einen ziemlich unerfahrenen Leser instandsetzen können, mit Zuverlässigkeit zu unterscheiden, was in dieser Art von historischen Schriften echte und wahre Arbeit, oder was Sudelei ist und nachgemachtes Pfuscherwerk. In der That hat es das Ansehn, daß in kurzem solche Markstempel höchst nötig werden dürften, weil die günstige Aufnahme, welche zwei oder drei Schriftsteller jüngsthin ihren Werken von dieser Gattung beim Publikum zu gewinnen gewußt haben, vermutlich viele andre aufmuntern wird, sich mit eben dergleichen Arbeiten zu befassen. Daher denn ein großer Schwarm von abgeschmackten Geschichten und ungeheuern Romanen in die Welt gesetzt werden dürfte, wodurch teils die Buchhändler in Armut geraten, teils die Leser einen großen Verlust an Zeit und Sitten werden erleiden müssen. Ja, wodurch oft Aergernis und Verleumdung, zum großen Nachteil des guten Namens mancher redlichen und würdigen Leute, in der Welt verbreitet werden wird.

Nach meiner Ueberzeugung war die Hauptursache, warum der gelehrte Verfasser des Zuschauers jedem seiner Blätter ein griechisches [144] oder lateinisches Motto vorsetzte, solchen Skriblern das Nachahmen zu erschweren, welche, obwohl sie kein ander Talent zur Schriftstellerei haben, als was sie von ihren Schreibmeistern gelernt, dennoch sich ebensowenig schämen und scheuen, sich mit den größten Genies einerlei Rechte und Freiheiten anzumaßen, als ihr teurer Bruder in der Fabel in der Löwenhaut, mit seiner angebornen Stimme zu schreien.

Vermittelst der Erfindung, seinen Blättern ein Motto vorzusetzen, machte er es also einem jeden Manne unthunlich, auf die Keckheit zu verfallen, seine Blätter nachzuahmen, der nicht wenigstens eine Sentenz in den gelehrten Sprachen verstand. Auf eben diese Art nun habe ich mich vor der Nachahmungssucht solcher Leute in Sicherheit gesetzt, welche alles Nachdenkens und Ueberlegens völlig unfähig sind, und deren ganze Gelehrsamkeit kein erträgliches Schulexerzitium hervorzubringen im stande ist.

Meine Meinung ist keineswegs, hierdurch zu verstehen zu geben, als ob das größte Verdienst solcher historischen Werke in diesen Einleitungskapiteln stecken könne; sondern daß, wie am Tage liegt, diese Teile, welche bloß Erzählungen enthalten, die Feder eines Nachahmers weit eher zu mutiger Nachahmung reizen als jene, welche eigenes Denken und Beobachten erfordern. Hiermit verstehe ich solche Nachahmer, als es Rowe von Shakespeare war, oder als Horaz von einigen Römern zu verstehen gibt, die den Cato dadurch nachahmen wollten, daß sie barfuß gingen und saure Gesichter schnitten.

Es ist nicht ohne: gute Geschichten erfinden und solche hübsch erzählen, sind seltene Talente! Und doch habe ich nur wenige Menschen gefunden, die sich ein Bedenken daraus machten, sich beide zuzuschreiben; und wenn wir die Romane, Leben und Meinungen, womit die Welt so reichlich heimgesucht wird, untersuchen, so meine ich, dürfen wir ohne Unbilligkeit schließen, daß die meisten ihrer Verfasser es nicht gewagt haben würden, ihre Zähne (wenn mir hier der Ausdruck erlaubt sein mag) in irgend einer andern Art von Schriftstellerei zu weisen, oder daß sie über einen andern Gegenstand ein Dutzend Perioden hätten aneinanderreihen können. Scribimus indocti, doctique passim, kann man mit mehr Wahrheit auf den Geschichts- und Lebensbeschreiber anwenden, als auf irgend eine andere Art von Schriftstellern: denn alle Künste und Wissenschaften (selbst die Kritik nicht ausgenommen) erfordern doch wenigstens einen kleinen Grad von Einsicht und Gelehrsamkeit. Die Versemacherkunst könnte man vielleicht für eine Ausnahme halten; aber dennoch erheischt sie einige Kenntnis der Prosodie und des Silbenmaßes, oder etwas dem Silbenmaße ähnliches; dahingegen [145] nichts weiter nötig ist, um Romane, Liebes- und Lebensgeschichten in die Welt zu setzen, als Papier, Feder und Tinte, nebst der natürlichen Handfertigkeit, sich dieser Gerätschaften zu bedienen. Und daß dieses die Meinung der Verfasser selbst sei, meine ich, lasse sich aus ihren Werken ganz deutlich ersehen, und auch ihrer Leser Meinung muß es sein, wenn sie anders wirklich eine Meinung dabei haben.

Hieraus müssen wir die allgemeine Verachtung herleiten, womit die Welt, welche allemal von der Mehrheit aufs Ganze schließt, alle historischen Schriftsteller belegt hat, die ihren Stoff nicht aus den öffentlichen Zeitregistern entlehnen. Und die Furcht vor dieser Verachtung ist es, welche uns so sorgfältig den Namen Roman vermeiden läßt; eine Benennung, mit welcher wir uns außerdem recht gut hätten begnügen können. Obgleich auch unser Werk (da wir für alle unsere Charaktere sehr gute Gewährleistung und zwar, wie wir bereits anderwärts zu verstehen gegeben, keine geringere als das authentische Buch der Natur anzuführen haben) auf den Namen einer Geschichte gegründete Rechte und Ansprüche hätte. Gewiß verdient es einigen Vorzug vor jenen Werken, welche einer der witzigsten Köpfe für nichts weiter hielt, als die Wirkung eines Fingerkitzels oder vielmehr einer Hirnkolik.

Aber beiseite gesetzt die Unehre, welche solchergestalt auf eine der nützlichsten sowohl als unterhaltendsten Art von Schriftstellerwerken gezogen wird, haben wir auch gegründete Ursache zu besorgen, daß wir, wenn wir solchen Autoren Aufmunterung geben, noch eine andere Art von Unehre in der Welt verbreiten würden. Ich meine diejenige Unehre, welche auf den Charakter manches guten und würdigen Mitgliedes der menschlichen Gesellschaft fallen würde. Denn der einfältigste Schriftsteller, so wenig als der einfältigste Gesellschafter, sind nicht immer unschädlich. Beide haben gerade Zunge und Sprache genug, um unverschämt und beleidigend zu sein. Und gewiß, wenn es mit der oben angeführten Meinung des witzigen Kopfes seine Richtigkeit hat, so dürfen wir uns nicht wundern, daß Werke von so schmutzigem Ursprung selbst schmutzig sein, oder darauf hinauslaufen sollten, andere zu beschmutzen.

Um also für die Zukunft vorzubeugen, daß von der Muße der Leser, von der Litteratur und von der Freiheit der Presse kein solcher unmäßiger Mißbrauch gemacht werde, besonders da jetzt die Welt mehr als jemals damit scheint bedroht zu werden, will ich es hier wagen, einige Eigenschaften herzusetzen, welche für diese Klasse von Geschichtschreibern, ohne alle Ausnahme, in einem ziemlich hohen Grade notwendig und erforderlich sind.

Die erste heißt Genie. Ohne eine reiche Ader desselben kann uns alles Studieren, wie Horaz sagt, nichts frommen. Unter dem [146] Wort Genie verstehe ich jene Kraft oder vielmehr jene Kräfte des Geistes, vermöge welcher man fähig ist, alle Dinge, welche in dem Kreise unsrer Vernunft liegen, zu durchschauen und ihre wesentlichen Verschiedenheiten zu entwickeln. Kürzer gesagt, sind diese Kräfte nichts andres, als Erfindungsvermögen und Beurteilungskraft, und beide werden mit dem gemeinschaftlichen Namen Genie bezeichnet, und beide gehören zu den Gaben der Natur, mit welchen wir geboren werden. Manche Menschen scheinen in Ansehung beider in große Irrtümer verfallen zu sein: denn unter Erfindungsvermögen glaube ich, versteht man mehrenteils eine Schöpfungskraft; wenn das aber richtig wäre, so würde es beweisen, daß die meisten Romanschreiber die höchsten Ansprüche auf dies Erfindungsvermögen hätten; dahingegen durch Erfindung eigentlich nichts weiter verstanden wird (und die Bedeutung des Worts selbst gibt es), als etwas entdecken oder ausfindig machen: oder (um es noch deutlicher zu erklären) ein schneller und richtiger Tiefblick in das wahre Wesen aller Gegenstände unserer Betrachtung. Diese Eigenschaft kann nach meiner Meinung sehr selten bei einem Menschen vorhanden sein, ohne von der Beurteilungskraft begleitet zu werden. Denn mir ist es schwer zu begreifen, wie man sägen könne, man habe das wahre Wesen zweier Dinge entdeckt, ohne ihre Verschiedenheit zu unterscheiden. Nun ist dies letzte aber das unbestrittene, eigentümliche Vermögen der Beurteilungskraft; und dennoch haben einige wenige witzige Männer den Satz der Dummköpfe dieser Welt angenommen, als ob diese beiden Eigenschaften selten oder niemals bei einer und derselben Person zugleich angetroffen würden. Aber wenn man sie auch zusammen antrifft, so sind sie doch zu unserm Endzweck ohne eine gute Portion von Gelehrsamkeit nicht hinreichend. Eine Meinung, für welche ich abermals die Autorität eines Horaz und andrer mehr anführen könnte, wenn es nötig wäre zu beweisen, daß Werkzeuge einem Künstler von keinem Nutzen sind, wenn sie nicht durch die Kunst geschärft worden; oder, wenn er keine Regeln hat, nach welchen er bei seinem Werke verfahren, oder keinen Stoff hat, den er bearbeiten kann. Alle dergleichen Mängel ersetzt die Gelehrsamkeit; denn die Natur kann uns bloß das Vermögen, oder nach meinem Gleichnisse die Werkzeuge unserer Profession mitteilen; die Gelehrsamkeit muß solche zum Gebrauch einrichten; muß die Anleitung geben wie sie zu gebrauchen sind; und muß endlich auch, wenigstens zum Teil, den Stoff selbst herbeischaffen. Eine hinlängliche Kenntnis der Geschichte und der schönen Wissenschaften ist hier durchaus notwendig; und ohne zum wenigsten diesen Grad von Wissenschaft zu besitzen, ist es ebenso vergebens nach dem Charakter eines Geschichtschreibers zu streben, als wenn man ohne Holz, Stein und [147] Kalk ein Haus zu bauen versuchen wollte. Homer und Milton, ob sie gleich ihre Werke durch die Sprache der Dichtkunst verschönerten, waren beide Geschichtschreiber von unsrer Klasse, und besaßen alle Gelehrsamkeit, die man zu ihren Zeiten besitzen konnte.

Noch mehr, es gibt eine andere Art von Wissenschaft, welche zu gewähren nicht in der Macht der Gelehrsamkeit steht und die sich bloß aus dem Umgange erlernen läßt. Diese ist nun so notwendig, um die Charaktere der Menschen verstehen zu lernen, da kein Mensch darin unwissender ist als jene gelehrten Pedanten, die ihr ganzes Leben auf ihren Studierzimmern und unter Büchern hingebracht haben. Denn so vortrefflich auch die Geschichte der Menschheit von den Gelehrten in Büchern geschrieben sein mag, so kann doch das wahre praktische System nirgends an ders, als in der lebendigen Welt erlernt werden. Mit allen übrigen Arten von Wissenschaften ist es in der That ebenderselbe Fall; weder die Arzneikunde, noch die Jurisprudenz lassen sich praktisch aus Büchern lernen. Ja, sogar der Landwirt, der Förster, der Gärtner müssen durch Erfahrungen dasjenige zur Vollkommenheit bringen, wozu sie durch Lesen die ersten Anfangsgründe erworben haben. Der gelehrte Botaniker mag eine Pflanze noch so genau und richtig beschrieben haben, so wird er seinen Zöglingen doch immer raten, solche im Garten selbst in genauen Augenschein zu nehmen. Sowie wir gestehen müssen, daß bei den feinsten Zügen eines Shakespeares, Johnsons, Wycherlys, oder Otways dennoch dem Leser einige Tuschen der Natur entwischen, welche ihm die aus dem Innern der Charaktere gezogenen Aktionen eines Garriks, einer Cibber, oder einer Clive 1 anschaulich machen [148] können, so zeigt sich auf der Bühne des Lebens ein Charakter in einem weit stärkern und kühnern Lichte, als er auf dem Papier beschrieben werden kann. Und wenn dieses bei solchen feinen und markigen Beschreibungen, welche große Schriftsteller selbst nach dem Leben gemacht haben, der Fall ist, wie ungleich mehr muß es denn nicht stattfinden, wenn der Autor seine Züge nicht selbst von der Natur, sondern aus Büchern entlehnt! Solche Charakterzeichnungen sind weiter nichts als matte Kopien von einer Kopie, und können weder die Richtigkeit noch die Schärfe eines Originals haben.

Nun aber muß dieser Umgang unsers Geschichtsschreibers allgemein sein, das heißt er muß sich auf alle Stände und Klassen der Menschen erstrecken, denn die Kenntnis dessen, was man feine Welt nennt, wird ihm keinen Unterricht über die Klassen des gemeinen Lebens erteilen und so umgekehrt wird die Bekanntschaft mit der niedern Klasse der Menschheit ihm keinen Begriff von den Sitten der höhern geben. Und obgleich man dafür halten möchte, die Kenntnis der einen oder der andern würde hinreichen, um ihn instandzusetzen, wenigstens diejenige richtig darzustellen, mit welcher er gelebt hat, so wird er doch sogar hierin keine Vollkommenheit erreichen, denn eigentlich werfen beide Klassen eine auf die andere wechselsweise das wahre Licht. So erscheint zum Beispiel die gezierte Künstelei des vornehmen Lebens viel heller und lächerlicher durch die kunstlose Einfalt des gemeinen Mannes. Und die Grobheit und Barbarei des letztern erwecken viel stärkere Ideen vom Unschicklichen, wenn sie durch die feine Politur kontrapostiert werden, wodurch sich die ersten auszeichnen. Ueberdem noch werden sich, die Wahrheit zu sagen, die Sitten unsers Geschichtschreibers durch den Umgang unter beiden verbessern; denn unter den einen wird er leicht Beispiele von Treuherzigkeit, Redlichkeit und Aufrichtigkeit finden, sowie unter den andern von Feinheit, Eleganz und von einem gewissen Adel des Geistes. Welche letzte Eigenschaft ich mich kaum erinnere, unter Menschen von niedrigem Stand und Erziehung angetroffen zu haben.

Unterdessen werden alle die Eigenschaften, die ich bisher meinem Geschichtschreiber beigelegt habe, ihm wenig helfen, wofern er nicht auch noch das besitzt, was man gewöhnlich ein gutes Herz nennt, und wenn seine Empfindungen nicht fein und beweglich sind. Der [149] Schriftsteller, sagt Horaz, welcher will, daß ich weinen soll, muß erst selbst weinen. Wirklich kann niemand ein Leiden richtig darstellen, welches er nicht selbst in seiner Seele fühlt, indem er's malt, und ich bin überzeugt, daß die rührendsten und effektvollsten Auftritte allemal mit Thränen in den Augen niedergeschrieben worden sind. Auf eben diese Weise verhält sich's mit dem Lächerlichen. Ich bin versichert, ich habe meinen Leser nie zum herzlichen Lachen gereizt, als bei den Stellen, wo ich vorher selbst gelacht habe, es möchte sich denn zuweilen gebühren, daß er lieber über mich, als mit mir zu lachen geneigt wäre. Vielleicht mag das wohl bei einigen Stellen in diesem Kapitel der Fall gewesen sein, und dieser Besorgnis wegen will ich hier demselben ein Ende machen.

Fußnoten

1 Der Verfasser sagt in einer Note, daß die Anführung dieses großen Schauspielers, und der beiden mit Recht so berühmten Schauspielerinnen, hier um so füglicher und treffender sei, weil sie sich alle bloß durch das Studium der Natur, und nicht durch Nachahmung ihrer Vorgänger gebildet hätten. Hierdurch wären sie dahin gelangt, alle diejenigen zu übertreffen, welche vor ihnen die Bühne betreten; und sei dieses eine Stufe des Verdienstes, zu welcher der knechtische Haufen von Nachahmern unmöglich jemals gelangen könne. – Wer, der unsre deutsche Schaubühne beobachtete, seitdem sie sich aus dem Chaos der Haupt- und Staatsaktionen, und der extemporierten Possenspiele loszuwinden angefangen hat (welches noch nicht viel über 30 bis 40 Jahre her ist), denkt hier nicht an unsre Eckhoff, Schröder, Brockmann, Iffland, und an unsre Starken und Henslern? Vielleicht auch noch an einige andre, die ich entweder nicht gesehen habe, oder deren Originalität mir nicht so ganz einleuchtend ist, wie die der Vorgenannten. Sollte, wie nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist, eine hübsche runde Summe von berühmten Schauspielern und Schauspielerinnen hier über meine Unwissenheit, oder gar Parteilichkeit die Nase rümpfen, so versichre ich solchen, daß ich die Stirne darüber gar nicht runzeln werde, wenn jede und jeder von ihnen ihren eigenen Namen selbst auf den Rand dieses Blattes hinzuschreiben. Nur hätte ich dann noch die billige Bitte, sie wollen das ganze Personenverzeichnis aus dem gothaischen Theaterkalender, und – dem römischen – auch mitnehmen.

D. Uebers.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Enthält ein in der That sehr erstaunenswürdiges Abenteuer, welches Herr Jones bestund, als er mit dem Manne vom Berge spazieren ging.


Aurora öffnete jetzt ihre ersten Fensterladen, Germanice, der Tag fing an zu grauen, als Jones in Gesellschaft des Fremden seinen Spaziergang antrat und den Matzardberg hinaufstieg. Sie waren nicht so bald bis zu seiner Spitze gelangt, als sich ihren Blicken einer der vortrefflichsten Prospekte von der Welt darstellte. Wir würden solchen unsern Lesern ebenfalls darstellen, wenn uns nicht zwei Ursachen hinderten. Die erste ist: wir zweifeln dran, daß diejenigen, welche diesen Prospekt gesehen haben, unsre Beschreibung bewundern würden. Die zweite: wir zweifeln ziemlich stark, ob auch diejenigen, die ihn nicht gesehen, unsre Beschreibung verstehen möchten.

Jones stand einige Minuten in einer unbeweglichen Stellung und richtete seine Augen gen Süden, worauf ihn der alte Herr fragte, was er denn da mit so großer Aufmerksamkeit beschauete? – »Ach, mein Herr,« antwortete er mit einem Seufzer, »meine Gedanken beschäftigen sich damit, dem Wege nachzuspüren, auf welchem ich hierher gekommen bin. Lieber Himmel! in welcher weiten Entfernung Gloucester von uns liegt! Was für eine große Strecke Landes muß zwischen uns und meiner Heimat liegen!« – »Freilich, freilich, lieber junger Herr!« rief der andre. »Und Ihr Seufzen sagt mir, oder ich müßte mich sehr irren, was für eine Strecke Landes liegt zwischen uns und ihr, die mir noch näher am Herzen liegt als meine Heimat. Ich merke nun wohl, der Gegenstand Ihrer tiefen Gedanken liegt weiter hinaus als Ihr Blick trägt, und dennoch, deucht mich, thut es Ihrem Herzen wohl, in der Richtung [150] hinauszusehen.« – Jones antwortete ihm mit einem Lächeln: »Ich sehe, mein lieber Alter, Sie haben das Gefühl Ihrer Jugend noch nicht ganz vergessen. Ich gesteh' Ihnen, meine Gedanken waren dahin gerichtet, wie Sie gemutmaßt haben.«

Sie gingen nunmehr nach der Seite des Berges, wovon man gen Nordwesten sieht und welche über einen großen weiten Wald hervorragt. Kaum waren sie daselbst angelangt, als sie in einiger Entfernung eine weibliche Stimme in dem unter ihnen belegenen Walde sehr heftig schreien hörten. Jones horchte einen Augenblick und dann, ohne seinem Gefährten ein Wort zu sagen (denn wirklich schien der Fall dringend genug zu sein), rannte oder glitt er den Berg hinunter, und ohne die geringste Besorgnis oder Furcht für seine Sicherheit eilte er auf das Dickicht zu, woher die Stimme erschollen war.

Er war noch nicht tief in den Wald hineingelangt, als er ein wirklich entsetzliches Schauspiel erblickte. Er sah nämlich ein Frauenzimmer halb nackt ausgezogen, unter den Händen eines Bösewichts, der ihr ein Strumpfband um den Hals geschlungen hatte und mit allen Kräften arbeitete, sie an einen Baum hinaufzuziehen. Jones hielt sich hierbei nicht lange mit Fragen auf, sondern fiel augenblicklich über den Schurken her und bediente sich seines eigenen Spazierstocks mit solcher Behendigkeit, daß er ihn, mit allen Vieren von sich gestreckt, zu Boden geschlagen hatte, ehe er nur einmal daran denken konnte sich zu wehren, ja ehe er sogar noch wußte, daß er angegriffen war; er that auch seinen Streichen nicht eher Einhalt, bis ihn das Frauenzimmer selbst darum bat und sagte, sie glaube, er habe ihm schon sein völliges Genügen gegeben.

Die arme Unglückliche fiel darauf vor Jones auf ihre Kniee und sagte ihm tausend Dank für ihre Erlösung. Er hob sie alsobald von der Erde und sagte ihr, er sei höchlich erfreut über den außerordentlichen Zufall, der ihn zu ihrem Beistande hierher geführt hätte, woselbst es so unwahrscheinlich gewesen, daß sie welchen hätte finden können, und fügte hinzu, der Himmel scheine ihn zum glücklichen Werkzeuge ihres Schutzes bestimmt zu haben. – »Ach ja,« antwortete sie, »fast sollte ich denken, daß Sie ein guter Engel wären! Und, die Wahrheit zu sagen, scheinen Sie meinen Augen mehr ein Engel zu sein, als ein sterblicher Mann.« In der That war er von sehr reizender Gestalt, und wenn ein sehr feines Gewächs von Person, sehr angenehme Gesichtszüge, geschmückt mit Jugend, Gesundheit, Stärke, blühender Farbe, Mut und menschenfreundlichem Blick einem Menschen die Aehnlichkeit mit einem Engel erteilen können, so hatte gewiß diese Aehnlichkeit niemand mehr als er.

[151] Die erlöste Gefangene hatte nicht völlig soviel von dieser menschlich englischen Gattung an sich, sie schien zum wenigsten schon ihr Mittelalter erreicht zu haben, auch hatte ihr Gesicht nicht viel Anschein von Schönheit; da ihr aber vom ganzen Oberteile des Körpers die Kleider abgerissen waren, so zog ihr Busen, welcher sehr wohlgebildet und außerordentlich weiß war, die Augen ihres Befreiers auf sich, und sie standen einige Augenblicke und sahen einander stillschweigend an, bis der auf der Erde liegende Meuchelmörder wieder anfing sich zu bewegen, da denn Jones das Strumpfband nahm, welches zu einem andern Endzweck bestimmt war, und ihm damit die Hände auf den Rücken band. Und nunmehr, da er ihm ins Angesicht sah, entdeckte er mit großer Verwunderung und vielleicht nicht mit weniger Zufriedenheit, daß der Mensch niemand anders sei, als der leibhaftige Fähnrich Northerton! Der Fähnrich hatte seinen vormaligen Widersacher ebenfalls noch nicht vergessen, sondern erkannte ihn den Augenblick da er zu sich selbst kam. Seine Verwunderung war nicht geringer als Jones' seine, aber sein Vergnügen mochte wohl, wie mich dünkt, bei der Gelegenheit nicht eben so groß sein.

Jones half dem Fähnrich Northerton auf die Füße, sah ihm dann starr ins Gesicht und sagte: »Ich glaube, Herr, Sie vermuteten nicht, mich in dieser Welt noch einmal wieder anzutreffen, und ich gesteh' es, ich erwartete ebensowenig Sie hier zu finden. Unterdessen hat uns das Glück, wie ich sehe, noch einmal zusammengeführt und mir für die zugefügte Beleidigung, selbst ohne daß ich's einmal wußte, Satisfaktion gegeben.«

»Eine artige Aufführung für einen Mann von Ehre, wahrhaftig!« antwortete Northerton, »sich dadurch Satisfaktion zu nehmen, daß man einen Mann von hinterrücks zu Boden schlägt! Und geben kann ich Ihnen ebensowenig Satisfaktion hier, weil ich keinen Degen habe, wenn Sie aber das Herz haben wie ein braver Mann zu handeln, so lassen Sie uns an einen Ort gehen, wo ich einen bekommen kann, dann will ich Ihnen stehen, wie sich's für einen Mann von Ehre gehört und gebührt.«

»Schickt sich's für solch einen ehrvergeßnen Buben als Ihr seid,« schrie Jones, »das Wort Ehre dadurch zu besudeln, daß er sich's anmaßt? Aber ich will meine Zeit durch kein Gespräch mit Euch verschwenden, jetzt verlangt die öffentliche Gerechtigkeit von dem Herrn Genugthuung, und sie soll sie haben.« Darauf wandte er sich gegen das Frauenzimmer und fragte, ob ihre Wohnung in der Nähe wäre? Oder wenn das nicht, ob sie hier in der Nachbarschaft Bekannte habe, um sich mit anständiger Kleidung zu versehen, damit sie nach dem nächsten Friedensrichter gehen könnten?

[152] Sie antwortete, sie wär' in dieser Gegend des Landes völlig fremd. Nachdem sich Jones ein wenig besonnen hatte, sagte er, er habe hier einen Freund in der Nähe, der ihm die nötige Anweisung geben würde, und in der That wunderte er sich, daß dieser ihm nicht nachgefolgt sei. Allein der gute Mann vom Berge hatte sich, als unser Held von ihm gegangen, oben am Rande niedergesetzt, woselbst er, obgleich er eine Flinte in der Hand hatte, die Sache ganz ruhig und gelassen abwartete.

Jones, der zum Walde hinauseilte, sah den alten Mann in der Stellung sitzen, wie wir eben beschrieben haben. Er bot also alle seine Behendigkeit auf und erstieg mit unglaublicher Schnelligkeit die steile Höhe des Berges.

Der alte Mann riet ihm, das Frauenzimmer nach Upton zu führen, welches, wie er sagte, die nächste Stadt sei und woselbst er alles würde bekommen können, dessen sie benötigt wären.

Nachdem Jones sich den Weg nach dem Orte hatte zeigen lassen, nahm er von dem Manne vom Berge Abschied, bat ihn, er möchte ihm Rebhuhn gen Upton nachsenden, und kehrte eilig wieder nach dem Walde zu.

Unser Held hatte bei seinem Weggehen, um sich bei seinem Freunde Rats zu erholen, wohl bedacht, daß der Meuchelmörder mit auf den Rücken gebundenen Händen nicht im stande sei, dem Frauenzimmer irgend ein Leids zuzufügen. Ueberdem wußte er auch, daß sie ihn immer abrufen und er früh genug zurückkehren könnte, um allem Unheil vorzubeugen. Dabei hatte er noch dem Buben beteuert, wofern er die geringste Bosheit versuchen würde, wollte er ihn auf der Stelle die bitterste Rache dafür empfinden lassen. Zum Unglück vergaß aber Jones, daß, ob Northerton gleich die Hände auf den Rücken gebunden, er doch seine Füße völlig frei hätte, auch legte er dem Gefangenen nicht das geringste Verbot auf, von diesen einen selbstbeliebigen Gebrauch zu machen. Da sich also Northerton in diesem Punkte zu nichts anheischig gemacht hatte, so meinte er, er könne ohne den geringsten Bruch seines Ehrenworts davongehen, weil er in seinen Gedanken nach keinem Gesetze verbunden sei, auf eine feierliche Lossprechung zu warten. Er bediente sich also seiner freien Füße und wandelte durch den Wald davon, welcher seinen Rückzug begünstigte. Auch dachte das Frauenzimmer, dessen Augen weit mehr nach ihrem Befreier gerichtet waren, nicht einmal an seine Flucht oder auf die geringste Sorge und Mühe ihn daran zu verhindern.

Als demnach Jones zurückkam, fand er das Frauenzimmer allein. Er wollte sich die Zeit nehmen, den Northerton wieder aufzusuchen, sie wollte es ihm aber nicht erlauben, sondern bat ihn sehr dringend, er möchte sie nach der Stadt begleiten, die ihm angewiesen [153] worden. – »Was die Flucht des Kerls anbetrifft,« sagte sie, »so macht mir solche gar keinen Kummer, denn beides, Philosophie und Christentum, lehren uns empfangene Beleidigungen zu verzeihen. Was mir aber leid thut, mein Herr, ist, daß ich Ihnen so viele Mühe verursache, und meine Blöße macht, daß ich mich wirklich schämen muß, Ihnen unter die Augen zu sehen, und wenn ich Ihres Schutzes nicht so sehr benötigt wäre, möcht' ich wohl wünschen allein zu gehen.«

Jones bot ihr seinen Ueberrock an, sie aber, ich weiß nicht aus welcher Ursache, weigerte sich gegen sein ernstliches Bitten solchen anzunehmen. Er bat sie also, beide Ursachen ihrer Verwirrung zu vergessen. »Was die erste betrifft, so hab' ich weiter nichts gethan, als was meine Pflicht ist, da ich zu Ihrem Schutz herbeieilte, und die zweite will ich dadurch völlig heben, daß ich den ganzen Weg hindurch vor Ihnen hergehe, denn ich will nicht, daß meine Augen Ihnen wehe thun sollen, und ich möchte nicht Bürge sein können, daß ich Kraft genug hätte, den anziehenden Reizen so vieler Schönheit zu widerstehen.«

Also wandelte unser Held und die erlöste Dame auf eben die Weise als ehedem Orpheus und Eurydice miteinander gingen. Allein obgleich ich nicht glauben kann, daß Jones von seiner schönen Gefährtin mit Fleiß gereizt worden hinter sich zu sehen, so bedurfte sie doch so oft seines Beistandes, um ihr über die Stiegel zu helfen, und dabei begegnete ihr so manches Straucheln und andre kleine Zufälle, daß er oft genötigt war sich gegen sie umzukehren. Indessen hatte er doch besser Glück, als ehedem Orpheus in dem ähnlichen Falle, denn er brachte seine Gefährtin oder vielmehr Nachfolgerin ganz wohlbehalten nach der berühmten Stadt Upton.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Die Ankunft des Herrn Jones mit seiner Dame in dem Gasthofe, nebst einer ausführlichen Beschreibung der Schlacht zu Upton.


Obgleich der Leser, wie wir nicht zweifeln, sehr begierig ist zu wissen, wer diese Dame war, und wie sie in des Fähnrichs Northerton Hände gefallen, so müssen wir ihn doch bitten, seine Neugierde noch bis auf eine kurze Zeit zur Ruhe zu verweisen, da wir aus sehr guten Gründen, die er vielleicht hier nicht erraten wird, genötigt sind, seine Befriedigung noch ein wenig länger aufzuschieben.

Herr Jones und seine schöne Gefährtin gingen bei ihrem Eintritt in die Stadt auf den Gasthof zu, der in ihren Augen das beste Ansehn nach der Gasse machte. Nachdem hier Jones einem Bedienten [154] befohlen hatte, ihm ein Zimmer im zweiten Stocke anzuweisen, stieg er die Treppen hinauf und die Schöne mit verwilderten Haaren und Kleidung folgte ihm hastig nach, als sie der Herr des Hauses plötzlich beim Rockzipfel erwischte und schrie: »He da! wo will das Bettelmensch hin! Keinen Schritt weiter! sag' ich!« – Jones aber donnerte in eben dem Augenblick von oben herab: »Laßt die Dame heraufgehen!« und das in einem so gebieterischen Tone, daß der gute Mann augenblicklich seine Hand losließ und die Dame den kürzesten Weg zum Zimmer nahm.

Hier wünschte ihr Jones Glück zu ihrer wohlbehaltenen Ankunft und ging drauf hin, um, wie er versprach, die Wirtin mit einigen Kleidern zu ihr heraufzuschicken. Das arme Frauenzimmer dankte ihm gar herzig für alle seine Güte und sagte: sie hoffe ihn bald wiederzusehen, um ihm noch tausendmal mehr Dank zu sagen. Während dieser kurzen Unterredung verhüllte sie ihren blendenden Busen, soviel sie nur immer vermochte, mit ihren Armen: denn Jones konnte es nicht vermeiden, ein- oder ein paarmal verstohlenerweise dahinzuschielen, ob er gleich alle erdenkliche Sorge trug, ihr dadurch keine Schamröte abzujagen.

Unsre Reisenden waren zufälligerweise in einem Hause von außerordentlich guter Reputation abgetreten, worin die irländischen Damen von strenger Tugend und manche schottländische junge Herrn von eben dem Charakter auf ihrer Reise nach Bath ihr Absteigequartier zu nehmen pflegten. Die Frau Wirtin hätte also um keinen Preis zugeben wollen, daß unter ihrem Dache irgend ein Umgang von verdächtiger Art stattfinden möchte. In der That sind dergleichen Vorgänge so unsauber und ansteckend, daß sie auch den unschuldigen Platz verunreinigen, woselbst sie vorfallen, und jedem Hause, woselbst man solche verdächtige Vertraulichkeiten duldet, den Namen eines schlechten oder übel berüchtigten Hauses anhängen.

Damit will ich nun eben nicht sagen, daß in einem öffentlichen Gasthofe eine ebenso strenge Keuschheit beobachtet werden könnte, als ehemals in dem Tempel der Vesta. Auf einen so großen Segen hoffte nun freilich unsre gute Frau Wirtin nicht, ebensowenig als alle die übrigen Damen ihres Standes, von denen ich bisher gesprochen habe; oder auch ebensowenig als alle übrigen von der bekanntesten Strenge dergleichen erwartet haben oder drauf bestanden sind. Aber alle niedrigen Liebschaften entfernt zu halten und alle verdächtigen Dirnen in Lumpen aus ihren vier Wänden zu treiben, das steht in der Gewalt einer jeden von ihnen. Hierauf hielt die Frau Wirtin auch steif und fest, und dies konnten auch ihre tugendhaften Kunden, welche nicht in Lumpen reisten, höchst billigerweise von ihr erwarten.

[155] Nun aber bedurfte es eben keines bis zum tadelnswürdigen Grade getriebenen Argwohns, um zu vermuten, daß Herr Jones und seine zerlumpte Gesellschafterin auf gewisse Endzwecke ausgingen, welche zwar in einigen christlichen Ländern geduldet werden, denen man in andern durch die Finger sieht und die in keinem unterbleiben, dabei aber doch ebenso ausdrücklich verboten sind, als Mord und Totschlag oder jedes andere scheußliche Laster von der Religion verboten ist, welche in allen diesen Ländern durchgängig geglaubt wird. Die Frau Wirtin hatte daher nicht so bald einige Nachricht von dem Einzuge der obbesagten Person erhalten, als sie schon auf die diensamsten Mittel sann, wie sie solche wieder fortschaffen wolle. Zu diesem Ende hatte sie sich mit einem langen und tötlichen Werkzeuge versehen, mit welchem zu Friedenszeiten das Stubenmädchen die Werke der kunstreichen Spinne zu zerstören gewohnt war. Mit dem gemeinen Mann zu sprechen, sie hatte einen Besenstiel gefaßt und stand soeben im Begriff, aus der Küche zu marschieren, als ihr Jones entgegentrat und sie um einen Rock und andre Kleidungsstücke bat, um damit die Blöße des Frauenzimmers in der Flur eine Treppe hoch zu bedecken.

Nichts kann ein menschliches Gemüt mehr zum Zorne reizen, oder der Kardinaltugend, Geduld, gefährlicher werden, als Bitten um außerordentliche Freundschaftsdienste zu gunsten ebenderselben Personen, über welche man bereits in einem hohen Grade aufgebracht ist. Aus dieser Ursache hat Shakespeare es so künstlich angelegt, daß seine Desdemona bei ihrem Gemahl um Gunstbezeugungen für den Cassio bitten muß, und braucht dies als ein Mittel, nicht nur Othellos Eifersucht, sondern seine Wut bis zum höchsten Grade des Wahnsinns zu entflammen; und wir sehen, daß der unglückliche Mohr bei dieser Gelegen heit weniger im stande ist, seine Leidenschaft im Zügel zu halten, als selbst da, wo er das seiner Gemahlin gemachte, so wert geachtete Geschenk in den Händen seines vermeinten Nebenbuhlers erblickt. Im Grunde betrachten wir solche Zumutungen als eine Geringschätzung unsers Verstandes; und dergleichen zu erdulden, geht dem Stolz des Menschen gar zu sauer ein.

Die Frau Wirtin, obgleich übrigens ein ganz gutmütiger Schlag von einer Frau, hatte nach meiner Voraussetzung so etwas weniges von diesem Stolze in ihrem Geiste; denn Jones hatte kaum sein Anliegen vorgebracht, als sie mit einer gewissen Waffe über ihn herfiel. Welche Waffe, ob sie gleich weder lang, noch scharf, noch hart ist, oder auch eigentlich ihrem Ansehen nach weder mit Tode noch Wunden dräuet, dennoch bei alledem von vielen weisen Männern gar sehr gefürchtet und gescheut worden ist; ja nicht nur von sehr weisen, sondern selbst von sehr tapfern Männern, dergestalt, daß [156] einige, welche Mut genug hatten, in die Mündung einer geladenen Kanone zu sehen, es nicht wagen mochten, in einen Mund zu sehen, worin diese Waffe geschwungen wurde, und sich viel lieber ausgesetzt haben, in den Augen aller ihrer Bekannten eine ärmliche, kriechende Figur zu spielen, als sich der Gefahr dieser verheerlichen Waffe bloßzustellen.

Die Wahrheit zu bekennen, so fürchte ich, daß Herr Jones einer von denen war. Denn ob er gleich mit der vorbesagten Waffe angegriffen und gar heftig mißhandelt wurde, so konnte er doch nicht gereizt werden, sich im geringsten zu wehren, sondern bat auf die feigherzigste Weise seine Widersacherin, mit ihren Streichen einzuhalten. Deutlicher zu reden, er that weiter nichts als aufs dringendste bitten: sie möchte ihn doch nur anhören! Bevor er aber noch sein Gesuch erhalten konnte, mischte sich der Herr Wirt selbst in den Handel und schlug sich auf die Seite, welche ganz und gar keines Beistandes zu bedürfen schien.

Es gibt eine Art von Leuten, von welchen man annimmt, daß sie ihre Wahl, ob sie einen Handel aufnehmen oder verwerfen wollen, nach dem Charakter und dem Betragen der Person bestimmen, mit welcher sie's zu thun haben. Von diesen pflegt man zu sagen, sie kennen ihren Mann, und Jones, glaube ich, kannte seine Frau. Denn ob er gleich gegen sie so weich und nachgebend gewesen war, so sah er sich nicht so bald von ihrem Ehegatten angegriffen, als er augenblicklich Mut und Zorn von sich blicken ließ und ihm bei sehr strenger Züchtigung Stillschweigen gebot; bei keiner geringern glaube ich, als er würde aus ihm einen Brand in seinem eignen Kaminfeuer machen. Dieser Herr Ehegemahl antwortete mit großer Entrüstung, obgleich mit einiger Beimischung von Mitleid: »Erst muß der Herr beten, daß der Himmel ihm dazu die Kräfte verleihe; ich bin weit mehr Manns, als der Herr, ja, in allewege weit mehr Manns, das bin ich!« Damit warf er mit ein halb Dutzend Lumpenpack von feinen Weibern gegen die Dame da oben um sich her, wovon die letzte Silbe kaum über seine Lippen gekommen war, als ihm ein tüchtiger Streich mit dem eichnen Knittelstock, welchen Jones in der Hand führte, auf die Schulter fiel.

Es ist noch nicht ausgemacht, ob der Wirt oder die Wirtin am behendesten war, diesen Streich zurückzugeben. Mein Herr Wirt, dessen Hände ungefüllt waren, ging mit seinen Fäusten zu Werke; und die gute Frau, welche ihren Besenstiel aufhob und damit nach Jones' Kopfe zielte, hätte damit wahrscheinlicherweise dem Scharmützel und Jones' Leben dazu ein Ende gemacht, wäre nicht der Fall dieses Besenstiels aufgehalten worden – nicht durch die wundervolle Dazwischenkunft einer heidnischen Gottheit, sondern durch einen [157] sehr natürlichen, obgleich glücklichen Zufall – durch Rebhuhns Ankunft nämlich, welcher eben diesen Augenblick ins Haus trat (denn die Furcht hatte ihn vom Berge im vollen Laufe hieher gejagt) und welcher, da er die Gefahr sah, die seinem Herrn oder seinem Gefährten (es steht bei Ihnen, wie Sie ihn nennen wollen) drohte, ein so gefährliches Unglück dadurch abwendete, daß er die Wirtin bei dem Arme packte, womit sie den Besenstiel in der Luft schwenkte.

Die Frau Wirtin ward sehr bald das Hindernis gewahr, welches ihren Streich zurückhielt; da sie nicht vermögend war, ihren Arm aus Rebhuhns Händen zu befreien, so ließ sie den Besenstiel fallen, überließ dann ihren Feind Jones der Gewalt ihres Eheherrn und fiel mit der äußersten Wut über den armen Kerl her, welcher bereits seine Gegenwart dadurch angekündigt hatte, daß er schrie: »Alle tausend! will Sie meinen Freund totschlagen?«

Rebhuhn war zwar eben nicht sonderlich auf Schlägereien erpicht, dennoch wollt' er seine Hände nicht in den Schoß legen, da sein Freund angegriffen wurde; auch war ihm der Teil des Treffens, der ihm zum Anteil fiel, nicht ganz und gar mißfällig. Er gab also der Wirtin ihre Streiche ebensobald wieder zurück, als er solche empfing; und nunmehr ging das Gefecht an allen Seiten seinen eigensinnig hitzigen Gang fort, und es schien zweifelhaft, auf welche Seite das Glück sich wenden würde, als die nackte Dame, welche oben von der Treppe dem Dialog zugehorcht hatte, welcher dem Kampfe vorherging, plötzlich herunterkam und, ohne die unbillige Ungleichheit von zwei zu einem zu Herzen zu nehmen, über die arme Frau herfiel, welche sich mit Rebhuhn fäustigte; ebensowenig ließ auch dieser große Faustkämpfer ab, sondern verdoppelte vielmehr seine Wut, als er fand, daß ein frischer Sukkurs zu seinem Beistand angelangt sei.

Nunmehr hätte der Sieg auf die Seite der Reisenden fallen müssen (denn am Ende müssen die tapfersten Truppen der überwiegenden Anzahl unterliegen), wäre nicht Susanne, das Stubenmädchen, glücklicherweise ihrer Gebieterin zum Beistand herbeigekommen. Diese Susanne war (nach der gemeinen Redensart) eine so zweifäustige Dirne, als es nur eine im Lande geben konnte, und würde, wie ich glaube, die berühmte Thalestris selbst, oder die beste von ihren untergebenen Amazonen ausgeprügelt haben; denn ihr Bau war kraftvoll, völlig mannhaft und auf alle Fälle für solche Scharmützel gemacht. So wie ihre Hände und Arme ausdrücklich dazu gebildet schienen, einem Feinde sehr gefährliche Streiche zu versetzen, so war auch ihr Antlitz völlig drauf eingerichtet, ohne sonderlichen Nachteil Streiche und Stöße zu empfangen. Ihre Nase lag ihr bereits ganz platt im Gesicht, ihre Lippen waren [158] so breit, daß man es eben nicht merken konnte, wofern sie etwa geschwellen möchten; und überdem waren sie so derb und hart, daß schwerlich eine Faust darauf einen Eindruck machen konnte. Endlich noch ragten ihre Augenknochen dergestalt hervor, als ob die Natur solche als zwei Bollwerke dahingelegt hätte, um ihre Augen in dergleichen Fausthändeln zu verteidigen, für welche sie sowohl geschaffen zu sein schien und wozu sie so gar herzlich aufgelegt war.

Als dieses edle Geschöpf das Schlachtfeld bezog, schloß sie sich augenblicklich an den Flügel, auf welchem ihre hohe Gebieterin ein so ungleiches Gefecht mit zwei Personen von verschiedenem Geschlecht unterhielt. Hier forderte sie alsobald Rebhuhn zum persönlichen Zweikampf auf. Er nahm die Herausforderung an und nunmehr begann zwischen beiden der allerhartnäckigste Kampf.

Jetzt waren die Hunde des Kriegs losgelassen und begannen ihre blutigen Schnauzen zu lecken. Jetzt schwebte die Göttin des Siegs mit goldnen Flügeln über ihnen in der Luft. Jetzt nahm die Göttin des Glücks ihre Wagschalen aus ihrem Behältnis hervor und wog, und wog das Schicksal des Thomas Jones, seiner weiblichen Gefährtin, und Rebhuhns gegen das Schicksal des Wirts, seiner Ehegenossin, und ihrer Magd ab. Die Schalen hingen da vor ihr in genau gleicher Schwebung, als ein heilbringender Zufall dem blutigen Treffen ein plötzliches Ende machte, an dem die Hälfte der Streiter sich bereits bis zur völligen Genüge erlabt hatte. Dieser Zufall bestand in der Ankunft einer mit vier Pferden bespannten Kutsche, bei welcher mein Herr Wirt und die Frau Wirtin augenblicklich den Kampf aufgaben und auf ihr Bitten dieselbe Gunst von ihren Widersachern erhielten. So gütig war aber Susanne nicht gegen Rebhuhn; denn nachdem diese amazonische Schöne ihren Feind zu Boden gestreckt und solchen wie ein Reitroß beschritten hatte, war sie lustig darüber her, ihm mit beiden Fäusten im Antlitz zu trommeln, ohne einige Rücksicht auf sein Verlangen nach einem Waffenstillstande oder auf das laute Klaggeschrei über Mord, welches er brüllend ausstieß.

Unterdessen hatte Jones nicht so bald den Wirt entlassen, als er seinem überwundnen Gefährten zum Beistand eilte, von welchem er mit vieler Schwierigkeit das wütende Stubenmädchen hinwegriß; doch merkte Rebhuhn nicht so bald den Trost seiner Befreiung; denn noch blieb er da platt ausgestreckt liegen auf dem Boden und bedeckte mit seinen Händen sein Antlitz. Auch hörte er nicht eher auf zu brüllen, bis Jones ihn nötigte, die Augen aufzuthun und selbst zu schauen, daß das Treffen seine Endschaft erreicht habe.

Der Gastwirt, welcher keine sichtbare Verletzung empfangen hatte, und die Frau Wirtin, welche ihr wohl zerkratztes Gesicht mit [159] ihrem Taschentuch verhüllte, rannten beide nach der Thüre, um an der Kutsche ihre Aufwartung zu machen, aus welcher nunmehr eine junge Dame mit ihrer Kammerjungfer ausstiegen. Diese führte die Frau Gastwirtin gradeswegs in das Zimmer, in welchem zuerst Herr Jones seine schöne Beute abgesetzt hatte, weil es das beste Zimmer im ganzen Hause war. Sie waren genötigt, ihren Weg dahin über das Schlachtfeld zu nehmen, welches sie in äußerster Hast thaten und ihre Gesichter hinter ihren Taschentüchern verbargen, wie Personen, die nicht gern von jemand erkannt sein wollten. In der That war ihre Vorsicht völlig überflüssig; denn die arme verfolgte Helena, die unglückliche Ursache alles dieses Blutvergießens, war aufs emsigste damit beschäftigt, ihr eignes Angesicht zu verbergen und Jones hatte alle Hände voll damit zu thun, seinen Rebhuhn von Susannens Wut zu erretten; und als es ihm endlich glücklicherweise damit gelungen, ging der arme Kerl unmittelbar hin nach der Pumpe, um sein Angesicht zu waschen und den blutigen Strom zu hemmen, dessen ergiebige Quellen Susanne in seinen Naselöchern geöffnet hatte.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

In welchem die Ankunft eines Kriegsmannes allen Feindseligkeiten ein völliges Ende macht, und unter allen Parteien einen festen und dauerhaften Friedensschluß bewirkt.


Um diese Zeit langte ein Unteroffizier mit ein paar Rotten Musketiere an, welche einen Deserteur gefangen führten. Der Unteroffizier erkundigte sich alsobald nach der ersten obrigkeitlichen Person des Orts und ihm ward von dem Gastwirt die Nachricht, er sei selbst mit dieser Würde bekleidet. Darauf forderte der Unteroffizier seine Quartierbillets zugleich mit einer Kanne Bier, und indem er sich über Kälte beklagte, spreizte er sich hin vor das Kaminfeuer.

Um diese Zeit war Herr Jones beschäftigt, der armen bedrängten Dame, die an einem Tische in der Küche saß und ihre Widerwärtigkeiten beseufzte, nach bestem Vermögen Trost einzusprechen; um aber meine schönen Leserinnen über einen besonders wichtigen Umstand nicht in Verlegenheit zu lassen, halte ich es hier für nötig, ihnen die Nachricht zu geben, daß sie, noch bevor sie das Zimmer oben im Hause verlassen, sich so gut mit einem Kissenüberzug, den sie dort fand, bedeckt hatte, daß ihre züchtige Wohlanständigkeit durch die vielen Mannspersonen, welche sich jetzt in der Küche befanden, nicht im geringsten beleidigt wurde.

[160] Jetzt ging einer von den Soldaten hin zu seinem Unteroffizier und flüsterte dem etwas ins Ohr, worauf er seine Augen fest auf die Dame heftete und, nachdem er sie fast eine Minute lang betrachtet hatte, auf sie zuging und sagte: »Bitte Pardon, Madam! aber ich irre mich gewiß nicht, Sie können niemand anders sein als die Dame des Herrn Kapitän Waters.«

Die arme Frau, die in ihren gegenwärtigen bedrängten Umständen auf das Gesicht irgend eines anwesenden Menschen wenig Achtung gegeben hatte, sah nicht so bald nach dem Unteroffizier auf, als sie sich seiner augenblicklich erinnerte, ihn bei seinem Namen nannte und antwortete: Sie wäre allerdings die unglückliche Person, wofür er sie hielte, setzte aber hinzu, sie wundere sich, wie sie jemand in dieser verstellenden Kleidung erkennen könnte; worauf der Unteroffizier erwiderte: er wäre sehr erstaunt, Ihro Gnaden in solcher Kleidung zu erblicken, und er fürchte, es müsse ihr ein widriger Unfall begegnet sein. – »Ein sehr widriger Unfall freilich ist mir begegnet,« sagte sie, »und ich bin diesem Herrn,« sie zeigte auf Jones, »gar höchlich verbunden, daß es nicht der allerunglücklichste geworden ist, oder daß ich nur noch lebe, um davon sprechen zu können.« – »Der Herr mag so viel gethan haben als er will,« ließ sich der Unteroffizier hören, »so bin ich gewiß, der Herr Hauptmann wird's ihm wieder gut machen, und wenn ich Ihr' Gnaden in irgend etwas dienen kann, so brauchen Ihr' Gnaden nur zu befehlen und ich will mich glücklich dünken, wenn ich der gnäd'gen Frau meine geringen Dienste zu leisten im stande bin, und das muß ein jeder thun, denn ich weiß, der Herr Hauptmann wird's sehr reichlich belohnen.«

Die Gastwirtin, welche oben von der Treppe alles anhörte, was zwischen dem Unteroffizier und Madame Waters vorging, kam in aller Eile herunter, rannte gradesweges auf sie zu und begann wegen aller vorigen Beleidigungen um Verzeihung zu bitten, mit dem Ersuchen, ihrer Unwissenheit von ihrem Stande die Schuld zu geben: »Denn, liebster Himmel! gnädige Frau,« sagte sie, »wie hätte ich's mir einfallen lassen können, daß eine Dame von Ihrem vornehmen Stande in solcher Kleidung aufgezogen kommen könnte? Gewiß und wahrhaftig, Madam, hätt' ich nur die geringste Vermutung gehabt, daß Ihr' Gnaden Ihr' Gnaden wären, die Zunge hätt' ich mir lieber aus dem Halse brennen lassen, ehe ich gesagt hätte, was ich gesagt habe, und ich hoffe, Ihr' Gnaden werden sich's gnädigst gefallen lassen, von meinen Kleidern eins anzunehmen, bis Sie Ihren eignen Koffer bekommen.«

»Was will die Frau,« sagte Madame Waters, »mit ihrem dummen Geschwätz? Meint Sie, daß ich mich im geringsten um [161] das Geschwätz bekümmere, das über die Lippen solcher niedrigen Kreaturen geht als Sie ist? Aber ich wundere mich nicht wenig über Ihre Dreistigkeit, daß Sie meint, ich werde nach dem, was vorgefallen ist, etwas von Ihren schmutzigen Lumpen über meinen Leib ziehen. Sie muß wissen, gute Frau, daß mir dazu die Nase zu hoch gewachsen ist!«

Hier legte sich Jones ins Mittel und bat Madame Waters, der Wirtin zu verzeihen und ihr Kleid anzunehmen. »Denn ich muß bekennen,« fuhr er fort, »unser Aufzug war ein wenig verdächtig, als wir zuerst ins Haus kamen, und die gute Frau Wirtin that alles, wie ich überzeugt bin, was sie that, aus bloßer Besorgnis für den guten Namen ihres Hauses, wie sie selbst gesteht.«

»Ja, bei aller Heiligkeit, das that ich! Der Herr spricht doch noch wie 'n rechtlicher Herr und man siehts 'n deutlich an, daß er's ist. Und in Wahrheit, mein Haus ist für ein so wohlberüchtigtes Haus bekannt, als nur eins an der ganzen Heerstraße sein kann. Und ohne Ruhm zu melden wird es von den besten von Adel und Grafen und Herrn besucht, sowohl Irländern als Engländern. Und Trotz sei einem jeden geboten, der mir in dem Punkte die geringste Verleumdung nachsagen kann. Und wie ich schon gesagt habe, hätt' ich's nur mit einem halben Wörtchen gewußt, daß Ihr' Gnaden Ihr' Gnaden wären, ich hätte mir lieber die Finger im Feuer verbrannt, als daß ich sie an Ihr' Gnaden hätte legen wollen! Aber freilich, wo hübsche honette Leute kommen und ihr Geld verzehren, da mag ich auch nicht, daß sie ihr Aergernis haben sollen, an en Kuppel Lumpenbagasche, die, wo sie hinkommen, mehr Läuse als bares Geld absetzen. Mit solchem Volke habe ich in meinem Leben kein Mitleiden, und 's ist auch wahrhaftig nur närrische Dummheit, wenn man's mit ihnen hat. Und wenn unsre Orts-Obrigkeiten ihre Schuldigkeiten thäten, so müßt' es alles aus dem Land hinausgepeitscht werden, und das wär' wahrhaftig für solch Zeug das beste! – Ja, aber was Ihr' Gnaden anbelangt, so thut mir's von Herzen leid, daß Ihr' Gnaden ein Unglück begegnet ist, und wenn Ihr' Gnaden mir die Ehre anthun wollen, so lang eins von meinen Kleidern anzuziehen, bis Ihr' Gnaden Ihre eigenen bekommen können, so soll wahrhaftig das beste, was ich nur in meinem Leben habe, Ihr' Gnaden zu Dienste stehen.«

Ob Kälte, Schamhaftigkeit, oder die Ueberredung des Herrn Jones das meiste über Madam Waters vermochten, will ich nicht bestimmen, aber sie ließ sich endlich durch die Rede der Frau Wirtin besänftigen und ging mit dieser guten Frau allein nach einem Zimmer, um sich in vollständigere Kleidung zu werfen. Der Wirt fing gleichfalls an, dem Herrn Jones seine wohlgesetzte Entschuldigungsrede [162] zu halten, ward aber alsbald von diesem großmütigen Jüngling unterbrochen, welcher ihn bei der Hand faßte, solche herzlich schüttelte und ihn einer völligen Verzeihung versicherte, indem er sagte: »Wenn Sie zufrieden sind, mein guter Freund, so versichre ich Sie, bin ich's gleichfalls.« Und in der That hatte der Wirt in einem gewissen Sinne die meiste Ursache, zufrieden zu sein, denn sein Zwerchfell war ihm tüchtig durchgewalkt, dahingegen Jones kaum einen einzigen Schlag bekommen hatte.

Rebhuhn, der diese ganze Zeit über an der Pumpe seine blutige Nase gewaschen hatte, trat in eben dem Augenblick wieder in die Küche, als sein Herr und der Gastwirt einander die Hände schüttelten. Als ein friedliebender Mann nahm er diese Anzeichen der Aussöhnung mit Vergnügen wahr, und obgleich sein Antlitz hin und wieder Merkmale von Susannens Fäusten, noch mehr aber von ihren Nägeln aufzuweisen hatte, so wollte er sich doch lieber mit dem behelfen, was ihm das Glück im vorigen Kampfe beschert hatte, als es versuchen, seine Scharte in einem neuen auszuwetzen.

Die heroische Susanne war ebenfalls mit ihrer Viktoria ganz wohl zufrieden, ob ihr solche gleich ein blaues Auge eingetragen, welches ihr Rebhuhn gleich im ersten Anfalle gefärbt hatte. Auch unter diesen beiden ward also ein Friedensbündnis errichtet und eben die Hände, welche die Werkzeuge des Krieges gewesen, wurden jetzt zu einem Zeichen der Versöhnung gebraucht.

Solchergestalt war nunmehr die Ruhe auf allen Seiten völlig wieder hergestellt, worüber der Feldwebel, ob es gleich den Grundsätzen seines Handwerks schnurstracks zuwiderlaufend scheinen mag, seinen Beifall bezeigte: »So recht!« sagte er. »Das ist freundschaftlich, sackerlott! ich kann's in Tod nicht leiden, wenn 'n paar Leute mit 'n ander maul'n, wenn se enmal so 'n Verstoß mit 'nander gehabt hab'n. Wenn 'n paar Freunde sich verzürnen, so ist der beste Weg, daß se nicht lange um d'n Brei 'rum gehn, sondern 's kurz und gut, wie man zu sagen pflegt, als Freunde ausmachen, entweder mit Fäusten oder dem Degen, oder mit Pistolen, was sie am liebsten wollen, und denn damit aus und holla! Kurze Haare sind bald gebürstet! Ich meinesteils bei allen sapperment! ich hab' meinen Freund niemals lieber, als wenn ich mich mit'n herumfechte. Ein rechtlicher Kerl muß sein Lebstag keinen Groll hegen!«

Er schlug darauf eine Libation, als einen wesentlichen Teil der Zeremonie bei allen Freundschaftsschlüssen dieser Art vor. Vielleicht macht der Leser hier den Schluß, er habe in der alten Geschichte sehr bewandert sein müssen: das ist nun freilich wahrscheinlich genug! Gleichwohl kann ich's nicht mit Zuversicht behaupten, weil er zu Unterstützung dieser Gewohnheit keine Autorität anführte. Dennoch [163] ist es sehr wahrscheinlich, daß er seine Meinung auf sehr gute Autoritäten gründete, weil er solche mit manchen tüchtigen militärischen Flüchen, die ich hier nicht wiederholen mag, nachdrücklich bestärkte.

Kaum hatte Jones den Vorschlag vernommen, als er dem Kriegsmanne beistimmte, eine Opferschale, oder vielmehr einen reichhaltigen Napf, angefüllt mit einem Getränke, das bei solchen Gelegenheiten gebräuchlich ist, herbeizuschaffen befahl, und dann selbst mit der Zeremonie den Anfang machte. Er legte seine rechte Hand in die Hand des Gastwirts, faßte mit der linken den Napf, sprach die gewöhnlichen Worte und machte also seine Libation, worauf alle Anwesende nach der Reihe dasselbige thaten. In der That ist es eben nicht nötig, diese Zeremonie sehr umständlich zu beschreiben, weil sie von den Libationen, worüber wir bei den alten Schriftstellern und bei ihren neuern Nachbetern so vieles aufgezeichnet finden, fast wenig oder gar nicht unterschieden ist. Der wichtigste Unterschied liegt in zwei Umständen. Erstlich goß die gegenwärtige Gesellschaft das Getränk bloß in ihre Gurgel, und zweitens trank der Feldwebel, welcher hier das Amt eines Priesters verrichtete, zuletzt. Allein, ich glaube, er beobachtete den alten Brauch, indem er von dem Opfertranke ungleich mehr zu sei nem Anteile verschluckte, als die übrige ganze Gesellschaft, und auch die einzige Person bei dem Opfermahle war, die zu der Libation nichts beitrug, ausgenommen, daß er durch seine Gegenwart und Amtsverrichtung die Handlung um so feierlicher machte.

Die guten Leute setzten sich nun allesamt um das Küchenfeuer herum, woselbst gesellige Fröhlichkeit durchaus zu walten schien, und Rebhuhn vergaß nicht nur seine schimpfliche Niederlage, sondern verwandelte auch seinen Hunger in Durst und begann sehr bald außerordentlich witzig und drollig zu werden. Wir müssen gleichwohl diese angenehme Gesellschaft auf eine Weile verlassen und Herrn Jones nach Madame Waters' Zimmer begleiten, woselbst das Mittagessen, das er bestellt hatte, nunmehr auf dem Tische stand. In der That erforderte es nicht viel Zeit, dieses Mahl anzurichten, da es schon seit drei Tagen völlig fertig gestanden hatte und weiter nichts bedurfte, als daß es die Köchin von neuem aufwärmte.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Eine Schutzrede für alle Helden, welche sich bei guter Eßlust befinden, nebst der Beschreibung eines Zweikampfs von der verliebten Gattung.


Was für eine hohe Meinung die Helden, durch Schmeichler verwöhnt, von sich selbst haben, oder in welch erhabenem Licht sie [164] auch bei der Welt stehen mögen, so haben sie doch immer mehr von menschlicher als bloß geistiger Natur an sich. Sei ihr Geist auch noch so erhaben, so ist doch wenigstens ihr Körper (und der macht bei den meisten noch immer den vornehmsten Teil aus) den niedrigsten Bedürfnissen und den gemeinsten Verrichtungen der menschlichen Natur unterworfen. Unter diese letzten gehört die Handlung des Essens, welche von verschiedenen weisen Männern als niedrig und gemein, und der philosophischen Würde für unanständig geachtet worden ist und dennoch gewissermaßen von den größten Fürsten, Helden oder Philosophen auf dem Erdboden verrichtet werden muß. Ja zuweilen hat die Natur ihren Spaß so weit getrieben, daß sie von diesen, mit der höchsten Ehre bekleideten Personen einen weit übertriebnern Grad dieses Frohndienstes erzwungen, als sie den Menschen von der niedrigsten Klasse aufgelegt hatte.

So viel ist gewiß, sowie kein bekannter Bewohner dieses Erdballs dem Wesen nach mehr ist als ein Mensch, so sollte auch niemand sich schämen dürfen, sich demjenigen zu unterwerfen, was die Bedürfnisse eines Menschen erheischen. Wenn aber solche erhabne Personen, deren ich eben erwähnt habe, sich so weit herablassen, diese niedrigen, gemeinen Verrichtungen bloß und allein auf sich selbst einschränken zu wollen (wie es denn ihre Willensmeinung zu sein scheint, durch ihre Verheerungen und Verwüstungen alle übrige Menschen von der Verrichtung des Essens zu befreien): so werden sie wirklich sehr gemein, niedrig und verächtlich.

Nach dieser kurzen Vorrede halten wir es also für keine Herabwürdigung unsers Helden, wenn wir der übermäßigen Hitze erwähnen, womit er bei dieser Gelegenheit zu Werke ging. Man darf es in der That bezweifeln, ob Ulysses (welcher im Vorbeigehen gesagt, der eßlustigste von allen Helden in dem mahlzeitreichen Gedichte, genannt Odyssee, gewesen zu sein scheint) jemals eine tüchtigere Mahlzeit gethan hat.

Drei Pfund zum wenigsten von dem Fleische, welches vorhin das Ganze eines Ochsen ausmachen half, hatten jetzt die Ehre, einen Teil von Herrn Jones' leibhafter Person ausmachen zu helfen.

Wir haben uns verbunden erachtet, dieses besondern Umstandes zu gedenken, weil solcher über die kurzwährende Vernachlässigung seiner schönen Gefährtin einen Aufschluß geben kann, welche nur sehr wenig aß und wirklich mit Gedanken von einer ganz andern Art beschäftigt war, auf welche Jones nicht eher merkte, bis er den Appetit völlig gestillt, den ihm ein vierundwanzigstündiges Fasten verschafft hatte. Er hatte aber nicht so bald seine Mahlzeit vollendet, als seine Aufmerksamkeit auf andre Dinge wieder erwachte. Wir [165] wollen also dazu schreiten, unsern Leser nunmehr mit diesen andern Dingen bekannt zu machen.

Herr Jones, von dessen persönlichen Vollkommenheiten wir bisher nur noch wenig gesagt haben, war nach aller Wahrheit eine der schönsten jungen Mannspersonen von der Welt. Ueberdem daß sein Gesicht ein Bild der Gesundheit selbst war, hatte es auch noch die auffallendsten Züge von Sanftmut und Menschenfreundlichkeit. Diese Eigenschaften leuchteten wirklich so auszeichnend aus seiner Gesichtsbildung hervor, daß, wenn auch die Lebhaftigkeit und der Verstand in seinen Augen (welche allerdings der Beobachtung eines etwas genauen Bemerkers nicht entgehen konnten) von einem ungeübtern Physiognomisten hätten übersehen werden können, doch seine Gutmütigkeit so deutlich auf allen seinen Mienen gemalt war, daß sich fast niemand darin irren konnte, der ihn nur einmal ansah.

Vielleicht lag es ebensoviel hierin, als in seiner sehr feinen blühenden Farbe, die seinem Gesichte eine Delikatesse gab, welche sich fast nicht beschreiben läßt und ihm fast ein zu weibliches Ansehen verliehen hätte, wenn solche nicht mit einem sehr männlichen Wuchs und Körperbau verknüpft gewesen wäre, welcher letztere ebensoviel von einem Herkules, als die erste von einem Adonis hatte. Dabei war er gewandt, artig, munter und aufgeräumt und von einem so lebhaften Witze, daß er eine jede Unterredung beseelte, woran er Anteil nahm.

Wenn der Leser alle diese verschiedenen Reize, die in unserm Helden vereinigt waren, gehörig überlegt und dabei zugleich die eben erhaltenen Verbindlichkeiten bedenkt, welche Madame Waters ihm zu verdanken hatte, so würde es mehr Ziererei als Aufrichtigkeit verraten, wenn man deswegen schlecht von ihr denken wollte, weil sie eine sehr gute Meinung von ihm faßte.

Mit was für Tadel man sie aber zu belegen geneigt sein mag, meine Pflicht ist, die Sachen so zu erzählen, wie sie sich der That und Wahrheit nach verhalten. Madame Waters hatte, wie die Wahrheit zu sagen befiehlt, nicht nur eine gute Meinung von unserm Helden, sondern hatte auch für ihn eine sehr große Zuneigung. Ohne weitere Zurückhaltung geradeheraus zu sagen, sie war in ihn verliebt, nach dem jetzt allgemein angenommenen Sinne der Redensart, nach welchem das Wort »verliebt sein« ohne Unterschied von jedem Verlangen nach einem gewünschten Gegenstande gebraucht wird, bestehe es in Hunger oder Lecker, und eigentlich den Vorzug bezeichnet, den wir einer Art von Leibesnahrung vor der andern geben.

Ob aber gleich die Liebe zu allen diesen verschiedenen Gegenständen in allen Fällen eine und dieselbe sein mag, so muß man doch zugestehen, daß ihre Wirkungen verschieden sind. Denn so groß [166] auch unsre Liebe zu einem vortrefflichen Stück Rindfleisch oder einer Flasche Burgunder, zu einer Muschrose oder zu einer Cremonesergeige sein mag, so suchen wir doch niemals, weder durch Lächeln noch Liebäugeln, noch Schmücken und Putzen unsrer Person, noch durch Schmeichelei, noch durch andre Künste und Griffe die Gegenliebe des besagten Stücks Rindfleisch u.s.w. zu erwerben und zu gewinnen. Seufzen mögen wir darnach wohl zuweilen, das geschieht aber gewöhnlich in der Abwesenheit und nicht in der Gegenwart dieser geliebten Gegenstände. Sonst möchten wir uns wohl mit ebenso gutem Recht über ihre Undankbarkeit beklagen, wie ehemals Pasiphae mit ihrem Stier that, den sie durch alle Koketterien zu reizen suchte, welche mit gutem Erfolg in den Besuchzimmern, bei den verständigern sowohl als zärtlichern Herzen der besuchenden feinen jungen Herren, angewendet werden.

Bei der Liebe, welche zwischen zwei Personen von einerlei Gattung, aber von verschiedenem Geschlechte ihr Wesen treibt, ergibt sich gerade das Gegenteil. In diesem Falle sind wir nicht so bald verliebt geworden, als es unsre hauptsächlichste Sorge wird, die Zuneigung des geliebten Gegenstandes zu gewinnen. Denn zu was andern Endzwecken würde wohl unsre Jugend in allen den Künsten, sich angenehm zu machen, so sorgfältig unterrichtet? Wäre es nicht in Rücksicht auf diese Liebe, so zweifle ich sehr, ob irgend eins von den Gewerben, womit es auf das Zieren und Schmücken menschlicher Personen angesehen ist, seinen Mann oder seine Frau ernähren würde. Ja sogar diese großen Verfeinerer unsrer Sitten, welche nach einiger Meinung uns dasjenige lehren, was uns hauptsächlich von unvernünftigen Geschöpfen unterscheidet, sogar die Tanzmeister, möchten nicht einmal in der menschlichen Gesellschaft mehr ihre Stätte füllen. Kurz, alle die Grazien, welche junge Damen (und selbst junge Herrn nicht ausgenommen) von andern lernen, und die mancherlei Kunstverbesserungen, welche sie vermittelst des Spiegels ihren eignen natürlichen Annehmlichkeiten geben, sind die eigentlichen wahren Spicula et faces amoris, von welchen Ovid so mancherlei zu sagen weiß, oder, wie man solche oft in unsrer Sprache zu nennen pflegt, das ganze schwere Geschütz der Liebe.

Nun hatten sich Madame Waters und unser Held kaum bei einander niedergesetzt, als die erste dieses schwere Geschütz auf den letzteren loszubrennen begann. Jedoch, da wir hier im Begriffe stehen, uns an eine Beschreibung zu wagen, dergleichen bisher weder in Prosa noch Versen versucht worden ist, so halten wir es für nötig, den Beistand eines gewissen geistigen Wesens anzurufen, welches, wie wir zuversichtlich hoffen, uns bei dieser Gelegenheit seine gütige Hilfe nicht versagen wird.

[167] Sagt also, ihr Grazien, ihr, die ihr den himmlischen Sitz, Seraphinens Angesicht bewohnt, denn von göttlicher Abkunft seid ihr wirklich und umschwebt unaufhörlich ihre Gegenwart und verstehet alle die Künste durch himmlische Reize zu bezaubern; sagt, welches waren die Waffen, wodurch Jones, unser Held, jetzt überwunden und gefangen genommen wurde?

Zuerst flogen fort von zwei lieblich blauen Augen, deren glänzende Kreise beim Abfeuern zuckende Blitze verschossen, zwei wohlgezielte Blicke. Aber Heil für unsern Helden, sie prallten ab von ihrem Ziele und fielen auf ein mächtiges Stück Rindfleisch, das er auf seinen Teller holte, und so brach sich ihre Gewalt, ohne weiteres Unheil zu stiften. Die schöne Kriegerin merkte bald, daß sie ihres Endzwecks verfehlt, und zog gleich darauf aus ihrem schönen Busen einen tödlichen Seufzer hervor, einen Seufzer, den niemand ohne empfindsames Gefühl hätte hören können, und der Kraft genug hatte, ein halb Dutzend gepuderter süßen Herrn zu Boden zu strecken, so süß, so lind, so zärtlich, daß die davon säuselnde Luft ihren Weg zum Herzen unsres Helden hätte finden müssen, wäre sie nicht durch das laute Gesprudel des kräftigen Malzsaftes, den sich eben Jones aus einer frischgeöffneten Flasche ins Glas goß, von seinen Ohren abgetrieben worden. Noch versuchte sie der andern Waffen viele, aber die Göttin des Essens (wenn es eine solche Gottheit gibt, wie ich nicht so ganz zuversichtlich behaupten mag) beschützte ihren Verehrer: oder vielleicht ist es nicht dignus vindice nodus, und gegenwärtige Sicherheit des Herrn Jones mag sich wohl auf eine mehr natürliche Weise erklären lassen; denn so wie Liebe sehr oft vorm Anfall des Hungers schützt, so mag auch wohl in einigen Fällen der Hunger uns gegen die Liebe bewahren.

Die Schöne, welche ihre häufigen, fruchtlosen Bemühungen nicht wenig ärgerten, entschloß sich zu einem kurzen Waffenstillstand. Diese Zeit wandte sie an, jedes Werkzeug des Liebeskrieges in Bereitschaft zu setzen, um nach vollendeter Mahlzeit den Angriff zu erneuern.

Kaum war auch das Tischtuch abgenommen, als sie ihre Operationen von neuem begann. Zuerst, nachdem sie ihr rechtes Auge seitwärts gegen Herrn Jones gerichtet, schoß sie aus dessen Winkel einen scharfdurchdringenden Seitenblick, der, obgleich ein großer Teil seiner Gewalt verloren ging, bevor er unsern Helden erreichte, doch nicht ganz und gar ohne Wirkung zerflatterte. Da die Schöne dies merkte, zog sie plötzlich ihre Augen zurück und richtete solche bis zum niedrigsten Grade, so, als ob sie das, was sie gethan hatte, bereute, obgleich sie hierdurch bloß zur Absicht hatte, seine Wachsamkeit einzuschläfern, oder vielmehr ihn sicher zu machen, daß er seine Augen öffne, wodurch sie willens war, sein Herz zu überrumpeln. Und [168] nunmehr, indem sie die glanzvollen Sterne ihrer Augen sanft emporhob, welche schon anfingen, einigen Eindruck auf Jones zu machen, brannte sie eine Generalsalve von kleineren Reizen von allen Mienen und Zügen ihres ganzen Gesichts mit einem Lächeln ab. Nicht war's ein Lächeln von Scherz oder von Freude, sondern ein Lächeln empfindsamen Gefühls, dergleichen die meisten Damen beständig zu ihren Befehlen bereit haben, und das ihnen zu gleicher Zeit dient, ihr sanftes Gemüt, ihre schönen Grübchen in den Wangen und ihre weißen Zähne bemerken zu lassen. Dieses Lächeln traf unsern Helden geradeswegs in die Augen, und er ward durch seine Gewalt unmittelbar wankend gemacht. Nunmehr begann er die Absicht des Feindes zu merken und wirklich zu fühlen, daß ihm solche gelinge. Darauf ward von beiden Teilen beliebt, eine Kapitulation zu bewirken, während welcher Zeit die schlaue Schöne ihren Angriff so unbemerkt und listig fortsetzte, daß sie das Herz unsres Helden beinahe völlig eingenommen hatte, ehe sie die Feindseligkeiten von neuem wieder anzufangen schien. Die Wahrheit zu bekennen, fürchte ich, machte Herr Jones nur eine schwache Verteidigung und übergab verräterischerweise die Garnison der Festung zu Kriegsgefangenen, ohne die pflichtmäßige Treue gehörig zu erwägen, die er seiner schönen Alliierten, der liebenswürdigen Sophie, schuldig war. Kurzum, die verliebte Unterhandlung war kaum geendigt, und kaum hatte die Dame ihre Hauptbatterie dadurch demaskiert, daß sie nachlässigerweise ihr Halstuch vom Busen fallen ließ, als das Herz des Herrn Jones völlig eingenommen ward und die schöne Siegerin die gewöhnlichen Früchte ihrer Viktorie einerntete. – Hier erachten die Grazien für diensam, ihrer Beschreibung ein Ende zu machen, so wie wir dem Kapitel.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Freundliches Gespräch in der Küche, das sich zwar gewöhnlich, aber nicht freundschaftlich schließt.


Unterdessen, daß unsre Verliebten einander auf die Art und Weise unterhielten, wie wir zum Teil im vorigen Kapitel beschrieben haben, verschafften sie auch ihren guten Freunden in der Küche Stoff zur Unterhaltung, und zwar in einem doppelten Verstande, teils Materie zu ihrer Unterredung und teils zu trinken, um ihr Herz fröhlich und guter Dinge zu machen.

Da waren außer dem Herrn Wirt und der Frau Wirtin, die gelegentlich ab- und zugingen, um das Küchenfeuer her versammelt: der ehrliche Rebhuhn, der Feldwebel und der Kutscher, welcher die junge Dame und ihre Kammerjungfer hergebracht hatte.

[169] Nachdem Rebhuhn der Gesellschaft von alledem Bericht erstattet, was er in Ansehung der Umstände, in welchen Jones Madame Waters im Walde gefunden, von dem Mann von Berge vernommen hatte, fuhr der Feldwebel fort, denjenigen Teil ihrer Geschichte zu erzählen, welcher ihm selbst bekannt war. Er sagte, sie sei die Gemahlin eines gewissen Herrn Waters, der als Hauptmann bei demselben Regimente stände, unter welchem er diente, und mit dem er oft einerlei Standquartier gehabt hätte. »Gewisse Leute,« sagte er, »wollen zwar ihren Zweifel daran haben, ob sie so ganz rechtmäßig vom Priester getraut wären. Das geht aber mich für meinen Teil nicht so viel an als eine Pfeife Tabak, das muß ich gestehen, wenn ich darüber auf meinen Feldwebelseid in Kriegsrecht verhört würde, so würd' ich nichts andres sagen können, als, ich glaube, 's mag wohl nur soso mit dem Dinge stehen, und wie mir dünkt, mag der Herr Hauptmann zum Himmel fahren, wenn die Sonne zu Mitternacht scheint. Aber meinethalben! Kurze Haare sind bald gebürstet. Wenn er 'mal hinfährt, wird's'm an Gesellschaft nicht fehlen. Und die gnädige Frau, – na! auch dem Teufel muß man sein Recht lassen! Die gnädige Frau ist ein ganz guter Schlag von Frau und hält was aufs Königs Montierung, und ist immer darauf gestellt, daß der nicht zu nahe geschieht, denn sie hat schon manchen armen Soldaten losgebeten, und wenn's auf sie ankäme, so würde gewiß keiner davon eine Regimentsstrafe leiden. Aber sapperment, wahr ist's auch, daß Fähnrich Northerton und sie sich immer ganz dicke miteinander standen, als wir in dem letzten Quartiere lagen. Das ist die Wahrheit! und 's Ende vom Liede. Aber der Hauptmann weiß davon kein Wort; und was thut's auch, solange wie er deswegen noch nicht zu darben nötig hat? Er hat sie deswegen noch nicht um eine Pfanne Pulver weniger lieb, und würde beim sackerlot einen jeden Kerl durch die Rippen stoßen, der ihr was zu nahe sagte. Deswegen mag ich auch nichts Böses von ihr ausbringen, ich nicht, ich sag' nur das nach, was die Leute sagen, und ich sollte doch meinen, sapperment, was jedermann sagt, daran müßte doch wohl ein bißchen wahr sein!« – »Freilich, freilich! recht viel Wahres! darauf kann man sich verlassen,« rief Rebhuhn, »veritas odium parit.« – »Nichts als schändliche, stinkende Verleumdung!« antwortete die Wirtin vom Hause, »wahrhaftig, nun da sie angekleidet ist, läßt sie recht als einer hübschen, vornehmen Dame, und sie führt sich auch auf als eine vornehme Dame, denn sie hat mir eine Guinee gegeben, daß ich ihr nur meine Kleider gelehnt habe.« – »Eine recht hübsche, vornehme Dame, mein Seel!« fiel der Wirt ein. »Und wenn du nicht ein bißchen zu hastig gewesen wärst, so hättest du den Hophei nicht mit ihr gemacht, wie du gleich anfangs thatest.«

[170] »Das hätt'st du eben nicht nötig mir unter die Nase zu reiben, wahrhaftig!« antwortete sie. »Denn wenn's deine Schafköpfigkeit nicht gethan hätte, so möchte das ganze dumme Stückchen wohl unterblieben sein. Aber da muß Er sich immer in alles mischen, was Ihm nichts angeht und seine närrische Nase in jeden Kehricht stecken.« – »Nu, nu, Schatz!« antwortete er, »zu geschehenen Dingen das beste reden, und damit laß die Sache gut sein!« – »Mag's sein!« schrie sie, »für diesmal, aber wird's damit inskünftige besser gehn? 's ist nicht das erste Mal, daß ich für deine Grützkopfweisheit habe leiden müssen! Ich wollte wünschen, Er hielte seine Dummbartszunge über alles was im Hause vorgeht, und bekümmerte sich hübsch um das, was Seine Sache außerm Hause ist. Denkst du noch wohl dran, wie es enmal vor sieben Jahren ging?« – »Nun, nun, Schatz!« erwiderte er, »rühre doch keine alten Geschichten auf! Komm, komm, 's ist ja nun alles recht gut, und 's thut mir leid, was ich gethan habe.« Die Frau Wirtin hatte schon den Mund gespitzt zu antworten, ward aber durch den friedenstiftenden Feldwebel dran verhindert, zum großen Leidwesen des Herrn Rebhuhn, der ein großer Liebhaber von sogenannten Hickhackereien war und bei solchen harmlosen Gezänken gerne zuschüren mochte, die mehr lächerliche als weinerliche Auftritte hervorzubringen pflegen.

Der Unteroffizier fragte Rebhuhn, wohin sein und seines Herrn Weg ginge. »Was ist da zu herren?« antwortete Rebhuhn. »Ich bin keines Menschen Knecht, das kann ich versichern; denn ob ich wohl allerlei Widerwärtigkeiten in der Welt erlebt habe, so heiß' ich ebenso gut ein Herr wie andre Leute, und so schlecht und recht wie ich auch jetzt einhergehen mag, so gab's doch eine Zeit, wo ich meine lateinische Schule hielt.Sed heu mihi! Non sum quod fui.« – »Werden's nicht übel nehmen, hoffe ich!« sagte der Unteroffizier. »Aber wenn ich so frei darf zu fragen, wo denken Sie und Ihr hinzureisen?« – »Nun, da haben Sie uns recht benannt,« sagte Rebhuhn: »Amici sumus. Und das kann ich Sie versichern, mein Freund ist einer der vornehmsten Herrn im Königreiche. (Bei diesen Worten spitzten Wirt und Wirtin beide gewaltig die Ohren.) Er ist der einzige Erbe des Herrn Junkers von Alwerth.« – »Was! des Junkers, der im ganzen Lande herum so viel Gutes thut?« rief die Frau Wirtin. – »Ebendesselben,« antwortete Rebhuhn. – »Nun wahrhaftig!« sagte sie, »so wird er einmal recht tüchtig große Güter bekommen.« – »Das sollt' ich meinen!« antwortete Rebhuhn. – »Seht mir einmal!« erwiderte die Wirtin. »Ich dacht's gleich den ersten Augenblick da ich ihn sah, er sah mir aus als ein recht vornehmer Herr, aber mein Mann hier, wahrhaftig, der will immer klüger sein als die ganze Welt!« – »Ich gestehe ja, mein Schatz,« [171] rief er, »daß ich mich geirrt habe!« – »Jawohl, gröblich geirrt!« antwortete sie. »Aber hast du wohl jemals gesehn, daß ich solche einfältige Irrtümer mache? Aber wie kommt's denn, Herr,« sagte die Wirtin, »daß ein so vornehmer Junker zu Fuße im Lande herumreist?« – »Das kann ich nicht sagen!« antwortete Rebhuhn. »Aber vornehme Leute haben so zuweilen ihre eigene Grillen! Er hat da sein Dutzend Pferde und Bedienten zu Gloucester liegen, aber es war ihm nichts zu Kopfe und da mußte er mit aller Gewalt gestern abend, da's eben heiß Wetter war, sich abzukühlen einen Spaziergang nach jenem großen Berge machen, und da bin ich denn mit ihm geschlendert, um ihm Gesellschaft zu leisten, aber wer mich wieder auf dem Pferde antrifft! Ja! in meinem Leben hab' ich keinen solchen Schrecken gehabt. Wir trafen da den seltsamsten Menschen von der Welt an.« – »Ich will mich wohl hängen lassen,« rief der Wirt, »wenn das nicht der Mann vom Berge gewesen ist, wie sie ihn zu nennen pflegen! Wenn's aber nur ein Mann ist; denn ich kenne verschiedene Leute, die nicht anders glauben, als daß es, Gott verzeih' mir die Sünde! der leibhaftige Satan sein soll.« – »Nun, nun! es sieht so unrecht nicht darnach aus,« sagte Rebhuhn, »und nun Sie mich wieder drauf bringen, so glaub' ich's steif und fest, daß es der Gottseibeiuns war. Seinen Klumpfuß hab' ich zwar nicht gesehn, aber vielleicht ist ihm die Macht zugelassen, daß er den verbergen kann, weil die bösen Geister eine jede Gestalt annehmen können, die sie nur wollen.« –»Darf ich bitten, Herr,« sagte der Feldwebel, »Sie nehmen's aber nicht übel, hoff' ich! Aber ich bitte sagen Sie mir doch, was für eine Art von Herren ist denn der Satan? Denn ich habe von einigen unserer Herren Offiziere sagen gehört, es gäbe keine solche Person, und 's wär nur so'n Popanz von 'en listigen Pfaffen, womit sie ihr Gewerbe im Gange erhalten wollen, denn wenn's öffentlich bekannt würde, daß es mit dem Teufel und Satan nur en Märchen ist, so würden die Pfaffen ebensowenig nütze sein, als wir Soldaten in Friedenszeiten.« – »Diese Offiziere,« sagte Rebhuhn, »sind wohl große Gelehrte, nicht wahr?« – »So große Gelehrte nun wohl eben nicht!« antwortete der Feldwebel, »sie sind nicht halb so gelehrt als Sie, Herr, und beim sapperment auch, denk' ich, es muß doch wohl ein'n Teufel geben, sie mögen auch sagen, was sie wollen, obgleich einer von ihnen schon als Hauptmann eine Kompanie hat! Denn sackerlot, nach meiner Meinung denk' ich so, wenn kein Teufel oder Satan ist, wie kann er denn die ruchlosen Menschen holen, und ich hab' es doch aus 'en gedruckten Buche gelesen, daß er das thut.« – »Es gibt welche unter Ihren Offizieren,« sagte der Wirt, »die's schon einmal fühlen werden, daß es einen Teufel gibt; mag's ihn'n lieb [172] sein oder nicht, sollt' ich glauben. Sie werden's schon gewahr werden, wenn er einst einige von meinen Rechnungen mit ihnen abmacht. Da lag einmal einer ein ganz halb Jahr lang bei mir im Quartier: der war so ruchlos, daß er mein bestes Stück Bettzeug mit einpackte, ob er gleich des Tages kaum sechs Groschen im Hause verzehrt hatte, und dabei litt er, daß seine Leute ihre Rüben bei meinem Küchenfeuer rösteten, weil ich ihnen des Sonntags zu Mittag nichts aufschüsseln wollte. Eine jegliche gute Christenseele muß wünschen, daß ein Teufel sei, um solch gottloses Gesindel zu strafen.« – »Hören Sie, Herr Wirt,« sagte der Feldwebel, »die Montierung nicht beschimpft, ein für allemal, ich leid's nicht.« – »Hol der Teufel die Montierung,« sagte der Wirt, »'s ist mir teuer genug zu stehen gekommen.« – »Ich ruf' euch zu Zeugen, ihr Herren,« sagte der Unteroffizier, »er hat auf den König geflucht, und das ist Hochverrat und steht der Galgen drauf.« – »Ich hätt' auf den König geflucht? dummer Kerl,« sagte der Wirt. – »Ja, das thatet Ihr,« schrie der Feldwebel. »Ihr fluchtet auf die Montierung, und das ist ebenso gut als auf den König; 's ist alles einerlei. Denn wer des Königs Montierung verflucht, würde auch den König verfluchen, wenn er nur dürfte, und darum und dessentwegen ist's einerlei, und eins so gut wie's andere.« – »Ich bitte um Entschuldigung, Herr Feldwebel,« sagte Rebhuhn, »das ist einNon sequitur.« – »Bleib' mir der Herr mit seinem ausländischen Rotwelsch von der Nase!« sagte der Feldwebel und sprang auf von seinem Sitze. »Ich werd' auch hier stillsitzen, meint der Herr, und des Königs Montierung beschimpfen lassen?« – »Sie verstehen mich unrecht, mein Freund,« sagte Rebhuhn, »ich habe nichts Nachteilig's auf die Montierung sagen wollen. Ich sagte bloß, Ihr Schluß wäre ein Non sequitur.« – »Das mag Er selbst sein!« sagte der Feldwebel, »versteht Er mich? Ein doppelter Sequitur ist Er! Ihr seid beide ein paar Schurken, und das will ich euch wahr machen und ich will mich mit dem besten unter euch herumschlagen, um eine Wette von zwanzig Guineen.« Diese Ausforderung war sehr wirksam, Herrn Rebhuhn zum Schweigen zu bringen, bei dem sich noch kein frischer Hunger zum Fäustgen wieder eingestellt hatte, nachdem er eben bis zur höchsten Sättigung davon genossen hatte. Der Kutscher aber, dessen Knochen weniger zusammengerüttelt waren und dessen Appetit nach Faustbalgerei sich ziemlich scharf regte, konnte den Schimpf nicht so leicht in die Tasche stecken, wovon ein Teil seiner Meinung nach auch auf ihn gefallen war. Er sprang deswegen auf von seinem Sitze und schwur, indem er auf den Unteroffizier hinzuging, er hielte sich für einen ebenso guten Mann, als nur irgend einen in der ganzen Armee, und wollte sich um eine Guinee auf ein paar Fäuste schlagen. [173] Der Kriegsmann nahm den Zweikampf an, von der Wette aber wollte er nichts wissen, worauf beide also flugs die Kleider abwarfen und zum Werke schritten, bis der Treiber der Pferde von dem Führer der Mannschaft so tapfer geprügelt war, daß er sich genötigt sah, den wenigen Atem, der ihm übrig blieb, dazu anzuwenden, daß er um Quartier bat. Um diese Zeit war die junge Dame gesonnen weiterzufahren und hatte befohlen, daß angespannt werden sollte. Allein es war vergebens, denn der Kutscher war außer stand gesetzt, für diesen Abend weitere Dienste zu leisten. Ein alter Heide hätte dieses Unvermögen vielleicht nicht weniger dem Gott des Trinkens, als dem Gott des Krieges zugeschrieben, denn in der That hatten beide Kämpfer sowohl der ersten, als der letzten Gottheit geopfert. Alles Rätselhafte beiseite, sie waren beide bis über die Ohren betrunken und selbst Rebhuhn fand sich in nicht viel nüchternern Umständen. Was den Herrn Wirt betrifft, so war Trinken sein Beruf und der edle Malzsaft hatte keine weitere Wirkung auf ihn, als auf jedes andre Gefäß in seinem Hause.

Die gebietende Frau des Wirtshauses war eingeladen worden mit Herrn Jones und seiner Gefährtin Thee zu trinken und sie gab ihnen eine ausführliche Nachricht von dem letzten Teile des vorstehenden Auftritts, wobei sie ihr großes Bedauern über die junge Dame ausdrückte, welche, wie sie sagte, darüber in der äußersten Verlegenheit wäre, daß sie verhindert würde ihre Reise fortzusetzen.

»Es ist ein gar süßes, schönes Engelskind,« setzte sie hinzu, »und es ist mir nicht anders, als ich muß ihr Gesicht schon ehedem gesehen haben. Es kommt mir so vor als ob sie verliebt sei und von ihren Verwandten fortfliehe. Wer weiß, ob nicht einer oder der andre junge Herr mit ebenso schwerem Herzen auf sie wartet, als sie hier zögern muß.«

Jones holte bei diesen Worten einen tiefen Seufzer, welchen Madame Waters zwar bemerkte, aber nicht zu bemerken scheinen wollte, so lange als die Wirtin im Zimmer war; als aber die gute Frau weggegangen, konnte sie sich nicht enthalten unserm Helden gewisse Winke zu geben, wie sie argwöhnte, daß sie eine gefährliche Nebenbuhlerin haben möchte. Das gezwungene Betragen des Herrn Jones bei dieser Gelegenheit bekräftigte ihr die Wahrheit, ohne daß er ihr auf eine von ihren Fragen geradezu geantwortet hätte. Allein sie war in ihren Amours nicht ekel genug, um sich diese Entdeckung gar zu tief zu Herzen gehen zu lassen. Die Schönheit des Herrn Jones war in ihren Augen äußerst reizend, weil sie aber sein Herz nicht sehen konnte, so machte sie sich darüber keinen Kummer. Sie war eine Frau, die sich's an der Tafel der Liebe herzlich wohl schmecken lassen konnte, ohne darüber nachzusinnen, [174] daß bereits schon eine andre daran gespeist worden, oder daß künftig eine andre von eben der Schüssel ihre Mahlzeit thun würde. Eine Denkart, welche man freilich wohl nicht zu der empfindsamsten zählen kann, der man doch aber die Solidität nicht absprechen kann, und welche dabei weniger eigensinnig und vielleicht auch weniger abgünstig und eigennützig ist, als die Wünsche solcher Weiblein, welche sich's allenfalls gefallen lassen wollen, sich des Besitzes ihrer Liebhaber zu begeben, wenn sie nur hinlänglich überzeugt sind, daß solche niemand anders besitze.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Nähere Nachrichten von Madame Waters, und von der Art und Weise, wie sie in die bedrängten Umstände geriet, aus welchen sie durch Jones gerettet wurde.


Obgleich die Natur, sowie sie jeden einzelnen Menschen bildet, keineswegs zu der Mischung völlig gleiche Teile von Neugierde und Eitelkeit genommen hat, so gibt es doch vielleicht kein einziges Individuum, dem sie nicht einen so reichlichen Anteil von beiden hätte zukommen lassen, daß es ihm viele Kunst und Mühe kostete, um sie in Zaum und Zügel zu halten, und doch ist diese Herrschaft für jedermann durchaus notwendig, der nur einigen Anspruch auf den Charakter eines weisen oder wohlerzogenen Mannes behaupten will.

Da nun Jones mit allem Recht ein wohlerzogener Mann heißen konnte, so hatte er alle die Neugierde unterdrückt, welche die außerordentlichen Umstände, in welchen er Madame Waters angetroffen, nach aller Wahrscheinlichkeit in ihm erregt haben mußten. Er hatte wirklich anfangs darüber einige halbe Worte gegen die Dame fallen lassen, als er aber merkte, daß sie mit Fleiß allen Erklärungen auswich, so ließ er sich's gefallen darüber in Unwissenheit zu bleiben, um so mehr da er fast ein wenig argwöhnte, es möchten, wenn sie die ganze Wahrheit erzählte, solche Umstände vorkommen, worüber sie zu erröten hätte.

Weil es gleichwohl möglich ist, daß einige von unsern Lesern sich bei dieser Unwissenheit nicht ebenso leicht beruhigen möchten und wir doch sehr geneigt sind, ihnen allen möglichst zu Gefallen zu sein, so haben wir uns ungemeine Mühe gegeben, auf den wahren Grund der Sache zu kommen, und wollen davon zum Schlusse dieses Buches Nachricht geben.

Diese Dame also hatte einige Jahre her mit einem gewissen Kapitän Waters gelebt, der eine Kompanie in eben dem Regiment hatte, zu welchem der Fähnrich Northerton gehörte. Sie hieß Frau [175] Hauptmännin und führte seinen Namen, und doch, wie der Feldwebel sagte, gab es einige Leute, welche Zweifel hegten, ob es auch mit ihrer Ehe seine völlige Richtigkeit habe, welchen Zweifel wir aber für jetzt nicht unternehmen wollen zu lösen.

Madame Waters, ich sag' es ungern, hatte seit einiger Zeit eine genaue Bekanntschaft mit dem obbesagten Fähnrich unterhalten, wodurch denn ihr guter Name fast ein wenig zu leiden schien. Daß sie für diesen jungen Mann eine auffallende Gewogenheit hegte das ist höchst gewiß, ob sie aber dieselbe bis zu einem gewissen verbotenen Grade trieb, das hingegen ist nicht völlig klar, wir müßten denn annehmen, daß ein Frauenzimmer niemals einer Mannsperson alle Gunstbezeigungen bis auf eine schenkte, ohne ihr auch diese eine dazu zu gewähren.

Die Division des Regiments, in welcher sich der Hauptmann Waters befand, war zwei Tage früher ausmarschiert als die Kompanie, bei welcher Northerton als Fähnrich stand, dergestalt, daß die Division den Tag darauf Worcester erreicht hatte, als der unglückliche Streit zwischen Jones und Northerton vorgefallen war, wovon wir in dieser Geschichte Meldung gethan haben.

Nun war zwischen Madame Waters und dem Herrn Hauptmann die Abrede, daß sie ihn auf dem Marsche bis Worcester begleiten sollte, woselbst sie sich trennen wollten, und sie sollte von da nach Bath zurückgehen und sich daselbst aufhalten, bis die Winterkampagne gegen die Rebellen geendigt sein würde.

Von dieser Abrede war dem Fähnrich Northerton Nachricht gegeben worden. Ohne Umschweife, die Dame hatte ihn an eben den Ort hinbeschieden und ihm versprochen sich so lange zu Worcester aufzuhalten, bis er mit seiner Division daselbst ankäme; in was für Absicht und zu was für Endzweck, das muß ich des Lesers Kunst im Raten überlassen, denn ob wir gleich verpflichtet sind, die Thatsachen zu erzählen, so sind wir doch nicht verbunden durch Noten und Anmerkungen, welche der liebenswürdigsten Hälfte der Schöpfung nachteilig scheinen könnten, unsrer Natur Gewalt anzuthun.

Northerton erhielt nicht so bald die Befreiung aus seiner Gefangenschaft, wie wir gesehen haben, als er hastig forteilte, um Madame Waters einzuholen, und als ein sehr rüstiger und behender Mann that er dies in der letzterwähnten Stadt, einige wenige Stunden nachher, als Kapitän Waters solche verlassen hatte. Bei seiner ersten Ankunft machte er sich kein Bedenken, ihr den unglücklichen Vorfall anzuvertrauen, welchem er wirklich den Anstrich einer sehr unglücklichen Begebenheit gab, denn er ließ sorgfältigerweise alles und jedes aus seiner Erzählung weg, was man einen Fehler nennen konnte, zum wenigsten nach den Gesetzen der Ehre, ob er [176] gleich eins und das andre nicht verhehlte, welches nach den Gesetzen des Landes nicht so ganz zu rechtfertigen war.

Frauenzimmer, zu ihrem Ruhme sei es gesagt, sind jener heftigen und uneigennützig scheinenden Eigenschaft der Liebe, welche bloß das Beste des geliebten Gegenstandes sucht, fast durchgängig mehr fähig als die Mannspersonen. Madame Waters hatte also kaum Nachricht von der Gefahr erhalten, in welcher ihr Geliebter schwebte, als sie alle Betrachtungen, seine Sicherheit ausgenommen, gänzlich aus den Augen setzte; und da nun dieses eine Angelegenheit war, die dem Herrn ebensonah am Herzen lag als ihr, so ward sie von beiden unmittelbar in ernstliche Ueberlegung genommen.

Nach vielem Ratschlagen hin und her über diese Materie ward zuletzt beschlossen, daß der Fähnrich quer durchs Land nach Hereford gehen sollte, woselbst er ein oder die andere Gelegenheit finden könnte, womit er nach einem von den Seehäfen in Wallis und von da zu Schiffe außer Landes gehen könnte. Madame Waters erklärte sich, sie wolle ihm auf dieser ganzen Reise Gesellschaft leisten, und was dabei ein wesentlicher Artikel für den Fähnrich Northerton war, wolle sie ihn auch mit Gelde versehen, weil sie eben drei Banknoten im Belauf von neunzig Pfund Sterling, nebst einiger klingenden Münze in der Tasche, und einen brillantenen Ring von ziemlich ansehnlichem Werte am Finger hatte. Dieses alles entdeckte sie dem gottlosen Menschen mit dem offenherzigsten Vertrauen, und argwöhnte meilenweit nicht, daß sie ihm hierdurch den Vorsatz einflößen könnte sie zu berauben. Da sie nun, wenn sie Pferde von Worcester genommen hätten, denjenigen, die ihnen nachsetzen möchten, einen Fingerzeig von dem Wege gegeben haben würden, den sie genommen, so schlug der Fähnrich vor, die erste Station zu Fuß zu machen; welches sich die Dame ohne Umstände gefallen ließ, und die hartgefrornen Wege begünstigten dieses Unternehmen.

Der größte Teil vom Gepäcke der Dame war bereits nach Bath geschickt, und sie hatte eben nichts weiter bei sich, als ein kleines Päckchen Wäsche, welches der Liebhaber in seinen Taschen fortzubringen unternahm. Da solchergestalt alle Sachen des Abends in Ordnung gebracht worden, standen sie des nächsten Morgens frühe auf und verließen um fünf Uhr Worcester, da es noch zwei Stunden vor Tag war. Der Vollmond aber, welcher eben schien, gab ihnen soviel Licht, als sie zu ihrem Wege bedurften.

Madame Waters war nicht von der zarten Art Weiber, welche es der Erfindung von Kutschen und Wagen zu verdanken haben, daß sie im stande sind, sich von einem Orte nach dem andern zu begeben, und welche daher eine Kutsche oder eine Chaise unter die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zählen. Ihre Gliedmaßen [177] waren wirklich voller Kraft und Thätigkeit, und da ihr Geist nicht weniger mutig und lebhaft war, so befand sie sich vollkommen im stande, mit ihrem leichtfüßigen Liebhaber Schritt zu halten. Nachdem sie etwa eine Stunde Weges auf der Heerstraße fortgewandelt waren, von welcher Northerton sagte, er habe sich erkundigt, daß solche nach Hereford führe, kamen sie, da der Tag zu grauen anfing, an einen großen Wald. Hier stand er plötzlich still, that als ob er einen Augenblick bei sich selbst etwas überlegte, und äußerte dann eine große Besorgnis, wenn sie noch länger auf einem öffentlichen Wege fortgehen sollten; wodurch er dann seine schöne Gefährtin leicht überredete, mit ihm einen Fußpfad einzuschlagen, der geradeswegs durch den Wald zu führen schien und der sie zuletzt bis an den Fuß des Mazards-Bergs brachte.

Ob das scheußliche Vorhaben, welches er jetzt ins Werk zu setzen suchte, die Wirkung einer vorgängigen Ueberlegung war, oder ob es ihm erst jetzt einfiel, kann ich nicht bestimmen; als er aber an diesen einsamen Ort gekommen war, wo es sehr unwahrscheinlich schien, daß ihn etwas an seiner That verhindern würde, löste er plötzlich sein Strumpfband ab, legte gewaltsame Hand an das arme Weib, und bemühte sich die schreckliche und abscheuliche That zu verüben, deren wir vorhin schon erwähnt haben, und welche der vom gütigen Schicksal herbeigeführte Jones so glücklicherweise verhinderte.

Ein Glück war's für Madame Waters, daß sie nicht zu dem schwächsten Orden der weiblichen Geschöpfe gehörte! Denn kaum merkte sie, aus dem in sein Strumpfband geschlagenen Schleifknoten und aus seiner Erklärung, worauf seine höllische Absicht ging, als sie sich aus allen Kräften zur Gegenwehr setzte und so mächtig mit ihrem Feinde rang, wobei sie beständig um Hilfe schrie, daß sie dadurch die Ausführung des Vorhabens dieses gottlosen Buben verschiedene Minuten verzögerte, demzufolge Herr Jones gerade in dem Augenblick zu ihrer Befreiung herbeikam, als sie ihre Kräfte verlassen wollten und sie bereits ganz überwältigt war, so daß sie also von ihres Mörders Händen ohne weiteren Verlust, als den Verlust ihrer Kleider, befreit ward, die ihr vom Leibe gerissen worden, und des brillantenen Rings, welcher während des Kämpfens ihr entweder vom Finger gefallen oder von Northerton heruntergedreht ward.

Auf diese Weise, geliebter Leser, haben wir Ihnen die Frucht einer mühseligen Untersuchung, die wir, Sie zu befriedigen, über diese Materie angestellt haben, ehrlich mitgeteilt. Und hier haben wir Ihnen ein Schauspiel sowohl von Thorheit als Büberei sehen lassen, wovon wir kaum hätten glauben können, daß ein menschliches Geschöpf derselben fähig sei, hätten wir uns nicht erinnert, daß dieser [178] Mensch zu eben der Zeit überzeugt war, er habe bereits einen Mord begangen und also den Gesetzen nach sein Leben verwirkt. Da er demnach schloß, seine einzige Sicherheit bestehe in der Flucht, so meinte er, das Geld und der Ring, welchen er dieser Frau abnähme, würden ihn für die größere Bürde, die er dadurch seinem Gewissen auflegte, schadlos halten.

Und hier, geneigter Leser, müssen wir Sie aufs gewissenhafteste warnen, daß Sie von den Mißhandlungen eines solchen Buben keinen Anlaß nehmen mögen, von einem so würdigen und ehrenvollen Stande, als der Stand der Offiziere ist, im ganzen ein nachteiliges Urteil zu fällen. Sie werden so gütig sein, in Betracht zu ziehen, daß dieser Kerl, wie wir bereits angemerkt haben, weder von Geburt noch nach der Erziehung ein Mann von Stande, noch überhaupt ein Mensch von der Beschaffenheit war, daß er eine Offizierstelle zu bekleiden verdiente. Wofern also seine Niederträchtigkeit irgend einem andern als ihm selbst mit Recht zur Last fallen kann, so trifft solches bloß diejenigen, welche ihm sein Patent erteilten.

Zehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Enthält Anweisungen für die neueren Kunstrichter; sehr nötig und nützlich zu lesen.


Günstiger Leser! Wir können unmöglich wissen, was für eine Art von Person du bist: denn vielleicht bist du in der menschlichen Natur ebenso gelehrt, als selbst Shakespeare war; und vielleicht bist du nicht weiser als einige von seinen Editoren. Da nun dies letztere gar leicht der Fall sein möchte, so erachten wir für diensam, dir, ehe wir weiter miteinander fortgehen, einige heilsame Warnungen zu geben, damit du uns nicht ebenso gröblich mißverstehen und andern mißdeuten mögest, als einige der besagten Editoren ihren Autor mißverstanden und mißdeutet haben.

Zuerst also warnen wir dich, keinen von den Vorfällen und Begebenheiten in dieser Geschichte zu voreilig als unbedacht und unserm Hauptzwecke außerwesentlich zu verdammen, weil du nicht sogleich begreifen kannst, auf welche Art eine solche Nebengeschichte zu jedem Hauptzwecke mitwirkend sei. Man kann dies Werk in der That betrachten, [179] als eine große Schöpfung nach unserm eigenen Plane; und für ein kleines Würmchen von einem Kunstrichter wäre es die albernste Verwegenheit, wenn er sich's herausnehmen wollte, hie und da einen Teil derselben zu tadeln, ohne daß er weiß, auf welche Weise das Ganze zusammenhängt, und ehe er noch bis zu der entscheidenden Katastrophe gelangt ist. Die Anspielung und Metapher, deren wir uns hier bedient haben, ist, wie wir gestehen müssen, unendlich zu groß für diese Veranlassung; aber wirklich wissen wir keine andere, welche nur einigermaßen passend wäre, die Kluft zwischen einem Autor von der höchsten Klasse und einem Kritiker von der niedrigsten auszudrücken. Eine andre Vorsicht aber, die wir dir, gutes Würmchen, empfehlen möchten, ist, daß du keine zu nahe Aehnlichkeit unter gewissen hier aufgestellten Charakteren finden mögest; wie zum Beispiel unter den Gastwirtinnen, wovon die eine im siebenten und die andere im neunten Buche auftritt. Du mußt wissen, Freund, daß es gewisse charakteristische Züge gibt, in welchen die meisten einzelnen Personen von jedem Gewerbe und jeder Hantierung sich einander ähneln. Die Kunst, diese Züge beizubehalten, und doch zugleich eine Verschiedenheit in ihre Art zu handeln und sich auszudrücken zu legen, ist eins von den Talenten eines guten Schriftstellers. Ein zweites besteht darin, die feinen Abstiche unter zwei Personen, welche von einerlei Laster oder Thorheit in Bewegung gesetzt werden, nicht zu verwirren; und so wie sich dieses letzte Talent nur bei sehr wenigen Schriftstellern findet, so ist es auch nur die Sache sehr weniger Leser, solche richtig zu beurteilen, ob ich gleich glaube, daß diese Bemerkung eines der größten Vergnügen für diejenigen sei, denen es gegeben ist, diese Entdeckung zu machen. Jedermann zum Beispiel kann die Charaktere des Sir Epikur Mammon und des Sir Fopling Flutter unterscheiden; um aber den Unterschied zwischen Sir Fopling Flutter und Sir Courtly Nice wahrzunehmen, dazu wird schon eine größere Beurteilungskraft erfordert, deren Mangel es macht, daß gemeine Zuschauer einem Schauspiele oft sehr großes Unrecht thun. Denn ich habe oft einen dramatischen Dichter in Gefahr gesehen, auf ein weit verdächtigeres Zeugnis, als die Aehnlichkeit der Handschriften nach den Gesetzen geachtet wird, als ein Dieb verurteilt zu werden. Ich würde in der That besorgen, daß eine jede liebesieche Witwe in einem Schauspiele Gefahr liefe, als eine sklavische Nachahmung der Dido verdammt zu werden, wenn nicht zum Glück nur wenige von unsern Kunstrichtern im Parterre Latein genug verständen, um den Virgil zu lesen. Eine fernere Warnung für dich, mein würdiger Freund, (denn vielleicht kann es um dein Herz besser stehen als um deinen Kopf) ist, keinen Charakter deswegen für schlecht zu halten, weil er nicht vollkommen [180] gut ist. Wenn du an jenen Mustern der Vollkommenheit dein Behagen findest, so gibt es Bücher genug, welche für deinen Geschmack geschrieben sind; wir aber, die wir während des Laufes unseres Umgangs mit der Welt niemals auf eine solche Person gestoßen sind, wir haben dergleichen auch hier nicht aufstellen wollen. Die Wahrheit zu sagen, zweifle ich ein wenig daran, ob ein bloß sterblicher Mensch jemals bis zu diesem höchsten Grade der Vollkommenheit gelangt sei, ebenso wie ich daran zweifle, ob es jemals ein Ungeheuer gegeben, das schlecht genug gewesen um das


Nulla virtute redemptum
A vitiis 1

des Juvenal wahr zu machen.

Ich kann auch in der That den guten Endzweck nicht einsehen, welchen man bei Einschaltung solcher Charaktere, entweder von englischer Vollkommenheit oder teuflischer Bosheit, in einem Werke von dichterischer Erfindung beabsichtigen könnte: denn in dem ersten Falle wird sich der Mensch härmen und schämen, daß er ein Muster von Vortrefflichkeit in seiner Natur erblickt, welches jemals zu erreichen er aus guten Gründen verzweifeln muß; und bei der Betrachtung der letztern wird er nicht weniger von jenen schmerzhaften Empfindungen ergriffen werden, welche daraus entstehen, wenn er sieht, daß die Natur, an welcher er selbst teilnimmt, zu einem so gehässigen und abscheulichen Geschöpf herabgewürdigt worden.

Wenn also wirklich nur so viel Güte in einem Charakter vorhanden ist, als nötig, um die Bewunderung und Zuneigung eines wohlgeordneten Gemüts auf sich zu ziehen, sollten sich denn auch noch einige von jenen kleinen Flecken daran zeigen, quas humana parum cavit natura, so werden solche vielmehr unser Mitleiden als unsern Abscheu erregen. Nichts kann in der That von größerm moralischen Nutzen sein, als die Unvollkommenheiten, welche man an Beispielen dieser Art wahrnimmt, weil sie uns gewissermaßen überraschen, und also das Gemüt leichter rühren und auf dasselbe einen dauerhafteren Eindruck machen, als die Mißhandlungen sehr gottloser oder sehr lasterhafter Personen. Die Schwachheiten und Laster solcher Menschen, bei denen sich eine große Mischung von guten Eigenschaften befindet, werden von den Tugenden, die ihnen gegenüberstehen, heller beleuchtet und ihre Häßlichkeit mehr hervorgedrückt; und wann wir dann solche Laster von ihren üblen Folgen für unsere Lieblingscharaktere begleitet finden, so werden wir nicht nur gelehrt, solche um unserer selbst willen zu vermeiden, sondern sie auch des [181] Unheils wegen zu hassen, welches sie bereits über diejenigen gebracht haben, welche wir lieben.

Und nun, mein Freund, wollen wir, nachdem wir dir diese wenigen Warnungen erteilt haben, wenn es dir nicht mißfällig ist, abermals dazu schreiten, unsre Geschichte fortzusetzen.

Fußnoten

1 Lauter Laster, ohne Beimischung einer Tugend.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Erzählt die Ankunft eines Irländischen Edelmanns, nebst einigen sehr sonderbaren Abenteuern, welche sich in dem Gasthofe zutrugen.


Schon hat sich der kleine zitternde Hase, welchen die Furcht vor allen seinen zahlreichen Feinden, besonders aber vor dem listigen, grausamen, fleischfressenden Tiere, genannt Mensch, den ganzen langen Tag in seinem Neste gehalten hat, hervorgewagt und macht seine schäkernden Männerchen auf dem freien Anger; schon zwängt auf einem hohlen Baume Minervens Vogel, der Choralist der Nacht, die Eule, aus ihrer Kehle solche Noten hervor, welche die Ohren manches neuen Kenners der Musik zu entzücken vermöchten; schon malt dem verschobenen Gehirne des halbbetrunkenen Küsters, indem er über den Kirchhof oder vielmehr Beinhof nach Hause schwiemelt, die Furcht den blutgierigen Poltergeist vor; schon sind die Diebe und Räuber erwacht, und die Wächter sitzen im sanften Schlafe; in kunstloser Muttersprache gesagt, es war jetzt Mitternacht, und die Gäste in dem Gasthofe, sowohl die, welche wir bereits in dieser Geschichte genannt haben, als einige andere, die noch des Abends später ankamen, lagen alle in ihren Betten. Nur Susanna, die Stubenmagd, war allein noch auf den Beinen, weil ihre Pflicht erheischte, die Küche zu waschen, ehe dann sie sich hinbegab in die Arme ihres sie erwartenden verliebten Stallknechts.

In dieser Lage befanden sich die Sachen in dem Gasthofe, als ein Herr mit Kurierpferden angeritten kam. Er stieg flugs von seinem Pferde, und wie er Susannen antraf, erkundigte er sich bei ihr mit hastigen, verworrenen Worten, denn er war fast außer Atem vor gieriger Eile, ob sich irgend eine Dame im Hause aufhielte? Die Stunde der Mitternacht und das Benehmen des Mannes, welcher sehr stier und wild aussah, machte Susannen ein wenig betreten, so daß sie sich erst ein Weilchen besann, eh' sie ihm eine Antwort gab. Darüber bat sie der Herr, mit verdoppelter Andringlichkeit, sie möchte ihm doch getreue Nachricht geben, und sagte, er habe sein Weib verloren und wäre gekommen, ihr nachzusetzen. »Bei meiner Seel',« sagte er, »an zwei oder drei Orten hab' ich sie auf ein Haar noch ertappt, [182] wenn ich nicht gefunden hätte, daß sie fortgereist wär', gerade eben da ich sie antraf.«

»Wenn sie hier im Hause ist, so thu' mir den Gefallen und führ' mich im Finstern zu ihr hinauf und zeig' sie mir, und wenn sie schon wieder weg ist, ehe ich gekommen bin, so sei so gut und sag' mir, auf welchem Wege ich ihr nachsetzen soll, um ihr zu begegnen? Und, bei meiner Seele! ich will dich zum reichsten armen Stubenmädchen in der ganzen Nation machen.« Bei diesen Worten zog er eine Handvoll Goldstücke heraus; ein Anblick, welcher wohl Leute von viel größerem Gewicht als diese arme Dirne, und zu weit schlimmeren Endzwecken hätte bestechen mögen.

Nach Beschaffenheit der Nachricht, welche das Mädchen von Madame Waters gehört hatte, zweifelte Susanne im geringsten nicht, sie müßte wohl der rechte verlorene Groschen sein, den sein wahrer Eigentümer wieder suchte. Da sie nun mit großem Anscheine von Vernunft den Schluß machte, sie könne in ihrem Leben auf keine ehrlichere Weise Geld verdienen als dadurch, wenn sie die Frau ihrem Ehemanne wieder einlieferte, so machte sie sich kein Bedenken, den Herrn zu versichern, die Dame, welche er suchte, sei gegenwärtig im Hause, und ließ sich hierauf (durch sehr freigebige Versprechungen und eine Kleinigkeit im voraus bar auf die Hand) ohne weiteres bereden, ihn nach der Schlafkammer der Madame Waters hinaufzuführen.

Schon seit langen Zeiten ist in der gesitteten vornehmen Welt, und zwar aus sehr wesentlichen Ursachen der Brauch eingeführt worden, daß ein Ehemann niemals in das Zimmer seiner Gemahlin treten darf, ohne vorher an die Thüre zu pochen. Der vielfältige und vortreffliche Nutzen dieses Brauchs darf dem Leser, welcher nur einige Weltkenntnis besitzt, wohl eben nicht hier erst auseinandergesetzt werden, denn vermittelst desselben hat die Frau Gemahlin Zeit, sich in gehörige wohlanständige Verfassung zu setzen, oder irgend einen, ihrem Herrn Gemahl mißfälligen Gegenstand aus dem Wege zu schaffen, denn es gibt so gewisse Lagen, in welchen zart und sittsam erzogene Damen sich nicht gerne von ihren Eheherrn mögen überraschen lassen.

Die Wahrheit zu gestehen sind bei dem feiner gesitteten Teile der Menschen verschiedene Zeremonien eingeführt, welche, ungeachtet solche von denen von roherer Denkungsart für bloße Formalitäten angesehen werden mögen, dennoch von denen, welche tiefer in die Sache sehen, als etwas sehr Wesentliches befunden werden. Und sehr glücklich wär' es gewesen, wenn der obenerwähnte Brauch von unsrem irländischen Herrn im gegenwärtigen Fall wäre beobachtet worden. An die Thüre pochte er zwar, aber nicht mit dem artigen Klopfen, [183] welches bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist. Er flog vielmehr, als er das Schloß abgedrückt fand, mit einer solchen Gewaltsamkeit gegen die Thüre, daß das Schloß davon augenblicklich aufsprang, die Thüre sich sperrweit öffnete und er der Länge nach in die Kammer fiel.

Er hatte sich kaum wieder auf die Beine gerafft, als aus dem Bette her, gleichfalls auf den Beinen – mit Leidwesen und Beschämung sehen wir uns genötigt, das weitere zu sagen – unser Held in eigner Person erschien, welcher mit dräuender Stimme den fremden Herrn fragte, wer er sei und was er damit meinte, daß er sich erdreiste, so tollkühnerweise in seine Schlafkammer zu brechen?

Der irländische Herr meinte anfangs, er habe die rechte Thüre verfehlt und stand im Begriff, um Verzeihung zu bitten und wegzugehen, als auf einmal, weil der Mond sehr helle schien, seine Augen auf einen Schnürleib, Weiber-, Ober- und Unterröcke, Hauben, Bänder, Strümpfe, Strumpfbänder und Schuhe u.s.w. fielen, welches alles in bester Unordnung auf dem Fußboden umhergeworfen lag. Alle diese Dinge wirkten auf die natürliche Eifersucht seines Gemüts so heftig und setzten ihn dergestalt in Wut, daß er weiter kein verständliches Wort hervorbringen konnte und, ohne dem Herrn Jones eine Silbe zu antworten, sich dem Bette zu nähern trachtete.

Da solches Herr Jones keineswegs leiden wollte, so ging es an ein hitziges Balgen und Ringen, welches bald wackere Püffe auf beiden Seiten hervorbrachte. Und nunmehr begann Madame Waters, (denn wir müssen's nur gestehen, daß sie's war, die sich im Bett befand), welche, wie ich voraussetze, aus dem Schlafe erwachte, und zwei Mannspersonen in ihrer Kammer sich balgen sah, auf eine fürchterliche Weise an zu schreien, und über Mord, Diebstahl, und am meisten über Notzucht zu rufen, über welches letzte sich vielleicht einige meiner Leser wundern mögen, welche nicht bedenken, daß dergleichen Ausrufungsworte von Damen, wenn sie in Angst sind, ebenso gebraucht werden, wie die Silben va la la la ra in der Musik als eine andre Art von Solmisation, um die Töne zu artikulieren und ohne sonst etwas Weiteres dabei zu denken.

Gerade an dem Schlafzimmer der Dame ruhte der Körper eines andern irländischen Herrn, welcher zu spät in dem Gasthofe ankam, um vorher schon erwähnt zu werden. Dieser Herr war einer von denen, welche die Irländer einen Kalabalaro oder Kavalier nennen. Er war der jüngere Bruder aus einer guten Familie, der, weil er von Haus aus kein Vermögen hatte, genötigt war, sich in der Fremde umzusehen, um dazu zu gelangen; zu diesem Ende war er auf dem Wege nach Bath, um sein Glück durch Karten und Weiber zu versuchen.

[184] Dieser junge Herr lag im Bett und las in einem von den neuesten Mode-Romanen, denn es war ihm von einem Freunde gesteckt worden, das beste und wirksamste Mittel, sich bei den Damen beliebt zu machen, würde sein, wenn er seinen Verstand ausbildete und seinen Geist durch schöne Schriften aufzuklären suchte. Er hörte also nicht so bald den heftigen Tumult im nächsten Zimmer, als er von seinem Polster aufsprang, seinen Degen in eine, und das vor ihm stehende, brennende Licht in die andre Hand nahm, und damit geradewegs nach Madame Waters Zimmer wanderte. Wenn anfangs der Anblick eines dritten Mannes im Hemde die schamhaften Augen der Dame noch um etwas mehr beleidigte, so that er ihr auch dadurch wieder wohl, daß er ihre Furcht um ein merkliches verminderte, denn der Kalabalaro setzte kaum seinen Fuß ins Zimmer, als er ausrief: »Herr Fitz Patrick, was Teufel ist das hier gemeint?« Worauf der andre unmittelbar antwortete: »O Herr Macklachlan, ich bin von Herzen erfreut, Sie hier zu sehen. – Der Kerl da hat mir mein Weib verführt und ist mit ihr zu Bett gangen.« – »Wen! Ihre Gemahlin?« rief Macklachlan. »Kenn' ich etwa Madame Fitz Patrick nicht ebensogut als mich selbst? Und seh' ich nicht, daß die Dame, bei welcher der Herr, der hier im Hemde steht, im Bette liegt, gar nicht Madame Fitz Patrick ist?«

Fitz Patrick, der nunmehr sowohl durch den kleinen Schimmer, den er von der Dame aufgefaßt, als aus der Stimme, die er in weit größerer Entfernung als er jetzt vor ihr stand hätte unterscheiden können, gewahr ward, daß er einen sehr unglücklichen Irrtum begangen hätte, fing an, die Dame tausendmal um Verzeihung zu bitten, und wandte sich darauf gegen den Herrn Jones und sagte: »Ich wollte wohl, daß Sie sich's merkten, Sie bitt' ich nicht um Vergebung, denn Sie haben mich geschlagen, und dafür bin ich entschlossen, morgen früh Ihr Blut zu sehen.«

Jones nahm diese Drohung mit vieler Verachtung auf und Herr Macklachlan antwortete: »Fürwahr, Herr Fitz Patrick, Sie sollten sich in Ihre eigne Seele und Seligkeit schämen, die Leute so bei nachtschlafender Zeit zu beunruhigen; wenn nicht alle Menschen im Hause schlafen thäten, so hätten Sie sie gewiß ebensogut aufgeweckt als mich. Der Herr da hat gethan, was Sie verdienten. Bei meiner armen Seele, hätten Sie meiner Frau so begegnet, obschon ich keine habe, ich wollt' Ihnen das Eingeweide aus dem Leibe fressen.«

Jones war vor Besorgnis um den guten Namen der Dame dergestalt betreten, daß er nicht wußte, was er sagen oder thun sollte. Aber der Witz der Damen ist nach allgemeiner Beobachtung viel behender als der der Männer. Sie erinnerte sich, daß aus ihrem [185] Zimmer eine Zwischenthüre nach demjenigen ging, welches Herr Jones inne hatte. Voll Zuversicht also auf seine Ehre und auf ihre eigne Dreistigkeit antwortete sie: »Ich weiß nicht, was die schändlichen Leute wollen, ich bin nicht das Weib von irgend einem von euch! Hilfe! Notzucht! Mörder! Notzucht!« – Und da nunmehr die Wirtin des Hauses ins Zimmer trat, fiel Madame Waters sie an mit dem bittersten Eifer und sagte: »Sie hätte gemeint, sie wär' in einem ehrlichen Hause und in keinem Bordell, aber da wäre die Rotte von Gesindel in ihr Zimmer gebrochen mit schändlichen Absichten auf ihre Ehre, wo nicht gar auf ihr Leben, und beide wären ihr, wie sie sagte, gleich teuer.«

Die Gastwirtin fing nun ebenso heftig an zu schreien, als vorher die arme Frau im Bette gethan hatte. Sie winselte, sie wär' eine geschlagene Frau, der gute Name ihres Hauses, dem noch niemals ein Fleck angehängt wäre, sei nun mit einem Male dahin. Indem sie sich darauf an die Männer wendete, schrie sie: »Was, in's Satans Namen! ist denn die Ursach' von all dem schändlichen Lärmen hier in Ihr' Gnaden Schlafzimmer?« Fitz Patrick ließ die Ohren mächtig hängen und wiederholte, er habe einen Irrtum begangen, deswegen er herzlich um Verzeihung bitte, und begab sich darauf mit seinem Landsmann hinweg. Jones, welcher zu leicht etwas begriff, um den von seiner Schönen gegebenen Wink auf die Erde fallen zu lassen, behauptete keck und kühn: »Er wäre, wie er gehört, daß man die Thüre aufgebrochen, zu ihrem Schutze herbeigerannt. In was Absicht der Einbruch geschehen, könne er nicht wissen, wofern sie nicht hätten die Dame bestehlen wollen; wenn das aber ihr Vorsatz gewesen, sagte er, so hätt' er das Glück gehabt, sie daran zu verhindern.« – »In meinem Hause ist noch niemand bestohlen worden, so lang' ich die Wirtschaft darin führe,« sagte die Wirtin. »Sie müssen wissen, Herr, wenn Sie so gut sein wollen, daß ich in meinem Hause keine Straßenräuber beherberge. Ich kann den Namen auf'm Winde nicht leiden, obschon ich's selbst sage. Ich nehme niemand als hübsche vornehme Leute in mein Haus und Zimmer, und ich kann's dem Himmel nicht genug danken, ich habe solcher vornehmen Kunden immer die Hülle und Fülle gehabt, so viel als ich immer nur habe unterbringen können. Da sind ihr'r hier gewesen der Herr Graf« – und hier betete sie ein ganzes Verzeichnis von Namen und Titeln her, die wir nicht alle nennen mögen, aus Furcht, einer oder der andre möchte es uns als einen Mißbrauch der Preßfreiheit auslegen. Nachdem ihr Jones lange zugehört hatte, unterbrach er sie endlich dadurch, daß er sich gegen die Dame darüber entschuldigte, daß er vor ihr im Hemde erschienen wäre, und sie versicherte, nichts als die Besorgnis für ihre Sicherheit [186] hätte ihn dazu bringen können. Der Leser mag sich selbst ihre Antwort denken, sowie überhaupt ihr ganzes Betragen bis zum Ende des Auftritts hinaus, wenn er die Lage überlegt, in welcher sie sich zu befinden stellte, nämlich die Lage eines züchtigen Frauenzimmers, welches durch drei Mannspersonen in ihrer eignen Kammer aus dem Schlafe geweckt worden. Dies war die Rolle, welche sie zu spielen unternahm, und in der That führte sie solche so gut aus, daß sie von keiner Schauspielerin der besten Gesellschaft übertroffen werden konnte, so wenig auf der Bühne als hinter den Kulissen.

Und hieraus, deucht mich, können wir ganz ungezwungen einen Schluß ziehen, zu beweisen, wie außerordentlich natürlich dem schönen Geschlechte die Tugend sein müsse. Denn, obgleich vielleicht unter zehntausenden nur eine zu finden ist, aus welcher eine gute Schauspielerin zu machen wäre, und ob wir unter diesen gleich nur selten zwei antreffen, welche mit gleicher Geschicklichkeit eine und eben dieselbe Rolle vorzustellen im stande sind, so spielen sie doch alle die Rolle der Tugend mit gleich großer Vollkommenheit, sowohl diejenigen, welche keine haben, als diejenigen, welche sie besitzen.

Als die Mannspersonen alle fortgegangen waren, erholte sich Madame Waters nicht nur von ihrer Furcht, sondern auch von ihrem Zorn und Eifer, und fing an, mit der Wirtin in einem viel linderen Tone zu sprechen. Diese aber konnte sich der Besorgnis für den guten Namen ihres Hauses nicht so schnell entschlagen, zu dessen Behuf sie von neuem eine lange Reihe von großen und vornehmen Personen herzählte, welche unter ihrem Dache geschlafen hätten. Madame Waters ließ ihr aber nicht Zeit, die ganze Liste zu vollenden, sondern, nachdem sie solcher aufs nachdrücklichste versichert hatte, wie sie gar nicht glaube, daß sie im geringsten schuld an der vorgefallenen Unruhe sei, bat sie, sie möchte sie jetzt ihrer Ruhe überlassen, weil sie, wie sie sagte, das übrige der Nacht in Frieden zu verschlafen hoffte. Worauf dann die Wirtin mit vielen Komplimenten und Knicksen ihren Abschied nahm.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Ein Dialog zwischen der Gastwirtin und Susanna, dem Stubenmädchen; für alle diejenigen, welche öffentliche Wirtschaften führen, wie auch für ihre Bediente nützlich und erbaulich zu lesen. Ferner, Ankunft und leutseliges Betragen einer schönen jungen Dame, woraus Personen von Stande lernen können, wie sie es zu machen haben, um die Liebe der ganzen Welt zu gewinnen.


Da sich die Wirtin erinnerte, daß Susanna die einzige Person sei, welche zu der Zeit im Hause noch auf den Beinen gewesen, als [187] die Kammerthür aufgesprengt worden, machte sie sich augenblicks hin zu ihr, um sich sowohl nach der ersten Veranlassung des Tumults, als nach dem fremden Herrn zu erkundigen, und zu welcher Zeit er angekommen und woher?

Susanna erzählte die ganze Geschichte, welche dem Leser bereits bekannt ist, und beugte die Wahrheit bloß in einigen Umständen nach ihren eignen Absichten, und das Geld, was sie empfangen hatte, verschwieg sie ganz und gar. Da aber ihre gebietende Frau in der Vorrede zu ihren Fragstücken viel von dem Mitleiden gesprochen hatte, welches sie wegen der Furcht empfände, worin die fremde Dame, in Ansehung des gewaltsamen Angriffs auf ihre Tugend geschwebt habe; so konnte Susanna nicht umhin, sich alle Mühe zu geben, um die Unruhe zu besänftigen, in welcher ihre Gebieterin über diesen Punkt zu sein schien, indem sie aus allen Kräften schwur und fluchte, sie habe Jones aus ihrem Bette springen sehen. Die Frau Wirtin geriet bei diesen Worten in die heftigste Wut. »Ein schönes Histörchen,« rief sie, »wahrhaftig! Eine Frau würde auch so laut schreien und ihre Ehre bloßgeben wollen, wenn das wahr wäre! Möchte doch wohl wissen, was irgend für eine Frau in der Welt für einen bessern Beweis von ihrer Tugend geben könnte, als daß sie laut schreit; und daß sie das gethan hat, können wohl zwanzig Leute bezeugen, glaub' ich. Ich bitte Mamsell Sausewind, von meinen Gästen solche ehrenrührige Sagen nicht unter die Leute zu bringen: denn das würde nicht nur meine Kunden, sondern auch mein Haus beschimpfen und schänden; und wahrhaftig! Straßenläufer oder gottlos Bettelpack kehren doch niemals bei mir ein.«

»Nun gut,« sagte Susanna, »so muß ich denn meinen eignen Augen nicht mehr trauen.« – »Nein! das muß man freilich nicht immer,« antwortete ihre Gebieterin. »Bei solchen hübschen adelichen Personen hätt' ich meinen eignen Augen nicht getraut. Seit einem ganzen halben Jahre ist kein so stattliches Abendessen von mir verlangt worden, als sie sich gestern Abend bestellten, und 's waren so gutmütige, so leicht zufriedene Leute, daß sie an meinem Worcester Birnmost, den ich ihn'n für Champagnerwein verkaufte, nicht das geringste Wörtchen aussetzten. Er ist nun freilich von ebenso schönem Geschmack und ebenso gesund, als der beste Champagner in ganz England, sonst wär' ich zu gewissenhaft, ihn den Leuten zu geben; und sie haben auch zwei ganze Flaschen ausgetrunken. Nein, nein, von so lieben, friedlichen Leuten mag ich mein Lebstage lang nichts Böses glauben.«

Da Susannen diesergestalt der Mund gestopft war, ging ihre Gebieterin über zu andern Sachen. »Sie sagt mir also,« fuhr sie fort, »daß der fremde Herr mit Kurierpferden angekommen ist? [188] und daß er einen Lakaien bei sich hat, der bei den Pferden im Stalle ist? Ja nun! so ist es gewiß auch ein vornehmer Herr. Warum hat sie ihn denn nicht gefragt, ob ihm nicht was zum Nachtessen beliebte? Ich denke wohl, er wird mit auf des andern Herrn sein Zimmer gegangen sein. Fort, gleich hinauf! und frage Sie ihn, ob er gerufen hat? Vielleicht läßt er sich noch was geben, wenn er sieht, daß noch jemand im Hause auf ist, der's anrichten kann. Und mach' Sie nur keine von ihren Einfaltsstreichen, daß Sie sagt, das Feuer wär' ausgegangen, oder die Hühner noch nicht geschlachtet. Und wenn er Hammelkarbonade fordern sollte, so plappere Sie nur nicht heraus, daß wir kein Fleisch im Hause haben. Der Metzger hat eben, wie ich zu Bett gehen wollte, ein Schaf geschlachtet, das weiß ich, und er haut mir gern ein Stück aus, wenn's gleich noch warm ist; das thut er gern, wenn ich ihn drum bitten lasse. Geh' Sie! Aber daß Sie's nur weiß, wir haben allerlei Sorten Hammelfleisch und Federvieh im Hause, hört' Sie's! Fort! hinauf! und wenn Sie die Thüre aufmacht, so sag S'e hübsch: Haben Sie gerufen, gnädige Herren? und wenn sie nicht antworten, so muß Sie fragen, was Ihr' Gnaden zum Nachtessen befehlen. Vergeß Sie nur nicht, daß 'e gnädge Herrn und Ihr Gnaden heißen. Nu! geh' Sie; wenn Sie uf alle diese Dinge nich besser Achtung gibt, so wird Sie's in der Welt nich weit bringen, denk' Sie an mich.«

Susanna ging fort und kam bald mit der Antwort zurück, daß die Herren sich zusammen in ein Bett gelegt hätten. »Zwei Herren,« sagte die Wirtin, »in ein Bett! das ist unmöglich! das muß Mäusefallenträgerpack sein, oder ich bin nicht ehrlich! und ich glaube, der junge Herr von Alwerth schoß nicht weit vorbei, als er meinte, daß der Kerl willens gewesen wäre, die gnädige Frau zu bestehlen; denn wenn er der Dame ihr Zimmer in dem ruchlosen Vorsatze eines hübschen feinen Herrn aufgebrochen hätte, so hätte er sich gewiß nicht so weggeschlichen hin aufs Zimmer eines andern, um das Geld für ein eigen Bett zu ersparen. 'S sind gewiß Diebe, und das Nachlaufen nach einer Frau ist nur Vorgeben und Wind, das glaub' Sie nur.«

Mit diesem tadelnden Argwohn that die Frau Wirtin gleichwohl dem Herrn Fitz Patrick groß Unrecht; denn er war wirklich ein geborner Edelmann, ob er gleich keinen Pfennig von Hause aus zu erben hatte; und ob er wohl nach Herz und Kopf vielleicht eben nicht auf den ersten Heerschild Anspruch machen könnte: so konnte man ihm doch nicht mit Recht vorwerfen, daß er zu den schleichenden Knickern gehörte. Er war in der That ein so freigebiger Mann, daß, so ansehnlich der Brautschatz gewesen, den er mit seiner Frau Gemahlin bekommen, er solchen doch, bis auf ein kleines verfestetes [189] Leibgedinge, bereits bei Heller und Pfennig unter die Leute gebracht hatte; und um mit diesem Leibgedinge noch ebenso großmütig schalten und walten zu können, hat er seiner Ehefrau fast grausam mitgespielt. Diese Begegnung, zusammengenommen mit seiner Eifersucht, welche von der unerträglichsten Art war, hatte die arme Frau gezwungen, ihrem Eheherrn davonzulaufen.

Dieser adliche Herr war damals durch seine starke Tagreise von Chester bis hierher sehr ermüdet. Diese Reise und einige derbe Stöße, die er in dem Gebalge davongetragen hatte, hatten seine Gliedmaßen sehr ermattet; dazu genommen, daß ihm auch sein Kopf ganz und gar nicht recht stand, so war ihm durch alles das alle Lust zum Essen vergangen. Und da er sich so gewaltig in dem Frauenzimmer geirrt, welche er auf das Wort des Stubenmädchens ohne weiteres für seine Ehefrau gehalten hatte, so kam ihm auch nicht einmal der Gedanke in den Kopf, daß sie dennoch bei alledem wohl im Hause sein könnte! ob er sich gleich in derjenigen Person geirrt, die er, die erste die beste, dafür angepackt hatte. Er ließ sich also von seinem Freunde überreden, für diese Nacht von aller weitern Nachsuchung abzustehen, und nahm das gütige Anerbieten einer Stelle in seinem Bette an.

Sein Lakai und der Postillon befanden sich in einer ganz andern Fassung. Sie waren schneller in den Federn, als die Frau Wirtin im Auftischen. Nachdem sie gleichwohl von ihnen den wahren Zusammenhang der Umstände so ziemlich zuverlässig herausgebracht und sich überzeugt hatte, daß Herr Fitz Patrick kein Dieb wäre, so geruhte sie endlich, ihnen etwas von kalter Küche vorzusetzen, woran sie noch mit vielem Heißhunger schlangen, als Herr Rebhuhn in die Küche kam. Er war zuerst von dem Lärmen aufgeweckt, den wir mit angesehn haben; und da er sich von neuem auf seinem Kopfkissen zurechtlegen wollte, hatte ihm ein Leichenhuhn oder Nachteule vor seinem Fenster eine solche Serenade gebracht, daß er in der entsetzlichsten Angst aus dem Bette aufsprang, holter und polter seine Kleider überwarf, und herunter nach der Küche lief, um bei der Gesellschaft Schutz zu suchen, die er dort noch im Gespräch begriffen gehört hatte.

Seine Ankunft hielt die Frau Hauswirtin ab, wieder zu ihrer Ruhe zu gehen; denn sie stand eben im Begriff, die andern beiden Gäste Susannens Aufsicht zu überlassen. Aber dem Freunde des jungen Herrn von Alwerth konnte man nicht so schlechtweg begegnen, besonders da er eine Pinte Glühwein mit Eiern und Zucker forderte. Sie machte augenblicklich Anstalt und setzte eine Pinte Birnmost zum Feuer; denn dieser Birnmost war so tauffertig, daß er sich jeden Namen gefallen ließ, den man ihm nur geben wollte.

[190] Der irländische Lakai hatte sich nach seiner Schlafstelle verfügt, und der Postillon stand auf'm Sprung ihm nachzufolgen; aber Rebhuhn nötigte ihn, zu bleiben und seinen Glühwein mit zu trinken, welches der Bursche mit vielem Dank annahm. Der Schulmeister fürchtete sich wirklich, allein nach seinem Bette zurückzukehren, und da er nicht wußte, wie lange er der Gesellschaft der Frau Wirtin genießen würde, so wollte er sich wenigstens des Postillons versichern, in dessen Gesellschaft er keine Gefahr von Beelzebub oder seinen dienstbaren Geistern besorgte. Und nunmehr meldete sich ein andrer Postillon am Thorwege; und Susanna, welche ihm aufzumachen hinausgeschickt ward, führte zwei junge Frauenzimmer in Reitkleidern herein, davon die eine ein so reich mit Gold und Tressen besetztes Kleid trug, daß Rebhuhn und der Postillon von ihren Stühlen aufsprangen und die Frau Gastwirtin mit ihren Knicksen und Ihr' Gnaden äußerst geschäftig war.

Die Dame in dem reichen Kleide sagte mit einem sehr freundlich herablassenden Lächeln: »Wenn Sie mir's erlauben wollen, Madame, so will ich mich ein paar Minuten hier an ihrem Küchenfeuer wärmen; denn es ist draußen wirklich sehr kalt, ich muß aber ja niemand von seinem Sitze verdrängen.« Dies ward in Rücksicht auf Rebhuhn gesagt, der sich nach dem äußersten Winkel zurückgezogen hatte, weil ihn der Glanz der Kleidung dieser Dame in die tiefste Ehrfurcht und Erstaunen versetzte. In der That hatte sie ein weit besseres Recht auf diese Ehrfurcht; denn sie war eins der schönsten weiblichen Geschöpfe von der ganzen Welt.

Die junge Dame nötigte Rebhuhn sehr ernstlich, seinen Sitz wieder einzunehmen; sie konnte ihn aber nicht dazu bringen. Sie zog drauf ihre Handschuhe ab, und entblößte dadurch ein paar Hände, welche alle Eigenschaften des Schnees, das Schmelzen am Feuer ausgenommen, an sich hatten. Ihre Gefährtin, welche nichts mehr und nichts weniger war als ihre Dienerin, zog ihre Handschuhe gleichfalls ab, und zeigte dadurch etwas, das an Kälte und Farbe die genaueste Aehnlichkeit mit einem Stück gefrornen Rindfleisches hatte.

»Ich wünsche von Herzen, Ihr Gnaden,« sagte die letztere, »daß Ihr Gnaden nicht drauf bestehen möchten, diese Nacht noch weiter zu gehen. Ich bin in Todesängsten, Ihr Gnaden können die große Fatickerei nicht länger aushalten.«

»Ja wohl, ja wohl!« rief die Frau Wirtin, »Ihr Hochgräfliche Gnaden können so was unmöglich denken: Gott bewahre uns! Diese Nacht noch weiter gehen! das geht sein Lebstage nicht! Lassen sich Ihr hochgräfliche Gnaden bitten, ja nicht daran zu denken. – Ja wahrhaftig! Ihr Gnaden können das gewiß auch nicht. Was geruhen meine gnädigste Dame zum Nachtessen zu befehlen? Ich habe [191] Hammelfleisch, wie 's Ihr Gnaden nur befehlen, und schöne Hühner und Kapaunen.«

»Ich denke, Madame,« sagte das junge Frauenzimmer, »es wäre viel eher Zeit zum Frühstück als zum Abendessen. Essen kann ich bei alledem nicht das allergeringste, und wenn ich bleibe, so werde ich mich bloß auf eine oder ein paar Stunden niederlegen. Wenn Sie indessen so gütig sein wollen, Madame, so machen Sie mir eine Schale Thee mit Sekt; 's muß aber nur sehr wenig Sekt dabei sein.«

»O ja, Ihr Gnaden,« sagte die Wirtin vom Hause, »ich habe gar vortrefflichen weißen Wein.« – »Sie haben also keinem Cyreser Sekt?« sagte die fremde Dame. – »Doch, doch! Ihr hochgräflichen Gnaden dürfen nur befehlen, ich habe welchen im Hause, trotz dem besten im Lande. – Aber lassen sich meine gnädigste Dame doch bereden, einen Bissen zu essen.« – »Auf mein Wort, ich kann nicht,« sagte die Dame, »und Sie werden mir eine große Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie so gütig sein wollen, mir so bald als möglich mein Zimmer zurecht machen zu lassen, denn ich bin gesonnen, mich in drei Stunden spätestens wieder zu Pferd zu setzen.«

»He, da! Susanne!« rief die Wirtin, »brennt das Feuer noch im Kamine in der wilden Gans? – 's thut mir leid, meine gnädigste Dame, daß alle meine besten Zimmer besetzt sind. Verschiedene Personen vom vornehmsten Stande liegen darin und schlafen, unter andern logiert hier ein vornehmer, junger adlicher Herr, und noch verschiedene andere hochadliche Personen.«

Susanne antwortete: »Der irländische Edelmann schlief in der wilden Gans.«

»Hab' ich nun all' mein Lebstage so was gesehen,« sagte die Frau Wirtin. »Wie, zum Satan! warum hebt Sie nicht immer ein paar von den besten Zimmern auf für hochadliche Gäste, da Sie doch weiß, daß kaum ein Tag hingeht, da wir nicht von etlichen Zuspruch haben. – Doch wenn's Herren sind, die zu leben wissen, so bin ich gewiß, wenn sie nur erfahren, daß es für Ihr freiherrliche Gnaden ist, so werden sie gerne wieder aufstehn.«

»Meinetwegen ja nicht!« sagte die Dame, »mir zu Gefallen sollen Sie niemand die geringste Unruhe machen. Wenn Sie ein Zimmer haben, das nur irgend bewohnbar ist, so kann ich mich gern damit behelfen. Es braucht gar nicht aufgeputzt zu sein. Ich bitte, Madame, machen Sie sich meinetwegen nicht soviel Sorge und Unruhe.« – »O!« schrie die andre, »ich habe aufgeputzte Zimmer genug, Ihr freiherrlichen Gnaden, wenn's darauf ankommt; aber keins, das für eine so vornehme Dame gut genug wäre. Da Sie unterdessen gnädigst geruhen wollen, mit dem besten vorlieb zu nehmen, [192] was ich habe, so geh' Sie hin, Susanne, und mach' Sie augenblicks Feuer an in der Rose. Geruhen Ihr hochgräflichen Gnaden jetzt gleich hinauf zu gehen, oder befehlen Sie zu warten, bis das Feuer recht im Brand ist?« – »Ich denke, ich habe mich schon genug gewärmt,« antwortete die Dame; »wenn's Ihnen also gefällt, so will ich jetzt gleich hinaufgehn. Ich besorge schon, daß ich jemand, und besonders den Herrn da, (sie meinte Rebhuhn) zulange vom Feuer abgehalten habe. Es thut mir weh, bei diesem unangenehmen Wetter jemand in die Kälte zu bannen.« Sie ging hierauf fort mit ihrer Begleiterin, und die Wirtin ging mit ein paar brennenden Kerzen voran.

Als die gute Frau wieder herunter kam, ward in der Küche von nichts gesprochen, als von der reizenden jungen Dame. Es steckt wirklich in der vollkommenen Schönheit eine Gewalt, welcher fast niemand zu widerstehen vermag: denn unsre Frau Wirtin, ob ihr gleich die Verweigerung des angebotenen Abendessens gar nicht behagte, beteuerte dennoch, in ihrem Leben kein so liebenswürdiges Geschöpf gesehn zu haben. Rebhuhn brach aus in die allerübertriebensten Lobsprüche der Gestalt ihres Gesichts, doch konnte er dabei nicht umhin, den schönen und reichen goldnen Tressen auf ihrem Kleide einige Verbeugungen zu machen. Der Postillon ertönte in Lobeserhebungen ihrer Gütigkeit, welches Lob der andere Postillon, der sie hergebracht hatte und eben hereingekommen war, wie ein Echo widerhallte. »Eine rechte gute Dame ist es, das muß ich sagen,« stimmte er ein, »denn sie erbarmt sich auch des Viehes, wie unser Pfarrer von den Gerechten zu sagen pflegt. Denn sie fragte mich unterwegs, ein Weilchen ums andere, ob ich auch meinte, daß sie den Pferden weh thäte, wenn sie sie so scharf zugehen ließe? Und als wir ankamen, da band sie mir's auf die Seele, ich sollte den Viechern so viel rein Korn geben, als sie nur immer fressen wollten.«

Solch ein Liebreiz liegt in der herablassenden Leutseligkeit, und so sicher ist sie, sich bei allen Arten von Leuten Lob und Beifall zu erwerben! Man kann sie wirklich der berühmten Madame Hussy 1 vergleichen. Sie ist ebenso sicher, eine jedwede weibliche Vollkommenheit ins schönste Licht zu stellen und jede Unvollkommenheit zu verbergen und zu verhüllen. Diese kurze Betrachtung haben wir uns nicht entbrechen können, an dieser Stelle zu machen, wo unser Leser die Liebenswürdigkeit eines leutseligen Betragens gesehen hat, [193] und nun nötigt uns auch die Wahrheit, dieses Betragen dadurch zu kontrastieren, daß wir ihr Gegenteil darstellen.

Fußnoten

1 Eine berühmte Putzmacherin in London, welche jedes Frauenzimmer nach Wuchs und Bildung am vorteilhaftesten zu kleiden verstand.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Enthält den wahren Stein der Weisen, vermittelst dessen wir aller Menschen Gesinnungen gegen uns in Haß und Abscheu verwandeln können.


Die Dame hatte sich nicht so bald zu Bette gelegt, als die Kammerjungfer wieder nach der Küche zurückkehrte, um sich mit einigen von den leckern Gerichten gütlich zu thun, die ihre Gebieterin ausgeschlagen hatte. Bei ihrem Eintritte erwies ihr die Gesellschaft eben den Respekt, den sie vorher ihrer Gebieterin bewiesen hatte, und die Leute standen auf von ihren Sitzen beim Feuer. Sie vergaß aber ihrer Herrschaft nachzuahmen und sie zu bitten, sich wieder niederzusetzen. In der That hätten sie das auch kaum gekonnt, denn sie gab ihrem Stuhle eine solche Stellung, daß dadurch beinahe aller Platz beim Feuer eingenommen wurde. Darauf gab sie Befehl, man solle ihr augenblicklich ein junges Huhn auf dem Rost braten, mit der Verwarnung, wenn es in einer Viertelstunde nicht fertig wäre, so wollte sie's hernach gar nicht. Nun würde zwar, obgleich das besagte Küchlein noch auf dem Hühnerbalken schlief und noch die Zeremonien des Fangens, des Abschlachtens und Brühens vorhergehen mußten, ehe es auf den Rost gebracht werden konnte, die Frau Wirtin dennoch ihr möglichstes gethan haben, in der bestimmten Zeit damit zustandezukommen, aber zum Unglück war der Gast hinter dem Vorhang zugelassen worden und hätte also den ganzen Betrug als Zeuge mit ansehen müssen; die gute Frau sah sich sonach genötigt zu gestehen, daß sie kein abgethanes Küchlein im Hause hätte. »Aber, Madame,« sagte sie, »ich kann in einem Augenblick Hammelfleisch vom Metzger haben, was für ein Stück Sie nur befehlen.«

»Meint Sie denn,« antwortete die Nachtritts-Dame, »daß ich einen Pferdemagen habe, um in dieser späten Nachtzeit Hammelfleisch genießen zu können? Auf meine teure Ehre! Ihr Gastwirtsleute schert alle andre bessere Menschen über euren eignen Kamm. Hab' ich's doch wohl gedacht, daß ich an einem so elenden Orte nichts erwarten dürfte! Ich wundre mich, daß mein gnädigs Frölen hier absteigen konnte. Denn hier kann doch wohl kein honetter Mensch logieren, als Handwerksleute und Roßtäuscher.« Der Frau Wirtin juckte die Zunge bei dieser Beschimpfung, die man ihrem Hause anhängte, unterdessen that sie sich Gewalt an und begnügte sich damit, zu sagen: »es kämen wohl Personen von sehr hohem Adel [194] und logierten in ihrem Hause, daß sie es Gott zu danken hätte!« – »O geh' Sie mir mit Ihrem hohen Adel,« schrie die andre. »Ich sollte denken, ich kennte ein bißchen mehr Personen vom hohen Adel, als Sie und Ihresgleichen. Aber wenn ich bitten darf, wozu soll ich alles das Geträtsche anhören? Ich möchte viel lieber wissen, was ich zum Souper haben kann, denn ob ich gleich kein Pferdefleisch genießen kann, so hab' ich doch wirklich viel Appetit.« – »Nun ja doch wirklich, Madame,« antwortete die Wirtin, »Sie hätten mir zu keiner leidigern Stunde kommen können, denn ich muß es nur gerade heraus gestehen, ich habe nichts weiter vorrätig im Hause als ein Stück kaltes Rindfleisch. Doch daran haben der Bediente des Herrn da oben und der Postknecht schon bis an die Knochen genagt.« – »Frau!« sagte Jungfer Abigail (denn so wollen wir sie der Kürze halber nennen), »mach' Sie nicht, daß m'r übel wird. Und wenn ich vier Wochen gefastet hätte, so könnt 'ch doch von so was nicht speisen, was solche Kerl mit ihren Mistfäusten bekrabbelt haben. Ist denn nichts Reinlichs und Propres an diesem abscheul'chen Orte zu haben?« – »Was sagen Madame zu ein paar Eier auf Schinken geschlagen?« sagte die Wirtin. – »Sind Ihre Eier frisch gelegt? Ist's auch recht gewiß, daß sie nur tagalt sind? Und dann muß der Schinken ja recht delikat und dünn, dünn geschnitten werden, denn ich kann nichts ausstehn, was dick ist und grob – Nu! sei Sie so gut, greif' Sie sich e'nmal an und seh' Sie zu, gute Frau, ob Sie was Erträgliches zu Gange bringen kann. Und thu' Sie nicht so, als ob sie eine Pachtersfrau vor sich hätte, oder so 'ne Kreatur aus'n Hause.« Die Wirtin fing an, mit ihrem Messer zum Werke zu schreiten, aber die andre that ihr Einhalt, indem sie sagte: »Bei Leib und Leben, geh' Sie doch erst hin und wasche Sie sich die Hände, denn Sie muß wissen, ich bin gar unmenschlich reinlich und bin von meiner Wiege an gewohnt, alles aufs properste zu haben.«

Die Wirtin, der es herzlich sauer wurde ihre Zunge im Zaum zu halten, schritt nunmehr zu den nötigen Vorbereitungen, denn was Susannen betrifft, so war die platterdings davon abgewiesen, und zwar mit so verächtlichen Worten, daß es der armen Dirne ebenso sauer einging ihre Hände von Thätlichkeiten abzuhalten, als es der Wirtin schon längst schwer geworden war, ihre Zunge zu halten. Dies that indessen Susanne nicht so ganz und gar, denn ob sie solche gleich buchstäblich hinter den Zähnen hielt, so murmelte solche doch manches: »Daß dich!« »Dächt ich doch, was mich biß!« »Möcht' mein Fleisch mit deinem nicht tauschen!« und mehr solche Stoßworte des verbißnen Aergers.

Unterdessen die Mahlzeit zubereitet wurde, hob Jungfer Abigail [195] an zu beklagen, daß sie nicht befohlen, Feuer in der großen Gaststube anlegen zu lassen, aber sie meinte, dazu wär's nun zu spät: »Je nu!« sagte sie, »so kann ich doch erzählen, wie's einem zu Mut ist, wenn man in der Küche speist, denn ich wüßte mein Lebstage nicht, daß ich in 'r Küche gegessen hätte.« Darauf wendete sie sich gegen die beiden Postillons und fragte sie, warum sie nicht hingingen nach dem Stalle zu ihren Pferden? – »Wenn ich meine Kummersmahlzeit hier essen soll, Madame,« sagte sie zu der Wirtin, »so möcht' ich doch wohl bitten, daß die Küche gesäubert wird und daß ich nicht mitten unter allen Fink und Stink sitzen müßte. Nun! Sie, Herr,« sagte sie zu Rebhuhn, »Sie sehn noch ein bißchen aus, als ein rechtlicher Mann und können sitzen bleiben, wenn Sie wollen. Ich mag nicht gern sonst jemand stören, als nur die Kretis und Pletis.«

»Ja, ja! Madame,« rief Rebhuhn, »ich bin gewiß kein Kreti und Pleti, und glauben Sie nur, daß ich mich nicht eben so leicht stören lasse. Non semper vox causalis est verbo nominativus.« Dieses Latein hielt sie für spitzige Redensarten und antwortete: »Sie mögen meinetwegen ein rechtlicher Herr sein, so viel Sie wollen, aber mit Ihrer Aufführung zeigen Sie's nicht, daß Sie lateinisch oder was es ist zu einer Dame sprechen können.« Rebhuhn gab ihr eine höfliche Antwort, woran er noch einige Brocken mehr Latein hängte. Hierüber warf sie die Nase in die Höh' und begnügte sich damit, ihm dadurch eins zu versetzen, daß sie ihn einen hochgelahrten Herrn hieß.

Die Nachtmahlzeit war jetzt zu Tische gebracht und für eine so delikate Person aß Jungfer Abigail gar wacker drauf los, und unterdessen, daß auf ihren Befehl eine zweite Portion in der Pfanne zum Feuer gebracht ward, sagte sie: »Und so, Madame, erzählt' Sie mir, daß Ihr Haus von vornehmen Personen von Adel besucht wird?«

Die Wirtin gab eine bejahende Antwort und sagte: »Es wären viele adeliche Personen und viele andre vornehme Leute grad jetzt im Hause. Da ist der junge adliche Herr von Alwerth unter andern, wie der Herr da wissen.«

»Ei, ich bitte! kann ich nicht erfahren, wer dieser junge Herr von Adel, dieser Junker von Alwerth ist?« sagte Abigail.

»Wer sollt' es sein«, antwortete Rebhuhn, »als der Sohn und Erbe des reichen Junkers von Alwerth in Sommersethire?«

»Meiner Ehre«, sagte sie, »Sie sagen m'r da recht grause Dinge! Ich kenne Herrn von Alwerth in Sommersethire mehr als zu gut, und daß er keinen lebendigen Sohn hat, weiß ich auch, meiner Ehre!«

[196] Die Wirtin spitzte bei diesen Worten die Ohren und Rebhuhn sah aus wie jemand, dem die Petersilge abgehagelt ist, und nachdem er sich ein Weilchen besonnen hatte, antwortete er: »Madame haben wohl recht, es ist wahr, es weiß nicht jedermann, daß es des Herrn von Alwerths Sohn ist, denn er war mit seiner Mutter nicht getraut. Aber daß es sein Sohn ist, dar auf können Sie sich verlassen, und daß er sein Erbe sein wird, das ist ebenso gewiß, als sein Name Jones heißt.« Bei diesem Worte ließ Abigail die Schnitte Schinken, mit der sie eben zum Munde fahren wollte, von der Gabel fallen und rief aus: »Herr, Sie erstaunen mich! Ist's möglich? Ist er jetzund hier im Hause? Jones? Ist's möglich?« – »Quare non?« antwortete Rebhuhn. »Es ist möglich, denn es ist gewiß.« Jetzt hastete sich Abigail mit dem Ueberreste ihrer Mahlzeit fertig zu werden, und verfügte sich dann hinauf zu ihrer Gebieterin, worauf die Unterredung vorfiel, welche man in dem nächsten Kapitel lesen kann.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Zeigt, wer die liebenswürdige Dame und ihre liebenswidrige Zofe waren.


Wie gegen Ende des Junimonats die Damaszener Rose, welche der Zufall zwischen die Lilien hin versetzt hat, die ihr blendendes Weiß zu ihrer zarten Röte mischen, oder wie ein schäkerndes Queckrind im wonnigen Monat Mai seinen wohlriechenden Atem über die blumenreichen Wiesen verbreitet, oder wie in dem blütereichen April das Bild treuer Liebe die Taube auf dem schlanken Baumaste sich wiegt und girrend an ihren Gatten denkt, so von tausend Reizen strahlend, ebensoviel Wohlgerüche hauchend, mit ihren Gedanken geheftet auf ihr liebes Tömchen, mit einem Herzen so gut unschuldsvoll als voll ihr Gesicht von Schönheit, lag Sophie (denn sie war es selbst) mit ihrem liebenswürdigen Haupt auf ihre Hand gestützt, als ihre Zofe ins Zimmer trat und spornstreichs dem Bette zurennend ausrief: »Gnädigs Fröln! o, gnädigs Fröln! Was meint' Ihr Gnaden, wer wohl hier ist im Haus?« Sophie richtete sich erschrocken auf und sagte: »Ich denke doch nicht, daß mein Vater uns nachgekommen ist!« – »Ach nein, Ihr Gnaden! 's ist wohl wer wer so gut ist, als hundert Papas; Herr Jones selbst ist hier in dieser sticken Stunde!« – »Herr Jones?« sagte Sophie. »Es ist unmöglich, Nore! Wie sollt' ich zu dem Glück kommen!« Ihre Jungfer beteuerte die Wahrheit und ward unverzüglich von ihrer Gebieterin abgefertigt, um ihn zu bitten zu ihr zu kommen, denn [197] sie sagte, sie wäre entschlossen, ihn noch diesen Augenblick zu sprechen.

Jungfer Honoria hatte kaum die Küche verlassen auf die Art, wie wir vorhin gesehen haben, als die Frau Wirtin sie sehr scharf auf die Hechel nahm. Die arme Frau hatte schon lange ihrem Herzen manches unsaubre Schimpfwort aufgeladen, und nun flossen solche aus ihrem Munde wie der Gassenkot von einem Dreckkarren, wenn der Schieber, der ihn aufhielt, weggezogen wird. Rebhuhn schaufelte gleicherweise sein Häufchen Verleumdung mit auf, und (was vielleicht den Leser verwundern mag) beklexte nicht nur die Zofe, sondern bestrebte sich auch selbst den lilienweißen Charakter des Fräuleins Sophie zu beschmutzen. »Wie die Zucht, so die Frucht,« sagte er: »noscitur a socio, ist eine sehr wahre Sage. Wohl wahr, man kann's nicht leugnen, die Dame in der verbrämten Schabracke ist bei weitem die höflichste von beiden. Aber das ist doch auch wahr, daß sie am Ende beide aus einer Lauge gewaschen sind. Ein paar Badenymphen sind's, darauf setz' ich meinen Kopf zum Pfande. Denn adliche Personen reiten bei so später Nachtzeit wohl nicht ohne Bedienten auf der Heerstraße herum!« – »Dem ewigen Juden will ich Herberge geben, Herr, wenn Sie nicht recht haben,« rief die Wirtin; »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn hohe adliche Personen kommen in keinen Gasthof ohne eine Abendmahlzeit zu bestellen, sie mögen sie nun essen können oder nicht.« Als sie sich noch dergestalt unterredeten, kam Jungfer Honoria wieder zurück und entledigte sich dadurch ihres Auftrags, daß sie der Wirtin gebot, sie solle Herrn Jones ungesäumt aufwecken und ihm sagen, es wäre eine Dame da, die ihn zu sprechen verlange. Die Wirtin verwies sie an Rebhuhn mit dem Bedeuten, er wäre des Junkers Freund, denn sie für ihr Teil rufe niemals Mannspersonen aus dem Bette, besonders solche junge Herren, und damit watschelte sie ganz mürrisch zur Küche hinaus. Honoria wendete sich an Rebhuhn. Er aber schlug's ab: »Denn,« sagte er, »mein Freund ist sehr spät zu Bett gegangen und er würd' es sehr übel nehmen, wenn man ihn so früh im Schlafe störte.« Jungfer Honoria bestand darauf, er müsse ihn wecken und sagte: »Sie wüßte ganz gewiß, anstatt es übel zu nehmen würd's ihm vielmehr die größte Freude machen, wenn er erführe, wer ihn rufen ließ.« – »Auf ein andermal möchte das wohl sein,« rief Rebhuhn, »aber non omnia possumus omnes. Ein Frauenzimmer ist auf einmal genug für einen vernünftigen Mann.« – »Was will Er mit seinem einen Frauenzimmer auf einmal sagen, Kerl?« schrie Honoria. – »Bleib' Sie mir mit Ihrem Kerl vom Leibe!« antwortete Rebhuhn. Und darauf sagte er ihr mit dürren Worten, Jones wäre mit einer [198] Person vom weiblichen Geschlecht zu Bett gegangen und bediente sich dabei eines Ausdrucks, der zu unsittlich war, um ihn hier herzusetzen und worüber Jungfer Honoria dermaßen wütig wurde, daß sie ihn einen faulzüngigen Hanswurst nannte und über Hals und Kopf wieder zu ihrem Fräulein rannte, welchem sie den Ausgang ihrer Botschaft überbrachte und was für Nachrichten sie gelegentlich eingezogen hätte, die sie denn womöglich noch übertrieb, indem sie auf Herrn Jones ebenso zornig war, als ob er alle die Worte selbst gesagt hätte, die aus Rebhuhns Mund gegangen waren. Sie schüttete einen Strom von Schimpfworten über den Herrn aus und riet ihrem Fräulein, alle Gedanken auf einen Mann fahren zu lassen, der sich noch niemals als ihrer würdig bezeigt habe. Sie zog darauf die Geschichte mit Molly Seegrim aufs neue hervor und machte darüber, daß er vorher Sophien selbst entsagt, die allerboshafteste Auslegung, welcher, ich muß es gestehn, der jetzige Vorfall keinen geringen Grad von Wahrscheinlichkeit gab.

Sophiens Lebensgeister waren zu sehr von Betrübnis niedergeschlagen, um im stande zu sein, den Strom ihrer Zofe zu dämmen. Zuletzt fiel sie ihr gleichwohl in die Rede und sagte: »Ich kann dies unmöglich glauben! Irgend ein Bösewicht hat Sie belogen. Sie sagt, Sie hab' es von seinem Freunde. Es wäre aber gewiß kein Freundschaftsdienst, dergleichen Geheimnisse zu verraten.« – »Ich glaube, mein'r Ehre,« sagte Honoria, »der Kerl ist sein Zubringer, denn mein Lebstag habe ich kein so'n Eulengesicht von Lumpen gesehn, als den Buben, und denn so sind auch solche liederliche Hurenjäger als der Herr Jones mit so was eben nicht heimlich, denn sie schämen sich nicht und grämen sich nicht.«

Die Wahrheit zu bekennen, war dies Betragen des Rebhuhns nicht so platterdings zu entschuldigen, aber er hatte die Wirkung der Malzkraft, welche er vorigen Abend zu sich genommen hatte, noch nicht völlig wieder ausgeschlafen und des Morgens war noch eine Pinte warmen Weins oder vielmehr Weizengeist (denn selbst der Birnmost war nicht unverfälscht) hinzugekommen. Nun war der Raum in seinem Kopfe, welchen die Natur zum Behälter des Getränks bestimmt hatte, sehr flach und es durfte nur ein wenig von geistigem Getränk hineinlaufen, so floß er über und öffnete die Schleusen seines Herzens so, daß alle darin aufbewahrten Geheimnisse mit fortschwammen. Diese Schleusen waren auch freilich von Haus aus nicht zum sichersten verwahrt. Um seine Gemütsneigung von der besten Seite zu nehmen, wo wir nur können, wollen wir sagen, er war ein sehr ehrlicher Mann, denn so wie er einer der neugierigsten unter allen Sterblichen war und ewig und ohne Unterlaß die Nase in andrer Leute Geheimnisse stecken mochte, so bezahlte er solche [199] dadurch auf Treu und Glauben, daß er dagegen alles wieder mitteilte, was nur jemals zu seiner Wissenschaft gelangt war.

Unterdessen, daß Sophie, von ängstlichen Zweifeln gequält, nicht wußte, was sie glauben, noch was für einen Entschluß sie fassen sollte, langte Susanne mit dem Sekt-Thee an. In diesem Augenblick flüsterte Jungfer Honoria ihrem Fräulein den Rat ins Ohr, diese Dirne ein wenig auszupumpen, weil sie ihr vermutlich die rechte Wahrheit sagen könnte. Sophie billigte den Rat und begann wie folgt:

»Komm Sie her, gutes Kind, antworte Sie mir aufrichtig auf das, was ich Sie fragen will, und sei Sie versichert, daß ich Sie reichlich belohnen werde. Logiert hier im Hause ein junger Herr, – ich meine, so ein recht hübscher junger Herr, der« – hier ward Sophie ganz rot und konnte vor Stottern nicht weiter reden – »Ein junger Herr«, schrie Honoria, »der hier kam in Kompanie mit dem Zotenreißer, da unten in der Küche?« Susanne antwortete bejahend. »Weiß Sie etwas von einem gewissen Frauenzimmer«, fuhr Sophie fort, »von einem gewissen Frauenzimmer – ich frag eigentlich nicht, ob sie schön ist; vielleicht ist sie's nicht; und das thut auch nichts zur Sache; aber ich meine, ob Sie was von einem gewissen Frauenzimmer weiß?« – »Mein'r Ehr! gnädig's Fröln«, schrie Honoria, »aufs Examinieren haben sich Ihr' Gnaden noch nicht recht gelegt. – Hörst du, Mädchen, sag' mir,« fing Honoria an, »ist nicht eben der junge Herr, mit einer gewissen klaatrigen Betze zu Bette gegangen?« Hier schmutzerte Susanne und blieb stumm. »Antworte Sie mir, mein Kind,« sagte Sophie, »und da ist hier eine Guinee für Sie.« – »Eine Guinee, Ihr Gnaden!« rief Susanne; »eine Guinee will nicht viel sagen. Wenn's unsre Frau erfährt, so komm' ich gewiß den Augenblick um meinen Dienst.« – »Da hier ist noch eine,« sagte Sophie, »und ich versprech's Ihr, auf mein Gewissen, Ihre Herrschaft soll davon nichts erfahren!« Nach einem sehr kurzen Bedenken nahm Susanne das Geld, erzählte die ganze Geschichte, und sagte, als sie damit fertig war: »Wenn Ihr' Gnaden recht neugierig sind, so kann ich mich ganz leise in sein Zimmer schleichen und zusehn, ob er in seinem eignen Bett' ist, oder nicht.« Sie that dies auf Sophiens Verlangen, und brachte eine verneinende Antwort zurück.

Jetzt fing Sophie an zu zittern und blaß zu werden. Jungfer Honoria bat sie, sie möchte sich doch zufrieden geben und an einen so unwürdigen Laffen nicht weiter denken. »Ja, nun, so!« sagte Susanne, »ich hoffe doch, Ihr Gnaden werden mir nicht bös werden! Aber ich möcht' wohl bitten, Ihr Gnaden, ob Ihr Gnaden nicht das gnädige Frölen Sophie von Western wären?« – »Wie ist [200] es möglich, daß Sie mich kennen sollte?« antwortete Sophie. – »Je, nun! der Mann, wovon diese Madame hier eben sprach, der in der Küche ist, der hat den ganzen Abend nichts anders gethan, als von Ihr Gnaden zu sprechen. Aber ich hoffe, Ihr Gnaden werden mir's nicht ungnädig nehmen.« – »Ganz und gar nicht, Kind«, antwortete sie; »ich bitt' Sie, sage Sie mir nur alles ohne Umstände, und ich versprech' Ihr ein recht gutes Trinkgeld.« – »Je, ja nun, Ihr Gnaden,« fuhr Susanne fort, »der Mann erzählte uns allen, wie wir in der Küche waren, die gnäd'ge Frölen Sophie von Western – ja, aber ich weiß nicht, wie ich's so recht von mir geben soll.« – Hier stockte sie, bis ihr Sophie von neuem Mut zugesprochen hatte, und Honoria ihr aufs nachdrücklichste zusetzte, da sie denn folgendergestalt fortfuhr: »Ja, da erzählt' er uns, sozusagen, aber es ist gewiß alles erstunken und erlogen, daß Ihr Gnaden in den jungen Junker ganz sterbensverliebt wären; und daß er deswegen in den Krieg zöge, um von Ihr Gnaden nur abzukommen. Ich dachte gleich in meinem Herzen, so für mich selbst, 's wäre doch e'n recht falschherziger Mannskerl; aber nun mit meinen Augen zu sehn, eine so liebe, scharmante, schöne, junge Fröln, als Ihr Gnaden sind, die um eines solchen gemeinen Weibsen wegen sitzen bleiben soll, fürwahr! denn 's ist obendrein noch eines andern Ehemanns Frau – das kann ich mit meinem Verstande nicht klein kriegen, so wunderlich ist das.«

Sophie gab ihr noch eine dritte Guinee dazu; und nachdem sie ihr gesagt hatte, sie wolle gewiß ihre Freundin sein, wenn sie von dem, was vorgefallen, keinem Menschen ein Wort und auch nicht sagte, wer sie wäre: entließ sie die Dirne mit dem Befehle, dem Postillon zu sagen, er solle den Augenblick die Pferde satteln und vorführen.

Nachdem sie jetzt mit ihrer Jungfer alleingeblieben war, sagte sie ihrer getreuen Aufwärterin, ihr wäre niemals leichter ums Herz gewesen, als eben jetzt. »Ich bin nun überzeugt«, sagte sie, »er ist nicht nur ein falscher Mensch, sondern auch verächtlich und niederträchtig. Ich kann ihm eher alles verzeihn, als daß er meinen Namen so barbarischerweise aufs Spiel setzt. Dadurch hat er meine ganze Verachtung verdient. Ja, Nore! mir ist jetzt ganz leicht ums Herz, wirklich recht leicht, recht leicht!« Und damit stürzte ihr eine heftige Thränenflut aus den Augen.

Nach einer kurzen Zwischenzeit, welche Sophie hauptsächlich damit hinbrachte, daß sie weinte und ihre Kammerjungfer versicherte, ihr Herz sei vollkommen ruhig, brachte Susanne die Nachricht, daß die Pferde vorgeführt wären, als unsrer jungen Heldin ein sehr sonderbarer Einfall in den Sinn kam, wodurch Herr Jones erfahren würde, daß sie in demselben Gasthofe gewesen, und zwar auf eine [201] Art erfahren würde, daß, wenn er nur noch einen Funken von Zuneigung für sie im Herzen hätte, es ihn wenigstens einigermaßen für sein Vergehn bestrafen würde.

Der Leser wird die Güte haben, sich eines kleinen Muffs zu erinnern, welchem die Ehre widerfahren ist, schon mehr als einmal in dieser Geschichte erwähnt zu werden. Dieser Muff war seit Herrn Jones' Abreise Sophiens beständiger Gefährte bei Tage und ihr Schlafgeselle bei Nacht gewesen; und diesen Muff trug sie eben diesen Augenblick am Arme. Sie nahm ihn mit großem Unwillen herab, schrieb mit ihrem Bleistift ihren Namen auf ein Stückchen Papier, steckte solches mit einer Nadel an den Muff und bestach das Mädchen, beides in Herrn Jones leeres Bett zu legen; und wofern er's nicht darin finden sollte, ließ sie sich von ihr versprechen, den Muff des Morgens, auf eine oder die andere Art, ihm vor die Augen zu bringen.

Als sie darauf für das bezahlt hatte, was Jungfer Honoria verzehrt, nebst der übrigen Rechnung des Postillons, mit einbegrissen, was sie selbst hätte verzehren können, stieg sie zu Pferde, und setzte in der abermaligen Versicherung gegen ihre Gefährtin, wie es ihr ganz leicht ums Herz sei, ihre Reise weiter fort.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Enthält unter andern Dingen Rebhuhns Treuherzigkeit, Jones' Tollheit und Fitz Patricks Narrheit.


Es war nun morgens nach fünf Uhr, und es erhob sich schon die andere Gesellschaft aus dem Bette und kam in die Küche, unter der sich auch der Feldwebel und der Kutscher befanden, welche, als völlig wieder ausgesöhnte Freunde, eine Libation anstellten; oder, unverblümter zu sprechen, einen tüchtigen Vernüchterungstrunk miteinander thaten.

Bei diesem Vernüchtern fiel nichts Merkwürdigeres vor, als Rebhuhns Aufführung bei der Gesundheit, welche der Feldwebel ausbrachte. Denn anstatt zu wiederholen: Vivat der König Georg! sagte er nur bloß: Vivat der König! und konnte man ihn auch nicht dahin bringen, ein mehreres zu sagen. Denn, ob er gleich auf dem Wege war, gegen seine eigne Sache zu fechten, so konnte man ihn doch nicht dahin bringen, dagegen zu trinken.

Herr Jones, der jetzt wieder nach seinem eignen Bette zurückgekehrt war (man wird uns aber entschuldigen, wenn wir nicht gerne sagen, aus welchem er herkam), rief Rebhuhn aus dieser angenehmen Gesellschaft zu sich auf sein Zimmer, woselbst dieser, nachdem [202] er mit einer zierlichen Vorrede Erlaubnis erbeten und erhalten hatte, seinen Rat zu erteilen, sich folgendermaßen vernehmen ließ:

»Mein lieber Herr, es ist ein altes, aber auch ein wahres Sprichwort: Des Weisen Gedanken sind oft in der Narren Munde! Ich wünschte daher, ich dürfte so dreist sein, Ihnen meinen guten Rat zu erteilen, welcher darin besteht, wieder heimzukehren und diesehorrida bella, diese blutigen Kriege solchen Burschen zu überlassen, deren Magen nach Schießpulver giert, weil sie sonst nichts zu essen haben. Nun ist es aber jedermann sehr wohl bekannt, daß Euer Gnaden zu Hause keinen Mangel leiden an irgend einem Guten. Wem's nun daheim wohl ist, warum sollt' er reisen und in der Fremde sein Elend bauen?«

»Rebhuhn,« rief Jones, »du bist gewiß ein feiger Hase! Du thät'st mir also einen Gefallen, wenn du hübsch nach deiner Heimat zurückkehrtest und mich ungehudelt ließest!«

»Bitte Eur Gnaden um Verzeihung,« rief Rebhuhn; »ich sagte das nicht sowohl meintwegen, als bloß Ihretwegen; denn, was mich anbetrifft, so weiß der Himmel, daß meine Umstände schlecht genug sind, und ich so weit entfernt bin, mich zu fürchten, daß ich mir aus einer Pistole, oder einer Flinte, oder dergleichen Dingen ebensowenig mache, als aus einer Klappbüchse. Ich kann ja auch mit dem Verlust eines Armes oder Beines davonkommen! Ich versichre Sie, gnäd'ger Junker, ich bin in meinem Leben nicht weniger furchtsam gewesen! Wenn also Ihr Gnaden mit aller Gewalt hinziehn wollen, nun, so bin ich entschlossen, Ihnen im Leben und Tode zu folgen. Wollen Sie aber weiter ziehen, so wünschte ich nur meine Meinung sagen zu dürfen. So viel ist gewiß, für einen großen Herrn, wie Sie sind, ist es keineswegs anständig und schicklich, so zu Fuß zu reisen. Nun stehn da unten zwei oder drei tüchtige Gäule im Stalle, und der Wirt wird sich gewiß nicht das geringste Bedenken machen, Ihnen solche anzuvertrauen. Aber, gesetzt, er thäte es auch, so kann ich doch leicht Anstalt dazu machen, die Tiere in unsre Gewalt zu bekommen. Hm! käm' denn nun auch das Aergste zum Argen, so würde Ihnen der König doch gewiß pardonieren, weil Sie auf dem Zuge sind, für seine Sache zu fechten.« Da nun die Redlichkeit Rebhuhns gerade so weit reichte wie sein Verstand, und beide bloß kleine Geschäfte trieben, so würde er sich mit einer Spitzbüberei von diesem Gewicht nicht eingelassen haben, wenn er sich nicht eingebildet hätte, es wäre dabei gar keine Gefahr zu wagen; denn er war einer von denen, welche mehr Rücksicht auf den Galgen nehmen, als auf die unwandelbare Regel des Rechts. Aber in der That, er meinte, er könnte diesen Diebstahl ohn' alle Gefahr über sich nehmen: denn außer dem, daß er nicht zweifelte, der Name des [203] Herrn Alwerth würde den Gastwirth vermögen, die Sache im stillen abzuthun, so glaubte er auch, er würde allemal sicher sein, was für eine Wendung die Sache auch nehmen möchte, weil, nach seinen Gedanken, Jones auf der einen Seite Freunde genug haben würde, und diese Freunde auf der andern Seite auch ihn nicht stecken lassen würden.

Als Herr Jones fand, daß es dem ehrlichen Rebhuhn mit diesem Vorschlage völliger Ernst sei, las er ihm recht derb den Text, und zwar in so bittern Ausdrücken, daß sich der andre bemühte, die Sache ins Lächerliche zu kehren und mit aller Behendigkeit das Gespräch auf etwas andres zu lenken, indem er sagte: er glaube, sie wären hier in einem Hause, wo die Töchter der Freude ihr Wesen hätten, und er habe mit vieler Mühe zwei solche artige Geschöpfe abgehalten, Se. Gnaden mitten in der Nacht aus dem Schlafe aufzuwecken. »He, da!« sagte er, »ich glaube, sie sind dennoch in Ihrer Kammer gewesen, ich mochte wollen oder nicht, denn der einen ihr Muff liegt ja da auf der Erde.« Wirklich hatte Jones, als er im Finstern wieder nach seinem Bette gegangen war, den Muff auf seinem Kissen nicht wahrgenommen, und hatte ihn, wie er ins Bett gestiegen, heraus auf die Erde geworfen. Rebhuhn nahm ihn jetzt auf und wollte damit in seine Tasche fahren, als Jones ihn zu sehen verlangte. Der Muff war so sehr kenntlich, daß ihn unser Held gewiß ohne den angehefteten Zettel wiedererkannt haben würde. Auf diese schwere Probe ward aber sein Gedächtnis nicht gestellt; denn im ersten Anblick sah und las er die Worte Sophie Western auf dem Papier, welches mit einer Nadel drangesteckt war. In einem Hui wurden seine Blicke wild und wütend und er rief mit heftiger Bewegung: »Alle Himmel! wie ist der Muff hierhergekommen?« – »Das weiß ich ebensowenig, wie Ihr Gnaden,« sagte Rebhuhn, »aber ich sah ihn am Arme einer der beiden Weibsbilder, welche Ihren Schlaf gestört haben würden, wenn ich's gelitten hätte.« – »Wo sind sie?« schrie Jones und sprang dabei aus dem Bette und griff nach seinen Kleidern. »Schon viele Meilen weit von hier, wie ich glaube,« sagte Rebhuhn. Und nun ward Jones bei fernerm Nachfragen hinlänglich versichert, daß diejenige, welche den Muff am Arme getragen, niemand anders gewesen sei, als die liebenswürdige Sophie in eigner Person.

Das Betragen des Herrn Jones bei dieser Gelegenheit, seine Gedanken, seine Blicke, seine Worte, seine Gebärden waren so beschaffen, daß eine jede Beschreibung davon zur Stümperei werden würde. Nachdem er dem Rebhuhn wohl tausendmal und sich selbst nicht viel weniger die bittersten Flüche angewünscht hatte, befahl er dem armen Menschen, welcher vor Furcht fast von Sinnen gekommen [204] war, hin unter zu laufen und Pferde zu mieten, sie möchten auch kosten was sie wollten. Die wenigen Minuten nachher, als er seine Kleider übergeworfen hatte, eilte er selbst die Stiegen hinab, um in eigner Person die Befehle auszurichten, die er eben gegeben hatte.

Ehe wir aber erzählen, was bei seiner Ankunft in der Küche vorging, wird es nötig sein, erst vorher das beizubringen, was sich darin zutrug, seitdem Rebhuhn von seinem Herrn daraus abgerufen ward.

Der Unteroffizier war eben mit seinem Kommando abmarschiert, als die beiden irländischen Herrn aufstanden und herunterkamen, beide klagend, daß sie die Nacht über durch das ewige Getümmel im Gasthof so oft geweckt worden, daß sie nicht im stande gewesen wären, die ganze Nacht durch ein einzigmal ein Auge zuzuthun.

Die Kutsche, mit welcher die junge Dame und ihre Kammerjungfer angekommen waren und welche der Leser vielleicht für ihre eigne gehalten hat, war in der That eine zurückkehrende Mietkutsche, die Herrn King zu Bath zugehörte, einem der ehrlichsten, würdigsten Männer, die jemals Pferd' und Fuhrwerk vermietet haben und dessen Kutschen und Chaisen wir unsern Lesern, die jemals des Weges reisen, aufs beste anempfehlen wollen. Auf diese Art können sie vielleicht das Vergnügen haben, in eben der Kutsche und von eben dem Kutscher gefahren zu werden, wel che wir in dieser Geschichte verewigt haben.

Der Kutscher, welcher nur zwei Passagiere hatte und hörte, daß Herr von Macklachlan nach Bath gehen wollte, erbot sich, ihn um einen sehr mäßigen Preis mitzunehmen. Er that dies Anerbieten auf die Nachricht des Stallknechts, welcher sagte, daß das Pferd, welches Herr von Macklachlan zu Worcester gemietet, viel besser dran sein würde, wenn es zu seinen Freunden dahin zurückkehrte, als wenn es noch eine längre Reise thun müßte, weil besagtes Pferd eher für ein zwei- als vierfüßiges Tier zu achten wäre.

Herr von Macklachlan ging ohne weiteres des Kutschers Vorschlag ein und beredete ihn zu gleicher Zeit, seinen Freund Fitz Patrick den vierten Platz in der Kutsche einnehmen zu lassen. Seinen gestauchten Gliedmaßen war das Fahren zuträglicher als das Reiten, und da er sich für versichert hielt, daß er seine flüchtige Frau zu Bath antreffen würde, so dachte er, ein kleiner Aufschub würde von keinen Folgen sein. Herr von Macklachlan, welcher bei weitem von beiden den verschlagensten Kopf hatte, hörte nicht so bald, daß diese Dame von Chester gekommen wäre und dabei noch die übrigen Umstände, welche er von dem Stallknecht vernahm, als er auf den Gedanken geriet, es könnte wohl gar die Gemahlin seines Freundes sein, und diese Vermutung teilte er unverzüglich Herrn Fitz Patrick [205] mit, dem ein solcher Gedanke auf hundert Meilen weit nicht eingefallen wäre. Die Wahrheit zu bekennen, war er eins von jenen Gemächten, welche die Natur in großer Hast und Eile zusammenbäckt und darüber vergißt, in ihre Köpfe ein wenig Gehirn zu kneten.

Nun geht es dieser Gattung von Leuten, wie den schlechten Schweißhunden, welche von selbst niemals eine Fährte aufnehmen; kaum aber, daß ein genossen gemachter kluger Spürer einen Laut gibt, als sie wie ein Blitz auch anschlagen und, ohne im geringsten nur zu näseln, spornstreichs in vollem Trabe grade vor sich weglaufen. Auf eben die Weise faßte Herr Fitz Patrick den Augenblick, als Herr Macklachlan seine Vermutung vorbrachte, den Gedanken auf und flog geradeswegs die Stiegen hinan, um seine Frau zu überraschen, ehe er noch wußte, wo sie wäre, und zum Unglück (denn das Glück mag gar gern solche Herren necken, die sich ohne Vorbehalt unter seine Vormundschaft begeben) rannte er mit dem Kopfe gegen verschiedene Thüren und Pfeiler, ohne damit das geringste auszurichten. Gegen mich war es viel gütiger, da es mir das eben angeführte Gleichnis von den Jagdhunden an die Hand gab, weil das arme Weib bei dieser Gelegenheit so schicklich mit einem gehetzten Hasen verglichen werden kann. Gleich diesem kleinen unglücklichen Tierlein spitzt sie ihre Ohren, um auf die Stimme ihres Verfolgers zu lauschen; gleich ihm flieht sie zitternd davon, da sie ihn hört und gleich ihm werden die armen Weiber gemeiniglich am Ende eingeholt und vernichtet.

Dies war gleichwohl gegenwärtig der Fall nicht, denn nach einem langen fruchtlosen Nachsuchen kehrte Herr Fitz Patrick wieder nach der Küche zurück, woselbst, als ob dies hier eine wirkliche wahre Jagd gewesen, ein Herr anlangte und dasselbe Jagdgeschrei machte, das die Jäger zu erheben pflegen, wenn die Hunde eine falsche Spur genommen haben. Er war eben vom Pferde gestiegen und hatte ein zahlreiches Gefolge hinter sich.

Hier, meine Leser, wird es nötig sein, Sie mit verschiedenen Dingen bekannt zu machen, welche Sie noch nicht wissen, oder Sie müßten viel weiser sein, als ich von Ihnen glauben kann. Und diesen Unterricht soll Ihnen das nächste Kapitel gewähren.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

In welchem die Abenteuer beschlossen werden, welche sich in dem Gasthofe zu Upton begaben.


Zuerst also war der Herr, welcher soeben anlangte, niemand anders als der leibhaftige Junker Western, welcher seiner Tochter [206] dieses Weges nachgesetzt war. Und wäre er so glücklich gewesen, nur zwei Stunden früher zu kommen, so hätte er nicht nur seine Tochter, sondern obendrein noch seine Nichte dazu gefunden, denn dies war wirklich die Gemahlin des Herrn Fitz Patrick, welche dieser vor fünf Jahren, da sie unter Ihro hochweisen Gnaden, des Fräuleins von Western Aufsicht stand, entführt hatte.

Jetzt war aber diese Nichte fast zu gleicher Zeit mit Sophie aus dem Gasthofe davongereist. Denn als sie durch die Stimme ihres Ehegemahls aus dem Schlaf geweckt worden, hatte sie die Frau Wirtin zu sich bitten lassen, und da sie von derselben erfahren, wie die Sachen ständen, hatte sie diese gute Frau mit einem übertriebenen Preise bestochen, ihr zu ihrer Flucht Pferde zu schaffen. Solch' eine Ueberredungskraft hatte das Geld in diesem Hauswesen, und obgleich die Frau vom Hause ihr Stubenmädchen als einen untreuen Dienstboten fortgejagt haben würde, wenn sie ebensoviel gewußt hätte als meine Leser, so war sie doch selbst gegen Bestechungen ebensowenig probefest, als es die arme Susanne gewesen war. Junker Western und sein Neffe waren einander von Person nicht bekannt. Der erste würde sich auch um den letzten gar nicht bekümmert haben, wenn er ihn auch gekannt hätte, denn da dies eine erschlichene und folglich nach der Meinung des guten Junkers eine unnatürliche Verbindung war, so hatte er von dem Augenblick ihrer Vollziehung an das arme junge Frauenzimmer für ein Ungeheuer dahingegeben, und seitdem niemals dulden wollen, daß solche in seiner Gegenwart nur genannt würde. Die Küche war nunmehr ein Schauplatz allgemeiner Verwirrung geworden. Western erkundigte sich nach seiner Tochter und Fitz Patrick forschte ebenso hitzig nach seiner Frau, als Jones hereintrat und unglücklicherweise Sophiens Muff in der Hand hielt.

Sobald Western unsern Jones sah, ließ er das laute Holla ertönen, welches bei den Weidmännern gebräuchlich ist, wenn das ausgelassene Stück Wild vor die Kuppel kommt. Er lief drauf flugs auf Jones zu, packte ihn an und schrie: »Da, den Keuler hab'n wir! gebt nur acht, die Bache is gewis nich weit!« Die Unterredung, welche hierauf in Weidmanns-Stil auf einige Minuten erfolgte, wobei viele von vielerlei Dingen zugleich sprachen, würde ebenso beschwerlich zu beschreiben, als unlustig zu lesen sein.

Nachdem sich Jones aus Herrn Westerns Händen losgemacht und sich einige von der Gesellschaft zwischen beiden ins Mittel gelegt hatten, beteuerte unser Held seine Unschuld damit, daß er von dem Fräulein nichts wisse; als der Pfarrer Schickelmann sich hervormachte und sagte: »Es ist vergebne Thorheit, es leugnen zu wollen! Denn man seh' nur, das Zeugnis wider Euch ist in Euren Händen. Ich [207] selbst kann es auf einen gerichtlichen Eid bezeugen, daß der Muff, den Ihr da in Euren Händen habt, dem Fräulein Sophie zugehört, denn ich habe ihn seit den letzten Tagen her sehr oft an ihrem Arme gesehn.« – »Meiner Fike Muff?« schrie der Junker ganz wütig. »Hat er meiner Fike Muff? Soll'n Zeugen sein, der Diebstahl ist bei'm gefunden! Vor'n Richter will ich mit'n stracks uf der Stelle, wo ist meine Tochter? Bube!« – »Herr,« sagte Jones, »ich bitte, beruhigen Sie sich doch! Des Fräuleins, Ihrer Tochter Muff ist's, das gesteh' ich; aber sie hab' ich mit keinem Auge gesehn, das versichr' ich Sie auf meine Ehre.« Bei diesen Worten verlor Herr Western vollends alle Geduld, so daß er kein verständliches Wort mehr hervorbringen konnte.

Einige von den Bedienten hatten Herrn Fitz Patrick benachrichtigt, wer Herr Western wäre. Der gute Irländer also meinte, er habe hier eine gute Gelegenheit, seinem Onkel einen angenehmen Dienst zu leisten und sich vielleicht dadurch bei ihm in Gunst zu setzen. In dieser Absicht ging er auf Herrn Jones zu und rief aus: »Bei meiner armen Seele! Herr! Sie sollten sich ins Herz hinein schämen, daß Sie mir ins Angesicht leugnen wollen, des Herrn seine Tochter gesehn zu haben, da Sie doch wissen, daß ich Sie mit ihr zusammen im Bett gefunden habe.« Hierauf wendete er sich an Western und bot ihm an, ihn geradeswegs zu dem Zimmer zu führen, wo seine Tochter sei; nachdem dieses Anerbieten angenommen worden, gingen er, der Junker, der Pfarrer und einige andere ungesäumt hinauf nach Madame Waters Kammer, in welche sie mit nicht geringerer Gewalt einbrachen, als vorher vom Herrn Fitz Patrick geschehen war.

Die arme Frau fuhr mit ebensoviel Erstaunen als großem Schrecken aus dem Schlaf auf, und sah vor ihrem Bette eine Figur stehn, von der man mit allem Fug glauben konnte, sie sei aus einem Irrenhause entlaufen. Solche Wildheit und Verwirrung herrschte in Herrn Westerns Blicken, der nicht so bald das Frauenzimmer betrachtete, als er zurückprallte, und durch seine Gebärden schon, noch eh' er den Mund aufthat, hinlänglich zu erkennen gab, daß dies nicht die Person sei, welche er suchte.

Mit so viel größerer Zärtlichkeit sind die Damen für ihren guten Namen, als selbst für ihre Person besorgt, daß, obgleich hier die letzte in größerer Gefahr zu schweben schien als vorher, doch, da der erste sicher war, Madame Waters nicht so heftig schrie, als sie es bei der vorigen Gelegenheit für nötig befunden hatte. Unterdessen befand sie sich nicht so bald wieder allein, als sie alle Gedanken auf fernern Schlaf fahren ließ, und weil sie Ursachen genug hatte, mit ihrem gegenwärtigen Logis unzufrieden zu sein, so stand [208] sie auf und kleidete sich an so eilig als möglich. Junker Western schritt nun dazu, das ganze Haus zu durchsuchen, aber mit ebenso schlechtem Erfolg, als er die arme Madame Waters beunruhigt hatte. Er kehrte also ganz trostlos wieder zurück nach der Küche, woselbst er Herrn Jones noch im Gewahrsam seiner Bedienten vorfand.

Dies heftige Gelärm und Getümmel hatte alle Leute im Hause, obgleich noch kaum der Tag angebrochen war, auf die Beine gebracht. Unter diesen befand sich ein Herr von sehr ernsthaftem Ansehen, welcher die Ehre hatte, in der Grafschaft Worcester eine obrigkeitliche Gerichtsperson vorzustellen. Herr Western hatte von diesem Umstande kaum Nachricht bekommen, als er ohne weiteres seine Klage bei ihm vorbringen wollte. Der Richter lehnte es von sich ab, sein Amt zu verrichten, weil, wie er sagte, er weder einen Aktuarium noch ein gerichtliches Protokoll oder Gesetzbücher bei sich führte und er unmöglich alle Gesetze in Ansehung der Töchterdiebereien und dergleichen Sachen im Kopf und Gedächtnis haben könnte.

Hier erbot sich Herr Fitz Patrick, ihm seinen Beistand zu leihen, indem er der Gesellschaft berichtete, er habe die Rechte studiert. Und in der That hatte er einige Jahre in der nordischen Gegend von Irland bei einem Prokurator als Schreiber gedient, als er, um eine ansehnlichere Bahn des Lebens zu betreten, seinen Prinzipal verließ, nach England hinüberging und da die Geschäfte anfing, die keine Lehrjahre erfordern, nämlich die Geschäfte eines junkerierenden Müßiggängers, in welchen er's denn auch so weit gebracht hatte, wie wir zum Teil schon erzählt haben.

Herr Fitz Patrick behauptete, es käme im gegenwärtigen Falle gar nicht auf das Gesetz gegen die Entführung der Töchter an; der Diebstahl eines Muffs sei ohne allen Zweifel kapital, und diesen Diebstahl zu beweisen, sei es hinlänglich, daß man das gestohlene Gut beim Diebe gefunden habe.

Die Magistratsperson ließ sich am Ende durch den Zuspruch eines so gelehrten Rechtsgehilfen und durch das heftige Anhalten des Junkers bereden, ein hochnotpeinliches Halsgericht zu eröffnen, in welchem er seinen Richterstuhl einnahm. Und nachdem er den Muff in Augenschein genommen, welchen Jones noch immer in der Hand hielt, und den Pfarrer darüber den Eid abnehmen lassen: daß besagter Muff ein Eigentum des Herrn Western sei, erteilte er Herrn Fitz Patrick den Auftrag, einen ordentlichen Verhaftsbefehl auszufertigen, welchen er hernach, wie er sagte, unterzeichnen wolle.

Jones verlangte jetzt gleichfalls gehört zu werden, was ihm endlich nach vielen Schwierigkeiten zugestanden ward. Er produzierte [209] alsdann Herrn Rebhuhn als Zeugen, daß er den Muff wirklich gefunden habe. Was ihm aber noch mehr zu statten kam, war Susannens Aussage, daß Fräulein Sophie selbst ihr solchen eingehändigt habe, mit dem Auftrage, ihn in die Kammer zu legen, woselbst Herr Jones solchen gefunden hätte.

Ob es eine angeborne Gerechtigkeitsliebe oder das anziehende, mutige und anmutige Wesen in Jones' Gestalt war, welches auf Susanne wirkte – diese Entdeckung zu machen, das will ich nicht entscheiden; ihr Zeugnis aber hatte die Wirkung, daß die Magistratsperson in ihrem Richterstuhl zurücksank und erklärte: »Die Sache sei jetzt ebenso klar für den Gefangnen, als sie vorher wider denselben gewesen wäre.« Welchem Ausspruche der Pfarrer sich beistimmig erklärte, indem er sagte: Gott solle ihn behüten, im geringsten dazu beirätig zu sein, daß eine unschuldige Person zu Leibesstrafen verdammt würde. Der Richter erhob sich also von seinem Stuhle, sprach den Gefangnen frei und ledig und schloß seine hochnotpeinliche Dingbank.

Der Herr Junker Western gab jetzt einem jeden von den Anwesenden einen herzlichen Fluch, befahl stracks die Pferde vorführen zu lassen und ritt fort, seiner Tochter nachzusetzen, ohne sich um seinen Neffen, Herrn Fitz Patrick, im geringsten zu bekümmern oder sich auf dessen Ansprüche der Verwandtschaft mit ihm mit einer Silbe einzulassen, ungeachtet aller der Verbindlichkeiten, welche er soeben von diesem Herrn empfangen hatte. Ja, noch dazu vergaß er in seiner großen Eile und der Heftigkeit seines Eifers zu allem Glück, Herrn Jones den Muff wieder abzufordern; ich sage zu allem Glück, denn Jones würde sich lieber auf der Stelle haben totschlagen, als sich solchen wollen nehmen lassen.

Jones machte sich mit seinem Freunde Rebhuhn gleichfalls auf den Weg, sobald er seine Rechnung bezahlt hatte, um seiner geliebten Sophie nachzuspüren, mit dem nunmehr festgefaßten Entschlusse, diese Nachsuchung nicht eher wieder aufzugeben, bis er sie gefunden habe. Er konnte es sogar nicht einmal über sich erhalten, von Madame Waters Abschied zu nehmen; ja, ihr Andenken war ihm abscheulich, weil sie, obgleich nicht mit Vorsatz, die Ursache gewesen, daß er der glücklichen Zusammenkunft mit Sophie verlustig gegangen, welcher er nunmehr eine ewige Beständigkeit schwur.

Was Madame Waters anbelangt, so machte sie sich die Gelegenheit der Kutsche, welche nach Bath zurückging, zunutze und reiste nach diesem Orte in Gesellschaft der beiden irländischen Herren, nachdem die Frau Wirtin so gütig gewesen, ihr von ihren Kleidern zu leihen, und für diese Gefälligkeit nur einen kleinen Mietzins nahm, der nur ungefähr das Doppelte betragen mochte, was solche [210] neu wert gewesen waren. Unterwegs söhnte sie sich völlig wieder mit Herrn Fitz Patrick aus, welcher in der That ein wohlgestalter Mann war; auch that sie auf ihrer Seite alles, was sie konnte, um ihn über die Abwesenheit seiner Ehegattin zu trösten.

Auf diese Weise endigten sich die mancherlei wundersamen Abenteuer, welche Herr Jones in seinem Gasthofe zu Upton bestanden hatte, woselbst noch bis auf den heutigen Tag von der reizenden Sophie unter dem Namen des Engels von Sommersethire häufig gesprochen wird.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

In welchem die Geschichte einen Krebsgang nimmt.


Ehe wir mit unsrer Geschichte um einen Schritt vorwärts gehen, wird es nicht undienlich sein, ein wenig zurückzublicken, um die außerordentliche Erscheinung zu erklären, welche Sophie und ihr Vater in dem Gasthofe zu Upton machten.

Der Leser wird so gütig sein, sich zu erinnern, daß wir in dem neunten Kapitel des siebenten Buchs unsrer Geschichte Sophien in der Lage verließen, da sie nach einem langen Kampfe zwischen Liebe und Pflicht endlich die Sache, wie es nach meiner Meinung allemal gewöhnlich ist, zu Gunsten der erstern entschied.

Dieser Kampf war, wie wir damals gezeigt haben, durch einen Besuch entstanden, den ihr kurz vorher ihr Vater in der Absicht gemacht hatte, ihre Einwilligung in die Heirat mit Herrn Blifil zu erzwingen, und welche Einwilligung nach seiner Meinung ganz deutlich in der Erklärung begriffen gewesen, daß sie keinem seiner ausdrücklichen Befehle ungehorsam sein könne oder dürfe.

Nun begab sich der Junker von diesem Besuche zu seinem Abendtrunke, überströmt von Freuden über den glücklichen Ausgang der Verrichtungen bei seiner Tochter, und weil er von sehr gefälliger Gemütsart war und gern jedermann an seiner Freude teilnehmen lassen wollte, so war der Befehl gegeben, daß das Bier in der Küche nicht sparsam fließen sollte. Solchergestalt hatte die Glocke des Abends noch nicht elfe geschlagen, als im ganzen Hause kein einziger Mensch mehr nüchtern war, ausgenommen Ihro Gnaden, Fräulein von Western und die reizende Sophie.

Des Morgens in aller Frühe ward ein Bote abgefertigt, um Herrn Blifil zu rufen: denn obgleich der Junker sich einbildete, dieser junge Herr wisse wirklich bei weitem nicht so viel von der vorherigen Abneigung seiner Tochter, als er wirklich wußte, so ward ihm dennoch, weil Blifil bis auf diese Stunde ihre Einwilligung [211] noch nicht erhalten hatte, Zeit und Weile lang, ihm diese Einwilligung bekannt zu machen, und er zweifelte gar nicht, die bestimmte Braut würde solche mit ihren eignen Lippen bestätigen. Was die Trauung betraf, so war schon den Abend vorher unter den männlichen Kontrahenten festgesetzt, daß solche auf den übermorgenden Tag gefeiert werden sollte.

Das Frühstück war jetzt in dem Besuchzimmer aufgesetzt, woselbst sich Junker Blifil einstellte, und wo auch Herr Western und seine Schwester gleichfalls versammelt waren. Und nunmehr ward auch befohlen, es dem Fräulein Sophie anzusagen.

O, Shakespeare, hätte ich deine Feder! o Hogarth, hätte ich deinen Pinsel! dann zeichnete ich das Bild des armen Lakaien, welcher mit blassem Gesicht, stieren Augen, klappernden Zähnen, stotternder Zunge und zitternden Gliedern –


(E'en such a Man, so faint, so spiritless,
So dull, so dead in Look, so woebegone,
Drew Priam's Curtain in the Dead of Night,
And would have told him, half his Troy was burn'd)
So geist- und atemlos, von Weh betäubt,
Im Blick erstorben, als der Bote dort,
Im Schau'r der Todesnacht, an Priams Bett
Erschien und sagt' ihm an: Halb Troja steh' im Brand –

ins Zimmer trat und verkündigte, Fräulein Sophie sei nicht zu finden.

»Nicht zu finden!« schrie der Junker und sprang dabei auf von seinem Stuhl. »Hagel und Wetter! All' Donner und Blitz! wo, wann, wie, was? – Nicht zu finden, wo?«

»Ei, ei, mon Frère!« sagten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, mit wahrer ministerialischer Kälte; »Sie geraten doch auch immer um nichtsbedeutende Kleinigkeiten in die aufbrausendste Hitze. Ma Nièce ist vermutlich bloß ein wenig in den Garten spazieren gegangen. – Im Ernst, Sie sind seit einiger Zeit so ungesittet geworden, daß es einem unmöglich ist, mit Ihnen in einem Hause zu leben.«

»Nun, ja doch! Ja doch!« antwortete der Junker und kam eben so plötzlich wieder zu sich selber, als er außer sich geraten war. »Wenn's weiter nichts ist, so hat's nicht viel zu bedeuten; aber mein Seel! mir ward nicht wohl zu Mut, als der Bursche sagte, sie wär' nicht zu finden.« Er gab darauf Befehl, daß man die Glocke im Garten läuten sollte, und setzte sich ruhig wieder nieder.

Keine zwei Dinge in der Welt konnten einander so unähnlich sein und so sehr entgegenstehen, als dieser Bruder und diese Schwester [212] fast in allen Punkten, besonders aber in diesem, daß, sowie der Bruder niemals eine Sache in einiger Entfernung voraussah, aber sehr schlau eine Sache den Augenblick nachher entdecken konnte, wenn sie geschehen war; so sah die Schwester unaufhörlich in die Ferne voraus, war aber bei weitem nicht so scharfsichtig über Gegenstände, die ihr vor den Augen lagen. Von diesen beiden Eigenschaften wird der Leser Beispiele bemerkt haben, und in der That gingen diese ihre beiden verschiedenen Talente bis zum Uebermaß; denn sowie die Schwester sehr oft Dinge voraussah, welche niemals zur Wirklichkeit gelangten, so sah der Bruder auch oft weit mehr als sich wirklich wahr befand.

Uebrigens war das jetzt hier nicht der Fall. Aus dem Garten ward eben die Nachricht gebracht, welche vorher aus ihrer Kammer gebracht worden: Fräulein Sophie sei nicht zu finden.

Nunmehr machte sich der Junker selbst hinaus und begann den Namen Sophie so laut und mit ebenso roher Kehle zu brüllen, als vor Zeiten Herkules den Namen Hylas brüllte; und wie nach der Sage des Dichters das ganze weite Ufer den Namen des schönen Jünglings widerhallte, so erschollen Haus, Garten und alle benachbarten Felder von nichts als von dem Namen Sophie, in den rohen tiefen Stimmen der Männer und in dem feinen hohen Gekreische der Weiber und Mädchen, und die schöne Nymphe Echo schien mit solchem Entzücken diesen geliebten Namen nachzusprechen, daß, wenn es wirklich eine solche Nymphe gibt, Ovid, wie ich glaube, ihrem Geschlechte viel zu nahe gethan hat.

Eine lange Zeit hindurch herrschte nichts als Verwirrung, bis endlich der Junker, nachdem er Atem genug daran verschwendet hatte, wieder in das Besuchzimmer kam, woselbst er Ihro Gnaden, Fräulein von Western, und den Junker Blifil noch vorfand und sich mit höchst kläglichem Gesichte in seinen Großvaterstuhl warf. Hier begann Ihro Gnaden, Fräulein von Western, ihm folgende Trostrede zu halten:

»Mon Frère, ich bin herzlich bekümmert über das, was sich zugetragen hat, und daß ma Nièce eine Aufführung angenommen, welche für unsre Familie so höchst unschicklich ist; aber mon Frère, es ist alles Ihr eignes Werk, und daher haben Sie keinem Menschen dafür zu danken, als Sich selbst. Sie wissen, sie ist immer auf eine Art erzogen worden, welche gerade das Gegenteil war von dem, was ich beständig anriet, und da sehen Sie nunmehr die Folgen. Hab' ich nicht mehr als tausendmal sehr gründlich mit Ihnen darüber gesprochen, weil Sie meiner Nièce ihren eignen Willen ließen? Aber Sie wissen, niemals habe ich etwas bei Ihnen ausrichten können, und als ich mir endlich alle Mühe gegeben hatte, den hartnäckigen [213] Eigensinn bei ihr auszurotten und Ihre Irrtümer und Thorheiten wieder ins reine zu bringen, da ward sie, Sie wissen es, mir aus den Händen genommen, und also hab' ich jetzt weiter nichts zu verantworten. Hätte man mir die uneingeschränkte Sorgfalt für ihre Erziehung anvertraut, so wären Ihnen solche Zufälle, wie dieser, niemals zugestoßen. Jetzund müssen Sie sich damit trösten, daß es alles Ihr eignes Werk ist, und in der That, was konnte man wohl anders von solcher Verzärtelung erwarten?« – »Der Hagel! Schwester,« antwortete er, »du sollt'st ein'n wirklich toll machen. Hab' ich sie verzärtelt? Hab' ich'r ihren Willen gelassen? – Hab' ich sie nich noch gester abend gedroht, wenn sie m'r ungehorsam wäre, wollt' ich s'e uf ihre Kammer verschließen bei Wasser und Brot, solange sie lebte? hab' ich nicht? – Hiobsgeduld muß m'r bei dir haben, und doch langt sie nicht zu, wenn du ein'm deinen Trost zusprichst.«

»Hat jemals eine sterbliche Seele dergleichen gesehen!« erwiderte sie. »Mon Frère! wenn ich nicht fünfzigmal so viel Geduld hätte, als der weise Hiob, so würden Sie mich dahin bringen, alle Decence und alles Decorum zu vergessen. Warum mußten Sie sich in die Sache mischen? Hab' ich Sie nicht ersucht, hab' ich Sie nicht ordentlich gebeten, die Ausführung der ganzen Sache mir zu überlassen? Alle Operationen von einer ganzen Kompanie haben Sie durch einen falschen Schritt über'n Haufen geworfen. Würde wohl ein Mann bei gesunder Vernunft durch Drohungen wie diese eine Tochter erschreckt und erbittert haben? Wie oft hab' ich's Ihnen gesagt, mon Frère, daß das Frauenzimmer in dem gesitteten freien Europa sich nicht behandeln läßt, wie karkassische 1 Sklavinnen. Wir stehen unter dem Schutz der Gesetze und der Sitten. Uns kann man bloß durch Sanftmut und Güte gewinnen; wir lassen uns durch keine Drohungen und Schrecken und Poltern ins Bockshorn jagen. Dem Himmel sei Dank, daß das salische Gesetz nur in Frankreich Mode ist! Mon Frère, Ihre Sitten sind so rauh, daß es kein Frauenzimmer außer mir mit Ihnen aushalten könnte. 's nimmt mich nicht wunder, daßma Nièce sich durch Schrecken und Angst dahin hat bringen lassen, diesen Schritt zu thun. Und mit aller Offenherzigkeit zu sagen, glaub' ich, ma Nièce wird für das, was sie gethan hat, bei der Welt vollkommene Rechtfertigung finden. Ich sag' es Ihnen abermal und abermal, mon Frère, Sie müssen sich damit trösten, daß Sie bedenken, es sei alles bloß Ihr eigner Fehler. Wie oft hab' ich Ihnen nicht den Rat gegeben –« Hier sprang [214] Western hastig auf aus seinem Stuhl, erleichterte sein Herz durch drei abscheuliche Verwünschungen und rannte zum Zimmer hinaus.

Als er fortgegangen war, ließ sich seine Schwester womöglich mit noch mehr Bitterkeit, als sie in seiner Gegenwart gethan hatte, wider ihn vernehmen, und berief sich auf Herrn Blifil, als Richter der Wahrheit dessen was sie sagte, welcher mit der größten Gefälligkeit jeder ihrer geäußerten Meinungen Beifall gab, dabei jedoch alle die Fehltritte des Herrn Western entschuldigte, »weil man bedenken müßte,« sagte er, »daß sie aus einer übertriebenen väterlichen Zärtlichkeit entsprungen wären, welches doch am Ende immer den Namen einer sehr liebenswürdigen Schwachheit verdiente.« – »Um so weniger ist es zu entschuldigen,« antwortete die Dame. »Denn wen richt't er durch seine Zärtlichkeit anders zu Grunde als sein eignes Kind?« Welcher Aeußerung Herr Blifil ohne Umstände Beifall gab. Ihro Gnaden, Fräulein von Western, beliebten nun auch zu äußern, wie sie in Ansehung des Herrn Blifil äußerst beschämt wären über die Behandlung, welche ihm von einer Familie widerfahren, der er eine so große Ehre zu erweisen gesinnt gewesen. In dieser Rücksicht sprach sie von der Thorheit ihrer Nièce mit großer Strenge, am Schluß aber warf sie die ganze Schuld auf ihren Bruder, der, wie sie sagte, nicht zu entschuldigen stände, daß er sich soweit eingelassen, ohne vorher seiner Tochter Einwilligung gewisser zu sein. »Aber,« fuhr sie fort, »seine Gemütsart ist von jeher immer so heftig und unbändig gewesen, und ich kann mir's kaum selbst verzeihen, daß ich so manchen guten Rat bei ihm verschwendet habe.«

Nach einer viel längeren Unterredung von dieser Natur, welche vermutlich den Leser eben nicht sonderlich belustigen würde, wenn wir hier solche wörtlich anführen wollten, nahm Herr Blifil seinen Abschied und ging, nicht eben gar zu vergnügt über seine fehlgeschlagene Erwartung, nach Hause; jedoch halfen ihm die Philosophie, welche er vom Herrn Quadrat erlernt, und die Religion, welche Herr Schwöger ihm eingeflößt hatte, zusammengenommen mit noch etwas andrem, dieses Unglück weit besser ertragen, als heftigere Liebhaber diese Arten von Uebel zu ertragen pflegen.

Fußnoten

1 Vielleicht meint sie Cirkassische.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Sophiens Flucht.


Es ist jetzt Zeit, uns nach Sophien umzusehen, und der Leser, wenn er sie nur halb so innig lieb hat wie ich, wird sich herzlich freuen, zu finden, daß sie den Klauen eines hitzigen Vaters und den Krallen eines kalten Liebhabers entwischt sei.

[215] Zwölfmal hatte die Zeit mit ihrem eisernen Zahn an die helltönende Glockenspeise gebissen, und so den Geistern die Meßfreiheit erteilt, hervorzugehen und ihren Handel und Wandel zu treiben. – Ohne weitere Floskeln, die Uhr war zwölfe und jedermann im Hause, wie wir bereits gesagt, lag im Rausch und Schlaf begraben, ausgenommen Ihro des Fräuleins von Western Gnaden, welche emsig beschäftigt war, ein politisches Monatsheft zu lesen, und ausgenommen unsre Heldin, die sich jetzt ganz leise die Treppen hinabschlich, und nachdem sie eine von den Hausthüren aufgeriegelt und aufgeschlossen hatte, davonging und mit raschem Schritte nach dem verabredeten Platze hineilte. Ungeachtet der mancherlei niedlichen Künste, welche Damen zuweilen anwenden, um bei jeder kleinen Veranlassung ihre gar zärtliche Furchtsamkeit zur Schau zu legen (fast ebenso mancherlei als die, deren sich das andre Geschlecht bedient, um sie zu verbergen), gibt es doch zuverlässig einen Grad von Herzhaftigkeit, welche ein Frauenzimmer nicht nur wohl kleidet, sondern ihr oft sogar notwendig ist, um fähig zu sein, ihre Pflichten zu erfüllen. Eigentlich ist es der Begriff von Kühnheit, aber nicht von Herzhaftigkeit, welcher bei einem weiblichen Charakter anstößig ist; denn wer kann die Geschichte der so billigerweise berühmten Arria lesen, ohne eine ebenso hohe Meinung von ihrer Sanftmut und Zärtlichkeit, als von ihrer Seelenstärke zu fassen? Dabei hat man auch der Exempel gesehen, daß eine Frau, die bei Erblickung einer Maus oder einer Spinne ein Angstgeschrei ausstößt, gar wohl im stande ist, ihren Ehemann zu vergiften oder, was noch ärger ist, ihn soweit zu treiben, daß er sich selbst vergiften muß.

Bei alle dem sanften Wesen, welches ein Frauenzimmer nur immer haben kann, hatte Sophie allen den Mut, den sie haben sollte. Als sie daher auf dem verabredeten Platze anlangte und, anstatt ihre Jungfer nach der Abrede vorzufinden, eine Mannsperson gerade nach ihr herreiten sah, fing sie kein Geschrei an und fiel auch in keine Ohnmacht, damit ist aber nicht gesagt, daß ihr der Puls nicht ein wenig heftiger geschlagen haben mag, denn anfangs war sie nicht ohne alle Befremdung und Besorgnis; aber diese legten sich auch wieder ebenso geschwind, wie sie sich erhoben hatten, als der Reiter seinen Hut abzog und ganz unterthänigsterweise fragte: »Ob Ihr Gnaden nicht hier ein ander Frauenzimmer zu finden gemeint hätten?« und dann mit der Nachricht fortfuhr, »er sei hergeschickt, sie nach diesem Frauenzimmer hinzubringen.«

Sophie hatte keine Ursache zu argwöhnen, daß diese Nachricht falsch sein möchte; sie stieg also mit aller Entschlossenheit hinter diesen Kerl aufs Pferd, der sie wohlbehalten nach einem ein paar Stunden weit davon entlegenen Flecken brachte, woselbst sie das [216] Vergnügen hatte, die gute Jungfer Honoria zu finden; denn weil die Seele dieser Krone aller Kammerjungfern mit ebenso innigen Banden an ihre Kleider gebunden war, als diese durch Schnürband und Schleifen an ihren Körper befestigt zu sein pflegten, so konnte sie auf keine Art und Weise dahin gebracht werden, diese Lieben aus den Augen zu lassen. Bei ihnen hielt sie also in eigner Person die Wache, derweil sie den vorbesagten Mann zu Pferde nach ihrer Herrschaft abschickte, nachdem sie ihn mit allem benötigten Unterricht ausgerüstet hatte.

Nunmehr gingen sie zu Rate, was für ein Weg zu nehmen sei, um dem Nachjagen des Herrn Western auszuweichen, denn sie wußten, daß er ihnen, ehe wenige Stunden vergingen, nachsetzen lassen würde. Die große Heerstraße nach London hatte so viel Anziehendes für Jungfer Honoria, daß sie Verlangen trug, solche unmittelbar zu wählen, und zum Grund anführte, daß Sophie vor acht oder neun Uhr morgen früh nicht vermißt werden würde und sie also die Leute, welche ihr nachsetzten, nicht einholen könnten, wenn sie auch wüßten, welchen Weg sie genommen hätte. Sophie aber spielte viel zu hohes Spiel, um etwas aufs Geratewohl ankommen zu lassen, dabei wagte sie es auch nicht, bei einer Wette, die bloß durch die Schnelligkeit entschieden werden mußte, zu viel Vertrauen auf ihren zarten Körper zu setzen. Sie faßte also den Entschluß, wenigstens einige acht bis zwölf Stunden weit querfeldein bloße Landwege zu nehmen, und sich alsdann erst auf die Heerstraße nach London zu machen. Als sie des Endes ihre Pferde auf eine Strecke von acht Stunden nach einer Gegend hin gemietet hatte, wohin sie gerade nicht zu gehen gedachte, machte sie sich mit eben dem Vorreiter auf den Weg, welcher sie auf seinem Pferde von ihres Vaters Hause hierhergebracht hatte und welcher jetzt an Sophiens Statt eine weit schwerere sowohl, als weit weniger liebenswürdige Bürde hinter sich aufsacken mußte. Diese Bürde war nichts mehr und nichts weniger als ein großer Mantelsack, vollgestopft mit den auswendigen Leibeszieraten, vermittelst deren die schöne und tugendbelobte Honoria nicht wenige Eroberungen und am Ende noch ihr Glück in der geld-und mannreichen Stadt London zu machen hoffte.

Sie mochten ungefähr ein paar hundert Schritte von der Herberge auf dem Wege nach London zurückgelegt haben, als Sophie zu dem Vorreiter hinanritt und mit einer Stimme, viel honigsüßer als jemals Anakreons Stimme sein konnte (ob man gleich sagen will, daß in seinem Munde ein Bienenschwarm geheckt), ihn bat, den ersten Nebenweg einzuschlagen, welcher auf Bristol zuginge.

Lieber Leser, ich bin eben nicht abergläubig und halte auch nicht viel auf die Wunder neuerer Zeiten, ich gebe also das Nachfolgende [217] eben für keine unbezweifelbare Wahrheit aus, denn in der That kann ich es selbst kaum glauben, indessen verbindet mich die Treue eines Geschichtschreibers zu erzählen, was man zuversichtlich behauptet hat. Man sagt nämlich, das Pferd des Vorreiters sei von Sophiens Stimme so bezaubert worden, daß es auf einmal stockstill gestanden sei und einen großen Widerwillen bezeigt habe, einen Schritt weiter von der Stelle zu gehen. Gleichwohl kann das Faktum wahr und dabei weniger wunderbar sein, als wofür es ausgegeben wird, weil es scheint, daß die Wirkung gar wohl durch eine bloße natürliche Ursache hervorgebracht werden konnte; denn wenn der Vorreiter in dem Augenblicke mit der beständigen Anwendung seiner bewaffneten rechten Ferse (denn gleich dem Helden Hudibras war er nur mit einem Sporn bewaffnet) nachließ, so ist es mehr als möglich, daß diese Unterlassung allein das Tier zum Stillstehen bringen konnte, besonders da ihm dies auch zu andern Zeiten so ziemlich oft zu begegnen pflegte.

Aber wenn auch Sophiens Stimme wirklich über das Pferd eine übernatürliche Macht hatte, so hatte sie doch nur sehr wenige auf seinen Reiter. Dieser antwortete ein wenig mürrisch, sein Wirt habe ihm befohlen, einen andern Weg zu reiten, und er würde um seinen Dienst kommen, wenn er einen andern ginge, als den welcher ihm geheißen worden.

Als Sophie fand, daß alle ihre Ueberredungen nichts wirkten, begann sie ihrer Stimme einen unwiderstehlichen Zauber hinzuzufügen, einen Zauber, welcher, nach dem Sprichworte, die alte Stute in Trab setzte, anstatt sie stillstehen zu machen. Ein Zauber, dem unsere Zeiten alle die unwiderstehliche Gewalt zugeschrieben haben, welche die Alten der vollkommnen Rednerkunst beilegten. Mit einem Wort, sie versprach ihn so reichlich zu belohnen, als er nur immer erwarten könnte.

Der Enke war gegen die Versprechungen nicht ganz und gar taub, es mißfiel ihm nur, daß sie indefinirt waren; denn ob er gleich dies Wort in seinem Leben nie gehört haben mochte, so beruhte doch darauf eigentlich seine Einwendung. Er sagte, vornehme Leute pflegten's mit dem armen Volke so genau eben nicht zu nehmen; er wäre auf ein Haar nah vor ein paar Tagen weggejagt worden, weil er auch im Land 'rum geritten wäre, mit einem Herrn von Junker Alwerths Hofe, der'n nicht belohnt hätte, wie wohl recht und billig gewesen wäre.

»Mit wem?« sagte Sophie etwas hastig. – »Mit 'n Herrn von Junker Alwerths Hofe,« antwortete der Enke, »des Squires seinen Sohn, mein' ich ja wohl, heißen s'n.« – »Wohin? welchen Weg ging er?« sagte Sophie. – »Wo sollt' er hingehn? so des [218] Wegs nach Bristol hin, wohl acht Stunden weit,« antwortete der Bursche. – »Bring' Er mich nach demselben Orte, so will ich Ihm eine Guinee geben, oder auch zwei, wenn's an einer nicht genug ist.« – »'S ist nicht unrecht,« sagte der Philisterknecht, »'s is unter Brüdern zweie wert, wenn Ihr Gnaden bedenken, was ich vor'n Wagstückschen mache, aber laß gehn! Wenn Ihr Gnaden mir die zwei Guineen versprechen, so will ich ein blau Auge dran wagen. En bischen Sünde is wohl dabei, daß kann 'ch wohl nicht leugnen, so mit mein's Wirts Pferden herumzukaballen; aber ein Trost is dabei, er kann mir weiter nichts thun, als mich wegjagen und zwei Guineen sind doch gut mitzunehmen!«

Da auf diese Weise der Handel geschlossen war, lenkte der Vorreiter seitwärts nach dem Wege auf Bristol, und Sophie ritt fort, Herrn Jones aufzusuchen, stracks an gegen die Meinung und Vorstellungen der Jungfer Honoria, der es weit mehr am Herzen lag in London zu sein, als beim Herrn Jones. In der That war sie bei ihrer Herrschaft nichts weniger als seine Freundin, denn er hatte sich in gewissen Geldhöflichkeiten nicht gar zu aufmerksam bewiesen, auf welche, nach eingeführtem Brauch und Sitten, die Putzjungfern bei allen Liebesangelegenheiten gewisse Ansprüche haben, ganz besonders aber wenn diese Angelegenheiten heimlich geführt werden. Wir schreiben dies mehr auf Rechnung seiner Vergeßlichkeit, als auf den geringsten Mangel an Freigebigkeit; sie mochte es aber wohl aus der letzten Ursache herleiten. Gewiß ist es, daß sie ihn dieser Versäumnis wegen recht bitterlich haßte und sich entschloß, keine Gelegenheit vorbeizulassen, wo sie ihm bei ihrer Herrschaft eins versetzen könnte. Es war daher für sie ein rechtes Unglück, daß sie gerade nach ebendemselben Flecken und in dasselbe Wirtshaus gehen müssen, aus welchem Jones seine Wallfahrt angetreten und noch unglücklicher darin, daß sie gerade an eben denselben Vorreiter geraten war, durch welchen Sophie diese gelegentliche Entdeckung machte.

Unsre Reisenden langten, als der Tag zu dämmern begann, zu Hambroock an, dem Dorfe, wo Jones den tröstlichen Zuspruch des Quäkers genoß, und woselbst Honoria wider ihren Willen den Auftrag erhielt, sich nach dem Wege zu erkundigen, welchen Herr Jones genommen hätte. Das hätte ihnen nun zwar ihr eigener Vorreiter ebensogut sagen können, aber Sophie, ich weiß nicht aus was Ursach, hatte ihn mit keinem Wort drum gefragt.

Als Jungfer Honoria die Nachricht überbrachte, welche sie von dem Wirte eingezogen hatte, erhielt Sophie nach vielen Schwierigkeiten einige elende Pferde, welche sie nach dem Wirtshause brachten, wo Jones, mehr durch das Unglück einen Wundarzt gefunden, als [219] eine Wunde am Kopf empfangen zu haben, einige Tage aufgehalten worden war.

Hier erhielt Honoria abermals die Kommission, Kundschaft einzuziehen, und sie hatte sich des Endes nicht so bald an die Wirtin gewendet und ihr die Person des Herrn Jones beschrieben, als diese scharfsichtige Frau anfing, wie man zu sagen pflegt, den Braten zu riechen. Als demnach Sophie ins Zimmer trat, begann die Wirtin, anstatt der Kammerjungfer zu antworten, folgendergestalt ihre Rede an die Herrschaft zu richten: »Ach, du allerliebste Zeit! Ja nu, da seh' mir einer! Wer sollte das gedacht haben! Das ist doch wahrhaftig das scharmantste Pärchen, das man mit seinen Augen sehen kann. Ja, du Jemini! das is kein Wunder, daß der Junker Ihr Gnaden so nachläuft. Er hat mir's wohl gesagt, daß Ihr Gnaden das schönste Fräulein in der ganzen Welt wären! Und wohl recht, wohl recht hat er! Nun, der Himmel laß' es ihm recht gut gehen, dem lieben Herzensjunker! Mich hat er recht gedauert; gewiß das hat er, wenn er so sein Kopfkissen in die Arme nahm und 's ans Herz drückte, und 's seine liebste, süßeste Soffi nannte. Ich hab's 'n so viel aus'n Sinne geredt, als ich nur immer konnte, daß er nicht in 'n Krieg gehn sollte; ich sagt 's ihm, 's gäbe ja der Kerls genug, die nichts bessers wert sind, als sich totschießen zu lassen, und nach denen sich keine so schöne liebe Fröln sehne.« – »Wirklich,« sagte Sophie, »die gute Frau muß nicht recht bei Sinnen sein.« – »O ja, o ja!« rief die Wirtin; »ich bin recht wohl bei Sinnen. Ihr Gnaden meinen wohl, daß ich nichts weiß? Ho! ich weiß wohl! Er hat mir alles gesagt.« – »Was vor'n dummer Kerl hat Ihr was von mein'n Fröln gesagt?« – »Kein dummer Kerl, gar nicht!« antwortete die Wirtin. »Der junge Herr war's, nach dem Sie sich erkundigt haben, und das ist wohl en recht hübscher junger Herr und hat das gnäd'ge Fröln Sophie von Western so lieb, als sein eignes Herzchen.« – »Mein gnädigs Fröln hätt' er lieb, Er! Sie muß wissen, gute Frau, wer meine gnädige Fröln lieb hab'n will, muß viel höcher geschoren sein.« – »Nun, nun, Norchen,« fiel ihr Sophie in die Rede, »werd' Sie nicht bös über die gute Frau, sie meint's ja recht gut.« – »Je Jemini! das versteht sich, warum sollt' ich's nicht,« antwortete die Wirtin, welche durch Sophiens milde Stimme und Worte mehr Mut bekam und nun eine lange Erzählung zu Markte brachte, die wir ihrer Langweiligkeit wegen hier nicht abschreiben, in welcher aber einige Stellen vorkamen, welche Sophien ein wenig mißfielen, dem Kammermädchen aber großen Aerger verursachten, welche daher Gelegenheit nahm, den Augenblick, da sie sich mit ihrer Gebieterin allein befand, den Herrn Jones wacker anzuschwärzen. »Es müßte ein herzlich [220] armseliger Schuft von Kerl sein,« sagte sie, »und müßte keine Liebe für eine Dame haben, deren Namen er in einem öffentlichen Wirtshause ans schwarze Brett hängen könnte.«

Sophie betrachtete sein Betragen in keinem so nachteiligen Lichte und war vielleicht mehr vergnügt über die heftigen Entzückungen seiner Liebe (welche die Wirtin ebensogut wie jeden andern Umstand übertrieben hatte), als sie sich durch das Uebrige beleidigt fand, und in der That schrieb sie alles auf Rechnung seiner ausschweifenden oder vielmehr aufbrausenden Leidenschaft und auf die Offenheit seines Herzens.

Als ihr unterdessen dieser Vorfall nachmals wieder von Jungfer Honoria ins Gedächtnis gebracht und ins verhaßteste Licht gestellt wurde, trug er dazu bei, daß sie den unglücklichen Vorfall zu Upton um so leichter glaubte und um so höher aufnahm, und leistete der Putzjungfer gute Hilfe, ihre Herrschaft zu überreden, daß sie den Gasthof verließ, ohne Herrn Jones zu sprechen.

Als die Wirtin merkte, daß Sophie gesonnen sei nicht länger zu bleiben, als bis die Pferde gesattelt wären, und zwar ohne weder zu essen noch zu trinken, so ging sie bald zum Zimmer hinaus, worauf Honoria anfing, ihrer Gebieterin die Lektion zu verhören (denn sie nahm sich in der That viel Freiheit heraus), und nach einer langen Vorrede, in welcher sie solche an ihren Vorsatz nach London zu gehn erinnerte und mehr als einmal darauf stichelte, wie unschicklich es sei, einem jungen Menschen nachzureisen, beschloß sie endlich mit der sehr ernsthaften Vermahnung: »Um des Himmels willen, gnädigs Fröln, thun Sie doch was Sie thun und bedenken Sie, was Sie vorhab'n und wohin Ihr Weg geht.«

Diese Vermahnung, gerichtet an ein Frauenzimmer, das bereits seine zwölf bis sechzehn Stunden und zwar in einer gar nicht angenehmen Jahreszeit zu Pferde gesessen war, mag einem närrisch genug vorkommen. Man sollte glauben, sie müsse das vorher schon wohl überlegt und beschlossen haben, ja selbst Jungfer Honoria nach dem Winke zu urteilen, den sie sich entfallen ließ, schien derselben Meinung zu sein und ich zweifle nicht, viele von meinen Lesern sind es mit ihr, und sind gewiß schon längst von dem Vorsatze unserer Heldin überzeugt, und haben sie deswegen schon längst als ein leichtsinniges, mannsüchtiges Mädchen verdammt. Dies war aber in der That nicht der Fall. Sophie war die letzte Zeit her sehr verwirrt und unentschlossen gewesen, zwischen Hoffnung und Furcht, ihrer Pflicht und Liebe zu ihrem Vater, ihrem Hasse gegen Blifil, ihrem Mitleiden und (warum sollten wir nicht die reine Wahrheit gestehn?) ihrer Liebe für Jones, welche letzte das Betragen ihres Vaters, ihrer Tante und überhaupt jedermanns, ganz besonders aber [221] des Herrn Jones selbst, zu einer hellen Flamme angefacht hatte, daß sich ihr Gemüt in einem solchen fassungslosen Zustand befand, von dem man mit Wahrheit sagen kann, er mache uns unempfindlich gegen das, was wir thun, oder wohin wir gehen; oder, eigentlicher zu sagen, ein solcher Zustand macht uns gleichgültig gegen alle Folgen dessen, was wir thun oder unternehmen.

Der weise und kluge Rat ihrer Zofe brachte indessen einige kalte Ueberlegungen bei ihr hervor, und sie faßte zuletzt den Entschluß, nach Gloucester und von da auf dem gradesten Wege nach London zu gehn. Zum Unglück aber begegnete ihnen nicht weit vor Gloucester der kräuselnde Gerichtsprokurator, welcher, wie wir vorher angemerkt haben, daselbst mit Herrn Jones zu Mittag gegessen hatte. Dieser eilfertige Mann, welcher mit Jungfer Honoria bekannt war, hielt sie an, um mit ihr zu sprechen, was Sophie dazu mal nicht weiter anfocht, als daß sie fragte, wer der Mensch wäre?

Als sie aber nachher zu Gloucester bei ihrer Jungfer über diesen Mann nähere Nachricht eingezogen und die große Eilfertigkeit vernommen hatte, womit er gewöhnlich reiste und wegen welcher er (wie bereits bemerkt worden) ganz vorzüglich berühmt war, sich auch zugleich erinnerte, wie sie von fern gehört, daß Jungfer Honoria zu ihm gesagt hätte, ihr Weg ginge nach Gloucester, so wandelte sie die Furcht an, ihr Vater möchte durch diesen Mann auf die Spur gebracht werden, ihr bis zu dieser Stadt nachzufolgen. Wenn sie sich also hier auf die Londoner Straße begeben wollte, so fürchtete sie, würde er gewiß im stande sein sie einzuholen. Aus dieser Ursache änderte sie ihren Entschluß, und nachdem sie auf eine ganze Woche Pferde gemietet und einen Weg genannt hatte, den sie keineswegs gesonnen war zu reisen, begab sie sich nach einer leichten Erfrischung wieder auf den Weg, gegen den Wunsch und das ernstlichste Bitten ihres Kammermädchens, und nicht weniger gegen die triftigsten Vorstellungen der Frau Whitefield, welche aus guter Lebensart oder vielleicht auch aus gutem Herzen (denn das arme junge Fräulein schien sehr ermüdet zu sein), sehr angelegentlichst in sie drang, den Abend zu Gloucester zu bleiben.

Nachdem sich Sophie bloß durch ein paar Tassen Thee und durch ein paar Stündchen Ruhe auf dem Bette, so lange die Pferde abgefüttert wurden, ein wenig erquickt hatte, verließ sie mit entschlossenem Mute Madame Whitefields Haus um elf Uhr Abends, und da sie gradezu die Heerstraße nach Worcester einschlug, langte sie in weniger als vier Stunden vor dem Gasthofe an, in welchem wir sie zuletzt gesehen haben.

Nachdem wir also einen Zurücksprung gethan und unsrer Heldin [222] seit der Abreise aus ihres Vaters Hause bis zu ihrer Ankunft in Upton Schritt vor Schritt gefolgt sind, so wollen wir auch in wenig Worten ihren Vater nach demselben Orte bringen. Dieser empfing den ersten Handweiser von dem Pferdeknechte, welcher seine Tochter bis Hambrook gebracht hatte, und es war ihm leicht, ihrer Spur von da nach Gloucester zu folgen, als er hierselbst erfahren, daß Herr Jones des Weges nach Upton gegangen (denn Rebhuhn hinterließ, nach dem Ausdrucke des Junkers, allenthalben eine starke Witterung), so folgte er ihr auch dahin, denn er zweifelte im geringsten nicht, Sophie würde ihm nachreisen, oder, wie er's zu nennen beliebte, nachlaufen. Er bediente sich in der That eines sehr nachdrucksvollen Worts, welches wir hier nicht hersetzen mögen, weil weidgerechte Jäger, denen es doch nur allein verständlich sein würde, es von selbst schon erraten werden.

Elftes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Ein Knochen für die Kritiker.


Man ist vielleicht der Meinung, als wären wir in unserm letzten Einleitungskapitel dem furchtbaren Haufen von Männern, genannt Kritiker, nicht mit aller geziemenden Ehrfurcht begegnet, indem solche von den Autoren eine gar große Unterthänigkeit zu erheischen und wirklich auch mehrenteils zu erhalten gewohnt sind. Wir wollen demnach in diesem hier unsre Verfahrungsgründe gegen diese hochansehnliche Zunft beibringen, und werden solche vielleicht hier in einem Lichte darstellen, in welchem sie bisher noch nicht betrachtet worden ist. Das Wort Kritik ist griechischer Abstammung, und will soviel sagen als urteilen; daher vermute ich, haben einige Personen, welche die Ursprache nicht verstanden und die Uebersetzung des Stammworts allein merkten, geschlossen, es bedeute Urteil im juristischen Sinne, wo es gar oft als gleichbedeutend mit Verurteilung gebraucht wird.

Ich bin um so mehr geneigt, diese Meinung anzunehmen, als seit einigen Jahren die meisten Kritiker unter den Juristen angetroffen werden. Viele von diesen Herren haben, aus kleingläubiger Verzweiflung vielleicht, daß sie wohl nicht so bald auf eine bürgerliche [223] Gerichtsbank zu sitzen kommen möchten, sich auf die Bänke des Parterres im Schauspielhause gesetzt, woselbst sie ihre richterliche Gewalt ausgeübt, und ihre Urteile abgegeben, das heißt, ohne Gnad und Barmherzigkeit verurteilt haben. Es möchte diesen Herren vielleicht so unbehaglich eben nicht sein, wenn wir's bei dieser Vergleichung mit einem der wichtigsten und ehrenvollsten Aemter in der bürgerlichen Gesellschaft bewenden ließen; und wenn wir gemeint wären, um ihre Gunst und Gewogenheit zu werben, so würden wir das wirklich thun. Da wir aber des Vorhabens sind, nicht nur sehr aufrichtig, sondern auch sehr verständlich mit ihnen zu reden, so müssen wir sie hier an einen andern Justizbeamten von weit niedrigerm Range erinnern, mit welchem sie gleichfalls eine entfernte Aehnlichkeit haben, insofern sie nicht nur verurteilen, sondern auch selbst ihre Urteile zur Vollstreckung bringen.

In der That gibt es aber noch ein ander Licht, in welches die neueren Kritiker mit vieler Gerechtigkeit und Schicklichkeit gestellt werden mögen, und zwar in das Licht eines gemeinen Ehrenschänders. Wenn ein Mensch, welcher die Charaktere anderer Leute durchsichtet und durchspäht, in keiner andern Absicht, als um ihre Fehler zu entdecken und solche öffentlich der Welt bekannt zu machen, den Namen eines Ehrenschänders oder eines Räubers des guten Namens der Menschen verdient, warum sollte nicht ein Kritiker, welcher in ebenderselben hämischen Absicht liest, nicht eben so ziemender Weise ein Ehrenschänder oder ein Räuber des guten Namens der Bücher genannt werden?

Das Laster hat, wie ich glaube, keinen verworfenern Sklaven, die bürgerliche Gesellschaft kann kein häßlicheres Ungeziefer aufweisen, und der Satan selbst kann keinen würdigern, vielleicht auch keinen angenehmern Gast in seiner Wohnung aufnehmen, als einen Ehrenschänder. Ich fürchte, die Welt betrachtet dies Ungeheuer nicht mit halb dem Abscheu, welchen es verdient, und noch mehr fürchte ich mich, die Ursache von dieser unverantwortlichen Gelindigkeit gegen dasselbe zu entwickeln; so viel ist aber gewiß, daß ein Dieb, mit ihm verglichen, fast unschuldig erscheint; ja selbst der Mörder reicht nur sehr selten an seine Verbrechen; denn Verleumdung ist eine grausamere Waffe als ein Schwert, und die Wunden, welche die erste schlägt, sind allemal unheilbar. In der That gibt's nur eine Art zu morden, und zwar die feigste und verabscheuteste von allen, welche eine genaue Aehnlichkeit mit dem Laster hat, wogegen hier deklamiert wird, und das ist das Vergiften; ein Mittel sich zu rächen, das so niederträchtig und doch so gräulich ist, daß es die alten Gesetze mit vieler Weisheit durch eine ganz besonders strenge Strafe vor allen übrigen Mordthaten auszeichneten.

[224] Zu dem fürchterlichen Unheil, welches die Verleumdung anstiftet, und zu der Niederträchtigkeit der Mittel, durch welche sie wirkt, kommen noch andere Umstände, welche ihre scheußlichen Eigenschaften noch verdammenswürdiger machen; denn oft handelt der Ehrenschänder, ohne im geringsten gereizt zu sein, und selten verspricht er sich irgend einigen Lohn, es sei denn, daß gewisse schwarze und höllisch gesinnte Gemüter den Gedanken für Belohnung halten können, andrer Menschen Untergang und Elend bewirkt zu haben.

Shakespeare hat dieses Laster vortrefflich gemalt, wenn er sagt:


Who steals my Gold steals Trash, 'tis something, nothing;
'Twas mine, 'tis his, and hath been Slave to Thousands:
But he who filches from me my good Name,
Robs me of that which not enriches him,
But makes me poor indeed.
Wer mein Gold stiehlt, stiehlt Spreu; etwas und nichts;
Was mein war, wird sein; von Tausenden war's schon Sklav.
Hingegen er, der meinen guten Leumund wegnimmt,
Beraubt mich des, was ihn um nichts bereichert,
Mich aber wirklich arm macht.

Mit diesem allen werden ohne Zweifel meine Leser einverstanden sein; vieles davon wird aber nach aller Wahrscheinlichkeit für zu streng geachtet werden, wenn es auf den Ehrenschänder der Bücher angewendet wird. Hier aber muß man in Betrachtung ziehen, daß beide Mißhandlungen aus einerlei schändlicher Gemütsart entspringen, und beide keine Versuchung von außen zu ihrer Entschuldigung anführen können. Wir werden auch nicht länger glauben, daß eine auf diesem Wege zugefügte Beleidigung nicht eben viel zu bedeuten habe, wenn wir die nahe Verwandtschaft eines Schriftstellers mit seinem Buche betrachten, indem es wirklich für ein Kind seines Verstandes zu achten ist.

Derjenige Leser, welcher bis daher seiner Muse nachgesehen hat, im strengsten jungfräulichen Stande hinzuleben, kann nur eine sehr unvollkommene Idee von dieser Art väterlicher Zärtlichkeit haben. Bei diesem dürfen wir füglich die zärtliche Ausrufung des Mackduff wiederholen: Ach Freund, du hast kein Buch geschrieben! Der Mann aber, dessen Muse Mutter geworden ist, wird das Rührende dieser Worte tief in seiner Seele fühlen; vielleicht begleiten mich seine Zähren (vorzüglich, wenn sein Liebling nicht mehr am Leben wäre), wenn ich der Unbequemlichkeiten erwähne, mit welchen seine schwangere Muse die Bürde bis zur Reife trägt, der schmerzhaften Wehen, mit welchen sie solche zur Welt bringt, und endlich der zärtlichsten Sorgfalt, [225] womit der liebriche Vater seinen Liebling nährt und pflegt, bis er ihn soweit erzogen, daß er ihn in der Welt produzieren kann.

Auch gibt es unter allen Arten väterlicher Zärtlichkeit keine, die weniger eine Wirkung des reinen Instinkts wäre, und welche sich so gut mit der philosophischen Weisheit reimen ließe, als diese. Denn diese Kinder kann man mit höchster Wahrheit ihres Vaters Reichtum nennen, und viele von ihnen haben mit wahrer kindlicher Liebe ihren Vater in seinem hohen Alter ernährt; dergestalt, daß nicht nur die Liebe, sondern auch der zeitliche Vorteil eines Schriftstellers durch diese Ehrenschänder, deren giftiger Hauch die Blüte seines Buchs versengt, fast unersetzlich beeinträchtigt wird.

Endlich ist der Ehrenschänder eines Buchs auch wirklich ein Schänder der Ehre seines Verfassers; denn, sowie man niemand einen Bastard nennen kann, ohne zugleich seine Mutter Hure zu schelten, so kann auch niemand von einem Buche sagen, es sei dummes Zeug, scheußlicher Unsinn und dergleichen, ohne den Verfasser einen Dummkopf zu heißen. Dies Schimpfwort ist nun freilich im moralischen Sinne nicht so arg als Schelm oder Spitzbube, ist aber seinem zeitlichen Vorteile vielleicht weit schädlicher.

So spaßhaft alles dieses dem einen und dem andern scheinen mag, so zweifle ich doch nicht, wird es andre geben, welche davon die Wahrheit fühlen und eingestehen; ja welche sogar glauben mögen, ich habe die Sache noch nicht mit der erforderlichen Feierlichkeit behandelt. Ich denke aber immer, man könne auch triftige Wahrheiten mit lächelnder Miene sagen. In der That ist es eine sehr boshafte Beschäftigung, wenn man ein Buch hämischer oder auch nur leichtsinnigerweise als schlecht verschreit; und ein sauersehender, schnarchender Kritikus verdient nach meiner Meinung den Verdacht, daß er ein böser Mensch sei.

Deshalb will ich es in den noch übrigen Seiten dieses Kapitels versuchen, die Züge dieses Charakters auseinanderzusetzen und zu zeigen, was für einer Gattung von Kritik ich gern das Handwerk legen möchte. Denn niemand, ausgenommen eben diejenigen Menschen, welche hier gemeint werden, kann mich so verstehen, als hielte ich dafür, es gäbe gar keine befugte Richter in der gelehrten Republik, oder als ginge mein Bestreben dahin, alle jene edlen Kunstrichter, deren Bemühungen die gelehrte Welt so viel zu verdanken hat, aus dieser Republik zu verbannen. Dergleichen Kunstrichter waren Aristoteles, Horaz und Longin unter den Alten, Dacier und Bossu unter den Franzosen, und einige andere unter den übrigen Nationen, welche allerdings die gerechteste Befugnis hatten, eine richterliche Gewalt in foro litterario auszuüben.

Ohne aber alle erforderlichen Eigenschaften eines Kunstrichters, [226] die ich schon anderwärts berührt habe, zu bestimmen, meine ich, ganz kühnlich den Tadel eines jeden Menschen verwerfen zu dürfen, womit er über Werke herfährt, die er selbst nicht gelesen hat. Kritiker von diesem Schlage, sie sprechen nun aus eigener Vermutung oder Verdacht, oder nach dem Bericht und der Meinung anderer, fallen mit Recht unter das Urteil: daß sie den Büchern, welche sie verdammen, verleumderischerweise die Ehre abschneiden.

Dieses Urteil zu verdienen sind gleichfalls alle diejenigen verdächtig, welche, ohne besondere Fehler anzuzeigen, ein Buch in allgemeinen und entehrenden Ausdrücken verurteilen, als da sind elend, dumm, unsinnig Zeug und dergleichen; und besonders, wenn sie sich des vornehmen Schimpfworts pöbelhaft bedienen; ein Wort, welches sich in dem Munde keines Kritikers schickt, der nicht wenigstens hochwohlgeboren ist.

Ferner, wenn auch in einem Buche hin und wieder Fehler zu finden sein möchten, so verrät es doch, wofern solche nicht die wesentlichsten Stücke des Buches selbst angreifen, oder wenn sie durch größere Schönheiten ersetzt sind, vielmehr die Bosheit eines Verleumders, als wahres Kunsturteil eines Kritikers, wenn er über das Ganze bloß wegen einiger mangelhaften Teile ein strenges Urteil fällt. Ein solches Verfahren ist Horazens Vorschrift schnurstracks zuwider:


Verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis
Offendor maculis, quas aut incuria fudit,
Aut humana parum cavit natura –
Wo viel, viel schönes im Gedichte glänzt,
Beleidigen mich kleine Fehler nicht,
Die etwa Kinder der Sorglosigkeit,
Wie! oder leichter Menschenschwachheit sind.

Denn, wie Martial sagt: aliter non fit avite Liber, so sind noch alle Bücher gemacht. Alle Schönheit eines Charakters sowohl, als einer Gestalt, und überhaupt aller menschlichen Dinge, muß nach dieser Weise geprüft werden. Grausam würde es sein in der That, wenn ein solches Werk, wie diese Geschichte, zu dessen Verfertigung einige tausend Stunden verwendet sind, deswegen sollte verurteilt werden können, weil irgend ein Kapitel, oder vielleicht einige Kapitel so beschaffen sein können, daß sich mit Recht und Vernunft daran etwas aussetzen ließe, und doch ist nichts gewöhnlicher, als daß die allerstrengsten Urteile über Bücher sich auf solche Ausstellungen gründen, welche, wenn sie für nichts mehr und weniger genommen würden, als was sie sind, (das geschieht aber nicht immer) dem Verdienste des Ganzen nicht das geringste benehmen. Auf dem Theater [227] besonders ist ein einziger Ausdruck, der nicht gerade nach dem Geschmacke der Zuschauer, oder nur eines oder des andern Kritikers unter den Zuschauern gewählt ist, sicher ausgezischt zu werden, und schon ein Auftritt, welcher keinen Beifall findet, setzt das ganze Stück in Gefahr. Sich mit seinem Schreiben nach solchen strengen Regeln einzuschränken ist ebenso unmöglich, als nach den Meinungen einiger finstern Schwärmer zu leben, und wenn wir nach den Vorschriften einiger Kritiker und einiger Christen urteilen, so wird kein Schriftsteller in dieser, und kein Mensch in jener Welt der Verdammnis entrinnen.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Abenteuer, welche Sophien aufstießen, nachdem sie Upton verlassen hatte.


Unsere Geschichte hatte gerade vorher, als sie umzukehren und rückwärts zu reisen genötigt war, der Abreise Sophiens und ihrer Zofe aus dem Gasthofe erwähnt. Wir wollen nunmehr also den Schritten dieses liebenswürdigen Geschöpfes folgen, und ihren unwürdigen Liebhaber ein wenig länger sein widriges Geschick oder vielmehr seine schlechte Aufführung beseufzen lassen.

Nachdem Sophie ihren Vorreiter angewiesen hatte, querfeldein auf Nebenwegen zu reiten, gingen sie bald über die Severn, und kaum waren sie eine gute Viertelstunde weit von dem Gasthofe, als die junge Dame beim Umsehen einige Pferde in vollem Trabe hinter ihr herkommen sah. Dies verursachte ihr nicht wenig Furcht, und sie rief dem Vorreiter zu, er solle so scharf zugehen lassen als möglich.

Er gehorsamte augenblicklich und fort ritten sie in vollem Galopp. Aber je heftiger sie ritten, je eifriger folgte man ihnen nach, und da die hintersten Pferde ein wenig schneller waren als die vordersten, so wurden diese endlich eingeholt; ein glücklicher Umstand für die arme Sophie, deren Angst nebst der heftigen Bewegung des Reitens fast alle ihre Kräfte erschöpft hatte; sie fühlte aber jetzt eine unmittelbare Erleichterung, als sie eine weibliche Stimme hörte, welche sie auf die sanfteste und höflichste Weise grüßte. Diese Begrüßung erwiderte Sophie, sobald sie wieder zu Atem kommen konnte, mit gleicher Höflichkeit und mit innigster Zufriedenheit zugleich.

Die Reisenden, welche sich zu Sophie gesellten und welche ihr so viel Schrecken eingejagt hatten, bestanden, wie ihre eigne Gesellschaft, aus zwei Personen weiblichen Geschlechts und einem Vorreiter oder Wegweiser. Beide Reisegesellschaften ritten eine volle Stunde zusammen fort, ohne daß eine von ihnen wieder den Mund öffnete. Als unsre Heldin, welche ihre Furcht so ziemlich überwunden hatte [228] und sich nur noch nicht gut erklären konnte, warum die andre ihr beständig zur Seite bliebe, da sie doch auf keiner großen Heerstraße ritt und schon einigemal krumme Landwege genommen hatte, endlich die fremde Dame aufs verbindlichste anredete und sagte: »Es mache ihr ein außerordentliches Vergnügen, zu finden, daß sie beide eines und desselben Weges reisten.« Die andre, welche wie ein Gespenst nur darauf wartete, daß man sie anreden möchte, war mit der Antwort bereit: »Das Vergnügen wär' ganz auf ihrer Seite, sie wäre in dieser Gegend ganz fremd und habe sich so herzlich gefreut, eine Reisegefährtin von ihrem eignen Geschlechte anzutreffen, daß sie sich vielleicht einer Unhöflichkeit schuldig gemacht habe, für welche sie unendlichemal um Verzeihung zu bitten hätte, daß sie mit ihr einerlei Schritt gehalten und sich ihr zur Gesellschaft aufgedrungen habe.« Es fielen noch mehr Höflichkeitsbezeigungen unter den beiden Damen vor, denn Jungfer Honoria hatte dem reichen Kleide der Fremden den Rang abgetreten und hatte sich ins hinterste Glied begeben. Allein obgleich Sophie neugierig genug war, zu erfahren, warum die andre Dame immer eben die Nebenwege mit ihr ritte, ja ob sie darüber gleich in Verlegenheit war, so hielt sie doch die Furcht oder die Bescheidenheit oder andre Bedenklichkeiten zurück, sie darüber zu befragen.

Um diese Zeit geriet die fremde Dame in eine Verlegenheit, welcher zu erwähnen es fast unter der Würde der Geschichte zu sein scheinen mag. Auf einer Meile war ihr nicht weniger als fünfmal ihr Kasket vom Kopfe geweht worden, und sie konnte zu keinem Bande oder Taschentuch gelangen, um es unter dem Kinne zu befestigen. Als Sophie dies erfuhr, gab sie ihr zu diesem Ende alsobald ihr Taschentuch. Da sie solches aus ihrer Tasche hervorzog, vernachlässigte sie vielleicht den Zügel ihres Pferdes zu viel, denn das Tier that unglücklicherweise einen falschen Tritt, stolperte mit den Vorderfüßen und warf seine Reiterin aus dem Sattel.

Obgleich Sophie über Hals und Kopf herunterstürzte, nahm sie doch zum Glück nicht den allergeringsten Schaden, und dieselben Umstände, welche vielleicht zu ihrem Falle beigetragen hatten, ersparten ihr auch jetzt eine große Verwirrung, denn der Anger, über welchen sie eben ritten, lag in einem engen Thale und war stark mit Bäumen bewachsen, so daß der Mond nur wenig hindurchschimmern konnte, der noch dazu eben hinter einer so dicken Wolke verhüllt stand, daß es so gut als völlig finster war. Auf diese Weise ward die Schamhaftigkeit des Fräuleins, welche äußerst zart war, ebensowenig beschädigt als ihre Gliedmaßen, und sie ward wieder auf ihren Sattel gesetzt, ohne etwas Weiteres gelitten zu haben, als vielleicht einen kleinen Schreck beim Fallen.

[229] Endlich fing das Tageslicht an in seinem vollen Glanze hervorzubrechen, und die beiden Damen, welche Seite an Seite über ein Feld ritten, sahen sich einander einige Zeit starr an, und beider Augen hefteten sich zugleich aufeinander, beider Pferde standen still, beide Damen redeten zugleich und riefen mit gleicher Freude, die eine den Namen Sophie und die andre den Namen Henriette. Diese unvermutete Zusammenkunft machte den Damen mehr Verwunderung, als sie nach meiner Meinung dem einsichtsvollen Leser verursachen wird, der es schon erraten haben muß, daß die Fremde niemand anders sein konnte, als Madame Fitz Patrick, die Kousine des Fräuleins Western, von welcher wir angemerkt haben, daß sie nur wenige Minuten später den Gasthof verlassen habe.

So groß war die Ueberraschung und Freude, welche die beiden Kousinen bei ihrer Zusammenkunft ergriff (denn sie waren ehedem sehr vertrauliche Bekannte und Freundinnen gewesen und lange Zeit miteinander bei ihrer Tante, dem hochwohlgeborenen Fräulein von Western, zusammen erzogen worden), daß es unmöglich ist, nur die Hälfte dieser Freudenbezeigungen zu erzählen, die sie einander mitteilten, ehe die eine an die andre eine der natürlichsten Fragen gelangen ließ, nämlich, wohin sie zu reisen gedächte? Diese Frage ward gleichwohl von seiten der Madame Fitz Patrick gethan. So leicht und natürlich sie aber zu sein schien, so fand Sophie es doch schwer, darauf eine gerade und bestimmte Antwort zu geben. Sie bat also ihre Kousine, alle Neugierde solange beiseite zu setzen, bis sie in irgend einem Gasthofe anlangten. »Und ich denke, wir müssen bald einen erreichen,« sagte sie, »und dabei glauben Sie mir nur, Henriette, ich unterdrücke meinerseits ebensoviel Neugierde, denn ich zweifle wirklich nicht, daß wir beide gleich stark verwundert sind, uns hier anzutreffen.«

Das Gespräch, welches zwischen diesen beiden Damen unterwegs vorfiel, war nach meinem Bedünken nicht wichtig genug zum Aufschreiben, und das jenige gewiß noch weniger, welches die beiden Aufwartdamen miteinander führten; denn auch diese fingen gleichfalls an, sich einander zu bekomplimentieren. Den beiden Wegweisern hingegen war alle Freude des Sprechens abgeschnitten, weil der eine vorausreiten und der andre hinten den Zug beschließen mußte.

In dieser Ordnung reisten sie verschiedene Stunden vorwärts, als sie auf eine weite und wohlbefahrene Straße gelangten, welche, da sie sich rechts wendeten, in kurzer Zeit zu einer viel Gutes versprechenden Herberge leitete, woselbst sie alle abstiegen. Sophie aber war so ermüdet, daß sie sich schon seit ein paar Stunden nur mit vieler Beschwerde hatte auf dem Sattel halten können, und jetzt war sie völlig unvermögend, ohne Beistand abzusitzen. Dies wurde [230] der Gastwirt, welcher den Zügel ihres Pferdes gefaßt hatte, alsobald gewahr und erbot sich, sie mit seinen Armen vom Sattel zu heben, und sie nahm diese angebotenen Dienste nur gar zu bereitwillig an. In der That schien es, als ob es Madame Fortuna einmal für allemal darauf angelegt hätte, ihr diesen Tag eine Schamröte abzujagen, und der zweite hämische Versuch glückte ihr besser als der erste, denn der Gastwirt hatte diese junge Dame kaum in die Arme gefaßt, als sein Fuß, den noch ganz neuerlich das Podagra sehr ernstlich in der Mache gehabt hatte, ausglitschte und er dahinpurzelte. Er wußte es aber dabei doch mit nicht weniger Behendigkeit als Galanterie so zu drehen, daß er unter seine liebenswürdige Bürde zu liegen kam, so daß nur er allein eine kleine Quetschung von dem Falle bekam, denn das Schlimmste, was Sophien begegnete, war, daß ihrer Schamhaftigkeit dadurch ein heftiger Stoß versetzt wurde, und daß sie, als sie sich wieder von der Erde aufraffte, an den meisten der Umherstehenden ein tölpisches Grinsen wahrnahm. Hieraus ließ sich argwöhnen, was wirklich geschehen war, welches wir aber, eben solchen Lesern zu Gefallen, hier nicht erzählen wollen, die es über das Herz bringen können, zu lachen, wenn die zarte Bescheidenheit eines jungen Frauenzimmers gekränkt wird. Dergleichen Zufälle haben wir niemals in einem possierlichen Lichte betrachten können, wir machen uns auch kein Bedenken, zu sagen, daß derjenige sich eine sehr unrichtige Vorstellung von der Schamhaftigkeit eines hübschen Frauenzimmers machen muß, welcher nur wünschen kann, daß sie einem so nichtsbedeutenden Vergnügen, als das Lachen gewährt, zum Opfer dienen soll.

Dieser Schreck und dieser Verdruß, zusammengenommen mit der Ermüdung, die sich ihr Geist und Körper zugezogen hatten, wären beinahe der sonst vortrefflichen Gesundheit Sophiens zu mächtig geworden, und kaum hatte sie noch Kräfte genug, an dem Arme ihrer Jungfer nach dem Gasthofe hineinzuschwanken. Sobald sie sich hier niedergesetzt hatte, verlangte sie ein Glas Wasser, Jungfer Honoria verwandelte solches aber, nach meiner Meinung höchst vernünftigerweise, in ein Glas Wein.

Als Madame Fitz Patrick von Jungfer Honoria vernommen hatte, daß Sophie die beiden letzten Nächte nicht zu Bette gekommen wäre, und nun bemerkte, daß sie vor Mattigkeit gar blaß und bleich aussah, bat sie solche sehr dringend, sie möchte sich durch etwas Schlaf erquicken. Bis jetzt wußte sie nichts, weder von ihrer Geschichte noch von ihrer Besorgnis, hätte sie aber auch beide gekannt, so würde sie ihr doch eben den Rat gegeben haben, denn es war nur zu sichtbar, wie sehr sie die Ruhe nötig habe, und die Länge des Weges, welche sie außer der Heerstraße zurückgelegt hatten, entfernte [231] alle Gefahr vom Nachsetzen so völlig, daß sie selbst für sich in diesem Punkte nicht das geringste besorgte.

Sophie ließ sich leicht bereden, den Rat ihrer Freundin zu befolgen, den auch ihre Jungfer sehr herzlich unterstützte. Madame Fitz Patrick erbot sich auch ihrer Kousine Gesellschaft zu leisten, was Sophie mit vieler Gefälligkeit annahm. Das Fräulein war nicht so bald zu Bette, als ihre Zofe sich anschickte, ihrem Beispiele zu folgen. Sie begann gegen ihre Schwester Abigail viele Entschuldigungen zu machen, daß sie sie an einem so abscheulichen Orte, wie im Gasthofe, so allein lassen müßte; allein die andre, welche sich ebenso geneigt fand, ein paar Stündchen zu nicken, fiel ihr ins Wort und bat um die Ehre ihrer Bettgesellschaft. Sophiens Jungfer gestand der andern die Bettgesellschaft zu, protestierte aber, daß die Ehre allein auf ihrer Seite sei. Und so nach manchen Knicksen und Komplimenten gingen auch die Nachtrittsdamen miteinander zu Bett, wie ihre Gebieterinnen schon vorher gethan hatten.

Der Gastwirt des Hauses hatte die Gewohnheit (wie es fast durchgängig die ganze Brüderschaft zur Gewohnheit hat), sich aufs genaueste bei allen Hauderern, Bedienten, Postillons und dergleichen nach dem Namen seiner Gäste zu erkundigen, wie groß ihre Güter wären, wo sie belegen u.s.w. Es ist also nicht zu verwundern, daß die verschiedenen besonderen Umstände, welche bei unsern Reisenden zusammentrafen, und besonders der, daß sie sich alle zu einer so außerordentlichen Stunde, wie zehn Uhr des Vormittags, zu Bette legten, seine Neugier in Gang setzen mußten. Sobald als demnach die Vorreiter in die Küche kamen, fing er an, sie auszuforschen, wer die Damen wären und woher sie kämen. Die Kerle aber, ob sie ihm gleich getreulich alles erzählten was sie wußten, gaben ihm nur sehr wenig Befriedigung, und anstatt seine Neugier zu dämpfen, setzten sie solche vielmehr in lichte Flammen.

Dieser Gastwirt stand bei allen seinen Nachbarn im Rufe eines sehr schlauen Kopfes. Man hielt dafür, er dringe weiter und tiefer in die Sachen, als irgend ein Mann im Kirchspiele, den Herrn Pfarrer selbst nicht ausgenommen. Vielleicht hatte sein Blick nicht wenig beigetragen, ihm diese Reputation zu erwerben, denn in diesem lag etwas so wundervoll Weises und Bedeutsames, besonders wenn er eine Pfeife im Mund hatte, ohne welche er sich denn auch wirklich selten zeigte. Sein Betragen half ihm gleichfalls nicht wenig, die gute Meinung von seiner Weisheit zu unterhalten. In seinem Benehmen war er feierlich, wo nicht fast steif und finster, und wenn er sprach, welches selten geschah, so war es immer mit leiser Stimme, und ob er gleich nur kurze, abgebrochene Sätze vorbrachte, so spickte er sie doch immer noch mit manchen hm's, ha's! so, so's! und mehr [232] dergleichen Lückenbüßern aus, so daß, obwohl er beständig seine Worte mit gewissen nachdrücklichen Gebärden begleitete, zum Exempel den Kopf schüttelte oder nickte, oder den Zeigefinger an die Nase legte, er doch dadurch seine Hörer noch immer mehr denken ließ, als er sagte, ja er gab ihnen gewöhnlich zu verstehen, daß er noch weit mehr wisse, als er für dienlich erachte zu sagen. Dieser letzte Umstand allein konnte wirklich hinlänglich sein, den Ruf von seiner Weisheit zu erklären, weil die Menschen gar außerordentlich geneigt sind, dasjenige zu verehren, was sie nicht verstehen; ein großes Geheimnis, auf welches viele Betrüger des menschlichen Geschlechts das ganze Glück ihrer Täuschung gebaut haben.

Diese politische Person nahm jetzt ihre Frau auf die Seite und fragte sie, was sie wohl von den eben angekommenen Damen dächte? »Was ich von ihnen denke?« sagte die Frau. »Nu, was sollt' ich von ihnen denken?« – »Ich weiß wohl was ich denke,« sagte der Wirt. »Die Pferdeknechte erzählen sonderbare Dinge. Der eine gibt vor sie kommen von Gloucester, und der andre will sagen sie komm'n von Upton, und keiner von beiden, so viel ich finde, kann sagen wo sie hinwoll'n. Aber wer hat wohl jemals seinen Weg von Upton quer durchs Land hierher genommen, besonders nach London zu? und das eine von den Aufwartmädchen fragte doch, noch eh' es vom Pferde stieg, ob hier der Weg nach London durchginge? Nun hab 'ch alle diese Umstände zusammengenommen, und was meinst du wohl, hab' ich herausgebracht, was es für Damen sind?« – »Ja nun,« antwortete sie, »du weißt ja, daß ich mich niemals damit abgebe, deine Entdeckungen zu erraten.« – »Bist'n gutes Kind!« erwiderte er, und patschelte ihr unters Kinn, »ich muß bekennen, daß du mir niemals streitig gemacht, daß 'ch in solchen Sachen weiter sehe als du. Nun also, du kannst dich auf mich verlassen, merk's wohl, was ich dir sage! – Du kannst dich drauf verlassen, es sind ganz gewiß 'n paar Damen von der Partei der Rebellen, welche, wie man sagt, mit dem jungen Prätendenten herumziehen, und die hab'n diesen Umweg genommen, um der Armee des Herzogs aus'm Wege zu gehen.«

»Lieber Mann,« sagte die Frau, »du hast es gewiß richtig getroffen, denn die eine ist so reich gekleidet, als nur immer eine Prinzessin es sein kann, und fürwahr, sie sieht so hübsch aus, als nur eine Prinzessin in der ganzen Welt aussehen kann. Und doch, wenn ich eins dabei bedenke« – »Bedenken! du!« fiel ihr der Wirt mit verächtlicher Miene ins Wort, – »nun, ja doch! komm, laß 'nmal hören, was du bedenkst.« – »Ei nu! es ist,« antwortete die Ehefrau, »daß sie viel zu demütig ist für eine vornehme Dame, denn derweil unsre Liese ihr Bett wärmte, nannte sie sie immer[233] nicht anders als Kind, und meine Liebe und meine Beste! Und als ihr Liese die Strümpfe ausziehen wollte, da wollt sie's nicht leiden, und sagte, sie wollte ihr die Mühe nicht machen.«

»Puh!« antwortete der Ehegemahl, »das sagt nichts! Meinst du denn, weil du einige vornehme Damen gesehen hast, welche mit geringen Leuten barsch und grob umgingen, daß deswegen keine weiß, wie sie mit Leuten umgehen müsse, die nicht so vor nehm sind als sie selbst? Ich sollte denken, ich kennte die Leute von vornehmem Stande, wenn ich sie sehe! Ich sollte denken, ich kennte sie! Forderte sie nicht gleich ein Glas Wasser, als sie ankam? Wenn's ein andrer Schlag von Frauenzimmer gewesen wäre, so hätte sie einen Schnaps gefordert, das siehst du wohl ein, hätte sie! Wenn es nicht eine Dame von sehr hohem Stande ist, so sollst du mich zu Markte schicken und für'n Narren verkaufen, und wer mich kauft, mein' ich, soll sein Geld schlecht anlegen. Und nun, sag' nur! würde wohl eine Dame von solchem Stande ohne einen Mannsbedienten reisen, wenn es nicht eine ganz außerordentliche Bewandtniß mit ihr hätte?« – »Ja, nun freilich, lieber Mann,« sagte sie, »du verstehst solche Sachen viel besser als ich und viel andre Leute.« – »Ich sollte denken, ein wenig wüßte ich!« sagte er. »Ach ja, nun wohl,« antwortete die Frau; »das arme kleine Herzchen sah so kümmerlich aus, als sie sich in den Lehnstuhl setzte, daß ich dich versichre, ich mußte Mitleiden mit ihr haben, fast ebensoviel, als ob sie nur ein armes Mädchen gewesen wäre. Aber, was ist nun zu thun, mein lieber Mann? Wenn sie ein Rebelle ist, so denk' ich, wirst du sie doch wohl bei Hofe angeben müssen. Ja nu! 's ist eine sanftmütige, freundliche Dame! Aber mag sie sein, wer sie will, ich werd' es doch schwerlich lassen können, zu weinen, wenn ich höre, daß sie sie gehenkt oder geköpft haben.« – »Puh!« antwortete der Ehemann. »Was aber bei der Sache zu thun ist, das läßt sich nicht so leicht ausmachen. Ich hoffe, wir werden, noch ehe sie weiter reist, die Zeitung von einer Bataille bekommen, denn sollte der Prätendent die Schlacht gewinnen, so kann uns ihre Bekanntschaft bei Hofe viel Vorteil thun, und sie kann unser Glück machen, ohne daß wir sie zu verraten brauchen.« – »Ja, das ist auch wahr!« erwiderte die Frau, »und ich hoffe recht von Herzen, daß es in ihrer Gewalt stehen mag. Fürwahr! 's ist ene süße, liebe Dame; es sollte mir herzlich wehe thun, wenn ihr was Böses begegnete.« – »Pfuh!« schrie der Wirt, »Weiber sind immer so weichherzig. Wollt'st du denn wohl Rebellen im Hause beherbergen? Wollt'st du?« – »Nein, gewißlich nicht!« antwortete die Frau, »und wenn wir sie angeben, was können wir davor, was darnach kommt. Tadeln kann uns darüber niemand. Das würde ein jeder thun, der an unsrer Stelle wäre.«

[234] Unterdessen daß unser politischer Gastwirt, welcher, wie wir sehen, nicht unverdienterweise wegen großer Weisheit unter seinen Nachbarn berühmt war, sich damit beschäftigte, mit sich selbst über die Sache zu beratschlagen (denn er achtete sehr wenig auf die Meinung seiner Frau), lief die Zeitung ein, daß die Rebellen dem Herzoge entwichen wären und auf dem Wege nach London einen Marsch voraus gewonnen hätten, und bald darauf langte ein berühmter jakobitischer Junker an, welcher mit großer Freude im Gesichte den Wirt bei der Hand schüttelte und sagte: »Alles ist unser, Freund! Zehntausend brave Franzosen sind in Suffolk ans Land gesetzt. Vivat alt England! Zehntausend Franzosen! guter ehrlicher Schlag. Nun soll das Ding schon gehen; ich geh' gleich weiter und trommel's überall aus.« Diese Neuigkeit brachte den weisen Mann zu einer nähern Bestimmung seiner Gedanken und er beschloß, der jungen Dame, sobald sie aufstände, seine Kour zu machen, denn er hatte nun, wie er sagte, herausgebracht, daß es niemand anders sei, als die Geliebte des Prätendenten, die berühmte Jenny Cameron in eigner Person.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Ein sehr kurzes Kapitel, in welchem gleichwohl eine Sonne, ein Mond, ein Stern und ein Engel vorkommen.


Die Sonne hatte sich schon seit einiger Zeit (denn um diese Jahrszeit ist sie fast ganz bürgerlich) zur Ruhe begeben, als Sophie sehr erquickt von ihrem Schlaf aufstand, welcher, so kurz er war, dennoch durch nichts als durch ihre außerordentliche Ermattung hätte veranlaßt werden können; denn ob sie gleich ihrer Kammerjungfer gesagt hatte, als sie Upton verließ, und sie es auch vielleicht selbst glauben mochte, sie sei völlig ruhig, so ist doch nichts gewisser, als daß ihre Seele ein wenig von der Krankheit angegriffen war, die von allen unruhigen Symptomen eines Fiebers begleitet wird und vielleicht gerade diejenige Unpäßlichkeit ist, welche die Aerzte meinen (wofern sie etwas meinen!), wenn sie von einem Nervensieber sprechen.

Madame Fitz Patrick verließ um eben die Zeit gleichfalls ihr Bett. Sie klingelte ihrer Jungfer und kleidete sich unverweilt an. Sie war wirklich ein sehr hübsches Frauenzimmer, und in jeder andrer als Sophiens Gesellschaft möchte man sie für schön gehalten haben. Allein als Jungfer Honoria aus eignem Antrieb ihre Aufwartung machte (denn ihre Gebieterin wollte nicht, daß man sie wecken sollte) und unsre Heldin hatte fertig ankleiden helfen, ging [235] es den Reizen der Madame Fitz Patrick, die das Amt eines Morgensterns verrichtet hatte und der Vorläufer eines größern Glanzes gewesen war, ebenso, wie es diesem Stern zu gehen pflegt, das heißt, sie wurden völlig verdunkelt, als der größere Glanz hervortrat.

Vielleicht hatte Sophie niemals schöner ausgesehen, als eben zu dieser Stunde. Wir müssen also die Magd im Wirtshause wegen ihrer Hyperbel nicht verdammen, welche, als sie das Feuer angemacht hatte und wieder herunter kam, erklärte und mit einem Eide beteuerte, wenn es einen Engel auf Gottes Erdboden gäbe, so wäre er gewiß oben im Zimmer.

Sophie hatte ihre Kousine mit ihrem Vorsatze, nach London zu gehen, bekannt gemacht, und Madame Fitz Patrick hatte sich erklärt, sie dahin zu begleiten; denn die Ankunft ihres Eheherrn zu Upton hatte ihr Vorhaben, nach Bath, oder zu ihrer Tante Western zu gehen, vereitelt. Sobald sie also mit ihrem Thee fertig waren, that Sophie den Vorschlag, weiterzugehen, weil der Mond eben gar helle schien und ihr das bißchen Frost sehr willkommen war. Sie fühlte auch gar keine von den Aengstlichkeiten, welche manches junge Frauenzimmer vor dem Nachtreisen gefühlt haben möchte; denn sie besaß, wie wir vorhin schon bemerkt haben, einen kleinen Grad von natürlicher Herzhaftigkeit, und diese ward durch ihre gegenwärtige Gemütsverfassung, die fast nahe an Verzweiflung grenzte, um ein merkliches vermehrt. Da sie überdem schon bei diesem Mondscheine mit aller Sicherheit gereist war, so war sie dadurch um so dreister geworden, es auch zum drittenmale zu wagen.

Madame Fitz Patrick war von furchtsamerem Gemüt: die größere Angst hatte zwar die geringere besiegt und die Gegenwart ihres Gemahls hatte sie zu einer so unzeitigen Stunde aus Upton getrieben; jetzt aber wirkte diese geringere Furcht vor ich weiß nicht was, jetzt, da sie an einen Ort gelangt war, woselbst sie sich vor seinen Verfolgungen völlig sicher hielt, bei ihr so stark, daß sie ihrer Kousine aufs dringendste anlag, sie möchte doch bis den nächsten Morgen verweilen und sich nicht den Gefahren des Nachtreisens aussetzen.

Sophie, welche bis zum Uebermaß gefällig war, gab endlich dieser Aengstlichkeit nach, als sie sah, daß sie solche ihrer Kousine weder ausreden noch auslachen könnte. Vielleicht möchte es schwerer gehalten haben, sie zu dieser Einwilligung zu bringen, wenn sie Nachricht von ihres Vaters Ankunft zu Upton gehabt hätte; denn, was den Herrn Jones betrifft, so möchte ihr wohl, wie ich besorge, der Gedanke, daß er sie einholen könnte, keinen so großen Abscheu verursachen; ja, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so glaub' ich, [236] wünschte sie das mehr, als daß sie es fürchtete, ob ich gleich diesen Wunsch bei aller meiner Ehrlichkeit dem Leser hätte verhehlen können, da es eine von jenen geheimen, unfreiwilligen Bewegungen der Seele war, mit denen die Vernunft oft nichts zu schaffen hat.

Nachdem die jungen Damen beschlossen hatten, die Nacht über in dem Wirtshause zu bleiben, machte ihnen die Wirtin ihre Aufwartung, um zu erfahren, was die gnädigen Damen zum Abendessen befehlen möchten. Solcher Zauber lag in der Stimme, in den Manieren und in dem leutseligen Betragen Sophiens, daß sie die Wirtin bis zum höchsten Grade entzückte, und daß die gute Frau, welche nicht anders meinte, als sie habe der Jenny Cameron aufgewartet, wie man eine Hand umkehrt, eine eifrige Jakobitin ward, und der Sache des Prätendenten alles beste anwünschte, wegen der großen Sanftmut und Leutseligkeit, womit ihr von seiner vermeinten Geliebten begegnet worden war.

Die beiden Kousinen fingen nunmehr an, sich einander ihre wechselseitige Neugierde zu gestehen, um zu erfahren, was für außerordentliche Zufälle auf beiden Seiten diese so sonderbare und unerwartete Zusammenkunft verursacht hätten. Als endlich Madame Fitz Patrick von Sophien ein Versprechen erhalten hatte, daß sie in ihrer Reihe gleichfalls erzählen wolle, begann sie dasjenige mitzuteilen, was der Leser, wenn ihn darnach verlangt, ihre Geschichte zu wissen, im folgenden Kapitel lesen kann.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Madame Fitz Patricks Geschichte.


Nach einem Stillschweigen von einigen Augenblicken holte Madame Fitz Patrick einen tiefen Seufzer und begann ihre Geschichte folgendermaßen: »Dem Unglücklichen ist es natürlich, eine geheime Beklemmung zu fühlen, wenn er sich der Zeiten seines Lebens erinnert, welche für ihn die angenehmsten waren. Das Andenken an vergangene Freuden erfüllt uns mit einer Art von sanfter Melancholei, gleich jener, welche uns der Abschied von Freunden verursacht, und die Idee von beiden schwebt sozusagen wie ein abgeschiedener Geist um unsre Imagination.

Aus dieser Ursache gedenke ich niemals ohne Kummer an jene Tage (bei weitem die glücklichsten meines Lebens), die wir miteinander zubrachten, als wir beide bei meiner Tante von Western erzogen wurden. Ach! wo sind Fräulein Feierlich und Fräulein Schwindlich geblieben! Sie erinnern sich gewiß noch der Zeit, wo wir uns noch bei keinem andern Namen nannten! Sie hatten freilich [237] nur zu viel Recht, mir die letzte Benennung beizulegen; ich habe seitdem genug erfahren, wie sehr ich sie verdiente. Sie, meine Sophie, hatten beständig in allen Dingen den Vorzug vor mir und ich hoffe herzlich, daß Sie solchen auch in Ihrem Glücke haben sollen. Ich werde den weisen und fast matronenhaften Rat in meinem Leben nicht vergessen, den Sie mir einst gaben, als ich mich über das Unglück beklagte, daß mir ein Ball rückgängig geworden war, ob Sie gleich dazumal noch keine vierzehn Jahr alt sein konnten. – O, meine Sophie, wie höchst glücklich mußte meine Lage sein, da mir eine so kleine mißlungne Freude ein Unglück scheinen konnte und wirklich das größte war, das mich noch jemals betroffen hatte!«

»Und dennoch, meine teure Henriette,« antwortete Sophie, »war es damals für Sie eine sehr ernsthafte Sache. Trösten Sie sich also mit dem Gedanken, daß alles dasjenige, worüber Sie jetzt zu klagen Ursache zu haben glauben, Ihnen mit der Zeit ebenso unwichtig und unbedeutend scheinen kann, als jetzt jener mißlungne Ball.«

»Ach, meine Sophie,« erwiderte die andre, »Sie selbst werden von meiner gegenwärtigen Lage anders denken: denn dieses weichfühlende Herz müßte sich mächtig geändert haben, wenn meine Widerwärtigkeiten Ihnen nicht manchen Seufzer, ja manche Thräne entlockten. Diese Ueberzeugung sollte mich vielleicht abhalten, Ihnen dasjenige zu erzählen, was Sie, wie ich gewiß weiß, nicht wenig rühren wird.« – Hier schwieg Madame Fitz Patrick, und Sophie mußte sie zu wiederholten Malen bitten, ehe sie weiter fortfuhr:

»Sie müssen gewiß viel von meiner Verheiratung gehört haben, weil aber die Sachen wohl nicht nach aller Treue erzählt sein können, so will ich meine Erzählung gleich beim ersten Anfang meiner unglücklichen Bekanntschaft mit meinem jetzigen Ehemann anheben, welche zu Bath begann, bald nachdem Sie meine Tante verlassen hatten und wieder zu Ihrem Herrn Vater gereist waren.

Unter den muntern jungen Herrn, welche sich die damalige Brunnenzeit über zu Bath befanden, war auch Herr Fitz Patrick. Er war hübsch, ungezwungen, äußerst galant und kleidete sich besser, als fast alle übrigen. Kurz, meine Beste, wenn Sie so unglücklich wären, ihn jetzt zu sehen, so kann ich ihn nicht besser beschreiben, als wenn ich Ihnen sage, er war damals in allen Stücken das Gegenteil von dem, was er jetzt ist: denn er hat so lange Zeit in Feldern und Wäldern verlebt, daß er am Ende ein völlig wilder Irländer geworden ist. Um aber in meiner Geschichte fortzufahren, so empfahlen ihn die Eigenschaften, welche er zu der Zeit besaß, dermaßen, daß, obgleich damals der höchste Adel seine intimen [238] Gesellschaften für sich hatte, wovon alle übrigen ausgeschlossen waren, dennoch Herr Fitz Patrick in solche Zutritt hatte. Es war vielleicht überhaupt schwer ihn zu vermeiden; denn bei ihm bedurfte es wenig oder gar keiner Einladung, und weil er hübsch und einschmeichelnd war, so fand er es ziemlich leicht, sich bei den Damen angenehm und beliebt zu machen. Da er nun auch verschiedenemal seinen Degen gezogen hatte, so mochten ihn auch die Herren nicht gern öffentlich beleidigen. Wär' es nicht dieser Umstand gewesen, so glaub' ich, würde er von den Mannspersonen bald ausgedrängt worden sein, denn er hatte gewiß nicht das geringste Recht, vor dem niedern englischen Adel einen Vorzug zu begehren, und sie schienen auch nicht geneigt, ihm eine vorzügliche Achtung zu bezeigen. Hinter seinem Rücken hielten sie sich alle über ihn auf, welches aber wohl aus Neid geschehen mochte, denn das Frauenzimmer nahm ihn sehr wohl auf und begegnete ihm mit vorzüglicher Gewogenheit.

Meine Tante, ob sie gleich nicht zu dem höchsten Adel gehörte, war doch mit in seine Gesellschaften gezogen worden, weil sie allezeit am Hofe gelebt hatte; denn auf was Weise man auch in diese vornehmen Zirkel gelangt, wenn man einmal darin ist, so ist es Verdienst genug, daß man darin ist. Diese Bemerkung haben Sie, so jung als Sie waren, kaum umhin können über meine Tante zu machen, welche freundlich oder vornehm und steif mit den Leuten war, je nachdem sie mehr oder weniger von diesem Verdienste besaßen.

Und dieses Verdienst, glaub' ich, war es, welches Herrn Fitz Patrick hauptsächlich ihrer Gewogenheit empfahl. Er war darin so glücklich, daß er sich beständig bei ihren kleinen Partieen befand. Er ließ sich's auch sehr angelegen sein, ihr diese Distinktion zu erwidern, denn sein Betragen gegen sie war sehr bald so auszeichnend und unterscheidend, daß der Skandalklub darüber seine Anmerkungen zu machen begann und gutherzigere Personen sie miteinander verheirateten. Für mein Teil, ich gesteh' es, zweifelte ich keineswegs, daß er, nach der gewöhnlichen Redensart, die ehrlichsten Absichten hätte, das heißt vermittelst einer Heirat einem Frauenzimmer ihr Vermögen zu stehlen. So viel sah ich wohl, daß meine Tante weder jung noch schön genug wäre, um gewisse zügellose Neigungen einzuflößen, aber an Ehestandsreizen besaß sie einen großen Ueberfluß.

Ich ward in dieser Meinung noch mehr durch die außerordentliche Ehrerbietung bestärkt, welche er mir selbst von dem ersten Augenblicke unsrer Bekanntschaft an bezeigte. Dies nahm ich auf als Bemühungen, dadurch er womöglich die Abneigung verringern wollte, die mir in seinen Gedanken mein Eigennutz gegen seine vorhabende Verbindung einflößen möchte. Und gewissermaßen that es [239] auch diese Wirkung; denn weil ich mir an meinem eigenen Vermögen genügen ließ und weniger als irgend ein Mensch in der Welt mich von eigennützigen Absichten beherrschen ließ, so konnte ich auch eben keine große Feindin von einem Manne sein, mit dessen Betragen in Absicht meiner ich höchst vergnügt war, um so mehr da ich die einzige war, welcher er eine solche Ehrerbietung bezeigte, denn er betrug sich zu gleicher Zeit gegen verschiedene Damen vom höchsten Range so, daß er ihnen auch nicht einen Schatten von Hochachtung bezeigte.

So angenehm mir dies war, so verwandelte er es doch bald in eine andre Art von Betragen, welche es vielleicht noch mehr wurde. Er zeigte sich jetzt mit großer Sanfmut und Zärtlichkeit und schmachtete und seufzte ohne Unterlaß. Zuweilen freilich wohl, war es Kunst oder Natur, das will ich nicht entscheiden, ließ er seinem Scherz und seiner Fröhlichkeit den gewöhnlichen freien Lauf; das geschah aber allemal wenn wir in großer Gesellschaft beisammen und andre Frauenzimmer dabei waren, denn selbst bei den Reihetänzen, wenn er nicht mein Tänzer war, ward er ernsthaft und seine Blicke wurden nur alsdann im höchsten Grade sanft und mild, wenn er sich mir näherte. In der That war sein Benehmen gegen mich so auffallend unterscheidend, daß ich hätte blind sein müssen, um es nicht zu bemerken, und, und, und« – »Und das machte Ihnen immer mehr Vergnügen, meine liebe Henriette!« rief Sophie. »Sie brauchen sich nicht zu schämen,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »denn es ist nur zu wahr, es liegen unwiderstehliche Reize in der Zärtlichkeit, welche so viele Mannspersonen die Kunst besitzen gegen uns zu zeigen, ohne daß sie solche selbst empfinden.« – »Sehr wahr!« antwortete ihre Kousine; »Männer, welche bei allen übrigen Vorfällen kaum gewöhnlichen Menschenverstand zeigen, sind wahre Machiavells in der Kunst zu lieben. Ich wünschte, ich hätte davon keinen Beweis. Gut, die bösen Zungen fingen jetzt an, ebensosehr über mich herzufahren, als es vorher über meine Tante geschehen war, und es gab einige gute Damen, welche sich kein Gewissen daraus machten, zu behaupten, Herr Fitz Patrick hätte einen Liebeshandel mit uns allen beiden.

Was aber noch erstaunlicher scheinen mag, meine Tante sah nichts, noch schien sie im geringsten zu argwöhnen, was doch, wie ich glaube, an unser beider Betragen sichtbar genug war. Man sollte wirklich fast glauben, die Liebe beraube ein altes Frauenzimmer gänzlich der Augen. In der That verschlingen sie die verliebten Reden, die ihnen vorgesagt werden, mit solcher Gier, daß sie, wie ein ekelhafter Vielfraß, keine Zeit haben auf das zu achten, was unter den andern vorgeht, die mit ihnen an eben dem Tische sitzen. Dies hab' ich bei mehr Fällen als meinem eignen bemerkt, und dies [240] ward bei meiner Tante so nachdrücklich bewährt, daß, ob sie uns gleich oft zusammen fand, wenn sie vom Brunnensaale nach Hause kam, sein unbedeutendstes Geschwätz von Ungeduld über ihre Abwesenheit oder so etwas allen ihren Argwohn völlig erstickte. Eine List that bei ihr bewundernswürdige Wirkung; diese bestand darin, daß er mit mir umging wie mit einem Kinde und mich in ihrer Gegenwart niemals anders nannte, als artiges Jettchen. Dies gereichte ihm nun freilich bei Ihrer demütigen Dienerin eben nicht zur größten Empfehlung, allein ich sah doch bald hindurch, besonders da er mir, wenn sie nicht dabei war, wie ich vorher schon gesagt habe, ganz anders begegnete. Ob mir nun gleich eine Aufführung, deren Absicht ich entdeckt hatte, eben nicht sehr unangenehm war, so zog sie mir doch nicht wenig Mißvergnügen zu, denn meine Tante glaubte wirklich, ich sei nichts weiter als das, wofür mich ihr Liebhaber (denn dafür hielt sie ihn) zu nehmen schien, und sie behandelte mich in allem Betracht wie ein bloßes Kind. Und wirklich wundr' ich mich noch, daß sie nicht darauf bestand, mich wieder in Flügelkleider zu stecken.

Endlich dünkte es meinem Liebhaber (denn das war er) Zeit zu sein, mir auf eine feierliche Weise ein Geheimnis zu entdecken, das ich lange schon gewußt hatte. Er setzte nunmehr alle Liebe, die er gegen meine Tante vorgegeben hatte, auf meine Rechnung. Er beklagte es in sehr rührenden Ausdrücken, daß sie ihn so mißverstanden und ihm solche Aufmunterungen gegeben hätte, und machte sich ein großes Verdienst aus den langweiligen Stunden, die er bei ihr hätte aushalten müssen. Was soll ich Ihnen sagen, meine teure Sophie! Ich will nur die Wahrheit bekennen! Mir gefiel der Mann, mir gefiel meine Eroberung; meine Tante auszustechen, entzückte mich und es bezauberte mich, so manches andre Frauenzimmer noch nebenher zu demütigen. Kurz, ich besorge, mein Betragen war schon bei der ersten Liebeserklärung nicht so, wie es hätte sein sollen. Ich wünschte, ich hätt' ihm nicht eine fast zuverlässige Gewißheit gegeben, ehe wir voneinander schieden. Die ganze Gesellschaft zu Bath sprach nun laut, ich möchte fast sagen sie erhob ein Geschrei über mich. Verschiedene junge Damen ließen sich's geflissentlich merken, daß sie meine Bekanntschaft vermieden, nicht sowohl vielleicht wegen eines wirklichen Verdachts, als weil sie mich aus einer Gesellschaft zu entfernen wünschten, in welcher sich ihr Günstling zu viel mit mir zu schaffen machte. Und hier kann ich nicht umhin, dem Herrn Nash meine Dankbarkeit für die Güte zu bezeigen, womit er sich meiner annehmen wollte, denn ich wäre ein glückliches Mädchen gewesen, wenn ich den Rat befolgte, den er mir gab, als er mich eines Tages auf die Seite nahm und zu mir sagte: ›Liebes [241] Fräulein, es thut mir leid, daß ich den vertrauten Umgang sehe, den Sie einem Menschen gestatten, der Ihrer völlig unwürdig ist, und der, wie ich fürchte, Ihr Verderben sein wird. Was Ihre alte stinkende Tante betrifft, so sollte mir's, wofern es nicht zu Ihrem und der lieben Sophie Western (ich versichere Sie, ich wiederhole seine eigenen Worte) Schaden und Nachteil wäre, herzlich lieb sein, wenn sich der Mensch in den Besitz alles des Ihrigen setzte. Für alte Weiber habe ich keinen Rat, denn wenn die sich's einmal in den Kopf setzen, dem Satan in den Rachen zu rennen, so ist es ebenso unmöglich, als es der Mühe wert ist sie zurückzuhalten. Unschuld und Tugend und Schönheit sind eines bessern Schicksals wert und die möcht' ich aus seinen Klauen befreien. Verwerfen Sie also meinen Rat nicht, mein teuerstes Fräulein, und erlauben Sie diesem Menschen niemals mehr die geringste Vertraulichkeit.‹ Er sagte mir noch viel mehr dergleichen, was ich jetzt vergessen habe und worauf ich auch wirklich damals nur sehr wenig achtete, denn meine Neigung widersprach alle demjenigen, was er sagte, und überdem auch konnt' ich mich nicht bereden lassen, daß Damen vom ersten Range sich herablassen würden mit einer Person, wie er mir den Mann beschrieb, auf einem vertrauten Fuß zu leben.

Aber ich fürchte, meine Beste, ich mache Ihnen Langeweile, wenn ich Ihnen so viele kleine Umstände erzähle. Um es also kürzer zu fassen, denken Sie sich's, daß ich verheiratet bin, denken Sie sich's, wie ich mit meinem Ehemanne zu den Füßen meiner Tante kniee, und dann denken Sie sich die rasendste Frau in einem Tollhause, welche eben ein Anfall von Tobsucht anwandelt, und Ihre Einbildung kann Ihnen nichts Aergeres vorstellen, als was damals wirklich vorging.

Gleich den folgenden Tag verließ meine Tante den Ort, teils um zu vermeiden, den Herrn Fitz Patrick und mich zu sehn, und vielleicht ebensosehr, um weiter niemand mehr zu sehen; denn ob man mir gleich gesagt hat, daß sie nachher alles gradezu ableugnen wollen, so glaub' ich doch war sie damals über ihre mißlungene Hoffnung in nicht geringer Verwirrung. Seit der Zeit hab' ich ihr verschiedene Briefe geschrieben, aber niemals eine Antwort erhalten können, und das deucht mich um so härter zu sein, weil sie, obgleich ohne ihren Willen, die Ursache aller meiner Leiden ist; denn wäre es nicht unter dem Vorwande seiner verliebten Besuche bei ihr geschehen, so würde Herr Fitz Patrick niemals die erforderliche Gelegenheit gefunden haben mein Herz zu gewinnen, welches unter andern Umständen, wie ich mir noch bis auf diese Stunde schmeichle, für einen solchen Menschen keine so leichte Eroberung gewesen sein würde. Ich glaube wirklich, ich würde mich in meiner Wahl nicht [242] so gröblich geirrt haben, wenn ich mich auf mein eignes Urteil verlassen hätte, aber ich verließ mich völlig auf die Meinung andrer und höchst thörichterweise hielt ich die Verdienste eines Mannes für ausgemacht, den ich bei allen Frauenzimmern durchgängig so gut angeschrieben sah. Woran liegt das, meine Beste, daß wir, die wir so viel Verstand haben als die Größten und Weisesten unter dem männlichen Geschlecht, doch so oft die einfältigsten Gimpel zu unseren Gefährten und Günstlingen wählen? Mein Aerger steigt bis zum höchsten Grade, wenn ich an die große Anzahl von verständigen Weibern denke, die sich von Gecken haben ins Unglück führen lassen.« Hier machte sie eine kleine Pause, da aber Sophie nicht antwortete, fuhr sie weiter fort, wie im folgenden Kapitel steht.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Worin Madame Fitz Patricks Geschichte fortgesetzt wird.


»Wir blieben nach unsrer Verheiratung nicht länger als vierzehn Tage zu Bath, denn zu einer Aussöhnung mit meiner Tante war keine Hoffnung, und von meinem Vermögen konnte ich keinen Groschen habhaft werden, bis ich mündig geworden, bis dahin aber fehlten mir noch über zwei Jahre. Deswegen wollte sich mein Mann entschließen nach Irland zu gehen, wogegen ich aber sehr ernsthafte Vorstellungen that und auf einem Versprechen bestand, das er mir vor unsrer Verheiratung gegeben hatte, wie ich nämlich zu keiner Zeit wider meine Einwilligung zu dieser Reise genötigt werden sollte, und in der That war ich niemals gesonnen darein zu willigen, und niemand, glaub' ich, wird mich auch wegen dieser Entschließung tadeln, die ich gleichwohl meinem Manne nicht deutlich sagte, sondern nur bloß um einen Monat Aufschub bat. Er hatte aber seinen Tag festgesetzt und auf diesem Tag bestand er mit dem hartnäckigsten Eigensinne.

Des Abends vor unsrer Abreise, als wir mit großem Eifer beiderseits über diesen Punkt disputierten, sprang er auf einmal auf von seinem Stuhl und verließ mich plötzlich mit den Worten, er ginge nach dem Assembleesaal. Er war kaum aus dem Hause, als ich ein Papier auf der Erde liegend gewahr wurde, das er, wie ich glaube, unvorsichtigerweise mit seinem Taschentuche herausgerissen haben mußte. Dies Papier nahm ich auf und da ich sah es wäre ein Brief, so macht' ich mir kein Bedenken ihn zu öffnen und zu lesen, und wirklich las ich ihn so oft, daß ich Ihnen solchen Wort für Wort aus dem Kopfe hersagen kann. Der Brief lautete also:


[243] An Herrn Brian Fitz Patrick.

Hochgeehrter Herr!


Ew. Edlen Schreiben wohl erhalten habend, kann nicht umhin, meine Verwunderung zu bezeigen über die Art, wie von selben begegnet werde, sintemalen noch nicht weiß, wie Ew. Edlen bares Geld aussieht, ausgenommen für den einen Reiserock, und Ew. Edlen kurrent Rechnung sich doch an die hundertundfunfzig Pfund beläuft. Ew. Edlen gelieben zu beherzigen, wie oft selbige mir mit dem Vorgeben gefoppt haben, daß selbige in kürzester Sicht eine oder die andre Dame freien würden, muß aber in Erinnerung bringen, daß weder von Hoffnung noch Versprechen leben, noch mein Tuchfabrikant dergleichen Bezahlung anzunehmen gelieben will. Ew. Edlen sagen sicher zu sein, entweder die Tante oder die Nichte zu bekommen, und daß selbe längst die Tante zur Mariage hätten bringen können, deren Leibgedinge gar mächtig rentieren soll, daß selbe aber der Nichte die Prävalence geben, raggione ihrer klingenden Münze. Wenn Ew. Edlen meinen einfältigen Rat nicht verschmähen wollen, so ginge mein Parere dahin, die erste beste zu nehmen, welche zu haben wäre. Diesen treufreundlichen Advis werden Ew. Edlen desto geneigter vermerken, als selbe persuadirt sind von meinem eifrigen Wünschen für Ew. Edlen Wohlergehn. Mit nächster Post werden auf Ew. Edlen ziehen und abgeben an die Herren Drugget und Kompanie à vierzehn Tage Sicht. An pünktlichen Accept- und Honorierung nicht zweifelnde habe ich die Ehre zu verbleiben

Ew. Edlen

dienstwilligster Diener

Samuel Cosgraf.


Dies war der Brief Wort für Wort im alten Handwerksstile. Sie mögen es erraten, meine teuerste Kousine, wie mir dieser Brief aufs Herz fiel: ›daß selbe aber der Nichte die Prävalence geben raggione ihrer klingenden Münze!‹ Wäre jedes von diesen Worten ein Dolch gewesen, mit Lust hätte ich sie in sein Herz stoßen können, aber ich will mein wahnsinniges Betragen bei dieser Gelegenheit nicht erzählen. Ich hatte meine Thränen gegen die Zeit so ziemlich erschöpft, da er wieder nach Hause kam, doch waren ihre Spuren an meinen aufgeschwollnen Augen noch sichtbar genug. Er warf sich mit mürrischem Gesicht in seinen Lehnstuhl und es währte lange Zeit, ehe eines von uns beiden ein Wort sprach. Endlich sagte er in einem gebieterischen Tone: ›Ich hoffe, Madame, Ihre Bediente sind mit dem Einpacken fertig, denn morgen früh gegen sechs Uhr wird angespannt.‹ Bei dieser Reizung entging mir völlig alle Geduld und ich antwortete: ›Nein, Herr, da ist noch ein [244] Brief uneingepackt!‹ Mit diesen Worten warf ich solchen auf den Tisch und machte ihm darüber die bittersten Vorwürfe, worauf ich mich nur besinnen konnte.

Ob ihn Gewissensbisse oder Scham, oder Klugheit zurückhielt, weiß ich nicht, er ließ aber bei dieser Gelegenheit keinen Zorn blicken, ob er sonst gleich einer der heftigsten und jähzornigsten Menschen von der Welt ist. Er suchte mich vielmehr auf die sanftmütigste Weise zu beruhigen. Er schwur, er habe die Stelle im Briefe, die mich am meisten aufgebracht hatte, oder irgend etwas dergleichen seinem Korrespondenten niemals geschrieben. So viel gestand er zwar, daß er seiner Verheiratung und des Vorzugs, den er mir gegeben, Erwähnung gethan hätte, leugnete aber mit vielen Schwüren eine dergleichen Ursache dafür angeführt zu haben. Und daß er überhaupt von dieser Sache etwas gemeldet habe, entschuldigte er mit seinem Mangel an Geld, welcher dadurch veranlaßt worden, daß er seine Güter in Irland zu lange vernachlässigt habe, und dieses, sagte er, welches ihm so sauer eingegangen wäre mir zu entdecken, sei die einzige Ursache, welche ihn genötigt habe, so stark auf unsre Reise zu dringen. Er bediente sich darauf mancher süßen Schmeichelei und beschloß mit einer sehr verliebten Umarmung und vielen heftigen Liebesbeteurungen.

Es ergab sich ein Umstand, der, ob er sich gleich nicht darauf berief, bei mir zu seinem Vorteil viel Gewicht hatte, und das war das Wort Leibgedinge in der Schneiderepistel, weil meine Tante niemals verheiratet gewesen und dieses Herr Fitz Patrick recht gut wußte. Da ich mir also einbildete, daß der Schneider dies aus seinem eignen Kopfe oder auf bloßes Hörensagen hätte einfließen lassen, so überredete ich mich, daß er auf keine bessere Befugnis die abscheuliche Stelle zu schreiben gewagt haben könnte. Was für eine Art zu schließen war dies, meine Beste? War ich nicht vielmehr Advokat als Richter? Doch warum erwähne ich eines solchen Umstandes, oder warum bezieh' ich mich darauf, um meine Vergebung zu rechtfertigen! Kurz, wäre er zwanzigmal strafbarer gewesen, die Hälfte der Zärtlichkeit und Liebe, welche er mir zeigte, würde mich vermocht haben, ihm alles zu verzeihen. Ich machte jetzt weiter keine Einwendung gegen unsre Abreise, welche er auf den nächsten Morgen veranstaltete, und in wenig mehr als einer Woche Zeit langten wir auf dem Landsitz des Herrn Fitz Patrick an.

Ihre Neugierde wird mir's verzeihn, daß ich keinen von den Vorfällen erzähle, die uns unterwegs aufstießen: denn es würde mir höchst unangenehm sein, den Weg noch einmal zu reisen, und Ihnen nicht weniger, diese Reise mit mir zu machen.

Also: der Landsitz ist ein altes Gebäude auf einem Edelgute. [245] Wenn ich mich in einer von jenen fröhlichen Launen befände, in welchen Sie mich so oft gesehen haben, könnt' ich's Ihnen lächerlich genug beschreiben. Es sah so aus, als ob es vor diesem von einem Landjunker bewohnt worden wäre. Raum genug hatte es und durch Möbeln war der Raum gar nicht beengt, denn an Hausrat war der Vorrat äußerst gering. Eine alte Frau, die mit den Gebäuden gleiche Anzahl von Jahren auf dem Nacken zu haben schien und der Alten sehr ähnlich sah, deren Chamont im Trauerspiel ›Der Waise‹ erwähnt, empfing uns an der Pforte und bewillkommte ihren Herrn mit einem Geschnatter, das mir kaum eine menschliche Sprache zu sein schien, wenigstens mir ganz unverständlich war. Kurz, die ganze Szene war so grauenvoll und melancholisch, daß mein Gemüt dadurch äußerst niedergeschlagen wurde, und mein Ehemann, der diese Niedergeschlagenheit merkte, vermehrte, anstatt mich aufzurichten, solche noch durch zwei oder drei hämische Anmerkungen. ›Sie sehen, Madame,‹ sagte er, ›es gibt anderwärts außer England auch gute Häuser, aber vielleicht wohnten Sie lieber zur Miete in einem schmutzigen Loche zu Bath.‹

Glücklich, meine liebste Kousine, ist die Frau, welche in irgend einem Stande des Lebens einen freundlichen gutmütigen Gefährten hat, der sie aufrichtet und tröstet! Aber warum denk' ich an glückliche Umstände des Lebens, um nur mein Elend noch zu erschweren! Mein Gefährte, weit entfernt, das traurige Dunkel der Einsamkeit aufzuheitern, überzeugte mich sehr bald, daß ich mit ihm an jedem Orte und in allen Umständen hätte unglücklich sein müssen. Mit einem Wort, er war ein mürrischer Wrantpott; ein Charakter, den Sie vielleicht noch niemals gesehen haben: und in der That lernt ein Frauenzimmer ihn niemals an einem andern kennen, als an einem Vater, einem Bruder oder einem Ehemann; und ob Sie gleich einen Vater haben, so hat er doch von dieser Gemütsart nichts an sich. Dieser Murrkopf hatte mir vorher grade das Gegenteil geschienen und so schien er noch einem jedweden andern außer mir. Gütiger Himmel! wie ist es einem Manne möglich, so ununterbrochen außer dem Hause und in Gesellschaften einen so lügenhaften Charakter zu behaupten und die kränkende Wahrheit bloß in seinem eignen Hause zu zeigen? Hier, meine Beste, halten sich diese Männer für den beschwerlichen Zwang schadlos, welchen sie in der Welt ihrer Gemütsart auflegen; denn ich habe bemerkt: je munterer, fröhlicher und aufgeräumter mein Ehemann jemals in Gesellschaften gewesen war, um so sichrer war ich, in unsrer nächsten häuslichen Zusammenkunft ihn finster und mürrisch zu finden. Wie soll ich Ihnen seine Barbarei beschreiben? Gegen meine Zärtlichkeit war er kalt und unempfindlich. Meine kleinen komischen Späße, welche Sie, [246] meine Sophie, so angenehm genannt haben, übersah er mit Verachtung. In meinen ernsthaften Augenblicken sang und sprang er um mich herum und pfiff, und wenn ich gänzlich niedergeschlagen und betrübt war, fuhr er auf und schalt: denn ob er gleich an meiner Aufgeräumtheit keinen Gefallen fand, noch solche meiner Zufriedenheit mit ihm zuschrieb, so fand er sich doch immer beleidigt, wenn ich still und traurig war, und schob davon immer die Schuld auf meine Reue, daß ich (wie er sagte) einen Irländer geheiratet hätte. Sie können leicht denken, mein teures Fräulein Feierlich (ich bitte um Verzeihung, ich vergaß mich wirklich!), daß, wenn ein Frauenzimmer ein unvorsichtiges Bündnis, wie es die Welt zu nennen pflegt, schließt, das heißt, wenn sie sich nicht für bloße Geldvorteile preisgibt, sie notwendigerweise einige Liebe und Zuneigung zu ihrem Manne haben muß. Ebensoleicht werden Sie mir's glauben, daß sich diese Zuneigung ganz möglicherweise verringern kann; ja ich versichre Sie sogar, daß Verachtung solche ganz und gar ausrottet. Diese Verachtung begann ich jetzt gegen meinen Mann zu fühlen, welchen ich nachgerade – ich – ich muß das Wort heraussagen – als einen platten Dummkopf kennen lernte. Vielleicht werden Sie sich wundern, warum ich diese Entdeckung nicht längst vorher gemacht hatte; aber wir Weiber wissen immer tausend Entschuldigungen für die Thorheiten derer zu erfinden, die wir lieben; zudem erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, gehört ein sehr scharfsichtiges Auge dazu, einen Narren hinter der Larve der Munterkeit und guten Lebensart ausfindig zu machen.

Man kann sich leicht einbilden, daß, als ich einmal dahin gekommen war, meinen Mann zu verachten, wohin es, wie ich Ihnen bekenne, sehr bald mit mir gedieh, mir folglich auch seine Gesellschaft zuwider werden mußte. Und in der That hatte ich die Glückseligkeit sehr selten, damit belästigt zu werden; denn unser Haus war nunmehr aufs beste ausmöbliert, Keller und Küche wohlversorgt, und Hunde und Pferde in großem Ueberfluß herbeigeschafft. Da also mein Junker seine Nachbarn mit großer Gastfreundschaft bewirtete, so waren seine Nachbarn hinwieder sehr freigebig mit ihren Besuchen, und Jagd und Trinkgelage nahmen einen so großen Teil seiner Zeit weg, daß mir nur sehr wenig von seinem Umgang, das heißt von seinen bösen Launen zum Anteile fiel.

Glücklich wär' es für mich gewesen, wenn ich alle andre widrige Gesellschaft ebensoleicht hätte vermeiden können! Aber leider war ich an einige gebunden, die mich beständig plagten, und das um so mehr, je weniger ich Aussichten vor mir hatte, sie jemals los zu werden. Diese Gesellschafter waren meine eignen nagenden Gedanken, welche mich peinigten und mich sozusagen wie Gespenster [247] Tag und Nacht verfolgten. In dieser Lage mußte ich einen Auftritt erleben, dessen grauenvoller Jammer sich ebensowenig beschreiben als einbilden läßt. Denken Sie, meine Beste, stellen Sie sich's vor, wenn Sie können, was ich ausstehen mußte. Ich ward Mutter von dem Manne, den ich verabscheute. Ich mußte alle die Schmerzen und Leiden eines Wochenbetts erdulden (zehnmal schmerzhafter unter solchen Umständen, als die schwerste Entbindung sein kann, wenn man solche um einen Mann erduldet, den man lieb hat), in einer Wüste oder vielmehr in einem Hause, wo beständig getobt, gelärmt und geschwelgt wurde, ohne eine Freundin, ohne eine Gesellschafterin, oder auch nur einen von den angenehmen Umständen, welche die Leiden unsers Geschlechts zu solchen Zeiten oft erleichtern und vielleicht zuweilen mehr als reichlich vergelten.«

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

In welchem der Irrtum des Gastwirts Sophie in große Angst und Schrecken setzt.


Madame Fitz Patrick stand im Begriff, mit ihrer Erzählung fortzufahren, als sie zu Sophiens großem Bedauern durch das aufgesetzte Abendessen unterbrochen wurde, denn die Widerwärtigkeiten unsrer Freundin hatten ihr Herz beklemmt und keinen andern Hunger übrig gelassen, als nur den, welchen Madame Fitz Patrick durch ihre Erzählung befriedigen konnte.

Der Wirt stellte sich ein mit einem Teller unterm Arme, um mit eben der Ehrerbietung in Mienen und Worten bei Tische aufzuwarten, als er nur hätte thun können, wenn die Damen in einem sechsspännigen Wagen angekommen wären.

Die verheiratete Dame schien von ihrem eignen Unglücke weniger gerührt zu sein als ihre Kousine; denn die erste aß sehr herzlich, indessen die letzte kaum einen Bissen genießen konnte. Sophie zeigte ebenfalls mehr Leid und Betrübnis auf ihrem Gesichte, als an der andern Dame zu merken war, welche, als sie diese Spuren der Betrübnis an ihrer Freundin wahrgenommen hatte, solche bat, sie möchte gutes Muts sein, und dabei sagte: »Vielleicht nimmt alles noch ein bessres Ende, als weder Sie noch ich erwarten.«

Unser Herr Gastwirt glaubte, jetzt hab' er eine Gelegenheit gefunden, seinen Mund zu öffnen und war nicht gesonnen, sie ungenützt vorbeigehen zu lassen. »'S thut mir leid, meine gnädigste Dame,« schrie er, »daß Ihro Gnaden nicht essen können, denn nach einem so langen Fasten müssen Hochdieselben doch gewiß hungrig sein. Ich hoffe, Ihro Gnaden haben sich über nicht das geringste [248] zu beunruhigen; denn wie die gnädige Dame da gar wohl sagten: alles kann noch ein bessres Ende nehmen, als wir alle erwarten. Ein Herr, der den Augenblick hier war, brachte gar herrliche Zeitung; und vielleicht kommen gewisse Leute, welche andern gewissen Leuten den Vorsprung abgewonnen haben, früher nach London, ehe sie noch wieder eingeholt werden können; und wenn dem also geschieht, so hab' ich keinen Zweifel, werden sie Personen finden, welche willig und bereit stehen, sie mit vielen Freuden aufzunehmen.«

Alle Menschen, welche in Besorgnis vor Gefahr stehen, machen alles, was sie sehen und hören, zu Gegenständen der Besorgnis. Sophie schloß also unmittelbar aus der vorbesagten Rede, daß man sie kenne und daß ihr Vater in der Nähe sei. Sie ward daher von großer Angst befallen und auf einige Minuten des Vermögens der Sprache beraubt, welche sie nicht so bald wieder erhielt, als sie den Wirt ersuchte, er möchte seine Bedienten aus dem Zimmer schicken. Als dies geschehen war, richtete sie ihre Rede an ihn und sagte: »Mein lieber Herr Wirt, Sie wissen, wer wir sind; aber ich bitte Sie, und wenn Sie nur einiges Mitleiden und Gutheit haben, werden Sie mir's nicht abschlagen – ich bitte, verraten Sie uns nicht.«

»Ihro Gnaden verraten! Ich?« sagte der Wirt. »Nein!« und dabei schwur er einige nachdrückliche Eide. »Lieber wollt' ich mich in zehntausend Stücke zerhacken lassen. Ich hasse alle Verräterei auf den Tod. In meinem Leben hab' ich noch niemand verraten und werde doch bei einer so süßen, gnädigen Dame, als Hochdero Gnaden sind, nicht den Anfang machen! Die ganze Welt würde mich aufs ärgste tadeln, wenn ich's thäte, weil's in so kurzem in Hochdero Gnaden Gewalt stehn wird, mich reichlich zu belohnen. Da ist meine Frau, die kann mir's bezeugen, ich kannte Hochdero Gnaden gleich den Augenblick, da Sie ankamen. Ich sagte gleich, daß es Ihro Gnaden wären, noch ehe ich Sie noch einmal vom Pferde gehoben hatte, und ich werde die blauen Flecken, die ich in Höchstdero Gnaden Diensten bekommen habe, mit in mein Grab nehmen. Aber das will nichts sagen, so lang als ich Ihro Gnaden glücklich gerettet habe. Freilich wohl wollten gewisse Leute heute morgen so davon sprechen, daß ein hübscher Lohn zu verdienen stände; aber solche Gedanken sind mir nie in den Kopf gekommen. Ich wollte lieber Hungers sterben, als einen Lohn dafür nehmen, daß ich Ihro Gnaden verriete.«

»Ich verspreche Ihnen, Herr Wirt,« sagte Sophie, »wenn es jemals in meinem Vermögen stehen wird, Sie zu belohnen, so sollen Sie durch Ihre Großmut nichts verlieren.«

»Ach lieber Himmel,« antwortete der Wirt, »ob's in Höchstdero [249] Gnaden Vermögen stehen wird? Gebe nur der Himmel Höchstdenenselben dazu ebensoviel Willen! Ich fürchte nur, Höchstdieselben werden einen so armen Mann, als einen Gastwirt, vergessen. Sollten Ihro Gnaden aber das nicht, so hoff' ich, werden Höchstdieselben sich erinnern, was ich für eine Belohnung ausgeschlagen habe – ausgeschlagen! das ist, die ich ausgeschlagen haben würde; und doch kann man's wohl ausschlagen nennen, denn ich hätte sie gewiß haben können; und freilich hätten Ihro Gnaden nur in gewissen Häusern sein dürfen! – Für mein Teil aber, ich möchte sozusagen nicht um die ganze Welt, daß Ihro Gnaden mir ein so großes Unrecht anthäten und glaubten, ich hätte nur mit einem Gedanken dran gedacht, Höchstdieselben zu verraten, nicht einmal noch eh ich die gute Zeitung gehört hatte.«

»Was für eine Zeitung? sagen Sie mir doch,« sagte Sophie etwas eilig.

»Haben Hochdero Gnaden sie also noch nicht gehört?« rief der Gastwirt. »Ja nun freilich wohl möglich! denn es sind nur erst ein paar Minuten, daß ich sie gehört habe; und wenn ich sie auch niemals gehört hätte, so soll mich der böse Feind vor Ihren Augen wegholen, wenn ich Ihro Gnaden hätte verraten wollen. Nein, wenn das nicht wahr ist, so will ich –« Hier fügte er noch einige fürchterliche Verwünschungen hinzu, welche Sophie zuletzt unterbrach und zu wissen begehrte, was er mit der guten Zeitung meinte. – Er wollte eben antworten, als Jungfer Honoria ganz blaß und atemlos ins Zimmer gerannt kam und ausschrie. »Gnädigs Fräulein, wir sind alle verloren, sind alle unglücklich! sie sind kommen, sind kommen!« Bei diesen Worten starrte fast alles Blut in Sophiens Adern. Madame Fitz Patrick aber fragte das Mädchen, wer gekommen wäre. – »Wer?« antwortete sie. »Ah, ah, die Franzosen; viele Hunderttausend sind'r ins Land kommen zu Wasser und werden uns alle totschlagen und notzüchtigen.«

Wie ein Geizhals, der in einer wohlgebauten Stadt eine schlechte Hütte besitzt, die wenige Gulden wert ist, wenn er in weiter Entfernung »Feuer!« schreien hört, bleich und blaß wird und vor seinem Verluste zittert, hernach aber findet, daß nur bloß die schönen Paläste abgebrannt sind und seine eigne schlechte Kote unversehrt bleibt, augenblicklich sich wieder erholt und sich lächelnd seines guten Glücks freut: oder wie (denn das vorige Gleichnis will uns nicht so durchaus gefallen) wie eine zärtliche Mutter, wenn sie mit der Nachricht erschreckt wird, ihr geliebtester Knabe sei ertrunken, vor Angst und Kummer gefühllos und fast tot zur Erde sinkt; wenn ihr aber hernach gesagt wird, der kleine Liebling sei außer Gefahr und bloß ein Linienschiff mit zwölfhundert tapfern Männern auf [250] der See versunken, ihr Leben und Empfindungen zurückkehren, die mütterliche Zärtlichkeit sie plötzlich von aller ihrer Angst befreit und das Gefühl des allgemeinen Wohlwollens, welches sich zu einer andern Zeit über das furchtbare Unglück sehr mächtig geregt haben würde, jetzt in ihrer Seele in tiefem Schlafe liegt.

So Sophie. Niemand als sie war fähiger, das allgemeine Elend ihres Vaterlandes zu fühlen; aber so innig war ihre Zufriedenheit, da sie sich von der Angst befreit fand, worin sie schwebte, von ihrem Vater eingeholt zu werden, daß die Ankunft des französischen Kriegsheers kaum den geringsten Eindruck auf sie machte. Mit aller Gelindigkeit verwies sie ihrer Jungfer den Schreck, welchen sie ihr verursacht habe, und sagte: 's wär' ihr lieb, daß es nichts ärgeres wäre, denn sie hätte gefürchtet, es möchte sonst jemand gekommen sein.

»Ja, ja!« antwortete der Wirt mit Schmutzerlachen; »Höchstdero Gnaden haben wohl bessere Nachrichten! Höchstdieselben wissen es wohl, die Franzmänner sind unsre besten Freunde und sind bloß uns zu gute herübergekommen! Es sind eben die rechten Leute, die unser Altengland wieder in Flor bringen wollen. Ich wollte wohl wetten, Hochdero Gnaden meinten, der Herzog wär' im Anmarsch: ja, so was hätte wohl in Furcht jagen können. Ja ich wollt' doch Ihro Gnaden die neue Zeitung erzählen. – Seine prätendentische Majestät, den Gott behüte! haben dem Herzog das Nachsehn gelassen und marschieren mit ihrer Armee so eilig wie sie können auf London zu, und zehntausend Franzmänner sind gelandet, um sich unterwegs mit unsers allergnädigsten Ritters Majestät zu vereinigen.«

Sophie war eben nicht sonderlich vergnügt über diese Nachricht, noch über den wackern Patrioten, der sie erzählte; weil sie sich aber noch immer einbildete, er kenne sie (denn es war ihr nicht wohl möglich, auf die Vermutung der eigentlichen Wahrheit zu fallen), so mochte sie ihn ihren Unwillen nicht merken lassen. Und nachdem nunmehr der Wirt reinen Tisch gemacht, ging er hinweg; beim Abgehn aber wiederholte er noch verschiedenemal seine Hoffnung, man werde einst seiner in höchsten Gnaden gedenken.

Sophiens Vermutung, daß sie hier im Hause bekannt sei, machte ihr nicht wenig Unruhe: denn sie deutete noch immer verschiedene Dinge auf sich, wel che der Wirt der Jenny Cameron zu sagen vermeint hatte: sie trug also ihrer Jungfer auf, den Mann ein wenig auszuforschen, auf was Art und Weise er dazu gekommen sei, ihre Person zu kennen, und wer es gewesen, der ihm eine Belohnung versprochen hätte, wenn er sie verriete? Zugleich befahl sie auch, daß morgen früh um vier Uhr die Pferde bereit sein sollten, um welche Stunde Madame Fitz Patrick ihr Gesellschaft zu [251] leisten versprach; und hierauf faßte sie sich so gut wie möglich und bat diese Dame, mit ihrer Geschichte fortzufahren.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Worin Madame Fitz Patrick ihre Geschichte beschließt.


Unterdessen, daß Jungfer Honoria dem Befehl ihrer Gebieterin zufolge eine Schale Punsch machen ließ und den Herrn Wirt und die Frau Wirtin dazu einlud, fuhr Madame Fitz Patrick folgendergestalt in ihrer Erzählung fort:

»Die meisten von den Offizieren, welche in einem Flecken unsrer Nachbarschaft im Quartiere lagen, waren von meines Herrn Gemahls Bekanntschaft. Unter diesen befand sich ein Leutnant, ein sehr hübscher Schlag von einem Mann, der mit einer Frau verheiratet war, die ich beides, von Gemüt und Umgang, so angenehm fand, daß wir vom ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft an, die wir machten, als sie eben aus den Wochen gekommen, fast unzertrennliche Gefährtinnen waren; denn ich war so glücklich, mir in gleichem Grad ihre Gewogenheit zu erwerben.

Der Leutnant, der weder ein Dummkopf noch ein Jäger war, befand sich oft in unsrer kleinen Gesellschaft; in der That hatte er nur wenig Umgang mit meinem Manne, und grade nur so viel, als ihm die gute Lebensart auferlegte, weil er übrigens fast beständig in unserm Hause war. Mein würdiger Eheherr bezeigte oft sein Mißvergnügen darüber, daß der Leutnant meine Gesellschaft der seinigen vorzöge, und war deshalb nicht wenig zornig auf mich, und stieß manchen bittern Fluch über mich aus, daß ich ihm seine Gesellschaft wegnehme, und sagte: Ich müßte eigentlich noch die Hölle dafür fegen, daß ich einen der wackersten Kerls verdorben und daraus einen weichen Weibling gemacht hätte.

Sie würden sich sehr irren, meine teure Sophie, wenn Sie sich einbildeten, daß mein Mann sich deswegen geärgert habe, weil ich ihm einen Gesellschafter entzogen; denn der Leutnant war nicht der Mann, an dessen Umgang ein Narr Gefallen finden konnte; und wenn ich auch die Möglichkeit zugäbe, so hatte mein Herr Ehegemahl doch so wenig Recht, den Verlust eines seiner Gefährten auf mich zu schieben, daß ich überzeugt bin, er würde niemals unser Haus betreten haben, wenn es nicht meinetwegen geschehen wäre.

Nein, liebes Kind; Neid war es, die schlimmste, vergrollteste Art von Neid, Neid über Vorzug des Verstandes! Der ärmliche Mensch konnte es nicht dulden, daß ein Mann, auf den er ganz und gar nicht eifersüchtig sein könnte, meinen Umgang dem seinigen vorzöge. [252] O, meine teure Sophie, Sie sind ein Frauenzimmer, das viel Verstand besitzt! Wenn Sie einen Mann heiraten, der, wie es höchst wahrscheinlich der Fall sein wird, nicht so reichlich mit Verstand begabt ist als Sie selbst, so setzen Sie ja seine Gemütsart noch vor der Heirat auf oft wiederholte Proben, um zu wissen, ob er einen solchen Vorzug zu ertragen fähig sei. – Versprechen Sie mir's, meine Sophie, daß Sie diesen Rath befolgen wollen; Sie werden hernach schon finden, wie wichtig er ist.« – »Allem Anschein nach werde ich niemals heiraten,« antwortete Sophie; – »wenigstens bin ich nicht gesonnen, einen Mann zu heiraten, in dessen Verstande ich vor der Heirat Fehler gewahr werde; und ich versichre Sie, ehe ich dergleichen nachher bemerken wollte, würde ich lieber meinen eignen Verstand verleugnen.« – »Ihren eignen Verstand verleugnen!« erwiderte Madame Fitz Patrick. – »O pfui doch, Kind! daß ich eine solche Aermlichkeit von Ihnen glauben soll. Eh' könnte man mich dahin bringen, auf alles übrige Verzicht zu thun, als darauf. Die Natur würde dem Weibe diesen Vorzug in so mancherlei Dingen und Vorfällen nicht erteilt haben, wenn sie gewollt hätte, daß wir ihn so gänzlich dem Willen des Mannes übergeben sollten. Vernünftige Männer erwarten dies von uns auch niemals; und der Leutnant, dessen ich eben erwähnt habe, gab hievon ein merkwürdiges Beispiel; denn ob er gleich sehr viel Verstand hatte, so räumte er doch beständig ein, daß seine Frau noch mehr habe, wie es denn wirklich die Wahrheit war. Und dies mochte vielleicht wohl eine von den Ursachen sein, warum mein Haustyrann sie haßte.

Ehe er sich von einem Weibe wollte beherrschen lassen, sagte er, besonders von einer so häßlichen Vettel, (denn sie war wirklich keine regelmäßige Schönheit, aber sehr angenehm und außerordentlich gefällig im Umgang) wollte er lieber alle Weiber auf Gottes Erdboden zur Hölle begleiten. Dies war so eine von seinen Lieblingsredensarten. Er könne nicht begreifen, sagte er, was ich an ihr fände, daß ich in ihre Gesellschaft so vernarrt wäre. Seitdem das Weib, sagte er, unter uns gekommen ist, hat's mit Ihrem so beliebten Lesen ein Ende, woran Sie nach Ihrem Vorgeben soviel Freude fanden, daß Sie sich nicht so lange Zeit davon abmüßigen konnten, um den Damen in unserer Nachbarschaft ihre Besuche wiederzugeben. Ich muß freilich bekennen, daß ich mir in diesem Stück einige Unhöflichkeit habe zu schulden kommen lassen; denn die vornehmsten Damen dort zu Lande sind nicht besser als hier die Pächtersweiber; und ich denke, Ihnen brauche ich nichts weiter zur Entschuldigung zu sagen, warum ich allen nähern Umgang mit ihnen ablehnte.

Dieser freundschaftliche Umgang dauerte indessen ein ganzes Jahr, das heißt, die ganze Zeit über, da der Leutnant sein Quartier [253] in dem benachbarten Städtchen hatte, und für welchen ich dadurch Kontribution bezahlte, daß mich mein Ehgemahl auf die vorbesagte Weise ohne Unterlaß mißhandelte, wann er nämlich zu Hause war. Denn oft ging er auf einen ganzen Monat nach Dublin, und einmal that er eine Reise nach London, und ich hielt es für ein ganz besondres Glück, daß er auf allen diesen Reisen niemals meine Gesellschaft begehrte; vielmehr gab er mir durch seine häufigen Sticheleien auf solche Männer, die nicht anders reisen könnten, ohne sich, wie er's nennte, das Weib auf die Hocke zu sacken, hinlänglich zu verstehen, daß meine Wünsche vergebens gewesen wären, wenn es mich auch noch so sehr darnach gelüstet hätte, ihn zu begleiten; aber dem Himmel sei Dank, daß ein solches Gelüsten niemals bei mir aufstieg.

Zuletzt ward meine Freundin von mir getrennt; ich sank wieder in meine Einsamkeit zurück, zu der peinlichen Gesellschaft meiner eignen Gedanken, und mußte meinen Trost wieder in Büchern suchen. Jetzt that ich fast den ganzen geschlagnen Tag nichts andres als lesen. Wie manche Bücher glauben Sie wohl, daß ich in drei Monaten durchgelesen habe?« – »Das kann ich schwerlich erraten, liebe Kousine,« antwortete Sophie. – »Vielleicht ein halb Schock!« – »Ein halb Schock? ein halbes Tausend, Kind,« antwortete die andre. – »Ich habe einen großen Teil von Daniels Geschichte von Frankreich, von Plutarchs Leben großer Männer, die Atlantis, den Homer in Versen, Locke vom menschlichen Verstande und von Romanen und Schauspielen alles gelesen, dessen ich nur habhaft werden konnte.

Während dieser Zeit schrieb ich demütige, und wie ich meinte, auch rührende Briefe an meine Tante. Da ich aber auf keinen eine Zeile Antwort erhielt, so wollte mir mein Stolz nicht erlauben, mein Ansuchen noch weiter fortzusetzen.« – Hier hielt sie inne, und indem sie Sophien sehr ernsthaft anblickte, sagte sie: »Mich dünkt, meine Beste, ich lese etwas in Ihren Augen, welches mir eine Nachlässigkeit vorwirft, daß ich mich nicht andern Orts verwendet habe, wo ich eine liebreichere Begegnung erwarten durfte.« – »Ach,« antwortete Sophie, »meine teure Henriette, Ihre Geschichte entschuldigt Sie hinlänglich bei jedem, den Sie vernachlässigt haben könnten. Ich aber empfinde wirklich, daß ich mich einer Vergeßlichkeit schuldig gemacht, für die ich keine so triftige Entschuldigung habe. – Aber ich bitte Sie, fahren Sie fort, denn mich verlangt nach dem Ausgange, ob ich gleich davor zittre.« – Madame Fitz Patrick knüpfte also ihre Erzählung folgendergestalt wieder an: »Mein Mann that jetzt eine zweite Reise nach England, woselbst er sich gegen drei Monate aufhielt. Den größten Teil hindurch führte ich ein Leben, welches durch nichts in der Welt mir hätte erträglich scheinen können, als [254] dadurch, daß ich vorher ein traurigeres geführt hatte; denn wenn sich ein geselliges Gemüt, wie das meinige, in völliger Einsamkeit nicht unglücklich dünken soll, so gehört dazu, daß es sich dadurch von der Gesellschaft solcher Personen befreit sehe, die es haßt. Was noch meinen Jammer vermehrte, war der Verlust meines Kindes; nicht, daß ich eben vorgeben möchte, ich hätte es mit der ausschweifenden Zärtlichkeit geliebt, deren ich, wie ich glaube, unter andern Umständen sehr fähig gewesen sein möchte; aber ich war auf alle Weise entschlossen, die Pflichten der zärtlichsten Mutter zu erfüllen, und diese Sorgfalt verhinderte mich, die Last des schwersten Gewichtes unter allen Dingen in der Welt, sobald wir ihren Druck nur erst gewahr werden, zu fühlen.

Fast zehn volle Wochen hatte ich ganz einsam zugebracht, ohne irgend einen Menschen zu sehen, außer meine Bedienten und einige Besuche, als ein junges Frauenzimmer, eine Verwandte meines Mannes, aus einem entlegenen Teile von Irland mich zu besuchen kam. Sie hatte schon einmal eine Woche in meinem Hause zugebracht, und ich lud sie damals dringend ein, bald wieder zu kommen; denn sie war angenehm und hatte ihren natürlichen Verstand durch eine gute Erziehung ausgebildet. Wirklich war sie mir ein sehr willkommner Gast.

Einige wenige Tage nach ihrer Ankunft, als sie mich sehr niedergeschlagen sah, fing das junge Frauenzimmer an, ohne nach der Ursache meiner Traurigkeit zu fragen, welche sie ohnedem recht gut wußte, mich zu bedauren und zu beklagen. Sie sagte: Obgleich mich die Höflichkeit verhindert hätte, mich über meines Mannes Aufführung bei seinen Verwandten zu beklagen, so sähen sie solche doch alle recht gut ein und mißbilligten sie im höchsten Grade; niemand aber mehr als sie selbst. – Und nach mehr allgemeinen Gesprächen über dies Kapitel, wobei ich ihr, die Wahrheit zu gestehn, nicht immer Unrecht gab, vertraute sie mir endlich, nach vieler genommenen Behutsamkeit und empfohlenen Verschwiegenheit, als ein großes Geheimnis, daß mein Mann sich eine Mätresse hielte.

Sie bilden sich gewiß ein, ich habe diese Neuigkeit mit der äußersten Gleichgültigkeit vernommen. – Aber auf mein Wort, wenn Sie das glauben, so verführt sie Ihre Einbildung. Die Verachtung hatte noch nicht den Zorn über meinen Mann so völlig unterdrückt, daß nicht mein Haß bei dieser Gelegenheit wieder aufgewacht wäre. Was mag hievon die Ursache sein? Sind wir denn so entsetzlich selbstsüchtig, daß wir es nicht leiden können, daß andere sogar nur dasjenige besitzen, was wir verachten? Oder sind wir nicht vielmehr entsetzlich eitel, und ist dies nicht die größte Beleidigung, die man unsrer Eitelkeit zufügt? Was denken Sie davon, Sophie?«

[255] »Ich weiß wirklich nicht,« antwortete Sophie. »Ich habe mir niemals mit so tiefsinnigen Betrachtungen der Kopf zerbrochen; aber das denke ich, daß Ihre Verwandte sehr übel that, Ihnen ein solches Geheimnis zu offenbaren.«

»Und doch, meine Beste, ist an dieser Aufführung nichts Unnatürliches,« erwiderte Madame Fitz Patrick; »und wenn Sie erst ebensoviel gesehen und gelesen haben als ich, so werden Sie das gleichfalls gerne eingestehen.«

»Es thut mir leid,« erwiderte Sophie, »zu hören, daß es natürlich sei; denn ich bedarf keines vielen Lesens, und keiner vielen Erfahrungen, um mich zu überzeugen, daß es sehr unredlich und sehr boshaft ist. Ja, es ist gewiß ebensowohl gegen die gute Lebensart, Eheleuten die Fehler ihrer Ehegatten zu sagen, als ihnen ihre eignen persönlichen Fehler vorzuhalten.«

»Nun, wohl!« fuhr Madame Fitz Patrick fort, »mein Herr Ehegemahl kam denn endlich wieder nach Hause, und, wenn ich mich nicht ganz in meinen Empfindungen irre, so haßte ich ihn jetzt mehr als jemals. Dagegen verachtete ich ihn weniger; denn gewiß, nichts kann unsre Verachtung mehr schwächen als eine Beleidigung, die unsern Stolz oder unsre Eitelkeit kränkt.

Jetzt nahm er eine Aufführung gegen mich an, die von dem Betragen, das er die letzten Zeiten hindurch geäußert hatte, so verschieden und seiner Begegnung während der ersten Wochen unsers Ehestandes so ähnlich war, daß, wäre noch der geringste Funke von Liebe in meiner Seele lebendig gewesen, er solchen vielleicht wieder bis zur Zärtlichkeit gegen ihn hätte anfachen können; allein der Haß mag auf Verachtung folgen, und solche vielleicht gar unterdrücken können, der Liebe aber, glaube ich, ist das unmöglich.«

»Die Wahrheit ist, die Leidenschaft der Liebe ist viel zu rastlos, um sich ohne die angenehmen thätigen Freundschaftsbeweise von dem geliebten Gegenstande genügen zu lassen; und man kann ebensowenig einen Hang zur Liebe haben, ohne zu lieben, als man offne Augen haben kann, ohne zu sehen. Wenn also ein Ehemann nicht länger der Gegenstand dieser Leidenschaft ist, so ist sehr wahrscheinlich ein andrer Mann, – ich will sagen, meine Beste, wenn einem der Ehemann gleichgültig wird, – wenn es erst dahin kömmt, daß man ihn verachtet, – das ist, – will ich sagen, wenn einmal die Leidenschaft der Liebe bei einem rege ist – Himmel, ich habe mich so verflochten! – aber bei solchen abstrakten Betrachtungen begegnet es einem leicht, daß man die Konkatenation der Ideen verliert, wie Herr Locke es nennt. – Kurz, die Wahrheit ist – kurz, ich weiß kaum was sie ist. Aber, wie ich eben sagen wollte, mein Herr Gemahl kam wieder nach Hause, und sein Benehmen setzte mich [256] anfangs in große Verwunderung; er machte mich aber sehr bald mit seinen Beweggründen bekannt und lehrte mich, wie ich es mir erklären könnte. Mit einem Worte also, er hatte alles bare Geld, das ich ihm zugebracht, verschleudert und verspielt, und da er auf sein eignes Landgut nichts weiter geliehen bekommen konnte, so hatte er den Einfall, sich zu seinen Ausschweifungen dadurch Geld zu verschaffen, daß er ein kleines Gütchen, welches mir zugehörte, versaufte, was er aber ohne meinen ausdrücklichen Konsens nicht konnte; und diese Gefälligkeit von mir zu erhalten, war der ganze und einzige Grund von aller der Zärtlichkeit, die er mir vorspiegelte.

Ich verweigerte ihm aber rundweg meine Einwilligung. Ich sagte ihm (und ich sagte ihm die Wahrheit): Wäre ich zur Zeit unsrer Verheiratung im Besitz von beiden Indien gewesen, so hätte ihm alles zu Befehl gestanden; denn es wäre beständig mein fester Grundsatz gewesen, daß ein Frauenzimmer demjenigen, dem sie ihr Herz übergibt, auch ihr ganzes Vermögen anvertrauen müsse; da er aber schon längst die Gewogenheit gehabt hätte, das erste mir wieder in meine Verwahrung zurückzugeben, so sei ich auch entschlossen, das wenige, was mir von dem letzten noch übrig sei, ebenfalls für mich zu behalten.

Ich will Ihnen den Zorn nicht beschreiben, in welchen ihn diese Worte und der entschlossene Ton, mit welchem sie gesagt wurden, versetzte: ich will Sie auch nicht mit dem ganzen Auftritt behelligen, welcher drauf zwischen uns vorfiel. Sie kam heraus, wie Sie sich's gewiß einbilden können, sie kam heraus, die Geschichte mit der Mätresse; und heraus kam sie mit allen Verschönerungen von Licht und Schatten, womit nur immer Aerger und Verachtung sie ausmalen konnte.

Herr Fitz Patrick schien hiervon ein wenig niedergedonnert zu werden und verwirrter zu sein, als ich ihn noch jemals gesehn hatte, obgleich seine Ideen verworren genug waren, das weiß der Himmel! Unterdessen gab er sich doch keine Mühe, den Vorwurf von sich abzulehnen, sondern ergriff ein Mittel, welches mich fast ebensosehr verwirrte. Und was sollte das anders sein, als die Beschuldigung umzukehren! Er stellte sich an, als ob er eifersüchtig wäre. Er mag freilich wohl, so viel ich weiß, von Natur Hang genug zur Eifersucht haben! Ja, er muß von Hause aus eifersüchtig sein, oder ich wüßte nicht, welcher Beelzebub sie ihm hätte in den Kopf setzen können: denn ich biete aller Welt Trotz, nur den geringsten Schein von Verdacht auf meinen Charakter zu werfen! Ja, die verleumderischen Zungen haben es niemals gewagt, meinen guten Namen anzutasten. Mein guter Ruf ist, dem Himmel sei Dank! beständig ebenso unbefleckt gewesen als mein Leben; und [257] das laß die Falschheit in eigner Person anklagen, wenn sie das Herz hat. Nein, meine liebste Feierlich, so sehr ich gereizt, so sehr ich mißhandelt, so sehr ich in meiner Liebe beleidigt worden bin, so hab ich doch den festen Entschluß gefaßt, in diesem Punkte niemals den geringsten Anlaß zum Tadel zu geben. – Und doch, meine Beste, gibt es Leute, die so hämisch, Zungen, die so giftig sind, daß ihnen die reinste Unschuld nicht entgehen kann. Das absichtsloseste Wort, den zufälligsten Blick, die geringste Vertraulichkeit, oder die unschuldigste Freiheit legt man falsch aus, und diese Dinge werden von gewissen Leuten, ich weiß nicht in was für einer Vergrößerung dargestellt. Aber ich verachte, meine teuerste Feierlich, ich verachte alle solche Verleumdung! Alle dergleichen Bosheit, ich versichre Sie, hat mir noch nie einen Augenblick Unruhe gemacht. Nein, nein, verlassen Sie sich darauf, über so was bin ich erhaben. – Aber wo war ich? Wart' doch, laß mich sehen! Ja, ich sagte Ihnen, mein Herr Ehegemahl war eifersüchtig; und auf wen? ich bitte Sie! – Nun, auf wen sonst, als auf den Leutnant, dessen ich vorhin erwähnt habe? Er sah sich genötigt, mehr als ein Jahr zurückzugehen, um einen Gegenstand für diese unerklärbare Leidenschaft aufzusuchen, wenn es bei ihm wirklich Leidenschaft und nicht vielmehr ein Spiegelgefecht war, um sein Mütlein an mir zu kühlen.

Aber ich habe Ihnen schon mit zu vielen kleinen Umständen Langeweile gemacht! Ich will jetzt meine Geschichte zu einem baldigen Ende bringen. Mit kurzem also, nach verschiedenen Auftritten, welche des Erzählens nicht wert sind, in welchen meine Kousine so tapfer auf meiner Seite stand, daß ihr Herr Fitz Patrick zuletzt die Thüre wies, und als er endlich fand, daß ich weder durch Güte noch Trotz zur Einwilligung zu bewegen sei, schlug er einen wirklich sehr grausamen Weg ein. Vielleicht vermuten Sie, daß er mich geschlagen habe? Bis dahin trieb er's gleichwohl wirklich niemals, obwohl er zuweilen nahe dran war. Er sperrte mich ein in mein Zimmer, ohne mir weder Feder, Tinte, Papier noch Bücher zu gestatten. Eine Magd machte mir jeden Tag mein Bett und brachte mir mein Essen.

Als ich eine Woche in dieser Gefangenschaft zugebracht hatte, machte er mir einen Besuch und fragte mich mit der Stimme eines Schulmeisters, oder, was die meiste Zeit auf eins hinausläuft, eines Tyrannen, ob ich noch nicht nachgeben wolle. Ich antwortete mit festem Mute, daß ich eher sterben wollte. ›Nu so thu das und fahr' zum Satan dazu!‹ schrie er, ›denn aus dieser Kammer sollst du nicht lebendig wiederkommen.‹

Hier blieb ich also noch vierzehn Tage länger, und die Wahrheit zu sagen, war meine Standhaftigkeit beinahe überwunden, und [258] ich begann schon auf Unterwerfung zu denken, als eines Tages in Abwesenheit meines Mannes, der auf eine kurze Zeit ausgegangen war, durch das größte Glück in der Welt sich ein Zufall ergab, und ich – zu einer Zeit, da ich anfing, mich der äußersten Verzweiflung zu ergeben – alles in der Welt würde zu einer solchen Zeit zu entschuldigen sein – zu eben der Zeit erhielt ich – aber ich würde eine Stunde brauchen, Ihnen alle kleinen Umstände zu erzählen – mit einem Worte also (denn ich will Ihnen mit Umständlichkeiten die Zeit nicht lang machen) Gold, der Hauptdietrich zu allen Schlössern, öffnete mir die Thüre und setzte mich in Freiheit. Ich floh in aller Eile nach Dublin, von wo ich mich unverweilt nach England übersetzen ließ, und ich war auf dem Wege nach Bath, um mich in den Schutz meiner Tante oder Ihres Vaters, oder sonst eines Verwandten zu begeben, der mir solchen angedeihen lassen wollte. Mein Mann holte mich vorige Nacht in dem Gasthofe ein, wo ich eingekehrt war, und den Sie ein paar Minuten früher verließen als ich, ich war aber glücklich genug, ihm zu entwischen und Ihnen nachzufolgen.

Und solchergestalt, meine Beste, endigt sich meine Geschichte. Für mich ist sie gewiß tragisch genug, aber vielleicht sollte ich Ihnen vielmehr über ihre langweilige Trockenheit Entschuldigungen machen.«

Sophie holte einen tiefen Seufzer und antwortete: »In Wahrheit, Henriette, ich bedaure Sie vom Grunde meiner Seele. – Aber was konnten Sie andres erwarten? Warum, warum mußten Sie einen Irländer heiraten?«

»Auf mein Wort,« versetzte ihre Kousine, »Ihr Tadel ist ungerecht! Es gibt unter den Irländern ebenso würdige und ehrliebende Männer, als es unter den Engländern geben kann, sogar ist, wenn man die Wahrheit sagen will, Geistesgroßmut unter ihnen gemeiner als unter jenen. Ich habe aber noch überdem dort einige Beispiele von guten Ehemännern gesehen, und daran ist, wie ich glaube, in England eben kein Ueberfluß. Fragen Sie mich lieber, was ich bessres erwarten konnte, da ich einen einfältigen Narren heiratete, und dann will ich Ihnen eine feierliche Wahrheit sagen: ich wußte nicht, daß er einer war.« – »Kann also kein Mann,« sagte Sophie mit einer sehr gedämpften und beklommenen Stimme, »nach Ihrer Meinung ein schlechter Ehemann sein, der nicht ein einfältiger Narr ist?« – »Das,« antwortete die andre, »wäre nun wohl eine zu allgemeine Verneinung, aber ich glaube, von keinem ist es so wahrscheinlich, als von einem Narren. Unter meinen Bekannten sind die seichtesten Köpfe die schlechtesten Ehemänner, und ich will es wagen, als eine Thatsache zu behaupten, daß ein Mann [259] von Verstande sehr selten schlecht mit einer Frau umgeht, die es besser verdient.«

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Ein fürchterlicher Lärm im Gasthofe, nebst der Ankunft eines unerwarteten Freundes der Madame Fitz Patrick.


Sophie erzählte jetzt auf Verlangen ihrer Kousine, – nicht was folgt, sondern was in dieser Geschichte vorhergegangen ist. Deshalb wird mich der Leser, wie ich voraussetze, entschuldigen, daß ich's nicht noch einmal wiederhole.

Eine Anmerkung kann ich mich unterdessen nicht entbrechen über ihre Geschichtserzählung zu machen, nämlich, daß sie von Anfang bis Ende derselben des Herrn Jones ebensowenig Erwähnung that, als ob eine solche Person gar nicht in der Welt gewesen wäre. Dies verlang' ich nun ebensowenig zu erklären als zu entschuldigen. In der That, wenn man dies eine Art von künstlicher Zurückhaltung nennen kann, so scheint man solche um so weniger entschuldigen zu können, da die andre Dame so unbefangen und treuherzig redlich bei ihrer Erzählung zu Werke gegangen war. Aber so war's nun einmal.

Eben als Sophie zum Schlusse ihrer Geschichte gelangte, erklang in dem Zimmer, wo die beiden Damen saßen, ein Getöne, dem lauten Schalle nach nicht ungleich dem Geläute von einer Koppel Jagdhunde, die eben aus dem Stalle gelassen werden, noch dem Gekreische nach, dem Gemaue der Katzen, wenn sie ihr Liebesfest feiern, oder dem Gesange der Nachteulen, oder eigentlich gleicher noch (denn welches Tier könnte an solch eine, vox humana reichen) jenen Tönen, welche in gedrängreichen Städten, wohin die Meerbewohner aller Arten, klein und groß, in unermeßlichen Scharen gefangen geführt werden, von den farblosen Lippen, wohl auch von den verschlemmten Nasen dieser Fleet- und Wassernymphen, vor alters benamset Napäen oder Najaden, jetzt in gemeine Sprache verdolmetscht Auster- und Fischweiber, hervorquieken. Denn wenn sie anstatt der Libation an Milch, Honig und Oel, ausgegossen ihren alten Ururgroßmüttern, jetzt die reichlichen Morgenopfer von ihren Geweihten an feurigen Geistern aus Wacholder, Malz- oder Weinträbern empfangen, mit Wohlbehagen genossen haben, und nun eine verwegene Zunge mit unheiliger Frechheit ihre Bescherungen profanieren, das heißt, tadeln sollte: die Auster delikat und lebendig; die pralle Scholle, noch heute erst gebracht; den Stint, frisch eben aus dem Wasser gekommen; die leckre Sture, fett wie eine Quabbe; [260] den Schellfisch, eben erst abgestanden vor kaum einer Stunde; oder irgend einen andern von den mancherlei Schätzen, welche jene Wassergottheiten, die im Meer und Flüssen fischen, zur weitern Verbreitung den Nixen anvertraut haben: so erheben die zürnenden Najaden ihre unsterblichen Stimmen, und der profane Lästerer muß büßen am Gehör die Sünden seiner Zunge. So war das Geläute, welches jetzt von einem der untern Zimmer heraufdrang, und bald begann der Donner, welcher lang in der Ferne gegrummelt hatte, näher und näher zu kommen, bis er die Treppen erstieg und endlich in das Zimmer brach, woselbst sich die Damen befanden. Kurz, alle Metaphern und Figuren hintangesetzt, nachdem die Zofe Honoria in der untern Flur lange heftig gescholten und damit den ganzen Weg die Treppen hinauf nicht aufgehört hatte, trat sie in ausgelassenster Wut zur Herrschaft ins Zimmer und kreischte: »Was thun Ihr Gnaden meinen? Sollten's sich einbilden, daß der ausverschämte Schubbjack, der Wirt vom Hause, so ausverschämt ist und mir gesagt hat, ja! und mir's in mein Angesicht hineinlügen wollte, Ihr Gnaden wären das ruppige, stinkige Mensch (Jenny Cameron heißt er s'e), das mit 'n Prätendenten im Lande 'rumläuft? Ja, ja! der verlogene, der verwegene Schrubber von Kerl hat's Herz, mir zu sagen, Ihr Gnaden hätten's ihm selbst gestanden, daß Sie's wären, aber ich habe den Schuft gekrallt, sein Klotzgesicht soll die Kerben von meinen Nägeln nicht ausheilen. Meine Fröln, sagt' ich, du faulschnauziger Lump, meine Fröln ist kein Bissen für'n Prätendenten. 's ist ene junge Dame von so vornehmen Stand und Familie, und so reich als nur eine in ganz Sommersetshire. Hast du Kerl niemals vom reichen Junker Western gehört, he? 's ist sein einzig Kind, das ist s'e – und erbt alle seine großen Güter. – Meine Fröln sollte solch'n Kerl 'ne schottische Rahabshure nennen. – Meiner Ehr, ich wollte, ich hätt'n mit 'n Punschnapf sein Kalbshirn aus'n Kopf geschlagen!« Die hauptsächlichste Unruhe, welche Sophien bei dieser Gelegenheit ergriff, hatte Honoria selbst dadurch veranlaßt, daß sie in ihrem Eifer entdeckt hatte, wer sie war. Weil unterdessen dieser Irrtum des Wirts seine vorigen Reden erklärte, welche Sophie mißverstanden hatte, so verschaffte ihr dies in jener Rücksicht einige Beruhigung, und im ganzen genommen konnte sie sich des Lächelns nicht enthalten. Hierüber ward Honoria noch ärger aufgebracht und sie schrie. »Nun, meiner Ehr, Ihr Gnaden, ich hätte nicht gedacht, Ihr Gnaden würden dabei was zu lachen gefunden haben. Meiner Ehr, sich von einem so gemeinen Lumpenkerl von Hanswurst eines Prätendenten Metze heißen lassen! Ihr Gnaden können m'r böse sein, ja warum nicht? weil ich Ihre Partei genommen. Freie Dienste haben schlechten Lohn, sagen sie ja; aber meiner [261] Ehr! mag's leiden wer will, 'ch kann's nicht! Meine Fröln, der ich was aufwarte, muß Keimmand vor'ne Metze halten! Ich will's nicht leiden. Das will ich nicht. Ich weiß es, meiner Ehre, Ihr Gnaden sind eine so tugendsame Fröln, als auf Gottes Erdboden mit Füßen treten kann, und 'en jeglichen Schurken will ich d' Augen aus 'n Kopfe kratzen, der so verwegen ist und sich's unterstehen will, 's anders zu sagen! Bis diese Stunde hat noch nicht en Mensch en Unwort auf die Ehre ener Dame zu sagen gewußt, der ich was aufgewartet habe.«

Hinc illae lacrymae; in gemeiner Mundart zu sagen: Honoria hatte gerade so viel Liebe für ihre Gebieterin, wie die meisten Bedienten zu haben pflegen, das heißt – –. Außer diesem aber nötigte sie ihr Stolz, den Charakter der Dame, welcher sie diente, im Ansehen zu erhalten, denn sie meinte, ihr eigner sei mit demselben sehr genau verwebt. Nach eben dem Verhältnis, wie der Charakter ihrer Gebieterin, wäre auch der ihrige, wie sie sich einbildete, erhaben; und im Gegenteile, dachte sie, könnte der eine ohne den andern nicht heruntergesetzt werden.

Bei diesem Vorfall, lieber Leser, muß ich einen Augenblick still stehen, um dir ein Geschichtchen zu erzählen. Als die berühmte Lorchen Gwynn eines Tages vor einem Hause, wo sie einen kurzen Besuch abgelegt hatte, in ihre Kutsche stieg, sah sie eine Menge Johann Hagel versammelt und ihren Bedienten voller Blut und Gassenkot. Als der Bursche von seiner Herrschaft befragt ward, was die Ursache wäre, warum man ihn so zugerichtet hätte, antwortete er: »Ich habe mich da mit einem unverschämten Schurken herumgeschlagen, Madame, der Sie vor eine Hure schalt.« – »Er ist ein Pinsel,« versetzte Madame Gwynn, »wenn er so will, so muß er sich alle Tage seines ganzen Lebens schlagen. Herr Geck! die ganze Welt weiß es ja.« – »Weiß sie das?« sagte der Bursche zwischen den Zähnen murmelnd, nachdem er die Kutschthüre zugemacht hatte. »Meinetwegen, aber sie sollen mir doch nicht sagen, daß ich bei einer Hure diene, ich!«

Also schien Honorias Zorn natürlich genug, wenn man solchen auf keine andre Art erklären könnte; aber es war wirklich noch eine andre Ursache ihres Zornes im Rückhalt. Um solche anschaulich zu machen, müssen wir den Leser bitten, sich eines Umstandes zu erinnern, dessen in dem nachstehenden Gleichnisse gedacht ist. Es gibt wirklich gewisse Flüssigkeiten, die, wenn sie in unsern Zorn oder ins Feuer gegossen werden, gerade die entgegenstehende Wirkung des Wassers hervorbringen, weil sie die Flamme vielmehr anfachen und schüren als sie löschen. Unter diesen ist das liebliche Getränk, genannt Punsch, eine. Deshalb war es nicht ohne Ursache, daß der [262] gelehrte Doktor Chenny zu sagen pflegte, Punsch trinken hieße flüssiges Feuer in die Kehle schütten.

Nun hatte Jungfer Honoria unglücklicherweise so viel von diesem flüssigen Feuer in ihre Gurgel gegossen, daß davon der Qualm anfing in ihr Pericranium zu steigen und die Augen der Vernunft zu benebeln, welche daselbst, wie man sagt, ihr Hoflager halten soll, unterdessen daß das Feuer selbst aus dem Magen sehr leicht nach dem Herzen schlug und dort die edle Leidenschaft des Stolzes in Flammen setzte, so daß wir uns, im ganzen genommen, über die heftige Wut der Aufwartejungfer eben nicht weiter wundern werden, ob wir gleich dem ersten Anblick nach gestehen müssen, die Ursache scheine mit der Wirkung in keinem Verhältnis zu stehen.

Sophie und ihre Kousine thaten beide alles, was in ihren Kräften stand, um diese Flamme zu löschen, welche über das ganze Haus so laut gebraust hatte. Endlich und zuletzt glückte es ihnen, oder, um die Metapher noch um einen Schritt weiterzuführen, nachdem das Feuer allen brennbaren Stoff verzehrt hatte, welcher in der Sprache anzutreffen ist, nämlich jeden Ausdruck des Schimpfens und Schmähens, so verlöschte es endlich von selbst.

Wenn aber nun gleich die Ruhe im besten Stockwerke wieder hergestellt worden, so war sie's damit noch nicht auf der untersten Flur, woselbst die Wirtin zum heftigsten aufgebracht über den Schaden, welchen die Schönheit ihres Ehemannes durch die Hand-Eggen der Jungfer Honoria erlitten hatte, aufs lauteste um Rache und Gerechtigkeit schrie. Was den armen Mann anbetraf, welcher vorzüglich in dem Handgemenge gelitten hatte, so war er vollkommen ruhig. Vielleicht hatte das Blut, welches er verloren, seinen Zorn abgekühlt, denn seine Widersacherin hatte nicht bloß ihre Nägel durch seine Wangen gezogen, sondern auch mit ihrer Faust seine Nase bearbeitet, welche die empfangenen Streiche mit mildiglich fließenden blutigen Thränen beklagte. Wir können hierzu noch die Betrachtungen über seinen Irrtum zählen. In der That aber brachte nichts so nachdrücklich seinen Groll zum Stillschweigen, als die Art und Weise, auf welche er jetzt seinen Irrtum inne ward. Denn das Betragen der Zofe hatte ihn nur noch in seiner Meinung bestärkt; allein er ward um diese Zeit von einer Person von hohem Ansehen, die mit einem großen Gefolge angelangt war, versichert, eine von den Damen sei von hohem Stand und ihre genaue Bekannte.

Auf Befehl dieser Person ging der Gastwirt jetzt hinauf und berichtete unsern schönen Reisenden, da unten sei ein vornehmer Herr von Stande, welcher ihnen die Ehre erzeigen und ihnen einen Besuch abstatten wollte. Sophie war bei dieser Botschaft blaß und zitterte heftig, obgleich der Leser schließen wird, sie sei ungeachtet [263] der tölpischen Ausrichtung des Wirtes zu höflich gewesen, um von ihrem Vater zu kommen. Allein die Furcht hat den gewöhnlichen Fehler eines Unterrichters und ist sehr fähig, aus unbedeutenden Umständen einen übereilten Schluß zu ziehen, ohne die beiderseitigen Zeugen zu verhören.

Mehr also um des Lesers Neugierde, als seine Besorgnis zu befriedigen, schreiten wir dazu, ihm Nachricht zu geben, daß noch den Abend vorher sehr spät ein irländischer Peer auf seinem Wege nach London im Wirtshause angelangt war. Diese Standesperson war bei dem vorerzählten Sturme von ihrem Abendessen aufgestanden, hatte bei dieser Gelegenheit die Aufwärterin der Madame Fitz Patrick zu sehen bekommen, und mit wenigen Worten die Nachricht von ihr eingezogen, daß ihre Dame, mit welcher er sehr genau bekannt war, sich oben im Hause befände. Diese Nachricht hatte er nicht so bald erhalten, als er sich an den Hauswirt wendete, ihn zufrieden stellte und ihn mit einem Kompliment hinaufschickte, welches viel höflicher lautete als das, was der Wirt wirklich ausrichtete.

Vielleicht wundert man sich darüber, daß die Kammerjungfer nicht selbst gewählt wurde, bei dieser Gelegenheit das Geschäft auszurichten, aber mit Leidwesen müssen wir's sagen, sie befand sich jetzt weder zu diesem noch irgend einem andern Dienste im stande. Der Rum (denn so beliebte es dem Wirte, die Destillation aus Malz zu nennen) hatte die Gelegenheit der Ermüdung des armen Mädchens von seiner Reise erschlichen und in ihren edlen Fähigkeiten und Kräften zu einer Zeit, da solche dem Angriff nicht zu wider stehen vermochten, eine jämmerliche Verheerung angerichtet.

Diesen tragischen Auftritt wollen wir nicht der Länge nach beschreiben, allein nach der historischen Wahrheitsliebe, zu welcher wir uns bekennen, hielten wir uns für verbunden, eines Umstandes im Vorbeigehen zu erwähnen, den wir sonst gern ausgelassen hätten. Manche Geschichtsschreiber überlassen öfters dem Leser, in Ermangelung dieser Wahrheitsliebe oder des gehörigen Fleißes, im nichts Schlimmeres zu sagen, dergleichen kleine Umstände aus der Dunkelheit hervorzusuchen, und versetzen sie dadurch zuweilen in große Verwirrung und Verlegenheit.

Sophie ward ihrer grundlosen Furcht durch den Eintritt des irländischen Herrn Reichsgrafen sehr bald entledigt: dieser war nicht nur von Madame Fitz Patrick ein sehr guter Bekannter, sondern auch wirklich ein sehr vertrauter Freund. Der Wahrheit zu Ehren müssen wir sagen, daß es vermittelst seines Beistandes war, daß sie in den Stand gesetzt worden, den Händen ihres Gemahls zu entkommen; denn der Herr Graf folgte eben den tapfern Gesinnungen jener berühmten Ritter, wovon wir in den Heldenbüchern[264] lesen, und hatte schon manche bedrückte und bedrängte Nymphe aus ihren Trübsalen erlöst. Er war wirklich ein eben so bittrer Feind der wilden Oberherrschaft, welche Ehemänner und Väter nur zu oft über die jungen liebenswürdigen Personen des schönen Geschlechts ausüben, als nur jemals ein irrender Ritter es von der barbarischen Gewalt der Riesen und Zauberer sein konnte: ja, die Wahrheit zu sagen, ich habe oft geargwohnt, daß eben diese Riesen und Zauberer, deren es in allen Romanen bei ganzen Haufen gibt, eigentlich nichts andres gewesen sein mögen, als die damaligen Ehemänner; und der Ehestand selbst war vielleicht das bezauberte Schloß, in welchem der Sage nach die Nymphen gefangen gehalten wurden.

Dieser hochadelige Herr hatte ein Gut in der Nachbarschaft des Herrn Fitz Patrick und war schon seit einiger Zeit mit der Dame bekannt gewesen. Sobald er also von ihrer Einsperrung hörte, war er allen Ernstes darauf bedacht, ihre Freiheit zu bewirken. Er beschaffte solche auch sehr bald, nicht durch Bestürmung des Kastells, zufolge des Beispiels der alten Helden, sondern durch Bestechung des Gouverneurs, nach Art und Brauch der neuern Art Krieg zu führen, bei welcher List höher geachtet wird als Tapferkeit, und Gold unwiderstehlicher befunden wird, als Blei oder Stahl.

Weil aber die Dame diesen Umstand nicht für wesentlich genug hielt, um solchen ihrer Freundin zu erzählen, so mochten wir ihn auch damals unserm Leser nicht mitteilen. Wir wollten ihn lieber ein Weilchen bei dem Gedanken lassen, daß sie das Geld, womit sie ihren Kerkermeister bestochen, gefunden, gemünzt oder sonst auf eine außerordentliche, vielleicht gar übernatürliche Weise überkommen habe, als die Erzählung dadurch unterbrechen, daß wir ihm von einer Sache einen Wink geben, die ihr zu unwürdig schien, um sie in ihre Geschichte einfließen zu lassen.

Nach einem kurzen Gespräche konnte sich der Peer nicht enthalten, eine kleine Verwunderung zu äußern, wie er die Dame an diesem Ort anträfe, auch sich ebensowenig entbrechen, ihr zu sagen, er habe geglaubt, sie wäre nach Bath gegangen. Madame Fitz Patrick antwortete sehr freimütig, sie wäre an ihrem Vorsatze durch die Ankunft einer Person, welche sie nicht zu nennen brauchte, verhindert worden: »Kurz,« sagte sie, »mein Ehemann holte mich ein; denn wozu sollt' ich mich zieren, eine Sache zu verhehlen, welche die Welt bereits nur allzugut weiß? Ich hatte das Glück, ihm auf eine höchst wundersame Weise zu entwischen, und bin nun auf dem Wege nach London mit dieser jungen Dame, welche meine nahe Verwandte ist, und die einem ebenso großen Tyrannen, als der meinige ist, entflieht.«

Seine hochgräfliche Gnaden, welche hieraus schlossen, dieser [265] Tyrann müsse gleichfalls ein Ehemann sein, hielten eine Standrede voller Komplimente an beide Damen, und voller Schmähungen auf sein eigenes Geschlecht; dabei unterließ er auch nicht, einige Seitenhiebe sowohl auf die Einsetzung des Ehestandes selbst, als auf die ungerechte Gewalt fallen zu lassen, welche solche den Männern über die verständigere und verdienstbegabtere Hälfte des Menschengeschlechts erteilt. Er endete seine herrlich gesetzte Rede mit dem Anerbieten seiner Protektion nebst seiner sechsspännigen Kutsche, welches beides ohne Bedenken von Madame Fitz Patrick, und endlich auch auf ihr Zureden von Sophien angenommen wurde.

Nachdem die Sachen solchergestalt berichtigt waren, beurlaubten sich Seine hochgräfliche Gnaden, und die Damen begaben sich zu Bett, woselbst Madame Fitz Patrick ihre Kousine mit vielen hohen Lobsprüchen über den Charakter dieses hochadeligen Herrn unterhielt und sich besonders über seine große Zärtlichkeit gegen seine Gemahlin verbreitete, da sie unter anderm sagte, sie glaubte, er wäre fast der einzige Mann seines hohen Standes, welcher beständig seinem Ehebette völlig treu gewesen. »In der That,« fügte sie hinzu, »meine teure Sophie, unter Männern von höherm Adel ist dies eine sehr seltene Tugend. Erwarten Sie solche ja nicht, wenn Sie sich verheiraten, denn glauben Sie mir's, wenn Sie sich darauf Rechnung machen, so werden Sie gewiß betrogen!«

Ein stiller Seufzer entstahl sich Sophiens Brust bei diesen Worten, welche vielleicht das ihrige beitrugen, einen Traum von eben nicht angenehmer Gattung zu bilden; weil sie aber keinem Menschen diesen Traum entdeckt hat, so kann auch der Leser nicht erwarten, ihn hier erzählt zu finden.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Beschreibung des Morgens im blumenreichen Stil. Eine ordentliche Postkutsche. Höflichkeit der Kammerjungfern. Sophiens Heldenmut und Großmut. Abreise der Gesellschaft und ihre Ankunft zu London, nebst einigen Bemerkungen zu Nutz und Frommen reisender Personen.


Jene Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, geboren die Erquickungen des Lebens zu erzielen, begannen jetzt ihre Lampen und Lichter anzuzünden, um ihren täglichen Geschäften zum Dienste derer nachzugehen, welche geboren sind, diese Erquickungen zu genießen. Der stämmige Pflüger wartet jetzt auf bei dem Lever seines Gespannes am Landbau, des Ochsen; der grübelnde Künstler, der fleißige Handwerker, springen auf von ihren harten Matratzen, und nun beginnt die wackere Hausmagd die verpolterten Spielzimmer wieder [266] aufzuräumen und zu putzen, derweil die nachtschwärmenden Urheber dieser Unordnung in kurzem unterbrochenen Schlummer sich herumwälzen und werfen, als ob die Härte der Flaumfedern ihre Ruhe unterbräche.

Im kunstlosen Ausdruck: die Glocke hatte kaum sieben geschlagen, als die Damen reisefertig waren, und als auf ihr Begehren der Herr Graf und seine Equipage bereit stunden, ihre Aufwartung zu machen.

Und nun erhob sich eine kleine Schwierigkeit, und diese war, wie Seine hochgräfliche Gnaden selbst fortkommen sollten? Denn obgleich in den ordinären Postkutschen, wo die Passagiere eigentlich nur für so manches Stückchen Gepäcke geachtet werden, der sinnreiche Postillion ein halbes Dutzend mit aller Bequemlichkeit in einen Platz für Viere hineinstopft; denn er weiß es sehr künstlich zu machen, daß die fette Gastwirtin, der wohlbeleibte Aldermann nicht mehr Raum bekommen, als das enggeschnürte Jüngferlein oder der schlanke Stangenläufer, weil es in der Natur der Gedärme liegt, daß sie, wenn man sie scharf drückt, nachgeben, und sich in einen engen Raum bequemen: so hat man doch noch nie versucht, diese Art zu packen, in jenen Fuhrwerken zu versuchen, welche man zum ehrenvollen Unterschiede herrschaftliche Kutschen nennt, obgleich sie oft geräumiger sind als die andern.

Der edle Graf wollte dieser Schwierigkeit dadurch ein baldiges Ende machen, daß er sich sehr höflicherweise die Erlaubnis ausbat, sein Reitpferd zu besteigen; darein wollt' aber Madame Fitz Patrick keineswegs willigen. Sonach ward beschlossen, daß die Zofen wechselsweise einander ablösen, und des Herrn Grafen Pferd reiten sollten, welches also zu dem Ende ungesäumt mit einem Quersattel belegt wurde.

Nachdem in dem Gasthofe alles berichtigt worden, entließen die Damen ihre bisherigen Pferde und Vorreiter, und Sophie machte dem Gastwirt ein Geschenk, teils um die blauen Flecken zu waschen, welche er unter ihrer eignen Person, bekommen hatte, teils um die Schmerzen zu vergüten, welche er unter den Händen ihrer wütenden Kammerjungfer erlitten hatte. Und jetzt erst entdeckte Sophie einen Verlust, der ihr einige Unruhe verursachte, und dieser bestand in der Banknote von hundert Pfund, womit ihr Vater sie bei ihrer letzten Unterredung beschenkt hatte, und welche nebst einer andern unbedeutenden Kleinigkeit den ganzen Reichtum ausmachte, den sie für jetzt besaß. Sie suchte allenthalben, kehrte und schüttelte alle ihre Taschen durch und durch, aber vergebens; die Banknote war nirgends zu finden, und Sophie wurde zuletzt völlig überzeugt, daß sie solche aus der Tasche verloren hätte, als sie das Unglück [267] hatte, auf dem dunkeln Anger vom Pferde zu fallen, wie wir damals anzeigten. Ein Faktum, das um so wahrscheinlicher schien, da sie sich erinnerte, daß damals eine Unordnung in ihren Poschen vorgefallen, und daß sie kurz vor ihrem Falle große Schwierigkeiten gehabt hätte, das Tuch hervorzuziehen, welches sie Madame Fitz Patrick gegeben, um damit ihr Kasket festzubinden. Unglücksfälle von dieser Art, was für Ungelegenheiten solche auch nach sich ziehen können, sind ohne Zusatz von Geiz nicht vermögend ein Gemüt niederzuschlagen, in welchem sich nur irgend einige Stärke befindet. Sophie also, ob ihr gleich in ihrer Lage nichts unzeitiger begegnen konnte als dieser Zufall, brauchte nicht viele Zeit, um diesen Kummer zu besiegen, und kehrte mit gewöhnlicher Heiterkeit und Munterkeit zur Gesellschaft zurück. Der Herr Graf führte die Damen in den Wagen, gleichergestalt auch Jungfer Honoria, welche nach vielen höflichen Zierereien, und noch mehreren ach liebste Mamsell! am Ende dem lebensartigen Weigern und Nötigen ihrer Schwester Abigail nachgab, und sich die Ehre gefallen ließ, die erste Station über den untersten Ehrenplatz in der Kutsche zu nehmen. Und in der That würde sie sich eben nicht drüber erzürnt haben, solchen die ganze Reise über auszufüllen, hätte nicht ihre Gebieterin nach verschiedenen fruchtlosen halben Worten und Winken, sie endlich deutlich genötigt, mit ihrer Gespons zu Pferde im Reiten zu wechseln.

Nachdem nunmehr die Kutsche ihre Gesellschaft aufgenommen hatte, rückte sie vorwärts unter Begleitung von vielen Bedienten und von zwei Offizieren auf halben Sold, welche vorher mit dem Herrn Grafen im Wagen gesessen hatten und sich bei einem weniger ehrenvollen Anlaß, als diesen zwei würdigen Damen Platz zu machen, daraus hätten verabschieden lassen. Hierin thaten sie weiter nichts, als was wackern Männern geziemt; sie waren aber zu jeder Zeit bereit und willig Lakaiendienste zu verrichten, oder hätten sich auch wohl noch etwas tiefer herabgelassen, bloß wegen der Ehre von Seiner hochgräflichen Gnaden Gesellschaft und wegen der Bequemlichkeit seiner Tafel.

Der Herr Gastwirt war so vergnügt über das Geschenk, welches er von Sophiens Händen empfangen hatte, daß er sich über seine Flecken und Striemen mehr freute als beklagte. Der Leser ist vielleicht neugierig, das Quantum dieses Geschenks zu erfahren, wir können aber seine Neugierde nicht befriedigen. Sei es gewesen, wie viel es wolle, es stellte den Wirt über seinen am Körper genommenen Schaden zufrieden, aber das bedauerte er, nicht vorher gewußt zu haben, wie wenig die Dame sich aus dem Gelde mache, »denn,« sagte er, »man hätte sicherlich jeden Artikel doppelt ansetzen können, und sie würde doch nichts an der Rechnung abgedungen haben.«

[268] Seine Hausehre war indessen weit entfernt ebenso zu schließen wie er. Ob sie nun wirklich eine jede ihrem Manne angethane Beleidigung empfindlicher fühlte als er selbst, das kann ich nicht sagen; gewiß aber ist, sie war mit Sophiens Freigebigkeit weit weniger zufrieden. »In der That, lieber Mann,« sagte sie, »die Dame weiß besser, wie sie ihr Geld anwenden soll, als du wohl meinst, sie konnte sich leicht einbilden, daß wir für nichts und wieder nichts solch einen Schimpf nicht hingehen lassen wollten, und ein Injurienprozeß müßte ihr einen großen Haufen mehr gekostet haben, als die armselige Kleinigkeit, über die ich mich wundere, daß du sie dir hast in die Hand stecken lassen können.« – »Du, du bist immer so klug, als ob du könntest Gras wachsen hören,« sagte der Herr Ehgemahl. »Mehr würd' es ihr gekostet haben? So! hm! Meinst wohl, ich wüßt' das nicht ebensogut als du? Aber, wäre das mehr oder auch nur so viel in unsern Sack gekrümelt! Ja, wenn so ein Thoms der Advokat noch gelebt hätte, so hätt' ich mir über die Gelegenheit noch eine Freude machen können, ihm einen so hübschen fetten Triefbraten in die Hände zu spielen. Es wäre noch hübsch dabei zu stippen gewesen, aber so hab' ich keinen Verwandten, der ein Jurist ist, und sollt' ich mich mit Prozessen einlassen, um einem ganz wildfremden Menschen etwas zu verdienen zu geben?«

»Ja, nu wohl, freilich!« antwortete sein Eheschatz, »du mußt es am besten wissen.« – »So mein' ich, wüßt' ich auch!« erwiderte er. »Wo Geld zu holen ist, sollt' ich denken, hätt' ich eben eine so gute Spürnase als nur einer. Nicht jedermann, das laß dir nur sagen, hätte dies aus den Leuten herausgeschwatzt. Merk' dir das! nicht jedermann sag' ich, hätt' ihr so viel abgekoset, merk' dir das.« Die Frau stimmte nun mit ein in den Beifall, den ihr Ehemann seiner eignen Schlauigkeit gab, und damit endete sich ihr kurzes Gespräch bei dieser Veranlassung.

Wir wollen also von diesen guten Leuten hiermit Abschied nehmen und dem hochgebornen Herrn Grafen und seinen Gefährtinnen Gesellschaft leisten, welche mit solcher Hurtigkeit reisten, daß sie binnen zwei Tagen einen Weg von beinahe vierzig Stunden zurücklegten und des andern Abends, ohne daß ihnen unterwegs ein Abenteuer aufgestoßen, welches zu erzählen der Würde dieser Geschichte angemessen wäre, wohlbehalten in London ankamen. Unsre Feder soll deshalb die Schnelligkeit nachahmen, welche sie beschreibt, und unsre Geschichte soll Schritt halten mit den Reisenden, die ihr Gegenstand sind. Gute Schriftsteller thun wirklich wohl, wenn sie es in diesem Stücke machen wie der verständige Reisende, der allemal seinen Aufenthalt an einem Orte nach den Schönheiten und Merkwürdigkeiten, welche er enthält, abmißt. Zu Eshur, zu [269] Stowe, zu Wilton, zu Eastbury und Priorspark sind ganze Tage zu kurz für die entzückte Imagination, wenn wir die Zauberkraft der Kunst bewundern, womit sie die Natur zu verschönern vermag. An einigen dieser Plätze zieht die Kunst hauptsächlich unsre Bewunderung auf sich, in andern ringen Natur und Kunst um unsern Beifall; in dem letztern Orte aber scheint die erste den Sieg davonzutragen, hier erscheint die Natur in ihrem prachtvollsten Gewande, und die Kunst in der bescheidensten Einfalt gekleidet tritt hinter ihrer milden Gebieterin einher. Hier schüttet die Natur wirklich die ausgesuchtesten Schätze aus ihrem Füllhorn, womit sie so mildgebend gegen diese Welt ist, und hier weist die menschliche Natur einen Gegenstand auf, welcher nur in jener übertroffen werden kann. Eben der Geschmack, eben die Einbildungskraft, welche in diesen herrlich geschmückten Szenen in Geistes-Wollust schwimmen, können auch ihre Unterhaltung finden an Gegenständen von weit niederem Gehalt. Die Wälder, die Bäche, die Wiesen von Devon und Dorset ziehen die Augen des verständigen Reisenden auf sich und verzögern seine Schritte, welchen Verzug er nachmals dadurch wieder einbringt, daß er schnell hinwandelt über die kahlen Bagshotter Heiden, oder die liebliche Ebene, die sich von Stockbridge westwärts hinzieht, auf welcher in einer Strecke von vier Stunden sich kein Gegenstand erblicken läßt, als ein einziger einsamer Baum, es sei denn, daß die Wolken aus Mitleiden mit unsern vor langer Weile vergehenden Gedanken ihren buntgemalten Teppich zum Prospekt für unsre Augen gütig ausbreiteten.

Nicht also reist der geldspähende Kaufmann, der tiefdenkende Richter, der ehrenbegabte Doktor, der warmbekleidete Viehhändler, nebst der ganzen zahlreichen Sippschaft des Reichtums und der Fühllosigkeit. Fort watscheln sie mit gleichem Schritt durch schmelzbeblümte Wiesen, wie über kahle dürre Heiden; ihre Rosse messen gleiche Anzahl von Schritten von Stunde zu Stunde, und irren wenig oder nichts in der abgemessenen Zahl; das Auge des Tiers und das Auge seines Herrn sehen in gleicher gerader Richtung vor sich hin, und sind beschäftigt einerlei Gegenstände auf einerlei Weise zu schauen. Mit einerlei Entzücken beguckt der gute Reiter den stolzesten Triumph der Baukunst und jene niedlichen Gebäude, womit irgend ein unbekannter Name die reiche Weberstadt geschmückt hat, woselbst Haufen von gebrannten Ziegeln aufgestapelt stehen, als sollten sie zu einer Art von Denkmal dienen, daß dort ehedem aufgestapelte Geldhaufen gestanden haben.

Und nun, mein Leser, weil wir große Eile haben, unsrer Heldin die Aufwartung zu machen, so wollen wir's deinen eignen Einsichten überlassen, alles das Gesagte auf die poetischen Büchermacher und [270] auf solche Schriftsteller, die ihre Gegenfüßler sind, richtig anzuwenden. Dies wirst du mehr als reichlich im stande sein, ohne unsre Hilfe zu verrichten. Denn ob wir dir gleich allemal an schweren Stellen den erforderlichen Beistand leisten wollen, weil wir nicht, wie wohl andre pflegen, von dir erwarten, daß du Wahrsagerkünste anwenden könnest um unsre Meinung zu entdecken, so sind wir doch nicht gesonnen alsdann deiner Faulheit ein Polster unterzulegen, wenn nichts weiter als deine eigene Aufmerksamkeit dazu gehört. Denn du irrst dich weidlich, wenn du dir einbildest, wir wären, als wir dies große Werk begannen, des Vorsatzes gewesen, deinem Nachdenken gar nichts zu thun zu lassen, oder wir hätten gedacht, du würdest, ohne dies Talent im geringsten zu üben, fähig sein, durch unsre Seiten und Bogen mit irgend einigem Nutzen oder Vergnügen hindurchzureisen.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Ein oder ein paar kurz hingeworfene Gedanken über Tugend, und noch ein paar mehr über Argwohn.


Als unsre Gesellschaft zu London angelangt war, stieg sie ab in dem Hause des Herrn Grafen, aus welchem, unterdessen sie sich von der Ermüdung der Reise durch einige Erfrischungen erquickten, einige Bediente fortgesandt wurden, um den Damen eine Behausung zu verschaffen. Denn weil die Frau Gräfin sich nicht in der Stadt befanden, so wollte sich Madame Fitz Patrick schlechterdings nicht bewegen lassen, ein Bett im Hotel des Peers anzunehmen.

Einige Leser werden vielleicht diese außerordentliche Delikatesse der Tugend, wie ich es nennen möchte, als gar zu überspannt und gewissenhaft verurteilen, aber wir müssen ihr wegen ihrer Lage etwas zugute halten, von der man gestehen muß, daß sie sehr heiklich war, und wenn wir die Bosheit der Lästerzungen in Betrachtung ziehen, so müssen wir zugeben, daß der Fehler, wofern es ein Fehler genannt zu werden verdient, eine Uebertreibung am rechten Orte gewesen, und welchen jedes Frauenzimmer, das sich in eben der Lage befindet, sehr wohl thun wird nachzuahmen. Die pünktlichste Formalität beim äußern Scheine der Tugend, wenn sie weiter nichts als bloßer Schein ist, mag vielleicht in sehr abstraktem Betracht nicht so viel Lob zu verdienen scheinen, als die Tugend selbst ohne diese Formalität. Indessen wird sie doch allemal mehr Lob erhalten und so viel, glaub' ich, wird von jedermann zugestanden werden, daß es nötig sei, daß jedes Frauenzimmer, einige sehr wenige besondere Fälle ausgenommen, die eine oder die andere beibehalte.

[271] Nachdem ein Logis besorgt war, begleitete Sophie ihre Kousine auf diese Nacht, beschloß aber des andern Morgens beizeiten die Dame aufzusuchen, in deren Schutz sie, wie wir bereits vorhin erwähnt haben, als sie ihres Vaters Haus verließ, sich zu begeben vorgesetzt hatte, und dies war sie wegen einiger Bemerkungen, die sie während der Reise in der Kutsche gemacht hatte, um so begieriger ins Werk zu setzen.

Da wir nun aber um vieles nicht Sophiens Charakter in den Verdacht des Argwohns bringen möchten, so fürchten wir uns fast, unsern Leser die wunderlichen Gedanken sehen zu lassen, welche ihr über Madame Fitz Patrick im Kopfe herumgingen, über die sie gewiß jetzt bei sich einige Zweifel unterhielt, welche, da sie sich sehr leicht in dem Busen der schlechtesten Leute einschleichen können, wir hier nicht für dienlich erachten etwas deutlicher zu äußern, bis wir vorher unsrem Leser ein paar Worte über den Argwohn überhaupt werden gesagt haben.

Mir hat es immer geschienen als ob er zwei Grade habe. Den ersten bin ich geneigt aus dem Herzen herzuleiten, weil die außerordentliche Schnelligkeit, womit er auf seine Entdeckung ausgeht, einen gewissen vorläufigen innern Drang anzuzeigen scheint, und noch um so mehr, weil dieser höchste Grad sich sein Objekt selbst schafft, sieht was nicht da ist, oder wenigstens allemal mehr als was wirklich vorhanden ist. Dies ist jene schnellsichtige Spitzfindigkeit, deren Habichtsaugen kein Merkmal von Verdächtigkeit entwischen kann, welche nicht nur über die Handlungen, sondern über die Worte und Blicke der Menschen ihre Grübeleien anstellt, und, da sie aus dem Herzen des Beobachters entspringt, bis zu dem Innersten des Herzens des Beobachteten eindringt und daselbst das Uebel, sozusagen den ersten Embrio ausspäht, ja, zuweilen sogar noch ehe man sagen kann, es sei empfangen worden. Eine bewundernswürdige Kraft des Geistes wäre es, wenn sie unfehlbar wäre, allein da auf diesen Grad von Vollkommenheit nicht einmal mehr als ein einziger Sterblicher Anspruch macht, so ist aus der Fehlbarkeit solcher äußerst scharfen Ausspähung manches traurige Unheil und sehr bittere Herzenskränkung für Unschuld und Tugend entstanden. Ich kann also nicht umhin, dieses sehr schnelle Erblicken des Verdächtigen als eine schnelle Voreiligkeit und ein wirkliches sehr verderbliches Uebel an sich selbst zu betrachten. Und zu dieser Meinung werde ich um so mehr bewogen, als ich besorge, dies Uebel habe allemal seinen Grund in einem schlechten Herzen, aus Ursachen, die ich bereits oben angeführt habe, und noch aus einer mehr, weil ich solches nie bei einem guten wahrgenommen habe. Von diesem Grade des Argwohns aber spreche ich Sophien im allergenauesten Verstande völlig frei.

[272] Der zweite Grad dieser Eigenschaft scheint seine Quelle im Kopfe zu haben. Dieser ist in der That nichts weiter als die Fähigkeit, das zu sehen, was vor unsern Augen liegt, und aus dem was wir sehen Schlüsse zu ziehen. Das erste von beiden läßt sich von niemand vermeiden, der nur Augen hat, und das zweite ist vielleicht eine ebenso gewisse und unvermeidliche Folge davon, daß wir Gehirn haben. Dieser zweite Grad ist fast ein ebenso großer Feind der Schuld, als der erste ein Feind der Unschuld ist; auch kann ich solchen in keinem verhaßten Lichte betrachten, wenn er auch aus menschlicher Schwachheit zuweilen irrig sein sollte. Wenn zum Beispiel ein Ehemann zufälligerweise seine Frau auf dem Schoße und in der Umarmung eines jener artigen jungen Herren anträfe, welche immer ihre Taschen voller Aufnahmepatente für Ehemänner in den uralten Orden vom Hirschgeweih haben, so glaube ich, könnte ich ihn eben nicht tadeln, wenn er aus den besondern Vertraulichkeiten, die er wirklich gesehen und gegen die wir schon tolerant genug sind, wenn wir solche unschuldige Freiheiten nennen, auf noch etwas mehr schlösse, als was er wirklich sah. Der Leser wird sich leicht selbst auf einen Ueberfluß von dergleichen Beispielen besinnen, und ich will nur noch eins hinzufügen, das von einigen für sehr unchristlich gehalten werden mag, welches ich aber nicht umhin kann, im strengsten Verstande zulässig zu finden; und dies ist der Argwohn, daß ein Mensch fähig sei, dasjenige wieder zu thun, was er schon einmal gethan hat, und daß es für denjenigen, der einmal ein Schurke gewesen, wohl möglich sei, dieselbige Rolle wieder von neuem zu spielen. Und, die Wahrheit zu gestehen, dieses Grades von Argwohn, denk' ich, war Sophie schuldig. Nach diesem Grade von Argwohn war sie wirklich auf die Meinung geraten, ihre Kousine möchte wohl nicht so ganz glaubenfest sein.

Dies mochte, wie es scheint, folgendergestalt zugegangen sein: Madame Fitz Patrick überlegte sehr weislich, daß die Tugend eines jungen Frauenzimmers in der Welt, sich in einerlei Lage mit einem armen Hasen befinde, welcher gewiß ist, seinem Feinde aufzustoßen, sobald er nur sein Lager verläßt, denn schwerlich kann er einem andern begegnen. Sie hatte also nicht so bald den Entschluß gefaßt, die erste Gelegenheit wahrzunehmen, den Schutz ihres Ehegatten aufzugeben, als sie sich vornahm, sich unter den Schutz irgend eines andern Mannes zu werfen, und wen könnte sie mit mehr Schicklichkeit zu ihrem Schirmvogte wählen, als eine Person vom hohen Adel, von Vermögen und Ehre, und der noch neben einer galanten Art zu denken, welche die Männer zur irrenden Ritterschaft neigt, das heißt den Damen in ihren Nöten beizuspringen, ihr dazu noch eine heftige Zuneigung zu ihr erklärt und ihr davon bereits [273] alle die Proben gegeben hatte, die nur in seinem Vermögen standen.

Weil aber die Gesetze des Landes thörichterweise das Amt eines Vice-Ehemannes oder eines Schirmvogts für eine entlaufene Ehefrau vergessen haben, und weil die Bosheit fähig ist, diese Aemter mit unangenehmeren Benennungen zu belegen, so ward beschlossen, daß Seine hochgräfliche Gnaden der Dame alle diese Liebesdienste ganz insgeheim erweisen sollten, und ohne öffentlich den Charakter ihres Beschützers anzunehmen. Ja, um zu verhindern daß er keinem Menschen als solcher bekannt würde, war man übereingekommen, die Dame sollte geradeswegs nach Bath, der Herr Protektor aber erst nach London und von da, auf Anraten der Aerzte, nach eben diesem Orte gehen.

Nun hatte Sophie dieses alles sehr deutlich verstanden, freilich nicht alles aus dem Munde oder aus dem Betragen der Madame Fitz Patrick, sondern von dem edlen Peer, der ungleich weniger geübt war ein Geheimnis zu bewahren, als die brave Dame, und vielleicht diente die so genaue Verschwiegenheit, welche Madame Fitz Patrick in ihrer Geschichtserzählung über diesen Punkt beobachtet hatte, nicht wenig den Argwohn zu bestärken, welcher jetzt im Gemüte ihrer Kousine aufgestiegen war.

Sophie machte die Dame ohne Schwierigkeit ausfindig, welche sie suchte, denn es war wirklich kein Sänftenträger in der Stadt, der ihr Haus nicht sehr gut kannte; und da sie auf ihr erstes Anmelden eine sehr dringende Einladung zur Antwort erhielt, so nahm sie solche ohne Weigerung an. Madame Fitz Patrick bestand wirklich nicht ernstlicher bei ihrer Kousine darauf, daß sie bei ihr bleiben möchte, als nur insoweit es die Höflichkeit erforderte. War es deswegen, daß sie den obbesagten Argwohn bemerkt hatte und darüber empfindlich war, oder hatte sie dazu andre Ursachen; das kann ich nicht sagen; gewiß aber ist es, sie verlangte ebensosehr darnach, Sophien los zu sein, als diese nur begierig sein konnte, zu gehen.

Als diese junge Dame sich bei ihrer Kousine beurlaubte, konnte sie nicht umhin, ihr einen kurzen wohlgemeinten Rat zu erteilen. Sie bat sie ums Himmelswillen, sie möchte sich doch in acht nehmen und ja bedenken, in was für einer gefährlichen Lage sie sich befände, und fügte hinzu, sie hoffe, es würde sich ein Mittel ausfindig machen lassen, zwischen ihr und ihrem Gemahl eine Aussöhnung zu bewirken. »Sie müssen sich der Maxime erinnern, meine Liebe,« sagte sie, »welche Madame de Western uns so oft vorgesagt hat: wenn die eheliche Allianz gebrochen und der Krieg zwischen Mann und Frau erklärt worden, so kann die Frau schwerlich einen nachteiligen[274] Frieden schließen, die Bedingungen mögen so schlimm sein wie sie wollen. Dies sind meiner Tante eigne Worte und sie hat gar viel Erfahrung in Dingen dieser Welt.« – Madame Fitz Patrick antwortete mit einem höhnischen Lächeln: »Fürchten Sie nichts, Kind! Sehen Sie sich selbst vor! denn Sie sind jünger als ich. Aber liebste Sophie, einen Rat muß ich Ihnen geben: lassen Sie den Charakter des Fräulein Feierlich auf'm Lande! denn glauben Sie mir, hier in der Stadt würd' es Sie äußerst schlecht kleiden.«

Hiemit trennten sich die beiden Kousinen und Sophie machte sich geraden Weges hin zur Frau von Bellaston, bei der sie äußerst freundlich sowohl, als äußerst höflich aufgenommen wurde. Die Dame hatte sie gar liebgewonnen, als sie sie vormals bei ihrer Tante Western kennen gelernt hatte. Sie war wirklich außerordentlich erfreut und hatte nicht so bald die Ursachen vernommen, welche sie vermocht hätten, den Junker ihren Vater zu verlassen und nach London zu fliehen, als sie ihre Klugheit und Entschlossenheit mit dem höchsten Beifall beehrte; und nachdem sie ihr großes Vergnügen über die gute Meinung geäußert, welche Sophie dadurch von Ihro Gnaden zu hegen erklärt hatte, daß sie ihr Haus zu einem Zufluchtsort erwählt, versprach sie ihr allen Schutz, der nur in ihrem Vermögen stände, zu erteilen.

Nachdem wir nun Sophien in sichre Hände gebracht haben, so wird sich's vermutlich der Leser gefallen lassen, sie daselbst eine Weile in Verwahrung zu lassen und sich ein wenig nach andern Personen umzusehen, und besonders nach dem armen Jones, den wir lange genug haben Buße thun lassen für seine begangenen Verbrechen, welche, wie es die Natur eines jeden Lasters mit sich bringt, ihn an und für sich selbst schon genug gestraft hatten.

Zwölftes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Zeigt, was man bei den neuern Autoren für Freibeuter-Plündereien zu achten und was man hingegen als rechtmäßige Beute erkennen kann.


Der gelehrte Leser muß bemerkt haben, daß ich im Verlaufe dieses ansehnlichen Werkes oft Stellen aus den besten alten Autoren entlehnt habe, ohne dem Original zu folgen oder nur des Buchs im geringsten zu erwähnen, woraus ich sie genommen. Dies [275] Verfahren eines Schriftstellers ist von dem gelehrten Abte Banier in der Vorrede zu seiner Mythologie, einem Werke von großer Erudition und gleicher Urteilskraft, in das gehörige Licht gestellt worden. »Es wird,« sagt er, »dem Leser leicht zu bemerken sein, daß ich sehr oft größere Rücksicht auf ihn als auf meinen eignen Ruhm genommen habe; denn ein Autor macht ihm gewiß ein wichtiges Kompliment, wenn er seinetwegen unterläßt, die gelehrten Stellen anzuführen, die ihm auf seinem Wege aufstoßen und welche ihm weiter nichts als die bloße Mühe des Abschreibens gekostet haben würden.« Ein Werk mit dergleichen Lückenbüßern anzufüllen, mag allerdings für einen offenbaren Betrug geachtet werden, welcher der gelehrten Welt gespielt wird, der man auf diese Weise das Geld aus der Tasche lockt, wenn sie dasjenige noch einmal in einzelnen Brocken und Fetzen bezahlen muß, was sie schon einmal im ganzen, wo nicht im Gedächtnisse, doch auf ihren Bücherbrettern stehen hat; und für den Ungelehrten ist es noch grausamer, welchen man solchergestalt überschnellt, etwas für sein bares Geld zu kaufen, wovon er keine Art von Nutzen haben kann. Ein Schriftsteller, der seinem Werke viele griechische und lateinische Stellen einschaltet, handelt an den Damen und artigen Herren ebenso hinterlistig als die Auktionsmakler an ihnen zu handeln pflegen, welche in ihren Parzellen einen solchen Wirrwar zusammenstopfen, daß man, um dasjenige zu erstehen, was man haben will, genötigt ist, viele Dinge mit zu bezahlen, die man nicht brauchen kann. Und doch, weil kein Betragen so rein und uneigennützig sein kann, das nicht von der Unwissenheit mißverstanden und von der Bosheit verdreht werden könnte, so bin ich einigemal in die Versuchung geraten, meinen eignen Ruhm auf Kosten meines Lesers zu bewahren und das Original abzuschreiben, oder doch wenigstens Kapitel und Vers anzuführen, wenn ich hier oder da mich der Gedanken oder Ausdrücke eines andern bedient habe. Ich bin wirklich etwas zweifelhaft, ob ich mir nicht durch das entgegengesetzte Verfahren oft geschadet habe und ob ich nicht dadurch, daß ich den Namen des Originalverfassers verschwiegen, mehr in den Verdacht einer gelehrten Plünderei verfallen bin, als den Ruhm erworben habe, daß ich nach den beliebten und belobten Grundsätzen des oben angeführten, mit Recht berühmten französischen Gelehrten gehandelt habe.

Um aber hinfüro alle dergleichen Anschuldigungen von mir abzulehnen, will ich hier das Faktum gestehen und rechtfertigen. Die Alten kann man ansehen als eine fette Hut und Trift, worauf jedermann, der nur das geringste Gemeinderecht am Parnassus hat, befugt ist, seine Muse zu weiden und zu mästen. Oder, um es in ein helleres Licht zu stellen: wir Neuern sind gegen die Alten das, [276] was die Armen gegen die Reichen sind. Unter den Armen versteh' ich hier den großen und ehrwürdigen Haufen, welcher auch in der gemeinen Sprache unter dem Namen Pöbel bekannt ist. Wer nun aber die Ehre gehabt hat, von diesem Pöbel zu irgend einiger Vertraulichkeit zugelassen zu werden, der muß wissen, daß es einer von seinen angenommenen Grundsätzen ist, seine reichen Nachbarn ohne Scheu und Gewissen zu berauben und zu plündern, und daß dies bei ihnen weder für Sünde noch Schande gehalten wird. Und so treu und fest kleben diese Armen an dieser Maxime und handeln darnach so unverbrüchlich, daß fast in jedwedem Kirchspiele durchs ganze Reich eine Art von Bündnis gegen eine gewisse begüterte Person, genannt der Gutsherr, errichtet ist, dessen Eigentum von allen seinen Nachbarn als freie Beute betrachtet wird; und weil sie meinen, bei solchem Plündern und Verwüsten sei weder Sünde noch Verbrechen, so halten sie es für eine Ehren- und Gewissenssache, einander nicht zu verraten und sich bei solchen Gelegenheiten von aller Bestrafung durchzuhelfen.

Auf gleiche Art müssen die Alten, als da sind Homer, Virgil, Horaz, Cicero, und die übrigen von uns Schriftstellern betrachtet werden, als ebensoviele reiche Junker und Gutsherren, denen wir Armen des Parnassus zufolge eines undenklich alten Gebrauchs wegnehmen dürfen, woran wir nur die Hände legen können. Diese Freiheit behalt' ich mir vor und ich bin ebenso bereit, sie hinwiederum meinen armen Nachbarn einzuräumen. Alles, wozu ich mich dabei erkläre, und alles, was ich mir von meinen Brüdern wieder ausbedinge, ist unter uns auf eben die strenge Ehrlichkeit zu halten, welche die Herrn vom Pöbel gegen einander beobachten. Einer den andern bestehlen ist wirklich höchst strafbar und unanständig; denn das könnte ganz eigentlich heißen, einen armen Schlucker prellen (der noch dazu noch ärmer sein könnte als wir selbst) oder, um es in dem gehässigsten und schändlichsten Lichte zu zeigen, es wäre so gut als ein Einbruch in ein Spittelhaus.

Da also nach der strengsten Prüfung mein Gewissen mir keinen solchen Lumpendiebstahl vorwerfen kann, so will ich mich nicht weigern, die vorige Anklage als wahr einzugestehen, und werde mir auch niemals ein Bedenken daraus machen, mir eine jede Stelle zuzueignen, die ich in einem alten Autor für meinen Zweck dienlich finde, ohne den Namen des Autors dazuzusetzen, aus dem ich sie genommen habe. Ja noch mehr, den Augenblick, wie ich solche in mein Werk übergetragen haben werde, lasse ich mir das Eigentum an solchen Gedanken nicht absprechen, und ich erwarte, daß alle meine Leser von nun an solche ohne allen An- und Beispruch als meine eignen betrachten werden. Doch verlange ich nur, daß man [277] mir die Forderung unter der Bedingung einräumen soll, daß ich gegen meine Brüder mit der strengsten Ehrlichkeit zu Werke gehe; denn sollte ich jemals ja irgend etwas von ihrem geringen Armütchen borgen, so werde ich niemals ermangeln, ihr Merkzeichen darauf zu setzen, damit es zu jeder Stunde bereit stehe, seinem rechten Eigner wieder zugestellt werden zu können.

Die Versäumnis dieser Vorsicht war an einem gewissen Herrn Moore äußerst zu tadeln, welcher vorlängst einmal von Pope und Kompanie einige Zeilen erborgt hatte und sich die Freiheit nahm, sechse davon in seinem Lustspiele »Die wetteifernden Moden« abzuschreiben. Herr Pope aber, der solche glücklicherweise in besagtem Lustspiele wieder fand, bemächtigte sich seines Eigentums mit gewaltsamer Hand und nahm sie wieder zurück in sein eigen Werk, und zur fernern Züchtigung warf er obgedachten Moore in das dumpfe Gefängnis der Dunciade, wo sein armselig Andenken noch liegt und ewig liegen wird zur gerechten Strafe für solche unerlaubte Schliche im poetischen Handel und Wandel.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

In welchem zwar der Junker seine Tochter nicht findet, dafür aber etwas anderes gefunden wird, welches seinem Nachsetzen ein Ende macht.


Die Geschichte kehrt jetzt zurück nach dem Gasthofe zu Upton, von wo wir erst den Fußstapfen des Herrn Junker Western nachgehen wollen; denn weil er bald zum Ende seiner Reise gelangen wird, so werden wir alsdann völlige Muße haben, mit unserm Helden zu gehen.

Der Leser wird die Güte haben, sich zu erinnern, daß besagter Junker ganz wütig aus dem Gasthofe wegritt und daß er in dieser Wut seiner Tochter nachsetzte. Der Stallknecht hatte ihm gesagt, daß sie über die Severne gegangen sei; also ging er mit seinem Gefolge gleichfalls hinüber und ritt, was er reiten konnte, und drohte Sophien das bitterste Unheil an, wenn er sie erwischte.

Er war noch nicht weit gekommen, als er an einen Weg gelangte, der doppelt auslief. Hier forderte er einen kurzen Kriegsrat zusammen, und nachdem er in demselbigen die verschiedenen Meinungen aufgenommen hatte, überließ er zuletzt dem Glücke die Sorge, ihn auf die rechte Spur seines Nachjagens zu leiten, und verfügte sich ohne weiteres auf die Worcester Heerstraße. Auf dieser Straße ging's ungefähr eine Stunde fort, als er anfing sich höchst bitterlich zu beklagen und öfters ausrief: »Sünd' und Schand' ist's, [278] so 'n Unglückshund is nicht mehr uf Gottes Erdboden, wie ich!« und dann eine ganze Ladung Flüche und Verwünschungen ausstieß.

Der Ehren Herr Pfarrer bemühte sich, ihm bei dieser Gelegenheit mit Trost zuzusprechen: »Geben Sie nicht Raum den Sorgen, gnädiger Junker,« sagte er, »gleich jenen, die keine Hoffnung haben! Sintemalen obgleich wir noch nicht im stande gewesen sind, das junge Fräulein einzuholen, so müssen wir es doch für ein Glück achten, daß wir bis jetzt noch ihre Fußstapfen auf dem rechten Wege verfolgt haben. Wer mag uns das Gegenteil beweisen, daß sie nicht bald ermüdet sein werde von ihrer Reise und dann weilen wird und verziehen in irgend einer Herberge, um ihr Herz zu laben und ihren Leib mit Speisen zu erquicken; und sollte sich das ereignen, so werden Sie, so wahr der Herr lebt, in kurzem wieder fröhlich sein und guter Dinge.«

»Pah! w's schiert mich's, Nickel,« antwortete der Junker, »'ch ärger' mich nur, daß 'n so schöner Morgen vor d' Hunde geht! 's ist verdammt hart, ein'n der schönsten Spürtage zu verlieren, denn das scheint's zu sein in dieser Jahreszeit und noch darzu, weil eben der Frost aufgegangen ist.«

Ob Madame Fortuna, welche zuweilen bei ihren mutwilligsten Neckereien etwas Mitleiden blicken läßt, sich des Junkers etwa ein wenig erbarmte und, weil sie beschlossen hatte, daß er seine Tochter nicht einholen solle, vielleicht willig war, ihm das auf eine andre Art wett zu machen, das will ich nicht behaupten; aber er hatte kaum die vorhin angezognen Worte gesprochen und ihnen zwei oder drei Flüche auf den Fersen nachgeschickt, als eine Kuppel Jagdhunde in einer kleinen Entfernung ihre melodischen Kehlen eröffneten, welche des Junkers Pferd und sein Reiter beide merkten und beide in einem Hui die Ohren spitzten und der Junker die Jagd anschrie: »Werten is in der Fährt! is in der Fährt! Hol' mich der Teufel, in der Fährt is er!« Damit setzte er seinem Tier die Sporen in die Rippen, dessen es wenig bedurfte, weil es wirklich mit seinem Herrn einerlei Sinnes war. Und somit die ganze Gesellschaft querein über die Saatfelder hingeritten auf die Hunde zu mit vielen Hollahos und Horitos! unterdessen der arme Pfarrer unter vielem Kreuzigen und Segnen hinter dem Haufen nachwackelte. Die Fabel erzählt: Die schöne Murnerin, welche Venus auf das Flehen eines zärtlich Verliebten aus einer Katze in ein schönes Frauenzimmer verwandelte, sei nicht so bald eine Maus gewahr worden als sie, eingedenk ihrer ehmals gewohnten Freuden und noch klebend an ihrer ursprünglichen Natur, aus dem Bett ihres Ehemanns aufgesprungen, um das kleine Tierchen zu verfolgen. Was für eine Lehre sollen wir hieraus nehmen? Nicht die, daß das junge Weib ein Mißbehagen [279] empfand an den Umarmungen ihres verliebten Gatten: denn ob zwar von einigen die Bemerkung gemacht worden, daß Katzen zur Undankbarkeit geneigt sind, so pflegen doch Weiber und Katzen, zumal bei gewissen Gelegenheiten, ganz freundlich schmeichelnd zu sein und zu kurren. Die Wahrheit ist, wie der gelehrte Herr Roger L'Estrange in seinen tiefgedachten Betrachtungen sagt: »Jagen wir die Natur zur Thür hinaus, so kommt sie durchs Fenster wieder herein; und Kätzchen, wird es auch eine Dame, wird doch das Mausen niemals lassen.« Auf eben die Weise müssen wir's auch dem Junker nicht für einen Mangel an Liebe zu seiner Tochter anrechnen; denn in Wahrheit, er besaß deren keinen geringen Teil; wir müssen nur nicht vergessen, daß er ein Landjunker und Jagdliebhaber war, und dann können wir die Fabel auf ihn anwenden und ihre sinnreiche Moral gleichfalls.

Die Hunde hielten sehr gut an, wie es genannt wird, und der Junker setzte nach über Hecken und Graben mit seinem gewöhnlichen Geheule, mit gewöhnlicher Behendigkeit und mit aller gewöhnlichen Fröhlichkeit des Herzens, auch drängte sich ihm kein Gedanke an Sophien in den Sinn, der ihm das Vergnügen versalzen hätte, das er an der Jagd fand, welche, wie er sagte, eine der schönsten war, die er jemals gesehen hätte, und die es, wie er schwur, wohl wert wäre, daß man seine zwanzig Stunden darnach ritte. So wie der Junker seine Tochter vergaß, so vergaßen die Bedienten, wie wohl nicht schwer zu glauben ist, ihr junges Fräulein, und der Herr Pfarrer, nachdem er sein großes Erstaunen für sich selbst auf Latein ausgedrückt hatte, ließ zuletzt gleichfalls alle ferneren Gedanken an die junge Dame fahren, und indem er in ziemlicher Entfernung nachhopperte, fing er an, über die Nutzanwendung seiner Predigt für den nächsten Sonntag zu meditieren. Der Junker, welchem die Jagdhunde zugehörten, war über die Ankunft seines Bruder-Junkers und Weidmannsgesellen gar höflich erfreut, denn alle Menschen schätzen Verdienste in ihrem Fache, und keinen wohlerfahreneren, jagdgerechteren Weidmann konnte man finden als Herrn Junker Western, auch wußte niemand besser als er, wie man die Hunde mit der Stimme aufmuntern und den ganzen Weidhaufen mit seinem Hollaho in frischen Atem setzen muß. In der Hitze der Jagd sind die Weidgenossen viel zu sehr beschäftigt, um auf irgend eine Art von Zeremonien zu achten, ja vielleicht nicht einmal auf die Dienste der Menschheit; denn wenn jemand von ihnen ein Zufall begegnet, daß er in einen Graben oder in einen Bach purzelt, so reiten die übrigen fort ohne sich darum zu bekümmern, und überlassen ihn gewöhnlicherweise seinem Schicksale. Daher die beiden Junker diese Zeit über, ob sie gleich einander oft ganz nahe waren, doch kein Wort [280] miteinander wechselten. Unterdessen sah doch der Patron der Jagd sehr oft und mit vielem Beifall die große Wissenschaft des Fremden, womit er die Hunde zu lanzieren wußte, wenn sie von der Spur gekommen, und faßte daraus eine hohe Meinung von seinem Verstande, sowie die Anzahl seiner Begleiter keine geringe Verehrung gegen seinen Stand einflößte. Sobald also, das kleine Tier verendet und damit die Jagdlust, welche es veranlaßt hatte, geschlossen war, nahten sich die beiden Junker einander und bewillkommten sich, wie sich's für edle Landjunker geziemt und gebührt.

Ihre Zusammensprache war unterhaltend genug, und vielleicht erzählen wir solche noch in einem Anhange oder bei einer andern Gelegenheit. Weil sie aber auf diese Geschichte nicht den geringsten Bezug hat, so können wir es nicht über uns erhalten, ihr hier einen Platz zu geben. Sie beschloß sich mit einem zweiten Jagen, und dieses mit einer Einladung zum Mittagessen. Auf diese, welche angenommen wurde, folgte ein weidliches Trinkgelag, das seitens des Junker Western mit einem ebenso weiblichen Nachmittagsschläfchen endigte.

Unser Junker war seinem Wirte, auch selbst dem Pfarrer Schickelmann diesen Abend bei Flasch' und Becher keineswegs gewachsen, was sich, seiner Ehre im geringsten unbeschadet, aus seiner Ermüdung gar füglich erklären läßt, die er sich an Geist und Leib zugezogen hatte. Er war wirklich, wie die gemeine Redensart lautet, über und über eingeseift, denn noch ehe er seine dritte Flasche zu sich gesteckt hatte, brachte ihn der Wein so völlig unter die Füße, daß, ob er gleich lange nachher erst zu Bett getragen wurde, ihn doch der Pfarrer als abwesend betrachtete, und nachdem er dem Junker vom Hause Sophiens ganze Geschichte erzählt hatte, von diesem das Versprechen erhielt, daß er die Gründe unterstützen wolle, welche er sich vorsetzte, den nächsten Morgen geltend zu machen, um Herrn Western zum heimkehren zu bewegen.

Sobald demnach der gute Junker sein Haarweh ausgeschlafen hatte und sich nach seinem Morgentrunke umzusehen begann und die Pferde vorzurufen befahl, um Sophien von neuem nachzusetzen, hub Herr Schickelmann mit seinen Abmahnungsgründen an, welche der Herr vom Hause so nachdrücklich unterstützte, daß sie am Ende Eingang fanden und Herr Western dareinwilligte, wieder nach Hause zu kehren, wozu er hauptsächlich durch einen Grund bewogen ward, nämlich, daß er nicht wüßte, welchen Weg er nehmen sollte, und daß er möglicherweise ebensogut von seiner Tochter weg als zu ihr hinreiten könnte. Er nahm also Abschied von seinem Bruder Weidmann, und indem er darüber seine große Freude bezeigte, daß der Frost aufgegangen wäre (welches vielleicht nicht die geringste [281] von den Ursachen war, die ihn nach Hause trieben), ritt er nordwärts oder vielmehr rückwärts nach Sommersetshire, doch nicht eher als bis er einen Teil seines Gefolges abgefertigt hatte, seine Tochter aufzusuchen, der er ebenfalls eine Generalsalve der bittersten Flüche und Verwünschungen nachschickte, deren er sich nur besinnen konnte.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Jones' Abreise von Upton, nebst dem, was sich zwischen ihm und Rebhuhn unterwegs zutrug.


Endlich sind wir doch einmal wieder zu unsrem Helden gekommen, und die Wahrheit zu sagen sind wir genötigt gewesen, ihn eine so lange Zeit zu verlassen, daß ich besorge, viele von meinen Lesern haben in Rücksicht auf die Umstände, in welchen wir ihn verließen, geschlossen, wir wären gemeint, ihm ein für allemal zu entsagen, weil er sich jetzt in der wahren Lage befindet, in welcher bedachtsame Leute gewöhnlich aufhören sich weiter nach ihren Freunden zu erkundigen, um sich nicht dem Schrecken auszusetzen, zu hören, daß solche Freunde sich erhängt haben.

Aber in Wahrheit, haben wir nicht alle die Tugenden, so haben wir doch auch nicht, wie ich kühnlich sagen will, alle die Gebrechen eines so bedachtsamen Charakters, und ob es gleich nicht leicht ist, kläglichere Umstände zu ersinnen, als diejenigen sind, worin sich Jones gegenwärtig befindet, so wollen wir uns doch zu ihm hinmachen und ihm eben die Dienstgeflissenheit erweisen, als ob er sich mit völliger Behaglichkeit in den heitersten Strahlen des Glücks sonnte.

Herr Jones also und sein Begleiter Rebhuhn verließen den Gasthof ein paar Minuten nachher, als Junker Western fortgeritten war, und folgten eben dem Wege zu Fuß, denn der Hausknecht sagte ihnen, daß eben in Upton keine Pferde zu haben wären, wenn man auch ich weiß nicht was dafür bezahlen wollte. Sie marschierten also mit schwerem Herzen fürbaß, denn ihr Kummer hatte zwar ganz verschiedene Ursachen, aber schwermütig waren sie beide, und wenn Jones bitterlich seufzte, so ächzte Rebhuhn fast ebenso erbärmlich bei jedem Schritte.

Als sie an den doppelt auslaufenden Weg gelangten, woselbst der Junker Western stillgehalten hatte, um Rat zu pflegen, stand Jones ebenfalls still, wendete sich an Rebhuhn und verlangte seine Meinung, welchen sie gehen sollten. »Ha! lieber Herr!« antwortete Rebhuhn, »ich wünschte, Sie wollten meinem Rate folgen!« – »Warum sollt' ich nicht?« erwiderte Jones. »Denn jetzt ist es mir [282] ganz gleichgültig, wohin ich gehe oder was aus mir wird.« – »Mein Rat also,« sagte Rebhuhn, »ist, daß wir alsobald Linksumkehrt machen und wieder nach Hause gehen, denn wer ein solches Hauswesen weiß, wohin er heimkehren kann, wie Euer Gnaden, wollte der wohl im Lande umherziehen wie ein Landstreicher? Ich bitte um Vergebung, sed vox ea sola reperta est.«

»Ach leider!« rief Jones, »ich weiß kein Hauswesen, zu dem ich heimkehren könnte! – Aber wenn auch mein Freund, mein Vater, mich aufnehmen wollte, könnte ich es wohl in einer Gegend aushalten, aus der meine Sophie entflohen ist? Grausame Sophie! – Grausam? Nein! Mir selbst muß ich's vorwerfen. – Nein, du, du bist an allem schuld! Daß du verdammt wärst, du Narr, du Dummkopf! Du hast mich ins Unglück gestürzt, und die Seel' aus dem Leibe will ich dir dafür reißen!« – Bei welchen Worten er gewaltthätige Hand an des armen Rebhuhns Kragen legte und ihn heftiger schüttelte, als ihn ein kalter Fieberschauer oder seine eigne Furcht jemals vorher hatte schütteln können.

Rebhuhn fiel zitternd auf seine Kniee und bat um Barmherzigkeit, und beteuerte aus allen Kräften, er habe es nicht böse gemeint. – Da ihn denn Jones, nachdem er ihn einen Augenblick wild angefaßt hatte, fahren ließ, und seine Wut an sich selbst ausließ, die wäre solche auf den andern gefallen, mit ihm den völligen Garaus gemacht haben würde, was denn wirklich die bloße Furcht fast schon gethan hatte.

Wir würden hier einige Mühe darauf verwenden, die tollen Streiche umständlich zu beschreiben, welche Jones bei dieser Gelegenheit ausgehen ließ, wenn wir recht versichert wären, der Leser würde sich eben die Mühe geben, sie zu lesen. Weil wir aber besorgen, daß der Leser nach aller darauf verwandten Arbeit, diesen Auftritt auszumalen, gar leicht im stande sein möchte, ihn völlig zu überschlagen, so haben wir uns lieber diese Mühe ersparen wollen. Aufrichtig zu sein, so haben wir, dieser einzigen Ursache wegen, der ergiebigen Fruchtbarkeit unsres Genies schon oft große Gewalt angethan, und haben manche vortreffliche Beschreibung aus unsrem Werke weggelassen, welche sich sonst darin befunden haben würde. Und dieser argwöhnische Verdacht, ehrlich bekannt, entspringt, wie es gemeiniglich der Fall ist, aus unsrem eignen bösen Herzen, denn wir sind oft selbst gar entsetzlich dem Ueberhüpfen ergeben gewesen, wenn wir die Blätter der bändereichen Geschichtschreiber durchliefen.

Mag's also damit genug sein, daß wir schlechtweg sagen, Jones, nachdem er einige Minuten lang die Person eines Unsinnigen gespielt hatte, kam nach und nach wieder zu sich selbst; was nicht so bald geschah, als er sich an Rebhuhn wandte, und ihn wegen des Anfalls, [283] den er in der Heftigkeit seiner Leidenschaft auf ihn gethan hatte, sehr ernstlich um Verzeihung bat; dabei aber damit schloß, daß er ihn ersuchte, er möchte niemals wieder seiner Heimkehr erwähnen; denn er sei entschlossen, jene Gegend niemals wieder zu sehen.

Rebhuhn verzieh sehr leicht und versprach getreulich, dem Gebote zu gehorchen, das ihm jetzt auferlegt worden. »Und,« rief Jones sehr lebhaft aus: »weil mir's denn platterdings unmöglich ist, den Fußtritten meines Engels weiter nachzufolgen, nun so sei's! so will ich dem Pfade der Ehre folgen. Frisch auf! mein wackerer Gesell, komm, hin zur Armee! – Komm, es gilt um Ruhm und Ehre, und für eine höchst gerechte Sache; und ich würde auch dann noch gern mein Leben dafür aufopfern, wann mir's der Erhaltung wert wäre!« Und sowie er das sagte, betrat er den entgegengesetzten Weg von dem, welchen der Junker genommen hatte, und verfolgte also durch einen bloßen Zufall eben denselben, den Sophie vorher eingeschlagen hatte.

Unsre Reisenden gingen jetzt fast eine Stunde fort, ohne eine Silbe mit einander zu sprechen, obgleich Jones allerdings mancherlei Sachen bei sich selbst und leise redete. Rebhuhn hingegen schwieg ganz und gar still, denn er hatte sich vielleicht noch nicht völlig von seiner vorigen Furcht erholt; überdem besorgte er seinen Freund zu einer neuen Anwandlung von Zorn zu reizen; besonders da er jetzt anfing, einer gewissen Vermutung Raum zu geben, die auch vielleicht bei dem Leser eben keine große Verwunderung erregen mag. Mit einem Worte, er fing an zu argwöhnen, Jones wäre ganz und gar von Sinnen gekommen.

Zuletzt, als Jones des Selbstgesprächs müde geworden, redete er seinen Gefährten an, und verwies ihm sein stockdummes Schweigen, und der arme Mann gestand ganz treuherzig, es käme aus der Furcht, etwas Mißfälliges zu sagen. Und da nun diese Furcht so ziemlich durch das Versprechen einer unbedingten Freiheit zu sagen, was er wolle, gehoben worden, so nahm Rebhuhn seiner Zunge den Zügel wieder ab, welche sich vielleicht nicht weniger freute ihre Freiheit wieder zu erhalten, als ein junges Füllen, wenn ihm der Zaum wieder vom Halse gestreift und es wieder frei auf die Weide gejagt wird.

Weil es Rebhuhn verboten war, diejenige Materie zu berühren, welche sich zuerst dargeboten haben würde, so fiel er auf das, was ihm zunächst in seinem Gemüte obenan schwebte, nämlich, der Mann vom Berge. »In Wahrheit, lieber Herr,« sagte er, »das konnte doch gewiß kein Mensch sein, der sich so kleidet, und auf eine so seltsame Weise, und gar nicht so wie andre Leute lebt. Und dann ißt er fast nichts, wie mir die alte Frau erzählt hat, als Kräuter, und [284] das ist eigentliches Futter für Pferde, statt für einen Christenmenschen. Ja, sogar auch, sagte der Wirt zu Upton, daß die Nachbarn dort herum eine sehr fürchterliche Meinung von ihm haben. Es will mir gar nicht aus dem Kopfe, daß es wohl ein Geist gewesen sein muß, der vielleicht gesandt ist, uns eine Warnung zu geben. Und wer weiß, ob nicht alle die Dinge, die er uns da erzählte, davon, daß er ins Feld gezogen, daß er gefangen genommen worden, und von der großen Gefahr worin er gewesen, daß er gehangen werden sollte, ob nicht alles eine Warnung für uns sein sollte, wenn wir bedenken, auf was für Wegen wir gehen. Noch dazu hat mir die vergangene Nacht von nichts anderm geträumt, als von Fechten und Schlagen, und mir kam's vor, als ob mir's Blut aus der Nase liefe, wie das Bier aus'm Zapfloche. Gewißlich, lieber Herr, infandum, regina, jubes renovare dolorem.«

»Dein Märchen, Rebhuhn,« antwortete Jones, »ist fast eben so übel angebracht, als dein Latein. Nichts kann sich für Menschen, die in ein Treffen gehn, natürlicher ereignen als sterben. Vielleicht fallen wir darin alle beide. – Und was denn mehr!« – »Was mehr!« erwiderte Rebhuhn: »Je nun, dann hat's ein Ende mit uns, nicht wahr? Wenn ich dahin bin, so ist alles vorbei mit mir. – Was geht mich's an, wer Recht hat, oder wer den Sieg gewinnt, wenn ich erschlagen bin. Was ist alle das Läuten, das Viktoria schießen, und die Lustfeuer für einen der sechs Fuß tief unter der Erde liegt? Ja dann hat's ein Ende mit dem armen Rebhuhn!« – »Und ein Ende mit dem armen Rebhuhn,« rief Jones, »muß es heut, morgen, endlich einmal haben. Wenn Er das Latein so lieb hat, so will ich Ihm ein paar Zeilen aus dem Horaz vorsagen, welche selbst einer feigen Memme Mut einflößen könnten.


Dulce et decorum est pro Patria mori,
Mors et fugacem persequitur virum,
Nec parcit imbellis juventae
Poplitibus, timidove tergo.«

»Ich wünschte, Sie wollten die Güte haben und mir das einmal destruieren und konstruieren; denn der Horaz, das ist ein recht schwerer Autor, und ich kann's Ihnen nicht so geschwind nachexplizieren, als Sie's mir vorsagen.«

»So will ich Ihm lieber eine Uebersetzung der Stelle vorsagen, das wird ebensogut sein.


Süß ist's und schön ist's, sterben für's Vaterland,
Der Tod verschont ja selber den Flücht'gen nicht,
Verschont nicht der wehrlosen Jugend
Zitterndes Knie und gewandten Rücken.«

[285] »Ja, das ist gewiß genug;« rief Rebhuhn. »Wahr genug, Mors omnibus communis. Aber, es ist doch ein großer Unterschied, ob man nach langen Jahren erst in seinem Bette stirbt wie ein frommer Christ, und da alle unsre Freunde umherstehen und klagen und weinen; oder ob man heute totgeschossen wird oder morgen wie ein toller Hund, oder wohl gar mit 'nem Pallasch oder Säbel in zwanzig Krautstücke gehackt wird; und das noch dazu, eh' man Zeit gehabt hat, für alle seine Sünden Buße zu thun. Ach lieber Gott, sei uns armen Sündern gnädig! das ist ausgemacht, die Soldaten sind ein arg gottlos Volk; ich hab' in meinem Leben nichts mit ihn'n zu thun haben mögen; ich hab' es kaum übers Herz bringen können, sie für Christen zu halten. Wenn ihnen das Maul aufgeht, kommt nichts heraus als Fluchen und Schwören. Ich wünschte Eu'r Gnaden bedächten sich, und schlügen in sich, das wünschte ich herzlich, eh' denn es zu spät ist, und bereuten den Vorsatz, darunter zu gehn. – Böse Gesellschaft verdirbt gute Sitten! das ist mein Hauptgrund. Denn was sonst droht, da fürchte ich mich ebensowenig als ein andrer. Ebensowenig! das kann ich sagen; wenn's sonst nichts ist. Denn, sehn Sie, ich bin ein Mann in meinen besten Jahren, und kann noch viel Wasser bergab fließen sehn. Ich habe von vielen Leuten gelesen, die über hundert Jahre alt geworden, und von etlichen, die weit über hundert Jahr gelebt haben. Nicht als hoffte ich, ich will sagen, als verspräch' ich mir, gerade auch eben so alt zu werden – aber, wenn's auch nur bis achtzig oder neunzig geht; dem Himmel sei Dank, das ist noch weit hin, und dann bin ich gar nicht bange vorm Sterben, so wenig wie ein andrer. Aber das ist doch auch wahr, dem Tode so in den Rachen laufen, eh' eines Menschen Zeit und Stunde gekommen ist, das scheint doch geradezu Ruchlosigkeit zu sein und Verwegenheit. Ja, wenn's dazu noch was Gutes stiften könnte! Aber, laß die Sache gerecht sein, oder ungerecht, was für einen Haufen Gutes können zwei Leute thun? Und ich für mein Teil, ich verstehe kein Wort davon; ich habe in meinem Leben nicht über zehnmal eine Flinte abgeschossen; und dabei war niemals eine Kugel drin. Und den Degen! – Fechten hab' ich gar nicht gelernt, und versteh' gar nichts davon. Und dann sind da noch die Kanonen, und denen in den Weg zu gehn, muß man doch in Wahrheit wohl für die größte Tollkühnheit halten; und kein Mensch, der nicht völlig verrückt ist – ich bitt' um Vergebung, aber, bei meiner armen Seele, ich meint' es nicht böse! Ich bitte Eu'r Gnaden, geraten Sie nicht wieder so in Zorn.«

»Sei unbesorgt, Rebhuhn,« sagte Jones, »ich bin nunmehr von deiner Herzhaftigkeit zu gut überzeugt, als daß du mich durch irgend etwas zum Zorne reizen könntest.« – »Euer Gnaden,« antwortete [286] er, »mögen mich immerhin feigherzig nennen, oder was Sie wollen! Wenn deswegen ein Mann feigherzig heißen soll, daß er gern in heiler Haut schlafen mag, non immunes ab illis malis sumus. Ich habe noch nie in meiner Grammatik gelesen, daß ein Mann kein guter Mann sein kann, der sich nicht mit dem Feinde herumschlägt. Vir bonus est quis? Qui consulta Patrum, qui leges juraque servat. Da steht kein Wort vom Fechten, und das weiß ich gewiß, die heilige Schrift ist dergestalt dawider, daß mir's kein Mensch einreden soll, er sei ein guter Christ, so lang' er edles Christenblut vergießt.«

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Abenteuer mit einem Bettelmanne.


Eben als Rebhuhn die fromme christliche Meinung herausgesagt hatte, womit sich das vorige Kapitel beschloß, gelangten sie an einen Kreuzweg, wo sie ein lahmer Kerl in Lumpen um ein Almosen ansprach, worüber ihn Rebhuhn sehr anfuhr und sagte: »Jedes Kirchspiel müßte seine eignen Armen ernähren.« Hierbei fing Jones an zu lachen und fragte Rebhuhn, ob er sich, bei so viel christlicher Gesinnung im Munde nicht schäme, so wenig christliche Liebe im Herzen zu haben. »Seine Religion«, sagte er, »dient Ihm bloß dazu, seine Fehler zu entschuldigen, aber sie treibt Ihn nicht zur Tugend an. Kann ein Mensch, der wirklich ein Christ ist, sich enthalten einem Bruder beizuspringen, der sich in so bedürftigen Umständen befindet?« Und zu gleicher Zeit langte er mit der Hand in die Tasche und gab dem armen Mann ein Achtgroschenstück.

»Herr,« rief der Bettelmann, nachdem er sein »Lohn es Gott!« gesagt hatte; »ich habe hier ein kurioses Ding in meiner Tasche, welches ich eine Stunde Wegs von hier gefunden habe, wenn Ihr Exzellenz geruhen wollten, es zu kaufen. Ich wollt's nicht wagen allermann zu weisen; aber Ew. Exzellenz sind en so scharmanter Herr und so generös gegen Arme, daß Sie keinen Menschen im Verdacht haben werden und mein'n, er sei 'n Dieb, bloß darum, weil er arm ist.« Hierauf zog er ein kleines Taschenbuch mit vergoldetem Schlosse hervor, und gab es Herrn Jones in die Hände.

Jones öffnete es alsobald, und (errate Leser, was er fühlte!) sah gleich auf der ersten Seite die Worte: Sophie Western, geschrieben von ihrer eignen schönen Hand. Sowie er den Namen las, drückte er ihn augenblicklich fest an seine Lippen; er konnte es auch nicht vermeiden, in einige ausschweifende Entzückungen zu fallen, ungeachtet der Gegenwart seiner Gefährten. Vielleicht machten aber eben diese Entzückungen, daß er vergaß, daß er nicht allein sei.

[287] Während Jones das Buch beküßte und beschmatzte, als ob er eine vortreffliche, braungeröstete Kruste im Munde gehabt hätte, oder als ob er wirklich ein Bücherwurm oder ein Autor gewesen wäre, der nichts anders zu essen hat, denn sein eignes Werk, fiel ein Stück Papier aus seinen Blättern auf die Erde, welches Rebhuhn aufhob und Herrn Jones wieder zustellte, der es alsobald für eine Banknote erkannte. Es war wirklich eben dieselbige Banknote, welche Western seiner Tochter des Abends vor ihrer Abreise geschenkt hatte; und ein Jude wäre vor Freuden hoch aufgesprungen, wenn er sie ein Quart pro Cent unter hundert Pfund Sterlinge hätte kaufen können. Rebhuhns Augen funkelten bei dieser Neuigkeit, welche Jones mit lauter Stimme bekannt machte; und so funkelten auch die Augen (obgleich aus einer etwas verschiedenen Absicht) des armen Kerls, der die Brieftasche gefunden hatte, und welcher (ich hoffe aus einem Grundsatze von Ehrlichkeit) sie gar nicht aufgemacht hatte. Jedoch würden wir nicht redlich mit dem Leser verfahren, wenn wir unterließen, ihm von einem kleinen Umstande Nachricht zu geben, der hier vielleicht ein wenig wesentlich ist, nämlich, der Kerl konnte nicht lesen.

Jones, welcher nichts als reine Freuden und Entzücken über den Fund des Buchs gefühlt hatte, empfand bei dieser neuen Entdeckung eine Beimischung von Kummer; denn seine Einbildungskraft leitete ihn alsobald darauf, daß die Eigentümerin der Banknote ihrer vielleicht benötigt sein möchte, ehe es ihm möglich wäre, ihr solche wieder zuzustellen. Er unterrichtete hierauf den Finder, daß er die Dame kenne, der das Taschenbuch zugehörte, und daß er sich bemühen wolle, sie so bald als möglich aufzufinden und es ihr wieder zu bringen.

Das Taschenbuch war ein neuliches Geschenk, das Ihro Gnaden Fräulein von Western ihrer Nichte gegeben hatte. Es hatte seine acht Thaler gekostet, weil es von einem berühmten Galanteriehändler gekauft wor den. Der wahre Wert des vergoldeten Silbers aber, womit es beschlagen war, belief sich etwa auf zwölf Groschen, und diesen Preis würde besagter Galanteriehändler, weil das Buch noch gerade so sauber war, wie es aus seinem Laden gekommen, jetzt wieder dafür gegeben haben. Ein bedächtiger Mensch würde sich indessen die Unwissenheit des Bettelmanns gehörigerweise zu Nutze gemacht und nicht mehr als sechs oder auch als drei Groschen dafür geboten haben; ja, einige hätten vielleicht gar nichts gegeben, und es dem Kerl anheimgestellt, sein erstes Fundrecht einzuklagen; und einige gelehrte Doktoren und Lizentiaten möchten wohl dran zweifeln, ob er unter diesen Umständen besagte Klage hätte gültig machen können.

[288] Jones hingegen, der den Charakter der Großmut nicht im Verborgnen trug, und den vielleicht einige, nicht gar zu unbilliger Weise im Verdacht der Ausschweifungen gehabt haben, gab ohne Bedenken eine Guinee hin für das Buch. Der arme Mann, der seit langer Zeit keinen so großen Schatz besessen hatte, sagte Herrn Jones tausend Dank, und zeigte in seinen Gesichtsmuskeln nicht viel minderes Entzücken, als Jones hatte blicken lassen, wie er das erstemal den Namen: Sophie Western las.

Der Kerl war willig und bereit, unsere Reisenden nach dem Platze zu führen, woselbst er das Taschenbuch gefunden hatte. Sie machten sich also miteinander ungesäumt auf den Weg dahin; aber nicht so geschwind als Jones wünschte, weil sein Wegweiser zum Unglück lahm war, und höchstens nur eine englische Meile in einer Stunde gehen konnte. Wie demnach der Ort, über drei solcher Meilen davon lag, obgleich der Kerl weniger angegeben hatte, so bedürfen wir dem Leser nicht zu sagen, wie lange sie auf dem Wege zubrachten.

Unterwegs öffnete Jones das Buch wohl hundertmal, küßte es ebenso oft, sprach viel mit sich selbst und sehr wenig mit seinen Gefährten. Alles Dinge, worüber der Wegweiser gegen Rebhuhn einige Zeichen der Verwunderung blicken ließ, welcher mehr als einmal die Achseln zuckte und seufzend sagte: der arme Herr! Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano.

Endlich langten sie auf der eigentlichen Stelle an, wo Sophie unglücklicherweise ihr Taschenbuch fallen ließ, und wo es der Kerl ebenso glücklicherweise gefunden hatte. Hier wollte Jones seinen Wegweiser entlassen und schnellern Schrittes weiter gehn; der Kerl aber, bei dem das heftige Erstaunen und die Freude, welche der erste Empfang der Guinee erregt, jetzt schon ziemlich nachgelassen hatte, und der nunmehro Zeit gehabt sich besser zu fassen, nahm eine unzufriedene Miene an, kratzte sich hinter den Ohren und sagte: »Er hoffe, seine Xlenz würden ihm noch etwas mehr geben. Xlenz,« fuhr er fort, »werden, wie ich hoffe, in Erwägung ziehen, daß ich ja alles hätte behalten können, wenn ich nicht so ehrlich gewest wäre.« Und dies, wie der Leser gestehen muß, war wirklich auch wahr. »Wenn also das Papier da hundert Pfund wert ist, so verdient doch in Wahrheit, wer's gefunden hat, wohl mehr als eine Guinee. Noch dazu, wie wohl sein könnte, Ihr Xlenz bekämen die Dame nicht zu sehn, und geben es ihr nicht – und obwohl schon, Ihr Xlenz so aussehn und sprechen, wie 'n guter adlicher Herr, so hab' ich doch dafür keinen andern Bürgen, als Ihr Xlenz bares Wort; und das ist doch auch wahr, wenn sich der rechte Herr dazu nicht wieder finden sollte, so kommt's doch eigentlich demjenigen zu, der's zuerst [289] gefunden hat. Will hoffen, Ihr Xlenz, werden das alles in Bedenken nehmen. Ich bin nur 'n armer Mann, und deswegen begehr' und verlang' ich nicht alles, aber es ist doch recht und billig, daß ich meinen Teil bekomme. Ihr Xlenz sehen mir recht aus, als 'n wackrer Herr und werden, hoff' ich, meine Ehrlichkeit bedenken; denn ich hätte ja alles bis auf'n letzten Heller behalten können, und hätte kein Hund und Hahn darnach gekräht.« – »Ich versichr' Euch, auf meine Ehre, daß ich die rechte Eigentümerin kenne und es ihr wieder zustellen will.« – »Wohl gut, Ihr Xlenz,« antwortete der Kerl, »was das anbelangt, mögen's Ihr Xlenz halten wie Sie wollen, wenn Sie mir nur mein Teil geben, das will sagen, die eine Hälfte von dem Gelde, das andre mögen Ihr Xlenz selbst behalten, wenn's so gefällig ist!« Und dann schloß er damit, daß er einen erschrecklichen Eid schwur, er wollte niemals einer lebendigen Seele ein Wort davon sagen.

»Seht nur, Freund,« rief Jones, »die rechte Eignerin soll nun ein für allemal alles wieder haben, was sie verloren hat, und was nun ein ferneres Trinkgeld anbelangt, so kann ich für jetzt Euch das wirklich nicht geben, aber sagt mir Euren Namen und wo Ihr wohnt, und es ist mehr als möglich, daß Ihr einst weiter Ursache haben werdet, mit dem was Euch heute morgen begegnet ist, zufrieden zu sein.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrem zufriedensein sagen wollen,« erwiderte der Kerl. »Es sieht wohl darnach aus, daß ich zufrieden sein muß, ob Sie der Dame das Geld wiedergeben oder nicht. Aber ich hoffe, Ihr Xlenz werden bedenken.« – »Kommt, kommt,« sagte Rebhuhn, »sagt dem gnäd'gen Herrn Euren Namen und wo man Euch finden kann, ich bin Euch Bürge, es wird Euch niemals gereuen, daß Ihr das Geld in seine Hände gegeben habt.« Als der Kerl weiter keine Hoffnung sah, wieder zum Besitz des Taschenbuchs zu gelangen, ließ er sich's endlich gefallen, seinen Namen und Wohnort zu sagen, welches Jones mit Sophiens Bleistift auf ein Stückchen Papier schrieb, und indem er das Papier zu eben dem Blatt legte, auf welches sie ihren Namen geschrieben hatte, rief er aus: »Da seht Ihr, Freund, Ihr seid der glücklichste Mensch auf Erden, ich habe Euren Namen zu dem Namen eines Engels gelegt.«

»Engel hin, Engel her,« antwortete der Kerl; »mir wäre mehr damit gedient, daß Sie mir entweder noch mehr Geld oder auch das Taschenbuch wiedergäben.« Jetzt spitzte Rebhuhn seinen Hahnenkamm, er gab dem armen Krüppel allerlei Schimpf- und Schandnamen und bestand platterdings darauf, ihn auszuprügeln. Jones aber wollte ein solches Verfahren nicht zugeben. Vielmehr sagte er dem Kerl, er würde gewiß Gelegenheit finden, ihm einen guten [290] Dienst zu erweisen, und damit ging er fort, so geschwind als ihn seine Füße tragen wollten, und Rebhuhn, dem die Gedanken an die hundert Pfund neuen Mut und Kräfte eingeflößt hatten, folgte seinem Führer; der Mann aber, welcher sich genötigt sah zurückzubleiben, ergoß sich in Verwünschungen aller beider so gut als seiner Eltern: »Denn hätten sie mich in die Armenschule geschickt,« rief er, »daß ich Lesen gelernt hätte und Schreiben und Rechnen, so hätt' ich ebensogut gewußt was die Sachen wert waren als andre Leute.«

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Enthält mehr Abenteuer, welche Herrn Jones und seinem Gefährten unterwegs aufstießen.


Unsre Reisenden gingen jetzt so hurtig, daß sie sehr wenig Zeit und Atem zum Sprechen hatten. Jones dachte den ganzen Weg über an Sophie und Rebhuhn an die Banknote, welche, ob sie ihm gleich einiges Vergnügen machte, ihm doch zu gleicher Zeit auch einigen Aerger über das Glück verursachte, das ihm auf allen seinen Wegen noch niemals eine solche Gelegenheit zugeführt hätte, seine Ehrlichkeit zu zeigen. Sie waren eine starke Stunde gegangen, als Rebhuhn, der es nicht länger mit Jones behendem Schritt aushalten konnte, ihm zurief und ihn bat, er möchte es doch etwas langsamer angehen lassen; worin ihm Jones um desto leichter willfahrte, weil er seit einiger Zeit die Hufspuren der Pferde verloren hatte, welche er bei dem Tauwetter eine ziemliche Strecke hindurch hatte wahrnehmen können, und sie waren nun auf einer weiten Trift, über welche verschiedene Wege liefen.

Er stand also hier still, um zu überlegen, welchem von diesen Wegen er folgen sollte, als sie auf einmal den Schall einer Trommel hörten, welcher aus der Nähe zu kommen schien. Dieser Ton setzte alsobald Rebhuhns Furcht in vollen Gang und er schrie: »Gott sei uns gnädig und barmherzig! Gewiß, da kommen sie schon!« – »Wer kommt schon?« rief Jones; denn die Furcht hatte längst schon in seinem Gemüte viel lieblicheren Ideen Platz gemacht, und seit seinem Abenteuer mit dem lahmen Manne war er des völligen Vorsatzes, Sophien nachzureisen, und er hatte nicht den geringsten Gedanken an einen Feind. »Wer!« schrie Rebhuhn. »Je, die Rebellen! Aber warum sollt' ich sie Rebellen nennen? Es mögen wohl recht wackere Männer sein! Das will ich ihnen ganz und gar nicht abstreiten. Mag den der Henker holen, der ihnen was zuleide sagt! ich gewiß nicht. Fürwahr wenn sie mir nichts zu sagen haben, so will ich ihnen auch gewiß nichts zu sagen haben, als alles Liebe [291] und Gute. Ums Himmels willen! lieber Herr, sagen Sie ihnen doch ja nichts zuwider, wenn sie kommen sollten, dann lassen sie uns vielleicht in Ruh' und Frieden gehen. Aber wär' es wohl nicht am ratsamsten, wenn wir uns dort solange in jene Büsche verkröchen, bis sie vorbeimarschiert sind? Was können zwei wehrlose Mann gegen vielleicht ihrer fünfzigtausend thun? Fürwahr, niemand als wer nicht bei Sinnen ist, – ich hoffe, Ihr Gnaden werden mir drüber nicht böse, – aber gewiß kein Mensch, der mens sana habet in corpore sano –« Hier unterbrach Jones den Strom der Beredsamkeit, womit ihn die Furcht begeistert hatte, indem er sagte: »Aus den Trommeln schlösse er, sie wären nicht weit von einem Städtchen.« Er ging also geradeswegs nach der Gegend hin, woher der Schall kam, und munterte Rebhuhn auf, er solle Mut fassen, denn er wolle ihn in keine Gefahr führen, und setzte hinzu, es wäre unmöglich, daß die Rebellen schon so nahe sein könnten.

Rebhuhn schöpfte ein wenig Trost aus dieser letzten Versicherung, und ob er gleich viel lieber Linksum gemacht hätte, so folgte er doch seinem Vormann, wobei sein Herz, nur nicht nach Heldenmanier, den Takt zur Trommel schlug, die nicht eher schwieg, bis sie quer über die Trift gegangen und in einen hohlen Weg gekommen waren.

Und jetzt entdeckte Rebhuhn, der mit Jones gleichen Schritt hielt, etwas Buntes, das nur wenig Ruten weit von ihnen in der Luft flatterte. Da er nichts andres meinte, als es wäre eine feindliche Fahne, fing er an zu blöken: »Lieber Gott! da sind sie, Junker! da ist die Kron' und Sarg. Ach lieber Gott! so was Greuliches hab' ich in meinem Leben noch nicht gesehen, und sind ihnen noch dazu schon im Schusse!«

Sowie Jones nur in die Höhe blickte, ward er ganz deutlich gewahr, was es gewesen, das den Rebhuhn so ins Bockshorn gejagt hatte. »Rebhuhn,« sagte er, »ich denke, mit dieser Armee wird Er wohl allein im stande sein, es aufzunehmen! Denn aus der Fahne kann ich schon erraten, was es für eine Trommel gewesen, die wir vorhin hörten, und welche Rekruten für ein Marionetten-Theater zusammentrommelt.«

»Marionetten?« antwortete Rebhuhn mit dem lebhaftesten Entzücken. »Aber sollt's gewiß wohl nichts Schlimmeres sein? Das Marionettenspiel hab' ich lieber als alle Lustbarkeiten auf Gottes Erdboden. O gütiger, lieber Herr, lassen Sie uns doch hierbleiben und hineingehen. Ich bin dazu schier des Todes vor Hunger; denn es ist fast Abend und ich habe noch keinen Bissen genossen, seit Glocke drei heute morgen.«

Sie langten nun an in einem Gasthofe, oder eigentlicher in einer Bierschenke, wo sich Jones überreden ließ, einzukehren, um so [292] mehr, da er nicht sicher war, ob er noch auf dem Wege wäre, den er wünschte. Sie gingen beide geradezu nach der Küche, woselbst Jones sich zu erkundigen begann, ob heute morgen keine Damen dieses Wegs gekommen wären, und Rebhuhn forschte ebenso lebhaft nach dem Zustande der Speisekammer, und in der That gelang es ihm mit seiner Nachfrage am besten, denn Jones konnte von Sophie nichts Neues erfahren; Rebhuhn hingegen fand zu seiner großen Zufriedenheit Ursache, sehr bald den angenehmen und herzerquickenden Geruch von einer Pfanne voll Eier und Schinken zu erleben.

Bei starker und gesunder Leibesbeschaffenheit thut die Liebe eine ganz verschiedene Wirkung von der, welche sie bei der schwachmatten Art von Menschen anrichtet. Bei den letzten zerstört sie gemeiniglich all den Appetit, welcher auf die Erhaltung des Leibes geht. Bei den ersten aber, ob sie gleich oft Essen und Trinken sowohl als alles übrige vergessen und versäumen läßt, so darf man doch nur einen gut bekrusteten Lendenbraten einem hungrigen Liebhaber vor die Nase setzen, und er wird selten ermangeln, gar behende seine Rolle zu spielen. Ebenso ging's auch hier; denn obgleich Jones eines Einbläsers bedurfte, und wenn er allein gewesen wäre noch viel weiter mit leerem Magen gereist sein möchte, so hatte er sich doch kaum bei den Eiern und Schinken niedergelassen, als er ebenso wacker und heißhungrig zulangte wie Rebhuhn selbst.

Die Nacht trat ein, ehe noch unsre Reisenden ihre Mahlzeit geendigt hatten, und weil es auf den Neumond losging, so war es außerordentlich dunkel. Rebhuhn vermochte also über Herrn Jones, zu bleiben und das Marionettenspiel mit anzusehen, welches eben angehen sollte und wozu sie von dem Entrepreneur des Theaters sehr dringend eingeladen wurden, der ihnen beteuerte, seine Figuren wären die schönsten, die man nur jemals in der Welt gesehen hätte, und wären allenthalben in allen vornehmen Städten und von hohen Standespersonen mit dem gnädigsten Beifall beehrt worden.

Dies dramatische Werk ward mit großer Regelmäßigkeit und strengem Wohlstande aufgeführt. Es war betitelt: Auswahl der besten und ernsthaften Stellen aus dem »aufgebrachten Ehemann«; und in der That war es ein sehr ernsthaftes feierliches Lustspiel, ohne niedrigen Witz, närrische Einfälle oder Possen, oder um ihm nichts mehr als Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne irgend etwas, das einen hätte zum Lachen bewegen können. Die Zuschauer waren außerordentlich vergnügt. Eine sehr ehrbare Matrone sagte dem Prinzipal, sie wollte morgen abend ihre beiden Töchter mitbringen, weil er kein possenhaftes Zeug vorstellte, und ein Aktenschreiber und ein Accisbedienter bezeugten beide, die Charaktere des Herrn und der Frau Townny wären brav gehalten und richtig nach [293] dem Leben gezeichnet. Dieser Meinung stimmte Rebhuhn gleichfalls bei.

Der Herr Marionettenspiel-Direktor ward durch diese Lobsprüche dergestalt in die Höhe geschraubt, daß er sich nicht enthalten konnte, noch einige von den seinigen hinzuzufügen. Er sagte, unsre Zeiten wären über diesen Punkt so aufgeklärt als über die Marionettenspiele, aus welchen man durch Abschaffung des Hanswursts und seiner Frau, der Liesel, und dergleichen groben Personagen, endlich einen sehr vernünftigen und lehrreichen Zeitvertreib gemacht habe. »Ich erinnere mich noch,« sagte er, »als ich zu erst anfing das Wort zu führen, gab es noch eine Menge von unregelmäßigen Stücken, welche gut genug dazu waren, das Volk lachen zu machen; aber sie waren gar nicht darauf berechnet, die Sitten junger Leute zu bessern, welches doch der eigentliche und wahre Hauptzweck ist, der bei einem Puppenspiele beabsichtigt werden soll; denn warum sollte man nicht Tugend und Empfindsamkeit ebensogut auf diesem Wege verbreiten können als auf einem andern? Meine Figuren haben Lebensgröße und sie stellen das menschliche Leben in allen Ständen vor, und ich bin gewiß, mein Auditorium geht aus meinen kleinen dramatischen Spielen ebenso erbaut nach Hause als aus größeren.« – »Ich bin keineswegs gesonnen,« antwortete Jones, »die größere Aufklärung in Ihrer Profession zu bezweifeln; bei alledem wäre mir's gleichwohl lieb gewesen, meinen alten Bekannten, den allezeit pritschfertigen Hanswurst mit seiner bunten Jacke wiederzufinden, und mich deucht, Sie haben dadurch, daß Sie ihn und sein lustiges Weib, die Liese, von Ihrem Theater verbannt haben, Ihr Spiel nicht sowohl verbessert als vielmehr verschlechtert.« Auf diese Worte faßte der steif und schlaffe Seiltänzer ohne weiteres eine herzliche Verachtung gegen Herrn Jones und versetzte mit spöttischer Künstlermiene: »Ich glaub' es, mein Herr, Ihre Meinung mag das wohl sein, aber ich habe das Vergnügen zu wissen, daß die aufgeklärtesten Richter ganz verschieden von Ihnen denken, und jedermanns Geschmacke zu gefallen, das ist unmöglich. Ich gesteh' allerdings, einige von den hochadeligen Personen zu Bath verlangten vor zwei oder drei Jahren gar sehnlich den Hanswurst wieder auf meiner Bühne zu sehen, und ich glaube, ich büßte ein ziemliches Geld dadurch ein, daß ich ihnen nicht darin gefällig sein wollte, aber laß andre es machen wie sie wollen, ich werde mich durch Kleinigkeiten nicht bestechen lassen, meine eigne Kunst herabzuwürdigen, und mit meinem Willen soll der Wohlstand und die Regelmäßigkeit meiner Schaubühne nicht dadurch verletzt werden, daß ich wieder solche Possenreißereien darauf litte.«

»Recht, Freund,« rief der Schreiber, »Sie haben's größte Recht! [294] Immer weg mit allem was niedrig und gemein ist! Verschiedene von meinen Bekannten in London sind fest entschlossen, alles was niedrig und gemein ist vom Theater zu treiben.« – »Das ist ein sehr löblicher Vorsatz,« rief der Accisbediente und nahm dabei seine Pfeife aus dem Mund. »Ich erinnere mich noch,« fuhr er fort, »(denn ich diente damals bei unsrem Grafen), ich war den Abend auf der Bedienten-Galerie, als die Komödie vom ›aufgebrachten Ehemann‹ zum erstenmal agiert wurde. Es war eine große Menge gemeinen Schnickschnacks darin über einen Landedelmann, der zur Stadt gekommen war und im Parlament sitzen wollte, und da brachten sie ein paar von seinen Bedienten mit ins Spiel, und auf den Kutscher besinn' ich mich noch am besten, aber die Herren in unsrer Galerie konnten so gemein Zeug nicht ausstehen und zischten es aus. Ich sehe, Freund, Sie haben alle den Kram ausgelassen und verdienen dafür Lob und Ehre.«

»Ja, meine Herren,« rief Jones, »gegen so viele Stimmen kann ich meine Meinung nicht behaupten. Freilich, wenn die Mehrheit unter seinen Zuschauern ihn nicht leiden kann, so hat der gelehrte Herr, welcher das Drama dirigiert, wohl sehr recht gethan, daß er den Hanswurst und seine lustigen Kameraden aus seinem Dienste entlassen hat.«

Der Herr Puppenprinzipal begann hierauf eine zweite Rede einzufädeln und sagte ein langes und breites über die Macht des Beispiels und wie sehr die niedrige Klasse der Menschenkinder vom Laster abgeschreckt würde, wenn sie sähen, wie häßlich es bei den Vornehmern herauskäme, als er unglücklicherweise durch einen Zufall unterbrochen wurde, welchen wir vielleicht vorbeigelassen hätten, den wir uns aber jetzt nicht enthalten können zu erzählen, nur nicht in diesem Kapitel.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Aus welchem man die Lehre nehmen kann, daß die besten Sachen dem Mißverstande und falschen Erklärungen unterworfen.


Jetzt entstand ein heftiger Lärm bei der Einlaßthüre, woselbst die Wirtin ihrer Magd das Gewicht ihrer Fäuste und ihrer Zunge tüchtig fühlen ließ. Sie hatte wirklich die Dirne bei ihren Verrichtungen vermißt und solche nach einigem Suchen auf dem Marionettentheater in Gesellschaft des Bajazzo in einer Stellung angetroffen, die sich hier nicht wohl beschreiben läßt. Obgleich Gundchen (denn das war ihr Name) allen Anspruch auf Zucht und Ehrbarkeit verscherzt hatte, so war sie doch noch nicht unverschämt genug, eine [295] That zu leugnen, über welcher sie auf der Stelle ertappt worden. Sie nahm also eine andre Wendung und versuchte es, ihr Verbrechen zu mildern. »Was hat Sie mich so entsetzlich zu prügeln, Madame?« rief die Dirne. »Wenn Sie mit meinem Thun und Lassen nicht zufrieden ist, so kann Sie mich ja manns weggehn lassen. Wenn ich eine Hure bin (denn die Wirtin war mit dieser Benennung gar nicht sparsam gegen das Mädchen), so gibt's wohl vornehme Leute, die so gut sind als ich. Was war wohl die vornehme Madame da eben im Puppenspiel? Ich sollt' doch meinen, vor nichts und wieder nichts wär' sie nicht ganze Nächte aus ihres Ehemanns Hause fortgeblieben!« Hierüber sprengte die Wirtin nach der Küche und nahm sowohl ihren Ehemann als den Puppendirektor in die Mache. »Hier siehst du,« sagte sie zu dem ersten, »was herauskommt, wenn du solche Leute in deinem Hause beherbergst! Wenn man auch ihretwegen ein bißchen mehr Bier wegzapft, so macht das kaum den Unrat wieder gut, den sie ins Haus bringen; und dann soll man sein Haus von solchem Lausegesindel zum Hurenhaus machen lassen noch darzu? Kurz und gut, ich sag's Euch, morgen im Tage müßt Ihr ausziehn, denn ich will solche Händel nicht mehr dulden. Denn anders kommt nicks dabei 'raus, als daß Er 'n Gesinde Müßiggang beibringt und Unsinn; denn was kann man wohl bessres aus solchem Firlefanz lernen? Ja zu meiner Zeit noch, als die Puppenspiele hübsche geistliche Historien vorstellten, als Jephthas rasch Gelübde und solche andächtige Sachen und gottlose Leute vom – Gottseibeiuns! weggeholt wurden; ja da war's ein ganz andres noch! Da war Verstand drin und gute Moraligen. Aber wie der Pastor vorigen Sonntag predigte, kein Mensch will heutigstags mehr an den Teufel glauben! und da bringt er denn noch so 'n Rudel Puppen her, die angezogen sind wie vornehme Grafen und Gräfinnen; und wozu? ja wozu? als unsern Dirnen auf'm Lande den Kopf zu verrücken, und wenn der erst nicht mehr steht, wo er stehen soll, so ist kein Wunder, wenn alles über und über und kunterbunt hergeht.«

Ich denke, es ist Virgil, der uns sagt, daß, wenn der Pöbel in Lärm und Getümmel versammelt ist und alles, was werfbar ist, umherfliegt und dann ein Mann von Ansehen und Ernsthaftigkeit unter ihn tritt, sich das Getümmel alsobald legt und der Pöbel, welcher, wenn er in hellen Haufen versammelt ist, sich sehr gut mit dem Esel vergleichen läßt, seine langen Ohren bei der Rede des ehrwürdigen Mannes in die Höhe reckt.

Wenn hingegen eine Versammlung ernsthafter Männer und Philosophen mit einander disputieren, wenn gewissermaßen die Weisheit selbst als gegenwärtig und den Disputierenden ihre Gründe [296] an die Hand gebend betrachtet werden kann, und sich dann ein Tumult unter dem Pöbel erhebt, oder das böse Weib, Schulgezänk, deren Geschrei allein so betäubend ist als das Geschrei eines ganzen versammelten Haufen Pöbels, unter besagten Philosophen erscheinen sollte, so hat's mit ihrem Disputieren augenblicklich ein Ende. Die Weisheit verrichtet nicht länger ihr Präsidentenamt und jedermanns Aufmerksamkeit wird auf das schändliche Häringsweib geheftet.

Auf solche Weise brachte der vorbesagte Aufruhr und die Hereinkunft der Wirtin den Puppenprinzipal zum Schweigen und machte der ernstlichen feierlichen Rede ein plötzliches Ende, von der wir dem Leser bereits eine zum Schmecken hinlängliche Probe gegeben haben. Nichts hätte wirklich zur ungelegenern Zeit kommen können, als dieser Zufall. Fortunens mutwilligste Schalkheit hätte nicht eine zweite ähnliche List ersinnen können, um den armen Schelm zu verwirren, als er eben im hohen Siegeston die herrliche Moral ausposaunte, welche seine dramatische Vorstellung weit und breit umher bewirke. Sein Maul war ihm jetzt ebenso nachdrücklich gestopft, wie es einem Marktschreier sein müßte, wenn mitten in einer Deklamation über die vortrefflichen Tugenden seiner Pulver und Tropfen die Leiche irgend eines seiner Märtyrer dahergebracht und vor seiner Bühne niedergesetzt würde als ein Zeugnis seiner Geschicklichkeit. Demnach anstatt der Wirtin zu antworten, rannte der Puppenspieler hinaus, um seinen Bajazzo zu züchtigen, und sobald der Mond begann, sein Silberlicht umherzustreuen, wie der Dichter es nennt, (ob er gleich damals einem Stücke Kupfer ähnlicher sah), forderte Jones seine Rechnung und befahl Rebhuhn, den die Wirtin eben aus einem tiefen Schlaf erweckt hatte, sich zur Reise anzuschicken. Rebhuhn aber, welcher seit kurzem, wie mein Leser eben gesehen hat, zweimal bittselig gewesen, war dadurch so dreist geworden, eine dritte Bitte zu wagen, die darin bestand, Herrn Jones zu vermögen, in dem Hause, worin sie waren, sein Nachtquartier aufzuschlagen. Er leitete solche ein mit einem verstellten Erstaunen über Herrn Jones' geäußertes Vorhaben, weiter zu gehen; und nachdem er dagegen viele vortreffliche Gründe angeführt hatte, stützte er solche besonders darauf, daß das Vorhaben in der Welt zu nichts dienen könne; denn sobald Herr Jones nicht wüßte, wes Weges die Dame gegangen, könnte ihn jeder Schritt, den er thäte, gar leicht nur weiter von ihr abführen. »Denn Sie sehen ja, liebster Herr,« sagte er, »und haben's von allen Leuten im Hause gehört, daß sie dieses Weges nicht gekommen ist. Es wird also viel besser sein, wenn wir bis morgen früh bleiben, weil wir dann erwarten dürfen, jemand anzutreffen, bei dem wir Erkundigung einziehen können.«

Dieser letzte Grund hatte wirklich einige Wirkung auf Jones, [297] und unterdessen daß er ihn wog, legte der Wirt alle Beredsamkeit, deren er mächtig war, in ebendieselbige Schale. »In Wahrheit, gnädiger Herr,« sagte er, »Ihr Bedienter gibt Ihnen da einen gar exzellenten Rat. Denn wer wollte wohl um diese Jahreszeit zu Nacht reisen?« Darauf begann er im gewöhnlichen Stile die vortreffliche Bewirtung auszutrompeten, die man in seinem Hause fände, und auch die Wirtin ließ bei der Gelegenheit ihr Pfund nicht im Schweißtuche vergraben liegen. – Jedoch um den Leser nicht mit Dingen aufzuhalten, die jedem Wirte und jeder Wirtin natürlich und gemein sind. – Jones ließ sich endlich überreden zu bleiben und sich durch ein paar Stunden Schlaf zu erholen, dessen er wirklich sehr benötigt war; denn er hatte seit dem Wirtshause, wo ihm der Zufall mit dem zerschellerten Kopfe begegnete, kein Auge zugethan.

Sobald Jones den Entschluß gefaßt hatte, diesen Abend nicht weiter zu reisen, ging er unverweilt mit seinen zwei Bettgesellen, dem Taschenbuche und dem Muff, nach seiner Schlafstelle; Rebhuhn aber, der sich zu verschiedenen Malen mit einem Stündchen Schlaf gütlich gethan hatte, war mehr aufgelegt zum Essen als Schlafen, und zum Trinken noch mehr als zu allen beiden.

Da nunmehr der Sturm, der über Gundchen entstanden war, vorüber und die Frau Wirtin mit dem Drahtpuppengeiste wieder ausgesöhnt war, der auch seinerseits die unanständigen Ausfälle verzieh, welche die gute Frau in ihrem Eifer auf seine dramatischen Vorstellungen gethan hatte, herrschte ein vollkommener Friede und tiefe Ruhe in der Küche. Hier saßen im Zirkel um das Feuer der Herr Wirt und die Frau Wirtin vom Hause, der Herr Direktor des Theaters von nichtlebendigen Personen, der Aktenschreiber, der Accisbediente und der kluge und schlaue Rebhuhn, in welcher Gesellschaft das angenehme Gespräch vorfiel, welches man im nächsten Kapitel aufgezeichnet finden wird.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Enthaltend eine oder ein paar Bemerkungen von unsrer eigenen Fabrik, und noch verschiedene mehr, welche von der Gesellschaft in der Küche gemacht wurden.


Obgleich sich die Eitelkeit Rebhuhns nicht so weit erniedrigen wollte, zu bekennen, daß er ein Bedienter sei, so ließ er sich doch in vielen Dingen so weit herab, daß er die Manieren dieser Rangklasse nachahmte. Eine davon war, daß er das Vermögen seines Reisekompagnons, wie er Jones nannte, gar weidlich herausstrich: [298] denn dies ist eine allgemeine Gewohnheit aller Bedienten, wenn sie sich unter fremden Leuten befinden, weil keiner von ihnen gerne dafür gehalten sein will, daß er einen Bettler bediene; sie meinen, je höher der Herr im Range sei, je höher stehe auch folglich sein Diener. Die Wahrheit dieser Bemerkung erhellt aus dem Betragen aller Bedienten beim hohen Adel.

Allein obgleich Rang und Vermögen einen Glanz um sich her verbreiten und die Bedienten von Leuten von großem Range und Reichtum selbst einen Anspruch auf einen Teil des Respekts zu haben glauben, welchen man dem Range und den Gütern ihrer Herren erweist: so ist es doch klarerweise ganz anders damit beschaffen in Rücksicht auf Tugend und Verstand. Diese Vorzüge sind im strengsten Sinne persönlich und verschlingen selbst alle den Respekt, welchen man ihnen schuldigermaßen zollt. Dieser Respekt ist nun freilich so unbeträchtlich, daß sie sehr wenig übrig behalten haben, mit andern zu teilen. Da diese nun keine Ehre auf den Domestiken zurückwerfen, so ist er auch durch den kläglichsten Mangel seines Herrn an beiden im geringsten nicht entehrt. Freilich ist es eine ganz andre Sache in Ansehung des Mangels dessen, was man bei einer Damenherrschaft Tugend nennt; deren Wichtigkeit haben wir vorhin schon bemerkt. Diese Art Unehre ist gewissermaßen ansteckend und teilt sich so ungefähr wie die leidige Seuche der Armut allen denen mit, die ihr nahe kommen.

Dieser Ursachen halber müssen wir uns nicht wundern, daß Bediente (ich rede hier von männlichen) so sehr geflissentlich darauf bedacht sind, den großen Ruf ihrer Herren im Punkt des Reichtums im Ansehn zu erhalten und sich um die Ehre ihres Charakters in jeder andern Rücksicht fast wenig oder gar nicht bekümmern, und daß, so sehr sie sich schämen würden, einem Bettler zu dienen, sie sich doch nichts daraus machen, einem listigen Schelme oder einfältigen Dummkopfe aufzuwarten, und sich folglich kein Bedenken machen, die listigen Ränke oder einfältigen Thorheiten dieser besagten Herren so weit als möglich auszubreiten, und zwar dies oft mit vielem Spott und vieler Laune. Wirklich ist ein Bedienter oft ein schöner Geist oder ein süßer Herr auf Kosten desjenigen, dessen Livree er trägt. Als sonach Rebhuhn die großen Güter sehr stattlich herausgestrichen hatte, die Herr Jones einmal ererben würde, teilte er auch sehr unverhohlen die Besorgnis mit, die ihm seit gestern zu Kopfe gestiegen war und zu welcher, wie wir uns gleich damals ein wenig merken ließen, Jones' Aufführung einen hinlänglichen Grund gegeben zu haben schien. Kurz er war nunmehr so ziemlich in seiner Meinung bestärkt, daß es bei seinem Herrn nicht so ganz richtig im Kopfe wäre! Mit welcher Meinung er gegen [299] die gute Gesellschaft um das Feuer herum so ziemlich plumperweise herausplatzte.

Dieser Meinung trat der Marionettenspieler auf der Stelle bei. »Ich muß gestehn,« sagte er, »der Herr setzte mich in Erstaunen, als er so ohn' alle Vernunft über meine Puppenspiele redete. Es ist beinahe unbegreiflich, daß irgend ein Mensch bei gesundem Verstande so falsch sollte urteilen können. Was Sie mir da jetzt sagen, daraus lassen sich alle seine monströsen Begriffe sehr gut erklären. Der arme Herr! er geht mir herzlich nah. Wirklich, seine Augen gingen ihm sehr wild im Kopfe herum, das merkt' ich gleich vorhin, ob ich gleich nichts davon sagen mochte.«

Der Wirt bestätigte diese letzte Behauptung und schrieb sich gleichfalls die Scharfsichtigkeit zu, es schon vorhin bemerkt zu haben. »Und gewißlich,« fuhr er fort, »'s muß wahr sein: denn niemand anders als 'n toller Mensch hätt' nur drauf denken können, ein so gutes Haus zu verlassen, um bei so später nachtschlafender Zeit auf den Heerstraßen herumzuwanken.«

Der Accisbeamte nahm seine Pfeife aus dem Munde und sagte: »Er dächte, der Herr hab'n bißchen wild ausgesehn und gesprochen.« Drauf wendete er sich an Rebhuhn und sagte: »Wenn er im Kopf verrückt ist, so sollte man nicht leiden, daß er so frei unter den Leuten herumgehen dürfte, denn er kann sehr leicht groß Unheil anrichten; 's ist eine Sünde,« sagte er, »daß man 'n nicht festnimmt und seinen Verwandten nach Hause schickt.«

Nun spukten wirklich schon einige dergleichen Einfälle in Rebhuhns Gehirn herum, denn weil er nichts gewisser glaubte, als Jones wäre dem Herrn Alwerth entlaufen, so versprach er sich die größte Belohnung, wenn er ihn auf irgend eine Weise wieder nach Hause zurückschaffen könnte. Aber seine Furcht vor Jones, dessen Mut und Kräfte er schon einigemal gesehen und wirklich gefühlt hatte, ließ ihn gleichwohl ein solches Vorhaben als völlig unausführbar betrachten, und sonach war er abgeschreckt worden, einen ordentlichen regelmäßigen Plan für diesen Endzweck zu ersinnen. Sobald er aber die Gesinnung des Accisbedienten vernahm, ergriff er die Gelegenheit mit der seinigen hervorzurücken und äußerte den herzlichen Wunsch, daß man so etwas wirklich möchte zustande bringen können.

»Zustandebringen können!« sagte der Mann von der Accise; »nun, nichts ist leichter.«

»Ach Herr,« antwortete Rebhuhn, »Sie kennen ihn nicht. Er hat Ihnen einen rechten Teufel im Leibe. Er kann mich mit einer Hand aufheben und mich zum Fenster hinauswerfen, und das thät' er gewiß, wenn er nur im geringsten Unrat merkte.«

[300] »Pah!« sagte der Accisbeamte. »Ich glaube, ich bin ebenso gut 'n Mann wie er. Ueberdem so sind ja unser fünfe.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit Ihren fünfen wollen,« rief die Wirtin; »mein Mann soll damit nichts zu schaffen haben, und in meinem Hause soll auch niemand an einen Menschen gewaltsame Hand anlegen. Der junge Herr ist ein so hübscher junger Herr, als ich mein Lebelang gesehen habe, und ich glaube, er ist ebensowenig irre im Kopf, als einer von uns. Ich weiß nicht, was ihr Leute damit sagen wollt, daß die Blicke in seinen Augen wild sein sollen. Es sind die niedlichsten Augen, die ich all' mein Lebelang gesehen habe, und er kann da so niedlich mit umhersehen! Und ein recht bescheidner, höflicher junger Mann ist er auch, das muß wahr sein! Fürwahr ich hab' ihn seitdem recht herzlich bedauert. Der Herr da im Winkel erzählte uns, er hätte Kreuz und Leiden mit seinem fein's Liebchen. Und gewiß, das ist schon genug, daß ein jedweder Mann und besonders so ein süßer, scharmanter Herr als er ist, ein bißchen anders aussehen muß, als er sonst aussah. Die Braut, in der That! was zum Geier will denn die Braut wohl besser haben, als einen so schönen wackern Mann mit so mächtig großen Gütern? Es muß wohl so eine von dem hochadligen Volke sein, so eine von den Madamen Townny's, wie wir gestern im Marjenetenspiel sahen, die ihr Lebelang nicht wissen, was sie wollen.«

Der Aktenschreiber erklärte gleichfalls, er wolle mit dem Handel nichts zu schaffen haben, ohne erst vorher einen Lizentiaten zu fragen. »Gesetzt,« sagte er, »man brächte eine Klage wegen gesetzwidrigen Verhafts gegen uns ein, was könnten wir exzeptieren? Wer weiß alles, was dazu gehört, um vor geschwornen Richtern zu beweisen, daß ein Mensch toll ist? Aber ich sage das nur allein für meinen eignen Kopf, denn es schickt sich für einen Rechtsgelehrten nicht, sich in solche Händel zu mischen, wenn's nicht ist als Advokat oder als Konsulent. Die geschwornen Richter sind uns niemals so günstig als andern Leuten. Ihnen will ich also nicht davon abraten, Herr Thomson« (zu dem Accisbedienten), »noch dem Herrn, noch sonst jemand.«

Der Accisbediente schüttelte seinen Kopf bei dieser Rede, und der Marionettenprinzipal sagte: »die Tollheit wäre zuweilen vor Richtern sehr schwer zu beweisen. Denn,« fuhr er fort, »ich erinnere mich noch, ich war einmal bei einem Gerichtsverhör über Tollheit, worin zwanzig Personen den Zeugeneid ablegten, daß die Person ebenso wahnsinnig wäre als ein Märzhase, und zwanzig andre schwuren, er wäre ebensogut bei vernünftigen Sinnen als nur irgendein Mensch im ganzen Königreiche. Und in der That waren [301] alle Leute der Meinung, es wäre nur bloß ein Kniff von seinen Verwandten, um sich des Vermögens des armen Menschen zu bemächtigen.«

»Das kann wohl sein,« rief die Wirtin. »Ich habe selbst einen armen Herrn gekannt, den seine Familie sein ganzes Leben lang in einem Irrenhause eingesperrt hielt und sich's von seinem Gelde wohl sein ließ. Aber sie hatten kein Gedeihen dabei, denn ob's ihnen gleich von Gerichtswegen zugesprochen war, so kam's ihnen doch von Rechtswegen nicht zu.«

»Pah!« schrie der Schreiber ganz höhnisch, »was einem von Gerichtswegen zugesprochen wird, das kommt einem von Rechtswegen zu. Wenn mir das beste Gut im Lande von Gerichtswegen zugesprochen würde, den Henker wollt' ich mich drum bekümmern, wem's von Rechtswegen zukäme!«

»Wenn dem also ist,« sagte Rebhuhn, »felix quem faciunt aliena pericula cautum.«

Der Wirt, welcher durch die Ankunft eines Reisenden zu Pferde vor den Thorweg hinausgerufen worden, trat wieder zur Küche herein und rief aus mit bangem Gesicht: »Was denken Sie, meine Herren, die Rebellen sind dem Herzog entwischt und sind fast schon bis London gekommen – 's ist ganz gewiß wahr; denn eben hat mir's ein Mann zu Pferde erzählt.«

»Ei, das ist mir von Herzen lieb,« schrie Rebhuhn, »denn so wird hier in dieser Gegend nichts zu fechten vorfallen.«

»Mich freut's,« rief der Schreiber, »aus einer bessern Ursache, denn ich möchte immer, daß ein jedweder bekäme, was ihm von Rechtswegen gehört.«

»Ja wohl, freilich,« antwortete der Wirt. »Aber ich habe wohl Leute sagen hören, daß dem Ritter von Rechtswegen nichts zukomme.«

»Ich will den Augenblick das Gegenteil beweisen,« rief der Schreiber. »Wenn mein Vater stirbt im Besitz eines Rechts, merken Sie mich, merken Sie mich wohl, im Besitz eines Rechts, sag' ich, fällt nicht das Recht auf seinen Sohn, und fällt nicht ein Recht so gut auf den Sohn, als das andere?«

»Aber wie kann er ein Recht haben, uns zu Papisten zu machen?« sagte der Wirt.

»Keine Furcht davor!« rief Rebhuhn. »Was das Recht anbetrifft, das hat der Herr da bewiesen, so hell als die Sonne, was aber die Religion anlangt, die hat gar nichts mit der Sache zu thun. So was erwarten die Papisten selbst nicht einmal. Ein katholischer Priester, den ich recht gut kenne und der ein sehr ehrlicher Mann ist, hat mich auf seine Treue und Glauben versichert, daß sie an so was gar nicht dächten.«

[302] »Und ein andrer Priester von meiner Bekanntschaft,« sagte die Wirtin, »hat mir ebendasselbe gesagt. Aber mein Mann hat immer so eine Furcht vor den Papisten. Ich kenne eine große Menge Papisten, die eine recht wackre Art von Leuten sind und mit ihrem Gelde gar nicht knickern, und ich hab's mein Lebenlang damit gehalten, daß des einen Mannes sein Geld ebensogut ist als des andern sein's.«

»Sehr wahr, Frau Wirtin!« sagte der Puppenmeister, »meinetwegen mag eine Religion kommen, welche will, wenn nur nicht die presbyterische die Oberhand behält, denn das sind Feinde vom Marionettenspielen.«

»So, so! Ihrem Eigennutze wollten Sie also Ihre Religion aufopfern,« rief der Mann bei der Accise, »und wünschen, daß das Papsttum aufkomm', nicht wahr?«

»Gewiß nicht,« antwortete der andre. »Ich bin dem Papsttum so feind als es nur ein Mensch sein kann; aber 's ist einem doch noch ein Trost, daß man dabei sein Brot verdienen kann; das könnt' ich aber ja nicht bei der presbyterischen Religion. Das ist ausgemacht, ein jeder Mensch trachtet zuerst nach seinem ordentlichen Auskommen, das muß mir niemand abstreiten, und ich wette, wenn Sie die Wahrheit bekennen wollen, so fürchten Sie nichts mehr als Ihr Amt zu verlieren. Aber das hat keine Not, Freund! Accise wird sein unter einer andern Regierung sowohl, als unter dieser.«

»Das ist nun gewiß,« erwiderte der Accisbediente. »Ich müßte wohl ein schlechter Mann sein, wenn ich nicht des Königs Wort spräche, dessen Brot ich esse; das ist ja ganz natürlich, wie man zu sagen pflegt. Denn was geht's mich an, daß unter einer andern Regierung auch ein Accishof sein würde, weil meine Freunde vom Ruder kommen würden und ich ja nichts bessers erwarten könnte, als daß ich ihnen nachfolgen müßte. Nein, nein, Freund, ich werde mich niemals um meine Religion herumschwatzen lassen, bloß in Hoffnung einen Dienst unter einer andern Regierung zu bekommen, denn einen bessern kriegt' ich doch gewiß nicht, und sehr vermutlich wär' er schlechter.«

»Ja nun, das ist ja was ich sage,« rief der Wirt, »so oft die Leute sprechen, wer weiß was sich zutragen kann! Schlapperment! wär' ich nicht ein Schafskopf, wenn ich mein Geld, ich weiß nicht wem liehe, weil sich's zutragen könnte, daß er mir's wiedergäbe? In meinem Schrank ist's sicher, das weiß ich, und darin will ich's behalten.«

Der Aktenschreiber fand ein großes Gefallen an Rebhuhns weiser Denkungsart. Ob dies nun von der tiefen Kenntnis herkam, welche der erste von Menschen und Dingen besaß, oder ob [303] es in der Sympathie ihrer Gemüter seinen Grund hatte, denn sie waren beide im Herzen treue Jakobiten, genug sie reichten einander die Hände, schüttelten solche recht herzlich und tranken volle Kannen Doppelbier auf Gesundheiten, die wir hier lieber in Vergessenheit begraben wollen.

Diese Gesundheiten gingen hernach die Reihe rund herum und wurden von allen, selbst vom Wirt, obgleich ein wenig wider Willen, getrunken. Er konnte aber den Drohungen des Schreibers nicht widerstehen, welcher schwur, er wollte keinen Fuß wieder in sein Haus setzen, wenn er sie ausschlüge. Die Gläser gingen bei dieser Gelegenheit so fleißig in die Runde, daß sie bald der Konversation ein Ende machten. Deswegen wollen wir auch hier das Kapitel endigen.


Ende des zweiten Bandes. [304]

Zwölftes Buch [2]

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

In welchem Fortuna Herrn Jones freundlicher anzulächeln scheint, als wir bisher noch an ihr wahrgenommen haben.


Sowie es gewiß keinen gesundern, so gibt es gewiß auch keinen stärkern Schlaftrunk, als Müdigkeit durch Arbeit und Bewegung. Von diesen hatte Jones, wie man sagen möchte, eine starke Gabe eingenommen, und sie that auf ihn eine starke Wirkung. Er hatte bereits neun Stunden geschlafen, und möchte vielleicht noch länger geschlafen haben, wäre er nicht durch ein heftiges Gelärm vor seiner Kammerthür aufgeweckt worden, woselbst manche harte und schwere Schläge von ebenso großem Mordgeschrei begleitet wurden. Jones sprang ungesäumt aus seinem Bett und fand, daß der Herr Puppenprinzipal den Rücken und die Rippen seines armen Spitzhuts ohne alle Barmherzigkeit und Mäßigung durcharbeitete.

Jones legte sich alsobald zu Gunsten des leidenden Teils dazwischen und drückte den prahlenden Ueberwinder pfahlsteif an die Wand, denn die gute Drahtpuppenseele war ebensowenig vermögend sich gegen Jones zu wehren, als der arme buntscheckige Grammanzenschneider sich gegen seinen Direktor hatte wehren können.

Obgleich Signor Strohsack nur ein kleiner Knirps und gar nicht stark war, so hatte er doch sein Teil Galle. Er fand sich also nicht so bald von seinem Feinde befreit, als er ihn mit den alten Waffen angriff, worin er gleiche Stärke mit ihm hatte. Von diesen feuerte er zuerst eine tüchtige Ladung Scheltworte auf ihn ab, und dann griff er zu weitern besondern Anklagen. »Ihr verdammter Spitzbube, Ihr,« sagte er, »ich muß Euch nicht nur das Brot verdienen, denn alles Geld was Ihr einnehmt, das schanz' ich Euch zu, sondern ich hab' Euch auch noch vom Galgen errettet. Wolltet Ihr nicht mit aller Gewalt der Dame ihre schönen Reitkleider stehlen, nur erst gestern noch, da in dem hohlen Wege nicht weit von hier? [5] Könnt Ihr's leugnen, Spitzbube, daß Ihr's wünschtet, wenn Ihr sie nur im dicken Wald allein hättet, die schönste Dame nackend auszuziehen, die man nur in der Welt sehen kann? Und da fällst du Bube über mich her und prügelst mich fast zu Tode, und habe doch dem Mädchen kein Leids gethan, und gar keine Gewalt, bloß weil sie mich lieber hatte als dich?« Jones hatte dies kaum vernommen, als er den Prinzipal fahren ließ, ihm aber zugleich aufs schärfste einknüpfte, sich aller fernern Mißhandlungen an dem lustigen Spaßmacher zu enthalten, und dann den armen Wicht mit sich nach seinem eignen Zimmer nahm, wo er Zeitung von seiner Sophie erfuhr, welche der Bursche, als er gestern seinen Herrn mit der Trommel begleitete, hatte vorbeireiten sehen. Es kostete wenig Mühe den Burschen zu überreden, ihm die eigentliche Stelle zu bezeichnen, und nachdem Jones hierauf seinen Rebhuhn in Gang gebracht hatte, reiste er in größter Eilfertigkeit ab.

Es war beinahe um acht Uhr des Morgens, bevor alle Dinge zu seiner Abreise zustandegebracht werden konnten, denn Rebhuhn hatte gar keine Hast, auch zauderte es mit der Rechnung, ehe die ausgemacht werden konnte, und als beides fertig und abgethan war, wollte doch Jones den Ort nicht eher verlassen, bis er den Herrn und seinen Gesellen völlig wieder ausgesöhnt und aller Fehde unter ihnen eine Ende gemacht hätte.

Als er dies glücklich zustandegebracht, zog er ab und ward von dem treuen Bajazzo nach der Stelle geführt, über welche Sophie geritten war. Nachdem er hier seinen Wegweiser reichlich belohnt hatte, ging er mit der äußersten Hurtigkeit weiter, höchst vergnügt über die außerordentliche Weise, auf welche er diese Nachricht überkommen hatte. Dieses Vergnügen erfuhr Rebhuhn nicht so bald, als er mit der größten Ernsthaftigkeit zu prophezeien begann und Herrn Jones weissagte, es würde ihm am Ende noch ganz glücklich gehen; »denn,« sagte er, »zwei solche Zufälle könnten sich niemals zugetragen haben, ihn so geradeswegs auf die Spur seiner Gebieterin zu bringen, wenn die Vorsehung nicht zum Endzweck hätte, sie zuletzt noch zusammenzubringen.« Und dies war das erste Mal, daß Jones auf die abergläubische Rockenphilosophie seines Gefährten ein wenig achtgab.

Sie waren noch keine Stunde gegangen, als sie ein heftiger Regenschauer überfiel, und da sie sich eben nicht weit von einem Kruge befanden, erhielt Rebhuhn durch inständiges Bitten von Herrn Jones, daß sie hineingingen, um den Schauer vorübergehen zu lassen.

Hunger ist ein seltsamer Feind (wenn man ihn wirklich einen Feind nennen kann), denn man mag ihn noch so oft besiegen, so [6] sammelt er nach gewisser Zeit immer wieder alle seine Kräfte. So that er auch jetzt in Ansehung Rebhuhns, welcher nicht so bald in der Küche angelangt war, als er ebendieselben Fragen zu wiederholen begann, die er den Abend zuvor gethan hatte. Die Folge davon war ein vortrefflich kalter Rindsrücken, der zu Tische gebracht wurde, wovon nicht nur Rebhuhn, sondern auch Jones selbst ein herrliches Frühstück zu sich nahmen; obgleich der letztere wieder ein wenig unruhig ward, weil die Leute im Hause ihm keine frische Nachricht von Sophie geben konnten.

Als die Mahlzeit eingenommen war, machte sich Jones wieder bereit, ungeachtet des heftigen Sturms, der noch immer anhielt, seinen Stab weiter zu setzen. Aber Rebhuhn bat herzlich um noch eine Kanne Bier, und als er endlich die Augen auf einen Pferdeknecht warf, der eben in die Küche zum Feuer gekommen war und der ihn gerade in dem Augenblicke ebenso emsig ansah, wandte er sich plötzlich an Herrn Jones und sagte: »Geben Sie mir Ihre Hand, lieber Herr, mit einer Kanne soll's diesmal nicht ausgemacht sein. Sehn Sie nur, hier ist mehr Nachricht von Fräulein Sophie zur Stelle gelangt. Der Knecht, der da beim Feuer steht, ist eben der Vorreiter, der sie weggebracht hat. Ich kann's beschwören, daß es mein eignes Pflaster ist, das er im Gesichte trägt.« – »Gott lohn's ihm, Herr,« schrie der Bauer-Enke. »Ja wohl ist's Ihr Pflaster; ich habe Ursache, für Ihre Gutheit dankbar zu sein so lang ich lebe, denn es hat mich fast schon ganz geheilt.«

Bei diesen Worten sprang Jones auf von seinem Stuhl und verlangte von dem Burschen, er sollte gleich mit ihm kommen, und so ging er aus der Küche nach einem besondern Zimmer. Denn so behutsam war er in Rücksicht auf Sophie, daß er niemals gern im Beisein mehrerer Leute ihren Namen nennen mochte und, ob er zwar gleichsam aus der Fülle seines Herzens den Namen Sophie als eine Gesundheit unter den Offizieren aufgegeben hatte, weil er es für unmöglich hielt, daß sie ihnen bekannt sein könnte, so wird sich doch der Leser erinnern, mit welcher Schwierigkeit man ihn dahin bringen konnte, ihren Familiennamen zu nennen.

Hart war es deswegen, und vielleicht nach der Meinung meines einsichtsvollen Lesers sehr abgeschmackt und widernatürlich, daß er seine gegenwärtigen Widerwärtigkeiten hauptsächlich dem vermeinten Mangel an dieser Delikatesse zuzuschreiben hatte, von welcher er ein solches Uebermaß besaß. Denn in der That glaubte sich Sophie mehr durch diejenige Freiheit beleidigt, welche, wie sie und zwar nicht ohne gute Ursache meinte, er sich mit ihrem Namen und Charakter herausgenommen, als über jede andre Freiheit, welche er sich unter seinen jetzigen Umständen mit der Person eines andern Frauenzimmers [7] erlaubt hatte und, die Wahrheit zu sagen, glaube ich, Jungfer Honoria würde es nie über sie erhalten haben, Upton, ohne Herrn Jones zu sprechen, wieder zu verlassen, hätte sie nicht diese zwei starken Proben von einer Leichtsinnigkeit in seinem Betragen anzuführen gehabt, die so wenig Ehrfurcht zeigten und in der That mit dem geringsten Grade von Liebe und Zärtlichkeit in einer großen und delikaten Seele völlig unvereinbar waren.

Aber so standen die Sachen und so muß ich sie erzählen, und wenn sich irgend ein Leser über ihren widernatürlichen Anschein entrüstet, so kann ich ihm nicht helfen. Solche Personen muß ich daran erinnern, daß ich kein System, sondern eine Geschichte schreibe, und daß ich nicht genötigt bin, alle und jede Dinge den eingeführten Begriffen von Wahrheit und Natur anzuschmiegen. Aber wenn mir das auch noch so leicht wäre, so möchte es dennoch vielleicht der Klugheit gemäß sein, es zu vermeiden. Denn zum Beispiel, wie das Faktum gegenwärtig vor uns da liegt, muß es, ohne daß ich im geringsten darüber kommentiere, ob es gleich dem ersten Anblick nach einigen Lesern anstößig sein kann, dennoch nach reiflicher Ueberlegung allen gefallen; denn weise und gute Menschen werden das, was Herrn Jones zu Upton begegnete, als eine gerechte Strafe seiner Zügellosigkeit in Ansehung des weiblichen Geschlechts betrachten, wovon es wirklich eine unmittelbare Folge war, und einfältige und schlechte Personen werden daraus Trost in ihrem Laster schöpfen, indem sie ihrem eignen Herzen schmeicheln, daß der Charakter eines Mannes mehr ein Werk des Zufalls als seiner Tugend sei. Nun möchten aber vielleicht die Betrachtungen, die wir geneigt sein könnten, hier anzustellen, beiden diesen Folgerungen widersprechen und zeigen, daß diese Zufälle bloß beitragen, jenen großen nützlichen und nicht gewöhnlichen Lehrsatz zu bestätigen, welchen unsern Lesern bestens einzuprägen der Endzweck dieses ganzen Werkes ist, und den wir nicht so häufig und auf allen unsern Blättern wiederholen müssen, wie etwa ein gewöhnlicher Kanzelredner seine Predigt damit ausdehnt, daß er am Ende jeder Periode seinen Text der Länge nach wiederholt.

Wir begnügen uns damit, daß es erhellen muß, wie Sophie, so unglücklich sie sich auch in ihrer Meinung von Jones irrte, dennoch hinlänglich Ursache zu dieser Meinung hatte; denn mich deucht, jedes andre junge Frauenzimmer würde sich in ihrer Lage auf eben die Weise geirrt haben. Ja, hätte sie eben jetzt ihren Geliebten aufgesucht und wäre in eben dieser Schenke, den Augenblick drauf, als er fortgegangen war, abgetreten, so würde sie den Wirt mit ihrem Namen und ihrer Person ebenso bekannt gefunden haben, als es ihr von dem Stubenmädchen zu Upton vorgekommen [8] war. Denn unterdessen daß Jones den Pferdeknecht in seinem abgelegnen Zimmer mit leiser Stimme ausfragte, hatte Rebhuhn, dessen Denkungsart nicht von so delikater Beschaffenheit war, den andern Knecht, welcher zu Madame Fitz Patricks Pferden gehörte, ganz öffentlich katechisiert, wodurch denn der Wirt, dessen Ohren bei solchen Gelegenheiten immer offen standen, mit Sophiens Purzelbaum vom Pferde u.s.w., mit dem Irrtum in Ansehung der Jenny Cameron, den verschiedenen Wirkungen des Punsches, kurz mit allen Dingen völlig bekannt wurde, welche sich in dem Gasthofe zutrugen, aus welchem wir die Damen in einer sechsspännigen Karosse weiter fahren ließen, als wir das letzte Mal unsern Abschied von ihnen nahmen.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Enthält wenig mehr als ein paar seltsame Bemerkungen.


Jones hatte ungefähr eine halbe Stunde in einem besondern Zimmer zugebracht, als er wieder in die Küche kam und mit dringender Eile von dem Wirte verlangte, ihn wissen zu lassen, was zu bezahlen wäre. Und das Mißvergnügen, welches Rebhuhn darüber empfand, daß er genötigt war, ein warmes Kamin und seine liebe Kanne mit vortrefflichem Malzsaft zu verlassen, ward dadurch einigermaßen versüßt, wie er hörte, daß er nicht weiter zu Fuße reisen sollte. Denn Jones hatte den Pferdeburschen durch goldene Gründe überredet, ihn nach dem Gasthofe zurückzubringen, wohin er vorher das Fräulein Sophie geführt hatte. Indessen willigte der Bursche nur mit der Bedingung darein, daß sein andrer Kamerad in dieser Schenke auf ihn warten müßte, weil, da der Wirt zu Upton ein genauer Bekannter von dem Wirt zu Gloucester war, es einmal früher oder später dem letztern zu Ohren kommen könnte, daß seine Pferde an mehr als eine Person verliehen worden, und solchergestalt der Knecht verbunden sein möchte, die Gelder zu berechnen, welche er sehr weislich gesonnen war, in seinen eignen Sack zu stecken.

Wir waren genötigt, dieses Umstandes zu erwähnen, so unbedeutend er scheinen mag, weil er Herrn Jones' Abreise um ein ziemliches verzögerte. Denn die Ehrlichkeit dieses letztern Kerls war ziemlich groß, – das heißt: von ziemlich großem Preise und würde Herrn Jones ziemlich viel gekostet haben, wenn nicht Rebhuhn, der, wie wir schon gesagt, einen sehr verschlagenen Kopf hatte, ganz listig eine halbe Krone dran gewendet hätte, um solche derweilen in der Schenke zu verzehren, da er die Rückkehr seines Kameraden [9] erwartete. Von dieser halben Krone hatte der Wirt nicht so bald die Witterung bekommen, als ihn die Gier darnach so heftig und überredend schreien ließ, daß der Kerl sehr bald überstimmt wurde, und für eine halbe Krone mehr, die er für seine Versäumnis forderte, den Handel einging. Hier können wir nicht umhin zu bemerken, wie unter den niedrigsten Menschen so tiefe Politik anzutreffen ist, daß sich große Männer oft zu viel auf ihre große Spitzfindigkeit im Ueberschnellen einbilden, weil es ihnen darin oft Leute aus der geringsten Menschenklasse gar häufig noch zuvorthun.

Als nunmehr die Pferde vorgeführt waren, sprang Jones ungesäumt auf den Quersattel, auf welchem seine teure Sophie gesessen hatte. Der Knecht bot ihm zwar sehr höflicherweise den seinigen an, aber er behielt den Quersattel vermutlich bloß weil er weicher war. Rebhuhn, obgleich ein ebenso großer Weichling als Jones, konnte dennoch den Gedanken nicht ausstehen, seine Mannheit zu erniedrigen, nahm also das Anerbieten des Burschen an, und nun, da Jones auf dem Quersattel, der Vorreiter auf den Jungfer Honorias sich gesetzt, und Rebhuhn das dritte Pferd beschritten hatte, ritten sie ihres Weges von dannen, und innerhalb vier Stunden erreichten sie den Gasthof, woselbst der Leser schon so lange Zeit zugebracht hat. Rebhuhn war den ganzen Weg über sehr munter und fröhlich, und erwähnte gegen Herrn Jones sehr oft der vielen guten Vorbedeutungen auf sein künftiges gutes Glück, welches ihm seit kurzem so günstig gewesen, und von dem der Leser, wenn er auch noch so wenig abergläubisch ist, gestehen muß, daß es sich ihm besonders hold und gewogen erzeigt habe. Rebhuhn hatte überdem noch mehr Gefallen an dem Pfade, den sein Kompagnon jetzt betrat, als an der Bahn der Ehre, auf welcher er kurz vorher noch fortschritt, und aus eben diesen Vorbedeutungen, welche dem Pädagogen einen guten Ausgang versicherten, erwarb er auch erst eine klare Idee von der Liebschaft zwischen Jones und Sophie, worauf er bis dahin nicht sonderlich gemerkt hatte, weil er der Ursache von Jones' Wanderschaft auf einer falschen Fährte nachspürte, und in Ansehung dessen, was zu Upton vorfiel, so war er, ehe er dahin gelangte, und nachdem er den Ort wieder verlassen, zu arg von der Furcht geplagt, um einen andern Schluß daraus zu ziehen, als Jones sei geradezu verrückt im Kopfe, ein Wahn, der sich nicht übel zu der Meinung reimte, die er bereits von seiner außerordentlichen Wildheit gefaßt hatte, und aus welcher sich, wie er dachte, sein Betragen bei ihrer Abreise aus Gloucester so ungezwungen erklären ließe, wie es ihm vorgekommen war. Unterdessen war ihm seine gegenwärtige Reise ganz gemütlich, und er fing nun an, viel würdigere Begriffe von seines Freundes Verstande zu hegen.

[10] Die Glocke hatte eben drei geschlagen, als sie ankamen, und Jones bestellte sogleich wieder Postpferde; zum Unglück war eben kein Pferd im ganzen Orte zu haben. Dies wird den Leser eben nicht wunder nehmen, wenn er bedenkt, in welchem Wirrwarr sich damals die ganze Nation und besonders diese Gegend befand, zu einer Zeit, da die Expressen zu jeder Stunde bei Tag und Nacht hin- und herritten.

Jones gab sich alle mögliche Mühe, seinen bisherigen Vorreiter zu bewegen, ihn noch bis Coventry zu bringen; aber er war unerbittlich. Dieweil er noch im Hofe bei dem Vorreiter stand, um ihm zuzureden, kam eine Person zu ihm, grüßte ihn, nannte ihn bei seinem Namen und erkundigte sich, wie sich die ganze gute Familie in Sommersetshire befände, und da Jones die Augen auf diese Person warf, erkannte er solche alsbald für Herrn Dowling, den Gerichtsprokurator, mit welchem er zu Gloucester gegessen hatte, und erwiderte seinen Gruß mit vieler Höflichkeit.

Dowling riet Herrn Jones ernstlich davon ab, diesen Abend noch weiter zu gehen, und unterstützte seinen Rat mit manchen unwiderleglichen Gründen, zum Beispiel, es würde schon finster, die Wege wären schlecht, und er würde bei hellem Tage viel besser fortkommen können, und mehr von eben der Wichtigkeit, von welchen Jones einige sich selbst schon gesagt hatte; aber so wie sie damals nichts gefruchtet hatten, so waren sie auch jetzt fruchtlos, und er beharrte steif und fest auf seinem Vorsatz, sogar wenn er genötigt sein sollte, zu Fuß zu gehen.

Als der ehrliche Herr Prokurator fand, daß er Herrn Jones nicht bereden könnte zu bleiben, so wandte er sich eben so nachdrücklich an den Pferdeknecht, um ihn zu bereden, daß er Herrn Jones weiter brächte. Er führte manche Gründe an, um ihn zu bewegen, diesen kurzen Weg noch zu übernehmen, und schloß zuletzt mit diesen Worten: »Meint Ihr denn, der Herr werde Euch Eure Mühe nicht reichlich belohnen?« Zwei sind Einem fast in allen und jeden Dingen an Kräften überlegen. Aber der überlegne Vorteil, welchen diese vereinte Kraft bei Ueberredungen und Bitten hat, muß jedem aufmerksamen Beobachter sichtbar gewesen sein, denn er muß oft gesehen haben, daß, wenn ein Vater, eine Mutter, eine Ehefrau, oder sonst eine andre Person von häuslicher Macht und Gewalt gegen alle Gründe, welche ein einzelner Mann anführen konnte, steif und fest auf ihrer Weigerung beharrten, sie hernach sich auf Wiederholung eben dieser Gründe ergaben, wenn solche von einer zweiten oder dritten Person kamen, die sich der Sache unterzog, ohne sich die Mühe zu geben, zu ihrem Behuf irgend etwas Neues vorzubringen. Und hieraus ist vielleicht die Redensart entstanden, [11] einen Vorschlag oder eine Anrede unterstützen helfen, welche zweite Person bei allen öffentlichen Debatten, im Parlament sowohl als in andern Versammlungen von solcher Wichtigkeit ist, daß ohne sie auf keinen Vorschlag geachtet wird. Daher kommt's auch wahrscheinlicherweise, daß wir vor unsern öffentlichen Gerichtsbänken oft einen gelehrten Herrn (gewöhnlich einen graduierten Juristen) stundenlang eben dasselbige wiederholen hören, was ein andrer gelehrter Herr von seinen Kollegen eben vorher gesagt hatte. Anstatt hiervon die Gründe auszumachen, wollen wir nach unsrer gewöhnlichen Weise fortfahren, davon ein Beispiel in dem Betragen des vorgenannten Burschen aufzustellen, welcher sich der Ueberredung des Herrn Dowling fügte, und dem Herrn Jones versprach, ihn noch einmal auf dem Quersattel reiten zu lassen, aber drauf bestand, daß er dem armen Vieh vorher ein gutes Futter geben müßte, weil es, wie er sagte, einen großen Weg gemacht und scharf gelaufen wäre. In der That war diese Vorsicht des Kerls unnötig, denn Jones würde dies ungeachtet seiner Eile und Ungeduld von selbst befohlen haben, war er doch keineswegs einerlei Meinung mit jenen, welche Tiere für bloße Maschinen halten, und wenn sie ihre Sporen in das Fell ihrer Pferde setzen, sich einbilden, Sporn und Pferd hätten einerlei Empfindungsvermögen gegen Schmerzen.

Unter der Weile, daß die Pferde ihren Hafer fraßen oder vielmehr wir voraussetzen, daß sie ihn fraßen, (denn unterdessen, daß der Kerl Sorge trug, sein selbst in der Küche zu pflegen, trug der Hausknecht große Sorge, daß sein Hafer nicht im Stalle drauf ginge,) begleitete Herr Jones den Herrn Dowling auf dessen dringendes Verlangen nach seinem Zimmer, wo sie sich zu einer Flasche Wein mit einander niedersetzten.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

In welchem Herr Jones und Herr Dowling ihr Glas Wein miteinander trinken.


Herr Dowling, der sich ein Glas einschenkte, brachte die Gesundheit aus. »Auf den wackern Junker Alwerth,« und fügte hinzu: »Wenn's Ihnen nicht zuwider ist, mein Herr, so wollen wir auch seinen Neffen und Erben, den jungen Junker mit einschließen: wohlan, mein Herr, stoßen Sie an, auf Herrn Blifil! Es ist ein wackrer junger Herr, und der einmal eine sehr ansehnliche Figur in seiner Grafschaft machen wird, das wollt ich wohl schwören! Ich hab' auch schon ein Städtchen im Auge, das ihn einmal ins Parlament wählen soll.«

[12] »Mein Herr,« antwortete Jones, »ich bin überzeugt, daß Sie nicht die Absicht haben, mich beleidigen zu wollen; deshalb will ich's auch nicht übel nehmen; aber das versichr' ich Sie, Sie haben da zwei Personen zusammengestellt, die gar nicht zusammen gehören; denn die eine ist die Krone des menschlichen Geschlechts, und der andere ist ein Bube, welcher der Menschheit Schande macht.« Dowling stutzte hierüber. Er sagte, er meinte beide Herren wären von einem ganz unbescholtnen Charakter. »Was den alten Herrn betrifft,« sagte er, »so hab' ich niemals das Glück gehabt, ihn zu sehn; aber die ganze Welt spricht von seinem Adel des Herzens. Und was den jungen Herrn betrifft, so hab' ich ihn freilich nur ein einziges Mal gesehen, als ich ihm die Nachricht von dem Tode seiner Mutter überbrachte, und damals war ich, wegen überhäufter Menge von Geschäften, so eilig, so gedrängt und getrieben, daß ich kaum Zeit hatte, etwas mit ihm zu sprechen. Aber er hatte ein so honettes, verständiges Ansehn, und betrug sich so räsonabel, daß ich Sie versichern kann, noch mit keinem Edelmann vergnügter gewesen zu sein in meinem ganzen Leben.«

»Es wundert mich nicht,« antwortete Jones, »daß er bei einer so kurzen Bekanntschaft jemand täuschen konnte; denn er besitzt die List und Verschlagenheit eines Teufels, und man kann Jahre lang mit ihm umgehen, ohne ihm hinter die Schliche zu kommen. Ich bin von Kindesbeinen an mit ihm auferzogen, und wir sind fast gar nicht von einander getrennt gewesen; aber nur erst seit kurzem ist es, daß ich die Hälfte der Bubenstücke entdeckt habe, womit er umgeht. Ich gestehe es, er war niemals so recht mein Mann; nach meiner Meinung fehlte ihm diejenige Großmut des Geistes, welche den sichern Grund alles dessen ausmacht, was in der menschlichen Natur groß ist und edel. Ich merkte an ihm seit langer Zeit schon einen Egoismus, welchen ich verachtete; aber nur erst seit kurzem, seit sehr kurzem, hab' ich gefunden, daß er der niederträchtigsten schwärzesten Absichten fähig ist; denn wirklich, ich habe endlich ausfindig gemacht, daß er die Unbefangenheit meiner eignen Gemütsart benutzt, und durch ein langes Gewebe von ränkevoller Arglist einen tiefen Plan gelegt hat, mich ins Unglück zu stürzen, welchen er denn auch endlich ausgeführt hat.«

»Ei, ei!« rief Dowling. »Nun wahrhaftig, so ist es Sünde und Schande, daß ein solcher Mensch die großen Güter Ihres Oheims Alwerth erben soll.«

»Ach mein Herr,« sagte Jones, »Sie legen mir da eine Ehre bei, worauf ich kein Recht habe. Wahr ist's freilich, seine Güte erlaubte mir ehmals die Freiheit, ihn bei einem viel nähern Namen zu nennen; weil das aber eine freiwillige Handlung der Güte war, [13] so habe ich mich über keine Ungerechtigkeit zu beklagen, wenn er's für gut findet, mir diese Ehre zu entziehen, weil ihr Verlust nicht unverdienter sein kann, als ursprünglich das Geschenk selbst war. Ich versichre Sie, mein Herr, ich bin dem Herrn Alwerth gar nicht verwandt; und wofern die Welt, welche unfähig ist, seine Tugenden nach ihrem wahren Werte zu schätzen, denken sollte, er sei in seinem Betragen gegen mich einem Anverwandten hart begegnet, so thut sie dem besten von allen Menschen groß Unrecht: denn ich – aber ich bitte um Vergebung, ich will Sie mit keinen Erzählungen behelligen, die niemanden angehen als mich selbst; nur weil Sie mich für einen Anverwandten des Herrn Alwerth zu halten schienen, habe ich es für nötig erachtet, Ihnen einen Irrtum zu benehmen, der ihm Tadel zuziehen könnte, und ich versichre Sie, mein Leben wollte ich lieber verlieren, als dazu die Veranlassung geben.«

»Nun wahrhaftig, Herr,« rief Dowling, »Sie sprechen da, wie sich's für einen rechtschaffnen Mann gehört und gebührt; aber anstatt mir im geringsten lästig zu sein, versichre ich Sie, wird es mir ein großes Vergnügen machen zu erfahren, wie Sie dazu kamen, für Herrn Alwerths Anverwandten gehalten zu werden, wenn Sie's nicht sind. Ihre Pferde sind doch in einer halben Stunde noch nicht fertig, und weil Sie also Weile genug haben, so wünschte ich, Sie erzählten mir wie das zugegangen ist; denn es scheint wahrhaftig sehr wunderbar, daß man Sie für einen Anverwandten von einem Herrn gehalten haben sollte, von dem Sie's doch nicht sind.«

Jones, der an gefälliger Gemütsart (obgleich nicht an kluger Vorsicht) seiner liebenswürdigen Sophie ein wenig glich, ließ sich leicht bereden, Herrn Dowlings Neugierde durch Erzählung der Geschichte von seiner Geburt und Erziehung zu befriedigen, welches er that, wie Othello:


Even from his boyish Years
To th' very Moment he was bad to tell;
– So ganz von seinen Spieljahren an, bis selbst hin
Zu dem Augenblick, da er zum Erzählen aufgefordert ward;
welches zu hören Dowling gleich der Desdemona herzlich wünschte:
He swore 'twas strange, 'twas passing strange,
'Twas pitiful, 'twas wondrous pitiful.
Er schwur, 's wär' sonderbar, recht sehr sonderbar,
Rührend dabei, gar herzlich rührend.

In der That war Herr Dowling von dieser Erzählung ungemein gerührt; denn er hatte durch seine Prokuratorschaft sein menschliches Gefühl nicht abgestumpft. Wirklich ist nichts ungerechter, als mit unserm Vorurteile über eine ganze Profession im gemeinen Leben [14] herzufahren, und unsere Idee von einem Manne nach der Meinung zu bilden, die wir von seinem Berufsgeschäfte haben. Die Gewohnheit, es ist wahr, vermindert den Abscheu an solchen Handlungen, welche bei der Profession eines Mannes notwendig, und also gewissermaßen geläufig worden sind; bei allen übrigen Vorfallenheiten aber wirkt die Natur in Menschen von allen Professionen auf gleiche Weise, und vielleicht grade am stärksten bei denen, welche ihr sozusagen unterdessen einen Feiertag geben, da sie ihren gewöhnlichen Berufsgeschäften nachgehen. Ich zweifle nicht dran, ein Metzger würde mit widrigem Gefühle dran gehen, ein schönes Pferd zu schlachten; und obgleich ein Wundarzt vielleicht nicht an Schmerzen denkt, wenn er ein Glied abnimmt, so habe ich doch welche gekannt, die mit einem Anfalle vom Podagra Mitleiden fühlten. Der gewöhnliche Nachrichter, welcher Kehlen bei Hunderten zugeschnürt hat, pflegt bekanntlich zu zittern, wenn er sein erstes Meisterstück mit dem Schwerte ablegen soll, und die eigentlichen Professoren im menschlichen Blute, welche in ihrem Kriegeshandwerke bei Tausenden nicht nur ihre feindlichen Mitprofessoren, sondern Weiber und Kinder ohne Gewissensrüge niedermetzeln: eben diese, sage ich, legen oft in Friedenszeiten, wann Trommeln und Trompeten beiseite gelegt worden, ihre Wildheit ab und werden sehr zahme Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Ebenso können Advokaten und Prokuratoren alles Elend und allen Jammer ihrer Mitmenschen fühlen, vorausgesetzt nur, daß sie eben nicht gegen sie im Dienst sind.

Jones, wie der Leser weiß, war selbst noch unbekannt mit den sehr schwarzen Farben, mit welchen er bei Herrn Alwerth vorgestellt war; und was die übrigen Sachen anbetraf, so zeigte er solche nicht gerade in dem nachteiligsten Lichte; denn so abgeneigt er war den geringsten Tadel auf seinen vorigen Freund und Beschützer fallen zu lassen, so wenig war er doch auch willens, gar zu vielen auf sich selbst zu häufen. Dowling machte daher die Anmerkung, und nicht ohne Grund, daß ihm jemand sehr schlimme Dienste geleistet haben müßte: »Denn gewißlich,« sagte er, »wegen einiger wenigen Fehler, welche ein jeder junger Mensch hätte begehen können, würde sie der Junker niemals enterbt haben. Zwar kann ich so eigentlich nicht sagen enterbt, denn nach den Gesetzen sind Sie freilich nicht Erbe, das ist gewiß, das ist so klar, daß es darüber kein Gutachten eines Rechtskonsulenten bedarf. Indessen da Sie der gute Herr gewissermaßen als seinen eignen Sohn adoptiert hatte, so hätten Sie billigerweise auf ein ansehnliches Vermächtnis rechnen können; ja hätten Sie die ganze Erbschaft erwartet, so hätte ich Sie darüber keineswegs getadelt; denn ein jeder ist sich selbst der nächste, und sucht so viel zu bekommen als er kann, und ich sehe nicht, wer ihn darüber tadeln wollte.«

[15] »In der That, Sie thun mir Unrecht,« sagte Jones, »ich hätte mir mit sehr wenigem genügen lassen. Ich habe niemals eine Absicht auf Herrn Alwerths Vermögen gehabt, ja ich glaube, ich kann es mit Wahrheit sagen, ich habe niemals daran gedacht, was er mir geben könnte oder würde. Das beteure ich aufs feierlichste, hätte er mich zum Nachteile seines Neffen begünstigt, ich selbst hätte sein Testament berichtigt. Ich hätte lieber meiner eignen Ruhe genossen, als des Vermögens eines andern Mannes. Was ist der armselige Stolz auf ein prächtiges Haus, eine zahlreiche Dienerschaft, eine wohlbesetzte Tafel und auf alle übrigen scheinbaren Vorzüge des Reichtums, verglichen mit der innerlichen unerschütterlichen Zufriedenheit, dem herzerhebenden Vergnügen, dem wollüstigen Entzücken der hohen Siegesfreude, welche ein wirklich guter Mensch in dem Bewußtsein einer großmütig tugendhaften, edlen, menschenfreundlichen Handlung genießt! Ich beneide Blifil um die Aussicht auf seinen Reichtum nicht; so wie ich ihm auch den wirklichen Besitz desselben nicht beneiden werde. Ich möchte nicht mit ihm tauschen für eine halbe Stunde, in welcher ich mich für einen Schurken halten müßte. Ich glaube wirklich, Blifil hatte mich mit den Absichten im Verdacht, deren Sie erwähnen, und ich will annehmen, daß dieser Argwohn, sowie er aus der Niederträchtigkeit seines Herzens entsprang, also auch die Niederträchtigkeit, die er an mir verübte, erzeugt hat. Aber ich danke dem Himmel, ich fühle – ja, ich fühle meine Unschuld, mein Freund; und dieses Gefühl möchte ich um die ganze Welt nicht missen; denn solange ich weiß, daß ich keinem Wesen in der Welt Unrecht gethan habe, oder nur Unrecht habe thun wollen:


Pone me pigris, ubi nulla campis
Arbor aestiva recreatur aura,
Quod latus mundi nebulae malusque Jupiter urget;
Pone sub curru nimium propinqui
Solis, in terra domibus negata;
Dulce ridentem Lalagen amabo, dulce loquentem.
Irrt' ich auch in Gegenden, wo kein linder
Lufthauch je den dürrenden Baum erquicket,
Wo ein dicker Nebel, ein finstrer Himmel ewig das Land drückt;
Irrt' in Gegenden, wo der Sonne Wagen
Dicht vorüber der menschenlosen Flur fährt;
Dennoch werd' ich die lächelnd-schwätzend-süße Lalage lieben.«

Hierauf schenkte er sich ein Glas Wein voll bis an den Rand und leerte es aus auf die Gesundheit seiner teuren Lalage; füllte dann Dowlings Glas gleichfalls voll bis zum Streichen und drang drauf, ihm Bescheid zu thun. »Nu, auf Demoiselle Lalages Gesundheit [16] von ganzem Herzen!« rief Dowling. »Ich habe ihre Gesundheit schon oft ausbringen gehört, das versichre ich Sie, ob ich sie gleich niemals gesehen habe. Man hat mir aber gesagt, sie soll wunderschön sein.«

Obgleich das Latein nicht das einzige war, was Dowling in dieser Rede nicht so völlig verstand, so war darin doch etwas, das einen starken Eindruck auf ihn machte, und ob er zwar alles mögliche that, durch Kopfnicken und Schütteln, durch trocknes Händewaschen und Zähneblecken diesen Eindruck vor Herrn Jones zu verbergen (denn wir schämen uns ebenso oft davor, daß wir richtig denken, als daß wir unrecht denken): so ist doch gewiß, daß er insgeheim von seinen Gesinnungen ebensoviel billigte, als er davon verstand, und daß er einen heftigen Drang zum Mitleiden mit ihm fühlte. Doch wir nehmen vielleicht eine andere Gelegenheit wahr, uns über diese Materie mehr zu erklären, besonders wenn uns der Herr Dowling im Laufe dieser Geschichte nochmals wieder aufstoßen sollte. Gegenwärtig sind wir genötigt, ein wenig kurz abzubrechen und von diesem Herrn Abschied zu nehmen, wie es Herr Jones machte, der nicht so bald von Rebhuhn vernommen, daß die Pferde fertig wären, als er seine Zeche niederlegte, seinem Gesellschafter eine gute Nacht wünschte aufsaß und nach Coventry zu ritt, obgleich die Nacht finster war, und es eben anfing ziemlich stark zu regnen.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Unfälle, welche Jones auf seinem Wege nach Coventry begegnen, nebst Rebhuhns weisen Anmerkungen.


Keine Heerstraße kann ebener sein, als von dem Orte an, wo sie jetzt waren, bis nach Coventry; und ob solche gleich weder Jones noch Rebhuhn, noch der Vorreiter jemals gereist waren, so würde es ihnen doch fast unmöglich gewesen sein, ihren Weg zu verfehlen, wäre es nicht der zwei Ursachen wegen geschehen, deren wir am Schluß des letzten Kapitels gedacht haben.

Da sich aber diese beiden Umstände zum Unglück darein mischten, so gerieten unsre Reisenden auf einen weit weniger beschlagenen Weg; und nachdem sie fast zwei gute Stunden geritten waren und bei dem stolzen Turme von Coventry angelangt sein sollten, befanden sie sich noch in einem sehr kotigen Hohlwege, wo sie kein Zeichen gewahr werden konnten, daß sie sich den Außenwerken einer großen Stadt näherten.

Jones erklärte jetzt, sie müßten gewiß ihren Weg verloren haben; aber der Wegweiser bestand drauf, das wäre unmöglich: ein [17] Wort, welches im gemeinen Leben häufig gebraucht wird, nicht um etwas anzudeuten, was etwa unwahrscheinlich ist, sondern oft sogar, was sehr vermutlich und zuweilen schon wirklich und gewiß geschehen ist. Diese hyberbolische Gewaltthätigkeit ist jener ähnlich, welche den Worten unendlich und ewig so häufig angethan wird; durch das erste derselben ist es gewöhnlich, eine Weite von ein paar Fuß, und durch das letzte eine Dauer von etwa fünf Minuten auszudrücken. Und ebenso gewöhnlich ist es, die Unmöglichkeit zu behaupten, etwas verlieren zu können, was bereits verloren ist. Dies war auch hier der eigentliche Fall; denn der Vorreiter mochte noch so zuversichtlich und gewiß das Gegenteil behaupten, so war es ausgemacht, daß sie sich ebensowenig auf dem rechten Wege gen Coventry befanden, als der betrügerische, habsüchtige, scharrende, grausame, heuchlerische Geizhals auf dem rechten Wege zum Himmel ist.

Für einen Leser, der sich niemals in ähnlichen Umständen befunden hat, mag es wohl nicht leicht sein, sich das Grausen vorzustellen, womit Finsternis, Regen und Wind solche Leute anfüllen, welche des Nachts von ihrem rechten Wege abgekommen sind und welche folglich die angenehme Aussicht auf ein warmes Zimmer, trockene Kleidung und andre Erquickungen nicht haben, um ihre Kräfte bei dem Kampfe gegen rauhe und ungestüme Witterung emporzuhalten. Aber auch ein sehr unvollkommener Begriff von diesem Grausen wird gleichwohl hinreichen, die ängstlichen Grillen zu erklären, welche jetzt Rebhuhns Kopf anfüllten und welche wir jetzt genötigt sein werden, dem Leser zum besten zu geben.

Jones behauptete mit immer zunehmender Gewißheit, daß sie nicht mehr auf dem rechten Wege wären, und der Pferde-Enke gestand zuletzt selbst, sie müßten wohl nicht mehr auf der Coventryer Heerstraße sein, obwohl er zu gleicher Zeit behauptete, es wäre unmöglich, daß sie die Straße hätten verfehlen können. Rebhuhn aber war ganz andrer Meinung. Er sagte, es hab' ihm gleich geahnt als sie abgeritten wären, daß es ihm auf die eine oder die andre Art unrichtig gehen würde. »Sahen Sie denn nicht, lieber Herr,« sagte er zu Jones, »das alte Weib, das an der Pforte stand, just als Sie aufs Pferd stiegen? Ich wünschte von Grund der Seele, Sie hätten ihr eine Kleinigkeit gegeben, denn sie sagte gleich, es würde Ihnen leid thun! Und gerade in dem Augenblick fing es an zu regnen und der Wind ist seitdem immer stärker geworden. Was auch gewisse Leute davon denken mögen, ich lasse mir's nicht ausreden, daß die Hexen die Macht besitzen, den Wind wehen zu lassen wann sie wollen. Ich hab' es in meinem Leben schon sehr oft gesehen und erfahren, und ich müßte in meinem ganzen Leben keine Hexe gesehen haben, oder das alte Weib war ganz gewiß eine. [18] Ich dacht's gleich damals auf der Stelle, und hätt' ich nur etwas Kleingeld bei mir gehabt, ich hätt' ihr gern was gegeben; denn das ist ausgemacht, 's ist immer das Sicherste, wenn man gegen solche Leute barmherzig ist; denn man muß fürchten, was sich zutragen kann, und manche Leute haben ihre Kühe und Pferde verloren, weil sie ein paar Pfennige sparen wollten.«

So entsetzlich verdrießlich Jones über die Zögerung war, welche dieses Irrereiten wahrscheinlicherweise in seiner Reise veranlassen mußte, so konnte er sich doch nicht enthalten, über den Aberglauben seines Freundes zu lächeln, welchen jetzt ein Zufall gar mächtig in seiner Meinung bestärkte; dies war ein Purzelbaum, den er vom Pferde machte, wodurch er indessen keinen andern Schaden nahm, als den der Kot seinen Kleidern zufügte.

Rebhuhn war nicht so bald wieder auf die Beine gekommen, als er sich auf seinen Fall berief, als auf einen unwidersprechlichen Beweis alles dessen, was er hervorgebracht hatte. Als aber Jones fand, daß er unversehrt davongekommen war, antwortete er mit einem Lächeln: »Deine Hexe, Rebhuhn, ist wirklich eine undankbare Vettel und weiß ihre Freunde, wie ich sehe, von ihren Feinden nicht zu unterscheiden, wenn sie ihre rachgierige Galle ausläßt. Wenn die alte Kunkel mir deswegen aufsätzig ist, weil ich ihr nichts gegeben habe, so seh' ich doch nicht, warum sie eben dich vom Pferde abkollern machte, denn du hast ihr doch, mein' ich, Ehrerbietung genug erwiesen.«

»Mit solchen Leuten,« rief Rebhuhn, »die die Macht haben, solche Dinge zu thun, mit denen ist nicht gut spaßen! Ich denke noch immer an einen Hufschmied, der eine von ihnen damit neckte, daß er sie fragte, wann denn die Zeit um wäre, auf welche sie sich dem Herrn Urian verschrieben hätte. Keine drei Monate währte es, da war eine von seinen besten Kühen ersoffen. Aber dabei ließ sie's noch nicht gut sein, denn nicht lange darnach kam er um eine Tonne von seinem besten Bier, denn die alte Hexe zog den Zapfen aus und ließ alles in den Keller laufen, gleich den ersten Abend da er's angezapft hatte, um sich mit einigen Nachbarn dabei lustig zu machen. Kurzum, es wollte nachher gar nicht wieder mit ihm auf einen grünen Zweig kommen, denn sie that dem armen Mann so vielerlei Schabernack an, daß er sich auf den Trunk legte, und in einem oder ein paar Jahren mußte er bonis zedieren, und nun liegt er und seine Familie dem Kirchspiel auf'm Halse.«

Der Vorreiter und vielleicht auch sein Pferd dazu waren beide so sehr aufmerksam auf dieses Gespräch, daß sie, entweder aus Mangel an Vorsicht oder durch die Bosheit einer Hexe dalagen und sich im Kote wälzten.

[19] Rebhuhn schrieb diesen Fall völlig derselben Ursache zu, der er den seinigen zugeschrieben hatte. Er sagte zu Herrn Jones, die Reihe würde nun ganz gewiß an ihn kommen, und ersuchte ihn aufs angelegentlichste, daß sie umkehren und die alte Frau aufsuchen möchten, um sie wieder gut zu machen. »Wir werden gar bald,« fügte er hinzu, »wieder die Schenke erreichen, denn ob es gleich scheint, als wären wir vorwärts geritten, so bin ich doch so gewiß, als ich nur sein kann, daß wir seit einer Stunde nicht einen einzigen Schritt vom Fleck gekommen sind, und ich will wohl schwören, wenn's Tag wäre, so könnten wir das Haus noch sehen, wo wir abgeritten sind.«

Anstatt auf diesen weisen Rat eine Antwort zu geben, war Jones gänzlich damit beschäftigt, wie es dem Vorreiter ginge, der auch keinen andern Schaden empfing, als welcher vorher den Rebhuhn betroffen hatte, und den seine Kleider sehr leicht ertragen konnten, weil sie schon seit vielen Jahren dran gewöhnt waren. Er kam bald wieder auf seinen Quersattel, und durch die tüchtigen Flüche und Prügel, womit er sein Pferd aufmunterte, überzeugte er Herrn Jones ebensobald, daß kein Unglück geschehen sei.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Erzählt, daß Herr Jones wider Rebhuhns Rat seine Reise fortsetzt, nebst dem, was sich bei dieser Gelegenheit zutrug.


Sie entdeckten jetzt in einiger Entfernung ein Licht, zur großen Freude des Herrn Jones und zu Rebhuhns nicht geringer Beängstigung, welcher sich steif und fest einbildete, er sei behext und dies Licht wäre ein Tückebote mit einer Laterne, oder ein noch ärgeres Ungetüm.

Aber wie sehr ward diese Furcht vergrößert, als, da sie dem Lichte (oder Lichtern, denn so kam es ihnen jetzt vor) näher kamen, sie ein verwirrtes Geläut von menschlichen Stimmen hörten. Es sang, es lachte, es kreischte, es war dabei ein seltsames Getöne, als wie von Instrumenten, das man aber nicht füglich Musik nennen konnte. In der That konnte man es, um Rebhuhns Meinung ein wenig zu begünstigen, gar wohl eine verhexte Musik nennen.

Es ist unmöglich, sich einen viel höheren Grad von Angst und Grausen vorzustellen, als derjenige war, welcher jetzt den Rebhuhn ergriff, und auch der Vorreiter war davon angesteckt worden, denn er war auf viele Dinge sehr aufmerksam gewesen, welche der andre gesprochen hatte. Er legte sich also jetzt gleich falls aufs Bitten bei [20] Herrn Jones, daß sie umwenden möchten, und sagte, er glaube ganz gewiß an das, was Rebhuhn eben gesagt hätte, nämlich daß, obgleich die Pferde vorwärts zu gehen schienen, sie doch nicht einen Schritt von der Stelle gekommen wären, zum wenigsten seit der letzten halben Stunde nicht.

Bei allem seinem Verdrusse konnte sich doch Jones über die Furcht dieser armen Schlucker des Lachens nicht erwehren: »Entweder,« sagte er, »wir nähern uns den Lichtern, oder die Lichter haben sich uns genähert, denn wir sind jetzt gar nicht mehr weit davon. Aber, gute Bursche, wie könnt ihr euch vor einem Haufen Leute fürchten, die sich lustig zu machen scheinen?«

»Lustig machen, Herr!« rief Rebhuhn. »Wer könnte sich wohl lustig machen zu dieser späten Nachtzeit, an solch einem Orte und in solchem Wetter? Es kann in der Welt nichts andres sein als Gespenster oder Hexen, oder sonst dergleichen verdammte Geister. Das lass' ich mir nicht ausreden.«

»Mag es sein was es will,« rief Jones, »ich bin nun einmal entschlossen, hinzuzureiten und mich des Wegs nach Coventry zu erkundigen. Nicht alle Hexen, ehrlicher Rebhuhn, sind solche hämische Wettermacherinnen, als die, welcher wir zu unsrem Unglück da kürzlich begegnet sind.«

»O lieber Gott! Herr!« krächzte Rebhuhn, »wer kann wissen, in was für einer Laune man sie eben antreffen mag! Wohl wahr, am sichersten ist's immer, wenn man ihnen hübsch und schön thut! Aber wie wird's uns gehen, wenn wir noch was Aergeres anträfen als Hexen, wenn's gar ewig verdammte Geister wären, Gott sei bei uns! – O, ich bitte, Herr, lassen Sie sich raten! ich bitte, bitte, bedenken Sie sich. Wenn Sie so manche schauderige Geschichte über diese Sache gelesen hätten als ich, so würden Sie nicht so vermessen sein. – Gott weiß, wo wir schon hingeraten sind, oder wo wir noch hingeraten werden! Denn solch eine Finsternis ist doch ganz gewiß noch nicht auf Gottes Erdboden gesehen worden, und ich zweifle, ob's einmal in der andern Welt dunkler sein kann.«

Jones ritt so scharf drauf los als er nur konnte, ungeachtet aller Winke und Warnungen, und der arme Rebhuhn war genötigt, ihm zu folgen, denn ob er's gleich kaum wagte, vorwärts zu reiten, so wagte er's doch noch weit weniger, allein zurückzubleiben. Endlich langten sie an dem Orte an, wo sie die verschiedenen Töne gehört hatten. Dieser war, wie Jones gewahr ward, nichts andres als eine Scheune, in welcher eine große Anzahl Männer und Weiber versammelt waren, die sich mit viel anscheinender Fröhlichkeit ein gesellschaftliches Vergnügen machten.

Jones erschien nicht so bald vor den großen Thüren der Scheune, [21] welche offen stand, als eine männliche und sehr rauhe Stimme von innen heraus fragte, wer da wäre – worauf Jones ganz höflich antwortete, ein guter Freund, und gleich darauf sich nach dem Wege nach Coventry erkundigte.

»Wenn Ihr ä kuter Freund seind,« rief ein andrer Mann in der Scheune, »so thunt 'r Ihr bässer, Ihr sitzt ob, bes d'r Sturm vorbei äs« (in der That war der Sturm jetzt sehr heftig), »Ihr mögt kerne Eure Röß' ins Treuge zieh'n, denn 's is Raum kenug dazu an einem Ende der Tenne.«

»Sie sind sehr gütig,« erwiderte Jones, »und ich werde Ihr Anerbieten auf ein paar Minuten annehmen, solange der Regen dauert, und ich habe hier noch ein paar Freunde, denen Ihr gütiges Anerbieten gleichfalls sehr zu statten kommen wird.« Dies ward gutwilliger zugestanden als angenommen, denn Rebhuhn hätte sich lieber der ärgsten Feindseligkeit des Wetters unterworfen, als sich der Freundschaft solcher Wesen anvertraut, die er für Gespenster und Poltergeister hielt. Auch der Vorreiter war jetzt schon von eben der Furchtsamkeit angesteckt, unterdessen sahen beide sich genötigt, dem Beispiele des Herrn Jones zu folgen, der eine, weil er's nicht wagen durfte, seine Pferde zu verlassen, und der andre, weil er nichts so sehr fürchtete, als daß er allein gelassen werden möchte.

Wäre diese Geschichte in den Tagen des Aberglaubens geschrieben, so hätte ich zu viel Mitleiden mit dem Leser gehabt, um ihn solange in ängstlichem Zweifel zu lassen, ob wirklich Beelzebub oder Satan in gehörnter Majestät mit ihrem ganzen höllischen Hofstaat leibhaftig erscheinen würden oder nicht; da aber heutzutage diese Lehren allerlei Unglück erfahren, und nur wenige oder gar keine Gläubige mehr finden, so bin ich eben nicht sonderlich auf meiner Hut gewesen, dergleichen Angst und Schrecken zu vermeiden. Die Wahrheit zu sagen, so haben sich die Direktoren der Schauspielhäuser schon längst das ganze Heergeleit der höllischen Region zugeeignet und scheinen den Plunder seit einiger Zeit in einen Winkel auf den Rumpelboden geworfen zu haben, weil er auf niemand mehr Wirkung thun will, als auf die Herren auf der obersten Galerie, ein Platz, auf welchem von unsern Lesern wohl nur sehr wenige sitzen.

Ob wir nun gleich eben nicht besorgen, bei dieser Gelegenheit sonderliche Angst und Schrecken zu erregen, so haben wir doch Ursache zu befürchten, ein oder der andre von unsern Lesern möchte auf Besorgnisse geraten, wozu wir ihn nicht gern vorsätzlich verleiten möchten, nämlich daß er dächte, wir ständen im Begriff, eine Reise ins Feenland zu thun und ihm in unsrer Geschichte eine Reihe von Wesen vorzuführen, an welche zu glauben wohl schwerlich jemand kindisch genug gewesen ist, obgleich viele thöricht genug gewesen sind, [22] beim Schreiben und Lesen ganzer Geschichten von ihren Abenteuern die liebe Zeit zu vergeuden.

Um also allem dergleichen Argwohn vorzubeugen, welcher der Glaubwürdigkeit eines Historikers, der von sich bezeugt, daß er seine Materialien bloß und allein von der Natur entlehne, so nachteilig ist, wollen wir jetzt dem Leser berichten, was es für Leute waren, deren unerwartete Erscheinung dem Rebhuhn solche Angst eingejagt, den Pferdeburschen mehr als halb erschreckt und Herrn Jones selbst ein wenig stutzig gemacht hatten.

Das in dieser Scheune versammelte Volk war demnach nichts mehr und nichts weniger als eine Bande Zigeuner, oder wie sie in andern Gegenden genannt werden, Tatern, welche eben die Hochzeit eines Mitgliedes ihrer Gesellschaft feierten.

Es ist unmöglich, sich einen glücklichern Haufen Volks zu denken, als das hier versammelte zu sein schien. Aus jeder Miene und Gebärde leuchtete wirklich die äußerste Fröhlichkeit hervor; auch war ihr Ball nicht gänzlich ohne Ordnung und Anstand. Vielleicht hatte er davon mehr, als man bei mancher Landassemblee antreffen möchte; denn dieses Volk steht unter einer eignen Regierung und eignen Gesetzen und alle leisten einer obrigkeitlichen Person, wel che sie ihren König, zuweilen auch nur Hauptmann nennen, freiwilligen Gehorsam.

Ein größerer Ueberfluß war gleichfalls nirgends zu finden als der, welcher in dieser Scheune herrschte. Man sah hier freilich weder große Zierlichkeit noch Eleganz; denn der scharfe Appetit der Gäste machte solche ganz entbehrlich. Hier war ein großer Vorrat von Schinken, von Geflügel und von Schöpsenfleisch, zu welchen ein jeder von den Gegenwärtigen eine bessere Brühe mitbrachte, als der beste und theuerste französische Koch zuzubereiten versteht.

Aeneas wird unter nicht größerm Erstaunen im Tempel der Juno beschrieben:


Dum stupet obtutuque haeret defixus in uno,


als was unsern Held bei dem, was er in der Scheune sah, ergriff. Als er mit großer Verwunderung allenthalben umhersah, näherte sich ihm eine sehr ehrwürdige Person unter freundschaftlichen Begrüßungen, welche viel zu herzlich waren, um sie höflich zu nennen. Dies war niemand anders als der Zigeunerkönig selbst. In seiner Kleidung war er von seinen Unterthanen nur sehr wenig unterschieden, führte auch keine königliche Kleinodien, um die Würde seiner Majestät zu unterstützen; und dennoch schien sich (wie Herr Jones sagte) in seinem ganzen Wesen etwas zu befinden, welches Würde und Ansehn ausdrückte und den Betrachter mit einer Art von Ehrfurcht erfüllte. Doch konnte alles dieses vielleicht nur in [23] Herrn Jones' Einbildung liegen und die Wahrheit ist vielmehr nur, daß dergleichen Ideen an den Begriff von Macht geknüpft sind und sich fast niemals davon trennen lassen.

In den offenen Gesichtszügen und dem höflichen Betragen des Herrn Jones befand sich ein gewisses Etwas, welches, begleitet von großer persönlicher Anmut, ihn jedermann beim ersten Anblick schon außerordentlich empfahl. Dies wurde vielleicht bei den gegenwärtigen Umständen noch durch den tiefen Respekt verstärkt, welchen er dem Zigeunerkönig von dem Augenblick an bezeigte, da er mit seiner Würde bekannt gemacht worden und welche Seiner Zigeunerischen Majestät um so behaglicher war, da solche nicht gewohnt waren, dergleichen Homagium von jemand anders, als von Dero eignen Unterthanen geleistet zu erhalten.

Der König befahl, einen Tisch mit dem Besten von den vorrätigen Speisen für Herrn Jones' Bewirtung zu besetzen, und nachdem Seine Majestät sich zu seiner rechten Hand gesetzt hatten, begannen Sie unsern Helden folgendermaßen mit einem Gespräch zu unterhalten.

»I denk' mer, mein blanker Brüdel, du sollst wohl scho mehrers unsern Leutn gsehn hon. Sö steiche jo bei enk so gut herum, als sunstwo. Abe, das bildst dör wohl net ein, daß Unse so fül Köpf haben, ind daß wör uns so guet unsre Haut wöhre kunte, wöngs deruf ankäm, als dö Franzosn, ode Preuse, ode Turkä. Inte uns gsagt, du wiest Maul und Aug'n aufspörn, wan I dör sag, daß dö Zigaina so guet ieri Obrikait ind ieri Härn han, dö's verstähn, wie mer dö Leut in Zucht und Ordnin halt.«

»Main Wänikeit is, oni Ruhm z' melde ier Künig 1 sind wol kener von Mainsgleichen kan si so grossi Stück aufn Ghorscham und Träu saner Unterdana ainbilde, als I. Ob I's um so verdiene thue, mag an andre sagn. Abe das kan I mör wol nachsage, daß I's mit ienen guet meinen thu, ind daß ihne in ierer Hand wol sahn mücht, wanns auf Mi' allan ankäm. I bild mör abe eb'n nicks drauf ain. 's g'schicht mör ja selbst wohl dabei, wenn's den arman Taif'ln wohl geht, dö johraus johrein alli Händvoll Arbät han, um mör das Bösti zu gäbe, was sö erwinden 2 könne. Drum [24] hab'n so mi a lieb änd halt'n grossi Stück auf mi, bloß wail I so lieb hab: sonst wust I nit, warum?«

»S' wärn wohl tausend ode gar zwöntausend Jahr san – auf a Haar kan I enks eb'n nit angeb'n – (Gottlob! I han wed'r les'n no schreib'n, ind was das böse niksnutzige Zaig fur a Nama hat, g'lärnt): da war a großi – wie haißt mörs do? – ä Voluzian, glaub' I, unter den Zigainan. Do hat's no Grafn in Härrn inter uns'rn Leut'n gäb'n, ind do hab'n si imma baim Kopf'n g'habt, wail aine dön anern übern Kopf wachse wollt. Abe König Ziehegahn verstund sain Handwerk ind fluggs war ain Zigaina so viel ind so groß als der anere. Sint san insri Leut so guet ind so friedli, wi dö Schaf. S' fallt kain mer ain a Künig san ze wolle. S' is a wohl 's bösti fur sö! Bai main Aid! blanker Brüderl, 's is kain Spaß a Künig san ind Recht ind Gerechtigkait imma bai der Hand han. Han of gewunschn, a g'mainer Zigaina ze san, wenn's not war, maine Freind ind Sippleut z' straf'n. Fraili giht's bai ins nie ans Leb'n 3, abe drum san insre Straf'n do niks klains. Sö san alli druf aing'richt, daß der Zigaina si vor si selber schäme mueß, ind das, denk I, mueß wohl aingreif'n. I wüeßt nit, daß ä Zigaina, dör aimal so herg'nommen wor'n, wieda ainkommen wär.«

Der König fuhr drauf fort, seine Verwunderung zu bezeigen, daß in keiner andern Regierungsform die Beschämung als Strafe eingeführt wäre. Worauf ihn Jones des Gegenteils versicherte weil in den engländischen Gesetzen auf manches Vergehen Beschämung verordnet sei, und wäre solche auch wirklich eine von den ordentlichen Folgen aller Bestrafungen. »S' is do närr'sch!« sagte der König; »I hör' do a, was bai enk vorgeht, wan mör schon nit inter enk leb'n, ind da han I oft g'hört, daß ihr bald Sünd ind Schand belohnt, bald enkre Belohning a Schand is. Is dann bai enk Belohning ind Straf ain Ding?«

Als Seine Zigeunerische Majestät noch solchergestalt im Gespräch mit Jones begriffen waren, entstand ein plötzlicher Aufruhr in der Scheune und, wie es scheint, auf folgende Veranlassung: das höfliche [25] Benehmen dieses Volks hatte nach und nach dem Rebhuhn alle Furcht benommen und ihn dahin gebracht, nicht nur ein Erkleckliches von ihren Speisen zu sich zu nehmen, sondern auch von ihrem herzerfreuenden Getränk zu kosten, wodurch er denn allen Kummer und alle Sorgen aus Leib und Seele verbannte und dagegen weit angenehmern Gefühlen Raum gab.

Eine junge Zigeunerin, merkwürdiger wegen ihres Witzes als wegen ihrer Schönheit, hatte den ehrlichen Schlag unterm Vorwande, ihm gut Glück zu sagen, auf die Seite gelockt. Ob nun, als sie sich in einem entfernten Winkel der Scheune zusammen allein befanden, das starke Getränk wirkte, welches niemals so fähig ist, unordentliche Begierden zu entflammen, als nach einer mäßigen Leibesbewegung, oder ob die schöne Zigeunerin selbst die Zucht und Wohlanständigkeit ihres Geschlechts beiseite setzte und mit ausdrücklichem Verlangen den jugendlichen Rebhuhn in Versuchung führte – kurz, sie wurden von dem Ehegatten der Zigeunerin in einer sehr unschicklichen Lage entdeckt. Besagter Ehegatte, scheint es, hatte aus Eifersucht ein wachsames Auge über seine Ehegemahlin gehalten und hatte ihr bis an den Ort nachgespürt, woselbst er sie in den Armen ihres Buhlen ertappte.

Rebhuhn ward jetzt zur großen Beschämung des Herrn Jones vor den König geschleppt, welcher die Klage anhörte und auch die Verteidigung des Beklagten, welche freilich sehr lahm ausfiel: denn der arme Kumpan war durch den deutlichsten Beweis, der gegen ihn geführt wurde, beschämt und überführt und konnte wenig oder nichts zu seiner Rechtfertigung beibringen. Seine Majestät wandten sich hierauf an Jones und sagten: »Blanker Mann, hast g'hört, was m'r sagen thut: was für ä Straf'n thust meinen, hab' dein Mann verdient?«

Jones antwortete: Das Vorgefallene thäte ihm leid und Rebhuhn sollte zur Befriedigung des beleidigten Ehemanns alles thun, was nur in seinem Vermögen stände. Er habe eben nur wenig Geld bei sich, sagte er, griff mit der Hand in die Tasche und bot dem klagenden Zigeuner eine Guinee, worauf jener alsobald antwortete: er hoffe, der gnädige Herr und blanke Bruder würd' ihm nicht weniger geben als fünfe.

Nach einigem hin und wieder Dingen und Handeln ward die Summe moderiert bis auf zwei, und nachdem Jones die völlige Verzeihung sowohl für Rebhuhn als für die straffällige Zigeunerin zur Hauptbedingung gemacht hatte, wollte er das Geld auszahlen, als Seine Zigeunerische Majestät ihm die Hand zurückhielten, sich an den Zeugen wandten und solchen fragten: zu welcher Zeit er die Verbrecher zuerst entdeckt habe? Worauf er antwortete: der Ehemann [26] habe ihn gebeten, gleich beim ersten Augenblick, da seine Frau mit dem Fremden gesprochen habe, er möchte auf alle ihre Bewegungen achtgeben, und also habe er sie nicht aus den Augen gelassen, bis das Verbrechen verübt gewesen wäre. Der König fragte ferner: ob denn der Ehemann die ganze Zeit über bei ihm in dem Lauschewinkel gewesen sei? worauf er bejahend antwortete. Seine Zigeunerische Majestät wendeten sich hierauf an den Ehemann wie folgt: »S' thut mer laid, an Zigaina ze seg'n, der so wäni Ehr im Laib hat, daß iem die Ehr von sain Ehwai' fur Geld fail is. Hättst du dain Wai' lieb g'habt, so wär aus'n ganz'n Hand'l niks wor'n ind du hättst sö kain Hur wern lass'n, um sö zu d'ertapp'n. Drum is main Befelch: man soll dir kain Geld geb'n, denn du hast Straf' verdient ind kain Lohn. Dain Urtel is: du sollst ain Schandfleck han ind a paar Hörnl auf'n Kopf trag'n an ganz Monat lang; dain Waib soll die Zeitlang Hur heiß'n ind de Leut soll' mit Fingern uf sö zaig'n; dann du bist a schandlicher Zigaina ind sö is nit wäniger a Schandhur.«

Die Zigeuner schritten augenblicks dazu, den Urteilsspruch zu vollziehen, und ließen Herrn Jones und Rebhuhn bei Seiner Majestät allein.

Jones gab der Gerechtigkeit des Spruchs seinen innigsten Beifall, worauf der König zu ihm sagte: »I kan mer's wohl vorstell'n, daß dir das Ding hübsch im Kopf rumgeh'n mag. Dann I waiß wohl, daß ös blanken von unsren Leuten niks guet's denkts ind enk ainbild'ts, dö Zigaina wern niks als a Diebsg'sindl.«

»Ich muß gestehen, Herr König,« sagte Jones, »was ich von Ihnen und Ihrem Volke gehört habe, lautete nicht so günstig, als Sie es wirklich zu verdienen scheinen.«

»Will dör's wohl sag'n,« erwiderte der Autokrat, »was für an Unterschied zwischen enk Blanken is ind unsern Leut'n. Unsri Leut schnipfen bai den Enkern und do Enkern schnipfen ananner selber.«

Jones verbreitete sich hierauf in vollem Ernste über die Glückseligkeit derjenigen Unterthanen, welche unter einer solchen Obrigkeit lebten.

In der That scheint ihre Glückseligkeit so vollkommen gewesen zu sein, daß wir fast besorgen, ein oder der andre Advokat für die willkürliche Gewalt möchte einst in der folgenden Zeit das Beispiel dieses Volks als einen Beweis von den großen Vorteilen anführen, welche diese Regierungsart vor allen übrigen den Unterthanen gewähre.

Und hier wollen wir etwas einräumen, welches man vielleicht von uns nicht erwarten möchte: daß nämlich keine eingeschränkte Regierungsform vermögend sei, sich zu eben der Stufe von Vollkommenheit [27] zu erheben, oder der bürgerlichen Gesellschaft ebenso wohlthätig werden könne wie jene. Das menschliche Geschlecht ist niemals so glücklich gewesen, als da der größte Teil der bekannten Welt unter der Alleinherrschaft eines einzigen Herrn stand; und dieser Glückseligkeitszustand dauerte fort unter den Regierungen von fünf auf einander folgenden Prinzen 4. Dies war die eigentliche Aera des goldnen Zeitalters, und das einzige goldne Zeitalter, das die Welt jemals gehabt hat (ausgenommen in der erhitzten Einbildungskraft der Dichter) seit der Verjagung unsrer ersten Eltern aus dem Paradiese bis auf den heutigen Tag.

In Wahrheit kenne ich nur einen triftigen Einwurf gegen die unumschränkten Monarchieen. Der einzige Fehler in dieser vortrefflichen Konstitution scheint in der Schwierigkeit zu liegen, irgend einen Sterblichen zu finden, der dem Amte eines absoluten Monarchen durchaus gewachsen wäre; denn dies Amt erheischt unnachläßlicherweise drei Eigenschaften, welche, wie aus der Wahrheit aller Geschichte erhellt, sehr schwer in prinzlicher Natur bei einander angetroffen werden: erstlich, einen hinlänglichen Vorrat von Mäßigung in dem Prinzen, um sich mit aller der Macht, welche er möglicherweise haben kann, begnügen zu lassen; zweitens Weisheit genug, seine eigne Glückseligkeit nicht zu verkennen; und drittens genug Güte des Herzens, um die Glückseligkeit andrer zu befördern, wenn solche nicht nur mit seiner eignen sehr verträglich, sondern auch selbiger sogar höchst zuträglich ist. Wenn man sonach zugesteht, daß ein unumschränkter Monarch mit allen diesen großen und seltenen Eigenschaften fähig sei, der bürgerlichen Gesellschaft das meiste und größeste Gute angedeihen zu lassen, so muß man hingegen auch ohne Widerspruch einräumen, daß uneingeschränkte Gewalt, wenn sie den Händen eines Sterblichen anvertraut ist, der aller jener Eigenschaften ermangelt, auch wahrscheinlicherweise von ebenso vielen Uebeln begleitet sein werde.

Kurz, unsre eigene Religion gibt uns hinlänglich richtige Begriffe von dem Segen sowohl, als dem Fluche, welchen eine absolute Gewalt über uns bringen kann. Die Beschreibung des Himmels und der Hölle stellen uns ein lebendiges Bild von beiden vor die Augen; denn obgleich der Fürst der letztern keine andre Macht haben kann, als welche er von dem allmächtigen Beherrscher des erstern ursprünglicherweise hat verliehen erhalten, so erhellt doch deutlich aus der Schrift, daß im Reiche der Hölle seinem satanischen Beherrscher eine umumschränkte Macht verwilligt sei. Dies ist wirklich die einzige absolute Gewalt, welche nach der Schrift erwiesen [28] werden kann, daß sie vom Himmel eingesetzt worden. Wenn also die verschiedenen Tyrannen auf Erden ihr Recht, als von göttlicher Autorität entsprungen, beweisen können, so muß es von dieser ursprünglichen Belehnung des Fürsten der Finsternis hergeleitet werden, und diese Unterdeputierten müssen folglich unmittelbar ihre Gewalt aus den Händen desjenigen empfangen haben, dessen Namen und Zeichen sie so sichtbarlich an der Stirne führen.

Da uns nun schließlich die Beispiele aller Zeiten zeigen, daß die Menschen überhaupt nur nach Gewalt streben, um Böses thun zu können, und wenn sie solche erhalten haben, sie zu keinem andern Endzweck anwenden, so reimt es sich selbst mit dem kleinsten Grade von Klugheit nicht, eine Aenderung in der Regierungsform zu wagen, wobei unsre Hoffnung nur auf dem schwachen Nutzen von zwei oder drei Ausnahmen unter tausend Beispielen beruht, welche uns die gegründetste Furcht verursachen. In diesem Falle ist es viel weiser gehandelt, sich den wenigen Unbequemlichkeiten zu unterwerfen, welche aus der unbeweglichen Taubheit der Gesetze entstehen, als solchen durch Bitten vor den beweglichen offenen Ohren eines Tyrannen abzuhelfen. Auch kann das Beispiel der Zigeuner hier nicht füglich angeführt werden, obgleich solche vielleicht seit undenklichen Zeiten unter dieser Regierungsform glücklich gewesen sein mögen; denn wir müssen den sehr wesentlichen Umstand nicht vergessen, in welchem sie sich von allen übrigen Völkern unterscheiden, und auf welche vielleicht ihre Glückseligkeit ganz und völlig beruht, nämlich, daß unter ihnen keine falsche Ehre eingeführt ist, und daß sie die Schande als die schrecklichste Strafe von der Welt betrachten.

Fußnoten

1 Seine Zigeunerische Majestät irren sich entweder, oder wollen nicht mit der rechten Sprache herausgehn. Wer Höchstdero Reich kennt, und dessen bis auf diesen Tag geheim gehaltenen Ursprung aus Aegypten durch die Priester der Isis, der weiß auch so viel, daß der Monarch nicht König, sondern Imperator genannt wurde.

Bolingbroke.

2 Se. Geheime Majestät, sieht man, haben wenigstens über die Wissenschaften ihrer Nation einen sehr decenten Ausdruck.

Arnold.

3 Da sieht man's! Alle Weisheit kommt doch aus dem Orient, wie William Hutchinson sagt. Todesstrafen hat also diese unbekannte Monarchie nicht mehr. Ob sie noch die Question ordinaire et extraordinaire haben mag, wie die aufgeklärteste Nation in Europa? – Sollten die Unbekannten so viel weiser sein als die Bekannten? Je nun! warum sollte man nicht wahre Weisheit selbst von Zigeunern und Juden lernen wollen, obgleich der Name der Letztern mit einem großen J anfängt?

Ketmia Vere.

4 Nerva, Trajan, Hadrian und die beiden Antonine.

Dreizehntes Kapitel
Dreizehntes Kapitel.

Ein Dialog zwischen Herrn Jones und Rebhuhn.


Wir zweifeln nicht, die ehrlichen Liebhaber der Freiheit werden uns die lange Ausschweifung verzeihen, auf welche wir am Schlusse des vorigen Kapitels verleitet wurden, um zu verhindern, daß unsre Geschichte nicht mißbräuchlicherweise zum Behuf der allerschädlichsten Lehre angeführt werden möge, die nur jemals der Pfaffenhaufe die Bosheit oder Unverschämtheit gehabt hat zu predigen.

Wir wollen nunmehr mit Herrn Jones unsern Weg weiter fortsetzen, welcher, nachdem der Sturm vorübergegangen war, sich bei Seiner Zigeunerischen Majestät nach vielen Danksagungen für gütige Aufnahme und höfliche Bewirtung geziemendst beurlaubte und sich auf den Weg nach Coventry machte, wohin ihm ein Zigeuner [29] (denn es war immer noch finster) den Weg zu weisen befehligt wurde.

Jones hatte dadurch, daß er seines Weges verfehlt, statt sechs englischer Meilen elf reisen müssen und zwar auf einem der allerbösesten Wege, wo man nicht eilen konnte und hätte man auch eine Hebamme für eine Frau in Kindesnöten rufen wollen, deswegen er auch erst um zwölf Uhr in Coventry anlangte. Und hier war's ihm nicht möglich eher wieder auf den Sattel zu kommen, als nach zwei Uhr, weil es jetzt sehr schwer hielt Postpferde zu bekommen. Dazu kam noch, daß weder der Hausknecht noch der Vorreiter nur halb so eilig waren als er selbst, sondern lieber das ruhige Verhalten Rebhuhns nachahmten, welcher, da ihm die Erquickung des Schlafes versagt wurde, jede Gelegenheit wahrnahm, dessen Stelle mit jeder andern Art von Erquickung zu ersetzen, und sich niemals mehr freute, als wenn er in einem Wirtshause anlangte, und nie einen größern Verdruß empfand, als wenn er gezwungen ward, es wieder zu verlassen.

Jones reiste jetzt mit Kurierpferden. Wir wollen ihm also nach unsrer Gewohnheit und nach der Regel Longins auf eben die Weise folgen. Von Coventry ging er nach Daventry, von Daventry nach Stratford und von Stratford nach Dunstabel, woselbst er des folgenden Mittags ein wenig nach zwölf Uhr, und nur einige Minuten nachher, da Sophie den Ort verlassen hatte, anlangte, und ob er gleich genötigt war hier länger zu verweilen, als er wünschte, unterdessen ein Schmied mit großer Bedächtlichkeit dem Pferde, das er reiten sollte, ein neues Hufeisen auflegte, so zweifelte er doch nicht, er würde seine Sophie früher einholen, ehe sie aus Sankt Albans weiter reisen könnte, denn er schloß, und zwar mit vieler Vernunft, der Herr Graf würden daselbst anhalten und zu Mittag essen.

Und wären seine Vermutungen richtig zugetroffen, so würde er höchst wahrscheinlicherweise seinen Engel am vorbesagten Orte eingeholt haben. Zum Unglück aber hatte der Herr Graf in seinem eignen Hause zu London das Mittagessen bestellen lassen, und um ihn instandzusetzen, daselbst zu rechter Zeit anzulangen, hatte er eine frische Vorspann nach Sankt Albans genommen. Als demnach Herr Jones daselbst ankam, erfuhr er die Nachricht, daß die sechsspännige Kutsche bereits vor zwei Stunden wieder abgefahren sei.

Wenn auch frische Postpferde bereit gestanden hätten, wie sie wirklich nicht standen, so war es doch so sichtbarerweise unmöglich, die Kutsche diesseits London einzuholen, daß Rebhuhn dachte, er habe jetzt eine schickliche Gelegenheit, seinen Freund an eine Sache [30] zu erinnern, die er ganz und gar vergessen zu haben schien. Was dies war, wird der Leser erraten, wenn wir ihm sagen, daß Jones, seitdem er die Schenke verlassen hatte, woselbst er zuerst den Vorreiter mit den Pferden antraf, welche Sophie weitergebracht hatten, nichts anders gegessen hatte, als ein einziges gekochtes Ei, denn bei den Zigeunern hatte er nur ein Gastmahl für den Verstand gehalten.

Der Gastwirt war so völlig einstimmig mit des ehrlichen Rebhuhns Meinung, daß er nicht so bald hörte, wie der letztere seinen Freund bat, zu bleiben und zu Mittag zu essen, als er sehr willfährig sein Wörtchen mit dazu gab, sein vorgegebenes Versprechen, den Augenblick Pferde herbeizuschaffen, zurücknahm und Herrn Jones versicherte, er würde keine Zeit darüber verlieren, wenn er ein Mittagessen befähle, das, wie er sagte, geschwind zu Tisch gebracht werden könnte, bevor noch die Pferde abgefüttert und gesattelt wären; denn ein Futter, meinte er, müßten sie vorher noch haben, sonst würden sie für den Weg zu müde sein.

Jones ließ sich endlich überreden, hauptsächlich durch die letzte vom Wirt angeführte Ursache, und sonach ward eine Schöpsenkeule zu Feuer gebracht. Und unterdessen diese zubereitet wurde, begann Rebhuhn, welcher mit seinem Freunde oder Herrn in ebendemselben Zimmer zugelassen war, folgendergestalt an zu reden.

»Gewißlich, lieber Herr! wenn jemals ein Mann ein schönes Fräulein verdient hat, so verdienen Sie gewiß das Fräulein von Western, denn was für eine unendlich große Liebe muß nicht ein Mann besitzen, um ohne alle andre Nahrung bloß von Liebe leben zu können, wie Sie davon leben. Ich weiß gewiß, daß ich diese letzten vierundzwanzig Stunden wohl dreißigmal mehr gegessen habe als Sie, gnädiger Junker, und doch bin ich so dünn und durchsichtig wie eine Laterne, denn nichts zehrt einen Menschen so sehr ab als das Reisen, besonders in dieser kalten rauhen Witterung. Und doch weiß ich nicht wie's zugeht, daß Eur Gnaden sich dem Anschein nach bei so vollkommner Gesundheit befinden und in Ihrem ganzen Leben nicht besser und frischer ausgesehen haben. Ja, ja, ganz gewiß, gnäd'ger Junker, Sie müssen bloß von Liebe leben.«

»Eine sehr kräftige Nahrung ist das freilich nicht, Rebhuhn!« antwortete Jones. »Aber schickte mir nicht das Glück noch gestern einen gar vortrefflichen Leckerbissen? Meint Er, ich könne nicht länger als vierundzwanzig Stunden von diesem lieben, teuren Taschenbuche leben?«

»Daran ist kein Zweifel,« rief Rebhuhn. »In dem Taschenbuche ist genug vorhanden, um manche gute Mahlzeit anzuschaffen. Das Glück schickte es Eur Gnaden zu sehr gelegener Zeit zum gegenwärtigen[31] Gebrauche, da es mit Eur Gnaden Gelde für jetzt schon ziemlich auf die Neige gehen muß.«

»Was will Er damit sagen?« versetzte Jones. »Er bildet sich, hoffe ich, doch nicht ein, daß ich unredlich genug sein könne, auch wenn es einer ganz andern Person gehörte als dem Fräulein Western –«

»Unredlich?« erwiderte Rebhuhn. »Behüte der Himmel, daß ich Eur Gnaden ein solches Unrecht anthun sollte! Aber was wäre denn unredliches dabei, wenn Sie zu Ihren nötigen Ausgaben ein wenig davon borgten, weil Sie doch so reichlich im stande sein werden, es hernachmals dem Fräulein wieder zu erstatten? Nein, in der That, anders mein' ich's nicht, als Eur Gnaden müßten's allerdings wieder bezahlen, sobald als es thunlich sein wird. Aber was für Böses kann dabei sein, wenn Sie es jetzt gebrauchen, da Sie's nötig haben? Je nun! wenn's einem armen Menschen zugehörte, so wär' es freilich eine andre Sache. Aber ein so reiches Fräulein, die kann es doch gewiß sehr leicht entbehren, zumal jetzt, da sie bei einem so vornehmen Herrn ist, der es ihr ohne allen Zweifel an nichts in der Welt ermangeln lassen wird, wessen sie nur immer nötig haben kann. Und je nun, wenn sie auch ein wenig nötig hätte, alles kann sie doch nicht nötig haben, und deswegen würd' ich ihr auch ein wenig geben, aber hängen wollt' ich mich lassen, eh' ich ihr sogleich, und ehe ich selbst wieder zu Gelde gekommen wäre, sagen wollte, daß ich's gefunden hätte; denn London, wie ich mir habe sagen lassen, soll der schlimmste Ort von der Welt sein, wenn man drin leben will und kein Geld hat. Nu freilich, wenn ich nicht erfahren hätte, wem's gehörte, so hätt' ich leicht denken können, es wäre so von Satans Heckepfennigen und würde mich sehr gefürchtet haben es anzugreifen, aber da Sie's ja nun besser wissen und mit allen Ehren dazu gelangt sind, so hieß' es dem Glücke einen Schimpf anthun, wenn Sie's so rein wieder weggeben wollten, gerade zu der Zeit, da Sie's am meisten brauchen. Sie können schwerlich erwarten, daß es Ihnen noch einmal einen solchen Freundschaftsdienst leisten wird, denn Fortuna nunquam perpetuo est bona. Sie mögen's nun machen wie es Ihnen beliebt, ungeachtet alles dessen was ich sage; aber darauf verlassen Sie sich, man soll mich eher hängen, als daß ich nur ein einziges Wort von der ganzen Sache sage.« – »So viel ich sehe, mein guter Rebhuhn,« rief Jones, »ist das Hängen non longe alienum a Scaevolae studiis.«

»Alienus sollten Sie sagen,« sprach Rebhuhn; »ich erinnere mich der Stelle, es ist ein Exempel unter:Communis, alienus, immunis, variis casibus serviunt.«

[32] »Wenn Er sich der Stelle erinnert,« rief Jones, »so sehe ich doch, daß Er sie nicht versteht. Aber guter Freund, ich will Ihm in unsrer Muttersprache ganz deutlich soviel sagen, daß derjenige, der das Eigentum eines andern findet und es seinem bekannten Herrn wissentlich vorenthält, in foro conscientiae ebensogut den Galgen verdient, als ob er's wirklich gestohlen hätte. Und was nun diese eigentliche Banknote betrifft, welche das Eigentum meines lieben Engels ist und ehedem in ihrem teuren Besitze war, so will ich solche aus keinerlei Rücksicht in der Welt andern Händen als den ihrigen ausliefern. Nein, und wär' ich auch ebenso hungrig als Er ist, und hätt' ich auch gar kein ander Mittel meinen dringendsten Appetit zu stillen! Und noch heute abend, ehe ich mich schlafen lege, hoffe ich ihr das Ihrige wieder zuzustellen. Sollte mir aber das auch nicht möglich sein, so rate ich Ihm, wofern Er nicht meinen unversöhnlichen Unwillen auf sich laden will, meine Ohren nicht wieder mit der bloßen Erwähnung solcher verabscheuungswürdigen Niederträchtigkeit zu beleidigen.«

»Ich würde jetzt kein Wort davon erwähnt haben,« sagte Rebhuhn, »wenn es mir so vorgekommen wäre. Denn gewißlich, ich verachte schändliche Ruchlosigkeiten ebensogut als ein andrer, aber Sie verstehen das vielleicht besser, und dennoch hätt' ich meinen sollen, ich hätte nicht so manche Jahre gelebt und hätte so lange Schule gehalten, ohne einmal im stande zu sein, einen Unterschied zwischen fas et nefas zu machen. Aber man sagt ja wohl: der Mensch wird älter als die Kuh, und lernt noch alle Tage zu. Ich erinnere mich an meinen alten Schulmeister; es war ein erstaunlich großer Gelehrter, der pflegte oft zu sagen:Polli, mattete crei toun is mei dascalon, welches, wie er uns sagte, so viel heißt als: ein Kind kann zuweilen seine Großmutter lehren die Eier aussaugen. Wenn ich nur wüßte, warum ich solange gelebt hätte, wenn ich mich zu dieser Frist noch soll meine Grammatik lehren lassen. Vielleicht, mein lieber junger Herr, verändern Sie einmal Ihre Meinung, wenn Sie so lange leben, daß Sie zu meinen Jahren kommen, denn ich erinnere mich noch, ich hielt mich damals, als ich noch ein Kiek-in-die-Welt, so ein- oder zweiundzwanzig Jahre war, für ebenso weise und klug, als ich nun bin. Das weiß ich, ich habe beständig alienus gelehrt und mein Schullehrer las es ebenso.«

Es gab der Gelegenheiten nur wenige, bei welchen Rebhuhn den Herrn Jones zum Zorn reizen konnte, und auch nur wenige, bei welchen Rebhuhn verleitet werden konnte, gegen Herrn Jones den Respekt aus den Augen zu setzen. Zum Unglück aber waren beide auf eine von diesen wenigen Gelegenheiten gestoßen. Wir haben bereits gesehn, daß Rebhuhn es nicht vertragen konnte, daß [33] man seine Gelehrsamkeit antastete, und Jones konnte einige Stellen in der angeführten Rede ebensowenig vertragen. Er sah daher seinen Gefährten an mit einer verachtungsvollen zornigen Miene (eine Sache, die ihm gar nicht gewöhnlich war) und sagte: »Rebhuhn, ich sehe, Er ist ein eingebildeter alter Narr. Und ich wünschte, Er wäre nicht auch zugleich ein alter Schelm. Wirklich, wenn ich von dem letztern ebenso gewiß überzeugt wäre, als ich's von dem erstern bin, so sollte Er in meiner Gesellschaft gewiß nicht weiter reisen.«

Der weise Pädagog begnügte sich mit der Erleichterung, die er seinem Herzen durch die Ausschüttung seines Aergers bereits gegeben hatte, und zog, wie der gemeine Mann zu sagen pflegt, augenblicklich seine Hörner wieder ein. Er sagte: es thäte ihm herzlich leid, wenn er was gesagt haben sollte, was nicht recht und schicklich wäre, denn er habe es gewiß nicht böse gemeint; aber nemo omnibus horis sapit.

So wie Jones die Fehler einer hitzigen Gemütsart an sich hatte, so war er von den Fehlern einer kalten hingegen auch völlig frei, und wenn seine Freunde bekennen mußten, daß er ein wenig zu leicht auffuhr, so müssen auch seine Feinde ebenfalls bekennen, daß sein Zorn ebenso leicht verrauchte. Seine Gemütsart glich keineswegs der See, deren Wellen und Wogen heftiger und gefährlicher sind, wenn der Sturm vorübergegangen ist, als solange noch der Sturm selbst dauert. Er war durch Rebhuhns Bekenntnis augenblicklich versöhnt, schüttelte ihm die Hand und sagte ihm mit der leutseligsten Miene, die sich nur erdenken läßt, wohl zwanzig gütige Sachen, und verdammte sich zu gleicher Zeit selbst sehr streng, obgleich nicht halb so streng, als er höchst vermutlich von manchem unsrer guten Leser verdammt werden würde.

Rebhuhn war wieder sehr frohen Muts; denn seine Furcht, etwas beleidigendes gesagt zu haben, war in einem Augenblick verschwunden und sein Stolz dadurch völlig befriedigt, daß Jones sich selbst Unrecht gab; welches Geständnis Rebhuhn augenblicklich auf den Punkt bezog, der ihm eigentlich gewurmt hatte. Er sagte daher mit einer halb leisen Stimme zwischen den Zähnen: »Gewißlich, gnädiger Junker, Ihre Einsichten mögen in verschiedenen Dingen die meinigen übertreffen: was aber die Grammatik anlangt, sollt' ich meinen, da kann ich jeden lebendigen Menschen herausfordern, die sollt' ich meinen, wüßt' ich wenigstens vom Anfang bis Ende.«

Wenn noch irgend etwas die Zufriedenheit vermehren konnte, welche jetzt der arme Mann genoß, so ward ihm dieser Zusatz durch die Ankunft einer vortrefflichen Schöpsenkeule gewährt, die in diesem Augenblick rauchend heiß zu Tisch gebracht wurde. Nachdem sich [34] beide an derselben nach Herzenslust gelabt hatten, setzten sie sich wieder zu Pferde und machten sich auf den Weg nach London.

Vierzehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel.

Was dem Herrn Jones auf seinem Wege von Sankt Albans nach London begegnete.


Sie waren ungefähr eine kleine Stunde Weges hinter Barnet gekommen, und es war bereits in der Abenddämmerung, als ein Mann von artigem Ansehn, aber auf einem sehr schäbigen Pferde auf Herrn Jones zuritt und ihn fragte, ob sein Weg nach London ginge, worauf Jones mit Ja antwortete. Der fremde Herr versetzte: »Ich würde Ihnen verbunden sein, mein Herr, wenn Sie sich meine Gesellschaft wollten gefallen lassen, denn es fängt an spät zu werden und ich bin des Weges unkundig.« Jones willigte sehr gerne in sein Verlangen und so ritten sie mit einander fort und führten die Art von Gesprächen, welche bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich sind.

Straßenräuberei war gleichwohl der vornehmste Inhalt dieser Gespräche, ein Punkt, worüber der Fremde große Besorgnis äußerte; Jones aber erklärte, er habe sehr wenig zu verlieren und folglich ebensowenig zu fürchten. Hier konnte Rebhuhn sich nicht enthalten, seinen Senf mit dazu zu geben. »Eur Gnaden,« sagte er, »mögen's wohl für wenig halten! Aber ich, bei meiner Treue! wenn ich eine Banknote von hundert Pfund in meiner Tasche hätte, wie Sie haben, so sollte mir's sehr leid thun, drum gebracht zu werden. Doch meinesteils hab' ich mich in meinem Leben nie so wenig gefürchtet als jetzt; denn unser sind vier, und wenn wir Fuß bei Fuß setzen, so biet' ich dem Manne Trotz, der uns berauben wollte. Gesetzt auch, er hätte eine Pistole, nu! so kann er nur einen von uns erschießen und ein Mensch kann nur einmal sterben, das ist mein Trost! Einmal kann ein Mensch nur sterben!«

Außer der Zuversicht auf die größere Anzahl, welche eine Art von Tapferkeit gibt, wodurch sich eine gewisse Nation unter den Neuern bis zu einem hohen Grade von Ruhm emporgeschwungen hat, beruhte auch der außerordentliche Mut, welchen Rebhuhn jetzt bezeigte, noch auf einem andern Grunde; denn er hatte gegenwärtig von dieser Eigenschaft grade so viel an sich, als die Macht des starken Getränkes zu verleihen im stande war.

Unsre Gesellschaft war nunmehr bis auf eine halbe Stunde Weges von Highgate gekommen, als sich der Fremde plötzlich gegen [35] Herrn Jones umwandte, eine Pistole hervorzog und die kleine Banknote forderte, deren Rebhuhn erwähnt hatte.

Anfangs stutzte Jones ein wenig über dieses unerwartete Begehren; er faßte sich indessen wieder sehr bald und sagte zu dem Straßenräuber: alles Geld, was er bei sich habe, sei völlig zu seinem Dienst; und mit diesen Worten langte er ungefähr auf drei Guineen hervor und wollte ihm solches hingeben; der andere aber antwortete mit einem Schwur, das wäre nicht genug. Jones antwortete ganz kaltblütig: das thäte ihm leid und steckte damit das Geld wieder in seine Tasche.

Der Räuber begann ihm zu drohen, wenn er ihm nicht den Augenblick die Banknote aushändigte, so müsse er ihn erschießen und hielt ihm dabei die Pistole sehr nahe auf die Brust. Jones ergriff wirklich die Hand des Kerls, welche dergestalt zitterte, daß er kaum die Pistole darin halten konnte, und kehrte die Mündung von sich ab. Hierauf folgte ein Handgemenge, worin der erste seinem Gegner die Pistole aus den Händen wand, und beide kamen von ihren Pferden herunter auf die Erde, der Räuber kam auf den Rücken zu liegen und der siegende Jones über ihm.

Der arme Kerl begann nunmehr seinen Ueberwinder um Barmherzigkeit anzuflehen; denn die Wahrheit zu bekennen, war er an Stärke dem Herrn Jones keineswegs gewachsen. »In der That, mein Herr,« sagte er, »ich konnte den Vorsatz nicht haben, Sie zu erschießen, denn Sie werden finden, daß die Pistole nicht geladen war. Dies ist der erste Straßenraub, den ich jemals habe begehen wollen, und ich bin durch die äußerste Not dazu verleitet worden.«

In eben diesem Augenblick lag ungefähr ein paar hundert Schritt davon eine andre Person auf dem Erd boden, welche mit einer viel lautern Stimme als der Straßenräuber um Barmherzigkeit brüllte. Dies war niemand anders als der leibhaftige Rebhuhn, der sich mit möglichster Eile dem Handgemenge hatte entziehen wollen, darüber vom Pferde abgeworfen war und nun platt auf'm Angesicht lag, nicht das Herz hatte, die Augen aufzuschlagen und jeden Augenblick erwartete, er würde erschossen werden.

In dieser Stellung lag er, bis der Vorreiter, (der um weiter nichts besorgt war, als um seine Pferde), nachdem er das strauchelnde Vieh wieder zu Beinen gebracht, zu ihm kam und ihm sagte, sein Herr habe den Straßenräuber in seine Gewalt bekommen.

Bei dieser Neuigkeit sprang Rebhuhn auf und lief zurück nach dem Platze, wo Jones mit gezogenem Degen stand, um den armen Kerl zu bewachen; welches Rebhuhn nicht so bald gewahr ward, als er ausrief: »Stoßen Sie den Schurken über'n Haufen, Herr! Rennen [36] Sie ihm den Degen durch den Leib, stoßen Sie'n nieder auf der Stelle!«

Indessen war zu gutem Glück der arme Mensch in mitleidigere Hände gefallen. Denn nachdem Jones die Pistole untersucht und gefunden hatte, daß sie wirklich nicht geladen war, begann er dem allem zu glauben, was ihm der Mann gesagt hatte, bevor Rebhuhn dazu kam, nämlich daß er ein völliger Neuling in dem Gewerbe wäre und daß er durch die Not dazu verleitet worden, welche er vorstellte, und welches wirklich eine der größesten war, die man sich denken konnte: Fünf hungrige Kinder und eine Frau, die mit dem sechsten beim äußersten Mangel und Elend in den Wochen lag. Die Wahrheit von diesem allem beteuerte der Straßenräuber aufs heftigste und erbot sich, Herrn Jones selbst davon zu überzeugen, wenn er sich die Mühe geben wollte, mit nach seinem Hause zu gehen, welches keine Stunde weit davon läge; wobei er sagte, er begehre keine Schonung, wenn nicht alles, was er angeführt hätte, völlig wahr befunden würde.

Jones stellte sich anfangs, als wollte er den Kerl beim Worte fassen und mit ihm gehen, wobei er erklärte, sein Schicksal solle völlig von der Wahrheit seiner Erzählung abhängen. Hierbei bezeigte der arme Kerl augenblicklich eine so große Bereitwilligkeit, daß Jones völlig überzeugt wurde, er habe ihm die Wahrheit gesagt, und nun anfing, Bewegungen des Mitleids für ihn zu fühlen. Er stellte dem Mann die ungeladene Pistole wieder zu und gab ihm den Rat, auf redlichere Mittel zu denken, wie er seiner Not abhelfen könne; zugleich schenkte er ihm ein paar Guineen zur unmittelbaren Hilfe für seine Frau und Kinder, wobei er hinzufügte, er wünschte seinetwegen, daß er mehr bei sich hätte, die hundert Pfund aber, wovon die Rede gewesen, gehörten nicht ihm selbst zu.

Unsre Leser werden vermutlich in ihren Meinungen über diese Handlungsweise geteilt sein; einige werden sie vielleicht als eine außerordentlich menschenfreundliche That billigen und loben, während andere von strengerer Gemütsart solche als einen Mangel an Achtung gegen diejenige Gerechtigkeit betrachten, welche jedermann seinem Vaterlande schuldig ist. Rebhuhn betrachtete sie gewiß in diesem Lichte, denn er bezeigte bei dieser Gelegenheit ein großes Mißvergnügen, führte ein altes Sprüchwort an und sagte: es würde ihn nicht wundern, wenn sie der Spitzbube von neuem anfiele, ehe sie noch nach London gelangt wären.

Der Straßenräuber strömte über von Dank und Erkenntlichkeit. Er vergoß wirklich Thränen oder stellte sich, als ob er welche vergösse. Er beteuerte, daß er unverweilt nach Hause kehren und eine [37] solche Uebertretung niemals wieder begehen wolle. Ob er Wort gehalten hat oder nicht? das zeigt sich vielleicht in der Folge.

Nachdem unsre Reisenden wieder ihre Pferde bestiegen hatten, gelangten sie ohne fernern Unfall in der Stadt an. Unterwegs fielen zwischen Jones und Rebhuhn allerlei angenehme Gespräche über ihr letztes Abenteuer vor. Jones bezeigte in denselben ein großes Mitleiden mit solchen Straßenräubern, welche gleichsam durch unvermeidliche Not zu einem so gesetzwidrigen Gewerbe getrieben würden, welches ihnen gemeiniglich ein schmähliches Ende zuzieht. »Ich meine,« sagte er, »bloß solche, deren höchstes Verbrechen sich nicht weiter erstreckt als auf Diebstahl, und welche sich keiner Grausamkeit oder Menschenbeschädigung schuldig machen. Dies ist ein Umstand, welcher, zur Ehre meines Vaterlandes muß ich's sagen, die Straßenräuber in England von den Straßenräubern aller übrigen Nationen unterscheidet, denn bei allen übrigen ist der Mord vom Straßenraube fast allemal unzertrennlich.«

»Ganz richtig,« antwortete Rebhuhn, »besser ist's, einem Menschen sein Geld nehmen als sein Leben. Inzwischen ist's doch sehr hart für ehrliche Leute, daß sie nicht in ihren Geschäften reisen können, ohne vor diesen Schurken in Gefahr zu stehen. Und das ist doch wahr, daß es besser wäre, wenn alle die Gaudiebe aufgehängt wären und so die Wege rein würden, als daß nur ein einziger ehrlicher Mann darunter leidet. Ich für mein Teil freilich! ich möchte nicht gerne das Blut von einem einzigen unter ihnen auf meinem eignen Gewissen haben; aber der hohen Obrigkeit käm's doch eigentlich zu, sie alle mit einander aufknüpfen zu lassen. Was für ein Recht hat irgend ein Mensch, mir einen Groschen abzunehmen, den ich ihm nicht geben will? Ist in einem solchen Manne wohl die geringste Ehrlichkeit?«

»Nein, gewiß nicht,« versetzte Jones, »ebensowenig als in demjenigen, welcher aus eines andern Mannes Stalle Pferde nimmt oder der das Geld zu seinem eignen Gebrauche verwendet, welches er gefunden hat, wenn er seinen rechten Herrn kennt.«

Diese Winke stopften dem Rebhuhn das Maul und er öffnete solches nicht eher wieder, bis er sich gegen einige satirische Scherze des Herrn Jones über seine Zaghaftigkeit mit der Ueberlegenheit des Schießgewehrs zu rechtfertigen suchte und dabei sagte: »Tausend nackte Menschen sind nichts gegen eine Pistole; denn es ist wohl wahr, bei jedem Schuß kann sie nur einen töten; aber wer ist davor sicher, daß man dieser eine nicht selbst sei.«

Dreizehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Eine Anrufung.


Komm, strahlende Liebe des hohen Ruhmes, komm, begeistere meine glühende Brust! Nicht du, dich ruf' ich nicht an, die du auf emporsteigenden Wogen von Blut und Thränen den Helden hinträgst zur glänzenden Siegespforte, indessen die Seufzer von Millionen Elendgewordenen seine ausgebreiteten Segel schwellen! Nein, nur dich, schönes, holdes Mädchen, von Mnesis, der glücklichen Nymphe, zuerst an den Ufern des Hebrus gezeugt. Dich ruf' ich an, dich, die du in Mäonien erzogen wardst, die du dein Mantua mit Zärtlichkeit liebtest, und die du gern sitzest auf den Höhen des steilen Hügels bei deinen Lieblingen, den unsterblichen Sängern der Wahrheit und Natur, und ihnen zufächelst die Kühlung des lieblichen Zephyrs, wann von dem hohen Geschäft, mit ihrer heroischen Leier die Herzen der horchenden Sterblichen zu entzücken, ihre strahlenumwundenen Schläfe glühen! Fülle du meine wonnetrunkene Phantasie mit der süßen Hoffnung, noch einst der Liebling entfernter Zeiten zu sein! Weissage mir: das empfindsame Mädchen, deß Großmutter noch erst späterhin die Welt betreten soll, werde, wann sie unter dem dichterischen Namen Sophia die Züge hoher Würde und Schönheit liest, die ehedem in meiner Charlotte wirklich die Welt beglückten, werde aus sympathetischem Busen tiefe Seufzer entwickeln. Lehr' du mich voraussehen in der Zukunft den Lohn der Nachwelt; nicht nur voraussehen, sondern auch genießen – lehr' mich an ihm meines Lebens nötige Weide finden! Sprich Ruh' und Trost in meine Seele durch die feierliche Verheißung, man werde mich lesen, auch dann noch, wann längst das Zimmerchen, worin ich eben hier sitze, enger noch schwinden wird zum schnöden Moderschrein; auch dann noch werden mich lesen mit Preis und Ehren, sie, die mich nicht sahen, nicht kannten, und die ich nie kennen werde noch sehen.

Und du, weit wohlbeleibtere Dame, die nie sich hüllet in ätherische Formen, noch in Traumgestalten erhitzter Einbildungskraft; die du dich erlabest am saftigen Braten von Rindern und Kälbern und am reich mit Pflaumen durchmengten Pudding; dich ruf' ich an, dich, von welcher einst in einer Treckschuit, auf einem Neerdütschen Kanal, Juffrow Geld, befruchtet von einem stämmigen Amsterdamer Kaufmann, entbunden ward; im Büchermachergäßchen wurdest [39] du aufgepäppelt mit dem Mehlbrei von Erudition. Hier hast du in reiferen Jahren die Reimkunst gelehrt und getrieben, zu kitzeln nicht das Ohr, nein, sondern den Dünkelstolz des reichen Gönners. Von dir gelehrt schreitet das Lustspiel in feierlichem Pompe daher, und unterdessen stürmt das Trauerspiel laut und tobt und wütet und zerschmettert die bange Bühne mit seinem Donner. Deine müden Glieder in Schlummer zu säuseln, erzählt Alderman Historikus seine langweilige Mär, und dich wieder aufzuwecken gaukelt Monsieur Roman dir seine wundersamen Hokus Pokus vor. Nicht weniger gehorcht der wohlgenährte Verleger deinem stetigen mächtigen Einfluß. Auf deinen Rat wird der schwere, ungelesene Folio-Ballen, der längst im bestaubten Laden als treuer Hüter schlief, in dünne Hefte und Nummern gespalten, mit Titeln blau und rot und grün, und treibt so sich kreiselbehende durch die Nation. Von dir belehrt täuschen der Bücher manche, gleich Salbadern, durch groß versprechende Wunder die Welt, während daß andre sich in zierliche Herrchen verwandeln und ihren ganzen Wert auf schön vergoldeten Schnitt und Brämung setzen. Komm, du füllereiche Grazie mit deinem blinkenden Antlitz! Du magst mir deine Begeisterung entziehen, nur reiche mir dar deine lockenden Belohnungen, deine blanken klingenden Haufen, deine behende zu verwandelnde Banknote, schwanger mit ungesehenem Reichtum, dein steigend und fallen des Aktienkapital, das warme gemächliche Wohnhaus, und endlich auch noch einen wackeren Anteil an jener liebreichen Mutter, deren segentriefenden Brüsten reichlich Nahrung entquillt für alle ihre zahllosen Kinder, wenn nicht einige, zu gierig und zu mutwillig, ihre Brüder von der Nüpfel drängten. Komm, du! Und hätt' ich selbst nicht Sinns genug für deine Schätze, so wärme du meine Brust mit dem herzerhebenden Gedanken, sie an andre zu verteilen. Sag' es mir, daß durch deine milden Gaben der stammelnde Säugling, der oft durch meine Arbeit in seiner Freude gestört ward, einst sehr reichlich könne belohnt werden.

Und nun, nachdem dies zwistige Joch und Pharaos doppelte Träume, der magere Schatten und die fette Substanz, mich zum Schreiben getrieben haben, wessen Beistand ruf' ich jetzt an, meinen Federkiel zu leiten?

Vor allen Genie! des Himmels freie Gabe, ohne dessen Hilfe wir alle vergebens anarbeiten gegen den Strom der Natur; du, der du ausstreuest den trefflichen Samen, den die Kunst nährt und pflegt und bis zur Reife entwickelt; nimm du mich bei der Hand und leite mich durch die verschlungenen Gänge und die dunklen Schlupfwinkel des verwickelten Labyrinths der Natur. Weihe mich ein in alle jene Mysterien, welche profane Augen nie sehen. Lehre [40] mich, denn dir ist es ein Leichtes, die Menschen besser kennen als sie selbst sich kennen. Zerstreue den Nebel, der die Augen des Verstandes der Sterblichen verdunkelt, so daß er Menschen vergöttern läßt wegen ihrer Kunst, und andre verabscheuen wegen ihrer List, damit sie andre täuschen; wann beide dem wahren Wesen nach weiter nichts sind als Thoren zum Belachen, die nur sich selber betrügen. Nimm hinweg die dünne Verkleidung, wohinter Selbstdünkel für Weisheit, Geiz für Mäßigkeit, Reichtum und Prahlsucht für Ehrliebe gehalten sein möchten. Komm! Du begeistertest deinen Aristophan, deinen Lucian, deinen Cervantes, deinen Rabelais, deinen Moliere, deinen Shakespeare, deinen Swift, deinen Marivaux, (und deiner nicht minder Geliebten manche, unter unsrer sächsischen Sippschaft, deren Namen schwer lauten, dem, der nicht ihre tonvolle Sprache kennt). Komm und fülle auch mein Blatt mit der beizenden Würze noch unverdunsteten Witzes, bis die Kinder der Menschen die Gutmütigkeit lernen, über andrer Thorheiten bloß zu lachen und die Demut, über ihre eignen sich zu härmen.

Und du, fast unzertrennliche Begleiterin des wahren Genies, Menschenliebe! Bring' herbei alle deine feinen Gefühle, und hast du sie alle bereits verteilt unter deinen Allen und deinen Lyttleton, o, so müssest du sie auf eine kleine Weile aus ihrem Busen stehlen. Wer kann rührende Szenen malen ohne sie! Von ihnen allein entspringen die edle, uneigennützige Freundschaft, die seelenschmelzende Liebe, die großmutsvolle Gesinnung, die heiße Dankbegierde, die liebreiche Meinung von andern, und alles thätige Wirken eines wohlwollenden Herzens, das das wässernde Auge mit Thränen füllt, die glühenden Wangen mit Blut, und die Seele überströmt mit Gram, mit Freude und Seligkeitsgefühl im Wohlthun.

Und du, Gelehrsamkeit! (denn ohne deinen Beistand kann selbst das Genie nichts Reines, nichts Korrektes hervorbringen), leite du meinen Kiel! Dir brachte ich meine Verehrung dar zur Zeit meiner frühesten Jugend, in jenen von dir begünstigten Gefilden, wo die helle, sanftwallende Themse an Etons Ufern spielt. Dir opferte ich, mit ächter spartanischer Andacht, an deinem birkenen Altare mein Blut. So komm denn auch nun und öffne mir die vollen Speicher, wo deine großen, unerschöpflichen Reichtümer in bejahrten Antiquitäten aufgehäuft liegen. Schließe mir auf deine mäonischen und mantuanischen Schränke, und worin sonst deine philosophischen, poetischen und historischen Schätze aufbewahrt liegen, sei das Mark in griechischen oder römischen Charakteren, womit es dir beliebt hat, die schweren Kisten zu bezeichnen! Mir gieb nur auf eine Zeitlang die Schlüssel zu deinen Schätzen, die du deinem Warburton wohl ehemals anvertraut hast.

[41] Zuletzt noch komm auch du, Erfahrung! Bewährte Vertraute des Weisen, des Guten, des Gelehrten und des feinen Weltmanns. Doch nicht nur mit diesen hieltst du Umgang, sondern auch mit Menschen von jedem Range und jedem Stande, vom Minister in seinem Konferenzkabinet herab bis zum Werkmeister des gram- und planvollen Spinnhauses, vom Assembleesaal der Gräfin bis herunter zum Zahltisch der Wirtin des Weinschanks, oder nur auch schäumenden Bieres. Bloß allein durch dich lernt man die Sitten der Menschenkinder kennen, ewig fremde dem menschenscheuen Pedanten, so weitumfassend er auch sei, der Kreis seines toten Wissens oder des unübersehbaren Feldes seiner Gelehrsamkeit.

Ihr alle, und wenn es möglich noch mehrere, kommt! Denn wichtig ist mein unternommenes Werk und wird mir, helft ihr nicht alle, so fühl' ich's, für meine Kräfte zu schwer. Lächelt ihr aber alle meiner Arbeit, so hoff' ich noch, bring' ich sie glücklich zum Ziele.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Was Herrn Jones bei seiner Ankunft in London begegnete.


Der gelehrte Doktor Misaubin pflegte zu sagen, die eigentliche Briefadresse an ihn wäre: An Herrn Doktor Misaubin in der Welt, womit er zu verstehen geben wollte, daß in derselben sehr wenig Menschen wären, denen sein berühmter Name nicht bekannt sei. Und bei einer genauen Untersuchung finden wir vielleicht, daß dieser Umstand unter den mancherlei Vorzügen der Großen dieser Welt keine der geringfügigsten sei.

Die große Glückseligkeit, von der Nachwelt gekannt zu werden mit der Hoffnung, auf welche wir uns in dem vorhergehenden Kapitel so gütlich thaten, fällt nur wenigen zum Erbteil. Die verschiedenen Elemente, welche unsre Namen komponieren, wie Sydenham es ausdrückt, noch nach tausend Jahren in der Zukunft tönend zu machen, ist eine Gabe, welche Titel und Reichtümer nicht zu schenken vermögen, und kaum anders zu erhalten als durchs Schwert und durch die Feder. Den schimpflichen Vorwurf aber, bei unsrem Leben zu vermeiden, jemand zu sein, den niemand kennt, (ein Schimpf, der nebenher gesagt schon zu Homers Zeiten ein Schimpf war, wie aus dem zweiten Buche seiner Odyssee erhellt), wird allemal das beneidete Erbteil derjenigen sein, welche zurecht gegründete Ansprüche entweder auf großen Stand oder große Reichtümer haben.

Der Leser wird also aus der Figur, welche der irländische Reichsstand, der Sophie zur Stadt brachte, bereits in dieser [42] Historie gespielt hat, ohne Zweifel schließen, es müsse ein Leichtes gewesen sein, sein Haus in London aufzufinden, ohne eben die eigentliche Straße oder den Marktplatz zu wissen, wo er wohne, weil er zu der Zahl derjenigen gehören müsse, die jedermann kennt. Und so müßte es auch freilich für alle und jede von den Kaufleuten und Handwerkern gewesen sein, welche gewohnt sind, den Großen sehr fleißig in ihren Vorzimmern aufzuwarten; denn die Thüren der Großen sind gemeiniglich ebenso leicht zu finden, als es schwer ist, dadurch Eingang bei ihnen zu erhalten. Jones aber war, so wie auch Rebhuhn, in London völlig unbekannt, und weil sich's so fügte, daß er in einem Quartier der Stadt anlangen mußte, dessen Einwohner in den großen Häusern der Hohen des Reichs und des Hofs wenig Verkehr haben, so wankte er eine ziemliche Zeit umher, bevor er noch einmal seinen Weg nach jenen glücklichen Wohnungen finden konnte, um welche Fortuna eine Scheidewand zwischen dem gemeinen Haufen und diesen erhabenen Helden gesetzt hat, diesen Nachkommen der alten Briten oder Dänen, deren Uranherrn, welche in bessern Zeiten geboren wurden, ihrer Nachkommenschaft durch verschiedene Arten von Verdienst, Reichtümer und Ehre erworben und hinterlassen haben.

Nachdem Jones endlich in diesen irdischen elysäischen Feldern angelangt war, würde er die Wohnung Seiner Hochgräflichen Gnaden bald ausfindig gemacht haben. Zu allem Unglück aber hatte dieser Herr sein voriges Haus geräumt, als er nach Irland reiste, und da er eben ein neues bezogen hatte, so war die Fama von seiner Equipage bis jetzt noch nicht hinlänglich genug in der Nachbarschaft herum erschollen; dergestalt, daß nachdem Jones so lange vergebens nachgefragt hatte, bis die Glocke elfe schlug, er endlich Rebhuhns Rat Gehör gab und sich nach dem Wirtshause Bull und Gate in Holborn zurückverfügte, woselbst er zuerst abgestiegen war und wo er einkehrte, um diejenige Art von Ruhe zu genießen, welche Personen in seinen Umständen gemeiniglich zu finden pflegen.

Früh am folgenden Morgen machte er sich abermals auf, Sophiens Aufenthalt auszuforschen, und manchen sauren Schritt that er ebenso vergebens, wie zuvor. Zuletzt geschah es (weil das Glück erweicht worden, oder weil es nicht länger in seinem Vermögen stand, ihn irrezuführen), daß er in dieselbe Gasse geriet, welche die Ehre hatte, Seiner Hochgräflichen Gnaden zu Dero Residenz zu dienen, und nachdem man Jones das Haus gezeigt hatte, that er mit dem Klopfer einen gemäßigten Schlag an die Thüre.

Der Thürwärter, welcher aus der Bescheidenheit des Klopfens eben keine hohe Idee von der sich meldenden Person gefaßt hatte, faßte auch eben keine bessere aus dem Aufzuge des Herrn Jones, [43] der einen schlechten Rock von Plüsch und an der Seite den Degen trug, den er vor kurzem von dem Wachtmeister gekauft hatte und dessen Gefäß, von so schön gehärtetem Stahl die Klinge auch sein mochte, von bloßem Messing und nicht einmal von dem feinst polierten war. Als sonach Jones sich nach der jungen Dame erkundigte, welche mit dem gnädigen Herrn zur Stadt gekommen wäre, antwortete der Thürwärter mit grämlicher Stimme, hier wäre keine solche Dame. Hierauf wünschte Jones dem Herrn vom Hause seine Aufwartung zu machen, erhielt aber zur Antwort, Seine Gnaden wollten heute morgen niemand sprechen. Und als Herr Jones noch dringender ward, sagte der Thürwärter, er habe gemessene Befehle, keinen Menschen vorzulassen. »Wenn Sie aber für gut finden,« sagte er, »Ihren Namen abzugeben, so will ich es dem gnäd'gen Herrn sagen, und wenn Sie hernach wieder vorsprechen wollen, so können Sie erfahren, ob er Sie annehmen will.«

Jones erklärte jetzt, er habe eine dringende Angelegenheit bei der jungen Dame und könne nicht weggehn, ohne mit ihr gesprochen zu haben. Worauf der Thürwärter mit eben nicht angenehmer Stimme oder angenehmem Blick bekräftigte, in dem Hause hier wäre keine junge Dame, und folglich könnte er auch mit keiner sprechen; wobei er hinzusetzte: »Wahrlich, Sie sind der seltsamste Mensch, der mir noch vorgekommen ist, denn Sie wollen sich ja gar nichts sagen lassen.«

Ich habe oft gedacht, Virgil könnte wohl bei seiner genauen Beschreibung des Cerberus, des Thorwärters von der Hölle, im sechsten Gesange der Aeneide, die Absicht gehabt haben, eine Satire auf die Thürwärter der vornehmen Herrn seiner Zeit zu schreiben. Zum wenigsten gleicht das Gemälde denjenigen ganz, welche die Ehre haben, an den Thüren unserer großen Herren aufzupassen. Der Thürsteher in seiner Loge gleicht ganz genau dem Cerberus in seiner Höhle; und gleich diesem, muß jener erst mit einem Fraß geschweigt werden, ehe man vor seinen Herrn gelangen kann. Vielleicht mochte ihn Jones in diesem Lichte betrachtet und sich der Stelle erinnert haben, wo die Sibylle, um dem Aeneas den Eingang zu verschaffen, dem Wächter vor den Pforten der Hölle den in Honig getunkten Kuchen vorwirft. Denn auf gleiche Weise begann jetzt Herr Jones dem menschlich gestalteten Cerberus eine Bestechung anzubieten; und ein Livreebedienter, der es von ferne hörte, kam augenblicklich herbei und erklärte: Wenn Herr Jones ihm die angebotene Summe geben wollte, so wolle er ihn zu der Dame hinführen. Jones ließ sich dies augenblicklich gefallen und ward ohne fernern Aufenthalt von demselben Menschen, der des Tages vorher die beiden Damen dahin gebracht hatte, zu Madame Fitz Patricks Wohnung geführt.

[44] Nichts macht uns über eine vereitelte Hoffnung mißvergnügter, als wenn wir unserm Wunsche sehr nahe zu sein geglaubt haben. Der Spieler, welcher seine Partie in Piquet nur um einen einzigen Point verliert, beklagt sich zehnmal mehr über sein Unglück, als derjenige, welcher nicht so weit zählte, daß er Hoffnung haben konnte, das Spiel zu gewinnen. Ebenso bei den Lotterien: die Besitzer der nächsten Nummern von derjenigen, die das größte Loos gewonnen hat, pflegen sich für unglücklicher zu halten, als ihre übrigen Mitverspieler. Kurz! dieses »unserm Wunsche auf ein Haarbreit nahe gewesen zu sein« hat das Ansehn eines beleidigenden Gespötts der Madame Fortuna, welche solchergestalt uns zu äffen und auf unsere Kosten ihren Mutwillen zu treiben scheint.

Jones, der schon mehr als einmal solch neckende Gemütsart der heidnischen Göttin erfahren hatte, war jetzt abermals dazu verdammt, sich den Bissen vorm Munde entrückt zu sehen. Denn er kam vor der Thüre der Madame Fitz Patrick ungefähr nur zehn Minuten später an, als Sophie daraus weggegangen war. Er wandte sich jetzt an die Kammerjungfer der Madame Fitz Patrick, welche ihm die unangenehme Nachricht sagte, daß das Fräulein ausgezogen sei, und sie nicht sagen könne wohin? Und eben dieselbe Antwort bekam er auch hernach von Madame Fitz Patrick selbst. Denn weil diese Dame keineswegs zweifelte, Herr Jones müsse von ihrem Onkel Western abgeschickt sein, seine Tochter auszukundschaften, so war sie viel zu großmütig, ihre Freundin zu verraten. Ob nun gleich Jones diese Madame Fitz Patrick niemals gesehen, so hatte er doch wohl gehört, daß eine Cousine von Sophie an einen Herrn dieses Namens verheiratet worden wäre. Indessen kam ihm dieses bei dem gegenwärtigen Tumult in seinem Gemüte mit keiner Silbe wieder ins Gedächtnis. Als aber der Bediente, welcher ihn aus des Grafen Hause hieher gebracht hatte, von der genauen Vertraulichkeit unter beiden Damen Nachricht gegeben, und wie sie sich einander Cousine nennten, so erinnerte ihn solches an die Geschichte der Verheiratung, von der er ehemals gehört hatte; und da er sich alsobald überzeugte, daß dies eben das Frauenzimmer sein müßte, so nahm ihn die Antwort um desto mehr wunder, die er erhalten hatte, und er bat sehr ernstlich um die Erlaubnis, der Dame selbst aufwarten zu dürfen. Man schlug ihm aber diese Ehre ebenso rund ab.

Jones, der freilich niemals am Hofe gewesen, hatte dennoch mehr Lebensart, als die meisten die dort leben, und war unvermögend, sich gegen eine Dame unhöflich oder ungezogen aufzuführen. Als er sonach eine deutliche abschlägige Antwort erhalten hatte, begab er sich fürs erste zurück und sagte zu der Kammerjungfer: Wenn es jetzt eine unbequeme Stunde wäre, der Dame seine Aufwartung [45] zu machen, so wolle er des Nachmittags wieder kommen, und er hoffe alsdann auf die Ehre, derselben seinen Respekt bezeigen zu können. Die Höflichkeit womit er dies vorbrachte, zusammengenommen mit der großen Anmut seiner Person, machte Eindruck auf die Kammerjungfer, und sie konnte sich nicht enthalten zu antworten: »Das ist vielleicht möglich, mein Herr!« Und in der That sagte sie hernach ihrer Gebieterin alles mögliche, was sie nur für fähig erachtete sie zu überreden, einen Besuch von dem hübschen jungen Herrn anzunehmen; denn so nannte sie ihn. Jones vermutete sehr schlau, Sophie wäre jetzt bei ihrer Cousine, und würde für ihn verleugnet; und dies habe er ihrem Unwillen über das, was zu Upton vorgefallen, zuzuschreiben. Nachdem er also Rebhuhn fortgeschickt hatte, um eine Wohnung für ihn zu mieten, blieb er den ganzen Tag über in der Gasse und ließ die Thüre des Hauses nicht aus den Augen, worin, wie er meinte, sein Engel verborgen war. Allein er sah niemand herauskommen, ausgenommen einen Bedienten des Hauses. Und des Nachmittags ging er wieder hin, Madame Fitz Patrick seinen Besuch zu machen, und diese gute Dame war endlich so herablassend, ihn anzunehmen.

Es gibt ein gewisses Wesen von Wohlerzogenheit im natürlichen Anstande und Betragen eines Menschen, welches zu zeigen oder zu verbergen, nicht in der Gewalt der Kleider steht. Dieses Wesen besaß Herr Jones, wie wir bereits vorhin haben merken lassen, in einem sehr hohen Grade. Die Aufnahme, welche er deswegen von der Dame empfing, war etwas von derjenigen verschieden, die sein äußerlicher Aufzug zu erheischen schien. Sogar ward er, nachdem er ihr die erforderlichen Respektsbezeigungen abgestattet hatte, gebeten, sich zu setzen.

Der Leser wird, wie ich glaube, nicht verlangen, diese Unterredung umständlich zu erfahren, welche sich eben nicht zu großer Zufriedenheit des Herrn Jones endigte. Denn obgleich Madame Fitz Patrick sehr bald den Liebhaber entdeckte (denn in solchen Dingen haben alle Frauenzimmer Falkenaugen), so dachte sie doch noch immer, es wäre ein solcher Liebhaber, dem eine großmütige Freundin die Geliebte nicht verraten müßte. Kurz, sie hegte den Argwohn, es wäre der wahre Herr Blifil, vor welchem Sophie geflohen sei, und alle Antworten, welche sie künstlicherweise von Herrn Jones über Herrn Alwerths Familiensachen herauslockte, bestärkten sie in dieser Meinung. Dieserhalben läugnete sie gradezu, daß sie die geringste Kenntnis von dem Orte habe, wohin Sophie gegangen sei; und Jones konnte nichts weiter erhalten, als die Erlaubnis, ihr des folgenden Nachmittags wieder aufzuwarten.

Nachdem Jones fortgegangen war, eröffnete Madame Fitz Patrick [46] ihren Argwohn, in Ansehung des Herrn Blifils, ihrer Kammerjungfer, welche drauf antwortete: »Gewiß, Ihr Gnaden, es ist ein viel zu hübscher Mann nach meiner Meinung, daß nur irgend ein Frauenzimmer in der Welt vor ihm weglaufen könnte. Ich sollte lieber glauben, es wäre Herr Jones.« – »Herr Jones?« sagte die Dame. »Was für ein Herr Jones?« Denn Sophie hatte sich in allen ihren Gesprächen kein Wörtchen von einer solchen Person entfallen lassen. Allein Jungfer Honoria war weit mitteilender gewesen, und hatte ihrer Schwesterzofe Jones' ganze Geschichte zum besten gegeben, welche diese nunmehro ihrer Gebieterin wieder erzählte.

Sobald als Madame Fitz Patrick diesen Unterricht eingezogen hatte, stimmte sie der Meinung ihrer Jungfer völlig bei und sah, was ganz unbegreiflich ist, an dem wackern glücklichen Liebhaber Reize, die sie an dem verachteten Junker übersehen hatte. »Betty,« sagte sie, »Sie hat ganz gewiß recht; es ist ein sehr hübscher Mensch, und ich wundre mich nicht, daß Ihr die Jungfer meiner Cousine gesagt hat, es wären so manche Frauenzimmer in ihn verliebt. Es thut mir jetzt leid, daß ich ihm nicht gesagt habe, wo meine Cousine zu finden ist; und doch, wenn er ein so fürchterlicher Wildfang ist, so wäre es traurig, wenn sie ihn jemals wieder zu sehen bekommen sollte; denn was kann anders dabei herauskommen, einen solchen unbeständigen Liebesritter und armen Bettler gegen den Willen eines Vaters zu heiraten, als daß sie sich ins Elend stürzte? Nein, gewiß! wenn es ein solcher Mensch ist, wie ihn das Mädchen ihr beschrieben hat, so ist es ein wahrer Liebesdienst zu verhindern, daß sie nichts von einander erfahren; und mir wäre es gewiß nicht zu verzeihen, wenn ich anders dabei verfahren wollte, da ich von dem bittern Elende, das eine so unkluge Heirat begleitet, nur zu sehr gekostet habe.«

Hier ward sie durch die Ankunft eines Besuchs unterbrochen, welches niemand anders war, als der Herr Graf. Da aber bei diesem Besuche nichts Neues oder Außerordentliches, oder dieser Geschichte Wesentliches vorfiel, so wollen wir hier diesem Kapitel ein Ende machen.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Ein Projekt von Madame Fitz Patrick, und ihr Besuch bei Madame Bellaston.


Als Madame Fitz Patrick sich zur Ruhe begab, waren ihre Gedanken mit nichts anderm beschäftigt, als mit ihrer Cousine Sophie, und mit Herrn Jones. Sie war wirklich ein wenig unwillig auf [47] die erste, wegen ihrer Zurückhaltung, welche sie jetzt entdeckte. Mit diesem Nachsinnen hatte sie ihre Einbildungskraft noch nicht lange beschäftigt, als sich ihr der folgende Einfall darbot: Sie würde nach aller Wahrscheinlichkeit, wenn sie es durch ihre Vermittlung dahin brächte, daß Sophie diesem Manne nicht in die Hände geriete, sondern ihrem Vater wieder zugestellt würde, durch einen so wichtigen, der Familie geleisteten Dienst ihren Onkel und ihre Tante Western wieder mit sich aussöhnen.

Und so wie das einer von ihren herzlichsten Wünschen war, so schien auch die Hoffnung des glücklichen Erfolgs so vernünftig und gegründet, daß ihr nichts weiter übrig blieb, als auf die schicklichsten Mittel zu denken, ihren Entwurf zur Ausführung zu bringen. Es kam ihr nicht ratsam vor, es auf eine vernünftige Ueberlegung der Sache mit Sophien ankommen zu lassen; denn weil sie Betty, aus Jungfer Honoriens Erzählung, benachrichtigt hatte, daß Sophie eine heftige Neigung zum Herrn Jones hätte, so sah sie wohl ein, es würde einerlei Unternehmen sein, ihr diese Verbindung aus dem Sinne reden zu wollen, oder eine Mücke herzlich und angelegentlich zu bitten, sie möge doch nicht ins Licht fliegen.

Wenn der Leser so gütig sein will, sich zu erinnern, daß die Bekanntschaft, welche Sophie mit der Frau von Bellaston hatte, im Hause des hochwohlgebornen Fräuleins von Western begonnen, und also grade die Zeit hindurch gepflegt sein mußte, da Madame Fitz Patrick sich bei der letztern Dame aufhielt: so wird er der Erinnerung nicht bedürfen, daß Madame Fitz Patrick gleichfalls mit ihr bekannt gewesen sein müsse. Ueberdem waren beide noch etwas weitläufig mit ihr verwandt.

Nach vielem Hin- und herdenken beschloß sie also, des Vormittags ganz zeitig zu dieser Dame zu gehen, und, ohne daß Sophie es wüßte, mit ihr zu sprechen zu suchen, und sie mit der ganzen Sache bekannt zu machen. Denn sie zweifelte im geringsten nicht, diese sehr kluge Dame, die sehr oft die romanhaften Liebeleien und die unbesonnenen Heiraten in ihrem Gespräche lächerlich gemacht hatte, würde auch in Ansehung dieser Verplämperung sehr bald ihrer Meinung zustimmen und ihr allen möglichen Beistand leisten, um ihr zuvorzukommen.

Diesen Vorsatz setzte sie demnach ins Werk, und des nächsten Morgens, noch vor Sonnenaufgang, warf sie sich in ihre Kleider und ging zu einer sehr unschicklichen, unzeitigen, mode- und besuchwidrigen Stunde zur Frau von Bellaston, welche ihren Besuch annahm, ohne daß Sophie davon das geringste wußte oder argwöhnte. Diese lag damals noch, zwar nicht schlafend sondern wachend, in ihrem Bette und ließ sich von Jungfer Honoria etwas vorschnarchen.

[48] Madame Fitz Patrick machte eine Menge Entschuldigungen für diesen frühen, unvorbereiteten Besuch, zu einer Stunde, wo sie, wie sie sagte, nicht daran gedacht haben würde, die gnädige Frau zu besuchen, wenn es nicht eine der wichtigsten Angelegenheiten veranlaßt hätte. Sie eröffnete darauf die ganze Sache, erzählte alles, was sie von ihrer Betty gehört hatte, und vergaß auch nicht den Besuch, welchen Jones des vorigen Nachmittags bei ihr abgestattet hatte.

Die Frau von Bellaston antwortete mit einem Lächeln: »Sie haben also diesen furchtbaren Mann gesehen, Madame? Sagen Sie mir doch, ists denn wirklich eine so schöne Gestalt, als man ihn abmalt, denn die Fahrwin hat mich gestern abend fast zwei Stunden von ihm unterhalten. Das Mädchen, glaube ich, ist in ihn verliebt, auf Hörensagen!« Hier mag sich der Leser vielleicht ein wenig wundern! Die Wahrheit aber ist, daß die Jungfer Fahrwin, welche die Ehre genoß, die Frau von Bellaston ein- und auszuschnüren und aus- und anzukleiden, die umständlichste Nachricht von besagtem Herrn Jones eingezogen, und solche gestern abend (oder vielmehr heute morgen) ihrer Dame beim Auskleiden aufs getreueste hinterbracht hatte; welches dann verursacht, daß ihre Amtsverrichtungen sich über anderthalb Stunden hinaus in die Länge gezogen hatten.

Ueberhaupt genommen war diese Dame gemeiniglich mit der Unterhaltung der Jungfer Fahrwin zu diesen Stunden ganz wohl zufrieden, aber diesmal hatte sie freilich die Nachricht, den Herrn Jones betreffend, mit außerordentlicher Aufmerksamkeit angehört; denn Honoria hatte ihn als einen sehr schönen Menschen beschrieben und Jungfer Fahrwin hatte in der Eile ihrer Verrichtungen dieser Beschreibung noch so viele persönliche Schönheiten hinzugefügt, daß ihre gnädige Frau anfing, ihn für eine Art von Wundergeschöpf der Natur zu halten.

Die Neugierde, welche ihr die Kammerjungfer eingeflößt hatte, ward jetzt durch Madame Fitz Patrick um ein großes vermehrt, welche von der Person des Herrn Jones ebensoviel Vorteilhaftes sagte, als sie vorher Nachteiliges von seiner Geburt, von seinem Charakter und seinem Vermögen gesagt hatte.

Als die Bellaston das Ganze angehört hatte, antwortete sie sehr ernsthaft: »In Wahrheit, Madame, die Sache ist sehr wichtig und Sie verdienen gewiß das größte Lob wegen der Partie, die Sie dabei genommen haben, und ich werde mich freuen, auch meinerseits dazu beizutragen, daß ein junges Frauenzimmer von so vielem Verdienste, und für welches ich so große Achtung hege, vor Unglück und Gefahr bewahrt werde.«

»Meine gnädige Frau, glaubten Sie nicht,« sagte Madame Fitz Patrick mit Lebhaftigkeit, »daß es der beste Weg wäre, wenn [49] man aufs baldigste an meinen Onkel schriebe und ihm den Aufenthalt seiner Tochter bekannt machte?«

Die Hofdame erwog dies ein wenig und antwortete alsbald: »Nun, sehn Sie, Madame, ich glaube, nein! Die alte Western hat mir ihren Bruder als einen solchen Brummbär beschrieben, daß ich nicht drein willigen kann, irgendein Frauenzimmer wieder in seine Gewalt zu bringen, das einmal draus entwischt ist. Ich habe gehört, er soll sich wie ein Ungeheuer gegen seine eigene Frau betragen haben; denn er ist einer von den Tölpeln, welche meinen, sie haben ein Recht uns zu tyrannisiren, und halt' ich's beständig für eine gemeinschaftliche Pflicht unsers ganzen Geschlechts, von solch einem Menschen ein jedes Frauenzimmer zu erlösen, das einmal so unglücklich gewesen ist, in seine Gewalt zu geraten. Hauptsächlich, liebe Kousine, wird es nur darauf ankommen, die kleine Western abzuhalten, daß sie den jungen Burschen nicht eher zu sehen und zu sprechen bekomme, bis die gute Gesellschaft, die sie hier in London Gelegenheit haben wird zu sehen, ihr eine bessere Art zu denken beigebracht haben wird.«

»Aber, gnädige Kousine,« antwortete die andre, »sollte er ihren Aufenthalt ausfindig machen, so wird er, verlassen Sie sich darauf, nichts in der Welt unversucht lassen, um zu ihr zu gelangen.«

»Aber, Madame,« antwortete die gnädige Frau, »es ist unmöglich, daß er hierher kommen kann, ob es gleich freilich wohl möglich ist, daß er erfahre, wo sie sich aufhält, und dann kann er um das Haus herum auflauern. Ich möchte deshalb fast wünschen, daß ich ihn von Person kennte.«

»Gibt es keinen Weg, Madame, daß ich ihn einmal zu Gesicht bekommen könnte? Denn sonst, sehn Sie wohl, Kousine, könnte sie es leicht so karten, daß sie ihn hier ins Haus kommen ließe, ohne daß ich's wüßte.« Madame Fitz Patrick antwortete: »Er habe sie auf diesen Nachmittag mit einem zweiten Besuch bedroht, und wenn die gnädige Frau ihr alsdann die Ehre geben wollte, bei ihr vorzufahren, so würde es ihr schwerlich fehlen können, ihn zwischen sechs und sieben Uhr zu sehen, und wenn er auch früher kommen sollte, so wollte sie schon auf eine oder die andre Art Mittel finden, ihn so lange aufzuhalten, bis die gnädige Kousine ankämen.« – Frau von Bellaston antwortete: Sie wolle den Augenblick kommen, da sie sich von der Mittagsmahlzeit losmachen könnte, welches nach ihrer Meinung spätestens um sieben Uhr sein würde. Denn es wäre platterdings notwendig, daß sie ihn von Person kennen lernte. »Auf mein Wort, Madame,« sagte sie, »es war sehr gut, diese Sorge für Fräulein Western zu tragen; die bloße Menschenliebe sowohl, [50] als die Achtung für unsre Familie macht es uns beiden zur Pflicht, denn es wäre in der That eine fürchterliche Heirat.« Madame Fitz Patrick ermangelte nicht, das Kompliment gehörig zu beantworten, welches die Frau von Bellaston ihrer Kousine gemacht hatte, begab sich nach einer kurzen unwesentlichen Konversation auf den Rückweg, verfügte sich, so behende als sie konnte und ungesehen von Sophie oder ihrer Kammerjungfer Honoria, in ihre Sänfte und ließ sich nach Hause tragen.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Besteht aus Besuchen.


Herr Jones war während des ganzen Tages in der Gegend eines gewissen Hauses und im Angesicht einer gewissen Thüre herumgeschlendert. Und obgleich dieser Tag einer der kürzesten war, so schien er ihm doch einer der längsten im ganzen Jahre zu sein. Als endlich die Glocke fünf geschlagen hatte, ging er wieder hin zu Madame Fitz Patrick, welche, ob es gleich eine ganze Stunde zur wohlanständigen Besuchzeit zu früh war, ihn sehr höflich empfing, dabei aber beständig auf ihrer Unwissenheit in Ansehung Sophiens beharrte.

Jones, wie er nach seinem Engel sich erkundigte, hatte sich das Wort Kousine entfallen lassen, worauf Madame Fitz Patrick sagte: »Sie wissen also, mein Herr, daß wir Verwandte sind? Diesem Verhältnis gemäß werden Sie mir das Recht einräumen, mich zu erkundigen, was für ein Geschäft Sie bei meiner Kousine auszurichten haben?« Hier stand Jones eine ziemliche Zeit bei sich an und besann sich, und antwortete endlich, er hätte eine ansehnliche Summe Geld in Händen, die ihr zugehörte und die er ihr zuzustellen wünschte. Er zog darauf das Taschenbuch hervor, benachrichtigte Madame Fitz Patrick von dem was es enthielte und von der Art und Weise, wie es in seine Hände gefallen wäre. Mit dieser Erzählung war er kaum zu Ende gelangt, als ein heftiges Getöse das ganze Haus erschütterte. Dieses Getöse denjenigen beschreiben zu wollen, die dergleichen gehört haben, wäre vergebens, und sich zu bestreben, denjenigen, die nichts Aehnliches gehört haben, davon eine richtige Idee zu geben, wäre noch vergeblicher, denn man kann mit Wahrheit sagen:


– – non acuta
Sic geminant Corybantes aera;

Cybeles Priester ließen nicht so laut ihre Cymbeln von Erz ertönen.

[51] Kurz, ein Livree- Bedienter klopfte oder vielmehr donnerte an die Thüre. Jones ward ein wenig stutzig über das Toben, weil er dergleichen nie vorher gehört hatte; Madame Fitz Patrick aber sagte ganz gelassen zu ihm, weil eben einige Gesellschaft ankäme, so könne sie ihm jetzt keine Antwort geben, wenn es ihm aber gefällig wäre, so lange zu warten bis solche wieder weg wäre, so, ließ sie sich merken, hätte sie ihm wohl etwas zu sagen.

Jetzt öffneten sich die Flügelthüren des Zimmers und die gnädige Frau von Bellaston, nachdem sie ihren weiten Reifrock seitwärts hereingeschoben, und erst eine sehr tiefe Verbeugung gegen Madame Fitz Patrick und hernach eine ebenso tiefe gegen Herrn Jones gemacht hatte, ward an der obern Seite des Zimmers aufs Kanapee zum Sitzen geführt.

Wir erwähnen dieser kleinen Umstände so genau zum besten einiger Landdamen von unsrer Bekanntschaft, welche es wider die Regeln der Bescheidenheit halten, ihre Kniee vor einer Mannsperson zu beugen.

Die Gesellschaft war kaum ruhig zum Sitzen gelangt, als die Ankunft einer kürzlich erwähnten Person, von den Ständen des Reichs, einen neuen Aufstand und eine Wiederholung der Zeremonien veranlaßte.

Nachdem diese geendigt waren, begann die Konversation (wie der Ausdruck lautet) außerordentlich brillant zu werden. Weil dabei inzwischen nichts vorfiel, das dieser Geschichte wesentlich, oder auch nur eigentlich an sich selbst wesentlich gewesen wäre, so vermeide ichs etwas davon anzuführen, um so mehr da ich aus Erfahrung weiß, daß die feinste Konversation im Ton der großen Welt oft sehr platt ausfällt, wenn sie in Büchern nachgeschrieben oder auf der Schaubühne hergesagt wird. Wirklich besteht ein dergleichen Gastmahl des Geistes aus solchen Leckerbissen, welche diejenigen, so von vornehmen Assembleen ausgeschlossen sind, sich begnügen müssen, ebensowenig kennen lernen, als die verschiedenen Leckerbissen der hohen französischen Kochkunst, welche bloß auf die Tafeln der Großen aufgesetzt werden. Weil auch in der That alle beide nicht für Jedermanns Geschmack zugerichtet zu sein pflegen, so möchten sie auch wohl beide an den großen Haufen oft ebensogut als verschwendet sein.

Der arme Jones war bei dieser eleganten Szene mehr Zuschauer als mitspielende Person, denn obgleich in der kurzen Zwischenzeit vor der Ankunft des hochgebornen Herrn Grafen erst die gnädige Frau von Bellaston, und hernach Madame Fitz Patrick ihre Reden an ihn gerichtet hatten, so war doch nicht so bald dieser vornehme Herr ins Zimmer getreten, als er die ganze Aufmerksamkeit der beiden Damen ganz allein verschlang, und da er den Herrn Jones [52] ebensowenig bemerkte, als ob er ganz und gar nicht zugegen gewesen, ausgenommen wenn er ihn von Zeit zu Zeit vom Kopf bis zu den Füßen mit den Augen maß, so folgten die beiden Damen seinem Beispiele.

Die Gesellschaft war nun schon solange beieinander gewesen, daß Madame Fitz Patrick ganz deutlich merkte, ein jeder von ihnen wollte der letzte zum Weggehen bleiben. Sie entschloß sich sonach, sich Herrn Jones zuerst vom Halse zu schaffen, weil er der Besuch war, mit welchem sie nach ihrer Meinung die wenigsten Umstände zu machen hätte. Sie nahm also bei einem kleinen Stillstande des Gespräches die Gelegenheit wahr, ihn anzureden und sagte zu ihm mit einer sehr feierlichen Miene: »Es wird mir heute abend nicht möglich sein, mein Herr, Ihnen in Ihrer Angelegenheit eine Antwort zu erteilen, wenn Sie aber so gütig sein wollen, ein Wort zur Nachricht zurückzulassen, wohin ich morgen nach Ihnen schicken kann –«

Jones hatte natürliche, aber keine künstliche Lebensart. Anstatt also das Geheimnis von seiner Wohnung einem Bedienten mitzuteilen, sagte er es der Länge und Breite nach der Dame selbst und beurlaubte sich kurz darauf mit vielen Zeremonien. Er war nicht so bald zur Thür hinaus, als der große vornehme Herr, der ihn in seiner Anwesenheit gar nicht bemerkt hatte, anfing, ihn in seiner Abwesenheit destomehr zu bemerken. Allein wenn uns der Leser bereits entschuldigt hat, daß wir ihm den brillantern Teil der Konversation nicht erzählt haben, so wird er gewiß auch sehr geneigt sein, uns zu entschuldigen, wenn wir das unerzählt lassen, was eigentlich nach gemeiner Art Nackenschläge heißen kann. Inzwischen mag es vielleicht für unsre Geschichte wesentlich sein, daß wir einer Bemerkung der Frau von Bellaston erwähnen, welche ein paar Minuten nach ihm ihren Abschied nahm und beim Weggehen zu Madame Fitz Patrick sagte: »In Ansehung meiner Kousine bin ich überzeugt, daß sie von diesem Menschen keine Gefahr zu befürchten hat.«

Unsre Geschichte soll dem Beispiele der Frau von Bellaston folgen und sich von der gegenwärtigen Gesellschaft beurlauben, die sich jetzt verringert hatte bis auf zwei Personen, unter welchen nichts vorfiel, was im geringsten unsern Leser oder uns anginge, und wodurch wir uns also nicht abhalten lassen werden, zu solchen Dingen überzugehen, die allen denjenigen von größerer Wichtigkeit zu sein scheinen müssen, welche sich nur im geringsten für die Begebenheiten in unsrer Geschichte interessieren.

Fünftes Kapitel
[53] Fünftes Kapitel.

Ein Abenteuer, das dem Herrn Jones in dem Hause begegnete, wo er sich eingemietet hatte; nebst einiger Nachricht von einem jungen Herrn, welcher eben daselbst Zimmer bewohnte, wie auch von der Wirtin des Hauses und ihren beiden Töchtern.


Sobald es sich des nächsten Morgens früh mit Wohlanständigkeit thun ließ, meldete sich Herr Jones an der Thüre der Madame Fitz Patrick, woselbst er die Antwort erhielt, die Dame sei nicht zu Hause. Eine Antwort, die ihn um so mehr befremdete, da er seit Tagesanbruch in der Gasse auf und nieder gegangen war und er sie gesehen haben müßte, wenn sie ausgefahren wäre oder sich hätte austragen lassen. Unterdessen mußte er sich diese Antwort gefallen lassen, nicht nur jetzt, sondern noch bei fünf andern Besuchen, welche er den Tag über in dem Hause machte. Um gegen den Leser aufrichtig herauszugehn, hatte der irländische Herr Graf, ich weiß nicht aus was für Ursach, vielleicht aus Achtung für die Ehre der Dame, ausdrücklich verlangt, sie sollte vom Herrn Jones, den er für einen elenden Gauner ansah, keinen Besuch ferner annehmen, und die Dame hatte die Gefälligkeit gehabt, ihm das Versprechen zu geben, welches sie, wie wir jetzt sehen, so treulich erfüllte.

Weil aber unser gutmütiger Leser vermutlich eine bessere Meinung von dem jungen Manne haben wird als diese Dame, und es ihm sogar leid thun möchte, wenn er besorgen müßte, Jones habe während dieser unglücklichen Trennung von seiner Sophie, seine Residenz in einer schlechten Schenke oder unterm blauen Himmel genommen, so wollen wir jetzt eine Nachricht von der Wohnung geben, die er gemietet hatte, welche wirklich in einem sehr anständigen Hause und in einer sehr guten Gegend der Stadt war.

Herr Jones also hatte Herrn Alwerth von einer braven Frau sprechen gehört, in deren Hause er abzutreten pflegte, wenn er in der Stadt wäre. Diese Frau, welche, wie Jones gleichfalls gehört hatte, in Bondstreet wohnte, war die Witwe eines Geistlichen, die er bei seinem Ableben im Besitz von zwei Töchtern und einiger kompletten Jahrgänge von Predigten im Manuskript hinterlassen hatte.

Von diesen beiden Töchtern hatte Nette, die älteste, ihr siebenzehntes und Betty, die jüngste, ihr zehntes Jahr erreicht. Hierher hatte Jones den Rebhuhn geschickt, und in diesem Hause hatte er im zweiten Stock ein Zimmer für sich selbst und für Rebhuhn eins im vierten Stocke erhalten.

Den ersten Stock bewohnte einer von denjenigen jungen Herren, welche in vorigen Jahrhunderten in einigen großen Städten schicklich [54] genug Witz- und Wonnegenossen genannt wurden. Ich sage schicklich genug, denn da gemeiniglich Männer nach ihrem Geschäfte oder nach ihrer Profession benannt werden, so könnte man sagen, daß Witz und Wonne das einzige Geschäft oder die einzige Profession der Herren gewesen, denen das Glück eine jede andre Erwerbsbeschäftigung unnötig gemacht hatte. Schaubühnen, Kaffeehäuser und Weinkeller waren die gewöhnlichen Oerter ihrer Versammlungen. Witz und Wonne oder Fröhlichkeit waren ihre Unterhaltungen in ihren unbesetztern Stunden, und Witz und Minne war das Geschäft ihrer ernsthaftern Augenblicke. Wein und die Musen eiferten um die Wette, die hellsten Flammen in ihren Busen anzuzünden. Auch bewunderten sie nicht nur, sondern einige hatten sogar die Gabe, ihre Schönen durch Gesänge zu verewigen und fast alle waren ziemlich gute Richter von Minnegedichten.

Solche Männer führten daher den Namen Witz-und Wonnegenossen mit gutem Fug. Ich zweifle aber, ob man diese Benennung heutzutage mit eben der Schicklichkeit jenen jungen Herren beilegen dürfte, denen es freilich nicht an Ehrgeiz fehlt, sich durch Gaben und Talente berühmt zu machen, die sie so ungefähr nur von Hörensagen kennen. Doch, um auch gegen diese gerecht zu sein, sie fliegen noch eine Spanne höher als ihre Vorfahren und könnten Witzler-Wischgenossen heißen. Denn in einem Alter, worin die vorgedachten jungen Männer ihre Zeit darauf verwendeten, von den Reizen ihrer Schönen in ihren Kränzchen zu sprechen, einen Becher auf ihr Wohl zu leeren, einen vor ungeweihten Augen verborgnen Gesang zu ihrem Ruhme zu dichten, sich einander ihre Urteile von einem Buche oder Minnegedicht zu sagen, schreiben diese für die Pressen, drechseln Lehrgebäude der Weisheit, klexen Reime in Magazine und Monatsschriften, hecheln in kritischen Wischen ihre Lehrer durch, verführen, wenn sie können, ihre Weiber und Töchter, entführen in wütenden oder winselnden Romanen erträumte Geliebten und jedes ihrer geschriebenen Worte wird durch den Druck zu Grabe getragen, woraus selbst keine Rohrdommel einen Spuk hervorzubannen vermag. Solchergestalt werden ihre Arbeiten witzelndes Spiel, und ihre Spiele Liedlöhnerarbeit. Und jene von ihrer Genossenschaft, denen der Schweiß ihrer Väter oder deren Unterthanen ein noch üppigeres Leben erlaubt, haschen nach Zeitvertreib im Schneckenkreise der Kennerschaft der Künste, Malerei, Musik, Bildhauerei beschäftigt sie, und Natur- oder vielmehr Unnaturkunde, die mit dem Wunderbaren sich abgibt und von der Natur nichts kennt, als ihre Mißgeburten und Krüppelgestalten. Dies ist die Witzel wischkenner Genossam.

Nachdem Jones den ganzen Tag mit vergeblicher Nachfrage [55] nach Madame Fitz Patrick hingebracht hatte, kehrte er am Ende ganz mißmutig nach seinem Zimmer zurück. Unterdessen er hier seinem Gram im Stillen freien Lauf ließ, hörte er ein heftiges Getümmel im untern Stock und bald darauf bat ihn eine weibliche Stimme ums Himmelswillen herunterzukommen und Mord und Totschlag zu verhüten. Jones, der sich bei keiner Gelegenheit lange bitten ließ, dem Unterdrückten beizustehen, lief augenblicks die Treppen hinunter und fand, als er in den Eßsal trat, aus dem das Getümmel erscholl, den jungen Herrn von der eben besagten Genossenschaft von seinem Lakaien an der Wand wie angenagelt gehalten, und ein dabeistehendes junges Mädchen, welche nichts that als rufen: »Er wird ihn morden! Er wird ihn morden!« In der That schien auch der arme junge Herr in einiger Gefahr zu sein, erdrosselt zu werden, als Jones eilig zu seinem Beistand flog und ihn, eben da ihm der letzte Atem entfahren wollte, aus den unbarmherzigen Klauen seines Feindes befreite.

Obgleich der Kerl verschiedene Püffe und Stöße von den Händen und Füßen des winzigen jungen Herrn, der mehr Willen als Kraft besaß, empfangen hatte, so hatte er sich doch eine Art von Gewissen daraus gemacht, seinen Brotherrn zu schlagen und würde sich damit begnügt haben, ihn bloß zu ersticken, aber gegen Herrn Jones hatte er keinen solchen Respekt. Sobald er sich also ein wenig unsanft von seinem neuen Gegner angepackt fühlte, bohrte er ihm eine von den Faustkrämpen in die Weichen, welche die Zuschauer in Broughtons Schule zwar mit sehr inniger Freude anbringen sehen, die aber bei weitem nicht halb so lustig zu fühlen sind.

Der nervige Jüngling hatte nicht so bald diesen Lungenhieb weg, als er auf einen höchst dankbaren Gegengruß sann, und nun erfolgte zwischen Jones und dem Lakaien ein Faustkampf, der sehr hitzig anfing, aber nur kurz dauerte; denn dieser Bursche war ebensowenig im stande, es mit Jones auszuhalten, als es vorher sein Herr gewesen war, es mit ihm aufzunehmen.

Und nun kehrte das Kriegsglück nach seiner alten Gewohnheit den Zustand der Sachen um; der vorige Sieger lag atemlos im Staube und der besiegte junge Herr hatte wieder Atem genug geschöpft, um Herrn Jones für seinen so zeitigen Beistand zu danken. Auch empfing er eine herzliche Danksagung von dem gegenwärtigen jungen Frauenzimmer, welches wirklich niemand anders war als Mamsell Nette, die älteste Tochter des Hauses.

Nachdem der Lakai wieder auf die Beine gekommen war, glupte er Herrn Jones an, schüttelte die Ohren und sagte mit einem bedenklichen Blinzeln: »Des Satans will 'ch sein, wenn 'ch mit Ihn'n wieder was zu thun hab'n will! Herr, Sie müssen auf'n Ringelboden [56] gangen sein, oder ich müßt mich verdammt irren!« – Und in der That müssen wir ihm seinen Irrtum zugute halten; denn so behende und so kräftig war unser Held, daß er es vielleicht mit einem der besten Faustfechter aufnehmen und mit leichter Mühe alle gewulstete Graduirte 1 von der Akademie des Herrn Broughton hätte von der Fechtschule schlagen können.

Der Herr, welcher vor Wut schäumte, befahl seinem Bedienten, auf der Stelle die Livree auszuziehen, wozu der letztre unter der Bedingung sehr bereitwillig war, wenn er seinen Lohn erhielte. Diese Bedingung ward ohne Widerrede eingegangen und der Bursche entlassen.

Und nunmehr bestand der junge Herr, dessen Name Nachtigall hieß, sehr dringend darauf, daß sein Retter auf eine Flasche Wein mit ihm fürlieb nehmen möchte, welches sich Jones nach vielem Nötigen gefallen ließ, obgleich mehr aus Gefälligkeit als aus Neigung, weil die Unruhe, die er in seinem Gemüte fühlte, ihn fast gar nicht zur Gesellschaft aufgelegt machte.

Mamsell Nette, welche das einzige Frauenzimmer im Hause war, da ihre Mutter und Schwester nach der Komödie gegangen waren, hatte gleichfalls die Gefälligkeit, ihnen Gesellschaft zu leisten.

Als Wein und Gläser auf dem Tische standen, fing der junge Herr an, die Veranlassung zu der vorgefallen Unruhe zu erzählen.

»Ich hoffe, mein Herr,« sagte er zu Jones, »Sie werden aus diesem Vorfalle nicht schließen, daß meine Gewohnheit sei, meine Bedienten zu prügeln; denn ich versichre Sie, daß dieses, so viel ich mich erinnern kann, das erste Mal ist, daß ich in diesen Fehler verfallen bin und daß ich selbst diesem Kerl manchen argen Streich [57] übersehen habe, ehe er mich hat dazu bringen können. Wenn Sie aber hören, was diesen Abend vorgegangen ist, so werden Sie, wie ich nicht zweifle, finden, daß ich zu entschuldigen bin. Es traf sich, daß ich einige Stunden früher als gewöhnlich nach Hause kam und vier Herren in Livree bei meinem Feuer im Whistspielen begriffen fand – und mein Hoyle, sollten Sie's glauben – mein bestes Exemplar vom Hoyle, das mich eine Guinee kostet, lag dabei aufgeschlagen auf dem Tische, und die wichtigsten Blätter im ganzen Buche waren mit Braunbier begossen. Sie werden mir zugeben, daß so etwas einen ärgern muß; dennoch sagte ich kein Wort, bis die honette Spielgesellschaft auseinander gegangen war, und da erst gab ich dem Kerl einen gelinden Verweis und er, anstatt im geringsten nur zu thun, als obs ihm leid wäre, gab mir eine naseweise Antwort und sagte: Die Bedienten müßten ebensowohl sich einen Zeitvertreib machen, als andre Leute; es thäte ihm freilich leid, daß das Buch begossen worden wäre, indessen hätten verschiedene von seinen Bekannten dasselbe Buch für sechs Groschen gekauft und wenn ich wollte, könnte ich ihm ja soviel von seinem Lohne abziehen. Hierüber gab ich ihm dann einen stärkern Verweis als vorher, worauf der Schurke die Frechheit hatte, mir – Kurz, er sagte, mein früheres Nachhausekommen käme – kurz, er unterstand sich Anmerkungen auszustoßen – er nannte den Namen eines jungen Frauenzimmers, auf eine Art – auf eine Art, die mich in Hitze jagte und mir alle Geduld benahm, so daß ich im Eifer nach ihm schlug.«

Jones antwortete: er glaube, es würde ihn kein lebendiger Mensch auf Erden tadeln. »Ich meinesteils,« sagte er, »ich gestehe es, ich würde es bei dem letzten Vergehen nicht anders gemacht haben.«

Unsre Gesellschaft hatte noch nicht lange beisammen gesessen, als sie durch die Mutter und die Jungfer Tochter vom Hause bei ihrer Heimkunft aus der Komödie verstärkt ward. Und nun brachten sie einen sehr vergnügten Abend mit einander hin, denn alle bis auf Jones waren von Herzen munter und selbst dieser zwang sich, so munter zu sein, als er nur konnte. In der That war die Hälfte seiner natürlichen Lebhaftigkeit, verbunden mit seiner sanften Gemütsart, schon hinlänglich, ihn zu einem sehr liebenswürdigen Gesellschafter zu machen, und ungeachtet der Kümmernis seines Herzens machte er sich bei dieser Gelegenheit so beliebt, daß der junge Herr, als man auseinander ging, ihn sehr angelegentlich um seine fernere Bekanntschaft bat. Mamsell Nette war sehr gut mit ihm zufrieden, und die Witwe, sehr erfreut über ihren neuen Mietsmann, lud ihn nebst dem andern ein, den folgenden Morgen mit ihr zu frühstücken.

[58] Jones seinerseits war nicht weniger zufrieden. Denn Mamsell Nette war freilich nur ein kleines Ding von Mädchen, aber außerordentlich artig und die Witwe hatte alle die Reize, welche eine Frau gegen Fünfzig schmücken können. Sie war eins der unschuldigsten und zugleich dabei frohsten Geschöpfe von der Welt. Sie dachte, redete oder wünschte niemals im geringsten etwas böses, und unterhielt beständig jene Begierde, frohe Menschen zu machen, welche auch deßwegen die glücklichste Begierde zu heißen verdient, weil sie höchst selten ihres Endzwecks verfehlt, wenn sie sich durch keine gezwungne Ziererei äußert. Kurz, obgleich ihr Vermögen nicht weit reichte, so war sie doch ihrem Herzen nach die wärmste Freundin. Sie war eine zärtliche Ehegattin gewesen und war eine höchst gütige, liebreiche Mutter.

Weil unsre Geschichte nicht wie ein Zeitungsblatt große Lobeserhebungen von solchen Leuten macht, von denen man vorher nichts gehört hat und nachher auch weiter nichts hört: so wird der Leser hieraus schließen, daß diese vortreffliche Frau hiernächst mehr vorkommen und für unsre Geschichte von einiger Wichtigkeit sein werde.

Auch fand Jones nicht wenig Gefallen an dem jungen Herrn selbst, von dessen Weine er getrunken hatte. Er meinte an ihm viel natürlichen Verstand zu entdecken, obgleich ein wenig zu viel von städtischem Stutzerwesen mit unterlief; was ihn aber dem Herrn Jones am meisten empfahl, waren gewisse Aeußerungen von hoher Großmut und Menschenfreundlichkeit, die ihm zuweilen entfielen, und ganz vorzüglich verschiedne Ausdrücke der strengsten Uneigennützigkeit, in Rücksicht auf Liebesangelegenheiten. Ein Gegenstand, über welchen sich der junge Mann in einer Sprache herausließ, die einem arkadischen Schäfer aus dem goldnen Zeitalter keine Schande gemacht hätte, und die von den Lippen eines artigen jungen Herrn unsrer Tage sehr außerordentlich klangen. Jedoch er war nur ein artiger süßer Herr durch Nachahmung und die Natur hatte ihn zu einem bessern Menschen bestimmt.

Fußnoten

1 Damit die Nachwelt durch diese Benennung in keine Verlegenheit geraten möge, halte ich es für nötig, solche durch eine Ankündigung zu erklären, welche im Jahr 1747 in London bekannt gemacht wurde.

NB. Herr Broughton macht bekannt, wie er gesonnen ist, unter erforderlicher Unterstützung, in seinem Hause am Heumarkte, eine Akademie zu eröffnen, um denjenigen Unterricht zu geben, die da Lust und Belieben haben, sich in die Mysterien der edlen Kunst des Boxens einweihen zu lassen; worin die ganze Theorie und Praxis dieser echt britischen Kunst mit allen ihren verschiedenen Griffen, Stößen, Kreuzfäusten u.s.w., die bei diesen Kämpfen anzuwenden sind, aufs deutlichste gelehrt und erklärt werden sollen; und damit hohe Standespersonen nicht mögen abgeschreckt werden, einen Cursum in diesem Collegio durchzugehen, so versichert man, daß man auf die Zartheit des Baues und der Leibesbeschaffenheit des Eleven die behutsamste Rücksicht nehmen wird; demgemäß bereits die erforderlichen Wülste angeschafft sind, welche sie vor den leidigen Zufällen blauer Augen, zerschellter Kinnbacken und blutiger Nasen hinlänglich schützen und sichern werden.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Was in der Gesellschaft beim Früstück vorfiel, nebst einigen Winken, die Leitung der Töchter betreffend.


Unsre Gesellschaft brachte des Morgens eben die gute Zuneigung zu einander wieder mit, womit sie des Abends vorher auseinander gegangen war; nur war der arme Jones sehr niedergeschlagen, denn er hatte kurz vorher von Rebhuhn die Nachricht erhalten, daß Madame Fitz Patrick ihre Wohnung verlassen hätte, und daß er [59] nicht habe erfahren können, wo sie hingezogen wäre? Diese Nachricht machte ihn äußerst betrübt und seine Mienen sowohl als seine Handlungen verrieten trotz allem seinem Bestreben das Gegenteil zu scheinen, die deutlichsten Anzeichen eines zerrütteten Gemüts.

Das Gespräch war jetzt wieder wie vorher von Liebe, und Herr Nachtigall äußerte abermals über diesen Gegenstand verschiedene von jenen warmen, großmütigen und uneigennützigen Gesinnungen, welche weise und besonnene Männer für romanhaft halten, von weisen und besonnenen Weibern aber gemeiniglich in einem bessern Lichte betrachtet zu werden pflegen. Madame Miller (denn so hieß die Frau Wirtin des Hauses) gab diesen Gesinnungen herzlichen Beifall; als sich aber der junge Mann an Mamsell Nette wegen ihrer Meinung wandte, antwortete diese bloß: »Sie glaube, der Herr, der am wenigsten gesprochen hätte, wäre fähig, das meiste zu empfinden.«

Dies Kompliment war so augenscheinlich an Herrn Jones gerichtet, daß es uns leid gethan haben würde, wenn er's hätte unbemerkt fallen lassen. Er beantwortete es wirklich mit vieler Artigkeit und schloß damit, daß er ihr durch eine feine Wendung zu verstehen gab, ihr eignes Stillschweigen gäbe von ihr selbst zu eben der Vermutung Anlaß, denn sie hatte weder jetzt noch gestern abend wirklich kaum die Lippen geöffnet.

»Es ist mir recht lieb,« sagte Madame Miller, »daß der Herr die Anmerkung macht; fast, ich versichre dich, bin ich seiner Meinung. Was ist's denn, das dir fehlt, Kind? In meinem Leben habe ich keine solche Veränderung gesehen! Wo hast du deine muntre Fröhlichkeit gelassen? Sollten Sie's wohl glauben, mein Herr, ich pflegte sie meine kleine Plaudertasche zu nennen. Nun hat sie die ganze Woche kaum zwanzig Worte gesprochen.«

Hier ward ihr Gespräch durch eine Magd unterbrochen, welche hereintrat und in der Hand ein Bündel brachte, das ihr, wie sie sagte, von einem Arbeitsmann für Herrn Jones zugestellt worden. Sie fügte hinzu: »der Mann sei flugs wieder weggegangen und habe gesagt, es brauchte keiner Antwort.«

Jones äußerte einige Verwunderung über diesen Vorfall und meinte, es müsse ein Mißverständnis sein; das Mädchen aber bestand darauf, sie wäre gewiß in Ansehung des Namens. Alle Frauenzimmer waren begierig, das Päckchen den Augenblick geöffnet zu sehen. Dies Geschäft ward endlich von der kleinen Betty verrichtet, und da fand man, daß der Inhalt aus einem Domino, einer Maske und einem Billet zur Maskerade bestand.

Jones behauptete jetzt noch zuversichtlicher als vorher, diese Sachen müßten durch einen Irrtum an den unrechten Mann gebracht sein, und selbst Madame Miller äußerte einige Zweifel und [60] sagte, sie wisse nicht, was sie davon denken solle. Herr Nachtigall aber war, als er gefragt ward, ganz andrer Meinung. »Alles, was ich aus der Sache schließen kann, mein Herr,« sagte er, »ist, daß Sie ein sehr glücklicher Mensch sind, denn ich kann nicht zweifeln, daß Ihnen diese Sachen von einer Dame geschickt worden, die Sie das Glück haben werden auf der Maskerade anzutreffen.«

Jones besaß nicht Eitelkeit genug, sich eine so schmeichelhafte Einbildung zu machen; auch gab Madame Miller der Meinung des Herrn Nachtigall eben keinen großen Beifall, bis Mamsell Betty den Domino in die Höhe hob und aus demselben eine Karte fiel, auf welcher folgende Worte geschrieben waren:


An Herrn Jones.


Ein klein Geschenk der Feienkönigin –

Gebrauchen Sie's nach Ihrem Sinn.


Dies machte Madame Miller und Mamsell Nette mit Herrn Nachtigall einstimmig; selbst Herr Jones war beinahe überredet, dasselbe zu glauben. Und da, wie er meinte, keiner andern Dame seine Wohnung bekannt wäre, als der Madame Fitz Patrick, so begann er sich mit einiger Hoffnung zu schmeicheln, es käme von ihr und er könnte wohl seine Sophie zu sprechen bekommen. Diese Hoffnungen gründeten sich freilich auf nichts; allein da das Betragen der Madame Fitz Patrick, da sie, wie sie doch versprochen, keinen Besuch weiter von ihm angenommen hatte und in Veränderung ihrer Wohnung sonderbar und unerklärlich war, so machte er sich ein wenig Hoffnung, daß sie (er hatte ehedem von ihr gehört, sie habe zuweilen ihre eignen Einfälle) vielleicht willens sei, ihm diesen Dienst auf eine sonderbare Weise zu leisten, den sie ihm auf eine einfachere Art verweigert hatte. Er hatte allerdings um so geräumiger Feld, nach Herzenslust so viel eingebildete Schlüsse zu machen, als ihm beliebte, weil aus einem so grillenhaften und ungewöhnlichen Verfahren sich nichts gewisses oder zuverlässiges schließen ließ. Weil er nun von Natur sanguinischen Temperaments war, so ließ er solchem hier bei dieser Gelegenheit freien Lauf und seine Einbildungskraft schuf sich tausenderlei Wahrscheinlichkeiten, die seine Erwartung, heute Abend seine Sophie zu sehen, begünstigten und unterstützten.

Lieber Leser, wenn du mir nur irgend etwas gutes wünschest, so will ich's dir dadurch vergelten, daß ich dir ein solches zum Hoffen aufgelegtes Gemüt zu besitzen wünsche; denn nachdem ich über die Lehre von der Glückseligkeit, welche so viele gelehrte Federn beschäftigt hat, vieles gelesen und lange nachgedacht habe, bin ich beinahe dahin gebracht, die größte Glückseligkeit in den Besitz dieses Temperaments zu setzen. Es erhebt uns gewissermaßen über die [61] Gewalt des Glücks und macht uns zu seligen Sterblichen ohne dessen Hilfe. In der That sind die angenehmen Empfindungen, die dieses Temperament uns gibt, weit beständiger und auch weit inniger als jene, welche die blinde Dame uns zuteilt, weil die Natur es weislich so veranstaltet hat, daß jeder wirkliche Genuß, den wir haben, ein wenig Sättigung und Gleichgültigkeit nach sich zieht, damit wir uns demselben nicht so einzig ergeben möchten, daß wir alles andre Streben darüber vernachlässigten. Ich zweifle daher nicht, daß, aus diesem Standpunkte betrachtet, ein eben ernannter königlicher Schatzmeister, ein reichsstädtischer Ratsherr, so lange er noch die Hände unter dem Mantel tragen muß, ein Kardinal, so lange ihm noch der Mund geschlossen ist, und ein Fähnrich, der zum erstenmale auf die Wache zieht, wirklich und wahrer glücklich zu nennen sind als jene, welche schon lange die Ehre, Vorteile und Gewalt dieser respektiven Würden genossen haben.

Nachdem Herr Jones den Entschluß gefaßt hatte, diesen Abend auf die Maskerade zu gehen, erbot sich Herr Nachtigall, ihn hinzuführen. Zugleich bot auch der junge Herr Mamsell Netten und ihrer Mutter Billets an. Die gute Frau wollte solche aber nicht annehmen. Sie sagte: sie sähe nun wohl eben das Unheil nicht, das einige Leute sich von einer Maskerade vorstellten; aber dergleichen teure Lustbarkeiten schickten sich nur für Personen von großem Stande und Reichtum und nicht für junge Mädchen, die von ihrem Fleiße leben müßten und die höchstens einmal hoffen könnten, einen Krämer oder Professionisten zu heiraten. – »Einen Professionisten!« schrie Nachtigall, »Sie müssen meine Nette nicht so herabsetzen. Kein Graf auf Gottes Erdboden ist zu vornehm für ihre Verdienste.« – »Ophyni! Herr Nachtigall!« antwortete Mutter Miller, »Sie müssen mir dem Mädchen solche Possen nicht in den Kopf setzen. Aber wenn sie nun auch so glücklich wäre,« sagte die Mutter mit einem kleinen Lächeln, »einen vornehmern Mann zu finden, der ebenso uneigennützig dächte wie Sie, so hoffe ich, würde sie gegen seine Großmut erkenntlicher sein, als ihr Herz an solche ausschweifend kostbare Lustbarkeiten zu hängen. Junge Frauenzimmer, die ein großes Vermögen zur Aussteuer bringen, mögen wohl einiges Recht haben, zu verlangen, daß sie von ihrem Eingebrachten einen gewissen Aufwand machen dürfen und über diesen Punkt habe ich von mehr als einem Herrn sagen hören: daß ein Mann zuweilen mit einer armen Braut besser fährt, als mit einer reichen. – Meine Töchter aber mögen heiraten wen sie wollen, so will ich darnach trachten, daß sie ihre Männer glücklich machen sollen – deswegen bitte ich Sie, lassen Sie's gut sein mit den Maskeraden! Ich weiß gewiß, meine Nette ist ein zu gutes Mädchen, als daß sie [62] wünschen sollte, hinzugehn, denn sie muß sich's noch erinnern, daß es ihr fast den Kopf verrückte, als Sie sie voriges Jahr hinführten und daß ein ganzer Monat darüber hinging, ehe sie sich wieder besinnen und ihre Nähnadel brauchen konnte.«

Obgleich ein tiefer Seufzer, der sich aus Nettens Busen stahl, eine heimliche Mißbilligung dieser Gesinnungen anzudeuten schien, so wagte sie es doch nicht, ihnen öffentlich zu widersprechen. Denn so wie diese gute Frau alle Zärtlichkeit einer Mutter besaß, so hatte sie auch bis dahin alles Ansehn einer Mutter behauptet, und wie ihre Nachgiebigkeit gegen die Wünsche ihrer Kinder bloß von der Sorge für ihre Sicherheit und künftige Wohlfahrt beschränkt wurde, so litt sie auch niemals, daß man sich gegen Befehle, die sich auf diese Vorsorge gründeten, ungehorsam bezeigen oder darüber disputieren durfte. Und dieß wußte der junge Mensch, welcher zwei Jahre in ihrem Hause gewohnt hatte, so gut, daß er sich ihre Weigerung ohne Widerrede gefallen ließ.

Herr Nachtigall, der jede Minute ein größeres Wohlgefallen an Herrn Jones fand, wünschte sehr, daß er den Tag mit ihm in Gesellschaft in einem Gasthofe zu Mittag essen möchte, wo er ihn bei einigen seiner Bekannten einführen wollte. Jones aber bat ihn zu entschuldigen, weil, wie er sagte, seine Kleider noch nicht angelangt wären.

Die Wahrheit zu bekennen, so war Herr Jones jetzt in einer Lage, in welcher sich zuweilen junge Herren zu befinden pflegen, die eine weit ansehnlichere Figur spielen als er. Kurz, seine Börse vermochte nicht einen Dreier. Eine Lage, die unter den Philosophen alter Zeiten in viel größerm Kredit stand, als unter den neuern weisen Männern, welche die Kaufmannsbörse oder die Würfel- und Pharotische besuchen. Und vielleicht ist die große Ehre, welche jene Philosophen auf einen leeren Geldbeutel gesetzt haben, gerade eine von den Ursachen der tiefen Verachtung, womit sie von den eben besagten Herren mit samt ihrer alten Philosophie belegt werden.

Wenn nun die alte Meinung, daß ein Mann gar gemächlich von seiner Tugend allein leben könne, das ist, als was sie die eben erwähnten weisen Männer erkannt zu haben vorgeben, nämlich ein erwiesener Irrtum: so ist, wie ich besorge, der Satz einiger Romanschreiber nicht weniger falsch, daß ein Mensch ohne weiteres von der Liebe leben könne; denn so eine süße und vortreffliche Nahrung diese auch einigen von unsern Sinnen und Begierden gewähren mag, so ist es doch ausgemacht, daß sie den übrigen gar keine gibt. Diejenigen also, welche ein zu unumschränktes Vertrauen auf jene Schriftsteller gesetzt, haben durch eine leidige Erfahrung ihren Irrtum eingesehen, wenn es zu spät war, und [63] haben gefunden, daß Liebe ebensowenig fähig war, den Hunger zu stillen, als eine Rose fähig ist, das Gehör zu ergötzen, oder eine Geige, dem Geruche eine angenehme Empfindung zu geben.

Ungeachtet also aller Leckerbissen, welche ihm die Liebe vorgesetzt hatte, die Hoffnung nämlich, seine Sophie auf der Maskerade zu sehen, an welcher er, so ungegründet seine Einbildungen auch sein mochten, sich den ganzen Tag erlabt hatte, neigte es sich kaum gegen Abend, als Herr Jones anfing, nach etwas Nahrung von gröberer Art zu schmachten. Rebhuhn entdeckte dies aus dem bloßen Ansehn und nahm daher Anlaß, entfernte Anspielungen auf die Banknote zu machen, und als diese mit Unwillen abgewiesen wurden, raffte er so viel Herzhaftigkeit zusammen, abermals der Heimkehr zu Herrn Alwerth zu erwähnen.

»Rebhuhn,« sagte Jones, »Er kann meine Umstände nicht für verzweifelter halten, als ich selbst, und ich fange an, es herzlich zu bereuen, daß ich Ihn nicht verhindert habe, einen Ort zu verlassen, wo Er Sein Gewerbe trieb, und mir zu folgen. Inzwischen bestehe ich jetzt darauf, daß Er wieder heimgehe, und für Seine Kosten und Mühe, die Er sich meinetwegen so gütigerweise gemacht hat, ersuche ich Ihn, alle die Kleider anzunehmen und als Sein Eigentum zu behalten, die ich in Seiner Verwahrung zurückgelassen habe. Es thut mir leid, daß ich Ihm meine Erkenntlichkeit auf keine andere Art bezeigen kann.«

Er sprach diese Worte mit einem so rührenden Nachdruck, daß Rebhuhn, unter dessen Fehler man kein böses und hartes Herz rechnen konnte, in helle Thränen ausbrach, und nachdem er ihm zugeschworen hatte, er wolle ihn in seinem Kummer nicht verlassen, legte er's äußerst ernsthaft aufs Bitten an, um ihn zu bewegen, daß er wieder nach Hause kehren möchte. »Um Gotteswillen, mein teuerster Herr,« sagte er, »überlegen Sie doch! Was können Euer Gnaden thun? Wie ist es möglich, daß Sie in dieser Stadt leben können ohne Geld? Thun Sie, was Sie wollen, liebster Herr, oder gehn Sie, wohin es Ihnen beliebt, ich bin entschlossen, Sie niemals zu verlassen. – Aber ich bitte, überlegen Sie! – Ich bitte, bitte, gnädiger Herr, um Ihrer selbst willen überlegen Sie es wohl; und ich bin überzeugt, Ihr eigner richtiger Verstand wird es Ihnen sagen, daß es höchst nötig sei, wieder nach Ihrer Heimat zurückzukehren.«

»Wie oft soll ich's Ihm sagen,« antwortete Jones, »daß ich keine Heimat habe, wo ich wieder hinkehren könnte? Hätte ich die geringste Hoffnung, daß Herrn Allwerths Thore offen stehen würden, mich aufzunehmen, so brauchte es keiner Not, mich zur Rückkehr zu drängen. – Sei Er versichert, keine andre Ursache auf Gottes Erdboden [64] könnte mich einen Augenblick abhalten, nach seinem Aufenthalte hinzueilen, als leider die, daß ich auf ewig davon verbannt bin. Seine letzten Worte waren: O guter Rebhuhn! Sie schallen mir noch in den Ohren. Seine letzten Worte waren, als er mir eine Summe Geldes zustellte; wie viel es war, weiß ich nicht, aber ansehnlich war sie, das weiß ich. Seine letzten Worte waren: Ich bin entschlossen, von heute an unter keinerlei Vorwand wieder mit dir etwas zu schaffen zu haben.«

Hier verstummte Jones vor Gram des Herzens, sowie Rebhuhn vor Erstaunen auf einen Augenblick stumm blieb; allein er erhielt bald den Gebrauch der Sprache wieder, und nach einer kurzen Vorrede, in welcher er beteuerte, daß Spähen und Forschen seine Sache gar nicht wäre, erkundigte er sich, was Herr Jones mit der ansehnlichen Summe Geldes habe sagen wollen, und wie er nicht wüßte, wie viel, und wo das Geld geblieben wäre?

Ueber alle diese Punkte erhielt er nun hinlängliche Auskunft, worüber er eben im Begriff stand, seine Anmerkungen zu machen, als er durch eine Botschaft von Herrn Nachtigall unterbrochen ward, der sich von seinem Herrn ausbitten ließ, ihm auf seinem Zimmer Gesellschaft zu leisten.

Als beide Herren für die Maskerade ausgerüstet waren und Herr Nachtigall hingeschickt hatte, ein paar Sänften zu holen, verspürte sich Herr Jones in einer Art von Not, welche manchem meiner Leser lächerlich genug vorkommen mag. Diese war, woher er den Trägerlohn nehmen sollte. Wenn solche Leser aber sich zurückerinnern wollen, was sie selbst über den Mangel von tausend, vielleicht von zehn- oder zwanzigtausend Dukaten, um ein Lieblingsprojekt auszuführen, empfunden haben, so können sie sich eine deutliche Vorstellung von demjenigen machen, was Jones bei dieser Gelegenheit empfand. Dieser Summe wegen wendete er sich demnach an seinen Rebhuhn, und es war die erste, die er ihm erlaubt hatte, ihm vorzustrecken, und nach seinem Vorsatze war es die letzte, die der arme Kerl in seinem Dienste auslegen sollte. Die Wahrheit zu sagen, so hatte Rebhuhn seit einiger Zeit keine Anerbietungen von dieser Art mehr gethan; ob er deswegen damit zurückgehalten, damit die Banknote angebrochen werden möchte, oder ob die Not Herrn Jones treiben sollte, nach Hause zu kehren, oder was er sonst für Ursachen dazu haben mochte, das will ich nicht entscheiden.

Siebentes Kapitel
[65] Siebentes Kapitel.

Enthält die ganze Kurzweil einer Maskerade.


Unsre Kavaliere langten jetzt in dem Tempel an, woselbst Heydegger, der große arbiter deliciarum, der große Oberpriester des Vergnügens, die Herrschaft führt, und, gleich andern heidnischen Priestern, die Opfernden mit der Gegenwart der Gottheit täuscht, wenn im Grunde keine solche Gottheit vorhanden ist.

Nachdem Herr Nachtigall mit seinem Gefährten ein- oder ein paarmal die Runde gemacht, ließ er ihn bald allein, ging mit einer weiblichen Maske davon und sagte: »Nun Sie einmal hier sind, Herr Jones, müssen Sie ihr eignes Wild selbst aufspüren.«

Jones fing an, sich mit starker Hoffnung zu unterhalten, daß seine Sophie auf der Maskerade wäre, und diese Hoffnung machte sein Gemüt heiterer als die Illumination, die Musik und die Gesellschaft, obgleich auch diese ziemlich starke Mittel gegen den Spleen sind. Er fing an, jede Maske anzuhäkeln, an der er einige Aehnlichkeit in Größe, im Gange oder Wuchse mit seinem Engel zu erblicken glaubte. Einer jeden suchte er einen witzigen Gedanken zu sagen, um sie zu einer Antwort zu bewegen, aus der er die Stimme erkenne, in welcher er sich, wie er meinte, unmöglich irren würde. Einige derselben antworteten mit quiekender Stimme durch die Frage: Kennen Sie mich? Die meisten aber sagten: Ich kenne Sie nicht Maske! und weiter nichts. Einige nannten ihn einen zu dreisten Unbekannten, einige antworteten ihm kein Wort, und etliche sagten: »In der That, ich kenne Ihre Stimme nicht und also hab' ich Ihnen weiter nichts zu sagen,« und manche gaben ihm so freundliche Antworten, als er nur wünschen konnte, aber nicht mit der Stimme, die er zu hören sich sehnte.

Als er so stand und mit einer der letztern sprach (die sich als Schäferin verkleidet hatte), kam eine Dame im Domino auf ihn zu, klopfte ihn auf die Schulter und raunte ihm dabei ins Ohr: »Wenn Sie noch länger mit der Heidschnucke kürmeln, so sag' ich's Fräulein Western!«

Jones hörte nicht so bald diesen Namen, als er ungesäumt die Schäferin verließ und sich an den Domino wendete mit flehentlicher Bitte, ihm doch die Dame zu zeigen, die sie eben genannt hätte, wofern solche im Saale gegenwärtig wäre.

Die Maske ging eilig durch die Zimmer bis zum äußersten Ende des letzten, und dann, anstatt ihm zu antworten, setzte sie sich nieder und erklärte, sie sei müde. Jones setzte sich zu ihr und beharrte noch immer bei seiner Bitte. Zuletzt antwortete die Dame ganz kaltsinnig: »Ich dachte, Herr Jones wäre ein zu scharfsichtiger [66] Liebhaber, als daß er seine Geliebte nicht hinter jeder Verstellung erkennen sollte.« – »Ist sie denn hier, Madame?« versetzte Jones mit vieler Lebhaftigkeit. – Worauf die Dame erwiderte: »Hsch! hsch! mein Herr, man wird Sie beobachten. Ich versichre Sie auf meine Ehre, die Western ist nicht hier.«

Jones faßte jetzt die Hand der Maske und bat sie abermals aufs angelegentlichste, ihm zu sagen, wo er Sophie finden könnte, und da er keine verständliche Antwort zu erhalten vermochte, fing er an, ihr höflich vorzuwerfen, wie sie ihm den Tag vorher seine Hoffnung vereitelt habe, und beschloß damit, daß er sagte: »In der That, meine liebe Feienkönigin, ich kenne Ihro Majestät recht gut, ungeachtet Sie geruhen, Ihre Stimme so artig zu verstellen. In der That, meine gnäd'ge Frau von Fitz Patrick, es ist ein wenig grausam, sich dergestalt an meinen Qualen zu belustigen.«

Die Maske antwortete: »Ob Sie mich schon so schlauerweise ausfindig gemacht haben, so muß ich doch in eben der Stimme noch fortreden, damit mich andre nicht auch erkennen. Und meinen Sie, mein lieber Herr, daß ich meine Kousine nicht lieber habe als einen Liebeshandel unter Ihnen beiden zu begünstigen, der sowohl für meine Kousine als für Sie selbst zum größten Unglück ausschlagen müßte? Ueberdem ist meine Kousine, das versich're ich Sie, nicht thöricht genug, in ihren eignen Untergang zu willigen, wenn Sie auch genug ihr Feind wären, sie dazu verführen zu wollen.«

»Ach, Madame,« sagte Jones, »wie wenig kennen Sie mein Herz, wenn Sie mich für einen Feind von Sophie halten!«

»Und doch werden Sie zugeben, daß es wie ein Feind handeln heißt,« sagte die andre, »wenn man jemand ins Unglück stürzt, und wenn man durch eben diese Art zu handeln ganz wissentlich und gewiß sein eignes Unglück bewirkt; ist es dann nicht ebensogut Thorheit oder Tollheit, als Verbrechen obendrein? Nun aber, mein Herr, hat meine Kousine nur ein geringes mehr, als es ihrem Vater belieben wird, ihr mitzugeben, nur sehr wenig für eine Person von ihrem Stande. – Ihren Vater kennen Sie und kennen auch ihre eignen Glücksumstände.«

Jones beteuerte, er habe keine solche Absichten auf Sophie und beteuerte, er wolle lieber des grausamsten Todes sterben, als ihre Glückseligkeit seinen Wünschen aufopfern; er wisse, wie unwürdig er ihrer in jedem Betracht sei, er habe schon vorlängst beschlossen, alle dergleichen hochfliegende Gedanken fahren zu lassen, ein ganz sonderbarer Zufall habe ihm aber das Verlangen eingeflößt, sie noch einmal wieder zu sprechen, und dann verspräche er, auf ewig Abschied von ihr zu nehmen. »Nein, Madame,« fuhr er fort, »meine Liebe ist nicht von der schändlichen Art, welche ihre [67] eigne Befriedigung auf Kosten alles desjenigen sucht, was ihrem Gegenstande höchst teuer und wert ist. Ich wollte dem Besitze meiner Sophie alles in der Welt aufopfern, nur nicht Sophie selbst.«

Obgleich der Leser bereits eben nicht die engelreinste Idee von der Tugend der Dame im Domino geschöpft haben mag, und ob es sich gleich in der Folge zeigen kann, daß sie gerade eben nicht der edelste Charakter ihres Geschlechtes gewesen, so ist dennoch gewiß, daß diese großmütigen Gesinnungen einen starken Eindruck auf sie machten und die Zuneigung um ein großes vermehrten, die sie vorher schon zu unsrem jungen Helden gefaßt hatte.

Jetzt sagte die Dame, nach einem Stillschweigen von ein paar Augenblicken, sie betrachte seine Ansprüche auf Sophie eben nicht als kühn und verwegen, sondern vielmehr als unbesonnen und wider die Klugheit. »Junge Männer,« sagte sie, »können ihre Gedanken niemals zu hoch richten. Ich liebe die Ambition in einem jungen Manne, und ich möchte Ihnen raten, solche auf alle mögliche Weise zu kultivieren. Es kann Ihnen vielleicht bei Personen gelingen, die unendlich reicher sind, ja, ich bin überzeugt, es gibt Frauenzimmer – Aber halten Sie mich nicht für eine wunderliche Kreatur, Herr Jones, daß ich mich darauf einlasse, einem Manne Rat zu geben, mit dem ich so wenig bekannt bin, und noch dazu einem Manne, mit dessen Betragen gegen mich ich so wenig Ursache habe, zufrieden zu sein?«

Hier begann Herr Jones Entschuldigungen zu machen, wie er hoffe, er habe sie durch nichts beleidigt, was er über ihre Kousine gesagt – worauf die Maske antwortete: »Und sind Sie denn so wenig mit meinem Geschlechte bekannt, um nicht zu wissen, daß sie ein Frauenzimmer nicht leicht härter beleidigen können, als wenn Sie solches mit ihrer Leidenschaft für eine andre unterhalten? Wenn die Feienkönigin keine bessere Meinung von Ihrer Galanterie gehabt hätte, sie würde Ihnen schwerlich eine Zusammenkunft auf der Maskerade gegeben haben.«

Jones hatte niemals weniger Neigung zu einer Liebelei gehabt als jetzt; aber Galanterie gegen Frauenzimmer war mit unter seinen Grundsätzen von Ehre, und er hielt es für eine ebenso große Ehrensache, eine Ausforderung zum Lieben anzunehmen, als wenn es eine Ausforderung zum Schlagen gewesen wäre. Dazu kam noch, daß eben seine Liebe zu Sophie es notwendig für ihn machte, es mit der Dame nicht zu verderben, weil er nicht zweifelte, sie sei im stande, ihm eine Unterredung mit der andern zu verschaffen.

Sonach begann er, auf ihre letzten Worte eine sehr warme Antwort zu geben, als eine Maske, verkleidet wie ein altes Weib, sich zu ihnen gesellte. Diese Maske war eine von jenen Damen, welche [68] bloß deshalb auf Maskeraden gehen, um dadurch ihrer Schadenfreude Luft zu machen, daß sie den Leuten bittre Wahrheiten sagen, und wie die Redensart ist, den Leuten so viel Schabernack anzuhängen als sie nur können. Diese liebe Dame also, welche bemerkt hatte, daß Jones und seine Freundin, welche sie wohl kannte, in einer Ecke des Zimmers mit vertraulicher Unterredung beschäftigt waren, dachte, sie könne ihren Spleen nicht besser auslassen, als wenn sie solche unterbräche. Sie attakierte sie also nach Maskeradensprache und trieb sie bald aus ihrem ruhigen Sitze; damit noch nicht zufrieden, verfolgte sie das Paar allenthalben, wo es sich hinbegeben wollte, um ihr auszuweichen, bis endlich Herr Nachtigall die Verlegenheit seines Freundes wahrnahm und ihn dadurch erlöste, daß er das alte Weib auf eine andre Art beschäftigte.

Während der Zeit, daß Jones mit seiner Maske im Saale herumging, um der Fopperin loszuwerden, bemerkte er, daß seine Dame mit verschiedenen Masken ebenso frei und bekannt sprach, als ob sie keine Larve vorm Gesicht gehabt hätten. Er konnte nicht umhin, darüber seine Verwunderung zu bezeigen und sagte: »Im Ernst, Madame, Sie müssen unendliche Geschicklichkeit besitzen, die Menschen unter allen Verkleidungen zu kennen.« Worauf die Dame versetzte: »Sie könne sich nichts Schaleres und Kindischeres denken, als eine Maskerade für Leute von Stande, die sich einander hier so gut kennen, als wenn sie in einer Assemblee oder bei Hofe zusammenkommen, darum spricht auch eine Dame von Stande mit niemand, mit dem sie nicht bekannt ist. Kurz, von dem zahlreichsten Haufen aller Personen, die Sie hier sehen, kann man mit größerem Recht sagen, daß sie ihre Zeit hier weniger töten, als an irgend einem andern Orte, und gemeiniglich, wenn sie hier weggehen, ist ihnen Zeit und Weile länger geworden, als in der längsten Predigt. Die Wahrheit zu sagen, fang' ich auch an, des Getümmels satt zu werden, und wenn ich noch die geringste Geschicklichkeit im Erraten habe, so finden auch Sie hier keinen sonderlichen Spaß mehr. Ich glaube wirklich, es ist beinahe Barmherzigkeit, die ich mit Ihnen habe, wenn ich nach Hause gehe.« – »Ich kenne nur eine Barmherzigkeit, die ebenso groß wäre,« rief Jones, »und die besteht darin, wenn Sie mir erlauben wollten, daß ich Sie dahin begleite.« – »Wahrhaftig,« antwortete die Dame, »Sie haben eine ganz sonderbare Meinung von mir, wenn Sie sich einbilden, ich werde Sie nach einer solchen Bekanntschaft und bei dieser Nachtzeit über meine Schwelle kommen lassen. Ich glaube gar, Sie leihen der Freundschaft, die ich für meine Kousine gezeigt habe, einen andern Beweggrund? Gestehen Sie mir ganz ehrlich, halten Sie nicht diese von mir veranlaßte Unterredung für wenig besser, als eine ordentlich bestellte, [69] verliebte Zusammenkunft? Sind Sie gewohnt, Herr Jones, solche schnelle Eroberungen zu machen?« – »Ich bin nicht gewohnt, Madame,« sagte Jones, »mich so schnellen Eroberungen zu ergeben! Weil Sie aber mein Herz durch Ueberraschung gefangen genommen haben, so hat der Ueberrest meines Körpers ein Recht nachzufolgen. Sie müssen mir daher verzeihen, wenn ich mich entschließe, Ihnen allenthalben zu folgen, wohin Sie gehen.« Er begleitete diese Worte mit einigen dazu passenden Handlungen, worauf ihm die Dame nach einem sanften Verweise und der Anmerkung, die Leute möchten ihre Vertraulichkeit beobachten, sagte, sie ginge zu einer guten Freundin zum Abendessen, und hoffte doch nicht, daß er ihr dahin folgen wollte. »Denn wenn Sie's thäten,« sagte sie, »würde man mich für ein unerklärbares Geschöpf halten, obgleich meine Freundin eben nicht tadelsüchtig ist. Indessen hoff' ich nicht, daß Sie mir folgen wollen. Wahrhaftig, ich – ich werde nicht wissen, was ich sagen soll, wenn Sie kommen.«

Den Augenblick hierauf verließ die Dame die Maskerade, und Jones, ungeachtet des strengen Verbots, welches ihm gegeben worden, wagte es ihr zu folgen. Er geriet hier wieder in eben die Klemme, der wir vorher erwähnt haben, nämlich es fehlte ihm der halbe Gulden für den Sänftenträger, und er konnte sich nicht, wie vorher, durch Borgen herausziehen. Er stapfte also ganz kecklich hinter der Sänfte her, worin sich die Dame tragen ließ, und ein großes Hussa! von allen Trägern auf dem Platze folgte ihm nach, welche ganz klüglich die beste Sorge tragen, das Zufußegehen herrschaftlicher Personen verächtlich zu machen. Zum Glück waren die Sippschaften, welche vorm Opernhause aufpassen, zu geschäftig, um ihre Plätze zu verlassen, und weil es zu spät in der Nacht war, um noch viele von ihren Brüdern in den Gassen anzutreffen, so kam er noch so ziemlich ungehudelt durch, in einer Kleidung, die ihm zu einer andern Stunde gewiß einen Haufen Pöbel auf die Fersen gezogen haben würde.

Die Dame ward in einer nicht weit vom Schlosse gelegenen Gasse niedergesetzt, und als die Hausthüre alsobald geöffnet worden, ward sie hineingetragen, da dann Jones ohne alle Zeremonien hinter ihr hineinging.

Jones und seine Gefährtin befanden sich nun zusammen in einem sehr hübsch möblierten und gewärmten Zimmer, als das Frauenzimmer noch immer mit ihrer Maskeradenstimme zu ihm sagte, sie wundere sich über ihre Freundin, die platterdings ihre Verabredung vergessen haben müßte; und nachdem sie hierüber ihren großen Verdruß ausgeschüttet hatte, äußerte sie plötzlich einige Besorgnis wegen Jones und fragte ihn, was die Welt davon denken [70] würde, daß sie beide zu dieser Nachtzeit in einem Hause allein zusammengewesen wären? Allein, anstatt eine befriedigende Antwort auf eine so wichtige Frage zu geben, begann Jones bei der Dame sehr zudringlich zu werden, daß sie die Maske abthun möchte, und als er das endlich erhalten hatte, so erschien nicht Madame Fitz Patrick, sondern die hochgeborene Frau von Bellaston in höchsteigner Person.

Es würde Langeweile machen, wenn ich ihre Konversation beschreiben wollte, weil solche nichts weiter als gemeine und gewöhnliche Sachen enthielt, und von zwei bis sechs Uhr des Morgens dauerte. Es ist genug, wenn ich nur alles dasjenige davon mitteile, was diese Geschichte wesentlich angeht; und dies war ein Versprechen, daß die Dame sich bemühen wollte, Sophie ausfindig zu machen und ihm innerhalb der nächsten Tage eine Unterredung mit ihr zu verschaffen unter der Bedingung, daß er alsdann Abschied von ihr nehmen sollte. Als dieser Punkt völlig aufs reine gebracht und eine zweite Zusammenkunft des Abends an eben dem Orte verabredet worden, trennten sie sich; die Dame begab sich nach ihrem Hause und Jones nach seinem Zimmer.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Enthält einen Auftritt von Not und Jammer, welcher den meisten unsrer Leser sehr außerordentlich vorkommen wird.


Nachdem sich Jones durch ein paar Stunden Schlaf erquickt hatte, ließ er Rebhuhn vor sich kommen, gab ihm eine Banknote von fünfzig Pfund Sterling und befahl ihm, solche in klingende Münze umzusetzen. Rebhuhn nahm solche mit funkelnden Augen, obgleich, als er hernach die Sache reiflicher überlegte, ein Argwohn bei ihm rege ward, der seinem Herrn eben zu keiner sonderlichen Ehre gereichte. Hierzu trugen die fürchterlichen Ideen bei, die er von einer Maskerade hatte, nebst der Verkleidung, in welcher sein Herr ausgegangen und wieder nach Hause gekommen, und daß er die ganze Nacht ausgeblieben war. Mit verständlichen Worten gesagt, die einzige Art und Weise, die er begreifen konnte, wie sein Herr zum Besitz dieser Note habe gelangen können, war Raub, und die Wahrheit zu gestehen, wird auch der Leser schwerlich andrer Einbildung sein, es wäre denn, daß er vermute, es sei ein Geschenk der großmütigen Bellaston gewesen.

Um also die Ehre des Herrn Jones vom Verdacht zu retten, und der Freigebigkeit dieser Dame die billige Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sagen wir, daß er wirklich dieses Geschenk von ihr [71] erhalten hatte. Denn, obgleich diese Dame eben nicht viel auf die abgedroschene Mildthätigkeit unsrer Zeiten hielt, wie zum Beispiele Waisen- und Krankenhäuser bauen und dergleichen – so war sie doch dieser christlichen Tugend nicht ganz bar, und des Dafürhaltens (und, wie ich meine, mit Recht), daß ein junger Mann von Verdiensten, der keinen Groschen im Vermögen hätte, kein unschicklicher Gegenstand dieser Tugend sei.

Die Herren Jones und Nachtigall waren gebeten worden, diesen Mittag bei Madame Miller zu essen. Zur gewöhnlichen Stunde versammelten sich also die beiden Herren und die beiden Töchter im Eßzimmer, woselbst sie von drei Uhr bis fast um fünfe warteten, ehe die gute Frau zum Vorschein kam. Sie war außer der Stadt gewesen, eine Anverwandte zu besuchen, von der sie bei ihrer Nachhausekunft folgende Nachricht gab.

»Ich hoffe, meine Herren, Sie werden es mir verzeihen, daß ich Sie habe müssen warten lassen! Ich weiß gewiß, wenn Ihnen die Veranlassung bekannt wäre – ich habe eine Kousine besucht, die ein paar Stunden Wegs von der Stadt wohnt, und eben in den Wochen liegt. – Es sollte allen Leuten eine Warnung sein (sagte sie und sah dabei ihre Töchter an), sich nicht aufs Geratewohl zu verheiraten. In dieser Welt ist keine Glückseligkeit ohne ein ordentliches Auskommen. O Nette, wie soll ich die elenden Umstände beschreiben, in welchen ich deine arme Base fand! Sie ist kaum seit acht Tagen in den Wochen, und da lag sie, bei diesem fürchterlich kalten Wetter, in einem ungeheizten Zimmer, in einem Bette ohne Vorhänge, und ohne einen Sack Kohlen im Hause, um ein Feuer zu unterhalten. Ihr zweiter Sohn, ein süßer, lieber Junge, liegt am Scharlachfieber in einem Bette mit seiner Mutter, denn sie haben kein ander Bett im Hause. Das arme kleine Tömchen! Ich fürchte, Nette, Du kriegst deinen Liebling nicht wieder zu sehen, denn er ist wirklich recht krank. Die übrigen Kinder sind so ganz gesund; aber Mariechen wird, sorge ich, ihrer Gesundheit zuviel zumuten. Sie ist erst dreizehn Jahre alt, und dennoch, Herr Nachtigall, ich versichre Sie, habe ich in meinem Leben noch keine bessere Krankenwärterin gesehen. Sie pflegt beide, ihre Mutter und ihren Bruder; und, was bei einem so jungen Geschöpfe sehr zu bewundern ist, sie zeigt ihrer Mutter immer ein heiteres Gesicht; und dennoch, Herr Nachtigall – dennoch sah ich das arme Kind heimlich das Gesicht wegkehren und sich verstohlnerweise die Thränen aus den Augen wischen.« Hier ward Mutter Miller durch ihre eigenen Thränen verhindert, weiter zu erzählen, und ich glaube, es war keiner unter allen Gegenwärtigen, der nicht ein gleiches that. Endlich faßte sie sich wieder ein wenig und erzählte folgendermaßen weiter: »In all diesem Jammer [72] zeigt die Mutter eine bewundernswürdige Standhaftigkeit. Die Gefahr ihres Sohnes liegt ihr am schwersten auf'm Herzen; und doch thut sie ihr möglichstes, auch diese Betrübnis ihren Mann nicht merken zu lassen. Zuweilen gewinnt gleichwohl ihr Kummer über all ihr Bestreben die Oberhand, denn sie hat diesen Knaben beständig außerordentlich lieb gehabt, und es ist auch ein kluger, süßherziger Bube. Ich kann Sie versichern, in meinem Leben war ich nicht so gerührt, als da ich den kleinen Hiob, der kaum sieben Jahr alt ist, seine Mutter bitten hörte, da sie ihn mit ihren Thränen benetzte, sie solle sich doch zufrieden geben. – – Gewißlich, Mama, sagte das Kind, ich werde nicht sterben; der liebe Gott ist ja allmächtig; ich weiß, er wird Tom noch nicht zu sich nehmen: es mag im Himmel wohl recht schön sein; aber ich will doch lieber hier bleiben und mit Ihnen und mit dem lieben Papa zuweilen hungern, als nach dem schönen Himmel gehn! – Verzeihen Sie mirs, meine Herren, aber ich kann mir nicht helfen,« sagte sie und wischte sich die Augen, »solcher Verstand und solche Liebe in einem Kinde! – – Und doch ist er vielleicht am wenigsten zu bedauern; denn in einem oder ein paar Tagen wird er höchst wahrscheinlicherweise dahin kommen, wo keine menschlichen Leiden und keine Thränen mehr sind. Der Vater verdient wirklich das Mitleiden am meisten. Der arme Mann! Sein Gesicht ist ein wahres Gemälde des tiefsten Grames, und er hat mehr das Ansehn eines Toten, als eines Lebendigen. Gütiger Gott, was das für ein Anblick war, als ich ins Zimmer trat! Der gute Mann lag hinter dem Kopfkissen, um beide, seine Frau und sein Kind zu unterstützen; er hatte nichts an, als ein dünnes Kamisol, weil sein Rock über das Bett gebreitet war, um den Mangel einer Bettdecke zu ersetzen. Als er aufstand, da ich hineintrat, konnte ich ihn kaum erkennen. Und vor vierzehn Tagen, Herr Jones, war er noch ein so wohlgestalteter Mann, als Sie nur einen gekannt haben; Herr Nachtigall hat ihn gesehen. Seine Augen waren eingesunken, sein Gesicht war bleich und sein Bart lang gewachsen; seine Glieder bebten vor Kälte, und sein Körper sah ausgemergelt aus, von Hunger; denn meine Kousine sagte, es würde ihr schwer, ihn dahin zu bringen, daß er einen Bissen äße. – Er selbst raunte mir leise zu, und sagte – ich kanns kaum wieder sagen; er sagte: er könne es nicht über sein Herz bringen, das Brot zu essen, dessen seine Kinder so nötig hätten. Und doch, können Sie es glauben, meine Herren? hat bei allem diesem Mangel seine Frau einen so guten Buttertrank, als die wohlhabendste Frau in ihren Wochen nur haben kann. Ich habe davon gekostet, und habe noch nicht viel bessern geschmeckt. – Die Mittel, ihr diesen zu verschaffen, wären ihm, wie er glaubte, durch einen Engel vom Himmel gesendet. Ich weiß nicht, [73] was er damit sagen wollte, denn ich war so niedergeschlagen, daß ich ihm nicht eine einzige Frage thun konnte.«

»Dieß war eine Heirat aus Liebe, wie man es nennt, von beiden Seiten; das heißt, eine Heirat unter zwei Bettlern. Ich muß freilich gestehn, daß ich niemals ein zärtlicheres Ehepaar gesehen habe; aber wozu dient alle diese Zärtlichkeit, als sich einander Qualen zu machen?« – »In der That, Mama,« sagte Nettchen, »ich habe meine Base Anderson (denn so hieß ihr Name) beständig für eine der glücklichsten Frauen gehalten.« – »Ich bin versichert,« sagte die Mutter, »daß sich jetzt die Sache ganz anders verhält; denn das konnte jedermann sehen, daß die zärtlichen Besorgnisse, die sie einer für des andern Leiden empfinden, sowohl für Mann als Weib der unerträglichste Teil ihres Elendes sind. Hunger und Kälte, insofern solche nur ihre Personen betreffen, sind in Vergleichung mit jenen kaum noch Uebel zu nennen. Ja selbst die Kinder, das jüngste, welches noch keine zwei Jahr alt ist, ausgenommen, denken und fühlen auf eben die Weise; denn es ist eine sehr herzige Familie; und hätten sie nur ein notdürftiges Auskommen, so wären es die glücklichsten Menschen auf dieser Welt.« – »Ich habe niemals das geringste Zeichen von Dürftigkeit in ihrem Hause bemerkt,« versetzte Nette. »Ich bekenne es, mein Herz blutet über das, was Sie mir da sagen, Mama.« – »O Kind!« antwortete die Mutter, »Sie hat beständig gesucht, die beste Seite nach außen zu kehren. Die Not war bei ihnen immer groß; aber freilich, dies völlige Verderben ist ihnen von andern über den Hals gebracht worden. Der arme Mann hatte sich für die Schulden des Schurken, seines Bruders verbürgt; und ungefähr vor acht Tagen, grade den Tag vor ihrer Niederkunft, wurden ihnen alle ihre Habseligkeiten weggenommen und von Obrigkeitswegen verkauft. Er schickte mir einen Brief durch einen von den Gerichtsdienern; aber der Bösewicht hat mir ihn nicht gebracht. – Was muß er von mir gedacht haben, daß ich eine ganze Woche hingehn lassen konnte, ohne ein Wort von mir hören zu lassen!«

Es war nicht mit trocknen Augen, daß Jones diese Erzählung anhörte. Als sie geendigt war, nahm er Madame Miller mit sich in ein besondres Zimmer auf die Seite und gab ihr seinen Geldbeutel, worin die Summe von den fünfzig Pfunden war und bat sie, davon den armen Leuten so viel zu schicken, als sie für dienlich erachte. Der Blick, den Madame Miller Herrn Jones bei dieser Gelegenheit gab, läßt sich nicht leicht beschreiben. Sie verfiel in eine Art von konvulsivischer Entzückung und rief aus: »Gütiger Gott! gibt es einen solchen Menschen auf dieser Welt!« – Sie faßte sich aber bald wieder und sagte: »Doch, doch! ich kenne so einen Mann; aber kann es so noch einen andern geben?« – »Ich hoffe, Madame,« [74] sagte Jones, »es gibt der Menschen viele, welche gemeine Menschenliebe besitzen: denn unsern Nebenmenschen in solchen Nöten beizuspringen, kann doch wohl nicht gut einen höhern Namen verdienen.« Madame Miller nahm darauf zehn Guineen und wollte sich auf keine Art bereden lassen, noch mehr zu nehmen und sagte: sie wolle schon Gelegenheit finden, dies Geld morgen frühzeitig hinauszusenden; wobei sie hinzufügte, sie habe selbst schon eine Kleinigkeit für die armen Leute gethan und habe sie nicht ganz in so großem Mangel verlassen, als sie sie gefunden.

Sie gingen hierauf wieder ins Besuchzimmer, woselbst Nachtigall sein großes Leidwesen über die fürchterliche Lage dieser armen Menschen bezeigte, welche er wirklich kannte; denn er hatte sie mehr als einmal bei Madame Miller gesehen. Er schalt auf die Thorheit, sich für andrer Leute Schulden zu verbürgen; stieß manche bittre Verwünschungen aus gegen den Bruder; und beschloß mit dem Wunsche, daß man doch für die unglückliche Familie etwas möchte thun können. »Wie wäre es,« sagte er, »wenn Sie solche Herrn Alwerth empföhlen? Oder was sagen Sie zu einer Kollekte? Ich trage gerne meine Guinee mit bei, gerne!«

Madame Miller gab darauf keine Antwort, und Nettchen, der ihre Mutter die Freigebigkeit des Herrn Jones ins Ohr geflüstert hatte, ward dabei ganz blaß. Wenn indessen eine oder die andre sich über Herrn Nachtigall ärgerten, so hatten sie gewiß unrecht; denn Jones' Freigebigkeit, wenn er sie auch erfahren hätte, war ja kein Beispiel für ihn, dem er verpflichtet gewesen wäre zu folgen; und es gibt ja der Menschen zu tausenden, die nicht einmal einen Dreier gegeben haben würden; wie er nun freilich selbst auch eigentlich nicht that; denn er ließ es bei den Worten bewenden, und da die andern also nicht für gut fanden etwas zu fordern, so behielt er sein Geld in der Tasche.

Ich habe in Wahrheit bemerkt und werde wohl keine so gute Gelegenheit wieder finden, wie die gegenwärtige, meine Bemerkung an den Mann zu bringen, daß die Welt überhaupt über Wohlthun und Mildthätigkeit sich in zwei ganz entgegengesetzte Meinungen geteilt hat. Die eine Partei scheint dafürzuhalten, daß alle Handlungen dieser Art als ganz freiwillige Gaben anzusehen sind; und so wenig man auch geben möge (wenn es auch im Grunde nichts weiter wäre als gute Wünsche), man doch allemal dabei ein großes Verdienst habe. – Die andre hingegen scheint der festen Ueberzeugung zu sein, Mildthätigkeit sei eine positive Pflicht, und wenn Reiche merklich weniger geben, als ihr Vermögen wohl zuließe, um die Not der Armen zu lindern, ihre knickrigen Wohlthaten so weit entfernt seien, etwas verdienstliches zu haben, daß sie vielmehr ihre [75] Pflicht nur halb erfüllt haben, und gewissermaßen noch verächtlicher seien, als diejenigen, welche solche ganz und gar verabsäumen.

Diese beiden Neigungen mit einander zu vereinigen, steht nicht in meinem Vermögen. Nur soviel will ich hinzusetzen: Die Geber sind gemeiniglich der ersten Meinung, und die Nehmer neigen sich fast durchgängig zu der letztern.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Welches von Sachen handelt, die von denen im vorigen Kapitel himmelweit verschieden sind.


Des Abends besuchte Herr Jones abermals seine Dame, und abermals erfolgte unter ihnen eine lange Konversation. Weil solche aber bloß in ebenso gewöhnlichen Dingen bestand, wie zuvor, so vermeiden wir etwas besonders davon anzuführen, weil wir ohnehin verzweifeln, diese Besonderheiten dem Leser angenehm machen zu können, es sei denn, daß er einer von jenen wäre, dessen Verehrung des schönen Geschlechts, wie die Verehrung der Heiligen bei den Papisten, nötig hätte, durch Hilfe von Gemälden erregt und erwärmt zu werden. Ich bin aber so weit entfernt, dem Publikum dergleichen aufstellen zu wollen, daß ich vielmehr wünschte, daß ich einen Vorhang über diejenigen ziehen könnte, die uns seit einiger Zeit in französischen Erzählungen vorgestellt werden, und wovon uns unter dem Namen von Uebersetzungen sehr schmutzige Kopien mitgeteilt worden sind.

Jones ward immer ungeduldiger seine Sophie sprechen zu können, und weil er nach wiederholten Versuchen der liebevollen Bellaston keine Wahrscheinlichkeit sah, durch ihre Vermittlung dazu zu gelangen – denn diese Dame begann vielmehr sich schon zu er zürnen, wenn er nur den Namen Sophie nannte – so entschloß er sich andre Mittel anzuwenden. Er zweifelte nicht, die Frau von Bellaston wüßte, wo sich sein Engel befände, und demnach hielt ers für wahrscheinlich, daß einer oder der andre von ihren Bedienten um dies Geheimnis gleichfalls wissen müsse. Deshalb ward Rebhuhn aufgetragen mit diesen Bedienten Bekanntschaft zu machen, um aus ihnen das Geheimnis herauszufischen.

Man kann sich wenig unleidlichere Situationen denken als diejenige, worein sich sein armer Herr nunmehr versetzt sah, denn außer den Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg legten, Sophie zu entdecken, außer der Furcht, worin er stand, sich ihr mißfällig gemacht zu haben, und der Versicherung, die er von der Bellaston von dem Entschluß erhalten hatte, den Sophie gegen ihn gefaßt, [76] und daß sie sich mit Fleiß vor ihm verborgen halte, eine Versicherung, die er hinlängliche Ursache hatte für wahr zu halten, hatte er noch mit einer andern Schwierigkeit zu kämpfen, welche aus dem Weg zu räumen selbst nicht in der Gewalt seiner Geliebten stand, wenn auch ihre Neigung gegen ihn noch so gütig und liebreich gewesen sein möchte. Dies war, daß er sie in Gefahr setzte von ihrem Vater völlig enterbt zu werden, und diese Folge war fast unvermeidlich, wenn sie sich vereinigten, ohne seine Einwilligung zu haben. Diese aber jemals zu erhalten, dazu war keine Hoffnung. Hierzu füge man noch die verschiedenen Verbindlichkeiten, womit die Dame Bellaston, deren heftige Verliebtheit wir nicht länger verbergen können, ihn überhäuft hatte, in solchem Maße überhäuft, daß er durch sie jetzt einer der bestgekleideten Männer in der Stadt war und nicht nur aus solchen lächerlichen Verlegenheiten, deren wir früher erwähnt haben, gerissen, sondern wirklich zu einem Stande des Ueberflusses erhoben worden war, dergleichen er vorher niemals gekannt hatte.

Nun gibt es freilich manche Herren, die es mit ihrem Gewissen ganz wohl reimen können, sich des ganzen Vermögens eines Frauenzimmers zu bemächtigen, ohne dafür die geringste Gegenleistung zu übernehmen, indessen ist für ein Gemüt, dessen Besitzer nicht geradezu den Galgen verdient, nichts lästiger, glaube ich, als aus bloßer Dankbarkeit den Verliebten zu machen, besonders wenn die Neigungen des Herzens eine entgegengesetzte Richtung genommen haben. Dies war der unglückliche Fall mit Herrn Jones. Denn wenn auch die tugendhafte Liebe, welche er für Sophie empfand und die in seinem Herzen für jedes andre weibliche Geschöpf nur sehr wenig Raum ließ, gar nicht ins Spiel gekommen wäre, so wäre er demungeachtet nicht im stande gewesen, der großmütigen Leidenschaft dieser Dame im gehörigen Maße zu entsprechen, welche ehedem freilich ein Gegenstand des Verlangens gewesen, jetzt aber wenigstens schon in den Herbst des Lebens getreten war, ob sie gleich noch alle Lebhaftigkeit der Jugend zeigte, sowohl in Kleidern als Sitten; ja, sie verstand es sogar die Rosen auf ihren Wangen zu erhalten, allein diese hatten, wie alle Blumen, die, durch Kunst getrieben, zur unrechten Zeit blühen, nicht den lebendigen, frischen Glanz, womit die Natur zur rechten Zeit ihre eigenen Kinder schmückt. Sie hatte nebenher auch noch eine gewisse Unvollkommenheit, wodurch gewisse Blumen, die sonst sehr schön ins Auge fallen, sehr unwahlfähig sind, in eine lieblich duftende Wildnis gepflanzt zu werden, und welche vor allen andern Unvollkommenheiten für einen liebeatmenden Anbeter die unangenehmste ist.

Ob nun gleich Jones alle diese niederschlagenden Dinge auf [77] einer Seite recht gut empfand, so fühlte er doch auf der andern seine Verbindlichkeit ebenso stark; er sah dabei recht gut die glühende Leidenschaft, welche ihm diese Verbindlichkeiten zugezogen, und wußte, die Dame würde ihn für undankbar halten, wenn er die außerordentliche Heftigkeit jener Leidenschaft mit gleichem Maße zu beantworten ermangelte, und, was noch schlimmer war, er selbst würde sich dafür gehalten haben. Er kannte die stillschweigend angenommene Vergeltung, wogegen alle diese Gunstbezeigungen auf ihn floßen, und da ihn seine Bedürfnisse nötigten sie anzunehmen, so, meinte er, verpflichte ihn seine Ehre, dafür den Preis zu zahlen. Dies also beschloß er zu thun, was für Herzeleid es ihm auch bringen möchte, und zwar nach eben dem großen Grundsatze des Rechts, nach welchem die Gesetze einiger Länder einen Schuldner, der seinen Gläubiger auf keine andre Weise bezahlen kann, verdammen, sich ihm zum Leibeigenen zu übergeben.

Als er eben über diese Sache nachdachte, brachte man ihm von der Dame folgenden Brief:

»Es hat sich ein närrischer aber sehr verdrießlicher Umstand zugetragen, seitdem wir uns das letztemal gesehen haben, und dies macht's unschicklich für mich, Sie wieder an eben dem Orte zu sprechen. Wenn's möglich ist, will ich's so einzurichten suchen, daß wir uns gegen Morgen an einem andern Orte sehen können. Unterdessen adieu.«

Diese Widerwärtigkeit, denkt der Leser vielleicht, war so groß eben nicht, aber, wenn auch, so ward sie schnell gehoben, denn in weniger als einer Stunde nachher ward ihm von eben der Hand ein anderes Papier gebracht, welches Folgendes enthielt:

»Ich habe meinen Vorsatz geändert, seitdem ich Ihnen geschrieben, und Sie werden sich über diesen Wankelmut nicht wundern, wenn Sie auch nur ein bißchen sich auf die zärtlichste aller Leidenschaften verstehen. Ich bin nun schlüssig, Sie diesen Abend in meinem eigenen Hause zu sehen, mag daraus entstehn was will. Kommen Sie mit dem Glockenschlag sieben. Ich esse zu Mittag auswärts, werde aber gegen die Zeit wieder zu Hause sein. Soviel sind' ich, für ein Herz das aufrichtig liebt, scheint ein Tag viel länger, als ich gedacht hätte.«

»Sollten Sie ja ein paar Minuten früher kommen, als ich da wäre, so lassen Sie sich nur ins Besuchzimmer führen.«

Die Wahrheit zu bekennen, war Jones über diese letzte Epistel nicht so vergnügt, als er's über die erste gewesen war, weil sie ihn abhielt dem dringenden Ersuchen des Herrn Nachtigall nachzugeben, mit welchem er jetzt viel freundschaftlichen Umgang zu halten begann. Dies Ersuchen bestand darin, er solle diesen jungen Herrn [78] und seine Gesellschaft nach der Komödie begleiten, wo den Abend ein neues Stück gegeben wurde, das eine ziemlich große Clique verabredet hatte auszupfeifen, weil sie den Verfasser nicht gut leiden konnten, der ein Freund von einem guten Bekannten des Herrn Nachtigall war. Und dieser Art von Neckerei, wir gestehen es ungern, hätte unser Held heute lieber vor der obbesagten gütigen Einladung den Vorzug gegeben, jedoch besiegte die Ehrliebe seine Neigung.

Wir halten es für einen Freundschaftsdienst, noch ehe wir unsern Helden zu seiner vorhabenden Zusammenkunft mit seiner Dame begleiten, die Veranlassung der beiden vorhergehenden Billete aufzuklären, weil der Leser vielleicht nicht wenig über die Unvorsichtigkeit der Dame Bellaston verwundert sein mag, daß sie ihren Liebhaber gerade in das Haus brachte, worin ihre Nebenbuhlerin wohnte.

Zuerst also: Die Eigentümerin des Hauses, in welchem die Verliebten bisher ihre Zusammenkünfte gehabt hatten, und die seit einigen Jahren einen Jahrgehalt von der Dame bezogen, war jetzt eine Pietistin geworden und war diesen Morgen zu Ihro Gnaden gekommen, und nachdem sie ihr einen derben Text über ihr vergangenes Leben gelesen, hatte sie rundaus erklärt, sie wolle um keinen Preis mehr zum Werkzeuge dienen, ihre Liebeshändel künftighin fortzusetzen.

Dieser Zufall hatte den Kopf der Dame außer aller Fassung gesetzt und in der ersten Betäubung verzweifelte sie an der Möglichkeit einen andern bequemen Ort zu finden, wo sie Herrn Jones den Abend noch sehen könnte; als sie sich aber ein wenig von der Unruhe über diesen Strich durch ihre Rechnung erholt hatte, setzte sie ihre Gedanken ans Werk; da es ihr denn zu allem Glück einfiel, Sophien den Vorschlag zu thun, sie möchte in die Komödie gehen, was alsobald angenommen, auch eine schickliche Dame zu ihrer Gesellschafterin ausgemacht wurde. Die Jungfer Honoria ward gleichfalls mit Jungfer Fahrwin auf eben die Lustfahrt geschickt und solchergestalt das Haus zur sichern Aufnahme des Herrn Jones gereinigt, mit dem sie sich eine zwei- oder dreistündige ununterbrochene Konversation versprach, wenn sie von dem Orte, wo sie zu Mittag aß, zurückgekommen sein würde; dies war in dem Hause einer Freundin, in einer ziemlich weit entlegenen Gegend der Stadt, nicht weit von dem alten Orte ihrer Zusammenkünfte; und dorthin hatte sie sich versprochen, ehe sie die große Veränderung erfahren hatte, die in den Meinungen und Sitten ihrer bisherigen Vertrauten vorgegangen war.

Zehntes Kapitel
[79] Zehntes Kapitel.

Zwar kurz, kann aber dennoch wohl nasse Augen machen.


Herr Jones war eben angekleidet, um zu seiner Dame zu gehen, als Madame Miller an seine Thür klopfte, und als sie eingelassen war, sehr dringend bat, er möchte herunterkommen und Thee mit ihr trinken.

Bei seinem Eintritt ins Zimmer stellte sie ihm gleich einen Fremden vor und sagte: »Dieses, Herr Jones, ist mein Vetter, der Ihrer Gütigkeit so sehr viel zu verdanken hat, und er bittet um die Erlaubnis, Ihnen seinen aufrichtigsten Dank selbst sagen zu dürfen.«

Der Mann hatte kaum die Rede begonnen, welche Madame Miller so höflich eingeleitet hatte, als beide, Jones und er, einander mit unverwandten Augen betrachteten und dabei auf einmal Zeichen des äußersten Erstaunens blicken ließen. Die Stimme des letztern fing augenblicklich an zu beben und anstatt seine Rede zu Ende zu bringen, sank er auf einen Stuhl nieder und rief aus: »Es ist gewiß so! Ich bin gewiß, es ist so!«

»Himmel! was bedeutet das?« rief Madame Miller; »Ihnen wird doch nicht übel, Vetter, hoff' ich? Bringt Wasser, ein Glas gebranntes Wasser, geschwind, geschwind!«

»Seien Sie nicht beängstigt, Madame,« sagte Jones. »Ich bin einer Herzstärkung fast ebenso benöthigt, als Ihr Vetter. Wir sind beide über diese unerwartete Begegnung gleich erstaunt. Ihr Vetter, Madame Miller, ist ein Bekannter von mir.«

»Ein Bekannter!« schrie der Mann – »gütiger Gott!« »Ja freilich, ein Bekannter,« wiederholte Herr Jones, »und ein sehr hochgeschätzter Bekannter dazu. Wenn ich den Mann nicht liebe und hochschätze, der alles auf die Wage setzen kann, um seine Frau und Kinder vom Verderben zu retten, so möge mir der Himmel einen Freund geben, der fähig ist mich in Not und Unglück zu verleugnen!«

»O, Sie sind ein vortrefflicher junger Mann!« rief Madame Miller. – »Ja in der That, der arme Mann! Er hat alles gewagt. Wenn er nicht eine der besten Gesundheiten gehabt hätte, er hätte drauf gehn müssen.«

»Liebe Kousine,« rief der Mann, der sich jetzt so ziemlich erholt hatte, »dies ist der Engel vom Himmel, von dem ich Ihnen sagte. Dieser ist es, dem ich, eh ich Sie sah, die Erhaltung meiner Meta zu verdanken hatte. Er ist es, dessen Großmut ich jede Bequemlichkeit, jede Stärkung, die ich ihr verschaffte, schuldig bin. Er ist wahrhaftig der würdigste, der bravste, der edelste Mann unter allen [80] Sterblichen. O, liebe Kousine, diesem Herrn habe ich solche große Verbindlichkeiten von solch einer Art –«

»Sagen Sie nichts von Verbindlichkeiten,« fiel ihm Jones schnell in die Rede; »kein Wort davon, bitte ich ein- für allemal, kein Wort!« Er meinte, glaub' ich, ihm hiermit zu verbieten, daß er von der Sache des Straßenraubes gegen irgend einen Menschen etwas verrate. – »Wenn ich durch die Kleinigkeit, die Sie von mir empfangen, eine ganze Familie erhalten habe, so ist gewiß noch keine Freude so wohlfeil erkauft.«

»O, mein Herr!« sagte der Mann, »ich wünschte, Sie könnten diesen Augenblick mein Haus sehen. Wenn jemals ein Mensch zu den Freuden ein Recht gehabt hat, deren Sie erwähnen, so bin ich überzeugt, sind Sie es selbst. Meine Kousine sagt mir, sie habe Ihnen das Elend erzählt, in welchem sie uns fand. Dies, mein teuerster Herr, ist größtenteils gehoben, und hauptsächlich durch Ihre Güte. Meine Kinder haben nun ein Bett, worauf sie liegen – und sie haben – sie haben – ewiger Segen Gottes lohne Sie dafür! – sie haben Brot zu essen. Mein kleiner Junge ist wieder besser; meine Frau ist außer Gefahr, und ich bin froh und glücklich! Alles, alles ist Ihr Werk, Herr, und meine Kousine hier eine der edelsten, besten Frauen! In der That, Herr, ich muß Sie in meinem Hause sehen. In der That, meine Frau muß Sie sehen und Ihnen danken. Auch meine Kinder müssen Ihnen ihren Dank sagen. In der That, Herr, den Kindern fehlt's nicht am Gefühl ihrer Verbindlichkeit. Aber wie steigt meine Empfindung, wenn ich bedenke, wem ich's zu verdanken habe, daß sie jetzt fähig sind ihre Dankbarkeit auszudrücken. O, Herr, die kleinen Herzen, die Sie erwärmt haben, ohne Ihren Beistand wären sie jetzt kalt gewesen wie Eis.«

Hier versuchte es Jones, den armen Mann zu verhindern, daß er etwas weiter sage; aber die Ergießungen seines eignen Herzens würden wirklich von selbst seine Worte erstickt haben. Und nun fing Madame Miller gleichfalls an in Danksagungen auszubrechen, sowohl in ihrem eignen als in ihres Vetters Namen, und beschloß damit, daß sie sagte, sie zweifle nicht, eine solche Güte des Herzens würde einen herrlichen Lohn empfahen.

Jones antwortete, er sei bereits überflüssig belohnt. »Ihres Vetters Erzählung, Madame,« sagte er, »hat mir weit angenehmere Empfindungen verursacht, als ich jemals gekannt habe. Welch ein elender Mensch müßte das sein, der eine solche Geschichte ohne Rührung anhören könnte! Wie entzückend muß also der Gedanke sein, in solch einer Szene eine glückliche Rolle gespielt zu haben! Wenn es Menschen gibt, welche die Freude nicht fühlen können, die darin[81] liegt, andre froh zu machen, so bedaure ich sie von Herzen, weil sie unfähig sind, an demjenigen Geschmack zu finden, was nach meiner Meinung eine größre Ehre, ein höherer Vorteil und ein süßeres Vergnügen ist, als dem Ehrgeizigen, dem Geldsüchtigen oder dem Wollüstigen jemals zu teil werden kann.«

Da nunmehr die Stunde der Zusammenkunft herangenaht war, sah Herr Jones sich genötigt, eilig Abschied zu nehmen, doch schüttelte er vorher erst seinem Freund recht herzlich die Hand und bat, ihn so bald als möglich wieder zu sehen, wobei er ihm versprach, daß er die erste beste Gelegenheit wahrnehme wolle, ihn in seinem eignen Hause zu besuchen. Hierauf stieg er in seinen Wagen und fuhr nach dem Hause der Bellaston voller Freuden über das Glück, welches er über diese arme Familie verbreitet hatte. Dabei konnte er auch nicht umhin, mit Schaudern an die schrecklichen Folgen zu denken, welche daraus hätten entstehen müssen, wenn er mehr auf die Stimme der strengen Gerechtigkeit, als auf die Stimme der Güte und Milde gehört hätte, als er auf der Heerstraße angefallen wurde.

Den ganzen Abend hindurch sang Madame Miller das Lob des Herrn Jones, wobei der ehrliche Anderson, so lange er blieb, sie so eifrig begleitete, daß er oft schon das Wort auf der Zunge hatte, um die Geschichte mit dem Straßenraube zu erzählen. Inzwischen besann er sich noch glücklicherweise und vermied eine Unbesonnenheit, die um so größer gewesen sein würde, da er wußte, daß Madame Miller in ihren moralischen Grundsätzen äußerst streng und gewissenhaft war. Gleichfalls wußte er recht gut, daß seine Kousine zuweilen etwas gesprächig wäre, und doch war er bei alledem so voller Dankbarkeit, daß solche beinahe seine Behutsamkeit und Furcht vor Schande überwältigt und ihn dasjenige lieber öffentlich hätte bekannt machen lassen, was seinen eignen guten Namen geschändet hatte, als daß er einen einzigen Umstand hätte verschweigen sollen, welcher seinem Wohlthäter die vollkommenste Ehre bringen mußte.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Worin der Leser überrascht werden wird.


Herr Jones war viel früher als zur bestimmten Zeit gekommen und früher, als die Dame, deren Ankunft nicht nur durch die Entlegenheit des Hauses, wo sie zu Tische war, sondern auch durch einen widrigen Zufall verhindert ward, der einer Person in ihrer Gemütslage sehr verdrießlich sein mußte. Er ward also abgeredetermaßen ins Besuchzimmer geführt, und kaum hatte er einige Minuten darin zugebracht, da ging die Thüre auf und trat herein – niemand anders als Sophie selbst, welche die Komödie verlassen hatte, ehe noch der erste Akt geendigt worden. Denn weil, wie wir bereits gesagt haben, heute ein neues Stück gegeben ward, wobei sich zwei starke Parteien einfanden, die eine zum Auspfeifen und die andre zum Beklatschen: so hatte ein heftiger Aufstand und Getümmel [82] zwischen beiden Parteien unsrer Heldin einen solchen Schrecken eingejagt, daß sie nur froh gewesen, einen jungen Herrn zu finden, unter dessen Schutze sie bis zu ihrem Wagen gelangen konnte.

Da Ihro Gnaden von Bellaston ihr gesagt hatte, sie würde erst spät wieder nach Hause kommen, so erwartete Sophie nicht, jemanden im Zimmer anzutreffen, kam also hastig herein und ging auf einen Spiegel zu, der fast gerade ihr gegenüber hing, ohne nur einmal nach dem obern Ende des Zimmers hinzublicken, wo jetzt Jones wie eine unbewegliche Bildsäule stand. – In diesem Spiegel war es, worin, nachdem sie ihr eignes liebenswürdiges Gesicht beschaut, sie die besagte Bildsäule zuerst entdeckte; da sie denn, als sie sich plötzlich umkehrte, die Wirklichkeit der Erscheinung wahrnahm, worauf sie einen heftigen Schrei that und sich kaum einer Ohnmacht erwehren konnte, bis Jones fähig war, sich ihr zu nahen und sie in seinen Armen aufrecht zu erhalten.

Die Blicke oder Gedanken einer oder der andern von diesen lebenden Personen zu malen, das übersteigt meine Kräfte. Da man aus ihrer gegenseitigen Lage schließen kann, daß ihre Empfindungen zu stark waren, um solche gegeneinander mit Worten an den Tag zu legen, so wird man wohl nicht voraussetzen, daß ich fähig sein sollte, sie auszudrücken, und das Unglück dabei ist, daß wenige von meinen Lesern verliebt genug gewesen sind, um in ihren eignen Herzen zu fühlen, was damals in den Herzen dieser beiden vorging.

Nach einer kurzen Pause sagte Jones mit bebender Stimme: »Ich sehe, gnädiges Fräulein, Sie sind erstaunt.« – »Erstaunt!« antwortete sie. »O Himmel! Wirklich, ich bin erstaunt. Fast zweifle ich, ob Sie die Person sind, die Sie zu sein scheinen.« – »In der That,« rief er, »meine Sophie! Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Sie dies einemal so nannte – ich bin der unglückliche Jones, den das Glück nach so vielen vereitelten Hoffnungen endlich so gütig ist zu Ihnen zu führen. O, meine Sophie, kennten Sie die tausend Qualen, die ich erlitten habe bei diesem langen, fruchtlosen Suchen.« – »Suchen? nach wem?« sagte Sophie, die sich ein wenig wieder sammelte und ein zurückhaltendes Wesen annahm. »Können Sie so grausam sein, mir diese Frage zu thun?« rief Jones. »Brauche ich's wohl zu sagen, nach Ihnen?« – »Nach mir?« antwortete Sophie. »Hat denn Herr Jones ein so wichtiges Gewerbe bei mir?« – »Einigen, gnädiges Fräulein,« sagte Jones, »möchte dieses hier ein wichtiges Gewerbe scheinen (indem er ihr die Brieftasche gab.) Ich hoffe, mein Fräulein, Sie werden dies noch von eben dem Werthe finden, als da Sie es verloren.« Sophie nahm die Brieftasche und wollte zu reden beginnen, als er ihr folgendergestalt zuvor kam: »Lassen Sie uns, ich bitte, keinen von den kostbaren Augenblicken verlieren, welche uns das Glück so gütig verliehen hat. – O meine Sophie, ich habe weit wichtigere Angelegenheiten. – Hier auf meinen Knieen lassen Sie mich um Ihre Verzeihung flehen.« – »Meine Verzeihung?« sagte sie. »Im Ernste, nach dem was vorgegangen, können Sie nicht erwarten – nach dem, was ich gehört habe.« – »Ich weiß kaum, was ich sage,« antwortete [83] Jones. »Beim Himmel! kaum wünsche ich, daß Sie mir verzeihen. O, meine Sophie, verschwenden Sie hinfort weiter keine Gedanken an solch einen Elenden als ich bin! Sollte jemals nur ein Gedanke an mich sich bei Ihnen eindringen und Ihrer zarten Brust nur einen Augenblick Unruhe erwecken, so denken Sie an meine Unwürdigkeit und lassen Sie das Andenken an das, was zu Upton geschah, mich auf ewig aus Ihrem Gedächtnis vertilgen.«

Sophie stand die ganze Zeit über zitternd. Ihr Gesicht war weißer als Schnee und ihr Herz pochte durch ihre Schnürbrust. Wie Jones aber Upton nannte, stieg ihr eine Röte auf die Wangen und ihre Augen, die sie bis dahin kaum von der Erde verwendet hatte, richteten sich auf Jones mit einem verächtlichen Blick. Er verstand diesen stummen Vorwurf und antwortete darauf folgendergestalt: »O, meine Sophie! Meine einzige Geliebte! Sie können mich wegen dessen, was dort vorfiel, nicht stärker hassen, nicht ärger verachten, als ich selbst. Dennoch aber erweisen Sie mir die Gerechtigkeit und glauben, daß mein Herz Ihnen nicht einen Augenblick ungetreu gewesen ist. Das hatte keinen Teil an der Thorheit, der ich mich schuldig machte, das war selbst damals Ihr ungeteiltes Eigentum. Ob ich gleich verzweifelte, Sie jemals zu besitzen, ja selbst Sie nur jemals wieder zu sehen, so hing ich doch immer voll zärtlicher Liebe an Ihrem reizenden Bilde und konnte ernstlich kein ander Frauenzimmer lieben. Aber wäre auch mein Herz nicht von bessrer Liebe erfüllt gewesen, so hätte doch jene, in deren Gesellschaft ich durch einen Zufall an dem verwünschten Orte geriet, kein Gegenstand ernsthafter Liebe sein können. Glauben Sie mir, teuerste Geliebte, ich habe solche von dem Tage an nie wieder gesehen und wünsche und verlange auch nicht, sie wieder zu sehen.« In ihrem Herzen war Sophie gar sehr erfreut, dieses zu vernehmen; indessen zwang sie doch noch mehr Kälte in ihre Mienen, als sie bis dahin gezeigt hatte und sagte: »Warum, Herr Jones, geben Sie sich die Mühe, sich zu verteidigen, wo Sie noch nicht angeklagt sind? Wenn ich dächte, es käme was dabei heraus, wenn ich Sie anklagte, so hätte ich ganz andre und weit unverzeihlichere Vergehungen gegen Sie vorzubringen.« – »Welche wären das? ich bitte Sie ums Himmelswillen!« antwortete Jones zitternd und bleich, weil er meinte, er würde von seiner Liebschaft mit der Bellaston zu hören bekommen. »O!« sagte sie, »wie ist es möglich? kann alles, was edel ist und alles, was niederträchtig, zugleichin einer und eben derselben Brust bei einander wohnen?« Die liebsüchtige Dame Bellaston und der erniedrigende Umstand, als ein Lohnliebhaber gedient zu haben, drängten sich ihm wieder in die Gedanken und ließen ihm die Antwort im Munde stocken. – »Hätte ich eine solche Begegnung,« fuhr sie fort, »von Ihnen erwarten können? ja nur von irgend einem Manne von Ehre? Meinen Namen allenthalben preiszugeben in Wirtshäusern, sogar unter dem gemeinsten Pöbel! Da sich jeder kleinen Gunstbezeigung, die sich mein verdachtloses Herz etwa zu leicht sich verführen ließ zu bewilligen, ganz öffentlich zu rühmen! Ja sogar hören zu müssen, Sie hätten sich gemüßigt gesehen, [84] vor meiner aufdringlichen Liebe zu fliehen!« Nichts konnte Herrn Jones Erstaunen bei diesen Worten Sophiens gleichkommen. Jedoch, da er sich unschuldig wußte, war er in geringerer Verlegenheit, sich zu verteidigen, als wenn sie die zärtere Seite berührt hätte, worüber sein Gewissen in Unruhe gewesen war. Bei einiger Untersuchung fand er sehr bald, daß ein so schändliches Vergehen gegen seine Liebe und Sophiens guten Namen, als sie ihm hier schuld gab, gänzlich auf Rebhuhns Geträtsch in den Gasthöfen vor Wirten und dem Hausgesinde zurückfiel; denn Sophie gestand ihm, daß sie ihre Nachrichten von solchen Leuten habe. Es ward ihm nicht schwer, sie zu überzeugen, daß er an einem seinem Charakter so widersprechenden Vergehen völlig unschuldig sei; aber sie fand es desto schwerer, ihn zu verhindern, daß er nicht augenblicklich nach Hause ging und Rebhuhn den Hals umdrehte, welches thun zu wollen er mehr als einmal schwur. Nachdem dieser Punkt aufgeklärt worden, fanden sie sich bald wieder so gute Herzensfreunde, daß Jones völlig vergaß, wie er die Unterredung damit angefangen hatte, sie zu beschwören, daß sie alle Gedanken an ihn aufgeben möchte, und sie war in einer Stimmung, ihr Ohr einer Bitte von sehr verschiedner Art und Natur zu leihen. Denn ehe sie sich's noch versahen, waren sie schon so weit gekommen, daß er einige Worte fallen ließ, welche ungefähr wie ein Heiratsvorschlag klangen, worauf sie erwiderte, daß, wenn ihre Pflicht gegen ihren Vater ihr nicht verböte, ihrer eignen Neigung zu folgen, sie lieber mit ihm in Elend und Mangel, als mit jedem andern Manne in Reichtum und Ueberfluß leben möchte. Bei den Worten Elend und Mangel fuhr er zurück, ließ ihre Hand fahren, die er seit einiger Zeit gehalten hatte, schlug mit der seinigen sich auf die Brust und rief aus: »O, Sophie! könnte ich dich also elend machen? Nein, beim Himmel! nein, so niederträchtig werde ich niemals handeln. Teuerste Sophie, laß mich's kosten was es will, ich entsage Ihnen; ich will von Ihnen lassen; ich will alle dergleichen Hoffnungen aus meinem Herzen reißen, weil sie sich mit Ihrem wahren Wohlsein nicht vertragen. Meiner Liebe bleibe ich ewig getreu, aber tief in meinem Herzen soll sie vergraben bleiben; ferne von Ihnen will ich sie hegen, in einem weit entlegnen Lande, aus welchem kein Laut, kein Seufzer meiner Verzweiflung jemals Ihr Ohr beunruhigen soll. Und wenn ich dann nicht mehr bin –« Er wäre noch weiter fortgefahren, allein er ward von einer Thränenflut unterbrochen, die Sophie in seinen Busen fallen ließ, an welchen sie sich gelehnt hatte, ohne im stande zu sein, ein einziges Wort hervorzubringen. Er küßte sie auf diese Thränen, welches sie ihm auf einige Augenblicke, nicht ohne Widerstreben zuließ, sich aber darauf wieder faßte und sich sanft aus seinen Armen loswand und, um das Gespräch von einer zu rührenden Materie abzulenken, die sie, wie sie fand, in zu große Bewegung setzte, verfiel sie darauf, ihm eine Frage vorzulegen, wozu sie bis jetzt noch nicht Zeit gehabt hatte: »Wie er in das Zimmer gekommen sei?« Er begann zu stammeln und würde nach aller Wahrscheinlichkeit durch die Antwort, die er im Begriff[85] stand, ihr zu geben, ihren Verdacht erregt haben, als auf einmal die Thüre aufflog und Ihro Gnaden von Bellaston hereintrat.

Als sie ein paar Schritte vorwärts gethan hatte und Sophie und Jones beieinander sitzen sah, stand sie auf einmal still, und nach einer Pause von ein paar Augenblicken, in welcher sie sich mit einer bewundernswürdigen Gegenwart des Geistes faßte, sagte sie – obgleich mit genugsamen Anzeichen von Erstaunen sowohl in der Stimme als in den Mienen: »Ich meinte, Western, Sie wären in der Komödie?«

Nun hatte zwar Sophie keine Gelegenheit gehabt, vom Herrn Jones zu erfahren, auf welche Weise er ihren Aufenthalt entdeckt hätte; indessen, weil sie nicht den geringsten Argwohn von der eigentlichen Wahrheit, oder auch davon hatte, daß Jones und die Bellaston sich kennten, so war sie nur sehr wenig in Verlegenheit, und um so weniger, weil die Hofdame bei allen ihren Unterredungen über diese Sache beständig ihre Partei gegen ihren Vater genommen hatte. Mit sehr weniger Bedenklichkeit also erzählte sie ihr die ganze Geschichte von dem Vorfalle im Schauspielhause und der Ursache ihrer frühen Nachhausekunft.

Die Länge dieser Erzählung gab Ihro Gnaden von Bellaston Gelegenheit, sich völlig wieder in Fassung zu setzen und auf die Art und Weise zu sinnen, wie sie sich zu benehmen habe. Und da ihr Sophiens Betragen Hoffnung gab, daß Jones sie nicht verraten hätte, so nahm sie eine lustige Miene an und sagte: »Ich wäre nicht so ungewarnt hereingekommen, Fräulein, wenn ich gewußt, daß Sie Gesellschaft hätten.«

Indem sie diese Worte sagte, heftete die Dame ihre Augen auf Sophie, worauf das Fräulein, welches vor Verwirrung bis über die Ohren rot ward, stotternd antwortete: »Gnäd'ge Tante wissen, hoffe ich, daß mir die Ehre Ihrer Gesellschaft – –« – »Ich hoffe wenigstens,« fiel Tante Bellaston ein, »daß ich Sie nicht unterbreche!« – »Nein, gnädige Frau,« antwortete Sophie, »unser Geschäft war geendigt. Gnäd'ge Tante werden sich erinnern, daß ich oft von dem Verluste meines Taschenbuches gesprochen habe, welches dieser Herr glücklicherweise gefunden hat und so gütig gewesen ist, es mir mit der Banknote wieder zuzustellen.«

Jones war seit der Ankunft der Tante Bellaston beständig bereit, vor Furcht in die Erde zu sinken. Er saß da und stieß die Absätze aneinander, spielte mit seinen Fingern, und sah womöglich einem Dummbart ähnlicher, als ein junger ungehobelter Strohjunker, wenn er zum erstenmal bei Hofe in einer Assemblee aufduckt. Inzwischen begann er sich jetzt wieder zu besinnen, und indem er einen Wink von der edlen Bellaston auffing, welche, wie er sah, nicht gewillt war, zu thun, als ob sie ihn kennte, beschloß er, seinerseits gegen sie ebenso fremd zu thun. Er sagte: »Er habe, so lange er das Taschenbuch im Besitz gehabt, sich beständig sehr fleißig nach der Dame erkundigt, deren Name darin geschrieben stünde, wäre aber bis auf den heutigen Tag niemals so glücklich gewesen, sie aufzufinden.«

[86] Sophie hatte wirklich des Verlustes ihres Taschenbuches gegen ihre Tante Bellaston erwähnt; weil aber Jones aus einer oder der andern Ursache sich niemals gegen diese hatte merken lassen, daß es in seinem Besitz sei, so glaubte sie keine Silbe von dem, was Sophie jetzt sagte, und bewunderte nicht wenig die außerordentliche Behendigkeit, womit die junge Dame einen solchen Vorwand erfinden könnte. Die Ursache, warum Sophie das Komödienhaus verlassen hätte, fand keinen bessern Glauben, und ob sie sich's gleich nicht erklären konnte, wie diese beiden Verliebten zusammengeraten wären, so war sie doch aufs festeste überzeugt, ein ungefährer Zufall wäre es nicht.

Mit einem gezwungenen Lächeln sagte sie demnach: »In der That, Fräulein, Sie haben sehr viel Glück gehabt, Ihr Geld wieder zu erhalten. Nicht nur, daß es in die Hände eines Herrn von solcher Redlichkeit fiel, sondern daß er auch noch zufälligerweise entdeckte, wem es gehörte; denn ich glaube mich zu erinnern, daß Sie es nicht ins Intelligenzblatt setzen lassen wollten. – Es war gewiß ein besonderes Glück, mein Herr, daß Sie ausfindig machten, wem es zugehörte.«

»O, Ihro Gnaden,« sagte Herr Jones, »die Note lag in einem Taschenbuche, in welchem der Name der jungen Dame geschrieben stand.«

»Das war wirklich ein sehr glücklicher Umstand!« erwiderte die Dame. »Und ebenso ein großes Glück war's, daß Sie erfuhren, daß das Fräulein Western in meinem Hause sei, denn sie ist hier nur wenig bekannt.«

Jones hatte endlich seine ganze Besonnenheit wie der gesammelt, und da er meinte, er habe jetzt eine gute Gelegenheit, Sophien über die Frage zu befriedigen, die sie ihm eben vorhin that, als die Bellaston dazukam, so that er's auf folgende Weise: »Nun freilich, Ihro Gnaden,« antwortete er, »geschah's durch den glücklichsten Zufall von der Welt, daß ich diese Entdeckung machte. Auf der letzten Maskerade sagte ich einer Dame, was ich gefunden, und den Namen der Eignerin, welche mir zu verstehen gab, sie glaube, sie wisse, wo ich Fräulein von Western finden könnte, und wenn ich des folgenden Morgens nach ihrem Hause kommen wollte, so wollte sie mir's sagen. Ich ging also zu ihr, sie war aber nicht zu Hause, und ich konnte sie nicht eher wieder antreffen als heute morgen, da sie mich dann nach Ihro Gnaden Hause wies. Dieser Anweisung zufolge kam ich hierher und gab mir die Ehre, mich bei Ihnen anmelden zu lassen, und da ich sagte, daß ich eine besondere Angelegenheit hätte, führte mich ein Bedienter in dies Zimmer, wo ich nicht lange gewesen war, als diese junge Dame aus der Komödie zurückkam.«

Indem er der Maskerade erwähnte, gab Jones der Bellaston einen sehr schlauen Blick, ohne zu fürchten, daß Sophie es merken möchte, denn sie war sichtbarlich in zu großer Verwirrung, um zu bemerken, was vorging. Dieser Wink machte die ältere Dame ein wenig behutsam, und sie schwieg, worauf Jones, welcher die Unruhe sah, worin Sophiens Gemüt schwebte, beschloß, den einzigen Weg [87] einzuschlagen, um sie davon zu befreien, und der war, sich zu beurlauben. Ehe er das aber that, sagte er noch: »Ich glaube, meine Damen, man pflegt bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich einen Rekompens zu erhalten. – Ich muß um etwas Wichtiges für meine Ehrlichkeit bitten: – um nichts Geringeres, meine Gnädigsten, als um die Ehre der Erlaubnis, Ihnen künftig wieder meine schuldige Aufwartung machen zu dürfen.«

»Mein Herr,« versetzte die Dame vom Hause, »Sie sind unstreitig ein Kavalier, und Personen von Stande finden meine Thüre beständig offen.«

Jones ging darauf nach den gewöhnlichen Komplimenten von den Damen, zur großen Zufriedenheit seiner selbst und zur nicht geringen Sophiens, welcher unaussprechlich angst war, Tante Bellaston möchte entdecken, was sie bereits mehr als zu gut wußte.

Auf den Treppen begegnete Jones seiner alten Bekannten, der Jungfer Honoria, die ungeachtet alles dessen, was sie von ihm gesagt hatte, so viel gute Lebensart hatte, ihm sehr höflich zu begegnen. Dieser Zufall ward sehr glücklich dadurch, daß er ihr das Haus sagen konnte, wo er seine Zimmer hatte, wovon Sophie nichts wußte.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Schließt das dreizehnte Buch.


Der elegante Lord Shaftesbury legt irgendwo seine Mißbilligung gegen das Sagen zu vieler Wahrheiten an den Tag, woraus man die Folge ziehen kann, daß in gewissen Fällen Lügen nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar löblich sind.

Und unstreitig hat niemand einen wohlbefugteren Anspruch auf diese löbliche Abweichung von der Wahrheit, als Frauenzimmer, wenn von Liebessachen die Rede ist. Und sie können sich dabei auf die Belehrung, die Erziehung, und besonders auf die Sanktion, oder vielmehr auf den Zwang der eingeführten Gewohnheit berufen, wodurch sie abgehalten werden, nicht sowohl den ehrlichen Trieben der Natur nachzugeben (das wäre ein zu thörichtes Verbot), sondern dies Nachgeben zu gestehen.

Wir schämen uns sonach keineswegs, es zu sagen, daß unsre Heldin jetzt den Vorschriften des obengenannten hochgeborenen vizegräflichen Philosophen folgte. Da sie völlig überzeugt war, daß ihre gnädige Tante über Jones' Person in Unwissenheit sei, so entschloß sie sich, diese Unwissenheit zu unterhalten, wenn es ihr auch ein wenig Flunkern kosten sollte.

Jones war noch nicht lange zur Thüre hinaus, als die ehrsame Tante anfing: »Auf mein Wort, ein artiger, hübscher, junger Mensch, ich möchte wissen, wer er sein mag, denn ich erinnere mich nicht, sein Gesicht vorher gesehen zu haben.«

»Ich auch nicht, gnäd'ge Tante,« sagte Sophie. »Das muß ich sagen, in Ansehung meiner Banknote hat er sich sehr artig betragen.«

[88] »Allerdings, und es ist ein sehr hübscher Mann,« sagte die ältere Dame, »meinen Sie nicht auch?«

»Ich habe eben nicht viel Achtung auf ihn gegeben,« antwortete Sophie, »aber es kam mir doch so vor, als ob er ein wenig zu steif und gezwungen wäre.«

»Außerordentlich richtig bemerkt!« rief die Bellaston. »Man kann es seinen Manieren ansehen, daß er noch in keine guten Gesellschaften gekommen ist. Ja, ungeachtet er Ihnen Ihr Geld wiedergebracht hat und kein Findelohn haben wollte, so zweifle ich doch fast, daß er ein Edelmann sei. – Wohlgeborene Personen, wie ich immer bemerkt, haben einen gewissen Anstand, den andre niemals annehmen können. – Ich glaube, ich thue am besten, wenn ich Ordre gebe, daß ich für ihn nicht zu Hause bin.«

»Aber gewiß, gnädige Frau,« antwortete Sophie, »der Verdacht, sollt' ich meinen, fiele weg nach dem was er gethan hat! – Zudem, wenn Ihro Gnaden ihn beobachtet haben, war in seinen Reden so eine Eleganz, so eine gewisse Feinheit und Artigkeit im Ausdruck, daß – daß –«

»Ich gestehe,« sagte die Bellaston, »seine Worte weiß der Mensch zu setzen. – Und wirklich, Sophie, Sie müssen mir's verzeihen, in der That, Sie müssen.«

»Ich? meine Gnädige, Ihnen verzeihen!« sagte Sophie.

»Ja, im Ernste, das müssen Sie,« antwortete sie lachend; »denn ich hatte einen abscheulichen Argwohn, als ich zuerst ins Zimmer trat – ich wiederhol' es, Sie müssen's verzeihen, aber ich argwöhnte, es wäre wirklich der Herr Jones.«

»Das argwöhnten Sie wirklich?« versetzte Sophie, indem sie errötete und sich zum Lachen zwang.

»Ja, ich versich're Sie's in allem Ernste,« erwiderte sie. »Ich weiß selbst nicht, wie mir's einfallen konnte, denn, mag das übrige sein wie es will, so ist doch so viel wahr, daß der Mensch recht hübsch gekleidet ging, und das, meine liebe Sophie, ist, wie ich glaube, wohl eben nicht oft der Fall mit Ihrem Freunde.«

»Dieser Scherz,« sagte Sophie, »ist ein wenig unbarmherzig, gnädige Tante, nach dem Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe.«

»Ganz und gar nicht, liebes Kind,« sagte die ältere Dame. – »Vorher wohl wäre er's gewesen. Aber nachher, da Sie versprochen haben, sich ohne Ihres Vaters Einwilligung nicht zu verheiraten, welches, wie Sie wissen, ebensoviel heißt, als nicht weiter an Jones zu denken, können Sie doch sicher einen kleinen Spaß über eine Leidenschaft vertragen, die einem jungen Mädchen auf'm Lande noch verzeihlich genug war, von der Sie mir aber sagen, daß Sie sie völlig besiegt haben. Was muß ich denken, meine teure Sophie, wenn Sie nicht einmal einen kleinen Scherz über seine Kleidung vertragen können? Ich muß wirklich besorgen, daß es sehr weit mit Ihnen gekommen sei, und zweifle fast, ob Sie ganz aufrichtig gegen mich gewesen sind.«

»In der That, Ihro Gnaden,« erwiderte Sophie, »Sie versteh'n [89] mich unrecht, wenn Sie meinen, daß ich seinetwegen im geringsten empfindlich geworden bin.«

»Seinetwegen?« antwortete die ältere Dame. »Sie müssen mich unrecht verstanden haben, meine Anmerkung ging nicht weiter als auf seine Kleidung, denn ich wollte Ihrem Geschmacke durch gar keine andre Vergleichung einen Vorwurf machen. – Ich glaube nicht, meine teure Sophie, wenn Ihr Herr Jones solch ein Mensch gewesen wäre, als dieser –«

»Ich dachte,« sagte Sophie, »Ihro Gnaden hätten ihm zugestanden, daß er hübsch sei.« –

»Wem? ich bitte!« rief die Dame hastig.

»Herrn Jones!« antwortete Sophie, – und indem sie sich gleich darauf besser besann – »Herrn Jones! Nein, nein! Ich bitte um Vergebung, dem Fremden wollte ich sagen, der eben hier war.«

»O Sophie! Sophie!« rief die Dame, »dieser Herr Jones, fürcht' ich, steckt Ihnen noch immer im Kopfe.«

»Also auf meine Ehre, meine Gnädige,« sagte Sophie, »versich're ich Sie, Herr Jones ist mir ebenso völlig gleichgültig, als der fremde Herr, der uns eben verlassen hat.«

»Auf meine Ehre,« sagte die Bellaston, »ich glaube es. Verzeihen Sie mir also einen kleinen Scherz; aber ich verspreche Ihnen, ich will seinen Namen niemals wieder nennen.«

Und hierauf gingen die beiden Damen auseinander, zum unendlich größeren Vergnügen Sophiens als der Bellaston, welche ihre Nebenbuhlerin gerne noch ein wenig länger gepeinigt hätte, wenn sie nicht durch wichtigere Angelegenheiten abgerufen worden wäre. Was Sophien anbelangt, so war ihr Gemüt über diesen ersten Versuch im Betrügen nichts weniger als ruhig über den sie, als sie in in ihrem Zimmer allein war, mit Reue und innerlicher Beschämung nachdachte. Auch konnte sie nicht einmal die besondere Schwierigkeit ihrer Lage, oder die Notwendigkeit des Falles, in Ansehung ihrer Aufführung mit ihrem Gewissen aussöhnen, welches viel zu zart war, den Gedanken zu ertragen, daß sie sich einer Falschheit schuldig gemacht habe, so sehr sie auch die Umstände entschuldigen möchten. Und dieser Gedanke gestattete ihr nicht, die ganze folgende Nacht nur ein einziges Mal die Augen zuzuthun.

Vierzehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Ein Versuch, zu erweisen, daß ein Autor um so besser schreiben wird, wenn er von dem Gegenstande, den er bearbeitet, einige Kenntnisse hat.


Dieweil verschiedene Herren zu diesen Zeiten bloß durch die wundervolle Kraft des Genies, ohne die mindeste Beihilfe von Gelehrsamkeit, [90] ohne einmal recht im stande zu sein, zu lesen, eine sehr ansehnliche Figur in der gelehrten Republik gemacht haben, so haben die neueren Kunstrichter, wie man mir gesagt hat, angefangen zu behaupten, alle Arten von Gelehrsamkeit wären einem Schriftsteller völlig unnütz und eigentlich weiter nichts als eine Art von Fesseln, welche man der natürlichen Lebhaftigkeit und Wirksamkeit der Imagination anlege, die dadurch niedergehalten und verhindert werde, sich zu der Höhe des Fluges zu schwingen, die sie sonst die Fähigkeit gehabt hätte zu erreichen.

Diese Lehre wird zu gegenwärtiger Zeit, wie ich fürchte, viel zu weit getrieben. Denn warum sollte das Bücherschreiben so sehr von allen übrigen Künsten verschieden sein? Die Leichtfüßigkeit eines Tanzmeisters leidet gar nicht dadurch, daß man ihn gelehrt hat, wie man die Glieder bewegen muß, und kein Handwerker führt deswegen seine Werkzeuge schlechter, weil er weiß, wie er sie gebrauchen soll. Ich meinesteils, ich kann mir nicht einbilden, daß Homer oder Virgil mit mehr Feuer geschrieben haben würden, wenn sie, anstatt im Besitz aller Gelehrsamkeit ihrer Zeit zu sein, wirklich ebenso unwissend gewesen wären, als die meisten Autoren unsrer Tage. Auch glaube ich nicht, daß alle die Imagination, das Feuer und die Beurteilungskraft eines Pitt die Reden hervorgebracht haben würden, welche den britischen Senat, zu diesen unsern Zeiten, in Ansehung der Beredsamkeit zum Nebenbuhler des griechischen und römischen machen, wäre er nicht in den Schriften des Demosthenes und Cicero dergestalt belesen gewesen, daß er ihren ganzen Geist in seine Reden übertrug, und mit ihrem Geiste auch zugleich ihre Wessenschaften.

Ich möchte hier nicht so verstanden werden, als bestünde ich darauf, daß ein jeglicher von meinen Brüdern eben den Schatz von gelehrten Kenntnissen besitzen sollte, der, wie Cicero uns bereden will, demjenigen nötig ist, der ein Redner sein will. Ganz und gar nicht! Ich bin vielmehr der Meinung, daß für einen Poeten nur sehr wenig, für den Kritiker noch weniger, und für den politischen Redner die wenigste Belesenheit erforderlich sei. Für den ersten reicht vielleicht Bussys Dichtkunst und einige wenige von unsren neueren Poeten völlig aus; für den zweiten ein mäßiges Bündel von Schauspielen, und für den letzten eine Olla Potrida von politischen Journalen.

Die Wahrheit zu sagen, verlange ich weiter nichts, als daß ein Mann einige wenige Kenntnisse von dem Gegenstande besitze, den er bearbeitet, zufolge der alten Maxime der Gesetze: Quam quisque norit artem in ea se exerceat. Mit dieser allein kann sich ein Schriftsteller zuweilen so ziemlich aus dem Handel ziehen, und ohne diese wird ihm freilich alle übrige Gelehrsamkeit in der ganzen Welt eben nicht sonderlich zu statten kommen.

Zum Beispiele laßt uns annehmen, daß Homer und Virgil, Aristoteles und Cicero, Thukydides und Livius, alle hätten zusammenkommen und alle ihre verschiedenen Talente in eine gemeinschaftliche Masse werfen können, um eine Abhandlung von der Tanzkunst zu [91] verfertigen, ich glaube, man wird gerne zugeben, daß sie nichts so Gutes herausgebracht hätten, als die vortreffliche Abhandlung, welche uns Herr Essex 1 über den Gegenstand geliefert hat, unter dem Titel: Anfangsgründe der hochadeligen Erziehungskunst. Und in der That sollte man den vortrefflichen Herrn Broughton dahin vermögen können, die Feder in die Faust zu nehmen und die vorbesagten Anfangsgründe weiter auszuführen dadurch, daß er die wahren Grundsätze der Athletik zu Papier brächte, so zweifle ich, ob die Welt die geringste Ursache haben würde, zu bedauern, daß keiner von den großen Schriftstellern, weder unter den alten noch neueren, über diese edle und nützliche Kunst eine Abhandlung geschrieben hat.

Um in einer so klaren Sache nicht unnötigerweise die Beispiele zu häufen und gradeswegs auf meinen Punkt zu kommen, bin ich geneigt, dafürzuhalten, daß eine Ursache, warum manche unsrer heutigen Schriftsteller so sehr zu kurz kommen, wenn sie die Sitten und Manieren der vornehmen Welt beschreiben, vielleicht darin liegt, daß sie wirklich nicht das geringste davon wissen.

Dies ist eine Wissenschaft, welche zu erlangen unglücklicherweise nicht in dem Vermögen mancher Autoren steht. Bücher geben uns davon nur einen sehr unvollkommnen Begriff; die Schaubühne einen nicht viel bessern. Der artige junge Herr, der sich nach den ersten bildet, wird fast allemal ein Pedant werden, so wie der, der sich nach der letzten formiert, ein bloßer Stutzer.

So sind auch die Charaktere, die man nach diesen Modellen zeichnet, eben nicht richtiger gehalten, Vanbrugh und Congreve zeichneten nach der Natur. Die jenigen aber, welche sie kopieren, geben uns Zeichnungen, welche unsern heutigen Menschen so unähnlich sind, als es dem Hogarth ergehen würde, wenn er eine Thee- oder Spielgesellschaft in den Draperien eines Titian oder Vandyk malen wollte. Kurz, die Nachahmung fällt hier immer zu kurz. Das Gemälde muß nach der Natur selbst gemacht werden. Eine wahre Kenntnis der Welt gewinnt man nur durch den Umgang; und wenn man die Sitten und Manieren eines jeden Rangs kennen will, so muß man sie sehen.

Nun aber ist der Fall, daß man die höhern Stände unter den Sterblichen nicht so, wie den Ueberrest des Menschengeschlechts, auf den Gassen, in den Kramläden und auf den Kaffeehäusern umsonst zu sehn bekommen kann; und ebensowenig, gleich den großen, raren Tieren, das Stück um so und so viel öffentlich zeigt. Kurz, dies ist ein Schauspiel, wozu niemand zugelassen wird, der nicht eine oder die andere von folgenden Eigenschaften besitzt, nämlich: entweder vornehme Geburt, oder großen Reichtum, oder was so gut ist ist als alle beide, die rühmliche Profession eines Spielers. Und zum Unglück für die Welt mögen sich Personen mit diesen Eigenschaften nur selten mit dem schlechten Gewerbe der Schriftstellerei befassen; denn gewöhnlich läßt sich nur die niedrigere und ärmere Gattung [92] darauf ein, weil es ein Geschäft ist, wozu nach vieler Meinung gar keine Vorlage erfordert wird.

Daher bekommen wir denn die sonderbaren Mißgestalten in besetzten, gestickten Kleidern, in seidenen und brokadenen Roben, mit allerlei Frisur und ungeheuern Reifröcken, welche unter den Namen von Ministern, Präsidenten, Grafen und Baronen, und eben den weiblichen Benennungen, sich auf der Schaubühne herumtreiben, zum innigsten Vergnügen der Studenten und Kaufmannsburschen im Parterre, und des ehrlichen Bürgers und Handwerksmanns in den Logen und auf den Gallerien, und welche ebensowenig im wirklichen Leben anzutreffen sind, als der Centaur oder ein jedes anderes Geschöpf der verschrobenen Einbildungskraft. Um aber dem Leser ein Geheimnis zuzuraunen, so ist diese Kenntnis der vornehmen Welt zwar freilich notwendig genug, um allerlei Irrtümer zu vermeiden; aber eine erkleckliche Hilfsquelle ist sie gleichwohl nicht für einen Schriftsteller, welcher Komödien oder jene Art von Romanen schreibt, die gleich diesem, an dem ich arbeite, zur komischen Klasse gehören.

Was Pope von den Weibern sagt, läßt sich auf die meisten Menschen jener hohen Welt anwenden, daß sie nämlich so durchgängig aus Form und Affektation zusammengesetzt sind, daß sie ganz und gar keinen, wenigstens keinen sichtbaren Charakter haben. Ich will wagen es herauszusagen: daß das vornehmste Leben das schalste und langweiligste ist, und nur wenig Eigenes, Außerordentliches und Unterhaltendes hat. Die verschiedenen Gewerbe und Beschäftigungen der niedern Sphären bringen die große Mannigfaltigkeit von abstechenden Charakteren hervor. Dahingegen hier, die wenigen ausgenommen, welche der Ehrgeiz peitscht, und die noch wenigern, welche dem Vergnügen nachjagen, alles Eitelkeit und knechtische Nachahmung ist. Sich ankleiden, Karten spielen, essen und trinken, Bücklinge und Knickse machen, darin besteht das ganze Geschäft ihres Lebens.

Gleichwohl gibt es einige von diesem Range, über welche die Leidenschaft ihre Tyrannei ausübt und sie über die Schnur hinausschleudert, die der Wohlstand vorschreibt. Unter diesen zeichnen sich die Damen, durch ihre edle Dreistigkeit und eine gewisse vornehme Verachtung der Nachrede, von den schwachen Geschöpfen niederer Stände ebensosehr aus, als eine tugendhafte Dame von Stande sich durch die Feinheit und Delikatesse ihrer Gesinnungen und Empfindungen von dem ehrlichen Weibe eines Krämers und Handwerkers unterscheidet. Die hochgeborne Dame von Bellaston war von diesem dreisten Charakter; daß aber mein Leser auf dem Lande ja nicht den Schluß mache, dies sei die gewöhnliche Aufführung der Damen von Stande, oder, als hätten wir gemeint, sie als solche vorzustellen. Ebensogut könnten sie mei nen, wir hätten jeden Geistlichen durch Schwögern, oder jeden Offizier durch den Fähnrich Northerton vorstellen wollen.

Ich kenne wirklich keinen größern Irrtum als den, der fast durchgängig unter dem großen Haufen herrscht, welcher seine Meinung von einigen unwissenden Satirenschreibern entlehnt hat, nämlich: [93] unsere Zeiten mit dem Charakter der Unzucht zu stempeln. Ich bin vielmehr überzeugt, daß niemals weniger Liebeshändel unter Personen von Stande im Schwange gegangen sind, als gerade zu unsern Zeiten. Die heutigen Damen sind von ihren Müttern gelehrt worden, ihre Gedanken bloß auf Ehrgeiz und Eitelkeit zu heften und Liebe und Vergnügen ihrer Aufmerksamkeit für unwürdig zu achten. Da sie nun nachher durch die Vorsorge dieser Mütter vermählt wurden, ohne Ehemänner zu bekommen, so scheinen sie in diesen Gesinnungen so ziemlich befestigt zu sein; daher sie sich den folgenden schläfrigen Ueberrest ihres Lebens mit den freilich unschuldigern, aber wie ich besorge, auch kindischern Zeitvertreiben begnügen, deren bloße Erwähnung sich mit der Würde dieser Geschichte keineswegs vertragen möchte. Nach meiner demütigen Meinung also, ist das eigentliche Kennzeichen der gegenwärtigen Beaumonde viel eher Thorheit als Laster; und der einzige Beiname, den sie verdient, möchte kindischtändelnd heißen.

Fußnoten

1 In späteren Zeiten Mr. Noverre, übersetzt von Lessing und seinem Verleger.

A.d. Uebers.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Enthält Briefe und andere bei Liebeshändeln vorfallende Kleinigkeiten.


Jones war noch nicht lange zu Hause gewesen, als er folgenden Brief empfing.

»In meinem Leben bin ich nicht so verwundert gewesen, als da ich fand, daß Sie weggegangen wären. Ich bildete mir nichts weniger ein, da Sie aus dem Zimmer gingen, als daß Sie das Haus verlassen würden, ohne mich noch vorher zu sprechen zu suchen. Ihre Aufführung sieht sich durchgängig gleich und überzeugt mich, wie sehr ich ein Herz verachten sollte, das sich an ein dummes Gänschen hängen kann. Inzwischen weiß ich nicht, was ich am meisten bewundern soll, ob des Mädchens Schlauigkeit, oder ihre Einfalt; beide gehn bei ihr sehr weit! Denn ob sie gleich kein Wort von alledem verstanden hat, was unter uns vorgegangen ist, so hat sie doch die Dreistigkeit – die Unverschämtheit – oder wie soll ich's nennen? – gehabt, mir ins Angesicht zu leugnen, daß sie Sie kenne oder jemals vorher gesehen habe. – War dies ein abgeredetes Plänchen? und sind Sie niederträchtig genug gewesen, mich zu verraten? – O, wie ich die Gans verachte, und Sie, und die Welt, – hauptsächlich aber mich selbst! weil – ich mag nicht weiter schreiben, worüber ich vielleicht von Sinnen kommen könnte, wenn ich's wieder lese, aber das merken Sie sich: Ich kann ebenso heftig verabscheuen, als ich geliebt habe!«

Dem guten Jones ward nicht viel Zeit gelassen über diesen Brief nachzudenken, bevor ihm ein zweiter von eben dieser Hand überbracht wurde; und auch diesen wollen wir in seinen eigenen Worten hierhersetzen.

»Wenn Sie die Zerrüttung des Gemüts bedenken, in welcher ich habe schreiben müssen, so werden Sie sich über die Ausdrücke in meinem vorigen Billet gar nicht wundern. – – Jedoch wenn [94] ich es besser überlege, waren sie vielleicht zu warm. Zum wenigsten möchte ich, wenn's möglich wäre, gerne glauben, daß nichts weiter Schuld habe, als das dumme Komödienhaus, und die Unverschämtheit eines Narren, welcher mich so lange über die abgeredete Zeit aufhielt. – Wie leicht es einem wird, von jemanden das Beste zu denken, den man liebt! – Vielleicht ist's Ihnen nicht unlieb zu vernehmen, daß ich in dem Falle bin! Ich bin nun einmal darauf gestellt, Sie noch heute Abend zu sprechen, also kommen Sie nur flugs zu mir.«

P.S. »Ich habe bestellt, daß ich für keine Seele, als Sie, zu Hause sein will.«

P.S. »Der Herr Jones kann sich leicht vorstellen, daß ich ihm seine Entschuldigung nicht erschweren will; denn ich glaube, er kann nicht begieriger wünschen, mich zu täuschen, als ich selbst.«

P.S. »Kommen Sie ja ungesäumt! hören Sie?«

Männern, die mit Liebesintrigen umzugehn gewohnt sind, überlasse ich's auszumachen, welcher Brief dem Herrn Jones die größte Unruhe machen mußte, ob der schmollende oder der girrende. So viel ist gewiß, eine sehr heftige Begierde hatte er nicht, diesen Abend noch weiter Besuch zu machen, einer einzigen Person ausgenommen. Unterdessen hielt er dafür, seine Ehre stünde auf'm Spiele; und wäre diese Ursache noch nicht hinreichend gewesen, so hätte er's doch nicht gewagt, das Gemüt der Dame Bellaston bis zu den Zornflammen aufzublasen, deren er sie mit gutem Grunde für fähig hielt und wovon, wie er besorgte, die Folge sein möchte, daß sie Sophien gewisse Entdeckungen machte, die er sehr fürchtete. Nachdem er also verschiedene Male ganz mißmutig im Zimmer auf und nieder gegangen war, machte er sich bereit hinzugehen, als ihm die Dame sehr freundschaftlich zuvorkam; nicht etwa durch einen andern Brief, sondern durch ihre eigene persönliche Gegenwart. Sie trat ins Zimmer mit so großer Unordnung in ihrem Anzuge, als Zerrüttung in ihren Blicken, warf sich auf einen Sessel und sagte, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war: »Da sehn Sie's, Jones, wenn ein Weib nur einen Schritt über die Schnur hinaus gethan hat, so hält sie nichts mehr zurück. Wenn mir dies einer vor acht Tagen zugeschworen hätte, ich hätt's weder ihm, noch mir selbst geglaubt.« – »Ich hoffe,« sagte Jones, »meine liebenswürdige Bellaston wird ebenso anstehen, irgend etwas zum Nachteile eines Menschen zu glauben, der so innig die vielen Verbindlichkeiten fühlt, die sie ihm auferlegt hat.« – »So? wirklich?« sagte sie, »Verbindlichkeiten fühlen Sie? – Hätte ich jemals erwarten können, eine so frostige Sprache von Herrn Jones zu hören?« – »Verzeihen Sie mir, mein teurer Engel,« sagte er, »wenn nach den Briefen, die ich von Ihnen erhalten habe, die Angst vor Ihrem Zorne – ob ich gleich nicht weiß, womit ich ihn verdient habe, –« – »Habe ich denn,« sagte sie mit einem Lächeln, »eine so drohende Miene? – Habe ich denn wirklich ein so scheltend Angesicht mit hierher gebracht?« – »Wenn es noch einige Redlichkeit unter den Menschen gibt,« sagte er, »so habe ich nichts gethan, das Ihren Zorn verdient – Sie erinnern [95] sich noch, um welche Zeit Sie mir befahlen zu kommen. Ich gehorchte und kam genau –« – »O ich bitte,« schrie sie, »setzen Sie die gehässige Erzählung bei Seite! Antworten Sie mir bloß auf eine Frage; und ich will weiter nichts zu sagen haben. – Haben Sie ihr meine Ehre verraten?« – Jones fiel auf seine Kniee und begann die heftigsten Beteurungen auszusprechen, als Rebhuhn hüpfend und springend ins Zimmer stürzte, wie ein Mensch der von Freude betrunken ist, und ausrief: »Sie ist gefunden! hier! hier! hier! hier ist sie! Jungfer Honoria ist schon auf der Treppe!« – »Halt sie einen Augenblick auf,« rief Jones. – »Hier Madame, gehn Sie hinter das Bett; ich habe weder ein ander Zimmer noch ein Kabinett, noch irgend einen Platz auf dem Erdboden, wohin ich Sie verstecken könnte. O, nie habe ich einen so verdammten Zufall erlebt!« – »Verdammt, wahrhaftig!« sagte die Dame, als sie nach ihrem Versteckplatz ging; und unmittelbar darauf kam Jungfer Nore herein.

»Heida!« sagte sie, »was gibts 'n hier?« Der ausverschämte Kerl, Ihr Bedienter, wollt' mich kaum die Trepp' rauf lassen. Hoff' doch nich, »daß 'r nun eb'n die Ursach hat, als zu Upton, mir von Sie abz'halt'n. Mein'r Ehr, glaube, Sie dacht'n wohl nich, mich zu sehn; aberst, Gott verzeih mir all' mein' Sünd, S' hab'n 's g'wiß mein Frölen angethan. Die arme süße Frölen! Mein'r Ehr, ich halt sie so lieb, so lieb, als wenn s' mein' eigne Schwester wär', Gott sein's gnädig! wenn Sie'r nicht ein wacker Ehemannsgemahl seind! Und mein'r Ehr, wenn Sie's nicht thun, so weiß ich keine Hölle heiß genug für Sie.« Jones bat sie, sie möchte ganz leise sprechen, weil im nächsten Zimmer eine Frau in Todesnöten läge, »'N Frau?« schrie sie. »Ja, ja! so 'n Frau, wie Sie so mehr haben. – O Herr Jones, 's gibt ihr 'n großen Haufen in d'r Welt; ich glaube, wir sind auch in 'n solch Haus geraten, von so einer. Denn 'R hochgeborn' Gnad'n von Bellaston mag, glaub' 'ch, mir auch so wohl die rechte sein?« – »Hsch!« sagte Jones; »Man kann im nächsten Zimmer jedes Wort hören!« – »Nun was schiert mich's!« schrie die Zofe. »Ich sag' kein'n Mensch was böses nach. Aberst 's ist wahr, die Bediente haben's kein Hehl zu sagen, daß ihre hohe Herrschaft die Mannskerls nach 'n andern Hause hinkommen läßt. 'S Haus geht unterm Namen von 'er andern armen Madame, aber die gnäd'ge Schminkegott bezahlt die Miete, und sonst noch manche Siebensächelchen, die sie von 'r hat, darzu.« – Hier wollte ihr Jones, nachdem er ihr die größeste Unruh sehen lassen, das Maul zuhalten. – Aber sie schrie fort: »Heida, Herr Jones, Sie werd'n mir doch, mein'r Ehr, 's Sprechen nicht verbieten; 'ch sag' ja nichts Bös's! 'ch sag ja nur, was 'ch von andern g'hört habe. – Und da denk 'ch in mein'n stillen Sinn, wohl bekomm's der hübschen Fischbeinrock-Dame! mit ihr'n schön'n Sach'n, wenn sie so dabei kommt, Gott weiß wie? un so d'n Deckmantel macht. Mein'r Ehr'! 's ist doch besser arm sein und ehrlich.« – »Die Bedienten sind Lumpengesindel,« rief Jones, »und thun ihrer Herrschaft unrecht.« – »Ja, da hab'n wir's! Bediente sind Lumpenpack, das sagt' meine Fröl'n [96] auch, und will denn nich 'n Wort hör'n.« – »Nein ich bin überzeugt,« sagte Jones, »meine Sophie ist weit entfernt, solche Verleumdungen anzuhören.« – »Nu, Verleumdung'n sind 's auch wohl nich!« schrie die Zofe; »denn was braucht s'e die Mannskerl nach ein'n andern Haus zu bestell'n? – doch wohl nicht zu singen und beten? Denn wenn sie 's rechtfertig meinte, so zu sagen, als Braut und Bräutigam, und 's ist denn in Ehren, so kann's ja niemand wehren, so kann s'e ja mit honett'n Mannsperson'n in ihrem eign'n Haus umgehn! Was hat sie zu versteck'n, wenn's in Zücht'n un Ehr'n zugeht.« – »Ich versichre Sie,« sagte Jones, »ich kann dergleichen von einer Dame von so ehrenvollem Stande, und die noch dazu eine Verwandte von Sophie ist, nicht länger anhören; überdem wird Sie die arme kranke Frau im nächsten Zimmer zu sehr beunruhigen – sei Sie lieber so gut, und geh' Sie mit mir hinunter in ein ander Zimmer.« – »Nun gut, wenn S' mich nicht sprechen lassen woll'n, ich kann schweig'n – Da Herr, da ist ein Brief von meiner lieb'n Herrschaft. Manch' Mann würd' was rechts drum geb'n, wenn er so ein'n kriegte; aber Sie, Herr Jones, glaub' ich sind nicht allzu schönerös, ob m'rs schon andre Bediente gesagt hab'n, – aber, das is doch wahr, Herr Jones, das könn'n Sie doch nicht sagen, daß ich weiß, wie Ihr Geld aussieht.« Hier nahm Jones ihr hastig den Brief ab und drückte ihr drauf einige Goldstücke in die Hand. Alsdann raunte er ihr in's Ohr, seiner teuern Sophie tausend Dank zu sagen, und bat sie, ihn allein zu lassen, daß er den Brief lesen könnte. Sie ging alsobald fort, nicht ohne große Danksagung über seine Freigebigkeit.

Jetzt kam die ehrwürdige Dame von Bellaston wieder hinter den Gardinen hervor. Wie soll ich ihre Wut beschreiben? Anfangs war ihre Zunge unvermögend zu sprechen, aus ihren Augen aber schossen ganze Feuerströme, und natürlich war das, denn ihr Herz stand in voller Flamme. Und als sie endlich ihre Stimme wiederfand, anstatt ihren Eifer über die Honoria oder ihre eignen Bedienten auszuschütten, fiel sie über den armen Jones her. »Da sehn Sie,« sagte sie, »was ich Ihnen aufgeopfert habe! Meine Ehre, mein guter Name – alles ist hin! und was für Dank hab' ich dafür? Vernachlässigt, geringgeschätzt werd' ich, einem Landmädchen, einem Gänsekopf zu Gefallen!« – »Welche Vernachlässigung, Madame, oder welche Geringschätzung,« rief Jones, »habe ich mir zu Schulden kommen lassen?« – »Herr Jones,« sagte sie, »alle Verstellung ist vergeblich! Wenn Sie mich ruhig sehen wollen, so müssen Sie ihr ein- für allemal entsagen, und als einen Beweis Ihrer Aufrichtigkeit zeigen Sie mir den Brief.« – »Was für einen Brief, meine Gnädigste?« sagte Jones. – »Nun, fürwahr,« sagte sie, »Sie können doch keine so eiserne Stirne haben, mir zu leugnen, daß Ihnen die Treppenschleppe einen Brief gebracht hat?« – »Und kann meine teure Gebieterin etwas von mir begehren, das ich nicht geben kann, bevor ich nicht aller meiner Ehre entsagt habe? Habe ich auf solch eine Weise an Ihro Gnaden gehandelt? Wenn ich niederträchtig genug sein könnte, dieses arme unschuldige Mädchen an Sie zu verraten, [97] was für Sicherheit könnten Sie haben, daß ich nicht in Ansehung Ihrer eben die schändliche Rolle spielte? Ein Augenblick Ueberlegung, ich weiß gewiß, wird Sie überzeugen, daß ein Mann, bei dem das Geheimnis eines Frauenzimmers nicht völlig sicher ist, das verächtlichste Geschöpf sein muß.« – »Sehr wohl! sehr wohl!« sagte sie. »Ich brauche nicht darauf zu bestehen, daß Sie in Ihren eignen Augen ein solches verächtliches Geschöpf werden sollen, denn der Inhalt des Briefes könnte mich doch weiter nichts lehren, als was ich längst schon weiß. Ich seh' es, auf welchem Fuß Sie miteinander stehen.« Hier erfolgte eine lange Unterredung, welche ich hier der Länge nach nicht einschalte und wofür der Leser, wenn er nicht gar zu vorwitzig ist, mir danken wird. Es mag also damit genug sein, wenn ich ihn benachrichtige, daß die erzürnte Dame sich nach und nach immer mehr besänftigte und endlich seinen Beteurungen glaubte, oder sich doch zu glauben stellte, daß seine Begegnung mit Sophie den Abend bloß zufällig gewesen, nebst allen den übrigen Dingen, welche der Leser bereits weiß, und da ihr Jones solche in dem hellsten Lichte darstellte, so ist es klar, daß sie wirklich keine Ursache hatte, weiter auf ihn böse zu sein.

In ihrem Herzen behagte es ihr gleichwohl nicht, daß er sich weigerte, ihr den Brief zu zeigen. So taub sind wir gegen die klarste Vernunft, wenn solche unsern herrschenden Leidenschaften widerspricht. Sie war in der That ganz wohl überzeugt, daß Sophie den ersten Platz in Jones' Neigung behauptete, und doch, so hochherzig und liebesüchtig diese Dame auch war, so ließ sie sich's doch endlich gefallen, mit dem zweiten Platz fürlieb zu nehmen, oder, um es im gesetzlichen Kanzleistile noch schicklicher auszudrücken, sie begnügte sich mit dem Nießbrauch eines Gutes, worauf eine andre die Mitbelehnschaft hatte.

Zuletzt kam man dahin überein, daß Jones inskünftige in ihrem Hause Besuche abstatten möchte, weil Sophie, ihre Jungfer und alle übrigen Bedienten diese Besuche auf Sophiens Rechnung setzen würden und man sie selbst als die Person betrachten würde, die man hinterginge.

Dieser Entwurf war eine Erfindung der Dame und fand den größten Beifall bei Herrn Jones, welcher wirklich sehr froh über die Aussicht war, seine Sophie auf irgend eine Weise zu sehen und zu sprechen, und der Dame selbst machte es keinen kleinen Spaß, daß sie Sophien etwas weißmachen könnte, welches ihr Jones, wie sie dachte, um seiner selbst willen unmöglich entdecken dürfte.

Der nächste Tag war für den ersten Besuch festgesetzt, und hierauf kehrte die befriedigte Dame nach gewöhnlicher Höflichkeit wieder nach Hause zurück.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Enthält allerlei Materien.


Jones befand sich nicht so bald allein, als er begierig den Brief erbrach und las, wie folgt: »Es ist mir unmöglich Ihnen zu beschreiben, [98] was ich seitdem gelitten habe, da Sie dies Haus verlassen, und da ich Ursache habe zu glauben, daß Sie willens sind, wieder zu kommen, so habe ich Ihnen meine Jungfer geschickt, so spät auch schon der Abend ist, weil sie mir sagt, sie wisse wo Sie wohnen, um ihnen diesen Vorsatz auszureden. Ich bitte Sie bei aller Hochachtung, die Sie für mich haben, denken Sie nicht daran hier wieder einen Besuch zu machen, denn es wird gewiß entdeckt werden; ja, aus verschiedenen Reden, welche meiner Tante entfallen sind, muß ich fast vermuten, daß sie bereits einigen Argwohn geschöpft hat. Es ergibt sich ja wohl noch eine andre günstigere Gelegenheit! Wir müssen mit Geduld warten! Aber, ich wiederhole meine Bitte noch einmal, wenn Ihnen meine Ruhe nicht ganz gleichgültig ist, so denken Sie nicht weiter drauf, wieder hier ins Haus zu kommen.«

Dieser Brief gab dem armen Jones eben die Art von Trost, welchen ehedem Hiob von seinen Freunden bekam. Außerdem daß er ihm alle die Hoffnung vereitelte, die er sich davon versprach, wenn er Sophien sehen könnte, so war er in Rücksicht auf die Frau von Bellaston in die unglückseligste Verlegenheit versetzt; denn es gibt so gewisse Versprechungen, deren Nichterfüllung, wie er wohl wußte, sich höchst schwer entschuldigen lassen, und wieder hinzugehn, nachdem es ihm Sophie so dringend untersagt hatte, dazu hätte ihn keine menschliche Gewalt zwingen können. Endlich, nach vielen Ueberlegungen, welche diese Nacht hindurch die Stelle des Schlafes vertraten, beschloß er, sich krank zu stellen, denn dieses Mittel bot sich von selbst dar, als das einzige, um den abgeredeten Besuch zu unterlassen, ohne die Bellaston gegen sich aufzubringen, welches zu vermeiden er aus mehr als einer Ursach wünschen mußte.

Das erste indessen was er des Morgens that, war, an Sophie eine Antwort zu schreiben, die er in einen Umschlag an Jungfer Honoria einschloß. Alsdann sendete er einen andern Brief an die Frau von Bellaston, welcher die obenerwähnte Entschuldigung enthielt, auf welchen er in kurzer Zeit folgende Antwort erhielt:

»Es ist mir ärgerlich, daß ich Sie heute Nachmittag nicht bei mir sehen soll, noch mehr aber thut mir die Ursache leid. Sorgen Sie ja aufs beste für Ihre Gesundheit, und lassen Sie den geschicktesten Arzt rufen, und dann, hoffe ich, soll's keine Gefahr haben! Ich werde diesen Morgen von allerlei Narren geplagt, daß ich kaum einen Augenblick gewinnen kann, Ihnen zu schreiben. Adieu!«

P.S. »Ich will suchen, es möglich zu machen, heute Abend um Neune bei Ihnen vorzukommen. – Sorgen Sie, daß Sie allein sind.«

Herr Jones empfing nunmehr einen Besuch von Madame Miller, welche, nach einer feierlichen Einleitung, ihm folgende Anrede hielt: »Es thut mir sehr leid, Herr Jones, daß ich wegen einer solchen Veranlassung mir die Ehre geben muß, Ihnen aufzuwarten; aber ich hoffe, Sie werden die schlimmen Folgen in Ueberlegung ziehen, die es für den guten Namen meiner armen Mädchen haben müßte, wenn mein Haus nur einmal in eine üble Nachrede [99] käme. Ich hoffe also, Sie werden es mir nicht zum Argen auslegen, wenn ich Sie bitten muß, hinfüro weiter keine Frauenzimmer zu solcher späten Nachtzeit ins Haus kommen zu lassen. Die Glocke hatte zwei geschlagen, ehe die eine wieder wegging.« – »Ich versichre Sie, Madame,« sagte Jones, »das Frauenzimmer, welches vorige Nacht hier war und welches so spät blieb (denn das andere brachte mir bloß einen Brief), ist eine Dame von sehr hohem Stande und meine nahe Verwandte.« – »Von was für einem Stande sie sein mag, weiß ich nicht,« antwortete Madame Miller, »aber das weiß ich desto sicherer, daß kein tugendhaftes Frauenzimmer, es sei denn wirklich eine nahe Anverwandte, einen jungen Herrn des Abends um zehn Uhr besuchen und mit ihm bis um zwei Uhr des Morgens in seinem Zimmer allein bleiben wird. Ueberdem, Herr Jones, zeigte auch das Betragen ihrer Sänftenträger, was für eine Dame es war, denn sie hatten den ganzen Abend auf der Hausflur ihr Gehöhne über sie und fragten Rebhuhn im Beisein meiner Hausmagd, ob Madame Willens sei, die ganze Nacht durch bei seinem Herrn zuzubringen, mit einer Menge anderer unsauberer Redensarten, die sich für's Wiederholen nicht schicken. Ich habe wirklich einen großen Respekt vor Ihnen, Herr Jones, schon als vor einem artigen Manne; ja, ich habe Ihnen sehr große Verbindlichkeiten wegen Ihrer Großmut gegen meinen Vetter. In der That hab' ich nicht gewußt, wie sehr gut Sie gewesen waren, das hab' ich erst vor kurzem erfahren. Es war mir von weitem nicht eingefallen, zu was für schrecklichen Mitteln den armen Mann die Not getrieben hätte. Von weitem dachte ich's nicht, als Sie mir die zehn Guineen gaben, daß Sie solche einem Straßenräuber geschenkt hätten! Allmächtiger Gott! welche Güte haben Sie gezeigt! Von welch einem Unglück haben Sie diese Familie gerettet! Die Beschreibung, die mir der Herr von Alwerth von Ihnen gemacht hat, finde ich, trifft vollkommen zu. Und in der That, wenn ich auch Ihnen keine Verbindlichkeiten hätte, so hat der edle Mann eine solche Dankbarkeit von mir verdient, daß ich schon seinetwegen Ihnen die größte Hochachtung bezeigen würde, die nur in meinem Vermögen steht. Ja, glauben Sie mir, teuerster Herr Jones, wenn es auch nicht den guten Namen meiner Töchter und meinen eignen beträfe, so würde mich's doch um Ihrer selbstwillen kränken, daß ein so wackerer junger Herr mit solchen Weibsleuten Umgang haben sollte. Aber wenn Sie darauf beharren, diesen Umgang fortzusetzen, so muß ich Sie bitten sich anderwärts einzumieten, denn ich bin von Natur selbst eben nicht dafür, daß solche Dinge unter meinem Dache vorgehen, aber es ist mir dabei doch noch weit mehr um meine Töchter zu thun, welche, wie Gott weiß, außer ihrer unbescholtenen Ehre sehr wenig haben, das sie empfehlen kann.«

Jones stutzte bei dem Namen Alwerth und veränderte die Farbe. »In Wahrheit, Madame Miller,« antwortete er mit ein wenig Wärme, »Sie kränken mich nicht wenig. Ich will Ihrem Hause keine böse Nachrede zuziehn, aber die Freiheit darf ich mir nicht nehmen lassen, in meinem eignen Zimmer die Gesellschaft zu haben, [100] die ich will, und wenn Ihnen das im geringsten mißfällt, so werde ich mich, sobald ich nur kann, nach einem andern Quartier umsehen.« – »Es thut mir leid, Herr Jones, daß wir uns also trennen müssen,« sagte sie, »aber ich bin überzeugt, Herr von Alwerth selbst würde nicht über meine Schwelle kom men, wenn er nur den geringsten Verdacht hätte, daß ich so etwas in meinem Hause gestattete.« – »Nun wohl! Madame Miller, nun wohl!« sagte Jones. »Ich hoffe, mein lieber Herr Jones, Sie nehmen mir's nicht übel,« sagte sie, »denn ich möchte um alles in der Welt keinem von Herrn Alwerths Angehörigen etwas zuwider thun. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugethan, so ist mir diese Sache im Kopfe herumgegangen.« – »Es thut mir leid, daß ich Ihre Ruhe gestört habe, Madame!« sagte Jones. »Aber ich bitte nur, schicken Sie sogleich den Rebhuhn herauf.« Dies versprach sie zu thun und begab sich dann nach einer tiefen Verbeugung wieder weg.

Sobald als Rebhuhn herauf kam, fiel ihn Jones mit einer entsetzlichen Heftigkeit an: »Wie oft soll ich für Seine Narrheit büßen, oder vielmehr für meine eigne, daß ich Ihn um mich behalte? Hat Er's denn ordentlich drauf angelegt, mich mit Seiner Zunge ins Verderben zu bringen?« – »Was hab' ich denn gethan, Herr?« fragte Rebhuhn ängstlich. – »Wer gab ihm die Erlaubnis von der Straßenräubergeschichte zu schwatzen, oder zu sagen, daß der Mann, den Er hier sah, der Thäter gewesen?« – »Das hätte ich gethan?« – »Nun, mach' Er's nur nicht noch ärger durch Leugnen,« sagte Jones. – »Wenn ich mir so was habe entfallen lassen,« antwortete Rebhuhn, »so versichre ich Sie doch, daß ich kein Arg dran hatte, denn ich hätte meinen Mund nicht aufgethan, wär's nicht gegen seine eigne Freund' und Verwandte gewesen, und die, dachte ich, würden's ja nicht weiter ausbringen.« – »Ich hab' aber auch noch eine weit wichtigere Klage über Ihn, als diese,« sagte Jones. »Wie hat Er sich, nach allen Warnungen, die ich Ihm gegeben, dennoch unterstehn können, den Namen Alwerth hier im Hause zu nennen?« Rebhuhn leugnete mit vielen Schwüren, daß er das gethan habe. – »Wie hätte sonst,« sagte Jones, »Madame Miller erfahren können, daß er mich und ich ihn etwas anginge? Und eben diesen Augenblick hat sie mir gesagt, daß sie mich um seinetwillen hochschätzte.« – »O, lieber Gott, Herr!« sagte Rebhuhn, »wenn Sie mich nur wollen ausreden lassen, so sollen Sie sehn, wie unglücklich alles gekommen ist. Hören Sie mich nur aus, so werden Sie sehn, wie unrecht Sie mich beschuldigen. Als Mamsell Honoria gestern abend wieder weggehn wollte, begegnete sie mir auf der Flur und fragte mich, ob meine Herrschaft Briefe von Herrn Alwerth hätte, und es ist wahr, Madame Miller hörte alles, Wort für Wort, und den Augenblick als Mamsell Honoria fort war, ließ sie mich in ihre Stube kommen. Herr Rebhuhn, sagte sie, was für ein Herr Alwerth ist das, von dem die Mamsell sprach? Ist es der große Herr von Alwerth in Sommersetshire? – Auf mein Wort, Madame, sagt' ich, ich weiß nichts davon! – Ihr Herr ist doch nicht gar der Herr Jones, von dem Herr von Alwerth so oft mit [101] mir gesprochen hat? – Auf mein Wort, Madame, sagt' ich, ich weiß gar nichts davon! – Nun dann, sagte sie zu ihrer Tochter Nanette, so wahr wie der treue Eckhard, dies ist der junge Mann leibhaftig, ganz so wie ihn Herr von Alwerth beschrieben hat. Gott im Himmel weiß, wer's ihr gesagt hat, denn ich will der ärgste Schurke sein, der nur jemals auf zwei Beinen gestanden hat, wenn es aus meinem Munde gekommen ist. Sie können sich drauf verlassen, Herr, ich weiß ein Geheimnis zu verwahren, wenn man's von mir verlangt. Ich habe wirklich so wenig die Sache von Herrn Alwerth gesagt, daß ich sogar das pure Kontrarium gesagt habe, denn ob ich's gleich nicht auf der Stelle widersprach und besserer Rat, wie man sagt, kommt über Nacht, so fiel mir's ein, daß jemand geträtscht haben müßte, und so dacht' ich bei mir selbst, ich will der Geschichte ein Ende machen, und so ging ich wieder hin in die Stube, ein Weilchen nachher, und sagt' auf mein Wort, sag' ich, wer Ihnen gesagt hat, daß dieser Herr der Herr Jones ist, das heißt, sagt' ich, daß dieser Herr Jones der andre Herr Jones ist, der hat Ihnen eine schändliche Lüge g'sagt, und ich bitte Sie, sagt' ich lass'n Sie sich doch von so was ja nichts merken, sagt' ich; denn mein Herr, sagt' ich, wird denken, ich müßt' es Ihn'n gesagt hab'n. Und da laßt jemand auftret'n im ganzen Hause und sag'n, ob ich jemals so 'n Wort gesagt habe. Gewiß Herr, 's ist eine ganz wunderliche Sache und ich habe seitdem beständig drüber nachgeson'n, wie's zugegangen sein kann, daß sie's erfahren hat, wenn's nicht 'n alt Weib gewesen ist, das ich hier vor ein'gen Tagen vor der Thür betteln sah, und die ebenso aussah, wie jene, welche wir in Warwickshire sahen, die uns all' dies Unglück gebracht hat. In Wahrheit, 's ist niemals gut, wenn man vor ein'm alt'n Weibe vorbeigeht und ihr nicht was gibt, hauptsächlich wenn sie ein'n ansieht; und das soll m'r die ganze Welt nicht ausreden, daß sie eine große Macht hab'n, Unheil anzurichten, und so viel weiß 'ch, ich werde in meinem Leben kein alt Weib wieder ansehn, daß ich nicht bei mir selbst denke: Infandum regina iubes renovare dolorem.«

Jones mußte über die Einfalt Rebhuhns lachen, und damit war es vorbei mit seinem Zorn, der im Grunde niemals lange in seinem Gemüt anhielt, und anstatt ihm Anmerkungen über seine Verteidigung zu machen, sagte er ihm, er sei entschlossen, dies Quartier aufs baldigste zu verlassen, und befahl ihm, hinzugehn und sich nach einem andern zu erkundigen.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Welches, wie wir hoffen, von jungen Leuten beiderlei Geschlechts mit großer Aufmerksamkeit gelesen werden soll.


Rebhuhn hatte Herrn Jones nicht so bald verlassen, als Herr Nachtigall, mit welchem er einen vertrauten Umgang angefangen hatte, zu ihm kam und nach einer kurzen Begrüßung sagte: »So, Jones, ich höre, Sie haben vorige Nacht sehr spät noch Gesellschaft [102] gehabt? Bei meiner Seele! Sie sind ein rechtes Glückskind! Kaum sind Sie erst vierzehn Tage in der Stadt und lassen schon die Sänften des Morgens bis zwei Uhr vor der Thüre halten!« Hierauf brachte er noch viele Alltagsscherze von eben der Art zu Markte, bis ihn endlich Jones unterbrach und sagte: »Wie ich vermute, haben Sie alle diese Nachrichten von Madame Miller gehört, welche vor einer Weile heraufgekommen ist, mir die Zimmer aufzukündigen. Die gute Frau ist, wie es scheint, ängstlich, daß ihr Haus in üblen Ruf kommen möchte.« – »O,« sagte Nachtigall, »in diesem Punkt nimmt sie's entsetzlich genau. Sie erinnern sich ja noch wohl, daß sie die Nette nicht einmal mit uns nach der Maskerade gehn lassen wollte.« – »Nun, auf meine Ehre,« sagte Jones, »ich denke, darin hatte sie recht. Unterdessen habe ich ihre Aufkündigung angenommen und habe Rebhuhn hingeschickt, ein ander Quartier zu suchen.« – »Wenn Sie wollen,« sagte Nachtigall, »so glaube ich, können wir wieder zusammenziehn, denn ich will Ihnen ein Geheimnis sagen, – aber ich bitte, daß Sie sich ja im Hause gegen niemand etwas davon merken lassen, – ich bin willens, das Haus noch heute zu verlassen.« – »Wie, Freund, hat Ihnen Madame Miller ebenfalls aufgekündigt?« rief Jones. – »Nein!« antwortete der andere, »aber die Zimmer sind mir nicht bequem genug. Ueberdem bin ich dieser Gegend in der Stadt müde geworden. Ich will näher nach der Gegend ziehn, wo häufiger Zeitvertreib ist, deswegen zieh' ich nach Pallmall.« – »Sind Sie denn gesonnen, heute noch auszuziehn?« sagte Jones. – »Verlassen Sie sich drauf,« antwortete Nachtigall, »daß ich nicht willens bin, die Wirtin um die Miete zu prellen; aber ich habe meine geheimen Ursachen, warum ich nicht förmlich Abschied nehmen mag.« – »Nun, nicht gar zu geheime!« versetzte Jones. »Ich versichre Sie, ich habe sie gesehn gleich des andern Tags, da ich ins Haus gekommen war. Es wird hier nasse Augen geben, wenn Sie weg sind! – Die arme Nette! ich bedaure sie, wahrhaftig. Wirklich, Jakob, Sie haben das Mädchen zum Narren gehabt! Sie haben ihr ein Fieber beigebracht, wovon sie, wie ich fürchte, kein Arzt wird heilen können.« – Nachtigall antwortete: »Was zum Henker wollen Sie, das ich thun soll? Wollten Sie wohl, daß ich sie heiratete, um sie zu kurieren?« – »Nein,« antwortete Jones; »aber ich wollte, Sie hätten ihr nichts von Liebe vorgesagt, wie Sie oft in meiner Gegenwart gethan haben. Ich habe mich höchlich gewundert über die Blindheit der Mutter, daß die es niemals gesehn hat.« – »Pah, sehn!« rief Nachtigall. »Was Henker sollte sie sehn?« – »Nun sehn,« sagte Jones, »daß Sie ihre Tochter bis zum Rasen in Sie verliebt gemacht haben. Das arme Mädchen kann es keinen Augenblick verbergen: sie kann kein Auge von Ihnen wenden und verändert allemal die Farbe, wenn Sie ins Zimmer treten. In der That, ich bedaure sie von Herzen, denn sie scheint eins der gutmütigsten und redlichsten Geschöpfe Gottes zu sein.« – »Und also,« antwortete Nachtigall, »müßte einer nach Ihrer Sittenlehre sich niemals die geringste gewöhnliche Galanterie zum Zeitvertreibe beim Frauenzimmer erlauben aus [103] Furcht, sie möchte sich in ihn verlieben?« – »Wirklich, Jakob,« sagte Jones, »Sie wollen mich mit Fleiß nicht verstehen! Ich bilde mir nicht ein, daß das Frauenzimmer so allezeit fertig sei, sich in uns zu verlieben, aber Sie sind weit über die gewöhnliche Galanterie hinausgegangen.« – »Was?« sagte Nachtigall. »Meinen Sie etwa, wir wären mit einander zu Bett gegangen?« – »Nein, das mein' ich auf meine Ehr' nicht!« antwortete Jones sehr ernsthaft. »Eine so schlechte Meinung habe ich nicht von Ihnen; ja ich will noch weiter gehn, ich kann mir nicht einbilden, daß Sie einen ordentlich vorher bedachten, überlegten Plan gemacht haben, die Ruhe dieses kleinen Geschöpfs zu untergraben, oder daß Sie nur die Folgen bedacht haben, denn ich bin gewiß, du bist ein gutmütiger Kerl, und ein solcher kann sich eine dergleichen Grausamkeit nicht beigehen lassen, sondern du hast nur deiner Eitelkeit schmeicheln wollen und nicht überlegt, daß dies arme Mädchen das Opfer davon sein würde; und indessen, daß Sie keine andre Absicht hatten, als eine leere Stunde angenehm hinzubringen, haben Sie ihr wirklich Ursache gegeben, sich zu schmeicheln, daß Sie die ernsthaftesten Absichten auf sie hätten. Ich bitte dich, Jakob, antworte mir ehrlich, wohin zielten alle jene glatten, überzuckerten Beschreibungen von Glückseligkeit, die aus einer heftigen gegenseitigen Zärtlichkeit entspringen? Wohin diese warmen Aeußerungen von weicher Empfindsamkeit, von großmütiger, uneigennütziger Liebe? Meinten Sie nicht, daß sie solche auf sich anwenden würde oder offen herauszusagen, war es nicht Ihre Absicht, daß sie es thun sollte?« – »Bei meiner Seele, Thomas,« rief Nachtigall, »das hätt' ich hinter dir nicht gesucht. Du wirst einmal ein vortrefflicher Prediger werden. Auf diese Art soll ich wohl glauben, du würdest nicht einmal mit Nettchen zu Bett gehen, wenn sie's auch wohl haben wollte?« – »Nein!« sagte Jones, »ich will verdammt sein, wenn ich das wollte!« – »Thomas, Thomas,« antwortete Nachtigall, »die vorige Nacht! denk' an die vorige Nacht!«


»When every Eye was clos'd, and the pale Moon
And silent Stars shone conscious of the Theft.«
»Als jedes Auge
Geschlossen war und nur der blasse Mond,
Die stillen Sterne deinen Diebstahl sahn.«

»Nun, sehen Sie, Herr Nachtigall,« erwiderte Jones, »ich bin kein frömmelnder Heuchler und mache keinen größern Anspruch auf Enthaltsamkeit als meine Nachbarn. Ich bin im Punkt der Weiber nicht unschuldig; aber das bin ich mir nicht bewußt, daß ich jemals eine Person verführt hätte – und möchte auch nicht, um meinen Sinnen ein Vergnügen zu verschaffen, wissentlich schuld an dem Elende irgend eines menschlichen Geschöpfes sein.«

»Gut, gut!« sagte Nachtigall. »Ich glaube Ihnen und bin überzeugt, daß Sie auch mich von allen dergleichen Dingen frei sprechen.«

»Das thu' ich von Herzen,« antwortete Jones, »davon nämlich, [104] daß Sie das Mädchen nicht entehrt haben, aber nicht davon, daß Sie sich in ihr Herz eingeschlichen haben.«

»Wenn ich das gethan habe,« sagte Nachtigall, »so ist mir's herzlich leid! Aber Zeit und Abwesenheit werden solche Eindrücke bald auslöschen. Das ist ein Rezept, das ich auch mir verschreiben muß; denn um Ihnen die Wahrheit zu gestehen – in meinem Leben hab' ich noch kein Mädchen nur halb so lieb gehabt als dieses; aber ich muß Sie nur mit dem ganzen Geheimnis bekannt machen, Thomas. Mein Vater hat für mich eine Heirat ausgemacht mit einem Mädchen, das ich nie gesehen habe, und das jetzt in die Stadt kommen wird, um sich von mir die gehörigen Anwerbungen thun zu lassen.«

Bei diesen Worten brach Jones in ein lautes Gelächter aus, wobei Nachtigall schrie: »Nein, ich bitte dich, lache nicht über mich! Der Teufel hol' mich, wenn ich nicht ohnedies schon halb unsinnig darüber bin! Mein armes Nettchen! O Jones, Jones! Besäß' ich doch nur eignes Vermögen!«

»Das wünscht' ich Ihnen von Herzen,« sagte Jones; »denn wenn es da hinkt, so bedaur' ich euch aufrichtig alle beide! Aber Sie werden doch bei alledem nicht willens sein, so fortzugehn, ohne von ihr Abschied zu nehmen?«

»Um zehntausend Pfund,« antwortete Nachtigall, »möcht' ich mich der Qual nicht aussetzen, von ihr Abschied zu nehmen. Außerdem bin ich überzeugt, es würde nichts gutes wirken, es würde nur dazu dienen, mein armes Nettchen zu peinigen. Ich bitte demnach, nur heute sich davon kein Wort entfallen zu lassen, und heute abend oder morgen früh bin ich willens fortzugehen.«

Jones versprach zu schweigen und sagte: Nach reifer Ueberlegung glaubte er, da er doch entschlossen und genötigt wäre, sie zu verlassen, wäre dies die vorsichtigste Art und Weise. Er sagte drauf dem Herrn Nachtigall, es würde ihm sehr lieb sein, mit ihm in Einem Hause zu wohnen, und demzufolge wurden sie darüber eins, daß Nachtigall ihm entweder den untersten oder den dritten Stock mieten sollte; denn dieser junge Herr hatte den zweiten für sich selbst gemietet.

Dieser Herr Nachtigall, von dem wir nächstens genötigt sein werden etwas mehr zu sagen, war bei den gewöhnlichen Vorfallenheiten des Lebens ein Mann von strenger Ehre und, was unter den jungen Stutzern in Städten noch seltner ist, ein Mann von biederer Redlichkeit. In Liebeshändeln aber war er von etwas lockerer Moral. Nicht daß er so völlig ohne alle Grundsätze gewesen wäre, als die jungen Herren zuweilen sind und noch öfter scheinen wollen; aber gewiß ist es, daß er sich einige nicht zu entschuldigende Verrätereien gegen das weibliche Geschlecht erlaubt und in einem gewissen Handel, genannt Liebesgeschäfte, solche Kniffe ausgeübt hatte, die man, wenn er sich derselben bei einem Geld- oder Warengeschäfte bedient hätte, als die größte Schurkerei auf Gottes Erdboden angesehen haben würde.

Allein da die Welt, aus was für Ursachen begreif' ich nicht so [105] eigentlich, darüber einig geworden ist, solche Betrügereien in einem bessern Lichte zu betrachten, so war er soweit davon entfernt, sich dieser Bübereien zu schämen, daß er sich vielmehr damit breit machte und sich oft seiner Geschicklichkeit bei Frauenzimmern und der Eroberung ihrer Herzen zu rühmen pflegte, worüber ihm Jones schon lange vorher einige Verweise gegeben hatte, der beständig eine große Bitterkeit gegen schlechtes Verfahren mit dem schönen Geschlechte blicken ließ und zu sagen pflegte: Wenn man, wie man eigentlich sollte, Frauenzimmer in dem Gesichtspunkte teurer Freundinnen betrachtete, müßte man mit der äußersten Liebe und Zärtlichkeit mit ihnen umgehen, sie in Ehren halten und sie liebkosen. Betrachtete man sie aber als Feindinnen, so wären es Eroberungen, deren sich ein Mann vielmehr zu schämen als zu rühmen hätte.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Ein kurzer Auszug aus Madame Millers Lebensgeschichte.


Für einen Kranken nahm Jones heute Mittag eine wackere Mahlzeit zu sich, das heißt die größte Hälfte von einer Hammelsschulter. Des Nachmittags erhielt er eine Einladung von Madame Miller zum Thee; denn da diese gute Frau entweder durch Rebhuhn oder auf irgend einem andern natürlichen oder übernatürlichen Weg erfahren hatte, daß er einen Zusammenhang mit Herrn Alwerth hätte, so konnte sie den Gedanken nicht ausstehn, ihn auf eine unfriedliche Weise ausziehen zu lassen.

Jones nahm die Einladung an, und kaum war der Theekessel wieder fortgetragen und die Töchter aus dem Zimmer geschickt, als die Witwe ohne weitläufige Vorrede folgendermaßen anhub: »Wohl, es ereignen sich manche wunderbare Dinge in der Welt; aber eins der wunderbarsten ist es gewiß, daß ich einen Verwandten des Herrn von Alwerth in meinem Hause haben mußte, ohne daß ich nur ein Wort davon wußte. Ach, mein lieber Herr Jones, Sie können sich schwerlich einbilden, was für ein Freund dieser vortreffliche Herr für mich und die meinigen gewesen ist. Ja, lieber Herr Jones, ich schäme mich nicht, zu gestehen, seiner Güte habe ich's zu verdanken, daß ich nicht vorlängst schon vor Mangel umgekommen bin und meine kleinen armen Würmer als zwei nackte, hilfsbedürftige, freundlose Waisen der Barmherzigkeit oder vielmehr der Unbarmherzigkeit der Welt habe überlassen müssen.«

»Sie müssen wissen, mein Herr, ob ich gleich jetzt dahin gebracht bin, von der Zimmermiete meines Hauses zu leben, so bin ich doch als ein adeliges Kind geboren und erzogen worden. Mein Vater war ein Offizier von der Armee und starb in einem ansehnlichen Range. Er lebte aber von seinem Solde; und da solcher mit seinem Leben aufhörte, so wurde seine Familie bei seinem Ableben an den Bettelstab gebracht. Wir waren unser drei Schwestern. Eine von uns war so glücklich, bald nachher an den Blattern zu sterben. Eine Dame war so gütig, die zweite aus Mitleiden, wie sie sagte, [106] als Gesellschafterin zu sich zu nehmen. Die Mutter dieser Dame hatte bei meiner Großmutter als Hausmagd gedient, und nachdem sie von ihrem Vater, welcher Geld auf Pfänder auslieh, ein großes Vermögen ererbt hatte, ward sie an einen vornehmen Herrn von Stande verheiratet. Sie ging mit meiner Schwester sehr barbarisch um, rückte ihr oft ihren Stand und ihre Armut vor, und nannte sie oft spottweise das gnädige Fräulein, so daß ich glaube, es war vor bloßem Gram, daß sie ein Jahr nach dem Tode meines Vaters gleichfalls starb. Das Glück fand für gut, auf eine bessere Weise für mich zu sorgen, und in einem Monate nach seinem Tode ward ich mit einem Geistlichen verheiratet, der mir schon lange Zeit vorher seine Liebe erklärt hatte, und darüber von meinem Vater sehr unfreundliche Begegnungen erdulden mußte. Denn, obgleich mein armer Vater keiner von uns einen Groschen mitgeben konnte, so erzog er uns doch so weichlich, und hielt uns so vornehm, und wollte auch, daß wir uns selbst so vornehm halten sollten, als ob wir wirklich die reichsten Erbinnen gewesen wären. Allein mein geliebter Ehemann vergaß alle diese unfreundschaftliche Begegnung, und den Augenblick, da wir vaterlose Waisen geworden waren, erneuerte er alsobald seine Anwerbungen um mich auf eine so innige Weise, daß ich, die ich ihn beständig wohl hatte leiden mögen und ihn jetzt höher schätzte, als jemals, ihm bald meine Einwilligung gab. Fünf Jahre lebte ich mit diesem besten Manne in einem Stande vollkommener Glückseligkeit, da er dann – o grausames, grausames Schicksal! das mich von ihm trennte, das mich des liebreichsten Ehemanns und meine Kinder des zärtlichsten Vaters beraubte! – O, meine armen Kinder! Ihr wußtet nicht was ihr an ihm verloren – ich bin beschämt, lieber Herr Jones, über diese weibische Schwachheit; aber ich kann ihn niemals ohne Thränen nennen« – »Vielmehr, Madame,« sagte Jones, »sollte ich mich schämen, daß meine Thränen nicht die Ihrigen begleiten.« – »Wohl! Herr Jones,« fuhr sie fort, »ich war nun zum zweitenmal in weit schlimmern Umständen hinterlassen, als das vorige Mal: neben dem schrecklichen Gram, mit dem ich kämpfen mußte, hatte ich jetzt noch zwei Kinder zu versorgen und war womöglich ärmer denn jemals, als der große, der gute, der glorwürdige Mann, Herr von Alwerth, der einige wenige Bekanntschaft mit meinem Ehemann gehabt hatte, von ungefähr meine dürftigen Umstände vernahm und mir unmittelbar darauf diesen Brief schickte. Hier, lieber Herr Jones – hier ist er, ich habe ihn zu mir gesteckt, um ihn Ihnen zu zeigen. Dies ist der Brief, ich will und muß ihn vorlesen:


Madame,


Ich bezeige Ihnen mein herzliches Beileid über Ihren erlittenen herben Verlust, welchen Sie Ihr eigener Verstand und die vortrefflichen Grundsätze, die Sie von dem so würdigen seligen Manne gelernt haben müssen, besser in stand setzen werden zu ertragen, als aller Rat und aller Trost zu thun vermöchte, die ich Ihnen erteilen könnte. Auch besorge ich bei dem Zeugnis, so ich von Ihnen habe, daß sie die zärtlichste Mutter sind, nicht, Sie werden sich von übermäßigem [107] Grame hinreißen lassen, die Pflichten zu versäumen, welche Sie den armen Kindern schuldig sind, welche jetzt keine andre Unterstützung haben, als Ihre liebreiche Fürsorge.

Da es indessen sehr begreiflich ist, daß Sie in dieser Ihrer Lage eben nicht sehr fähig sein können, sich um Haushaltungssachen zu bekümmern, so werden Sie mir um so leichter verzeihen, daß ich einer Person aufgetragen habe, Sie zu besuchen, und Ihnen zwanzig Guineen auszuzahlen, die ich Sie bitte, fürs erste anzunehmen, bis ich das Vergnügen haben kann, Ihnen persönlich aufzuwarten und Ihnen zu bezeigen, wie sehr ich bin Madame u.s.w.«


»Diesen Brief, Herr Jones, empfing ich in den ersten vierzehn Tagen nach meinem unersetzlichen Verluste, und innerhalb vierzehn Tagen nachher kam Herr von Alwerth, – der, ich möchte fast sagen, heilige Herr von Alwerth, mich zu besuchen, setzte mich in das Haus, worin Sie mich jetzt sehen, gab mir eine beträchtliche Summe, um es einzurichten, und vermachte mir ein Jahrgehalt von fünfzig Pfund Sterling, die ich seitdem immer richtig empfangen habe. Sie urteilen also leicht Herr Jones, in was für einer Achtung ein Wohlthäter bei mir stehen müsse, dem ich die Unterhaltung meines eignen und des Lebens meiner teuren Kinder zu verdanken habe, um derentwillen allein mein Leben noch einigen Wert für mich hat. – Halten Sie mich also nicht für zudringlich und anmaßend, Herr Jones (Sie sehen ja wohl ein, daß ich einen Mann hochschätzen muß, auf den Herr von Alwerth einen solchen Wert setzt), wenn ich Sie bitte, keinen fernern Umgang mit solchen unwürdigen Weibern zu unterhalten. Sie sind ein junger Mann und kennen ihre Ränke nicht halb. Legen Sie mir das nicht zum argen aus, was ich Ihnen in Ansehung meines Hauses gesagt habe; Sie sehen es nach Ihrem Verstande wohl ein, wie nachteilig es für meine armen Mädchen werden müßte. Ueberdem muß es Ihnen ja bekannt sein, daß Herr von Alwerth mir es niemals vergeben würde, wenn ich zu solchen Sachen durch die Finger sehen wollte, und besonders noch bei Ihnen.«

»Auf mein Wort, Madame,« sagte Jones, »Sie bedürfen bei mir nicht der mindesten Entschuldigung. Ich nehme auch nicht das geringste übel von alle dem, was Sie mir gesagt haben; weil aber niemand mehr Ehrerbietung für Herrn Alwerth haben kann, als ich, so erlauben Sie mir, daß ich Ihnen einen Irrtum benehme, der vielleicht seiner Ehre ein wenig nachteilig sein könnte. – Ich versichre Sie also, ich bin gar nicht mit ihm verwandt.«

»Ach, lieber Herr Jones,« antwortete sie, »ich weiß, daß Sie das nicht sind. Ich weiß recht gut, wer Sie sind, denn Herr von Alwerth hat mir alles gesagt. Aber, ich versichre Sie, wären Sie auch zwanzigmal sein Sohn, er hätte nicht mit mehr Liebe von Ihnen sprechen können, als er sehr oft in meiner Gegenwart von Ihnen gesprochen hat. Sie haben keine Ursache, Herr Jones, sich wegen dessen zu schämen, was Sie sind; glauben Sie mir, kein vernünftiger Mensch wird sie deswegen weniger hochschätzen. Nein, lieber Herr Jones, das Wort ›niedrige Geburt‹, sagt Unsinn, wie mein teurer, lieber, seliger Mann zu sagen pflegte, ausgenommen, [108] wenn man es auf die Eltern anwendet, denn auf die Kinder kann niemals eine wirkliche Schande von einer Handlung fallen, an der sie ganz unschuldig waren.«

Hierbei holte Jones einen tiefen Seufzer und sagte darauf: »Weil ich sehe, Madame, daß Sie mich wirklich kennen, und weil Herr Alwerth so gütig gewesen ist, mit Ihnen von mir zu sprechen, und Sie auch so offenherzig über Ihre eignen Angelegenheiten gegen mich gewesen sind, so will ich Sie auch mit noch einigen Umständen bekannt machen, die mich selbst betreffen.« Und da nun Madame Miller ein großes Verlangen und viel Neugier bezeigte, zu hören, so fing er an und erzählte seine eigene Geschichte, ohne aber Sophiens Namen nur mit einer Silbe zu erwähnen.

Unter redlichen Gemütern besteht eine Art von Sympathie, vermittelst welcher sie einander leicht Glauben schenken. Madame Miller hielt alles, was Herr Jones ihr sagte, für wahr und bezeigte ihm ihr Mitleid und Bedauern. Sie hub schon an ihre Betrachtungen über die Geschichte anzustellen; aber Jones unterbrach sie. Denn, weil schon die Stunde der Zusammenkunft herannahte, begann er um die Erlaubnis eines zweiten Besuchs von der Dame zu handeln, welcher, nach seinem Versprechen, der letzte in ihrem Hause sein sollte; wobei er schwur, sie sei von sehr hohem Stande, und daß nichts unter ihnen vorgehn sollte, was nicht höchst unschuldig wäre. Und meinerseits glaube ich fest, daß er sein Wort zu halten gesonnen war.

Madame Miller ließ sich endlich überreden, und Jones ging hinauf nach seinem Zimmer, woselbst er bis zwölf Uhr allein saß; wer aber nicht kam, war Frau von Bellaston.

Weil wir gesagt haben, daß diese Dame eine große Liebe zum Herrn Jones trug, und es auch in der That sichtbar gewesen sein muß, daß es sich wirklich so verhielt, so mag sich der Leser vielleicht über ihre erste Versäumung ihrer Zusage verwundern, da sie doch nicht anders wissen konnte, als er wäre krank – eine Zeit, wo die Freundschaft solche Besuche am nötigsten zu machen scheint. Diese Aufführung können vielleicht einige an der Dame als unnatürlich tadeln; das ist aber nicht unsre Schuld; unsre Sache ist bloß der Wahrheit gemäß zu erzählen.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Enthält einen Auftritt, von dem wir nicht zweifeln, er werde unsern Lesern ein wenig ans Herz greifen.


Herr Jones schloß in der ersten Hälfte der Nacht kein Auge; nicht deswegen, als ob er darüber unruhig gewesen wäre, daß ihm Frau von Bellaston nicht Wort gehalten hatte; auch Sophie selbst, obgleich seine meist wachenden Stunden mit Recht auf ihre Rechnung gehörten, war nicht die Ursache, die seinen Schlaf verscheuchte, sondern der arme Jones war wirklich einer der gutherzigsten Menschen von der ganzen Welt und besaß alle die Schwachheiten, welche man Mitleiden zu nennen pflegt, und welche diesen Charakter von der [109] edlen Standhaftigkeit der Seele unterscheidet, die einen Mann, sozusagen, in sich selbst zu einer glatten Kugel drechselt und ihn fähig macht, durch die Welt hinzulaufen, ohne durch die Unglücksfälle aufgehalten zu werden, welche andre Menschen betreffen. Er konnte sich also nicht entbrechen, ein herzliches Mitleiden mit der Lage der armen Nette zu fühlen, deren Liebe zum Herrn Nachtigall ihm so sichtbar vorkam, daß er über die Blindheit der Mutter erstaunte, die den vergangnen Abend mehr als einmal ihre Anmerkungen über die große Veränderung in der Gemütsart ihrer Tochter gemacht hatte, die, wie sie sagte, aus einem der lebhaftesten, muntersten Mädchen auf einmal finster und melancholisch geworden sei.

Der Schlaf überwand indessen allen Widerstand, und jetzt, als ob er wirklich eine Gottheit gewesen wäre, wie die Alten dafür hielten, und zwar eine erzürnte Gottheit, schien er nun sich seiner neu erworbenen Beute zu freuen. – Ohne alle Metapher und ganz einfach gesagt, Herr Jones schlief den nächsten Morgen bis elf Uhr, und wäre vielleicht noch länger in seiner sanften Ruhe verblieben, wenn er nicht durch ein heftiges Gelärm wäre geweckt worden.

Rebhuhn ward durch die Klingel gerufen und gab auf Befragen: was vorginge? zur Antwort: »Unten im Hause brausete ein entsetzlicher Sturm! Mamsell Nette fiele in eine Ohnmacht über die andere, und ihre Schwester und die Mutter thäten beide nichts, als über sie winseln und wehklagen.« Jones äußerte, daß ihm die Nachricht sehr leid thäte, und Rebhuhn suchte ihn zu beruhigen, indem er mit Lächeln sagte: er glaube eben nicht, daß Mamsell in Todesgefahr wäre; denn Susanne (so hieß das Stubenmädchen im Hause), hätte ihm gesagt, es wäre weiter nichts als eine gewöhnliche Weibergeschichte. »Mit Einem Worte,« sagte er, »Mamsell Nettchen hats gelüstet ebenso klug zu sein als ihre Mutter; das ist die ganze Pastete. Sie war ein wenig hungrig, scheints, und so setzte sie sich zur Mahlzeit und langte zu, ehe der Segen drüber gesprochen war, und da ist denn nun ein Kind unterwegs nach dem Findelhause.« – »Will Er wohl so gut sein und seinen Witz beiseite setzen?« rief Jones. »Ist das Unglück dieser armen Menschen wohl ein Gegenstand des Scherzes? Den Augenblick gehe Er zu Madame Miller und sage Er ihr: ich bäte um Erlaubnis – doch, bleib Er nur! Er würde doch nur mit der Thüre ins Haus fallen! Ich will nur selbst hingehn, denn sie hat mich zum Frühstück gebeten.« Er stand also auf und zog sich so geschwind an, als er nur konnte; und unterdessen er sich ankleidete, konnte Rebhuhn, ungeachtet mancher derben Verweise, sich nicht enthalten, über diesen Vorfall gewisse doppelsinnige Reden auszustoßen, welche gemeiniglich witziger Spaß genannt werden. Sobald Jones mit dem Anziehen fertig war, ging er hinunter, klopfte an und ward augenblicklich von der Hausmagd in die vordere Wohnstube geführt, worin er so wenig Gesellschaft als die geringste Anstalt zum Frühstück vorfand. Madame Miller war in dem hintern Zimmer bei ihrer Tochter, aus welchem sie Herrn Jones durch die Magd sagen ließ, sie hoffe, er würde ihr verzeihen, daß er vergebens gekommen wäre. Es hätte sich ein Zufall [110] zugetragen, der es ihr unmöglich mache, das Vergnügen seiner Gesellschaft beim Frühstück zu genießen, und sie ließe ihn um Verzeihung bitten, daß sie ihm davon nicht eher Nachricht hätte geben lassen. Jones ließ zurücksagen, sie möchte sich um solche Kleinigkeiten, als ein vergebens erwartetes Frühstück, nicht beunruhigen, ob ihm gleich die Veranlassung herzlich leid thäte; und wenn er ihr im geringsten mit seinem Dienste nützlich sein könnte, so möchte sie nur so gut sein und befehlen. Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als Madame Miller, die solche alle mit angehört hatte, plötzlich die Thür aufriß, herauskam und unter Vergießung der bittersten Thränen zu ihm sagte: »O, lieber Herr Jones! Sie sind gewiß einer der besten jungen Männer von der Welt! Hunderttausend Dank sage ich Ihnen für die liebreiche Anerbietung Ihrer freundschaftlichen Dienste! Aber, ach! mein edelmütiger Freund, es steht nicht in Ihrer Macht, mein armes Kind zu retten. O, meine Tochter, meine Tochter! Sie ist dahin! Sie ist auf zeitlebens unglücklich gemacht!« – »Ich hoffe doch nicht, Madame,« sagte Jones, »daß ein Bösewicht –« – »O lieber Herr Jones,« sagte sie, »der Bösewicht, der gestern meine Zimmer verließ, hat meine arme Tochter betrogen, hat sie zu Grunde gerichtet! – Ich weiß, Sie sind ein rechtschaffener Mann, Sie haben ein gutes, ein edles Herz, Herr Jones, die Handlungen, wovon ich selbst Zeuge gewesen bin, können aus keinem andern entspringen. Ihnen will ich alles sagen. Ja, nach dem, was vorgefallen ist, ist es ja nicht einmal mehr möglich, daß es ein Geheimnis bleibe. Dieser Nachtigall, dieser barbarische Bube, hat meine Tochter ins Unglück gestürzt. Sie ist – sie ist – o Herr Jones, mein Kind ist von ihm schwanger! und in diesen Umständen ist er fortgegangen und hat sie sitzen lassen! Hier, liebster Freund, ist sein grausamer Brief: lesen Sie ihn, Herr Jones, und sagen Sie mir, ob noch ein solches zweites Ungeheuer auf der Welt zu finden ist?« Der Brief lautete, wie folgt:


»Meine teuerste Nanette!


Da das, was ich Ihnen zu sagen habe, wie ich befürchte, Ihnen ebenso schmerzhaft sein wird, als es mir ist, so war mirs unmöglich, es Ihnen mündlich vorzutragen! Ich nehme also meine Zuflucht zur Feder, um Ihnen die traurige Nachricht zu geben, daß mein Vater darauf besteht, ich soll unverweilt einem jungen reichen Frauenzimmer meine Aufwartung machen, die er bestimmt hat, meine – ich kann das abscheuliche Wort nicht schreiben. Ihre eigne gute Einsicht wird Ihnen begreiflich machen, zu welch einem unbedingten Gehorsam ich gezwungen bin, und wie ich dadurch auf ewig aus Ihren teuren Armen verbannt werde. Die zärtliche Liebe ihrer Mutter mag Ihnen den Mut geben, ihr die unglücklichen Folgen unsrer Liebe anzuvertrauen, welche gar leicht vor der Welt geheim gehalten werden können, und für welche sowohl, als für Sie selbst, ich zu sorgen nicht unterlassen werde. Ich wünsche, daß Sie bei dieser Gelegenheit weniger fühlen mögen, als ich bereits dadurch gelitten habe: aber rufen Sie alle Ihre Standhaftigkeit der Seele zu Hilfe! Verzeihen Sie mir und vergessen Sie einen Menschen, welchen [111] nichts als die gewisseste Aussicht seines gänzlichen Verderbens hätte zwingen können, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Ich bitte Sie, vergessen Sie mich! doch nur bloß als einen Geliebten, aber nicht als den besten Freund; denn einen solchen werden Sie niemals aufhören zu finden in

Ihrem

getreuen, obgleich

unglücklichen

I.N.«


Als Jones diesen Brief gelesen hatte, standen sie beide eine Minute da und sahen sich stillschweigend einander an. Endlich begann er also: »Ich kann Ihnen nicht sagen, Madame, was für einen Unwillen ich über diesen Brief empfinde. Aber lassen Sie sich bitten, in einem Punkte dem Rate zu folgen, den Ihnen sein Verfasser gibt, erwägen Sie den guten Namen Ihrer Tochter.« – »Der ist dahin, ist verloren, Herr Jones!« rief sie, »so gut wie ihre Unschuld. Sie erhielt den Brief in einem Zimmer, das voller Gesellschaft war, und weil sie gleich nach seiner Eröffnung in eine Ohnmacht sank, so ward sein Inhalt allen bekannt, welche gegenwärtig waren. Aber der Verlust ihres guten Namens, so schlimm er ist, ist nicht das ärgste. Ich werde mein Kind verlieren! Schon zweimal hat sie's versucht, Hand an sich zu legen, und ob wir sie gleich bis jetzt daran verhindert haben, so beteuert sie doch noch immer, daß sie es nicht überleben will, und ich selbst würde einen Zufall von der Art auch ebenfalls nicht überleben können! – Was wird dann aus meiner kleinen Betti werden, der armen, hilflosen Waise? und das arme kleine Ding wird sich ohnehin zu Tode jammern, glaube ich, weil sie ihre Schwester und mich so heftig leiden sieht, ohne daß sie davon die Ursache erraten kann! – O, es ist das vernünftigste und gutherzigste kleine Ding! Der hartherzige Barbar! – Uns alle hat er zu Grunde gerichtet. O, meine armen Kinder! Ist dies der Lohn für alle meine Sorgen? Ist das die Frucht von allen meinen schönen Aussichten? Habe ich deswegen so unverdrossen jede Arbeit unternommen? jede Pflicht einer Mutter erfüllt? Bin ich deswegen für ihre Kindheit so bekümmert, so wachsam über ihre Erziehung gewesen? Hab' ich mir's deswegen viele Jahre lang so blutsauer werden lassen? mir selbst fast alle Bequemlichkeiten des Lebens versagt, um nur ein wenig für sie zusammenzusparen, daß ich eine, oder gar beide auf diese Weise verlieren soll?« – »In Wahrheit, Madame,« sagte Jones mit Thränen in den Augen, »ich bedaure Sie vom Grund meiner Seele.« – »O, lieber Herr Jones,« antwortete sie, »selbst Sie, ob ich gleich die Güte Ihres Herzens kenne, vermögen sich nicht vorzustellen was ich leide. Das beste, das liebevollste, das gehorsamste Kind! O, meine arme Nette, der Liebling meiner Seele, die Freude meiner Augen der Stolz meines Herzens! Ach, nur leider gar zu sehr mein Stolz! Denn diesen thörichten, ehrgeizigen Hoffnungen, die ich auf ihre Schönheit gründete, ihnen habe ich ihr Verderben zu danken. Leider sah ich mit Vergnügen[112] das Wohlgefallen, welches dieser junge Mensch an ihr fand! Ich hielt es für eine redliche Zuneigung und schmeichelte meiner närrischen Eitelkeit mit dem Gedanken, sie an einen Mann verheiratet zu sehen, der soweit an Stand und Vermögen über sie erhaben war. Und wohl tausendmal hat er in meiner Gegenwart, und selbst auch oft in der Ihrigen, sich Mühe gegeben, durch die gefühlvollsten Ausdrücke von uneigennütziger Liebe diese Hoffnungen zu erregen und zu bestärken, und immer richtete er solche Reden an mein armes Mädchen, und ich sowohl als sie hielten es treuherzig für Ernst. Wie konnte ich auch glauben, daß es bloß Schlingen wären, die er der Unschuld meines Kindes legte, und Fallstricke, uns alle ins Verderben zu ziehen? –« Bei diesen Worten kam die kleine Betti ins Zimmer gerannt und schrie: »Ach liebste Mama, um Gotteswillen! kommen Sie doch geschwind zur Schwester! Sie hat schon wieder einen Anfall und Kousine kann sie nicht mehr halten!« Madame Miller verfügte sich augenblicklich nach dem Hinterzimmer, befahl aber vorher der Betti, beim Herrn Jones zu bleiben und bat ihn, sie doch ein paar Minuten zu unterhalten, wobei sie mit höchstrührender Stimme sagte: »Gütiger Gott, laß mich doch wenigstens eins von meinen Kindern behalten!«

Jones that, um ihr Begehren zu erfüllen, alles was er konnte, um das kleine Mädchen zufriedenzusprechen, ob er gleich im Grunde durch der Madame Miller Geschichte selbst sehr weichmütig gemacht war. Er sagte zu ihr, ihre Schwester würde bald wieder recht gesund werden, sie würde, wenn sie immer so betrübt wäre und weinte, nicht nur ihre Schwester noch schlimmer, sondern auch ihre Mutter dazu krank machen. – »O, Herr Jones,« sagte sie, »ich will gerne nichts thun, das sie krank macht, recht gerne nichts thun! Ich will lieber mein Herz zerplatzen lassen, als daß sie mich sollen weinen sehen. – Aber meine arme Schwester kann es ja nicht sehen, daß ich weine. Ich bin nur bange, sie wird nicht wieder soweit kommen, daß sie mich wieder weinen sehen kann. Gewißlich, Herr Jones, ich kann Schwester nicht missen, gewißlich, ich kann es nicht. Und denn noch dazu meine arme Mutter, was wird denn aus der werden! – Sie sagt, sie will auch sterben, und dann ließe sie mich ganz allein. Aber das sollen Sie sehen, allein will ich nicht nachbleiben, gewißlich nicht.« – »Und fürchten Sie sich denn nicht vorm Sterben, meine kleine Bettchen?« sagte Jones. – »O ja!« antwortete sie, »mir ist immer angst gewesen vorm Sterben, weil ich meine Mutter und meine Schwester hätte verlassen müssen, aber ich fürchte mich nicht, mit hinzugehen wo sie hingehen, denn wir haben uns so lieb!«

Jones empfand ein solches Vergnügen über diese Antwort, daß er das Kind herzlich küßte, und bald darauf kam die Mutter wieder herein und sagte, sie danke dem Himmel, Nette sei wieder zu ihren Sinnen gekommen. »Und nun, Bettchen,« sagte sie, »kannst du wieder hineingehen, denn deine Schwester ist besser und verlangt nach dir.« Hiernächst wendete sie sich an Jones und machte von neuem Entschuldigungen, daß sie ihn um das Frühstück gebracht hätte.

[113] »Ich hoffe Madame,« sagte Jones, »ich werde ein viel schmackhafteres Mahl halten als Sie mir hätten vorsetzen können; das, versichre ich Sie, wird geschehen, wenn ich dieser kleinen, durch Liebe verbundenen Familie irgend einen Dienst leisten kann. Was aber immer der Erfolg meiner Unternehmungen sein mag, so bin ich entschlossen, den Versuch zu machen. Ich müßte mich gar sehr betrügen, wenn nicht Herr Nachtigall, ungeachtet alles dessen was vorgegangen ist, ebensowohl im Grunde sehr viele Güte des Herzens als eine sehr innige Liebe zu Ihrer Tochter haben sollte. Wenn ich mich aber nicht irre, so wird ihn, glaube ich, das Gemälde, das ich ihm unter die Augen stellen will, nicht wenig rühren. Suchen Sie sich selbst und Ihre Tochter Nanette so gut als möglich zu trösten, Madame. Ich will ohne Aufschub hingehen und Herrn Nachtigall aufsuchen und hoffe, Ihnen gute Nachricht zu bringen.«

Madame Miller fiel auf ihre Kniee und bat den Himmel, seinen besten Segen auf Jones herabzuschütten, wozu sie hernach noch die rührungsvollsten Ausdrücke der Dankbarkeit hinzufügte. Er ging darauf fort zum Herrn Nachtigall und die gute Frau kehrte wieder zu ihrer Tochter, ihr Trost zuzusprechen, welche sich bei dem, was ihre Mutter ihr hinterbrachte, ein wenig aufheiterte, und beide vereinigten sich im Loben und Preisen des Herrn Jones.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Unterredung zwischen den Herren Jones und Nachtigall.


Das Gute oder Böse, das wir andern erweisen, fällt sehr oft, glaube ich, wieder auf uns selbst zurück. Denn sowie Menschen von liebreicher Gemütsart bei ihren wohlthätigen Handlungen ebensoviel Freude empfinden als diejenigen, welchen sie erwiesen werden, so möchte es auch wohl schwerlich so durchaus teuflische Naturen geben, die fähig wären, andern Schaden und Beleidigungen zuzufügen, ohne sich selbst ein wenig durch die stechenden Vorwürfe zu peinigen, die ihnen ihr Gewissen über das Verderben macht, worin sie ihre Nebenmenschen gestürzt haben.

Daß wenigstens Herr Nachtigall nicht unter diese letzten gehörte, erhellt schon daraus, daß ihn Jones in seiner neuen Wohnung ganz melancholisch am Feuer sitzend fand, wo er die unglückliche Lage bejammerte, in welche er die arme Nette versetzt hatte. Er sah nicht so bald seinen Freund hereintreten, als er aufsprang, ihm entgegenkam und nach vielen Danksagungen zu ihm sagte: »Nichts in der Welt konnte mir gelegener kommen als dieser gütige Besuch! Denn in meinem Leben bin ich noch nicht so hypochondrisch gewesen!«

»Es thut mir leid,« antwortete Jones, »daß ich solche Zeitung bringe, die Sie dem Anscheine nach wohl schwerlich aufrichten dürfte, die vielmehr, wie ich überzeugt bin, Sie noch tiefer als alles übrige niederschlagen muß. Indessen ist es doch notwendig, daß Sie sie erfahren. Ohne weitere Umschweife also, ich komme zu Ihnen, Herr Nachtigall, von einer würdigen Familie, die Sie in großes Unglück [114] und Elend verwickelt haben.« Herr Nachtigall veränderte bei diesen Worten die Farbe, aber Jones, ohne darauf zu achten, fuhr auf die lebhafteste Weise fort, ihm die traurige Geschichte vor die Augen zu stellen, womit der Leser im vorigen Kapitel bekannt gemacht wurde.

Nachtigall hörte seine Erzählung an, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen, ob er gleich bei manchen Stellen heftige Gemütsbewegungen blicken ließ. Als sie aber geendigt war, sagte er nach einem tiefen Seufzer: »Was Sie mir da sagen, mein Freund, rührt mich auf die innigste Weise. Wahrlich, es war der verwünschteste Zufall, daß das Mädchen meinen Brief mußte bekannt werden lassen, sonst hätte ihr guter Name erhalten werden und die ganze Sache ein tiefes Geheimnis bleiben können. Alsdann hätte das Mädchen immer noch an einen braven Mann kommen können, denn es geschehen dergleichen Dinge mehr in dieser Stadt. Und wenn dann ja der Mann ein wenig argwöhnen sollte, wenn's zu spät ist, so verlangt es seine Klugheit, seinen Argwohn sowohl vor seinem Weibe als vor der Welt zu verbergen.«

»In der That, mein Freund,« antwortete Jones, »das hätte mit Ihrer armen Nanette nicht der Fall sein können, denn Sie haben ihr Herz so völlig gewonnen, daß es der Verlust ihres Geliebten und nicht der Verlust ihres guten Namens ist, worüber sie sich härmt, und welcher ihren eignen und den Untergang ihrer ganzen Familie nach sich ziehen wird.« – »O, was das anbelangt,« rief Nachtigall, »sie besitzt mein Herz so ungeteilt, daß mein Weib, wer es auch werden wird, nur sehr geringen Anteil daran bekommen wird.« – »Und ist es denn möglich,« sagte Jones, »daß Sie den Gedanken fassen können, sie zu verlassen?« – »Aber, was kann ich thun?« antwortete der andre. – »Fragen Sie Nanetten,« erwiderte Jones mit Lebhaftigkeit. »In den Umständen, worin Sie sie versetzt haben, ist es meine aufrichtige Meinung, daß es ihr zukomme, die Genugthuung zu bestimmen, die Sie ihr zu leisten haben. Das Wohl des Mädchens und nicht Ihr eignes ist das einzige, was Sie in Betrachtung ziehen müssen. Wenn Sie aber mich fragen, was Sie thun sollen,« sagte Jones, »was können Sie wenigeres thun, als die Erwartung des unschuldigen Mädchens und ihrer Familie erfüllen! Ja, ich muß es Ihnen aufrichtig sagen, auch meine Erwartungen waren es seit dem ersten Male, da ich Sie bei einander gesehen habe. Sie werden mir es verzeihen, wenn ich bei der Bewegung des Mitleidens gegen diese arme Familie das Recht der Freundschaft, womit Sie mich beehrt haben, ein wenig freimütig gebrauche, aber Ihr eignes Herz wird es Ihnen am besten sagen, ob es niemals Ihr Endzweck gewesen, Mutter und Tochter durch Ihre Aufführung zu der Meinung zu überreden, daß Sie ehrliche Absichten hätten? Und wenn dem also ist, wenn auch gleich kein ausdrückliches Eheversprechen geschehen wäre, so will ich es Ihrer eignen richtigen Beurteilung überlassen, wie weit Sie zu gehen verpflichtet sind?«

»Wahr ist's, ich muß nicht nur das eingestehn, worauf Sie [115] angespielt haben,« sagte Nachtigall, »sondern ich besorge, das erwähnte Eheversprechen hat gleichfalls stattgefunden.« – »Und können Sie dann, wenn Sie das eingestehn,« sagte Jones, »sich noch einen Augenblick bedenken?« – »Aber erwägen Sie doch, mein Freund!« antwortete der andre; »ich weiß, Sie sind ein Mann von Ehre und sind nicht fähig, jemandem etwas zu raten, das wider ihre Gesetze läuft; wenn auch keine andern Schwierigkeiten wären, kann ich, nachdem ihr Unfall öffentlich bekannt geworden ist, mit Ehren auf eine Heirat mit ihr denken?« – »Ohne allen Zweifel,« erwiderte Jones, »und zwar macht es Ihnen die beste, wahrste Ehre, welche in der Rechtschaffenheit besteht, zur Pflicht. Da Sie doch eine Bedenklichkeit dieser Art aufwerfen, so werden Sie mir Erlaubnis geben, sie zu untersuchen. Können Sie mit Ehren sich bewußt sein, unter falschen Vorspiegelungen ein junges Frauenzimmer und ihre Familie hintergangen und durch dieses Mittel hinterlistigerweise sie ihrer Unschuld beraubt zu haben? Können Sie mit Ehren der wissentliche, der vorsätzliche, ja ich muß noch hinzufügen, der listige Werkmeister des Verderbens eines menschlichen Wesens sein? Können Sie mit Ehren den guten Ruf, den Frieden, die Ruhe, ja wer weiß, selbst das Leben und die Seele sogar dieses menschlichen Wesens vernichten? Kann die Ehre bei dem Gedanken bestehen, daß dieses Wesen ein zartes, hilfloses, wehr- und schutzloses junges Frauenzimmer ist? Ein junges Frauenzimmer, das Sie so inniglich liebt, für Sie stirbt, die in Ihr Versprechen das grenzenloseste Vertrauen gesetzt und diesem Vertrauen alles aufgeopfert hat, was ihr teuer und wert ist? Kann die Ehre dergleichen Erinnerungen nur einen Augenblick aushalten?«

»Der schlichte Menschenverstand,« sagte Nachtigall, »billigt alles, was Sie sagen; aber Sie wissen es, die Meinung der Welt ist so sehr dawider, daß wenn ich eine Hure heiratete, und wär' es auch meine eigne, ich mich schämen müßte, jemals mein Angesicht wieder sehn zu lassen.«

»Pfui, pfui, Herr Nachtigall!« sagte Jones, »nennen Sie sie nicht bei einem so lieblosen Namen! Als Sie ihr die Ehe versprachen, da ward sie Ihre Frau, und sie hat nicht sowohl gegen die Tugend, als gegen die Klugheit gesündigt. Und woraus besteht diese Welt, der Sie sich Ihr Angesicht wieder zu zeigen schämen würden, anders als aus einem Haufen niederträchtiger, thörichter, liederlicher Menschen? Verzeihen Sie mir's, wenn ich sage, eine solche Scham muß sich auf falsche Bescheidenheit gründen, welche immer der falschen Ehre als ihr Schatten nachfolgt. – Aber ich bin versichert, kein Mensch von gesunder Vernunft und Rechtschaffenheit ist auf der ganzen Welt, der die Handlung nicht billigen und ehren wird. Aber gesetzt, auch niemand thät' es, würde Ihr eignes Herz, mein Freund, Ihnen Beifall geben? Und sind denn die warmen, herzerhebenden Empfindungen, die wir beim Bewußtsein einer gerechten, edlen, großmütigen, wohlthätigen Handlung fühlen, der Seele nicht unendlich angenehmer, als der unverdiente Ruhm von Millionen anderer Menschen? Setzen Sie das Für und Wider einmal ganz [116] unparteiisch auseinander. Auf der einen Seite betrachten Sie dieses arme, unglückliche, zarte, verdachtlose Mädchen in den Armen ihrer jammernden Mutter, wo sie den letzten Atem aushaucht; hören Sie, wie ihr brechendes Herz mit dem letzten Schlage noch Ihren Namen seufzt, und die Grausamkeit, die es durchbohrte, mehr bedauert, als anklagt; stellen Sie Ihrer Einbildung die Lage ihrer zärtlich liebenden, verzweiflungsvollen Mutter vor, die durch den Verlust ihrer liebenswürdigen Tochter ihrer Sinne, ja vielleicht ihres Namens beraubt wird; betrachten Sie das arme, hilflose, verwaiste Kind; und wenn Ihre Seele einen Augenblick allein über diesen Bildern geschwebt hat: so werfen Sie den Blick zurück auf sich selbst, als die Ursache von allem, als den Verderber dieser kleinen, armen, würdigen und wehrlosen Familie. Auf der andern Seite denken Sie sich selbst, als den Mann, der sie aus dem vorübergehenden Jammer errettet; denken Sie sich's, mit welcher Freude, mit welchem Entzücken das liebenswürdige Geschöpf in Ihre Arme eilen wird; sehen Sie, wie ihr Blut wiederkehrt auf ihre blassen Wangen, ihr Feuer in ihre verschmachteten Augen, und taumelnde Freude in ihre gequälte Brust; hören Sie den Jubel ihrer Mutter, sehen Sie die Seligkeit aller; denken Sie sich diese ganze Familie unsäglich glücklich gemacht durch eine einzige Ihrer Handlungen. Bedenken Sie das eine und das andere, und wahrhaftig! ich müßte mich in meinem Freunde sehr irren, wenn er lange zu überlegen brauchte, ob er diese Bedauernswürdigen ein für allemal niederwerfen, oder durch eine großmütige, edle Entschließung alle aus dem Abgrunde des Verderbens und der Verzweiflung zum höchsten Gipfel menschlicher Glückseligkeit emporheben will. Fügen Sie zu diesem nur noch eine Betrachtung hinzu, die Betrachtung, daß es Ihre Pflicht ist, das Letzte zu thun – daß das Elend, aus welchem Sie diese armen Menschen retten werden, eben das Elend ist, welches Sie mit Bedacht und Fleiß selbst über sie gebracht haben.«

»O, mein theuerster Freund!« rief Nachtigall, »es braucht Ihrer Beredsamkeit nicht, um meine Seele zu erwecken. Ich bedaure meine Nette vom Grunde der Seele, und gäbe gern alles in der Welt drum hin, daß gewisse Vertraulichkeiten nicht unter uns vorgegangen sein möchten. Ja, glauben Sie mir, ich habe sogar manchen Kampf mit meiner Liebe halten müssen, bevor ich's habe über mich selbst erhalten können, ihr diesen grausamen Brief zu schreiben, welcher alles das Elend in dieser unglücklichen Familie hervorgebracht hat. Wenn ich keine andern als meine eignen Neigungen um Rat zu fragen brauchte, morgen am Tage ließ ich mir sie antrauen; das thät ich, beim Himmel! Aber Sie werden sich's leicht einbilden, wie unmöglich es sein würde, meines Vaters Einwilligung zu einer solchen Heirat zu erhalten; dazu hat er noch eine andere für mich ausgesucht; und morgen schon soll ich, auf seinen ausdrücklichen Befehl, dieser Braut meine Aufwartung machen.«

»Ich habe nicht die Ehre Ihren Herrn Vater zu kennen!« sagte Jones; »aber lassen Sie uns einmal setzen, man könnte seine Einwilligung erhalten, würden Sie alsdann nichts weiter einwenden, [117] diese armen Leute bei Glück und Ehre zu erhalten?« – »So wenig, als ich mein höchstes Glück von mir stoßen wollte,« antwortete Nachtigall; »denn das kann ich doch bei keinem andern Frauenzimmer mehr finden. O, mein teuerster Freund, könnten Sie sich denken, was ich seit zwölf Stunden für mein armes Mädchen gelitten habe, ich weiß, sie würde nicht die einzige sein, für die Sie Mitleiden empfänden. Schon die Liebe allein führt mich hin zu ihr; und wenn ich noch einige thörichte Bedenklichkeiten hätte, so haben Sie dieselben völlig gehoben. Könnte mein Vater dahin gebracht werden, meinen Wünschen nachzugeben, so fehlte in der Welt nichts weiter, meine eigne Glückseligkeit und die Zufriedenheit meiner Nette so vollkommen zu machen als möglich.«

»Nun, wenn's nur daran liegt,« sagte Jones, »so will ich den Versuch über mich nehmen. Sie müssen mir nicht böse drüber werden, in was für einem Lichte ich nötig finden mag, die Sache vorzustellen, welche, wie Sie leicht erachten können, ohnehin nicht lange vor ihm verborgen bleiben würde; denn solche Dinge, wie diese, wenn sie einmal, wie hier unglücklicherweise geschehen ist, nur außer dem Hause gesagt sind, verbreiten sich schnell umher. Dazu kommt, daß, wenn ein Unglück daraus entstehen sollte, wie ich wahrhaftig glaube, daß geschehen mag, wenn man ihm nicht bald zuvorkommt, Ihr Name auf eine solche Art im Publikum ertönen würde, daß es Ihren Vater außerordentlich kränken müßte, wenn er nur noch einen Funken menschliches Gefühl hat. Wenn Sie mir also sagen wollen, wo ich den alten Herrn finden kann, so will ich keinen Augenblick versäumen, das Geschäft einzuleiten, und während ich damit beschäftigt bin, können Sie selbst nichts großmütigeres thun, als das arme Kind besuchen. Sie werden dann finden, daß ich in Beschreibung des Jammers dieser Familie nichts übertrieben habe.«

Nachtigall willigte ohne Widerrede in diesen Vorschlag, und nachdem er Herrn Jones die Behausung seines Vaters und das Kaffeehaus angezeigt hatte, wo er ihn vermutlich finden würde, bedachte er sich ein wenig, und sagte dann: »Mein liebster Jones, Sie gehen hin, etwas Unmögliches zu unternehmen. Wenn Sie meinen Vater kennten, so würden Sie sich's nicht getrauen, seine Einwilligung zu erhalten. – Doch warten Sie! – Eins möchte gehen. – Wie wär's, wenn Sie ihm sagten, ich wäre bereits verheiratet? Es möchte leichter sein, ihn mit einer geschehenen Sache auszusöhnen! Und, auf meine Ehre, ich bin von dem, was Sie mir gesagt haben, so innig gerührt und habe meine Nette so herzlich lieb, daß ich fast wünsche, es wäre geschehen, möchte doch hernach daraus entstehen, was da wollte.«

Jones gab diesem Winke seinen herzlichen Beifall und versprach, ihn bestens anzuwenden. Sie gingen hierauf auseinander: Nachtigall, seine Nanette zu besuchen, und Jones nach dem alten Vater.

Achtes Kapitel
[118] Achtes Kapitel.

Was zwischen Jones und dem alten Herrn Nachtigall vorfiel; nebst der Ankunft einer Person, die in dieser Geschichte noch nicht genannt ist.


Ungeachtet der Meinung des römischen Satirenschreibers, welcher Fortunen die Gottheit ableugnet, und ungeachtet eben der Meinung des Seneka, behauptet Cicero (der nach meinem Dafürhalten ein weiserer Mann war als beide), ausdrücklich das Gegenteil. Und gewiß ist es, im menschlichen Leben fallen so sonderbare, unbegreifliche Dinge vor, daß man geneigt wird zu glauben, es gehöre mehr dazu als menschliche Geschicklichkeit und Voraussicht, um sie hervorzubringen.

Von dieser Art war das, was jetzt unserm Herrn Jones begegnete, welcher den alten Herrn Nachtigall in einer solchen kritischen Minute antraf, daß Fortuna, wenn sie auch wirklich alle die göttliche Verehrung, die ihr zu Rom widerfuhr, völlig verdiente, keine andre ähnliche hätte erkünsteln können. Kurz, der alte Herr, und der Vater des jungen Frauenzimmers, das er für seinen Sohn bestimmte, waren einige stundenlang hart aneinander gewesen; und der letzte war jetzt eben weggegangen, und hatte den ersten in dem süßen Gedanken zurückgelassen, er habe in dem langen Dingen und Handeln zwischen den beiden Vätern des Bräutigams und der Braut den gewünschten Vorteil erhalten; ein Handel, bei welchem beide einander zu übervorteilen trachteten, und, wie es bei solchen Fällen nicht selten zu geschehen pflegt, den jeder mit der innigen Ueberzeugung geschlossen hatte, der Sieg sei auf seiner Seite.

Dieser Herr, den unser Jones jetzt besuchte, war, wie man's zu nennen pflegt, ein Weltmann; das will so viel sagen, als ein Mann, der seine Aufführung in dieser Welt so eingerichtet, wie jemand, der in der völligen Ueberzeugung, daß es keine zukünftige gibt, von der gegenwärtigen allen Nutzen ziehen will, den er nur immer ziehen kann. In seinen frühern Jahren hatte er Handelsgeschäfte getrieben, und nachdem er ein sehr ansehnliches Vermögen zusammengebracht, hatte er vor kurzem den Handel aufgegeben; oder um richtiger zu sprechen, er hatte sein Gewerbe mit Waren gegen Geschäfte mit barem Gelde vertauscht, wovon er beständig einen großen Vorrat zur Nachfrage in Bereitschaft liegen hatte, und wovon er sehr gut die höchsten Prozente zu machen verstand, zuweilen bei Verlegenheiten von Privatpersonen, und zuweilen auch bei Geldmangel des Staats. Er hatte sich dergestalt mit dem Gelde abgegeben, daß man fast zweifeln kann, ob er glaubte, daß außer diesem noch etwas wirkliches in der Welt vorhanden sei; soviel kann man wenigstens kühn behaupten, daß, nach seiner festen Ueberzeugung, sonst nichts einen wahren Wert habe.

Der Leser wird mir, denk' ich, zugeben, daß Fortuna keinen unschicklichern Mann für Herrn Jones hätte auftreiben können, um ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit eines guten Erfolgs anzugreifen, oder daß diese schäkerhafte Dame diesen Angriff hätte in eine ungelegenere Zeit spielen können.

[119] Weil demnach Geld immer das erste war, was diesem Herrn in den Gedanken obenan schwebte, so kam ihm auch, sobald er einen Fremden in seiner Wohnung erblickte, alsobald in den Sinn, ein solcher Fremder müsse gekommen sein, entweder um ihm Geld zu bringen, oder welches von ihm zu holen. Und je nachdem ihm eins oder das andere wahrscheinlicher vorkam, faßte er auch eine günstige oder ungünstige Meinung von der Person, die sich ihm nahte.

Zum Unglück für Jones hatte jetzt das Letzte das Uebergewicht, denn weil ihn den Tag vorher ein junger Herr besucht hatte, um ihm einen Wechsel über eine Spielschuld seines Sohnes zu präsentieren, so besorgte er gleich beim Anblick des Herrn Jones, er möchte mit einem solchen zweiten Papierchen angestochen kommen. Jones hatte ihm also kaum gesagt, daß er von seinem Sohne käme, als der in seinem Argwohn bestärkte alte Herr in eine Ausrufung aus brach: er gäbe sich unnütze Mühe! »Ist es denn möglich, mein Herr,« antwortete Jones, »daß Sie mein Anbringen erraten können?« – »Raten hin, raten her!« versetzte der Alte, »ich sag's noch einmal, der Herr gibt sich vergebliche Mühe! Was? Ich glaube, der Herr ist einer von den hübschen Zeisigen, die meinen Sohn zu dem Demmen und Schlemmen verführen, das ihn Fallit machen wird. Aber weder Wechsel noch Assignationen von ihm werd' ich mehr honorieren, das protestier' ich. Ich hoffe, er wird inskünftige alle solche Maskopeischaften aufkündigen, oder – wenn 'ch das nicht erwartete, wollt' ich keine Frau für ihn ausgesucht haben; denn ich mag nicht behilflich sein, jemand zu ruinieren.« – »Wie, mein Herr,« sagte Jones, »so hatten Sie diese Braut selbst für ihn ausgesucht?« – »Herr,« sagt der andre, »darf ich bitten zu wissen, was Sie die ganze Sache angeht?« – »O, mein teurer Herr Nachtigall,« erwiderte Jones, »nehmen Sie es nicht ungütig, daß ich vielen Teil an alle demjenigen nehme, was das Glück Ihres Sohnes betrifft, den ich so sehr ehre und wertschätze. Eben in dieser Angelegenheit bin ich hergekommen, Ihnen meine Aufwartung zu machen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich über die Nachricht freue, die ich da von Ihnen vernehme; denn ich versichre Sie, Ihr Sohn ist ein Mann, den ich außerordentlich hochschätze. – Ja, ich kann Ihnen auch schwerlich sagen, wie große Hochachtung ich für Sie selbst hege, das Sie so großmütig, so edel, so gütig, so nachsichtig sind, eine solche Verbindung für Ihren Sohn zu treffen, – ein Frauenzimmer, das ihn, ich darf es schwören, zum glücklichsten Mann auf dem Erdboden machen wird.«

Ich wüßte kaum noch etwas, das die Menschen so fügsam unserm Wohlwollen empföhle, als wenn wir bei ihrem ersten Anblick etwas von ihnen gefürchtet haben. Wenn diese Besorgnis anfängt zu verschwinden, so vergessen wir bald die Furcht, die sie veranlaßte, und die Beruhigung, die wir darauf empfinden, meinen wir dann gerade den Personen zu verdanken zu haben, welche uns zuerst die Furcht einflößten.

So ging's dem alten Nachtigall, welcher nicht so bald merkte, [120] daß Jones keine Forderung brächte, wie er besorgt hatte, als es ihm in seiner Gegenwart recht wohl ward. »Mein lieber Herr, ich bitte,« sagte er, »belieben Sie sich doch zu setzen! Ich erinnere mich nicht, daß ich schon das Vergnügen gehabt hätte, Sie zu sehen. Aber, wenn Sie ein Freund von meinem Sohn sind und mir etwas zu sagen haben, was das junge Frauenzimmer angeht, so werde ich Sie mit Vergnügen anhören. Was das anlangt, daß sie ihn glücklich machen wird, so wirds nur an ihm liegen, wenn sies nicht thut. Ich habe das meinige gethan und habe für die Hauptsache gesorgt. Sie bringt ihm so viel zu, als nötig ist, einen jeden vernünftigen, klugen und verständigen Mann glücklich zu machen.« – »Das hat keinen Zweifel,« rief Jones, »denn sie ist selbst ein großer Schatz; so schön, so artig, von so sanftem Gemüt und von so guter Erziehung; sie ist wirklich ein Frauenzimmer von vielen Talenten, singt vortrefflich und spielt das Klavier mit Fertigkeit und Geschmack.« – »Von alle dem habe ich kein Wort gewußt,« antwortete der alte Herr; »denn gesehen habe ich die Braut mit keinem Auge, aber sie gefällt mir wegen dessen, was Sie da sagen, nicht übel, und am Vater gefällt mir's sehr wohl, daß er kein groß Aufhebens beim Kontrakte von diesen Eigenschaften gemacht hat. Daraus sieht man doch, daß er ein recht verständiger Mann ist. Ein einfältiger Kerl wäre kapabel gewesen, alle diese Artikel zu Gelde zu rechnen und in der Mitgabe mit anzuschlagen. Nein, das muß ich ihm ehrlich nachsagen, erwähnt hat er nicht einmal all' der Dinge und sie gehören doch gewiß beim Frauenzimmer nicht unter Tara und Rabatt.« – »Ich versichre, mein Herr,« sagte Jones, »sie besitzt diese Eigenschaften alle in einem sehr hohen Grade. Indessen glaubte ich meinerseits, Sie möchten einige kleine Einwendungen gehabt haben und der Partie nicht so recht geneigt gewesen sein, denn Ihr Sohn sagte mir, Sie hätten das Frauenzimmer niemals gesehn oder gesprochen, und deßwegen kam ich her, wenn das gewesen wäre, Sie zu bitten, zu beschwören, wenn Ihnen das Glück Ihres Sohnes teuer wäre, der Verbindung mit einem Frauenzimmer nicht entgegen zu sein, die nicht nur alle diejenigen guten Eigenschaften besitzt, deren ich erwähnt habe, sondern noch weit mehrere.« – »Wenn das Ihr Gewerbe war,« sagte der Alte, »so sind wir Ihnen beide sehr verbunden, und Sie können völlig ruhig sein; denn ich versichre Sie, ich war mit ihrer Mitgabe ganz wohl zufrieden.« – »Mein Herr,« antwortete Jones, »ich schätze Sie von Minute zu Minute immer höher. Sich so leicht befriedigen zu lassen, so mäßig zu sein über diesen Punkt, das ist ein Beweis von der Richtigkeit Ihres Verstandes sowohl, als von dem Adel Ihrer Seele.« – »Nu, so sehr mäßig, mein lieber junger Herr,« antwortete der Vater, »so entsetzlich mäßig bin ich doch nun auch eben nicht!« – »Immer edler,« erwiderte Jones. »Immer edler! und erlauben Sie mir hinzuzufügen, immer verständiger! Denn am Ende ist es freilich nicht viel weniger als barer Unsinn, das Geld für den einzigen Grund aller Glückseligkeit zu halten. Ein Frauenzimmer wie dieses mit ihrer geringen, oder eigentlich gar keiner Mitgabe[121] –« – »Ich finde,« rief der alte Herr, »Sie haben eine feine, richtige Idee vom Gelde! Oder Sie sind auch besser mit der Person, als mit ihren Vermögensumständen bekannt! Wie viel meinen Sie wohl, daß der Brautschatz beträgt?« – »Brautschatz!« sagte Jones; »nun, zu wenig, um für einen Mann, wie Ihren Sohn, den Namen zu verdienen.« – »Nu, nu, nu'« sagte der andre, »vielleicht hätte er eine bessre Partie thun können.« – »Das läugn' ich,« sagte Jones; »denn sie ist eins der besten Frauenzimmer.« – »Nichts darwider!« antwortete der andre. »Ich meine aber nur an Geld und Barschaften! – Und dennoch auch daran; wie viel meinen Sie wohl, daß sie Ihrem Freunde zubringt?« – »Wie viel?« rief Jones, »wie viel? Nun aufs höchste, vielleicht ein paar hundert Pfund Sterling.« – »Wollen Sie mich foppen, junger Herr?« sagte der Alte ein wenig krausstirnig. – »Nein, wahrhaftig nicht!« antwortete Jones. »Es ist mein Ernst; ja, ich glaube, ich habe eher zu viel gesagt als zu wenig. Wenn ich die Braut für zu arm halte, so bitte ich Sie um Verzeihung.« – »In der That, das thun Sie!« rief der Vater. »Ich weiß besser, daß sie über fünfzigmal so viel hat, und sie muß erst noch fünfzigmal so viel aufblechen, ehe ich einwillige, daß sie meinen Sohn heiratet.« – »Ja, nun aber,« sagte Jones, »es ist zu spät vom einwilligen zu sprechen, nunmehr – Wenn sie auch keine fünfzig Groschen hat, Ihr Sohn ist verheiratet.« – »Mein Sohn verheiratet!« antwortete der Alte mit Erstaunen. – »Je nun,« sagte Jones, »ich dachte, das wüßten Sie schon.« – »Mein Sohn verheiratet, mit Mademoiselle Harris!« antwortete er abermals. – »Mit Mademoiselle Harris?« sagte Jones. »Nein, mein Herr, mit Mademoiselle Nanette Miller, Tochter der Madame Miller, in deren Hause er Zimmer bewohnte; ein junges Frauenzimmer, welche, ungeachtet daß ihre Mutter Zimmer vermieten muß ...« – »Ist das Fopperei oder ists Ernst?« schrie der Vater in einem sehr feierlichen Tone. – »Mein Herr,« antwortete Jones, »Fopperei ist meine Sache gar nicht. Ich bin in dem ernsthaftesten Vorsatze zu Ihnen gekommen, weil ich dachte und wie ich jetzt wahr finde, daß Ihr Herr Sohn es nicht gewagt haben möchte, Ihnen eine Verbindung bekannt zu machen, die in Ansehung des Geldes so weit unter ihm ist; die aber der gute Name des Frauenzimmers nicht länger als ein Geheimnis dulden kann.«

Unterdessen daß noch der Vater da stand als einer, den eine Hiobspost der Sprache beraubt hat, trat ein Herr ins Zimmer, der ihn mit dem Brudernamen begrüßte.

Aber, obgleich diese beiden Männer dem Blute nach so nahe verwandt waren, so waren sie doch den Gesinnungen nach, so zu sagen, wahre Gegenfüßler. Der Bruder, welcher eben anlangte, hatte gleichfalls Handel getrieben; aber er hatte nicht so bald gefunden, daß er etwa 6000 Pfund verdient hatte, als er sich ein kleines Landgut kaufte, wohin er zu wohnen zog, die Tochter eines unbemittelten Landgeistlichen, ein junges Frauenzimmer heiratete, die zwar weder schön noch reich war, seine Wahl aber durch eine außerordentlich lustige und fröhliche Gemütsart auf sich lenkte.

[122] Mit dieser Gattin hatte er fünfundzwanzig Jahre hindurch ein Leben geführt, das mehr Aehnlichkeit mit jenen Zeiten hatte, welche gewisse Poeten für das goldne Alter ausgeben wollen, als mit dem unsrigen. Er hatte von ihr vier Kinder, wovon aber nur eins bis zu reifen Jahren gelangte, das er und seine Frau nach der gemeinen Redensart verzogen, das heißt mit der äußersten Liebe und Sorgfalt erzogen hatten; welche Liebe und Sorgfalt sie zu einem solchen Grade erwiderte, daß sie wirklich schon eine äußerst vorteilhafte Heirat mit einem Herrn von etwas über vierzig Jahr alt ausgeschlagen hatte, weil sie es nicht über ihr Herz bringen konnte, sich von ihren geliebten Eltern zu trennen.

Das junge Frauenzimmer, welches Herr Nachtigall für seinen Sohn bestimmt hatte, war eine nahe Nachbarin von seinem Bruder, und eine Bekannte von seiner Nichte, und eigentlich war es die bevorstehende Heirat, welche den Bruder jetzt zur Stadt gebracht hatte; freilich gerade eben nicht, um solche zu befördern, sondern seinem Bruder einen Plan aus dem Sinne zu reden, der nach seiner Einsicht zum gänzlichen Verderben seines Neffen ausschlagen müßte. Denn andre Folgen sah er von der Verbindung der Mademoiselle Harris nicht, ungeachtet der ansehnlichen Größe ihres Vermögens, weil weder ihre Person noch ihre Gemütsbeschaffenheit nach seiner Meinung eben eine eheliche Glückseligkeit erwarten ließ; denn sie war sehr lang, sehr schmächtig, sehr häßlich, sehr geziert, sehr einfältig und sehr boshaft.

Sein Bruder erwähnte also nicht so bald der Heirat seines Neffen mit Mademoiselle Miller, als er darüber eine herzliche Freude bezeigte, und nachdem der Vater seinen Sohn bitterlich heruntergerissen und das Urteil des Bettelngehens über ihn ausgesprochen hatte, ließ sich der Oheim folgendergestalt vernehmen:

»Wenn du ein bißchen kälter wärst, Bruder, so würde ich dich fragen, ob du deinen Sohn seinetwegen oder deiner selbst wegen liebst. Du würdest mir vermutlich antworten und ich vermute, du meinst es: Seinetwegen! Und ohne Zweifel meinst du durch die Heirat, die du für ihn ausgemacht hast, sein Glück zu befördern.

Nun aber, lieber Bruder, ist mir das Regeln geben für andrer Menschen Glückseligkeit noch immer als etwas sehr einfältiges vorgekommen, und das Bestehen auf diesen Regeln als sehr tyrannisch. Der Irrtum ist sehr gewöhnlich; aber bei alle dem bleibt's doch immer ein Irrtum, und wenn es bei andern Fällen einfältig ist, so ist es sogar völlig dumm beim heiraten, wobei die Glückseligkeit ganz allein von der gegenseitigen Neigung abhängt, welche die Verlobten gegeneinander tragen.

Ich habe es deßwegen beständig für sehr unvernünftig von den Eltern gehalten, wenn sie bei dieser Sache anstatt der Kinder haben wählen wollen, weil es unmöglich ist, die Neigung der Menschen mit Gewalt zu zwingen; ja, die Liebe flieht dergestalt allen Zwang, daß sie nicht einmal weiß, ob sie nicht vermöge einer unglücklichen aber unheilbaren Verkehrtheit unsrer Natur sich sogar gegen die Ueberredung empört und auflehnt.«

[123] »Und dabei ist freilich auch immer so viel wahr, daß, obgleich der Vater nicht wird vorschreiben wollen, wenn er klug ist, man ihn doch nach meiner Meinung bei dieser Gelegenheit auch fragen müsse und er nach aller Billigkeit wenigstens ein verneinendes Votum haben sollte. Ich gestehe also, daß mein Neffe, da er sich verheiratet hat, ohne dich um Rat zu fragen, einen Fehler begangen hat. Aber ganz ehrlich gesprochen, Bruder, bist du an diesem Fehler nicht selbst ein wenig schuld? Haben ihm nicht deine oft wiederholten Erklärungen über diesen Punkt die moralische Gewißheit gegeben, daß du nicht einwilligen werdest, wo es an Reichtum fehlte? Und sage nur, dein ganzer jetziger Aerger, woher kommt er? Ist's nicht bloß der Abgang des Vermögens, der dich in Harnisch jagt? Und, wenn er nun auch gegen den kindlichen Gehorsam gesündigt hätte, hast du denn nicht auch dein väterliches Ansehn viel zu hoch gespannt, da du ihn ohne sein Wissen an eine Frau ordentlicherweise verhandeltest, die du selbst nie gesehen hast? Und hättest du sie gesehn und so gut gekannt, wie ich sie kenne, so wäre es Raserei von dir gewesen, nur jemals daran zu denken, sie in deine Familie zu bringen.

Bei alledem gestehe ich, daß mein Neffe gefehlt hat. Aber ein unverzeihlicher Fehler ist es gewiß auch nicht. Er hat in einer Angelegenheit ohne deine Einwilligung gehandelt, wobei er solche hätte begehren sollen. Es ist aber auch eine Angelegenheit, die hauptsächlich ihn selbst und sein eignes Wohlsein betrifft. Du mußt und wirst zugeben, daß du bloß auf sein Wohl sahst, und wenn er nun unglücklicherweise von dir verschieden denkt und in seinen Begriffen von Glückseligkeit geirrt hat, willst du deswegen, Bruder, wenn du deinen Sohn liebst, ihn immer weiter ins Unglück bringen? Willst du die übeln Folgen seiner einfältigen Wahl noch vermehren? Willst du mit allem Fleiße eine Heirat gewiß unglücklich machen, die es zufälligerweise werden könnte? Mit einem Worte, Bruder, willst du seine Umstände deswegen so kümmerlich machen als du kannst, weil er nicht in deiner Gewalt gelassen hat, sie so wohlhabend zu machen, als du wolltest?«

Durch die Kraft des wahren katholischen Glaubens wirkte der heilige Antonius mit seiner Predigt auf die Fische; Orpheus und Amphion triebens ein wenig weiter und setzten durch die Zaubergewalt der Musik unbeseelte Dinge in Bewegung. Wunderwerke beides! Aber weder Geschichte noch Fabel haben von jemanden ein Beispiel aufbewahrt, der durch Gründe über eingewurzelten Geiz zu siegen vermocht hätte.

Herr Nachtigall, der Vater, anstatt es nur zu versuchen, seinem Bruder zu antworten, begnügte sich bloß damit, daß er sagte, sie wären über ihre Kinderzucht niemals einerlei Meinung gewesen. »Ich wünschte, Bruder,« sagte er, »du hättest es damit gut sein lassen, daß du dich um deine eigne Tochter bekümmertest und hättest dir niemals mit meinem Sohne die geringste Mühe gegeben, der, wie ich glaube, ebensowenig durch deine Lehren, als durch deine Beispiele viel gewonnen hat.« Denn der junge Nachtigall war von [124] seinem Oheim aus der Taufe gehoben und hatte sich mehr bei diesem, als bei seinem Vater aufgehalten, daß sonach der Onkel oft erklärt hatte, er habe seinen Neffen fast ebenso lieb, als seine eigne Tochter.

Jones war ganz entzückt über diesen herrlichen Mann, und als sie fanden, daß der Vater, anstatt sich besänftigen zu lassen, nur immer noch mehr aufgebracht wurde, so führte Jones den Oheim zu seinem Neffen nach Madame Millers Hause.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Enthält wunderliche Dinge.


Bei der Ankunft in seinen Zimmern fand Jones die Lage der Sachen ganz verschieden von der, in welcher sie bei seinem Weggehen gewesen war. Die Mutter, die beiden Töchter und der junge Nachtigall hatten sich miteinander zum Abendessen niedergesetzt, als der Oheim auf sein eignes Begehren ohne alle Umstände zur Gesellschaft geführt wurde, die er alle persönlich kannte, weil er seinen Neffen, während er hier im Hause wohnte, verschiedene Male besucht hatte.

Der alte Herr ging gerade auf Mademoiselle Nette zu, küßte sie, und wünschte ihr Glück; ebenso machte er's hernach mit der Mutter und mit der jüngsten Schwester, und zuletzt stattete er auch bei seinem Neffen die gewöhnlichen Komplimente ab, und war dabei ebenso munter und höflich, als ob sein Neffe eine Person geheiratet hätte, die ebenso reich wie er selbst, oder noch reicher gewesen, und als ob alles in der gewöhnlichen und hergebrachten Ordnung geschehen wäre.

Mamsell Nette und ihr vorgegebener Ehemann wurden blaß und sahen bei dieser Gelegenheit fast ein wenig einfältig aus, allein Madame Miller nahm den ersten besten Anlaß wahr, hinauszugehen, und nach dem sie Herrn Jones hatte zu sich in den Saal bitten lassen, warf sie sich ihm zu Füßen und nannte ihn, unter einer heißen Flut von Thränen, ihren Engel, den Retter ihrer kleinen Familie, nebst noch vielen andern Ehre und Liebe ausdrückenden Benennungen und bezeigte ihm jede Erkenntlichkeit, welche die höchste Wohlthat aus dem dankbarsten Herzen erpressen kann.

Nachdem sich die heftigste Wallung ihrer Dankbarkeit ein wenig gelegt hatte, die ihr, wie sie sagte, das Herz zersprengt haben würde, wenn sie solcher nicht ein wenig Luft geschafft hätte, fing sie an, Herrn Jones zu benachrichtigen, daß zwischen Herrn Nachtigall und ihrer Tochter alles gehörig verabredet worden, und daß sie des nächsten Morgens würden getraut werden. Als hierüber Jones seine große Freude bezeigt hatte, geriet die arme Frau abermals in eine Anwandlung von Freude und Danksagung, die er endlich mit vieler Schwierigkeit zum Schweigen brachte, und Madame Miller beredete, daß sie mit ihm wieder zur Gesellschaft kehren mußte, die [125] sie noch in eben der fröhlichen Stimmung fanden, in welcher sie solche verlassen hatten.

Diese kleine Gesellschaft brachte nun zwei oder drei sehr angenehme Stunden miteinander hin, während welcher der Onkel, der eine große Liebe zu seiner Flasche trug, seinen Neffen so wacker zugedeckt hatte, daß dieser zwar nicht betrunken war, aber sich doch ziemlich weinselig fühlte. Und jetzt nahm Herr Nachtigall den alten Herrn mit sich hinauf auf die Zimmer, die er vor kurzem bewohnt hatte, und öffnete ihm sein ganzes Herz wie folgt:

»Da Sie beständig gegen mich der beste und gütigste Onkel gewesen sind und mir diese unvergleichbare Güte noch dadurch gezeigt haben, daß Sie mir diese Verbindung verzeihen, welche man freilich für etwas unüberlegt halten kann, so könnte ich mir es niemals verzeihen, wenn ich suchen sollte Sie zu hintergehn.« Hierauf bekannte er die Wahrheit und legte ihm die ganze Sache offen vor die Augen.

»Wie, Jaköbchen?« sagte der alte Herr, »bist also wirklich mit dem Mädchen noch nicht getraut?« – »Nein, auf meine Ehre! noch nicht,« antwortete Nachtigall. »Ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt.« – »Mein liebster Junge,« schrie der Onkel und umhalste und küßte ihn, »es ist mir herzlich lieb, daß ich das höre. In meinem Leben hat mich nichts so sehr gefreut. Wärst du getraut gewesen, ich hätte dir nach allem Vermögen beigestanden, um die Sache so gut ins feine zu bringen, als sich's hätte wollen thun lassen; aber 's ist ein großer Unterschied, wie man eine Sache nimmt, die schon unwiderruflich geschehen ist, und eine solche, die erst geschehen soll. Laß deine Vernunft sprechen, wie sich's gehört, so wirst du diese Heirat so dumm und thöricht finden, daß ich keine Gründe anzuführen brauche, um dir davon abzuraten.« – »Wie, lieber Onkel,« versetzte der junge Nachtigall, »bleibt auch dieser Unterschied noch, wenn man eine Handlung bereits gethan hat, oder nach der Ehre verbunden ist sie zu thun?« – »Pah!« sagte der Onkel, »die Ehre ist ein Machwerk der Welt und die Welt hat darüber die Macht eines Schöpfers, und kann sie regieren und dirgieren wie sie will. Nun weißt du wohl, wie wenig man sich draus macht, dergleichen Kontrakte zu brechen. Ein oder ein paar Tage spricht man davon, wenn's dabei recht arg gemacht ist, man wundert sich drüber, und damit ist's vorbei. Meinst du, daß sich deswegen hernach ein Mann das geringste Bedenken machen wird, dir seine Tochter oder Schwester zu geben? Oder daß es Schwestern oder Töchter gäbe, die deswegen anstehen würden, dich zu nehmen? Die Ehre hat mit solchen Zusagen nichts zu thun.« – »Verzeihen Sie mir, teuerster Onkel,« rief Nachtigall, »ich kann nun einmal so nicht denken, und nicht nur meine Ehre, sondern auch mein Gewissen und meine Menschlichkeit stehen auf dem Spiele. Ich weiß es nur zu gewiß, wenn ich das liebe Mädchen jetzt hinterginge, so würde ihr Tod davon die Folge sein und ich müßte mich als ihren Mörder betrachten, ja, als einen Mörder der sie auf die grausamste Art tötete, durch Gram und Herzeleid.« – »Gram und Herzeleid! seht doch! Nein guter Jakob,« rief [126] der Onkel, »die Weiber sterben so leicht nicht vor Gram und Herzeleid! sie haben ein zähes Leben, Junge, ein zähes Leben!« – »Aber liebster Onkel, es geht auch meine Neigung mit an, und ich kann mit einem andern Frauenzimmer niemals glücklich sein. Wie oft hab' ich's sagen hören, daß man die Kinder beständig für sich selbst wählen lassen sollte, und daß Sie meiner Kousine Henriette die freie Wahl lassen wollten.« – »Nun ja,« versetzte der alte Herr, »so wollt' ich auch, aber dann müssen auch die Kinder mit Klugheit und Verstand wählen. Fürwahr, Jakob, du sollst und mußt mir von diesem Mädchen ablassen.« – »Fürwahr,« lieber Onkel, schrie der andre, »ich muß und will sie heiraten!« – »Du willst? junges Herrchen,« sagte der Onkel. »Solche Worte hätt' ich von dir nicht erwartet. Es hätte mich nicht Wunder nehmen sollen, wenn du solch eine Sprache gegen deinen Vater geführt hättest, der dir immer begegnet ist wie einem Hunde und dich immer so weit vom Leibe gehalten hat, wie die Tyrannen ihre sklavischen Untertanen; aber ich? ich, der ich dich immer behandelt habe, wie meinesgleichen, ich hätte doch wohl was bessers um dich verdient. Aber, ich weiß wohl woran es liegt, 's liegt alles an deiner verkehrten Erziehung, wobei man mir nicht genug gefolgt ist. Sieh nur, da ist meine Tochter, die ich als meine Freundin auferzogen habe! Nichts thut sie ohne meinen Rat, und weigert sich niemals, ihn anzuhören, wenn ich ihr welchen geben will.« – »Sie haben ihr in einer Sache wie diese, noch niemals einen Rat gegeben,« sagte Nachtigall, »denn ich müßte mich in Ansehung meiner Kousine sehr irren, wenn sie so gar bereitwillig wäre, selbst Ihrem strengsten Befehl zu gehorchen, wo es drauf ankäme, ihrer Neigung zu entsagen.« – »Versündige dich nicht an dem Mädchen,« antwortete der alte Herr mit einiger Gemütsbewegung. »Versündige dich nicht an Henrietten! Ich habe sie so erzogen, daß sie keine Neigungen hat, die mir nicht anständen: dadurch, daß ich ihr immer erlaubt habe, zu thun was sie will, habe ich sie so gewöhnt, daß sie immer ihre Freude dran findet, zu thun, was ich will.« – »Verzeihn Sie mir, Herr Onkel,« saget Nachtigall, »ich habe nicht den Vorsatz von meiner Kousine im kleinsten etwas nachteiliges zu sagen, denn ich habe für sie die größte Hochachtung, und in der That bin ich überzeugt, Sie werden ihr nie eine so harte Prüfung oder so harte Befehle auflegen, als Sie mir auflegen wollen. Aber, lieber Onkel, lassen Sie uns wieder zur Gesellschaft gehen, denn man wird über unsre lange Abwesenheit unruhig werden. Eine Gewogenheit muß ich mir vom lieben Onkel ausbitten, und diese ist, daß er so wenig dem armen Mädchen als der Mutter etwas sagen wolle, das sie kränken könnte.« – »O, brauchst nichts zu fürchten,« antwortete der Onkel, »der Mann bin ich nicht, der den Frauenzimmern etwas beleidigendes sagt. Die Gewogenheit will ich dir also recht gern erzeigen, dafür erwarte ich aber auch wieder eine andere von dir.« – »Ich wüßte wenige Befehle«, sagte Nachtigall, »die Sie mir geben könnten, welchen ich nicht freudig gehorchen wollte.« – »Nun, sieh nur, Jakob! ich verlange weiter nichts,« sagte der Oheim, »als daß du mit mir nach [127] meinem Hause auf mein Zimmer kommst, damit ich über die Sache ein wenig ausführlicher mit dir reden kann; denn wenn's möglich wäre, hätte ich doch gern die Zufriedenheit, meine Familie in Glück und Ehren zu erhalten, ungeachtet des thörichten Eigensinns meines Bruders, der in seinem Dünkel der weiseste Mann von der Welt ist.«

Nachtigall, welcher wohl wußte, daß sein Oheim ebenso starrköpfig war, als sein Vater, ließ sich's gefallen ihn nach Hause zu begleiten, und hierauf gingen sie beide wieder zur Gesellschaft, wo der alte Herr versprochen hatte, sich mit eben der Wohlanständigkeit zu betragen, wie zuvor.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Ein kurzes Kapitel, welches das Buch beschließt.


Die lange Abwesenheit des Onkels und des Neffen hatte bei allen denen, die sie verlassen hatten, einige Unruhe erregt, um so mehr als während des vorstehenden Dialogs der Oheim mehr als einmal seine Stimme so stark erhoben hatte, daß man solche im untern Stocke hören konnte, welches, ob sie gleich nicht unterscheiden konnten, was er sagte, die Mutter und Tochter, und in der That auch selbst Herrn Jones eine schlimme Vorbedeutung ahnen ließ.

Als die gute Gesellschaft also wieder von neuem beisammen war, sah man eine deutliche Veränderung auf ihren Gesichtern und die gute Laune, welche vorher, ehe sie sich getrennt hatte, allgemein aus aller Mienen hervorblickte, hatte sich jetzt in weit unangenehmere Aspekten verändert. Eine Veränderung, die freilich dem Wetter in unserm Himmelsstriche gewöhnlich genug ist; nämlich vom Sonnenscheine zu Wolken, vom Junius bis zum Dezember.

Diese Veränderung ward indessen von keinem der Gegenwärtigen eben sonderlich bemerkt, denn weil jetzt ein jeder damit beschäftigt war seine Gedanken zu verbergen und eine Rolle zu spielen, so wurden sie alle zu emsig auf der Bühne beschäftigt, um als Zuschauer zu sehen, was drauf vorginge. Sonach sahen weder der Onkel noch der Neffe an der Mutter oder Tochter das geringste Anzeichen von Argwohn, ebensowenig bemerkte die Mutter oder Tochter die übertriebene Höflichkeit und Gefälligkeit des alten Mannes, noch das Gezwungene der Munterkeit, welche der junge seinen erschlafften Gesichtsmuskeln einprägen wollte.

Etwas diesem ähnliches trägt sich, wie ich glaube, sehr oft zu, wenn die ganze Aufmerksamkeit zweier Freunde auf die Rolle gespannt ist, die ein jeder zu spielen hat, um einem andern eine Nase zu drehen, und keiner die List, die wider ihn angewendet wird, weder sieht noch argwöhnt und sonach denn (um bei dieser Gelegenheit von der Fechtkunst eine nicht unschickliche Metapher zu entlehnen) der Stoß von beiden Seiten trifft.

Aus eben der Ursache ist es nicht ungewöhnlich, daß beide [128] Parteien bei einem Tauschhandel überlistet werden, obgleich immer der eine mehr verlieren muß als der andre; sowie jener, der ein blindes Pferd verkauft und dafür in falscher Münze die Bezahlung erhielt.

Unsre Gesellschaft brach nach einer halben Stunde auf, und der Onkel nahm seinen Neffen mit sich hinweg. Vorher aber hatte der letztre noch Gelegenheit gefunden, seiner Nanette die Versicherung zuzuflüstern, daß er sich des nächsten Morgens früh bei ihr einstellen und alle seine Versprechungen erfüllen würde.

Jones, der bei diesem Auftritte das wenigste zu thun hatte, sah am meisten. Ihm ahnte wirklich die Sache wie sie war, denn außerdem, daß er die große Veränderung in dem Betragen des Onkels bemerkte, die vornehme Miene, die er annahm, und seine übertriebene Höflichkeit gegen Mademoiselle Nanette, so war auch bei dem Verfahren, einen Bräutigam gleichsam in der Hochzeitsnacht von seiner Braut wegzuführen, etwas so außerordentliches, daß es nur dadurch einen Aufschluß erhalten konnte, wenn man annahm, daß der junge Nachtigall das ganze Geheimnis enthüllt hätte, was seine offenherzige Gemütsart und seine jetzige Weinseligkeit nur zu wahrscheinlich machten.

Als er noch bei sich selbst ratschlagte, ob er den armen Leuten seine Vermutung sagen sollte oder nicht, benachrichtigte ihn die Magd vom Hause, daß ihn eine Dame zu sprechen wünschte. Er ging ungesäumt hinaus, nahm der Magd den Leuchter aus der Hand und führte seinen Besuch die Treppe hinauf, welcher ihm in der Person der Jungfer Honoria solche fürchterliche Nachrichten, seine Sophie betreffend, hinterbrachte, daß er augenblicks alle Gedanken an die ganze übrige Welt verlor, und sein ganzer Vorrat von Mitleiden in Betrachtungen über sein eignes Elend und das Elend seiner unglücklichen Geliebten völlig darauf ging.

Was dies für fürchterliche Sachen waren, wird der Leser vernehmen, wenn wir erst die verschiedenen Schritte erzählt haben, welche solche hervorbrachten, und das wird der Gegenstand des folgenden Buches sein.

Fünfzehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Zu kurz um einer Anzeige zu bedürfen.


Es gibt eine Klasse von theologischen, oder vielmehr moralischen Schriftstellern, welche lehren, die Tugend sei der sichre Weg zur Glückseligkeit in dieser Welt, sowie das Laster der sichre Weg zum Verderben. Eine sehr heilsame und trostvolle Lehre, gegen die wir nur die einzige Einwendung haben, daß sie nicht wahr ist.

Ja, wenn diese Schriftsteller unter Tugend die Ausübung jener [129] Kardinaltugenden meinen, welche, gleich den guten Hausmüttern, fein zu Hause bleiben und sich um weiter nichts als um ihr eignes Hauswesen bekümmern, so will ich ihnen den Punkt ganz gerne zugeben, denn diese tragen alle so gewiß und sicher zur Glückseligkeit bei, daß ich beinahe wünschen möchte, was auch dadurch den alten und neuen Weisen für Gewalt geschähe, man legte ihnen anstatt des Namens Tugend den Namen Weisheit bei. Denn in Rücksicht auf dieses Leben war, nach meinen Begriffen, kein System weiser, als das System der alten Epikuräer, welche das höchste Gut in die Weisheit setzten; keins aber närrischer, als das System ihrer Gegenfüßler, der neuen Epikuräer, welche das höchste Glück in reichlicher Befriedigung jeder sinnlichen Begierde suchen.

Meint man aber unter Tugend (wie ich fast glauben muß) eine gewisse relative Eigenschaft, welche beständig außer dem Hause wirksam ist und ebenso innig bedacht zu sein scheint, das Glück andrer zu befördern, als andre ihr eignes, so kann ich nicht so leicht zustimmen, daß das der sicherste Weg zur Glückseligkeit eines Menschen sei; weil ich besorge, wir müßten alsdann Armut und Verachtung, nebst allem Unheile, was hämische Nachreden, Neid und Undankbarkeit den Menschen zuziehen, mit in unsern Begriff von Glückseligkeit einschließen, ja zuweilen genötigt sein, besagte Glückseligkeit nach einem Kerker zu begleiten, weil manche sich durch die vorgenannten Tugenden bis soweit gebracht haben.

Ich habe jetzt eben nicht Zeit, mich in ein so geräumiges Feld von Spekulation einzulassen, als sich mir hier zu öffnen scheint. Meine Absicht war, einen Lehrsatz wegzuschieben, der mir im Wege lag, weil unterdessen, daß Herr Jones auf dem allertugendhaftesten Wege wandelte, der sich nur denken läßt, indem er dran arbeitete, seine Nebenmenschen vom Verderben zu retten, der Satan oder sonst ein böser Geist, vielleicht einer in menschliches Fleisch und Blut gekleidet, aus allen Kräften daran arbeitete, ihn durch Sophiens Fall völlig elend zu machen.

Dies würde also eine Ausnahme von der obigen Regel zu sein scheinen, wenn es wirklich eine Regel wäre. Da wir aber auf unsrer Reise durch's Leben davon so viele Ausnahmen gesehen haben, so wollen wir lieber den Lehrsatz bestreiten, auf welchen sie sich gründet, welchen wir nicht für christlich halten, welcher nach unsrer Ueberzeugung nicht wahr ist und welcher wirklich einen der schönsten Gründe über den Haufen wirft, den die bloße Vernunft für den Glauben an die Unsterblichkeit an die Hand geben kann.

Jedoch da die Neugierde des Lesers (wenn er nur ein wenig davon hat) jetzt wach und hungrig sein muß, so wollen wir so bald als möglich dafür sorgen, sie zu füttern.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

In welchem ein sehr hämischer Plan gegen Sophie dargelegt wird.


Ich erinnere mich eines alten weisen Mannes, welcher zu sagen pflegte: wenn Kinder nichts thun, so thun sie etwas Böses. Ich [130] will diesen scharfsinnigen Spruch nun freilich über die schöne Hälfte der Schöpfung nicht so allgemeinhin ausdehnen; aber soweit wird man mir doch erlauben, daß, wenn die Wirkungen weiblicher Eifersucht nicht öffentlich in ihrer eignen rasenden, wütenden Gestalt und Farbe erscheinen, wir vermuten dürfen, daß diese heillose Leidenschaft im verborgnen wirkt und da zu unterminieren sucht, wo sie über der Erde nicht angreift.

Hiervon gab das Betragen der vornehmen Dame Bellaston ein auffallendes Beispiel, welche unter all dem Lächeln, das sie in ihren Mienen zeigte, viel Zorn und Unwillen über Sophie verbarg, und weil sie deutlich sah, das dies junge Frauenzimmer zwischen ihr und der völligen Befriedigung ihrer Begierden im Wege stände, so faßte sie den Entschluß, sich dieselbe auf eine oder die andere Art vom Halse zu schaffen. Es dauerte auch nicht lange, so bot sich ihr eine günstige Gelegenheit von selbst dar, diesen Entschluß ins Werk zu setzen.

Der Leser wird die Güte haben sich zu erinnern, daß wir ihn damals, als Sophie durch den Witz und die Laune eines Haufens junger Herrn, die sich das Publikum nennen, im Schauspielhause in einen so großen Schrecken gejagt worden, benachrichtigen, daß sie sich in den Schutz eines jungen Herrn begeben hätte, der sie ohne weiteren Unfall an ihren Wagen begleitete.

Dieser Herr war ein junger Graf, der die Frau von Bellaston zum öftern besuchte, der Sophie seit ihrer Ankunft in der Stadt mehr als einmal bei ihr gesehen und ein sehr großes Belieben zu ihr gefaßt hatte, welches Belieben, da Schönheit niemals liebenswürdiger läßt als in Not und Verlegenheit, Sophie in diesem Schrecken dergestalt vergrößert hatte, daß man jetzt, ohne der Redensart eben eine große Gewalt anzuthun, von ihm sagen konnte, er sei wirklich in sie verliebt.

Man kann leicht glauben, daß er eine so schöne Gelegenheit als sich jetzt von selbst darbot, seine Bekanntschaft mit dem geliebten Gegenstand seiner Wünsche zu befestigen, nicht fallen lassen wollte, da schon die gute Lebensart allein ihn bewogen haben würde, einen Besuch bei ihr abzustatten.

Er machte also den nächsten Vormittag nach dieser Begebenheit Sophien seine Aufwartung, um unter den gewöhnlichen Komplimenten seine Hoffnung zu bezeigen, daß der Zufall von gestern abend keine unangenehmen Folgen für sie gehabt habe.

Weil die Liebe aber, sowie Feuer, das einmal durchaus angezündet ist, sehr bald zu Flammen aufgeblasen wird, so hatte Sophie in gar kurzer Zeit ihre Eroberung vollendet. Die Zeit eilte nun unvermerkt vorbei und der hochansehnliche Graf hatte zwei volle Stunden bei seiner schönen Dame verweilt, bevor es ihm einmal einfiel, daß er einen langen Besuch gemacht habe. Nun hätte schon allein dieser Umstand Sophien ein wenig beunruhigen können, die sich jetzt ein wenig besser aufs berechnen verstand, aber sie hatte an den Augen des Verliebten wirklich noch viel redendere Beweise [131] von dem, was in seiner Brust vorging; ja, ob er gleich seine Leidenschaft nicht geradezu öffentlich erklärte, so waren doch viele seiner Ausdrücke fast zu warm und zu zärtlich, um solche auf Rechnung der allgemeinen Höflichkeit zu setzen, selbst nicht einmal zu jenen Zeiten, wo allgemeine Höflichkeit Mode war, wovon, wie sehr wohl bekannt, das Gegenteil in unsern Tagen die herrschende Mode geworden ist.

Frau von Bellaston hatte des Grafen Besuch gleich bei seiner ersten Ankunft erfahren, und aus der Länge desselben nahm sie die hinlängliche Ueberzeugung, daß die Sachen so gingen wie sie wünschte, und wie sie wirklich gleich damals vermutet hatte, als sie dies junge Paar zum zweitenmal beisammen gesehen. Dieses Geschäft, dachte sie, und nach meiner Meinung sehr richtig, würde sie keineswegs befördern, wenn sie sich, solange sie beisammen wären, in die Gesellschaft mischte, sie befahl also ihren Leuten, sie sollten dem Grafen beim weggehen sagen, sie wünschte ihn zu sprechen, und die Zwischenzeit wendete sie dazu an, darüber nachzusinnen, wie sie am besten einen Plan zustandebringen könnte, zu dessen Ausführung, wie sie nicht zweifelte, der Graf sehr bereit und willig sein würde.

Graf von Liebegrim (denn das war der Name dieses jungen Herrn vom hohen Adel) war nicht so bald bei Ihro Gnaden ins Zimmer geführt, als sie ihn folgendermaßen anzwackte: »Hilf Himmel, Herr Graf, sind Sie noch hier? Ich dachte schon, meine Leute hätten's versehen und hätten Sie weggehen lassen, und ich wollte Sie doch gerne sprechen wegen einer ziemlich wichtigen Sache.« – »In der That, gnädige Frau,« sagte er, »es befremdet mich nicht, daß Sie sich über die Länge meines Besuchs verwundern, denn ich bin über zwei Stunden geblieben und die sind mir kaum wie eine halbe vorgekommen.« – »Was soll ich daraus schließen, Herr Graf?« sagte sie. »Die Gesellschaft muß sehr angenehm sein, in der sich die Zeit so unbemerkt vorbeischleicht.« – »Auf meine Ehre,« sagte er, »die angenehmste in der ich jemals gewesen bin. Sagen Sie mir doch, wenn ich bitten darf, wer ist dieser hellstrahlende Stern, den Sie unter uns so auf einmal haben aufgehen lassen?« – »Was für ein hellstrahlender Stern, Herr Graf!« sagte sie und stellte sich ganz verwundert. – »Ich meine die junge Dame, die ich vor einigen Tagen bei Ihnen sah, die ich gestern abend beim Herauskommen aus der Komödie in meinen Armen hatte, und der ich den ungeheuer langen Besuch gemacht habe.« – »Haha! Meine Kousine Western!« sagte sie. »Nun, dieser glänzende Stern ist die Tochter eines tölpischen Landjunkers und ist zum erstenmal nun etwa vierzehn Tage in der Stadt gewesen.« – »Bei meiner Seele,« sagte er, »ich hätte drauf geschworen, sie wäre an einem Hofe erzogen worden, denn, ihre Schönheit ungerechnet, habe ich in meinem Leben nicht so viel Anmut, so viel Esprit, so viel Politesse gesehen!« – »O! bravo!« rief die Dame. »Meine Kousine hat Sie weg, wie ich finde.« – »Auf meine Ehre,« antwortete er, »ich wollte, sie hätte mich, denn ich liebe sie bis zum Unsinnigwerden.« – »Nun, nun, Graf,« sagte sie, »damit wünschen Sie sich denn [132] auch eben nichts so schlimmes, denn sie ist eine sehr reiche Partie. Ich versichre Sie, sie ist eine einzige Tochter und ihres Vaters Güter tragen jährlich ihre guten achtzehn- bis zwanzigtausend Thaler ein.« – »Nun, so kann ich Sie versichern, gnädige Frau, daß ich sie für die beste Partie im ganzen Reiche halte.« – »In der That, mein lieber Graf,« erwiderte sie, »wenn Sie sie leiden mögen, so wünschte ich, Sie hätten sie.« – »Wenn Sie so gütig für mich gesinnt sind, Madame,« sagte er, »wollten Sie wohl, da es doch Ihre Anverwandte ist, mir die Ehre erweisen und ihrem Vater die Sache vorschlagen?«

»Ist es denn also Ihr ganz völliger Ernst?« fragte die Dame mit affektierter Feierlichkeit in den Mienen. – »Ich hoffe, gnädige Frau, Sie haben eine bessre Meinung von mir,« antwortete er, »um zu glauben, ich könnte mit Ihnen über eine Angelegenheit scherzen, wie diese!« – »Nun gut denn!« sagte die Dame, »so will ich Sie sehr gerne ihrem Vater vorschlagen, und ich glaube, ich darf Sie versichern, daß er den Vorschlag mit Freuden annehmen wird. Aber es liegt ein Berg im Wege – ich schäme mich fast, es zu erwähnen, und doch ist er so hoch, daß Sie schwerlich im stande sein werden, ihn zu übersteigen. Sie haben einen Nebenbuhler Herr Graf, einen Nebenbuhler, den, ob ich gleich davor erröte nur seinen Namen zu nennen, weder Sie noch die ganze Welt bei ihr verdrängen werden.« – »Auf mein Wort, gnädige Frau, Sie werfen mir da einen Stein aufs Herz, worunter ich fast ersticke.« – »Pfui, Herr Graf!« sagte sie. »Ich hätte vielmehr gehofft, er sollte das Feuer aus Ihnen schlagen. Ein Liebhaber und vom Ersticken sprechen unterm Steine eines Nebenbuhlers! Ich hätte erwartet, Sie würden mich um den Namen dieses Riesen fragen, damit Sie ungesäumt gegen ihn in die Schranken treten könnten.« – »Verlassen Sie sich darauf, gnädige Frau,« antwortete er, »ich wüßte nichts, was ich nicht für Ihre reizende Kousine unternehmen wollte, ich bitte, sagen Sie mir doch, wer ist der glückliche Mann?« – »Wer er ist?« sagte sie. »Was, wie ich zu meinem Leidwesen bekenne, die meisten glücklichen Männer beim Frauenzimmer sind, einer der niedrigsten Kerle von der Welt. Er ist ein Bettler, ein Bastard, ein Findling, ein Kerl in schlechtern Umständen als der geringste von Ihren Livreebedienten.« – »Ist's möglich,« schrie er, »daß eine junge Person mit solchen Vollkommenheiten darauf denken kann, sich so schändlich wegzuwerfen?« – »Ach, leider, Herr Graf!« antwortete sie. »Aber bedenken Sie nur die Landerziehung. Das Land ist das Verderben aller jungen Frauenzimmer, da lernen sie eine Reihe von romanhaften Begriffen von der Liebe, und was weiß ich von was für Unsinn mehr, welche diese Stadt und die gute Gesellschaft kaum in einem ganzen Winter wieder ausrotten kann.« – »In der That, gnädige Frau,« erwiderte der Graf, »Ihre Kousine ist von zu unendlichem Werte, um so weggeworfen zu werden, einem solchen Unheil muß man vorbeugen.« – »Ach ja freilich, lieber Graf,« rief sie, »aber wie vorbeugen? Die Familie hat schon alles gethan, was sie konnte, aber das Mädchen, glaub' ich, [133] ist ganz liebetrunken und will sich nicht abhalten lassen, in den Abgrund zu taumeln. Und um ganz offenherzig gegen Sie herauszugehen, jeden Tag bin ich darauf gefaßt, zu hören, daß sie mit ihm davongelaufen ist.« – »Was Sie mir da sagen, Frau von Bellaston,« antwortete der Graf, »rührt mich aufs zärtlichste und erregt bloß mein Mitleiden, anstatt meine Verehrung gegen Ihre göttliche Kousine zu vermindern. Man muß Mittel suchen, ein so unschätzbares Kleinod zu verwahren. Haben Ihro Gnaden schon versucht ihr vernünftig zuzureden?« – Hier zwang sich die Dame laut zu lachen und rief: »Teuerster Graf, ich dächte, Sie kennten uns besser, um zu denken, man könne einem jungen Mädchen durch vernünftiges Zureden ihre Liebe aus dem Kopfe bringen. Diese unschätzbaren Kleinodien sind ebenso taub als die Juwelen, womit sie sich schmücken. Zeit, Herr Graf, Zeit ist die einzige Medizin, ihre Thorheit zu kurieren, aber dies ist eine Medizin, die sie, wie ich gewiß bin, nicht einnehmen wird. Wie gesagt, ich, ich lebe ihretwegen in täglicher Angst. Kurz, hier hilft nichts als gewaltsame Mittel.« – »Was ist zu thun?« rief der Graf, »was für Mittel muß man ergreifen? – Gibt's irgend Mittel und Wege auf dem Erdboden? – O, teuerste von Bellaston, alles in der Welt unternehme ich um einen solchen Preis.« – »Ich weiß wirklich nicht,« antwortete die Dame nach einigem Stillschweigen, hier schwieg sie abermal ein Weilchen und rief dann aus: – »Auf meine Seele! mit meinem Witze bin ich über dies Mädchen rein zu Ende. – Wenn sie gerettet werden kann, so muß man ungesäumt dazu schreiten, und wie gesagt, nichts wird helfen als gewaltsame Mittel. Ja, Herr Graf, wenn sie wirklich dieses Attachement für meine Kousine haben (und um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so ist sie, diese einfältige Inklination ausgenommen, wovon sie das Thörichte auch bald einsehen wird, ein sehr vortreffliches Frauenzimmer), so, denke ich, ist noch wohl ein Weg, er ist freilich sehr unangenehm und ich scheue mich fast daran zu denken. – Er erfordert viel Mut, das muß ich Ihnen sagen.« – »So viel ich mir bewußt bin, Madame,« sagte er, »fehlt's mir daran nicht. Ich glaub' auch nicht, daß mich jemand sonst mit dem Fehler im Verdacht hat. Es müßte wirklich ein entsetzlicher Fehler an Mut sein, der mich bei dieser Gelegenheit bedächtlich machen könnte.« – »Nicht doch, Herr Graf,« antwortete sie, »ich bin weit entfernt von dergleichen Verdachte! Ich besorge vielmehr, daß ich selbst nicht Mut genug habe, denn eben ich laufe dabei eine entsetzliche Gefahr. Kurzum, ich muß ein solches Vertrauen in Ihre Ehre und Verschwiegenheit setzen, wie schwerlich eine vorsichtige Dame aus irgend einer Ursache in eine Mannsperson setzen wird.« – Auch über diesen Punkt leistete ihr der Graf so ziemlich Genüge; sein guter Name sei unbescholten und das allgemeine Gerücht erwiese ihm bloß Gerechtigkeit, indem es gut von ihm spräche. – »Wohlan denn,« sagte sie, »Herr Graf – aber nein – ich – wahrhaftig! Nein, ich kann den Gedanken daran nicht ausstehen. – Nein, das muß nicht geschehn. Wenigstens muß erst sonst alles mögliche versucht werden. Können Sie sich heute mittag losmachen [134] und bei mir essen? so haben Sie Gelegenheit, Fräulein Western ein wenig länger zu sehen, Herr Graf! – Wir haben gewiß keine Zeit zu verlieren. Ich habe heute niemand als ein paar Fräulein, die Sie kennen, und den Obersten Hampsted und Thomas Eduarts. – Sie werden alle beizeiten weggehen, – und ich will für niemand zu Hause sein, so können der Herr Graf ein wenig deutlicher mit der Sprache herausgehen. Ja, ich will's dann auch schon so veranstalten, daß Sie Beweis von ihrem Attachement an den Kerl haben sollen.« Der Graf machte die üblichen Komplimente, nahm die Einladung an, und so gingen sie auseinander, um sich zum Essen anzukleiden, denn es war jetzt schon drei Uhr des Vormittags oder, nach dem alten Stil zu rechnen, des Nachmittags.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Näherer Aufschluß über den vorstehenden Plan.


Obgleich der Leser schon längst gemutmaßt haben mag, daß die hochadelige Dame von Bellaston ein Mitglied, und zwar kein unansehnliches von der großen Welt gewesen, so war sie überdem noch wirklich ein sehr ansehnliches Mitglied von der kleinen Welt, eine Benennung, wodurch eine hoch- und sehr ehrwürdige Gesellschaft bezeichnet ward, die erst seit kurzem in diesem Königreiche blühte.

Unter andern guten Grundsätzen, worauf diese Societät errichtet worden, war auch einer sehr merkwürdig; ebenso wie es bei einem ehrwürdigen Klub von Helden, der sich am Ende des letzten Krieges zusammenthat, eine Regel war, daß jedes Mitglied sich jeden Tag wenigstens einmal schlagen sollte, so war's in dieser Societät Gesetz für jedes Mitglied, binnen vierundzwanzig Stunden wenigstens eine schnakische Schnurre zu erzählen, welche durch die ganze Brüder-und Schwesterschaft weiterverbreitet werden mußte.

Man erzählte von dieser Societät allerlei Ammenmärchen, die, nach einer gewissen Eigenschaft zu urteilen, wohl nicht ohne Fug für die eigne Erfindung der Gesellschaft zu halten sind, als z.B. daß der Teufel ihr Präsident gewesen und daß er oben am Tische in einem Lehnsessel gesessen. Bei genauer Nachfrage aber finde ich, daß an all diesen Erzählungen kein Wort wahr ist, daß die Versammlung aus einem guten Schlage von Leuten bestand, und daß die Possen, die sie ausstreuten, unschädlich und bloß erfunden waren, um Scherz und Lachen zu verbreiten.

Herr Eduarts war gleichfalls Mitglied dieser komischen Gesellschaft. An ihn wendete sich also Frau von Bellaston als an ein bequemes Werkzeug zu ihrem Zwecke, und gab ihm ein Märchen unter den Fuß, womit er herausrücken sollte, wenn sie ihm das Stichwort gäbe, und dies sollte nicht eher geschehen als bis alle übrigen bis auf Graf Liebegrim und ihn selbst fortgegangen wären, und zwar wenn sie beim Whistspiele säßen.

Zu dieser Zeit also, welches zwischen sieben und acht Uhr des [135] Abends war, wollen wir unsern Leser mit hinnehmen. Als Frau von Bellaston, Graf Liebegrim, Fräulein von Western und Herr Eduarts beim Whist saßen und an der letzten Partie ihrer Robbers spielten, erhielt Eduarts sein verabredetes Zeichen von der Dame vom Hause, welches darin bestand, daß sie sagte. »Nun, Herr Eduarts, es ist doch wahr, Sie sind seit einiger Zeit ganz unausstehlich. Sie pflegten uns sonst noch Neuigkeiten aus der Stadt zu erzählen, und jetzt wissen Sie ebensowenig von der Welt als ob Sie in Wüsten lebten.«

Herr Eduarts begann darauf wie folgt: »Meine Schuld ist das nicht, gnädige Frau, es liegt daran, daß die Menschen so ein Schafsleben führen und nichts thun, was des Erzählens wert wäre. – Doch, hm! Ja, eben denk' ich daran, dem Obersten Wilcox ist ein sehr scheußlicher Zufall begegnet – der arme Lippert! – Sie kennen ihn, Herr Graf, jedermann kennt Philipp Wilcox! Wahrlich! es thut mir herzlich leid um ihn.«

»Was ist's denn? So sagen Sie doch?« sagte Dame Bellaston. »Nun, er hat heute morgen jemand im Duell getötet, weiter nichts!«

Der Graf, der nicht um das Geheimnis wußte, fragte ganz ernsthaft, wen er getötet habe? Worauf Eduarts antwortete: »Einen jungen Menschen, den keiner von uns kennt, einen Burschen der eben aus Sommersetshire zur Stadt gekommen ist und ein naher Verwandter von dem Herrn von Alwerth sein soll, von dem Sie vielleicht gehört haben. Ich sah den Menschen tot liegen auf einem Kaffeehause. – Meiner Seele! es ist eins der feinsten Gewächse von Körper, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

Sophie, an der eben das Kartengeben war, als Eduarts davon gesagt hatte, daß ein Mensch getötet worden, hielt die Karten still in der Hand und hörte aufmerksam zu, denn alle solche Geschichten griffen ihr ans Herz. Als er aber kaum zum letzten Teile der Erzählung gelangt war, wollte sie fortfahren herumzugehen, und nachdem sie hier drei, dort sieben, und dem dritten zehn Karten gegeben hatte, fielen ihr zuletzt die übrigen aus der Hand und sie sank hin auf ihrem Stuhle.

Die Gesellschaft benahm sich, wie es bei solchen Fällen gewöhnlich ist, der gewöhnliche Aufstand erfolgte, die gewöhnliche Hilfe ward herbeigerufen, und zuletzt kam Sophie, wie gewöhnlich, wieder zu ihren Sinnen, und ward bald hernach auf ihr ernstliches Bitten nach ihrem Zimmer gebracht, woselbst ihr auf Bitte des Grafen die Frau von Bellaston die rechte Wahrheit sagte, die Sache als einen kurzweiligen Spaß von ihrer eignen Erfindung wegscherzen wollte und sie mit der wiederholten Versicherung tröstete, daß weder der Graf noch Eduarts, ob sie ihm gleich die Historie eingegeben hätte, den geheimen Knoten von der Sache wüßten.

Der Graf Liebegrim bedurfte kein weiteres Zeugnis um ihn zu überführen, wie richtig ihm die Sache von der Frau von Bellaston vorgestellt worden, und nun ward bei ihrer Zurückkunft ins Zimmer unter diesen zwei hochadeligen Personen ein Plänchen angelegt, welches zwar Seiner hochgräflichen Gnaden nicht so sträflich [136] vorkam, (denn Hochdieselben versprachen bei gräflicher Treue und Glauben, und waren auch wirklich des ernsten Vorsatzes, dem Fräulein in der Folge durch die Mariage alle Erstattung zu leisten, die nur in Dero Kräften stünde), das aber manche von unsern Lesern, wie wir nicht zweifeln, mit gerechtem Abscheu betrachten werden.

Glocke sieben des nächsten Abends ward für das unselige Vorhaben anberaumt, da die vortreffliche von Bellaston über sich nahm, daß Sophie allein sein und der Graf bei ihr eingeführt werden sollte. Das ganze Hausgesinde sollte alsdann zweckmäßig beschäftigt sein, die meisten Bedienten aus dem Hause verschickt, und Jungfer Honoria, um keinen Verdacht zu erregen, solange bei ihrem Fräulein gelassen werden, bis der Graf angekommen, und dann wollte die vertraute, mütterliche Dame sie in einem Zimmer beschäftigen, das von dem Schauplatze der geplanten Schandthat so weit als möglich entlegen wäre und wo Sophie sie nicht abrufen könnte.

Nachdem solchermaßen die Sachen bestens verabredet waren, nahmen Se. hochgräflichen Gnaden Abschied, und Ihro Gnaden begaben sich zur Ruhe, innigst vergnügt über ein Projekt, an dessen glücklichem Ausgange sie keine Ursache zu zweifeln hatte, und welches so sicher versprach, Sophien unfähig zu machen, ihrer Liebschaft mit Jones ferner hinderlich zu sein, und das zwar auf eine Art, daß sie niemals dazu geholfen zu haben scheinen konnte, wofern auch die That der Welt bekannt werden sollte. Aber auch diesem, zweifelte sie nicht, wollte sie dadurch vorbeugen, daß sie über Hals und Kopf die Heirat beschleunigte, wozu die geschändete Sophie sehr leicht zu bereden sein und worüber die ganze Familie sich höchlich erfreuen würde.

Aber nicht ganz so ruhig stand es in dem Busen des zweiten Verschwornen. Sein Gemüt ward hin und her geworfen in all der ängstlichen Verwirrung, welche Shakespeare so vortrefflich beschrieben hat:


Between the Acting of a dreadful Thing,
And the first Motion, all the Interim is
Like a Phantasma, or a hideous Dream:
The Genius and the mortal Instruments
Are then in Council; and the state of Man
Like to a little Kingdom, suffers then
The Nature of an Insurrection. –
Eh eine grausenvolle Schreckensthat
Von ihrem Anbeginn ins Werk tritt;
Die Zwischenzeit ist wie ein Phantasma,
Wie ein furchtbarer Traum. Der Genius
Und seine sterblichen Werkzeuge gehn
Alsdann zu Rath. Des Menschen Zustand ist
Gleich einem kleinen Königreich, das sich
Zum Aufruhr bäumt. –

Obgleich die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihn den ersten Wink von diesem Anschlage sehr begierig hatte auffassen lassen, besonders, da er von einer Anverwandten des Fräuleins gegeben ward; so begann doch, als der Freund der Ueberlegung, das Kopfkissen, ihm die [137] That in allen ihren natürlichen schwarzen Farben, nebst allen Folgen die sie haben müßte, und denen, welche sie wahrscheinlicherweise haben könnte, vorgestellt hatte, seine Entschlossenheit zu wanken, oder vielmehr ganz und gar zur andern Seite überzutreten. Und nach einem langen Kampfe zwischen Ehre und Gelüsten, der eine ganze Nacht hindurch währte, siegte endlich die erste, und er setzte sich vor, der Frau von Bellaston aufzuwarten und den Anschlag aufzugeben.

Frau von Bellaston war noch im Bette, ob es gleich schon sehr spät des Vormittags war, und Sophie saß bei ihr, als ihr der Bediente ansagte, Graf Liebegrimm sei im Besuchzimmer; worauf die Dame ihm sagen ließ, sie lasse ihn bitten zu verziehen, sie wolle alsobald bei ihm sein. Der Bediente war aber nicht so bald zur Thüre hinaus, als die arme Sophie ihrer Kousine anlag, sie möchte doch die Besuche des häßlichen Grafen (so nannte sie ihn, obgleich ein wenig ungerechterweise), die eigentlich ihr gälten, bestens ablehnen. »Ich sehe seine Absichten,« sagte sie, »denn er hat mich gestern seine Liebe mehr als zu deutlich merken lassen. Da ich aber entschlossen bin, mich niemals mit ihm einzulassen, so bitte ich Sie, gnädige Kousine, uns nicht wieder allein bei einander zu lassen, und den Leuten im Hause zu befehlen, daß sie mich allemal verleugnen, wann er sich bei mir ansagen lassen sollte.«

»Ha, Kind!« sagte Frau von Bellaston, »ihr Landmädchen habt doch beständig nichts im Kopfe, als lauter Feinsliebchens! Sobald nur ein Mann höflich mit euch spricht, so bildet ihr euch ein, er sei in euch verliebt. Er ist einer von den galantesten jungen Mannspersonen in der Stadt, und ich bin überzeugt, er meint nichts weiter, als eine kleine Galanterie. Verliebt in Sie? Wahrhaftig! ich wollte von ganzem Herzen wünschen, er wärs; und Sie müßten geradezu im Kopfe verrückt sein, wenn Sie ihn ausschlügen.«

»Da ich nun aber einmal ganz gewiß so verrückt bin,« sagte Sophie, »so hoffe ich, seine Besuche werden mir nicht aufgedrungen werden.«

»O Kind,« sagte Frau von Bellaston, »Sie brauchen sich nicht so zu fürchten. Wenn Sie mit aller Gewalt mit dem Jones davonlaufen wollen, so sehe ich nicht, wer Sie daran hindern kann.«

»Auf meine Ehre, Madame,« rief Sophie, »Sie thun mir zu nahe. Ich werde niemals mit einer Mannsperson davonlaufen, und werde mich auch niemals wider den Willen meines Vaters verheiraten.«

»Gut, gut Fräulein Western!« sagte die Dame. »Wenn Sie heute morgen nicht aufgelegt sind, Gesellschaft zu sehen, so mögen Sie sich auf Ihre Zimmer begeben. Denn ich fürchte mich vor dem Grafen nicht und muß ihn in mein Toilettenzimmer heraufkommen lassen.«

Sophie dankte ihrer Tante und ging fort, und kurz drauf ward Graf Liebegrimm im obern Zimmer angenommen.

Viertes Kapitel
[138] Viertes Kapitel.

Aus welchem erhellen wird, welch ein gefährlicher Advokat ein Frauenzimmer ist, wenn sie ihre Beredsamkeit für eine schlimme Sache anwendet.


Als Frau von Bellaston die Bedenklichkeiten des Grafen vernahm, so behandelte sie solche mit eben der Schnödigkeit, womit die weisen Männer von der Rechtskunde, welche die Diebe gegen den Galgen zu vertreten pflegen, gewöhnlich die Gewissensangst eines jungen angehenden Zeugen behandeln, der es noch nicht soweit gebracht hat, alles von der Faust frischweg zu schwören. »Mein teurer Herr Graf,« sagte sie, »Sie bedürfen gewiß einer Herzstärkung. Ich muß wohl hinschicken, und ein Flakon Double Anisette holen lassen. Pfui doch! Sein Sie von mehr Entschlossenheit! Erschrecken Sie vor dem Worte Notzucht? Oder ist Ihnen Angst, daß – – wäre die Geschichte mit der schönen Helena aus unsern Tagen, ich würde sie für unnatürlich halten; das Benehmen des Paris meine ich, nicht die Liebe der Helena; denn alle Weiber haben einen Mann von tapferm Mute gern. Da haben wir noch eine andre Geschichte von den Sabinischen Weibern – – aber auch die, dem Himmel sei Dank, ist aus alten Zeiten. Der Herr Graf werden meine Belesenheit bewundern; aber mich dünkt, Herr Hook erzählt uns, daß sie sich nachher als ganz gute Weiber aufführten. Ich muß wohl glauben, daß von meinen verheirateten Bekannten nur sehr wenige vor der Ehe von ihren Männern genotzüchtigt worden sind.« – »O, teuerste Frau von Bellaston,« rief er, »persiflieren Sie mich nicht so entsetzlich.« – »Wie, mein guter Graf, meinen Sie wohl, daß sich ein Weib in der Christenheit finden würde, die nicht im Herzen über Sie lachte, was für Züchte sie auch in ihren Mienen zeigte? – Sie zwingen mich, eine sonderbare Art von Sprache zu führen und Ihnen mein Geschlecht ganz scheußlich zu verraten; aber ich beruhige mich damit, daß meine Absichten gut sind, und daß ich gerne meiner Kousine einen Dienst leisten möchte; denn ich denke, Sie werden dessenungeachtet ein wackrer Ehemann für sie sein; denn sonst, bei meiner Seele! nicht ein Wort würde ich verlieren, sie zu bereden, sich gegen leeren Stand und Titel wegzuwerfen. Sie sollte mir hernach nicht vorwerfen, daß ich sie um einen wackern, mutvollen Mann gebracht hätte; denn daß er das sei, das gestehen dem jungen Kerl seine Feinde zu.«

Laß diejenigen, welche die Freude erlebt haben, dergleichen Sticheleien von einer Ehefrau oder Mätresse zu hören, bezeugen, ob sie dadurch im geringsten lieblicher zu verdauen waren, daß sie von einer weiblichen Zunge kamen. Gewiß ist es, daß sie beim Grafen tiefer eindrangen, als irgend etwas, das Demosthenes oder Cicero über die Sache hätten sagen können.

Frau von Bellaston merkte, daß des Grafen Stolz in Feuer gesetzt wäre, und fing nun, gleich einem wahren Redner, an, andre Leidenschaften zu ihrem Beistande aufzuschüren. »Belieben Sie nicht zu vergessen, Herr Graf,« sagte sie, »daß Sie der erste waren, der der Sache gegen mich erwähnte; denn ich möchte nicht gerne das [139] Ansehen einer Person haben, der es darum zu thun sei, Ihnen meine Kousine aufzuhängen. Drei- bis viermal hunderttausend Thaler bedürfen eben keines Advokaten, um sie zu empfehlen.« – »So wenig, als Fräulein von Western,« sagte der Graf, »einer Empfehlung von ihrem Vermögen bedarf, denn in meinen Gedanken hat noch kein Frauenzimmer die Hälfte ihrer Reize besessen.« – »Doch, doch! Herr Graf,« erwiderte die Dame, und sah in einen Spiegel, »es hat Frauenzimmer gegeben die mehr als die Hälfte ihrer Reize besaßen, ich versichre Sie. Nicht daß ich sie dadurch eben in diesem Punkte herabsetzen wollte; sie ist ein wonneversprechendes Mädchen, das ist ausgemacht, und wird sich innerhalb ein paar Stunden in den Armen eines Mannes befinden, der sie freilich nicht verdient, ob ich ihm gleich, der Wahrheit gemäß, nachsagen muß, daß ich ihn wirklich für einen Mann von Kourage halte.«

»Das hoffe ich, gnädige Frau,« sagte der Graf, »ob ich gleich gestehen muß, daß er sie nicht verdient; denn wenn nicht der Himmel, oder Ihro Gnaden mich hindern, so soll sie binnen der Zeit die meinige sein.«

»Wohl gesprochen, Herr Graf,« antwortete die Dame. »Von meiner Seite sollen Sie nicht gehindert werden, darauf verlassen Sie sich; und noch ehe die Woche zu Ende geht, weiß ich, daß ich Sie öffentlich Kousin werde nennen können.«

Das übrige dieses Auftritts bestand durchgängig in Entzückungen, Entschuldigungen und Komplimenten, sehr lieblich zu hören aus dem Munde der Parteien selbst; zu schal aber in der Erzählung durch die zweite oder dritte Hand. Wir wollen also hier dem Gespräche ein Ende machen und der entscheidenden Stunde entgegeneilen, auf welche also alles zum Verderben der armen Sophie veranstaltet war.

Da dies aber der tragischste Stoff in unsrer ganzen Geschichte ist, so wollen wir ihn in einem eignen Kapitel besonders behandeln.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Enthält einige Dinge, welche den Leser rühren, und andere, die ihn überraschen werden.


Die Glocke hatte nunmehr sieben geschlagen, und die arme Sophie saß einsam und melancholisch, und las in einem Trauerspiele. Es war die Unglückliche Heirat, und sie war bis an den Auftritt gekommen, wo die bedrängte Isabella ihren Trauring weggibt.

Bei dieser Stelle entfiel ihr das Buch aus den Händen, und ein Thränenstrom rann in ihren Busen hinab. Sie hatte sich eine Minute in dieser Stellung befunden, als die Thüre aufging und Graf Liebegrimm hereintrat. Sophie sprang bei seiner Erscheinung vom Stuhle, und Seine hochgräfliche Gnaden traten weiter vor und machten eine tiefe Verbeugung, wobei Sie zu sagen geruhten: »Ich fürchte, mein gnädiges Fräulein von Western, daß ich ebenso ungelegen, als unangemeldet komme.« – »In der That, Herr Graf!« [140] sagte sie, »ich muß bekennen, daß mich dieser unerwartete Besuch ein wenig überrascht.« – »Wenn dieser Besuch unerwartet ist, gnädiges Fräulein,« antwortete der Graf, »so müssen meine Augen sehr ungetreue Dolmetscher meines Herzens gewesen sein, als ich das letzte Mal die Ehre hatte, meine Aufwartung zu machen; denn sonst hätten Sie doch gewiß nicht hoffen können, mein Herz in Ihrem Gewahrsam zu behalten, ohne von seinem vorigen Eigentümer einen Besuch zu erhalten.« Sophie, so verwirrt sie war, antwortete auf diesen Bombast und zwar sehr schicklich, wie ich glaube, mit einem Blick voll unbeschreiblicher Verachtung. Der Graf hielt darauf eine andere und noch längere Rede in eben dem Stile, worauf Sophie zitternd sagte: »Soll ich denn wirklich dafür halten, Herr Graf, daß Sie Ihren Verstand verloren haben? Denn auf eine andre Art wüßte ich ein solches Betragen gewiß nicht zu entschuldigen.« – »Mein gnädiges Fräulein, ich befinde mich wirklich in der Lage, die Sie mir zuschreiben,« rief der Graf, »und Sie werden gewiß die Wirkung einer Raserei entschuldigen, die Sie selbst veranlaßt haben, denn die Liebe hat mich so völlig meiner Vernunft beraubt, daß ich selbst kaum weiß, was ich beginne.« – »Auf mein Wort, Herr Graf,« sagte Sophie, »ich verstehe ebensowenig Ihre Worte, als Ihr Betragen.« – »So erlauben Sie mir denn, gnädiges Fräulein,« rief er, »daß ich beides zu Ihren Füßen erkläre, indem ich Ihnen meine ganze Seele eröffne, und Ihnen beteure, daß ich bis zum höchsten Grad des Wahnsinns in Sie verliebt bin. O höchst anbetungswürdigstes, göttlichstes Fräulein, welche Sprache vermag die Empfindungen meines Herzens auszudrücken!« – »Ich versichre Sie, Herr Graf,« sagte Sophie, »ich werde nicht länger bleiben, solche Dinge von Ihnen anzuhören.« – »Nein, nein!« rief er, »Sie müssen nicht so grausam sein, mich so zu verlassen! Wären Ihnen nur die Qualen zur Hälfte bekannt, die ich leide, Ihr zärtliches Herz müßte Mitleiden mit der Pein empfinden, die Ihre Augen verursacht haben.« Darauf holte er einen tiefen Seufzer und fuhr, indem er ihre Hand ergriff, einige Minuten in einem Tone fort, welcher dem Leser nicht viel angenehmer klingen würde, als er Sophien klang, und beschloß endlich mit der Erklärung, daß, wenn er Herr der ganzen Welt wäre, er solche zu ihren Füßen legen würde. Sophie riß drauf mit Gewalt ihre Hand aus der seinigen und antwortete mit Entschlossenheit: »Ich versichre Sie, Herr Graf, ich würde Ihre Welt, samt ihrem Herrn, mit gleicher Verachtung von mir stoßen.« Hierauf wollte sie fortgehen; Graf Liebegrimm ergriff aber ihre Hand von neuem und sagte: »Verzeihen Sie mir, geliebtester Engel, wenn ich mir Freiheiten nehme, zu denen mich nur die äußerste Verzweiflung treiben kann! Glauben Sie mir, hätte ich die geringste Hoffnung fassen können, daß Sie meinen Stand und mein Vermögen, welche beide nur alsdann unbeträchtlich scheinen können, wenn sie gegen Ihren hohen Wert auf die Wagschale gelegt werden, Ihrer Annahme würdig finden würden; – wirklich, aufs demütigste hätte ich Ihnen solche angetragen. – Aber ich kann Sie nicht verlieren! Beim Himmel! lieber verliere ich meine eigne Seele. Sie [141] sind, Sie müssen, Sie sollen einzig und allein die meinige bleiben!« – »Herr Graf,« sagte sie, »ich ersuche Sie, von einem eitlen Vorsatz abzustehen; denn auf meine Ehre! ich will über diesen Punkt nie etwas weiter von Ihnen hören. Lassen Sie meine Hand, Graf; denn ich bin entschlossen, in diesem Augenblick von Ihnen zu gehen und nie wieder einen Besuch von Ihnen anzunehmen.« – »So muß ich denn, mein Fräulein,« schrie der Graf, »diesen Augenblick bestens zu nutzen suchen, denn ich kann und will nicht ohne Sie leben.« – »Was meinen Sie damit, Herr Graf?« sagte Sophie. »Ich werde Lärm im Hause machen.« – »Ich fürchte in der Welt nichts, mein Fräulein,« antwortete er, »als Sie zu verlieren, und bin entschlossen, diesen Verlust auf die einzige Art zu verhindern, welche mir die Verzweiflung anweist.« – Hierbei faßte er sie in seine Arme, worüber sie so laut schrie, daß ihr jemand hätte zu Hilfe eilen müssen, hätte nicht die Bellaston dafür gesorgt, alle Ohren weit genug zu entfernen. Aber es begab sich ein glücklicher Umstand für die arme Sophie, es erhob sich ein andres Gelärm, welches ihr Geschrei fast verschlang, denn jetzt ertönte im ganzen Hause: »Wo ist sie? Blitz und der Hagel, den Augenblick will ich sie losriegeln! Weist mir ihre Kammer, sage ich! Wo ist meine Tochter? Ich weiß, sie ist im Hause, und sehen will ich sie, wenn sie übern Grund ist! Zeigt mir, wo ist sie?« – Bei diesen Worten flog die Thüre auf, und herein stürzte Junker Western mit seinem Pfarrer und einem großen Troß von Gefolge auf seinen Fersen.

Wie elend müssen die Umstände der armen Sophie gewesen sein, wenn die wütende Stimme ihres Vaters ihren Ohren willkommen war! Willkommen aber war sie in der That, und zum großen Glück kam er; denn es war der einzige Zufall auf Gottes Erdboden, welcher verhindern konnte, daß Sophien der Friede ihrer Seele nicht auf ewig geraubt wurde.

Ungeachtet ihrer Angst erkannte Sophie augenblicklich die Stimme ihres Vaters, und Se. hochgräfl. Gnaden, ungeachtet Dero Leidenschaft, erkannten die Stimme der Vernunft, welche Dieselben aufs schleunigste versicherte, es wäre jetzt nicht die Zeit Hochdero Schandthat auszuführen. Sonach, als er die Stimme näherkommen, und gleichfalls hörte, wessen sie wäre, (denn sowie der Junker mehr als einmal das Wort Tochter brüllte, so hatte auch Sophie mitten unter ihrem Sträuben oft das Wort Vater gerufen), so hielt er für ratsam, seine Beute fahren zu lassen, nachdem er bloß ihr Halstuch ein wenig in Unordnung gebracht, und mit seinen unverschämten Lippen an ihrem liebreizenden Busen einige Gewaltthätigkeiten verübt hatte.

Wenn mir die Einbildungskraft des Lesers nicht zu Hilfe kommt, so bin ich platterdings nicht im stande, die Fassung dieser zwei Personen zu beschreiben, als Western ins Zimmer trat. Sophie schwankte hin auf einen Stuhl, worauf sie saß, verstört, bleich, atemlos, kochend vor Zorn über den Graf Liebegrimm, dabei voller Angst und doch noch mehr voller Freuden über die Ankunft ihres Vaters. Se. Hochgräfl. Gnaden setzten sich nahe bei ihr nieder, den Haarbeutel [142] der Perücke über eine seiner Schultern hervorhängend, den Ueberrest seiner Kleidung ein wenig in Unordnung, und ein wenig mehr von der weißen Wäsche, als gewöhnlich, vor den Busen hervorgezaust; im übrigen erstaunt, erschrocken, verdrießlich und beschämt.

Was den Junker Western betrifft, so hatte ihn eben um diese Zeit ein Feind erhascht, welcher die Landjunker dieses Reichs sehr oft verfolgt und sie nicht selten einzuholen pflegt. Buchstäblich gesagt: er war betrunken; welcher Umstand, zusammengenommen mit seiner natürlichen Heftigkeit, keine andere Wirkung hervorbringen konnte, als daß er spornstreichs auf seine Tochter zulief und bitterlich mit seiner Zunge über sie herfiel; ja, er würde vermutlich mit den Händen gewaltthätig zuwerk gegangen sein, hätte sich nicht der Pfarrer dazwischen gelegt, welcher sagte: »Ums Himmelswillen! gnädiger Herr, geruhen Sie zu bedenken, daß Sie in dem Hause einer vornehmen Dame sind. Lassen Sie sich erbitten, Ihren Eifer zu mäßigen! Es sollte Ihnen schon ein großes Maß von Beruhigung gewähren, daß Dieselben Ihre Tochter gefunden haben; denn die Rache, gnädiger Herr, ist nicht unser. Ich bemerke große Reue und Leid auf dem Gesichte des gnädigen Fräuleins. Ich bin der Gewißheit, daß, wofern Sie ihr Vergebung angedeihen lassen, solche alle ihre bisherigen Versündigungen gegen Sie bereuen und zu ihrer kindlichen Pflicht zurückkehren werden.«

Die Stärke der Arme des Pfarrers hatten anfangs bessere Dienste geleistet, als die Stärke seiner Wohlredenheit. Unterdessen thaten seine letzten Worte einige Wirkung, und der Junker antwortete: »Na! ich will's ihr vergeben, wenn sie 'n hab'n will! Wenn 'n hab'n willst, Fike, so will' ich dir alles vergessen und vergeb'n. Na! w'rum sprichst' nicht? Sollst'n hab'n, straf' mir Gott! sollst'n haben. Was? antwortst' nicht? Was das für 'n halsstarrige Kröt' ist!«

»Lassen Sie mein Bitten stattfinden, gnäd'ger Herr, sich ein wenig mehr zu mäßigen,« sagte Herr Pfarrer Schickelmann; »Sie erschrecken das gnäd'ge Fräulein so, daß Sie ihr das Vermögen der Sprache benehmen.«

»Vermögen meines A – auch!« antwortete der Junker. »Woll'n Sie 'r beistehn also? woll'n S'e? E'n wacker'r Pfarrer, mein Seel, der 's mit 'n ungehorsam'n Kind' hält. Ja, ja! 'ne bess're Pfarre sollst' hab'n, wenn Nimmerstag kommt, eh'r will ich s'e dem höllsch'n Satan geb'n.«

»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung,« sagte der Pfarrer, »das ist meine Meinung nicht gewesen! Ew. Gnaden untertänigst zu versichern.« Nunmehr kam Frau von Bellaston ins Zimmer, und nahte sich dem Junker, welcher sie nicht so bald erblickte, als er im Vorsatze, den Vorschriften seiner Schwester zu folgen, ihr auf gut landjunkerisch einen sehr höflichen Kratzfuß machte, und einige seiner besten Komplimente herstammelte. Hierauf stimmte er augenblicklich seine Klaglieder an, und sagte. »Da, gnäd'ge Kesine, da steht das ungehorsamste Kind auf dem ganzen Weltrevier; da girrt s'e nach'n lumpigen Bettlerschuft, und will ein'n der reichsten Partien nicht heiraten, die wir für s'e ausgesucht hab'n.«

[143] »In der That, Kousin Western,« antwortete die Dame vom Hause, »ich bin gewiß, Sie thun dem Fräulein Unrecht; dazu hat sie zu viel Verstand. Ich bin überzeugt, sie wird eine Partie nicht ausschlagen, die, wie sie selbst einsehen muß, so sehr vorteilhaft für sie ist.«

Dies war ein vorsätzliches Mißverständnis von der Frau von Bellaston; denn sie wußte recht gut, wen der Junker Western im Sinne hatte, ob sie gleich dabei auch denken mochte, er würde leicht zu des Grafen Vorschlägen herüberzubringen sein.

»Hörste, da? hörste da,« sagte der Junker, »was gnäd'ge Muhme sagt? Deine ganz' Familie ist für d'Partie. Komm Fikchen, sei artig! Sei 'n gut Kind, und mach dein'n Vater 'ne Freude.«

»Wenn mein Tod Ihnen Freude machen kann, liebster Vater,« antwortete Sophie, »so werden Sie diese Freude bald haben.«

»'S ist en' Lügen, Fikchen! 's ist 'n' verdammte Lügen, und das weißt du!« sagte der Junker.

»In der That, Fräulein Western,« sagte die Frau von Bellaston, »Sie thun Ihrem Vater Unrecht! Er hat bei dieser Verbindung nichts vor Augen, als Ihr Bestes, und ich und alle Ihre Freunde können es nicht anders, als für die größte Ehre aufnehmen, die durch diese Anwerbung Ihrer Familie erzeigt wird.«

»Ja wohl, wir alle mit'nander!« sagte der Junker. »Ja weißt ja wohl, daß es nicht 'nmal mein eigner Vorschlag ist. Sie weiß, daß 'n ihre Tante, mein' Schwester, zuerst that. Komm Fikchen, ich bitt' dich noch e'mal, sei'n fromm Kind und gib m'r dein Jawort, hier, daß dein' Kousine dabei ist!«

»Lassen Sie mich ihm Ihre Hand geben, liebe Kousine,« sagte die Dame vom Hause. »Heutzutage ist es Mode, die Zeit der langen Bräutigamsbesuche abzukürzen.«

»Pah!« sagte der Junker, »was ist 'r zu Bräutigams besuchen; zum liebeln und Bübeln ist's Zeit genug nachher! Was sie sich zu sagen haben, könn'n s'e noch gut genug thun, wenn s'e unter ein'n Bettlaken gewesen sind.«

Da der Graf Liebegrimm völlig versichert war, daß die Frau von Bellaston niemand sonst meine als ihn, und bis dahin noch kein Wort von Blisil gehört oder vermutet, noch geargwöhnt hatte, so zweifelte er nicht, daß der Vater gleichfalls von ihm spreche. Er ging also auf den Junker zu und sagte: »Ob ich gleich nicht die Ehre habe, mein Herr, persönlich bekannt zu sein, so erlauben Sie mir gleichwohl, da ich sehe, daß ich so glücklich bin mit meinem Vorschlage Gehör zu finden, für das gnädige Fräulein eine Fürbitte einzulegen, die dahin geht, daß man für jetzt nicht weiter in sie dringen möge.«

»Nä! Eine Fürbitte? Sie, Herr?« sagte der Junker. »Wer alle Teufel sind denn Sie?«

»Mein Herr, ich bin der Graf von Liebegrimm,« antwortete er, »und bin der glückliche Mann, dem Sie, wie ich hoffe, die Ehre erzeigt haben, ihn zu Ihrem Schwiegersohn anzunehmen.«

»Schwiegersohn? zum Schwernotssohn auch!« erwiderte der [144] Junker; »wenn Ihr' Kleider auch noch so sehr glimmern! Er mein Schwiegersohn! Nach Pfingsten auf'm Eise.«

»Von Ihnen, mein Herr, werd' ich mir mehr gefallen lassen, als von irgend einem andern Manne,« antwortete der Graf. »Dennoch muß ich Ihnen sagen, mein Herr, daß ich nicht gewohnt bin, dergleichen Sprache zu hören, ohne es zu ahnden.«

»Ahn' du meinen A –!« sagte der Junker. »Meinst' etwa, daß 'ch m'r vor solch'n Kerl fürcht', als du bist, weil du 'n lang' Bratspieß an der Lende bummeln hast? Leg' 'nmal 's Fangeisen weg, ich will d'r soviel geb'n, daß du dich nicht wieder in Ding' mischen sollst, die 'r nichts angehn – 'ch will dich beschwiegersohn'n, sollst all' dein Lebstage dran denk'n!«

»Es ist sehr gut, mein Herr!« sagte der Graf; »ich werde hier vor den Damen keine Unruhe anfangen, es wird sich alles schon finden! Ihr gehorsamer Diener, mein Herr. Gnäd'ge Frau von Bellaston, Ihr ganz gehorsamster.«

Seine hochgräfliche Gnaden hatten sich nicht so bald empfohlen, als Frau von Bellaston zum Junker Western hinging und ihm sagte: »Bewahre uns der Himmel! Herr von Western, was haben Sie angefangen! Sie wissen nicht, wen Sie beschimpft haben. Es ist einer der ersten Reichsgrafen, und ein äußerst reicher Herr, der gestern um Ihre Tochter geworben hat. Ein Mann, den Sie, nach meiner Ueberzeugung, mit dem äußersten Vergnügen annehmen müßten.«

»Was schiert mich Ihr' Ueberzeugung, hochgnädige Kousine?« sagte der Junker. »Ich will mit Ihr'n großen Reichsgrafen nichts zu thun hab'n. Mein' Tochter soll 'n hübsch ehrbar'n Landedelmann hab'n. Ich hab' schon ein'n, für s'e aufgetrieb'n, und den soll s'e habn. Vor all' die Müh die Sie mit 'r gehabt hab'n, hochgnäd'ge Muhm', thut's m'r herzlich leid! herzlich leid!« Frau von Bellaston sagte ihm allerlei Höflichkeiten über das Wort Müh, auf welche der Junker antwortete: »Nu, das ist dankenswert! – und ich könnt' für 'R Gnaden eben das thun. Ganz recht, Verwandte sollten so was für'n ander thun, und damit gut' Nacht, 'R Gnaden. Komm du, Madam Fiekchen, sollst mit m'r gehn, und das in all'n Guten, oder 'ch laß dich bei Kopf und Füß'n in d'Kutsche schleppen.«

Sophie sagte, sie wolle ihn ohne allen Zwang begleiten, bat aber, daß sie sich in einer Sänfte dürfte tragen lassen, weil sie das Fahren nicht würde aushalten können.

»I, I, sieh doch!« schrie der Junker. »Willst m'r wohl weiß machen, daß du nicht in 'ner Kutsche fahren kannst, nicht so? Hübsch ausgedacht, recht hübsch! Ne, ne! ich laß dich nun nicht wieder aus 'n Gesicht', bis du mit 'n getraut bist, das kannst' nur glaub'n.« Sophie sagte, sie sähe wohl, er habe sich vorgesetzt, ihr das Herz zu brechen. »O alle Hagel mit Herzbrechen und kein Ende!« sagte er. »Laß's brechen, wenn's dir 'n guter Ehemann brechen kann. Ich scheere mich kein'n Groschen, kein'n Heller, um ein'n ungehorsam'n Balg auf Gott's Erdboden.« Er faßte sie drauf mit Gewalt bei dem Arm, worauf sich der Pfarrer abermals in's Mittel legte [145] und ihn bat, sanfte Mittel zu gebrauchen. Hiergegen donnerte der Junker los mit einem derben Fluche, und befahl dem Pfarrer das Maul zu halten, indem er sagte: »Denk' nicht, daß du in deiner hölzern Tonne stehst, wenn du da stehst, muß ich dir wohl schnaken lassen, was du willst; aber ich bin kein Pfaffenscharwenzel, daß du's nur weißt! und will mich von dir nicht präzeptern lassen, wie 'ch mich aufführen soll, von dir. Nochmals 'R Gnaden, gute Nacht. Komm mit Fiekchen, bis 'n fromm Kind, so soll all's gut sein! Sollst 'n hab'n, beim Satan, sollst 'n hab'n!«

Jungfer Honoria kam unten an der Treppe zum Vorschein, und war nach einem sehr tiefen Knicks gegen den Junker auf dem Wege, ihr Fräulein zu begleiten; er stieß sie aber auf die Seite und sagte: »Halt, halt, Madam, halt! laßt Euch nicht wieder in mein'n Hause blicken.« – »Sie wollen mir doch nicht meine Aufwärterin nehmen, Papa?« sagte Sophie. – »Doch, doch, Püppchen, das will ich,« rief der Junker. – »Brauchst nicht zu fürchten, daß du keine Aufwartung haben sollst! 'ch will dir 'ne andre Putzjungfer verschaffen, und 'ne bess're Jungfer als die; denn ich will wohl zehn Thaler gegen 'n Groschen setzen, daß die ebensowenig ein' Jungfer ist, als meine Großmutter. Ne, ne! Feikchen, die soll dich nicht mehr bei Nacht und Nebel aus 'm Hause helfen, das kannst' mir glaub'n!« Hierauf packte er seine Tochter und den Pfarrer in die Mietkutsche, stieg darauf selbst hinein und befahl, ihn nach seiner Herberge zu fahren. Auf dem Wege dahin ließ er Sophie in Ruh und vertrieb sich damit die Zeit, dem Pfarrer ein Kollegium über die gute Lebensart zu lesen, und wie man sich gegen Vornehme mit Schicklichkeit zu betragen habe.

Es ist wohl möglich, daß er seine Tochter nicht so leicht aus dem Hause der Frau von Bellaston weggebracht haben möchte, wenn diese gute Dame Lust gehabt hätte, sie länger bei sich zu behalten. Sie war aber in Wahrheit nicht wenig vergnügt über die Art von Gefängnis, nach welchem Sophie gebracht wurde, und da ihr Plan mit dem Grafen Liebegrimm mißlungen war, so gereichte es ihr zum großen Vergnügen, daß andre gewaltthätige Mittel zu gunsten eines andern Mannes angewendet werden würden.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Auf was Weise der Junker dazu kam, den Aufenthalt seiner Tochter zu entdecken.


Obgleich in manchen Geschichten der Leser viel unerklärbarere Erscheinungen verdauen muß, als die Erscheinung des Junkers Western, ohne darüber einige Genüge zu erhalten, so wollen doch wir, die wir ihm außerordentlich gerne Gefälligkeiten erzeigen mögen, wenn es nur irgend in unsrer Macht steht, jetzt dazu schreiten, ihm die Mittel und Wege zu zeigen, wodurch der Junker erfuhr, wo seine Tochter wäre.

Also: In dem dritten Kapitel des vorigen Buches ließen wir [146] uns ein Wort davon entfallen (denn es ist nicht unsere Gewohnheit, zu welcher Zeit es wolle, den Vorhang weiter aufzuziehen, als eben zum Zwecke nötig ist), daß Madame Fitz Patrick, welche ein herzliches Verlangen trug, sich wieder mit ihrem Onkel und ihrer Tante von Western auszusöhnen, meinte, sie hätte dazu wahrscheinlich eine bequeme Gelegenheit, wenn sie behilflich wäre, Sophien an der Begehung desselbigen Verbrechens zu hindern, wodurch sie sich den Zorn ihrer Familie zugezogen hatte. Nach vielem Hin- und Hersinnen also faßte sie den Entschluß, ihrer Tante Western Nachricht von dem Aufenthalt ihrer Kousine zu geben. Demzufolge schrieb sie ihr folgenden Brief, welchen wir aus mehr als einer Ursache dem Leser der Länge nach zum besten geben wollen.


»Hochgeehrteste Fräulein Tante!


Die Veranlassung meines Schreibens wird vielleicht machen, daß meiner teuersten Tante dieser Brief nicht unangenehm ist, wenigstens wegen einer von Ihren Niecen, ob ich gleich keine große Ursache habe, zu hoffen, er werde Ihnen auch der andern wegen lieb sein.

Ohne weitere Entschuldigungen anzuführen, als ich auf dem Wege war, meine unglückliche Person zu Ihro Gnaden Füßen zu legen, traf ich, durch den seltsamsten Zufall von der Welt, mit meiner Kousine Sophie zusammen, mit deren Geschichte Sie besser bekannt sind, als ich selbst, ob ich zwar unendlich viel zu viel weiß; wenigstens genug, um mich zu überzeugen, daß sie in Gefahr steht, in eben dasselbe Unglück zu rennen, welches ich leider dadurch über mich gezogen habe, daß ich höchst thörichter und dummerweise Ihrem höchst weisen und klugen Rat nicht gefolgt bin.

Kurz ich habe den Mann gesehen, ja ich habe gestern den ganzen Tag in seiner Gesellschaft zugebracht, und es ist ein sehr scharmanter junger Mensch, das kann ich Ihro Gnaden versichern. Durch was für einen Zufall er mit mir bekannt geworden, das ist zu langweilig, meiner gnädigen Tante hier zu erzählen; aber ich habe heute morgen meine Wohnung verändert, um ihn zu vermeiden, damit er nicht durch mich auf die Entdeckung meiner Kousine gerate, denn noch weiß er nicht, wo sie ist, und es ist auch ratsam, daß er es nicht eher erfahre, bis mein Onkel sie in Sicherheit gebracht hat. Es ist also keine Zeit zu versäumen und ich habe bloß nötig, Ihnen zu sagen, daß Sie jetzt bei der Kousine Bellaston ist, welcher ich meinen Besuch gemacht und gefunden habe, daß sie willens ist, meine Kousine Western vor ihrer Familie zu verbergen. Meine teuerste gnädige Tante wissen, daß es eine ganz sonderbare Frau ist. Aber nichts würde mich schlechter kleiden, als wenn ich einer Person von Ihrem großen Verstande und großer Weltkenntnis etwas sagen wollte, das einem guten Rate nur von ferne ähnlich sähe: ich begnüge mich also, Ihnen bloß zu sagen, wie die Sache steht.

Ich hoffe, meine teuerste Tante, daß die Sorge, welche ich bei dieser Gelegenheit für das Beste meiner Familie bewiesen habe, mich von neuem der Gunst einer gütigen Anverwandten empfehlen[147] werde, welche beständig so vielen Eifer für die Ehre und das wahre Beste unser aller bezeigt hat, und daß es ein Mittel sein möge, mir Ihre gnädige Freundschaft wieder zu erwerben, welche einen so großen Teil meiner vorigen Glückseligkeit ausmachte, und für meine zukünftige so unentbehrlich ist. Ich bin mit der vollkommensten Verehrung, gnädigste Fräulein Tante,

Ihre pflichtschuldigste Niece und gehorsamste

demütigste Dienerin

Henriette Fitz Patrick


Tante Western war jetzt in ihres Bruders Hause, woselbst sie sich beständig aufgehalten hatte, um dem armen Junker in seiner Betrübnis Trost zuzusprechen. Von diesem Troste, welchen sie ihm in täglichen Gaben zuteilte, haben wir bereits eine Probe gegeben.

Sie stand jetzt mit ihrem Rücken gegen das Feuer gekehrt, hielt eine Prise Schnupftabak in der Hand und teilte dem Junker diese tägliche Spende an Trost aus, unterdessen er dabei seine Nachmittagspfeife rauchte, als sie den vorstehenden Brief empfing. Sie hatte ihn kaum durchgelesen, als sie solchen ihm hinreichte und dabei sagte: »Da, mon Frère, da ist eine Nachricht von Ihrem verlornen Schäflein. Das Glück hat es Ihnen noch einmal wiedergegeben, und wenn Sie sich von meinem Rate führen und leiten lassen wollen, so ist es möglich, daß Sie es behalten.«

Sobald der Junker den Brief durchgelesen hatte, sprang er auf von seinem Stuhle, warf seine Pfeife ins Feuer und schrie vor Freuden ein lautes Juchhe! Darauf schellte er die Bedienten zusammen, ließ sich seine Stiefel bringen, befahl den Chevalier und einige andere Pferde zu satteln, und sogleich den Pfarrer Schickelmann zu holen. Nachdem er alles dies gethan, ging er auf seine Schwester zu, faßte sie in seine Arme und gab ihr einen derben Schmatz, wobei er sagte: »Hagel! D' siehst ja nicht freundlich aus! Einer sollt' mein'n, es thät' Dir leid, daß ich's Mädchen gefund'n habe.«

»Mon Frère,« antwortete sie, »die tiefsten Politiker, welche auf den Grund der Sachen sehen, entdecken oft einen ganz verschiedenen Aspekt der Affairen, als derjenige ist, welcher auf der Oberfläche schwimmt. Es ist freilich wohl wahr, die Sachen sehen weit weniger gefährlich aus, als sie ehmals in Holland aussahen, als Ludwig der Vierzehnte mit seiner Armee vor den Thoren von Amsterdam stand. Aber es ist bei dieser Sache eine solche Delikatesse erforderlich, von der ich, mon Frère wird mir's verzeihen, fürchte, daß sie Ihnen ermangelt. Bei einer Dame von hoher Figur, wie unsre Kousine von Bellaston, muß man ein gewisses Dekorum beobachten,mon Frère, wozu eine größere Weltkenntnis nötig ist, als Sie, wie ich fürchte, besitzen.«

»Ma Soeur,« schrie der Junker, »'ch weiß, du hast eine winz'ge Meinung von meinem Verstand! Aber bei dieser Kehr will 'ch 'nmal zeigen, wer d'r Narr ist. Kenntnis! seht doch! Ich habe nicht so lang im Lande gelebt ohne Kenntnis von Haftsbefehlen und 'n[148] Landsgesetzen! Ich weiß, ich kann das Mein'ge allenthalb'n nehm'n, wo ich's finde. Zeig' mir nur mein' Tochter, wo s' ist, und wenn 'ch denn nicht weiß, wie ich s'e kriegen soll, so geb' ich dir Urlaub, mich 'n Dummbart zu nenn'n, so lang' ich lebe. 'S gibt ebensogut Friedensrichter in London, als in andern Orten.«

»Ma foi,« schrie die Schwester, »Sie machen, daß ich vor dem Ausgang dieser Sache zittre, die Sie, wenn Sie nach meinem Rat verfahren, zu einem glücklichen Ende bringen können. Meinen Sie denn wirklich, mon Frère, daß man in das Haus einer Dame von Stande und Ansehen mit Verhaftsbefehlen und brutalen Friedensrichtern einfallen kann? Ich will Sie unterrichten, wie Sie prozedieren müssen: Sobald Sie in der Stadt angelangt sind und dezente Kleider angeschafft haben (denn in der That, mon Frère, jetzt haben Sie keine, in welchen Sie erscheinen könnten,) so müssen Sie der Frau von Bellaston Ihre Empfehlung sagen und um die Erlaubniß bitten lassen, Ihre ergebenste Aufwartung machen zu dürfen. Wenn Sie dann in ihre Gegenwart vorgelassen werden, wie gewiß geschehen wird, und ihr Ihre Geschichte erzählt haben und den gehörigen Gebrauch von meinem Namen gemacht haben (denn ich glaube, Ihr kennet Euch beide kaum von Ansehen, ob Ihr gleich Blutsfreunde seid,) so glaube ich zuversichtlich, wird sie meiner Niece ihre Protektion entziehen, die ihr gewiß etwas falsches vorgespiegelt hat. Dies ist die einzige Methode. – Friedensrichter! man sehe doch! warum nicht gar Freizettel! Bilden Sie sich ein, daß man in einer zivilisierten Nation ein solches Verfahren gegen eine Dame von Stande und Ansehen unternehmen könne?«

»Hol der Beelzebub ihr Ansehn!« schrie der Junker. »Eine saubre zivilisierte Nation, wahrlich, wo die Weiber über die Gesetze weg sind! Und w'rum soll ich da stehn und passen und e'n'n Schlör von Komplimenten schicken an 'ne verdammte Hure, die ihr'n eigentlich'n natürlich'n Vater sein' Tochter vorenthält. Ich sag' dir, ma Soeur, ich bin nicht so unwissend, als du meinst. – Weiß wohl, du möcht'st gern behaupten, daß d' Weiber über d' Gesetze weg wären; aber 's ist 'ne reine Lügen. Ich hab's vom Oberrichter beim Landgericht selbst gehört, daß kein Mensch in der Welt ist, der nicht unter'n Gesetzen steht. Aber das muß wohl so was von euren ausländischen Gesetzen sein, glaub' ich, die mit der neuen Regierung eingeschwärzt sind.«

»Herr von Western, ich glaube,« sagte sie, »Sie nehmen von Tag zu Tag an Unwissenheit zu. – In Wahrheit, Sie sind ein völliger Bär geworden.«

»Ebensowenig 'n Bär, als du selbst, Schwester Western,« sagte der Junker. »Der Blix! da sprecht 'r 'n langes und breites von Eur'r Höflichkeit und wenns zum Klappen kömmt, mein Seel! da habt Ihr selbst vor kein'n Dreier. Ich bin kein Bär! Ne! bin auch kein Hund; aber 'ch kenne jemand, die so was ist, was mit 'n B – anfängt; aber der Blix, ich will Euch zeigen, daß ich besser zu leben weiß, als gewisse Leute.«

»Monsieur Western,« antwortete die Dame, »Sie haben Freiheit [149] zu sagen, was Sie wollen. Je vous méprise de tout mon coeur! Ich werde mich also darüber nicht ärgern. – Ueberdem, wie meine Kousine mit dem häßlichen irländischen Namen gar richtig sagt, ich habe so viele Rücksicht auf die Ehre und das wahre Beste meiner Familie und nehme so vielen Anteil an meiner Niece, welche mit dazu gehört, daß ich beschlossen habe, bei dieser Gelegenheit selbst nach der Stadt zu fahren. Denn in der That, in der That,mon Frère. Sie sind nicht der gewiegte Minister, den man bei einem polierten Hofe anstellen kann – Grönland – Grönland sollte allemal der Schauplatz der tramontanischen Negoziation sein.«

»Himmel sei Dank,« rief der Junker, »daß ich nicht versteh was d' da sagst. Bist wieder in dein ausländ'sch Rotwelsch geraten. Doch sollst sehn, daß 'ch viel zu großmütig bin, dir an Höflichkeit was nachzu geb'n, und weil du nicht bös drüber bist, was ich gesagt habe, so bin ich auch nicht bös drüber, was du gesagt hast. Vorwahr, 'ch hab's immer für 'ne Narrheit gehalten, wenn Verwandte sich kritteln, und wenn s'e sich dann und wann 'nmal ein hastig Wort geb'n, je nu! wer austeilt muß wieder einnehm'n! Meinsteils, ich kann nicht maul'n und nehm's für lieb und gut von dir, daß du selbst nach Londen gehn willst; denn ich bin 'r mein Lebstage nur zweimal gewesen und jederzeit nur so 'n vierzehn Tage, und da kann man freilich nicht von m'r erwarten, daß 'ch in so kurzer Zeit viel von d'n Straßen und d'n Leuten kann kennen gelernt haben. Ich hab's niemals geleugnet, daß du von solchen Dingen mehr weißt als ich. Wenn 'ch dir das absputieren wollte, das wär' eben so viel, als wenn du mir absputieren wolltst, daß ich nicht mein Kuppel Hunde zu führen wüßte, oder 'n Hasen im Nest zu finden.« – »Das versichr' ich Sie, mon Frère, werd' ich mir niemals einfallen lassen.« – »Nu gut!« erwiederte er, »und ich geb' dir beide Händ' drauf, ich will dir auch das andre nimmer absputieren.«

Hier wurden also, um der Dame eine Redensart abzuborgen, Präliminarien gewechselt unter den streitigen Parteien, und da nunmehr der Pfarrer anlangte und die Pferde fertig waren, so machte sich der Junker auf den Weg, nachdem er ihr versprochen hatte, ihren Rat vor Augen zu haben, und sie schickte sich dagegen an, ihm den nächsten Tag nachzufolgen.

Nachdem er aber unterwegs dem Pfarrer diese Sachen mitgeteilt hatte, wurden sie beide darüber einig, daß man der vorgeschriebnen Formalitäten gar wohl überhoben sein könnte, und da also der Junker andern Sinnes geworden war, so verfuhr er auf diejenige Art, wie wir bereits gesehen haben.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Worin dem armen Jones allerlei Widerwärtigkeiten begegnen.


Die Sachen befanden sich in der vorbesagten Lage, als Jungfer Honoria im Hause der Madame Miller anlangte und Herrn Jones [150] aus der Gesellschaft rufen ließ, wie wir vorhin gesehen haben, und als sie sich mit ihm allein befand, folgendermaßen anhub: »Ach, allerliebster Herr Jones, wo soll ich's Herz hernehmen, Sie zu erzählen! Sie sind rungnirt, Herr Jones, und meine arme Fröln ist rungnirt und ich bin auch rungnirt.« – »Ist meiner Sophie was zugestoßen?« rief Jones und starrte dabei wie ein Wahnsinniger. »Ach 's größte, 's größte Unglück von der Welt,« schrie Honoria. »O solch 'ne Dame krieg 'ch mein Lebstage nicht wieder! O! daß ich so was Entsetzlich's habe erleben müssen!« Bei diesen Worten ward Jones aschenbleich, zitterte und stammelte, aber die Kammerjungfer fuhr fort: »O, Herr Jones, ich habe meine Fröln auf ewig verlor'n.« – »Wie? was? Um Gottes willen, sage Sie doch – o, meine teure Sophie!« – »Sie mögen s' wohl so nennen,« sagte Honoria, »sie war mir die teuerste Fröln! – Alle meine Lebstage krieg' ich so 'n Platz nicht wieder.« – »Hol' der Henker Ihren Platz,« rief Jones. »Wo ist, was, was ist aus meiner Sophie geworden?« – »Ei ja! da hab'n wir's,« rief sie. »Die Bedienten nur gleich zum Henker, meiner Ehre! Den Henker dran gelegen, was aus ihnen wird, abgedankt oder nicht, wenn s' auch noch so sehr rungnirt sind. Je ne doch! sie hab'n wohl kein Fleisch und Blut wie andr' Leute! Ja, nein! was ist dran gelegen, wie's den'n geht in der Welt!« – »Wenn Sie das geringste Mitleiden, nur einen Funken davon hat,« rief Jones, »so bitt' ich Sie, sag' Sie mir doch augenblicklich, was ist meiner Sophie begegnet?« – »Meiner Ehre, ich habe wohl mehr Mitleiden mit Sie, als Sie mit mir!« antwortete Honoria. »Ich sage nicht so zum Henker, weil Sie die allersüßeste Fröln verloren haben. Mein'r Ehre! Sie sind zu bedauern, und ich bin zu bedauern ebenfalls; denn war nur jemals 'ne so gute Herrschaft!« – »Was ist geschehn, sage Sie das,« rief Jones, fast wie in einem Anfall von Wut. – »Was! was?« sagte das Mädchen; »wie? das Aergste was geschehen konnte vor Sie und vor mich – ihr Vater ist in der Stadt gekommen und hat sie uns allen beiden weggenommen.« Hier fiel Jones auf seine Kniee, dem Himmel zu danken, daß es nichts ärgeres wäre. – »Nichts ärgers?« wiederholte die Zofe. »Was könnt' ärger sein für uns beide? Er schleppte sie mit weg und fluchte hoch und teuer, sie sollte den Junker Blifil heiraten. Da haben Sie Ihren Trost und ich armes Kind bin aus 'm Dienst gejagt, das habe ich zu meinem!« – »In der That, Jungfer,« antwortete Jones, »Sie hat mir eine entsetzliche Angst eingejagt! Ich meinte nicht anders, als es müßte Sophie plötzlich ein gräßlicher Zufall begegnet sein; ein Zufall, wogegen das, wenn ich sie auch mit Blifil verheiratet sehen müßte, nur eine Kleinigkeit gewesen wäre. Aber meine liebe Jungfer, so lange noch Leben ist, so lange ist Hoffnung. Wir leben in einem Lande, in welchem kein Frauenzimmer wider ihren Willen mit thätiger Gewalt verheiratet werden kann.« – »Ja, nun! mein'r Ehr', Herr Jones,« sagte sie, »das ist wohl wahr! 's kann für Sie noch wohl Hoffnung sein; aber du liebste Zeit! was ist denn für mich armes Kind noch für Hoffnung? Und mein'r Ehr', das müssen [151] Sie doch auch wohl einsehn, daß ich all's das um Ihretwegen leide. Alle Bosheit, die der Junker auf mich hat, kommt davon, daß 'ch Ihre Partie gehalten habe, wie 'ch gethan habe, gegen Junker Blifil.« – »In der That, Jungfer Honoria,« antwortete er, »ich seh' es ein, wie sehr ich Ihr verbunden bin, und will nicht unterlassen, alles zu thun, was nur in meinen Kräften ist, um es wieder gut zu machen.« – »Ach, lieber Herr!« sagte sie, »was wieder gut machen! Was kann einer armen Bedienten den Verlust ein's Platzes wieder gut machen, wenn man nicht eben so 'n guten wieder kriegt?« – »Verzweifle Sie nur nicht, meine liebe Jungfer,« sagte Jones; »ich hoffe, Sie noch wieder in ihren vor'gen Platz zu bringen.« – »Ach, du liebste Zeit, Herr Jones,« sagte sie, »was kann 'ch mir schmeicheln mit solch'r Hoffnung, da 'ch weiß, daß das pur unmöglich is; denn der Junker ist m'r so aufsätzig. Und doch, ja, wenn Sie meine Fröln noch kriegten, wie ich, mein'r Ehre, von ganz'n Herzen hoffe, daß Sie s' kriegen soll'n; denn Sie sind 'n so scheneröser, gutthu'nder Herr, und ich will wohl schwören, daß Sie s' lieb halten, und sie hält Sie auch eben so lieb, als ihre eig'ne Seele; denn 's ist doch ganz vergebens, daß man's leugnen wollte, weil sozusagen jedes Menschenkind, das meine Fröln nur 'n bischen kennt, 's ihr gleich an 'n Augen ansehn muß. Denn, die arme liebe Fröln! verstellen kann sie sich gar nicht, und wenn zwei Leutchens nicht mit 'nander glücklich sind, die sich 'nander so freßlieb haben, ja! wer kanns denn sein? 'S Glück hängt nicht immer an Gut und Gelde! Und dazu, so hat ja auch Fröln genug und satt vor alle beide. Ja, mein'r Ehre! so sag ich, wie man zu sagen pflegt: Jammer und Schade wär's, zwei so schärmante Fein'sliebchen's nicht zusammenkomm'n zu lassen! Ja, mein Sinn sagt mir's ganz gewiß, Sie werden beide doch noch zuletzt 'n Pärchen werden, denn was der Himmel bescheert, ist unverwehrt! Und wenn 'ne Eh' einmal im Himmel geschlossen ist, so müssen s' alle Obrigkeit in der Welt wohl ungeschieden lassen. Mein'r Ehr! ich wollte wünschen, daß Pfarrer Schickelmann 'n bißchen mehr Kurasche hätte und den Junker die Sünden vorhielte, die er thut, daß 'r seine Tochter zwingen will, wider ihr Wissen und Will'n zu heiraten; aberst so, ja da muß der arm' Herr Magister ganz seiner Gnade leb'n und darf'n Junker ins G'sicht nicht 'nmal muchsen; so 'n guter frommer, lieber Mann 's sonst ist, und ihm sein sündlich Thun und Wesen in dem Stück, was das anbelangt, scharf genug vorhält, wenn er nicht dabei ist. In mein ganzes Leben hab' 'ch ihn nicht so unverschrock'n gesehn, als eben jetzt und vorher und ich war schon angst, daß 'n der Junker geschlag'n hätt'. – Nu nu! 'R Gnaden, Herr Jones müssen nicht so maulhängholisch sein, un' nich' verschweifeln; 's kann noch alles ganz weiß und wohl werden, wer weiß! so lang Sie sich auf d' Treue meiner Fröln verlassen könn'n, und mein'r Ehr', das könn'n Sie; denn das thut s' nicht, sie läßt sich nicht bewegen, durch nichts in der Welt, ein'n andern Mann zu nehmen. Das 's wahr, ich fürcht' mich ganz abscheulich, daß 'r der Junker 'nmal so ein'n Tollmanns Knuck – versetzt: denn [152] 's ist 'n ganz seltsam Herr, wenn er in Wut kommt und dann kann d'e Fröln auch noch gar leicht für Herzleid sterben, das fürcht' ich auch; denn s'e ist gar ein weiches Täubchen. Ja, hab' ich oft gedacht, Jammer ist's, daß sie nicht so e'n bischen von meiner Kurasche hat. Wann, wann! wenn ich mich so verplempert hätt' mit 'n jungen Menschen und mein Vater wollt' sich's untersteh'n, mich einzusperr'n – die Aug'n kratzt' ich 'n aus, so bald 'ch 'n mächtig werden könnt'. Aberst 's ist doch noch 'n groß Glück beim Dinge und das ist, daß der Vater nicht die G'walt hat, ihr das vorz'enthalten, was sie von ihren Unkel g'erbt hat und das macht mein'r Ehr' einen g'walt'gen Unterschied.«

Ob es daher kam, daß Jones auf diese Rede eben nicht die genauste Aufmerksamkeit richtete, oder weil sich darin nicht die geringste Lücke fassen ließ, das kann ich nicht entscheiden: aber er machte nicht einmal einen Versuch, ihr zu antworten, und ihre Zunge stand auch nicht ein einziges Mal still, bis Rebhuhn ins Zimmer gerannt kam und ihm die Nachricht brachte, die große Dame käme die Treppe herauf.

Nichts kam der Verlegenheit gleich, in welcher sich jetzt Jones verwickelt sah. Honoria wußte nicht das geringste von einer Bekanntschaft, die zwischen ihm und der Frau von Bellaston obwaltete, weil sie gerade die letzte Person in der Welt war, der er solche hätte anvertrauen mögen. In dieser Klemme von Wirrwarr ergriff er (wie sehr gewöhnlich) den schlimmsten Weg, und anstatt sie der Dame preiszugeben, welches eben nicht so viel zu bedeuten gehabt hätte, gab er lieber die Dame ihr preis. Er entschloß sich sonach, die Jungfer Honoria zu verstecken und er hatte nur gerade so viel Zeit, sie hinter das Bett zu bringen und die Gardinen vorzuziehn.

Die Geschäftigkeit, in welcher sich Jones zum Besten seiner armen Hauswirtin und ihrer Familie den ganzen Tag herumgetrieben, die Angst, welche ihm die Jungfer Honoria verursacht hatte, und die Verwirrung, in welche er durch die plötzliche Ankunft der Bellaston geriet, hatten ihm fast alle vorherigen Gedanken aus dem Kopfe getrieben, so daß es ihm nicht einmal einfiel, die Rolle eines Kranken zu spielen, wobei ihm dann auch freilich sein hübscher Anzug so wenig als seine blühende Gesichtsfarbe würden sonderlich zu statten gekommen sein.

Er empfing also die Dame gemäßer ihren Wünschen als ihren Erwartungen mit aller der Munterkeit, die er auf seinem Gesichte zu Felde stellen konnte, und ohne die geringste wahre oder verstellte Unpäßlichkeit.

Frau von Bellaston war nicht so bald ins Zimmer getreten, als sie sich aufs Bette hinplumpste. »Da sehn Sie, mein liebster Jones,« sagte sie, »daß ich nicht lange ohne Sie sein kann. Vielleicht sollte ich ein bißchen mit Ihnen schmollen, daß ich den ganzen Tag von Ihnen nichts gehört oder gesehn habe, denn ich sehe, Ihre Krankheit hätt' es Ihnen wohl erlaubt, auszugehn; ja, ich denke, Sie haben nicht den ganzen Tag in vollen Kleidern in Ihrer Kammer dagesessen wie eine feine Dame, welche Wochenbettsbesuche [153] an nimmt. Doch, meinen Sie nur nicht, daß ich mit Ihnen zanken will, denn ich will Ihnen niemals durch das Schmollen einer Ehefrau eine Entschuldigung für die kaltsinnige Aufführung eines Ehemanns an die Hand geben.«

»Nicht doch, beste, gnädige Frau,« sagte Jones; »ich weiß gewiß, Ihro Gnaden werden mir keine Vernachlässigung meiner Schuldigkeit vorwerfen, da ich bloß Ihre Befehle erwartete. Wer, meine holde Gebieterin, wer hat Ursache, sich zu beklagen? Wer hielt gestern abend sein Wort nicht und ließ einen armen Mann warten und wünschen und seufzen und schmachten?«

»Sagen Sie mir kein Wort davon, mein liebster Herr Jones,« erwiderte die Bellaston. »Wenn Sie die Ursache wüßten, Sie würden mich bedauern. Kurz, es ist nicht begreiflich, was sich Frauenzimmer von Stande von frechen Hanswürsten gefallen lassen müssen, um das Possenspiel der Welt mitzumachen. Indessen ist mir's sehr lieb, daß Ihnen all Ihr Wünschen und Schmachten keinen Schaden an der Gesundheit gethan hat; denn Sie haben in Ihrem Leben nicht besser ausgesehn. Bei meiner Treu, liebster Jones! Sie könnten diesen Augenblick einem Maler zu einem Adonis sitzen.«

Es gibt gewisse Worte, die so stark reizen, daß man nach dem Ausspruche der Männer von Ehre nicht anders darauf antworten kann als mit einem Schlage. Unter den Verliebten mag es wohl auch gewisse Ausdrücke geben, die sich bloß mit einem Kusse beantworten lassen. Das Kompliment, welches die holdselige Bellaston jetzt dem Jones machte, scheint von dieser Gattung zu sein, besonders da es von einem Blicke begleitet wurde, wodurch die Dame mehr sanftes Gefühl ausdrückte als ihre Zunge zu sagen vermochte.

Jones war gewiß in diesem Augenblicke in einer der verdrießlichsten und verwirrtesten Lagen, die sich nur erdenken lassen; denn, um bei dem Gleichnis zu bleiben, das wir vorhin brauchten, die Herausforderungsformel war von der Dame ausgestoßen und Jones konnte keine Satisfaktion nehmen, ja nicht einmal so thun als ob er sie begehrte, weil eine dritte Person zugegen war und weil bei dieser Art von Zweikämpfen nach den Rittergesetzen kein Sekundant zulässig war. Da dieser Querstrich der Frau von Bellaston nicht in die Gedanken fiel, weil sie nicht wußte, daß außer ihr noch ein Weiblein im Zimmer wäre, so harrte sie ein Weilchen mit dürrem Erstaunen auf eine Antwort von Jones, welcher sich selbst der lächerlichen Figur bewußt war die er machte, in einer Entfernung stand, und weil er die erwartete Antwort nicht geben konnte, lieber gar keine gab. Man kann sich nichts Komischeres und doch auch nichts Tragischeres denken, als dieser Auftritt gewesen sein müßte, wenn er noch viel länger gewährt hätte. Die Dame hatte bereits zwei bis dreimal die Farbe verändert, war vom Bette aufgestanden und hatte sich wieder niedergelassen, derweil Jones wünschte, daß die Erde unter ihm sinken oder das Haus über seinem Kopfe zusammenfallen möchte, als ihn ein seltsamer Zufall aus einer so kitzligen Ehrensache zog, woraus ihn weder die Beredsamkeit eines [154] Cicero, noch die Staatskunst eines Macchiavell ohne Schimpf und Schande hätten ziehen können.

Dies war nichts andres als die Ankunft des Herrn Nachtigall, welcher über und über betrunken, oder vielmehr in demjenigen Zustande der Betrunkenheit war, der dem Menschen den Gebrauch der Vernunft raubt und ihm nur soeben noch den Gebrauch seiner Glieder läßt.

Madame Miller und ihre Töchter waren zu Bette, und Rebhuhn saß am Küchenfeuer und schmauchte seine Pfeife, so daß er ganz ungehindert vor Herrn Jones Kammerthüre gelangte. Diese riß er auf und wollte ohne alle Zeremonien hineintreten, als Jones von seinem Stuhle auffuhr und auf ihn zurannte, um ihn zurückzuhalten, welches er dann auch so nachdrücklich bewerkstelligte, daß Nachtigall nicht weit genug ins Zimmer kam, um sehen zu können, wer auf dem Bette säße.

Nachtigall hatte eigentlich Jones' Zimmer für diejenigen gehalten, welche er vorher selbst bewohnt hatte, er bestand also hartnäckig darauf, daß er eingelassen sein wollte, und schwur oft, er wollte sich nicht abhalten lassen, sich in sein eignes Bett zu legen. Gleichwohl brachte ihn Jones zum Nachgeben und übergab ihn Rebhuhns Händen, den das Gepolter oben seinem Herrn zur Hilfe herbeigerufen hatte.

Und nun war Jones wider Willen genötigt, wieder nach seinem Zimmer zu gehen, woselbst er eben den Augenblick, als er den Fuß hineinsetzte, die Frau von Bellaston einen Schrei, obgleich zwar keinen sehr lauten, ausstoßen hörte und zugleich sah, daß sie sich in einer so heftigen Gemütsbewegung in einen Stuhl warf, die bei einer Dame von zarter Konstruktion eine hysterische Anwandlung gewesen sein würde.

Die Dame war wirklich so erschrocken über das Geringe der beiden Männer, wovon sie nicht wußte wie es ablaufen möchte, weil sie den Nachtigall manchen Schwur thun hörte, er wolle sich in sein eignes Bett legen, daß sie sich nach dem ihr bekannten Versteckplatze flüchten wollte, den sie zu ihrer großen Bestürzung bereits von einer andern besetzt fand.

»Ist diese Begegnung auszustehen, Herr Jones?« schrie die Dame. – »Elender, niederträchtiger Mensch! – Was für ein Weibsstück ist das, dem Sie mich preisgegeben haben?« – »Weibsstück!« schrie Jungfer Honoria und stürzte in heftiger Wut aus ihrem Versteckplatze hervor. »Seht doch, ich dächte was mir bisse! – Weibsstück! denkt doch! Mag wohl selbst ein Weibsstück sein! Ich bin 'ne honnette Jungfer, und das ist mehr als g'wisse Leut', die reicher sind, von sich rühmen dürfen.«

Jones, anstatt sich's geradezu angelegen sein zu lassen, die zornigen Hiebe und Stöße der Zofe abzulenken, wie ein Weibermann von mehr Erfahrung gethan haben würde, hielt sich damit auf, sein Gestirne zu verwünschen und sich selbst als den unglücklichsten Mann auf dem Erdboden zu beklagen, und dann gleich darauf sich an die Frau von Bellaston zu wenden und der die ärmlichsten [155] Beteurungen seiner Unschuld vorzusagen. Unter währender Zeit war die Dame wieder zum Gebrauch ihrer Vernunft gelangt, welche ihr ebenso fertig zu Gebote stand als irgend einem Frauenzimmer auf dieser Welt, vorzüglich bei dieser Art Gelegenheiten, und antwortete sonach ganz kalt: »Mein Herr, Sie bedürfen keiner Entschuldigungen, ich sehe schon wer die Person ist. Ich habe die Jungfer nicht sogleich gekannt, nun ich sie aber kenne, fällt mein Argwohn weg, daß unter ihr und Ihnen etwas vorgegangen sein könne, und ich weiß, sie ist eine zu verständige Person, um aus meinem Besuche bei Ihnen etwas Arges zu schließen. Ich bin von jeher ihre Freundin gewesen und es kann sich zeigen, wenn sie will, daß ich's inskünftige noch weit mehr bin.«

Jungfer Honoria war ebenso versöhnlich als sie leicht in Hitze geriet. Als sie demnach hörte, daß Frau von Bellaston gelindere Saiten rührte, so ging sie gleichfalls ins Piano. – »Ich bin gewiß, 'R Gnaden,« sagte sie, »ich hab' allemal und beständig 'R Gnaden gnäd'ge Güte mit der erkenntlichsten Erkenntlichkeit erkannt. Mei'nr Ehr, ich habe mein Lebtage keine solche gnäd'ge Freundin gehabt, als 'R Gnaden. – Und gewißlich, da ich seh', daß es 'R Gnaden sind, mit der ich sprach, nun möcht' ich mir fast die Zung' abbeißen, für was ich g'sagt habe. – Ich? was arg's denken von 'R Gnaden? Mein'r Ehr! 's würd' sich auch fein schick'n für 'ne Bediente wie ich bin, von einer so großen vornehmen Dame was zu denken! – Ich wollte sagen, wenn ich 'ne Bediente wäre, denn ich bin, leider Gott's, kein's Menschen Bediente jetzunder, und drum kann 'ch wohl selbst sag'n, ich bin 'n recht armes, unglückliches Weibsstück! – Ich hab' so 'ne scharmante Herrschaft verloren.« – Hier hielt es Honoria für diensam, einen Thränenregen fallen zu lassen. »Weine Sie nicht, Kind!« sagte die gutmütige Dame. »Es finden sich vielleicht Mittel und Wege, ihr alles wieder gut zu machen. Kommen Sie nur morgen früh zu mir.« Sie nahm dann ihren Fächer auf, der auf die Erde gefallen war, und ging, ohne nur mit einem Blick nach Jones hinzusehen, ganz majestätisch aus dem Zimmer; denn es liegt eine Art von Dignität in der Frechheit gewisser Damen von hohem Stande, welche geringere Frauen sich vergebens bestreben, in Umständen von dieser Natur zu erreichen.

Jones folgte ihr nach die Treppen hinunter und wollte ihr öfter die Hand reichen, die sie durchaus nicht annahm, und sie setzte sich in ihre Sänfte, ohne im geringsten darauf zu achten, daß er dastand und Bücklinge vor ihr machte.

Nachdem er wieder hinaufgekommen, erfolgte ein langer Dialog zwischen ihm und der Jungfer Honoria, derweil sie wieder ihre Kleider in Ordnung brachte, welche hinter dem Bette ein wenig aus den Falten gekommen waren. Die Materie dieses Gesprächs war seine Untreue gegen ihr junges Fräulein, worüber sie sich mit vieler Bitterkeit des Breitern herausließ. Endlich aber fand Jones Mittel, sie zu besänftigen, und nicht nur das, sondern auch ein Versprechen des unverbrüchlichsten Stillschweigens von ihr zu erhalten, und daß sie sich des nächsten Morgens alle Mühe geben wollte, Sophie aufzufinden [156] und ihm fernere Nachricht von dem Verfahren des Junkers zu überbringen.

Solchergestalt endigte sich dies unglückliche Abenteuer zur Zufriedenheit der einzigen Jungfer Honoria, denn ein Geheimnis (wie einige meiner Leser aus eigner Erfahrung vielleicht einräumen werden) ist oft ein sehr einträglicher Besitz, und zwar nicht nur für diejenigen, welche es treu bewahren, sondern zuweilen auch für solche Leute, die es herumflüstern bis es zu aller Ohren gelangt, ausgenommen der unwissenden Person, welche für die vermeinte Geheimhaltung desjenigen bezahlt, was jedermann und öffentlich bekannt ist.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Kurz und lieblich.


Ungeachtet aller der Verbindlichkeiten, welche Madame Miller vom Herrn Jones erhalten hatte, konnte sie sich doch des folgenden Morgens nicht enthalten, ihm einige sanfte Vorstellungen wegen des Gelärmes zu thun, welches vorige Nacht auf seinem Zimmer vorgefallen war. Diese Vorstellungen waren gleichwohl so sanft und freundlich, unter der (wirklich wahren) Versicherung, daß sie dabei weiter nichts zur Absicht habe, als einzig und allein Herrn Jones' wahres Bestes, daß er, weit entfernt, sich dadurch für beleidigt zu halten, die Ermahnungen der guten Frau mit Dankbarkeit aufnahm, bezeugte, daß ihm das Vorgegangene leid thäte, es so gut beschönigte als er vermochte, und dabei versprach, inskünftige niemals mehr dergleichen Unruhen ins Haus zu bringen.

Allein obgleich Madame Miller sich nicht enthielt, ihm beim ersten Morgengruß unter vier Augen eine kleine Epistelpredigt zu halten, so war doch die Veranlassung, weswegen er diesen Morgen herunterzukommen gebeten ward, von einer viel angenehmeren Art. Es geschah wirklich des Endes, daß er bei Mademoiselle die Stelle eines Vaters vertreten und solche am Altare dem Herrn Nachtigall geben sollte, welcher jetzt völlig angekleidet und auch völlig so nüchtern war, als wie viele meiner Leser glauben werden, ein Mann sein muß, der auf eine so unbesonnene Weise sich eine Frau antrauen läßt.

Und hier ist es vielleicht nicht unrecht angebracht, wenn wir erklären, auf was für Art und Weise der junge Bräutigam den Klauen seines Oheims entwischt und wie er in die Umstände geraten sei, in welchen wir ihn den Abend vorher erblickt haben.

Demnach also, als der Onkel mit seinem Neffen in seiner Wohnung angekommen war, ließ er, teils aus eigner Liebhaberei (denn er hatte ein herzliches Behagen an seiner Weinflasche), teils auch um seinen Neffen außer stand zu setzen, seinen Vorsatz unmittelbar auszuführen, Wein anschaffen, womit er dem jungen Menschen so wacker zutrank, daß dieser, obgleich er dem Trunke nicht ergeben, aber doch auch davon kein so abgesagter Feind war, daß er sich [157] durch Weigern des Ungehorsams und der Unhöflichkeit hätte schuldig machen wollen, sehr bald seine volle Ladung erhielt.

Eben als der Oheim diesen Sieg gewonnen hatte und für seinen Neffen ein Bett zurechtmachen ließ, kam ein Bote mit einer Nachricht an, die ihn dergestalt vor den Kopf stieß und so aus aller Fassung brachte, daß er den Augenblick alle Gedanken an seinen Neffen fahren ließ und alle seine Sinne bloß mit seinen eignen Angelegenheiten beschäftigte.

Diese plötzliche Nachricht war nichts geringeres, als daß seine Tochter sich beinahe den ersten Augenblick seiner Abwesenheit zunutze gemacht hätte, um mit einem benachbarten jungen Geistlichen auf und davonzugehen, gegen den der Vater nur eine einzige Einwendung hätte haben können, nämlich, daß er keinen Heller im Vermögen hatte. Indessen hatte sie es nicht für rätlich erachtet, solche ihre Liebschaft selbst diesem Vater anzuvertrauen, und so künstlich hatte sie ihre Sachen anzufangen gewußt, daß keine Seele das Geringste davon geargwohnt hatte, bis nun nach vollzogener Heirat.

Der alte Herr Nachtigall hatte kaum diese Nachricht vernommen, als er in der äußersten Verwirrung befahl, sogleich eine Postchaise anspannen zu lassen, und nachdem er seinen Neffen der Sorge eines Bedienten anempfohlen hatte, unmittelbar das Haus verließ und kaum wußte was er that oder wohin er ging.

Nachdem also der Onkel abgereist war, kam der Bediente herein, um den Neffen zu Bette zu bringen. Er weckte ihn deswegen auf, und als er ihm nach vieler Mühe begreiflich gemacht hatte, daß sein Onkel abgereist sei, verlangte Neffe Nachtigall, anstatt die ihm angebotene gütige Bedienung anzunehmen, mit großem Eifer, daß man eine Sänfte schaffen sollte, welches der Bediente, der keinen ausdrücklichen Befehl erhalten hatte, ihn zu bewachen, sehr willig ausrichtete. Und nachdem er solchergestalt wieder nach dem Hause der Madame Miller getragen worden, strauchelte er herauf nach Herrn Jones' Zimmer, wie vorhin erzählt worden ist.

Nachdem nunmehr der Riegel des Oheims weggeschoben worden (obgleich der junge Nachtigall noch nicht wußte, wie es zugegangen) und alle Interessenten sehr bald in Bereitschaft gesetzt waren, so stiegen die Mutter, Herr Jones, Herr Nachtigall und seine Braut in eine Mietkutsche, die sie nach dem geistlichen Gerichtshofe brachte, woselbst Mademoiselle Nanette in aller Behendigkeit, nach der gemeinen Redensart, zu einer ehrlichen Frau, und ihre Mutter in dem reinsten Sinne des Wortes, zur glücklichsten unter allen sterblichen Müttern gemacht wurde.

Und nunmehr, da Herr Jones seine freundschaftlichen Bemühungen für diese arme Frau und ihre Familie zu einem glücklichen Schlusse gediehen sah, fing er an auf seine eignen Angelegenheiten zu denken. Aber damit hier nicht viele von meinen Lesern seine Thorheit tadeln, womit er sich mit andrer Leute Händeln befaßte, und damit andre wenigere nicht denken mögen, er habe uneigennütziger gehandelt als er eigentlich that, so halten wir für nötig, unsrem Leser die Versicherung zu geben, daß er soweit entfernt[158] war, in dieser Sache ganz unbefangen zu handeln, daß er sogar einen ganz großen Anteil daran nahm, solche bis zu ihrem endlichen Schlusse hinauszuführen.

Um diesen anscheinenden Widerspruch auf einmal zu heben, läuft es nur darauf hinaus: Er war einer von denen, welche mit dem Schauspieler beim Terenz wahrhaftig sagen können: Homo sum: Nihil humani a me alienum puto. Er war niemals, weder bei den Leiden noch bei den Freuden eines Menschen ein gleichgültiger oder kalter Zuschauer, und die einen oder die andern fühlte er immer in einem größern oder geringern Maße, je nachdem er dazu etwas beigetragen hatte. Folglich konnte er nicht das Werkzeug sein, eine ganze Familie von der tiefsten Stufe des Elends bis zum Gipfel der Freude zu heben, ohne sich selbst zugleich dabei eine große Glückseligkeit zu erwerben; mehr vielleicht als Weltmänner sich oft mit der sauersten Mühe und Arbeit, selbst oft mit dem Durchwaten der tiefsten Sümpfe der Bosheit erkaufen.

Diejenigen Leser, die mit ihm von einerlei Farbe sind, sind vermutlich der Meinung, daß dies kurze Kapitel eine gar reichliche Materie in sich fasse, inzwischen daß andre vielleicht wünschen, es hätte, so kurz es auch ist, gänzlich wegbleiben mögen, weil es mit dem Hauptzwecke nichts zu thun hat, der nach ihrer Meinung ohne Zweifel dahinauslaufen wird, den Herrn Jones an den Galgen, oder womöglich zu einem noch bedauernswürdigeren Ende zu bringen.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Liebesbriefe von allerlei Schlage.


Als Jones wieder nach Hause kam, fand er folgende Briefe auf seinem Tische liegen, welche er glücklicherweise in eben der Ordnung öffnete, als sie gesandt waren.

»Ganz gewiß muß ich unter einer seltsamen Zauberwirkung stehn, keinen Augenblick kann ich bei einem Vorsatze beharren, so fest er gefaßt oder so wohl gegründet er sein mag. Gestern abend war ich fest entschlossen, Sie niemals wieder zu sehn, diesen morgen bin ich geneigt zu hören, ob Sie, wie Sie sagen, diese Sache ins reine bringen können. Und doch weiß ich's, daß das unmöglich ist. Ich habe mir bereits alles gesagt, was Sie nur erfinden können. – Vielleicht auch nicht. – Vielleicht sind Sie sinnreicher im Erfinden. Kommen Sie also den Augenblick nach Empfang dieses zu mir. Wenn Sie eine Entschuldigung erdichten können, so verspreche ich Ihnen fast im voraus, daß ich ihr glauben werde. Auch betrogen zum – Ich will nicht mehr denken. – Kommen Sie nur augenblicklich. – Dies ist der dritte Brief, den ich geschrieben habe, die zwei vorigen sind verbrannt. Fast hätte ich Lust, diesen gleichfalls ins Feuer zu werfen. – Alles, was ich wünsche, ist, daß ich nur nicht von Sinnen kommen möge. – Kommen Sie unverweilt zu mir, hören Sie!«

»Wenn Sie im geringsten hoffen, Verzeihung zu erhalten, oder [159] nur jemals in mein Haus kommen zu dürfen, so säumen Sie keinen Augenblick, mich zu besuchen.«

»Ich hörte jetzt, daß Sie nicht zu Hause waren, als Ihnen meine Billets gebracht wurden. – Den Augenblick, da Sie dies eröffnen, lassen Sie mich Sie sehen. – Ich werde keinen Fuß aus dem Hause setzen, auch kein einziger Besuch soll angenommen werden, der Ihrige ausgenommen. Ich wüßte doch nicht, was in dieser Welt Sie lange abhalten könnte.«

Jones war eben mit dem Lesen dieser drei Billets zu Ende gekommen, als Herr Nachtigall zu ihm ins Zimmer trat. »Nun, Thomas,« sagte er, »nichts neues von der Bellaston nach dem Abenteuer von gestern abend?« (denn es war jetzt kein Geheimnis mehr im Hause, wer die Dame wäre). »Was für eine Bellaston?« antwortete Jones ganz trocken. – »Nun, nun, liebster Thomas!« rief Nachtigall, »seien Sie nicht so zurückhaltend gegen Ihre Freunde. Ob ich gleich gestern abend zu benebelt war um sie zu sehen, so sah ich sie doch auf der letzten Maskerade. Meinen Sie denn, ich wisse nicht, wer die Feenkönigin gewesen?« – »So kannten Sie denn wirklich die Dame auf der Maskerade?« sagte Jones. – »Wirklich, und so wahr ich lebe, kann' ich sie,« sagte Nachtigall, »und hab' es Ihnen nachher wohl zwanzigmal zu verstehen gegeben, ob ich gleich, weil Sie über diesen Punkt immer so heiklich schienen, mich niemals mit deutlichen Worten habe herauslassen mögen. Mich deucht, mein Freund, nach Ihrer außerordentlichen Delikatesse zu urteilen sind Sie mit dem, was die Welt von dieser Dame sagt, nicht so bekannt als mit ihrer Person. Werden Sie nicht böse, Thomas! Aber auf meine Ehre, Sie sind nicht der erste hübsche Kerl, den sie in ihre Netze gelockt hat. Ihr guter Name ist in gar keiner Gefahr, das können Sie mir glauben.«

Ob nun Jones gleich, als seine Liebschaft begann, eben keine Ursache hatte, die Dame für eine Art von Vestalin zu halten, so hatte er doch von der Stadt und von dem, was darin vorging, zu wenig Erfahrung, um einige Kenntnis von dem Charakter zu haben, den man die Empfindsame heißt, welche mit jeder Mannsperson, nach der ihr Sinn steht, unter dem Vorwand und dem Deckmantel von Geschmack an Büchern und Künsten herumbuhlt, und welche, ob sich gleich einige fast zu bedächtige Damen nicht in ihrer Gesellschaft sehen lassen mögen, dennoch (wie man zu sagen pflegt) von der ganzen Stadt besucht wird; kurz von der jedermann weiß, daß sie das ist, was niemand sie nennt.

Als er demnach fand, daß Nachtigall von seinem Liebeshandel vollkommen unterrichtet wäre, und zu vermuten begann, daß eine so gewissenhafte Delikatesse, als er bisher beobachtet hatte, bei dieser Gelegenheit wohl eben nicht so durchaus nötig sein möchte, so entband er die Zunge seines Freundes und bat ihn, nur frei herauszusagen, was er von der Dame wisse, oder nur jemals über sie gehört habe.

Nachtigall, der in manchen Stücken fast ein wenig zu viel von einem Frauenzimmer an sich hatte, war auch beinahe ein wenig zu [160] stark zum schwätzen aufgelegt. Er hatte daher nicht so bald von Jones volle Freiheit zum sprechen erhalten, als er sich in eine lange Erzählung, die Dame betreffend, einließ, welche wir deswegen nicht nacherzählen mögen, weil sie gar vieles enthielt, was der Heldin zu großer Unehre gereichte und weil wir eine zu zärtliche Anhänglichkeit an alle Damen von Stande haben. Wir möchten daher gerne behutsamst vermeiden, den künftigen Kommentatoren dieses Werkes eine Gelegenheit zu boshaften Auslegungen zu geben und uns dadurch wider unsern Willen zu Urhebern von Verläumdungen zu machen, die uns niemals in den Sinn gekommen sind.

Nachdem Jones alles sehr aufmerksam angehört, was Nachtigall zu sagen hatte, holte er einen tiefen Seufzer, und der andre, der es bemerkte, sagte: »Was ist das? Nun ich hoffe doch nicht, daß du gar verliebt in sie bist! – Hätt' ich mir eingebildet, daß dir meine Geschichtchen so ans Herz gehn würden; verlaß dich drauf, du hättest sie niemals zu hören bekommen.« – »O mein liebster Freund!« rief Jones, »ich bin mit dieser Frau so verkettet, daß ich nicht weiß, wie ich mich herauswinden soll.« – »Da haben wir's! Wirklich verliebt!« – »Nein, mein Freund! Aber ich habe gegen sie Verbindlichkeiten und zwar sehr große. Weil Sie einmal so viel wissen, so will ich ganz offenherzig gegen Sie herausgehn. Es ist beinahe nur sie allein, der ich's zu verdanken habe, daß mir es nicht schon längst an einem Bissen Brots gemangelt hat. Wie kann ich nur dran denken, ein solches Frauenzimmer zu verlassen? Und doch muß ich ihr entsagen oder mich der schwärzesten Verräterei gegen eine andre schuldig machen, die unendlich mehr Verdienste um mich hat, als die Bellaston jemals haben kann. Ein Mädchen, Nachtigall, gegen die ich eine solche Liebe empfinde, daß sich nur sehr wenige Menschen davon einen Begriff machen können. Ich bin halb wahnsinnig über die Unentschlossenheit, wie ich handeln soll!« – »Und ist dies Mädchen, wenn ich bitten darf, eine Geliebte in allen Ehren?« sagte Nachtigall. – »In Ehren!« antwortete Jones. »Kein, auch nicht der leiseste Hauch hat es noch gewagt, über ihren Namen herzufahren. Die lieblichste Luft ist nicht reiner, der klarste Bach ist nicht heller als ihre Ehre. Sie ist durchaus an Geist und Körper die höchste Vollkommenheit. Sie ist das allerschönste Geschöpf unter der Sonne, und dabei besitzt sie solch edle, erhabne Eigenschaften, daß, ob sie mir gleich fast immer in meinen Gedanken schwebt, ich dennoch kaum jemals an ihre Schönheit denke, außer wenn ich sie sehe!« – »Und können Sie denn,« sagte Nachtigall, »bei einer solchen Leidenschaft im Herzen noch einen Augenblick anstehen, einer andern zu entsagen, einer solchen –« – »Halt!« sagte Jones. »Keine weitern Schimpfwörter auf sie in meiner Gegenwart! Ich verabscheue den Gedanken an Undankbarkeit.« – »Puh!« erwiderte der andre, »Sie sind nicht der erste, dem sie solcherlei Verbindlichkeiten erzeigt hat. Sie ist sehr freigebig, wenn ihre Sinne sprechen, ob sie gleich, lassen Sie mich Ihnen sagen, ihre Gunstbezeigungen so klüglich auszuspenden weiß, daß solche viel eher die Eitelkeit eines Mannes als seine Dankbarkeit erregen sollten.« Kurz, Nachtigall [161] ging so tief in diese Materie ein und erzählte seinem Freunde von der Dame so manche Geschichtchen, deren Wahrheit er beschwor, daß er in Jones' Brust alle Hochachtung für sie völlig vertilgte und seine Dankbarkeit in eben dem Verhältnis verminderte.

In der That begann er alle ihre Geschenke mehr als einen Lohn denn als Wohlthaten anzusehn, welches nicht nur sie, sondern auch ihn selbst in seiner eignen Achtung erniedrigte und ihn auf beide sehr verdrießlich machte. Von diesem Widerwillen ging er durch eine sehr natürliche Wendung über zu Sophie. Ihre Tugend, ihre Reinheit des Herzens, ihre Liebe zu ihm, ihre seinetwegen erduldeten Leiden erfüllten alle seine Gedanken und ließen ihn seinen Umgang mit der Bellaston in einem noch verabscheuungswürdigern Lichte erblicken. Das Resultat von allem war, daß, ob er auch, wenn er aus ihrem Dienste träte (denn so kam ihm jetzt sein Verhältnis mit ihr vor), seinen Bissen Brot verlöre, es dennoch sein Entschluß war, sie zu verlassen, wenn er nur einen scheinbaren Vorwand finden könnte. Als er diesen Entschluß seinem Freunde offenbart hatte, sann Herr Nachtigall ein wenig nach und sagte dann: »Ich hab's heraus, liebster Freund! Ich habe ein sichres Mittel gefunden. Tragen Sie ihr die Ehe an, und ich möchte meinen Hals drauf setzen, daß es geht, wie es gehen soll.« – »Die Ehe?« rief Jones. »Ja, ja, schlage ihr die Ehe vor,« antwortete Nachtigall, »und du sollst sehn, sie reißt den Strick entzwei und du bist frei! Ich kenn' einen jungen Menschen, den sie vordem unterhielt, der ihr das Anerbieten in purem Ernste that, und auf der Stelle ward er seiner Dienste entlassen.«

Jones meinte, er könne den Versuch nicht wagen. »Vielleicht,« sagte er, »könnte ihr ein solcher Antrag von einem Manne nicht so sehr zuwider sein, als von einem andern. Und wenn sie mich gar beim Worte faßte, wo wär' ich dann? In meiner eignen Falle gefangen und unglücklich auf zeitlebens!« – »Nein,« sagte Nachtigall, »das sind Sie nicht, wenn ich Ihnen einen Notbehelf geben kann, wodurch Sie zu allen Zeiten wieder aus der Falle kommen können.« – »Was für ein Notbehelf könnte das sein?« erwiderte Jones. »Dies,« antwortete Nachtigall: »der junge Mensch, dessen ich erwähnt habe und der einer meiner genauesten Bekannten ist, die ich auf der Welt habe, ist wegen einiger hämischen Streiche, die sie ihm gespielt hat, so ergrimmt auf sie, daß ich versichert bin, er wird Ihnen ohne alle Schwierigkeit ihre Briefe lesen lassen, und dann können Sie gar anständigerweise mit ihr brechen und ihr den Handel aufsagen, bevor der Knoten geknüpft ist, wenn sie ja gesonnen sein sollte, ihn zu knüpfen, was aber nach meiner Ueberzeugung ganz und gar ihr Sinn nicht ist.«

Nach einigen Bedenken und Zweifeln ergab sich Jones endlich auf die Stärke seiner Versicherungen; weil ihm aber, wie er schwur, die Dreistigkeit fehlte, ihr den Antrag gerade ins Gesicht zu thun, so schrieb er folgenden Brief, welchen Nachtigall diktierte:


»Madame!


Zu meinem großen Verdruß mußten mich eben unglückliche [162] Geschäfte aus dem Hause geführt haben, und ich dadurch die Ehre versäumen, Ihro Gnaden Befehle denselben Augenblick zu erbrechen, als sie ankamen; und dieses Misgeschick wird dadurch noch merklich größer, daß ich es auch noch aufschieben muß, mich bei Ihro Gnaden zu rechtfertigen. O teuerste Bellaston, was für Angst und Schrecken hat mir die Furcht verursacht, daß Ihre Reputation durch diese leidigen Zufälle in Gefahr geraten möchte! Es ist nur ein Mittel, diese Gefahr zu vermeiden. Dies kennen Sie selbst, ohne daß ich's nennen dürfte. Nur das erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen: So wie Ihre Ehre mir eben so teuer ist, als meine eigne, so ist auch meine einzige Ambition auf den Ruhm gestellt, meine Freiheit zu Ihro Gnaden Füßen gelegt zu haben; und glauben Sie mir, wenn ich Sie heiligst versichre, daß nichts in der Welt mich völlig glücklich machen kann, wofern Sie mir nicht großmütigst nach göttlichen und menschlichen Gesetzen das Recht erteilen, Sie die meinige zu nennen. Ich verharre mit der tiefsten Ehrerbietung

Ihro Gnaden höchstverpflichteter

treu gehorsamster Diener

Thomas Jones.«


Auf dieses sandte sie unverweilt folgende Antwort:

»Herr Jones!


Beim Durchlesen Ihrer ernsthaften Epistel hätte ich ihrer Kälte und Feierlichkeit halber beinahe darauf geschworen, daß Sie bereits das Recht nach göttlichen und menschlichen Gesetzen besäßen, wovon Sie schreiben; ja daß wir schon seit vielen Jahren die Mißgeburt von dem Tiere ausmachten, genannt Ehepaar. Aber halten Sie mich denn wirklich für eine Närrin? Oder bilden Sie sich ein, Sie wären im stande, mich dergestalt zu beschwatzen, daß ich mein ganzes Vermögen in Ihre freie Gewalt gäbe und dadurch zugleich die Mittel, auf meine Unkosten Ihren Vergnügungen nachzugehen? Sind dies die Beweise der Liebe, die ich erwartete? Ist dies der Dank für – Doch ich bin darüber weg, Ihnen etwas aufzurücken, und bin mit höchster Bewunderung Ihrer tiefsten Ehrerbietung

B.

N.S. Ich habe nicht Zeit, was ich geschrieben, noch einmal zu überlesen. – Vielleicht habe ich mehr gesagt, als ich meinte. – Kommen Sie um acht Uhr heute abend zu mir.«


Auf Gutbefinden seines Geheimen Rats erwiderte Jones:


»Madame!


Unmöglich kann ich Ihro Gnaden beschreiben, wie sehr mir der Verdacht zu Herzen geht, den Sie auf mich geworfen haben. Kann die gnädige Frau von Bellaston einem Manne die höchste Güte bewiesen haben, den Sie so niederträchtiger Absichten fähig hält? Oder können Sie von den feierlichsten Banden der Liebe eine so schnöde Meinung hegen? Können Sie glauben, Madame, daß wenn die Heftigkeit meiner Leidenschaft in einem übereilten Momente die zärtlichste Achtung unterdrückte, die ich für Ihre Ehre habe, ich mir's deswegen erlauben würde, einen Umgang fortzusetzen, welcher den Augen der Welt unmöglich lange verborgen bleiben könnte, und der, wenn er bekannt würde, Ihrer Reputation so höchst nachteilig sein müßte? Wenn dies die Meinung ist, die [163] sich Ihro Gnaden von mir machen, so muß ich Sie gehorsamst um eine baldige Gelegenheit bitten, Ihnen die Geldverbindlichkeiten zu erstatten, die ich so unglücklich gewesen bin, von Ihren Händen zu empfangen, und wegen der andern von einer zärtlichern Gattung werde ich auf ewig verharren u.s.w.«


Die Dame antwortete wie folgt:

»Ich sehe, Sie sind ein Lump! und ich verachte Sie von ganzer Seele. Sollten Sie herkommen, so bin ich nicht zu Hause.«

Obgleich Jones ganz froh war, aus einer Sklaverei befreit zu sein, welche diejenigen, welche jemals darin gewesen sind, vermutlich nicht für die leichteste ausgeben werden, so war er doch bei alledem in seinem Gemüte nicht so völlig ruhig. Es war bei diesem ganzen Verfahren etwas zu verfängliches für einen Menschen, der alle Arten von unredlicher List und Falschheit aufs äußerste verabscheute. Er würde sich auch wirklich nicht dazu haben bereden lassen, wäre er nicht in eine solch peinliche Lage verstrickt gewesen, daß er genötigt war, ein wenig außerehrlich gegen die eine oder gegen die andre von den beiden Frauenzimmern zu verfahren; und ohne Zweifel wird doch der Leser zugeben, daß jeder gute Grundsatz sowohl als die Liebe stark zu Sophiens Vorteil redeten.

Nachtigall jubilierte über die glückliche Wirkung seiner Kriegslist, worüber er von seinem Freunde viel Lob und Dank erhielt. Er antwortete: »Liebster Jones, wir haben einander ganz verschiedene Gefälligkeiten geleistet; Sie verdanken mir Ihre wiedererworbene Freiheit; ich verdanke Ihnen den Verlust der meinigen. Wenn Sie aber bei Ihrem Gewinnste ebenso glücklich sind, als ich bei meinem Verluste, so versichre ich Sie, sind wir die beiden glücklichsten Gesellen auf Gottes Erdboden.«

Die beiden Freunde wurden nun zum Mittagessen gerufen, wobei Madame Miller selbst das Amt einer Köchin verrichtet und ihre besten Talente angewendet hatte, um die Hochzeit ihrer Tochter zu feiern. Diese freudige Begebenheit schrieb sie hauptsächlich dem freundschaftlichen Bestreben des Herrn Jones zu. Ihre ganze Seele glühte von Dankbarkeit gegen ihn und alle ihre Blicke, Worte und Handlungen waren so beschäftigt, diese Dankbarkeit an den Tag zu legen, daß sie sich mit ihrer Tochter, ja selbst mit ihrem neuen Schwiegersohne nur sehr wenig abgab.

Die Mahlzeit war eben geendigt, als Madame Miller einen Brief empfing. Da wir aber in diesem Kapitel der Briefe schon sattsam gehabt haben, so wollen wir seinen Inhalt im folgenden anzeigen.

Zehntes Kapital
Zehntes Kapital.

Enthält teils Thatsachen und teils Bemerkungen darüber.


Der Brief sonach, welcher am Ende des vorhergehenden Kapitels anlangte, war vom Herrn Alwerth, und der Inhalt desselben war, daß er unmittelbar mit seinem Neffen Blifil zur Stadt kommen [164] wolle, nebst dem Ersuchen, man möchte ihm seine gewöhnlichen Zimmer in Bereitschaft halten, und zwar den untersten Stock für ihn selbst und den zweiten für seinen Neffen.

Die frohe Munterkeit, die sich vorher über das ganze Sein und Wesen der armen Frau verbreitet hatte, ward bei dieser Gelegenheit ein wenig mit Wolken überzogen. Diese Nachricht setzte sie wirklich um ein großes aus ihrer Fassung. Eine so uneigennützige Verbindung mit ihrer Tochter gleich damit zu vergelten, daß sie ihrem neuen Schwiegersohn die Thüre wiese, dünkte sie auf der einen Seite unverantwortlich, auf der andern hingegen konnte sie kaum den Gedanken ausstehen, sich gegen Herrn Alwerth nach alle den Wohlthaten, die sie von ihm empfangen hatte, darüber zu entschuldigen, wenn sie ihm die Zimmer versagte, die im strengsten Verstande ihm zugehörten. Denn dieser rechtschaffne Herr hatte bei allen seinen zahllosen Wohlthaten, die er andern er wies, die Gewohnheit, nach einer Regel zu verfahren, die demjenigen, wie es andre großmütige Leute zu machen pflegen, schnurgrade entgegenlief. Er sann bei allen Gelegenheiten darauf, seine Wohlthätigkeit nicht nur vor der Welt, sondern selbst vor denen, an welchen er sie übte, zu verbergen. Er bediente sich beständig der Worte leihen und bezahlen, statt des Wortes geben, und durch jede Methode, die er zu erfinden vermochte, verringerte er beständig die Gefälligkeiten, welche er bezeigte, mit seiner Zunge, indessen er solche mit seinen beiden Händen häufte. Dieser Gewohnheit zufolge hatte er zu Madame Miller, als er ihr die fünfzig Pfund zum Jahrgehalt aussetzte, gesagt: »Es geschähe deswegen, damit er immer den ersten Stock in ihrem Hause haben könnte, wenn er in der Stadt wäre, welches er kaum jemals willens war; sie könne solchen aber zu allen übrigen Zeiten vermieten, denn er wolle es ihr allemal einen Monat vorher anzeigen.« Er ward aber jetzt in so unvermuteter Eile zur Stadt getrieben, daß er keine Zeit hatte, diese Ankündigung zu thun. Und diese treibende Eile hatte ihn wahrscheinlicherweise verhindert, als er um seine Zimmer schrieb, hinzuzusetzen: wenn sie eben leer stünden; denn ganz gewiß hätte er sie sehr gerne gegen eine weit unzulänglichere Entschuldigung fahren lassen, als Madame Miller jetzt hätte anführen können.

Aber es gibt eine Art Menschen, welche, wie Prior gar vortrefflich sagt, ihr Betragen nach etwas richten:


Beyond the fix'd and settled Rules
Of Vice and Virtue in the Schools,
Beyond the Letter of the Law.
Was jenseits aller Regeln über Laster
Und Tugend, die die Schulen geben, was
Jenseits dem Buchstaben des Gesetzes liegt.

Diesen ist es so wenig genügend, wenn sie ein Gerichtshof auf ihre Rechtfertigung freisprechen würde, daß sie noch kaum einmal damit zufrieden sind, wenn das Gewissen, der strengste von allen Richtern, sie klaglos stellt. Nichts als die reinste Redlichkeit und Billigkeit kann dem zarten Gefühle ihres Gemüts ein Genügen [165] thun, und wenn irgend eine von ihren Handlungen nicht bis zu diesem Ziele reicht, so sind sie mißmutig und niedergeschlagen und ebenso unruhig und ängstlich als ein Mörder, der sich unaufhörlich vor Gespenstern oder Scharfrichtern fürchtet.

Zu diesen gehörte Madame Miller. Sie konnte ihre Unruhe über diesen Brief nicht verbergen. Sie hatte den Inhalt nicht so bald der Gesellschaft mitgeteilt und sich einige Worte über ihre Verlegenheit entfallen lassen, als Jones, ihr Schutzgeist, sie alsobald von ihren Sorgen befreite. »Was mich selbst betrifft, Madame,« sagte er, »so sind meine Zimmer zu Ihrem Dienste, wenn Sie es nur einen Augenblick vorher sagen, und Herr Nachtigall, da er nicht sogleich ein Haus einrichten kann, um seine Gattin zu empfangen, wird sich's, wie ich überzeugt bin, gerne gefallen lassen, nach seinen kürzlich gemieteten Zimmern zu ziehen, wohin ihm Madame Nachtigall ganz gewiß gerne folgen wird.« Mit diesem Vorschlage waren Mann und Frau den Augenblick zufrieden.

Der Leser wird leicht glauben, daß Madame Millers Wangen von neuem begannen von erhöhter Dankbarkeit gegen Herrn Jones zu glühen. Vielleicht aber ist es nicht so leicht, ihn zu überreden, daß der Umstand, daß Herr Jones in seiner letzten Rede ihre Tochter Madame Nachtigall genannt hatte (denn es war das erstemal, daß dieser liebliche Klang ihr Ohr erreichte), der liebevollen Mutter mehr Vergnügen verursachte und ihr Herz gegen Jones noch mehr erwärmte, als weil er ihre gegenwärtige Besorgnis gehoben hatte.

Der nächste Tag ward hierauf dazu angesetzt, daß das neuvermählte Paar und Herr Jones ausziehen sollten, für welchen letzten gleichfalls Zimmer in eben dem Hause mit seinem Freunde ausgemacht werden sollten. Und nunmehr war die Heiterkeit der Gesellschaft abermals wieder hergestellt, und sie brachten alle den Tag in großer Fröhlichkeit hin, ausgenommen Jones, der, ob er gleich die Uebrigen in ihren frohen Scherzen begleitete, doch manchen bittern Herzensstoß beim Andenken an seine Sophie empfand. Diese wurden nicht wenig schmerzhafter durch die Nachricht, daß Blifil zur Stadt kommen würde (denn die Absicht dieser Reise sah er nur zu deutlich ein), und was seinen Kummer noch um ein Merkliches erschwerte, war, daß Jungfer Honoria, welche ihm versprochen hatte, sich nach Sophie zu erkundigen und ihm des folgenden Abends bei Zeiten ihre Nachricht zu überbringen, ihn vergebens harren ließ.

In der Lage, worin er und seine Geliebte sich um diese Zeit befanden, hatte er kaum einigen Grund zu hoffen, daß er irgend eine gute Nachricht erfahren würde; dennoch war seine Ungeduld, Jungfer Honoria zu sehen, eben so groß, als ob er erwartete, sie würde ihm einen Brief von Sophie, worin ihn solche zu einer Unterredung bestellte, überbringen, und war ebenso unruhig über sein Außenbleiben. Ob dies eine Wirkung von derjenigen Schwachheit des menschlichen Gemüts war, nach welcher solches das Schlimmste zu wünschen begierig ist, und Ungewißheit für den unerträglichsten aller Schmerzen hält, oder ob er sich noch mit einiger geheimen Hoffnung schmeichelte, das wollen wir nicht entscheiden. Wer aber [166] jemals geliebt hat, muß wissen, daß es das letzte sein konnte. Denn unter aller der Gewalt, welche diese Leidenschaft über unser Gemüt ausübt, ist diejenige die bewundernswürdigste, vermöge welcher sie mitten in der Verzweiflung noch immer einen Strahl von Hoffnung bei uns unterhält. Schwierigkeiten, Unwahrscheinlichkeiten, ja selbst Unmöglichkeiten werden von dieser Hoffnung fast gänzlich übersehen, so daß man fast von jedem Mann, der in hohem Grade verliebt ist, sagen kann, wie Addison vom Cäsar:


The Alps and Pyrenaeans sînk before him!


Die Alpen sinken vor ihm hin und Pyrenäen.


Bei alledem ist es gleich wahr, daß eben dieselbe Leidenschaft zuweilen Gebirge aus Maulwurfshaufen zu machen, und selbst aus der Hoffnung Verzweiflung zu erpressen weiß. Allein diese kalten Schauer halten bei guten gesunden Menschen nicht lange an. In welcher Beschaffenheit sich Jones jetzt befand, überlassen wir dem Leser zu erraten, weil wir keine genaue Nachricht davon haben. Das aber ist gewiß, daß er zwei Stunden in Erwartung zugebracht hatte, als es ihm unmöglich ward, seine Unruhe noch länger zu verbergen, und er sich deswegen nach seinem Zimmer begab, woselbst ihn seine Beängstigung fast von Sinnen gebracht hatte, als ihm der folgende Brief von Jungfer Honoria überreicht wurde, den wir hier dem Leser verbatim & litteratim vorlegen wollen.


»Hog gehörter Häre


ig hätt ienen Kewiß lenkst Schont Mein ufwarthunk emagt, alsig Versbroggen hatte, wänn Mihr ir Knadn nig wär in wech Kom'n; dän kwiß, ödler Hähr, si wissen wolle, das's Heißt, en geder Leern sein lekzian, so wirth eß woll in Hauße stahn, unt vur Waar solig'n anter anher pitten, Megt nig Widergommen sin, unt Soh hät ig meneröhr kroß unregth Kehat, Wen igß nät aankenomn alts ir Knaten so knätich wahrn mihr aanßupihtten taß sy Mig zer Butsjunver Maggen Wolt unt Ig Hoddse nig Mal trumm kepäten Syst Waar Sy st Einhe Fonter peesten tamen Fon ter wellt, unt währs knuterhähr sacht taß sünd rägete Karnallgen, unT wän ig sel Bist emhal soo waß kesacht sol Te Habh. so Wahrs auß unschuhliger EinvallT, untunt Mihr Hertsligleyt. Eyer Knadhen Weisig Woll sünt tzuörlich unt su eyn Hannetter Häre, unt zagen Nix wihder Wänig soowaßolthe kesacht Haabn, unttaß ne Gunnver konnt in Schaten pringen, ty ir lipen lepsdage lank tan krösessten Rehsbäckt vor eyer Knaaten Kehappt Hatt. Wolle Waare Mann soltte jimmer seyn Tsungins mauhl Halltn, terweyl Mann nig Weis Waßig gepürren kan, unt meyner Oehr Wenß Mir gemannt nogestern Gesaacht hätte, daßig Schons häute in Eynen so Kuten platse sein sollte i das hattigniggeklaupt. Unt Migg at nigt 1 maal 1 Wort Tafon Ketreimt untiggabe augenigt Eyne andre auß jrer ställe verdrihben. Wih aaper meinhe Knätige Tame Mihr sy fon selpsten gaap oone taß ig se drumme baht So kansmir nihm Hant Ibel nämen Gunnver Vaarwihn Nichte Maal. Tas ig tas ävnäme Waß mihr in N Wäg vällt. untig Wünsche Eyer Knaten Wollen Ja NihMannt Waß tafon saagen fon täme Waß igge Sagt hahb. Täningg Winsch [167] eir Knadn All S glik Fonder Wällt. untig zeweihvele augenigt daß sy Die Vröhlen Fon Western noch am Aende krihgen wärden aberst. Nun kann Igg nix Meer dar Bey tuun, Weillig Vrölen nigt Meer betiehne unt in andren dihnsten stee un Thu muhs waß mein neie Hehrschhafft hab N will, untnigtuhn kann Waßigg will.

igg pitt noch Fielsmaalen ja reyn munt Tsu halten über das Waß unter uns forgevallen ist unt ferpleibe i Reh biß in dan tot ketreye dihnst Willige Dihne Rinn

Gunnver Honoria Elster.«


Herr Jones hatte seine eignen Mutmaßungen über diesen Schritt der Frau von Bellaston, welche im Grunde wenig weiters dabei zur Absicht hatte, als sich in ihrem eignen Hause einer Person zu versichern, welche ein Geheimnis besaß, das sie nicht gerne weiter bekannt werden lassen wollte, als es schon war. Am meisten aber war ihr daran gelegen, daß es Sophien nicht zu Ohren kommen möchte, denn obgleich dies Fräulein beinahe die einzige war, die es nicht weiter gebracht haben würde, so konnte es doch die gnädige Frau gar schwerlich glauben. Denn weil sie jetzt Sophie mit unversöhnlichem Hasse haßte, so meinte sie, Sophie müßte gleichfalls in ihrer zarten Brust einen gegenseitigen Haß gegen sie hegen, worin doch eine solche Leidenschaft noch niemals Eingang gefunden hatte.

Unterdessen Jones sich mit den Schreckbildern von tausenderlei fürchterlichen Anstalten und tief versteckten politischen Entwürfen ängstigte, die nach seiner Meinung bei Jungfer Honorias Erhöhung zum Grunde liegen möchten, versuchte Madame Fortuna, die bisher eine abgesagte Feindin von seiner Verbindung mit Sophie gewesen zu sein scheint, eine neue Methode, solche mit einem Male über den Haufen zu werfen, indem sie ihm eine Versuchung in den Weg warf, von der es schien, daß er solcher in seiner gegenwärtigen verzweifelten Lage würde schwerlich widerstehen können.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Erzählt sonderbare, obgleich nicht unerhörte Vorgänge.


Es war da eine Frau, eine gewisse Madame Hunt, die Herrn Jones oft in dem Hause gesehen hatte, wo er wohnte, weil sie mit den Frauenspersonen in demselben sehr genau bekannt und wirklich eine große Freundin von Madame Miller war. Ihr Alter war ungefähr dreißig, denn sie gestand sechsundzwanzig; ihr Gesicht und Person waren gut gestaltet, nur daß sie einen kleinen Ansatz zum Fettwerden hatte. In ihrer Jugend hatten ihre Verwandte sie an einen nach der Levante handelnden Kaufmann verheiratet, der, nachdem er ein großes Vermögen erworben, den Handel aufgegeben hatte. Mit diesem lebte sie ungefähr zwölf Jahre ohne Tadel, aber nicht ohne Kummer, in einem Stande großer Selbstverleugnung, und ihre Tugend ward durch seinen Tod und durch seine reiche Erbschaft belohnt. Das erste Jahr ihrer Witwenschaft war eben [168] zu Ende, und sie hatte es größtenteils in Eingezogenheit hingebracht, indem sie bloß ein paar gute Freundinnen sah und ihre Zeit zwischen ihren Andachtsübungen und Stadtneuigkeiten teilte, die sie beständig sehr gerne hören mochte. Eine sehr gute Gesundheit, ein sehr warmes Temperament und dabei viel Religion machten es ihr unumgänglich nötig, sich wieder zu verheiraten, und sie war entschlossen bei einer zweiten Ehe ihrem eigenen Willen zu folgen, wie sie bei der ersten dem Willen ihrer Verwandten hatte folgen müssen. Von dieser Frau ward dem Herrn Jones folgendes Billet gebracht:


»Seit dem ersten Tage, da ich Sie gesehen habe, mein Herr, müssen Ihnen meine Augen, wie ich nicht zweifeln kann, nur zu deutlich gesagt haben, daß Sie mir nicht gleichgültig waren; aber weder meine Zunge, noch meine Hand sollte es Ihnen jemals gestanden haben, hätten nicht die Frauenzimmer in dem Hause, wo Sie wohnen, Ihnen ein solches Zeugnis gegeben, und mir solche Beweise von Ihrer Rechtschaffenheit und Ihrer edlen Gemütsart erzählt, die mich überzeugen, daß Sie nicht nur ein höchst angenehmer, sondern auch der würdigste Mann sind. Ich habe gleichfalls das Vergnügen von diesen Freundinnen zu hören, daß Ihnen weder meine Person, noch mein Verstand, oder meine Gemütsart zuwider sind. Ich besitze ein Vermögen, welches hinreichend ist uns beide glücklich zu machen, das mich aber ohne Sie nicht glücklich machen kann. Ich weiß wohl, daß ich mich dadurch, daß ich mich Ihnen antrage, dem Tadel der Welt aussetze, wenn ich Sie aber nicht mehr liebte, als ich den Tadel der Welt fürchte, so wäre ich Ihrer nicht wert. Nur eine Schwierigkeit macht mir Bedenken: man hat mir sagen wollen, Sie wären in einen galanten Umgang mit einer Person von der großen Welt verwickelt. Wenn Sie es der Mühe wert achten, diesen Umgang einer Verbindung mit mir aufzuopfern, so bin ich die Ihrige, wo nicht, so bitte ich, vergessen Sie meine Schwachheit und lassen dies ein ewiges Geheimnis bleiben zwischen Ihnen und

Arabella Hunt.«


Beim Lesen dieses Briefchens geriet Jones in eine heftige Wallung. Seine Vermögensumstände waren damals sehr tief Ebbe, da die Quelle verstopft worden, aus der solche bis daher Zufluß erhalten hatten. Von allem, was er von der Frau von Bellaston erhalten, waren höchstens noch fünf Guineen übrig, und an eben diesem Morgen hatte ihn sein Schneider um doppelt soviel gemahnt. Seine ehrlich gemeinte Geliebte war in den Händen ihres Vaters, und er hatte kaum ein Fünkchen Hoffnung sie aus denselben jemals wieder zu erhalten. Auf ihre Unkosten von dem kleinen Vermögen zu leben, das sie unabhängig von ihrem Vater besaß, dagegen sträubte sich die Delikatesse, sowohl seines Stolzes, als seiner Liebe. Das Vermögen dieser Frau wäre ihm außerordentlich zu statten gekommen, und er hatte übrigens in keinem Betracht etwas gegen sie einzuwenden, vielmehr gefiel sie ihm so gut, als nur irgendein Frauenzimmer, Sophie ausgenommen. Aber Sophie verlassen und eine andre heiraten, das war unmöglich; daran konnte er nicht denken, komme es, wie es wolle. Aber warum sollte er nicht, da [169] es klar, daß sie die Seinige nicht werden konnte? Wäre es eben ihretwegen nicht gütiger, als sie länger in einer hoffnungslosen Leidenschaft für ihn zu unterhalten? Müßte er es nicht thun aus Freundschaft für sie? Diese Gedanken hatten einige Minuten hindurch bei ihm das Uebergewicht, und er hätte sich beinahe entschlossen, ihr, aus einem hohen Begriff von Ehre und Rechtschaffenheit, ungetreu zu werden. Aber dieses überfeine Vernünfteln konnte nicht lange gegen die Stimme der Natur Stich halten, welche in seinem Herzen ertönte und sagte, daß solche Freundschaft eine Verräterei an der Liebe sei. Endlich ließ er Tinte, Papier und Feder bringen und schrieb an Madame Hunt wie folgt:


»Madame!


Es wäre nur ein armseliger Dank für die Gewogenheit, die Sie mir erwiesen haben, wenn ich der Verbindung mit Ihnen eine Galanterie aufopferte, und ich würde es gewiß thun, wenn ich auch nicht, wie wirklich jetzt der Fall ist, allem dergleichen Umgang bereits entsagt hätte. Aber ich wäre nicht der redliche Mann, für den Sie mich halten, wenn ich Ihnen nicht sagte, daß mein Herz an eine andre vergeben ist, und zwar an ein sehr tugendhaftes Frauenzimmer, von der ich niemals ablassen kann, ob es gleich wahrscheinlich ist, daß ich nie zu ihrem Besitz gelangen werde. Gott verhüte es, daß ich, zur Vergeltung Ihrer Güte für mich, Ihnen das Unheil zufügte und Ihnen meine Hand gäbe, da ich Ihnen mein Herz nicht geben kann. Nein, lieber wollte ich vor Mangel umkommen, als mir so etwas zu schulden kommen lassen. Selbst wenn meine Geliebte an einen andern verheiratet wäre, würde ich nicht der Ihrige werden wollen, wofern nicht alle Eindrücke von ihr völlig aus meinem Herzen verlöscht wären. Sein Sie versichert, Madame, daß Ihr Geheimnis nicht sichrer in Ihrem eigenen Busen vergraben war, als in dem Busen

Ihres höchst verpflichteten und

dankbar ergebensten Dieners

T. Jones


Als unser Held diesen Brief geendigt und weggeschickt hatte, ging er an seinen Schrank, nahm Sophiens Muff heraus, küßte ihn zu verschiedenen Malen und ging festen Schritts eine Zeitlang mit froherm Gemüte im Zimmer auf und nieder, als ein Glücksjäger jemals gefühlt haben kann, wenn er eben ein Mädchen von einigen hunderttausend Thalern entführt und in Sicherheit gebracht hat.

Zwölftes Kapitel
Zwölftes Kapitel.

Rebhuhn hat eine Entdeckung gemacht.


Weil noch Jones sich an dem Bewußtsein seiner Redlichkeit erlabte, kam Rebhuhn springend und hüpfend ins Zimmer, wie seine Gewohnheit war, wenn er eine gute Zeitung brachte, oder zu bringen glaubte. Er war diesen Morgen von seinem Herrn ausgeschickt mit dem Befehle, zu versuchen, ob er nicht von dem Gesinde der Frau von Bellaston, oder sonst auf eine andere Art erfahren könnte, [170] wohin man Sophie geführt hätte; und er kam jetzt zurück, und erzählte unserm Helden mit fröhlichen Geberden, daß er das verlorne Schäflein gefunden habe. »Ich habe, liebster Herr,« sagte er, »den schwarzen Jakob, den Wildmeister gesehn, der einer von den Leuten ist, die der Junker mit zur Stadt gebracht hat. Ich kannte ihn augenblicks, ob ich ihn gleich seit vielen Jahren nicht gesehn habe; aber Sie wissen, liebster Herr, es ist ein merkwürdiger Kerl, oder, um eine reinere Phrasis zu gebrauchen, er hat einen merkwürdigen Bart, den stärksten und schwärzesten, den ich jemals gesehn habe. Es währte indessen ein Weilchen, ehe sich der schwarze Jakob auf mich besinnen konnte.« – »Nun gut! Aber hat Er gutes Neues?« rief Jones. »Was weiß er von meiner Sophie?« – »Sollen's gleich hören,« antwortete Rebhuhn. »Ich komme gleich darauf, sobald ich nur kann. – Sie sind so ungeduldig, liebster Herr, daß Sie gleich den Infinitivum wissen wollen, ehe sie noch den Imperativum fassen können. Was sagte ich doch? Ja, es währte ein Weilchen, ehe er sich auf mein Gesicht besinnen konnte.« – – »Mit seinem Affengesicht!« rief Jones. »Was weiß er von Sophie?« – »Nun, liebster Herr,« antwortete Rebhuhn, »von Fräulein Sophie weiß ich weiter nichts, als was ich Ihnen eben erzählen will; und ich hätt's Ihnen schon längst all's erzählt, wenn Sie mir nicht ins Wort gefallen wären; aber, wenn Sie so böse aussehen, so schrecken Sie mir alles aus dem Kopfe heraus, oder, um eine reinere Phrasis zu gebrauchen, aus meinem Gedächtnis heraus. Ich habe Sie niemals so böse gesehen, seit dem Tage, da wir Upton verließen, und den Tag vergesse ich nicht, und sollte ich auch noch tausend Jahr leben.« – »Nun denn! so fahr Er denn fort auf seine eigne Manier,« sagte Jones; »denn Er hat sich's doch einmal in den Kopf gesetzt, mich wahnsinnig zu machen!« – »Um alles in der Welt nicht!« erwiderte Rebhuhn. »Das hat mir schon Angst genug gemacht; und wie ich sagte, ich werde das nicht vergessen, so lange ich lebe!« – »Nun gut, und der schwarze Jakob« rief Jones. – »Nun gut, liebster Herr, wie ich sagte, es währte ein Weilchen, ehe er sich besinnen konnte, wer ich wäre; denn ich habe mich wirklich sehr verändert, ich bin gealtert, seitdem ich ihn gesehen habe. Non sum qualis eram! Ich habe mein Kreuz und Leiden in dieser Welt, und nichts macht einen Mann früher alt, als der Gram. Ich habe sagen hören, er soll in einer Nacht eisgraue Haare machen können! Inzwischen kennen that er mich doch endlich, das ist wahr genug; denn wir sind von einem Alter, und wir gingen alle beide in eine Freischule. Jakob war ein recht hartlerniger Junge; aber was thut ihm das? Zum laufen hilft nicht schnell sein, sagt Salomon; und nicht alle Menschen machen ihr Glück in der Welt, nachdem sie was gelernt haben; das mag ich wohl mit Fug und Recht von mir selbst sagen; aber das wird in den nächsten tausend Jahren wohl noch nicht anders werden. Nun gut und nicht allzu gut! – Wo war ich denn? – Ha, ja! – Gut! Wir hatten uns nicht so grade einander wieder gekannt, als wir uns nach manchem herzlichen Händeschütteln miteinander verglichen, nach einem Bierkeller zu gehn und[171] eine Kanne auszuwippen, und zu allem Glück war das Bier von dem besten, das ich gefunden habe, so lange ich in der Stadt gewesen bin. – Nun, liebster Herr, nun komme ich auf den rechten Punkt. Sehn Sie, ich hatte Sie nicht so stracks genannt und ihm erzählt, daß Sie und ich zusammen zur Stadt gekommen wären, und die ganze Zeit hindurch miteinander gelebt hätten, als er eine frische Kanne einzapfen ließ, und dabei fluchte und schwur, er wollte eins auf Ihre Gesundheit trinken! Und, das muß ich sagen, er trank so herzlich scharf auf Ihre Gesundheit, daß mir die Augen übergingen vor Freuden, zu sehn, daß es noch so dankbare Seelen in der Welt gäbe. Und als wir die Kanne aus hatten, nun so sagte ich, daß ich meine Kanne ebenfalls geben wollte; und somit tranken wir noch eine Kanne auf Ihre liebe Gesundheit; und darauf machte ich, daß ich nach Hause kam, um Ihnen die gute Zeitung zu bringen.«

»Was für Zeitung?« schrie Jones; »Er hat mir kein Wort von Sophie gesagt.« – »Ja, Gott verzeih mir die Sünde! das hätte ich bald vergessen!« sagte Rebhuhn. »In der That, wir sprachen in der Länge und in der Breite vom Fräulein von Western, und Jakob der sagte mir alles, und so, daß Junker Blifil zur Stadt käme, um mit ihr Hochzeit zu halten. So muß er sich wohl tummeln, sagte ich, oder ich kenne jemand, der sie weg haben kann, ehe er noch einmal da ist, und in der That, Herr Wildmeister, sagte ich zu ihm, 's wäre tausend Schade, wenn sie der Jemand nicht bekommen sollte. Sie müssen beide wissen, und ich kann's Ihnen sowohl als dem Fräulein sagen, Herr Seegrimm, sagte ich, daß es nicht ihres Reichtums wegen ist, daß er ihr nachgeht; denn was das Ding anbelangt, so kann ich Ihnen wohl sagen, daß eine andre Dame, von viel vornehmerem Stande, und viel reicher, als Fräulein von Western, in jemand so tückisch verliebt ist, daß sie ihm nachgeht bei Tag und bei Nacht.« Hier geriet Jones in Zorn und fuhr Rebhuhn gewaltig an, daß er ihn, wie er sagte, verraten und verkauft habe. Der arme Schlag von Kerl aber antwortete, er habe keinen Namen genannt. »Und dazu noch, liebster Herr, kann ich es versichern, daß Jakob Ihr aufrichtiger Freund ist, und daß er mehr als einmal den Herrn Blifil zum bösen Fierk gewünscht hat. Ja, er sagte auch, er wollte alles thun, was ihm nur menschenmöglich wäre, Ihnen zu dienen, und das wird er thun, darauf will ich wohl meinen Kopf verwetten. – Ich Sie verraten, wahrhaftig! ich zweifle sogar, daß Sie einen treuern Freund auf der Welt haben, mich ausgenommen, als ihn oder einen, der Ihnen zu gefallen soweit gehn wollte.«

»Wohl!« sagte Jones, ein wenig besänftigt. »Er sagte, dieser Mensch, von dem ich wohl glauben will, daß er geneigt genug ist, mein Freund zu sein, befinde sich mit Sophie in einem und demselbigen Hause?«

»In eben und demselbigen Hause!« antwortete Rebhuhn. »Je, liebster Herr, er steht ja beim Junker Western in Diensten, und geht recht tapfer gekleidet einher, das versichre ich Sie; und wenn er nicht den schwarzen Bart hätte, Sie würden ihn schwerlich wieder kennen.«

[172] »Einen Dienst,« sagte Jones, »wird er mir denn doch wenigstens thun können. Ohne Zweifel wird er mir einen Brief an Sophie richtig bestellen.«

»Auf den Kopf treffen Sie den Nagel, ad Unguem!« schrie Rebhuhn. »Daß doch ich nicht eher drauf gedacht habe! Ich stehe dafür, aufs erste Wort soll er es flugs thun.«

»Nun gut denn!« sagte Jones, »so laß Er mich jetzt allein, damit ich den Brief schreibe, den Er ihm morgen früh bringen soll; denn ich setze voraus, daß Er weiß, wo Er ihn finden kann.«

»O, ja wohl!« antwortete Rebhuhn. »Ich will ihn gewiß schon wieder finden, das hat keine Not! Das Bier ist viel zu gut, als daß er lang wegbleiben sollte. Es sollte mich wundern, wenn er nicht alle Tage nach der Schenke käme, solang er in der Stadt ist.«

»So kennt Er also die Gasse nicht, wo meine Sophie logiert?« rief Jones.

»Je, was sollte ich nicht? liebster Herr!« sagte Rebhuhn.

»Wie heißt denn die Gasse?« rief Jones.

»Wie sie heißt? wie sie heißt? – Je! es ist hier nahe bei!« antwortete Rebhuhn, »nur ein paar Gassen entlang. Den Namen weiß ich freilich nicht eigentlich; denn sehn Sie! weil er 'n nicht sagte, so wissen Sie wohl, hätte es ihm Argwohn in 'n Kopf setzen können, wenn ich darnach gefragt hätte. Nein, nein, Herr! Rebhuhn weiß Bescheid! da ist er zu pfiffig dazu, so was dazu machen, das versichre ich Ew. Gnaden.«

»Du bist mir der wahre pfiffige Bursche, wahrlich!« erwiderte Jones. »Indessen will ich meinem lieben Mädchen schreiben, denn so pfiffig wird Er ja wohl sein, denke ich, ihn morgen in der Bierschenke wieder zu finden!«

Und nun, nachdem er den scharfsinnigen Rebhuhn entlassen hatte, setzte sich Jones nieder zum schreiben, bei welchem Geschäfte wir ihn auf einige Zeit lassen wollen. Und hiermit machen wir dem fünfzehnten Buche ein Ende.

Sechzehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Von Prologen.


Ich kannte einen dramatischen Schriftsteller, der zu sagen pflegte, er wollte lieber ein ganzes Stück machen, als einen Prolog. Ebenso denke ich, kann ich mit leichterer Mühe ein ganzes Buch dieser Geschichte verfertigen, als ein Einleitungskapitel, dergleichen ich jedem Buche vorsetze.

Die Wahrheit zu bekennen, vermute ich, daß schon mancher [173] herzliche Fluch das Haupt desjenigen Schriftstellers getroffen habe, der zuerst die Gewohnheit einführte, seinen Stücken die Portion Materie voranzuschicken, welche man den Prolog nennt, und welche anfangs einen Teil vom Stücke selbst ausmachte, seit einiger Zeit her aber sowenig Zusammenhang mit dem Stücke, vor welchem es steht, oder gesprochen wird, hat, daß der Prolog, der ausdrücklich zu einem Trauerspiele gemacht ist, nicht nur vor einem andern Trauer-, sondern auch vor jedem andern Lustspiele hergesagt werden könnte. Die vom neuern Schlage scheinen in der That alle über drei Gänseweideplätze zu gehn, nämlich: Deklamation über den schlechten Geschmack der Stadt; Verdammungsurteil über alle gleichzeitige dramatische Autoren, und eine Lobrede über das eben vorzustellende neue Stück. Die Behandlung dieser drei Sätze ist sehr wenig von einander verschieden, auch kann sie es möglicherweise eben nicht sein! Bei dem allen habe ich mich oft über die große Erfindungskraft der Dichter gewundert, welche im stande waren, einerlei Sachen mit so mancherlei Redensarten zu sagen.

Auf eben die Weise besorge ich, wird mancher künftige Historiker (wenn mir die Ehre widerfahren sollte, daß einer oder der andere meine Manier nachahmen wollte) nachdem er seinen Kopf weidlich gekratzt, und mehr als eine Feder zerkäut hat, meinem Gedächtnis einen dichterischen Wunsch dafür widmen, daß ich diese Art Anfangskapitel zuerst eingeführt habe, wovon die meisten, gleich den neuern Prologen, ebenso schicklich vor jedes andre Buch dieser Geschichte gesetzt werden könnten, als vor das Buch, welches solche einleiten, oder am Ende auch ebensogut vor eine jede andre Geschichte als diese.

Wie drückend aber den Autoren die eine oder die andre dieser Erfindungen fallen mag, so wird doch der Leser aus der einen ebensoviel Vorteil ziehen, als der Zuschauer vorlängst in der andern fand.

Erstlich ist es bekannt, daß der Prolog dem Kritiker eine Gelegenheit gibt, seine Lunge zu versuchen und seine Pfeife in den höchsten Chorton zum überschreien zu stimmen. Durch dieses Mittel habe ich es erlebt, daß diese musikalischen Instrumente so vortrefflich abgestimmt wurden, daß sie gleich beim aufziehen des Vorhangs das vollstimmige Konzert anheben konnten.

Eben derselbe Vorteil kann von diesen Kapiteln gezogen werden, in welchen der Kritiker allemal sicher ist, etwas zu finden, dessen er sich bedienen kann, als eines Wetzsteins, seinen glänzenden Witz zu schärfen; so daß er mit größerm Heißhunger nach Tadel über die Geschichte selbst herfallen kann. Und hier wird sein Tiefblick es unnütz machen, zu bemerken, wie künstlich diese Kapitel darauf berechnet sind, diesen preiswürdigen Endzweck zu befördern. Denn wir haben dafür gesorgt, in dieselben immer etwas saures und scharfes einzumischen, um den besagten Witz der Kritik ein wenig zu reizen und zu stacheln.

Ferner kommen beide Erfindungen dem Gemächlichkeit-liebenden Leser, sowohl als dem Zuschauer gar merklich zu statten; denn sowie sie nicht genötigt sind, die einen anzuhören, oder die andern zu [174] lesen, und doch beides, Schauspiel und Buch verzögert werden, so gewinnen sie durch die Prologe eine hübsche Viertelstunde, die sie zu Hause beim Kaffee zubringen können; und durch die Einleitungskapitel haben sie den Vorteil, daß sie nicht gleich auf der ersten, sondern erst auf der vierten oder fünften Blattseite zu lesen anfangen dürfen. Und das ist keine so unbedeutende Kleinigkeit für Leute, welche aus keiner andern Absicht Bücher lesen, als um sagen zu können, daß sie sie gelesen haben; – ein Beweggrund, der allgemeiner ist, als sich wohl mancher einbilden mag, und aus welchem oft nicht nur Monatschriften und Journale, sondern auch wohl gar Homer und Virgil, ja selbst Swift und Cervantes, durchgeblättert werden.

Noch viel und mancherlei sind der Vorteile, die aus beiden entstehen; aber die meisten davon sind so in die Augen fallend, daß wir uns jetzt nicht dabei aufhalten wollen, sie herzurechnen, besonders, da es uns zu rechter Zeit einfällt, daß das größeste Verdienst des Prologs sowohl als der Einleitungs-Kapitel in der Kürze besteht.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Ein schnakisches Abenteuer, das dem Junker Western begegnete, und Sophiens traurige Lage.


Wir müssen nunmehr den Leser nach Herrn von Westerns Wohnung bringen, die er auf Empfehlung des Gastwirts zu den Herkules-Säulen an der Ecke von Hyde Park, in einem Hause in Piccadilly genommen; denn in den Herkules-Säulen, welches das erste Wirtshaus war, dessen er bei seiner Ankunft in die Stadt ansichtig wurde, brachte er seine Pferde unter, und in dieser Wohnung, welches die erste war, wovon man ihm sagte, sich selbst.

Als hier Sophie aus der Mietkutsche stieg, in welcher sie aus Frau von Bellastons Hause herfuhr, verlangte sie nach dem Zimmer, welches für sie bestellt wäre, worein der Vater sehr gerne willigte, und sie dahin selbst begleitete. Ein kurzes Gespräch, das aber weder wesentlich noch anmutig genug war, um es wörtlich herzusetzen, erfolgte drauf zwischen ihnen, in welchem er ihr aufs heftigste zusetzte, ihr Jawort zur Heirat mit Blifil zu geben, welcher, wie er ihr kund that, binnen wenig Tagen in der Stadt sein würde. Anstatt aber einzuwilligen, gab sie vielmehr eine kürzere und entschlossenere abschlägige Antwort, als sie noch jemals gegeben hatte. Dies stieß den Vater dergestalt vor den Kopf, daß er nach manchem bittern Fluche sie heilig versicherte, er wolle sie schon nötigen, ihn zu nehmen, sie möchte wollen oder nicht, von ihr ging, unter Schelten und Fluchen die Thüre zuschloß, und den Schlüssel zu sich steckte.

Derweilen Sophie da saß, ohne alle andre Gesellschaft als die, welche man auch dem schwersten Staatsgefangnen nicht zu nehmen pflegt, nämlich: Feuer und Licht, setzte sich der Junker hin, um sich bei einer Flasche Wein mit seinem Pfarrer und dem Wirte aus den [175] Herkules-Säulen gütlich zu thun, welcher letztere, wie der Junker sagte, ein exzellenter dritter Mann sein würde und erzählen könnte, was in der Stadt neues vorginge; denn ganz gewiß, sagte er, muß er einen Haufen wissen, weil soviele adlige Pferde von der höchsten Noblesse bei ihm einkehren.

In dieser anmutigen Gesellschaft brachte Junker Western den ganzen Abend und einen großen Teil des folgenden Tages hin, während welcher Periode nichts vorfiel, das wichtig genug gewesen, um in dieser Geschichte Platz zu finden. Diese ganze Zeit brachte Sophie in völliger Einsamkeit zu; denn ihr Vater schwur, sie sollte niemals wieder lebendig aus ihrer Kammer kommen, wenn sie nicht erst einwilligte, Herrn Blifil zum Manne zu nehmen. Er litt auch nicht einmal, daß die Thüre aufgeschlossen wurde, als bloß, ihr das Essen zu bringen, bei welchen Gelegenheiten er aber immer selbst dabei war.

Den zweiten Morgen nach seiner Ankunft, als er mit seinem Pfarrer bei einer gerösteten Semmel mit Butter und einer Kanne Doppelbier zum frühstücken saß, ward ihm angesagt, daß ein Edelmann unten wäre, der ihn zu sprechen wünschte.

»Ein Edelmann!« sprach der Junker, »wer beim Teufel! kann das sein? Thut mir 'n Gefallen, Doktor, geht mal hinunter, und seht zu, wer es ist. Blifil kann schwerlich schon in'r Stadt sein. – Thun Sie mir 'n Gefallen und hörn mal zu, was er will.«

Der Doktor kam wieder mit der Nachricht, es wäre ein wohlgekleideter Mann, und aus der Bandschleife am Hute zu schließen, wäre es ein Offizier von der Armee; er sagte, er habe ein eigenes Gewerbe, das er an Herrn von Western selbst ausrichten müßte.

»Ein Offizier, der!« rief der Junker. »Was kann so 'n Kerl mit mir zu thun haben? Wenn er Zeddel auf Kriegsfuhren haben will, die kann 'ch 'n hier nicht geben; hier bin 'ch kein' Obrigkeit; und Werbpässe kann 'ch 'n auch nicht geben – nun, laß 'n denn heraufkommen, wenn er mich ja sprechen muß.«

Ein sehr wackerer Mann trat darauf ins Zimmer, welcher, nachdem er dem Junker sein Kompliment gemacht und sich die Gewogenheit ausgebeten hatte, mit ihm allein zu sein, folgendes Gewerbe anbrachte:

»Mein Herr, ich habe die Ehre Ihnen aufzuwarten, auf Befehl des Herrn Grafen von Liebegrimm, aber mit einem ganz verschiedenen Auftrage, als Sie vermutlich nach dem, was vorgestern abend vorgefallen ist, erwarten mögen.«

»Graf! was für 'n Graf?« rief der Junker. »Ich hab den Namen nie gehört.«

»Se. Hochgeboren der Herr Graf,« sagte der Offizier, »sind bereit und willig, alles Vorgefallene der Wirkung des Trunks zuzuschreiben, und das unbedeutendste Geständnis dieser Art wird alles wieder in sein voriges Gleis setzen, denn, weil sie die zärtlichste Neigung zu Ihrem Fräulein Tochter hegen, so wären Sie, mein Herr, die letzte Person auf dem Erdboden, an welchen dieselben eine Beleidigung ahnden möchten, und ein Glück ist es für Sie alle [176] beide, daß der Herr Graf bereits so öffentlich bekannte Beweise von seiner Herzhaftigkeit gegeben hat, die ihn instandsetzen, eine Beleidigung von dieser Art so ungerächt hingehn zu lassen, ohne seine Ehre dadurch in üble Nachrede zu bringen. Deswegen besteht alles, was er verlangt, bloß darin, daß Sie mir gewissermaßen ein Geständnis thun; das glimpflichste von der Welt soll angenommen werden, und dann sind Se. Hochgräfliche Gnaden gesonnen, Ihnen heute nachmittag Dero Respekt zu bezeigen, in der Hinsicht, Ihre Erlaubnis zu erhalten, die junge Dame, Ihr Fräulein Tochter, auf den Fuß eines Liebhabers besuchen zu dürfen.«

»Ich versteh' nicht so recht, was Sie sagen wollen, mein Herr,« sagte der Junker, »aber aus dem, was Sie so von mein'r Tochter sagen, mag's wohl sein, dünkt mir, daß Ihr Hochgeborner der Herr Graf ist, von dem mir mein' Kousine, Frau von Bellaston, so was erwähnt hat und so was von Werbung um meine Tochter sagte. Wenn nun, so gleichsam sozusagen, das so wäre – so können Sie nur dem Höchstgebornen Herrn Grafen meine Dienste zuvor vermelden und sagen, das Mädchen wär schon versagt.«

»Vielleicht, mein Herr,« sagte der Offizier, »sind Sie von der Größe dieses Anerbietens nicht hinlänglich unterrichtet. Ich sollte glauben, eine solche Person von solchem hohen Stande und so großem Reichtume würde nirgendwo eine abschlägige Antwort erhalten.«

»Sehn Sie, Herr!« antwortete der Junker, »ganz treuherzig zu sagen, meine Tochter ist schon versprochen; aber wenn das auch nicht wär', so gäb' ich sie doch kein'm Grafen, und wär' er noch so hochgebor'n. Ich hasse alle die hoh'n Herrn; 's ist ein Rudel Hofschranzen und die meiste sind ausländsche Leut, und 'ch will nichts mit'n zu thun haben!«

»Wohl, mein hochgeehrter Herr,« sagte der Offizier; »wenn Ihre Entschließung also beschaffen ist, so enthält die Botschaft, die ich Ihnen von Sr. Hochgräflichen Gnaden zu überbringen habe, daß solche um die Ehre Ihrer Gesellschaft ersuchen, und zwar noch heute vormittag im Hyde Park.«

»Sie können nur 'm Grafen sagen,« antwortete der Junker, »daß ich was zu thun habe und nicht kommen kann. Ich habe gnug und satt im Hause zu schaffen und kann nicht ausgehn, wenn 'ch auch ich weiß nicht was zu holen wüßte.«

»Ich bin versichert, mein hochgeehrter Herr,« erwiderte der andre, »Sie sind ein viel zu braver Kavalier, eine solche Antwort zurückzusenden. Sie werden nicht, des bin ich gewiß, von sich gesagt sein lassen, daß Sie einem Pair des Reichs, nachdem Sie ihm an die Ehre gegriffen, die gebührende Satisfaktion versagt hätten. Se. Hochgeborn hätten gerne, aus sonderbarer Hochachtung für die junge Dame, die Sache auf eine andre Art beilegen wollen. Aber es sei denn, daß er Sie als Vater betrachten darf, sonst leidet seine Ehre es nicht, einen solchen Schimpf einzustecken, als Sie, wie Sie wohl wissen müssen, ihm zufügen wollen.«

»Ich ihm zufügen wollen?« schrie der Junker; »'s ist 'ne vermaledeite Lüge. Ich hab'n niemals was zufügen wollen.«

[177] Auf diese Worte, worunter das Wort Lüge für einen Briten besonders ganz unverdaulich war, erwiderte der Offizier einen sehr kurzen mündlichen Verweis, und diesen begleitete er zu gleicher Zeit mit einigen fühlbaren Zurechtweisungen, welche nicht so bald die Ohren des Herrn Western berührten, als der würdige Junker sehr rasch im Zimmer herumzuhüpfen begann und dabei aus allen Kräften blöckte, als ob er eine größere Anzahl von Zuschauern herbeirufen wollte, die seine Gewandtheit mit ansehn möchten.

Der Pfarrer, der mit seinem Frühstück noch lange nicht fertig geworden war, hatte sich nicht weit entfernt; er eilte also ungesäumt auf des Junkers Schreien herbei und rief: »Um's Himmels willen! Junker, was gibt's hier?« – »Was 's gibt?« versetzte der Junker, »da ist'n Straßenräuber, glaub' ich, der mich bestehlen will und morden. Denn 'r ist über mich herg'fall'n, mit dem Prügel da, den 'r in der Hand hält, da ich doch vermaledeit sein will, wenn 'ch 'n nur ein Duwort g'sagt hab.«

»Was, Herr,« sagte der Offizier, »sagten Sie nicht, ich löge?«

»Nein, so wahr 'ch selig zu werden denke!« antwortete der Junker. »Ich glaub' ich mag gesagt hab'n – 's wär' 'ne Lüge, daß ich dem Grafen hätt 'n Schimpf anthun woll'n. Aber aus mein'm Maul ist das Wort nicht gekommen: Sie lügen! Ich weiß besser, was 'ch thue, und der Herr hätt' auch besser wiss'n soll'n, was er thät, als über'n nackten Mann herzufallen. Wenn ich 'n Prügel in der Hand gehabt hätte, sollt'st dich's mal unterstand'n hab'n mich zu schlag'n, 'ch hätt' dich wichs'n woll'n, daß dir die Backenknochen hätt'n soll'n um d' Ohren fliegen, wie Dreschkaff! Komm 'runter in'n Hoff, gleich! 'ch will 'n Gang auf Faustkeule mit 'r thun, um 'n paar Löcher im Kopf; so will 'ch! Oder 'ch will in 'ne nackte Kammer mit 'r gehn, und 'r 'n Panzen voll boxen, das d'r von nachzusag'n hab'n sollst. Bist nur 'n Matzpump von Kerl, bist du nur! Sieh, das sag' ich!«

Der Offizier erwiderte mit einiger Verachtung: »Ich seh', Herr, Sie sind nicht wert, daß ich mich mit Ihnen einlasse, und ich werde dem Grafen sagen, daß Sie's für ihn nicht wert sind. Mir thut's leid, daß ich an Ihnen meine Finger besudelt habe!« Mit welchen Worten er von dannen ging. Der Pfarrer verhinderte dabei den Junker, daß er ihm nicht nachliefe, womit er denn auch eben nicht viel Mühe hatte, weil der andre, ob er sich gleich ein wenig sträubte, doch nicht gar zu heftig darauf erpicht zu sein schien. Inzwischen schickte der Junker, als der Offizier fort war, manchen Fluch und manche Drohung hinter ihm her; weil ihm solche aber nicht eher über die Lippen gingen, als bis der Offizier die Treppen hinunter war, und nur immer lauter und lauter wurden, sowie jener sich weiter und weiter entfernte, so kamen sie ihm nicht zu Ohren, oder hinderten ihn wenigstens nicht am weggehn.

Die arme Sophie indessen, welche in ihrem Gefangenenzimmer ihres Vaters Geschrei von Anfang bis Ende mit anhörte, begann nun erst mit dem Fuße zu donnern, und hernach ebenso laut zu schreien, als der alte Herr vorher gethan hatte, obgleich mit einer [178] viel wohlklingendern Stimme. Dies Geschrei brachte den Junker sehr bald zum Schweigen und zog alle seine Aufmerksamkeit auf seine Tochter, welche er so inniglich liebte, daß die geringste Besorgnis, es möchte ihr was zugestoßen sein, ihn gleich in Angst und Schrecken setzte. Denn, den einzigen Umstand ausgenommen, wobei es auf die ganze künftige Glückseligkeit ihres Lebens ankam, standen alle seine Neigungen unter ihrer unumschränkten Gewalt.

Nachdem er alle seine Wut hinter dem Offizier herausgelassen und geschworen hatte, er wolle ihn vor Gericht ziehen, ging endlich der Junker hinauf zu Sophie, welche er, sobald er die Thüre aufgeschlossen und aufgemacht hatte, ganz blaß und außer Atem fand. Indessen faßte sie den Augenblick, als sie ihren Vater sah, alle ihre Kräfte zusammen und rief, indem sie ihn bei der Hand faßte, mit innigster Bewegung: »O liebster Papa, ich bin fast des Todes vor Schrecken! Ich hoffe zum Himmel, daß Ihnen doch kein Leids widerfahren ist.« – »Nä, nä!« rief der Junker, »viel Leids eben nicht. Der Schurke hat mir eben nicht viel gethan; aber Ohrfeigen will 'ch hab'n, wenn 'ch 'n nicht zitieren lasse,« – »O liebster Papa, ich bitte,« sagte sie, »erzählen Sie mir doch, was war 's denn? wer ist es, der Sie angefallen hat?« – »Dem Namen von 'm weiß 'ch nicht,« antwortete Western. »So 'n Offizierkerl, glaub' ich, die wir dafür bezahlen müssen, daß s' uns schlag'n. Aber diese Prügelei soll 'r teuer genug bezahlen, wenn 'r was hat, wie 'ch wohl nicht glaube, daß er hat. Denn obschons er so fein herausstaffiert war, so zweifl' ich doch, daß er 'n fußbreit Land auf Gottes Erdboden sein nenn'n kann.« – »Aber, liebster Papa,« sagte sie, »worüber kam denn der Streit her?« – »Worüber sollt'r herkommen,« antwortete der Junker, »als über dich, Fiekchen? Worüber sonst kommt all' mein Kreuz und Leiden her, Fiekchen? Du wirst deinen armen Vater noch unter d' Erde bringen! Da ist n' Laff' vom Grafen, Gott weiß wer 'r ist! der hat Lust zu dir gekriegt, und weil 'ch 'n nicht mein Jawort geben wollt', so läßt er mich 'raus fordern. Komm, sei 'n fromm Kind, Fiekchen, und mach dem Kreuz deines Vaters 'n Ende. Nu, komm! thu's doch! Sag' ja, willst 'n hab'n! Er wird in 'r Stadt sein, heut' noch, od'r morgen, versprich mir nur, daß du 'n nehm'n willst, sobald 'r kömmt, so machst du mich zum glücklichsten Mann in 'r Welt, und ich 'll dich zur glücklichsten Frau mach'n. Sollst die schönsten Kleider haben, die in der ganzen Stadt zu krieg'n sind, und die schönsten Jewelen, und 'ne Kutsche mit Sechsen, wenn du nur sprichst! Ich hab's Allwerten schon zugesagt, daß ich mein halbes Einkommen aufgeben will, und gib mir 'ne Ohrfeige, wenn ich mich lange besinne, alles zu verschreiben.« – »Will mein lieber Papa so gütig sein, und will mich anhören?« – »Was frägst' noch, lieb's Fiekchen?« rief er. »Weißt ja, daß 'ch dein' Stimm' lieber hör', als die Musik der besten Kuppel Hund' im ganzen Land. Anhören! dich? lieb's Herzenstöchterchen! Ich hoff', ich will 'ch hören, so lang' als 'ch lebe; denn, wenn 'ch die Freud' nicht mehr hab'n sollt', so geb' 'ch um mein ganzes Leben kein Ei und Butterbrot mehr! Mein Seel! [179] Fiekchen, du weißt nicht, wie lieb 'ch dich halte! wahrlich du weißt's nicht, sonst hätt'st du nicht so weglaufen können von mir, und deinen armen Vater so verlassen, der kein' andre Freud' hat, un' keinen andern Trost auf der Welt, als sein klein süß Fiekchen.« Bei diesen Worten standen ihm die Thränen in den Augen, und Sophie (der die Thränen über die Wangen rollten) antwortete: »In Wahrhelt, liebster Papa, ich weiß, Sie haben mich sehr lieb gehabt, und Gott ist mein Zeuge, wie herzlich ich Ihre Liebe erwidert habe, und nichts in der Welt hätte mich antreiben können, aus dem Hause eines Vaters, den ich so inniglich lieb habe, heimlich wegzugehen, als die Furcht, in die Arme dieses Mannes gezwungen zu werden. Gott weiß, daß ich eher tausend Leben für seine Glückseligkeit aufgeopfert haben wollte; ja, ich habe mich bestrebt, mich noch zu weit mehrerem zu bereden, und hatte mich beinahe zu dem Entschlusse hinvernünftelt, das allerelendeste Leben zu wählen und mich Ihrem Willen zu unterwerfen. Aber diese einzige Entschließung war es, zu der ich mein Gemüt nicht zwingen konnte, und niemals können werde.« Hier begann der Junker ganz wild auszusehn, und der Schaum zeigte sich auf seinen Lippen. Sophie, die dies bemerkte, bat, er möchte sie vollends aushören, und fuhr darauf fort: »Wenn meines teuern Vaters Leben, seine Gesundheit, oder sonst ein wahres Glück für ihn auf'm Spiel stände, so steht hier Ihre entschloßne Tochter! und möge mir der Himmel all seinen Segen entziehn, wenn ich mich nicht allem Jammer preisgeben wollte, um Ihr Wohlsein zu erhalten. Ja, dem widerwärtigsten, den ich für mich unter allen Menschen kenne, wollte ich in die Arme fliegen. Für Ihr Wohl wollte ich Blifiln meine Hand geben.« – »Ich sag' dir ja, 's wird mich beim Wohlsein erhalten,« antwortete der Vater, »'s wird mir Glück bringen, Gesundheit und Leben, und all's. Bei meiner armen Seele! Sieh! ich werde sterben, wenn du nicht ja sagst. Vor Gram sterb' ich; bei meiner armen Seele! so thu' ich!« – »Ist's möglich,« sagte sie, »daß Sie so darauf gestellt sein können, mich elend zu machen?« – »Ich sag' Dir's ja, nein!« antwortete er schreiend; »ich bin gänzlich drauf g'stellt, dich glück lich zu machen. Ich! – Verwünscht will 'ch sein, wenn ich was wüßte, das ich nicht thun wollt', dich glücklich zu machen!« – »Und will denn mein liebster Papa nicht glauben, daß ich auch ein klein wenig wisse, was mich glücklich machen kann? Wenn nun des Menschen Glückseligkeit in seiner Einbildung bestünde, wie müßte mein Zustand aussehn, wenn ich mich für die allerunglückseligste Person unter allen auf der Welt hielte!« – »Besser, daß du dir's einbildst,« erwiderte der Vater, »als daß du's wirklich wirst, wenn du 'n Bettlerlumpen von Landstreicher heirat'st!« – »Wenn Sie damit sich beruhigen wollen,« sagte Sophie, »so will ich Ihnen aufs feierlichste versprechen, niemals, weder ihn noch einen andern, ohne den Willen meines Vaters zu heiraten, so lang' er lebt. Lassen Sie mich mein ganzes Leben Ihrem Dienst weihen; lassen Sie mich wieder Ihr armes kleines Fiekchen sein und mein ganzes Vergnügen, alle meine Sorgen darein setzen, wie ehmals, Ihnen Vergnügen und Zeitvertreib [180] zu machen.« – »Weißt du was, Sophie?« antwortete der Junker, »das Kosen laß mans bleiben, 's will's 'n nicht thun. Ja, da kriegt deine Tante nur recht, mich für den Gimpel zu halten, wie sie thut. Nä, nä, Sophie! so mußt mir nicht kommen! dazu hab' ich zu viel Weisheit im Kopf und kenn' die Welt viel zu gut, daß ich mich auf's Wort eines Weibsen verlassen sollt', wenn noch darzu in der Flader ist.« – »Aber lieber Papa,« sagte die Tochter, »womit hab' ich dies Mißtrauen verdient? Hab' ich jemals ein Versprechen gebrochen? Oder haben Sie mich von meiner Wiege an jemals auf einer Falschheit betroffen?« – »Nun, seh' man's, Fieke,« versetzte der Vater, »Falschheit hin, Falschheit her! Ich hab' nun einmal mein'n Kopf auf diese Heirat gesetzt, und hab'n sollst 'n. Mein Seele! das sollst; mein Seel', wenn 'n nicht sollst! Und wenn d'ch auch den Tag drauf ersäufst, oder aufhängst.« Sowie er diese Worte sagte, ballte er die Faust, faltete die Stirn, biß sich die Lippen und donnerte so laut, daß die arme, betrübte, erschrockene Sophie zitternd in einen Sessel zurücksank, und wäre nicht bald eine Thränenflut ausgebrochen und hätte ihr Luft gemacht, so hätte es sehr schlimm gehen können.

Western sah die beweinenswürdige Gemütsverfassung seiner Tochter mit ebensowenig Bedauern oder Rührung, als ein alter Gefangnenwärter die Seelenqual einer zärtlichen Ehefrau sieht, die von ihrem verurteilten Ehemanne das letzte Lebewohl nimmt, oder vielmehr er sah mit ebensowenig Rührung auf sie herab, wie sich in der Seele eines ehrlichen nährigen Krämers erhebt, welcher seinen Schuldner um etliche zwanzig bis dreißig Thaler nach dem Schuldturme schleppen sieht, welche Schuld, so rechtmäßig sie sein mag, doch der Kerl so ruchlos ist, nicht bezahlen zu können. Oder, um der Sache so nahe als möglich zu kommen, er fühlte eben dieselben Gewissensbisse, wie die Aebtissin eines Freuden-Töchterstifts, wenn eine arme unschuldige Novizin, die sie in ihr Garn gelockt hat, ihr zu Füßen fällt, wenn sie ihr zum erstenmal andeutet, sie soll, wie es genannt wird, Gesellschaft annehmen. In der That würde dies Gleichnis ganz genau passen, wenn es nicht da hinkte, daß die Kupplerin bei dem was sie thut ihren Vorteil hat und der Vater, ob er gleich in seiner Verblendung anders denkt, doch im Grunde gar keinen dabei haben kann, wenn er seine Tochter zu fast ebenso schändlichen Greueln zwingen will.

In dieser Verfassung ließ er seine arme Sophie, und als er mit einer sehr pöbelhaften Anmerkung über die Wirkung der Zähren fortging, verschloß er das Zimmer und suchte seinen Pfarrer Schickelmann auf, der alles zum Besten des Fräuleins sagte, was er durfte, welches, ob es wohl nicht alles sein mochte, was seine Pflicht erheischt hätte, doch hinreichte, den Junker in eine heftige Wut zu bringen und ihm manche unanständige Anmerkung über den ganzen Stand der Geistlichkeit abzulocken, die wir aber deswegen nicht zu Papier bringen mögen, weil wir viel zu große Ehrerbietung vor ihrem heiligen Amte haben.

Drittes Kapitel
[181] Drittes Kapitel.

Was Sophien während ihres Zimmerarrestes begegnete.


Die Wirtin des Hauses, in welchem Herr Western Zimmer bezogen, hatte längst angefangen, von ihren Gästen eine seltsame Meinung zu hegen. Da sie gleichwohl erfahren hatte, daß der Junker ein Mann vom großem Vermögen wäre und sie auch besorgt gewesen war, sich ihre Zimmer übermäßig teuer bezahlen zu lassen, so hielt sie es nicht für diensam, gar zu voreilig zu sein. Denn ob ihr gleich die Einsperrung der armen Sophie ein wenig zu Herzen ging, von deren sanfter Gemütsart und Leutseligkeit die Hausmagd einen sehr günstigen Bericht erstattet hatte, welchen alle Bediente des Junkers bestätigten, so lag ihr doch ihr eigner Vorteil noch mehr am Herzen, um jemand vor den Kopf zu stoßen, von dem sie merkte, wie sie sagte, daß es ein großer Hastkopf von Herrn wäre.

Obgleich Sophie nur wenig aß, so wurden ihr doch ihre Mahlzeiten regelmäßig aufgetragen. Wirklich, glaube ich, hätte sie nach irgend einer Rarität gelüstet, der Junker, so erzürnt er über sie war, würde weder Mühe noch Kosten gespart haben, sie für sie aufzutreiben, weil er, so seltsam es auch einigen meiner Leser vorkommen mag, wirklich mit seinem ganzen Herzen an seiner Tochter hing und das größte Vergnügen seines Lebens darin fand, wenn er ihr irgend eine Freude machen konnte.

Als die Stunde zum Mittagessen herbeikam, trug ihr der schwarze Jakob eine Poularde hinauf, und der Junker selbst (denn er hatte geschworen, den Schlüssel nicht aus den Händen zu geben) blieb vor der Thüre stehen. Als Jakob die Schüssel aufsetzte, fielen einige Komplimente zwischen ihm und Sophie vor, denn er hatte sie nicht gesehen, seitdem sie das Landgut verlassen hatte, und sie begegnete jedem Bedienten mit mehr Achtung, als manche Leute solchen Personen begegnen, die nur um ein weniges geringer sind als sie selbst. Sophie wollte anfangs, er sollte die Poularde nur wieder mit hinunternehmen, weil sie nicht essen möchte, Jakob aber bat, sie möchte doch nur ein wenig kosten, und vorzüglich rühmte er ihr die Eier, womit, wie er sagte, die Poularde gefüllt wäre.

Diese ganze Zeit über wartete der Junker an der Thüre; indessen stand Jakob bei seinem Herrn in großen Gunsten, weil seine Verrichtungen in das wichtigste Fach einschlugen, in die Jagd nämlich, und daher war er gewohnt, sich manche Freiheit herauszunehmen. Er hatte sich dazu gedrängt, das Essen hinaufzutragen, weil er, wie er sagte, ein großes Verlangen trüge, seine junge Herrschaft einmal wiederzusehen, er machte sich sonach kein Gewissen daraus, seinen Herrn über zehn Minuten an der Thüre warten zu lassen, die über die Komplimente zwischen ihm und Sophie hingingen, worüber er bloß einen freundlichen Ausputzer an der Thüre erhielt, als er wieder herauskam.

Hühner-, Fasanen- und Kibitzeier und dergleichen waren, wie Jakob wohl wußte, Sophiens Lieblingsessen. Es war deshalb kein [182] Wunder, daß dieser gutmütige Mensch besorgt gewesen war, ihr diese Art von Leibgericht zu einer Zeit zu verschaffen, da alles Gesinde im Hause fürchtete, sie würde sich zu Tode hungern, denn in den letzten vierzig Stunden hatte sie kaum einen einzigen Bissen zu sich genommen.

Obgleich der Gram nicht auf alle Menschen eben die Wirkung thut, wie er gewöhnlich auf eine Witwe zu thun pflegt, deren Appetit er oft mehr schärft als die zehrendste Land- und Seeluft, so muß doch am Ende, man mag auch dagegen sagen was man will, der empfindsamste Kummer einmal essen. Und selbst Sophie begann nach einigem wenigen Bedenken die Poularde zu zerlegen, welche sie wirklich so voller Eier fand, als Jakob versichert hatte.

War ihr aber dieses nicht unangenehm, so enthielt sie auch noch etwas, was einer königlichen Akademie der Wissenschaften eine weit größere Freude gemacht haben würde, denn wenn schon ein Vogel mit drei Beinen eine so unschätzbare Seltenheit ist, da doch die Zeit dergleichen vielleicht tausend hervorgebracht hat; was für einen Wert muß denn ein Vogel haben, welcher allen Gesetzen der animalischen Oekonomie so schnurstracks widerspricht, daß er in seinen Eingeweiden einen Brief enthält! Ovid erzählt von einer Blume, in welche Hyacinthus verwandelt wurde, auf deren Blättern Buchstaben befindlich sind, welche Virgil der königlichen Akademie der Wissenschaften seiner Zeit als ein Wunderwerk empfahl, aber kein Zeitalter und keine Nation hat in der Geschichte einen Vogel aufzuweisen, in dessen Eingeweiden man einen Brief gefunden hätte.

Allein obgleich eine Seltenheit von dieser Art alle Akademien der Wissenschaften in ganz Europa in Bewegung gesetzt haben möchte, ihre vielleicht unnützen Untersuchungen anzustellen, so wird doch unser Leser durch bloße Erinnerung an das Gespräch, das am Ende des vorigen Buchs zwischen den Herren Jones und Rebhuhn vorfiel, sehr leicht erraten, woher dieser Brief kam und wie er seinen Weg in diese Poularde gefunden habe.

Sophie, ungeachtet ihrer langen Fasten und ungeachtet ihr liebstes Gericht vor ihr auf dem Tische stand, ersah nicht so bald den Brief, als sie ihn eilig erhaschte, aufriß und las wie folgt:


»Wüßte ich nicht recht gut, mein teuerstes Fräulein, an wen ich die Ehre habe zu schreiben, so würde ich streben, was für Mühe mich's auch kosten möchte, den entsetzlichen Zustand zu schildern, in welchen meine Seele durch die Nachricht versetzt worden, die mir Ihre Kammerjungfer hinterbracht hat. Aber da nur allein die zärtlichste Seele sich einen richtigen Begriff von den Qualen machen kann, welche eine wahrhaft zärtliche Seele zu fühlen vermag, so kann meine Sophie, welche vom Himmel eine höchst zärtliche Seele erhielt, sich leicht und hinlänglich vorstellen, was ihr Jones bei dieser so traurigen Veranlassung empfunden haben muß. Ist noch wohl irgend ein Umstand in der Welt, welcher meine Schmerzen vermehren kann, wenn ich von Widerwärtigkeiten höre, die Sie betroffen haben? Ja gewiß gibt es einen einzigen, und auch der hat mich wie ein Fluch befallen. Vielleicht erweise ich mir hier [183] selbst zu viel Ehre, aber kein Mensch auf Erden wird mir eine Ehre beneiden, die mir so außerordentlich teuer zu stehen kommt. Verzeihen Sie mir diese Anmaßung und verzeihen Sie mir die noch größere, wenn ich mich unterfange zu fragen, ob mein Rat, mein Beistand, meine Gegenwart, meine Entfernung, mein Tod oder meine Qualen Ihnen die geringste Erleichterung schaffen können? Kann die vollkommenste Bewunderung, die aufmerksamste Gefälligkeit, die feurigste Liebe, die herzinnigste Zärtlichkeit, die unumschränkteste Ergebung in Ihren Willen, Ihnen Ersatz für alles das sein, was Sie meiner Glückseligkeit aufopfern müßten? Können Sie es, so fliegen Sie, meine ewig einzig Geliebte, in diese Arme, welche beständig ausgestreckt sind Sie zu empfangen und zu beschützen. Kommen Sie! Kommen Sie! Ob allein oder mit allen Reichtümern der Welt, das ist für mich kein Unterschied, der nur eines Gedankens wert wäre. Soll aber hingegen bloß die Weisheit gebieten, und sagt Ihnen diese nach der reiflichsten Ueberlegung, das Opfer sei zu groß – – sehn Sie keinen andern Weg übrig, sich mit Ihrem Herrn Vater auszusöhnen und die Ruhe Ihres mir so teuren Herzens herzustellen, als wenn Sie mir entsagen, so, ich beschwöre Sie, vertilgen Sie mich auf ewig aus Ihrem Gedächtnis, fassen Sie einen mutigen Entschluß und lassen Sie das Mitleiden mit meinem Kummer in Ihrer zarten Brust verstummen. Glauben Sie mir, himmlisches Mädchen, ich liebe Sie so aufrichtiglich mehr als mich selbst, daß mein großer, einziger Endzweck auf Ihre Glückseligkeit gerichtet ist. Mein erster Wunsch (O, daß das Schicksal ihn mir nicht gönnen will!) war, und verzeihen Sie mir, daß ich's sage, ist noch, Sie jeden Augenblick als die glücklichste Frau zu sehen; mein zweiter Wunsch ist, zu hören, daß Sie es sind. Kein Wehe aber reicht an das meinige, solange ich denken muß, Sie haben auch nur einen unruhigen Augenblick demjenigen zuzuschreiben, welcher ist und ewig bleibt

Teuerstes Fräulein

in jedem Sinn und zu jeder Bestimmung

Ihr eigenster Thomas Jones


Was Sophie sagte oder that, oder was sie von diesem Briefe dachte, ob sie ihn mehr als einmal las, oder wie oft, das alles wollen wir der Einbildung des Lesers überlassen. Die Antwort darauf bekommt er vielleicht noch einst zu sehen, nur jetzt nicht; unter andern Ursachen auch wegen dieser, daß sie für jetzt keine schrieb, und auch dies hatte seine guten Gründe, von denen einer war, daß sie weder Papier, Feder noch Tinte hatte.

Des Abends, als Sophie saß und über den Brief nachdachte, den sie empfangen hatte, oder auch vielleicht über etwas andres, störte sie ein heftiges Gelärm, das von unten herauf erscholl, in ihren Betrachtungen. Dieser Lärm war nichts mehr und nichts weniger als ein tüchtiger Haderkampf zwischen zwei Personen. Eine von den streitenden Parteien erkannte sie sehr bald an der Stimme für ihren Vater. Sie bemerkte aber nicht sogleich, daß die Oberquinte eine Pfeife aus der Orgel ihrer gnädigen Tante von Western wäre, welche eben in der Stadt angelangt und von einem ihrer [184] Bedienten, welcher an den Herkulessäulen vorgesprochen, erfahren hatte, wo ihr Bruder wohnte, und also geradeswegs vor seiner Thüre angefahren war.

Wir wollen uns sonach für jetzt bei Sophie beurlauben und nach unsrer gewöhnlichen guten Lebensart bei Ihro Gnaden, Fräulein von Western, unsre Aufwartung machen.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

In welchem Sophie aus ihrer Gefangenschaft befreit wird.


Der Junker und der Herr Pfarrer Schickelmann (denn der Gastwirt hatte eben anderwärts zu thun) saßen und schmauchten ihre Pfeifen, als die Ankunft der Dame zuerst angesagt ward. Der Junker hörte nicht so bald ihren Namen nennen, als er eiligst hinunterlief, um sie die Treppen hinaufzuführen, denn er war ein strenger Beobachter von dergleichen Zeremonien, gegen seine Schwester besonders, vor welcher er mehr in Furcht stand als vor irgend einem lebendigen Geschöpfe, ob er es gleich niemals gestehen wollte, oder es vielleicht auch selbst nicht einmal wußte.

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, nachdem sich Dieselben bei ihrer Ankunft in dem Speisesaale aufs Kanapee geworfen hatten, begannen mit folgender Rede: »Nein, gewißlich, solch eine unausstehliche Reise hat noch wohl kein Mensch in der Welt gehabt! Ich denke, die Heerstraßen werden von Tag zu Tag schlechter, je mehr Geld das Land zu ihrer Besserung verwilligt und je mehr man Wegegeld ausgeben muß. Aber ums Himmels willen! mon Frère, wie haben Sie sich in ein so abscheuliches Loch verkriechen können? Keine Person von Stande, das will ich wohl schwören, hat wohl noch jemals einen Fuß hierhergesetzt.« – »Wüßte doch nicht!« sagte der Junker, »die Zimmer sind noch gut, mein' 'ch. Der Wirt aus 'n Herkulessäulen hat's mir zugewiesen. Weil er 'n großen Hauf'n Noblesse kennt, dacht' ich, könnt' er mir auch am besten weisen, wie man zwischen sie käme.« – »So? Nun gut! und wo ist ma Nièce?« sagte die Dame. »Haben Sie schon der Frau von Bellaston Ihre Aufwartung gemacht, mon Frère?« – »Sollt's mein'n!« rief der Junker. »Dein' Nichte ist sicher g'nug, sitzt oben in der Kammer.« – »Wie? was?« antwortete die Dame, »ma Nièce ist in diesem Hause? und weiß noch nichts davon daß ich hier bin?« – »Nä, nä!« sagte der Junker, »'s kann niemand zu ihr kommen, der's 'r sagt, denn sie ist unter Schloß und Riegel. Ich hab' sie in Sicherheit! Ich langte sie gleich den ersten Abend, als 'ch in d' Stadt kam, von Kousine Bellaston ab, und seitdem hab' 'ch immer 'n Aug' auf sie gehabt. Sie is so sicher als 'n Fuchs im Korb, kannst dich drauf verlassen!« – »Um's Himmels willen!« erwiderte das gnädige Fräulein Schwester, »was hör' ich! Dacht' ich's doch wohl gleich, was für ein feines Stück Werk herauskommen würde, als ich's Ihnen erlaubte, daß Sie selbst nach der Stadt gehn könnten! Doch nein, es war ja Ihr eigner starrköpfiger Wille und ich kann mir [185] selbst eigentlich keine Schuld beimessen, daß ich darein gewilligt habe. Haben Sie mir nicht versprochen, mon Frère, daß Sie sich keiner solchen starrköpfigen Maßregeln bedienen wollten? War's nicht durch solche starrköpfige Maßregeln, daß Sie ma Nièce mit Gewalt zwangen, von Ihrem Landgute davonzulaufen? Sind Sie denn mit aller Gewalt willens, sie zu nötigen, daß sie einen solchen Schritt noch einmal thun soll?« – »Je, alle Hagel und Wetter!« schrie der Junker und warf seine Pfeife auf die Erde, daß sie in tausend Stücke zersprang; »hat wohl eine Christenseele so was gehört? Da warte ich drauf, daß sie mich loben und preisen soll vor das was ich gethan habe, und da werd' ich so angeschnarcht!« – »Wie, mon Frère?« sagte die Dame, »hab' ich Ihnen jemals die geringste Ursach' gegeben, nur zu vermuten, ich könnte Sie deswegen loben, daß Sie Ihre Tochter einsperrten? Hab' ich Ihnen nicht oft gesagt, daß Frauenzimmer in einem gesitteten Lande mit keiner solchen arbiträren Gewalt behandelt werden dürfen? Wir sind ebenso frei als die Männer, und ich wünschte herzlich, daß ich sagen könnte, wir verdienen diese Freiheit mehr als Sie. Wofern Sie wollen, daß ich noch einen Augenblick länger in diesem Rauchneste von Hause bleiben, oder Sie wieder für meinen Blutsverwandten erkennen, oder mich jemals mit den Affären Ihrer Familie wieder befassen soll, so verlang' ich platterdings, daß Sie diesen Augenblickma Nièce in Freiheit setzen!« Dies sagte sie mit einer so befehlenden Miene, indem sie mit dem Rücken am Feuer stand, eine Hand hinter sich gestreckt und in der andern eine Prise Schnupftabak hielt, daß ich zweifle, ob Thalestris an der Spitze ihrer Amazonen jemals eine furchtbarere Figur vorgestellt habe. Es ist daher kein Wunder, wenn der Junker gegen die Furcht, welche sie ihm einflößte, nicht Stich halten konnte. »Nun! da denn!« schrie er und warf dabei den Schlüssel hin; »da ist er! thu' was du willst. Ich wollt' nichts weiter, als sie nur solange im Geheg halten, bis Blifil zur Stadt gekommen wär'. Das kann ja solange nicht werden! Und nu, wenn's nun unterdessen schief geht, so vergiß nur nicht wieder, wer d' Schuld hat.«

»Ich will es verantworten mit meinem Leben,« schrieen des Fräulein von Western Gnaden. »Aber ich will mit der Sache ganz und gar nichts zu schaffen haben, als nur unter einer Bedingung, und die ist, daß Sie alles ganz unumschränkt bloß meiner Sorge überlassen, ohne selbst die allergeringsten Maßregeln zu nehmen, es sei denn, daß ich eventualiter Ihnen etwas dabei anvertrauen sollte. Wenn Sie diese Präliminarien ratifizieren, mon Frère, so will ich's noch einmal übernehmen, die Ehre Ihrer Familie zu erhalten, wo nicht, so bleib' ich im Stande der Neutralität.«

»O ich bitte, gnädiger Herr Patron,« sagte der Herr Pfarrer, »geruhen Sie nur noch diesmal, sich von Ihro Gnaden zurechtweisen zu lassen; sintemalen wer weiß, ob Ihro Gnaden nicht, wenn Dieselben mit Fräulein Sophie Rücksprache halten, durch Gelindigkeit mehr ausrichten, als mein gnädiger Patron durch strengere Maßregeln zu bewirken vermögend gewesen sind.«

[186] »Was? will Er mich auch anschnauzen?« schrie der Junker. »Wenn Er erst zu belfern beginnt, so will ich Ihn zu Loch treiben, daß Ers fühlen soll.«

»Fi! mon Frère,« sagte die Dame; »spricht man so mit einem Geistlichen? Der Herr Schickelmann besitzt Verstand und gibt Ihnen einen sehr vernünftigen Rat, und die ganze Welt glaub ich wird seiner Meinung beistimmen. Aber das muß ich Ihnen noch sagen: Ich erwarte eine unmittelbare Antwort auf meine kategorischen Propositiones. Entweder cedieren Sie Ihre Tochter meiner gänzlichen Disposition, oder nehmen solche gänzlich unter Ihre entsetzlich weise Diskretion, und alsdann räume ich Ihnen in Herrn Schickelmanns Gegenwart die Garnison und renoncire auf Sie und Ihre Familie zu ewigen Tagen.«

»Ich ersuche ergebenst,« rief der Pfarrer, »lassen Sie mich Mediateur sein! Ich ersuche ganz unterthänig.«

»Und was wollt 'r denn? Da auf dem Tisch liegt 'r ja, der Schlüssel,« schrie der Junker; »sie kann 'n ja nur nehm'n, wenn sie Lust hat, wer wehrt's 'r?«

»Nein, mon Frère,« antwortete die feierliche Dame; »ich bestehe auf der Formalität, daß er mir überreicht werde mit völliger Ratifikation der stipulierten Punkte.«

»Nu! so will 'ch 'n dir denn überreichen. – Da ist 'r!« sagte der Junker. »Der Blix! Schwester, kannst m'r doch nicht schuld geben, daß ich dir mein Lebstage abgeschlagen hätte, mein' Tochter anzuvertrauen; s' ist ja 'n ganz Jahr in dein' Haus gewest und noch länger, daß 'ch sie mit kein' Aug' zu sehn gekriegt hab.«

»Und ein Glück wär's für sie gewesen,« antwortete die Dame, »wenn sie beständig bei mir geblieben wäre. Unter meinen Augen würd' es zu solchen Dingen niemals gekommen sein.«

»O ja, ganz gewiß! Ich allein muß schuld sein! Das dacht 'ch wohl!« schrie er.

»Freilich, so ist's! Sie sind schuld, mon Frère,« antwortete sie. »Ich bin schon oft genötigt gewesen, es Ihnen zu sagen und werde immer genötigt sein, es Ihnen zu wiederholen. Unterdessen hoff' ich, Sie werden sich nunmehr bessern und werden aus Ihren gemachten Irrtümern so viel Erfahrungen sammeln, daß Sie nicht durch Ihre Tappsstreiche wieder verderben, was ich durch meine weisen Machinationes ins Feine gebracht habe. In der That, mon Frère, Sie haben zu solchen Negociationen nicht die erforderlichen Eigenschaften; Ihr ganzes politisches System steht auf schwachen Füßen. Ich bestehe also nochmals darauf, daß Sie sich in nichts mischen sollen. Denken Sie nur ans Vergangene.«

»Blix und der Hagel! Schwester,« schrie der Junker, »was soll ich dir wohl antworten? Du könntst den Satan selbst all' Geduld benehm'n!«

»Da haben wir's!« sagte sie; »da schnarrt er wieder seine alte Leier! Ich seh wohl, mon Frère, mit Ihnen ist kein räsonables Wort zu sprechen. Ich beziehe mich auf den Herrn Schickelmann, das ist ein sehr vernünftiger Mann, ob ich wohl das Geringste gesagt[187] habe, worüber eine menschliche Kreatur auffahren könnte? Aber Sie sind immer so querköpfig in allen Dingen.«

»Geruhen Ihro Gnaden,« sagte der Pfarrer, »daß ich unterthänigst bitten darf, meinen gnäd'gen Patron nicht zum Aerger zu reizen.«

»Zum Aerger reizen!« sagte die Dame. »Ich seh wohl, der Herr ist eben so ein Querkopf wie sein Herr Patron! Nun wohl, mon Frère, weil Sie also versprochen haben, sich alles Agirens zu enthalten, so will ich noch einmal die Leitung meiner Niece übernehmen. Gott erbarme sich aller Affairen, welche unter der Direktion von Männern stehn! Ein Kopf eines Frauenzimmers ist mehr wert als tausend der eurigen.«

Und nachdem sie darauf einen Bedienten kommen lassen, um ihr Sophiens Zimmer zu zeigen, ging sie fort und nahm den Schlüssel mit sich. Kaum war sie zur Thür hinaus, als der Junker (nachdem er vorher erst die Thüre wieder zugemacht hatte) einen Schwall schmutziger Schimpfworte und ebensoviel bittre Flüche über sie ausgoß, wobei er sein selbst nicht schonte, daß er sich ihrer Erbschaft wegen so vieles hätte gefallen lassen, fügte aber hinzu: »Wenn man einmal so lang 'n Sklav gewesen ist, so wär's doch Sünd und Schande, wenn man sichs zuletzt noch aus 'n Händen gehn ließe, eh' man's noch ein bißchen länger aushielte. Die Betze kann doch nicht ewig leben, und daß 'ch in ihrem Testament stehe, weiß 'ch.«

Der Herr Pfarrer erteilte diesem Entschlusse großes Lob und der Junker, nachdem er sich eine frische Bouteille hatte geben lassen, wie es seine gewöhnliche Methode war, wenn ihm irgend eine Sache Vergnügen oder Verdruß gemacht hatte, trank so reichlich von diesem medizinischen Julep und spülte dadurch seine Galle so rein weg, daß sein Gemüt vollkommen ruhig und heiter geworden war, als seine Schwester mit Sophie wieder ins Zimmer kam. Die junge Dame hatte eine Saloppe umgenommen und einen Hut aufgesetzt, und die Tante hinterbrachte dem Herrn Western, daß sie gesonnen wäre, ihre Nichte mit sich nach ihrer eignen Wohnung zu nehmen. »Denn in Wahrheit, mon Frère,« sagte sie, »diese Zimmer sind nicht so beschaffen, daß es eine christliche Seele d'rin aushalten kann.«

»Recht gut, liebe Schwester,« sagte Western; »nach dein'm Wohlnehm'n, 's Mädchen kann nicht besser aufgehoben sein, als in dein'n Händen und hier d'r Herr Pfarrer muß mir's zur Ehr' nachsagen, daß 'ch wohl fünfzigmal hinter dein'n Rücken g'sagt habe, wenn d' nicht dabei gewesen bist, daß d' eins der verständigsten Frauenzimmer bist, die ich nur kenne auf dieser weiten Welt.«

»O ja!« rief Schickelmann, »das bin ich bereit mit meinem Zeugnis zu bekräftigen.«

»Nun, sehn Sie, mon Frère,« sagte die Schwester, »ich hab' auch allemal, wie ich wohl sagen kann, Ihnen ein eben so günstiges Zeugnis gegeben. Sie müssen gestehn, Sie sind ein wenig von zu jäher Gemütsart; aber wenn Sie sich nur ein wenig Zeit lassen, ruhig zu überlegen, so kenne ich keinen vernünftigern Mann, als Sie, mon Frère.«

[188] »Nu siehst du, ma Soeur,« sagte der Junker, »wenn du so denkst, sieh, so will ich hier auf deine Gesundheit trinken, von ganzem Herzen! 's läuft wohl zuweilen ein bißchen leicht bei mir über, aber sieh! maulen kann 'ch nicht, mag 'ch nicht! Sophie, bis du 'n gut Kind, und thu alles, was lieb' Tante dir sagt!«

»An ihr zweifle ich im geringsten nicht!« sagten Ihro Gnaden, Tante von Western. »Sie hat bereits ein Exempel vor Augen, an der Aufführung ihrer ungeratnen Kousine, der Henriette, die sich ins Verderben gestürzt hat, weil sie meinem Rate nicht folgte. – O was meinen Sie wohl, mon Frère? Kaum hatten Sie den Fuß aus dem Hause gesetzt, als Sie hierher nach London reisten, da kam der unverschämte Kerl mit dem häßlichen irländischen Namen, der Fitz Patrick, angestiegen. Er drängte sich, so ganz ohn' alle Höflichkeit, bei mir ein, ohne sich einmal vorher melden zu lassen; sonst hätt' ich ihn gewiß nicht gesprochen. Er machte eine lange und unverständliche Historie von seinem Weibe, und setzte mich in die Notwendigkeit, daß ich sie anhören mußte. Ich gab ihm aber eine kurze Antwort, stellte ihm den Brief zu von seiner Frau, und sagte ihm, er könne selbst darauf anworten. Ich glaube, das Weibsstück wird sich wohl Mühe geben, uns aufzusuchen; aber ich bitte, sprechen Sie sie nicht; denn ich bin entschlossen, nichts von ihr zu sehen noch zu hören.«

»Ich? sie sprechen?« antwortete der Junker. »Brauchst nichts zu fürchten, bin kein Rückenhalter von solch'n ungehorsam'n verlaufnen Dirnen; 's war 'n Glück vor ihren Ehkerl, daß 'ch nicht zu Haus war. Wanne, der Blix! der sollt' 'nmal 'n Tanz durch d' Pferdschwemme gethan hab'n, daß 'n Art gehabt hätte! Da siehst du, Fieke, worauf's mit solch ungehorsamen Volk hinausläuft! Da hast 'n Exempel in deiner eigen'n Familie; dran kannst 'ch spiegeln!« – »Mon Frère!« rief die Tante, »Sie brauchen meiner Niece mit solchen verhaßten Erinnerungen kein'n Kummer und Verdruß zu machen. Wie? wollen Sie nicht alles ganz und gar mir allein überlassen?« – »Gut, gut! Ich will, 'ch will ja!« sagte der Junker. Und hierauf machten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, zum Glück für Sophien, der Unterredung dadurch ein Ende, daß sie befahlen, zwei Sänften kommen zu lassen. Ich sage zum Glück! denn hätte sie noch länger gedauert, so würde höchst wahrscheinlich sich frische Materie zum Zwist zwischen Bruder und Schwester hervorgethan haben, unter welchen Erziehung und Geschlecht den einzigen Unterschied machten; denn beide waren gleich heftig und gleich eigensinnig; beide hatten eine sehr große Liebe zu Sophie und beide hegten eine uneingeschränkte Verachtung gegen einander.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

In welchem Jones von Sophie einen Brief erhält und mit Madame Miller und Rebhuhn in die Komödie geht.


Des schwarzen Jakobs Ankunft in der Stadt und die freundschaftlichen Dienste, welcher dieser dankbare Mensch seinem alten [189] Wohlthäter zu leisten versprochen hatte, gereichten dem Herrn Jones bei allen den Sorgen und Aengsten, welche er um Sophie erlitt, zum merklichen Troste. Durch Vermittlung des besagten Jakobs erhielt er von Sophie folgende Antwort auf seinen Brief. Denn, da sie mit ihrer Freiheit zugleich den Gebrauch von Feder, Tinte und Papier erhalten hatte, so schrieb sie noch gleich an demselben Abend, da sie aus ihrer Gefangenschaft erlöst worden war:


»Lieber Herr Jones!


Da ich an der Aufrichtigkeit desjenigen nicht zweifle, was Sie mir schreiben, so wird es Ihnen ein Vergnügen machen zu vernehmen, daß einige von meinen Leiden durch die Ankunft meiner Tante Western ein Ende genommen haben. Ich bin gegenwärtig bei ihr und genieße bei ihr alle der Freiheiten, die ich nur verlangen kann. Auf ein Versprechen von mir hat meine Tante gedrungen, dieses ist: daß ich, ohne ihr Wissen und Einwilligung, niemand sehen und mit niemand sprechen wolle. Dieses Versprechen habe ich feierlich gegeben, und werde es ganz unverbrüchlich halten. Und ob sie mir gleich nicht ausdrücklich verboten hat zu schreiben, so kann das doch nur daher kommen, daß sie es vergessen hat, oder es ist auch schon zugleich unter dem Worte sprechen mit begriffen. Da ich unterdessen dies nicht anders, denn als einen Mißbrauch ihres großmütigen Vertrauens in meine Redlichkeit betrachten kann, so können Sie nicht erwarten, daß ich nach diesem weder selbst schreiben, noch Briefe annehmen werde, ohne daß sie darum wisse. Ein Versprechen ist bei mir eine heilige Sache, und ich dehne es auf alles aus, sowohl was darunter verstanden werden kann, als was es mit ausdrücklichen Worten enthält; und diese meine Art zu denken kann Ihnen vielleicht, wenn Sie es wohl überlegen, zu einiger Beruhigung gereichen. Aber warum sage ich Ihnen etwas von Beruhigung dieser Art? Denn, obgleich es eine Sache in der Welt gibt, in welcher ich dem besten der Väter niemals willfahren kann, so bin ich doch fest entschlossen, niemals gegen sein ausdrückliches Verbot zu handeln, oder einen wichtigen Schritt zu thun, ohne vorher dazu seine Einwilligung zu haben. Eine feste Ueberzeugung hiervon muß Sie lehren, Ihre Gedanken nicht ferner an etwas zu heften, was das Schicksal (vielleicht) zur völligen Unmöglichkeit gemacht hat. Hiervon muß Ihr eigener Vorteil Sie überzeugen. Dies mag Sie, und ich hoffe es, mit Herrn Alwerth wieder aussöhnen, und wenn es das kann, so lassen Sie mich es Ihnen auferlegen, darnach zu streben. Zufälle haben mich unter Verbindlichkeiten gesetzt, wahrscheinlicherweise noch mehr Ihre guten Absichten. Das Glück kann uns vielleicht beiden noch einmal günstiger werden, als es jetzt ist! Glauben Sie mir dieses, daß ich beständig so von Ihnen denken werde, wie Sie es nach meiner Meinung verdienen. Ich bin

Ihre ergebenst verbundene
Sophie Western.«

N.S.


»Ich bitte Sie ernstlich, mir nicht weiter zu schreiben. – Fürs erste wenigstens nicht! Und nehmen Sie dieses hiermit an, welches [190] mir jetzt unbrauchbar ist, und wovon ich weiß, daß es Ihnen dran fehlen muß. Denken Sie, Sie haben diese Kleinigkeit bloß dem Glücke zuzuschreiben, welches Sie dieselbe finden ließ 1.« –


Ein Kind, das nur eben seine Buchstaben kennen gelernt hat, würde diesen ganzen Brief in kürzerer Zeit durchbuchstabiert haben, als Jones anwendete, ihn zu lesen. Die Empfindungen, welche er veranlaßte, waren ein Gemisch von Freud' und Gram, etwas ähnliches von dem, was in der Seele eines guten Mannes um die Oberhand kämpft, wenn er das Testament seines verstorbnen Freundes liest, in welchem ihm eine beträchtliche Summe, die ihm seine bedrückten Umstände noch willkommner machen, hinterlassen wurde. Im ganzen genommen war er gleichwohl darüber mehr vergnügt als mißvergnügt, und in der That wird sich der Leser nach aller Wahrscheinlichkeit wundern, wie er nur im geringsten habe mißvergnügt sein können. Doch der Leser ist nicht völlig so verliebt, wie der arme Jones es war, und Liebe ist eine Krankheit, die freilich in manchen Stücken der Schwindsucht gleicht (die sie oft erzeugt), in andern aber sich auf eine ganz entgegengesetzte Art äußert und vorzüglich darin, daß der Patient jedes Symptom im fürchterlichsten Lichte betrachtet.

Ueber eins fühlte er ein unvermischtes Vergnügen, und das war, daß seine Geliebte wieder in Freiheit und jetzt bei einem Frauenzimmer war, wo sie wenigstens einer anständigen Begegnung versichert sein konnte. Ein andrer beruhigender Umstand bestand darin, daß sie sich auf ihr Versprechen bezog, niemals einen andern Mann zu heiraten. Denn für so uneigennützig er selbst seine Liebe halten mochte und ungeachtet aller in seinem Briefe gethanen großmütigen Aeußerungen zweifle ich doch sehr, ob man ihm eine schrecklichere Nachricht hätte bringen können als die, Sophie sei an einen andern verheiratet; die Partie möchte übrigens noch so groß und es noch so wahrscheinlich gewesen sein, daß sie zu ihrem größesten Glücke ausschlagen würde. Der gereinigte Grad von platonischer Liebe, wobei die Sinnlichkeit gar nichts zu thun hat und welcher wirklich durch und durch geistig ist, scheint mir eine bloß auf die schönere Hälfte der Schöpfung eingeschränkte Gabe zu sein; von diesen habe ich viele beteuern gehört (und zweifelsohne mit großer Wahrheit), daß sie mit der größesten Bereitwilligkeit ihren Geliebten einer Nebenbuhlerin überlassen würden, wenn es bewiesen würde, daß eine solche Entäußerung für das zeitliche Wohl eines solchen Geliebten notwendig wäre. Hieraus schließe ich also, daß eine solche Liebe in der Natur sein müsse, ob ich gleich damit keineswegs sagen will, daß ich davon jemals ein Beispiel gesehn hätte.

Nachdem Herr Jones drei Stunden damit zugebracht hatte, vorbesagten Brief zu lesen und zu küssen und es endlich durch die letzterwähnte Betrachtung dahin gebracht hatte, daß ihm recht gut zu Mute war, ließ er sich's gefallen, eine Verabredung, die er längst getroffen hatte, ins Werk zu setzen, welche darin bestand, Madame [191] Miller und ihre jüngste Tochter in die Komödie zu führen und Rebhuhn in Gesellschaft mitzunehmen. Denn weil Jones wirklich den Geschmack an sonderbarer Laune hatte, den manche zu haben vorgeben, so versprach er sich großen Spaß an Rebhuhns kritischen Bemerkungen, an denen er die reinen Eindrücke der Natur wahrzunehmen erwartete, unverfeinert freilich, aber auch gleichfalls unverkritzelt durch die Kunst.

Madame Miller, ihre jüngste Tochter, Herr Jones und Rebhuhn nahmen also in der ersten Reihe auf der ersten Galerie ihre Plätze. Rebhuhn erklärte alsobald: es wäre der schönste Platz, den er in seinem Leben gesehen hätte. Als man die Sinfonie spielte, sagte er: Es wäre doch zu verwundern, daß so viele Geiger zugleich auf einmal spielen könnten, ohne sich aus dem Takte zu bringen. Als der Kerl die Kronleuchter anzündete, sagte er zu Madame Miller: »Sehn Sie, sehn Sie, Madame! das leibhafte Bild von dem Mann, der hinten im Gebetbuche steht, da wo die Gebete angehen, die am Gedächtnistage der Pulververschwörung vorgelesen werden. Sehn Sie! just als wenn er's Pulver anzünden will.« Er konnte sich auch nicht enthalten, als alle Lichter angezündet waren, mit einem Seufzer zu sagen, daß hier an einem Abend so viel Lichter verbrannt würden, als womit eine ehrliche arme Haushaltung ein ganzes Jahr auskommen könnte.

Sobald das Stück anfing (es war Hamlet Prinz von Dänemark), war Rebhuhn ganz aufmerksam und brach das Stillschweigen nicht eher, als bis der Geist auftrat, da er dann Herrn Jones fragte: was das für ein Mann wäre in der seltsamen Tracht da? »So was ähnliches hab' ich wohl in einer Schilderei gesehn; 's ist doch wohl nicht ein Panzer und Helm? Ist's?« – Jones antwortete: »Das ist der Geist.« – Worauf Rebhuhn mit einem Lächeln erwiderte: »Ja, so was laß ich mir auch weiß machen! Ob ich zwar nicht sagen kann, daß ich, so lang' ich lebe, einen Geist gesehn hätte, so weiß ich doch gewiß, daß ich einen kennen würde, wenn ich ihn sähe, und der müßte ganz anders aussehn. Nein, nein, mein lieber Herr! Geister gehen nicht umher in solcher Tracht! So viel weiß ich wohl!« In diesem Irrtum, welcher in der Nachbarschaft um Rebhuhn herum viel Gelächter verursachte, ließ man ihn ferner beharren bis zu dem Auftritt zwischen dem Geist und Hamlet, wo Rebhuhn Herrn Garrick den Glauben einräumte, den er Herrn Jones versagt hatte, und in ein solch heftiges Zittern verfiel, daß seine Kniee gegen einander schlotterten. Jones fragte ihn, was ihm fehle, und ob er sich vor dem Kriegsmann da auf dem Theater fürchtete. – »Ach, ach, lieber Herr!« sagte er, »ich seh' nun, daß es wahr ist, was Sie mir sagten. Ich fürchte mich vor gar nichts, denn ich weiß ja, daß es nur ein Spiel ist; und wenn's auch wirklich ein Geist wäre, so kann's einem doch kein leids thun, in solcher Entfernung und in so großer Gesellschaft; und wenn mir nun auch ein bißchen bange wäre, so wär' ich doch auch nicht der einzige!« – »Wie so?« sagte Jones. »Von wem glaubt Er noch, daß er so eine feige Memme wäre, wie Er?« – »Nu ja! Nennen Sie [192] mich immerhin eine feige Memme, wenn Sie wollen; aber wenn dem kleinen Manne da auf dem Theater nicht bange ist, so hab' ich in meinem Leben noch keinen Menschen gesehn, dem's bange war. Ja, ja, mit dir gehn! Ja, ja, das wär' eben recht! Daß er ein Narr wäre! Willst du doch? Gott verzeih' mir die Sünde! Was das für eine Verwegenheit ist! – Wenn es schief geht, so hast du's selbst gewollt – dir nachfolgen? Ebensolieb folgt' ich dem Teufel! – Ja, wer weiß, ob's nicht gar der Teufel selbst ist? – denn man sagt ja, daß er sich in alle Gestalten verstellen kann, wozu er nur Lust hat. – Hu, da ist er schon wieder! – Nein, weiter mußt du nicht mit ihm gehn! Nein, nein; bist schon weit genug mit'n gegangen, weiter als ich mitgegangen wäre um's ganze Königreich!« Jones wollte ihm was sagen; Rebhuhn aber fiel ihm ein: »St, St, lieber Herr, hören Sie nicht? Es spricht!« Und während der ganzen Rede des Geistes hielt er teils auf den Geist und teils auf Hamlet die Augen geheftet und hielt das Maul sperrweit offen. So wie beim Hamlet die Leidenschaften abwechselten, so wechselten sie auch bei ihm.

Als der Auftritt vorbei war, sagte Jones: »Wie, Rebhuhn? Er übertrifft ja alle meine Erwartungen! Er nimmt mehr Anteil am Stücke, als ich mir eingebildet hätte.« – »Je nun, lieber Herr,« antwortete Rebhuhn, »wenn Sie sich vor'm Teufel nicht fürchten, so kann ich nicht davor; aber natürlich ist es doch, daß man über solche Sachen erstaunen muß, ob ich gleich weiß, daß nichts an der Sache ist. Ich bin auch eben nicht so sehr erstaunt über den Geist, denn das hab' ich wohl gemerkt, daß es nur ein Mensch ist in einer seltsamen Tracht; aber als ich den kleinen Mann selbst so entsetzlich erschrocken sah, so hat mich das mit angesteckt.« – »Und bildet Er sich denn ein, Rebhuhn,« sagte Jones, »daß der kleine Mann im Ernst erschrocken war?« – »Ei, lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »haben Sie nachher nicht selbst gemerkt, als er fand, daß es der Geist seines eignen Vaters und daß er in dem Garten ermordet worden wäre, wie ihn seine Furcht nach und nach verließ und wie er vor Betrübnis stumm wurde? sozusagen just so, wie mir's zu Mute gewesen sein würde, wenn es mir selbst begegnet wäre? – Aber St! Holla! was ist das für ein Lärm? Da ist er wieder! – Ja nun, gewiß, ob ich schon weiß, daß sie alles nur so thun, so ist mir's doch lieb, daß ich nicht da unten bin, wo diese Leute sind.« Darauf richtete er wieder seine Augen hin nach Hamlet: »O ja, das Degenziehen wird dir auch was helfen! Als ob ein Degen gegen die Gewalt des Satans was machen könnte!«

Während des zweiten Aktes machte Rebhuhn nur wenige Anmerkungen. Er bezeigte sein Wohlgefallen über die schönen Kleidungen und konnte sich nicht entbrechen, über die Mienen des Königs seine Anmerkungen zu machen. »Nun!« sagte er, »wie doch Menschen durch Gesichter betrogen werden können!Nulla fides fronti ist, wie ich sehe, ein wahrer Spruch. Wer sollte denken, wenn man des Königs Gesicht ansieht, daß der eine Mordthat begangen hätte?« Hierauf erkundigte er sich nach dem Geist. Jones aber, der sich [193] vorsetzte, er sollte überrascht werden, gab ihm keine andre Antwort, als: »Er würde ihn vielleicht bald wieder sehn und zwar in Feuer und Flammen.«

Rebhuhn saß und erwartete dies in großer Furcht. Und als nun der Geist das nächste Mal erschien, rief Rebhuhn aus: »Da, da, Herr! Nu, was sagen Sie nun? Ist er nun erschrocken oder nicht? Wohl so erschrocken als Sie glauben, daß ich's bin. Und freilich, wer kann's helfen, sich ein bißchen zu erschrecken? Ich möchte nicht in so schlimmen Umständen sein, als, wie heißt er doch? – Junker Hamlet dort ist's, um alles in der Welt. Gott sei mir gnädig! Wo ist der Geist geblieben? So wahr als ich lebe! Ich glaube, ich hab'n da in die Erde sinken sehn!« – »In der That, Er hat recht gesehn,« antwortete Jones. »Nun gut!« rief Rebhuhn. »Ich weiß, 's ist nur ein Spiel; und dazu, wenn das geringste an der Sache wahr wäre, so würde Madame Miller nicht so lachen. Denn Sie, Herr, ja Sie würden sich nicht fürchten, glaub' ich, wenn auch der Satan da leibhaftig vor Ihnen stände. – Da, da! Ei ja, es ist kein Wunder, daß du so böse bist; schüttle die schändliche, ruchlose Kreatur in Krautstücke! Wenn sie meine eigne Mutter wäre, ich würd's ihr ebenso gemacht haben. Ganz recht! Alle kindliche Liebe gegen eine Mutter hat ein Ende, wenn sie sich so schändlich aufführt. – O ja, kannst dich nur fortzecken! Ich mag dich nicht mehr vor Augen leiden.«

Unser Kritikus war nun ziemlich stumm, bis das Schauspiel anging, welches Hamlet vor dem König aufführen läßt. Dies verstand er anfangs nicht, bis es ihm Jones erklärte. Sobald er aber den Sinn davon begriff, fing er an zu bezeigen, wie froh er wäre, daß er niemals einen Mord begangen hätte. Drauf wendete er ich an Madame Miller und fragte sie: ob sie nicht meinte, daß der König so aussähe, als ob er betroffen wäre? »Es ist zwar ein guter Akteur,« sagte er, »und thut alles, was er kann, um sich's nicht merken zu lassen. Wohl, ich möchte nicht so viel zu verantworten haben, als der gottlose Mann da zu verantworten hat, und wenn ich drum auf einer noch höhern Stufe sitzen sollte, als worauf er sitzt. Kein Wunder, daß er wegläuft! Du wirst machen, daß ich in meinem Leben keinem unschuldigen Gesicht wieder traue.«

Hiernächst zog die Totengräberszene Rebhuhns Aufmerksamkeit auf sich und er bezeigte seine Verwunderung über die Menge von Totenköpfen, welche man hier auf das Theater warf. Worauf Jones antwortete: »Es wäre einer der berüchtigten Begräbnisplätze der Stadt.« – »Ja nu, so ist kein Wunder,« rief Rebhuhn, »daß es drauf spuken geht. Aber in meinem Leben hab' ich keinen so ungeschickten Grabmacher gesehn; ich hatte einen Totengräber, als ich noch Küster war, der hätte Ihnen drei Gräber gemacht, unterdessen daß der da an dem einen herumpickert. Dem Kerl steht der Spaten zur Hand, als ob's das erste Mal in seinem Leben wäre, daß er einen anfaßt. Ja, ja, was zu singen da! Singen magst du wohl lieber als arbeiten, glaub' ich.« – An der Stelle, wo Hamlet den Totenkopf aufnimmt, rief er aus: »'s ist doch sonderbar, wenn [194] man sieht, wie entsetzlich dreist gewisse Menschen sein können! Ich hab's in meinem Leben nicht übers Herz bringen können, das geringste anzurühren, was einem toten Menschen angehört hat. Nein, das konnt' ich nicht. Und doch schien ihm vor dem Geiste bange genug zu sein, dächt' ich! Nemo omnibus horis sapit!«

Während des Stücks fiel wenig weiter vor, das der Mühe wert wäre zu erzählen. Als es geendigt war, fragte ihn Jones, welcher von den Schauspielern ihm am besten gefallen hätte. Hierauf antwortete er mit anscheinendem Unwillen über die Frage: »Nun, der König, sollt' ich meinen!« – »In der Tat, guter Rebhuhn,« sagte Madame Miller, »Sie sind nicht einerlei Meinung mit der Stadt, denn alle Leute sind einstimmig, daß Hamlet von dem besten Schauspieler vorgestellt wird, der jemals das Theater betreten hat.« – »Er? der beste Schauspieler?« rief Rebhuhn und warf höhnisch die Nase in die Höh'; »so gut wie der konnt' ich auch agieren! Das weiß ich gewiß, wenn ich einen Geist gesehn hätte, ich würde just grade so ausgesehn haben wie er und hätte ebenso gethan, wie er that. Und dann hernach in der Szene, wie Sie's nennen, zwischen ihm und seiner Mutter, wo Sie mir sagten, er spielte so vortrefflich, und sehn Sie, lieber Gott! ein jedes Menschenkind, das heißt zu sagen, ein jedes gutes Menschenkind, das solch eine Mutter gehabt hätte, hätt's um kein Haar anders machen können! Ich weiß wohl, Sie haben mich nur zum besten; aber in der That, Madame, ob ich gleich in London noch niemals in der Komödie gewesen bin, so hab' ich doch vorher auf dem Lande gesehn, was agieren heißt; und der König, sag' ich Ihnen, der ist das Geld für'n Platz wert! Er spricht alle seine Worte so deutlich aus, noch halbmal so laut als die andern – das ist ein rechter Akteur, das kann ihm gleich jedermann ansehn.«

Derweil Madame Miller sich solchergestalt mit Rebhuhn unterredete, kam eine Dame zu Herrn Jones, welche er augenblicklich für Madame Fitz Patrick erkannte. Sie sagte, sie habe ihn von der andern Seite der Galerie her gesehn und habe diese Gelegenheit wahrgenommen, mit ihm zu sprechen, weil sie ihm etwas zu sagen hätte, woran ihm sehr gelegen sein würde. Sie sagte ihm darauf, wo sie wohnte, und bestellte ihn auf den nächsten Vormittag, zu ihr zu kommen. Gleich drauf aber besann sie sich eines bessern und bestimmte den Nachmittag, um welche Zeit Jones versprach, ihr seine Aufwartung zu machen.

Solchergestalt endigte sich das Abenteuer im Schauspielhause, woselbst Rebhuhn viel zu lachen gemacht hatte, nicht allein Herrn Jones und Madame Miller, sondern alle, die so nahe um ihn saßen, daß sie ihn hören konnten, und welche aufmerksamer auf das waren, was er sagte, als auf alles übrige, was auf der Bühne vorging.

Die ganze Nacht unterstand er sich nicht zu Bett zu gehen aus Furcht vor dem Geiste; und noch viele Nächte nachher stand ihm zwei oder drei Stunden der Angstschweiß auf der Stirne, ehe er sich schlafen legte, und oft wachte er auf in vollem Schrecken und schrie: »Ach, daß Gott erbarme, da ist's!«

Fußnoten

1 Sie meinte vielleicht die Banknote von hundert Pfund.

Sechstes Kapitel
[195] Sechstes Kapitel.

In welchem die Geschichte genötigt ist, hinter sich zu sehen.


Dem besten Vater ist es fast unmöglich, eine genaue Unparteilichkeit unter seinen Kindern zu beobachten, selbst auch dann nicht, wenn keine hervorragenden Verdienste einen Unterschied in seiner Liebe verursachen; aber wirklich kann man es auch einem Vater kaum übel nehmen, wenn ein solcher Vorzug an Verdienst seine Vorliebe bestimmt.

Da ich alle verschiednen Personen in dieser Geschichte als meine Kinder betrachte, so muß ich auch bekennen, daß ich eben eine solche Vorliebe für meine Sophie habe, und dafür hoffe ich wird mir der Leser auch ebendieselbe Entschuldigung zu statten kommen lassen, nämlich den großen Vorzug ihres Charakters.

Diese außerordentliche Zärtlichkeit, die ich nun einmal für meine Heldin habe, erlaubt mir's niemals, sie etwas lange ohne meinen größten Widerwillen aus den Augen zu lassen. Deshalb möchte ich jetzt gern zurückkehren und begierig nachfragen, wie es dem lieben Kinde geht, seitdem sie nicht mehr bei ihrem Vater im Hause ist, wenn ich nicht genötigt wäre, vorher erst beim Herrn Blifil einen kurzen Besuch zu machen.

Herr Western hatte in der ersten Verwirrung, in welche sein Kopf durch die unvermutete Nachricht von seiner Tochter geworfen worden und in der ersten Hast, ihr nachzureisen, nicht einmal daran gedacht, Herrn Blifil von dieser Entdeckung Nachricht zu senden. Inzwischen war er noch nicht weit weg, als er sich darauf besann, und des Endes beim ersten Kruge, den er erreichte, stillhielt und einen Boten abfertigte, Herrn Blifil zu hinterbringen, daß er seine Sophie wiedergefunden habe und daß er fest entschlossen sei, ihm solche alsobald antrauen zu lassen, wenn er ihm in die Stadt nachkommen wollte.

Da die Liebe, welche Blifil für Sophie empfand, von jener heftigen Art war, die durch nichts als etwa durch den Verlust ihres Vermögens oder einen dergleichen ähnlichen Zufall vermindert werden konnte, so war seine Begierde nach dieser Verbindung durch ihre Flucht keineswegs verändert worden, ob er gleich nicht umhin konnte, diese Flucht auf seine eigne Rechnung zu schreiben. Er nahm also dies Anerbieten gar willig an. In der That hatte er bei der Verheiratung mit dem Fräulein die Absicht, noch außer dem Geize eine sehr mächtige Leidenschaft zu befriedigen, und diese war sein Haß. Denn er war der Meinung, daß der Ehestand ebenso gute Gelegenheit gäbe, dem Hasse ein Genügen zu thun als der Liebe, und diese Meinung wird durch die Erfahrung höchst wahrscheinlich gemacht. Wenn wir, die Wahrheit zu sagen, nach dem Betragen verheirateter Leute gegen einander urteilen dürfen, so sind wir so ziemlich berechtigt zu schließen, daß der größeste Haufen bei seiner Eintracht in allen Dingen, die Herzen ausgenommen, sich es vorsetzt, der ersten dieser Leidenschaften gütlich zu thun.

Unterdessen stand ihm eine Schwierigkeit im Wege und diese [196] machte ihm Herr Alwerth. Diesem edlen Mann, als er durch Sophiens Entfernung (denn weder ihre Flucht noch deren Ursache konnte vor ihm verhehlt werden) die große Abneigung sah, die sie gegen seinen Neffen hatte, begann es herzlich leid zu thun, daß er die Sachen so weit getrieben hatte. Er war keineswegs einerlei Meinung mit solchen Eltern, welche es bei ehelichen Verbindungen für ebenso überflüssig halten, ihre Kinder um Rat zu fragen, als wenn sie etwa willens sind eine Spazierfahrt zu machen, und oft nur durch die Gesetze oder durch den äußerlichen Wohlstand wenigstens abgehalten werden, die äußerste Gewalt zu brauchen. Weil er im Gegenteil vielmehr den Ehestand als eine sehr heilige Stiftung ehrte, so hielt er jede vorläufige Behutsamkeit für nötig, um solchen heilig und unverletzlich zu bewahren und machte den sehr vernünftigen Schluß, dies zu bewirken sei kein sichrer Weg, als ihn auf vorhandne gegenseitige Zuneigung zu begründen.

Blifil heilte zwar seinen Oheim sehr bald von allem Aerger über vorgegangenen Betrug durch eine Menge von Versicherungen und Beteurungen, daß er selbst hintergangen worden, womit denn auch die oft wiederholten Erklärungen des Herrn Western ziemlich stimmten. Nun aber jetzt den Herrn Alwerth zu überreden, daß er seine Einwilligung von neuem erteile, die Anwerbungen zu erneuern, das war nach allem Anschein eine so schwere Sache, daß dieser Anschein für ein weniger unternehmendes Genie völlig abschreckend gewesen wäre; allein dieser liebe junge Herr kannte seine eignen Geistesgaben so gut, daß ihm nichts von alledem, wohin die Verschlagenheit reichen konnte, zu schwer schien, damit fertig zu werden.

Hier sonach stellte er die Heftigkeit seiner eignen Liebe vor und die Hoffnung, den Widerwillen des Fräuleins durch treue Beständigkeit zu überwinden. Er bat, daß er in einer Angelegenheit, von der seine ganze künftige Ruhe abhinge, wenigstens die Freiheit haben möchte, alle erlaubten Mittel zu versuchen, um zu seinem Zwecke zu gelangen. Der Himmel solle ihn bewahren, sagte er, nur jemals daran zu denken, anders als durch die sanftesten Mittel seinen Wunsch zu erreichen. »Ueberdem, liebster Herr Onkel,« sagte er, »können Sie, wenn diese fehlschlagen sollten (und dann ist es ja immer noch zeitig genug) Ihre Einwilligung versagen.« Er führte das lebhafte Verlangen an, womit Herr Western diese Verbindung wünschte, und endlich benutzte er Jones' Namen aufs beste, dem er alles Vorgefallene schuld gab und zeigte, wie es ordentlich ein christliches Werk wäre, ein so würdiges junges Frauenzimmer vor ihm in Sicherheit zu bringen.

Alle diese Gründe wurden aufs beste unterstützt vom Herrn Schwöger, welcher sich ein wenig länger bei dem väterlichen Ansehen aufhielt und ihm mehr Gewalt zuschrieb, als Herr Blifil selbst zu thun für gut befunden hatte. Er schrieb die Maßregeln, welche Herr Blifil zu versuchen wünschte, christlichen Beweggründen zu; »und,« sagte er, »obgleich der liebe junge Herr der christlichen Liebe zuletzt erwähnt hat, so bin ich doch fast gänzlich überzeugt, daß sie das Erste und Vornehmste ist, was bei ihm in Betrachtung kommt.«

[197] Quadrat würde vermutlich, wenn er zugegen gewesen, dasselbe Liedlein angestimmt haben, obgleich in einer andern Tonart, und würde das Verfahren der ewigen Regel des Rechts genau angemessen gefunden haben, allein er war schon seiner Gesundheit wegen nach dem Brunnen zu Bath verreist.

Alwerth gab endlich, obgleich nicht ohne Widerwillen, dem Verlangen seines Neffen nach. Er sagte, er wolle ihn nach London begleiten, woselbst er die Freiheit haben solle, alles redliche Bestreben anzuwenden, um das Fräulein zu gewinnen. »Aber, das versichere ich dir,« sagte er, »nie werde ich dareinwilligen, daß ihrer Neigung Zwang und Gewalt angethan werde, und nie soll sie die deinige werden, wofern sie nicht dahin gebracht werden kann, dir ganz freiwillig die Hand zu geben.«

Solchergestalt verführte Alwerths Liebe gegen seinen Neffen den höheren Verstand, sich von dem niedrigeren im Triumph aufführen zu lassen, und solchergestalt läuft oft die Zärtlichkeit des besten Herzens mit der Klugheit des besten Kopfs davon.

Blifil, der diese unverhoffte Einwilligung von seinem Oheim erhalten hatte, ruhte nicht, bis er sein Vorhaben ins Werk richtete. Und da gerade eben keine dringenden Geschäfte des Herrn Alwerth Gegenwart auf dem Lande notwendig machten, und für Mannspersonen nur wenig Zurüstungen zu einer solchen Reise nötig sind, so machten sie sich gleich des folgenden Tages auf den Weg und langten eben des Abends in der Stadt an, als Jones, wie wir gesehen haben, mit Rebhuhn im Schauspielhause seinen Spaß hatte.

Am Morgen nach seiner Ankunft ging Herr Blifil hin, Herrn Western zu besuchen, von dem er sehr gütig und freundlich empfangen wurde und alle möglichen (vielleicht mehr als möglich waren) Zusicherungen erhielt, daß er ganz in kurzem so glücklich werden sollte, als Sophie ihn machen könnte, dabei wollte auch der Junker nicht zugeben, daß er wieder nach seinem Oheim ginge, ehe er ihn fast wider seinen Willen zu seiner Schwester geführt hätte.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Herr Western macht, in Gesellschaft Herrn Blifils, einen Besuch bei seiner Schwester.


Ihro Gnaden, Fräulein Tante von Western waren im vollen Geschäft, Dero Nièce eine Vorlesung über Klugheit und Ehestandspolitik zu halten, als ihr Bruder und Blifil mit weniger Zeremonien als die Visitengesetze erheischen, hereinbrachen. Sobald Sophie Herrn Blifil sah, ward sie blaß und verlor fast den Gebrauch ihrer Sinne. Ihre Tante hingegen setzte einen roten Kamm auf, und da ihr alle ihre Sinne und Kräfte zugebote standen, so begann sie, ihre Zunge gegen den Junker in Gang zu setzen.

»Mon Frère,« sagte sie, »ich erstaune über Ihre Aufführung! Wollen Sie denn niemals lernen, einige Achtung für das Decorum zu haben? Wollen Sie denn ein jedes Appartement für [198] das Ihrige ansehen, oder als ob es einem Ihrer Landpächter zugehörte? Meinen Sie denn, daß Sie die Freiheit haben, so ohne alle Décence und ohne alles Anmelden Damen von Stande in ihren geheimen Gemächern zu überfallen?« – »Wie, was Hagel! gibt's nun schon wieder?« schrie der Junker. »Sollt' man nicht mein'n, ich käm' eben drüber zu, daß sie – –« – »Nur keine von Ihren Zoten, Herr, das verbitt' ich mir,« antwortete sie. – »Sie haben meine arme Nièce so überrascht, daß sie sich, wie Sie sehen, kaum auf den Füßen halten kann. – Geh', meine Beste, begieb dich in dein Zimmer und suche deine Lebensgeister wieder zu sammeln, denn ich sehe, du hast es nötig!« Bei welchen Worten Sophie, die niemals einen willkommeneren Befehl erhalten hatte, eilig fortging.

»Nun, mein Seel, Schwester, du bist toll!« schrie der Junker. »Zwingst sie wegzugehen, da ich den Junker eignes Gewerbs herbring' daß er 'r schön thun soll und ums Jawort bitten.«

»Gewiß, mon Frère, Sie sind noch ärger als toll, da Sie wissen, in was für einer Situation die Affairen stehen, so – ich bin gewiß, – ich bitte Herrn von Blifil um Verzeihung, aber ich bin gewiß, daß er recht gut weiß, wem er einen so unangenehmen Empfang beizumessen hat. Was mich selbst anbetrifft, so wird mir es allemal ein Vergnügen sein, Herrn von Blifil bei mir zu sehen, seine eignen guten Einsichten würden's ihm aber nicht gestattet haben, so unangemeldet zuzufahren, wenn Sie ihn nicht dazu genötigt hätten.«

Blifil machte seinen Kratzfuß, stotterte und sah aus wie ein Schafskopf; Western aber, ohne ihm Zeit zu lassen, seine behufige Rede vorzubringen, antwortete: »Nu, ja denn, ich habe schuld, wenn du meinst, ich hab's ja immer, freilich! Aber komm, hörst! laß daß Mädchen wieder hol'n oder laß Herrn Blifil zu ihr gehn – Er ist ja drum herkommen und es ist kein' Zeit zu verlieren.«

»Mon Frère,« rief die Schwester, »Herr von Blifil, weiß ich zuversichtlich, besitzt zu viel Verstand, als daß er, nach dem, was vorgegangen ist, heute morgenma Nièce noch wiederzusehen verlangen sollte. Damen haben gar feine Nerven, und wenn unsre Lebensgeister einmal in Unordnung gebracht sind, so lassen sie sich nicht so im Augenblick wieder herstellen. Hätten Sie Herrn von Blifil gestattet, daß er ma Nièce hätte seine Empfehlung sagen und um die Erlaubnis bitten lassen, ihr heute nachmittag seine Aufwartung machen zu dürfen, so hätte ich sie vielleicht dahin vermocht, seinen Besuch anzunehmen; aber nun zweifle ich fast daran, daß so etwas möglich zu machen sein wird.«

»Es thut mir sehr leid, Ihro Gnaden,« sagte Blifil, »daß die außerordentliche Gewogenheit des Herrn von Western für mich, die ich niemals mit genugsamem Danke erkennen kann, die Ursach' gewesen sein muß, daß« – »In der That, mein Herr,« fiel sie ihm ins Wort, »Sie haben nicht Ursach', sich im geringsten zu entschuldigen, wir alle kennen meinen Herrn Bruder zu gut.«

»Mein'thalben mag mich kenn'n wer will!« erwiderte der Junker. [199] »Aber, wann muß er denn wieder komm'n, mit 'r zu sprech'n? Denn, bedenk's doch, 'ch sag' dir ja, daß 'r eignes Gewerbs drum herkommen ist, und Nachbar Alwerth auch.« – »Mon Frère,« sagte sie, »was für Gewerbe Herr von Blifil an ma Nièce bestellen zu lassen für gut befinden wird, die sollen richtig in ihre Hände geliefert werden und ich meine, sie bedürfe keines Unterrichts, darauf in gehöriger Form zu antworten. Ich bin überzeugt, sie wird sich nicht weigern, Herrn von Blifil zu einer schicklichen Zeit zum Besuche anzunehmen.« – »Ja, sie wird, den Teufel auch,« schrie der Junker. »Daß dich alle tausend! – wenn wir s' nicht kennt'n! Ich will nichts sag'n, aber 's gibt so Leute, die immer klüger sind als d' ganze Welt! – Hätt' ich nur mein'n Will'n hab'n können, sie sollt' mir vorhin nicht davongelaufen sein. Und nun seh' ich's schon kommen, ich erwart' all' Augenblick', zu hören, s' ist wieder Heidi gangen. Ja, ja, so dumm, wovor mich gewisse Leute halten, so weiß ich's doch recht gut, sie haßt – –« – »Was soll das hier, mon Frère?« erwiderte die Dame. »Ich will's nicht leiden, daß man meiner Nièce was übles nachsagt. Das fiele auf meine Familie zurück, und der macht sie Ehre und wird ihr Ehre machen, das sag' ich Ihnen. Ich setze für ihre Aufführung meine ganze Reputation in der Welt zum Pfande. Es wird mir lieb sein, mon Frère, Sie diesen Nachmittag wiederzusehen, ich habe Ihnen alsdann etwas wichtiges zu sagen. – Für jetzt müssen sowohl Herr von Blifil als Sie mich entschuldigen, denn ich muß mich eilig ankleiden.« – »Nun gut! aber,« sagte der Junker, »setz' doch nur 'ne Zeit.« – »In der That,« sagte sie, »ich kann keine Zeit bestimmen. – Ich sag' Ihnen, heut' nachmittag will ich Sie sprechen.« – »Was Teufel, willst du, daß ich machen soll, siehst du!« schrie der Junker gegen Blifil. »Ich kann sie so wenig herumholen als 'n Wölp einen alten Hasen. Kann sein daß 'r heut' nachmittag der Kopf besser steht.« – »Ich seh' wohl, Herr von Western,« antwortete Blifil, »ich bin zum Unglück bestimmt! Aber ich werde dennoch niemals vergessen, wie viel ich Ihnen schuldig bin.« – Hierauf beurlaubte er sich mit vielen Komplimenten bei Ihro Gnaden, Fräulein von Western, welche ihrerseits fast ebensoviel Zeremonien dagegen machte, und beide gingen weg, der Junker mit einem Schwure, den er zwischen den Zähnen murmelte, daß Blifil den Nachmittag noch seine Tochter sehen und sprechen sollte.

Wenn Herr Western von diesem Besuche nicht sonderlich erbaut war, so war es Blifil noch weniger. Was den ersten anbetrifft, so schob er das ganze Benehmen seiner Schwester bloß auf ihre üble Laune und auf ihr Mißvergnügen darüber, daß sie die Visiten-Zeremonien unterlassen hätten; Blifil sah aber ein wenig tiefer auf den Grund der Sachen. Aus zwei oder drei Worten, die der gnädigen Dame entfallen waren, argwöhnte er etwas von mehrerem Belang, und, die Wahrheit zu sagen, argwöhnte er richtig, wie erhellen wird, wenn wir die verschiedenen Materien auseinandergewickelt haben werden, die das folgende Kapitel enthält.

Achtes Kapitel
[200] Achtes Kapitel.

Entwürfe der Frau von Bellaston, wie sie den Herrn Jones zu Grunde richten will.


Die Liebe hatte im Gemüte des Grafen von Liebegrimm zu tiefe Wurzel geschlagen, als daß sie die ungewandte Hand des Herrn Western hätte ausreuten können. In der Hitze seines Zorns hatte er allerdings dem Kapitän Schluchttreiber einen Auftrag gegeben, den der Kapitän in der Ausführung weit überschritten hatte; der auch gar nicht einmal zur Ausführung gediehen sein würde, hätte der Graf, nachdem er vom Besuch bei der Frau von Bellaston zurückkam, welches des Nachmittags nachher war, da er die Beleidigung erlitten, den Kapitän auffinden können. Aber so treufleißig war der Offizier in seinem Dienste, daß er, nachdem er endlich, nach langem kundschaften, des Junkers Wohnung spät gegen die Nacht entdeckt hatte, die ganze Nacht in einem Weinhause aufsaß, um den Junker nicht des Morgens zu verfehlen; und auf diese Weise kam ihm die Kontraordre nicht zu Händen, die ihm der Graf in sein Quartier geschickt hatte.

Den zweiten Nachmittag nach demjenigen, an welchem Sophie die Notzucht zugedacht war, machte, wie wir gesagt haben, der Graf einen Besuch bei der Frau von Bellaston, welche ihm so viel von dem Charakter des Junkers vor Augen stellte, daß Se. Hochgräfliche Gnaden die Dummheit gar deutlich einsahen, die Sie dadurch hatten ausgehen lassen, daß Sie sich über seine Worte zu ereifern geruht hatten; zumalen bei Dero so ehrenvollen Absichten auf seine Tochter. Hierauf ließ sich der Graf über die Heftigkeit seiner Leidenschaft gegen die Frau von Bellaston heraus, welche sich seiner Sache gern und willig annahm, und ihn dadurch aufmunterte, daß sie ihn gewiß versicherte, nicht nur die Aeltesten der Familie würden ihn äußerst günstig aufnehmen, sondern auch selbst der Vater, wenn er eben nüchtern und von der Natur des seiner Tochter gethanen Anerbietens unterrichtet wäre. Die einzige Gefahr, sagte sie, läge in dem Kerl, dessen sie schon ehmals erwähnt hätte, der zwar nur ein Bettler und Landstreicher sei, bei alledem aber doch auf eine oder die andere Weise, Gott möchte wissen wie? Mittel gefunden habe, noch so ziemlich gut gekleidet und wie ein feiner Mensch einhergehn zu können. »Nun aber,« fuhr sie fort, »da ich, aus Liebe zu meiner Kousine, mir ein Geschäft daraus gemacht habe, mich nach diesem Burschen erkundigen zu lassen, so habe ich endlich glücklicherweise erfahren, wo er sich aufhält;« – nachdem sie dem Grafen den Ort seines Aufenthalts gesagt hatte, fügte sie hinzu: »Ich habe gedacht, lieber Graf, ob (denn für eine persönliche Satisfaktion ist Ihnen der Kerl zu gering), ob es Ihnen nicht thunlich sein möchte, den Zeisig auf eine oder die andre Art zum Seedienst wegnehmen und auf ein Schiff werfen zu lassen. Diesem Projekte stehen weder Gesetze noch Gewissen im Wege; denn ich versichre Sie, der Kerl ist, trotz der artigen Kleider, worin er steckt, weiter nichts als ein Vagabund, und gehört mit Fug und Recht zu dem müßigen Gesindel, welches nach [201] der Verordnung zum Seedienst gepreßt werden soll; und was die Einwendungen von Seiten des Gewissens betrifft, so ist es doch wohl eins der verdienstlichsten Werke, ein junges Frauenzimmer vor solchem Unglück zu bewahren; und in Ansehung des Burschen selbst, wofern er nicht bei meiner Kousine seinen Zweck erreicht (was der Himmel verhüten wird!), so kann es sehr wahrscheinlicherweise das Mittel sein, ihn vor dem Galgen zu bewahren und kann ihn auf einen Weg bringen, worauf er auf eine ehrliche Art sein Glück machen kann.«

Der Graf Liebegrimm dankte der gnädigen Dame gar herzlich für den Anteil, den sie an einer Angelegenheit zu nehmen geruhte, von deren Ausgang seine ganze künftige Glückseligkeit völlig abhänge. Er sagte, noch sähe er nicht, was dran hindern konnte, den Kerl, auch wider seinen Willen, in des Königs Seedienste zu bringen, und er wolle drauf denken, daß es geschehen sollte. Er empfahl hierauf der Dame sehr dringend, ihm aufs baldigste die Ehre zu erzeigen und seine Vorschläge an die Familie zu bringen, der er, wie er sagte, Carte blanche geben, und über sein ganzes Vermögen solche Verfügungen eingehen wolle, die die Familie für zuträglich erachten würde. Und nachdem er eins und das andre Hohelied von Sophie angestimmt hatte, nahm er seinen Abschied und ging fort; vorher aber ward es ihm erst noch einmal eingeschärft, den Jones nicht zu vergessen und keine Zeit zu verlieren, um seine Person an einen Ort zu bringen, wo es nicht länger in seinem Vermögen stünde, neue Versuche zum Untergange des jungen Fräuleins zu machen.

Denselben Augenblick, da die Tante Western in ihrer Wohnung angekommen, ward eine Karte mit Empfehlung an Frau von Bellaston gesandt, die solche nicht so bald empfing, als sie mit der Ungeduld eines Verliebten zu ihrer Kousine flog und sich über die herrliche Gelegenheit nicht wenig freute, die sich über alles Hoffen von selbst darbot; denn die Aussicht war ihr viel angenehmer, die Vorschläge einem Frauenzimmer von Verstande, und die dabei die Welt kennte, zu thun, als einem Manne, dem sie die Ehre erwies, ihn einen Hottentoten zu nennen; obgleich, in der That, sie von ihm keine abschlägige Antwort besorgte.

Die beiden Damen machten sich nach einigen kurzen vorläufigen Zeremonien alsobald an das Geschäft, welches werklich fast ebensobald geschlossen als eröffnet war; denn Tante Western hatte kaum den Namen eines Grafen gehört, als ihre Wangen vor Freude glühten. Als sie aber gar noch von der Heftigkeit seiner Liebe, der Ernstlichkeit seiner Vorschläge und von der Großmut seines Anerbietens benachrichtigt war, da äußerte sie ihre völlige Zufriedenheit in den deutlichsten Ausdrücken.

Im Fortgang ihres Gesprächs fiel die Rede auf Jones, und die Kousinen beklagten beide sehr bitterlich die unglückliche Liebe, welche Sophie, wie sie alle beide gestanden, für den jungen Menschen hätte; und Fräulein von Western schob wieder die alleinige Schuld auf das thörichte Benehmen ihres Bruders. Sie schloß gleichwohl endlich damit, daß sie sich auf den richtigen Verstand ihrer Nichte [202] verließe; »denn,« sagte sie, »ob sie gleich dieser ihrer Liebe Blifils wegen nicht entsagen will, so zweifle ich doch nicht, wird sie bald dahinzubringen sein, eine bloße Inklination den ordentlichen Anwerbungen eines vornehmen Herrn bei Hofe aufzuopfern, der sie zu einer Reichsgräfin macht und ihr ansehnliche Güter verschreibt. Denn in der That,« fügte sie hinzu, »muß ich Sophien die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu gestehen, daß Blifil eine so scheußliche Art von Kerl ist, wie die Landjunker alle sind, wie Sie wissen, Bellaston; und daß er nichts hat, was ihn empfehlen könnte, als einzig und allein seinen Reichtum.«

»Ja so!« sagte Frau von Bellaston, »so wundre ich mich so sehr eben nicht über meine Kousine. Denn soviel kann ich Sie versichern, dieser Jones ist ein sehr angenehmer Bursche und hat eine Tugend an sich, die, wie die Männer sagen, eine große Empfehlung bei uns Weibern sein soll. Was meinen Sie wohl, Aennchen! – Ich werde Ihnen gewiß was zu lachen geben; ja, ich kann's selbst kaum vor Lachen erzählen! – Wollen Sie wohl glauben, daß das Bürschchen die Dreistigkeit gehabt hat, mir einen Liebesantrag zu thun? Nun, sollten Sie abgeneigt sein es zu glauben, so ist hier Zeugnis genug, Siegel und Briefe, seine eigne Handschrift, ich versichre Sie.« Hiermit gab sie ihrer Kousine den Brief mit dem Heiratsantrage, welchen der Leser, wenn er begierig sein sollte ihn zu sehen, bereits im fünfzehnten Buche dieser Geschichte aufbewahrt finden wird.

»Auf mein Wort, Sie setzen mich in Erstaunen!« sagte die Western. »Das ist wirklich ein Meisterstück von Dreistigkeit! Wenn Sie mirs erlauben, so kann ich vermutlich von diesem Briefe einen guten Gebrauch machen.« – »Sie haben völlige Freiheit,« erwiderte die Bellaston, »ihn zu gebrauchen, wozu Sie wollen. Indessen wollte ich doch nicht gerne, daß Sie ihn jemand anderm zeigten, als Ihrer Nichte Western, und auch ihr nur, wenn es dazu eine gute Gelegenheit gibt.« – »Recht wohl! und wie machten Sie's mit dem Kerl?« erwiderte Tante Western. »Nun, nicht wie mit einem Ehemanne,« sagte die Dame. »Ich bin nicht verheiratet, versichre ich Sie, meine Liebe. Sie wissen's Aennchen, in diesem Himmel auf Erden bin ich einmal gewesen und einmal ist für ein billiges Frauenzimmer schon genug.«

Dieser Brief, meinte Frau von Bellaston, würde Jones Wagschale bei Sophien gewiß ganz in die Höhe ziehn, und was sie so keck machte, ihn wegzugeben, das war teils die Hoffnung, daß er bald aus dem Wege geschafft sein würde und teils, daß sie das Zeugnis der Jungfer Honoria nicht zu fürchten hätte, welche, nachdem sie solcher ein wenig auf die Zähne gefühlt hatte, ihr Ursache zu glauben gab, sie würde allemal zu jedem Zeugnis bereit und willig sein, das sie nur von ihr verlangen möchte.

Vielleicht aber wundert sich der Leser, warum Frau von Bellaston, welche Sophie in ihrem Herzen haßte, sich es so emsig angelegen sein ließ, eine Verbindung zustandezubringen, welche für dieses junge Frauenzimmer so ungemein vorteilhaft war. Nun möchte [203] ich solchen Leser bitten, mit gehöriger Aufmerksamkeit in der menschlichen Natur nachzuschlagen, beinahe auf den letzten Seiten, so wird er daselbst in kaum lesbaren Buchstaben finden, daß Frauenzimmer, ungeachtet des widersinnigen Betragens der Mütter und Tanten etc., es in Heiratssachen wirklich für ein so großes Unglück halten, wenn in der Liebe ihre eigne Neigung gezwungen wird, daß sie sich einbilden, sie dürfen ihre Feindseligkeit niemals höher treiben, als gegen Widersacher von dieser Art; ferner wird er nicht weit von dieser Stelle geschrieben finden, daß ein Frauenzimmer, das sich einmal in dem Besitz einer Mannsperson beglückt gefühlt hat, gern dem Satan auf halbem Weg entgegengehen wird, wenn sie nur verhindern kann, daß kein andres Frauenzimmer eben dieses Glücks genieße.

Will er sich an diesen Ursachen nicht genügen lassen, so gestehe ich freimütig, daß ich keine andern Gründe für das Betragen dieser Dame weiß, es sei denn, daß wir annehmen wollten, sie wäre von dem Grafen von Liebegrimm bestochen worden, wozu ich gleichwohl meinerseits keine wahrscheinliche Vermutung sehe.

Dies war nun gerade die Affaire, welche Ihro Gnaden Fräulein Tante von Western im Begriff standen, bei Sophie durch einige vorläufige Abhandlungen über die Thorheit der Liebe und über die Weisheit, sich auf eine gesetzmäßige Art gegen hohe Miete unzüchtigen Begierden preiszugeben – einzuleiten, als ihr Bruder und Blifil so unangemeldet zu ihr herein traten; und hieraus entsprang alle die Kälte, womit sie Herrn Blifil begegnete, welche zwar der Junker, nach seiner gewöhnlichen Art, auf eine falsche Ursache schob, während sie Herrn Blifil (der wirklich ein viel schlauerer Mann war) einen Argwohn von der wirklichen Wahrheit einflößte.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Jones macht einen Besuch bei Madame Fitz Patrick.


Dem Leser wird es vermutlich jetzt angenehm sein, mit uns zum Herrn Jones zurückzukehren, welcher zur bestimmten Stunde bei Madame Fitz Patrick seine Aufwartung machte. Vorher aber, ehe wir die Unterredung erzählen, welche dabei vorfiel, wird es unserer gewöhnlichen Metode zufolge nicht undienlich sein, ein wenig rückwärts zu gehen und die Ursachen einer so großen Veränderung in dem Betragen dieser Dame zu entwickeln, welche, nachdem sie hauptsächlich deswegen ihre Wohnung verändert hatte, um Herrn Jones auszuweichen, ihn dagegen jetzt mit allem Fleiße, wie wir gesehen, aufgesucht hatte, um sich mit ihm zu unterreden.

Und hier werden wir nichts weiter nötig haben, als dasjenige anzuführen, was sich Tages vorher zutrug, da sie, nachdem sie von Frau von Bellaston vernommen, daß der Junker Western zur Stadt gekommen wäre, zu ihm ging, um ihm in seiner Wohnung in Piccadilly ihre Pflicht als Onkel zu bezeigen und sie von ihm mit [204] manchen schmutzigen Invitationen, welche zu ekelhaft waren, um sie hier anzuführen, empfangen und sogar bedroht ward, mit den Füßen zur Thüre hinaus gestoßen zu werden. Von da führte sie ein alter Bediente ihrer Tante Western, mit dem sie von alters her gute Bekanntschaft hatte, nach der Wohnung dieser Dame, welche ihr zwar nicht freundschaftlicher, aber doch höflicher, oder um die Wahrheit zu sagen, mit einer andern Art von Härte begegnete. Kurz, sie verließ beide in der völligen Ueberzeugung, daß sie nicht nur in ihrem Projekte der Aussöhnung für jetzt gescheitert sei, sondern auch alle Gedanken fahren lassen müsse, es jemals damit zustandezubringen. Von diesem Augenblicke an füllte sich ihr Gemüt mit Rachgier, und da sie in dieser Stimmung Herrn Jones im Schauspielhause antraf, so schien sich ihr dadurch eine Gelegenheit darzubieten, für diesen letzten Zweck ein wenig thätig zu sein.

Der Leser muß sich erinnern, daß er in der Nachricht, welche Madame Fitz Patrick von ihrer eignen Liebesgeschichte gab, mit der Zärtlichkeit bekannt gemacht worden ist, welche das hochwohlgeborne gnädige Fräulein von Western zu Bath gegen den Herrn Fitz Patrick zu tragen geruhten, von deren Verunglückung Madame Fitz Patrick die große Bitterkeit herrechnen zu müssen glaubte, mit der ihr ihre Tante begegnet war. Madame Fitz Patrick hegte deswegen nicht den geringsten Zweifel, daß das edle Fräulein Tante den verliebten Schmeicheleien des Herrn Jones ebensoleicht, als ehemals bei dem andern Gehör geben würde; denn das Uebergewicht der Reize war ganz gewiß auf Seiten des Herrn Jones, und die Fortschritte, welche ihre Tante seitdem an Jahren gemacht hatte, müßten, wie sie meinte, (mit was für Grunde, kann ich nicht sagen), dem Projekte viel eher günstig als zuwider sein.

Als ihr demnach Jones aufwartete, that sie ihm vorläufig die Erklärung, wie sie wünschte, ihm angenehme Dienste leisten zu können; ein Wunsch, der wie sie sagte, aus der festen Ueberzeugung herrührte, daß sie dadurch Sophie ungemein verbinden würde. Alsdann brachte sie einige Entschuldigungen vor, warum sie ihn vormals hätte fehlgehen lassen müssen, und nachdem sie endlich noch Herrn Jones bekannt gemacht hatte, in wessen Gewahrsam sich seine Geliebte befände, was er nach ihrer Meinung nicht wußte, ging sie in deutlichen Worten mit ihrem Entwurfe hervor, und gab ihm den Rat, sich in die ältere Dame verliebt zu stellen, um sich dadurch den Zutritt bei der jüngern zu erleichtern. Sie erzählte ihm zugleich dabei, wie gut dieser Kunstgriff schon ehemals dem Herrn Fitz Patrick gelungen sei.

Herr Jones bezeigte der Dame seine große Dankbarkeit für die gütigen Gesinnungen, die sie ihm durch Worte versichert und durch diesen Vorschlag noch kräftiger bezeugt habe, allein außerdem, daß er ihr zu verstehen gab, es möchte diesmal nicht so gut glücken, weil der Dame seine Liebe für ihre Niece bekannt wäre, welches beim Herrn Fitz Patrick nicht der Fall gewesen; so sagte er ihr auch: er fürchte, das junge Fräulein Western würde, sowohl wegen ihres äußersten Abscheus vor aller Falschheit, als wegen ihrer besondern [205] pflichtvollen Achtung gegen ihre Tante, einen solchen Betrug niemals gutheißen.

Madame Fitz Patrick fühlte hierbei ein wenig Nesselbrennen; und in der That, wenn man es nicht einen Verstoß der Zunge nennen soll, so war es doch ein ziemlicher Schnitzer wider die Lebensart vom Herrn Jones, und er würde ihn schwerlich gemacht haben, wenn ihm nicht das Vergnügen das er fühlte, wenn er von seiner Sophie sprach, alle Ueberlegung benommen hätte, denn dies Lob der einen Kousine war mehr noch als ein versteckter Tadel der andern.

»In der That, Herr Jones,« sagte die Dame mit einiger Wärme, »ich wüßte nicht, was leichter wäre, als einem alten Frauenzimmer weiß zu machen, man sei in sie verliebt, wenn sie zumal verliebten Temperaments ist, und ob sie gleich meine Tante ist, so muß ich doch sagen, daß keine so hellige Seele mehr zu finden ist, als Ihro Gnaden. Können Sie nicht vorgeben, daß die Verzweiflung, die Niece zu erlangen, weil sie Herrn Blifil versprochen worden, Sie dahin gebracht habe, Ihre Gedanken auf die Tante zu richten? Meine Kousine Sophie kann ich für kein so einfältiges Gänschen halten, daß sie die geringste Bedenklichkeit gegen so etwas haben, oder sich es als etwas unrechtes vorstellen sollte, wenn einmal eine von diesen Unholdinnen für das häufige Unheil gezüchtigt würde, das sie mit ihren tragisch-komischen Leidenschaften über die Familien ziehen, denn es ist schon schlimm genug, daß sie nicht nach den Gesetzen dafür zu züchtigen sind. Ich hatte dergleichen Skrupel nicht, und doch, hoffe ich, wird meine Kousine sich nicht dadurch beleidigt glauben, wenn ich sage, sie kann eine jede Art von wirklicher Falschheit nicht ärger verabscheuen, als ihre Kousine Fitz Patrick. Pflichtvolle Achtung gegen meine Tante zu haben, des kann ich mich nun freilich nicht rühmen und sie hat es auch nicht um mich verdient. Unterdessen, mein Herr, habe ich Ihnen meinen guten Rat mitgeteilt, und wenn Sie bei sich anstehn ihn zu befolgen, so muß ich meine hohe Meinung von Ihrem Verstande herabstimmen, weiter nichts.«

Jetzt sah Jones ganz deutlich den Schnitzer, den er gemacht hatte, und strebte aus allen Kräften ihn wieder auszumerzen; es glückte ihm aber so schlecht, daß er sich nur immer tiefer in taube Worte saud Widersprüche hineinstotterte und stammelte. Die Wahrheit zu sagen, ist es oft sicherer, es still hingehen zu lassen, wenn man sich einmal verschnappt hat, als zu suchen es wieder gut zu machen, denn gemeiniglich arbeitet man sich nur immer tiefer hinein, anstatt sich herauszuwickeln, und wenige Menschen haben bei solchen Gelegenheiten die Gutherzigkeit, welche Madame Fitz Patrick gegen Herrn Jones bezeigte, da sie ihm mit einem Lächeln sagte: »Sie haben nicht nötig, sich noch weiter zu entschuldigen zu suchen, denn ich kann einem wirklich verliebten Manne alles gar leichtlich verzeihen was, eine Wirkung der Zärtlichkeit für seine Geliebte ist.«

Sie ernuerte hierauf ihren Vorschlag, empfahl solchen sehr dringend und ließ keinen Beweggrund ungenutzt, den ihre Erfindungskraft über diesen Gegenstand nur hervorbringen konnte, [206] denn sie war so heftig gegen ihre Tante aufgebracht, daß sie nichts in der Welt wußte, was ihr mehr Vergnügen gewähren könnte, als sie dem Gelächter preiszugeben und, wie ein wahres Frauenzimmer, wollte sie bei der Ausführung eines Lieblingsprojekts von keinen Schwierigkeiten hören.

Jones beharrte gleichwohl dabei, das Unternehmen von sich abzulehnen, welches auch in der That nicht die geringste Wahrscheinlichkeit eines guten Erfolgs für sich hatte. Er entdeckte ohne Mühe die Ursachen, durch welche sich Madame Fitz Patrick verleiten ließ, ihren Rat so äußerst andringlich zu machen. Er sagte: er wolle die zärtliche und leidenschaftliche Achtung nicht leugnen, die er für Sophie hege, er wäre sich aber der Ungleichheit ihrer Lagen so wohl bewußt, daß er sich niemals mit der Hoffnung schmeicheln könne, ein so göttliches junges Frauenzimmer werde sich soweit herablassen, auf einen Menschen zu denken, der ihrer so unwürdig sei, ja, er beteuerte, er könne es kaum übers Herz bringen, es nur einmal zu wünschen. Er schloß mit Aeußerungen von großmütigen Gesinnungen, die wir für jetzt nicht Muße haben herzusetzen.

Es gibt einige feine Damen (denn ich wage es hier nicht, gar zu allgemein zu sprechen), bei denen die Ichheit so durch und durch vorleuchtet, daß sie solche niemals von irgend einem Gegenstande trennen, und weil Eitelkeit bei ihnen ein Triebrad ist, so sind sie geneigt, jedes Lob, das ihnen in den Weg kommt, aufzugreifen und es, ob es gleich fremdes Eigentum ist, zu ihrem eigenen Gebrauche anzuwenden. In Gesellschaft solcher Damen ist es unmöglich von einem andern Frauenzimmer etwas artiges zu sagen, was sie nicht auf sich selbst bezögen; ja, oftmals verschönern sie noch die Lobsprüche, welche sie solchergestalt auffangen, als zum Beispiele, wenn dieser ihre Schönheit, ihr Witz, ihre Artigkeit, ihr munteres Wesen, soviel Lob verdienten, was verdiene denn nicht ich, die ich diese Eigenschaften in einem soviel vorzüglichern Grade besitze?

Bei dieser Art Damen macht sich ein Mann oft sehr beliebt, indem er andre Frauenzimmer preist, und unterdessen daß er seine feurigen und großmütigen Gesinnungen für seine Geliebte ausdrückt, gehen sie mit dem Gedanken um, was für ein reizender Liebhaber dieser Mann für sie sein müßte, der alle diese Zärtlichkeit für einen geringern Grad von Verdiensten fühlen kann. Hiervon, so seltsam es scheinen mag, habe ich manches Beispiel gesehen, noch außer Madame Fitz Patrick, welcher alles dieses wirklich begegnete, und welche jetzt für Herrn Jones ein gewisses etwas zu fühlen begann, wovon sie die Symptome viel eher verstand, als Sophie solche ehedem verstanden hatte.

Vollkommne Schönheit ist, die Wahrheit zu bekennen, an beiden Geschlechtern ein weit unwiderstehlicherer Reiz, als man gewöhnlich denkt; denn ungeachtet, daß sich einige von uns mit einem geringeren Los begnügen und als eine aufgegebene Lektion auswendig lernen (wie Kinder in den Schulen ihre Sprüche aufsagen, ohne bei den Worten etwas zu denken), daß man nicht auf das Aeußerliche, [207] sondern auf wesentliche Vorzüge sehen müsse, so habe ich doch immer bemerkt, wenn eine vollendete Schönheit zum Vorschein gekommen ist, daß jene wesentlichern Vorzüge bloß mit der Art von Glanze scheinen, welche man an den Sternen wahrnimmt, nachdem die Sonne aufgegangen ist.

Als Jones seine Ausrufungen geendigt hatte, wovon viele im Munde des Oroondates selbst nicht unzierlich geklungen haben würden, holte Madame Fitz Patrick einen tiefen Seufzer, wendete ihre Augen vom Herrn Jones ab, auf welchen solche eine Zeitlang geheftet gewesen waren, senkte ihre Blicke zur Erde und rief: »In der That, Herr Jones, ich bedaure Sie! Aber gewöhnlich ist es das Los solcher Zärtlichkeit, daß sie an solche Personen verschwendet wird, die dagegen unempfindlich sind! Ich kenne meine Kousine besser als Sie, Herr Jones, und ich muß sagen, daß jedes Frauenzimmer, das eine solche Leidenschaft und eine solche Person nicht mit Gegenliebe erkennt, beider unwürdig ist.«

»In Wahrheit, gnädige Frau,« sagte Jones, »Sie können nicht meinen –« – »Meinen?« rief Madame Fitz Patrick, »ich weiß nicht, was ich meine. In der wahren Zärtlichkeit, denk' ich, liegt ein gewisser Zauber! Nur sehr wenige Frauenzimmer treffen solche bei Mannspersonen an, und noch wenigere wissen sie, wenn sie solche antreffen, sie nach ihrem wahren Werte zu schätzen. Ich habe noch niemals solche wahre, edle Gesinnungen gehört, und ich weiß nicht wie es zugeht, aber Sie zwingen einen, Ihnen zu glauben. Wirklich, es muß das nichtswürdigste Frauenzimmer sein, welches solche Verdienste zu übersehen imstande ist.«

Ton und Blick, womit alles dieses gesprochen wor den, flößten Herrn Jones einen Argwohn ein, welchen wir dem Leser nicht gerne mit dürren Worten mitteilen wollen. Anstatt darauf zu antworten, sagte er: »Ich fürchte, gnädige Frau, ich habe Ihnen mit meinem Besuch zu viel Langeweile gemacht!« Und dabei machte er Anstalt zum weggehn.

»Ganz und gar nicht, Herr Jones!« antwortete Madame Fitz Patrick. – »In Wahrheit, ich bedaure Sie, Herr Jones, in Wahrheit, das thu' ich! Wenn Sie aber schon weggehn wollen, so überlegen Sie ja den Plan, den ich Ihnen gesagt habe. Ich bin überzeugt, Sie werden ihn billigen, und besuchen Sie mich wieder, sobald Sie können – morgen früh, wenn Sie belieben, oder zu welcher Stunde Sie morgen sonst wollen. Ich will den ganzen Tag zu Hause bleiben.«

Hierauf nahm Jones unter vielen Danksagungen sehr ehrerbietigen Abschied; auch konnte Madame Fitz Patrick sich nicht entbrechen, ihm ein Abschiedspräsent mit einem Blicke zu machen, der so deutlich sprach, daß, wenn er daraus nichts verstanden hätte, er gar keinen Begriff von der Augensprache gehabt haben müßte. Wirklich bestärkte dieser Blick seinen Entschluß, nicht wieder zu ihr zu gehen, denn so fehlerhaft er auch bisher in dieser Geschichte geschienen hat, so waren doch jetzt seine Gedanken so gänzlich auf Sophie eingeschränkt, daß ich glaube, kein weibliches Geschöpf auf [208] Gottes Erdboden hätte ihn nun mehr zu einer Handlung der Unbeständigkeit verleiten können.

Madame Fortuna aber, die nicht seine Freundin war, beschloß, weil er willens wäre, ihr keine zweite Gelegenheit zu geben, sich die jetzige zu nutze zu machen, und demzufolge richtete sie den tragischen Vorfall in die Wege, welchen wir nun in klagenden Tönen erzählen wollen.

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Folgen des vorigen Besuchs.


Herr Fitz Patrick, welcher von der Tante Western, wie vorhin erzählt, den Brief seiner Frau empfangen und auf diese Weise erfahren hatte, wohin sich seine Ehehälfte begeben hatte, kehrte gerades Weges nach Bath zurück, und von da ging er gleich des folgenden Tages weiter nach London.

Der Leser ist schon oftmals von der eifersüchtigen Gemütsart dieses Herrn belehrt worden. Er wird gleichfalls die Güte haben, sich des Verdachts zu erinnern, welchen er auf Herrn Jones zu Upton geworfen hatte, da er ihn in dem Zimmer der Madame Waters fand, und ob nun zwar nachher hinlängliche Gründe diesen Verdacht zu heben schienen, so machte doch die vorteilhafte Beschreibung, welche seine Frau Gemahlin vom Herrn Jones in diesem Briefe gab, daß er sich des Umstands erinnerte, wie sie zu eben der Zeit gleichfalls in dem Gasthofe gewesen, und dies rührte einen solchen Wirrwar von Umständen in einem Kopfe durcheinander, der von Natur schon eben keiner von den hellsten war, daß sich aus dem ganzen Brei jenes grünäugige Ungeheuer bildete, dessen Shakespeare in seinem Trauerspiele Othello Erwähnung thut.

Und nun, eben da er in der Gasse nach seiner Gemahlin fragte, und in dem Augenblick, da ihm ihre Hausthür gezeigt worden, trat zum Unglück Herr Jones heraus.

Fitz Patrick erkannte Herrn Jones' Gesicht nicht sogleich; da er gleichwohl eine junge, wohlgekleidete Mannsperson aus dem Hause seiner Ehefrau kommen sah, so ging er geradeswegs auf ihn zu und fragte ihn, was er in dem Hause da gemacht habe? »Denn drin müssen Sie gewesen sein, das weiß ich gewiß, da ich Sie herauskommen sah.« Jones antwortete ganz bescheiden, daß er eine Dame besucht habe, die drin wohnte. Worauf Fitz Patrick erwiderte: »Was haben Sie bei der Dame zu thun?« Worauf Jones, welcher sich nunmehr der Stimme, der Gesichtszüge und in der That auch des Rocks dieses Herrn vollkommen erinnerte, ausrief: »Ha, mein lieber Freund, geben Sie mir Ihre Hand! Ich hoffe es ist kein böses Blut mehr unter uns beiden, über einen kleinen Irrtum, der sich vorlängst zutrug.«

»Mein Seel, Herr!« sagte Fitz Patrick, »ich kenne Ihren Namen nicht, und Ihr Gesicht auch nicht.« – »In der That, mein Herr,« sagte Jones, »auch ich habe nicht das Vergnügen Ihren Namen [209] zu wissen. Ich erinnere mich aber noch ganz wohl, daß ich ehemals Ihr Gesicht zu Upton gesehn habe, wo sich ein possierlicher Streit unter uns beiden erhob, den, wenn er noch nicht beigelegt sein sollte, wir jetzt gleich bei einer Bouteille Wein beilegen wollen.« – »Zu Upton?« schrie der andre – »ha! mein Seel! ich glaub' Ihr Name ist Jones.« – »Wirklich,« antwortete er, »so heiß ich.« – »O mein Seel!« schrie Fitz Patrick, »Sie sind just der Mann, den ich finden wollte, – mein Seel! ich will gleich eine Bouteille mit Ihnen trinken, aber erst will ich dir das Spund im Hirn-Lägel verkeilen. Da! das ist für dich, du Schurke! Mein Seel! wenn Sie mir keine Satischfakschon geben für den Schlag, so geb' ich Ihnen noch einen dazu.« Damit zog er seinen Degen und stellte sich in die Positur des Parirens, denn das war die einzige Wissenschaft, die er verstand.

Jones war ein wenig betäubt von dem Schlage, der ihn zu unerwartet traf; er faßte sich aber bald wieder und zog gleichfalls, und ob er gleich nichts von der Fechtkunst verstand, so drang er doch so herzhaft auf Fitz Patrick los, daß er seinen Degen durch die Parirung hindurch, und die Hälfte der Klinge seinem Gegner in den Leib stieß, welcher diesen Stoß nicht sobald empfangen hatte, als er zurücktrat, die Spitze seines Degens zur Erde senkte, sich darauf lehnte und ausrief: »Satischfakschon genug, ich bin ein Mann des Todes!«

»Das hoff' ich nicht,« schrie Jones, »aber es fall' auch aus, wie es wolle, so müssen Sie wissen, daß Sie es sich selbst zugezogen haben.« In diesem Augenblicke stürzte eine Anzahl Kerle herbei, die sich des Herrn Jones bemächtigten, welcher ihnen sagte, daß er keine Gegenwehr thun wolle und bat, daß doch wenigstens einige von ihnen für den verwundeten Herrn Sorge tragen möchten.

»Nu, nu!« schrie einer von den Kerlen, »für den verwundeten Herrn wird man schon Sorge genug haben, denn ich denke, er wird wohl nicht viel Stunden mehr leben. Und er, Herr, hat wenigstens noch einen ganzen Monat zugute.« – »Verflucht Stoffel,« sagte ein andrer, »seine Seereise hat er aufgekündigt und steuert nun auf einen andern Hafen zu,« und mehr dergleichen Matrosenwitz wurde über Herrn Jones von diesen Kerlen gesagt; denn es waren wirklich eine Rotte Werber, welche der Graf Liebegrimm aufgestellt hatte, und welche vom Herrn Jones bis in Madame Fitz Patricks Haus Spur genommen, und ihm an der Ecke dieser Gasse aufpaßten, als sich diese unglückliche Begebenheit zutrug.

Der Offizier, welcher diese Rotte anführte, schloß sehr weislich, seine Sache wäre jetzt, seinen Gefangenen in die Hände der bürgerlichen Obrigkeit zu liefern. Er befahl also, ihn nach einem öffentlichen Hause zu bringen, wohin er einen Gerichtsdiener holen ließ, dem er ihn zum Gewahrsam überantwortete.

Da der Gerichtsdiener sah, daß Herr Jones sehr wohl gekleidet war und dabei vernahm, daß die That in einem Zweikampf geschehen war, so begegnete er seinem Gefangenen mit vieler Höflichkeit und sendete auf dessen Verlangen einen Boten hin, sich nach [210] dem Verwundeten zu erkundigen, welcher in einem Weinhause sich unter den Händen eines Wundarztes befand. Die zurückgebrachte Nachricht lautete: die Wunde sei gewiß tötlich und es sei keine Hoffnung, daß er davon kommen könne. Auf diese Nachricht sagte der Gerichtsbediente dem Herrn Jones, er müsse mit ihm zu einem Richter gehen. »Wohin Sie wollen!« sagte dieser. »Mir ist es gleichgültig, was mir begegnet, denn ob ich gleich überzeugt bin, daß ich den Gesetzen nach keines Mords schuldig bin, so finde ich doch, daß das vergossene Blut meiner Seele eine zu unerträgliche Last ist.«

Jones ward also vor den Richter geführt, woselbst auch der Wundarzt erschien, der Herrn Fitz Patrick verbunden hatte, und zu Protokoll erklärte: »er halte die Wunde für tötlich,« worauf der Gefangene in ein Turmgefängnis geführt wurde. Es war hierüber sehr spät am Abend geworden, so daß Jones nicht eher, als des folgenden Morgens nach Rebhuhn schicken konnte, und weil er vor sieben Uhr kein Auge zuthat, so war es beinahe zwölf Uhr mittags, bevor der arme Kerl, welcher sehr in Aengsten war, in so langer Zeit nichts von seinem Herrn zu hören, eine Botschaft erhielt, die ihm beinahe das Leben raubte, als er sie hörte.

Mit zitternden Knieen und klopfendem Herzen ging er hin nach dem Gefängnis und war nicht sobald zum Herrn Jones eingelassen, als er das Unglück, welches ihm begegnet, mit heißen Thränen bejammerte und dabei ohne Unterlaß mit heftigem Grauen umhersah, denn da jetzt die Zeitung einlief, Herr Fitz Patrick sei gestorben, so fürchtete der arme Kerl alle Augenblicke, sein Geist würde in die Gefangnenstube treten. Endlich übergab er ihm einen Brief, den er beinahe vergessen hätte und welcher ihm durch den schwarzen Jakob von Sophie überbracht worden war.

Jones ließ alsobald jedermann aus dem Zimmer entfernen und nachdem er den Brief sehr begierig erbrochen hatte, las er wie folgt:


»Daß Sie noch einmal ein paar Zeilen von mir erhalten, daran ist ein Umstand schuld, der mich, ich läugn' es nicht, in Erstaunen gesetzt hat. Eben jetzt hat mir meine Tante einen Brief gezeigt, den Sie an die Frau von Bellaston geschrieben haben und welcher einen Heiratsvorschlag enthält. Von Ihrer eignen Hand ist er, das leider keinen Zweifel, was mich aber noch mehr wundert, ist, daß er zu eben der Zeit geschrieben worden, da Sie mich bereden wollten, Sie erlitten meinetwegen so großen Kummer. Ich überlass' es Ihnen selbst, über diese Begebenheit die natürlichen Anmerkungen zu machen. Alles was ich verlange, besteht darin, daß ich Ihren Namen nie wieder nennen hören möge.

S.W.«


Von der gegenwärtigen Gemütsverfassung des Herrn Jones und von den Qualen, wovon er sich gepeinigt fühlte, können wir dem Leser keinen bessern Begriff machen, als wenn wir sagen, sein Elend war zu der Höhe gestiegen, daß selbst Schwöger ihn beinahe bedauert haben würde. Aber so bitter dieses Elend ist, wollen wir [211] ihn doch für jetzt darin verlassen, sowie sein Schutzengel (wenn er wirklich einen hatte) ihn verlassen zu haben scheint, und hiermit endigen wir das sechzehnte Buch dieser Geschichte.

Siebzehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Enthält ein paar Blätter voll Einleitungsschrift.


Wenn ein komischer Schriftsteller seine Hauptperson so glücklich gemacht hat, als er kann, oder wenn ein dramatischer Autor solche bis zur höchsten Spitze des menschlichen Elends geführt hat, so denken sie beide, ihr Werk sei vollendet und nichts hindre weiter, es völlig zu schließen. Hätten wir zu der Blutfahne mit Gift und Dolch geschworen, so wären wir jetzt, wie der Leser einräumen muß, diesem Schlusse so ziemlich nahe gekommen, weil es dem Fürsten der Hölle oder irgend einem seiner Repräsentanten auf Erden Schwierigkeit gekostet haben würde, für den armen Jones größere Qualen zu ersinnen, als diejenigen, in welchen wir ihn im letzten Kapitel verlassen haben. Und was Sophie anbelangt, so würde ein gutherziges Frauenzimmer schwerlich einer Nebenbuhlerin mehr Unruhe anwünschen, als sie nach vernünftiger Voraussetzung jetzt fühlen mußte. Was bleibt denn also noch übrig, um das Trauerspiel zu vollenden, als etwa ein Mord oder ein paar und einige moralische Weidsprüche? Aber unsre Lieblinge aus ihrer gegenwärtigen Not und Elend heraus und sie zuletzt ans Ufer der Glückseligkeit zu bringen, das scheint ein weit schwereres Unternehmen zu sein; ein Unternehmen, das wirklich so schwer ist, daß wir uns nicht getrauen, damit zustandezukommen. In Ansehung Sophiens ist es mehr als wahrscheinlich, daß sie endlich noch am Ende einen oder den andern guten Ehemann für sie auftreiben werden, entweder Blifil, oder den Grafen, oder wer es sonst sein wird. Was aber den armen Jones anbelangt, so sind die Jammerplagen, worin er sich gegenwärtig durch seine Unbedachtsamkeit verwickelt hat (wodurch ein Mann, wenn auch nicht an der Welt, doch wenigstens an sich selbst ein Verbrecher wird) von der Größe und so entblößt ist er jetzt von Freunden und so verfolgt von Feinden, daß wir fast daran verzweifeln, ihn noch irgend zu etwas gutem bringen zu können. Und wenn unser Leser eine Freude an Hinrichtungen armer Sünder findet, so däucht uns, wird er wohl thun, wenn er nicht säumt, sich bei Zeiten ein bequemes Fenster in der Nähe des Hochgerichts zu mieten. So viel versichre ich auf Treu' und Glauben, daß ungeachtet aller Vorliebe, die man uns zu diesem liederlichen Kumpan, den wir unglücklicherweise zu unserm Helden gewählt haben, zutrauen mag, wir ihm nichts von der übernatürlichen Hilfe wollen [212] zu statten kommen lassen, die nur mit der Bedingung unsern Händen anvertraut ist, daß wir uns ihrer nur bei höchst wichtigen Gelegenheiten bedienen sollen. Wenn er sonach keine natürlichen Mittel findet, sich redlicherweise aus allen seinen Trübsalen herauszuwinden, so werden wir ihm zu gefallen der Würde der historischen Wahrheit nicht zu nahe treten. Denn wir möchten lieber erzählen, daß er wirklich gehangen sei (und sehr wahrscheinlicherweise kann es noch dazu kommen) als den Namen eines wahrheitliebenden Geschichtschreibers verlieren, oder den willigen Glauben unsrer Leser verwirken.

Hierin hatten die Alten einen großen Vorteil über die Neuern. Ihre Mythologie, welche damals von dem großen Haufen viel fester geglaubt wurde, als irgend eine Religion in unsern Tagen, gab ihnen allezeit Mittel und Gelegenheit an die Hand, einen Lieblingshelden zu retten. Ihre Gottheiten standen auf jeden Wink des Schriftstellers bereit, zu thun, was er ihnen auftrug; und je außerordentlicher und wunderbarer ihre Nothilfe war, desto größer war das freudige Erstaunen des leichtgläubigen Lesers. Jene Autoren hätten mit leichterer Mühe einen lieben Freund aus einem Lande in ein andres, ja aus einer Welt in die andre versetzen und ihn wieder zurückbringen können, ehe ein armer eingeschränkter Schriftsteller heutigentags sein Schooßkind aus dem Gefängnisse befreien kann.

Die Araber und Perser hatten bei Verfertigung ihrer Erzählung eben die Vorteile von den Schutzgeistern und Feen, an welche zu glauben sie durch die Autorität ihres Korans selbst, der den Inbegriff ihres Glaubens enthält, verbunden sind. Wir aber haben gar keinen von diesen Behelfen. Natürliche Mittel sind das einzige, worauf wir eingeschränkt sind. Also laß uns versuchen, was durch diese Mittel für Jones auszurichten sein wird, ob mir gleich, die Wahrheit zu bekennen, etwas ins Ohr flüstert, daß er von seinen Unglücksfällen den schlimmsten noch nicht kennt und daß in den noch unaufgeschnittenen Blättern des Schicksals ihm eine weit ärgere Hiobspost bevorsteht.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Großmütiges und dankbares Betragen der Madame Miller.


Herr Alwerth und Madame Miller hatten sich eben zum Frühstück niedergesetzt, als Herr Blifil, der des Morgens früh ausgegangen war, wieder heimkam und die Gesellschaft verstärkte.

Er hatte noch nicht lange bei ihnen gesessen, als er anhub wie folgt: »Ach lieber Gott, bester Herr Onkel, was meinen Sie wohl, was sich zugetragen hat? Mir stehn fast die Haare zu Berge, es Ihnen zu sagen vor Furcht, es werde Ihnen in der Seele wehe thun, wenn Sie sich erinnern, daß Sie einem solchen Bösewicht jemals Wohlthaten erzeigt haben.« – »Was gibt's denn, mein Kind?« sagte der Oheim. »Ich besorge, ich habe in meinem Leben [213] mehr als einem Unwürdigen Gutthaten erwiesen, aber die Wohlthätigkeit adoptiert deswegen die Laster ihrer Gegenstände nicht.« – »O bester Herr Onkel,« erwiderte Blifil, »es ist nicht ohne eine geheime Leitung der Vorsehung, daß Sie das Wort Adoption aussprechen. Ihr adoptierter Sohn, der Jones, die Schlange, die Sie in Ihrem Busen nährten, hat sich als einen der größten Bösewichter auf Gottes Erdboden gezeigt.« – »Bei allem, was heilig ist,« rief Madame Miller, »das ist falsch! Herr Jones ist kein Bösewicht. Er ist eines der würdigsten unter allen lebendigen Geschöpfen Gottes und hätte ihn irgend jemand anders einen Bösewicht gescholten, all dieses kochende Wasser hätt' ich ihm ins Gesicht gegossen!« Herr Alwerth schien über dieses Betragen sehr betroffen; sie aber ließ ihm nicht Zeit, zu Worte zu kommen, ehe sie sich zu ihm wendete und sagte: »Ich hoffe, Sie nehmen mir es nicht ungütig! Um alles in der Welt möcht' ich nichts sagen, Herr von Alwerth, das Sie beleidigen könnte; aber in der That, ich konnt's nicht dulden, ihn so nennen zu hören.« – »Ich muß gestehn,« sagte Herr Alwerth sehr feierlich, »es setzt mich ein wenig in Verwunderung, daß ich Sie einen Burschen so hitzig verteidigen höre, den Sie nicht kennen.« – »O ich kenn' ihn, Herr von Alwerth,« sagte sie; »in der That, ich kenn' ihn! Ich wäre das undankbarste Weib, wenn ich das verleugnete. O er hat mich und meine kleine Familie vom Verderben errettet! Wir alle haben Ursach', für ihn um Segen vom Himmel zu beten, so lange wir leben – und ich bitte Gott, er wolle ihn segnen und die Herzen seiner heimtückischen Feinde umlenken. Ich weiß, ich finde, ich sehe, er hat welche.« – »Sie setzen mich immer mehr in Erstaunen, Madame!« sagte Alwerth. »Gewiß, Sie müssen einen andern meinen. Es ist unmöglich, daß Sie gegen den Mann solche Verbindlichkeiten haben können, von dem mein Neffe spricht.« – »Zu gewiß,« antwortete sie, »habe ich gegen ihn Verbindlichkeiten von der größten, von der zärtlichsten Art. Er ist mein und der Meinigen Retter gewesen. Glauben Sie mir, Herr von Alwerth, man hat ihn bei Ihnen verleumdet, schändlich verleumdet, das weiß ich hat man; oder Sie, den ich als einen der gütigsten und edelmütigsten Männer kenne, hätten ihn nicht nach alle den gütigen, liebreichen Dingen, die ich Sie von diesem armen hilflosen Kinde habe sagen hören, so verächtlich einen Burschen genannt. In Wahrheit, bester von allen meinen Freunden, er verdient eine liebreichere Benennung von Ihnen! Hätten Sie doch das Gute, das Liebevolle, das Dankbare gehört, was er über Sie zu mir gesagt hat! Niemals spricht er Ihren Namen anders aus, als mit einer Art von göttlicher Verehrung. In eben diesem Zimmer hier habe ich ihn auf seinen Knieen liegen sehen, daß er vom Himmel Segen auf Sie herab betete. Dies mein Kind da habe ich nicht so lieb, als er Sie lieb hat, Herr von Alwerth.«

»Ich sehe nun wohl, bester Herr Onkel,« sagte Blifil mit einem von jenem Hohnlächeln, womit der Teufel seine Lieblinge stempelt, »Madame Miller kennt ihn wirklich. Ich denke, Sie werden finden, daß sie nicht die einzige von Ihren Bekanntschaften ist, gegen die [214] er über Ihr Verfahren Beschwerden geführt hat. Mit meinem Charakter ist er, wie ich aus einigen Worten, die ihr entfallen sind, merke, sehr frei zu Werke gegangen; aber ich verzeihe es ihm.« – »Und mag es Gott Ihnen verzeihen, Herr!« sagte Madame Miller. »Wir haben alle Sünden genug auf uns, um seiner Verzeihung zu bedürfen.«

»Auf mein Wort, Madame Miller,« sagte Herr Alwerth. »Ich kann Ihr Betragen gegen meinen Neffen nicht für freundschaftlich aufnehmen, und ich versichre Sie, da jeder Tadel, den Sie sich über ihn merken lassen, von niemanden anders herrühren kann, als von jenem höchst verderbten Menschen, so würde er bloß nur dazu dienen, womöglich meinen Unwillen gegen ihn zu vergrößern; denn das muß ich Ihnen sagen, Madame Miller, dieser Jüngling, der da jetzt vor Ihnen steht, ist beständig der eifrigste Fürsprecher für den Taugenichts gewesen, dessen Sie sich so annehmen. Dies denke ich, da Sie es aus meinem eignen Munde hören, wird Sie über so große Niederträchtigkeit und Undankbarkeit in Verwunderung setzen.«

»Sie sind hintergangen, Herr von Alwerth,« antwortete Madame Miller, »und wären es die letzten Worte, die über meine Lippen kommen sollten, so sagte ich, Sie sind hintergangen! Und ich wiederhole es noch einmal, Gott verzeihe es denen, die Sie hintergangen haben! Ich maße mir gar nicht an zu sagen, der junge Mann habe keine Fehler; aber es sind Fehler der Uebereilung und der Jugend, Fehler, die er ablegen kann, ja, die er, ich bin es gewiß, ablegen wird, und geschähe es auch nicht, so werden sie durch eins der menschenfreundlichsten, wohlwollendsten, redlichsten Herzen unendlich überwogen, womit nur jemals der Himmel einen Menschen gesegnet hat.«

»In der That, Madame Miller,« sagte Alwerth, »wenn man mir dies von Ihnen erzählt hätte, würde ich's nicht geglaubt haben.« – »In der That, teuerster Herr von Alwerth,« antwortete sie, »Sie werden jedes Wort glauben, was ich gesagt habe, das weiß ich, werden Sie. Und wenn Sie die Geschichte gehört haben, die ich Ihnen erzählen will (denn Ihnen will ich alles sagen), so werden Sie so weit entfernt sein, mir böse zu werden, daß Sie vielmehr gestehn werden (denn ich kenne Ihre Gerechtigkeitsliebe zu gut), daß ich die verworfenste und undankbarste Kreatur von der Welt sein müßte, wenn ich mich anders benommen hätte, als ich gethan habe.«

»Wohl, Madame!« sagte Alwerth. »Es soll mir sehr lieb sein, eine gültige Entschuldigung für ein Betragen zu hören, welches, ich muß es Ihnen bekennen, einer Entschuldigung zu bedürfen scheint. Und nun, Madame, wollen Sie die Güte haben, meinen Neffen in seiner Geschichte fortfahren zu lassen, ohne ihn zu unterbrechen? Eine Begebenheit von geringer Bedeutung würde er mit einer solchen Vorrede nicht angekündigt haben. Vielleicht werden Sie durch eben diese Erzählung von Ihrem Irrtum geheilt.«

Madame Miller gab durch Zeichen ihre Unterwerfung zu verstehen und dann begann Herr Blifil folgendermaßen: »Gewißlich, bester Herr Onkel, wenn Sie es nicht für ratsam erachten, das unfreundliche Betragen der Madame Miller übelzunehmen, so kann ich das, was mich allein betrifft, sehr leicht verzeihen. Ich denke, [215] Ihre Gütigkeit hätte wohl etwas mehr Dank von ihr verdient.« – »Nu, nu, Kind!« sagte Alwerth, »sage nur, was ist dies für ein neuer Beweis? Was hat er kürzlich wieder ausgehn lassen?« – »Etwas,« erwiderte Blifil, »das mir ungeachtet alles dessen, was Madame Miller gesagt, sehr leid thut zu erzählen, und was Sie niemals von mir erfahren haben sollten, wär' es nicht eine Sache, die vor der ganzen Welt unmöglich verborgen bleiben kann; kurz, er hat einen Mann erschlagen, ich mag nicht sagen ermordet – denn vielleicht läßt es sich nach den Gesetzen noch glimpflich so auslegen, und ich hoffe um seinetwillen das beste.«

Herrn Alwerth war der Abscheu im Gesicht zu lesen. Er schickte einen Seufzer gen Himmel und wandte sich darauf gegen Madame Miller und sagte: »Wohlan, Madame, was sagen Sie nun?«

»Nun, ich sage, Herr von Alwerth,« antwortete sie, »daß mir in meinem Leben noch niemals etwas so leid gethan hat. Allein, wenn die Sache wahr ist, so bin ich überzeugt, sein Gegner, er sei auch wer er sei, hat die Schuld. Gott weiß es, es gibt der Bösewichter viele in dieser Stadt, die sich ein Geschäft draus machen, junge Leute aufzuhetzen. Nichts als die größte Reizung konnte ihn aufgebracht haben; denn von allen jungen Herren, die jemals in meinem Hause gewohnt haben, habe ich nie einen von so sanfter und milder Gemütsart gesehn. Er ward von jeder Seele im Hause geliebt und von jedermann, der ihn nur kennen lernte.«

Unterdessen daß sie solchergestalt ihrer Zunge Raum gab, unterbrach ein heftiges Klopfen an der Thüre die Unterredung und verhinderte sie, sowohl weiter fortzufahren, als auch eine Antwort zu erhalten; denn weil sie glaubten, es sei jemand, der Herrn Alwerth besuchen wollte, so begab sie sich eilig hinweg und nahm ihr kleines Mädchen mit, dessen Augen über die traurige Nachricht, die es von Jones hörte, voll Wasser standen; denn Herr Jones pflegte das Kind seine kleine Braut zu nennen und gab ihm nicht nur allerlei Spielzeug, sondern brachte auch ganze Stunden damit hin, mit ihm selbst zu spielen.

Einige Leser mögen vielleicht ein Vergnügen an diesen kleinen Umständen finden, bei deren Erzählung wir dem Beispiele Plutarchs folgen, eines der besten von unsern Brüder-Geschichtschreibern, und andere, welchen sie geringfügig vorkommen mögen, werden uns solche, wie wir hoffen, zum wenigsten verzeihen, da wir bei solchen Gelegenheiten niemals sehr redselig sind.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Die Ankunft des Herrn Western, nebst anderen die väterliche Autorität betreffenden Dingen.


Madame Miller hatte das Zimmer kaum verlassen, als Herr Western hereintrat, obgleich erst nach einer kleinen Katzbalgerei zwischen ihm und seinen Sänftenträgern; denn die Kerle, welche ihre Ladung vor den Herkulessäulen aufgenommen, hatten sich keine Hoffnung [216] gemacht, inskünftige ferner einen guten Kunden an dem Junker zu haben; dabei waren sie durch seine Freigebigkeit noch mehr aufgemuntert. Er hatte ihnen von freien Stücken einige Groschen mehr gegeben, als ihnen nach der ordentlichen Taxe gebührte; sie forderten also ganz dreist noch einmal das Doppelte, welches den Junker so in Hitze brachte, daß er ihnen nicht nur vor der Thüre einige tüchtige Flüche an den Hals warf, sondern auch seinen Aerger noch nicht verdaut hatte, als er ins Zimmer trat; denn er schwur: alles Londoner Pack wäre ebensogut wie der Hof und dächte auf weiter nichts, als die adligen Leute vom Lande zu plündern. »Hol' mich alle Satan,« sagte er, »wenn ich nich lieber 'n d'n dicksten Regen gehn will, eh' sie mich wieder in ihre Handbahre kriegen soll'n! Sie hab'n mich auf'n Lumpenwege ärger zusammengeschüttelt, als mich der braune Blässe auf der längsten Fuchsjagd hätte schütteln können.«

Als sich sein Zorn über diese Angelegenheit ein wenig besänftigt hatte, fing er in einem ebenso heftigen Tone über eine andere wieder an. »Da,« sagte er, »da gehn hüdsche Dinge vor! Da haben die Hunde zuletzt ganz die Nase verlor'n, und da w'r meinen, wir haben's mit d'n Fuchs zu thun, hol's der Teufel! sieh da! so find't sich zuletzt, daß 's 'n Dachs ist.«

»Ich bitte Sie, lieber Herr Nachbar,« sagte Alwerth, »setzen Sie Ihre Metaphern beiseite und sprechen Sie ein wenig verständlicher für uns.« – »Nun denn,« sagte der Junker, »deutlich zu sagen, da sind w'r all diese Weile her in Furcht gewest, vor'n Hurkind von 'n Bankert, von jemand, was weiß ich's von wem? – Und da ist nun ein ander vertracktes Hurkind von Grafen, der auch wohl 'n Bankert sein mag, wenn mir's was anging, oder mich drum bekümmerte! Aber, solang ich lebe soll 'r mein' Tochter nicht kriegen, mit meiner Einwilligung nicht! Die Nation haben s' ausgezogen, aberst mich soll'n s'e nicht ausziehen, mein Land soll'n sie nicht über See und Meer nach ihren Freunden und Vettern schicken.«

»Sie setzen mich wirklich in Erstaunen, mein lieber Freund,« sagte Alwerth. – »Ja nu, der Hagel! Ich erstaune mich selbst,« antwortete Western. »Ich ging gester' abend zu mein'r Schwester, wie s' mich selbst beschieden hatte, und da geriet ich unter'n ganzen Saal voll Weibsen. Da war Ihr' Gnad'n Bellaston, und Ihr' Gnad'n Lis'beth, und Ihr' Gnad'n Kathrine, und der Teufel weiß, was all vor Gnaden mehr! Der Satan soll mich eh'r in d' Krallen kriegen, eh'r 'r mich wieder in so 'n Stall voll Betzen in Fischbeinröcken kriegt. Verdammt! lieber will ich mich von mein'n eign'n Hunden jag'n lassen, als es den alten Kerln Akton ging, wie's im Historienbuch steht, der in 'n Hasen verwandelt ward und den seine eignen Hunde verendeten und pfanalschten. Der Hagel! so arg is noch kein sterblicher Kerl vorm treiben gewesen! Wenn 'ch hier übersetzen wollt', packt' mich d' eine, wollt' 'ch 'n Satz zurückthun, schnapps! hatt' mich d' andre be'm Ohre. O, in der That, es ist die wichtigste Verbindung im ganzen Königreiche, sagt' eine Kousine« (hier bestrebte er sich, die Damen nachzuäffen). – »Ein gar sehr vorteilhaftes Anerbieten in der That, quiekt 'ne andre Kousine – [217] denn 'r müßt wissen, 's sind all's lauter Kousin'n, obschon ich s'e nicht halb in mein'm Leben gesehen habe. Gewißlich, sagte die fettwammige Pallunsche, Ihr' Gnaden von Bellaston, Herr Kousin, Sie müßten Ihren Verstand verliehen haben, wenn Sie nur dran denken könnten, ein solches Anerbieten von der Hand zu weisen.«

»Ha! ich fange an zu begreifen!« antwortete Alwerth. »Es hat jemand wegen Ihres Fräulein Tochter Heiratsvorschläge gethan, welche die Damen von Ihrer Familie genehm finden, die aber nicht nach Ihrem Sinne sind.«

»Mein'm Sinne?« sagte Western, »wie Teufel sollt's? Ich sag' ja, 's ist 'n Graf, und mit so 'n Volk, wissen's ja ein- vor allemal, mag ich mein Lebstag nichts zu thun hab'n. Hab' 'ch nicht ein'n von ihnen ein'n Fetzen Land abschlagen, das 'r mir vierfach bezahlen wollt' und 's gern zum Park gemacht hätt'? Und warum that ich's? Pur drum that ich's, weil ich mit 'n Hofvolke nichts zu teilen hab'n mag! Und nu sollt' 'ch ein'n davon meine Tochter geb'n, gar? Und steh' 'ch darzu nicht mit Ihn'n im Handel, Nachbar? und hab' ich wohl schon 'n mal wieder zurückgezogen, wenn 'ch einmal eing'schlag'n hab' und topp gesagt, he?«

»Was das nun anbetrifft, lieber Herr Nachbar,« sagte Herr Alwerth, »so entbinde ich Sie völlig von Ihrer Zusage. Kein Kontrakt kann bindend sein unter zwei Parteien, die keine Vollmacht hatten als sie ihn eingingen und auch nachher niemals die Macht erhalten können, ihn zu erfüllen.«

»Aber, 's Wetter!« antwortete Western, »'ch sage ja aber, daß 'ch d' Macht habe und 'n erfüllen will! Komm'n S'e gleich mit nach's Konsistorium, da will 'ch 'n Traubefehl holen, und so will 'ch nach Schwester gehn und 's Mädchen mit Gut'n oder mit G'walt wegnehmen, und sie soll 'n nehm'n oder 'ch will sie einsperr'n und Brot und Wasser soll s' essen solang sie lebt.«

»Herr Nachbar,« sagte Alwerth, »darf ich Sie bitten, meine Herzensmeinung über diese Sache anzuhören?« – »Anhören! Jawohl, w'rum nicht?« antwortete er. – »Wohlan denn, mein lieber Freund,« sagte Herr Alwerth, »ich kann es mit Wahrheit sagen, ohne Ihnen oder dem Fräulein ein Kompliment zu machen, daß ich diese Verbindung, als sie in Vorschlag kam, mit freudiger Begierde aus Achtung für Sie alle beide ergriff. Eine Verwandtschaft zwischen zwei Familien, deren Güter so nahe aneinanderliegen und unter welchen von jeher eine so gute nachbarliche Einigkeit und Freundschaft obgewaltet hat, schien mir eine sehr wünschenswerte Sache zu sein, und was das Fräulein betrifft, so versicherte mich nicht nur die einstimmige Meinung aller derer, die sie kannten, sondern auch meine eignen Bemerkungen, daß sie ein unschätzbares Kleinod für einen braven Ehemann sein würde. Ich will hier nichts von ihren persönlichen Eigenschaften sagen, welche ohne Widerrede vortrefflich sind. Ihre edle Empfindsamkeit, ihre Neigung zum Wohlthun, ihre Bescheidenheit, sind zu allgemein bekannt, um einer Lobrede zu bedürfen. Aber eine Eigenschaft besitzt sie, die das beste Weib, die jetzt eine der ersten unter den seligen Engeln ist, gleichfalls in einem [218] hohen Grade besaß und die, weil sie nicht von der schimmernden Art ist, der Beobachtung gewöhnlicher Menschen entgeht, wirklich wird sie so wenig bemerkt, daß mir das eigentliche Wort fehlt, womit ich sie bezeichnen könnte. Ich muß mich mit verneinenden Ausdrücken behelfen. Ich habe aus ihrem Munde niemals etwas Vorlautes oder dergleichen, was man beißende Einfälle nennt, gehört. Kein Jagen nach Witz, viel weniger nach derjenigen Art und Weisheit, welche bloß das Resultat von großer Belesenheit und Erfahrung ist und die ein junges Frauenzimmer, das damit Aufmerksamkeit erregen will, ebenso lächerlich kleidet als Hut, Stock und Degen einen Affen; keine Machtsprüche, keine entscheidende Meinungen, keine Kunstrichterei. So oft ich sie in Gesellschaft mit Männern gesehen habe, ist sie die Aufmersamkeit selbst gewesen mit der Bescheidenheit einer Lernenden und nicht mit dem Dünkel einer Lehrerin. Sie werden mir's verzeihen, daß ich sie einst, bloß um sie auf die Probe zu stellen, um ihre Meinung über einen Punkt bat, über welchen die Herren Schwöger und Quadrat streitig waren, worauf sie mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit antwortete, Sie werden mir verzeihen, lieber Herr Alwerth, gewiß, Sie können mich im Ernste nicht für fähig halten, über eine Frage zu entscheiden, worüber zwei solche Gelehrte uneinig sind. – Schwöger und Quadrat, welche beide sich einer günstigen Entscheidung, jeder für seine Meinung, versichert hielten, unterstützten meine Bitte. Sie antwortete mit eben der gefälligen Heiterkeit: Sie werden mich ein- für allemal entschuldigen, denn ich mag keinen von Ihnen so hart kränken, daß ich mit meinem Urteil auf seine Seite träte. – In der That zeigte sie immer die willfährigste Achtung vor dem Verstand des männlichen Geschlechts, eine Eigenschaft, die an einer guten Ehegattin durchaus wesentlich ist. Ich will nur noch hinzusetzen, daß diese willfährige Achtung ihr wahrer Ernst sein muß, weil sie so sichtbarlich von aller Ziererei und Verstellung entfernt ist.«

Hier seufzte Blifil bitterlich, worauf Western, dem die Augen über das Lob, das seiner Sophie erteilt ward, voller Thränen standen, mit Schluchzen ausrief: »Sei nicht so lämmerherzig! Sollst sie ja hab'n! Teufel hol' mich, sollst sie hab'n und wenn sie auch noch zwanzigmal so gut wär'!«

»Vergessen Sie nicht, Herr Nachbar, daß Sie mir versprochen haben, Sie wollten mich aushören, ohne mich zu unterbrechen,« sagte Herr Alwerth. – »Nun, ich will's auch thun!« antwortete Western. »Kein Wörtchen will 'ch wieder sagen.«

»Nun, mein lieber Freund,« fuhr Alwerth fort, »ich habe mich solange bei den Verdiensten dieses Fräuleins aufgehalten, teils, weil ich wirklich in den Charakter verliebt bin, teils auch, damit es nicht scheinen möge, als ob ihr Vermögen (denn in dieser Rücksicht ist bei dieser Verbindung wirklich der Gewinn auf Seiten meines Neffen) mein hauptsächlichster Beweggrund gewesen wäre, warum ich den Vorschlag so begierig ergriffen habe. In der That wünschte ich herzlich, daß ein solches edles Kleinod in meine Familie kommen möchte. Allein ob ich mir gleich selbst viel Gutes wünsche, so möchte [219] ich's doch nicht stehlen oder mir Gewalt und Ungerechtigkeit zu schulden kommen lassen, um zu seinem Besitz zu gelangen. Nun ist es aber eine so ungerechte und tyrannische Handlung, ein Frauenzimmer wider ihren Willen und wider ihre Neigung zu einer Heirat zu zwingen, daß ich wünschte, die Gesetze des Landes könnten dergleichen völlig Einhalt thun. Jedoch ein richtiges Gewissen unterscheidet immer zwischen Recht und Unrecht, auch in solchen Staaten, wo die Einrichtung am fehlerhaftesten ist, und macht sich selbst die Gesetze, die die nachlässigen Gesetzgeber zu machen vergessen haben. Und dies ist zuverlässig einer von den Fällen, denn ist es nicht grausam, ja selbst gottlos, ein Frauenzimmer wider ihren Willen in einen Stand zu zwingen, in welchem sie von ihrer Aufführung vor dem höchsten und furchtbarsten Richterstuhle, und zwar auf Gefahr ihrer Seele Red' und Antwort zu geben hat? Die Pflichten dieses Standes mit erforderlicher Treue zu erfüllen, ist keine so leichte Sache, und wollen wir diese Bürde einem Weibe aufladen, wenn wir ihr zu gleicher Zeit allen den Beistand entziehen, durch welche sie fähig werden kann, sie zu tragen? Wollen wir ihr ihr Herz selbst entreißen, indem wir ihr Pflichten aufladen, denen kaum ein ungeteiltes Herz gewachsen ist? Ich muß hier so deutlich sprechen als möglich. Ich halte dafür, Eltern, welche also verfahren, machen sich aller der Vergehungen teilhaftig, die ihre Kinder sich nachher zu schulden kommen lassen, und müssen also notwendig erwarten, vor einem gerechten Richter an ihrer Bestrafung teilzuhaben. Aber gesetzt auch, sie könnten dies vermeiden; gütiger Gott! gibt es denn wohl eine Seele, die den Gedanken ertragen könnte, sie habe zur Verdammung ihrer Kinder beigetragen?«

»Aus diesen Ursachen, mein liebster Herr Nachbar, muß ich, weil ich sehe, daß die Neigungen dieses jungen Fräuleins höchst unglücklicherweise meinem Neffen entgegenstehen, alle ferneren Gedanken an die Ehre, die Sie ihm zudachten, ablehnen; ob ich Ihnen gleich dabei die Versicherung gebe, daß ich dafür beständig dankbar und erkenntlich bleiben werde.«

»Nun gut!« sagte Western und der Gift spritzte ihm aus den Lippen, sobald sie aufgestöpselt wurden. »Sie können nicht sagen, daß ich's nicht ausgehört hab'! Und nun werd'n Sie auch mich aushören, und wenn 'ch nicht Wort vor Wort widerlegen will, nun so will 'ch's zugeben, daß 's mit 'r ganzen Sach' nichts wird, da! Hauptsächlich und zuerst antworten Sie mir uf eine Frage, bitt' 'ch: Hab' ich sie nicht gezeugt? hab' ich sie nicht gezeugt? Was sagen Sie dazu? 's ist freilich ein kluger Vater, der sein eigen Kind kennt, sagt man, aber ich weiß doch, daß ich die besten Brief und Siegel hab'; denn 'ch habe sie groß gefüttert. Doch 'ch denke wohl, Sie mir zugeb'n, daß 'ch ihr Vater bün! und wenn 'ch das bün, muß ich denn nich mein eigen werd'n Kind regieren? Ich frag' Sie das, muß ich nicht mein eigen Kind regieren? Und wenn ich's in andern Stück'n regieren muß, so muß ich's doch wohl notwendig auch in däm Stück regieren, das ihr am meist'n wicht'g ist. Und was will 'ch denn, was verlang' ich denn darmit? Verlang' ich [220] wohl, daß s'e vor mich was thun soll? daß s'e mir was geb'n soll? – Das ist so kunträry, daß 'ch ja nur verlang', sie soll jetzunder mein halb Vermögen hinehm'n und das andre Halb wenn ich sterbe. Nun gut! wovor thu' ich das alles? Na! thu' 'chs nich, um s'e glücklich zu machen? Unsinnig sollt' man werden, wenn m'n die Leut' so schnickschnacken hört! Ja, wenn ich mich selbst wieder verehelichen wollt', so möcht' sie Ursach' haben ze krächzen und ze heulen! Aber o kunträry, hab' ich mir nicht mit mein'n liegenden Gründen die Hände so fest g'bunden, daß ich nicht wieder freien kann, wenn 'ch auch wollte? denn ich möcht' auf Gott's Erdboden das Weib sehn, das mich hab'n wollte. Was alle Teufel und Hölle! kann 'ch mehr thun? – Ich, darzu beitrag'n, daß sie verdammt würde! Ich! – Alle Hagel! da 'ch doch eher wollt', daß die ganze Welt lichterloh in der Hölle brennte, als daß 'r nur ihr klein Finger weh thät'. Vorwahr, Nachbar, Sie müssen's mir nicht vor übel nehm'n, aberst ich erstaune mich, daß Sie so schwätzen können und 'ch muß sagen, nehm'n Sie's wie Sie woll'n, 'ch hätt' Sie vor'n klügern Mann gehalten.«

Alwerth beantwortete diese bittere Anmerkung bloß mit einem Lächeln. Er konnte, wenn er auch gewollt hätte, durch dieses Lächeln nicht einmal die geringste Beimischung von Aerger oder Verachtung ausdrücken. Sein Lächeln über Thorheiten war wirklich immer von der Art, wie wir uns von den Engeln über die Einfaltspossen der Menschenkinder vorstellen können.

Nunmehr bat Blifil um die Erlaubnis, ein paar Worte reden zu dürfen. »Was das anbelangt,« sagte er, »daß dem Fräulein Gewalt und Zwang angethan werden sollte, da bewahre mich der Himmel, daß ich je darein willigen sollte! Mein Gewissen erlaubt mir nicht, irgend einem Menschen Gewalt zu thun, geschweige denn einem jungen Frauenzimmer, für welches ich, so grausam sie auch gegen mich sein mag, beständig die reinste und aufrichtigste Hochachtung unterhalten werde; dennoch aber habe ich gelesen, daß ein Frauenzimmer nur selten gegen die Beständigkeit unbeweglich bleiben soll. Warum sollte ich also nicht auch hoffen, durch eine solche Beständigkeit noch endlich diese Neigungen zu gewinnen, in welchen ich vielleicht künftighin keinen Nebenbuhler mehr habe? Denn was diesen Grafen betrifft, so ist Herr von Western so gütig, mich ihm vorzuziehn, und mein liebster Herr Onkel werden gewiß nicht in Abrede ziehn wollen, daß ein Vater bei diesen Vorfällen wenigstens eine verneinende Stimme habe. Ja, ich habe das liebe Fräulein selbst mehr als einmal sagen und beteuern gehört, daß sich solche Kinder nicht entschuldigen ließen, welche sich wider den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern verheirateten. Ueberdem finde ich auch nicht, obgleich die andern Damen von der Familie die Anwerbungen des Grafen zu begünstigen scheinen, daß das liebe Fräulein selbst geneigt sei, sich ihm zum Vorteil zu erklären. Ich bin dessen leider nur zu gewiß; ich bin nur mehr als zu gewiß, daß der böseste aller Menschen noch immer in ihrem Herzen die Oberhand hat.«

»Ja wohl, ja wohl, hat er!« schrie Western.

[221] »Aber zuverlässig doch,« fuhr Blifil fort, »wenn sie die Mordthat erfährt, die er begangen hat, und sollten auch die Gesetze ihm nicht ans Leben kommen, so –«

»Was 'st das?« schrie Western; »Mordthat? hat er 'ne Mordthat gethan, und ist Hoffnung, ihn auf'm Schaffot zu sehn? Toll de roll, tolloll deroll!« Hier fing er an zu singen und im Zimmer herumzuhüpfen.

»Kind,« sagte Alwerth, »diese deine unglückliche Leidenschaft macht mir vielen Kummer! Ich bedaure dich von Herzen und möchte gerne alle dem Gewissen nicht zuwiderlaufende Mittel anwenden, deine Wünsche zu befördern.«

»Weiter wünsche ich auch nichts!« rief Blifil. »Ich weiß, mein liebster Onkel hat eine bessre Meinung von mir, als zu denken, daß ich selbst in andre willigen würde.«

»Nun sieh,« sagte Alwerth, »du hast meine Einwilligung, zu schreiben und sie zu besuchen, wenn sie es erlauben will. Aber ich bestehe darauf – keinen Gedanken an Zwang! daß ich weiter von keinem Einsperren höre, oder daß dergleichen wieder vorgenommen werde!«

»Gut, gut!« schrie der Junker, »dergleichen soll denn nichts wied'r vorg'nomm'n werd'n. Woll'ns denn noch 'n bischen läng'r mit ansehn, was die Güte thun kann, un' wenn nun der Bub' erst durch Scharfrichters Hände gangen ist. Toll de roll loll! 'Ne bess're Zeitung hab' ich nicht gehört, alle mein Lebstage – so will ich woll wetten, soll all's geh'n, wie ich's hab'n will. Hört, liebster Alwerth, bitte, kommt und eßt heut Mittag bei mir in'n Herkelssäulen. Ich hab' 'ne Hammelsbrust bestellt, die soll'n sie rösten und jung Ribbchen Speck mit Pflaumen und 'n Huhn mit Brüh-Eiern. Wir woll'n ganz unter uns sein, müßten denn Lust haben den Herkelswirt mitzunehmen; den Pastor Schickelmann hab' ich hinunter geschickt nach Basingstocke, nach meiner Tabaksdos', die ich da hab' im Kruge liegen lassen, und ich wollt' s'e um all's in der Welt nich missen, denn 's ist 'ne alte Bekanntschaft, über zwanzig Jahr her. Das kann ich sag'n, der Herkelswirt ist ein recht schnak'scher Kumpen, Ihr werd't ihn entsetzlich lieb kriegen.«

Herr Alwerth ließ sich zuletzt diese Einladung gefallen und bald darauf ging der Junker von dannen, singend und springend über die Hoffnung, in kurzem das tragische Ende des armen Jones zu sehen.

Als er weggegangen war, nahm Herr Alwerth die vorige Materie sehr ernsthaft wieder vor. Er sagte zu seinem Neffen, er wünsche von ganzem Herzen, er möchte sich bestreben, eine Leidenschaft zu überwinden, »für welche ich dir,« sagte er, »nicht mit der mindesten Hoffnung schmeicheln kann. Es ist ein gemeiner Irrtum, daß der Widerwille eines Frauenzimmers durch Beständigkeit zu besiegen stehe. Gleichgültigkeit mag ihr vielleicht zuweilen nachgeben. Aber die gewöhnlichen Siege, welche ein Liebender durch die Beständigkeit gewinnt, sind über den Eigensinn, die Weltklugheit, Ziererei und oft über einen übertriebenen Grad von Leichtsinn, [222] welcher Frauenzimmer, die eben kein zu warmes Blut haben, verleitet, ihrer Eitelkeit dadurch zu fröhnen, daß sie ihre Liebhaber, auch wenn sie mit ihnen ganz wohl zufrieden sind, eine längere Zeit harren und schmachten lassen, und sich entschließen (wenn sie je einen festen Entschluß fassen können), es ihnen am Ende, obgleich ziemlich ärmlich, zu belohnen. Ein fester Widerwille aber, wie ich hier zu finden besorge, wird durch die Zeit vielmehr gestärkt als besiegt. Ueber dieses, mein Lieber, habe ich noch eine andre Besorgnis auf dem Herzen, die du entschuldigen mußt. Ich fürchte, ich fürchte, diese Leidenschaft, die du für dies schöne junge Mädchen nährest, hafte zu sehr an der Schönheit ihrer Person und sei des Namens der Liebe unwürdig, die doch die einzige Grundlage ehelicher Glückseligkeit ausmachen muß. Ein schönes Frauenzimmer bewundern, lieben, und auf ihren Besitz begierig sein, ohne auf ihre Gesinnungen zu achten, mag, wie ich befürchte, nur zu natürlich sein, dennoch, glaube ich, ist die Liebe nur ein Kind der Liebe; wenigstens weiß ich, und lass' es mir nicht leicht ausreden, daß es nicht in der menschlichen Natur liegt, ein Geschöpf zu lieben, von dem wir gewiß wissen, daß es uns haßt. Untersuche dein Herz mit allem Fleiße, mein lieber Sohn, und wenn du bei dieser Untersuchung nur den geringsten Argwohn von dieser Art fassen mußt, so wird dich, wie ich nicht zweifle, dein eignes Herz und deine eigne Tugend nötigen, eine so unstatthafte Leidenschaft aus deinem Herzen zu verdrängen und deine gesunde Vernunft wird dich bald in den stand setzen, es ohne zu schmerzhafte Empfindungen zu bewerkstelligen.«

Der Leser wird so ziemlich Blifils Antwort erraten. Sollte er aber auch zweifelhaft sein, so haben wir doch jetzt nicht Zeit, ihm darüber ein Mehreres zu sagen, weil unsre Geschichte zu Dingen von größerer Wichtigkeit eilt, und wir die Abwesenheit von Sophie nicht länger aushalten können.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Ein außerordentlicher Auftritt zwischen Sophie und ihrer Tante.


Die muhende Stärke und das blökende Schaf in Herden und Tristen, können ungestört und unbemerkt über Anger, Wiese und Weiden ziehen. Sie sind freilich am Ende für die Schlachtbank bestimmt; doch läßt man sie manches Jahr ihre Freiheit sicher genießen. Entdeckt man aber ein feist-glattes Schmaltier, das den Forst verlassen und sich in einem Felde oder Busche niedergethan hat, gleich ist das ganze Kirchspiel im Auflauf, jedermann ist mit seinen Hunden zum anhetzen bereit, und wenn es der gute Edelmann vor den übrigen schirmt, so thut er's nur, um es für seinen eignen Mund zu sparen.

Oft habe ich bemerkt, daß ein junges Frauenzimmer von Reichtum und Ansehn, wenn es zum erstenmale aus seinem Ammenpferch gelassen befunden ward, sich so ungefähr in einerlei Umständen mit [223] diesem Schmaltiere befand. Die Stadt ist den Augenblick im Aufruhr; ihr wird nachgejagt von der Promenade zum Schauspiele, vom Hofe zur Assemblee, von der Assemblee bis zu ihrem Gemache, und sehr selten entflieht sie nur eine Jahreszeit dem Rachen eines oder des andern Rüden. Denn wenn ihre Freunde sie vor einigen beschützen, so geschieht es bloß, um sie einem andern nach ihrer eignen Wahl zu übergeben, der ihr oft noch unangenehmer ist, als einer von allen den Uebrigen. Unterdessen gehen ganze Herden und Triften von andern Frauenzimmern sicher umher, werden kaum bemerkt, wandern frei durch die Promenaden, Opern und Komödienhäuser, Kaffee-, Thee- und Spielgesellschaften, und ob sie gleich, die meisten wenigstens, am Ende ebenfalls verschlungen werden, so treiben sie doch eine lange Zeit erst ihren Mutwillen in Freiheit, ohne Zwang und Einschränkung.

Von allen jenen raren Jagdstücken erduldete keines mehr von dieser Verfolgung, als die arme Sophie. Ihr feindseliges Gestirn, nicht zufrieden mit alledem, was sie Blifils wegen erlitten hatte, erweckte ihr jetzt einen neuen Verfolger, der darnach aussah, daß er sie nicht weniger quälen würde, als der andre vielleicht gethan hatte; denn obwohl ihre Tante nicht so heftig verfuhr, so war sie doch ebenso emsig und anhaltend im Placken und Plagen, als ihr Vater vorhin gewesen war.

Die Bedienten waren nach dem Mittagessen nicht so bald fortgegangen, als die gnädige Tante von Western, welche Sophien die Sache angebracht hatte, ihr die Nachricht gab, sie erwarte den Grafen noch denselben Nachmittag, und wäre gesonnen, die erste Veranlassung wahrzunehmen, um sie mit ihm allein zu lassen. »Wenn Sie das thun, ma Tante,« antwortete Sophie, »so nehm' ich die erste Veranlassung wahr, ihn ganz allein zu lassen!« – »Wie, gnädiges Fräulein!« rief die Tante, »ist dies der Dank für meine Güte, daß ich Sie aus der Gefangenschaft in Ihres Vaters Hause befreit habe?« – »Gnädigste Tante,« sagte Sophie, »Sie wissen, die Ursache dieser Gefangenschaft war eine Weigerung, den Willen meines Vaters zu thun und einen Mann anzunehmen, den ich verabscheute, und wollte wohl meine liebste Tante, die mich aus dieser Not gerettet hat, mich in eine andre versetzen, die ebenso schlimm wäre?« – »Und meinen denn das gnädige Fräulein,« antwortete die ungnädige Tante, »daß zwischen dem Hochgebornen Herrn Grafen und dem Strohjunker von Blifil kein Unterschied sei?« – »Nach meiner Meinung nur ein sehr geringer,« versetzte Sophie, »und wenn ich dazu verdammt wäre, einen von beiden wählen zu müssen, so würde ich mir gewiß das Verdienst machen, mich dem Gutbefinden meines Vaters aufzuopfern.« – »Also seh' ich wohl,« sagte die Tante, »hat mein Gutbefinden bei dem gnädigen Fräulein nur sehr wenig Gewicht! Doch die Betrachtung soll mich nicht irre machen. Ich handle nach noblern Grundsätzen. Die Rücksicht auf die Erhöhung meiner Familie, und dich selbst weiter zu annobilitieren, ist es, die mich in Thätigkeit setzt. Hast du denn gar keinen Sinn für die Ambition? Liegt kein Reiz in dem Gedanken, eine Grafenkrone [224] an deiner Karosse zu führen?« – »Nicht im geringsten, auf meine Ehre!« sagte Sophie. »Ein Nadelkissen an meiner Kutsche würde mir grade ebenso lieb sein.« – »Sprich mir das Wort Ehre nicht wieder aus!« schrie die Tante. »Es schickt sich sehr schlecht in dem Munde einer solchen niedrigen Dirne. Es thut mir leid, Niece, daß du mich zu dergleichen Worten zwingst, aber ich kann deine kriechende Denkungsart nicht ausstehn; du hast kein Blut von den edlen von Westerns in deinen Adern. Aber deine eignen Gedanken mögen so niedrig und kriechend sein, als sie wollen, so sollst du mir keinen Vorwurf über die meinigen zuziehen. Soweit werd' ich's nicht kommen lassen, daß die Welt von mir sagen könnte, ich hätte dir den Mut gemacht, eine der besten Partien im Reiche auszuschlagen. Eine Partie, welche außer den Vorteilen in Ansehung des Vermögens, fast einer jeden Familie Ehre machen würde, und in Ansehung des Ranges wirklich einen so großen Vorzug vor der unsrigen hat.« – »Sicherlich,« sagte Sophie, »ich muß fehlerhaft geboren sein und nicht alle die Sinne empfangen haben, womit andre Menschen begabt sind. Es muß ohne Zweifel einen Sinn geben, welcher Vergnügen an leerem Schall und Schein genießen kann, und den ich nicht habe, denn sonst wäre nicht begreiflich, wie die Menschen nach Dingen so heftig streben, ihrer Erlangung soviel aufopfern, über ihren Besitz so stolz und aufgeblasen sein könnten, wenn ihnen solche, ebenso wie mir, als die unbedeutendsten Kleinigkeiten vorkämen.«

»Nein, mein kleines Fräulein,« rief die Tante, »Sie sind mit ebensoviel Sinnen geboren, als andre Leute, aber was ich dich versichern kann, ist, du bist nicht mit Verstand genug geboren, mich zum besten zu haben, oder mein Benehmen vor der Welt lächerlich zu machen. Und also betheur' ich dir hiermit auf mein Wort (und ich meine, du wissest wie standhaft ich in meinen Entschließungen bin), wofern es dir nicht beliebt, heute Nachmittag den Grafen allein zu sprechen, so übergebe ich dich alsobald morgen früh mit meinen eignen Händen deinem Vater, und will hinfüro nicht das geringste mit dir weiter zu schaffen haben, oder dein Angesicht jemals wiedersehn.« Sophie stand nach dieser Rede, welche in einem sehr zornigen und entscheidenden Tone ausgesprochen wurde, in einem tiefen Stillschweigen, und dann sagte sie mit über die Wangen rollenden Thränen: »Thun Sie mit mir was Ihnen beliebt, meine gnädigste Tante! Ich bin das unglücklichste, elendeste Mädchen auf Erden; wenn meine teure Tante mich verläßt, wo soll ich dann einen Beschützer hernehmen?«

»Ma chère Nièce,« sagte sie, »du wirst einen guten Beschützer an dem Grafen haben, einen Beschützer, den dich nichts in der Welt ausschlagen lassen kann, als die fatale Sehnsucht nach dem schändlichen Kerl, dem Jones.« – »In Wahrheit gnädige Tante,« sagte Sophie, »Sie thun mir Unrecht! Wie können Sie sich nur einbilden, daß ich, nach dem was Sie mir gezeigt haben, alle dergleichen Gedanken, hätte ich sie auch ehedem gehegt, nicht auf ewig verbannt haben sollte? Wenn es Sie zufrieden stellen kann, so will ich das[225] heilige Sakrament drauf nehmen, sein Angesicht niemals wieder zu sehn.« – »Aber Kind, liebstes Kind!« sagte die Tante, »sei doch vernünftig; kannst du nur eine Einwendung erfinden?«

»Ich habe Ihnen ja schon, denke ich, eine hinlängliche Einwendung gesagt,« antwortete Sophie. – »Welche denn?« rief die Tante, »ich erinnere mich keiner.« – »Ich habe Ihnen doch gewiß gesagt, gnädige Tante,« sagte Sophie, »daß er mich auf die gröbste und schändlichste Art behandelt hat.« »In der That, Kind,« antwortete sie, »das habe ich niemals gehört, oder doch nicht verstanden. Aber was willst du denn mit einer gröbsten und schändlichsten Art eigentlich sagen?« – »In Wahrheit, teuerste Tante,« sagte Sophie, »ich schäme mich fast, es Ihnen zu erzählen. Er faßte mich in seine Arme, zerrte mich auf die Ottomane, fuhr mit seiner Hand in meinen Busen und küßte ihn mit solcher Heftigkeit, daß ich davon noch bis auf diesen Augenblick das Merkmal auf meiner linken Brust trage.« – »Wirklich?« sagte Tante von Western. »Ja wirklich, gnädige Tante!« antwortete Sophie. »Mein Vater trat zu allem Glück in eben dem Augenblick ins Zimmer, sonst weiß der Himmel, was für unverschämte Grobheiten er sonst noch unternommen haben wurde.« – »Du setzest mich in Erstaunen und Verwirrung!« rief die Tante. »Keinem Frauenzimmer, das den Namen Western führt, ist jemals so begegnet worden, seitdem wir eine Familie sind. Einem Prinzen hätte ich die Augen ausgekratzt, wenn er sich solche Freiheiten gegen mich hätte herausnehmen wollen. Es ist unmöglich! Gewiß, Sophie, das mußt du erfunden haben, um mich gegen ihn aufzubringen.« – »Ich hoffe,« sagte Sophie, »gnädige Tante haben eine bessere Meinung von mir, um mich für fähig zu halten eine Unwahrheit zu sagen. Bei meiner Seele kann ich es Ihnen zuschwören, es ist wahr!« – »Ich hätte ihm das Herz durchstoßen, wenn ich dabei gewesen wäre,« erwiderte die Tante. »Aber sicherlich konnte er doch keine unehrliche Absicht haben, das ist unmöglich, das konnte er sich nicht unterstehn; überdem zeigen es seine Vorschläge, daß er keine hatte, denn die sind nicht nur ehrlich gemeint, sondern sehr großmütig noch dazu. Ich weiß nicht was ich denken soll! Unsere Zeiten sind gar zu frei. Einen ehrfurchtsvollen Handkuß hätte ich höchstens vor der Trauung erlauben können. Ich habe ehemals Liebhaber gehabt, und es ist so lange eben noch nicht her! Verschiedene Liebhaber, ob ich mich gleich niemals habe entschließen können zu heiraten! Aber die allergeringste Freiheit hätte ich niemals verstattet. Es ist eine sehr närrische Gewohnheit, die ich niemals hätte mitmachen mögen. Keine Mannsperson hat jemals etwas mehr von mir geküßt, als meine Wangen. Es ist schon genug in der Welt, daß man einem Ehemann die Lippen geben muß, und in der That, hätte ich jemals dahin gebracht werden können, mich zu verheiraten, ich glaube, es würde sehr lange gedauert haben, ehe mich mein Gemahl bis dahin gebracht hätte.« – »Sie werden mir es verzeihen, meine gnädigste Tante,« sagte Sophie, »wenn ich eine Anmerkung mache; Sie gestehen, daß Sie manche Liebhaber gehabt haben, und die Welt weiß es, wenn Sie es auch gleich selbst leugnen wollten. Sie schlugen sie alle aus, und [226] ich bin doch überzeugt, daß wenigstens einer mit einer Grafenkrone darunter war.« – »Du hast ganz recht, meine teuerste Sophie!« antwortete sie, »mir ward einst ein Graf angetragen.« – »Nun denn,« sagte Sophie, »warum wollen Sie mir nicht erlauben, daß ich nur dies eine Mal nein sage?« – »Es ist wohl wahr, liebes Kind,« sagte sie, »daß ich den Antrag eines Grafen ausgeschlagen habe, aber es war kein so guter Antrag, das heißt, zu sagen, ein so sehr, sehr guter Antrag.« – »Sei es! gnädige Tante,« sagte Sophie. »Aber Ihnen sind auch sehr große Vorschläge geschehen, von Männern von sehr vielem Vermögen. Es war nicht der erste, nicht der zweite, noch der dritte vorteilhafte Vorschlag, der Ihnen angetragen wurde.« – »Ich muß gestehen,« sagte sie, »das war es nicht!« – »Nun gut! gnädige Tante,« fuhr Sophie fort, »warum soll ich denn nicht erwarten dürfen, daß mir noch ein zweiter und vielleicht vorteilhafterer angeboten würde, als dieser? Sie sind noch eine junge Dame, und ich bin versichert, Sie würden nicht versprechen, gleich dem ersten Liebhaber der käme, die Hand zu geben, und wenn er auch sehr reich wäre, und von noch so hohem Rang und Titel dazu. Ich bin ein sehr junges Mädchen und habe gewiß immer auch noch Hoffnung.« – »Nun wohl, meine liebe, liebe Sophie,« sagte die Tante, »was soll ich dir sagen, was willst du?« – »Alles, was ich bitte ist, daß ich mit dem Grafen nicht allein gelassen werden soll, zum wenigsten nur heute Abend nicht. Bewilligen Sie mir das, so unterwerfe ich mich, wenn Sie dafür halten, daß es nach dem was vorgefallen ist, noch schicklich sei, ihn in Ihrem Beisein zu sehn.« – »Gut, ich will das bewilligen!« sagte die Tante. »Sophie, Sophie! du weißt daß ich dich lieb habe und dir nichts abschlagen kann, du weißt wie leicht ich von Natur zu erbitten bin. Ich bin nicht immer so leicht zu erbitten gewesen, ich bin vordem für grausam gehalten worden, von den Mannspersonen, meine ich; sie hießen mich die grausame Parthenissa. Ich habe manche Fensterscheibe entzwei geschlagen, worauf Verse an die grausame Parthenissa geschrieben standen. Mein liebes Sophiechen! ich bin niemals so schön gewesen als du; aber doch hatte ich vordem eine Aehnlichkeit mit dir. Ich bin ein wenig verändert. Königreiche und Staaten leiden Veränderungen, wie Tullius Cicero in seinen Episteln sagt; so müssen sich ja die menschlichen Gestalten auch wohl verändern.« – Auf diese Art schwatzte sie fort, beinahe eine halbe Stunde, über ihre Person, über ihre Eroberungen und über ihre Grausamkeit bis zur Ankunft des Grafen, welcher nach einem sehr langweiligen Besuche, währenddessen das alte Fräulein von Western nicht einmal Miene machte, als ob sie weggehn wollte, sich wieder wegbegab, ebensowenig erbaut von der Tante, als von der Nichte; denn Sophie hatte ihre Tante in eine so vortreffliche Stimmung gesetzt, daß sie fast in alles willigte, was ihre Nichte begehrte, und der Meinung ward, ein zurückhaltendes Betragen möchte gegen einen so zudringlichen Liebhaber nicht ganz undiensam sein.

Sonach hatte Sophie durch ein wenig wohlangebrachte Schmeichelei, worüber sie gewiß niemand tadeln wird, ein wenig Ruhe für [227] sich selbst erhalten, und zum wenigsten das böse Stündlein verschoben. Und nachdem wir nunmehr unsre Heldin in einer bessern Lage gesehen haben, als sie bis dahin seit langer Zeit gewesen ist, wollen wir uns auch ein wenig nach dem Herrn Jones umsehen, den wir in den allerkläglichsten Umständen verlassen haben, die man nur erdenken kann.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

Madame Miller und Herr Nachtigall besuchen Jones im Gefängnis.


Als Herr Alwerth und sein Neffe hingegangen waren, mit Junker Western zu Mittag zu essen, machte sich Madame Miller auf den Weg nach ihres Schwiegersohnes Wohnung, um ihn von dem Zufalle zu benachrichtigen, welcher seinen Freund Jones betroffen hatte. Er hatte solchen aber schon längst von Rebhuhn erfahren; denn Jones, als er von Madame Miller wegzog, hatte in eben dem Hause, worin Herr Nachtigall wohnte, ein Zimmer bekommen. Die gute Frau fand ihre Tochter in großer Betrübnis über das Unglück des Herrn Jones, und nachdem sie solche so gut getröstet hatte, als sie vermochte, ging sie nach der Turmpforte, woselbst er, wie sie hörte, in Verwahrung saß, und woselbst Herr Nachtigall schon vor ihr angekommen war.

Die Anhänglichkeit und Beständigkeit eines wahren Freundes ist für Menschen, die sich in irgend einer Not befinden, ein so außerordentlich erfreulicher Umstand, daß sie, wofern die Not bloß vorübergehend und irgend einer Erleichterung fähig ist, durch diesen Trost, den sie mit sich führt, mehr als reichlich ersetzt wird. Auch sind Beispiele von dieser Art nicht so selten, als einige flache und nächlässige Bemerker ausgesprengt haben. Wenn man die Wahrheit sagen will, so muß man den Mangel an Mitleiden nicht unter unsre allgemeinen Fehler zählen. Die schmierigste Schwärze, welche unsern Charakter besudelt, ist der Neid. Er macht, daß wir selten, wie ich besorge, unsre Augen nach denen in die Höhe richten, welche kundbarerweise größer, besser, weiser oder glücklicher sind, als wir selbst, ohne einen Grad von Groll zu empfinden, unterdessen daß wir gemeiniglich auf den Geringen und den Elenden mit ziemlich viel Wohlwollen und Bedauern herabsehen. In der That habe ich bemerkt, daß die meisten von den Freundschaftsbrüchen, welche sich unter meinen Augen begeben haben, bloß vom Neide herrührten. Ein höllisches Laster! Und dennoch habe ich nur wenige gekannt, die davon durchgängig frei waren. Doch genug über einen Gegenstand, der mich, wenn ich ihn verfolgen wollte, zu weit führen würde.

Ob die Göttin des Glücks besorgte, Jones möchte unter der Last seiner Widerwärtigkeiten erliegen und sie dadurch alle fernere Gelegenheit verlieren, ihn weiter zu quälen; oder ob sie wirklich von ihrer Strenge gegen ihn etwas nachließ, – genug, sie schien in ihren Verfolgungen ein wenig milder zu werden, weil sie ihm die Gesellschaft von zwei so treuen Freunden, und was vielleicht noch [228] seltener ist, eines anhänglichen Bedienten zuschickte. Denn Rebhuhn, so manche Unvollkommenheiten er auch an sich hatte, war in der Treue bewährt, und ob ich gleich glaube, daß seine Furchtsamkeit nicht würde zugegeben haben, sich für seinen Herrn hängen zu lassen, so hätte man ihn doch mit aller Welt Gütern nicht bestechen können, ihm untreu zu werden.

Unterdessen daß Herr Jones über die Gegenwart seiner Freunde seine innige Zufriedenheit an den Tag legte, kam Rebhuhn mit der Nachricht an, daß Herr Fitz Patrick immer noch lebe, obgleich der Wundarzt erklärte, daß er nur wenig Hoffnung habe. Als hierbei Herr Jones sehr tief seufzte, sagte Nachtigall zu ihm: »Mein liebster Tom, warum wollen Sie sich so über einen Zufall härmen, der, seine Folgen mögen nun auch sein, welche sie wollen, für Sie keine Gefahr haben kann, und bei welchem Ihnen Ihr Gewissen nicht die geringste Schuld vorwerfen kann. Wenn der Kerl auch sterben sollte, was haben Sie denn mehr gethan, als zu Ihrer Selbstverteidigung einem Ruffian das Leben genommen? So wird ohne Zweifel die Findung der geschwornen Richter über den toten Körper lauten, und dann wird es Ihnen nicht schwer fallen, sich gegen Bürgschaft aus dem Arrest zu befreien. Freilich werden Sie sich, der Formalität gemäß, zu einem öffentlichen Verhöre stellen müssen, das ist aber ein Verhör, das mancher Mensch an Ihrer Stelle für einen halben Gulden über sich halten lassen würde.« – »Kommen Sie, kommen Sie, lieber Herr Jones!« sagte Madame Miller. »Heitern Sie sich auf! Ich weiß, Sie können nicht der angreifende Teil gewesen sein, das habe ich Herrn von Alwerth bereits gesagt, und das soll auch er noch bekennen, denn eher wird er mich nicht los.«

Jones antwortete mit großer Ernsthaftigkeit, sein Schicksal möge ausfallen wie es wolle, so würde er es immer beklagen, daß er das Blut eines seiner Mitmenschen vergossen hätte, als einen der größten Unglücksfälle, die ihm hätten begegnen können. »Aber ich habe noch ein anderes Unglück, welches mein Herz an der zärtesten Saite berührt. – O Madame Miller, ich habe verloren, was ich in dieser Welt am teuersten hielt.« – »Das muß eine Geliebte sein:« sagte Madame Miller. »Aber kommen Sie, kommen Sie! ich weiß mehr als Sie sich einbilden (denn in der That hatte Rebhuhn alles ausgeplaudert,) und ich habe mehr gehört, als Sie wissen. Die Sachen gehen besser, das versichre ich Sie, als Sie denken, und ich möchte dem Herrn Blifil für alle seine Hoffnungen und Ansprüche, die er auf das Fräulein hat, keinen schlechten Groschen geben.«

»In der That, meine teuerste Freundin, in der That,« antwortete Jones, »Ihnen ist die Ursache meines Grams ganz und gar unbekannt; wüßten Sie die ganze Geschichte, Sie würden gerne zugeben, daß für mich weiter kein Trost zu finden ist. Ich fürchte keine Gefahr von Blifil, ich selbst habe mich zu Grunde gerichtet.« – »Verzweifeln Sie nicht,« versetzte Madame Miller, »Sie wissen noch nicht, was ein Weib ausrichten kann; und wenn nur irgend etwas in meinem Vermögen steht, so versichre ich Sie, will ich es anwenden, um Ihnen zu dienen. Mein Sohn, mein lieber Sohn [229] Nachtigall, der so gütig ist mir zu sagen, er habe Ihnen in diesem Punkte ebenfalls viel freundschaftliche Dienste zu verdanken, weiß, es ist meine Pflicht. Soll ich selbst zu dem Fräulein hingehen? Ich will ihr gern alles sagen, was Sie ihr zu sagen wünschen.«

»Edelste, beste Freundin!« rief Jones und nahm sie bei der Hand, »sprechen Sie nicht von Verbindlichkeiten. – Jedoch, da Sie so gütig selbst darauf verfallen sind, es steht vielleicht in Ihrem Vermögen, mir eine Gunst zu erzeigen. Ich sehe, Sie kennen das Fräulein (wie und auf welche Art Sie es erfahren haben, weiß ich nicht), welche mir so unendlich nahe am Herzen liegt. Könnten Sie einen Weg ausfindig machen, ihr dieses zu überreichen (er stellte ihr dabei ein Papier zu, das er aus der Tasche zog), so werde ich Ihnen für Ihre Güte unendlich verbunden sein.«

»Geben Sie es her,« sagte Madame Miller. »Wenn ich es nicht in ihren Händen sehe, bevor ich schlafen gehe, so möge mein nächster Schlaf mein letzter sein! Fassen Sie Mut, mein edler junger Mann! Sein Sie weise genug, sich durch vergangne Thorheiten warnen zu lassen, und ich stehe dafür, es soll noch alles gut werden, und ich werde Sie noch mit dem liebenswürdigsten Fräulein von der Welt glücklich sehen; denn das ist sie, wie ich von jedermann höre.«

»Glauben Sie mir, Madame,« sagte er, »ich spreche nicht das gewöhnliche Geschwätz eines Menschen in einer unglücklichen Lage; ehe mich noch dieser entsetzliche Zufall betraf, hatte ich bereits beschlossen, ein Leben zu bessern, dessen Gottlosigkeit sowohl als Thorheit ich einsehen gelernt hatte. Ich versichere Sie, ungeachtet der Unruhen, die ich so unglücklicherweise in Ihrem Hause veranlaßt habe und wegen welcher ich herzlich um Verzeihung bitte, bin ich dennoch kein völlig verderbter, liederlicher Mensch, denn ob ich mich gleich habe zu Lastern verleiten lassen, so habe ich doch keinen Gefallen an einem lasterhaften Charakter, und ich werde niemals von diesem Augenblicke an wieder darein verfallen.«

Madame Miller bezeigte ihre große Zufriedenheit über diese Erklärung, in deren Aufrichtigkeit sie, nach ihrer Versicherung, ein völliges Vertrauen setzte. Und nunmehr bestand die folgende Unterredung in den vereinten Bemühungen dieser guten Frau und ihres Schwiegersohns Nachtigall, das niedergeschlagene Gemüt des Herrn Jones aufzurichten, womit es ihnen insofern glückte, daß sie ihn getrösteter und munterer verließen als sie ihn gefunden hatten. Zu dieser glücklichen Veränderung trug nichts stärker bei als das gütige Unternehmen der Madame Miller, Sophien den Brief zu überbringen, weil er verzweifelt war, ein Mittel ausfindig zu machen, es auf eine andre Art zu bewerkstelligen, denn als der schwarze Jakob den letzten von Sophien überbrachte, gab er Rebhuhn die Nachricht, sie habe ihm aufs strengste und bei Strafe, daß ihr Vater es erfahren solle, verboten, eine Antwort zurückzubringen. Ueberdem war es ihm nicht wenig angenehm zu finden, daß er an diesem edlen Weibe, welches in der That eines der würdigsten Geschöpfe von der Welt war, eine so warme Fürsprecherin bei Herrn Alwerth habe.

[230] Nach einem etwa stundenlangen Besuche von der Frau Miller (denn Nachtigall war länger bei ihm gewesen) nahmen sie beide ihren Abschied und versprachen, bald wieder zu ihm zu kommen; alsdann, sagte Madame Miller, hoffte sie, ihm fröhliche Botschaft von seiner Geliebten zu bringen, und Herr Nachtigall versprach, sich nach dem Zustande der Wunde des Herrn Fitz Patrick zu erkundigen und gleichfalls auch einige von den Personen aufzusuchen, die bei dem Renkontre zugegen gewesen.

Die erste ging geradeswegs hin zu Sophie, wohin wir sie ebenfalls begleiten wollen.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

Madame Miller stattet bei Sophie einen Besuch ab.


Es hielt keineswegs schwer, bei Sophie vorgelassen zu werden; denn da sie jetzt auf einem sehr freundschaftlichen Fuß mit ihrer Tante lebte, so hatte sie ihre völlige Freiheit, alle Besuche anzunehmen, die ihr gefielen.

Sophie war im Ankleiden begriffen, als man ihr meldete, daß unten ein wohlgekleidetes Frauenzimmer wäre, die ihr aufzuwarten wünschte. Da sie sich weder fürchtete noch schämte, sich vor jeder Person ihres Geschlechts sehen zu lassen, so ward Madame Miller augenblicklich angenommen.

Nachdem die Verbeugungen und Zeremonien, welche unter zwei einander sich völlig unbekannten Frauenzimmern gewöhnlich sind, abgethan waren, sagte Sophie: »Ich habe nicht das Vergnügen, Madame, Sie zu kennen.« – »Nein, mein gnädiges Fräulein,« antwortete Madame Miller, »und ich muß um Vergebung bitten, daß ich so frei bin, mich Ihnen aufzudringen. Wenn Sie aber vernehmen, was mich vermocht hat, Ihnen beschwerlich zu fallen, so hoffe ich« – »Ich bitte, Madame, eröffnen Sie mir Ihr Begehren,« sagte Sophie mit einer kleinen Gemütsbewegung. – »Mein gnädiges Fräulein, wir sind nicht allein,« versetzte Madame Miller mit leiser Stimme. – »Bis ich Sie wieder rufe, Betty!« sagte Sophie.

Als Betty hinausgegangen war, sagte Madame Miller: »Mein gnädiges Fräulein, ich bin von einem sehr unglücklichen jungen Manne ersucht worden, Ihnen diesen Brief zuzustellen.« Sophie entfärbte sich, als sie die Aufschrift erblickte, weil sie die Hand sehr gut kannte, und nach einigem Besinnen sagte sie: »Aus Ihrem Aeußern, Madame, hätte ich nicht schließen sollen, daß Ihr Anliegen von einer solchen Art sei. – Von wem Sie aber auch diesen Brief bringen mögen, ich zum wenigsten werde ihn nicht erbrechen. Es sollte mir leid thun, von irgend jemand eine ungerechte Meinung zu fassen, aber Sie wissen, ich kenne Sie ganz und gar nicht.«

»Wenn Sie Geduld haben wollen, mein gnädiges Fräulein,« antwortete Madame Miller, »so will ich Ihnen sagen wer ich bin und wie ich zu diesem Briefe gekommen.« – »Ich bin nicht so neugierig, Madame, das geringste wissen zu wollen,« rief Sophie, »nur[231] muß ich Sie bitten, diesen Brief derjenigen Person wieder zuzustellen, die Ihnen denselben gegeben hat.«

Madame fiel auf ihre Kniee und bat aufs innigste um ihr Mitleiden, worauf Sophie antwortete: »Gewiß, Madame, es ist höchst wunderbar, daß Sie sich so stark für diese Person interessieren können. – Ich möchte nicht gerne glauben, Madame« – »Nein, mein bestes Fräulein,« sagte Madame Miller, »Sie müssen nichts glauben als was Wahrheit ist. Ich will Ihnen alles erzählen und dann wird Sie's nicht wundern, daß ich mich so interessiere. Es ist der edelmütigste junge Mann, der jemals geboren ist.« – Hierauf begann sie die Geschichte des Herrn Anderson zu erzählen und als sie damit zu Ende war, rief sie: »Dies, gnädiges Fräulein, dies sind Züge seines vortrefflichen Herzens, aber ich habe ihm Dinge zu verdanken, die meinem Herzen noch weit näher angehen. Er hat mein Kind gerettet.« Hier erzählte sie, nachdem sie erst einige Thränen verweint hatte, alles und jedes, was sich auf diesen Umstand bezog, und ließ nur bloß einige kleine Nebendinge aus, die einen zu starken Schatten auf ihre Tochter geworfen haben möchten, und beschloß endlich damit, daß sie sagte: »Nun, mein teuerstes Fräulein, mögen Sie urteilen, ob ich wohl jemals genug thun kann für einen so gütigen, so edlen, so großmütigen Herrn! Und gewiß, einer der besten und würdigsten von Gott geschaffnen Menschen ist Er!«

Sophiens Gesichtsentfärbung war bis jetzt hauptsächlich zu ihrem Nachteile ausgefallen, und ihre feine weiße Haut hatte fast eine zu blasse Tinte angenommen, aber jetzt färbte sich solche röter als der feurigste Zinnober, und sie sagte: »Was soll ich dazu sagen? Das was die Dankbarkeit einflößt kann man nicht tadeln. – Was aber kann es Ihrem Freunde nützen, wenn ich seinen Brief lese? da ich einmal fest entschlossen bin, niemals« – Madame Miller legte sich von neuem aufs Bitten und Flehen und sagte, sie könne ihn ja doch nicht wieder mit zurücknehmen. – »Gut, Madame,« sagte Sophie, »ich kann es nicht hindern, wenn Sie mir ihn mit Gewalt aufdringen wollen – Sie können ihn freilich allemal da lassen, ob ich will oder nicht.« Was Sophie hiermit meinte, oder ob sie überhaupt etwas meinte, das will ich hier nicht entscheiden; Madame Miller aber verstand es als einen Wink und legte alsobald den Brief auf den Tisch und nahm ihren Abschied, nachdem sie vorher um die Erlaubnis gebeten hatte, Sophien wiederum aufwarten zu dürfen, auf welches Begehren ihr weder mit Ja noch Nein geantwortet ward.

Dieser Brief blieb nicht länger auf dem Tische liegen, als bis Madame Miller aus dem Gesichte war, da ihn dann Sophie öffnete und las.

Der Brief that der Sache des Herrn Jones sehr geringe Dienste, denn er enthielt fast weiter nichts als Geständnisse seines eignen Unwerths und sehr bittere Klagen der Verzweiflung, nebenher die feierlichsten Beteurungen seiner unwandelbaren Treue gegen Sophie, wovon er sie, wie er sagte, zu überzeugen hoffte, wenn er jemals wieder die Ehre erhalten sollte, in ihre Gegenwart kommen zu dürfen, und daß er sich über den Brief an die Frau von Bellaston auf eine [232] solche Art erklären könnte, daß wenn es ihm auch kein Recht auf ihre Verzeihung gäbe, er doch dadurch diese Verzeihung von ihrer Güte würde hoffen können. Er schloß mit der Beteurung, daß ihm niemals etwas weniger in den Sinn gekommen sei, als die Frau von Bellaston zu heiraten.

Obgleich Sophie den Brief zweimal mit großer Aufmerksamkeit durchlas, so blieb ihr seine Meinung noch immer ein Rätsel, und ihre ganze Erfindungskraft wollte ihr nichts an die Hand geben, womit sie Jones entschuldigen könnte. Sie blieb gewiß sehr verdrießlich über ihn, obgleich allerdings die Frau von Bellaston für sich von ihrem Zorne einen so großen Teil hinwegnahm, daß ihrer sanften Gemütsart davon nur sehr wenig für irgend eine andre Person übrig blieb.

Jene ältere Dame war zu allem Unglück gerade an dem Tage bei ihrer Tante Western zum Essen gebeten und des Nachmittags war die Abrede getroffen, daß sie alle drei in die Oper und von da in eine große Spielgesellschaft oder Drum fahren wollten. Sophie hätte sich sehr gerne von allem losgesagt, sie wollte aber ihrer Tante nicht mißfällig werden und die Kunst des Krankwerdens war ihr so ganz und gar unbekannt, daß ihr nicht einmal davon ein Gedanke einfiel. Sobald sie demnach angekleidet war, ging sie hinunter, fest entschlossen, gegen die entsetzliche Langeweile des Tages anzukämpfen, und höchst unangenehm ward er ihr in der That, denn Frau von Bellaston nahm jede Gelegenheit wahr, ihr sehr höflicher-und listigerweise eins zu versetzen, auf welches alles sie wegen ihrer Niedergeschlagenheit außer stande war, eine Antwort zu geben, und die Wahrheit zu bekennen, war sie wirklich auch eben nicht stark in witzigen und stachligen Repliken.

Noch ein andres Unglück, welches die arme Sophie überfiel, war die Gesellschaft des Grafen, den sie in der Oper antraf und welcher sie nach dem Drum begleitete. Und obgleich beide Orte zu öffentlich waren, um besondere Vertraulichkeiten zu gestatten, und ihr auch überdem an dem einen Orte die Musik und an dem andern die Karten eine Erleichterung gaben, so war ihr Gemüt dennoch in seiner Gesellschaft nicht ruhig, denn Frauenzimmer haben ein gewisses so zartes Gefühl, welches sie in Gesellschaft eines Mannes kaum gleichgültig bleiben läßt, von dem sie wissen, daß er solche Ansprüche auf sie macht, die sie nicht gesonnen sind zu begünstigen.

Da ich in diesem Kapitel zweimal das Wort Drum genannt habe, welches unsre Nachkommenschaft, wie zu hoffen steht, in dem Sinne, worin es hier genommen wird 1, nicht verstehen wird, so wollen wir, ungeachtet unsrer gegenwärtigen Eilfertigkeit, einen Augenblick darauf verwenden, die Art von Lustbarkeit zu beschreiben, welche es anzeigt, und das um so mehr, weil wir solche in einem Augenblicke beschreiben können.

Ein Drum also ist eine Versammlung von wohlgekleideten Personen beiderlei Geschlechts, wovon die meisten Karten spielen [233] und die übrigen gar nichts thun; unterdessen daß die Frau vom Hause die Rolle einer Gastwirtin in einer Schenke spielt und sich, gleich einer Gastwirtin, mit der großen Anzahl ihrer Gäste brüstet, ob sie gleich nicht immer, wie eine Gastwirtin, einigen Gewinst davon hat.

Kein Wunder also ist es, da so viele Munterkeit erfordert wird, in diese Auftritte der Langeweile auch nur einiges Leben zu bringen, wenn wir von Standespersonen die ewige Klage führen hören, daß ihnen dabei Zeit und Weile lang werde, eine Klage indessen, die sich bloß auf die vornehme Welt einschränkt. Wie unerträglich müssen wir uns dieses ewige Einerlei von leerem Zeitvertreibe in Sophiens dermaliger Gemütslage vorstellen! Wie schwer muß es ihr geworden sein, ihre Blicke zu einem Schein von aufgeräumtem Wesen zu zwingen, derweil ihr Gemüt nichts als die zärtlichste Traurigkeit empfand und jeder ihrer Gedanken mit qualvollen Bildern belastet war!

Die Nacht führte sie indessen wieder zu ihrem Kopfkissen, woselbst wir sie ihrer Melancholie wenigstens nachhängen lassen wollen, ob sie gleich, wie wir fürchten, eben keiner Ruhe fähig war, und wir wollen in unsrer Geschichte fortfahren, welche, wie uns etwas ins Ohr raunt, nunmehr auf eine große Begebenheit zueilt.

Fußnoten

1 Heißt zu deutsch eigentlich eine Trommel.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Ein rührender Auftritt zwischen Herrn Alwerth und Madame Miller.


Als Herr Alwerth von seinem Mittagessen wieder nach Hause kam, hatte Madame Miller mit ihm eine lange Unterredung, worin sie ihm erzählte, daß Jones unglücklicherweise alles verloren hätte, was er so gütig gewesen, ihm bei ihrer Trennung zu schenken, und zugleich die Not, in welche ihn dieser Verlust gebracht, über welches alles sie die ausführlichste Nachricht von dem getreuen Plappermatz, Rebhuhn, erhalten hatte. Hierauf erklärte sie die Verbindlichkeiten, welche ihr Jones auferlegt hatte; nicht eben, daß sie das, was ihre Tochter betraf, alles so haarklein erzählt hätte, denn ob sie gleich zu Herrn Alwerth das größte Zutrauen hegte und ob sie gleich nicht hoffen durfte, daß sie eine Geschichte geheimhalten könnte, die zum Unglück schon mehr als einem halben Dutzend Personen bekannt war, so konnte sie es doch nicht über sich erhalten, solcher Umstände zu erwähnen, welche auf die Keuschheit ihrer armen Nanette ein zu nachteiliges Licht hätten werfen müssen. Ueber diesen Teil ihres Zeugnisses glitt sie so behutsam hinweg, als ob sie vor einem Richter gestanden und über einen von ihrer Tochter begangenen Kindermord verhört worden wäre.

Alwerth sagte, es gäbe wenig so durchaus lasterhafte Menschen, daß nicht wenigstens etwas Gutes an ihnen zu finden sein sollte. »Unterdessen,« sagte er, »kann ich nicht in Abrede sein, daß Sie dem Burschen einige Verbindlichkeiten haben, so schlecht er übrigens ist, und deswegen will ich auch alles entschuldigen, was bis dahin [234] vorgegangen ist. Aber ich muß darauf bestehen, daß Sie mir seinen Namen nicht weiter nennen mögen, denn ich versichre Sie, es war nach der vollkommensten und deutlichsten Ueberzeugung, daß ich mich zu den Maßregeln entschloß, die ich mit ihm genommen habe.« – »Wohl, mein teuerster Herr von Alwerth,« sagte sie, »aber ich zweifle im geringsten nicht, die Zeit wird alle Dinge nach ihren wahren und natürlichen Farben aufdecken und wird Sie überführen, daß dieser arme junge Mensch weit mehr Verdienste um Sie hat, als gewisse andre Personen, deren Namen ich nicht nennen will.«

»Madame!« sagte Alwerth mit einem kleinen Stirnrunzeln, »ich mag keine nachteiligen Anmerkungen über meinen Neffen hören, und wenn Sie noch ein Wort von dieser Art sagen, so werde ich in dem Augenblicke aus Ihrem Hause ziehen. Es ist der würdigste, beste Jüngling, und ich wiederhole es Ihnen noch einmal, er hat seine Freundschaft für diesen Burschen dadurch fast bis zur Tadelnswürdigkeit übertrieben, daß er die schwärzesten Thaten von ihm zu lange verhehlt hat. Die Undankbarkeit des Taugenichts gegen diesen edlen jungen Menschen nehm' ich ihm am meisten übel, denn, Madame, ich habe die größte Ursach' zu glauben, daß er eine List erdacht hatte, wodurch er meinem Neffen meine Gunst entwenden und sich statt seiner in meine Erbschaft einschleichen wollte.«

»Ich kann Sie versichern, mein teuerster Herr von Alwerth,« antwortete Madame Miller ein wenig erschrocken (denn obgleich Herr Alwerth in seinem freundlichen Lächeln äußerst sanft und leutselig aussah, so war er doch furchtbar, wenn er die Stirne in Falten zog): »Ich werde niemals wider irgend einen Herrn etwas sprechen, von dem es Ihnen gefällig ist, gut zu denken; ein solches Betragen würde sich für mich gar nicht geziemen, besonders insoferne der Herr Ihr nächster Blutsfreund ist; aber, liebster Herr von Alwerth, Sie müssen mir nicht böse werden, nein gewiß! das müssen Sie nicht, weil ich diesem armen Schlucker wohlwill. Sicher, ich mag ihn wohl so nennen, ob Sie mir's gleich vordem übel genommen hätten, wenn ich seiner nur im geringsten in Unehren gedacht hätte. Wie oft habe ich's von Ihnen gehört, daß Sie ihn Ihren Sohn nannten? Wie oft haben Sie mit mir mit aller Liebe eines Vaters von ihm geplaudert? Mein teuerster, gütigster Herr von Alwerth, ich kann die häufigen Ausdrücke der Zärtlichkeit nicht vergessen, die mancherlei herrlichen Sachen, die Sie mir erzählten von seiner Schönheit, von seinen Geistesgaben, von seinen Tugenden, von seinem guten Herzen und von seiner Großmut. – Nein gewiß, ich kann es nie vergessen, denn ich finde, daß alles zutrifft. Ich habe selbst eigne Erfahrung davon; sie haben meine Familie errettet, diese Tugenden. Sie müssen mir diese Thränen verzeihen, gütigster Freund! wie könnte ich umhin, zu weinen, wenn ich an die entsetzlichen Unglücksfälle denke, die dieser arme Jüngling erlitten hat, dem ich so viel schuldig bin! Wenn ich an den Verlust Ihrer Gewogenheit denke, die er, wie ich sicher weiß, höher als sein Leben schätzte, so muß, so muß ich über ihn weinen. Und hätten Sie ein Schwert in der Hand und wollten mir's durchs Herz stoßen, wenn ich's nicht ließe, so müßte ich über [235] das Elend eines Menschen weinen und jammern, den Sie geliebt haben und den ich ewig lieben werde.«

Herr Alwerth war von dieser Rede nicht wenig bewegt, doch schien es nicht vom Zorne zu sein; denn nach einem kurzen Stillschweigen faßte er Madame Miller bei der Hand und sagte zu ihr mit einer Stimme, der man noch die Rührung anhörte »Kommen Sie, Madame; lassen Sie uns ein wenig auf Ihre Tochter denken! Ich kann Sie nicht tadeln, daß Sie sich über eine Verbindung freuen, die nach allem Anscheine so vorteilhaft für sie ist. Sie wissen aber wohl, daß diese Vorteile größtenteils von der Aussöhnung mit dem Vater abhängen. Ich kenne Herrn Nachtigall, den Vater, recht gut und habe ehemals mit ihm Geschäfte gehabt. Ich will ihn besuchen und zusehn, was ich Ihnen bei dieser Sache für Dienste leisten kann. Ich glaube, er hat sein Herz ein wenig an's Zeitliche gehängt, da dies gleichwohl sein einziges Kind ist und die Sache sich nicht mehr ändern läßt, so läßt er sich vielleicht mit der Zeit noch wohl zur Vernunft bringen. Ich will gewiß alles thun, was ich für Sie thun kann, darauf verlassen Sie sich.«

Die arme, edle Frau sagte Herrn Alwerth zu wiederholtenmalen den innigsten Dank für dies gütige und großmütige Erbieten, und konnte sich auch nicht enthalten, diese Gelegenheit abermals zu ergreifen, um ihre Dankbarkeit gegen Jones auszudrücken: »Denn ihm habe ich,« sagte sie, »den Anlaß zu verdanken, mein teuerster Wohlthäter, daß Sie sich diese Mühe für mich geben wollen.« Alwerth wehrte ihr liebreich, weiter zu reden. Er war aber ein viel zu guter Mann, um im Ernste über die Wirkung so edler Grundsätze, von welchen Madame Miller getrieben wurde, ungehalten sein zu können. Und in der That, hätte nicht dieser neue Handel seinen vorigen Zorn gegen Jones wieder angeflammt, so war es möglich, daß er sich durch die Erzählung von einer That, der die Bosheit selbst keinen schlechten Beweggrund zu schreiben konnte, ein wenig hätte erweichen lassen.

Herr Alwerth und Madame Miller waren über eine Stunde beisammen gewesen, als ihrer Unterredung durch die Ankunft des Herrn Blifil und einer andern Person ein Ende gemacht ward, welche andre Person keine geringere war als Herr Dowling, der Prokurator, welcher nunmehr ein großer Liebling vom Herrn Blifil geworden war und den Herr Alwerth auf Bitten seines Neffen zu seinem Anwalte in Geldsachen gemacht und ihn gleichfalls dem Herrn Western empfohlen hatte, von dem der Prokurator das Versprechen erhielt, bei ihm bei nächster Erledigung ebendasselbe Amt zu erhalten, und bis dahin trug ihm der Junker einstweilen einige Geldgeschäfte auf, welche er in London wegen Hypothekschulden auszumachen hatte.

Dies war das Hauptgeschäft, welches damals Herrn Dowling zur Stadt brachte; deswegen nahm er die Gelegenheit wahr, Herrn Alwerth zugleich einiges Geld mitzubringen und ihm bei der Gelegenheit von andern häuslichen Vorgängen Bericht zu erstatten, welches alles wir aber, da es zu trockne Materien sind, um in dieser Geschichte einen Platz zu verdienen, den Oheim, Neffen und ihren Anwalt [236] unter sich abmachen lassen und zu andern Materien übergehn wollen.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Enthält allerlei Materien.


Vorher noch, ehe wir zum Herrn Jones zurückkehren, wollen wir uns noch einmal nach Sophie umsehen.

Obgleich diese junge Dame ihre Tante durch die lieblichen Wohlgerüche, die wir vorhin angeführt haben, in eine sehr gute Laune versetzt hatte, so hatte sie doch ihren Eifer für die Verbindung mit dem Grafen keineswegs abkühlen können. Dieser Eifer war jetzt durch die Frau von Bellaston wieder angeflammt, welche ihr den Abend vorher gesagt hatte, sie wäre durch Sophiens Aufführung und durch ihr Betragen gegen den Grafen vollkommen überzeugt, daß alles Zögern gefährlich sein müßte und daß der einzige Weg, zum Zweck zu gelangen, der sei, daß man die Verheiratung mit solcher Schnelligkeit durchsetzte, daß das Fräulein keine Zeit zum besinnen behielte und zur Einwilligung genötigt würde, derweil sie kaum wüßte, was sie thäte. Auf welche Weise, wie sie sagte, die Hälfte aller Heiraten unter Personen von Stande geschlossen würde. Eine Thatsache, die alle Wahrscheinlichkeit für sich hat, und welcher man nach meiner Voraussetzung die gegenseitige Zärtlichkeit zuschreiben muß, welche nachher unter so manchem glücklichen Ehepaare besteht.

Ein ähnlicher Wink ward von eben der Dame dem Grafen Liebegrimm gegeben, und beide ergriffen den Rat so begierig, daß von Ihro Gnaden, Fräulein Tante von Western, auf Anhalten des Herrn Grafen gleich der folgende Tag zu einer geheimen Unterredung zwischen dem jungen Paare festgesetzt wurde. Dies ward Sophien von ihrer Tante hinterbracht und diese bestand darauf mit solchen gebieterischen Ausdrücken, daß das arme junge Fräulein, nachdem sie alles dagegen vorgebracht hatte, worauf sie sich nur besinnen konnte, ohne daß es aber das geringste fruchtete, zuletzt einwilligte, den höchsten Beweis von einer Gefälligkeit zu geben, den ein junges Frauenzimmer nur geben kann, und den Besuch des Grafen anzunehmen versprach.

Da dergleichen Konversationen eben keine sonderliche Unterhaltung geben, so wird man uns entschuldigen, wenn wir nicht alles wiedererzählen, was bei dieser Zusammenkunft vorfiel. Nur dies davon: Nachdem der Graf der stillschweigenden, errötenden Sophie eine Menge Beteurungen von seiner höchst reinen und brennenden Liebe vorgesagt hatte, sammelte sie endlich alle Kräfte, deren sie mächtig werden konnte, und sagte zu ihm mit einer zitternden leisen Stimme: »Herr Graf, Sie müssen sich es selbst bewußt sein, ob Ihr voriges Betragen gegen mich mit Ihrer gegenwärtigen Erklärung bestehen kann.« – »Ist denn,« antwortete er, »kein Mittel, wodurch ich die Raserei wieder gut machen kann? Was ich that, muß Sie, [237] fürchte ich, gar zu deutlich überführt haben, daß die Heftigkeit meiner Liebe mich aller meiner Sinne beraubt hatte.« – »Es steht wirklich in Ihrer Gewalt,« sagte sie, »mir einen Beweis von Ihrer Gewogenheit zu geben, den ich herzlich wünschen muß von Ihnen zu erhalten und für welchen ich mich Ihnen höflich verbunden erachten würde.« – »Nennen Sie mir diesen Beweis,« sagte der Graf mit großer Lebhaftigkeit. – »Herr Graf,« sagte sie und sah auf ihren Fächer, »ich weiß, Sie müssen es einsehen, wie sehr mich diese Ihre vorgegebene Leidenschaft beunruhigt hat.« – »Können Sie so grausam sein, es eine vorgegebene Leidenschaft zu nennen?« sagte er. – »Ja, Herr Graf,« antwortete Sophie, »alle Liebesbeteurungen gegen eine Person, die wir verfolgen, sind nichts anders als ein höchst beleidigendes Vorgeben. Diese Ihre Bewerbung um mich ist für mich eine sehr grausame Verfolgung, ja Sie machen sich bei derselben die unglückliche Lage, worin ich mich befinde, auf eine höchst ungroßmütige Weise zunutze.« – »Liebenswürdigste, Bebetungswürdigste Ihres Geschlechts!« rief er, »beschuldigen Sie mich nicht, daß ich mir ungroßmütigerweise irgend etwas zunutze mache, da ich gewiß keinen Gedanken habe, der nicht auf Ihre Ehre gerichtet wäre, und keine andre Absicht, keine andre Hoffnung, keinen andern Ehrgeiz, als mich selbst, meine Ehre, mein Vermögen und überhaupt alles zu Ihren Füßen zu legen.« – »Herr Graf,« sagte sie, »eben dieses Vermögen, eben diese Ehre sind es, die Ihnen den Vorteil über mich geben, über welchen ich mich beklage. In diesen liegen die Reize, welche meine Anverwandten verführt haben; für mich aber sind es sehr gleichgültige Dinge. Wollen Sie meine Dankbarkeit verdienen, Herr Graf, so ist dazu nur ein Weg.« – »Verzeihen Sie mir, mein göttliches Fräulein,« sagte er, »dazu gibt's keinen. Alles, was ich für Sie thun kann, ist so vollkommen meine Pflicht und wird mir soviel Vergnügen verursachen daß dabei keine Dankbarkeit von Ihrer Seite Raum findet.« – »In der That, Herr Graf,« antwortete sie, »Sie können sich meine herzlichste Erkenntlichkeit, meine gute Meinung, meine freundschaftlichen Gesinnungen und Wünsche erwerben, so viel nur davon in meinen Kräften steht, ja Sie können sich solche sehr leicht erwerben; denn gewiß einem großmütigen Herzen muß es leicht sein, mir meine Bitte zu gewähren. Lassen Sie mich Sie also ersuchen, von einer Bewerbung abzustehn, bei welcher Sie doch niemals Ihren Zweck erreichen können. Ich bitte Sie um diese Gewogenheit, sowohl Ihrer selbst als meinetwegen; denn sicherlich sind Sie zu edel, um ein Vergnügen dran zu finden, ein unglückliches Geschöpf zu quälen. Sie können sich nichts anders als Mühe und Unruhe bei Ihrer Beharrlichkeit versprechen, welche, ich versichre es Ihnen auf meine Ehre! über mich nichts ausrichten kann, nichts ausrichten soll, so groß der Jammer auch sein mag, welchen Sie mir dadurch zuziehn.« – Hier holte der Graf einen tiefen Seufzer und sagte alsdann: »Ist es denn wirklich an dem, gnädiges Fräulein, daß ich so unglücklich bin, der Gegenstand Ihres Widerwillens und Ihrer Verachtung zu sein? oder werden Sie mir verzeihn, wenn ich mutmaße, ein andrer glücklicherer [238] Mann –« Hier hielt er inne und Sophie antwortete mit einigem Mute: »Herr Graf, ich bin Ihnen von den Gründen meines Verhaltens keine Rechenschaft schuldig. Ich bin Ihnen für die großmütigen Anerbietungen, die Sie gethan haben, verbunden; ich gestehe es, sie übertreffen meine Verdienste und meine Erwartungen! Unterdessen, Herr Graf, werden Sie nicht drauf bestehn, meine Gründe zu wissen, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich solche nicht annehmen kann.« – Der Graf fand hierauf allerlei zu erwidern, welches wir nicht so völlig verstehn und welches auch vielleicht nicht gar genau mit dem gesunden Menschenverstande und mit den Regeln der Grammatik gereimt werden konnte. Er beschloß aber seine hohfliegende Rede damit, daß er sagte: »Wenn Sie bereits mit einem edlen Manne eine Herzensverbindung eingegangen wären, so würde er, so unglücklich es ihn auch machen müßte, sich als ein Mann von Ehre verbunden erachten, mit seiner Bewerbung zurückzutreten.« Vielleicht legte der Graf einen zu großen Nachdruck auf das Wort »edel«, denn sonst können wir nicht recht gut den Unwillen begreifen, den er Sophien einflößte, welche in ihrer Antwort eine Beleidigung, die er ihr zugefügt hätte, sehr nachdrücklich zu ahnden schien.

Unterdessen sie mit mehr als gewöhnlich erhobener Stimme sprach, traten Ihro Gnaden, Fräulein Tante, mit heißglühenden Wangen und funkensprühenden Augen ins Zimmer. »Ich bin sehr beschämt, Herr Graf,« sagte sie, »über die Aufnahme, die Ihnen widerfahren ist. Ich versichre Sie, wir erkennen alle die uns erwiesene Ehre mit Dank, und ich muß Ihnen sagen, kleines Fräulein von Western, die Familie erwartet von Ihnen eine ganz andre Aufführung!« – Hier übernahm es der Graf, ein gutes Wort für Sophie einzulegen, aber vergebens; die Tante fuhr immer fort, bis Sophie ihr Taschentuch hervorzog, sich in einen Stuhl warf und in eine heftige Thränenflut ausbrach.

Das übrige der Unterredung zwischen Ihro Gnaden Fräulein von Western und Seiner Hochgebornen Gnaden, bis sich der letzte hinwegbegab, bestand aus bitterlichen Klageliedern von seiner Seite und von der ihrigen aus den stärksten Versicherungen, daß ihre Niece in alle seine Wünsche einwilligen sollte und würde. »In der That, Herr Graf,« sagte sie, »das Mädchen hat eine thörichte Erziehung gehabt, die so wenig ihrem Vermögen als ihrer Familie angemessen war. Ihr Vater, es thut mir leid, daß ich es sagen muß, ist an allem schuld. Das Mädchen hat die einfältigen Begriffe der Landleute von züchtiger Schamhaftigkeit im Kopfe. Weiter ist es nichts, Herr Graf, sur mon honneur! Ich bin überzeugt, daß sie im Grunde sehr viel Verstand hat und sich wird zur Vernunft bringen lassen.«

Diese letzte Rede ward in Sophiens Abwesenheit gehalten, denn sie hatte schon einige Zeit vorher das Zimmer mit mehr zornigen Mienen verlassen, als man sonst noch bei keiner Gelegenheit an ihr wahrgenommen hatte. Und nunmehr nahm der Graf nach mancherlei Versicherungen der Dankbarkeit gegen Tante Western, vielen Beteurungen von einer Leidenschaft, die er nicht besiegen könne, und [239] vielen Versicherungen von Beständigkeit, worin ihn die Tante bestens bestärkte, für diesmal seinen Abschied.

Bevor wir dasjenige erzählen, was hierauf zwischen der Tante Western und Sophie vorfiel, wird es diensam sein, eines unglücklichen Zufalls zu erwähnen, der sich zugetragen und veranlaßt hatte, daß Ihro Gnaden von Western mit solcher Wut, als wir vorhin gesehn, nach dem Zimmer zurückgekehrt war.

Der Leser muß sonach wissen, daß die Jungfer, welche jetzt Sophien aufwartete, von der Frau von Bellaston empfohlen war, bei der sie eine Zeitlang als Kammerzofe gedient hatte. Es war eine sehr kluge Dirne und sie hatte die genaueste Vorschrift erhalten, das wachsamste Auge auf ihres Fräuleins Thun und Lassen zu haben. Diese Vorschriften, wir sagen es mit Leidwesen, waren ihr von Jungfer Honoria erteilt worden, in deren Gunst sich die Frau von Bellaston solchermaßen eingeschmeichelt hatte, daß die heftige Liebe, welche die gute Kammerjungfer ehemals für Fräulein Sophie gehegt hatte, jetzt durch die große Anhänglichkeit an ihre neue Gebieterin völlig ausgelöscht war.

Als demnach Madame Miller weggegangen war und Betty (denn dies war der Name des Mädchens) wieder zu ihrem Fräulein hereinkam, fand sie solche sehr aufmerksam beschäftigt, einen langen Brief zu lesen, und die sichtbaren Gemütsbewegungen, die sie bei dieser Gelegenheit an ihrer Gebieterin bemerkte, hätten den Verdacht, welchen das Mädchen gefaßt hatte, ganz wohl rechtfertigen können; aber in der That hatte sie einen festern Grund, worauf sie fußte, denn sie hatte den ganzen Auftritt, welcher zwischen Sophie und Madame Miller vorging, horchend mit angehört.

Ihro Gnaden Tante von Western erhielten von all diesem völlige Nachricht durch Betty, welche, nach dem sie wegen ihrer Treue gar weidlich gelobt und ein wenig belohnt war, den Befehl erhielt, wenn die Frau, welche den Brief gebracht, wiederkäme, sollte sie solche zu ihr, der gnädigen Tante, selbst führen.

Zum Unglück kam Madame Miller eben zu der Zeit wieder, da Sophie mit dem Grafen in Unterredung war. Betty führte sie also, ihrer Ordre gemäß, geradeswegs hinauf zur Tante, welche, da sie bereits so viele Umstände von dem wußte, was des vorigen Tags vorgefallen war, der armen Frau sehr leicht weiß machen konnte, daß sie bereits von der ganzen Sache durch Sophie unterrichtet sei, und so lockte sie alles aus ihr heraus, was ihr nur in Ansehung des Herrn Jones bekannt war.

Man hätte die arme Frau wirklich die leibhaftige Arglosigkeit nennen können. Sie war eine von den guten Seelen, welche ohne Bedenken alles glauben, was man ihnen sagt, denen die Natur alle Waffen des Betrugs sowohl zum Angriff als zur Verteidigung verweigert hat und denen folglich ein jeder alles aufheften kann, was er will, der sich's des Endes nur ein wenig Falschheit kosten lassen will. Nachdem Tante Western alles aus ihr herausgelockt hatte, was sie nur wußte, welches freilich nur wenig war, aber doch hinlänglich viel, um die Tante noch weit mehr argwöhnen zu [240] lassen, beurlaubte sie dieselbe mit Versicherungen, daß Sophie sie nicht sprechen wollte und daß sie auf den Brief keine Antwort schicken, noch einen andern annehmen würde. Dabei ließ sie sie auch nicht weggehn, ohne ihr vorher einen wackern Text über die Verdienste eines Amtes zu lesen, für welches sie keinen bessern Titel zu finden wußte, als den einer Gelegenheitsmacherin. Diese Entdeckung hatte sie schon so ziemlich aus ihrer Fassung gebracht, und als sie in das Zimmer trat, in welchem die Unterredung zwischen dem Grafen und Sophie vorging, hörte sie noch dazu, daß ihre Niece sich sehr lebhaft gegen die Bewerbung des Grafen erklärte. Hierdurch ward ihre Wut, die schon ein wenig glimmte, völlig in Flammen gesetzt und sie stürzte auf die rasende Art zu Sophie herein, wie wir schon nebst allem übrigen, was damals bis zum Abschied des Grafen vorging, zu seiner Zeit beschrieben haben. Kaum war der Graf Liebegrimm fort, als die Tante wieder zu Sophie ging, der sie wegen des üblen Gebrauchs, den sie von dem in sie gesetzten Vertrauen gemacht hätte, die bittersten Vorwürfe machte, wie auch gleichfalls über den Bruch ihrer Zusage, da sie sich mit einem Manne in Korrespondenz eingelassen hätte, mit welchem keinen weitern Verkehr zu haben sie sich noch grade des Tags vorher durch einen feierlichen Eid hätte verbindlich machen wollen. Sophie beteuerte, sie habe sich in keine solche Korrespondenz eingelassen. »Wie? vollkommnes und gerechtes Fräulein Western,« sagte die Tante, »willst du leugnen, daß du noch gestern einen Brief von ihm empfangen hast?« – »Einen Brief, gnädige Tante?« antwortete Sophie ein wenig bestürzt. – »Ich verbitte mir die Unhöflichkeit, Jüngferchen,« versetzte die Tante, »mir meine Worte nachzusprechen! Ich sage einen Brief! Ja! und ich verlange, ohne viel Weitläufigkeit, daß du mir ihn zeigst.« – »Das Lügen ist nicht meine Sache!« sagte Sophie. »Ich habe freilich einen Brief empfangen, aber ohne mein Begehren, und ich kann wirklich sagen wider meinen Willen.« – »Wirklich, wirklich, Jüngferchen?« schrie die Tante. »Du solltest dich schämen, es zu gestehn, daß du ihn überhaupt angenommen hast! Aber wo ist der Brief, denn ich will ihn sehn!«

Sophie besann sich ein wenig, bevor sie auf dieses gebieterische Begehren eine Antwort erteilte, und entschuldigte sich endlich bloß damit, daß sie erklärte, sie habe den Brief nicht bei sich, welches in der That wahr war. Worauf die Tante, der nun vollends alle Geduld riß, ihrer Nichte die kurze Frage vorlegte: ob sie sich entschließen wollte, den Grafen zu heiraten oder nicht? Worauf sie die stärkste Verneinung erhielt. Ihro Hochwohlgeboren Gnaden Fräulein Tante von Western geruhten hierauf mit einem wackern Fluch oder etwas dem ähnlichen zu beteuern, daß sie ihre ungehorsame Niece gleich des nächsten Morgens früh den Händen ihres Vaters überantworten wollte.

Sophie begann hierauf sich mit ihrer Tante folgendermaßen in Gründe und Gegengründe einzulassen: »Warum, gnädigste Tante, soll ich denn überhaupt gezwungen werden zu heiraten? Ueberlegen Sie doch, ich bitte, für wie grausam Sie das in Ihrem eigenen[241] Falle gehalten haben würden, und wie weit gütiger Ihre Eltern gegen Sie waren, daß sie Ihnen Ihre eigene Freiheit ließen. Was hab' ich gethan, wodurch ich diese Freiheit verwirkt hätte? Ich will niemals heiraten, weder gegen die Einwilligung meines Vaters, noch auch ohne vorher Sie um die Ihrige zu bitten. Und sollt' ich darum bitten, und einer von beiden sollte glauben, sie mir verweigern zu müssen, so ist es ja alsdann noch immer Zeit genug, mich zu einer andern Verbindung zu nötigen.« – »Wie ich so was nur noch anhören kann!« rief die Tante, »von einem Mädchen, die grade in diesem Augenblick einen Brief von einem Mörder in der Tasche hat?« – »Ich habe keinen solchen Brief bei mir, versichere ich Sie,« antwortete Sophie; »und wenn er ein Mörder ist, so wird er bald in solche Umstände kommen, worin er Ihnen keine ferneren Besorgnisse erwecken kann.« – »Wie? Fräulein von Western,« sagte die Tante, »kannst du die Frechheit haben, auf diese Weise von ihm zu sprechen, und mir ins Angesicht deine Liebe für einen solchen Schuft zu gestehen!« – »In Wahrheit, gnädigste Tante,« sagte Sophie, »Sie geben meinen Worten eine sonderbare Auslegung.« – »In Wahrheit, gnädiges Fräulein von Western,« schrie die Tante, »ich werde diese Begegnung nicht länger dulden! Diese Art mit mir umzugehen, hast du von deinem Vater gelernt. Er hat dich gelehrt mich Lügen zu strafen. Er hat dich durch sein falsches Edukationssystem durch und durch verzogen; und, wenn es Gottes Wille ist, so wird er noch die Freude erleben, die Früchte davon einzuernten. Noch einmal sag' ich's dir, morgen früh will ich dich wieder zu ihm bringen. Ich will alle meine Hilfstruppen aus dem Felde ziehen und hinfüro, wie der weise König von Preußen, mich völlig neutral verhalten. Ihr seid beide viel zu weise, um euch an meine Maßregeln zu halten. Und somit richte dich darauf ein, denn morgen früh sollst du mein Haus räumen.«

Sophie that alle Gegenvorstellungen, deren sie fähig war; aber ihre Tante war taub gegen alles, was sie sagte. In dieser Entschließung müssen wir sie jetzt verlassen, weil gar keine Hoffnung vorhanden zu sein scheint, sie davon abzubringen.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Was dem Herrn Jones im Gefängnis begegnete.


Herr Jones brachte über vierundzwanzig melancholische Stunden allein im Gefängnisse hin, ausgenommen, wenn ihn die Gesellschaft Rebhuhns ein wenig aufrichtete, bevor sein Freund Nachtigall wieder zu ihm kam; nicht, als ob dieser würdige junge Mann einen Freund verlassen und versäumt hätte; denn in der That hatte er den größten Teil dieser Zeit darauf verwendet, ihm Dienste zu leisten.

Bei angestellter Erkundigung hatte er vernommen, daß niemand den Anfang des unglücklichen Renkontres mit angesehen habe, ausgenommen eine Rotte werbender Matrosen, die zu einem Kriegsschiff [242] gehörten, das damals zu Deptford lag. Er machte sich also auf nach Deptford, um diese Werbe-Matrosen aufzusuchen; und dort sagte man ihm, die Leute, welche er suchte, wären alle ans Land gegangen. Er spürte ihnen also nach, von einem Ort zum andern, bis er zuletzt zwei von ihnen fand, welche in einem Heckenkruge, nicht weit von Aldersgate, saßen, und noch mit einer dritten Person tranken.

Herr Nachtigall wünschte mit Jones allein zu sprechen; denn Rebhuhn war gegenwärtig, als er hereinkam. Sobald als sie allein waren, faßte Nachtigall Herrn Jones bei der Hand sagte: »Kommen Sie, mein braver Freund, lassen Sie sich durch das, was ich Ihnen zu sagen habe, nicht zu sehr niederschlagen. Es thut mir leid, daß ich der Bote von einer schlimmen Nachricht sein muß; aber ich halt' es für meine Pflicht, sie Ihnen zu sagen.« – »Ich rate schon, was das für eine Nachricht ist,« rief Jones; »der arme Fitz Patrick ist also gestorben.« – »Das hoffe ich nicht,« antwortete Nachtigall; »heute morgen lebte er noch; doch will ich Ihnen nicht schmeicheln, denn nach dem, was ich habe erfahren können, fürchte ich, ist seine Wunde tötlich. Allein, wenn die Sache sich genau so verhält, wie Sie mir erzählt haben, so ist Ihr eigener innerer Kummer alles, was Sie Ursache zu befürchten haben; der Ausgang mit dem Verwundeten mag sein, wie er will. Aber, verzeihen Sie mir, mein liebster Thomas, wenn ich Sie bitte, uns, Ihren Freunden, die Geschichte völlig so nachteilig für Sie zu erzählen, wie sie ist. Wenn Sie uns irgend etwas verhehlen, so sind Sie wirklich bloß Ihr eigener Feind.«

»Was für Ursache, mein liebster Nachtigall, hab' ich Ihnen jemals gegeben,« sagte Jones, »mich mit einem so grausamen Verdachte zu verwunden?« – »Haben Sie Geduld!« rief Nachtigall, »ich will Ihnen alles erzählen. Nach der fleißigsten Erkundigung, die ich einziehen konnte, hab' ich endlich zwei von den Kerlen angetroffen, welche bei diesem unglücklichen Vorfalle zugegen waren, und, es thut mir leid zu sagen, sie erzählen die Sache nicht so vorteilhaft für Sie, als Sie selbst sie mir erzählt haben.« – »Nun! wie erzählen sie es denn?« rief Jones. – »Wie ich's in der That ungern wiederhole, weil ich die Folgen befürchte, die es für Sie haben könnte! Sie sagen, sie wären zu weit entfernt gewesen, um die Worte zu hören, die zwischen ihnen vorgefallen sind; aber beide stimmen darin überein, daß Sie den ersten Schlag gegeben haben.« – »Dann, auf meine Seele!« antwortete Jones, »thun sie mir Unrecht! Er war nicht nur der erste, der mich schlug, sondern er schlug mich auch, ohne daß ich ihn im geringsten dazu gereizt hätte. Was kann diese Bösewichter bewegen, mich fälschlich verleumden?« – »Ja, das kann ich nicht erraten!« sagte Nachtigall. »Und wenn Sie weder selbst, noch ich, der ich Ihr so herzlicher Freund bin, eine Ursache ersinnen können, warum die Kerle Sie verleumden sollten, was für Ursache wird dann ein unparteiisches Gericht anführen können, warum es ihnen keinen Glauben zustellen sollte? Ich legte ihnen zu verschiedenen Malen die Frage vor, und das that auch [243] ein anderer hübscher Mann, der zugegen war, den ich für einen seefahrenden Mann hielt, und welcher wirklich als ein Freund an Ihnen handelte; denn er bat sie oft, es ja wohl zu überlegen, daß es hier auf das Leben eines Menschen ankäme, und fragte sie zu verschiedenen Malen: ob sie es auch recht gewiß wüßten? Worauf sie beide antworteten, sie wüßten es sehr gewiß, und wären bereit, ihre Aussage mit einem Eid zu bekräftigen. Um Gotteswillen! mein liebster Freund, besinnen Sie sich wohl! Denn sollte dieser Umstand wirklich wahr sein, so müssen Sie ja bei Zeiten darauf denken, was für Einfluß das Ansehen Ihrer Freunde und Bekannten bei Hofe haben kann. Ich möchte Sie nicht gern niederschlagen; aber Sie kennen, glaube ich, die Strenge der Gesetze, ungeachtet der heftigsten Anreizungen, die Ihnen durch Worte gegeben werden konnten.« – »Ach! mein liebster Freund,« erwiderte Jones, »auf was für Freunde, auf was für Fürsprache kann ein solcher verworfener Mensch rechnen wie ich! Und überdem, können Sie glauben, daß ich zu leben wünschte, wenn ich in der Welt für einen Mörder gehalten würde? Wenn ich auch Freunde von Einfluß hätte (wie ich wirklich nicht habe), wo sollt' ich die Dreistigkeit hernehmen, sie um ihre Fürsprache für einen Menschen zu bitten, der wegen des schwärzesten Verbrechens in der menschlichen Gesellschaft verurteilt wäre. Glauben Sie mir, solche Hoffnungen hab' ich nicht; aber ich habe einige Zuversicht zu einem weit höhern Throne, von dem ich überzeugt bin, daß er mir alle den Schutz angedeihen lassen wird, den ich verdiene.« Er schloß hierauf mit dem feierlichsten und stärksten Beteuern, daß die Sache völlig so wahr sei, wie er sie gleich anfangs erzählt habe.

Herr Nachtigall wankte hier abermals in seinem Glauben und begann geneigt zu werden, seinem Freunde zu trauen, als Madame Miller hereintrat und einen höchst traurigen Rapport von dem Ausgange ihrer Gesandtschaft abstattete. Als Jones solchen vernommen hatte, rief er aus mit großem Heldenmute: »Wohlan, meine Freundin, jetzt ist es mir völlig gleichgiltig, wie es mir ergehen mag; wenigstens in Absicht auf mein Leben, und wenn es des Himmels Wille ist, daß ich für das Blut büßen soll, das ich vergossen habe, so hoffe ich zur Güte Gottes, sie werde es eines Tages so fügen, daß meine Ehre gerettet werde, und daß wenigstens die Worte eines Sterbenden Glauben finden, insoweit es die Rechtfertigung seines Charakters betrifft.«

Hierauf erfolgte ein sehr trauriger Auftritt zwischen dem Gefangenen und seinen Freunden. Weil es aber wenigen Lesern Freude gemacht haben würde, dabei gegenwärtig zu sein, so werden auch wenige wünschen, glaube ich, denselben hier umständlich aufgeschrieben zu finden. Wir gehen also über zu dem Eintritt des Gefängnisschließers, welcher Herrn Jones anmeldete, es befände sich draußen ein Frauenzimmer, das ihn zu sprechen wünschte, wenn er dazu die Zeit hätte.

Jones bezeugte seine Verwunderung über diese Botschaft. Er sagte, er kenne keine Frauensperson in der Welt, von der er möglicherweise [244] erwarten könnte, daß sie ihn an diesem Orte besuchen wollte. Da er indes keine Ursache sah, den Besuch irgend eines Menschen abzulehnen, so gingen Madame Miller und Herr Nachtigall alsobald hinweg, und er gab Bescheid, daß man das Frauenzimmer hereinlassen möchte.

Wenn sich Herr Jones über die Anmeldung eines Besuchs von einem Frauenzimmer gewundert hatte, wie groß war dann nicht sein Erstaunen, als er wahrnahm, daß dies Frauenzimmer niemand anders sei, als Madame Waters! In diesem Erstaunen wollen wir ihn also eine Weile lassen, um unsern Leser aus der Verwunderung zu ziehen, da er vermutlich ebenfalls nicht so leicht begreifen wird, wie jetzt diese Dame hierherkam.

Wer diese Madame Waters war? weiß der Leser so ziemlich; was sie war? muß er ohne Zweifel eben so gut wissen. Er wird also so gütig sein, sich zu erinnern, daß diese Dame von Upton in eben der Kutsche mit Herrn Fitz Patrick und dem andern irländischen Herrn abfuhr, und in ihrer Gesellschaft nach Bath reisete.

Nun hatte Herr Fitz Patrick eine gewisse Amtsstelle zu vergeben, melche damals eben erledigt war, nämlich die Stelle einer Bettgenossin; denn die Person, welche dieses Amt zuletzt verwaltete, hatte resigniert, oder zum wenigsten ihre Dienstverrichtung versäumt. Nachdem Herr Fitz Patrick also Madame Waters während der Reise genau examiniert hatte, fand er sie zu diesem Amte außerordentlich geschickt, worin er sie denn, bei ihrer Ankunft zu Bath, ohne Aufschub anstellte, und welches sie ohne alle weitere Bedenklichkeit übernahm. Dieser Herr und diese Dame lebten also als Mann und Frau mit einander fort, die ganze Zeit über, die sie sich zu Bath aufhielten, und als Mann und Frau langten sie mit einander an zu London.

Ob Herr Fitz Patrick ein so weiser Mann war, daß er nicht gern ein gutes Stück Hausrat eher fahren ließ, bis er wieder ein andres an seine Stelle setzen konnte, worauf er jetzt nur bloß noch eine Aussicht hatte, oder ob Madame Waters ihren Dienst so gut verrichtete, daß er willens war, sie noch immer als wirkliche Bedienstete beizubehalten, und seine Gemahlin, wie sich der Fall oft ereignet, ihr bloß zu adjungiren, das will ich nicht sagen, aber soviel ist gewiß, er erwähnte seiner Gemahlin niemals gegen sie, zeigte ihr niemals den Brief, welchen ihm das ältere Fräulein von Western gegeben hatte, oder ließ sich auch nicht einmal mit einem Worte merken, daß er den Wiederbesitz seiner Gemahlin beabsichtige. Weit weniger noch kam der Name Jones über seine Lippen; denn ob er gleich willens war sich mit Jones zu schlagen, wann und wo er ihn anträfe, so machte er's doch nicht wie gewisse weltkluge Leute, welche eine Ehefrau, eine Mutter, eine Schwester, oder zuweilen gar eine ganze Familie für die sichersten Sekundanten bei solcher Gelegenheit halten. Die erste Nachricht also, die sie von alle diesem bekam, erhielt sie von seinen Lippen, nachdem er aus der Weinschenke, woselbst er zum erstenmal verbunden war, nach Hause gebracht worden.

[245] Da inzwischen Herr Fitz Patrick eben niemals der deutlichste Erzähler einer Geschichte war, und er eben jetzt noch ein wenig verworrner als gewöhnlich sein mochte, so dauerte es einige Zeit, bis sie soviel herausbringen konnte, daß der Herr, welcher ihm die Wunde beigebracht hätte, grade ebenderselbe Mann wäre, von welchem ihr Herz eine Wunde empfangen hätte, die, ob sie gleich nicht tödlich, doch so tief gewesen war, daß sie eine merkliche Narbe hinterlassen hatte; allein sie hatte nicht so bald erfahren, daß Herr Jones selbst der Mann wäre, welcher wegen dieser vermeinten Mordthat nach dem Gefängnisse gebracht worden, als sie die erste Gelegenheit wahrnahm, Herrn Fitz Patrick unter der Aufsicht seiner Krankenwärterin zu lassen und aufs eiligste hinzugehen, seinen Besieger zu besuchen.

Bei ihrem Eintritt in die Gefangnenstube zeigte sie ein sehr aufgeräumtes Gesicht, welches aber durch den melancholischen Anblick des armen Jones den Augenblick in andre Falten gelegt wurde, der den Augenblick, da er sie erblickte, zusammenfuhr und sich fast kreuzigte und segnete, worauf sie zu ihm sagte: »Nun ja, es wundert mich nicht, daß Sie stutzen! Ich glaube wohl, daß Sie meinen Besuch nicht erwarteten, denn wenige Herren werden hier mit Besuchen von Frauenzimmern behelligt, wenn's nicht etwa von einer Ehefrau ist. Sie sehen, Herr Jones, was für eine Gewalt Sie über mich haben. In der That dacht' ich's wohl nicht, als wir uns zu Upton trennten, daß wir uns das nächste Mal an einem solchen Ort wieder sprechen würden.« – »In der That, Madame,« sagte Jones, »ich muß diesen Besuch als einen Beweis Ihrer Güte ansehn! Wenige Personen folgen einem Manne im Unglück, besonders nach so traurigen Wohnungen.« – »Ich beteur' es Ihnen, Herr Jones,« sagte sie, »ich kann mich kaum überreden, daß Sie eben der angenehme, artige Mann sind, den ich zu Upton sah. Wie? Ihr Gesicht ist ja noch finstrer und trauriger, als das ärgste Gefängnis auf Gottes weiter Welt? Sagen Sie mir doch nur, was Ihnen fehlt?« – »Ich dachte, Madame,« sagte Jones, »da Sie wußten, daß ich mich hier befände, so hätten Sie auch die unglückselige Ursache gewußt, warum?« – »Puh!« sagte sie, »Sie haben einem Mann im Duell zur Ader gelassen, das ist die ganze Geschichte!« Jones bezeugte einigen Unwillen über diesen Leichtsinn und sprach mit tiefem Gefühl der Reue über das Vorgefallene. »Wohlan denn, mein Herr!« antwortete sie hierauf, »wenn Ihnen das so schwer auf dem Herzen liegt, so will ich Ihnen die Last ein wenig erleichtern. Ihr Gegner ist nicht tot, und ich bin so ziemlich gewiß, daß er auch in keiner Gefahr ist zu sterben. Freilich war der Feldscherer, der ihn das erste Mal verband, ein junger Anfänger und mochte gern die Wunde so gefährlich machen als möglich, um desto mehr Ehre davon zu haben, wenn er ihn kurierte; allein seitdem hat ihn der königliche Wundarzt verbunden und sagt, wenn nicht ein gewisses Fieber dazu komme, wozu noch nicht das geringste Anzeichen vorhanden, so fürchte er für sein Leben gar keine Gefahr.« Jones' Mienen heiterten sich bei dieser Nachricht um ein merkliches auf, da sie denn [246] die Wahrheit derselben nochmals bestätigte und hinzufügte: »Durch den sonderbarsten Zufall von der Welt wohn' ich in demselbigen Hause und habe den Verwundeten gesehn, und ich kann Sie versichern, daß er Ihnen Gerechtigkeit widerfahren läßt und gesagt hat: Wie es auch mit ihm ausfallen möge, wäre er eigentlich der einzige angreifende Teil gewesen, und Sie hätten nicht die allergeringste Schuld.«

Jones bezeigte die größte Zufriedenheit über die Nachricht, welche ihm Madame Waters brachte. Er belehrte sie hierauf über verschiedene Dinge, welche sie bereits recht gut wußte; als zum Beispiel, wer Herr Fitz Patrick wäre, was die Veranlassung seiner Feindseligkeit gewesen u.s.w. Dann erzählte er ihr auch manches, was sie nicht wußte, so die Begebenheit mit dem Muff und dergleichen, wobei er bloß Sophiens Namen verschwieg. Er beklagte darauf die Thorheiten und Laster, die er sich hatte zu schulden kommen lassen, welche alle, wie er sagte, solche üble Folgen nach sich gezogen hätten, daß es unverzeihlich für ihn sein würde, wenn er sich dadurch nicht warnen ließe, inskünftige nicht weiter auf solchen bösen Wegen zu wandeln. Endlich und zuletzt schloß er damit, sie seines festen Vorsatzes zu versichern, hinfort nicht mehr zu sündigen, auf daß ihm nicht noch etwas Aergeres widerfahre.

Madame Waters machte sich sehr über alles lustig, als über die Wirkung seiner Niedergeschlagenheit und seiner Gefangenschaft. Sie sagte ihm einige witzige Weidsprüche, vom Teufel, der auf dem Krankenbette lag, und dergleichen, und sagte ihm darauf, sie zweifle nicht, sie werde ihn in kurzem in Freiheit und ebenso lebhaft und munter wiedersehn, als jemals. »Und alsdann,« sagte sie, »wird Ihr Gewissen sich von der Bürde aller dieser Popanze entledigt haben, die es jetzt mit so vielen Wehen ausbrütete.« Sie sagte noch mancherlei von eben dem Schlage, wovon ihr einiges bei dem Leser keine große Ehre machen würde, wenn wir' s hier erzählten; auch sind wir nicht so völlig sicher, ob nicht einige andre die Antworten, welche Jones drauf erteilte, für lästerlich halten würden. Wir wollen also das Uebrige dieser Unterredung unterdrücken und nur soviel bemerken, daß Sie sich mit vollkommner Unschuld endigte, und zwar zu größerer Zufriedenheit des Herrn Jones, als der Dame, denn der erste war gar höchlich erfreut über die Nachricht, die sie ihm gebracht hatte; die Letztere war aber nicht völlig so erbaut von dem reumütigen Betragen eines jungen Mannes, von dem sie bei ihrer ersten Bekanntschaft eine ganz andre Meinung gefaßt hatte, als sie nunmehr von ihm hegen mußte.

Solchergestalt war die Melancholie, welche die Nachricht des Herrn Nachtigall erzeugt hatte, so ziemlich vertrieben. Aber der Mißmut, worein Madame Miller ihn geworfen hatte, dauerte noch fort. Der Bericht, den sie abstattete, traf so richtig mit Sophiens eignen Worten in ihrem Briefe überein, daß er im geringsten nicht zweifelte, sie habe seinen Brief ihrer Tante gezeigt und den festen Entschluß gefaßt, ihn zu verlassen. Die Größe der Pein, welche ihm dieser Gedanke verursachte, konnte nur mit der [247] über eine andre Hiobspost verglichen werden, welche ihm das Glück noch aufgespart hatte und welche wir im zweiten Kapitel des folgenden Buches mitteilen wollen.

Achtzehntes Buch

Erstes Kapitel
Erstes Kapitel.

Dem Leser zur Letze.


Lieber Leser, nunmehr sind wir auf der letzten Station unsrer langen Reise angelangt. Da wir also so manche Blätter miteinander durchreiset haben, so laß uns es miteinander machen, wie die Reisegesellschafter in einer öffentlichen Landkutsche, die verschiedne Tage miteinander in Gesellschaft hingebracht haben, und welche, ungeachtet aller kleinen Hickhackereien oder kleinen Piken, welche auf dem Wege vorgefallen sein mögen, gewöhnlich am Ende alles gut sein lassen und zum letztenmal freundlich und munter wieder einsitzen, weil es, wenn wir noch diese eine Station zurückgelegt haben, mit uns ebenso gehen kann, wie mit jenen, daß wir uns einander nie wiedersehn.

Da ich einmal hier dieses Gleichnis angeführt habe, so erlaube man mir, daß ich es noch ein wenig weiter ausdehnen dürfe. Ich bin also in diesem letzten Buche gesonnen, die genannte wackere Gesellschaft auf ihrer letzten Station nachzuahmen. Nun ist aber wohl bekannt, daß zu der Zeit alles scherzen und necken unter ihnen beiseite gelegt wird. Was für einen Charakter auch irgend ein Passagier die Reise hindurch zum Spaß angenommen und vorgestellt hat, so legt er ihn ab, und das Gespräch pflegt gemeiniglich unverstellt und ernsthaft zu werden.

Auf eben die Weise, wenn wir uns hin und wieder, während dem Laufe dieses Werks, zur Unterhaltung einen kleinen Scherz erlaubt haben, so mache ich solchem hiermit ein Ende. In der That werden die gar häufigen Materien, welche ich genötigt sein werde, in diesem Buche zusammenzudrängen, keinen Raum für irgend eine von solchen scherzhaften Bemerkungen übrig lassen, deren ich wohl an einigen Stellen gemacht habe und welche dich, lieber Leser, vielleicht zuweilen abgehalten haben, in Schlummer zu verfallen, wenn dich grade eben die Schläfrigkeit überschleichen wollte. Du wirst von der Art nichts (oder doch nur sehr wenig) in diesem letzten Buche antreffen. Alles wird bloß in kunstlosen Erzählungen bestehn, und wirklich, wenn du die mancherlei großen Begebenheiten wirst gelesen haben, welche dieses Buch darstellt, so wirst du die Anzahl der Seiten welche es enthält, kaum zur Erzählung der Geschichte für hinreichend halten. Und somit mein Freund, nehme ich [248] diese Gelegenheit wahr, weil ich weiter keine haben werde, dir von Herzen alles Wohlergehn zu wünschen. Wenn ich dir ein unterhaltender Reisegefährte gewesen bin, so war es, wie ich dir versichre, grade das, was ich wünschte. Sollte ich dir irgend etwas zuwidergethan oder gesagt haben, so war es wirklich gegen meine Absicht. Vielleicht ist eins und das andere hier gesagt, was dich oder deine Freunde getroffen haben mag; aber ich versichre aufs feierlichste, ich habe auf keinen von euch gezielt. Ich zweifle nicht, man wird dir unter andern Geschichten von mir erzählt haben, daß du mit einem sehr stachligen Spottvogel reisen würdest; aber wer dir das auch gesagt hat, der hat mir unrecht gethan. Kein Mensch verabscheut und verachtet stachligen Spott mehr als ich, und kein Mensch hat dazu auch mehr Ursache, denn niemand ist davon ärger mißhandelt worden als ich; und besonders ist mein Schicksal darin hart, daß mir einige von solchen skurrilen Wischen grade von solchen Männern zugeschrieben worden sind, die mich, in andern von ihren Werken, auf die allerhämischte Weise heruntergerissen haben.

Unterdessen weiß ich es recht gut, daß alle jene Werke schon längst den Weg alles Fleisches gegangen sein werden, ehe du noch einmal diese Bogen zu lesen bekommen wirst. Denn so kurz auch immer das Leben meiner eignen Werke sein mag, so werden sie doch höchst wahrscheinlicherweise ihren kränkelnden Verfasser und die elenden Machwerke seiner hämischen Zeitgenossen überleben.

Zweites Kapitel
Zweites Kapitel.

Enthält einen sehr tragischen Zwischenfall.


Als Jones mit diesem unangenehmen Nachdenken beschäftigt war, womit wir ihn sich selbst peinigend verließen, strauchelte Rebhuhn herein in des Gefangnen Zimmer, mit einem Gesichte bleicher als Asche, mit Augen, die ihm starr im Kopfe standen, mit in die Höhe gesträubten Haaren und an jedem Gliede zitternd, kurz grade so gestaltet, als ob er eben ein Gespenst gesehen hätte, oder als ob er wirklich selbst ein Gespenst wäre.

Jones, der sich eben nicht leicht fürchtete, konnte es doch nicht vermeiden, über diese plötzliche Erscheinung ein wenig stutzig zu werden. Er selbst veränderte wirklich ein wenig die Farbe und seine Stimme wankte ein wenig, als er ihn fragte was ihm wäre?

»Ich hoffe, mein liebster Herr,« sagte Rebhuhn, »Sie werden mir nicht böse werden! Gewiß ich habe nicht gehorcht, aber ich war genötigt, draußen vor der Thür stehen zu bleiben. O ich wollte lieber, ich wäre hundert Meilen davon gewesen, als zu hören, was ich gehört habe.« – »Wieso? Was ist's denn?« sagte Jones. »Was es ist? liebster Herr, und du lieber Gott!« antwortete Rebhuhn, »war das Frauenzimmer, welches eben jetzt wegging, eben dieselbe, mit der Sie zu Upton waren?« – »Sie war es, Rebhuhn!« sagte Jones. »Und haben Sie wirklich, lieber Herr, bei diesem Frauenzimmer [249] geschlafen?« sagte er zitternd. – »Nun, ich fürchte,« sagte Jones, »es ist leider kein Geheimnis, was dort unter uns beiden vorfiel.« – »Nun ich bitte Sie, liebster Herr, ums Himmelswillen, sagen Sie recht!« schrie Rebhuhn. »Nun, ja! Es geschah,« erwiderte Jones, »Er weiß es ja.« – »Nun! so sei Gott Ihrer armen Seele gnädig, und verzeihe es Ihnen aus Gnade und Barmherzigkeit!« schrie Rebhuhn. »Aber so wahr, als ich lebendig vor Ihnen stehe! Sie haben bei Ihrer eignen, leiblichen Mutter geschlafen.«

Bei diesen Worten ward Jones in einem Augenblick ein größeres Gemälde des fürchterlichen Schreckens, als Rebhuhn selbst. Er verstummte wirklich eine Zeitlang vor Entsetzen, und beide standen und sahen einander an mit wildstarren Augen. Endlich machten sich seine Worte Luft, und er sagte mit unterbrochener Stimme: »Wie! wie! was ist es, das du mir da sagst?« – »O, lieber Herr,« versetzte Rebhuhn, »ich habe nicht Atem genug, Ihnen jetzund viel zu erzählen, aber, was ich gesagt habe, ist gewißlich wahr – das Frauenzimmer, das eben wegging, ist Ihre leibliche Mutter. Welch ein Unglück ist es für Sie, Herr, daß ich sie damals nicht zu sehen bekommen mußte, damit es nicht geschehen wäre! Es kann nicht anders sein, der Teufel selbst muß sein Wesen dabei gehabt haben, eine solche entsetzliche Blutschande zustande zu bringen.«

»Gewiß,« sagte Jones, »mein Schicksal wird nicht eher aufhören, mich zu verfolgen, bis es mich vollends wahnsinnig gemacht hat! Aber was schelte ich das Schicksal? Ich selbst bin die Ursache meines Jammers. All das schreckliche Unglück, welches mich befallen hat, ist die unmittelbare Folge meiner Thorheiten, meiner Laster! Was du mir da gesagt hast, Rebhuhn, hat mir fast alle Sinne genommen. So war also diese Madame Waters – Aber was frag' ich? Er muß sie ja gewiß kennen! – Wenn er noch ein Fünkchen Liebe für mich hat, ja, wenn er nur Mitleid fühlen kann, so bitt' ich, fleh' ich, geh' er, hol' er dieses unglückliche Weib noch einmal wieder zu mir her. O, mein gütiger Gott! Blutschande! – Mit einer leiblichen Mutter! Wozu bin ich geboren?« Hier verfiel er in eine der heftigsten Anwandlungen von qualvollem Gram und Verzweiflung, worin ihn Rebhuhn auf keine Art und Weise allein lassen wollte. Als sich aber der erste Sturm der Leidenschaften ein wenig gelegt hatte, kam er wieder zu sich selbst, und als er hierauf zu Rebhuhn gesagt hatten, daß er diese unglückselige Frau in demselben Hause antreffen würde, woselbst der Verwundete wohnte, schickte er ihn fort, sie herzuholen.

Wenn der Leser so gütig sein will, dadurch sein Gedächtnis ein wenig wieder aufzufrischen, daß er den Auftritt zu Upton im neunten Buche wieder nachliest, so wird er im stande sein, die sonderbaren Zufälle zu bewundern, welche unglücklicherweise verhinderten, daß Rebhuhn die Madame Waters, welche doch selbst einen ganzen Tag mit Herrn Jones zubrachte, nicht zu sehen bekam. Ereignisse dieser Art können wir häufig im gemeinen Leben bemerken, wobei die größten Begebenheiten durch einen unmerkbaren Zusammenhang kleiner Umstände hervorgebracht werden, und ein scharfsehendes Auge [250] kann in dieser unsrer Geschichte mehr als Ein Beispiel von der Art entdecken.

Nach zwei oder drei Stunden fruchtlosen Suchens kam Rebhuhn zu seinem Herrn zurück, ohne daß er Madame Waters angetroffen hatte. Jones, der über sein Ausbleiben in einem Zustand der Verzweiflung war, verfiel fast in den äußersten Wahnsinn, als er ihm diese Nachricht brachte. Indessen verblieb er in diesem Zustande nicht lange, als ihm der folgende Brief gebracht wurde:


»Mein Herr!


Seitdem ich Sie verlassen, habe ich mit einem Herrn gesprochen, von dem ich etwas in Ansehung Ihrer erfahren habe, was mich außerordentlich wundert und mir sehr zu Herzen geht. Da ich aber jetzt nicht Zeit habe, Ihnen eine Sache von so großer Wichtigkeit mitzuteilen, so müssen Sie Ihre Neugierde bis zu unsrer nächsten Zusammenkunft aufschieben, was den ersten Augenblick sein soll, da ich's möglich machen kann Sie zu besuchen. O Herr Jones, wie wenig vermutete ich, als ich den glücklichen Tag zu Upton zubrachte (dessen Andenken wahrscheinlicherweise mein ganzes künftiges Leben verbittern wird) wer es sei, der mir so glückselige Stunden machte. Glauben Sie mir, daß ich beständig aufrichtig verharre

Ihre unglückliche

H. Waters


»N.S. Ich bitte Sie, richten Sie Ihr Gemüt auf so viel als möglich, denn Herr Fitz Patrick ist in keiner Art von Gefahr. Sonach ist, was Sie auch sonst für schwere Verbrechen zu bereuen haben mögen, doch keine Blutschuld darunter.«


Als Jones diesen Brief gelesen hatte, ließ er ihn aus den Händen fallen, denn er war unvermögend ihn zu halten, und in der That behielt er kaum den Gebrauch irgend eines seiner Gliedmaßen. Rebhuhn nahm solchen auf und nachdem er stillschweigende Erlaubnis erhalten hatte, las er ihn gleichfalls, und dies that auf ihn nicht viel geringere Wirkung. Der Pinsel, nicht die Feder müßte das Grauen darstellen, das sich auf beider Antlitz zeigte. Derweil sie noch beide sprachlos dastanden, trat der Gefängnisschließer herein, und ohne im geringsten darauf zu achten, was in den Mienen beider so sichtbar zu lesen war, meldete er dem Herrn Jones, daß ein Mann draußen wäre, der mit ihm zu sprechen wünschte. Dieser Mann wurde alsobald hereingeführt und es war niemand anders als der schwarze Jakob.

Da es dem schwarzen Jakob nicht so geläufig war als dem Schließer, die Mienen des Entsetzens anzusehen, so nahm er den Augenblick die große Zerüttung wahr, welche sich auf dem Gesicht des armen Jones zeigte. Dies schob er auf den Zufall, welcher sich ereignet hatte und welcher unter Herrn Westerns Gesinde von der allerschlimmsten Seite erzählt worden, er meinte also, der verwundete Herr müßte gestorben sein und Herr Jones wäre auf geradem Wege, auf eine schmähliche Weise aus der Welt zu gehen. Ein Gedanke, der ihm großen Kummer machte, denn Jakob war von sehr mitleidigem Gemüte, und ungeachtet er der zu mächtigen Versuchung [251] erlegen war, der Freundschaft einen kleinen Hieb zu versetzen, so war er doch im Grunde nicht unempfindlich gegen die Wohlthaten, die er ehedem von Herrn Jones genossen hatte.

Der arme Kerl konnte sich bei dem gegenwärtigen Anblicke kaum einer Thräne enthalten. Er sagte dem Herrn Jones, sein Unglück ginge ihm herzlich nahe und bat ihn, sich zu besinnen, ob er ihm nicht in irgend etwas zu Diensten sein könnte. »Vielleicht, lieber Herr,« sagte er, »können Sie jetzund in Ihren Umständen ein bischen Geld nötig haben, wenn's so ist, Herr, so steht das bischen, was ich habe, von Herzen gern zu Diensten.«

Jones schüttelte ihm ganz herzlich die Hand und sagte ihm vielen Dank für sein gütiges Anerbieten, antwortete aber, daß er keineswegs Mangel leide. Worauf denn Jakob seine Dienste noch dringender antrug als zuvor. Jones dankte ihm abermals mit der Versicherung, daß es ihm an nichts fehle, was in der Gewalt eines lebendigen Menschen stünde, ihm zu geben. »Komm, komm! lieber Herr,« antwortete Jakob, »lassen Sie sich die Sache nicht so arg zu Herzen gehen. Wer weiß? 's kann noch all's besser gehn als Sie glauben. Sie sind ja vorm Henker nicht der erste Edelmann, der seinen Mann erstochen hat und doch ganz gut weggekommen ist.« – »Sie sind weit aus der Kehr, Herr Seegrim,« sagte Rebhuhn, »der Herr ist nicht tot und wird auch wohl nicht dran sterben. Lassen Sie mein'n Herrn nur jetzund zufrieden, denn es geht ihm ganz was anders im Kopfe herum, worin Sie ihm gar nichts helfen können.« – »Wer weiß was ich kann, Herr Rebhuhn!« antwortete Jakob. »Wenn's was ist, was mein junges Fräulein angeht, was ihm im Kopfe liegt, so kann ich Herrn Jones wohl was erzählen.« – »Was sagt Er da, guter Jakob?« sagte Herr Jones. »Hat sich neulich etwas zugetragen, das meine Sophie angeht? Meine Sophie! Wie kann ein so unseliger Mensch so entheiligend von ihr sprechen?« – »Ich hoffe, sie soll immer noch die Ihrige werden,« antwortete der Wildmeister. »Und ja freilich kann ich Ihnen was von ihr erzählen. Mein's gnädigen Herrn seine Schwester hat eben das junge Fräulein wieder nach unsrem Hause gebracht und es hat ein groß Spektakel gegeben. Ich konnt' nicht eigentlich erfahren, was so recht vorging, aber unser Junker tobte und lärmte vor Bosheit und die alte Fröln ebenfalls, und ich hört' ihr sagen, als sie aus der Thür nach ihrem Schillerhause ging, worin sie sie wegtrugen, daß sie in ihrem Leben keinen Fuß wieder in unser Haus setzen wollte. Ich weiß nicht, was 's gesetzt haben mag, aber als ich herausging war's schon alles ganz still und ruhig wieder, Konrad aber, der beim Abendessen aufgewartet hat, sagte, er hätte in lieber langer Zeit nicht gesehn, daß sich der Junker solange mit 'm jungen Fräulein so friedlich und freundlich vertragen hätt'. Er sagt, er hab' ihr mehr als einmal um den Hals gefallen und hätt' sie geküßt und gesagt und geschworen – sie sollte alles thun was sie selbst wollte und er wollte sie sein Lebtage nicht wieder aufs Zimmer verschließen. – Ich dachte, das würde Ihnen lieb zu hören sein, und drum schlich ich mich aus 'm Hause, so spät es auch [252] war, ums Ihnen zu erzählen.« Herr Jones versicherte den Wildmeister, daß es ihm ein großes Vergnügen mache, denn ob er sich's gleich nicht weiter unterstehen würde, seine Augen bis zu dem unvergleichlichen Geschöpfe emporzuheben, so könnte doch nichts sein Unglück so sehr erleichtern, als die Zufriedenheit, die er allemal darüber empfinden würde, wenn er hörte, daß es dem Fräulein wohl gienge.

Das übrige, was noch bei diesem Besuche gesprochen wurde, ist nicht wichtig genug, um es hier anzuführen. Der Leser wird es uns also verzeihen, daß wir kurz abbrechen, und sich gefallen lassen, zu vernehmen, woher dieses große Wohlbehagen des Junkers an seiner Tochter entstanden sei.

Ihro Hochwohlgeboren Gnaden, Fräulein Tante von Western, begannen bei Dero erstem Eintritt in ihres Bruders Wohnung die hohe Ehre und großen Vorteile herauszustreichen, welche der Familie aus der Verbindung mit dem hochgeborenen Herrn Reichsgrafen erwachsen würden, die ihre Nichte so platterdings ausgeschlagen hätte. Da nun der Junker hierbei die Partie seiner Tochter nahm, so geriet sie augenblicklich darüber in den heftigsten Zorn und sagte dem Junker darüber so bittere und aufhetzende Dinge, daß es weder seine Geduld, noch seine erblustige Klugheit länger auszuhalten vermochte; da denn also unter beiden ein so hitziges Gezänk entstand, daß man dergleichen wohl nicht leicht auf Kraut- und Fischmärkten gehört hat. Ihro Gnaden, Fräulein von Western, ging mitten in der größten Hitze der Kampelei von dannen und hatte folglich nicht Muße, dem Bruder von dem Briefe Nachricht zu geben, welchen Sophie erhalten hatte, was sonst nach aller Wahrscheinlichkeit eine böse Wirkung gethan haben möchte; allein die Wahrheit zu sagen, so glaube ich, daß ihr der Brief die ganze Zeit über nicht einmal eingefallen sei.

Als die Tante fort war, begann Sophie, die bis dahin, sowohl aus Not als Neigung, stillgeschwiegen hatte, die Komplimente zu erwidern, die ihr Vater ihr dadurch gemacht hatte, daß er ihre Partei gegen die Tante ergriffen, und nahm wieder die seinige gegen die Dame. Dies war das erstemal daß sie es that, und es war dem Junker äußerst angenehm. Ferner erinnerte er sich, daß Herr Alwerth ausdrücklich verlangt habe, daß alle gewalttätigen Mittel beiseite gesetzt werden sollten, und da er übrigens gar nicht daran zweifelte, Jones würde bald den Armensünderweg wandeln müssen, so fiel ihm nicht der geringste Zweifel ein, daß er seine Tochter mit allem Guten zu seiner Absicht lenken würde. Er ließ also von neuem aller seiner natürlichen Zärtlichkeit für sie freien Lauf, welches eine solche Wirkung auf das pflichtvolle, dankbare, zärtliche und liebereiche Herz seiner Tochter Sophie hatte, daß, hätte ihr dem Herrn Jones gegebenes Ehrenwort und vielleicht auch noch etwas andres, was ihn anging, nicht im Wege gestanden, so zweifle ich fast nicht, sie würde sich einem Manne, den sie nicht leiden konnte, aufgeopfert haben, bloß um ihrem Vater gefällig zu sein. Sie versprach ihm, sie wollte es sich zum angenehmsten Geschäfte ihres [253] Lebens machen, ihm zu Gefallen zu leben und niemals einen Mann wider seinen Willen zu heiraten, was denn den alten Mann seiner höchsten Glückseligkeit so nahe brachte, daß er nicht umhin konnte, den andern Schritt zu thun, und sonach ging er völlig betrunken zu Bette.

Drittes Kapitel
Drittes Kapitel.

Alwerth besucht den alten Nachtigall; nebst einer sonderbaren Entdeckung, die er bei dieser Gelegenheit macht.


Des morgens nachher, als diese Dinge vorgegangen waren, ging Herr Alwerth zufolge seines Versprechens hin, den alten Nachtigall zu besuchen, bei dem sein Ansehn von solchem Gewicht war, daß er, nachdem er drei Stunden bei ihm gesessen hatte, endlich die Einwilligung von ihm erhielt, einen Besuch von seinem Sohne anzunehmen.

Hier begab sich ein außerordentlicher Zufall; eines von den sonderbaren Ereignissen, aus welchen sehr gute und ernsthafte Männer den Schluß gezogen haben, daß sich die Vorsehung oft in die Entdeckung der geheimsten Bubenstücke mischt, um die Menschen zu warnen, nicht aus dem Pfade der Redlichkeit zu weichen, so behutsam und vorsichtig sie auch auf den Wegen des Lasters einherschleichen möchten.

Sowie Herr Alwerth in des Herrn Nachtigalls Haus trat, sah er den schwarzen Jakob; er redete ihn aber nicht an, und der schwarze Jakob meinte auch nicht, daß er sein gewahr worden wäre. Als indessen ihre Unterredung über den Hauptpunkt geendigt war, fragte Herr Alwerth den Herrn Nachtigall, ob er einen gewissen Jakob Seegrim kenne, und in was für Verrichtungen er in sein Haus käme? – »O ja,« antwortetete Nachtigall, »ich kenn' ihn recht gut! Es ist ein sehr sonderbarer Kerl, der in kurzer Zeit die Kunst verstanden hat, fünfhundert Pfund Sterling in seinen Spartopf zu legen, und das von einer kleinen Pachtung von dreißig Pfund des Jahres.« – »Und ein solches Märchen haben Sie sich wirklich aufbinden lassen?« rief Herr Alwerth. – »Nicht doch! Es ist völlig wahr, verlassen Sie sich drauf!« sagte Nachtigall, »denn ich habe das Geld schon in meinen eignen Händen, in fünf Banknoten, die ich für ihn anlegen soll, entweder auf Hypothek, oder zum Ankauf eines kleinen Landgütchens.« Die Banknoten wurden nicht so bald auf Herrn Alwerths Ersuchen hervorgeholt, als er über die wunderbarliche Entdeckung in großes Erstaunen geriet. Er sagte Herrn Nachtigall alsobald, daß diese Banknoten ihm zugehört hätten, und erzählte ihm darauf den ganzen Zusammenhang. Da sich über die Unredlichkeit bei Geschäften kein Mensch so bitterlich beklagt, als Straßenräuber, falsche Spieler und andre Diebe ihres Gelichters, so deklamiert auch niemand heftiger gegen die Spitzbübereien der falschen Spieler und dergleichen, als die Wucherer, Verleiher auf Pfänder und andre Diebe ihres Gewerbes. Ob es daher kömmt, [254] daß die eine Art zu betrügen das Gewerbe des andern schmälert oder in üblen Ruf bringt, oder daher, daß das Geld, welches die allgemeine Braut ist, um welche alle Betrüger tanzen, macht, daß sie sich alle untereinander für Nebenbuhler halten? Genug, Nachtigall hatte kaum die Geschichte vernommen, als er in viel heftigern Ausdrücken auf den Kerl loszog, als diejenigen, womit die Gerechtigkeit und Redlichkeit des Herrn Alwerth ihn belegt hatte.

Alwerth bat Herrn Nachtigall, sowohl das Geld, als das Geheimnis, solange sicher zu bewahren, bis er mehr von ihm gehört hätte, und wenn bis dahin der Kerl wieder zu ihm kommen sollte, möchte er sich doch von der gemachten Entdeckung nicht das geringste merken lassen. Hierauf kehrte er nach seiner Wohnung zurück und fand daselbst Madame Miller in einer betrübten Gemütsverfassung, worein sie die Nachricht versetzt hatte, die sie von ihrem Schwiegersohn erhalten. Herr Alwerth sagte ihr mit vieler Heiterkeit, er habe ihr eine sehr gute Nachricht mitzuteilen, und ohne viel längere Vorrede erzählte er ihr, daß er Herrn Nachtigall zu der Einwilligung gebracht habe, seinen Sohn zu sehn, und wie er im geringsten nicht zweifelte, daß er eine völlige Aussöhnung unter beiden bewirken würde, ob er gleich den Vater noch mürrischer über einen andern Zufall von eben der Art gefunden habe, der seiner Familie begegnet sei. Alsdann erzählte er ihr, wie seines Bruders Tochter davongelaufen wäre, wie er es von dem alten Herrn erfahren hatte, und wovon Madame Miller und ihr Schwiegersohn noch nichts wußten.

Der Leser wird sich leicht einbilden, daß Madame Miller diese Nachricht mit großer Dankbarkeit und nicht minderm Vergnügen aufnahm. Aber so ungewöhnlich treu war ihre Freundschaft gegen Jones, daß ich nicht gewiß bin, ob der Kummer, den sie seinetwegen erlitt, nicht die Freude überwog, die sie bei Anhörung einer Zeitung empfand, welche ihrer Familie soviel Glückseligkeit versprach, und ob nicht eben diese Nachricht, weil sie dadurch an die Verbindlichkeiten erinnert ward, welche ihr Herr Jones erwiesen hatte, sie ebenso sehr schmerzte als erfreute, wenn ihr dankbares Herz ihr sagte: »Unterdessen daß meine eigne Familie glücklich ist, wie elend ist nicht der arme Mann, dessen Großmut wir den Anfang aller dieser Glückseligkeit zu verdanken haben!«

Nachdem Herr Alwerth ihr eine kleine Weile Zeit zum Wiederkäuen an dieser Zeitung gelassen hatte (wenn ich den Ausdruck brauchen darf), so sagte er ihr, er habe für sie noch eine Neuigkeit, die ihr, wie er glaubte, sehr angenehm sein würde. »Ich denke,« sagte er, »ich habe einen ziemlich ansehnlichen Schatz entdeckt, der dem jungen Manne, Ihrem Freund, beschert ist; aber vielleicht sind seine jetzigen Umstände von der Beschaffenheit, daß er ihm von wenig Nutzen sein kann.« Dieser letzte Zusatz gab Madame Miller zu verstehn, wen er meinte, und sie antwortete mit einem tiefen Seufzer: »Das hoffe ich nicht, Herr von Alwerth!« – »Von Grund des Herzens,« erwiderte Alwerth, »sag' ich mit Ihnen, ich hoff' es auch nicht! Allein mein Neffe erzählte mir heute Morgen, daß man ihm [255] eine sehr schlimme Beschreibung von diesem Handel gemacht habe.« – »Gütiger Gott! Herr von Alwerth!« sagte sie – »Doch ich darf nicht sprechen – aber es ist gewiß sehr hart, seine Zunge nicht brauchen zu dürfen, wenn man Dinge hört, die –« – »Madame,« sagte Alwerth, »sagen Sie alles, was Ihnen gefällt; Sie kennen mich zugut, um zu glauben, daß ich gegen irgend einen Menschen von Vorurteilen eingenommen wäre, und was den jungen Menschen anbetrifft, so versichre ich Sie, es würde mir eine herzliche Freude machen, wenn ich fände, daß ich ihn von aller Schuld freisprechen könnte, besonders aber in dieser unglücklichen Sache. Sie können mir es bezeugen, wie herzlich ich ihm vormals gewogen war. Die Welt, ich weiß es, hat mich darüber getadelt, daß ich ihn zu lieb hätte. Diese Gewogenheit entzog ich ihm nicht, obne zu denken, ich hätte dazu die gerechteste Ursache. Glauben Sie mir, Madame Miller, es sollte mir eine Freude sein, wenn ich fände, daß ich mich geirrt hätte.« Madame Miller stand im Begriff, aus der Fülle des Herzens zu antworten, als ihr ein Bedienter ansagte, es wäre ein Herr draußen, der sie aufs baldigste zu sprechen wünschte. Herr Alwerth erkundigte sich hierauf nach seinem Neffen und erhielt zur Antwort: er wäre schon seit einiger Zeit auf seinem Zimmer und habe einen Herrn bei sich, welcher gewöhnlich zu ihm zu kommen pflegte. Herr Alwerth vermutete richtig, daß es Herr Dowling sein würde, welchen er sogleich zu sich bitten ließ, um mit ihm zu sprechen.

Als Dowling erschien, legte ihm Herr Alwerth den Rechtsfall über die Banknoten vor, ohne irgend einen Namen zu nennen und fragte ihn, was für eine Strafe eine solche Person zu gewärtigen hätte. Worauf Dowling antwortete, er glaube wirklich, es wäre ein Gesetz vorhanden, nach welchem man einen solchen Betrüger belangen könnte, meinte aber, es wäre bei alledem eine heikliche Sache und es würde gut sein, vorher ein Gutachten einzuholen; er sagte, er müsse ohnedem eben in einer Angelegenheit des Herrn von Western mit einem Rechtskonsulenten sprechen, und wenn es Herrn Alwerth gefiele, so wollt' er dem diese Sache sogleich vorlegen. Dies ward angenommen und hierauf wurde die Thür geöffnet und Madame Miller trat herein. »Ich bitte um Vergebung,« sagte sie; »ich wußte nicht, daß Sie jemand bei sich hätten!« Allein Herr Alwerth bat sie hereinzukommen, indem er sagte, seine Geschäfte wären geendigt. Hierauf ging Herr Dowling weg und Madame Miller stellte Herrn Alwerth den jungen Nachtigall vor, um ihm für die erzeigte Gewogenheit zu danken. Sie hatte aber kaum die Geduld den jungen Menschen ausreden zu lassen, und fing gleich an: »O liebster Herr von Alwerth, Herr Nachtigall bringt große Neuigkeiten über den armen Herrn Jones! Er ist hier gewesen und hat den verwundeten Herrn besucht, der außer aller Gefahr ist, und der obendrein selbst bekennt, daß er den armen Herrn Jones zuerst überfallen und geschlagen hat, und das weiß ich doch gewiß, Herr von Alwerth, Sie wollten doch nicht, daß Herr Jones eine feige Memme sein sollte. Wenn ich ein Mann wäre und ein andrer Mann wollte mich schlagen, ich weiß gewiß, daß ich meinen Degen [256] zöge! Kommen Sie, mein lieber Herr Schwiegersohn, erzählen Sie Herrn von Alwerth nur alles, erzählen Sie alles selbst.« Nachtigall bestätigte hierauf, was Madame Miller gesagt hatte und schloß damit, daß er von Herrn Jones viel Gutes beibrachte, der, wie er behauptete, einer der gutmütigsten Menschen von der Welt sei und nichts weniger als ein Zänker oder Schläger. Herr Nachtigall stand im Begriff seine Rede zu endigen, als ihn Madame Miller von neuem bat, alle häufigen Ausdrücke der dankbaren und kindlichen Liebe zu erzählen, die er vom Herrn Jones über seinen Wohlthäter Herrn Alwerth gehört hätte. »Vom Herrn Alwerth das allerrühmlichste zu sagen,« rief Nachtigall, »ist nichts weiter als pflichtmäßige Gerechtigkeit und kann dabei kein Verdienst sein, doch muß ich sagen, daß kein Mensch ein tieferes Gefühl seiner Verpflichtung gegen einen so edlen Wohlthäter hat, als der arme Jones! In der That, mein Herr von Alwerth, ich bin überzeugt, daß ihn nichts so sehr niederdrückt, als die Last Ihres Mißfallens. Er hat oft darüber gegen mich geklagt und ebenso oft auf die feierlichste Art beteuert, daß er sich niemals wissentlich gegen Sie vergangen habe; ja, er hat mir zugeschworen, er wolle lieber tausendmal sterben, als von seinem Gewissen nur einen unehrerbietigen, undankbaren oder pflichtwidrigen Gedanken gegen Sie sich vorwerfen lassen. Aber ich bitte um Verzeihung, Herr von Alwerth, ich besorge, ich gehe zu weit, indem ich mich über einen so zarten Punkt auslasse.« – »Sie haben weiter nichts gesagt, als was die Pflicht eines Christen erfordert,« rief Madame Miller. »In der That, Herr Nachtigall,« antwortete Alwerth, »ich kann nicht umhin, Ihrer großmütigen Freundschaft meinen Beifall zu geben und ich wünsche, daß er solche um Sie verdienen möge. Ich bekenne, mich freut die Nachricht, die Sie mir über diesen unglücklichen Jüngling bringen, und wenn sich die Sache so befindet, wie Sie solche vorstellen (und in der That zweifle ich an nichts von dem, was Sie sagen), so kann ich mit der Zeit wohl dahin gebracht werden, von diesem jungen Menschen wieder besser zu denken, als ich die letzte Zeit her gekonnt habe. Ihre brave Frau Schwiegermutter hier, und alle die mich kennen, werden mir bezeugen, daß ich ihn ebenso innig liebte, als ob er mein Sohn gewesen. In der That hab' ich ihn betrachtet, als ein Kind, das die Vorsehung meiner Sorgfalt anvertraut hätte. Ich erinnere mich noch immer der unschuldigen, hilflosen Lage, worin ich ihn fand; ich fühle noch, wie er mit seinen kleinen Händen so sanft die meinigen drückte. Er war mein Liebling; gewiß! das war er!« Bei diesen Worten schwieg er still und die Thränen standen ihm in den Augen.

Da uns die Antwort, welche Madame Miller hierauf gab, zu frischen Materien leiten kann, so wollen wir hier einen Halt machen, um die sichtbare Veränderung in Herrn Alwerths Gesinnungen und die Abnahme seines Zorns gegen Jones zu erklären. Veränderungen von dieser Art kommen freilich, es ist wahr, häufig vor, bei Geschichtschreibern sowohl, als dramatischen Schriftstellern, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil die Geschichte oder das Schauspiel[257] zu Ende eilt, und werden durch das Ansehen der Autoren gerechtfertigt; allein ob wir gleich auf nicht weniger Ansehen, als irgend ein anderer Autor, ein Recht haben, so wollen wir uns doch dieser Gewalt nur sehr sparsam und niemals anders bedienen, als wenn uns die höchste Not dazu drängen sollte; und so viel wir gegenwärtig voraussehen, wird diese höchste Not in gegenwärtiger Geschichte wohl schwerlich eintreten.

Diese Veränderungen und Gesinnungen des Herrn Alwerth waren durch einen Brief veranlaßt, den er eben vom Herrn Quadrat erhalten hatte und welchen wir gleich anfangs im nächsten Kapitel dem Leser vorlegen wollen.

Viertes Kapitel
Viertes Kapitel.

Enthält zwei Briefe in ganz verschiedenem Stile.


»Mein würdigster Freund!


In meinem vorigen hab' ich Ihnen berichtet, daß man mir den Gebrauch des Wassers untersagt hat, weil die Erfahrung zeigte, daß es die Symptome meiner Krankheit eher verschlimmerte, als verbesserte. Jetzt muß ich Ihnen eine Nachricht schreiben, die, wie ich glaube, meinen Freund mehr betrüben wird, als sie mich betrübt hat: meine beiden braven Aerzte haben mir es nicht verhehlt, daß zu meiner Besserung keine Hoffnung mehr ist.

Ich habe irgendwo gelesen, der große Nutzen der Philosophie bestehe darin, sterben zu lernen. Ich will die meinige also nicht so tief heruntersetzen und darüber betroffen zu sein scheinen, wenn ich eine Lektion erhalte, die ich, Aller Meinung nach, so lange schon studiert haben muß. Jedoch, die Wahrheit zu sagen, lehrt eine Seite aus der christlichen Religion diese Lektion besser, als alle Folianten der ältern und neuern Philosophie. Die Zusicherung, welche das Evangelium uns von einem andern Leben gibt, ist einem guten Gemüte eine viel stärkere Stütze, als alle die Trostgründe, hergenommen von der Notwendigkeit zu sterben; von der Leerheit oder Sättigung im Genuß aller Dinge auf Erden; oder, was der Texte zu allen diesen Deklamationen mehr sein mögen, welche zuweilen vermögend sind, unsre Gemüter mit einer sinnlosen Geduld zu bewaffnen, um die Gedanken an den Tod zu ertragen, aber niemals hinreichen, den Tod selbst nur wirklich verachten, und viel weniger ihn als ein wahres Gut betrachten zu können. Ich wünsche nicht, daß Sie mich hier so verstehen möchten, als wollt' ich allen denjenigen, welche sich Philosophen nennen, den scheußlichen Vorwurf machen, als wären sie Atheisten oder als leugneten sie geradezu die Unsterblichkeit der Seele. Viele der philosophischen Sekten, sowohl der alten als der neuern, haben aus dem Lichte der Natur eine Hoffnung auf ein künftiges Leben geschöpft; aber in der That war dieses Licht so dunkel und schwach, und die Hoffnungen waren so ungewiß und schwankend, daß man mit Recht zweifeln darf, auf welche Seite ihr Glaube sich neigte. Selbst Plato schließt seinen[258] Phädon damit, daß er erklärt, seine stärksten Gründe gäben höchstens nur eine Wahrscheinlichkeit; und selbst Cicero läßt mehr eine Neigung blicken, daß er die Lehre von der Unsterblichkeit glauben möchte, als eine Ueberzeugung, daß er sie glaube. Was mich anbetrifft, um ganz offenherzig gegen Sie herauszugehen, so ist mirs mit diesem Glauben nie ein Ernst gewesen, bis ich im Ernst ein Christ geworden bin.

Sie wundern sich vielleicht über diesen letzten Ausdruck! Aber ich versichere Sie, es ist nur erst seit ganz kurzem, daß ich mich mit Wahrheit so nennen kann. Der Stolz der Philosophie hatte meine Vernunft berauscht, und die erhabenste Weisheit kam mir vor, wie ehemals den alten Griechen, als eine Thorheit. Indessen ist Gott so gnädig gewesen, mich meinen Irrtum noch zu rechter Zeit einsehen zu lassen und mich auf den Weg der Wahrheit zu leiten, ehe ich in den Abgrund der Finsternis hinunter sank.

Ich finde, daß meine Kräfte merklich abnehmen: ich will also eilen, auf den Hauptzweck meines Briefs zu kommen.

Wenn ich die Handlungen meines vergangenen Lebens überdenke, so find' ich nichts, das mir so schwer auf dem Gewissen läge, als die Ungerechtigkeit, deren ich mich gegen das arme Unglückskind, Ihren angenommenen Sohn, schuldig gemacht habe. Ich habe wirklich nicht nur zu der Bosheit anderer geschwiegen, sondern hab' ihn selbst thätig mit verfolgt. Glauben Sie mir, teuerster Freund, wenn ich Ihnen auf das Wort eines Sterbenden sage, man hat ihn sehr niederträchtiger Weise verleumdet. Was das Hauptfaktum betrifft, auf dessen fälschliche Vorstellung Sie ihn aus dem Hause gestoßen haben, so versichere ich Sie aufs feierlichste, er ist desselben nicht schuldig. Damals, als Sie nach unsrer Meinung auf dem Sterbebette lagen, war er der einzige Mensch im Hause, der eine wahre Betrübnis fühlte; und was sich darauf mit ihm zutrug, entsprang aus der ausgelassenen Freude über Ihre Genesung, und, ich sag' es ungern, aus der Niederträchtigkeit einer andern Person – doch meine Absicht ist nur, den Unschuldigen zu rechtfertigen, und nicht, jemand anzuklagen. Glauben Sie mir, mein Freund, dieser Jüngling besitzt die edelste Großmut des Herzens, die vollkommenste Fähigkeit zur Freundschaft, die unverbrüchlichste Redlichkeit, und in der That jede Tugend, die einen Mann wirklich adeln kann. Er hat seine Fehler, darunter aber kann man gewiß keinen Mangel pflichtvoller Anhänglichkeit oder Dankbarkeit gegen Sie rechnen. Im Gegenteile weiß ich gewiß, daß, als Sie ihn aus Ihrem Hause entließen, sein Herz mehr für Sie blutete, als für sich selbst.

Eigennützige Absichten waren die niedrigen schändlichen Ursachen, warum ich Ihnen dieses so lange verhehlte; und jetzt kann ich keine andern Gründe haben, es zu entdecken, als das Verlangen, der Wahrheit einen Dienst zu leisten, der Unschuld zu ihrem Recht zu helfen, und was ich vormals Uebels gestiftet, so viel in meinem Vermögen steht, wieder gut zu machen. Ich hoffe daher, diese Erklärung werde die gewünschte Wirkung thun und diesem verdienstvollen Jüngling Ihre Liebe und Gewogenheit wieder erwerben. Dieses [259] noch bei meinem Leben zu erfahren, würde ein höchst erquickender Trost sein für

Ihren höchst verbundenen,

gehorsamst ergebenen Diener

Thomas Quadrat.«


Nach diesem Briefe wird sich der Leser kaum wundern, daß Herr Alwerth so sichtbarlich verändert schien, ob er gleich mit derselben Post einen andern Brief ganz verschiedener Art von Herrn Schwöger erhalten hatte, welchen wir hier beifügen wollen, weil es vielleicht das letztemal ist, daß wir Gelegenheit haben, den Namen dieses geistlichen Herrn zu nennen.


»Hochzuehrender Herr Kirchenpatron!


Es wundert mich ganz und gar nicht, daß ich durch Ihren würdigen Herrn Neffen abermalige Beweise von der Ruchlosigkeit des Schülers von Herrn Quadrat, dem heillosen Atheisten, habe vernehmen müssen. Ich werde mich über keine Mordthat wundern, die er ausüben wird, und flehe nur zum Himmel, daß nur Ihr eigenes Blut nicht noch sein Endurteil besiegle, welches ihn hin an den Ort verdammen wird, wo ewiges Heulen ist und Zähneklappern.

Ob es Ihnen wohl ohnedem nicht an hinlänglichen Erweckungen fehlen kann, um die manchen Schwachheiten zu bereuen, wovon Sie, in Ihrem Betragen gegen diesen Verworfenen, Beispiele gegeben, und dadurch sich selbst, Ihrem Charakter und Ihren wahren Anverwandten Nachteil und Schaden genug zugefügt haben – ob dieses alles gleich, sag' ich, allem Vermuten nach, Ihr Gewissen hinlänglich beißen und brennen mag: so würde ich dennoch eine meiner heiligsten Pflichten versäumen, wenn ich es unterließe, Ihnen einige Lehren und Warnungen zu erteilen, die Sie zu einem bußfertigen Gefühle Ihrer begangenen Irrtümer erwecken können. Ich ermahne Sie also im Namen des Herrn, erwägen Sie wohl die schweren Gerichte, welche über dem Haupte des gottlosen Mörders schweben und nicht unterlassen werden, ihn zu treffen, und lassen Sie sich solche selbst wenigstens eine Warnung sein, damit Sie hinfüro nicht den Rat eines treuen Knechts des Herrn für gering achten, welcher Tag und Nacht anhält im Gebete für Ihr ewiges Wohlergehn.

Wäre nicht meiner Hand Einhalt gethan worden, die Zuchtrute gehörig zu führen, so hätt' ich vieles von diesem Geiste der Finsternis aus einem Knaben vertrieben, an dem ichs in seiner frühesten Kindheit bemerkt, daß der Teufel bereits völlig von ihm Besitz genommen hatte; aber, leider! kommen dergleichen Betrachtungen zu spät.

Es kann mir nicht anders als leid thun, daß Sie die einträgliche Pfarre zu Westerton so eilig vergeben haben. Ich würde mich dazu früher gemeldet haben, hätte ich nicht gedacht, Sie würden mich bei Besetzung dieser Stelle wohl wenigstens vorher um Rat fragen. Ihre Einwendungen wider die Gewohnheit, daß ein Prediger mehr als Eine Pfarre besorgt, fallen unter den Spruch Salomons: Seid nicht allzu gerecht. Denn wenn bei dieser Gewohnheit irgend etwas Anstößiges oder Ungerechtes wäre, so würde man nicht so [260] viele fromme und gottselige Diener der heiligen Kirche finden, welche das Seelenheil von mehr als Einem Kirchspiele besorgen. Sollte der Prediger zu Aldergrove sterben (wie ich höre, daß er sehr kränklich ist), so hoffe ich, Sie werden die Güte haben, bei Vergebung dieser Stelle meiner im besten eingedenk zu sein; denn ich zweifle keineswegs, Sie müssen von meiner aufrichtigen, treuen Ergebenheit überzeugt sein, womit ich für Ihre höchste Wohlfahrt besorgt bin, eine Wohlfahrt, gegen welche alles Irdische ebenso geringfügig ist als die Korn- und Fleischzehnten, deren die heilige Schrift erwähnt, gegen die Erfüllung des ganzen Gesetzes sind. Ich habe die Ehre zu verharren meines hochgeehrten Herrn Kirchenpatrons dienstwilliger Diener und getreuer Fürbitter

Melchior Schwoger.«


Dies war das erste Mal, daß Ehren Schwöger jemals in diesem Hochwürdenstile an Herrn Alwerth schrieb, und er hatte nachmals hinlängliche Ursache es zu bereuen, wie es gewöhnlich denjenigen zu gehen pflegt, welche irrigerweise den höchsten Grad von Güte für die niedrigste Stufe von Schwachheit halten. In der That hatte Herr Alwerth diesen Mann niemals so recht genießen können. Er wußte, daß er stolz und tückisch wäre; er sah auch wohl ein, daß selbst seine Theologie einen Anstrich von seiner Gemütsart angenommen hatte, weswegen er solche in verschiednen Rücksichten gar nicht annehmen oder billigen konnte. Aber Schwöger besaß zugleich manche gründliche Gelehrsamkeit und war im Unterricht der beiden Knaben unermüdet gewesen. Hierzu setze man noch die strengste Zucht in seinem Leben und in seinen Sitten, eine unverdächtige Ehrlichkeit und eine andächtige Uebung seines Gottesdienstes. So daß, obwohl, im ganzen genommen, Herr Alwerth diesen Mann weder liebte noch hochschätzte, er sich doch niemals entschließen konnte, einen Informator der beiden Knaben abzuschaffen, der zu diesem Amte sowohl in Rücksicht auf seine Gelehrsamkeit als auf seinen Fleiß mehr als gewöhnlich geschickt war. Dabei hoffte er, weil sie in seinem Hause und unter seinen Augen erzogen würden, allemal die Gelegenheit zu finden, das zu verbessern, was in Herrn Schwögers Erziehung etwa verschroben sein möchte.

Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel.

In welchem die Geschichte fortgesetzt wird.


Herr Alwerth war in seiner letzten Rede auf gewisse zärtliche Erinnerungen an Herrn Jones geführt, welche dem guten Manne die Thränen in die Augen gebracht hatten. Da dies Madame Miller bemerkte, sagte sie: »Ach, ja freilich, Herr von Alwerth! Ihr liebreiches Herz gegen den armen jungen Mann ist bekannt genug, ungeachtet aller Mühe, die Sie sich geben, es zu verhehlen. Aber es ist nicht ein einziges wahres Wort an dem, was diese gottlosen Buben sagen. Herr Nachtigall ist der ganzen gottlosen Geschichte auf die Spur gekommen. Es kommt heraus, daß diese Kerle von [261] einem gewissen Grafen, welcher des armen Herrn Jones Nebenbuhler ist, angestellt waren, um ihn mit Gewalt zum Seesoldaten wegzunehmen. Aber ich hoffe, das gewaltsame Werben soll ihm teuer zu stehn kommen! Mein Herr Sohn Nachtigall hat mit dem Offizier selbst gesprochen, der ein recht feiner Mann ist und ihm alles gesagt hat und dem es sehr leid thut, was er unternommen hat, und er würde es in seinem Leben auch nicht gethan haben, wenn er gewußt hätte, daß Herr Jones ein rechtlicher, feiner Mann wäre; aber man hatte ihm gesagt, es wäre bloß ein Taugenichts und Landstreicher.«

Herr Alwerth ward über dies alles sehr stutzig und versicherte, er begreife von allem, was sie sagte, kein Wort. »Ja, lieber Herr von Alwerth, das glaube ich wohl!« antwortete sie, »es ist auch eine ganz andre Historie, glaube ich, als wie diese Kerle dem Herrn Advokaten erzählten.«

»Was für einem Advokaten, Madame? Was wollen Sie damit sagen?« sagte Alwerth. – »Ja, ja,« sagte sie, »das sieht Ihnen einmal wieder so recht ähnlich, daß Sie Ihre eigne Wohlthätigkeit verleugnen wollen; aber mein Sohn Nachtigall hat ihn wohl gesehn.« – »Gesehn? wen, Madame?« antwortete er. – »Je nun, Ihren Advokaten, oder Ihren Herrn Anwalt,« sagte sie, »den Sie so großmütig waren hinzuschicken, um sich nach der Sache zu erkundigen.« – »Noch wird mir nichts deutlicher, auf meine Ehre!« sagte Alwerth. – »Nun, so erzählen Sie's doch selbst, mein lieber Herr Sohn,« schrie sie. »In der That, Herr von Alwerth,« sagte Nachtigall, »ich habe eben diesen Ihren Anwalt, der den Augenblick von Ihnen wegging, als ich in's Zimmer trat, in einem Bierkeller in der Aldersgatestraße gesehn, wo er mit zweien von den Kerlen sprach, die der Graf Liebegrimm angestellt hatte, den Herrn Jones mit Gewalt zum Seesoldaten wegzunehmen, und welche eben dadurch bei dem unglücklichen Renkontre zwischen ihm und Herrn Fitz Patrick zugegen waren.« – »Ich gestehe es Ihnen, liebster Herr von Alwerth,« sagte Madame Miller, »daß ich, weil ich diesen Herrn Anwalt zu Ihnen aufs Zimmer kommen sah, meinem Herrn Sohn gesagt habe, wie ich vermutete, daß Sie ihn hingeschickt hätten, um sich nach der Sache genau zu erkundigen.« Herr Alwerth ließ bei dieser Neuigkeit in seinen Mienen Zeichen des größten Erstaunens blicken und war darüber wirklich zwei bis drei Minuten völlig stumm. Endlich wendete er sich gegen Herrn Nachtigall und sagte: »Ich muß Ihnen bekennen, Herr Nachtigall, daß ich über das, was Sie mir da sagen, mehr verwundert bin, als über irgend etwas bisher in meinem ganzen Leben. Sind Sie recht gewiß, daß es wirklich dieser mein Anwalt war?«

»So gewiß, als ich es nur von etwas sein kann,« antwortete Nachtigall. »In der Aldersgatestraße?« rief Alwerth. »Und waren Sie wirklich in der Gesellschaft dieses Prokurators und der beiden Werber?« – »Ja, Herr von Alwerth!« sagte der andre, »und zwar beinahe eine halbe Stunde hindurch.« – »Gut, mein lieber Freund!« sagte Alwerth, »und wie betrug sich der Prokurator dabei? Hörten [262] Sie alles, was unter ihm und den beiden Kerlen gesprochen wurde?« – »Nein, mein Herr!« antwortete Nachtigall, »ich kam erst dazu, als sie schon bei einander saßen. So lange ich da war, sprach der Advokat nur wenig; als ich aber die Kerle verschiedenemal examiniert hatte, welche auf einer Erzählung beharrten, die demjenigen gerade entgegenstand, was ich von Herrn Jones gehört hatte und welches, wie ich hernach durch Herrn Fitz Patrick erfahren habe, eine offenbare Falschheit war, so ermahnte der Advokat die Kerle, sie sollten ja nichts anders sagen als die lautre Wahrheit, und schien so sehr zum besten des Herrn Jones zu sprechen, daß ich, als ich hernach dieselbe Person bei Ihnen sah, daraus schloß, Sie hätten sich durch Ihre Güte antreiben lassen, ihn dahin zu schicken.« – »Nun, schickten Sie ihn denn nicht wirklich hin?« sagte Madame Miller. – »Nein, in Wahrheit nicht!« antwortete Herr Alwerth. »Ich wußte auch nicht, daß er einen solchen Auftrag ausgerichtet hatte, und erfahre es erst diesen Augenblick.« – »Ich sehe schon alles, was dahinter steckt!« sagte Madame Miller. »So wahr ich das Leben habe, ich sehe es schon! Kein Wunder, daß sie die Köpfe so dicht zusammengesteckt haben. Ich bitte Sie, liebster Herr Sohn, laufen Sie doch den Augenblick hin nach den Kerlen. Machen Sie sie ausfindig, wenn sie noch über dem Erdboden sind. Ich will selbst hinlaufen.« – »Liebste Madame Miller,« sagte Alwerth, »gedulden Sie sich und thun Sie mir den Gefallen und schicken Sie einen Bedienten hinauf, den Herrn Dowling herunter zu bitten, wenn er im Hause ist, wo nicht, so soll Blifil kommen.« Madame Miller ging hinweg, murmelte etwas zwischen den Zähnen und kam sogleich zurück mit der Antwort: Herr Dowling sei weggegangen, der andre (wie sie ihn nannte) würde aber gleich kommen.

Herr Alwerth war bei kälterm Blute als diese gute Frau, deren Gedanken alle im Aufruhr und zur Verteidigung des Herrn Jones im Gewehr standen. Unterdessen war er doch nicht ohne einigen Argwohn, welcher dem ihrigen ziemlich nahe kam. Als Blifil ins Zimmer trat, fragte er ihn mit sehr ernsthaftem Gesichte und mit einem weniger freundlichen Blicke, als derselbe je vorher an ihm gesehn hatte: »Ob er etwas davon wisse, daß Herr Dowling mit einer oder der andern von denjenigen Personen gesprochen hätte, die bei dem Duell zwischen Jones und einem andern Herrn zugegen gewesen?«

Nichts ist so gefährlich als eine überraschende Frage an einen Menschen, der drauf umgeht, die Wahrheit zu verhehlen oder eine Falschheit zu verteidigen. Aus dieser Ursache geben sich die würdigen Männer, deren edles Geschäft es ist, das Leben ihrer Brüder und Nebenmenschen im großen Kriminalverhör von der Strafe des Strangs zu retten, durch fleißige vorläufige Uebungen im Examinieren die äußerste Mühe, eine jede Frage zu erraten, welche am Tage des ernsten Gerichts an ihre Klienten ergehen dürfte, damit sie auf solche diensame und gleichfertige Antworten vorbereitet sein mögen, welche ohne diese Vorsicht die fruchtbarste Erfindungskraft nicht sogleich auf der Stelle an die Hand geben möchte. Ueberdem verursacht der [263] plötzliche und heftige Stoß im Blute, der durch solche Ueberraschung entsteht, sehr oft eine solche Veränderung in der Farbe des Gesichts, daß der Mensch oft gezwungen wird, wider sich selbst zu zeugen. Und von dieser Beschaffenheit war wirklich die Veränderung, welche Herrn Blifils Gesichtsfarbe durch diese unerwartete Frage erlitt, so daß wir die Voreiligkeit der Madame Miller kaum tadeln können, welche augenblicklich ausrief: »Schuldig auf meine Ehre! schuldig auf meine Seele!«

Wegen dieses Ungestüms gab ihr Herr Alwerth einen scharfen Verweis und darauf, indem er sich gegen Blifil wendete, der so aussah, als ob er in die Erde versinken wollte, sagte er: »Warum besinnst du dich lange, mir eine Antwort zu geben? Du mußt es ihm gewiß aufgetragen haben! Denn aus eigner freier Bewegung, glaube ich, würde er ein solches Geschäft nicht unternommen haben. Zum wenigsten nicht, ohne mir vorher ein Wort davon zu sagen.«

Blifil antwortete darauf: »Ich bekenne, lieber Onkel, ich habe einen Fehler begangen, aber ich hoffe auf Ihre Verzeihung!« – »Meine Verzeihung?« sagte Herr Alwerth sehr entrüstet. – »O ja, lieber Herr Onkel!« antwortete Blifil. »Ich dachte, Sie würden es übelnehmen; aber ich weiß, mein teuerster Onkel wer den die Wirkungen der liebenswürdigsten unter den menschlichen Schwachheiten verzeihen. Mitleiden mit solchen Menschen haben, die es nicht verdienen, ist freilich, ich gestehe es, ein Vergehen, und dennoch ist es ein Vergehen, von dem Sie selbst noch nicht ganz frei sind. Ich weiß es, daß ich mir dasselbe mehr als einmal gegen die nämliche Person habe zu schulden kommen lassen, und ich will es nur gestehen, ich war es, der Herrn Dowling hinschickte, nicht aus eitler unnützer Neugier, sondern um die Zeugen ausfindig zu machen und sich Mühe zu geben, ihr Zeugniß aufs möglichste zu mildern. Dies, lieber Herr Onkel, ist die Wahrheit, die ich Ihnen nicht leugnen will, ob ich gleich willens war, es Ihnen zu verhehlen.«

»Ich bekenne,« sagte Nachtigall, »daß es mir nach dem Betragen des Herrn Dowling ebenso vorgekommen ist.«

»Nun, Madame!« sagte Alwerth, »ich glaube, Sie werden in Ihrem Leben einmal gestehen, daß Sie einen falschen Argwohn geschöpft haben und daß Sie meinem Neffen nicht mehr so böse sind, als Sie waren.«

Madame Miller schwieg still, denn ob sie gleich Herrn Blifil nicht so schnell wieder gut werden konnte, weil sie ihn als den Mann ansah, der ihren Jones zu Grunde gerichtet hätte, so hatte er sie doch in der vorliegenden Sache ebensogut hintergangen als alle übrigen; so treufleißigen Beistand hatte ihm der Teufel geleistet! Und in der That halte ich dafür, daß das pöbelhafte Sprichwort: »der Teufel kehrt oft seinen Freunden den Rücken zu und läßt sie in der Patsche stecken« eine Verleumdung des Charakters dieses Herrn mit dem Pferdefuß sei. Vielleicht mag er zuweilen bei solchen Menschen nicht durchaus stichhalten, welche bloß seine guten Zechbrüder oder höchstens nur halb sein Eigentum sind; aber gewöhnlich hält er bei denen steif und fest bis ans Ende, die sich seinem Dienste ganz ergeben [264] haben, und ihnen hilft er aus allen ihren Verlegenheiten, bis der Kontrakt abläuft.

Sowie eine gedämpfte Rebellion die Regierung befestigt, oder wie die Gesundheit durch die Genesung von einer Krankheit dauerhafter wird, so gibt auch der Zorn, wenn er aus dem Wege geräumt worden, dem Wohlwollen neues Leben. Dies war der Fall mit Herrn Alwerth; denn nachdem Blifil den größern Verdacht niedergeschlagen hatte, so sank der kleinere, durch Quadrats Brief erregte, von selbst mit zu Boden, und Schwöger, auf den er äußerst unwillig war, mußte die ganze Last von dem, was Quadrat in allgemeinen Ausdrücken von Jones' Feinden gesagt hatte, allein tragen.

Was den Herrn Neffen betraf, so fing Alwerths Unwille über ihn nach und nach an, sich zu legen. Er sagte zu Blifil, er wollte ihm nicht nur die außerordentliche Betrübnis seines guten Herzens verzeihen, sondern ihm auch das Vergnügen machen, seinem Beispiele zu folgen. Drauf wandte er sich gegen Madame Miller und sagte zu ihr mit einem Lächeln, das einem Engel hübsch gelassen haben würde: »Wie wär's, Madame, wenn wir einen Mietwagen kommen ließen, setzten uns alle hinein und machten Ihrem Freunde einen Besuch? – Glauben Sie nur, der erste Besuch wäre es nicht, den ich in einem Gefängnis machte!«

Ein jeglicher Leser, glaube ich, wird im stande sein, für die würdige Frau zu antworten; wer aber das fühlen kann, was sie bei dieser Gelegenheit fühlte, der muß gewiß nicht wenig Gutmütigkeit besitzen und mit dem, was Freundschaft heißt, sehr vertraut sein. Wenige, hoffe ich, sind vermögend, das zu fühlen, was jetzt in Blifils Seele vorging. Diejenigen aber, die diese Fähigkeit haben, werden gestehn, daß es ihm nicht möglich war, gegen diesen Besuch eine Einwendung zu finden. Das Glück aber, oder der obgedachte Herr von Urian, sprang hier in die Bucht, und half ihm ab von dieser Sandbank. Denn in eben dem Augenblicke, da nach dem Wagen geschickt wurde, langte Rebhuhn an, und nachdem er Madame Miller herausrufen lassen, erzählte er ihr den erschrecklichen Umstand, der erst kürzlich ans Licht gekommen war, und da er Herrn Alwerths Vorhaben erfuhr, bat er, sie möchte doch ein Mittel aussinnen, ihn davon abzuhalten. »Denn,« sagte er, »vor ihm muß es geheim bleiben, es gehe auch wie es wolle; und wenn er jetzund hinkäme, so fände er Herrn Jones und seine Mutter (welche eben hinkam, als ich ihn verließ), die gegen einander die abscheuliche Blutschande bejammern, welche sie unwissenderweise begangen haben.«

Die arme Frau, welche über diese Nachricht so erschrak, daß sie fast darüber von Sinnen kam, war in ihrem Leben nicht weniger aufgelegt gewesen, etwas zu erfinden, als eben jetzt. Gleichwohl sind die Weiber mit solchen Erfindungen eher fertig als die Männer. Sie besann sich also auf einen Vorwand und sagte: »Sie werden sich gewiß wundern, Herr von Alwerth, wenn Sie hören, daß gerade ich gegen Ihr so gütiges Vorhaben, das sie eben geäußert, etwas einzuwenden habe, und dennoch ist mir vor den Folgen angst, die es haben kann, wenn Sie es sogleich ausführen wollten. Sie können [265] sich leicht vorstellen, liebster Herr von Alwerth, daß der Jammer und die Not, welche der junge Mann seit kurzem erlitten hat, sein Gemüt äußerst niedergeschlagen und geschwächt haben müssen. Wenn wir nun alle hinkämen und überfielen ihn, ohne alle Vorbereitung, mit einer so heftigen Freude, die ihm wie ich weiß, Ihr Besuch verursachen wird, so fürchte ich, daß es ihm einen schlimmen Unfall zuziehen möchte; zumal mir sein Bedienter, der eben draußen ist, sagt, daß er sich gar nicht wohl befinde.«

»Ist sein Bedienter draußen?« rief Alwerth, »o, ich bitte, lassen Sie ihn hereinkommen; ich will ihm einige Fragen über seinen Herrn thun.«

Rebhuhn fürchtete sich anfangs vor Herrn Alwerth zu erscheinen, ließ sich aber endlich überreden, nachdem Madame Miller, die seine ganze Geschichte mehr als einmal aus seinem eignen Munde gehört hatte, ihm versprach, daß sie ihn einführen wollte.

Alwerth erinnerte sich des Rebhuhns den Augenblick, da er ins Zimmer trat; obgleich manches Jahr verflossen war, seitdem er ihn gesehn hatte. Madame Miller hätte also füglich ihre feierliche Einführungsrede sparen können, in welcher sie fast ein wenig wortreich war. Denn der Leser, glaube ich, wird schon die Bemerkung gemacht haben, daß die brave Frau, unter andern Gaben zum Dienste ihrer Freunde, auch eine allzeitfertige Zunge besaß.

»Er ist also,« sagte Herr Alwerth zu Rebhuhn, »der Bediente des Herrn Jones?« – »Ich kann eben nicht sagen,« antwortete er, »daß ich sein ordentlicher Bedienter wäre; aber ich bin, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, jetzund so bei ihm. Non sum qualis eram, wie Euer Gnaden wohl wissen.«

Herr Alwerth fragte ihn hierauf allerlei, den Herrn Jones betreffend; zum Beispiel, nach seinem Befinden und dergleichen, welches alles Rebhuhn beantwortete, ohne im geringsten darauf zu achten, wie die Beschaffenheit der Sachen war, sondern, wie er wollte, daß sie scheinen sollten. Denn eine unverbrüchliche Anhänglichkeit an Wahrheit gehörte eben nicht unter die Artikel der Religion oder der Moral dieses ehrlichen Kerls.

Während dieser Unterredung empfahl sich Herr Nachtigall, und bald darauf verließ Madame Miller das Zimmer, da dann Alwerth seinen Neffen ebenfalls beurlaubte. Denn er meinte, Rebhuhn würde, wenn er sich mit ihm allein befände, unbefangener herausgehn, als vor größerer Gesellschaft. Sie befanden sich also nicht sobald unter vier Augen, als Herr Alwerth anhob, wie das folgende Kapitel besagt.

Sechstes Kapitel
Sechstes Kapitel.

In welchem die Geschichte fortgesetzt wird.


»In Wahrheit, guter Freund,« sagte der gute Mann, »Er ist der seltsamste Mensch, den ich auf der Welt kenne. Nicht nur, daß Er, wie es Ihm ehemals ergangen, wegen seiner steifköpfigen Beharrlichkeit [266] auf einer Unwahrheit, Not und Leiden über sich ergehen läßt, sondern daß Er noch bis auf den letzten Punkt darauf besteht und von der Welt für den Bedienten Seines eigenen Sohnes passieren will! Was für Nutzen kann Er bei alledem haben? Was kann Ihn hierzu antreiben?«

»Ich sehe,« sagte Rebhuhn, wobei er auf die Kniee fiel, »Ewr. Gnaden sind gegen mich eingenommen, und sind entschlossen, mir nichts von alledem zu glauben, was ich sage; was hülfen also alle meine Beteurungen? Aber, da droben ist einer, der es weiß, daß ich der Vater dieses jungen Mannes nicht bin.«

»Wie?« sagte Alwerth, »will Er noch diesen Augenblick das leugnen, dessen Er vorlängst durch so unwidersprechliche, so offenbare Beweise überführt worden ist? Ja, welch eine Bestätigung alles dessen, was vor zwanzig Jahren wider Ihn sprach, ist nicht dieser Umstand, daß Er jetzt sich grade bei eben dem Manne befindet? Ich dachte, Er hätte die Grafschaft verlassen; ja, ich hielt Ihn längst schon für tot. – – Wie gelangte Er dazu, etwas von diesem jungen Menschen zu erfahren? Wie kam Er zu ihm, wenn Er gar kein Verständnis mit ihm unterhielt? Leugne Er mir das nicht; denn ich gebe Ihm mein Wort, es wird meine gute Meinung von Seinem Sohne um ein Großes erhöhen, wenn ich finde, daß er die kindliche Pflicht so heilig hält, seinen Vater so manche Jahre hindurch insgeheim zu unterstützen.«

»Wenn Ewr. Gnaden Geduld haben wollen, mich anzuhören,« sagte Rebhuhn, »so will ich Ihnen alles erzählen.« – – Nachdem er Befehl erhalten hatte, zu reden, fuhr er folgendermaßen fort: »Als Ewr. Gnaden den damaligen Unwillen auf mich warfen, richtete er mich bald darauf zu Grunde, denn ich büßte meine kleine Schule ein und der Pfarrer, welcher, wie ich glaube, dafür hielt, 's würde Ewr. Gnaden damit ein Gefallen geschehn, setzte mich auch ab von meiner Stelle als Küster, so daß ich weiter nichts hatte, womit ich mein Brot verdienen sollte, als meine Barbierstube, die aber an einem Orte auf dem Lande, wie jener ist, nur sehr wenig abwirft; und als meine Frau starb (denn bis dahin bekam ich jährlich zwölf Pfund Sterling Gnadengehalt von einer unbekannten Hand, welches wirklich, wie ich glaube, Ewr. Gnaden eigne Hand war, denn ich habe außer Ihnen noch von keinem Menschen gehört, der solche Wohlthaten ausübte), aber, wie ich sagen wollte – als sie starb, hörte dieser Gnadengehalt auf, so daß ich, weil ich zwei oder drei Menschen eine Kleinigkeit schuldig war, die mich stark zu drängen anfingen (besonders war darunter ein Posten, den der Advokat von fünf Thalern, durch die Gerichts- und Advokaten Gebühren, bis auf hundert und achtzig zu treiben wußte, und ich fand, daß mir alle Mittel meines Lebens Unterhalt zu verdienen, benommen waren, schnürte ich mein bißchen Armut in ein Bündel und machte mich auf und davon.«

»Der erste Ort, wo ich hinkam, war Salisbury, woselbst ich bei einem Rechtsgelehrten, und einem der besten Menschen, die ich noch gekannt habe, in Dienste gelangte; denn er war nicht nur sehr gütig [267] gegen mich, sondern ich weiß auch wohl tausend gute und wohlthätige Handlungen von ihm, unter der Zeit ich bei ihm war, und ich weiß von ihm, daß er manche Sache von der Hand gewiesen hat, weil er sie unrechtmäßig und faul befand.« – »Er braucht nun eben nicht so umständlich zu sein,« sagte Alwerth, »ich kenne diesen Gelehrten. Ich weiß, es ist ein sehr würdiger Mann, der seiner Profession Ehre macht.« – »Gut also, Ewr. Gnaden!« fuhr Rebhuhn fort. »Von hier begab ich mich nach Limmington, woselbst ich über drei Jahre bei einem andern Rechtsgelehrten Dienste hatte, der ebenfalls eine rechte gute Art von Mann, und dabei einer der lustigsten Gesellschafter von der Welt war. Nun gut, und nicht allzu gut! Als die drei Jahre um waren, legte ich eine kleine Schule an, und ich schien wieder in ein ganz gutes Gleis zu kommen, hätte sich nicht ein höchst unglücklicher Zufall dazwischen gelegt. Hier schaffte ich mir ein Ferkel an, und eines Tages wollte es das Unglück, daß es ausbrach und in einem Garten eines meiner Nachbarn, ein Spolium, wie sie's, glaube ich, nennen, anrichtete, der ein übermütiger, rachsüchtiger Mensch war, und einem gewissen Advokaten Namens – Namens – ja, ich kann nicht wieder auf den Namen kommen – aber kurz, dieser Advokat wirkte einen Befehl aus, daß ich vor'm Landgerichte erscheinen mußte. Und als ich davor erschien, ach, daß Gott im Himmel erbarme! was brachten da die Juristen nicht alles vor. Einer darunter sagte dem Landrichter eine Reihe der schändlichsten Lügen von mir, er sagte, es wäre so meine Art, meine Mastschweine in andrer Leute Gärten zu treiben, und noch viel mehr dergleichen; und endlich sagte er noch, er hoffte, ich sollte hier meine Trift Schweine auf den rechten Markt zu Kaufe gebracht haben. Ja fürwahr! man hätte denken sollen, daß ich einer der größten Schweineverkäufer im ganzen Lande gewesen wäre, da ich doch nur ein armes kleines Ferkel hatte, das ich mir so aus der Hand aufzufüttern dachte.« – »O, ich bitte Ihn,« sagte Alwerth, »sei Er nur nicht vollends so umständlich. Denn noch habe ich von Seinem Sohn kein Wort gehört.« – »Nun gut!« antwortete Rebhuhn, »aber es ging manches Jahr hin, ehe ich meinen Sohn zu sehen bekam, wie Ew. Gnaden ihn zu nennen belieben. – Nach diesem setzte ich nach Irland über und hielt zu Cork Schule (denn der einzige Ferkelprozeß richtete mich abermals zugrunde, und ich lag sieben Jahre im Winchester-Gefängnis),« – »Wohl,« sagte Alwerth, »lasse Er alles übrige, bis Er wieder nach England kam, vorbei.« – »Wenn Sie so befehlen!« sagte er, »so war's vor ungefähr einem halben Jahre, daß ich zu Bristol landete, wo ich ein Weilchen blieb; und da ich fand, daß es da nicht ginge, und von einem Orte zwischen dort und Gloucester hörte, wo der Barbier eben gestorben wäre, so ging ich dahin, und ich war da ungefähr zwei Monate gewesen, als Herr Jones hinkam.« Hier nun gab er Herrn Alwerth ausführliche Nachricht von ihrer ersten Zusammenkunft und, sogut er konnte, überhaupt von allem, was sich von da an bis auf den heutigen Tag zugetragen hatte; wobei er zum öftern in seine Erzählung Lobreden auf Herrn Jones einwebte und nicht vergaß, [268] die große Liebe und Achtung, die er für Herrn Alwerth hegte, durchscheinen zu lassen. Er schloß endlich seine Erzählung damit, daß er sagte: »Nun habe ich Ewr. Gnaden die ganze reine Wahrheit gesagt.« Und dann wiederholte er die feierlichste Beteurung: er sei so wenig Jones' Vater, als des Papstes zu Rom, und daß er sich die entsetzlichsten Verwünschungen auf den Hals ziehen wollte, wenn er nicht die Wahrheit sagte.

»Was soll ich von dieser Sache denken?« rief Alwerth, »denn was für einen Endzweck könnte Er haben, eine Sache zu leugnen, die Ihm nach meiner Meinung mehr Vorteil bringen würde, wenn Er sie gestünde?« – »Ja nun,« antwortete Rebhuhn (denn länger konnte er nicht an sich halten) »wenn Ewr. Gnaden mir keinen Glauben beimessen wollen, so können Sie wohl bald andre Ueberzeugung genug bekommen. Ich möchte wünschen, Sie hätten sich in Ansehung der Mutter dieses jungen Mannes ebensowohl geirrt, als Sie sich in Ansehung seines Vaters geirrt haben.« – Und als er hierauf gefragt ward, was er damit meine? erzählte er, mit allen Merkmalen des Grausens, sowohl in der Stimme als den Mienen, Herrn Alwerth die ganze Geschichte, die er noch kurz vorher Madame Miller so sehr gebeten hatte zu verschweigen.

Herr Alwerth entsetzte sich über diese Entdeckung fast ebensosehr, als Rebhuhn solche mit sichtlichem Grauen erzählte. – »Um Gotteswillen!« sagte er, »in was für kläglichen Jammer, Laster und Unvorsichtigkeit die Menschen sich verwickeln! Wie gehn doch die Wirkungen der Ausschweifungen soweit über den Vorsatz der Menschen hinaus!« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Madame Waters hastig und unangemeldet ins Zimmer kam. Rebhuhn sah sie nicht sobald, als er schon ausrief: »Hier, gnädger Herr, hier ist sie selbst, die Frau! dieß ist die unselige Mutter des Herrn Jones. Ich bin ganz sicher, sie wird mich vor Ewr. Gnaden freisprechen – Ich bitte, Madame, sprechen Sie! –«

Madame Waters, ohne im geringsten darauf zu achten, was Rebhuhn sagte, und fast ohne zu thun, als ob sie ihn sähe, ging auf Alwerth zu: »Ich glaube, Herr von Alwerth,« sagte sie, »es ist solange her, seitdem ich die Ehre gehabt habe Sie zu sehen, daß Sie sich meiner nicht mehr erinnern.« – »In der That, Madame,« antwortete Alwerth, »Sie haben sich in mancherlei Betracht so sehr verändert, daß ich mich Ihrer nicht so augenblicklich wieder erinnert haben würde, hätte mir dieser Mann hier nicht bereits gesagt, wer Sie sind. Haben Sie eine besondre Angelegenheit, Madame, weswegen Sie zu mir kommen?« – Herr Alwerth sprach dieses mit trockner Kälte; denn der Leser wird leicht glauben, daß er mit der Aufführung der Dame nicht sonderlich zufrieden gewesen sei, so wenig nach dem, was er vormals gehört, als nach dem, was er eben von Rebhuhn vernommen hatte.

Madame Waters antwortete: – »In der That, Herr von Alwerth, ich habe eine sehr geheime Angelegenheit bei Ihnen, und sie ist von der Beschaffenheit, daß ich solche niemanden außer Ihnen selbst anvertrauen kann. – Ich muß also um die Gewogenheit bitten, [269] ein Wort mit Ihnen allein zu sprechen; denn ich versichre Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, ist von der größten Wichtigkeit.«

Rebhuhn erhielt also Befehl sich zu entfernen, bevor er aber hinausging, bat er die Dame, Herrn Alwerth zu überzeugen, daß er völlig unschuldig wäre. Worauf sie antwortete: »Sein Sie unbesorgt, Herr Rebhuhn, ich werde Herrn von Alwerth über diesen Punkt nicht den geringsten Zweifel lassen.«

Hierauf begab sich Rebhuhn hinweg, und dasjenige was zwischen Herrn Alwerth und Madame Waters vorfiel, steht im nächsten Kapitel geschrieben.

Siebentes Kapitel
Siebentes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte.


Als Madame Waters noch einige Augenblicke schwieg, konnte Herr Alwerth nicht umhin, zu sagen: »Es thut mir leid, Madame, daß ich aus dem, was ich seitdem gehört habe, gewahr werden muß, wie Sie einen so schlechten Gebrauch von –« – »Teuerster Herr von Alwerth!« fiel sie ihm in die Rede »ich habe meine Fehler, und weiß es; aber Undankbarkeit gegen Sie ist nicht mit darunter. Ich habe und werde Ihre Güte nie vergessen, die ich freilich nicht sonderlich verdient habe. Indessen bitt' ich, geruhen Sie alle Vorwürfe, die Sie machen können, für jetzt noch aufzuschieben, weil ich Ihnen eine so wichtige Sache mitzutheilen habe, die den jungen Mann betrifft, dem Sie meinen Jungfernnamen Jones gegeben haben.« – »So hätte ich also wirklich unwissenderweise,« sagte Alwerth, »einen unschuldigen Menschen in der Person desjenigen bestraft, der eben das Zimmer verlassen hat? War er nicht der Vater des Kindes?« – »In Wahrheit, das war er nicht!« sagte Madame Waters. »Sie werden die Güte haben, sich zu erinnern, wie ich Ihnen damals sagte, Sie sollten es eines Tages erfahren; und ich erkenne mich einer grausamen Versäumnis schuldig, daß ich es Ihnen nicht schon längst entdeckt habe. – Aber, wie konnte ich denken, daß es so höchst notwendig wäre.« – »Recht wohl, Madame!« sagte Alwerth; »fahren Sie fort.« – »Sie müssen sich noch eines jungen Menschen Namens Sommer erinnern, Herr von Alwerth!« – »Sehr gut noch!« rief Alwerth. »Er war der Sohn eines Geistlichen von großer Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, zu dem ich eine herzliche Freundschaft trug.« – »Das haben Sie bewiesen, Herr von Alwerth,« sagte sie, »denn, ich glaube, Sie ließen den Jüngling erziehen, und unterhielten ihn auf der Universität; von da, wenn ich mich richtig erinnere, zog er zu Ihnen ins Haus. Einen feinern Mann, das muß ich sagen, hat die Sonne nie beschienen, denn er war nicht nur die schönste Mannsperson, die ich jemals gesehen habe, sondern auch äußerst artig, und hatte ungemein viel Witz und gute Lebensart.« – »Der arme liebe Mann!« sagte Herr Alwerth; »er ward wirklich frühzeitig hinweggerafft, und ich hätte mir es nicht träumen lassen, daß er eine Sünde von dieser [270] Art zu verantworten hätte; denn ich sehe deutlich genug, was Sie mir sagen wollen, daß er der Vater Ihres Kindes war.« »In Wahrheit, Herr von Alwerth, das war er nicht!« antwortete sie. »Wie?« sagte Alwerth, »wozu denn diese ganze Vorrede?« – »Zu einer Historie,« sagte sie, »von der mir es leid thut, daß mich das Los treffen muß, sie Ihnen zu erzählen. O, teuerster Herr von Alwerth, machen Sie sich gefaßt, etwas zu vernehmen, das Sie wundern und schmerzen wird.« – »Reden Sie,« sagte Alwerth; »ich bin mir keines Verbrechens bewußt und darf mich nicht fürchten, zu hören.« – »Dieser Sommer also,« sagte sie, »der Sohn Ihres Freundes, der auf Ihre Kosten erzogen worden, der, nachdem er ein Jahr in Ihrem Hause gewohnt, als ob er Ihr eigner Sohn gewesen wäre, der darin an den Blattern starb, den Sie so schmerzlich beklagten, und begraben ließen, als ob es Ihr eigner Sohn gewesen; dieser Sommer, Herr von Alwerth, war der Vater dieses Kindes.« – »Wie nun!« sagte Alwerth, »Sie widersprechen sich selbst!« – »Das thue ich nicht,« antwortete sie. »Er war in der That der Vater des Kindes, aber nicht durch mich.« – »Nehmen Sie sich in acht, Madame,« sagte Alwerth, »machen Sie sich nicht, um einen Verdacht von sich abzulehnen, dagegen einer andern Unwahrheit schuldig! Bedenken Sie, wir haben einen allwissenden Richter, vor dem Sie nichts verbergen können, und vor dessen Richterstuhle Falschheit nur Ihre Schuld vergrößern würde!« – »In der That, teuerster Herr,« sagte sie, »ich bin seine Mutter nicht, und möchte auch um die ganze Welt nicht wissen, daß ich's wäre!« – »Ich weiß Ihre Ursachen,« sagte Alwerth, »und ich werde mich ebenso freuen, als Sie selbst, es anders zu befinden! Indessen müssen Sie sich erinnern, daß Sie es vor mir bekannt haben.« – »Was und wie ich bekannte,« erwiderte sie, »war alles wahr; nämlich: daß diese Hände das Kind nach Ihrem Bette getragen, und es hineingelegt hatten, auf Befehl seiner Mutter; auf ihren Befehl hernach gestand ich's, und hielt mich durch ihre Großmut reichlich belohnt für beides, sowohl meine Verschwiegenheit, als für meinen Schimpf!« – »Wer in aller Welt war denn dieses Frauenzimmer?« sagte Alwerth, – »Ich zittere wirklich sie Ihnen zu nennen,« antwortete Madame Waters. – »Nach allen diesen Vorbereitungen muß ich schließen, daß sie mir verwandt war!« rief er. – »In der That, sehr nahe!« bei welchen Worten Alwerth erschrak und sie fortfuhr: »Sie hatten eine Schwester, Herr von Alwerth.« – »Eine Schwester!« wiederholte er und sah fast aus wie erstarrt. – »Bei allem was wahr ist im Himmel und auf Erden!« rief sie, »Ihre Schwester war die Mutter des Kindes, das Sie in Ihrem Bette fanden.« – »Kann es möglich sein,« stieß er aus, »gütiger Gott!« – »Haben Sie Geduld!« sagte Madame Waters, »und ich will Ihnen die ganze Geschichte entwickeln: Kurz darauf, als Sie nach London gereist waren, kam Ihr Fräulein Schwester eines Tages nach dem Hause meiner Mutter. Sie beliebte zu sagen, sie habe ein außerordentlich gutes Zeugniß von mir gehört, wegen meines Wissens und meines vorzüglichen Verstandes, [271] vor allen jungen Mädchen in der Gegend; so beliebte es ihr zu sagen. Sie verlangte darauf, ich sollte zu ihr kommen nach dem Herrenhause, woselbst sie mich, als ich ihr aufwartete, dazu brauchte, ihr vorzulesen. Sie bezeugte ein großes Wohlgefallen an meinem Lesen, bewies mir viele Güte und machte mir manches Präsent. Endlich begann sie mich über den Punkt der Verschwiegenheit zu erforschen; worüber ich ihr solche befriedigende Antworten erteilte, daß sie, nachdem sie ihr Zimmer verschlossen, mich in ihr Kabinet nahm, solche ebenfalls verschloß, und dann zu mir sagte: sie wolle mir einen überzeugenden Beweis von ihrem großen Vertrauen auf meine Ehrlichkeit geben; indem sie mir ein Geheimnis entdeckte, auf welchem ihre Ehre und folglich ihr Leben beruhte. Hier schwieg sie einige Minuten lang still, während welcher Zeit sie sich oft die Augen trocknete; und dann fragte sie mich, ob ich glaubte, daß man sich mit Sicherheit meiner Mutter anvertrauen könne? Ich antwortete, daß ich für ihre Treue mein Leben verbürgen wollte. Sie teilte mir hierauf das große Geheimnis mit, das in ihrem Busen arbeitete und welches ihr zu entdecken mehr Pein machte, als ihre nachherigen Geburtswehen. Es ward hierauf ausgemacht, daß bloß meine Mutter und ich bei ihrer Entbindung zugegen sein sollten, und Jungfer Wilkins wollte sie aus dem Wege schicken, welches dann auch dadurch geschah, daß sie nach der äußersten Grenze von Dorsetshire abgefertigt wurde, um über eine zu mietende Magd ein Zeugniß einzuholen; denn das Fräulein hatte ihr eigenes Stubenmädchen schon vor drei Monaten aus dem Dienste geschafft, während welcher Zeit ich ihre Stelle vertreten mußte, zur Probe, wie sie damals sagte, ob ich gleich, wie sie nachmals erklärte, zu solchen Verrichtungen nicht Geschick genug hätte. Dieses und dergleichen Dinge mehr, die sie von mir zu sagen pflegte, wurden deswegen ausgestreut, um allem Verdachte vorzubeugen, welchen die Jungfer Wilkins hernachmals schöpfen möchte, denn sie dachte, man würde niemals glauben, sie könne ein Mädchen vor den Kopf stoßen wollen, wenn sie ihm ein solches Geheimnis anvertraut hätte. Sie können leicht denken, Herr von Alwerth, daß ich für diese Herabwürdigungen ganz gut bezahlt ward; mit welcher Bezahlung ich dann, zumal da mir die wahren Ursachen davon entdeckt wurden, ganz wohl zufrieden war. In der That nahm sich das Fräulein mehr in acht vor der Jungfer Wilkins, als vor sonst jemanden; nicht, als ob sie diese Jungfer nicht hätte ganz gut leiden können, sondern, weil sie solche für unfähig hielt, ein Geheimnis zu verschweigen, besonders vor Ihnen, Herr von Alwerth. Denn ich habe das Fräulein Brigitta oft sagen gehört: wenn die Wilkins einen Mord begangen hätte, so glaubte sie, würde sie's Ihnen sagen. Endlich kam der erwartete Tag heran, und Jungfer Wilkins, die sich schon eine Woche reisefertig gehalten, aber immer unter einem oder dem andern Vorwande aufgehalten war, damit sie nicht zu früh wiederkommen möchte, wurde abgefertigt. Das Kind war dann bloß in meiner und meiner Mutter Beisein geboren und von meiner Mutter mit nach unserm Hause [272] genommen, wo es heimlich verborgen gehalten wurde, bis an den Abend, da Sie wieder kamen, da ich es, auf Geheiß des Fräuleins Brigitta, in Ihr Bette legen mußte, wo Sie es fanden. Und aller Verdacht ward hernach durch das künstliche Benehmen Ihres Fräuleins Schwester aus dem Wege geräumt; indem sie that, als ob sie dem Knaben nicht gut wäre, und daß es bloß aus Gefälligkeit gegen Sie geschähe, wenn sie ihn einigermaßen liebreich behandle.« Madame Waters bekräftigte hierauf die Wahrheit dieser Geschichte durch manche Beteurungen, und schloß damit, daß sie sagte: »Solchergestalt, mein hochgeehrtester Herr von Alwerth, habe ich Ihnen endlich einen Neffen entdeckt: denn ich weiß gewiß, Sie werden ihn inskünftige dafür erkennen, und ich zweifle nicht, er werde Ihnen unter dieser Benennung Ehre und Freude machen.« »Madame,« sagte Alwerth, »ich habe wohl nicht nötig Ihnen zu sagen, wie sehr ich über das, was Sie mir erzählt haben, erstaunt bin; und dennoch würden Sie so manche Umstände, um eine Unwahrheit wahrscheinlich zu machen, nicht haben zusammensetzen wollen, und auch nicht können. Ich gestehe, daß ich mich in Absicht auf diesen Sommer einiger Vorgänge erinnre, die mir die Meinung beibrachten, daß meine Schwester einige Neigung auf ihn geworfen hätte. Ich sagte ihr etwas davon: denn ich hatte eine solche Achtung für diesen jungen Mann, sowohl seiner selbst, als seines Vaters wegen, daß ich zu einer Verbindung unter ihnen gern meine Einwilligung gegeben hätte. Sie nahm mir aber meine Vermutung oder Verdacht, wie sie es nannte, so übel, daß ich hernach weiter nichts davon sprach. Gütiger Himmel! Jedoch, ohne Gottes Willen geschieht nichts! – Und bei alledem war es unverantwortlich von meiner Schwester gehandelt, daß sie dies Geheimnis mit sich aus der Welt nahm.« – »Ich kann Sie versichern, Herr von Alwerth,« sagte Madame Waters, »daß sie immer das Gegenteil willens gewesen ist, und mir oft gesagt hat, ihr Vorsatz sei, es Ihnen eines Tages zu entdecken. Sie sagte in der That, es freue sie herzlich, daß ihr Plan ihr so glücklich gelungen wäre und daß Sie von selbst ein solches Behagen an dem Kinde gefunden hätten, wodurch es bis dahin noch nicht nötig sei, eine ausdrückliche Entdeckung zu machen. O, teuerster Herr von Alwerth, hätte diese Dame es erlebt, zu sehen, wie dieser arme Jüngling, gleich einem Landstreicher, aus Ihrem Hause verstoßen wurde; oder hätte sie es sogar erlebt, zu hören, daß Sie selbst einen Advokaten dazu brauchten, ihn wegen einer Mordthat vor Gericht zu verfolgen, an der er unschuldig war! – Verzeihen Sie es mir, Herr von Alwerth, daß ich es sagen muß, es war ungütig. In der That, man muß Sie hintergangen haben mit falschen Nachrichten. Er hat das niemals um Sie verdient!« – »In der That, Madame,« sagte Alwerth, »Sie selbst sind mit einer falschen Nachricht von der Person hintergangen, die Ihnen so etwas von mir gesagt hat.« – »Ach lieber Herr von Alwerth,« sagte sie, »ich möchte mich gerne geirrt haben. Ich war auch nicht so kühn zu sagen, daß Sie Unrecht gethan hätten. Der Herr, welcher zu mir kam, trug auch auf dergleichen nicht an. [273] Er sagte bloß (weil er mich für die Ehefrau des Herrn Fitz Patrick hielt,) daß, wenn Herr Jones meinen Ehemann erstochen hätte, so sollte ich mit allem Gelde, das ich nötig hätte, um ihn vor Gericht zu verfolgen, von einem würdigen Herrn versehen werden, der, wie er sagte, recht gut wüßte, mit was für einem schändlichen Buben ich zu thun hätte. Eben von diesem Manne erfuhr ich es, wer Herr Jones wäre; und dieser Mann, dessen Name Dowling ist, sagt mir Herr Jones, sei Ihr Anwalt. Seinen Namen entdeckte ich durch einen sonderbaren Zufall, denn er selbst weigerte sich, ihn mir zu nennen. Aber Rebhuhn, der ihn in meiner Wohnung sah, als er zum zweitenmale hinkam, kannte ihn noch von Salisbury her.«

»Und sagte Ihnen dieser Herr Dowling,« fragte Alwerth mit großem Erstaunen in seinen Mienen, »daß ich zu dieser gerichtlichen Verfolgung behilflich sein wollte?« – »Nein!« erwiderte sie, »ich will ihn nicht mit Unrecht bezichten. Er sagte: mir sollte Beistand geleistet werden! Er nannte aber keinen Namen. Aber Sie werden mir verzeihn, Herr von Alwerth, wenn ich, den Umständen nach, dachte, es könne niemand anders sein.« – »In der That, Madame,« sagte Alwerth, »den Umständen nach bin ich nur zu gewiß überzeugt, es war ein andrer. Liebster Gott! durch was für wunderbare Wege zuweilen die schwärzeste, tiefversteckteste Bosheit ans Tageslicht kommen muß! Darf ich Sie bitten, Madame, hier so lange zu verweilen, bis die Person kommt, deren Sie erwähnt haben, denn ich erwarte den Mann alle Augenblicke; ja, vielleicht ist er gar schon im Hause.« Alwerth ging hierauf nach der Thüre, um einen Bedienten zu rufen, und eben trat herein, nicht Herr Dowling, sondern der Herr, der sich im nächsten Kapitel sehen lassen wird.

Achtes Kapitel
Achtes Kapitel.

Fernere Fortsetzung.


Der Herr, welcher jetzt hereintrat, war niemand anders als der Junker Western. Kaum ward er Herrn Alwerth ansichtig, als er, ohne die geringste Rücksicht auf Madame Waters' Gegenwart zu nehmen, auf folgende Weise herausbelferte: »'S'is 'ne rare Wirtschaft in mein'm Haus'! 'Ne charmante Katzenjagd ist's, der 'ch endlich auf die Spur kommen bin! Wer Satan wollt mit 'ner Tochter geplagt sein!« – »Was gibt's denn, Herr Nachbar?« sagte Alwerth. – »Was 's gibt? Gnug und satt und überlei!« antwortete Western. »Da dacht 'ch eb'n 's wär' all's weis' und wohl; ja sie hatt's so zu sag'n versprochen, sie wollt' thun, was 'ch hab'n wollt'; und wenn 'ch hoffte, 'ch hätt' weiter nichts zu thun, als zum Notarius schicken, und 'n Ehzärter aufsetzen, und damit Holla! Ja, was mein'n Sie, was sich ausg'funden hat? Daß die kleine Katze all' die ganze Weil' hindurch mir eitel Hok's Pok's vorgemacht hat, und immerweg Brief gewechselt, mit Ihrem vermaledeiten [274] Bankert da! Ma soeur Western, mit der 'ch mich über ihr gekrettelt hab', läßt mir's zu wissen thun, und 'ch gab Ordre, daß s' ihr die Taschen visentieren mußten, als sie lag und schlief, und da hab' ich's gekriegt, unterschrieben mit des Hurkinds eignen Namen! Ich ha' nicht d' Geduld gehabt, den Wischiwaschi halb zu lesen, denn 's länger als des Pfaffen Schickelmanns Predigten. Aberst das seh' ich ganz klar, 's geht all's auf Löffellei hinaus; und was sollt's auch sonst wohl sein? Ich hab' s'e wieder auf die Kammer gepackt, und morgen, sobald der Tag grauet, fort mit ihr, aufs Land! wenn sie sich nicht gleich will trauen lass'n; und dar soll sie leben bei Brod und Wasser, und nichts vor helfen; und je eh'r ein'r solchen Karnalje 's Herz platzt, je besser; 's ist nur der Teufel, daß 's viel zu zäh ist, glaub' ich. 'S wird noch lang gnug leb'n, mich ze plagen.« – »Herr Nachbar Western,« sagte Alwerth. »Sie wissen, ich habe immer dawider gesprochen, wenn von Gewalt die Rede gewesen ist, und Sie haben auch selbst Ihre Einwilligung gegeben, daß kein Zwang mehr gebraucht werden sollte.« – »Ei! ja wohl!« schrie er, »daß s'e gehorchen sollt' ohn' Zwang. Daß Dich alle Fierks und Doktor Faustens! soll ich nicht thun mit mein's Tochter, was ich will, wenn 'ch noch d'rzu nichts verlang', als ihr eigen bestes?« – »Wohl, Herr Nachbar,« sagte Alwerth, »wenn Sie es mir erlauben, so will ich es noch einmal über mich nehmen, mit dem lieben Fräulein ein vernünftiges Wort zu sprechen.« – »Wollen's?« fragte Western. »Nun sehn Sie, das is freundnachbarlich! Und wer weiß? richten Sie wohl mehr aus, als ich hab' thun könn'n bei ihr; denn, daß Sie's nur wissen, sie hält verteufelt große Stücke auf Sie!« – »Gut! gut! lieber Herr Nachbar,« sagte Alwerth; »wenn Sie nur hingehn wollen, und das Fräulein aus ihrer Gefangenschaft frei lassen, so will ich ihr in einer halben Stunde meine Aufwartung machen.« – »Ja! aber,« sagte Western, »was denn, wenn s' unter der Zeit mit'n d'rvon läuft? denn der Linksmacher Dowling sagt mir ja, daß keine Hoffnung mehr ist, daß den Kerl der Scharfrichter noch kriegt, weil der andre Mann noch lebt, und wieder besser werd'n will; und daß 'er meint, der Jon's wird all' Augenblick wieder loskommen.« – »Wie das?« sagte Alwerth, »haben Sie sich sein etwa bedient, um sich nach der Sache zu erkundigen, oder dabei sonst etwas zu thun?«

»Das hab' ich wohl bleiben lass'n!« antwortete Western. »Er sagt' mir's eb'n, eh' ich herging, aus frei'n Stücken.« – »Eben erst?« rief Alwerth; »wo sahen Sie ihn denn? Ich hätte Herrn Dowling notwendig zu sprechen.« – »Je nu! Sie könn'n gleich sprechen in mein'n Haus; denn da kommt 'n ganz Schlag Afkaten zusammen diesen Morgen übern' Hipetheke. Der ehrliche Karnalje von Nachtigall! Ich wollt', daß 'n der Satan 's Licht hielt! der wird mich, glaub ich, noch um 'n zwei oder drei tausend Pfund herum helfen!« »Nun dann,« sagte Alwerth, »ich will bei Ihnen sein, eh' eine halbe Stunde vergeht.« – »Und lass'n Sie sich 'nmal,« schrie der Junker, »von 'n Narr'n ein'n Rat geben, und lass'n das ewge in Güt' und Lindigkeit Versuchen beiseit'; denn [275] 's thut 's nicht! glaub'n S' mir auf mein Wort; ich hab's schon lang gnug versucht. Verblüfft muß sie werden, sonst geht's nicht, sag' ich. Sag'n S' ihr, daß 'ch ihr Vater bin, und von der grausamen Sünd' des Ungehorsams, und von der gräßlichen Straf' in der Hölle, und dann, sag'n Sie 'r so was von Einschließen in dieser Welt, und bei Wasser und trocknem Brod in 'm finstern Kämmerchen, ha!« – »Ich will alles thun, was ich kann,« sagte Alwerth, »denn ich versichre Sie, ich wüßte nichts, was ich mehr wünschte, als mit diesem liebenswürdigen Geschöpfe verwandt zu werden.« – »Je nun! was das anbelangt,« rief der Junker, »gut genug ist das Mädchen nun dazu wohl; ein Mensch könnt' wohl weiter gehn, und 's wohl schlimmer treff'n; so viel darf 'ch wohl von 'r sagen, obschon sie mein' eigen' Tochter ist. Und wenn sie mir nur fein gehorsam ist, so ist kein Vater uf hundert Meilwe'gs in die Runde, der 'ne Tochter lieber hab'n kann, als ich thue! Aberst, ich seh', Sie hab'n was zu thun mit den Frau'ensen hier, und so will 'ch nur nach Haus' gehn, und auf Sie warten; und somit Gott befohl'n.«

Sobald als Herr Western fort war, sagte Madame Waters: »Ich sehe, der Herr von Western erinnert sich ganz und gar meines Gesichts nicht mehr. Ich glaube, Herr von Alwerth, Sie würden mich ebensowenig wieder gekannt haben. Ich bin gar merklich verändert, seit dem Tage, da Sie mir den gütigen Rat gaben, welcher mich glücklich gemacht haben würde, wenn ich ihn befolgt hätte.« – »In der That, Madame,« versetzte Alwerth, »es that mir sehr leid, als ich zuerst das Gegenteil erfuhr.« – »Wirklich, Herr von Alwerth,« sagte sie, »ward ich durch sehr tief angelegte boshafte Pläne zu Fall gebracht, die, wenn Sie sie wüßten (ob ich gleich eben nicht so weit gehen will, zu denken, es würde mich in Ihrer Meinung ganz rechtfertigen), wenigstens meine Vergehungen mildern, und Sie dahin bringen würden, mich zu bedauern. Sie haben jetzt nicht die Zeit, meine ganze Geschichte zu hören; dieß aber versichre ich Sie, daß ich durch die feierlichsten Ehversprechungen überlistet ward; ja, in den Augen des Himmels war ich mit ihm verheiratet; denn, nachdem ich viel über diese Sache gelesen hade, bin ich überzeugt worden, daß gewisse Zeremonien nur dazu erfordert werden, um der Ehe eine gesetzliche Sanktion zu geben, und nur den weltlichen Nutzen haben, einer Weibsperson die Privilegien einer Ehefrau zuzusichern; daß aber eine Person, welche nach einer feierlichen, obgleich geheimen Zusage, beständig mit einem Manne lebt, die Welt mag sie nun nennen, wie sie will, in ihrem Gewissen darüber nicht viel zu verantworten hat.« – »Es thut mir leid, Madame,« sagte Alwerth, »daß Sie einen so üblen Gebrauch von Ihrer Gelehrsamkeit machen; Es wäre wirklich besser gewesen, wenn Sie entweder weit tiefer studiert hätten, oder in einem Stande der völligen Unwissenheit geblieben wären. Und dennoch, Madame, besorge ich, daß Sie mehr als diese Sünde zu verantworten haben.« – »So lange er lebte,« antwortete sie, »welches über ein Dutzend Jahre dauerte, kann ich [276] Sie aufs feierlichste versichern, hatte ich dergleichen nicht, und ich bitte Sie, teuerster Herr von Alwerth; lassen Sie mir den Gedanken zu statten kommen: Steht es in der Macht eines Frauenzimmers, das seinen guten Namen verloren hat und von allen Hilfsmitteln entblößt ist, ob die gutherzige Welt ein solches verirrtes Schaf wieder auf den Weg der Tugend gehen lassen will, wenn sie auch selbst es noch so herzlich wünscht? Ich beteure es Ihnen, ich würde diesen Weg gewählt haben, wenn es in meinem Vermögen gestanden hätte. Aber die Not trieb mich in die Arme des Kapitän Waters, mit dem ich, obgleich ebenfalls ungetraut, manche Jahre als Ehefrau lebte, und auch seinen Namen führte. Mit diesem Kapitän ging ich auf seinem Marsch gegen die Rebellen mit bis nach Worcester: und hier war es, wo ich zufälligerweise mit Herrn Jones bekannt wurde, der mich aus den Händen eines Bösewichts erlöste. In der That, er ist der würdigste Mensch! Kein junger Herr seines Alters ist, glaube ich, freier von Lastern, und wenige haben nur den zwanzigsten Teil seiner Tugenden; ja, was er auch für Schwachheiten begangen haben mag, so bin ich doch fest überzeugt, er hat jetzt den Entschluß gefaßt, sie abzulegen.«

»Ich hoffe, daß er den Entschluß gefaßt hat,« sagte Alwerth, »und hoffe, daß er ihm getreu bleiben werde. Ich muß auch sagen, daß ich noch eben dieselbe Hoffnung in Ansehung Ihrer selbst hege. Die Welt, ich geb' es Ihnen zu, ist bei solchen Gelegenheiten freilich fast zu hartherzig; aber Zeit und Beständigkeit können diese ihre Abneigung vom Mitleiden, wie ich es nennen möchte, überwinden; denn ob sie gleich nicht, wie der Himmel, die Hände nach einem bußfertigen Sünder ausstreckt, so erhält doch am Ende eine beharrliche Reue selbst von der Welt Vergebung. Davon wenigstens können Sie sich versichert halten, Madame Waters, daß, wofern ich finde, daß Ihnen Ihr guter Vorsatz ein wahrer Ernst sei, es Ihnen an keinem Beistande fehlen soll, der nur in meinem Vermögen steht, um solchen wirklich ins Werk zu setzen.«

Hier fiel Madame Waters vor ihm auf ihre Kniee und sagte ihm, unter einer Thränenflut, den gerührtesten Dank für seine Güte, welche, wie sie richtig anmerkte, mehr der himmlischen, als der menschlichen Natur angemessen wäre.

Alwerth hob sie auf und sprach ihr zu, auf die mildeste Weise, indem er sich solcher Ausdrücke bediente, die ihm nur sein liebreiches Herz an die Hand geben konnte, um sie zu trösten, als er darin durch die Ankunft des Herrn Dowling unterbrochen wurde, der, als er bei seinem Hereintritt Madame Waters sah, stutzte und in einige Verwirrung zu geraten schien. Er faßte sich indessen wieder so bald und so gut er konnte, und sagte dann, er habe die höchste Eile, um sich bei einer juristischen Konsultation in Herrn Westerns Hause einzufinden; indessen habe er es doch für seine Pflicht gehalten, beim Herrn von Alwerth vorzusprechen und ihn von der Meinung der Rechtsgelehrten über den Rechtsfall zu benachrichtigen, den er ihm vorhin vorgelegt hätte, daß die Erstattung des Geldes in diesem Falle zwar nicht in Zweifel gezogen werden könnte, daß [277] sich aber der Beklagte mit der Einwendung verteidigen könnte, er habe es gefunden, und wenn hernach vor Gericht bewiesen werden könnte, daß das Geld dem Kläger gehöre, so würde allerdings ein Urteil für den Kläger gefunden werden.

Alwerth, ohne hierauf ein Wort zu antworten, schloß die Thüre ab, ging dann mit einem drohenden Blicke auf Dowling zu und sagte: »Sie mögen so eilig sein, Herr, wie Sie wollen, so müssen Sie mir erst ein paar Fragen beantworten. Kennen Sie hier dies Frauenzimmer?« – »Dies Frauenzimmer! Herr von Alwerth?« antwortete Dowling mit großer Verlegenheit. Hierauf sagte Alwerth mit sehr feierlicher Stimme zu ihm: »Sehen Sie, Herr Dowling, wofern Ihnen an meiner Gewogenheit oder auch nur daran gelegen ist, einen Augenblick länger in meinem Dienst zu bleiben, so antworten Sie mir geradezu und ohne Umschweif; ich sag' es noch einmal, antworten Sie mir grade und wahr auf jede Frage, die ich Ihnen vorlege: – Kennen Sie hier dies Frauenzimmer?« – »Ja, Herr!« sagte Dowling. »Ich habe die Dame gesehen.« – »Wo, Herr?« – »In ihrer Wohnung.« – »Was hatten Sie bei ihr zu verrichten, Herr, und wer sandte Sie hin?« – »Ich ging hin, mich nach des Herrn Jones Sachen zu erkundigen.« – »Und wer sandte Sie hin, sich darnach zu erkundigen?« – »Wer? Herr Alwerth? Nun! Herr, Ihr Herr Neffe sandte mich hin.« – »Und was sagten Sie zu dieser Dame in bezug auf jene Sache?« – »Ja nun, Herr von Alwerth! Es ist unmöglich, sich genau auf jedes Wort zu besinnen.« – »Wollten Sie wohl die Gewogenheit haben, Madame, dem Gedächtnisse dieses Herrn zu Hilfe zu kommen?« – »Er sagte mir, Herr von Alwerth«, antwortete Madame Waters, »daß, wenn Herr Jones meinen Ehemann erstochen hätte, man mir mit allem benötigten Gelde beistehn wollte, um ihn gerichtlich zu verfolgen; und zwar wäre ein sehr würdiger Herr hierzu erbötig, der sehr wohl wüßte, mit was für einem schändlichen Bösewicht ich es zu thun habe. Dies waren, ich kann es mit gutem Gewissen beschwören, die eigentlichen Worte, die er zu mir sagte.« – »Waren dies Ihre Worte, Herr?« fragte Alwerth. – »Ich kann mich nicht so genau auf mein Gedächtnis verlassen«, antwortete Dowling; »aber ich glaube, daß ich so ungefähr dergleichen gesagt habe.« – »Und gab Ihnen mein Neffe Blifil Ordre, dies zu sagen?« – »O, gewiß, Herr von Alwerth! Aus meinem eignen Antrieb würd' ich nicht hingegangen sein; und wissentlich würd' ich auch meinen gemessenen Auftrag in solchen Dingen nicht überschreiten. Wenn ich so gesagt habe, so muß ich auch Herrn Blifils Instruktion so verstanden haben.« – »Nun sehen Sie, Herr Dowling«, sagte Alwerth, »ich verspreche Ihnen hier in Gegenwart dieses Frauenzimmers, daß ich Ihnen das, was Sie in dieser Sache auf Blifils Ordre gethan haben, verzeihen will; aber nur auf die Bedingung, daß Sie mir jetzt die reine Wahrheit sagen. Denn ich glaube Ihnen insofern, daß Sie in dieser Sache nicht aus eignem Antrieb und ohne ordentlichen Auftrag gehandelt haben würden. – Mein Neffe Blifil schickte Sie also auch, die beiden Werber in Aldersgate zu examinieren?« – »So that er, mein [278] Herr.« – »Wohl! und was für Instruktion gab er Ihnen dann? besinnen Sie sich so gut Sie können, und sagen mir so genau als möglich die eigentlichen Worte, deren er sich bediente.« – »Ja, nun! Herr Blifil sandte mich hin, die Leute ausfindig zu machen, welche von diesem Zweikampfe Augenzeugen gewesen wären. Er sagte, er fürchte, sie möchten vom Herrn Jones, oder von seinen Freunden bestochen werden. Er sagte, Blut verlange Blut; und daß nicht allein alle diejenigen, welche irgend etwas unterließen, was in ihrem Vermögen stünde, einen Mörder zur Strafe zu ziehen, sich seiner Blutschuld mit teilhaftig machten. Er sagte, er fände, Sie selbst wünschten sehr, daß der Bösewicht seine Strafe bekäme, ob es gleich nicht schicklich wäre, daß es davon den Anschein hätte!« – »Das sagte er?« rief Alwerth. – »Ja Herr, das that er!« erwiderte Dowling. »Ich wäre gewiß keinem Menschen zu gefallen in dieser Sache auch soweit gegangen; das glauben Sie mir, wenn es nicht aus Achtung für Sie selbst gewesen wäre.« – »Wie weit gingen Sie, Herr«, sagte Alwerth. – »Nun, Herr«, antwortete Dowling, »ich bitte, daß Eure Gnaden nicht glauben mögen, ich wäre der Mann, der aus irgend einiger Rücksicht schuld an einer Bestechung oder einem Meineide sein möchte! Aber es gibt zweierlei Art und Wege, ein Zeugnis abzulegen. Ich sagte den Leuten also, daß wofern ihnen ein Anerbieten von der andern Seite geschehen sollte, so möchten sie es nicht annehmen und könnten sie sich sicher drauf verlassen, daß sie nichts dabei verlieren sollten, wenn sie ehrliche Kerle wären und die Wahrheit sagten. Ich sagte ihnen ferner, wir hätten er fahren, daß Herr Jones den andern Herrn zuerst überfallen hätte, und wenn das die Wahrheit wäre, so sollten sie es bezeugen; und dabei ließ ich ihnen merken, daß es ihr Schade nicht sein sollte.« – »Ich sehe freilich, daß Sie sehr weit gegangen sind, wahrhaftig«, rief Alwerth. – »Ja nun, Herr!« antwortete Dowling, »ich habe doch gewiß von den Kerln nicht verlangt, daß sie ein falsches Zeugnis ablegen sollten, und ich hätte auch gewiß nicht gesagt, was ich gesagt habe, wär' es nicht aus Gefälligkeit gegen Sie geschehn.« – »Sie würden nicht gedacht haben, glaube ich«, sagte Alwerth, »mir eine Gefälligkeit zu erzeigen, wenn Sie gewußt hätten, daß dieser Herr Jones mein eigener Neffe sei.« – »Ich weiß wohl, Herr von Alwerth,« antwortete er, »daß es sich für mich nicht schickte, zu thun, als ob ich etwas wüßte, das Sie nach meiner Meinung gern geheim halten wollten.« – »Wie so?« schrie Alwerth; »Sie wußten das also?« – »Je nun, Herr!« antwortete Dowling, »weil Euer Gnaden mir befehlen, die reine Wahrheit zu sagen, so muß ich's ja thun. – Allerdings Herr, wußt ich's; denn es waren fast die letzten Worte, welche Madame Blifil in ihrem Leben sprach, die sie zu mir sagte, als ich allein an ihrem Sterbebette stand, als sie mir den Brief übergab, den ich Euer Gnaden von ihr überbrachte.« – »Was für einen Brief?« rief Alwerth. – »Je, der Brief,« antwortete Dowling, »welchen ich von Salisbury überbrachte, und welchen ich dem Herrn Blifil in die Hände gab.« – »Um Gotteswillen!« rief Alwerth. »Gut! Aber, wie lauteten die Worte? [279] Was war's, das meine Schwester zu Ihnen sagte?« – »Sie faßte mich bei der Hand,« antwortete er, »und sagte dabei, indem sie mir den Brief gab: ›Ich weiß kaum was ich geschrieben habe. Sagen Sie meinem Bruder, daß Tom Jones sein Neffe ist. Er ist mein Sohn, Gott möge ihn segnen!‹ – sagte sie, und darauf fiel sie zurück, als ob sie in dem Augenblick sterben sollte. Ich rief alsobald Leute herbei, und sie sprach weiter kein Wort mit mir; denn wenige Minuten drauf starb sie.« – Alwerth stand eine Minute stumm mit gen Himmel gerichteten Augen – und dann wendete er sich gegen Dowling und sagte: »Wie kamen Sie dazu, Herr, daß Sie mir diese Botschaft nicht ausrichteten?« – »Eure Gnaden werden sich erinnern,« antwortete er, »daß Sie damals bettlägrig waren; und da ich in großer Hast war, wie ich wirklich immer bin, so vertraute ich den Brief und die Botschaft an Herrn Blifil, welcher mir sagte, er würde beides an Sie bestellen, und nachmals hat er mir auch gesagt, daß er's gethan habe, und Euer Gnaden wollten teils aus Freundschaft für Herrn Jones, und teils aus Schonung für die Ehre Ihrer Schwester, gar nichts davon gesprochen wissen, sondern wollten es vor der Welt verborgen halten; und deswegen, wenn Euer Gnaden es nicht zuerst gesagt hätten, so hätt' ich gewiß in meinem Leben nicht gedacht, daß es für mich schicklich wäre, weder gegen Euer Gnaden, noch sonst jemand das geringste Wort von der Sache zu erwähnen.«

Wir haben bereits irgendwo die Bemerkung gemacht, wie es einem Manne möglich sei, eine Lüge durch Worte der Wahrheit zu verstehen zu geben. Dies war hier gegenwärtig der Fall: denn Blifil hatte in der That dem Dowling so gesagt, wie er's jetzt erzählte; er hatte ihm aber nicht weiß gemacht, oder auch nur geglaubt, daß er fähig sei, ihm etwas weiß zu machen. Der Wahrheit nach waren die Versprechungen, welche Blifil dem Dowling gemacht hatte, die Beweggründe, welche ihn zum Stillschweigen vermochten; und da er jetzt deutlich sah, daß das Geheimnis dennoch herauskommen würde, so hielt er für ratsam, diese Beichte abzulegen, welche ihm Alwerths Versprechen der Verzeihung, zusammengenommen mit dessen Drohungen, Stimme, Blicken und Entdeckungen, die er bereits gemacht hatte, abnötigten; da er noch dazu unvermutet überrascht wurde, und keine Zeit hatte auf Ausflüchte zu sinnen.

Alwerth schien dieser Erzählung Glauben beizumessen; und, nachdem er dem Dowling über das Vorgefallene das genaueste Stillschweigen auferlegt hatte, begleitete er den Herrn Anwalt selbst bis an die Thüre, damit er keine Gelegenheit hätte, mit Blifil zu sprechen, welcher wieder hinaufgegangen war nach seinem Zimmer, und sich daselbst mit dem Gedanken an die letzte Nase, die er seinem Onkel gedreht hatte, ergötzte, und sich gar nicht träumen ließ, was in dem Stockwerk unter ihm seitdem vorging.

Als Herr Alwerth wieder nach seinem Zimmer hinaufgehn wollte, fand er Madame Miller unten an der Treppe, welche mit einem blassen Gesicht voller Schrecken zu ihm sagte: »O liebster Herr Alwerth, ich sehe dies gottlose Weibsbild ist bei Ihnen gewesen,[280] und Sie wissen nun alles. Aber ich bitte, verlassen Sie doch deswegen den armen jungen Menschen nicht! Bedenken Sie doch, liebster Herr, er wußte ja nicht, daß es seine eigne Mutter war! Und diese Entdeckung allein schon wird ihm höchst wahrscheinlicherweise das Herz brechen, ohne daß Ihr Zorn dazu kommen darf.« – »Madame,« sagte Alwerth, »ich bin über das, was ich gehört habe, noch dermaßen erstaunt, daß ich wirklich unfähig bin, Ihnen etwas Befriedigendes zu sagen. Aber kommen Sie mit mir auf mein Zimmer! In der That, Madame Miller, ich habe wunderbare Entdeckungen gemacht, und Sie sollen sie bald erfahren.«

Die arme Frau folgte ihm zitternd nach. Und jetzt ging Herr Alwerth zu Madame Waters, nahm sie bei der Hand, wendete sich darauf gegen Madame Miller und sagte: »Was für Dank soll ich diesem guten Frauenzimmer für den Dienst abstatten, den sie mir erwiesen hat! O, Madame Miller, Sie haben mich wohl tausendmal den jungen Mann, dessen so getreue Freundin Sie sind, meinen Sohn nennen hören. Wie wenig dachte ich dazumal, daß er mir wirklich nur einigermaßen verwandt sei – Ihr Freund, Madame, ist mein Neffe. Er ist ein Bruder von der boshaften Schlange, welche ich so lange in meinem Busen genährt habe. – Sie wird Ihnen selbst die ganze Geschichte erzählen, und zugleich, wie es zugegangen, daß der Jüngling für ihren Sohn gehalten worden. In der That, Madame Miller, ich bin überzeugt, daß ihm Unrecht geschehen ist, und daß ich betrogen worden bin; betrogen von einem, den Sie mit Recht in Verdacht hatten, daß er ein Bösewicht wäre. Er ist in der That der ärgste von allen Bösewichtern.«

Die Freude, welche Madame Miller jetzt empfand, benahm ihr das Vermögen zu sprechen und möchte ihr vielleicht die Sinne, wo nicht das Leben selbst geraubt haben, hätte sich nicht ein freundschaftlicher Thränenguß zu rechter Zeit zu ihrer Erleichterung eingestellt. Endlich kam sie insoweit von ihrem Entzücken wieder zu sich selbst, daß sie reden konnte, da sie dann sagte: »So ist mein teurer Jones wirklich Ihr Neffe, und nicht der Sohn dieser Dame? Und sind Ihnen endlich die Augen aufgegangen über ihn? Und soll ich's wirklich erleben, ihn so glücklich zu sehn, als er's verdient?« – »Mein Neffe ist er gewiß,« sagte Alwerth, »und alles das übrige hoff' ich.« – »Und ist dies die teure, liebe Dame, die Person,« schrie sie, »die diese Entdeckung ans Licht gebracht hat?« – »Sie ist es allerdings,« sagte Alwerth. – »O so,« rief Madame Miller knieend, »überschütte sie, gütigster Himmel, überschütte sie mit deinem besten Segen, und dieser einer guten That wegen vergib ihr alle ihre Sünden, und wären ihrer auch wie Sand am Meer!«

Madame Waters sagte ihnen hierauf, wie sie glaube, daß Herr Jones ganz in kurzem aus dem Gefängnis werde entlassen werden; weil der Wundarzt mit einem Zeugen, der von hohem Adel, zu der obrigkeitlichen Person gegangen wäre, die ihn hatte setzen lassen, um anzuzeigen, daß Herr Fitz Patrick außer aller Gefahr sei, und also dem Gefangenen die Freiheit zu erteilen sei.

Alwerth sagte, es sollte ihn freuen, wenn er seinen Neffen vorfände, [281] wenn er wieder heimkäme; daß er aber genötigt sei, wichtiger Geschäfte halber auszugehn. Er rief darauf einen Bedienten, der ihm eine Sänfte herbeischaffen mußte, und ließ bald darauf die beiden Frauenzimmer beieinander allein.

Als Blifil hörte, daß eine Sänfte geholt würde, kam er herunter, um seinem Oheim die Aufwartung zu machen; denn an dergleichen Pflichtsbezeigungen ließ er's nie ermangeln. Er fragte seinen Onkel, ob er sich austragen lassen wolle? Welches einen Mann auf eine höfliche Art fragen heißt, wo er hingehe? Als der andre hierauf keine Antwort gab, wünschte er ferner zu erfahren, wann es ihm gefällig sein würde, wieder zu Hause zu kommen? – Alwerth antwortete auch hierauf nicht eher, als eben beim Einsitzen, da er sich umguckte und zu ihm sagte: »Höre, junger Herr! Bis ich wieder komme, suche den Brief auf, den mir deine Mutter auf ihrem Sterbebette geschrieben hat!« Hierauf gingen die Träger mit Herrn Alwerth fort und Blifil blieb in einer Stellung und Fassung, die nur ein Mensch beneiden kann, der eben zum Richtplatz geführt wird.

Neuntes Kapitel
Neuntes Kapitel.

Weitere Fortsetzung.


Alwerth nahm die Gelegenheit, in der Sänfte den Brief von Jones an Sophie zu lesen, den ihm Western gegeben hatte, und er fand darin Ausdrücke gegen sich selbst, die ihm Thränen aus den Augen lockten. Endlich langte er in Herrn Westerns Wohnung an und ward in Sophiens Zimmer geführt.

Nachdem die ersten Komplimente vorüber waren, und Dame und Herr Stühle genommen hatten, erfolgte ein Stillschweigen von ein paar Minuten, während welcher das Fräulein, das von dem Vater auf diesen Besuch vorbereitet war, mit dem Fächer spielte und alle Merkmale der Verwirrung zeigte, sowohl in ihren Mienen, als im übrigen Betragen. Endlich begann Alwerth, der selbst ein wenig außer Fassung war, folgendermaßen: »Ich fürchte, mein liebes Fräulein von Western, meine Familie hat Ihnen viele Unruhe verursacht, und ich besorge auch, daß ich selbst unschuldigerweise mehr dazu beigetragen habe, als meine Absicht war. Seien Sie versichert, bestes Fräulein, hätte ich gewußt, wie unangenehm der Vorschlag war, ich würd' es nicht gelitten haben, daß man Sie solange damit verfolgt hätte. Ich hoffe also, Sie werden nicht glauben, daß mein Vorsatz bei diesem Besuche sei, Sie noch mit fernerm Anhalten in dieser Sache zu behelligen, sondern einzig nur, um Sie davon zu befreien.«

»O, Herr Alwerth,« sagte Sophie mit einer kleinen bescheidenen Aengstlichkeit, »dies Betragen ist sehr gütig und großmütig, und so wie ich es nur allein von Herrn von Alwerth erwarten konnte. Da Sie aber so gütig gewesen sind, dieser Sache zu erwähnen, so werden Sie mir verzeihn, wenn ich sage, daß sie mir[282] wirklich vielen Kummer gemacht hat und die Veranlassung gewesen ist, daß ich sehr harte Begegnungen von einem Vater habe erleiden müssen, welcher bis zu dieser unglücklichen Affaire der zärtlichste, liebreichste von allen Vätern war. Ich bin überzeugt, Sie, mein teuerster Herr Alwerth, sind zu gütig, zu großmütig, um mir deswegen feind zu werden, daß ich Ihrem Neffen meine Hand habe versagen müssen. Unsre Herzen stehn nicht immer in unsrer Gewalt; und so groß auch seine Verdienste sein mögen, so kann ich das meinige nicht zwingen, ihn zu lieben.« – »Ich versichre Sie, liebenswürdigstes Fräulein,« sagte Alwerth, »ich bin einer solchen Feindschaft nicht fähig, wäre auch die Person mein leiblicher Sohn gewesen, und hätt' ich auch die größte Hochachtung für ihn gehabt. Denn Sie sagen ganz richtig, bestes Fräulein, man kann sein eignes Herz nicht zwingen; viel weniger läßt es sich von andern Gesetze vorschreiben.« – »O, teuerster Herr Alwerth«, antwortete Sophie, »jedes Wort aus Ihrem Munde beweist, daß Sie den edlen, großen, den menschenfreundlichen Charakter verdienen, den Ihnen alle Welt beilegt. Ich versichre Sie, nichts geringeres, als die gewisse Aussicht auf künftiges Elend, hätte mich dahin bringen können, den Befehlen meines Vaters zu widerstehn.« – »Ich glaube Ihnen das aufrichtig, Fräulein,« sagte Alwerth, »und ich bezeige Ihnen meine Freude über Ihre weise Vorsichtigkeit, weil Sie durch diesen so sehr zu entschuldigenden Ungehorsam wirklich ein großes Elend vermieden haben.« – »Sie sprechen da mit einer Schonung, Herr Alwerth, deren nur sehr wenige Männer fähig sind; aber gewiß, nach meiner Meinung, muß es ein höchst unglücklicher Zustand sein, unser Leben mit einer Person hinbringen zu müssen, die uns völlig gleichgültig ist. Vielleicht würde ein solches Unglück durch die Ueberzeugung von den Verdiensten eines Gegenstandes, dem wir unsre Zuneigung nicht geben können, nur noch vergrößert. Hätte ich Herrn Blifil geheiratet –« – »Verzeihn Sie mir! daß ich Sie unterbreche,« rief Alwerth; »aber ich kann den Gedanken daran nicht ausstehn. – Glauben Sie mir, Fräulein Western, ich freue mich, ich freue mich von Herzen, daß Sie dem Unglück entronnen sind. Ich habe den Nichtswürdigen entlarvt, um dessentwillen Sie alle den grausamen Zwang von Ihrem Vater haben erdulden müssen! Es ist ein Bösewicht!« – »Wie, Herr Alwerth? – Sie können glauben, daß ich hierüber erstaune!« – »Ich bin ebensowohl darüber erstaunt, liebes Fräulein«, antwortete Alwerth; »und die Welt wird ebensosehr darüber erstaunen; aber ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt.« – »Von den Lippen des Herrn von Alwerth,« sagte Sophie, »kann nichts anders als Wahrheit kommen, davon bin ich überzeugt. – Indessen – solch eine plötzliche, solch eine unerwartete Neuigkeit! – Entdeckt, sagen Sie? – Möchte es jede Bosheit werden!« – »Sie werden die Geschichte bald genug hören,« rief Alwerth; »jetzt lassen Sie uns einen so verhaßten Namen nicht mehr nennen! Ich habe Ihnen eine andre Sache, von sehr ernsthafter Natur, vorzutragen. O, mein edles Fräulein Western, ich kenne Ihren hohen Wert und kann meinen ehrgeizigen Wunsch, Sie in meine Familie [283] zu bekommen, nicht so leicht aufgeben. Ich habe einen nahen Verwandten, liebes Fräulein, einen jungen Mann, dessen Charakter, nach meiner besten Ueberzeugung, das gerade Gegentheil vom Charakter dieses Nichtswürdigen ist, und dessen Glücksumstände ich ebenso gut machen will, als die jenes andern hätten sein sollen. – Darf ich hoffen, liebes Fräulein, daß Sie so gütig sein wollen, einen Besuch von ihm anzunehmen?« Sophie schwieg eine Minute, und antwortete darauf: »Ich will gegen Herrn Alwerth mit der größten Aufrichtigkeit verfahren. Sein Charakter und die Verbindlichkeiten, die er mir soeben aufgelegt hat, fordern das. Ich bin für jetzt entschlossen, keinen solchen Vorschlägen von irgend einer Person Gehör zu geben. Mein einziger Wunsch ist, in der Liebe meines Vaters wieder hergestellt zu werden und von neuem wieder die Sorge für sein Hauswesen zu führen. Dies, verehrungswürdigster Herr von Alwerth, hoffe ich durch Ihre gütige Vermittlung zu erlangen. Erlauben Sie, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, bei all der Edelmütigkeit, welche ich und alle, die Sie kennen, erfahren haben, setzen Sie mich nicht in eben dem Augenblick, da Sie mich von einer Verfolgung befreit haben, wieder einer andern aus, die mich ebenso unglücklich machen, aber ebenso fruchtlos sein wird.« – »In der That, Fräulein Western,« erwiderte Alwerth, »ich bin eines solchen Betragens unfähig; und wenn dies Ihr fester Entschluß ist, so muß er sich demselben unterwerfen, er mag darunter leiden, was für Qualen es ihm auch macht.« – »Ich sollte hier fast ein wenig lächeln,« antwortete Sophie, »wenn Sie von den Leiden und Qualen eines Mannes sprechen, den ich nicht kenne, und der folglich auch nur eine geringe Kenntnis von mir haben muß.« – »Verzeihen Sie mir, liebes, teures Fräulein,« versetzte Alwerth, »ich fange jetzt an zu fürchten, daß er für die Ruhe seines künftigen Lebens eine nur zu richtige Kenntnis von Ihnen hat; denn, wenn je ein Mann einer aufrichtigen, heftigen und edlen Leidenschaft fähig ist, so weiß ich's gewiß, ist es mein Neffe für das Fräulein von Western.« – »Ihr Neffe, Herr Alwerth?« antwortete Sophie. »Das ist doch wirklich sonderbar! Ich habe bisher noch nie von einem gehört.« – »In der That, liebes Fräulein,« sagte Alwerth, »es ist bloß der Umstand, daß er mein Neffe ist, welchen Sie noch nicht wissen, und welcher auch bis auf den heutigen Tag selbst mir ein Geheimnis war. Der gute Tom Jones, der Sie schon lange geliebt hat, der, der ist mein Neffe.« – »Herr Jones? Ihr Neffe!« rief Sophie; »ist das möglich?« – »Das ist er gewiß, mein liebes Fräulein,« antwortete Alwerth. »Er ist der Sohn meiner leiblichen Schwester, und dafür werd' ich ihn beständig erkennen, und werde mich dieser Anerkennung niemals schämen. Weit mehr schäm' ich mich meines bisherigen Betragens gegen ihn. Aber seine Verdienste waren mir ebenso unbekannt als seine Geburt. In der That, mein liebes Fräulein Western, ich bin grausam mit ihm umgegangen! – wirklich, grausam!« – Hier wischte sich der gute Mann die Augen, und nach einem kurzen Stillschweigen fuhr er fort: – »Ich werde niemals im stande sein, ihm seine Leiden zu vergelten, wenn Sie mir [284] darin nicht beistehen wollen. – Glauben Sie mir, mein liebenswürdigstes Kind, ich muß eine hohe Meinung von dem Anerbieten haben, das ich für Ihren Wert nicht zu schlecht halte. – Ich weiß, er hat sich einiger Vergehungen schuldig gemacht; aber im Grunde hat er ein außerordentlich gutes Herz! Glauben Sie mir es, liebes Fräulein, das hat er.« Hier schwieg er und schien eine Antwort zu erwarten, welche er auch so bald von Sophie erhielt, als sie sich ein wenig von der heftigen Wallung erholt hatte, die ihr eine so sonderbare und unerwartete Nachricht verursacht hatte. »Herr Alwerth, ich wünsche Ihnen aufrichtigst Glück zu einer Entdeckung, die Ihnen eine so große Freude zu machen scheint. Ich zweifle nicht, sie wird Ihnen all das Vergnügen gewähren, das Sie sich nur davon versprechen können. Der junge Herr hat gewiß tausend gute Eigenschaften, welche es unmöglich machen, daß er sich gegen einen solchen Onkel nicht gut betragen sollte.« – »Ich hoffe, mein liebes Fräulein«, sagte Alwerth, »er hat diejenigen guten Eigenschaften, welche ihn zu einem guten Ehemanne machen müssen. – Er müßte sonst gewiß der sittenloseste von allen Männern sein, wofern er, wenn ein Frauenzimmer von Ihrem Verdienste die Herablassung hätte, ihn –« – »Ich muß um Verzeihung bitten, Herr Alwerth,« antwortete Sophie, »daß ich einen Antrag von dieser Art nicht anhören kann! Herr Jones hat viele Verdienste, davon bin ich überzeugt; aber, ich werde den Herrn Jones niemals als den Mann betrachten, der mein Ehemann werden kann, und in dieser Rücksicht keinen Besuch von ihm annehmen – Auf meine Ehre! das werd' ich niemals.« – »Verzeihen Sie, mein Fräulein,« sagte Alwerth, »wenn mir dies, nach dem, was ich von Herrn Western vernommen habe, ein wenig unbegreiflich ist. – Ich hoffe doch nicht, daß der unglückliche Jüngling etwas gethan habe, wodurch er sich Ihrer guten Meinung verlustig gemacht, da er doch ehemals die Ehre hatte, sich derselben zu erfreuen. – Vielleicht ist er bei Ihnen fälschlich verleumdet worden, eben, wie bei mir geschehen ist. Dieselbige Bosheit kann ihn allenthalben angeschwärzt haben. – Er ist kein Mörder, wie man ihn beschuldigt hat, das versichr' ich Sie.« – »Lieber Herr von Alwerth,« antwortete Sophie, »ich habe Ihnen meinen Entschluß gesagt. Ich wundre mich nicht über das, was Ihnen mein Vater vielleicht erzählt hat! Aber, wie groß auch seine Furcht und Besorgnis gewesen sein mag, so habe ich, wenn ich irgend mein Herz kenne, dazu keinen Anlaß gegeben: weil es allemal ein fester Grundsatz bei mir gewesen ist, niemals ohne seine Einwilligung zu heiraten. Dies ist, denke ich, die Pflicht eines Kindes gegen die Eltern; und diese Pflicht, hoff' ich, hätte mich nichts vermögen können, jemals aus den Augen zu setzen. Ich kann mich freilich nicht überzeugen, daß uns die väterliche Gewalt nötigen könne, uns ganz und gar gegen unsre Neigung zu verheiraten. Um einem Zwange dieser Art, welchen ich Ursache zu vermuten hatte, auszuweichen, verließ ich das Haus meines Vaters und suchte anderwärts Schutz. Dies die Wahrheit von meiner Geschichte; und wenn die Welt oder mein Vater meiner Absicht nur die geringste weitere [285] Ausdehnung geben, so rechtfertigt mich mein eignes Gewissen.« – »Fräulein Western,« rief Alwerth mit Bewunderung, »ich höre Sie, ich bewundre die Richtigkeit Ihrer Grundsätze; aber gewiß, es muß noch etwas mehr vorgegangen sein! Ich möchte nicht gern etwas sagen, das Ihnen zuwider wäre, liebes Fräulein; aber, sollte ich denn alles, was ich bis dahin gesehn und gehört habe, für einen bloßen Traum halten? Und haben Sie so viele Grausamkeit von Ihrem Vater eines Mannes wegen erduldet, gegen den sie immer ganz und gar gleichgültig gesinnt waren?« – »Ich bitte Sie, liebster Herr von Alwerth,« antwortete Sophie, »bestehn Sie nicht darauf, meine Ursachen zu wissen! – Ja! ich habe wirklich gelitten; ich will es nicht verhehlen. – Ich will sehr aufrichtig gegen Sie sein, Herr Alwerth. – Ich gesteh' es Ihnen, ich hatte eine große Meinung von Herrn Jones – ich glaube – ich weiß, was ich für meine Meinung gelitten habe – ich bin hart behandelt worden, von meiner Tante sowohl, als von meinem Vater. Aber, das ist nunmehr vorbei! – Ich bitte nur, daß man nicht ferner in mich dringen möge; denn, wie es auch sonst gewesen sein mag, für jetzt ist mein Entschluß ein- für allemal fest. Ihr Neffe, Herr Alwerth, besitzt manche Tugend, er besitzt große Tugenden, Herr Alwerth. Ich zweifle nicht dran, er wird Ihnen in der Welt Ehre und Sie selbst glücklich machen.« – »Ich wünschte auch ihn glücklich machen zu können, mein liebstes Fräulein,« erwiderte Alwerth! »Aber das bin ich überzeugt, steht nur in Ihrer Gewalt. Diese Ueberzeugung ist es, welche mich zu einem so ernstlichen Fürbitter bei Ihnen gemacht hat.« – »Sie sind hintergangen, in der That, mein teuerster Herr von Alwerth, Sie sind hintergangen,« sagte Sophie – »ich hoffe nicht von ihm – Es ist schon genug, daß ich hintergangen bin, Herr Alwerth! Ich muß darauf bestehn, daß man wegen dieser Sache nicht weiter in mich dringe. – Es sollte mir leid thun! – Nein, ich will ihm in Ihrer Gewogenheit keinen Eintrag thun! Ich wünsche Herrn Jones alles mögliche Gute; ganz aufrichtig wünsch' ich es ihm, und nochmals widerhol' ich's, was er auch an mir verschuldet haben mag, so bin ich gewiß, daß er viele gute Eigenschaften hat. Ich leugne meine vorigen Gesinnungen gegen ihn nicht; aber sie können durch nichts wiederhergestellt werden. Gegenwärtig wüßt' ich keinen Mann auf Erden, den ich mit mehr Entschlossenheit ausschlagen würde, als den Herrn Jones. Selbst die Bewerbung des Herrn Blifil würde mir weniger unangenehm sein.«

Der Junker Western war schon längst wegen des Ausgangs dieser Unterredung sehr ungeduldig gewesen und war gerade eben jetzt an die Thür gekommen, um zu horchen, als er bei Anhörung dieser letzten Gesinnung des Herzens seiner Tochter alle Mäßigung verlor, die Thür in voller Wut aufsprengte und zu schreien begann: »'s ist 'ne Lüge, 's ist 'n verdammte Lüge! 's ist alles d' Schuld des vertrackten Buben, des Jon's! und wenn sie 'n nur kriegen könnte, den; sie nähm'n gleich all' Stund' und Augenblick'.« Hier legte sich Alwerth ins Mittel, und indem er sich mit einigem Verdruß im Blicke gegen den Junker wendete, sagte er: »Herr Nachbar, [286] Sie halten mir nicht Wort. Sie versprachen mir, sich aller Gewaltthätigkeiten zu enthalten.« – »Nun ich hab's ja gethan!« schrie Western, »so lang's möglich war; aber zu hören, daß 'ne Dirne solch' ausverschämte Lügen vorbringt – alle Hagel! meint sie, sie kann ander' Leute eben so gut foppen, als sie mich gefoppt hat? Nee, Herr Nachbar, ich kenn' sie besser, als du thust.« – »Ich sag' es Ihnen nicht gern, Herr Nachbar,« antwortete Alwerth, »aber aus Ihrem Betragen gegen Ihre Tochter erhellt es nicht, daß Sie sie nur im geringsten kennen! Verzeihen Sie mir, was ich da sage; aber mich deucht, unsre genaue Bekanntschaft, Ihr eignes Verlangen, und die Veranlassung berechtigen mich dazu. Sie ist Ihre Tochter, Herr Western, und ich denke, sie macht Ihrem Namen Ehre. Wenn ich jemand beneiden könnte, so würde ich Sie ihretwegen eher beneiden, als irgend einen Mann auf der Welt.« – »Nu! daß ich alle Tausend!« schrie der Junker; »ich wollt' 's wäre dein, und Schmuckhand dazu sollt'st bald froh sein, wenn du den Brast wieder vom Halse hätt'st.« – »In der That, mein lieber Freund,« antwortete Alwerth, »Sie selbst sind schuld an aller Last und Unruhe, worüber Sie klagen. Setzen Sie das Vertrauen in das junge Fräulein, welches sie so wohl verdient, und ich bin überzeugt, Sie werden der glücklichste Vater auf Erden sein.« – »Ich? Vertrauen in sie?« schrie der Junker. »Blix und der Hagel! Was vor 'n Vertrauen kann ich in ihr setzen, wenn sie nicht thut, was ich haben will? Laß sie nur gutwillig heiraten, wen ich hab'n will! Sollst sehn, ob 'ch nich alles Vertrauen in 'r setzen will, was sie verlangen könne!« – »Sie haben kein Recht, Herr Nachbar,« antwortete Alwerth, »drauf zu bestehn, daß sie einwilligen soll. Eine verneinende Stimme räumt Ihnen Ihre Tochter ein; und Gott und Natur haben für diensam erachtet, Ihnen nichts weiter einzuräumen.« – »Verneinende Stimme!« schrie der Junker. »Ei, seht doch! Ich will Euch weisen, was vor 'ne verneinende Stimme ich hab' – schier dich fort! Fort in deine Kammer! geh du eigensinnig's Mensch!« – »In der That, Herr Nachbar,« sagte Alwerth, »in der That, Sie gehen grausam mit ihr um! So etwas kann ich nicht mit ansehn. – Sie sollen, Sie müssen ihr gütiger begegnen! Sie verdient die liebreichste Behandlung.« – »Ja, ja!« sagte der Junker, »ich weiß wohl, was sie verdient. Nun sie fort ist, will ich's Ihn'n wohl zeigen, was sie verdient. – Sehn Sie 'n mal hier, Nachbar! hier ist 'n Brief von meiner Kousine, von Frau von Bellaston, worin sie so gütig ist und mir zu verstehen gibt, daß der Kerl wieder aus 'n Gefangenhaus los ist, und hier rät sie mir, daß ich ja 'n wachsames Aug' aufs Mädchen hab'n soll. Ja, beim Teufel! Nachbar Alwerth Sie wissen dar viel von, was 's heißt, ne Tochter recht zu regieren.«

Der Junker endigte seine Rede mit einigen Komplimenten, die er seinem Verstande machte; und alsdann gab ihm Alwerth, nach einer förmlichen Vorrede, Nachricht von der ganzen Entdeckung, welche er in Ansehung des Herrn Jones gemacht hatte, nebst seinem [287] Zorn über Blifil, und von andern Vorfällen, womit der Leser bereits im vorigen Kapitel bekannt gemacht ist.

Menschen von überheftiger Gemütsart sind gemeiniglich auch ebenso veränderlich. Der Junker Western war sonach nicht so bald von des Herrn Alwerth Vorsatz unterrichtet, daß er Herrn Jones zu seinem Erben einsetzen wollte, als er in jedes Lob des Onkels, das er seinem Neffen erteilte, aus vollem Herzen einstimmte, und eben so begierig nach einer Heirat seiner Tochter mit Herrn Jones war, als er sie vorher an Blifil hatte verkuppeln wollen.

Hier ward Herr Alwerth abermals gezwungen, ihm Einhalt zu thun, und dasjenige zu erzählen, was zwischen ihm und Sophie vorgefallen war, worüber er seine höchste Verwunderung bezeigte.

Der Junker dachte einen Augenblick stillschweigend nach und sah ganz wild aus und erstaunt über diese Nachricht; endlich schrie er aus: »Was in aller Welt soll'n das heißen, Nachbar Alwerth? Liebhalten that sie 'n, drauf will 'ch wohl 'n körperlichen Eid thun – alle Hagel! ha! ich bin derhinter! Ich hab's auf 'n Korn, so gut als ich nur immer 'nen Fuchs drauf gehabt habe! Da hat d' Schwester schon wieder d' Finger im Brei! Sollst sehen, da hat das Mensch ein Gelüster nach dem Bastard von Grafen gekriegt! Ich fund sie zusammen in meiner Kousine Haus, der Frau von Bellaston. Ja, ja, der hat 'r 'n Kopp verdreht, ganz richtig! aber Gott straf mich, wenn 'r sie haben soll! Ich will ken'n Grafen und solch Hofpack in mein'r Familie haben!«

Alwerth hielt ihm nun eine lange Rede, in welcher er ihm seinen Entschluß, alle gewaltthätigen Maßregeln zu vermeiden, von neuem vorhielt, und Herrn Western sehr ernstlich ein gelindes Verfahren anriet; womit er versichert sein könnte, seine Tochter am besten nach seinem Willen zu lenken. Er nahm hierauf Abschied, und kehrte zurück nach Madame Miller, war aber genötigt, auf das dringendste Ersuchen des Junkers zu versprechen, Herrn Jones noch den Nachmittag zu einem Besuche mitzubringen, »damit er,« wie er sagte, »mit dem jungen Herrn wieder alles ins Feine bringen möchte.« Bei Herrn Alwerths Weggehen versprach ihm Western, seinen Rat, in Ansehung des Benehmens gegen Sophie, zu befolgen. »Ich weiß nicht, wie's kommt,« sagt er; »aber hol's der Teufel! Alwerth, wenn Sie nicht all'mal machen, daß 'ch thun muß, just was 'e hab'n woll'n! Und mein Güter tragen doch wohl ebensoviel ein, als Ihre? und bin doch ebensowohl 'n Gerichtsherr wie Sie!«

Zehntes Kapitel
Zehntes Kapitel.

Worin die Geschichte anfängt sich allmählich zum Schlusse zu neigen.


Als Herr Alwerth wieder in seiner Behausung ankam, vernahm er, daß Herr Jones kurz vor ihm angelangt sei. Er begab sich deswegen eiligst in ein leeres Zimmer und befahl, daß Jones allein dahin zu ihm geführt werden sollte.

[288] Es ist unmöglich, sich eine zärtlichere und rührendere Szene zu denken, als dieses Wiedersehen zwischen dem Onkel und dem Neffen; denn Madame Waters hatte, wie der Leser leicht denken kann, bei ihrem letzten Besuche ihm das Geheimnis seiner Geburt entdeckt. Die ersten Beklemmungen der Freude, welche man auf beiden Seiten fühlte, bin ich wirklich unvermögend zu beschreiben. Ich will es demnach auch nicht einmal versuchen. – Nachdem Alwerth den guten Jones, der sich zu seinen Füßen geworfen, aufgehoben, und ihn in seine Arme geschlungen hatte, rief er aus: »O, mein Sohn; wie sehr bin ich zu tadeln gewesen! Welches Unrecht hab' ich dir nicht zugefügt. Was kann ich thun, um dich den lieblosen, ungerechten Verdacht vergessen zu machen, den ich auf dich gefaßt hatte? Womit soll ich dir alle die Leiden vergüten, die ich dir verursacht habe?« – »Ist mir durch diesen Augenblick nicht alles so reichlich ersetzt?« rief Jones. »Wären mir nicht meine Leiden, und wären sie auch zehnmal größer gewesen, jetzt nicht vollauf belohnt? O, mein teuerster Onkel! diese Ihre Güte, diese Ihre Zärtlichkeit überwältigt, erdrückt, vernichtet mich. Ich unterliege dem Entzücken, welches mich so gewaltig überströmt. Wieder Ihre Gegenwart genießen, Ihre Gunst besitzen, von neuem so höchst gütig von meinem großen, meinem edlen, meinem großmütigen Wohlthäter wieder aufgenommen werden!« – »In der That, Kind,« rief Alwerth, »ich bin sehr grausam gegen dich gewesen!« Er erklärte ihm hiernächst alle die Verrätereien des Blifil, und wiederholte von neuem die Bezeigungen des herzlichsten Kummers darüber, daß er sich durch solche Bubenstücke hätte verleiten lassen, ihn zu mißhandeln. »O teuerster, bester Onkel, sagen Sie nicht so!« antwortete Jones. »In Wahrheit, mein Vater, mein alles, Sie haben mich edel behandelt. Der weiseste Mann mußte an Ihrer Stelle hintergangen werden, und der beste mußte in dieser Täuschung geradeso handeln, als Sie thaten. Ihre wohlthätige Liebe zeigte sich selbst mitten in Ihrem Zorne, wie es gerade damals schien. Alles verdanke ich dieser edlen Güte, der ich höchst unwürdig gewesen bin. Treiben Sie mich nicht dahin, mich selbst anklagen zu müssen, wenn Sie Ihre großmütigen Gesinnungen zu weit vorwalten lassen. Ach bester Vater und Onkel, ich bin nicht härter gestraft, als ich's verdient habe; und es soll das ganze Geschäft meines künftigen Lebens sein, das Glück zu verdienen, womit Sie mich überschütten; denn glauben Sie mir, mein teuerster Onkel, die Züchtigung ist an mir nicht verloren gewesen. Ob ich gleich ein großer Sünder gewesen bin, so bin ich doch kein verstockter; dem Himmel danke ich's, daß ich Zeit gehabt habe, mein vergangnes Leben zu überlegen; worin ich, obwohl ich mir keine große Bosheit vorzuwerfen habe, doch zu meiner Reue und Beschämung der Thorheiten und Laster mehr als zu viel gewahr werde; Thorheiten, welche von schrecklichen Folgen für mich selbst begleitet waren und mich bis zum äußersten Abgrunde des Verderbens führten.« – »Ich freue mich, mein liebstes Kind,« antwortete Alwerth, »dich so verständig sprechen zu hören; denn,[289] da ich weiß, daß Heuchelei (gütiger Gott, wie bin ich nicht durch die Heuchelei andrer angeführt worden!) daß Heuchelei niemals unter deine Fehler gehörte, so kann ich ohne Furcht alles glauben, was du mir sagst. Jetzt siehst du, lieber Tom, was für Gefahren die bloße Unvorsichtigkeit die Tugend unterwerfen kann; denn daß du die Tugend in einem hohen Grade liebst, davon bin ich nunmehr überzeugt. Vorsicht und Klugheit sind wirklich die Pflichten, die wir uns selbst schuldig sind: und wenn wir so sehr unsre eignen Feinde sind, sie aus den Augen zu setzen, so müssen wir uns nicht wundern, wenn es die Welt an der Erfüllung der ihrigen gegen uns ermangeln läßt; denn, wenn ein Mensch den Grund zu seinem eignen Verderben legt, so fürchte ich, werden andre nur zu geneigt sein, darauf zu bauen. Du sagst unterdessen, du hast deine Verirrungen eingesehn, und willst sie verbessern. Ich glaube dir ohne Bedenken, mein liebstes Kind, und sonach sollst du von diesem Augenblick an von mir nicht weiter daran erinnert werden. Erinnre dich selbst ihrer nur insoferne, als sie dich künftighin sie vermeiden lehren. Aber auch des erinnre dich zu deinem Troste, daß dieser große Unterschied unter denen ist, welche man unbefangenerweise der Unvorsichtigkeit zuschreiben, und unter denen, welche man bloß aus dem Laster herleiten kann: die ersten sind vielleicht gerade diejenigen, die am öftesten einen Mann ins Verderben ziehen; wenn er sich aber bessert, so wird sein guter Name endlich völlig wieder hergestellt; die Welt söhnt sich, obgleich nicht unmittelbar, jedoch mit der Zeit, wieder mit ihm aus, und er kann, mit einer Beimischung von Vergnügen, auf die Gefahren zurücksehen, denen er entgangen ist. Niederträchtige Büberei aber, mein lieber Sohn, wenn sie einmal entdeckt worden, richtet ihren Mann unwiederbringlich zu Grunde; die Flecken, welche diese hinterläßt, kann keine Zeit abwaschen. Die Vorwürfe der Menschen verfolgen einen solchen Unglückseligen allerorten; ihre Verachtung erniedrigt ihn, wo er sich öffentlich sehen läßt, und wenn ihn die Schande in die Einsamkeit treibt, so geht er dahin mit eben der Angst, womit ein müdes Kind, das sich vor Gespenstern fürchtet, die Gesellschaft verläßt, um allein zu Bette zu gehen. Hier verfolgt ihn sein verletztes Gewissen, wie der Geist eines Ermordeten die Einbildung des Mörders; Ruhe und Schlaf fliehen ihn wie falsche Freunde; wohin er seine Augen wendet, tritt ihm Entsetzen entgegen. Sieht er hinter sich, so folgt ihm unfruchtbare Reue auf den Fersen; sieht er vor sich, so starrt ihm unheilbare Verzweiflung ins Angesicht; bis er gleich einem verurteilten armen Sünder, der im Gefängnis schmachtet, seine gegenwärtige Lage verabscheut und doch die Folgen der Stunde fürchtet, die ihn daraus befreien soll. Tröste dich damit, mein Sohn, sag' ich, daß dies dein Fall nicht ist, und freue dich mit Dankbarkeit gegen ihn, der dir vergönnt hat, deine Irrtümer einzusehen, ehe sie das Verderben über dich gebracht haben, in welches die Beharrlichkeit, selbst nur in diesen Irrtümern, dich geführt haben müßte. Du bist ihnen entflohen, und die vor dir liegende Aussicht ist so beschaffen, daß Glückseligkeit [290] in deiner eignen Macht zu stehen scheint.« – Bei diesen Worten holte Jones einen tiefen Seufzer, und als Alwerth ihm solches verwies, sagte er: »Liebster Onkel, ich will Ihnen nichts verhehlen; ich fürchte eine Folge von meinen Vergehungen, die ich niemals im stande sein werde zu heben. O mein teuerster Onkel, ich habe einen Schatz verloren!« – »Du brauchst nichts weiter zu sagen,« antwortete Alwerth. »Ich will ganz deutlich gegen dich herausgehn. Ich weiß, was du beklagst; ich habe das junge Frauenzimmer besucht, und habe deinetwegen mit ihr gesprochen. Darauf muß ich bestehen, als auf einen Beweis alles dessen, was du gesagt hast, und der Zuverlässigkeit deines Entschlusses, daß du mir in einem Punkte gehorsamest: und zwar darin, daß du dir die Entscheidung der jungen Dame gefallen lassest, sie falle für deinen Wunsch aus, oder nicht. Sie hat bereits genug von solchen Ansuchungen erlitten, wovon ich das Andenken hasse. Sie soll meiner Familie wegen keinen Zwang mehr erdulden. Ich weiß, ihr Vater wird jetzt eben so bereitwillig sein, sie deinetwegen zu quälen, als er es vorhin eines andern wegen war. Aber ich bin des festen Vorsatzes, sie soll keine Einsperrungen, keine Gewaltthätigkeiten, keine kummervollen Stunden mehr auszustehn haben.« – »O mein teuerster Onkel,« antwortete Jones, »legen Sie mir, ich bitte Sie, Befehle auf, in deren Erfüllung mein Gehorsam verdienstlicher sei. Glauben Sie mir, der einzige Punkt, worin ich Ihnen ungehorsam sein könnte, wäre, wenn ich meiner Sophie einen Augen blick Unruhe machen sollte. Nein, lieber Onkel, wenn ich so unglücklich gewesen bin, ihr Mißfallen ohne alle Hoffnung auf Verzeihung auf mich geladen zu haben: so ist dieses allein, nebst dem nagenden Gedanken, sie elend zu machen, hinlänglich genug mich zu Boden zu drücken. Sophie die meinige zu nennen, ist das größte, und jetzt das einzige mir noch fehlende Glück, das der Himmel mir bescheren kann; aber es ist ein Glück, welches ich allein nur ihr zu verdanken haben muß.« – »Ich will dir nicht schmeicheln, Kind,« sagte Alwerth. »Ich fürchte, deine Sache steht bis zum Verzweifeln schlecht. Niemals sah ich bei irgend einer Person stärkere Merkmale eines unveränderlichen Entschlusses, als ich in ihren heftigen Erklärungen, deine Bewerbung nicht anzunehmen, wahrnahm. Ihre Gründe kannst du dir vielleicht besser erklären, als ich.« – »O liebster Onkel, nur zu gut kann ich sie mir erklären,« antwortete Jones. »Ich habe mich an ihr versündigt, weit über alle Grenzen der Hoffnung auf Verzeihung; und so strafbar ich bin, so scheint ihr doch mein Verbrechen unglücklicherweise noch zehnmal schwärzer, als es seiner natürlichen Farbe nach ist. O teuerster Onkel! ich finde, meine Thorheiten sind nicht wieder gut zu machen, und alle Ihre Güte kann mich nicht vom Untergange retten.«

Ein Bedienter sagte jetzt an, der Herr von Western sei unten im Hause; denn seine Begierde, Herrn Jones zu sehn, konnte den Nachmittag nicht erwarten. Worauf Jones, dem die Augen voller Thränen standen, seinen Onkel bat, Herrn Western einige Minuten zu unterhalten, bis er sich ein wenig wieder gefaßt hätte, welches [291] der gute Mann bewilligte, und nachdem er befohlen, daß man Herrn Western ins Besuchzimmer führen sollte, ging er zu ihm hinunter.

Madame Miller hatte nicht so bald erfahren, daß Jones allein wäre (denn sie hatte ihn seit seiner Entlassung noch nicht gesehen), als sie eiligst nach seinem Zimmer kam, auf Jones zuging und ihm zu seinem neugefundenen Oheim und seiner Aussöhnung mit ihm von Herzen Glück wünschte. Sie fügte hinzu: »Ich wollte wünschen, ich könnte Ihnen noch anders wozu Glückwünsche abstatten, mein liebes Kind; aber so was Unerbittliches hab' ich noch niemals gesehn.« – Jones fragte sie mit anscheinender Verwunderung, was sie meine. »Je nun!« sagte sie, »ich bin bei der lieben jungen Dame gewesen, und habe ihr die Sachen alle so deutlich erklärt, als mein Sohn Nachtigall mir sie gesagt hat. Ueber den Brief kann sie länger keinen Zweifel haben, das weiß ich gewiß; denn ich sagt' ihr, mein Sohn Nachtigall wäre billig und bereit, einen Eid abzulegen, wenn sie 's verlangte, daß es alles seine eigne Erfindung gewesen, und daß er den Brief selbst in die Feder gesagt hätte. Ich sagt' ihr, daß justement die Ursach, warum Sie den Brief hingeschickt hätten, Sie ihr noch desto lieber machen sollte, weil es ja aus Liebe zu ihr geschehen, und ein deutlicher Beweis wäre, daß Sie entschlossen gewesen, Ihren sündlichen Umgang ins Zukünftige zu unterlassen; daß Sie ihr auch nicht ein einziges Mal untreu gewesen wären, von dem Augenblick an, da Sie sie in der Stadt gesehen hätten. Ich fürchte wohl, daß ich zuviel gesagt haben kann; aber der Himmel wird mir's vergeben! Ich hoffe, Ihre künftige Aufführung wird mich rechtfertigen! So viel weiß ich, alles was ich gekonnt habe, hab' ich gesagt; aber alles umsonst! Sie bleibt unbeweglich. Sie sagt, sie hätte Ihnen manche Fehler vergeben, in betracht Ihrer Jugend; aber sie bezeigt einen solchen Abscheu am Charakter eines Libertiners, daß sie mir damit den Mund stopfte. Ich versuchte oft, Sie zu entschuldigen; aber ich konnt' ihr bei ihrer gerechten Klage auf tausend nicht eins antworten. Auf meine Ehre, sie ist ein liebenswürdiges Fräulein, und eins der süßesten und verständigsten Geschöpfe, die ich noch gesehen habe. Einmal hätte ich für etwas, das sie sagte, sie fast küssen mögen. Es war ein Gedanke, der eines Seneka, oder eines Bischofs würdig gewesen wäre. Ehemals meinte ich, Madame, sagte sie, ich hätte eine große Güte des Herzens an Herrn Jones entdeckt; und deswegen, ich gestehe es, hatte ich eine große Hochachtung für ihn: aber eine gänzliche Zügellosigkeit der Sitten verdirbt endlich das beste Herz von der Welt; und alles, was ein gutherziger liederlicher Mensch erwarten kann, ist, daß wir ein paar Körnchen Mitleid in unsre Verachtung, unsern Abscheu mischen. – Es ist ein wahrer Engel von Mädchen, das muß ich mit Wahrheit sagen.« – »O Madame Miller,« antwortete Jones, »kann ich wohl den Gedanken ertragen, einen solchen Engel verloren zu haben?« – »Verloren! Nein,« erwiderte Madame Miller. »Ich hoffe, noch sollen Sie sie nicht verloren haben. Entschließen Sie sich nur ernstlich, [292] solche Versündigungen nicht mehr zu begehn, so können Sie noch hoffen. Nun, und sollte sie denn ja unerbittlich bleiben wollen, so kenn' ich ein ander junges Frauenzimmer, eine süße, recht hübsche Person, mit einem recht tüchtigen Vermögen, die wirklich bis zum Sterben in Sie verliebt ist. Ich habe es erst diesen Morgen erfahren, und habe es dem Fräulein von Western gesagt. Ja, ich ging abermals ein wenig über die Wahrheit hinaus; denn ich sagte ihr, Sie hätten diese Person ausgeschlagen; aber ich glaub' auch gewiß, Sie würden sie ausschlagen. – Und hier muß ich Ihnen ein wenig zu Ihrem Troste sagen: als ich ihr den Namen des Frauenzimmers nannte, – und ich kann Ihnen ja auch wohl sagen, wer es ist: die hübsche junge Witwe, Madame Hunt – da kam mir's vor, als ob sie blaß würde. Als ich aber nachher sagte, Sie hätten sie ausgeschlagen, so will ich wohl einen Eid drauf thun, daß ihr Gesicht in einem Augenblick über und über rot ward, wie Scharlach; und dies waren ihre eigentlichen Worte: Ich will nicht leugnen, daß ich glaube, sein Herz sei mir ein wenig geneigt!«

Hier ward die Unterredung durch die Ankunft des Junker Western unterbrochen, der sich selbst durch das Ansehen des Herrn Alwerth nicht länger abhalten lassen wollte; ob dieses gleich, wie wir oft gesehen haben, eine außerordentliche Macht über ihn hatte.

Western ging geradesweges auf Jones zu und rief aus: »Ha! mein alter Freund Thoms, freu' mich, dich zu sehn, von ganzem Herzen. Was vorbei ist, ist vorbei, und vergess'n und vergeben! Ich konnt 's ja nicht so meinen, daß ich dir 'n Schimpf anthun wollt'; denn, wie's Alwerth hier weiß, und du weißt 's ja auch selbst, 'ch hielt dir für 'ne andre Person; und wenn's 'n Mensch nicht arg meint, was thut denn 'n hastig Wort, oder so was? Ein Christ muß dem andern vergeben und vergessen.« – »Ich hoffe, Herr Western,« sagte Jones, »ich werde niemals die Verbindlichkeiten vergessen, die Sie mir erwiesen haben. Was aber Beleidigungen betrifft, die Sie mir zugefügt hätten, so bezeuge ich, daß mir solche völlig unbekannt sind.« – »Sind's?« sagte Western. »Gib mir's Patschhand! Bist doch ein so ehrlich wacker Gesell, als nur einer die Erd' betritt. Komm, geh' gleich mit mir; 'ch will d'ch den Augenblick zu dein'r Braut hinbring'n.«

Hier legte sich Alwerth drein; und der Junker, der weder bei dem Onkel noch bei dem Neffen seinen Zweck erreichen konnte, war, nach einigem Haberechten genötigt, seinen Vorsatz, Jones bei Sophie einzuführen, bis auf den Nachmittag zu verschieben; gegen welche Zeit Alwerth, sowohl aus Mitleid mit Jones, als aus Nachgiebigkeit gegen Westerns begieriges Verlangen, sich zu dem Versprechen bewegen ließ, Thee bei ihm zu trinken.

Die Unterredung, welche hierauf erfolgte, war angenehm genug, und, wäre sie früher in unsrer Geschichte vorgefallen, würden wir unsre Leser damit unterhalten haben; so aber, da wir jetzt nur eben Muße genug haben, uns um das Wesentlichste zu bekümmern, müssen wir uns damit begnügen zu sagen: daß Western, nachdem [293] wegen des Nachmittags-Besuchs alles völlig abgeredet war, wieder nach Hause ging.

Elftes Kapitel
Elftes Kapitel.

Die Geschichte naht sich immer mehr dem Schlusse.


Als Herr Western weggegangen war, begann Jones, Herrn Alwerth und Madame Miller zu berichten, wie seine Freiheit durch zwei Herrn vom hohen Adel bewirkt worden sei, die mit einander, nebst zwei Wundärzten und einem Freunde von Herrn Nachtigall, zu der Magistratsperson gegangen wären, die ihn hatte setzen lassen, und die ihn, auf die eidliche Aussage der Wundärzte, daß der Verwundete in keiner Art von Gefahr sei, wieder losgegeben hatte.

Nur einen von diesen Vornehmen von Adel, sagte er, habe er vorher gesehn, und zwar nur ein einziges Mal; der andre aber habe ihn in große Verwunderung gesetzt, da er ihn wegen einer ihm zugefügten Beleidigung um Vergebung gebeten, die bloß dadurch, nach seiner Versicherung, veranlaßt worden, daß ihm völlig unwissend gewesen, wer er wäre.

Nun war die eigentliche Beschaffenheit dieses Umstandes, wie Jones erst spät nachher erfuhr, diese: Der Leutnant, den der Graf Liebegrimm gebraucht hatte, um Herrn Jones, auf Anraten der Frau von Bellaston, als einen gewerblosen Landstreicher zum Seedienst wegnehmen zu lassen, sprach, als er dem Grafen von dem bekannten Vorgange Bericht erstattete, sehr vorteilhaft von Jones' durchgängigem Betragen, und versicherte diesem Herrn aufs nachdrücklichste, es müsse ein Irrtum in der Person vorgegangen sein; denn Jones wäre gewiß ein Mann von feiner Erziehung, dergestalt, daß der Graf, welcher ein Mann war, der stark auf Ehre hielt, und sich auf keine Weise eine Handlung zu schulden kommen lassen wollte, die die Welt im allgemeinen verdammt haben würde, über den Rat, den er befolgt hatte, sehr betroffen zu werden anfing.

Ungefähr ein paar Tage nachher traf sich's, daß dieser Graf mit dem irländischen Peer zum Mittagessen war, welcher, in einem Gespräche über das Duell, der Gesellschaft den Charakter des Herrn Fitz Patrick beschrieb, dem er nun freilich wohl nicht die strengste Gerechtigkeit widerfahren ließ, in Rücksicht auf seine Gemahlin besonders. Denn er sagte, sie wäre die unschuldigste und am ärgsten gemißhandelte Frau auf der Welt, und er habe sich bloß aus Mitleiden ihrer angenommen. Er sagte darauf, er sei willens, des nächsten Morgens nach Herrn Fitz Patricks Wohnung zu gehen, um ihn, wo möglich, dahin zu bereden, in eine Scheidung von seiner Frau zu willigen, die, wie der Peer sagte, für ihr Leben besorgt sein müßte, wenn sie jemals wieder unter die Gewalt ihres Ehemanns geriete. Der Graf Liebegrimm nahm mit ihm Abrede, ihn zu begleiten, um sich von dem, was den Herrn Jones und die Umstände des Zweikampfs beträfe, noch gewisser zu überzeugen; denn er war über die Rolle, die er gespielt hatte, nichts weniger als [294] ruhig. Den Augenblick, da sich der Graf merken ließ, daß er bereitwillig sei, ihm in der Befreiung der Dame beizustehn, nahm der irländische Reichsgraf das Anerbieten mit beiden Händen an, weil er ein großes Vertrauen auf Liebegrimms Ansehn setzte, und meinte, es würde ein Großes beitragen, daß Fitz Patrick aus Ehrerbietung nachgeben müßte. Und vielleicht hatte er nicht Unrecht: denn der arme Irländer sah nicht so bald, daß zwei Herrn vom ersten Adel sich der Sache seiner Ehefrau unterzogen hätten, als er sich unterwarf und die Artikel der Scheidung von beiden Seiten aufgesetzt und unterzeichnet wurden.

Fitz Patrick, entweder weil er durch Madame Waters völlig von der Unschuld seiner Frau, in Absicht auf Jones zu Upton, zufrieden gestellt war, oder, vielleicht aus einer andern Ursache, war über diese Sache so gleichgültig geworden, daß er gegen den Grafen Liebegrimm sehr vieles zum Vorteil des Herrn Jones sagte, alle Schuld auf sich selbst nahm, und versicherte, der andre habe sich völlig so benommen, wie es einem Kavalier und Manne von Ehre gezieme und gebühre; und auf des Grafen weiteres Fragen nach Herrn Jones' Umständen sagte ihm Fitz Patrick, er wäre der Neffe eines Herrn von sehr vornehmem Stande, und von sehr großem Vermögen, denn dies war die Nach richt, die er kurz vorher von Madame Waters, nach ihrer Unterredung mit Dowling, erhalten hatte.

Der Graf Liebegrimm dachte nunmehr, es gezieme ihm, alles zu thun, was in seinem Vermögen stünde, um einem Edelmann Genugthuung zu geben, den er so gröblich beleidigt hatte; und ohne alle Rücksicht auf Nebenbuhlerschaft (denn er hatte nunmehr schon alle Gedanken an Sophie aufgegeben,) nahm er sich vor, Herrn Jones die Freiheit zu verschaffen, da er von Herrn Fitz Patrick sowohl als von dem Wundarzte die Versicherung erhalten hatte, daß die Wunde nicht tötlich sei. Er beredete also den irländischen Peer, ihn nach dem Orte zu begleiten, wo Jones gefangen saß, woselbst er sich denn so betrug, wie wir bereits erzählt haben.

Nachdem Alwerth wieder nach Hause gekommen war, nahm er unsern Jones geradesweges mit sich auf sein Zimmer, und unterrichtete ihn von allem, sowohl was er von Madame Waters vernommen, als was er durch den Herrn Dowling entdeckt hatte.

Jones bezeigte hierüber sein großes Erstaunen und nicht geringeres Bedauern, ohne jedoch die mindeste Bemerkung darüber zu machen. Und nunmehr ward eine Botschaft von Blifil gebracht, mit der Bitte, zu vernehmen, ob sein Onkel Zeit habe und er ihm aufwarten dürfe. Alwerth stutzte und ward blaß, und befahl dann dem Bedienten, mit einem zornigern Tone, als womit er, wie ich glaube, in seinem Leben vorher etwas befohlen hatte, er solle Blifil sagen, er kenne ihn nicht. – »Bedenken Sie, liebster Onkel!« sagte Jones mit zitternder Stimme. – »Ich habe bedacht!« antwortete Alwerth; »und du selbst sollst dem Bösewicht meine Entschließung überbringen. Niemand kann besser dazu gewählt werden, ihm das Urteil seines eignen Verderbens anzukündigen, als der Mann, an [295] dessen Untergange er mit so höllischer Bosheit gearbeitet hat.« – »Verzeihn Sie mir, mein teuerster Onkel,« sagte Jones; »ein Augenblick Ueberlegung wird Sie, ich weiß es gewiß, vom Gegenteile überführen. Dasjenige, was von einer andern Zunge vielleicht eine Gerechtigkeit wäre, würde von der meinigen hämische Bitterkeit, und gegen wen? – gegen meinen eignen Bruder, Ihren Neffen. – Auch hat er mich nicht so barbarisch behandelt. – In der That, dies würde weniger zu entschuldigen sein, als alles, was er an mir gethan hat. Begierde nach Reichtum mag Menschen von schlechten Gesinnungen in Versuchung führen können, ungerecht zu handeln; aber hämische Schadenfreude entsteht bloß aus einem schwarzen tückischen Gemüte, und hat keine Versuchung zur Entschuldigung anzuführen. – Lassen Sie mich bitten, liebster Onkel, daß Sie in der jetzigen Wallung Ihres Zorns nichts gegen ihn vornehmen wollen. Bedenken Sie, bester, teuerster Onkel, ich ward ja auch nicht ungehört verdammt.« Alwerth stund einen Augenblick und schwieg; und dann fiel er Jones um den Hals, wobei ihm die Thränen aus den Augen stürzten: »O mein Sohn, mein Sohn! Gegen was für ein Herz bin ich so lange blind gewesen!«

Nach einem leisen Anpochen, welches nicht gehört worden, trat Madame Miller in eben diesem Augenblicke ins Zimmer, und wie sie Jones in den Armen seines Onkels sah, fiel die brave Frau in ihren Freudenkrämpfen auf die Kniee und brach aus in Worten der höchsten Erhebung der Seele für das, was geschehen, dem Himmel Dank zu opfern. – Dann lief sie nach Jones hin, umarmte ihn mit herzlichster Inbrunst, und sagte mit Thränen der Wonne: »Mein teuerster Freund, ich wünsche Ihnen tausend, tausend Glück zu diesem so seligen Tage!« Und hiernächst erhielt auch Herr Alwerth eben die Glückwünsche, auf welche er antwortete: »Wirklich, wirklich, Madame Miller, ich bin unaussprechlich glücklich!« Nachdem noch einige dergleichen Entzückungen mehr von allen Seiten vorgefallen waren, bat Madame Miller beide, sie möchten mit ins Besuchzimmer herunter kommen und zu Mittag bei ihr essen, weil daselbst, wie sie sagte, eine kleine Anzahl froher Menschen versammelt wären, welches in der That keine andern waren, als Nachtigall mit seiner jungen Ehefrau, und seine Kousine Henriette mit ihrem jungen Ehemanne.

Alwerth entschuldigte sich, daß er nicht mit der Gesellschaft essen könne. Er sagte, er habe für sich und seinen Neffen ein paar Schüsseln auf sein Zimmer bestellt, weil sie von besondern Angelegenheiten mit einander sprechen müßten; er wollte sich aber das Vergnügen nicht versagen, der lieben Frau zu versprechen, daß sowohl er als Jones ihre Gesellschaft beim Abendessen verstärken wollten.

Madame Miller fragte hierauf, wie es nun mit Blifil werden sollte? »Denn, in Wahrheit,« sagte sie, »ich kann nicht ruhig sein, so lang' ein solcher Bösewicht unter meinem Dache ist.« – Alwerth antwortete, er wäre in eben der Rücksicht nicht weniger unruhig, als sie selbst. – »O,« sagte sie, »wenn dem also ist, so lassen Sie [296] mich machen: ich will ihm bald weisen, wie die Hausthür auswendig aussieht; trauen Sie mir. Da unten sind zwei oder drei handfeste Kerle, die was anfassen können.« – »Es wird keiner Gewalt bedürfen,« sagte Alwerth. »Wenn Sie ihm eine Botschaft von mir überbringen wollen, so wird er schon, wie ich nicht zweifle, von selbst abziehn.« – »Ob ich will?« sprach Madame Miller. »In meinem Leben habe ich nichts so gerne gethan.« Hier mischte sich Jones darein und sagte, er habe die Sache reiflicher überlegt, und wollte, wenn's Herrn Alwerth so gefällig wäre, selbst der Bote sein. »Ich weiß schon ziemlich, wie's mein lieber Onkel gemacht haben will, und ich bitte nur um Erlaubnis, daß ich's ihm in meinen eignen Worten hinterbringen dürfe. – Lassen Sie sich bitten, lieber Onkel,« fügte er hinzu, »zu überlegen, was für entsetzliche Folgen es haben könnte, wenn man ihn bis zur heftigen und plötzlichen Verzweiflung triebe. Ach, wie wenig ist dieser Jüngling, in seiner jetzigen Fassung, zum Sterben geschickt!« Dieser Gedanke war nicht ohne Wirkung auf Madame Miller. Sie verließ das Zimmer mit den Worten: »Sie sind zu gut, Herr Jones, unendlich viel zu gut, in dieser Welt zu leben.« Er machte aber einen tiefern Eindruck auf Herrn Alwerth. »Mein lieber Sohn,« sprach er, »ich bin ebenfalls erstaunt über die besondere Güte deines Herzens und über die Lebhaftigkeit deines Verstandes. Es wäre allerdings fürchterlich und der Himmel woll' es verhüten, wenn diesem bösen Menschen Zeit und Mittel zur Reue und Buße versagt würden. Wohl! geh' also zu ihm und verfahre nach deiner besten Einsicht; aber schmeichle ihm nicht mit der Hoffnung auf meine Vergebung, denn Bosheiten werde ich nie anders vergeben, als in sofern mir die Religion befiehlt, und ihre Befehle erstrecken sich in dem Falle nicht bis auf Wohlthaten oder Umgang.«

Jones ging hinauf nach Blifils Zimmer, den er in einer Lage fand, welche ihn zum Mitleiden bewegte, ob solche gleich bei manchem Zuschauer eine weniger milde Leidenschaft erregt haben möchte. Er hatte sich auf ein Bett geworfen, wo er sich der Verzweiflung überließ und in Thränen schwamm. Nicht solche Thränen, die aus Reue fließen, und von solchen Seelen die Schuld abwaschen, welche verführt sind, oder sich gegen ihren natürlichen Hang unbedachtsamerweise haben hinreißen lassen, wie wohl zuweilen aus menschlicher Schwachheit selbst dem Guten begegnet. Nein, es waren die Thränen eines beängstigten Diebes auf der Leiter zum Galgen, welche ordentlicherweise eine Wirkung desjenigen Wohlwollens sind, das auch selbst die verhärtetsten Gemüter selten ermangeln – für sich selber zu empfinden.

Es würde trockene und langweilige Arbeit werden, wenn ich diese Szene der Länge nach ausmalen wollte. Es mag also damit genug sein, wenn ich sage: das Betragen des Herrn Jones war fast bis zum Uebertriebenen gütig. Er unterließ nichts von alle dem, was er nur ersinnen konnte, um Blifils gesunkenen Mut aufzurichten und zu stärken, bevor er ihm den Entschluß seines Oheims, daß er noch den Abend das Haus verlassen müßte, bekannt machte. [297] Er erbot sich, ihn mit so viel Geld zu versorgen, als er bedürfe, und versicherte ihn, daß er ihm alles, was er ihm zuwider gethan habe, von Herzen verzeihen und sich bestreben wolle, künftighin als Bruder mit ihm zu leben. Daneben wolle er auch nichts unversucht lassen, um eine Aussöhnung mit ihrem Oheim zu bewirken.

Blifil war anfangs störrig und stumm, und erwog in seinen Gedanken, ob er nicht noch alles leugnen sollte. Da er aber endlich fand, daß das Zeugnis wider ihn zu stark sei: so legte er sich zuletzt auf's Bekennen. Er bat hienächst auf die heftigste Weise seinen Bruder um Vergebung, warf sich vor ihm zur Erden und küßte ihm die Füße: kurz, er war jetzt ebenso äußerst niederträchtig, als er vorher äußerst ruchlos gewesen war.

So weit konnte Jones seine Verachtung nicht unterdrücken, daß sie sich über dieses knechtische Kriechen nicht ein wenig in seinen Mienen gezeigt haben sollte. Er hob seinen Bruder den ersten Augenblick von der Erde auf, da er nur dazu kommen konnte, und ermahnte ihn, seine Widerwärtigkeiten mehr wie ein Mann zu tragen, wobei er das Versprechen wiederholte, alles thun zu wollen, was in seinem Vermögen stünde, um solche zu mindern; wogegen Blifil, unter häufigen Beteurungen seiner Unwürdigkeit, seine tiefste Dankbarkeit ausschüttete; und als er demnächst erklärt hatte, daß er unmittelbar nach einem andern Hause ziehen wollte, ging Jones wieder zu seinem Oheim.

Unter andern Dingen erzählte nun Alwerth auch seinem Jones die Entdeckung, die er in Ansehung der fünfhundert Pfund in Banknoten gemacht hätte. »Ich habe bereits,« sagte er, »einen Rechtsgelehrten um Rat gefragt, der mir zu meinem großen Erstaunen sagt, daß auf einem diebischen Betruge dieser Art keine Strafe steht. In der That, wenn ich die schwarze Undankbarkeit dieses Kerls gegen dich erwäge, so denke ich, ein Räuber auf öffentlichen Heerstraßen sei, mit ihm verglichen, ein unschuldiger Mensch.«

»Gütiger Himmel!« sagte Jones, »ist das möglich? – Bei dieser Nachricht stehn mir die Haare zu Berge! Ich dachte, es gäbe keinen ehrlichern Kerl in der Welt. – Die Versuchung einer solchen Summe war zu groß für ihn, um ihr zu widerstehn; denn geringere Sachen sind mir durch seine Hände richtig zugekommen. In der That, mein teuerster Onkel, Sie müssen mir's nicht ungütig nehmen, wenn ich es lieber Schwachheit als Undankbarkeit nenne; denn ich bin überzeugt, der arme Kerl hat mich lieb, und hat mir Gefälligkeiten erzeigt, die ich ihm niemals vergessen kann. Ja, ich glaube, er hat eben diese Handlung schon bereut: denn es ist noch nicht länger her als ein paar Tage, da sich meine Umstände in der verzweifeltsten Lage zu befinden schienen, als er mich in meiner Gefangenschaft besuchte und mir Geld anbot, dessen ich benötigt sein möchte. Bedenken Sie, liebster Onkel, was es für eine Versuchung sein muß, für einen Mann, der solche bittre Not geschmeckt hat, zum Besitz einer Summe zu gelangen, die ihn und seine Familie auf die Zukunft vor allen solchen Leiden sichern kann.«

»Kind!« rief Alwerth, »du treibst deine Liebe zum Verzeihen [298] zu weit. Dergleichen übelverstandene Güte ist nicht nur Schwachheit, sondern grenzt nahe an Ungerechtigkeit, und wird der menschlichen Gesellschaft dadurch gefährlich, daß sie das Laster kühn macht. Die Untreue dieses Kerls hätte ich vielleicht noch verziehn, seine Undankbarkeit aber niemals. Und erlaube mir's dir zu sagen, wenn wir zugeben, daß irgend eine Versuchung einen Diebstahl selbst entschuldigen könne, so sind wir so gerecht und barmherzig, als wir sein sollen; und so weit, ich bekenne es, bin ich gegangen. Denn ich habe oft das Schicksal eines Straßenräubers bedauert, wenn ich als Geschworner habe über ihn urteilen müssen, und mehr als einmal habe ich bei dem Oberrichter eine Fürbitte für solche Delinquenten eingelegt, in deren Sache sich ein mildernder Umstand zeigte. Wenn aber Diebstahl noch von schwärzren Verbrechen begleitet wird, als Grausamkeit, Mord, Undankbarkeit oder dergleichen, so werden Mitleiden und Verzeihung wirkliche Fehler. Ich bin überzeugt, der Kerl ist ein gottloser Bösewicht, und er soll bestraft werden, wenigstens insoweit, als ich ihn bestrafen kann.«

Dies ward mit einer so ernsthaft strengen Stimme gesprochen, daß es Jones nicht ratsam dünkte, etwas weiter einzuwenden; überdem rückte die von Herrn Western bestimmte Stunde so nahe heran, daß er nur noch kaum soviel Zeit hatte, sich anzukleiden. Hier endigte sich also das gegenwärtige Gespräch, und Jones begab sich in ein anders Zimmer, wo ihm Rebhuhn, der Anweisung gemäß, die Kleider in Bereitschaft hielt.

Rebhuhn hatte seinen Herrn, nach der glücklichen Entdeckung, noch kaum gesehn. Der arme Mensch war gleich unfähig, sein Entzücken zu mäßigen oder auszudrücken. Er betrug sich wie ein Wahnwitziger, und machte beim Ankleiden des Herrn Jones ebenso manches Versehen, als ich wohl ehedem vom Harlekin gesehen habe, wenn er sich selbst auf dem Theater ankleiden wollte.

Sein Gedächtnis war indessen nicht im geringsten mangelhaft. Er erinnerte sich jetzt mancher Ahnungen und Vorbedeutungen von dieser glücklichen Begebenheit, deren er einige schon damals angemerkt hatte, vieler andern aber sich jetzt erst erinnerte. Er vergaß auch der Träume nicht, die er die Nacht vorher geträumt hatte, ehe er mit Jones zusammenkam, und schloß damit, daß er sagte: »Ich hab's Ew. Gnaden wohl immer gesagt, was mir mein Sinn zutrüge, daß es noch einstmals in Ihrer Gewalt stehen würde, mein Glück zu machen.« Jones versicherte ihm, seine Ahnungen sollten in Ansehung seiner selbst ebenso richtig zutreffen, wie alle übrigen Vorbedeutungen bis hieher schon eingetroffen wären. Diese Zusage vermehrte das Entzücken des armen Menschen nicht wenig, das er schon in Ansehung seines Herrn empfand.

Zwölftes Kapitel
[299] Zwölftes Kapitel.

Nähert sich immer mehr dem Ende.


Nachdem Jones völlig angezogen war, begleitete er seinen Onkel nach der Wohnung des Herrn Western. Er war wirklich eine von den schönsten Figuren, welche jemals gesehen worden, und seine Person allein würde schon den größten Teil des weiblichen Geschlechts in ihn verliebt gemacht haben; jedoch wir hoffen, es habe schon sattsam aus dieser Geschichte erhellt, daß die Natur, als sie ihn bildete, nicht, wie sie wohl zuweilen thut, sich bloßerdings auf dieses Verdienst verließ, um ihr Kunstwerk zu empfehlen.

Sophie, welche bei all ihrem Zorne sich gleichfalls auf's vorteilhafteste angekleidet hatte (aus was für Ursachen, das lasse ich meine Leserinnen ausmachen), trat in so außerordentlicher Schönheit daher, daß selbst Alwerth, als er sie sah, sich nicht enthalten konnte, dem Junker Western leise ins Ohr zu sagen, er glaube, sie sei das schönste Geschöpf auf der Welt. Worauf Western mit einem Geflüster, das alle Gegenwärtige verstehen konnten, antwortete: »Dest' besser für Thom's; denn 'n Schelm will 'ch sein, wenn s' Thom's nicht in d' Lappen kriegen soll!« Sophie ward bei diesen Worten so rot wie Scharlach, unterdessen daß Jones im Gesicht fast ebenso blaß wurde und fast von seinem Stuhl gesunken wäre.

Kaum war der Theetisch weggenommen, als Western den Herrn Alwerth aus dem Zimmer zerrte und ihm sagte, er habe ihm was Wichtiges zu sagen, er müsse also den Augenblick allein mit ihm sprechen, ehe er es wieder vergäße.

Die Verliebten waren nun bei einander allein; und es wird, wie ich nicht zweifle, vielen von meinen Lesern wunderbar scheinen, daß zwei Personen, die einander soviel zu sagen hatten, als noch ihre Unterredung mit Gefahr und Schwierigkeiten verknüpft war, die so begierig schienen, einander in die Arme zu laufen, als sich noch so viele Gräben und Schlagbäume auf ihrem Wege befanden, jetzt, da sie ganz gemächliche Freiheit hatten, einander zu sagen, was sie wollten, eine ziemliche Zeit stumm und unbeweglich da saßen; dergestalt, daß ein Fremder von mäßiger Scharfsichtigkeit gar wohl hätte schließen können, sie wären einander ganz gleichgültig. Aber so war's nun einmal, so wunderbar es auch scheinen mag! Beide saßen da mit auf die Erde gewandtem Blick und beobachteten einige Minuten durch ein totes Stillschweigen.

Während dieser Zwischenzeit strebte Jones ein-oder ein paarmal zu sprechen; aber es war ihm durchaus unmöglich. Er murmelte oder vielmehr seufzte bloß ein paar abgebrochene Worte; als Sophie endlich teils aus Mitleid mit ihm, teils um das Gespräch von dem Gegenstande abzulenken, welchen er, wie sie wohl wußte, aufzuwerfen bemüht war, sagte:

»Gewiß, Herr Jones, Sie sind der glücklichste Mann von der Welt bei dieser Entdeckung.« – »Können Sie mich wirklich für so glücklich halten, gnädiges Fräulein,« sagte Jones mit Seufzen, »derweil ich mir Ihr Mißfallen zugezogen habe?« – »Was das [300] betrifft, Herr Jones,« sagte sie, »so wissen Sie am besten, ob Sie es verdient haben!« – »In der That, gnädiges Fräulein,« antwortete er, »Sie selbst sind ebenso gut von allen meinen Verschuldungen unterrichtet. Madame Miller hat Sie mit der ganzen Wahrheit bekannt gemacht. O, meine Sophie, soll ich niemals auf Verzeihung hoffen dürfen?« – »Ich sollte denken, Herr Jones,« sagte sie, »ich dürfte mich auf Ihre eigne Gerechtigkeit berufen und es Ihnen selbst überlassen, ein Urteil über Ihre eigene Aufführung zu sprechen!« – »Ach, gnädiges Fräulein,« antwortete er, »ich flehe Ihre Gnade an, und nicht Ihre Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit, ich weiß es, muß mich verurteilen – aber nicht des Briefs wegen, den ich an Frau von Bellaston gesendet habe. Von diesem haben Sie, ich beteur' es auf's feierlichste, eine getreue Nachricht erhalten.« Er legte alsdann ein großes Gewicht auf die Versicherungen, die ihm Nachtigall gegeben, daß er ihm einen gerechten Vorwand an die Hand geben wolle, abzubrechen, wenn die Dame, wider alles ihr Erwarten, seinen Antrag hätte annehmen wollen; dabei bekannte er aber, daß er sich einer großen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht, indem er ihr einen solchen Brief in die Gewalt gegeben; »wofür ich,« sagte er, »durch die Wirkungen, die er auf Sie gethan hat, sehr teuer habe bezahlen müssen.«

»Ich will und kann,« sagte sie, »von diesem Briefe nicht anders denken, als Sie wollen, daß ich denken soll. Mein Betragen, glaube ich, zeigt Ihnen deutlich genug, daß ich nicht meine, daß eben viel an dieser Sache gewesen sei. Aber, Herr Jones, habe ich außerdem nicht sonst noch genug übelzunehmen? Nach dem, was zu Upton vorging, sich so bald wieder in eine Liebessache mit einem andern Frauenzimmer einzulassen, derweil ich mir einbildete und Sie es vorgaben, daß Ihr Herz meinetwegen blutete! – In der That, Sie haben ganz seltsam gehandelt! Kann ich die Leidenschaft, die Sie mir beteuern wollten, für aufrichtig halten? Oder wenn ich's auch kann: was für Glückseligkeit kann ich mir von einem Manne versprechen, der so sehr der Unbeständigkeit unterworfen ist?« – »O meine Sophie!« sprach er, »zweifeln Sie nicht an der Aufrichtigkeit der reinsten Flamme, die nur jemals in einer menschlichen Brust gelodert hat. Denken Sie, verehrungswürdigste Seele, an meine unglückliche Lage, an meine Verzweiflung. – Hätte ich, meine teuerste Sophie, mir nur mit der entferntesten Hoffnung schmeicheln können, daß es mir jemals erlaubt sein würde, mich, wie jetzt, zu Ihren Füßen werfen zu dürfen; es wäre nicht in der Macht irgend eines andern weiblichen Geschöpfs gewesen, mir nur einen Gedanken einzuflößen, den die strengste, züchtigste Keuschheit verwerflich befunden haben könnte. Unbeständigkeit gegen Sie! – O Sophie, wenn Sie so viele Güte haben können, mir das Vergangne zu verzeihen, so lassen Sie keine grausame Besorgnis fürs Zukünftige Ihr Mitleid gegen mich verschließen. Keine Reue ist jemals so aufrichtig gewesen! O, lassen Sie mich solche mit meinem Himmel in diesem mir so teuren Busen aussöhnen.« – »Aufrichtige Reue, Herr Jones,« antwortete sie, »erhält Verzeihung für [301] einen Sünder; aber sie erhält sie von einem, der ein zuverlässiger Richter von dieser Aufrichtigkeit ist. Der Verstand eines Menschen kann hintergangen werden, und es gibt kein unfehlbares Mittel, es zu verhindern. Sie müssen indessen erwarten, daß, wenn mich Ihre Reue dahin bringen kann, Ihnen zu verzeihn, ich wenigstens auf den stärksten Proben von der Aufrichtigkeit dieser Reue bestehe!« – »O, nennen Sie mir jede Probe, die in meinem Vermögen steht!« antwortete Jones mit großer Lebhaftigkeit. – »Zeit,« erwiderte sie, »die Zeit allein, Herr Jones, kann mich überzeugen, daß Sie das Vergangne wirklich bereuen, und den festen Vorsatz haben, diese ausschweifende Lebensart zu verlassen, wegen welcher, wenn ich Sie für fähig hielte, darin zu beharren, ich Sie verabscheuen würde.« – »Glauben Sie das nicht,« rief Jones; »auf meinen Knieen bitt' ich Sie, flehe ich um Ihr Vertrauen! Und ich werd' es mir zum angelegentlichsten Geschäft meines Lebens machen, dies Vertrauen zu verdienen!« – »Nun, so lassen Sie es denn,« sagte sie, »das Geschäft einesteils Ihres Leben sein, mir zu zeigen, daß Sie es verdienen. Mich deucht, ich habe mich deutlich genug erklärt, wenn ich Sie versichre, daß, wenn ich sehe, Sie verdienen mein Vertrauen, Sie es auch erhalten sollen. Können Sie erwarten, Herr Jones, daß ich, nach dem, was vorgegangen ist, Ihnen so bloß auf Ihr Wort glauben werde?«

Er erwiderte: »Trauen Sie mir nicht auf mein bloßes Wort! Ich habe ein besseres Unterpfand, einen Bürgen für meine Beständigkeit, den es unmöglich ist zu sehen und noch zu zweifeln.«

»Welchen Bürgen?« sagte Sophie mit einiger Verwunderung. – »Den will ich Ihnen zeigen, meine verehrungswürdigste Sophie,« rief Jones, indem er ihre Hand ergriff und sie nach ihrem Spiegel führte. »Da, sehen Sie da! In dieser liebenswürdigen Bildung, in dieser Gestalt, diesem Wuchse, diesen Augen, in dieser Seele, welche aus diesen Augen spricht! Kann der Mann, der durch den Besitz von diesem allem beglückt wird, unbeständig sein? Unmöglich, Sophie! Den leichtsinnigsten Menschen, der jemals in der Welt gelebt hat, würden Sie beständig machen. Sie könnten nicht dran zweifeln, wenn Sie sich durch andre als Ihre eignen Augen sehen könnten.« Sophie errötete und lächelte halb; zwang aber ihre Stirn wieder ein wenig in Falten und sagte: »Wenn ich aus dem Vergangnen auf die Zukunft schließen soll, so wird mein Bild ebensowenig in Ihrem Herzen haften, wenn ich Ihnen aus dem Gesichte bin, als es in diesem Spiegel haftet, wenn ich aus diesem Zimmer gehe.« – »Beim Himmel! bei allem, was heilig ist!« sagte Jones, »es ist nicht einen Augenblick aus meinem Herzen gewesen. Die zarte Empfindsamkeit Ihres Geschlechts kann sich die grobartigere des unsrigen nicht vorstellen; ebensowenig, wie gewisse Liebschaften das geringste mit dem Herzen zu schaffen haben.« – »Ich werde mich niemals mit einem Manne verbinden,« erwiderte Sophie sehr ernsthaft, »der seine Empfindungen nicht bis zu dem Grade verfeinern lernt, daß es ihm ebensowohl, als mir selbst, unmöglich werde, einen solchen Unterschied zu machen.« – »Ich will es lernen,« [302] sagte Jones, »und hab' es bereits gelernt. Der erste Augenblick der Hoffnung, daß Sophie meine Gattin werden könnte, hat mich's auf einmal gelehrt, und alle übrigen ihres Geschlechts blieben von dem Augenblick an ebensowenig der Gegenstand der Begierden meiner Sinne, als der Leidenschaft meines Herzens.« – »Wohl!« sagte Sophie; »den Beweis hiervon muß mir die Zeit geben. Ihre Lage, Herr Jones, hat sich jetzt geändert, und ich versichre Sie, ich freue mich über diese Veränderung. Es wird Ihnen nunmehr nicht an Gelegenheiten fehlen, in der Nähe um mich zu sein und mich zu überzeugen, daß auch Ihr Gemüt geändert sei.« – »O, meine vortrefflichste Sophie,« rief Jones, »wie soll ich dir für diese Güte danken? Und sind Sie wirklich so gütig, zu gestehn, daß Sie sich über meine Glückseligkeit freuen. – Glauben Sie mir, gnädiges Fräulein, Sie allein haben mir diese Glückseligkeit erst recht schmackhaft gemacht, weil ich ihr die teuerste Hoffnung verdanke. O, meine Sophie, lassen Sie es keine entfernte Hoffnung sein. – Ich will Ihren Befehlen gar gern gehorsamen. Ich will es nicht wagen, auf etwas weiter zu dringen, als Sie mir erlauben. Aber lassen Sie sich erbitten, bestimmen Sie keine zu lange Prüfungszeit! O, sagen Sie mir, wann darf ich erwarten, daß Sie von dem, was so höchst feierlich wahr ist, überzeugt sein wollen?« – »Da ich einmal freiwillig mich so weit erklärt habe, Herr Jones,« sagte sie, »so erwart' ich, daß Sie nicht weiter in mich dringen. Einmal für allemal verlang' ich das.« – »O sehen Sie nicht so unfreundlich aus, meine Sophie,« rief er. »Nein, ich dringe nicht, ich unterstehe mich's nicht, in Sie zu dringen; aber erlauben Sie mir gütigst, daß ich noch einmal bitten darf, wenigstens eine Zeit zu bestimmen. O erwägen Sie doch die Ungeduld der Liebe.« – »Nun, vielleicht ein Jahr,« sagte sie. – »O meine Sophie,« rief er aus, »Sie sprechen von einer Ewigkeit.« – »Nun, vielleicht wird es etwas kürzer!« sagte sie; »Sie müssen mich aber nicht quälen. Wenn Ihre Liebe zu mir von der Beschaffenheit ist, wie Sie sagen, so, dächt' ich, könnten Sie nunmehr ruhig sein.« – »Ruhig, Sophie? Nennen Sie die jauchzende Fröhlichkeit über mein Glück mit keinem so kalten Namen! – O, entzückender Gedanke! bin ich nicht versichert, daß der selige Tag kommen wird, da ich Sie die Meinige nennen darf; wo keine Furcht mehr sein wird; wo ich das teure, unermeßliche, unaussprechliche, Seelen erhebende Vergnügen genießen werde, meine Sophie glücklich zu machen?« – »In der That, Herr Jones,« sagte sie, »dieser Tag steht in Ihrer eignen Macht.« – »O mein teuerstes, mein göttlichstes Mädchen,« schrie er, »diese Worte setzen mich außer mir vor Freuden! Aber ich muß, ich will diesen teuren Lippen danken, die mir ein so liebliches Urteil gesprochen haben.« Er faßte sie hierauf in seine Arme, und küßte sie mit einer Lebhaftigkeit, wie er's vorher noch niemals gewagt hatte.

In diesem Augenblicke stürzte Western, der eine Zeitlang an der Thüre gelauscht hatte, ins Zimmer, und mit seiner Jägerstimme, und in seiner Weidmannssprache, hub er an zu schreien: »Frisch auf, Gesell! Frisch auf! huseh! So ist's recht, ihr Honigkinder! [303] O, so ist's recht! Nu, ist nun all's vorbei? Hat sie schon g'sagt, Junker, welch'n Tag? Was? Ist's morgen? Nicht? Ist's übermorgen?« »Nicht 'n Minute soll's länger aufg'schob'n sein, als übermorgen, d'rauf hab' ich mein'n Kopp gesetzt.« – »Ich muß Sie bitten, liebster Herr Western,« sagte Jones, »lassen Sie mich nicht Ursach sein, daß –« – »Ursach hin, Ursach her!« schrie Western. »Was Teufel, hast' d' zu wimmern! Ich meint' d' wärst 'n Kerl gewesen, der 'n besser Faust hätte, als dich so durch 'n paar tücksche Jungfernsprünge in'n Graben werfen zu lassen! Ich sag' dir's, 's ist alles pur Tanterlantant! D'r Donner! sie sieht'n Pfaffen mit'm Buch noch ger'n heut' Abend! Thät's nicht, Fiekchen? Komm g'steh, sei nur einmal 'n ehrlich's Mädchen! Was? Hast' kein Maul? w'rum sprichst' nicht?« – »Was soll ich bekennen, lieber Papa, da es scheint, daß Sie mit meinen Gedanken so vertraulich bekannt sind.« – »Das is m'r nochmal 'n gut's Mädchen! Und sagst also Ja?« – »Nein, in der That, lieber Papa,« sagte Sophie, »ich habe noch nicht Ja gesagt.« – »Und willst 'n nicht morgen haben, oder übermorgen?« sagte Western. – »In der That, lieber Papa,« sagte sie, »das ist mein Wille gar nicht.« – »Aber ich will d'r wohl sagen,« erwidert' er, »w'rum's dein Will' gar nicht ist! 'S macht bloß, weil d' immer so gern ungehorsam bist, und dein'n Vater immer placken und plag'n magst.« – »Ich bitte Sie, lieber Herr Western,« sagte Jones, der sich dazwischen legte. – »Auch du bist auch 'n recht'r Märzhase!« schrie Western. »Als ich's ihr verbot, da war's 'n Geseufze, 'n Gewimmer, und 'n Geschmachte und 'n Geschreibe! Nu, nun ich vor dich stimme, nun stimmt sie konträr! Sie hat 'n Widerspruchsgeist, das ist's all's. Sie ist viel zu groß schon, sich von ihr'n Vater leiten zu lassen und regieren; das ist's Ende vom Lied! Wenn man's beim Licht besieht, s' thut's bloß mir weh' zu thun, und m'r konträr zu sein.« – »Was wollen denn mein lieber Papa, was soll ich thun?« sagte Sophie. – »Was 'ch will? was d' thun sollst?« sagte er. »D' Hand sollst 'n geben diesen augenblickl'chen Augenblick.« – »Nun Papa,« sagte Sophie, »ich will Ihnen gehorchen.« – »Da nehmen Sie meine Hand, Herr Jones.« – »Recht so! Und hast' nun noch was einzuwenden? Willst 'n hab'n morgen früh?« sagte Western. – »Ich will Ihnen gehorsam sein, lieber Papa.« – »Nu, so soll's denn morgen früh sein.« – »Weil Sie's denn so haben wollen, lieber Papa,« sagte Sophie, »so mag es morgen früh sein.« – Jones fiel hier auf seine Kniee, und küßte ihre Hand in Verzückungen der Freude, unterdessen daß Western im Zimmer hüpfte und tanzte, und bald darauf ausrief: »Wo Donner steckt denn nun der Alwerth? Da steckt er draußen bei dem Schuft vom Lurrendrayer, dem Dowling; und hätt' wohl ganz was andere zu thun.« Er machte sich auf die Fersen, ihn zu suchen, und gab den Verlobten Raum, ein paar Minuten allein zu genießen.

Er kam aber mit Herrn Alwerth zurück und sagte: »Wenn S' mir nicht glaub'n woll'n, so könn'n S' ihr selb nur frag'n; da ist sie! – Hast 'n nicht dein Jawort g'geben, Fieke, daß dich [304] morgen trauen lass'n willst? Na, sprich!« – »Papa haben es so befohlen, und ich unterstehe mich nicht, ungehorsam zu sein.« – »Ich hoffe, mein Fräulein,« sagte Alwerth, »daß mein Neffe sich so vieler Güte würdig machen und allezeit, so gut als ich selbst die Ehre zu schätzen wissen werde, die Sie meiner Familie erzeigt haben. Eine Verbindung mit einem so liebenswürdigen, so vortrefflichen Frauenzimmer würde der größten Familie im Reiche wirklich Ehre machen.« – »Ja wohl!« rief Western. »Aberst, wenn ich das Funzeln so länger hätt' ansehen können: Näh, ich will nicht! näh, ich mag nicht! und das Schmeck'n und Lecken, wie die Katz' um 'n Brei, so konnt'n Sie auf die Ehr' lang' gewart't hab'n. Ich mußt' mein' ganze väterlich' Autorität herauskehren, um sie darzu zu kriegen.« – »Ich hoffe nicht, Herr Nachbar,« sagte Herr Alwerth. »Ich hoffe nicht, daß der geringste Zwang angewendet ist!« – »Nu ja, da hab'n wir's wieder!« schrie Western. »Meinethalben sag' ihr lieber, daß s'e wieder auf d' Hinterfüß' tritt! – Sag' nur dein' Zusage thut dir herzlich leid; thut's nicht, Fieke?« – »In der That, Papa, es reut mich nicht, und ich glaube auch nicht, daß mich irgend eine Zusage gereuen soll, die ich dem Herrn Jones gethan habe.« – »Dann, Neffe,« sagte Alwerth, »wünsch' ich dir von Herzen Glück; denn ich denke, du bist der glücklichste unter allen Menschen. Und Sie, liebstes Fräulein, werden mir erlauben, daß ich Ihnen bei dieser freudigen Gelegenheit gleichfalls meinen Glückwunsch abstatte. Ich glaube in der That, Sie haben Ihr Herz und Hand einem Manne geschenkt, der Ihren hohen Wert nie verkennen, und der sich zum wenigsten äußerst bestreben wird, sich Ihrer würdig zu machen.« – »Bestreben?« schrie Western, »ja, das, sollt' ich mein'n, wird er! – Hör' Alwerth! ich setz' dir funfhundert Pfund an 'n Viertel, wir haben dir morgen über neun Mond'n 'n fixen Jungen! Aber sag' m'r, was magst' am liebsten? Willst' Burgunder hab'n, oder Champagner, oder was willste? Denn 'n lust'gen Abend woll'n w'r haben 's soll noch nicht so her'gang'n sein!« – »In der That, lieber Nachbar,« sagte Alwerth, »Sie müssen mich entschuldigen, sowohl mein Neffe, als ich, hatten uns versprochen, ehe wir noch vermuten konnten, daß dieses Glück so nahe würde.« – »Versprechen?« sagte der Junker, »was zu versprechen. Ich lass' Euch nicht los diesen Abend, 's gehe wie's will! 'r sollt mit uns essen, da ist bei Gott Gnade!« – »Sie müssen mir verzeihen, mein teuerster Freund,« antwortete Alwerth. »Ich habe meine feierliche Zusage gegeben, und Sie wissen, die brech' ich niemals.« – »Nu, so sagt's doch, wo ist's? wo habt 'r Euch versprochen?« rief der Junker. – Alwerth sagte es ihm hierauf, und nannte ihm auch die Gesellschaft, – »Je, nun Hagel!« antwortete der Junker, »'ch will mit d'r gehn, und Fieke soll auch mit geh'n! denn 'ch muß d'n Abend mit 'r zubringen, und 's wär doch barsch wenn m'r Thom's und 's Mädchen aus 'nander reißen wollt'n.« – Dies Anerbieten ward augenblicklich von Alwerth angenommen, und Sophie gab ihre Einwilligung, nachdem sie vorher [305] von ihrem Vater das Versprechen erhalten hatte, daß er kein Wort von ihrer Verlobung erwähnen wollte.

Letztes Kapitel
Letztes Kapitel.

Womit die Geschichte geschlossen wird.


Der junge Nachtigall war, der Abrede gemäß, diesen Nachmittag hingegangen, seinen Vater zu besuchen, der ihn weit gütiger aufgenommen hatte, als er erwartete. Er fand daselbst auch seinen Oheim, der wieder zur Stadt gekommen war, um seine neu verheiratete Tochter aufzusuchen.

Diese Heirat war der glücklichste Zufall, der sich für den jungen Mann hätte begeben können: denn die beiden Brüder lebten in einem beständigen Streite über die Regierung ihrer Kinder, und beide verachteten herzlich die Art und Weise, wie sich der andre dabei benahm. Ein jeder von ihnen also bemühte sich jetzt soviel er konnte, das Vergehen seines eignen Kindes zu beschönigen und die Verheiratung des andern anzuschwärzen. Diese Begierde, über seinen Bruder zu triumphieren, nebst den übrigen vielen vernünftigen Gründen, deren sich Alwerth bedient hatte, wirkten so stark auf den alten Herrn, daß er seinen Sohn mit lächelndem Gesicht empfing, und ohne Umstände drein willigte, denselben Abend noch mit ihm bei Madame Miller zu essen.

Was den andern Bruder anbetrifft, der seine Tochter wirklich mit der unmäßigsten Zärtlichkeit liebte, so kostete es wenig Schwierigkeit, ihn zu einer Aussöhnung zu bewegen. Er war nicht so bald von seinem Neffen benachrichtigt, wo seine Tochter mit ihrem Ehemann wäre, als er sich erklärte, er wolle den Augenblick zu ihr gehen. Und als er daselbst ankam, erlaubte er's ihr kaum, daß sie sich auf ihre Kniee würfe, eh' er sie aufhob und mit einer Zärtlichkeit umarmte, welche alle Umstehenden aufs äußerste rührte; und ehe noch eine Viertelstunde verfloß, war er mit ihr und ihrem Ehemanne so herzlich ausgesöhnt, als ob er selbst ihre Hände zusammengefügt hätte.

In dieser Lage waren die Sachen, als Herr Alwerth mit seiner Gesellschaft anlangte, um die Freude der Madame Miller vollkommen zu machen, welche Sophien nicht so bald erblickte, als sie alles erriet, was vorgefallen wäre; und so groß war ihre Freundschaft für Herrn Jones, daß dies nicht wenig die Entzückungen vergrößerte, die sie über das Glück ihrer eignen Tochter empfand.

Es hat sich, glaub' ich, wohl nicht oft getroffen, daß eine Anzahl Menschen versammelt gewesen sind, wovon sich ein jeder so vollkommen glücklich fühlte, als in dieser Gesellschaft; unter welchen jedoch der Vater des Nachtigall die wenigste vollkommene Zufriedenheit genoß. Denn ungeachtet der Zuneigung zu seinem Sohn, und ungeachtet des Ansehens und der angeführten Gründe des Herrn Alwerth, zusammen genommen mit den andern bereits erwähnten [306] Ursachen, konnte er sich doch nicht so völlig über die Wahl seines Sohnes zufrieden geben; und vielleicht trug Sophiens Gegenwart selbst ein wenig dazu bei, ihm seinen heimlichen Unwillen fühlbarer zu machen, weil sich ihm von Zeit zu Zeit der Gedanke aufdrängte, sein Sohn hätte wohl dieses Fräulein, oder ein anders dergleichen bekommen können. Nicht, als ob die Reize, welche Sophiens Geist oder Körper zierten, dieses Mißbehagen veranlaßt hätten: der Gehalt von ihres Vaters Geldkisten war es, der seinem Herzen ein Gelüsten beibrachte. Dies waren die Reize, von welchen er es nicht wohl verdauen konnte, daß solche sein Sohn der Tochter der Madame Miller aufgeopfert hätte.

Die beiden neu verheirateten Frauen waren alle beide sehr hübsch; aber so völlig wurden sie von Sophiens Schönheit verdunkelt, daß, wären es nicht beide die gutmütigsten Geschöpfe von der Welt gewesen, es ihren Neid erregt haben würde; denn keiner von ihren Ehemännern konnte lange die Augen von Sophie abwenden, welche am Tische saß wie eine Königin, die sich huldigen läßt, oder vielmehr, wie ein überirdisches Wesen, welches von allen um sich her Verehrung annimmt. Allein es war eine Verehrung, die man freiwillig darbrachte und die sie nicht forderte: denn sie unterschied sich eben so sehr durch ihre Bescheidenheit und Leutseligkeit, als durch alle ihre Vollkommenheiten.

Der Abend wurde in großer, wahrer Fröhlichkeit hingebracht. Alle waren glücklich und vergnügt; diejenigen aber am meisten, die vorher am unglücklichsten gewesen waren. Ihre vergangnen Leiden und Besorgnisse erhöhten die Süßigkeit des Genusses ihrer Glückseligkeit zu einem solchen Grade, als selbst Liebe und Ueberfluß in ihrer höchsten Fülle, ohne den Vorteil einer solchen Vergleichung, nicht zu geben vermocht hätten. Wie gleichwohl große Freude, hauptsächlich nach einer plötzlichen Veränderung und Verwandlung der Umstände, gerne stumm ist, und lieber im Herzen, als auf der Zunge ihren Sitz nimmt, so schienen auch Jones und Sophie unter allen in der Gesellschaft am wenigsten munter zu sein. Western, der dieses mit großer Ungeduld bemerkte, rief ihnen oft zu: »Warum schwatzest du nicht, Junge? Was sitz'st d' da, und machst Kalender? – Hast' dein' Zung' verlor'n, Mädchen? Trink' noch 'n Glas Wein! Komm, sollst noch 'n Glas Wein trinken!« Und, um sie desto besser aufzumuntern, stimmte er zuweilen ein lustiges Liedlein an, worin etwas von Brautnacht und verlornen Jungferschaften vorkam. Ja, er würd' es mit dieser Art Witz so weit getrieben haben, daß er sie aus dem Zimmer gejagt hätte, wenn ihn nicht Herr Alwerth zuweilen mit seinen Blicken und ein paarmal mit einem: »Pfui doch, Herr Nachbar!« wieder ins Gleis gebracht hätte. Endlich fing er wirklich an, sich zu sträuben, und sein Recht zu behaupten, mit seiner eignen Tochter zu sprechen, was ihm gut däuchte; weil ihm aber niemand Beifall geben wollte, so war er bald zum Stillschweigen gebracht.

Ungeachtet des kleinen Zwangs, den er sich anthun mußte, war er doch mit der Fröhlichkeit und muntern Laune der Gesellschaft [307] so vergnügt, daß er darauf bestand, sie sollten des nächsten Tags in seiner Behausung alle wieder zusammenkommen. Das thaten sie; und die liebenswürdige Sophie, welche nunmehr in aller Stille ebenfalls getraut war, machte die Wirtin vom Hause oder wie die vornehmere Redensart lautet, machte die Honneurs der Tafel. Sie hatte des Vormittags Herrn Jones ihre Hand gegeben, in einer kleinen Kapelle, woselbst niemand, als Herr Alwerth, Herr Western und Madame Miller zugegen gewesen.

Sophie hatte ihren Vater ernstlich gebeten, daß niemand anders von der Gesellschaft, welches des Mittags zu Tische gebeten war, von ihrer Trauung etwas erfahren möchte. Dieselbige Verschwiegenheit war auch heute Madame Miller auferlegt, und Jones verbürgte sich für Herrn Alwerth. Dies versöhnte einigermaßen Sophiens Delikatesse mit der öffentlichen Mahlzeit, die sie sich, sehr wider ihre eigene Neigung, aus bloßer Nachgiebigkeit gegen den Willen ihres Vaters, gefallen lassen mußte. In Zuversicht auf diese Geheimhaltung hielt sie sich den Tag über ziemlich tapfer, bis der Junker, der nun schon ziemlich tief in seine zweite Flasche gesehen hatte und seine Freude nicht länger an sich halten konnte, ein volles Glas einschenkte, und die Gesundheit der jungen Ehefrau ausbrachte. Auf diese Gesundheit ward unmittelbar von allen Gegenwärtigen Bescheid gethan, zur großen Verwirrung unsrer armen errötenden Sophie, und zum großen Leidwesen des armen Jones, ihretwegen. Die Wahrheit zu sagen, erfuhr durch diese Entdeckung keine Seele von der ganzen Gesellschaft etwas neues; denn Madame Miller hatte es ihrer Tochter ins Ohr geraunt, die Tochter ihrem Gatten, dieser seiner Schwester, und diese Dame allen übrigen.

Sophie nahm jetzt die erste Gelegenheit wahr, sich mit den Frauenzimmern hinweg zu begeben, und der Junker saß fest bei seinen Flaschen und Gläsern, wobei ihn die ganze Gesellschaft nach und nach verließ, den Oheim des jungen Nachtigalls ausgenommen, welcher seine Bouteille eben so lieb hatte, als Western selbst. Diese beiden also hielten sich wacker dazu, während des ganzen Abends, und noch lange nach der glücklichen Stunde, welche die reizende Sophie den begierigen Armen ihres entzückten Jones überliefert hatte.

Sonach, lieber Leser, hätten wir denn unsre Geschichte zu einem Schlusse gebracht, in welcher, zu unserm großen Vergnügen, obgleich vielleicht gegen deine Erwartung, Herr Jones als der glücklichste unter allen Sterblichen erscheint. Denn, was die Welt für eine Glückseligkeit gewähren kann, welche dem Besitze eines Weibes, wie Sophie, gleich käme, das, gesteh' ich aufrichtig, hab' ich bis jetzt noch nicht entdecken können.

In Ansehung der übrigen Personen, welche in dieser Geschichte eine Figur von irgend einer Bedeutung gespielt haben, wollen wir, weil vielleicht einer oder der andre etwas mehr von ihnen zu wissen verlangen mag, in so wenig Worten als möglich ihre Neugierde zu befriedigen suchen.

[308] Alwerth ist bis jetzt noch nicht zu bereden gewesen, Blifil vor sich kommen zu lassen. Er hat aber dem dringenden Anhalten des Herrn Jones, unterstützt von Sophie, nachgegeben, und ihm des Jahrs zweihundert Pfund ausgesetzt; und Jones hat noch ganz insgeheim das dritte Hundert zugelegt. Von diesem Einkommen lebt er in einer von den nördlichen Grafschaften, ungefähr vierzig Meilen von London, und legt jährlich zweihundert Pfund davon bei Seite, um bei der nächsten Parlamentswahl sich von einem benachbarten Flecken die Stimme zu kaufen, worüber er mit einem Rechtsgelehrten den Handel geschlossen hat. Er ist auch neulich ein Pietist geworden, in Hoffnung, eine sehr reiche Witwe von dieser Sekte zu heiraten, deren Güter in dieser Gegend des Königreichs liegen.

Quadrat starb bald darauf, nachdem er den vorhin angeführten Brief geschrieben hatte, und Schwöger steht noch immer an seiner Pfarre. Er hat manchen vergeblichen Versuch gemacht, das Vertrauen des Herrn Alwerth wieder zu gewinnen, oder sich bei Herrn Jones in Gunst zu setzen, denen er beiden ins Angesicht schmeichelt, und die er hinter'm Rücken verlästert. An seiner Stelle aber hat Alwerth kürzlich den Herrn Abraham Adams ins Haus genommen, welchen Sophie außerordentlich lieb gewonnen und erklärt hat, daß er ihren Kindern Unterricht geben soll.

Madame Fitz Patrick ist von ihrem Eheherrn geschieden, und behält den geringen Ueberrest ihres Vermögens für sich. Sie lebt ganz ansehnlich in dem vornehmern Quartiere der Stadt, und ist eine so gute Wirtin, daß sie dreimal mehr ausgibt als ihre Renten betragen, ohne daß sie dabei Schulden macht. Sie lebt mit der Gemahlin des irländischen Reichsgrafen auf einem ganz vertraulichen Fuß, und durch diese Freundschaftsbezeigungen erstattet sie ihr alle die Verbindlichkeiten, welche sie von ihrem Herrn Ehegemahl erhält.

Ihro Gnaden, Fräulein Tante von Western, sehnte sich sehr bald mit ihrer Niece Sophie wieder aus, und hat schon zwei Monate auf dem Lande mit ihr hingebracht. Die Frau von Bellaston machte der letzten, als sie wieder zur Stadt kam, eine feierliche Staatsvisite, wobei sie sich gegen Herrn Jones betrug, als ob sie ihn niemals gesehn hätte, und ihm mit großer Höflichkeit zu seiner Vermählung Glück wünschte.

Herr Nachtigall hat für seinen Sohn in der Nachbarschaft des Herrn Jones ein artiges Landgut gekauft, auf welchem der junge Mann mit seiner Gattin, Madame Miller und ihrer kleinen Tochter wohnt; und unter den beiden Familien herrscht der angenehmste, freundschaftlichste Umgang.

Was die Personen von minderer Bedeutung anbetrifft, so ist Madame Waters wieder aufs Land gegangen, erhält von Herrn Alwerth ein jährliches Gehalt von sechzig Pfund Sterling, und ist an den Pfarrer Schickelmann verheiratet, welchen der Junker Western, auf fleißiges Bitten, auf eine andre, sehr einträgliche Pfarre versetzt hat.

[309] Als der schwarze Jakob von der Entdeckung hörte, die man gemacht hätte, lief er davon, und man hat seitdem nichts weiter von ihm gehört; und Jones verteilte das Geld unter seine Familie, obgleich nicht in ganz gleichen Teilen, denn Molly bekam davon bei weitem das meiste.

Was den Rebhuhn anbelangt, so hat ihm Jones ein Jahrgehalt von fünfzig Pfund ausgesetzt; und er hat abermals eine Schule angelegt, womit es ihm weit besser von statten geht, als vordem; und man spricht jetzt von einer Mariage zwischen ihm und Jungfer Molly Seegrimm, welche durch Sophiens Vermittlung vermutlich zustande kommen wird.

Wir kehren nunmehr zurück, um von Herrn Jones und seiner Sophie Abschied zu nehmen, welche, innerhalb ein paar Tagen nach ihrer Verheiratung, Herrn Western und Herrn Alwerth aufs Land begleiteten. Western hat seinen Familiensitz und den größten Teil seiner Güter seinem Schwiegersohne übertragen und ein kleineres Haus, das er in einer andern Gegend hatte, bezogen, weil dabei eine bessere Jagd ist. Freilich ist er oft zum Besuch bei Herrn Jones, welcher, so gut als seine Tochter, ihre Herzensfreude dran finden, alles zu thun, was nur in ihrem Vermögen steht, um sein Leben angenehm zu machen. Und dieses ihr Verlangen glückte ihnen auch so wohl, daß der alte Herr erklärte, er sei in seinem Leben nicht glücklich gewesen, sondern sei es erst jetzt geworden. Er hat hier sein eignes Besuch- und sein Vorzimmer, wo er sich betrinkt, mit wem's ihm gefällt; und seine Tochter ist noch eben so bereitwillig, wie vordem, ihm auf dem Klavier vorzuspielen, so oft er's verlangt; denn Jones hat ihr versichert, eines seiner größten Vergnügen, nach demjenigen ihr zu gefallen, bestehe darin, zu der Glückseligkeit des alten Mannes beizutragen. Dergestalt also, daß die große kindliche Zuneigung, welche sie gegen ihren Vater durch Worte und Thaten bezeigt, ihm seine Gattin fast ebenso teuer und wert macht, als die Liebe und Zärtlichkeit, welche sie ihm selbst erweist.

Sophie hat ihn schon mit zwei sehr schönen Kindern beschenkt; mit einem Knaben und mit einem Mädchen, in welches der alte Herr so verliebt ist, daß er einen großen Teil seiner Zeit auf der Ammenstube zubringt, wo ihm, wie er bezeugt, das Babbeln seiner kleinen Enkelin, die über anderthalb Jahr alt ist, eine angenehmere Musik mache, als das feinste Geläut der schönsten Koppel Jagdhunde.

Alwerth war gleichfalls gegen Jones sehr freigebig bei seiner Vermählung und hat keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, ihm und seiner Gattin seine Gewogenheit zu bezeigen, und er wird von ihnen geliebt, wie ein Vater. Alles, was in der Natur unsers Jones noch einen fehlerhaften Hang haben mochte, ist durch den beständigen guten Umgang mit diesem guten Manne und durch seine Verbindung mit der liebenswürdigen und tugendhaften Sophie völlig verbessert. Er hat auch durch fleißiges Nachdenken über seine vorigen Thorheiten eine solche Klugheit und Vorsicht erlangt, [310] wie sie bei Personen von seiner lebhaften Gemütsart sehr ungewöhnlich sind.

Schließlich sagen wir noch dieses: So wie man keinen würdigern Mann und keine würdigere Frau finden kann, als dieses zärtliche Ehepaar, so kann man sich auch kein glücklicheres denken. Sie unterhalten gegen einander die zärtlichste und reinste Liebe; eine Liebe, welche täglich durch die gegenseitigen Beweise von Zärtlichkeit und Hochachtung an Lebhaftigkeit und Dauer zunimmt. Auch ist ihre Art gegen ihre Verwandte und Freunde nicht weniger liebenswürdig, als ihr Betragen gegen einander selbst. Und so groß ist die Herablassung ihrer Leutseligkeit und ihre Wohlthätigkeit gegen Menschen geringen Standes, daß sie keinen Nachbar, keinen Pächter oder Bedienten haben, der nicht mit gerührter Dankbarkeit den Tag segne, an welchem Herr Jones mit seiner Sophie verbunden worden.

[311]

Notes
Erstausgabe: London (A. Millar) 1749. Hier nach der Übers. v. J.J.Ch. Bode, mit einer Einleitung v. Prof. J. Schmidt, Stuttgart: W. Spemann, [1883].
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Fielding, Henry. Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A6F1-1