Hermann Essig
Der Frauenmut
Lustspiel in fünf Aufzügen

Personen

[3] Personen.

    • Frau Künkelün,
    • Stadtschreiber Femina, eine Doppelrolle in Hos und Rock.

    • Bürgermeister Künkelün, ihr Mann.

    • Ritter Roland, der Mut.

    • Marie, die Magd.

    • Stadträte, worunter Rat Klemens namentlich.

    • Weiber, worunter verschiedene in namentlichen Rollen.

    • Hellebardier und Stadtsoldaten.

    • Melak, der General der Franzosen.

    • Franzosen.

1. Akt

Erster Aufzug.

Personen.


Der Bürgermeister.


Rat Klemens.


Roland der Ritter.


Stadtschreiber Femina.


Ein Hauptmann.


Soldaten.


Scene: Der Sitzungssaal im Rathaus. Um einen Tisch dreizehn Stühle, zwölf für die Räte, der dreizehnte ist der Präsidentenstuhl, welcher erhöht steht. Zwei große Flügeltüren im Hintergrund. Die eine rechts Flucht der Zimmer, die andere links Flur. Der Rat ist versammelt. In längeren Zwischenräumen brummt Melaks Belagerungsgeschütz. Die Versammlung ist niedergedrückt. Die Räte tragen die schwarze Tracht mit den weißen Halskrausen. Roland trägt eine grotesk absonderliche Rüstung und schweres Wehrgehänge. – Sehr fern ein Kanonenschuß. –

DER BÜRGERMEISTER.
Es schießt furchtbar.
EIN RAT.
Könnt es auch zu uns hereinschlagen?
RAT KLEMENS
mit gesträubtem Haar.
Möchten wir die Sitzung nicht in meinem Keller abhalten?!
ROLAND
er stottert in der Art, daß die Anfangsbuchstaben der Worte zuweilen lange auf seiner Zunge vibrieren, worauf dann das nachfolgende Wort funkenartig losspringt.

Z.B. BeBesatzung, wo Satzung kaum zum Laut wird. Auch stottert er mehr, wenn seine Rede öffentlich ist. SSo eine Angst! Und mman hat noch nicht einmal getroffen.

RAT KLEMENS.

Ich habe keine Angst. Aber wozu soll sich der Rat so sehr aussetzen? Wir sein der wichtig Rat für die Bürgerschaft, mein Keller liegt drei dicke Sohlen tief unter dem gewachsenen Boden.

ROLAND.

Der Rat muß am wwichtigsten, HHerr Rat Klemens, der BBürgerschaft die Unerschrockenheit und den Mutt zeigen.

BÜRGERMEISTER
aufkausend.
Höret Ihr's nicht, Ritter Roland, wie Melak gegen uns losbrennt!
[5]
ROLAND
in Eifer.
Wir müssen das BBeispiel geben, damit die BBesatzung nicht ängstlich wird, Herr Bürgermeister!

Sehr fern ein Kanonenschuß.
BÜRGERMEISTER.
Da! 's brummt schon wieder.
RAT KLEMENS.
Ich habe den Schlag jetzt an den Füßen gespürt.
DIE RATSHERREN.
's ist recht ungemütlich.
FEMINA
einwerfend.
Au ja! in der Krone ist's viel gemütlicher.
RAT KLEMENS.
Ganz abgesehen, es ist ein wirkliches Zittern im Stubenboden.
BÜRGERMEISTER.

Abgesehen gänzlich, Rat Klemens hat einen guten Vorschlag gemacht. Ich schlage auch vor, wir verlegen die Sitzung in seinen ruhigen Keller.

ROLAND.
Verkriecht euch! Ich bleibe hier.
BÜRGERMEISTER.
Das ist ein übergroßes Bramarbasieren. Ein bloßes Sichhinstellenwollen: da seht her, was ich bin.
FEMINA
einwerfend.

Das denk ich auch. Wenn es regnet, zum Beispiel, da verkriechen sich auch alle Vögel aus dem offenen Himmel.

DIE RATSHERREN.
Bravo, bravo, da ist was ganz Kluges bei'm Federlein.
ROLAND
grob.
Du Schreiber, was geht denn dich eigentlich das an?
BÜRGERMEISTER.

Ein Vernünftiger widerstrebt eben nicht der weisen allgemeinen Einsicht. Ihr könnt immer hier bleiben, Ritter Roland. Wir brechen auf in den Keller. – Wer folgt mir? – Nun?


Die Versammlung steht nur teilweise auf. Etliche zögern.
BÜRGERMEISTER.
Ich dächte, in Klemens geräumigen Keller würde mir jeder folgen.
DIE RATSHERREN.
Uneinheitlich darf keine Sitzung aus dem Rathaus verlegt werden.
BÜRGERMEISTER.

Es ist eine absolute Notwendigkeit, daß wir bei dieser ungeheuer feindlichen Bedrängnis den Ritter bei seiner absonderlichen Passion für Wurfgeschosse allein hier lassen. Also wer folgt? – Welches Kuriosum, daß da ein Mensch zögert.


Kanonenschuß.
[6]
RAT KLEMENS.

Ich gehe sehr einfach. Ich halte es nicht mehr aus. Er bricht auf, mit ihm jetzt alle außer Roland und dem Schreiber.

DIE RATSHERREN.
Es ist doch sehr ungemütlich.
BÜRGERMEISTER.
Schreiber, ergreife die Akten!
FEMINA.
Ich schreibe bloß auf dem Rathaus.
ROLAND
zitternd vor Erregung.
Es tut da nicht alles mit bei dem VVerrat! Der Bürgermeister samt den Räten ssind ffeige!!

Gelächter der Räte.
BÜRGERMEISTER.
In diesem Schritte erkenne ich weder Verrat geschweige eine Feigheit.
RAT KLEMENS
schon halb von draußen.
Kommen Sie, kommen Sie!
BÜRGERMEISTER.

Wenn Er dieses Gefühl der Unsicherheit im besonderen sehr behaglich findet, Ritter, gewissermaßen auf der Mündung der Kanone, so kann ich hierin sein vorzugsweises Gefühl nicht teilen. Und ich bitte, uns dies nicht zu verübeln. Sie stimmen mit ein, meine Herren!

ROLAND.
SSist eine Gemeinheit.
BÜRGERMEISTER.

Das sind alles sehr schöne Ausdrücke und Redensarten, aber sie erklären mir nicht den vernünftigen Grund seiner Opposition.

RAT KLEMENS.
Kommt doch! Kommt! Beschäftigt euch nicht mit dem Narren.
ROLAND
seine Hände beben am Schwert.
Ich kann die Flucht auch verhindern!
DIE RATSHERREN.
Bleiben wir hier! Zum äußersten ist ja die Gefahr hier noch nicht.
RAT KLEMENS.
Ich mache die Versammlung unvollzählig.
BÜRGERMEISTER.

Herr Rat Klemens, kommen Sie zurück. Aber es ist eine bittere Brutalität von ihm gegen ein ergrautes Haupt.

FEMINA
lacht laut auf.
RAT KLEMENS
zurückgekehrt, zu Roland, halb weinend.

Affenmensch! Ganz ohne Nerven! Zum Schreiber gewandt. Und dir, Bürschchen, sollte man die Hödelchen flechten. Warum widersetzest du dich dem Magistrat?

FEMINA.
Der Ritter gehört auch zu dem.
RAT KLEMENS.
Was! Du nimmst dir noch ein Maul! – Menschlein, sieh, bringe mich nicht zur rasenden Wut!
[7]
FEMINA.
Zu Hilfe! Er schlägt mich.
ROLAND.
Der kann bloß Weiber schlagen.
RAT KLEMENS.
So? Ich schlage Weiber? Ueberleg er, was er damit meint.
ROLAND.
Deswegen ist er der feigste von hier, weil er zu Hause den wüsten Wulf macht.

Kanonenschuß.
RAT KLEMENS.
Beinah hätt ich was erwidert.
FEMINA
belustigt.
Aber da hat's vorher noch geschossen.

Rat Klemens geht fauchend an seinen Platz.
BÜRGERMEISTER.
Ich rufe den Schreiber zur Ordnung.
FEMINA.
Ich habe ihm nichts getan. Man mag mich bloß nicht, weil ich ganz neu hier bin. Stellt sich betrübt.
DIE RATSHERREN.
A wie so! Du bist ein sonst ganz niedlicher Bengel.
RAT KLEMENS.
Ein ganzer Teufel steckt in ihm.
FEMINA.
Daraufhin laß ich mich aber doch von allen ansehen. Er dreht seinen Kopf mit Anmut im Kreise umher.
DIE RATSHERREN.
Ein rechtes Mädchengesicht. Seltsamer Glücksgriff, Herr Bürgermeister.
BÜRGERMEISTER.
Er hat mir auf den ersten Blick gefallen.
DIE RATSHERREN.
Wie ist er denn nach Schorndorf gekommen?
BÜRGERMEISTER.
Auf der Flucht vor den Franzosen.
RAT KLEMENS.

Was! Selber geflohen bist du? Aha, du bist mutig wie der Hase im Sommer. Der Schreiber blickt lachend im Kreise umher.

DIE RATSHERREN.
Wo hast du deine Studia gemacht?
FEMINA.
Z' Tübingen, wo alles studiert. Ich möchte aber jetzt endlich etwas protokollieren.
DIE RATSHERREN.
Ein Benehmen. Das will einmal Schultheiß werden.
FEMINA.
Dummes Zeug! – Was soll ich schreiben?
ROLAND.

Schreiberlein, sieh auf mich! – Du willst schreiben? Beide begegnen sich mit den Blicken wie Stahl und Feuerstein.

FEMINA.
Ja! – Wer diktiert endlich?!
DIE RATSHERREN
lachen herzlich.
Ritter Roland, Ihr seid doch ein Mädchenfeind, vielleicht gefällt Euch so was.
[8]
ROLAND.
Laßt mich in Ruhh! Er stiert vor sich hin und besinnt sich.
RAT KLEMENS.

Mit dem Menschen könnt ihr kein freundlich Wort reden. Er begibt sich zum Schreiber hin und bleibt im folgenden prüfend neben ihm stehen, auch betastet er ihn. Der Schreiber kehrt sich mit keiner Miene daran.

ROLAND.
Wir haben SSitzung wegen Melaks FForderung.
DIE RATSHERREN
nicken sich zu.
Es ist auch sehr ernst.
BÜRGERMEISTER.

Ich will gleich beginnen. Steht hoch auf. Wir sind hier versammelt, eine Sache zu beraten, die für das Wohl und Wehe unserer teuren Vaterstadt Schorndorf, unseres allergnädigsten Herzogs treuergebener Stadt Los, von ausschlaggebender Bedeutung sein solle. Wie Sie alle wissen, liegt der gefürchtete Feldherr der Franzosen, Melak, als Belagerer vor unseren Toren. Wenn ich mir ihn ansehe! Wenn ich seine Stärke und ungeheure Kriegsmacht, welche er herangeführt hat, den ihm vorangegangenen Ruf bedenke. Er kommt her von der Pfalz, dem schönen Paradies, das er gänzlich verwüstet hat, wo er gebrandschatzt hat, als wenn ein feuriger Drache über das Land speite! Meine Herren! Kanonenschuß. – – – – Sie hören seine Stimme. – Und wenn dieser Furchtbare uns so eine gelinde Bedingung hereinschickt, die uns nichts auferlegt als allein den Hinfall an die französische Ueberherrschaft. Allein!? In den Konversationston übergehend. Wären wir da nicht schändliche Ochsen, wenn wir erst Feuer und Hungersnot über unsere braven Mitbürger bringen würden, anstatt uns mit Freundschaft das liebliche Friedensglück erhielten?

RAT KLEMENS.
Natürlich wären wir Ochsen!
DIE RATSHERREN.
Will er uns hernach ins Quartier liegen?
BÜRGERMEISTER.
Nun meine Herren, das ist wohl selbstverständlich.
DIE RATSHERREN.
Gibt er dafür auch Garantien?
BÜRGERMEISTER.

Ja, lassen Sie sich's erklären, das weiß ich nicht. Aber wir können nicht das mindest saure Gesicht machen, wir sind ja gänzlich machtlos gegen ihn.

RAT KLEMENS.
Die Franzosen werden sich mit unseren Weibern schon befreunden und sich schön manierlich benehmen.
BÜRGERMEISTER.
Mit Elan.
DIE RATSHERREN.
Mit Elan? Was heißt das? Wir haben Sorgen.
[9]
RAT KLEMENS.

Kriegen unsere Jungfern nicht alle einmal Kinder? – Ist's nicht ein bloßer Neid, wenn wir sie nicht französisch haben möchten? – Und ob der einen Nacht! Die Schorndörfer dürfen nachher drum doch weiter machen.

ROLAND.
SchSchade, daß keine FFrau das mit anhört.
RAT KLEMENS.

Schade, schade. Wir Männer sind nun darin einmal Philosophen, hauptsächlich wir Stadträte müssen's sein. – Und zum Beispiel meinen Weibsleuten zu Hause, denen gönn ich die welsche Einlage, daß sie nur einmal kirre würden vor einem Manneswesen.

DIE RATSHERREN.

Ihr übles Familienleben, Rat Klemens, kann uns aber nicht gegen die ganzen Schorndorfer Weiber verbittern.

BÜRGERMEISTER.

Freilich nicht verbittern. Aber es steckt eine tiefe Weisheit in seinem Rat. Zum Beispiel, plagt uns Männer nicht, wenn wir heiraten, eine häßliche Eifersucht auf alles, was unsere Auserwählte unbekannterweise im ledigen Stande getan haben könnte? Ist es da nicht viel befreiender, wenn diesem bösen Uebel die Gewißheit gegeben ist, der Franzose war der Versündiger. Zu demhin ist's ein Fremder, der nachher wieder gänzlich verduftet. Plagt uns im Leben mehr die Gewißheit oder die Ungewißheit – Gewiß die Ungewißheit.

DIE RATSHERREN.
Wir haben aber auch treue Frauen, denen es ein schwerer Kummer wäre.
RAT KLEMENS.
Das glauben Sie nicht, die Weiber sind alle falsche gelüstige Luder.
DIE RATSHERREN.
Das ist nicht wahr. Dagegen protestieren wir.
ROLAND.
Das nimmt mich wwunder.
DIE RATSHERREN.

Das möchten wir uns doch ausbitten von ihm, Ritter. Wir sind sehr rührsam um unser Schicksal. Es kommt uns wirklich darauf an, die richtige Antwort an Melak zu binden.

ROLAND.
Da gibt's nur eine, den, den Parlamentär mit einem Fußtritt hinauswerfen.
RAT KLEMENS.
Und nachher? müssen wir schlimm büßen.
DIE RATSHERREN.

Es handelt sich gar nicht bloß um die Frauenschaften, es handelt sich um das ganze bürgerliche Gemeinwesen.

ROLAND.

Dem kann man nicht die Weiber hinopfern. Ich versteh nicht viel ddavon. Aberr wenn ich's mit einer FFrauau [10] zu tun hätte, ich gäbe meinen ganzen anderen Besitz daran, um den BBesitz von ihr mir zu retten.

BÜRGERMEISTER.

Das ist sehr schön, jedoch sehr weltfremd gesprochen. Es ist nichts mit so einem Ideal ohne die materielle Unterlage. Wer würfe es uns nachher mehr vor als gerade die Frauen, daß wir Schorndorf zu einem leeren Strohhaus gemacht haben.

ROLAND.
Dann hhole man sie herbei und wie sie dann mit beraten, so ist's dann gutt.
DIE RATSHERREN.
Das ist unerhört! Seit wann berät man sich mit den Weibsleuten?
RAT KLEMENS.

Gerade der Ritter läuft seit meinem Gedenken ohne Kümmernis um das Weibsstück herum. Warum muß sich er jetzt so dafür aufwerfen?

BÜRGERMEISTER.
Das ist ja ganz klar, daß er hier am wenigsten mitreden kann.
RAT KLEMENS.
Er will sich bloß herumprügeln. Er ist ein Raufbold.
ROLAND.
Man darf sich auf nichts einlassen.

Kanonenschuß, Kanonenschuß – das Rathaus erzittert in seinen Grundfesten.
RAT KLEMENS.
Und jetzt wackelt's!!
ROLAND.
Haha, hoffentlich stürzt das Gebäu ein.
DIE RATSHERREN.
Wir müssen bitten, ist wirklich Lebensgefahr?
RAT KLEMENS.
Ich springe hinaus! Er hüpft wie von Sinnen herum. Der Schreiber lacht sich was.
DIE RATSHERREN.
Es ist da nichts zu lachen. Wir müssen uns beizeiten ergeben.
RAT KLEMENS.
Unverzüglich verlang ich das.
ROLAND.
Das ist kopflos.
RAT KLEMENS.
Kopflos sind Sie! Unser Kopf ist der Herr Bürgermeister, der hat schon das Richtige geraten.
BÜRGERMEISTER.
Durch solche Erschütterungen müßte wirklich jedem die Einsicht kommen.
ROLAND.
Daß man sich nicht einschschüchtern läßt.
RAT KLEMENS.
Soll mit Gewalt alles hin sein? Affenmensch!
FEMINA.
Ach Gott, ist das lustig!
DIE RATSHERREN.
Das Schreiberlein soll nicht so ekelerregend lachen.
[11]
RAT KLEMENS.
Das ist ein vaterlandsloser Spitzbube, der bei diesem Ernst lacht!

Ein Hauptmann und Soldaten stürzen herein zur Tür links.
GESCHREI.
Das Waiblinger Tor ist schon halb genommen. Die Mauer ist eingestürzt. Der Rat muß Frieden machen!
FEMINA
sich vergessend, befehlerisch.
Die Mauer wird geflickt!
BÜRGERMEISTER
schreit.
Die Bürgerschaft verlangt eine entschiedene Antwort. Wir kapitulieren.
FEMINA
die Feder bebt in seinem Mund.
Künkelün!
BÜRGERMEISTER.
Wer hat mir gerufen? Das war meine Frau.
RAT KLEMENS.
Das sind Hallucinationen. Wir kapitulieren!
BÜRGERMEISTER.
Ich verlange Ruhe.

Der Hauptmann mit den Soldaten stürzt wieder hinaus durch die Türe links.
ROLAND.
SchSchorndorf ist überhaupt nicht verteidigt!
BÜRGERMEISTER.

Dann verteidigen Sie's, Ritter! – Wenn wir noch Minuten zögern, so liegt Melak ungefragt bei uns im Quartier.

ROLAND.
Das würd ich schon übernehmen. Ich verlang die Verteidigung für mich.
DIE RATSHERREN.
Es drängt aber zur Uebergabe. Wir haben's gehört.
ROLAND.
Das ist gemmachte Lüge. Die Soldaten waren Herrn KKlemens seine Dienstleute.
RAT KLEMENS.
Das ist eine Verleumdung. Der Hauptmann war auch dabei.
ROLAND.
Der würde jetzt nicht spazzieren springen, wenn's die Gefahr hhätte.
BÜRGERMEISTER.

Dann weiß Herr Roland, welches Unglück eine ausgehungerte Stadt ist? Der Feind hat ewig Sukkurs. Wir keinen.

RAT KLEMENS
verzweifelt.
Weiß das Herr Roland?
ROLAND.
Ich schweige.
BÜRGERMEISTER.

Das ist, um uns nachher die ganze Verantwortung aufzuladen. Red er, entsetz er, befrei er uns von Melak!

DIE RATSHERREN.
Sehr richtig. Kein Mensch weiß was zu tun ist.
[12]
ROLAND.
Ich schweige.
DIE RATSHERREN.

Wie sonderbar! Wir führen Euch, Herr Ritter, in Kriegssachen besonders gern im Rate der Stadt. Sie nicken und triumphieren sich zu.

ROLAND
fuchtelt mit wuttobendem Fragezeichen seiner Faust.
Sukkurs?
BÜRGERMEISTER.

Ja, lieber Ritter, soviel Stratege bin ich, darauf kommt es an. Wer länger aushält, der Belagerte oder der Belagerer. Der Blockierte oder der Freibewegliche?

ROLAND
Faust auf den Tisch.
Der Blockckierte, wenn er Mutt hat.
RAT KLEMENS.

Ja, hat denn irgend einer der Herren Mut? Der Schreiber wird von einem plötzlichen Lachkrampf durchschüttelt. Die Versammlung in heiterer Bewegung.

ROLAND.
Das hat err eingestanden.
BÜRGERMEISTER.
Haben Herr Rat Klemens meine Ausführungen wirklich so verstanden, daß wir mutlos seien?
RAT KLEMENS.
Cha.
BÜRGERMEISTER
mit Grandesse.

Dann muß ich meinen Darlegungen hinzusetzen, daß ich für mein Teil rate, unsere teure Stadt solange blockieren zu lassen, bis Rat Klemens selbst nicht mehr die Stärke besitzt, um seine Halskrause steifen zu lassen.

RAT KLEMENS.
Ich?! – Meinen Hunger müßten die Herren gewiß mit mir teilen.
FEMINA.
Herr Klemens, essen Sie bloß nie mehr Reispudding.
RAT KLEMENS.

Ich esse Reispudding und ich ergebe mich. Der Rat kann beschließen was er nur will. Man wird schon noch an mich denken, wenn's aber zu spät ist.

FEMINA.

Herr Klemens! Stärkepudding und eine französische Sauce dazu! Klemens schnappt nach dem Schreiber herum. Roland klopft dem Schreiber auf die Schulter und fühlt die sonderbare Zartheit.

BÜRGERMEISTER.

Die Sitzung scheint einen betrüblichen Ausgang zu nehmen, ich glaubte, hier beraten Männer, die wissen, daß auch Mut dazu gehört, sich aus Vernunftgründen einem harten Schicksal zu unterwerfen.

RAT KLEMENS.
Freilich, aus Mut unterwerfen. So hab ich's auch gemeint.
[13]
BÜRGERMEISTER.
Dann müssen Sie sich aber geschickter ausdrücken.
RAT KLEMENS.

Ich bin der Mutigste. Ich werde das freundlichste Gesicht machen, aber innen, da laß ich mich von einem Aerger über die Fremdherrschaft verzehren.

DIE RATSHERREN.
So wird auch unsere Gesinnung sein.
BÜRGERMEISTER.

Damit kann ich wenigstens vor die Bürgerschaft hintreten und auf unsere Trauer hinweisen, die wir beim Scheiden aus unseres Herzogs gnädiger Huld empfinden.

ROLAND.
Wa ... was? ist das abgemacht? Ist ddarüber denn schon gestimmt?
RAT KLEMENS.
Sie müssen aufmerken und nicht mit dem Schreiberlein poussieren.
ROLAND.
Ich vverlange, daß ich auch mit ggehört werde.
DIE RATSHERREN.
Ritter, Er erklärte feierlichst, zu schweigen.
ROLAND.

Ich will reden. Das ist eine gganz niederträchtige Beschlußfassung, welche ich nicht anerkenne. Eine Dummheit.

BÜRGERMEISTER
unter dem Beistimmen der Räte.
So? Dann möchte er uns doch endlich mit seiner ungeheuren Gescheitheit Rat geben.
ROLAND.
Ich verlange den Beffehl über die Stadt. Ich beberufe mich auf Frau Bürgermei ster.

Bestürzung.
BÜRGERMEISTER.
Auf meine Frau?
ROLAND.
Frau Künkelün ist meiner Ansicht.
BÜRGERMEISTER.
Ja sag Er, Herr Roland, hat Er in irgend welcher Konspiration mit meiner Frau gestanden?
ROLAND.
Was möchte das heißen?
BÜRGERMEISTER.

Wir würden ja seine Wünsche gern berücksichtigen, wenn erweislich wäre, daß meine Frau irgend welche Beziehung zu dem gestellten Verlangen hätte.

ROLAND.
Jawoll, sie hat Beziehung.
BÜRGERMEISTER.
Und sie hat geheim mit ihm konspiriert?
ROLAND.
Ganz geheim.
BÜRGERMEISTER.
Meine Frau?
DIE RATSHERREN.
Das ist unerhört! Hört! Hört!
BÜRGERMEISTER.

Dann mißachte ich mit vollem Hohn jegliche versuchte Einmischung von ihr durch seine buhlerische [14] Person in unsere heutige Beratung. Ich sage es jetzt mit gewissem erleichtertem Trotz: Schorndorf wird nach weisestem Einsehen des versammelten Rates an Melak übergeben.

ROLAND.
HHerr BBürgermeister, ich würde um meine schöne Frau fürchten.
BÜRGERMEISTER.
Wenn sie buhlt!
ROLAND.
Sie buhlt nicht.
BÜRGERMEISTER.
Buhlt nicht??
ROLAND.

Was sie mit mir konspiriert, kkommt aus meinem HHerzen. Frau Künkelün will den Widerstand gegen die Franzosen.

BÜRGERMEISTER.
Wenn das meine Frau wollte! Spüret Ihr das ganz genau?
ROLAND.
Ganz genau.
BÜRGERMEISTER
stampft.
Daß nichts zu beschließen geht, ohne sie!
RAT KLEMENS.

Da kümmert man sich einfach nicht darum. Die Mißgeburt da kennt einer schönen Frau extravagant schöne Gefühle?! So eine lose Behauptung!

BÜRGERMEISTER.
Und die übrigen Räte?
DIE RATSHERREN.
Dieser ihrer Frau Empfinden muß ihm ein verschlossenes Buch sein – ist auch unsere Meinung.
BÜRGERMEISTER.
Ich denke das fast auch Er sieht Roland schief an.
RAT KLEMENS.

Wenn ich so daran denke, wie gerne hat sie bei Hochehren Ladungen sich die Hand von mir küssen lassen.

BÜRGERMEISTER.

Meine Frau gerade hat das leicht anpassendste Benehmen. Sie wird den französischen Besuch amüsant finden.

ROLAND.
Und was noch dazzu kkommt!
RAT KLEMENS.
Dafür hat man kein Auge.
BÜRGERMEISTER.

Es schlägt in das Spezialfach der Ehe mit meiner Frau, was der Ritter vorbringt, die ihn rein nichts angeht.

ROLAND.
Aber Melak!
BÜRGERMEISTER.
Uebrigens an mich denk ich zuletzt.
ROLAND
ohne Stottern.
Um Eure Frau ist's geschehen, so oder so.

Der Schreiber steht auf.
BÜRGERMEISTER.
Junker, Euretwegen, Eurer Mißgestalt wegen brauche ich keine Eifersucht zu spüren.
[15]
FEMINA.
Soll ich das nun protokollieren?
BÜRGERMEISTER.

Schreibe er es allgemein: »daß wir die Augen über die Befleckung dieses Ehrenteils schließen wollen, wenn wir nur unsere teure Stadt retten.« Erhält Zustimmung.

ROLAND.
Und das schschickt man MMelak hinaus? Da ist's ja schschlimmer, als man sich's gedacht hat.
BÜRGERMEISTER.
Es kommt darauf an, unseren ergebenen Sinn recht glaubhaft zu machen.
ROLAND.
Ihr werdet's bereuen!
FEMINA.

Ich habe geschrieben: »Auch wenn ich meine Frau Melak geben müßte, ich würde die Augen zumachen und zugucken.«

BÜRGERMEISTER.
Esel, was schreibst du?
ROLAND.
Ein anderer Satz, aber der WWortlaut.
RAT KLEMENS.
Was da zanken! Wortlaut, 's ist ganz egal, 's geschieht so oder so. Nur ein bißchen rasch!
BÜRGERMEISTER.
Meinetwegen, meine Frau kriegt's ja nie zu lesen.
ROLAND.
Gemeineheit.
BÜRGERMEISTER
lacht leis.

Schreib er so weiter: »Daß Ihr Edelmut Herr Graf ›de‹ Melak an unserer Bürgerschaft groß sein wird, bezweifelt nicht –.«

ROLAND.
Und er wird noch gelobt dafür!
RAT KLEMENS.

Nur nicht mehr auf ihn hören. Du hast eine gewandte Schrift, Schreiberlein. Laß dir schön sauber diktieren.

BÜRGERMEISTER.
Bezweifelt nicht Ihr sehr ergebener Bürgermeister Künkelün.
ROLAND.
Und schämt sich nicht.
RAT KLEMENS
lacht auf.
Er, der Kerl schreibt's dazu, »und schämt sich nicht«.
FEMINA.
Ha ja, der Rat diktiert mir doch.
BÜRGERMEISTER.
Der Bürgermeister diktiert. Wo hast du eigentlich angefangen zu schreiben?
FEMINA
liest.

Wären wir nicht schändliche Ochsen ... die Franzosen werden sich schon mit unsern Weibern befreunden ...

RAT KLEMENS.
Hehehe, er hat's alles zusammengezogen. Hehehe! Das gibt Melak ein lustiges Pergament.
BÜRGERMEISTER.
Bist du von Sinnen?
FEMINA.
So haben wir's Winnenden gehandhabt.
[16]
BÜRGERMEISTER.
Dort ist ein Irrenhaus! Was machen wir da?
RAT KLEMENS.
Man läßt's.
ROLAND.
Das bleibt stehen!
BÜRGERMEISTER.
Gut, wenn der Ritter auch einmal mit etwas einverstanden ist, gut.
DIE RATSHERREN.
Wir sind auch einverstanden.
RAT KLEMENS.
's hat ihn der Teufel, er schreibt immer den Namen vom Redner noch mit dazu.
ROLAND.
Mit dem GGanzen bin ich nicht einverstanden.
FEMINA.
Das will ich mir so merken.
ROLAND.

Schreiberlein, sei nicht ungerecht gegen mich. Ich will die WWahrheit von mir geschrieben, daß ich pprotestiere. Meinen Protest!

FEMINA.
Der hilft Euch nichts.
RAT KLEMENS
tätschelt ihn.
Malefixbengel!
ROLAND.
Schreiberlein, sei nicht parteilich!
FEMINA.
Es kostet Euch höchstens den Kopf, wenn Ihr gesinnt seid.
ROLAND.
Das ist dann auch egal. In dem Schorndorf gefällt mir's sowieso nie mehr. Also schreib!
FEMINA.
Das hat noch Zeit, wenn der Kopf dann verloren ist.
BÜRGERMEISTER
unter dem Gelächter der Herren.
Ritter Roland, selbst der Schreiber glaubt nicht an seinen Mut. Man verlacht ihn allgemein.
RAT KLEMENS.
Er weiß, daß wir doch durchdringen. Jetzt hat man den Helden.
ROLAND.
Wenn's so steht. Ich habe nie tteilgenommen an der Versammlung.

Roland wirft den eisernen Handschuh auf den Tisch. Die Versammlung erschrickt. Dann tritt er von seinem Stuhl weg. Kanonenschuß. In dem unbewachten Augenblick zieht Femina den Handschuh an sich und steckt ihn ein.
BÜRGERMEISTER
zu den Ratsherren, leise.

Wenn er sich von uns abkehrt, einigen wir uns einfach ohne ihn. Es handelt sich jetzt nur noch darum, wer zu Melak hinausgeht, um der Stadt Uebergabe zu vollziehen. – Herr Klemens!

RAT KLEMENS.
Ich? Unter dem Hagel der feindlichen Geschosse?
[17]
BÜRGERMEISTER.
Wir schwenken auf der Mauer die weiße Fahne, dann wird sofort Ruhe eintreten.
RAT KLEMENS.
Viel lieber will ich die Fahne schwingen und unser Stadtoberhaupt geht zum Feind hinaus.
DIE RATSHERREN.
Melak wird mit einem Stadtrat nicht zufrieden sein.
BÜRGERMEISTER.
Wenn mich die Herren bestimmen. Gut. Ich habe einen neuen Frack.
ROLAND
kehrt sich.
Ihr werdet ja sehen, Bürgermeister, wie Melak mit Eurer schönen Frau verfährt.
BÜRGERMEISTER.
Was will Er denn fortwährend von meiner Frau. Uebergebe ich allein ein Weib? Etwa?
ROLAND.
Durch ssie muß es Euch für die gganze Stadt rreuen, was Ihr tut.
BÜRGERMEISTER.
Es herrscht zwischen mir und meiner Hälfte doch etwas zu kühle Luft.
FEMINA
lacht auf.
Das wird aber Melak interessieren!
ROLAND.

Das wird auch mich interessieren! Ich bin FFeuer, FFlamme, rasender SSturm für Frau Künkelün. Mit hochgezücktem Schwert.

FEMINA.
Oh, könnte das Frau Künkelün hören!
BÜRGERMEISTER.
War mir seitdem gänzlich unbekannt, dieser sein leidenschaftlicher Hang zu ihr.
ROLAND.

Darum fürchtet Euch!! Tritt an den Tisch, um seinen Handschuh aufzunehmen. Wo ist mein Handschuh? Ich will gehen. Wer hat ihn aufgehoben?

BÜRGERMEISTER.
Wenn Ihr ihn selber wieder aufheben wollt, dann werft ihn nicht so voreilig hin.
ROLAND.
Wo ist mein Handschuh? Den brauch ich, sonst hab ich keine Kraft im Gelenk.
DIE RATSHERREN
untereinander.
Merket Ihr, er hat schon auch die Entschuldigung, wenn er sich uns fügt.
ROLAND.
Wo ist mein HHandschuh? – Wenn er nicht herkommt, schlag ich Euch allen die Köpfe ab.

Die Ratsherren lachen behaglich und schadenfroh.
ROLAND.
Schreiberlein?
FEMINA.
Ich soll ihn haben? Das ist doch am allerunwahrscheinlichsten.
ROLAND.
Klemens.
RAT KLEMENS.
Klemens! Wohl, so heiß ich.
[18]
ROLAND.
Bürgermeister.
BÜRGERMEISTER.
Es ist mir zu einfältig.
ROLAND.

Wartet! Versteckt ihn nur, ich werde meine HHand mit Eisen umgießen, dann hüt' sich von Euch ein jeder. Macht nur voll den FFrieden, dann werd ich mit meiner HHand in eure Suppen tauchen.

RAT KLEMENS.
Unappetitlicher Kerl! Was hat man dir getan?
ROLAND.
Nichts.
DIE RATSHERREN.
Wir wissen schon. Nachher macht Er uns um desto größere Vorwürfe.
ROLAND.
Wird mir nicht einfallen. Machet den Frieden!
BÜRGERMEISTER.
Nein sag Er, ist es sein Ernst?
ROLAND
bitter, wild.
Ja.
RAT KLEMENS.
Das ist ja ganz famos!
BÜRGERMEISTER.
Es nützt unserem Beschluß im Ansehen vor der Bürgerschaft ungemein.
ROLAND.
Ja, es nützt ungemein. Aber Gott weiß es, wie Ihr mich dazu gebracht habt!
DIE RATSHERREN.
Wir? wir? – Dazu gebracht?
BÜRGERMEISTER.
Etwa durch den abhanden gekommenen Schuh? Wer hat ihn denn weggeworfen?
DIE RATSHERREN.
Nein, Ritter, das habt Ihr mit Willen so gelenkt!
BÜRGERMEISTER.
Nein, nein, wir üben durchaus keinen Zwang. Er kann sein Ja zurücknehmen.
RAT KLEMENS
halb toll.
Bürgermeister!
BÜRGERMEISTER.

Ich bin ein Mann! Freies Wort jeder Partei! Ich gebe ihm noch einmal Gelegenheit zum Ausschlag. – Der ganze Rat richtet sich nach ihm.

ROLAND.
So laß ich mich nicht nnarren. Wendet sich zornig.
BÜRGERMEISTER.

Wenn der Ritter nicht will, so sind wir leider durch ihn gezwungen, durch Herrn Roland gezwungen, Frieden zu schließen.

ROLAND.
Heuchler! Falschspieler!
BÜRGERMEISTER.
Ich?
ROLAND.
Schurken! der ganze Rat!
DIE RATSHERREN.
Wiir?
ROLAND
ruft ins Leere.
FFrau Bürgermeister!
RAT KLEMENS
leis.
Er muß in ein Sanatorium.
[19]
ROLAND.

Frau Künkelün, du holder verklärter Engel, du wirst an den Feind fallen! – Aber ehhe! ehhe! ehe werd ich dich an mich reißen und mit dir entfliegen!

BÜRGERMEISTER
erblaßt.

Es ist gut, daß ich auf der Hut sein kann, mein Täubchen vorher in den Schlag bringen. Der Schreiber hustet sehr stark.

ROLAND.

Ich werde dich zwischen den Ritzen der Wände hindurchreißen, mit den blanken Krallen meiner Hand! Frau Künkelün wird nicht eine Nacht ffranzösisch. – Mit Bewußtsein zu der Versammlung gewandt. Woll's Gott schschaffen, daß auch Schorndorf württembergisch verbleibe! So bin ich ffortan Bürgermeister und die Künkelün! Sein Blick zehrt wie nasse Glut.

RAT KLEMENS.
Er redet, ein Narr.
ROLAND.

Und wenn ich nach vorwärts auf die Franzosen hauen werde, so werd' ich nach hinten eure allen Köpfe abschlagen. Sein Schwert saust über seinen Kopf.


Während die Räte langsam zu lachen anheben, sitzt Künkelün wie zusammengebrochen auf seinem
Stuhl. – Kanonenschuß.
FEMINA.
Herr Künkelün!
BÜRGERMEISTER
steht auf und stiert auf den Schreiber.
Wo ruft sie?
FEMINA.
Herr Bürgermeister, kann ich die Akten beschließen?
BÜRGERMEISTER.
Es ist noch kein Beschluß.
DIE RATSHERREN
rennen von den Sitzen.
Bürgermeister! Das ist keine Amtsführung. Einstimmig ist die Uebergabe angenommen.
BÜRGERMEISTER.
Wenn auf Rolands Stuhl ein Stadtrat sitzen täte.
DIE RATSHERREN.
Roland ist Stadtrat.
BÜRGERMEISTER.
Er hat nicht auf dem Stuhl gesessen.
ROLAND.
Auf den vverzicht ich, setzt einen nach Eurem GGeschmack darauf.
BÜRGERMEISTER.
Ich muß mein Gewissen bekommen.
RAT KLEMENS.

Dann setzt man den Schreiber auf den Stuhl und rasch ist's geschehen. Los Schreiber! Wir brauchen deine Stimme.

FEMINA.
Aber nur, wenn ich als wirklicher Stadtrat auch gelte.
ROLAND.
KKindkopf, Schreiberlein!
[20]
FEMINA.
O, ich weiß nicht, Herr Roland, ob es nicht töricht ist, auf eine Ehre zu verzichten.
DIE RATSHERREN.
Bravo! Klatschen in die Hände. Wir begrüßen den neuen Herrn Stadtrat.
FEMINA
noch zögernd.
Bin ich auch würdig?
DIE RATSHERREN.
Wer schnell zupackt, ist auch würdig.
FEMINA.
Soll ich? – Aber Herr Roland darf mir dann nicht zürnen.
ROLAND.
Zürnen!? – Auf diesem Sitze hast du kleine Stimme.
FEMINA.
Ei! Ich verzichte doch lieber.
RAT KLEMENS.

Er hat Stimme gehabt, nur hat er kein Geschick gehabt, nur war er zu trotzig, die Macht seines Sitzes zur Geltung zu bringen.

FEMINA.
Liegt's denn am Sitz?
BÜRGERMEISTER.
Gewiß es liegt am Sitz.
FEMINA
steigt auf den Stuhl.
Ah so! Der Sitz hat die Macht. Lauter Beifall.
ROLAND.
Spatz du! Wirst keine Nachtigall.
FEMINA.
Ich will einmal sehen. O wie das federt!
BÜRGERMEISTER.
Ich begrüße namens der Herren Räte Herrn Femina als neuen Stadtrat.
FEMINA.
Ich bin Stadtrat! – Es ist wahr, wenn man einer ist, kann man gut einer sein.
BÜRGERMEISTER.

Nun, Herr Femina, gleich zur Tagesordnung. Er hat in allerdings untergeordneter Stellung die heutige Verhandlung mit angehört. Es handelt sich darum, eine zuverlässige Stimme für uns zu bekommen. Ihr Vorgänger hat bei seinem Ja einen Hinterhalt gestellt, den ich ala verantwortlicher Leiter des Magistrats nicht annehmen kann. Sagen Sie uns nun, jüngstes Mitglied, dürfen wir mit gutem Gewissen, Melaks Friedensofferte akzeptieren? Ja oder nein?

FEMINA.
Ach, Herr Bürgermeister, die Nähe meines Vorgängers zwingt mich etwas zur Bescheidenheit.
BÜRGERMEISTER.
Jener Baron hat nichts mehr zu sagen. Reden Sie getrost, Herr Femina!
FEMINA.
Darf ich's denn wagen, Herr Roland?
ROLAND.
Du wirst geffragt, sage ffrei!
DIE RATSHERREN.
Beherzt, Herr Kollege!
FEMINA.
Also doch soll ich sagen, ob Frieden oder Krieg?
BÜRGERMEISTER.
Frieden oder Krieg.
[21]
FEMINA
steht auf.

Dann – ich sage – Krieg! Es ist den Räten, als schlüge man ihnen sämtlich das Genick ab. Roland schreitet auf ihn zu, als würde er ihn erkennen.

BÜRGERMEISTER.
Herab vom Sitz! Er ist ein Verräter.
FEMINA.
Ich weiche nicht. Ich hab ihn inne.
RAT KLEMENS.
Dann reiß ich dich herunter.
ROLAND
ihn schützend.
Zurück von ihm! Es war mmein Sitz, ihm ist er ggegeben.
BÜRGERMEISTER
deutet.
Auf jenem Sessel sitzt immer ein Gegner.
FEMINA.
Wie leid mir, es liegt am Sitz.
DIE RATSHERREN.
Sie stecken Einer im Andern.
FEMINA.
Das könnte in diesem Fall schlimm sein, Herr Künkelün.
ROLAND
besieht ihn scharf.
Femina!
BÜRGERMEISTER.
Nun werd ich wissen, was ich zu tun habe.
FEMINA.

Wenn Friede gemacht wird, ist's eine absolutistische Handlung des Präsidenten, die sich der Stadtrat nicht bieten lassen darf.

DIE RATSHERREN.
Wir sind der Ansicht unseres Präsidenten.

Alle erheben sich und gehen hinaus.
FEMINA.
Dann habt ihr keine Ansicht und seid vom »Künkelün« in der Hosentasche getragen.
BÜRGERMEISTER
pathetisch.
Künkelün! ich bin stolz auf den Namen.

Die Stadträte ab mit dem Bürgermeister durch Türe rechts. Femina und Roland verbleiben.
ROLAND.
Femina?
FEMINA.

Ist es nicht erwiesen, daß Künkelün am meisten der Friedensmacher ist? Er hatte sich als von der Meinung der Räte geleitet hingestellt. Er will die Akten zusammenraffen und gehen.

ROLAND.
Bleibe!
FEMINA.
Was soll ich?
ROLAND.
Wer bist du?
FEMINA.

Laßt mich los, ich habe von Frau Bürgermeister die strenge Weisung erhalten, ihr sofort nach Schluß der Sitzung die Akten zu bringen.

ROLAND.
Du bist's nicht, geh!
FEMINA.
Für wen habt Ihr mich denn gehalten?
ROLAND.
Für sie sselber.
[22]
FEMINA.

Sie selbst? – Seid Ihr am Ende doch nicht ganz gescheit? Ich kriege Furcht vor ihm. Roland sieht ihn unverwandt an.

ROLAND.
Halt! Du bist's doch. Er geht sacht in die Knie.
FEMINA.
Wer denn? – Zu Hülfe! Roland sucht ihn zu umklammern.
ROLAND.
Ich erkenne dich an den Augen.
FEMINA.
Was hab ich denn für Augen?
ROLAND.
Du hast einen Blick wie sie.
FEMINA.
Aber wen meint Ihr denn?

Roland packt der Zorn, er stößt sein Schwert in den Boden.
ROLAND.
Das ist lieblos, das Leugnen.
FEMINA.
Ich kann es nicht anders.
ROLAND.

Bist du's nicht, für die ich rase wie der Sturm. Für die ich nicht Mißgestalt sein kann. Oder sagst du auch Affenmensch zu mir?

FEMINA.
Ich erschrecke vor Ihren grimmen Augen. Wen meint Ihr, wen vermutet Ihr in mir?
ROLAND.
Ein Weib! Du bist ein Weib. Packt ihn.
FEMINA.
Laßt mich los! Es ist verkehrt.
ROLAND.

Knabe wie ein Fisch! Sieh, wir sind allein in dem weiten Saal. Sieh dich um. Ich kann mit dir anfangen, was ich will. Ich kann dich metzeln, damit ich's weiß. Sag's schnell! Mann oder Weib?

FEMINA.
Ihr seid feige. Ich bin wehrlos.
ROLAND.
Du, jetzt sag es. Du bist sie.
FEMINA.
Soll ich Jemand sein, den Ihr liebt?
ROLAND.
Aha! Schlägt an seine Brust, daß man glaubt, er reiße sich das Herz heraus.
FEMINA.
Wenn Ihr Euch an mir verginget, was glaubtet Ihr wohl nachher, wer ich sei?
ROLAND.

Sag mir's! Gewiß! – Ich fasse mich nicht mehr. Es ist schwül in meiner Brust, wie in einem blutdürstigen Tier.

FEMINA.
Roland, Ihr liebt Frau Künkelün, denket an sie, dann bleibt Ihr bei Vernunft.
ROLAND.
Es wird mir eiskalt. – Bist du's wirklich nicht?
FEMINA.
Ritter, nun laßt Ihr mich aber hinaus! Ich habe so Angst vor Euch.
[23]
ROLAND.

Hinaus. – – Himmel und Höll!! Was hab ich von meinem Mut, wenn ich nicht frech genug bin, dir die Hosen auszuziehen!

FEMINA.

Ritter, das tut Ihr nicht, ich bitt Euch, es geschieht ein Verbrechen. Wenn Ihre Bestie erst am Fleisch ist, könnt Ihr das Zerreißen nicht mehr lassen.

ROLAND
ganz nah auf ihn tretend.
Bist du ein Weib?
FEMINA
zögert lange mit der Antwort.
Ritter, laßt mich hinaus!
ROLAND.
Warum hast du solche Angst, daß dein Atem so furchtbar riecht?
FEMINA.
Ritter, Euch sind die Worte voll Schleim!
ROLAND.
Warum hörst du das?
FEMINA.
Es würd's jedermann hören.
ROLAND.
Soll ich dich springen lassen?
FEMINA.
Mir liegt weiter nichts d'ran. Glaubt nicht, daß ich keinen Mut habe.
ROLAND
läßt ihn los.
Komm mir mit solchen Augen nicht mehr unter's Gesicht.
FEMINA.
Das kann nicht Ihr Ernst sein, wenn's Frau Künkelün Augen sind.
ROLAND.
Wenn die deinen bloß die gelogenen sind, ärgern sie mich.
FEMINA.
Seht mich doch noch einmal genau an.
ROLAND
kehrt sich ab.
Geh weg!
FEMINA.
Bedenkt aber, ich gehe gerade hin zu Frau Künkelün. Soll ich sie grüßen?
ROLAND.
Wenn du ein Wort redest, Schreiber, so schmeiß ich dich in die Mehlmühle.
FEMINA.

Eure Liebe zu ihr kennt aber schon der ganze Rat. Wenn sie noch weiter herum kommt, so will ich dafür nicht schuldig sein.

ROLAND.
Dann weiß es immer noch sie selber nicht.
FEMINA.
Möchtet Ihr denn nicht auch Gegenliebe?
ROLAND.
Das sag ich so einem Federkiel nicht.
FEMINA.
Ich könnt doch so gut kuppeln, ein wenig.
ROLAND.
Darum laß es bleiben!
FEMINA.
Daß ihr Mann ein Teigstengel ist, habt Ihr aber doch wenigstens aufgemerkt.
ROLAND.
Ich schwätze jetzt nichts weiter.
FEMINA.
Wenn ich aber Euren Besuch bei ihr melde.
[24]
ROLAND.
Sieh, wenn du das tust, bist du ein naseweiser Kohlesel.
FEMINA.
Wenn ich's aber täte, müßtet Ihr doch hinkommen.
ROLAND.
Nein, dann würd ich nicht kommen, undd ddann hätt ich sie blos beleidigt.
FEMINA.
Darum müßtet Ihr eben aus Klugheit dann hingehen!
ROLAND.
Ich? – Ich wüßt ja nicht, was dort schwätzen.
FEMINA
hat die Tür links gewonnen.

Ritter, seht her ... dreht Euch einmal um zu mir, seht wirklich her, 's ist der Mühe wert. Da, seht doch, ich habe da Euren Handschuh, den trag ich zu ihr hin.

ROLAND
dreht sich, will nach ihm springen.
Schreiberlein!
FEMINA
rennt davon.
Den müßt Ihr wohl oder übel bei ihr holen. Ab, durch Türe links.
ROLAND
allein.

Bei ihr holen? – Halt! – Wart, da steckt etwas dahinter. – Mhm! Will's, daß ich hinkomme. – War's doch selber? – Nein. – Ja. War's. Merk's. Er läuft der Türe zu.


Vorhang.

2. Akt

[25] Zweiter Aufzug.

Personen.


Femina, Frau Künkelün.


Roland.


Bürgermeister.


Marie.


Ein Hellebardier.


Scene: Das Prunkzimmer bei Künkelün. In der Hinterwand zwei Türen durch eine Pfeilerwand getrennt. Links eine Türe. Rechts Fenster.
Femina ist durch die linksgelegene Türe der Hinterwand eingetreten, legt Akten auf den Tisch. Marie steht bei ihm.

FEMINA.
Da! – Ist deine Frau ein dummes Huhn?
MARIE.
Ihr seid aber frech! In den Räumen.
FEMINA.
Warum soll der Schreiber bescheiden sein, wenn sich der Ueberherr so verblamiert.
MARIE.
Verblamiert? In der Sitzung?
FEMINA.
Ich war doch dabei, ich muß es wissen.
MARIE.
Da freu ich mich ja wieder, bis ihn bie Frau zu Gesicht kriegt.
FEMINA.
So, hat ihn deine Frau unter der Fuchtel?
MARIE.
Es ist nicht schön von mir, wenn ich's Euch sage. Aber verleugnen kann sich das nicht.
FEMINA.
Da mußt du ihr bloß gleich die Akten zu lesen geben, wenn sie heim kommt.
MARIE.
Da will ich schon dafür sorgen, daß sie's liest.
FEMINA.
Die machen sie gickerleswild.
MARIE
besieht die Bücher.
Was sind dann aber das für böse Bücher?!
FEMLNA.

Da drin hat's der Bürgermeister mit den Räten verkonspiriert, daß die Schorndorfer Weibsleute die Franzosen an sich her lassen müssen. Statt daß die Franzosen ihre Spitzpfähle sich an den Mauern abknicken und beschämt wieder abziehen[26] müssen. Du verstehst mich doch! 's ist ausgemacht darin, daß du, glotzendes Blökschaf, morgen träumst, was dir ein Franzose eingibt. Du träumst morgen französisch.

MARIE.
Warum nicht gleich spanisch?
FEMINA.

Ich spaße fein nicht. Du bist morgen eine Französin, wirst du's bringen? Hast du Unterhosen? Mit Spitzen?

MARIE.
Ich hau Euch gleich eine runter!
FEMINA.
Was wird ein starker Mann das von einem schwachen Weiblein spüren!
MARIE.
So arg stark seht Ihr nicht aus. Spielt mit der Hand nach ihm.
FEMINA.
Bitte, ich hab es schon mit Roland aufgenommen.
MARIE.
So ein pludriger Sperling!
FEMINA.

Es ist aber wahr, wenn ich es sage. Ich habe Roland bestanden. Das wäre doch, wie man's mir schon hat durchblicken lassen, z' Schorndorf eine Art Heldentat von mir, womit ich mich ganz gut eingeführt hätte.

MARIE.
Wenn's wahr wäre, schon. Ihr seid noch nicht lange hier?
FEMINA.
Ich bin doch vor den Franzosen hereingeflohen, ins Schorendorf.
MARIE.

Ach! der seid Ihr? Der Herr Femina? Guck auch, da mach ich heute gleich noch eine Bekanntschaft. Ja darum, sonst könntet Ihr ja nix so unsinnig's über ihn, den Roland, sagen. Denn, daß Ihr's gleich wißt, eh Ihr ihm begegnet, das ist schon mehr ein Dingerich wie ein Ochs von Urbach.

FEMINA.

So? Vielleicht mein ich den Falschen. Wer ist denn der, den im Kriegsrat heut alle so schlecht behandelten? Er sieht aus wie'n halbes Tier, bloß sein Aug' hat recht den Glanz vom Menschengeist.

MARIE
mit gewisser Wehmut.
Oh je, dann wär er's doch. Aber den habt Ihr doch gewiß nicht bestanden?
FEMINA.
Im Wortwechsel, jawohl.
MARIE
lacht auf.

Mit dem Maule also! Das macht Ihr gut! Drum sonst, der, wenn's Händel gibt, zerreibt alles wie Brei. Faßt Femina derb an.

FEMINA.

Au! – Was hast du für derbe Tatzen! Da wundert's mich aber, daß er sich so wegwerfend behandeln läßt.

[27]
MARIE.

Ja, das ist's eben. Er ist halt verschüchtert und die Räte haben von sich auch immer die größten Mücken im Kopf.

FEMINA
noch Maries Tatzengriff verbeißend.
Warum ist denn der so verschüchtert?
MARIE.
Weil 'r noch nie 'n Weib gesehen hat.
FEMINA.
Warum hat er denn noch kein Weib gesehen?
MARIE.
's mag ihn keine dafür leiden, eben halt.
FEMINA.
Hä.
MARIE.
Man sagt, er stamme von den Affen.
FEMINA.
Da könnt er doch bei dir wohl werben gehen. – Du hast mir ein ganz unverschämtes reingepufft.
MARIE.
Oh, aber gewiß nicht mit Fleiß, oh!
FEMINA.
's ist schon gut jetzt. Aber ich meine, du wärest so die passende Partie für den Ochsen von Urbach.
MARIE.

Nein, nein, der verlangt etwas ganz anderes wie mich. Meine Frau, müßt ihr wissen. Die ist eher ungefähr seine Absicht.

FEMINA
paff.

Du freust mich. Da scheinst du ja eine Frau zu haben, die würde mich nun auch interessieren, wenn die noch grobklotziger sein soll als du.

MARIE
mit funkelnder Begeisterung.
Die ist schön meine Frau und Arme hat sie noch viel gespecketer als die meinen.
FEMINA.
Das ist doch wohl eine Einbildung von dir.
MARIE
an ihren Armen streichelnd.
Ich bin gar nicht gespecket.
FEMINA
schüttelt den Kopf.
Das ist mir fast nicht begreiflich. Dein Neid sieht an einer Anderen wohl alles doppelt?
MARIE.
Das kann ja schon sein, daß ich stärker bin, aber schön weich und specket ist meine Frau.
FEMINA
halb in Zorn.
Du willst sagen, sie sei eine Specksau?
MARIE.
Nein, aber das schöne weiche fehlt mir, das meine Frau hat.
FEMINA.
Du scheinst andere Fleischpreise zu haben.
MARIE.
Habt Ihr sie denn noch nicht gesehen, die Frau Bürgermeister?
FEMINA.

Nein, was ich nach deiner Beschreibung bedaure, leider nicht. Es muß eine sehr interessante Figur sein, wenn sie nach deiner Meinung gerade passend wäre, die Auserlesene für [28] jenes Scheusal, das jedes Weib meidet, für den Ochs von Urbach die Auserlesene zu sein.

MARIE.
Warum regt Euch denn das so uff?
FEMINA.

Ach – ich wollte mir auf die Bekanntschaft mit dir schon etwas einbilden. Nun erweckst du schon wieder Gelüste in mir.

MARIE.
So'n Herr Schreiber. – Beruhigt Euch schon, darin ist nichts zu machen, bei meiner Frau.
FEMINA.
Was! Soll mich das etwa unter den Ritter herabsetzen?
MARIE.
Seid bloß zufrieden! – Kann ich denn dafür, daß er ihr Geschmack ist?!
FEMINA
steht sprachlos, dann.

Die Ehefrau meines Bürgermeisters hat den Geschmack? Da will ich bald eine gewisse Beobachtung aus der Sitzung begreifen. Da hat nämlich der Ritter, immer von Zeit zu Zeit geschrieen mit gezogenem Schwert: »Ich bin Feuer, Flamme, rasender Sturm für Frau Künkelün«. Kann ein Lächeln nicht verwinden.

MARIE.
Das hat er jetzt öffentlich geschrieen?
FEMINA.
Vor allen Räten.
MARIE.

Dann hat's mit ihr geschnackelt. Das hat er bisher noch nie gewagt. Dann kann ich 's Euch ja anvertrauen, – das ist jetzt aber ein Geheimnis –An seinem Ohr redend. ein geheimes Verstehen ist schon lange zwischen den Beiden.

FEMINA.
Erzähl weiter.
MARIE.
Ich muß zuerst Luft hollen. Sieht sich um. Ist auch niemand versteckt?
FEMINA.

Weiter, schwätze. Die Frau meines Obern interessiert mich. Also ein Verstehen ist zwischen Beiden, das du beobachtet hast. Was hast du denn beobachtet? – Hat sie ihm schon früher geschrieben? – Schreiben sie sich Briefe?

MARIE.
Ihr Schreiber, ihr wollt gleich alles schreiben. So was versteckt man.
FEMINA.
Also hinten herum. – Was weißt du?
MARIE.
Ihr seid mir fast zu neugierig.
FEMINA.

Wenn du mir nix weiter sagst, dann schrei ich einfach die falschesten Sachen über sie herum. Hat sie ihm schon früher etwas gesagt?

MARIE.
Keine Silbe hat sie mit ihm noch gesprochen meine Hand dafür auf den Hackblock.
[29]
FEMINA.
Die könntest du dir gleich abhacken lassen. – Weiter.
MARIE
beteuernd.
Sie hat noch nix mit ihm geredet.
FEMINA.
Na, was redest du dann?
MARIE.
Ihr habt doch nun seine Liebeserklärung mit angehört.
FEMINA.
Und dich überrascht's also nicht!
MARIE.
Nein! Gar nicht. Gar nicht.
FEMINA.
Dann muß doch zwischen beiden was los gewesen sein.
MARIE
sieht sich um.
Ich hab es als gehört und gesehen. –
FEMINA.
Ich muß fort, ich hab keine Zeit.
MARIE.
Ich hab's gehört, wie sie nach ihm geseufzt hat.
FEMINA.
Woher weißt du, daß der Seufzer ihm gegolten hat?
MARIE.

Sie sagte in den Tagen oft zum Künkelün, Himmel was bist du für ein Mann. Es täte Not, man machte den Ritter zum Bürgermeister. Und hinten nach kam dann der Seufzer, daß ich gemeint hab, es müßte ein ganzer Steinbruch von ihrer Brust rutschen.

FEMINA.

A! Was du nicht sagst! Wie verstündest du dann das aber von deiner Frau, daß sie zu so einem Menschen einen Zug verspürt?

MARIE.
Einfach, der Ihre ist ihr zu feig alleweil.
FEMINA.

Wenn du nicht mehr sagen kannst, gerade komme ich von der Sitzung, da hat es sich gerade darum gedreht. Er wollte von einer Uebergabe nix wissen, der Künkelün aber und so hat man den Ritter zu seinem Liebesgeständnis bewogen. Ich hatte gemeint, dem liege etwas wie eine intimere Herzensbeziehung von beiden zu Grunde. Will gehen.

MARIE
hält ihn fest.

Wartet ein wenig. Man sagt auch, das weiß aber niemand genau, seit der Hochzeit der Frau mit dem Künkelün, sei er geharnischt und lasse sich auch mehr sehen.

FEMINA.

Das ist mir auch nicht mehr neu. Ob du deiner Frau nachsagen kannst, sie habe eine unlautere Sache mit ihm gehabt? Das hätt ich wissen wollen.

MARIE.
Immer wenn er vorbei geht am Hause, steht sie am Fenster.
FEMINA.
Sind das ausgemachte Stunden am Tag?
MARIE.
Ich hab's schon oft ausrechnen gewollt, aber's stimmt nie nicht.
[30]
FEMINA.
Du! ... Ich glaube, du stehst regelmäßiger am Fenster als deine Frau.
MARIE
lachend, verlegen.
Aber wenn Ihr das meint. Wie soll denn der Ritter an mich denken, er kennt mich doch gar nicht.
FEMINA.
Na na, wer weiß. Du wirst auch schon ganz rot.
MARIE.
Ich bin ihm doch seit meinem Kindsein gar nie mehr begegnet.
FEMINA.
Also ist er doch einmal in deinem Leben vorgekommen.
MARIE.
Ach, der Ritter, ich begreif es nicht, daß man ihn so verachtet.
FEMINA.
Da kommt mir's ja bald vor, daß der Ochs mehr Weiber haben könnte, als wie keine.
MARIE.

Nein, nein. Das sind bloß ich und meine Frau, die so's Gefühl für ihn teilen. Aber natürlich kann man sich denken, daß ich zurückstehen muß.

FEMINA.

Warum denn? Da kann ich dir bloß raten, lauf ihr den Rang ab. Stelle dich vor deine Frau, vielleicht läßt sie dir ihn. Das kann wohl sein.

MARIE.

Meint Ihr? – Verschämt. Mir hat er einmal, wie ich noch ein Kind war, eine Schlüsselblume geschenkt, weil ich allein nicht vor ihm ausgerissen bin.

FEMINA.

Na also, sehr einfach, das erzählst du deiner Frau und dann ist sie vielleicht so eifersüchtig, daß sie die Rosinen von ihm an die Wand schmeißt.

MARIE.
Ich weiß nicht, sie kennt das schon alles.
FEMINA.

Wenn ich etwas darin tun kann, will ich es wenden, daß der Ritter seine Leidenschaft dir zukehrt. Will gehen.

MARIE.
Ach, laßt das bleiben. s'ist schon recht so.
FEMINA.
Ich hab geglaubt, du liebest den Ritter.
MARIE.
Mehr bloß im Grundsatz. Sonst ist mein Geschmack schon ein anderer. Sieht Femina an.
FEMINA.
Wie, du siehst mich an? Doch bloß, weil ich gerade da bin.
MARIE.
Ach, Ihr Herren Schreiber seid eben so stolze Herren.
FEMINA.
Da, irr dich. Ich vermag dich, sehr schön zu finden. Gestatte! Er küßt sie kühn und frech.
MARIE
wischt sich das Maul.
Ihr seid schon ein Frecher!
[31]
FEMINA.
Das war noch gar nichts. Du solltest mich erst sehen, wenn du mein Schatz wärest.
MARIE
kichert.
Ihr seid ein Süßfisch. An so was denkt der Herr doch nie.
FEMINA.
Meinst du? – Zum Beispiel würd' ich jetzt ganz gern etwas essen. Hast du nichts für mich?
MARIE
sieht sich um.
's war noch nie einer bei mir in der Küche.
FEMINA.
Ich geh auch in die Speisekammer.
MARIE.
Habt Ihr denn so Hunger, daß das sein muß?
FEMINA.
Die Liebe geht bei mir nur durch den Magen. – Also. Willst du mich oder nicht?
MARIE
scheu.
's ist mir bänglich.
FEMINA.

Herr Femina ist gut angeschrieben, oben. Beim Bürgermeister ganz hauptsächlich. Da gratuliert man dir nur, wenn man uns je dabei erwischt.

MARIE.
Wenn Ihr so gut angeschrieben seid.

Glocke im Entree. – Beide fahren auseinander. Marie stößt Femina durch die rechtsseitige Türe der Hinterwand.
MARIE.

Da! Geht voll den Gang hinter! – Bloß nie herauskommen! Außer der Gans könnt Ihr alles fressen! Marie durch die linksseitige Tür der Hinterwand. Unter der Türe begegnet ihr schon der Bürgermeister. Beide treten ein.

BÜRGERMEISTER
legt ab.
Ist meine Frau daheim?
MARIE.
Nein Herr, noch nicht.
BÜRGERMEISTER.
Aber du bist daheim, Marie. Für dich hab ich dieselbe Ueberraschung.
MARIE.
Ja? Und mit was?
BÜRGERMEISTER.

Du hast wohl schon von den Franzosen gehört, wie sie Elan! besitzen allem Weiblichen gegenüber. Wie sie küssen Wurfkuß. Marie darauf bereite dich vor.


Marie will geärgert hinausgehen.
BÜRGERMEISTER.
Was denn? Laß mich erst ausreden. Der Frieden ist gemacht, weiter nichts.
MARIE.
's ist bloß gut!
BÜRGERMEISTER.
Wie?
MARIE.
Daß die Frau das noch nicht weiß.
BÜRGERMEISTER.

Kehr ich mich an euch Weibsleute? Laß Frau Künkelün ruhig nach Hause kommen, ich habe ein pima Gewissen. Den Schlafrock!

[32]
MARIE
nimmt ihn vom Haken.
's war aber vorher anders mit der Frau besprochen.
BÜRGERMEISTER
zieht sich um.

Der Stadtrat hat es so beschlossen. Da schweige man mir zu Hause mit jedem Wort! Es wäre vielleicht gut, wenn du die Frau daraufhin vorbereiten würdest, um jeglichen unnötigen Zank zu vermeiden.

MARIE.

Ach Herr, ich würde mir's doch nun im langen Lauf der Jahre angewöhnt haben, daß ich's nie anders durchsetzte, als es die Frau will.

BÜRGERMEISTER.

Was! Das sind vergangene Zeiten. Die Franzosen werden, hoff ich, das nötige Quantum raison mitbringen. Diese traurige Pantoffelwirtschaft hat ein Ende, ein für allemal!

MARIE.
Aber Herr, ich bin's doch nicht.
BÜRGERMEISTER.

Nein, aber du wirst aufhören, gegen mich mit ihr zusammenzuhelfen. Soviel Vernunft eben wird die bittere Notwendigkeit, hoff' ich, in dir erzeugt haben. – Er sieht die Akten. War denn jemand hier? Offen, frei heraus, hat sie meine Frau schon gelesen?

MARIE
zitternd.
Herr Bürgermeister!
BÜRGERMEISTER.
Welch verdammter Kujon hat die Akten hierher gebracht! Sage, sprich!
MARIE.
Ich weiß nicht, Herr, recht wer.
BÜRGERMEISTER.
Ich schmeiße dich zum Tempel hinaus noch vor dem Friedensfest. Jetzt sprich!
MARIE.
Ein Herr Femina, jawohl so hat er geheißen.
BÜRGERMEISTER.
Das ist ein, das ist ein. Oh diesen Kerl schmeiße ich in ein Mistfaß!
MARIE.
Die Frau hat sie aber noch nicht gelesen, Herr. Ich kann sie ja fortbesorgen.
BÜRGERMEISTER.
Zum Teufel damit! Schmeißt den Stoß Akten vom Tisch.
STIMME
von hinten.
Marie, laß die Akten liegen!
BEIDE
erschrecken.
Das war die Frau! Marie hat die Akten schnell zusammengelesen und wieder auf den Tisch gelegt.
BÜRGERMEISTER.
Sage mir leise, sie weiß schon alles?
MARIE.

Nein, nein, Herr, ich kann mir nicht denken, wie so sie auf einmal ruft. Bis jetzt war sie noch nicht da.

BÜRGERMEISTER.
Ist denn überhaupt jemand in der Küche?
MARIE.

Kein Mensch, keine ärmliche Seele ist draußen in [33] der Küche. Vielleicht war es doch bloß das Gewissen, das uns beiden gerufen hat.

BÜRGERMEISTER.

Nun, ich habe ein Primagewissen, ich brauche mich nicht zu scheuen, mich von der Wahrheit ihrer Anwesenheit zu überzeugen.Will hinaustreten.

MARIE
ängstlich.
Herr, 's gibt gewiß keinen kleinen Krach, wenn sie's einmal alles weiß.
BÜRGERMEISTER.

Besser, ich trumpfe vornherein auf. Er tritt hinaus, indem tritt Femina mit katzenbuckliger Haltung vor ins Zimmer. Panis, piscis, grinis, finis, Katzenkadaver und Höllenauswurf!

FEMINA.
Meine Existenz ist so fatal.
BÜRGERMEISTER.

Das ist nicht fatal, das ist verbrecherisches Darinhineinschüren in meine heilige Ehe. Wer hat dir geheißen, die Akten mit deinen Kratzpfoten in mein gutes Zimmer auf den Tisch hinzupräsentieren!

FEMINA.
Ich gestehe es zu meinen Gunsten ein.
BÜRGERMEISTER.

Zu deinen Gunsten? Diesmal werde ich anfangen, aufzuhören mit verrückter Milde. Ich habe das Recht, diese Handlungsweise als Landesverrat aufzufassen.

FEMINA
seine Haltung wird frech.
Immer dann! Hinein mit mir in den Turm!
BÜRGERMEISTER.
Deine Aufmunterung, Kanaille, bedarf es hierzu nicht mehr.
FEMINA.
Aber dann rasch, ehe mich Eure Frau auch noch in meiner Pein sieht.
BÜRGERMEISTER.

Ganz gut, daß du mich zur Eile selbst ermahnst. Geht an die Ziehglocke. Meine Frau könnte dich Kriegsnarr erst noch angenehm finden.

FEMINA.
Könnte mich angenehm finden?! – Ich schrei ins Blinde um Hilfe, Frau Künkelün, helft mir!
BÜRGERMEISTER.
Ich zieh die Glocke. Zieht. – Dir Kriegsnarren, dir wollen wir helfen.
MARIE.
Herr Künkelün, gnädiger Herr, wenn ich was bitten darf. Ich und der Herr haben eine Beziehung.
BÜRGERMEISTER.
Was Beziehung! Such dir solche bei den Franzen.
FEMINA
erregt.

Das ist die Praxis von dem Beschluß! Marie, da kannst du's verstehen, wie's mit dir gehen wird. Du wirst eine welsche Dampfnudel.

MARIE.
Haltet Maß, Herr, sonst kommt Ihr nur rascher in den Turm!
[34]
FEMINA.

Jetzt sag ich voll alles, der Künkelün ist ein großer Schweinigel, daß er seine Frau an die Franzosen vermietet! – So geht dir's auch! Marie.

MARIE.

Schweigt doch still, Bester! Ich habe meine zwei feste Fäust, die Frau Bürgermeister hat auch ihre zwei Händ. Das kann man noch nicht im voraus wissen! Mit Glut in der Stimme.

FEMINA.

Die Franzen strecken die Büxen vor und wer nicht hopst, fliegt darüber. Sieh doch deinen Herrn bloß schadenfroh lachen und die Hände auf dem Rücken drehen!

BÜRGERMEISTER.
Sehr richtig, ich freue mich, wie du hinein fliegst ins schwarze Loch!
FEMINA.
Aber die Weiber sind sich mit mir einig, daß Ihr ein Schweinigel doch seid.
MARIE.

Ruhig, ruhig, Lieber. Seht meine Arme an, fett wie Keulen. Beruhigt Euch! Meine Brust fest und solidd meine Schenkel, Männichen, weh den Franzhöseln!

BÜRGERMEISTER.
Nein, nein, Marie. Du wirst dich hübsch wie die anderen ergeben.
FEMINA.
Da, es ist Zwang!
MARIE.
So! wenn es Zwang ist. Dann sollte man denen Räten auskutteln! Sollte man denen nicht auskutteln?
FEMINA.

Frisch los, Marie, fang bei dem an! Bürgermeister zieht sich an die Wand, dann reißt er heftiger die Glocke.

MARIE.
Wenn nur bald die Frau kommt!
FEMINA.
Und wie er vor dir Angst hat. Vor der eigenen Magd!
BÜRGERMEISTER.

Oh so sehr habe ich nicht Angst. Ich hätte fast das Recht, mich vor den Räten hervorzuheben. Ich persönlich war mehr der Gedrängte. Das war eine hochinteressante Sitzung diesmal!

FEMINA.
Ich war dabei. Das ist gelogen!
MARIE.
Um d'r Gott's, der Hellebardier!

Der Hellebardier tritt ein.
BÜRGERMEISTER
herauslangend, vorschreitend.
So, nun erbärmlicher Wicht, Beleidigungskünstler, dir wird man Seegras zu fressen geben.
FEMINA.
Nur heran zu mir, nur nicht zaghaft, legt mich gefangen!
BÜRGERMEISTER.

Dieser Aufmunterung bedarf es gar nicht. [35] Befehlend. In den Turm mit ihm! Aber in den, welchen die Franzosen am heftigsten beschießen!

FEMINA.
Ich fürcht mich gar nicht, Bürgermeister!
BÜRGERMEISTER.
Haut ihm darauf, Schweizer, wenn er frech ist.
FEMINA.
Ich sage mein Sach darum doch, Bürgermeister!
BÜRGERMEISTER.
Schweige jetzt, Bürschchen!
FEMINA.
Noch tausend Sätze!
MARIE
flehend.
Herr Femina!
HELLEBARDIER
streckt die Hand vor.
Halt's Maul, Bube, meine Hand, die du dir wohl ansiehst, da hängt sie!
FEMINA.
Es gibt in Schorndorf noch eine stärkere Hand!
HELLEBARDIER
dreht seine Hand wie einen Spiegel in der Sonne.
Das regt sie!
MARIE.
Jakob, überleg' eh du zuhaust.
HELLEBARDIER.
Ich besinn' mich.
FEMINA.
Wollt Ihr nicht lieber die Franzosen damit ohrfeigen?!
HELLEBARDIER.
Selb tät ich schon auch!
FEMINA.

Aber Euer Bürgermeister läßt es nicht zu, dummer Kerl. Stadtrat Femina, hast wohl schon davon gehört, bin ich. Den sollst du verhaften.

HELLEBARDIER
konfus.
Wie, wie? – was ist das?
BÜRGERMEISTER.
Führe ihn ab!!!
FEMINA.
Dieser Donner in der Rede! und diesen Angstkäs' im Herzen.
BÜRGERMEISTER.
Wenn du ihn jetzt nicht abführst, so.
HELLEBARDIER.
Ich führ' ihn gewiß ab. Also! Herr Stadtrat!! Brüllt ihn laut an. Mir folgen!! –
FEMINA.

Ich, ich folge. Aber Herr Künkelün, wenn er mich unsanft anrührt, so bekommt Eure Frau blaue Flecken. Wenn ich in den Turm komme, so werdet Ihr heute Nacht keine Frau haben!

BÜRGERMEISTER.
Unsinnig leere Drohungen! Bangt's dir, nun doch, du Kriegsnarr, vor dem Gefängnis?
FEMINA.
Herr Bürgermeister, wolltet Ihr nicht heute noch eine tolle Abschiedsnacht mit eurer Frau feiern?
BÜRGERMEISTER.
Gewiß, Bürschlein will ich das! Reibt sich die Nase.
FEMINA.
Dann suchtet Ihr besser bei mir um Genehmigung, nach, als daß Ihr mich in den Turm stecktet!
[36]
BÜRGERMEISTER.
Kerl, willst auch du Beziehungen zu ihr haben?
FEMINA.
Ich bin außer Roland schon der Zweite, jawohl!
BÜRGERMEISTER.
Das gibt mir die Chancen, daß sie mit den Franzosen große Tanzfeste arrangieren wird.
FEMINA.

Das kann wohl sein, aber sie wird dann das Künkelünbett zu langweilig finden, darum feiert noch einmal möglichst Eheorgien mit ihr!

BÜRGERMEISTER.
Verrate mir deine Beziehung, ich behalte dich dann gern aus dem Turm zurück.
FEMINA.
Wenn Ihr mir versprecht, daß ich heute Nacht Euch nicht Gesellschaft leisten muß.
BÜRGERMEISTER.
Das versprech ich gerne, denn ich bin heute Nacht ganz gern mit ihr allein.
FEMINA.
Also, auf mich verzichtet Ihr, auf meine Person, wie Ihr sie fleischlich vor Euch seht.
BÜRGERMEISTER.
Gewiß, auf dich hätte ich lieber schon lang verzichtet. Deine Beziehung, nenne mir die geheime.
FEMINA.
So was vor diesen Leuten?
BÜRGERMEISTER.

Nur schnell, sonst bleibt's beim Turm. Ich liebe die Zuhörer. Ich kann ihr dann den Standpunkt klar machen, besser.

FEMINA.

Dann aber gestattet, daß ich mir's dazu bequem mache. Er reißt sich den Umhang ab und steht in Weibesglorie auf der Szene. Marie schreit auf und rennt hinaus. Der Hellebardier zieht den Fuß an und räuspert sich wie ein Tanzlehrer. Der Bürgermeister sieht aus, als wollte er sich Charon 1 übergeben.

BÜRGERMEISTER.
Femina – Weib.
FRAU KÜNKELÜN.

Willst du mich nicht dem Auge dieses Menschen entziehen oder bist du so schamlos geworden, daß dir dies nichts ausmacht?


Der Hellebardier tut einen naseweisen Blick hinter ihr Korsett.
BÜRGERMEISTER.
Das kommt mir zu unverhofft.
FRAU KÜNKELÜN.
Willst du den Zeugen deiner Memmenhaftigkeit hier lassen?
BÜRGERMEISTER
schreit ihn an.
Warum geht er nicht!
HELLEBARDIER
schlau.
Nur auf Befehl.
BÜRGERMEISTER.
Tretet ab!!

Der Hellebardier mit Elefantenbewegung ab.
[37]
FRAU KÜNKELÜN.
Dein Exerzierschneid ist der rechte Abdruck deiner Feigheit.
BÜRGERMEISTER.
Was ist nun?
FRAU KÜNKELÜN.
Krieg.
BÜRGERMEISTER.
Das merk ich.
FRAU KÜNKELÜN.

Du bist der erste Feind und Gefangener. Oder mit energischem Deuten. du begibst dich sofort zu neuer Beschlußfassung auf's Rathaus!

BÜRGERMEISTER.
Nein! Ich gehorche dir nicht mehr.
FRAU KÜNKELÜN.

Gut. Deine Frau streitet nicht mehr mit dir. Ich werde meine Unschuld zu schützen wissen, wenn sie dir nichts wert ist.

BÜRGERMEISTER.
Sie wäre mir schon wert.
FRAU KÜNKELÜN.
Lügner! – Die Akten liegen hier, von mir wörtlich nachgeschrieben ist jedes deiner verruchten Worte.
BÜRGERMEISTER.
Das ist eben haarsträubend!
FRAU KÜNKELÜN.
Oh sieh, so wollte ich schon lange an deinen Sitzungen teilnehmen.
BÜRGERMEISTER.
Wenn ein Stadtoberhaupt solch ein Weib hat, da hört dann eben alles auf.
FRAU KÜNKELÜN.
Deine Frau, das merke dir, führt das Regiment.
BÜRGERMEISTER.
Das ist der heillose Unsinn.
FRAU KÜNKELÜN.
Das werde Schorndorf's Glück!
BÜRGERMEISTER.

Dein weibischer Eigensinn mag das glauben, aber ich sage dir: »Melak, Melak ist ein grausamer Wüterich!«

FRAU KÜNKELÜN.

Dann finde er in mir keine Gelegenheit, ein Wüterich zu sein. »Du würdest die Augen zumachen, um dadurch die Stadt zu retten.«

BÜRGERMEISTER.
Verzeih mir's doch!
FRAU KÜNKELÜN.

Wörtlich steht es hier drin! Ich verzeihe dir das nicht. Und wenn es mir gelingt, den Sieg über den Feind zu gewinnen, so bist du der Letzte, welcher zu mir kommt. Dann ist es dieser. Sie platscht ihm Rolands Handschuh vor die Füße, daß der Bürgermeister erstarrt.

BÜRGERMEISTER.
Der liegt wie eine fette Kröte zwischen uns.
FRAU KÜNKELÜN.

Zieh's ins Lächerliche! Aber ich bin dem Ritter nicht weniger enthusiastisch ergeben, als er mit ist.

BÜRGERMEISTER
zappelnd.

Es ist nichts, als daß du meine Gesinnung, die für Schorndorfs Wohl ist, verkennen mußt, um [38] dir die Berechtigung zur Untreue zu verschaffen. Und mit so einem Mißwuchs! Er hat Arme, so lang wie ein Gorill, einen Blick wie ein Raubtier und ein Gerippe wie ein Bär. Er wird auch einen ganzen Wald Haare haben.

FRAU KÜNKELÜN.

Du machst mir ihn eher genießbar, den Mann, der mich liebt wie rasendes Feuer und heulender Sturm! Du bist eine Quetschkartoffel.

BÜRGERMEISTER.
Wer seine Liebe nicht zugeben will, der liebt dich wahrhaftig. Ich.
FRAU KÜNKELÜN
wieder auf die Akten pochend.
Es herrscht doch zu kühle Luft zwischen uns.
BÜRGERMEISTER.

Ich möchte nicht in Visiten gewesen sein, denen du präsidiert hast! Es ist keine Kunst, jemand in die Schlinge zu ziehen.

FRAU KÜNKELÜN.
Schweige, du bist kleinlich.
BÜRGERMEISTER.
Ich wollte nur damit sagen, daß du meine Worte nicht so blutig ernst nehmen solltest.
FRAU KÜNKELÜN.

Vom Stadtoberhaupt Worte in offener Sitzung soll ich nicht ernst nehmen? Im Gegenteil, ich beabsichtige, dich dafür sogar einkerkern zu lassen.

BÜRGERMEISTER.
Bist du rasend?
FRAU KÜNKELÜN.
Verlasse mich jetzt! Es wird einer zu mir kommen, dessen Rat ich brauche.
BÜRGERMEISTER.
Du wirst ihn empfangen?!
FRAU KÜNKELÜN.
Gehe! damit dich wenigstens die Schande nicht trifft, daß ich dich vor ihm hinausweise.
BÜRGERMEISTER.
Soll man das ertragen? Geht ringend durch die Türe in der linken Seitenwand ab.
FRAU KÜNKELÜN
ruft.
Marie! Marie kommt sehr beschämt durch die rechtsseitige Türe der Hinterwand.
MARIE.
Gnädige Frau.
FRAU KÜNKELÜN.

Was ist's mit unseren »specketen« Armen, Marie? – Aufgeguckt! – Jawohl ich bin's. – Unsere »gespecketen« Arme, Marie, werden die nicht Kraft haben? – Rüstest du dich mit mir in den Kampf?

MARIE
ringt langsam aus sich heraus, zuerst mit Gesten.
– – Das ist mir jetzt ein Trost, ein Herausreißen aus der Blamage!
FRAU KÜNKELÜN.

Renne was du kannst bei allen Weibern in Schorndorf herum. Gieb die Losung aus! »Frau Künkelün will Schorndorf mit den Weibern befreien«! Laut mit der Trommel!

[39]
MARIE.
Ist das ein schönes Losungswort! Ich renne wie mit sieben Füßen!
FRAU KÜNKELÜN.
Halt noch, pscht! Jetzt kommt Er zu mir. Der.
MARIE.
Endlich der Mut! Rennt ab.

Der Handschuh liegt noch an seinem Fleck. Frau Künkelün tritt kokett vor einen Spiegel, sie kokettiert mit ihrer Kraft. Indem tritt Roland mit plumpem Geräusch, doch zaghaft, durch die linksseitige Tür in der Hinterwand ein, bleibt zuerst an der Türe stehen, sieht plötzlich Frau Künkelün. Dann, weil er sich nicht entdeckt glaubt, sucht er wieder im Zimmer, sieht jetzt den Handschuh, zielt darauf, nähert sich ihm, ihn hinterrücks an sich zu nehmen. Wie er an ihm niederkniet, tritt Frau Künkelün in höchster Anspannung auf ihn zu, sodaß sie über dem Handschuh steht, Roland sein Kinn mit ihrer Gestalt in Berührung bringt, wodurch er seinen Kopf krampfhaft rückwärts beugt und an Frau Künkelün steil emporsieht.
FRAU KÜNKELÜN.
Halt! – Noch fehlt mir der Beweis, daß er Ihnen gehört. Der Ratsschreiber hat ihn mir gegeben.
ROLAND
er streckt die Hände hin.
Die eine Hand ist bloß, da ist der Kamerad. Er lacht.
FRAU KÜNKELÜN.
Wollen Sie ihn haben? Ich steh auf ihm.
ROLAND
verwirrt.

Frau. Jetzt höret auf mit Spiel! Die Hosen ärgern mich. Frau, ich liege vor Euch, möcht Euch zu Boden reißen und zerkrallen. Gebt mir den Handschuh, lasset mich hinaus!

FRAU KÜNKELÜN.
Tun, was Sie wollen! Ich bleib drauf treten.
ROLAND.
Ihr wißt nicht, was ich ein viehisch Denken habe, Frau, fürchtet mich!
FRAU KÜNKELÜN.
Ich fürcht mich nicht. Viel eher fürchten Sie sich, meinen Fuß herabzuheben.
ROLAND.
Frau Künkelün, gebt mir den Handschuh jetzt!
FRAU KÜNKELÜN.
Gehen Sie denn gar nie mit Frauen um?
ROLAND.
Nein! – als mit Euch!
FRAU KÜNKELÜN.

Roland, Ritter, vernehmen Sie es ernstlich, was Sie ganz öffentlich von mir in schwärmerische Worte fassen, ist also ein Verbrechen Ihrer Phantasie.


Roland schweigt. Frau Künkelün tritt vom Handschuh herab.
FRAU KÜNKELÜN.

Hier liegt Ihr Handschuh. Nehmen Sie ihn auf. Sie sehen, daß ich ihn in lauterer Absicht für mich behielt. Nehmen Sie ihn, gehen Sie!

[40]
ROLAND.
Ich nehme ihn nicht.
FRAU KÜNKELÜN.

Um Eure hohe Begeisterung als einen Schwerenötertrick zu erkennen, hat er mir gut gedient, entlasten Sie mich also von dem eisernen Gewicht.

ROLAND
weint.
Ich hab nix als Eisen, das ich Euch schenken kann. Von weichern Sachen weiß ich nix.
FRAU KÜNKELÜN.
Warum weinen Sie?
ROLAND
herausschreiend.

Weil alles Lüge ist, was Ihr von mir denkt. Bückt sich nach dem Handschuh. Ich nehm den Handschuh jetzt, daß ich's beweis. Daß ich's beweis, daß mir dran liegt, daß Ihr im deutschen Bette ruhig schlafen könnt.

FRAU KÜNKELÜN.
Wissen Sie, ob mir ein zweifarbig Bett nicht vielleicht besser gefällt.
ROLAND
taumelt im Knie.
Euch!?

Frau Künkelün sieht ihn lange an, dann jährt Roland heraus.
ROLAND.

's gefällt Euch nicht, Ihr seid kein Bürgermeister. Aus Eurem Aug tut's mich verlangen, daß ich Euch b'schütze. Mit meine Eisenhänd! Er hat den Handschuh über seine Hand fallen lassen.

FRAU KÜNKELÜN.
Sie reden so, weil ich für Krieg die Stimme hergegeben habe. Ich sage jetzt, es war nur Schein.
ROLAND.
Frau Künkelün, ich bitt, treibt keinen Scherz mit mir, ich frag, erklärt Euch recht! Wwar's Schein?
FRAU KÜNKELÜN.
Bei einem Weib wird ein Wort nie viel was besseres sein.
ROLAND
noch knieend.
Frau Künkelün, bei Euch muß's anders sein, das war's Verbrechen meiner Phantasie!
FRAU KÜNKELÜN.
Sie kennen Frauen nicht.
ROLAND
bäumt sich vom Boden auf, mit Geifer.
Sind's alle Blumenvasen, wo drinn es sumpfig stinkt?
FRAU KÜNKELÜN
verletzt.
Mich widert Ihre Rede an.
ROLAND
nach einer Pause.
Ich hhab zu viel gesagt.
FRAU KÜNKELÜN.

Lernt erst, wie man mit Frauen redet, dann kommt wieder zu mir. Es ist wahrhaftig viel, daß ich mit Ihnen rede.


Roland tritt so heutig zurück, daß er mit dem Panzerrücken an die Zimmerwand schlägt. Er stiert Frau Künkelün an, dann fletscht er die Lippen übereinander und schüttelt dann, den Blick immer auf Frau Künkelün gerichtet, den gesenkten Kopf. Er will mit den Geberden den Vorwurf ausdrücken: »auch du denkst so gering wie alle von mir«.
[41]
FRAU KÜNKELÜN.

Ich weiß es, Sie sind ein armer Mann. Allein, was Sie mir sagten, hieß auch nichts anderes, als daß ich sei wie alle, denen Ihr Haß gilt. Verzeihen Sie mir darum. Nun sage ich Ihnen aber, ich bin ein Weib. Und hüten Sie sich vor sehr erbärmlichen Gedanken!

ROLAND.
Ich hab keine erbärmlichen Gedanken von Euch.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich will's glaubhaft annehmen.
ROLAND.

Sie ha-haben von mir Gedanken, wie alle Schorndörfer, daß ich der Affe bin. Der Affe, mit dem niemand redet. Vor dem die Kinder ausreißen, wenn sie ihn sehen.

FRAU KÜNKELÜN.
Roland, es ist gut, daß wir uns aussprechen.
ROLAND
weint heraus.
Ich bin ein armer Mensch.
FRAU KÜNKELÜN.
Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Ihnen eine Wohltat zu erweisen.
ROLAND
mit den Handballen in den Augen reibend.
Keine Wohltat.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich versteh es, es ist sehr schwer für Sie, durch Ihr abstoßendes Aeußere.
ROLAND
guckt sie groß an, wie überrascht.
Bin ich abstoßend?
FRAU KÜNKELÜN.

Sie fühlen es als ungerech te Verfolgung, daß jedermann den Verkehr mit Ihnen scheut ...? Die Leute prüfen ja nichts auf den Kern.

ROLAND.
Aber die Kinder? Die mich fürchten.
FRAU KÜNKELÜN.

Machen Sie sich keine Gedanken darüber. Kinder sind wohl die eigentlichen Welterkenner, aber unter den Röcken vor von ihren Müttern.

ROLAND.
Aber Sie? Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.
Von meinem Urteil dürfen Sie nicht zu viel halten!
ROLAND
lächelt freundlich aus den verweinten Augen.
Ist Ihr Urteil besser?
FRAU KÜNKELÜN
lacht und faßt kurz seine Schulter.
Oh Roland! Ich darf dir nicht so viel sagen.
ROLAND
schüchtern.
Nicht so viel?
FRAU KÜNKELÜN.
Fühlt Ihr Euch wirklich noch so arm?
ROLAND
bis zur Heftigkeit, bewegt.

Nein Frau Künkelün, ich bin reich. Reich, daß es mich zerplatzt. Darum muß ich einem Panzer tragen, weil mich mein Herz in Stücke sonst sprengt, Frau Künkelün.

FRAU KÜNKELÜN
lacht herzlich.

Meinetwegen? Der Liebe [42] zu mir wegen tragt Ihr einen Panzer. Und schon so lang, als ich mir Euch denken kann? Roland, ist da nicht ein bißchen, bißchen Schönrederei dabei?

ROLAND.

Als ich damals bei Eurem Einzug als Braut in das Stadtschultheißenhaus auf der Mauer oben hockte, bin ich gleich nachher zum Gießer gegangen und habe mich so angetan.

FRAU KÜNKELÜN.

Merkwürdig, bei dem bloßen Anblick? – War das am Ende die Vorbedeutung für den Bürgermeister, daß er an mir ein kaltes Eisen haben werde?

ROLAND.
Ich hätt' an das nie gedacht, daß ich einmal so nah bei Euch stünd.
FRAU KÜNKELÜN.
Sag' nun, Roland, lieben wir uns denn?
ROLAND.
Wahrscheinlich.
FRAU KÜNKELÜN.

Du bist mein wahrscheinlichster Liebhaber. Du machst mir wirklich Freude. Von dir habe ich aber schon viel flammendere Worte gehört. Und ich habe dich auch schon ziemlich nahe kennen gelernt, im Rathaussaal.

ROLAND
rüttelt diese Erinnerung wie etwas Unangenehmes ab.
Ich bin richtig gesinnt.
FRAU KÜNKELÜN.
Was willst du damit sagen?
ROLAND.

Ich habe nie einen unrechten Gedanken gegen Frau Künkelün gehabt. Das Heilige an Euch hätt' ich nie so berührt, wenn Ihr Euch mir kenntlich gemacht hättet.

FRAU KÜNKELÜN.
Ja aber, dieser Gefährliche bist doch du, mein Liebster.
ROLAND.
Frau Künkelün, Ihr seid mir an den Nieten von meinem Harnisch, es schüttelt mich durch und durch.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich spüre noch so wenig davon. Du sagst noch nicht einmal »Du« zu mir, wie ich »Du« zu dir.
ROLAND
schüttelt und windet sich.
Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.
Ja was, willst du mir sagen? – Du windest dich so eigentümlich.
ROLAND.
Frau Künkelün! Ich bin am Verzweifeln.

Roland schlägt mit seinen eisernen Fäusten an den Fugen seiner Rüstung herum. Frau Künkelün legt immer schärfere Glut in ihre Rede.
FRAU KÜNKELÜN.
Was verzweifelst du?
ROLAND
schreit auf.

Vor Glück! Es kracht und klirrt. Sein [43] Panzer fällt wie aufgeknackte Schalen von ihm. Frau Künkelün weicht zurück. Ich kann's nicht länger tragen. Ich bin erlöst!

FRAU KÜNKELÜN.
Sei leiser, sonst stört man uns.
ROLAND.

Es stört uns nichts. Ich werde endlich ggeliebt! Er streckt die aneinandergelegten Hände von sich, den Kopf zwischen die Arme gesteckt. So bleibt er lange stehen. Frau Künkelün betrachtet ihn, legt sacht eine Hand auf ihn. Roland durchschüttelt ein Schauer, er Schauer, er ringt und wirft den Kopf zurück, wie ein brüllender Hirsch. Ha! Ich bin frei. So verharrt er lange.

FRAU KÜNKELÜN.
Roland, du bist fürchterlich.
ROLAND
läßt langsam seine Arme sinken, daß seine Hände über Frau Künkelüns Schultern fallen.
Du Gute.
FRAU KÜNKELÜN.

Roland, wenn ich dich jetzt annehme, du bist ja nicht häßlich, du bist wunderbar schön. Sie sehen sich lange starr an, bis endlich Roland die Tränen aus den Augen fallen, ohne daß sich eine Muskel seines Gesichts verzieht. Und du weinst schon wieder. Roland was hast du so unsagbar gelitten, daß du nur mit Tränen reden kannst?

ROLAND.
FFF.
FRAU KÜNKELÜN.

Rede nicht Roland. Halte deine bebenden Lippen fest. Halte sie fest. Sie reckt sich auf die Zehen und küßt ihn.

ROLAND
zittert immer stärker, bringt endlich heraus.
Erlebt!
FRAU KÜNKELÜN.
Was meinst du damit?
ROLAND.
Erlöst!
FRAU KÜNKELÜN.
Was willst du damit sagen?
ROLAND.
VVVerachtung tut mir nichts mehr.
FRAU KÜNKELÜN.
Roland, wir lieben uns. Denk nicht mehr daran, wie dich die Leute verachten.
ROLAND.
Alle, alle!
FRAU KÜNKELÜN.

Das ist wie nichts. Wie man das Salz streut, zwischen den Fingern reibt, so streu's wieder auf sie, den vielen Schmerz, der sich in dir gesammelt hat. Es ist immer so, der wo am meisten was nutz ist, wird am geringsten geschätzt. Du bist doch der Mut selber. Ich weiß was du bist, vergeß den Schorndörfern ihre Verachtung.

ROLAND.
Ich hab's auch schon vergessen. Ich bin jetzt sogar bei dir, bei Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.
Es muß dir sehr wenig vorkommen. Ich bin recht klein neben dir.
ROLAND.
Du hast schon viel ausgehalten.
FRAU KÜNKELÜN.
Wie meinst du das?
ROLAND
lächelt.
Mein Heulen.
[44]
FRAU KÜNKELÜN.

Entschuldige dich nicht, Roland. Streichelt seine rauhe Wange. Es ist mir eine heilige Offenbarung von deinem kostbaren Innern. Und jetzt ist's vorbei. Wir müssen uns beide zusammennehmen. Es steht noch viel mehr vor uns, als was wir hinter uns haben.

ROLAND.
Vor mir, ja 's ist wahr. Ich muß mit Melak über dich etwas reden.
FRAU KÜNKELÜN.
– – Du? Wie ist dir das bloß eingefallen?
ROLAND
scharf.
Ich halt dich für meine Braut, die von ihm beleidigt worden ist.
FRAU KÜNKELÜN.
Aber wie kurz du dich faßt!
ROLAND
lacht laut, wie vergnügt.

Hähähä, so haben's sich die Stadträte nicht eingebildet, daß ich's ihnen alleinig versalze, dein Bürgermeister, wie ich ihm die Taube aus dem Schlag reiße. Gehst mit?

FRAU KÜNKELÜN
mit größtem Erstaunen.
Roland?
ROLAND.
Ist da – das nicht richtig?
FRAU KÜNKELÜN.

Nein, Roland. Ich will mit Melak reden, ich und die Weiber. Wir wollen uns selber für unsere Betten regen. Wir wollen sagen, ob ein Franzose Beischlaf halten wird. Da es die Männer nicht tun, müssen wir uns selber beschützen. Wir wollen die Männer beschämen, mit Schande strafen, die soweit umkommt in der Welt, daß mein Bürgermeister lieber in einem Mausloch regierte, als auf seinem geschnitzten Polsterstuhl.

ROLAND
lacht.
Du machst Spaaß?
FRAU KÜNKELÜN.

Nein, Roland. Ich bin der Oberbefehlshaber von Schorndorf. Ich lasse schon das Heer zusammentrommeln. Horch nur einmal!Sie hält Roland, daß er horche. Ganz in der Ferne einzelne Trommelschläge. Ganz in der Ferne, hörst du? Die Dienstmagd ist jetzt Adjutant und Hoboist. Alles in einem.

ROLAND
lacht mehr.
Marie? Das ist eine Tollheit. Da hast du schnell gehandelt.
FRAU KÜNKELÜN.
War das nicht gut? Ist das nicht tapfer? Ein Verletztsein im Ton ausdrückend.
ROLAND.
Tapfer ist's. Aber ein bißchen übereilt. Ich hätt' schon abgerechnet.
FRAU KÜNKELÜN.

Nichts damit, wieder! Der Feldplan ist entworfen. Du kannst mir bloß noch raten, von jetzt an weiter.

[45]
ROLAND.

Da zieh ich schnell den Panzer an. Das ist ein dummer Einfall von dir gewesen. Da hat es noch Eile. Was wollt ihr Weiber auf einer Mauer, wo die Kugeln aufhopfen.

FRAU KÜNKELÜN
stellt sich über den Panzer.
Der ist mein.
ROLAND
lacht.

Gieb ihn her, ich hätt' nicht heulen sollen. Es ist zur Unzeit über mich gekommen. Die mutig Frau muß ich gleich selber wieder bändigen.

FRAU KÜNKELÜN.

Ja wart, wenn du jetzt auch ein herrisch Mannsbild sein willst. Daß jeder Mann gleich, wenn's ein Weib betrifft, ein Horn sich aufsetzt! Dein Panzer lachend. ist jetzt unser Ehegut. Bekanntlich wenn man Lieb und Liebster ist, da teilt man alles, oder jedes von beiden hat was dem andern ist.

ROLAND
lacht laut auf.
Hehehe, du bist rasch besonnen. Wir sind aber nicht verheiratet. Das ist bis jetzt bloß eine Liebe.
FRAU KÜNKELÜN.

Darüber gibt's ja nichts. Was nützt dem Bürgermeister heut die Eh' mit mir? Stehst du mir nicht viel näher?

ROLAND
ruhig.

Ja schon. Aber den Panzer kann ich doch nicht vermissen. Auch wenn ihr Weiber jetzt den Krieg macht, kann ich ihn auch ganz geschickt gebrauchen. Man weiß ja nie, was kommt.

FRAU KÜNKELÜN.

Ja ja, schwätze nur recht viel, aber kriegen tust du ihn doch nicht mehr. Du bist jetzt frei, du gefällst mir nur so, du kriegst ihn also nicht.

ROLAND
recht ernst bettelnd.

Ganz ohne Spaß jetzt, ich will heut noch meiner ZZiege das GGras unterm Remstor mähen, da ist's dann besser, wenn ich was festes dabei anhab. Verhält das Lachen.

FRAU KÜNKELÜN
lacht laut auf.
Ja ja, das Gras mähen. Zum Gras mähen kann man keinen Panzer gebrauchen.
ROLAND
mit künstlichem Zorn.
Ich muß ihn haben aber.
FRAU KÜNKELÜN.
Nein, der ist mein! – – Ich schnall ihn um. Rüstet sich. Hilf mir dabei.
ROLAND.
Was meinst du denn, du könntest dich damit nur ein bißchen regen und bewegen?
FRAU KÜNKELÜN.
Ich probiere.
ROLAND.
Damit dein Eigensinn RRuh hat.
FRAU KÜNKELÜN
versucht krampfhaft zu stehen.
Das geht doch!
[46]
ROLAND.
Das geht auch noch?! – Ich hätt nun doch geglaubt, das würd dir zu schwer.
FRAU KÜNKELÜN
gerüstet, atmet schwer.
Laß mir ihn nur!
ROLAND.
Mich beißt das ganz in den Augen, so schlecht sieht das aus.
FRAU KÜNKELÜN.
Das soll schlecht aussehen? – Wart, jetzt kommt der Künkelün. Paß auf, ob ich schlecht wirke.

Der Bürgermeister tritt ein durch die linke Tür der Hinterwand und springt zurück. Er bleibt dann hinter der Schwelle bei offener Tür stehen.
FRAU KÜNKELÜN.
Da, ich schlage schon durch mein Aussehen in die Flucht.
ROLAND.
In deinem Mann hast du kein Urteil. Zieh ihn wieder aus!
FRAU KÜNKELÜN.

Wieso denn? Du willst ihn nur. – Geh nur, du hast mir einen großen Liebesdienst erwiesen. Gibst du mir in dem Panzer denn nicht genügenden Schutz, der mich über den Kampf hinweg erhält? Für dich erhält zur Freude unserer Liebe?!

ROLAND
besinnt sich, dann.

A so! a so! Ja mein Panzer, der schützt und b'hüt't dich gut. Behalt ihn gewiß! 's wird mich zwar kein Mensch wieder erkennen, draußen.

FRAU KÜNKELÜN.

Ist das nicht ein recht guter Schutz für dich. Kein Mensch wird dich mehr verspotten. Ist dir's kein Schutz, wie mir der Wechsel mit dir eine treffliche Waffe ist.

ROLAND.
Dann sagt ich adjes, wenn ich nicht dortBlickt auf den Bürgermeister. vorbei müßt.
FRAU KÜNKELÜN
reicht ihm die Hand.

Zitter' nicht so vor Zorn, Roland. Geh an ihm vorbei wie an einem Kleiderständer. Sie küßt noch obendrein Roland zum Abschied. Roland geht. Nachdem Roland verschwunden ist, tritt Künkelün rasch ein, mit Hitze.

BÜRGERMEISTER.
Mit dieser Mißgestalt wechselst du die Kleider und schnäbelst dich mit ihm.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich liebe ihn.
BÜRGERMEISTER.

Du scheinst dich auf die Franzosen gut vorzubereiten. Manöverierst geschickt wie eine welsche Dame mit einem Handschuh. Nein, Frau Künkelün, ich habe ein ganz herrliches Gewissen, nun. Es fiele mir nie in den Sinn, das Leben der Bürger deinetwegen zu opfern.

FRAU KÜNKELÜN.
Es wird mir nicht einfallen, deinetwegen die Rothosen zu leiden.
[47]
BÜRGERMEISTER.
Meinetwegen? – Deinetwegen.
FRAU KÜNKELÜN
verächtlich hart.
Sei nur ruhig, es ist mir zu gering, mit dir das Gezärfe.
BÜRGERMEISTER.
Du wirst ja Augen machen.
FRAU KÜNKELÜN.
– Weshalb?
BÜRGERST.
Der Kurier läuft schon – mit der Friedensofferte.
FRAU KÜNKELÜN
feurig.

Der Kurier läuft?Stürmt, wuchtiges Gewicht, ans Fenster, reißt es auf. Die Sturmglocke!! Der Bürgermeister wehrt ab, aber zu spät. Sturm!! Gegen Künkelün gewandt. Es ist Krieg.

BÜRGERMEISTER
schlotternd.
Rasende! – Schon wie du aussiehst!

Unter dem Schlottern des Bürgermeisters und den anschwingenden Glocken fällt der Vorhang.

3. Akt

[48] Dritter Aufzug.

Personen.


Frau Künkelün.


Bürgermeister.


Roland.


Marie.


Rat Klemens.


Die Räte.


Ein Weib.


Weiber.


Hellebardier.


Frau Klemens.


Scene: Der Rathaussaal. Tisch und Stühle sind seitlich aufgeräumt wie beim Reinemachen üblich.
Ein kleiner Trupp bewehrter Weiber wartet im Rathaussaal auf die Ankunft von Frau Künkelün. Ihre Stimmung ist ernst, sie schwätzen nicht. Bald aber wird's anders. Eine neu zukommende Frau bringt mit rühriger Zunge die Herde zum
Schnattern.

WEIB
zukömmling.

Frau Künkelün hat den Rolandpanzer um, sie ist damit ins Zeughaus gegangen, zehn Schritt von mir. Wie ein schwarzer Hornschröter, der einem zum Schreck zwischen die Finger krabbelt. Mich überläuft's Grausen, wie wenn ich den Seeknecht noch einmal aus dem Schlamm zöge! Nicht mittun müßt ihr, wenn sie den nicht ablegt. Schande ist's für alle Weiber, daß sich eine mit dem Affen seinem Narrenkleid auch noch anzieht. Wir vertrauen uns ihrer Führung so nicht!

DER HAUFEN
die einzelnen Sätze werden laut so gerufen, daß gewissermaßen immer der Folgende den Vorderen über den Haufen zu schmeißen scheint.

Sie ist nicht mehr ganz recht, die Frau. – Wer weiß, wie die Sitzung im Rat gewesen ist. – Man weiß nichts anderes als von der Marie. – Die in ihrem Leibdienst ist. – Wir machen nicht mit. –

WEIB.

Nur wenn sie das Narrenkleid auszieht. Die Zustimmung überschreiend. Durch den Panzer soll sie unverwundbar sein. Unter höhnendem Gelächter. Glaubt eins den Unsinn, den [49] ihre Marie allüberall in der Stadt herumträgt? Das Lachen wird rauher, leiser. Diese Grille kann ihr bloß durchs Ueberschnappen gekommen sein. Und in dem, ihrem übergeschnappten, Zustand hat sich der Affe für uns, für die Weiber, aufgemacht. Der für die Weiber! Sie reißt wieder zum Hohnlachen hin. Der meint wohl jetzt, das schieb ihn rein! So dumm ist er gar nicht, er weiß, warum er sich gerade an eine mehr feine Frau wendet. Die weiß nichts von der Trottel, mit der sein Abscheu aufgewachsen ist. 's ist darum aber auch unsere Pflicht, der schönen Frau 's nackig Gemälde von ihm zu zeigen, womit ihn der Riedel verulkt hat. Schallende Lache. Das wird, denk ich, wohl helfen. Hilft's aber nicht, dann ist die Frau Wird ganz leise. bloß schön am Kopf und ist wie Molch im übern.

DER HAUFEN.
Das ist Verleumdung.
WEIB.

Die müßt Ihr zu fühlen geben, damit sie ihn ablegt. Lärmend. Und legt sie ihn nicht ab, wir weigern uns einfach. Keinen gotten Streich gegen die Franzosen, wenn sie das empörte Gefühl von allen Weibern nicht achtet. Ist's nicht, als hüpfte es in einem, wenn man sich die schöne Künkelün in dem Haßeisen steckend denkt, in dem Haß eisen, in dem man dem Affen Hohn und Spott nachgejagt hat, wo er sich damit blicken ließ.

DER HAUFEN
ruhig.

's ist wahr. Sie muß es ablegen. Weg mit dem Anblick, 'r ist wie zwölf Löffel Rizinus. Da kommt ihre Marie.

MARIE.
Was habt ihr denn so stürmend mit der Frau Künkelün?
WEIB
schreit.
Sie muß den Panzer abtun.
MARIE.
Find ich an dem Panzer was unpassend? Daran ist gar nichts unpassend.
WEIB.
Uns ärgert's. Sag ihr's also!
MARIE.
Glaubt mir, ihr Lieben, das ist meiner Frau ziemlich sehr gleichgültig.
WEIB.
Da habt ihr's. Tut nicht mit, sag ich.
DER HAUFEN
schmeißt die Bewehrung weg.
Wir tun's auch nicht.
MARIE.
Ha nu, ha nu! Daß der Anführer kugelsicher sei, das gefällt euch nicht?
DER HAUFEN
gelächter.
Unsinn das!
MARIE
im Eifer.

Wer kann das leugnen? – In den Saal springend. Habt ihr Roland nicht damit um Johanni vor [50] zehn Jahren gesehen? – Ist das auch Unsinn? – Aber ich weiß schon, der Schutz, den die schöne Frau haben soll vor euch, den könnt ihr nicht leiden.

WEIB.

Wir können an deiner Frau alles recht schön leiden. Bloß das nicht. Den Melak selber, der auch ein schöner Mann sein soll, täten wir ihr sogar leiden.

MARIE.
Den Melak?! Darum vereifert man sich ja aber, daß wir dem Roßmücken einätzen!
WEIB.

Gut, wir ätzen's ihm ein. Bloß soll uns deine Frau nichts einätzen wollen, das sag ihr. Sonst weigern wir uns.

MARIE.
Euch ist's gar nicht so wichtig gegen die Franzosen.
WEIB.
Das sind immer noch Menschen. Der aber ist ein Aff.
MARIE
schlagsicher.
Z' Schorndorf ist er geboren.
WEIB.

Weißt du etwa nicht, was mit ihm los ist? Das riecht man schon beinah. Mit gezogenen Nüstern. Er soll mit etwas wie mit Leichen – wenn ich's sacht ausdrücke – den Götzendienst feiern.

MARIE
nach einer Pause.
Das sind unsichere Gerüchte.
WEIB.
Z' Schorndorf geboren.

Es ist einen Augenblick still. Jetzt drängt sich plötzlich Frau Künkelün ohne Rüstung durch den Haufen, dieser beginnt, zuerst unterdrückt, in Beifall auszubrechen: »Hoch, Frau Künkelün!«
FRAU KÜNKELÜN.
Laßt nur, es dringt mir wohl zu Ohren. Hier bin ich. Ohne Umhang.
DER HAUFEN
stark.
»Hoch, Frau Künkelün!«
FRAU KÜNKELÜN.

Es freut mich nicht. Was ist denn an dem Mann, der mir ihn gab, dem ich ihn nahm, so schandenvoll? Sein großer Mut? – So ist's. – Den Mut verabscheut ihr. Es ist euch peinlich, daß der verachtete Kriegsritter – oder wie ihr ihn heißt Zwischenruf: »Affe!«. – den Kampfaufruf erfunden hat. Ihr hieltet lieber mit den Männern wahrscheinlich. Widerspruchsregung. – 's beweist mir leider nichts von Mut, daß ihr's nicht aufgeben könnt, den »Affen« zu ächten.

WEIB
verstockt.

Wir wollen nichts von ihm. – Daß Frau Künkelün den Menschen liebt, das spottet uns, das widerspricht dem Anstand.

FRAU KÜNKELÜN
erbost.

Frech nenne ich dich, verbohrt. [51] Du hast ihn nie geprüft. Ich kenne ihn. Seinem Herzen verdank ich's, daß ich Entschlossenheit bekam.

WEIB
lachend.
Seinem Narrenkleid!
FRAU KÜNKELÜN.

Was unterschiebt ihr mir? Furcht! – Ihr mir?! Mir, die sich entflammt hat! Zuerst. – Das ist zum Lachen! Ihr maßt Euch ein Verdienst an und habt noch nichts getan als, wie ich seh', Gewehre fortgeworfen. Schrill. Aber irrt Euch! Gleich hebt sie auf Es geschieht. und vorwärts jetzt hinaus mit euch ins Zeughaus zum Appell! Weh', fehlt ein Name! Auch die alte Rosine, die an Krücken krackelt, muß mit, 's ist auch ein Weib. Mit den Krücken soll die auf den Feind einschlagen. Ich kriege alle. Auch die mit ihrer Gicht muß mit, sie reit auf ihrer Gais! Es kommt drauf an. Die ganze Weibschaft voraus! Ein Regiment mit Ochsenschwänzen, das euch antreibt, stell' ich zuhinterst. Spürt meinen Stachel solang, bis es mich Senkung der Stimme. trifft. – Ernst. Dafür der Harnisch, damit die Kraft beharre, die euch treibt. Nun habt ihr mich soweit gebracht, daß ich ihn ablegte. Ich will kein Lebensvorrecht vor Euch. Seht dann eben zu, ob ihr Schorndorf behaltet.


Der Haufen wälzt sich hinaus.
MARIE.
Ich zög' ihn wieder an.
FRAU KÜNKELÜN.
Sie wollen's nicht. Es ist ihnen nichts begreiflich zu machen.
MARIE.

Ich hätt' denen, ihren Zungen, womit sie Kaktus fressen könnten, wie die Kameler, nie nicht nachgegeben. Sotten teigen Birnen! – Das kann Ihnen den Tod kosten.

FRAU KÜNKELÜN.

Dabei – wäre eine von diesen in seinen Harnisch geschlupft?! Welche von Ihnen wagte nur im Gedanken dieses Tier über sich! Denn er ist ein Tier. So grausig, daß man ihm wirklich den Tod vorzieht, um ihm auszuweichen. – Wenn das auch feig zu nennen ist, sie die andern sehen's nun einmal anders an.

MARIE.
Hat er nun gewiß schon die Hoffnung auf Frau Künkelün gesetzt?
FRAU KÜNKELÜN.

Ja wahr. Der Arme wollt er löst sein. Ich kann's nun nicht. – Doch was kümmert's mich, wie nach mir auf Schorndorfs Pflaster getreten wird.

MARIE.
Man sagt so arges über ihn.
[52]
FRAU KÜNKELÜN
wirst den Kopf, schneidig.
Ach laß! – Der Mensch ist arm.
MARIE.
Ein verpflichtender Bund zwischen ihm und Ihnen besteht doch nicht?
FRAU KÜNKELÜN.

Nein. Aber er darf und wird ihn glauben. Gehoben. Ich habe mich aus Liebe, aus Freude, daß dieser Haßmensch den Mut und dies Herz hat, an ihn wie ganz verkauft.

MARIE.
Sie sind jetzt verlegen darum? –
FRAU KÜNKELÜN.

Was weiß ich. – Manchmal, ich will dir's sagen, da zuckt in mir eine Lust, allen Verstand zu vergessen. Ich habe noch nichts so wie ihn gesehen und gehört. Pause. Darum kann es wohl sein, wenn ich nun sterbe, verfällt er in Verzweiflung.

MARIE.
Ich glaube, Sie können nicht sterben.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich wünsche mir den Tod.
MARIE.
Habt Ihr, ich habe mir's halb gedacht, deswegen auch den Panzer ausgezogen?!
FRAU KÜNKELÜN.

Da ist das Geschwätz der Weiber daran schuld. Ich bin gezwungen worden durch ihren Unverstand und ihr Mißtrauen.

MARIE.
Es zwingt nichts, wenn man sich nicht zwingen lassen will.
FRAU KÜNKELÜN.

So siehst du's an? – Auf keinen Fall! Daß ich mich um die Fordernis der Liebe drücken will? Daß mich ein Schauder nachträglich vor ihm befiel? Daß mir der Widerspruch des Weibervolks ein geschickter Vorwand sei, ihn wieder von mir zu bringen? Niemals. Das hieße: es sinkt mir schon der Mut.

MARIE.
Ein bißchen was unheimlich ist er Ihnen geworden.
FRAU KÜNKELÜN.
Durchaus nicht! Lächelnd. Schwätze nur keine Unwahrheit!
MARIE.

Wer sieht in's Herze meiner Frau! Sie fängt die Leute gern. Ich bin auch mit einem Kuß gefangen worden.

FRAU KÜNKELÜN
lächelnd.

Das paßt jetzt gar nicht. – Doch, will ich dir sagen, wage du, du verwendest dich gerade so sehr für ihn, die Liebe mit ihm. Erlös ihn du!

MARIE
ihre Brust steigt.
's ist nicht ganz verfehlt, wenn Sie mir's sagen.
FRAU KÜNKELÜN
lebhaft.

Nun also, du liebst ihn vielleicht [53] empfindender als ich. Uebernimm du's! Der Arme wird glücklich. Indirekt noch durch mich. Denn du bist mein Dienst und tust es durch meine Güte. Ein Dienst für deine Frau und dich – vielleicht – zugleich?

MARIE
wiederatmend.
Den Affen! – Ich?
FRAU KÜNKELÜN.

Wir machen ein Tauschgeschäft mit ihm. Sieh, du bist rauher aufgewachsen als ich. In deinem Dorf, wo bist her? Aus Hohengären, da gibt's vielleicht noch manchen so?

MARIE
kichert.
Ganz so doch keinen.
FRAU KÜNKELÜN.

Tu's! Es ist mir eine Last vom Herzen. Nimm du den Panzer. Er hat dann's Aug auf dich. Du fällst dann nicht, weil er dich feit. Und nachher heiratet ihr!

MARIE.
Das geht aber so schnell wie's Kaffeemahlen.
FRAU KÜNKELÜN.
Warum denn langsam? Immer alles fix, sage ich dir tausendmal im Tag Will sie fortziehen.
MARIE.
Halt, halt! Das muß bedenkt sein.
FRAU KÜNKELÜN.
Warum bedenkt?
MARIE.

Ich weiß nicht. In den Panzer mag ich nicht hinein. Und nachher noch den, der 'reingehört! – 's schüttelt mich.

FRAU KÜNKELÜN.

Was sagt ich denn, er mißt den Mut bei einem Weib! Nicht wahr, man geht leichter auf die Mauer als mit ihm zu Bett.

MARIE.

Ich glaube es schon lange und gern jetzt. Nein, ich mache das nicht. Wenn ich auch die Neigung oft hätte, aber dann 's Nackete in Tatsache!

FRAU KÜNKELÜN.

's Nackete in Tatsache. – Man wird den Ritter wohl im Stich lassen müssen; wenn zur Täuschung sich nicht noch etwas findet. Etwas, das ihm den Trost der Liebe läßt und ihm doch die Erfüllung nicht gibt.

MARIE.
Ich dächt, wir sterben.
FRAU KÜNKELÜN.
Freilich sterben wir. – Aber setze den Fall, wir kriegen Melak ohne Blutenmüssen unter.
MARIE.
Das kann man hoffen?!
FRAU KÜNKELÜN.
Nicht gleich so darüber hinaus! – Schnell nur, wie betrügen wir ihn dann?
MARIE.
Hätten Sie das Gewissen dazu?
FRAU KÜNKELÜN.
Ich bin ja doch nicht schuldig, daß man ihn so scheußlich aus der Mutter gezogen hat.
MARIE.

Aber es heißet: Wer »a« sagt, muß auch »b« [54] sagen. Er wird sich nicht zurückstoßen lassen, so wenig als ein Hund vom Fressen.

FRAU KÜNKELÜN.
Es wird mir säuerlich. Du meinst, er würd gefährlich? Er könnte erbost werden, sich rächen?
MARIE.

Ganz in Ruhe lassen, wäre besser gewesen, als das an ihm kitzeln. Auf die Leute, die einem halbes tun, wird man viel falscher.

FRAU KÜNKELÜN.

Schon kommt er wie die Hummel zum Löwenmaul, komm vorbei an ihm, der Zufall gibt das ein. Während sie hinausgehen kommt Roland, geht verächtlich abwinkend an ihnen vorbei.

ROLAND.
Ich habe es schon gesehen.
FRAU KÜNKELÜN
im Vorbei, lachend.
Es macht nix aus. Mit Marie ab.
ROLAND
allein.

Macht nix aus! So. So! Leichtsinnig bist. Warum du ihn ausgezogen hast, weiß ich. Du willst mir auswitschen. Zu was machst du dann die ganze Geschichte vorher mit mir! Das ist grausam! Vom Gerührtsein in höhnende Pfiffigkeit übergehend. Aber du weißt etwas nicht, das wird dir geschehen!


Der Bürgermeister tritt auf, vorsichtig Roland prüfend. Sie sehen einander an.
BÜRGERMEISTER.
Euer Hochwohlgeboren! verließ nicht soeben meine Frau – –?
ROLAND
mit Bärenruhe.

Kommt nur herein, Bürgermeister. Ich tttu keinem Menschen etwas. EEEs ist mir ganz recht, daß Sie kommen.

BÜRGERMEISTER.
Wenn ich Ihnen willkommen sein kann, so ist es mir eine unendlich ungemeine Ehre.
ROLAND.
Ihr könnt ruhig sein. Mit Eurer FFFrau wird's nichts.
BÜRGERMEISTER.
Diese Frau ist für niemand.
ROLAND.
Da muß etwas geschehen.
BÜRGERMEISTER.

Es muß etwas geschehen. Diese Frau ist im Geiste trostesbedürftig. Es ist ein Wahnwitz, was sie will.

ROLAND.
Man muß sie darin aufhalten.
BÜRGERMEISTER.

Nicht wahr, nicht wahr. Mit Ihrem Schutzpanzer hätt ich mir's noch gefallen lassen. Aber nun, ist sie ganz blos. Die Frau hat keine Ahnung von Melaks Gewalt.

ROLAND
wütend.
Ist das nicht eine Gemeinheit von ihr, daß sie den auszieht?
[55]
BÜRGERMEISTER.

Eine ungeheure Freigebigkeit mit dem Fleisch ihres Leibes gegen den Feind ist es. Sie wird zu Gänseklein zerstückelt werden. Die Wut Melaks ist jetzt furchtbar.

ROLAND.
Ich habe mit dem Rat bebesprechen wollen, daß man sie hehlingen überfällt und einsperrt.
BÜRGERMEISTER.
Da haben Sie's. Jetzt kommen Sie selbst. Wenn Ihre werte weise Einsicht nun zu spät kommt?
ROLAND.
Ich hhab nicht gewußt, daß die Frau mich vom VVerteidigen der Stadt ausschließt.
BÜRGERMEISTER.

In der Frau habe ich mich beinah ein Ehejubiläum lang getäuscht. Sie ist ein Vogel ohne Magen. Nicht zu beschreiben was sie ist.

ROLAND.
Darum will ich sie lieber einsperren über die kommenden Tage.
BÜRGERMEISTER.
Und Schorndorf wird aufgemacht! Nicht wahr?
ROLAND.
Das ist mir gleichgültig. Ich denk bloß an sie.
BÜRGERMEISTER.
Das ist mir sehr angenehm, daß ich olch einen Freund besitze, der mir mein Teuerstes erhalten will.
ROLAND.
Ich fang sie und setze mich vor die Türe vom Turm, in den ich sie mir stecke.
BÜRGERMEISTER.
Dank, herzlichen Dank für diese Tat.
ROLAND.

So wär's das Gescheiteste, mein ich, Bürgermeister. Frau Künkelün kriegt keinen Franzosen. Und ihr habt sie wie sie ist. Und ich geh vielleicht auch nicht ganz leer aus.

BÜRGERMEISTER.
Ich würde mich eben vor Melak als Witwer führen.
ROLAND.

So meint ich's, wär's gut. 's macht ja nichts, wenn man sie jetzt wegfängt. Zum Schorndorf Befreien taugt sie, wie sie verfaßt ist, doch nicht.

BÜRGERMEISTER.

Nur keine Kopfschmerzen deswegen! Wenn ich nichts einwende. Sie sind ein Ritter von Ehren. Ein Dienst ist einmal des andern wert; helfen Sie mir zur Durchsetzung des Friedensschlusses, so mach ich ganz gern diese Abtretung. Nicht die Bohne von Verdruß gegen Sie ist in mir. Im Gegenteil, ich triefe vor Wonne wie eine heiß stehende Kerze. Kämen sie nur gleich, die Esel von Räten, wir nähmen sofort zu Protokoll!

ROLAND.
's wird Sie doch auch ffreuen, wenn sie nicht stirbt?
BÜRGERMEISTER.

Was verlangen Sie meine tausendfachste [56] Versicherung sprühendster Freude! Die sämtlichen Kanonen Melak's möchte ich gegen mich losbrennen, so betrunken bin ich.

ROLAND.

Was sollen wir dann auf die andern lang warten? Ich geh' und tu mein Ding. Ich will sehen, daß ich sie gleich fange.

BÜRGERMEISTER.
Wird es Ihnen gelingen?
ROLAND.
Ich müßt eben in Künkelün's Haus, wie mir's gut scheint, dürfen aus- und eingehen.
BÜRGERMEISTER
zieht seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und macht im folgenden den Hausschlüssel ab.

Also Sie sind mein Freund. Machen Sie keine Umstände. Ich reiche Ihnen, wenn es möglich ist, selbst den Zipfel des Leintuchs, auf welchem sie schlummert. Packen! Nur fest packen! Sie ist stark.

ROLAND.
In meinen Händen liegt sie wie eine Melone.
BÜRGERMEISTER.
Ach! Dieser Kürbis ist sie mir nie gewesen. Dafür. Fangen Sie sie!
ROLAND
mit entsprechender Bewegung.
Ich fang' sie wie ein güldenes Fischl.
BÜRGERMEISTER.
Aufgepaßt nur, daß sie sich nicht zu glatt anfaßt.
ROLAND.
Ich drück' sie fest wie ein steifes Brett. Ist im Gehen.
BÜRGERMEISTER.
Wart', hier ist der Hausschlüssel. Hausfreund! Roland nimmt. Losung für uns: »Triole«.
ROLAND.
Bleibet zurück! Ich hhab' nicht mit Euch geredet. Ab.
BÜRGERMEISTER
geht Hände reibend und Arme ringend auf und ab.

Schorndorf's Jubeltag ist nah. Der Frieden der unverletzten Bürger und Bürgerinnen. Da werde ich dem Meister der Stadtmusik sagen: »Jetzt Française«!


Sein Solotanz und Gesang.

Du wolltest mich berücken
mit seiner Affenhaut.
Der Affe wird dich schmücken
zur holden Friedensbraut.
HELLEBARDIER
tritt vergnügt ein.
Soll ich den Partner machen, Herr Bürgermeister?
BÜRGERMEISTER
weitersingend und tanzend.
Du bist ein blöder Affe,
ich tanze gern allein.
Zum Teufel mit der Waffe.
Franzosenmädelein!
[57]
HELLEBARDIER
schnäuzt sich, während der Bürgermeister sich verpustet.
Ich glaube, sie sind im Anmarsch.
BÜRGERMEISTER.
Schon die Franzosen!
HELLEBARDIER.
Nein die Weiber.
BÜRGERMEISTER.
Das ist die wichtigste Mitteilung. Hierher auf's Rathaus? Will hinausgehen.
RAT KLEMENS
stürzt ihm angstvoll entgegen.
Sie kommen! Sie kommen!
BÜRGERMEISTER
gefaßt.
Es ist mir ein bißchen zu rasch. Aber pipe. Sehr pipe!
RAT KLEMENS.

Pipe?! – Ihre verfluchte Hexe, warum haben Sie ihr in Friedenszeiten nicht gelegentlich die Zähne eingeschlagen?! – Jetzt streckt sie sie heraus.

BÜRGERMEISTER.
Ich fürchte mich gar nicht.
RAT KLEMENS.
Wir sollen gefangen genommen werden!
BÜRGERMEISTER.
Für so entsagend halte ich die Weiber nicht.
RAT KLEMENS.

Entsagend? – Die entsagen sehr leicht. Ich sage Ihnen, meine Frau hat mich in der letzten Nacht mit einem nassen Lappen überrascht. Allgemein entsagen schon alle Weiber. Entsagen nicht bloß, prügeln sogar.

BÜRGERMEISTER.
Ich bin total ruhig, denn –
RAT KLEMENS
außer sich.
Wie kann man denn ruhig sein!
BÜRGERMEISTER.

Ich habe einen Verbündeten. Einen nie versagt habenden Freund, der den Beschluß des Rates durchzusetzen auf sich genommen hat.

RAT KLEMENS.
Wer soll in Schorndorf das können!
BÜRGERMEISTER.
Roland.
RAT KLEMENS
fällt fast um.
Der Affe?!
BÜRGERMEISTER.
Bitte mein Freund, wir werden fortab das Betttuch zu zwei gleichen Teilen benutzen.
RAT KLEMENS.
Wieso?
BÜRGERMEISTER.

Ihr scheußlicher Schatz wird sie verstricken und sie mit einem Netz überwerfen, und dann ist sie gefangen.

RAT KLEMENS.
Da capo! Da capo!
BÜRGERMEISTER.
Ist das nicht die glänzendste Wendung für einen Diplomaten?
RAT KLEMENS.

Woher aber? Es lacht ja der Erdball wie ein wassersüchtiger Bock! Es könnte Herkulanum und Pompeji zum zweitenmal überspeien!

[58]
BÜRGERMEISTER.
In der Tat überspeit das alles, was dieser Edle von Rattennest bisher in der Stadt leiden mußte.
RAT KLEMENS.
Erklärt mir! Erklärt mir!
BÜRGERMEISTER.

Er fürchtet sein Liebchen im Kampf zu verlieren. Und der arme Mensch hat eine italienische Nacht von ihr im Kopf.

RAT KLEMENS
pathetisch.
Das hat sie mit Recht aus seinem Grasboden zu ernten!

Die Räte aus einer anderen Türe hereinstürzend. Der Hellebardier drückt sich.
RÄTE.
Die Weiber sind im Ansturm, wir sollen fliegen!
BÜRGERMEISTER.
Herrlich ein sanfter Flug!
RÄTE.
Es ist Tatsache, es klirrt schon auf der Treppe.
RAT KLEMENS.
Wenn es auch schwer fällt, jetzt Mut!
BÜRGERMEISTER.
Ich erwarte eben doch Wei ber.
RÄTE.
Ihre Spieße sind aber ganz geschlechtslos.
BÜRGERMEISTER.
Mannhafteste Miene aufgesetzt! Lächeln! Ueberlegenheit! Grenzenlose Verachtung! Geringschätzung!

Die Räte nehmen Haltung. Der Weiberhaufen stürzt mit Hurrah herein. Im Weiberhaufen fehlt Marie, die später mit einem Trupp hinzukommt.
FRAU KÜNKELÜN.
Ergebet Euch! Streckt die Waffen!
BÜRGERMEISTER
mit leeren Händen.
Wir haben nichts zu strecken.
FRAU KÜNKELÜN.
Wollt ihr – Ultimatum – Schorndorf selbst verteidigen oder überlaßt ihr's uns?
BÜRGERMEISTER
zurückgewandt.
Meine Herren? Wir haben unserem Beschluß weder etwas hinzuzusetzen noch von ihm wegzunehmen.
FRAU KÜNKELÜN.
Dann werd ich euch Zeit geben, über euren Beschluß noch einmal nachzudenken. Schließet die Läden!

Einige Weiber an den Fenstern.
BÜRGERMEISTER.
Ja, wie? Du richtest uns den Ratssaal zum Gefängnis?
FRAU KÜNKELÜN.

Ist dir's nicht gut genug? Heute nacht bekommt ihr dann noch Strohsäcke herein. Da wird's dann ganz behaglich.

BÜRGERMEISTER.

Höre Weib! Ich habe noch Mut, dir zu trotzen. Dein Gebahren ist unverschämt. Was erlaubst du dir! Laß mir die Fenster helle, ich habe mit dir allen Ernstes zu reden.

[59]
FRAU KÜNKELÜN.

Also Weiber, hört seinem Ernste zu! Laßt solange noch offen. Kommt, folgt meinem Beispiel, setzt euch auf den Boden. Wir essen hockend seinen Dessertkäs. Frau Künkelün hottert hin, wie sie, der ganze Haufen.

BÜRGERMEISTER.
Und nun?
FRAU KÜNKELÜN.
Nun rede!
BÜRGERMEISTER.

Meine Herren, ich habe das Gefühl, ich stehe mit den Füßen bis über die Waden in einem Tümpel voll Wollgras.

RAT KLEMENS.
Ich fühle mich wie auf einem Gänsewasen.
BÜRGERMEISTER.

Ich gehe wie der Storch im Salat. Meine Herren, was machen wir denn da? Diese Weiber überbieten jedes Kuriosum. Auf unserer Alb gibt es Gegenden, wo die Felsblöcke umherliegen wie kauende Büffel. So zum Beispiel im Eselsburgertal. Dieses Bild haben wir hier.

FRAU KÜNKELÜN.

Du wirst sehr anzüglich. Bedenke, bedenke, du hast eine kleine Gnadenfrist, uns deine Predigt zu halten.

BÜRGERMEISTER.

Umso begreiflicher wenn ich sie auszudehnen versuche. Doch will ich mit Ernst reden. Lieben Weibelein, ihr habt euch etwas ganz Undurchführbares in den Kopf gesetzt. Ja leider, durch die Unvernunft meiner Frau seid ihr fanatisiert. Ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich mit aller Strenge gegen Sie vorgehe. Erstens einmal ist die Versammlung nicht polizeilich angemeldet,Aufkichern der Weiber. und zweitens sodann nenne ich sie Landesverrat und verrücktes Spiel. Und darum verlange ich jetzt die schleunige Räumung, Gesteigert. sonst treten wir Sie mit Füßen und Ihr fliegt mit Hundstritten hinaus.

FRAU KÜNKELÜN.
Darauf lassen wir's ankommen. Wir sitzen.
BÜRGERMEISTER.

Ich zähle eins ... zwei ... und eins ist ... auf drei muß ich die Anstalten zur Räumung getroffen sehen. Eins, zwei, und eins ist, regt sich niemand? drei.

FRAU KÜNKELÜN.
Die Hundstritte? Eben wieder die Entschlußlosigkeit.
BÜRGERMEISTER.
Bescheidene Gans, möchtest du, daß wir sie wahr machen?
FRAU KÜNKELÜN.
Künkelün, wäre es nicht klüger, du wolltest keine Autorität mehr gewinnen wollen?
BÜRGERMEISTER.

Es ist meine Pflicht, den Weiberhaufen [60] zu zersprengen. Wie es geht! Geht es mit Strenge nicht, versuche ich's mit Härte.

RAT KLEMENS.
Ja freilich, man sollte das Haus in Flammen stecken und die Hornnuß vertilgen.
FRAU KÜNKELÜN.

Ihr denkt wirklich häßliche Dinge gegen uns aus, Rat Klemens. Und tun wir denn etwas gegen das Wohl der Stadt?

RAT KLEMENS.
Frau Künkelün gehorsamt nicht. Auch die Frau des Bürgermeisters hat sich zu fügen.
FRAU KÜNKELÜN.
Darf Er das deiner Frau sagen, Künkelün?
BÜRGERMEISTER.
Ihr Weiber müßtet mit Geißeln raisonniert werden.
RAT KLEMENS.

Nein, Feuer anstecken! Wenn ein mal die Flammen um die Rocksäume lecken, werden diese Frauen schon den Eigensinn abschütteln.

FRAU KÜNKELÜN
mit Beherrschung.
Selbst das würde uns nicht in Verzweiflung treiben.
BÜRGERMEISTER.
Man sollte die soeben verpackten Folterwerkzeuge wieder herausholen.
FRAU KÜNKELÜN
steht allein auf.
Es könnte mich die Verzweiflung erfassen, wie diese Verstocktheit sich zu Rohheiten hinreißen ließe.
RAT KLEMENS.
Dem tollen Frauchen wird man schon die Kandare anlegen.
FRAU KÜNKELÜN.
Man könnte wirklich mutlos werden.
BÜRGERMEISTER.
Ich rede ganz gern auch mit Güte.
FRAU KÜNKELÜN.
Die kennst du gar nicht, Künkelün.
BÜRGERMEISTER.

Du weißt doch, daß ich soviel Böses gegen dich nur gesagt habe, um dich zu bewegen. Nun bewegt dich's ja schon, da komme ich noch am liebsten mit Liebe. Sieh liebes Weib, du kannst dir gar nicht denken, was für eine Zähigkeit dazu gehört, gegen solchen Feind zu bestehen.

FRAU KÜNKELÜN
stolz.
Nichts als diese selbst. Und die haben wir. Wir haben auch Zähigkeit, die Kinder im Leibe zu tragen.

Lauter Jubel der Weiber: Hoch!
FRAU KÜNKELÜN.

Was gehört dazu, diese Kinder zu zeugen? Diese Kunst entspricht weit mehr eurem schnellen Verzagen. Ihr guten Männelein!

BÜRGERMEISTER.
Du sprichst wie eine gütige Königin.
[61]
FRAU KÜNKELÜN.

Nichts da. Beweiset eure Liebe und nehmt die Waffen! Wir haben mutige Männer von Herzen lieb. Eine andere Brücke gibt es aber nicht zu uns.

BÜRGERMEISTER.
Liebe ist die Brücke vom Mann zur Frau. Jawohl Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.

Wir reden nicht von dem. Daß, ehe Schorndorf frei ist, nicht davon die Rede ist, das wird euch die verwichene Nacht klar gemacht haben. Die Weiber lachen.

RAT KLEMENS
ausfallend.
Dafür gehörte allen eine Tracht Prügel.
BÜRGERMEISTER.
Klemens, wir reden von Liebe. Halt zurück!
FRAU KÜNKELÜN.
Dein spezieller Freund dirigiert mit dem Taktstock schon richtig. Die Gnadenfrist läuft auch ab.
BÜRGERMEISTER
wischt über die Stirn.
Es fällt mir auch nichts weiter ein.
RAT KLEMENS.

So, wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht auf dem Rathaus geblieben. Brutal, respektlos. Du hast ja so groß getan, mit deiner Geringschätzung von den Weibern. Da stehst du unter ihnen wie ein schmelzender Schneemann.

RÄTE.
Wir haben auf den Bürgermeister gebaut.
FRAU KÜNKELÜN
mitmachend.
Du bist der Stadtpräfekt.
BÜRGERMEISTER
in Angstschweiß, die Umringung abwehrend.
Lieben Kinder, Stottert. wenn an einen Haken ein zu schweres Gewicht hängt, so bricht er.
RAT KLEMENS.
Du mußt's aushalten.
BÜRGERMEISTER.

Was soll ich hervorstoßen?! Frau Künkelün, du weißt etwas nicht. Ja so, jetzt fällt mir's ein. Das Reservoir meiner Weisheit war warm gelaufen, jetzt tröpfelt es wieder.

RAT KLEMENS.
Tröpflein heraus!
BÜRGERMEISTER.
Frau Künkelün! Es wird etwas geschehen. Es wird dir einer die Nudeln aus der Suppe klauen.
RAT KLEMENS.

So, das genügt, weiter nicht sagen! Zu Frau Künkelün. Du Weibsbild, dein Mann versteht's ja nicht mit dir, du wirst wie eine Schwalbe gegen eine Glasscheibe fliegen und dir den Schnabel einstoßen.

FRAU KÜNKELÜN.
Lächerlich, wer soll mich aufhalten!
RAT KLEMENS
Künkelün zunickend.
Gelt wir wis sen's.
FRAU KÜNKELÜN.

Ja hört einmal, wenn wirklich ein [62] Geheimes gegen mich wäre, sagt es mir lieber, es könnte gut sein, daß ich dann nachgebe.


Die Weiber recken die Hälse.
BÜRGERMEISTER.
Soll ich es sagen?
RAT KLEMENS.
Nix Schwachkopf, 's Andeuten plagt ein Weib. Damit sie's herauskriegt, tut sie noch was.
FRAU KÜNKELÜN.
Ja, sag mir's Künkel!
BÜRGERMEISTER.
Wenn ihr die Waffen wegtut, verrat ich's.
RAT KLEMENS
gukt sie frech an.
Jetzt wie nasenweis bist?
FRAU KÜNKELÜN.
Wird es mich mitten im Kampfe aufhalten?
BÜRGERMEISTER.

Und schon vorher. Und der Feind wird auch trotzdem hereinkommen, ob wir gefangen sitzen oder nicht. Darum gib lieber alles auf. Denn wenn du uns Männer einsperrst, wird Melak desto frechlustiger mit Euch verfahren, weil er glauben wird, wir sitzen fest, damit ihr getroster Schäferei mit dem Feinde treiben könnet.

FRAU KÜNKELÜN
nachdenklich.
Der Feind wird unter allen Umständen hereinkommen?
RAT KLEMENS
lacht und grinst.
Ha hehe, über legt's Euch.
FRAU KÜNKELÜN.
Soll ich's denn aufgeben? Weiber, was meint ihr?

Die Räte stoßen sich mit den Ellbogen.
EIN WEIB
steht auf.

Besser noch im Anfang, als mitten drinne. 's ist gerade, wie wenn man mit einem Karren am Berg oben steht. 'z Anfang hält er sich leicht ober.

FRAU KÜNKELÜN
verschlagen.
– Sagst du mir's nicht, Künkel?
RAT KLEMENS.
Seid kein Schwachkopf!
FRAU KÜNKELÜN.
Künkel!
BÜRGERMEISTER.
Nein, diesmal nicht.
FRAU KÜNKELÜN.

Dann unterbleibt alles, ich will's wissen. Anklagender Ton. Dem Umstand, daß ihr meine Neugier stachelt, verdankt ihr das Schicksal Schorndorfs. Ihr verantwortet's! Ihr Männer.

BÜRGERMEISTER.

So gehört es sich auch, die Weiblein sehen in aller Welt wie Rosengesichtchen in ihre Sonnen, die Männer.

FRAU KÜNKELÜN.
Ich bin nicht mutlos. – Was sagt Schorndorf, Mann oder Weib dazu, wenn nichts geschieht?
[63]
EIN WEIB.
Eurem guten Willen wird man ein Denkmal setzen.
BÜRGERMEISTER
zu Klemens.

Ist es nicht wunderbar der Lichtung ihres Geistes zuzusehen? Beseht Euch ihre Stirne, wie die Sonne durch Wolken bricht.

RAT KLEMENS.
Ja, es ist schön.
FRAU KÜNKELÜN.
Also die Weiber setzen meinem guten Willen ein Denkmal?
DER HAUFEN.
Jawohl, ja.
RAT KLEMENS.
Aus dem Stadtsäckel.
FRAU KÜNKELÜN
schüttelt lange den Kopf.

– Verzweifeln, verzweifeln! – Das schwächliche Geschwätz! So wenig echt ist die Begeisterung der Weiber.

DER HAUFEN.
Ha nu.
BÜRGERMEISTER.
Die Verhältnisse gebieten.
FRAU KÜNKELÜN
groß.

Welche? – Ich will dir sagen, es ist noch Zeit, die Verhältnisse zu ma chen. Mein Verhältnis zu Roland, das ist dein Geheimnis, ich sage es aber fest, das wird abgeschlossen. – Blickt Euch um Räte! Wo ist meine Musketentruppe? – Auf der Jagd nach deinem Geheimnis, Bürgermeister. Ich habe ganzen Willen. Schorndorf, ihr Weiber, ich nehme euch noch einmal den Schwur ab, wird frei. Auf!


Der Haufen rasselt auf.
FRAU KÜNKELÜN.
Hände erhoben!

Die Weiber zögern.
DIE RÄTE
schreien.
Tut's doch nicht!
FRAU KÜNKELÜN.
Weiber, schämt Ihr Euch nicht?
RAT KLEMENS.
Die Weiber sind genau so vernünftig wie die Männer.
EIN WEIB.
Wir werden ins Blinde verhetzt.

Marie kommt mit der Musketentruppe. Hat auf der Laufmündung des Gewehrs einen Kittel und einen Hemdfetzen hängen. Sie präsentiert dies beides.
MARIE.
Da ist 'r! Das erste aufgespießte Mannsbild!
FRAU KÜNKELÜN.
Nun, Weiber, so lassen wir auch den Franzosen baumeln.
WEIBER.
Hurrah, wir schwören.

Alle erheben die Hände.
BÜRGERMEISTER
sich Platz erwehrend.
Wer soll das sein?
[64]
FRAU KÜNKELÜN.
Roland, dein Hilfsritter. 's steht schlecht um dein Komplott.
BÜRGERMEISTER.
Sein Rock und ein Stück vom Hemd. Das scheint mir wie der Rock Josephs. Untersucht den Kittel.
MARIE.
Und doch ist 'r 's.
BÜRGERMEISTER.
Ich glaube nicht, daß er in die Grube gefallen ist.
RAT KLEMENS
zornig zum Bürgermeister.
Zum mindesten sind sie ihm auf der Haut!
FRAU KÜNKELÜN.
Und ist ihm eine Stelle zum Verwunden aufgrissen.
MARIE.
Morgen bring ich noch mehr von ihm.
RAT KLEMENS
noch wütender.
Sollen sie ihn dir erst nackig bringen?!
BÜRGERMEISTER.
Ich glaube nichts.
FRAU KÜNKELÜN.
Das wirst du darum jetzt lernen. Die Frist ist um. Die Läden zu!

Während die Weiber ringsum die Läden schließen.
RAT KLEMENS.

Es scheint eben doch, daß wir erst den Geschlechterkrieg führen müssen. Ich lasse mich nicht einsperren von Weibern. Du Bürgermeistertropf, es ist nicht wahr, daß du einen Verbündeten hast, der die Weiber bezwingt. Nun wehr dich selber!

BÜRGERMEISTER.
Man kann nur noch galant sein.
RAT KLEMENS.
Nur hier keine Galanterie mehr! Die Balgerei kann losgehen. Wo bist Alte?
FRAU KLEMENS
eine große Matrone, vortretend.
Was Klemens?
RAT KLEMENS.
Wir balgen. Wie daheim!
FRAU KLEMENS.
Klemens, der Uhrkasten.
RAT KLEMENS.
Aus Galanterie ließ ich mir das einmal gefallen. Heut ist Schlachtfeld.
FRAU KÜNKELÜN.
Bläut alle durch!

Die Weiber werden handgreiflich. Die Räte und der Bürgermeister fallen auf die Knie und rufen: »Gnade«. Frau Künkelün gibt, das Auge freudig auf Klemens gerichtet, mit der Hand ein Zeichender Schonung, gibt Weisung »nach hinten«!
RAT KLEMENS
wehrt sich allein, retiriert sich in eine Ecke, stößt mit Armen und Beinen.

Geht weg von mir! Ich stoße überall [65] hin. Jetzt kriegt ihn seine Frau mit einem geschickten Griff am Kragen und legt ihn über. Eine andere traktiert ihn auf dem Hinterteil mit dem Säbel.

FRAU KLEMENS.
Wenn du genug hast, schrei »danke«.
RAT KLEMENS.
Danke, danke, danke. Man läßt von ihm ab.
FRAU KÜNKELÜN
lacht.

Dann wären wir im Reinen. Die Läden sind verschlossen. Die Herren Räte machen sich in den Ecken behaglich. Damit könnten wir abziehen.


Die Weiber verlassen den Saal. Zuletzt Frau Künkelün.
RAT KLEMENS
nachschimpfend.
Verwünschtes Pack! Elendes Pack! Pack!

Die Saaltüren werden verschlossen.
BÜRGERMEISTER
seufzt durch die Dunkelheit.
Oh weh mein Weib!
RAT KLEMENS.
Schreien wie die Affen!!! Bis man uns herausläßt.

Eine Tür wird aufgeschlossen. Marie erscheint in ihr mit einer Fackel, sie stellt sich auf in Erwartung. Bald fliegen Gegenstände in den Saal, welche als weitere Männer zu erkennen sind.
DIE RÄTE.
Barmherziger Heiland, so geht's da draußen zu.
DIE ANGEFLOGENEN.
Grüß Gott, ist schon jemand da?

Marie verschwindet wieder mit der Fackel. Die Tür wird verschlossen.
STIMME.
Mir tut aber der Arsch weh.

Vorhang.

4. Akt

[66] Vierter Aufzug.

Personen.


Frau Künkelün.


Marie.


Roland.


Zwei Frauen.


Scene: Das Künkelünsche Tronbett rechts, das übrige Zimmer ist dunkel. Durch eine mit Blendklappe versehene Deckenampel wird der Lichteffekt bewirkt. Durch die Blendklappe kann das Bett hell und schwach beleuchtet werden. Das Zimmer hat eine Türe im Hintergrund linksseitig.
Frau Künkelün hockt allein mit angezogenen Knieen, die Decke an das Fußende geschoben, klappernd im Bett und deklamiert. Schwaches Licht. Durch das Fenster weht ein kühler Luftzug, dessen spielerische Darstellung die Ampel übernimmt.

FRAU KÜNKELÜN
verdrießlich.
Ich sitz auf einer Schnecke Haus
und fahre durch das Dunkel,
ich möchte schnell und komm nie raus
auf meines Karr'n Gehunkel.

Der Platz darauf ist eng und klein
und macht mich steif und fade,
daß ich mich, längst im Sonnenschein,
nicht mehr vom Wagen lade.

Werd ganz stupid. Bei Dämmerung
will ich vom Sitzbock rutschen,
doch lähmt mich dann Verwunderung,
bleib hocken auf der Kutschen.

Die rollt jetzt schier im Gaulgalopp
hinunter unter's Dunkel,
[67] da wackel ich verdrießlich – stopp –
halt weiter mein Gehunkel.

Die Tür geht auf, Frau Künkelün zieht rasch die Bettdecke an, Marie kommt schnell über den Teppich auf's Bett zu.
MARIE.
's wollen noch so zwei Steineulen Sie besuchen. Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.
Mach hell, kann sowieso kein Auge zutun. Ich empfange sie im Bett.

Marie zieht die Blendklappe. Es wird am Bett hell. Dann geht sie zur Türe und winkt den beiden herein. Die zwei Frauen treten ein, kommen rasch auf's Bett
zu.
ERSTE.
Ich kann nicht mehr schlafen, Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN
reicht lachend die Hand.
Ah, weil der Mann fehlt!
ZWEITE
rasch zwischen.
Nein, sie hat ein Anliegen, mich hat sie aus dem Bett gerissen.
ERSTE.
Ach, Frau Künkelün, die Toilette, die Toilette!
MARIE
einwerfend.
Bitte, folgen Sie mir!
ERSTE.
Nein, die Toilette vor dem französischen General. Er ist aus Paris.
FRAU KÜNKELÜN.
Kriege gleich noch die Krämpfe!
ZWEITE
rasch zwischen.
Die hat sie schon gehabt, bei mir drüben.
FRAU KÜNKELÜN.

Was! Darüber, wie sich ihre Toilette vor Melak ausnimmt, kriegt sie Krämpfe? – Wir schießen, schießen, auf die Franzosen.

ERSTE
halb wahnsinnig.

Nein, nein, das ist ganz eins. Vielleicht wird man doch handgemein. Sinkt um. Der Hosenrock ist Mode in Paris!

FRAU KÜNKELÜN
streng.
Bei uns aber nicht.
ERSTE.

Wir blamieren uns mit den altmodischen Kleidern furchtbar. Oh hätte ich mir das früher überlegt, nie, nie hätte ich den Schwur getan!

FRAU KÜNKELÜN.
Wegen einer mannlosen Nacht bist du schon hysterisch geworden?! Rackert sich hoch auf.
ZWEITE
rasch hinzusetzend.
Ja, so hat sie's bei mir drüben auch gemacht, bis ich mit ihr gegangen bin.
ERSTE
weinerlich.

Ein Hosenrock wäre das mindeste. – Wieder gefaßter. Vielleicht Frau Künkelün ziehen wir wenigstens die Uniformen der eingesperrten Soldaten an, die so massenhaft [68] auf der Rüstkammer liegen, dann merkte es Melak nicht, daß ich keinen Hosenrock trage!

ZWEITE.
Ja, sie will die Mannsuniform anziehen.
FRAU KÜNKELÜN.
Wir? Eine Mannsuniform!
MARIE
verächtlich zwischen.
Das hieß, sich etwas vergeben.
FRAU KÜNKELÜN.

Nie und nimmer! Wir Fährt im Bett hoch, kniet, schlägt die Brüste. – Weiber! Der Männer haben wir uns soeben glücklich entledigt! Jetzt sollen wir eine Erinnerung an sie hervorziehen?! Pause. Schäme dich! Fällt in die Kissen zurück.

MARIE.
Die Männer, alles was von ihnen ist, sei zertreten und zerstampft, zerplatzt und zerhopfet!
ZWEITE
zur Ersten.
Da hört's.
ERSTE
unglücklich.
Ja was fange ich denn an?! – In der alten Mode von Franzosen verlacht sein!
FRAU KÜNKELÜN
richtet sich wieder auf, fest, bestimmt.
Weißt du was, laß dich sofort, wenn du auf dem Mauerrand ankommst, totschießen.
ERSTE
verzweifelt.
Dann lieg ich immer noch in meinem alten Kleid da und sie lachen über meinen Kadaver.
FRAU KÜNKELÜN
leis zur Zweiten.
Ist sie etwa ernstlich krank? Du solltest doch einmal mit ihr in die Apotheke gehen.
ZWEITE.
Da fehlt der Provisor.
FRAU KÜNKELÜN.

Natürlich. Wir haben sauber Geschirr gemacht. – Aber vielleicht findest du dort eine Büchse mit der Aufschrift: »zerstoßene Maueresel«, die holst du ihr zum Essen.

ZWEITE.
's wär schon recht. Aber das mit den Uniformen hat einen gewissen gesunden Grund.
ERSTE
herausheulend.
Nicht wahr?
FRAU KÜNKELÜN.

Lieben Kinder, ich muß aufstehen. Das halte ich nicht aus. Wirft das Bett zurück. Ausgeschlafen! 's ist mir auch zu langweilig. Wenn ich auf bin, erwarte ich den Morgen viel ruhiger. Marie das Morgenkleid!

MARIE.
Um den stärkenden Schlaf bringen Sie die Scheuhauben.
FRAU KÜNKELÜN.
Schadet weiter nichts, Marie das Kleid! Winkt.

Marie gibt das Kleid.
FRAU KÜNKELÜN.

Zum Heraussteigen seht ihr vielleicht ein bißchen auf die Seite! Spricht's lächelnd gegen die Rampe. Sie entsteigt dem Bett und zieht das weite, mantelartige Kleid mit leichter Mühe [69] über. Ich bin fertig. Jetzt redet! Sie setzt sich auf eine neben dem Bett stehende Truhe.

ZWEITE.
Die Uniform steht ihr ganz entzückend. Sie hat sie zur ...
ERSTE.
Nein, schweige still!
FRAU KÜNKELÜN.
Was ist mit der Uniform?
ZWEITE
unter Angstbewegung der Ersten.
Sie hat sie zur Probe unter dem Mantel angezogen.
FRAU KÜNKELÜN
während die Erste den Mantel über sich engschließt.
Es ist also ein Mann unter uns. Was sollte ich da am besten tun?!
MARIE
schlau.
Ihn in's Rathaus zu den anderen stecken.
FRAU KÜNKELÜN.
So werd ich's tun. Du mußt auf's Rathaus zu den Männern, hast du Uniform! – Hast du's?
ERSTE
verlegen.
Frau Künkelün, ich kann aber unmöglich in den vollen Männersaal als einzige Dame.
ZWEITE.
Frau Künkelün, wir bitten 's Nachsehen.
ERSTE
ganz schamhaft verlegen.
Es ist so schick.
FRAU KÜNKELÜN
rasch.
Mantel ab! Laß einmal sehen.

Erste wirft den Mantel graziös auf die Erde und steht da wie ein Schokoladehusar.
MARIE
lacht.
Ha, 's ist nicht übel.
ERSTE
gestärkt, eitel.
Nicht wahr!
FRAU KÜNKELÜN.

Ihr Kinder, 's ist keine Maskerade, auch kein Faschingsscherz, was wir vorhaben. Ein wahres Fastnachtspiel, bei dem 's zum ew'gen Fasten geht.

ZWEITE
bestimmend.
An das hat sie alles auch gedacht.
ERSTE.
Oh wenn ich so gehen dürfte, stürbe ich ganz gern.
FRAU KÜNKELÜN.
Den Tod für ein Kleid! Du bist das richtige Weib!
ERSTE
eigensinnig, beleidigt.

Jawohl, das bin ich. Es kommt darauf an, daß wir auch nett sind, wenn wir Gewehre tragen. In den gewöhnlichen Röcken, wie sieht man denn da aus!

ZWEITE.
Wie eine Schlumpfufzehn.
ERSTE.
Auch ist man viel beweglicher.
FRAU KÜNKELÜN.
Das ist ein erster Grund dafür.
ERSTE
eifrig werdend.
Auch wollen wir nicht so verächtlich geschont sein.
ZWEITE.
Gegen Weiber wären Franzosen bloß galant.
ERSTE.
Wir wollen als richtige Krieger betrachtet sein!
[70]
ZWEITE.

Man hat sonst bloß wieder die alte Herabsetzung, daß man ein Weib ist, daß sie nicht einmal einen anpacken.

ERSTE.
Wir wollen gleich bluten.
FRAU KÜNKELÜN.
Das laß ich auch gelten, als triftigen Grund dafür.
ERSTE
hoch entzückt.
Frau Künkelün, seid Ihr gütig!
ZWEITE
machen sich beide zu ihr nahe heran.
Ja, man geh' nur zu Frau Künkelün!
FRAU KÜNKELÜN
lacht.

Ihr meint wohl, damit habe ich die Kleidung gut geheißen? Ich sage das Gegenteil. Sind die Melaksoldaten so töricht, und treiben Galanterie gegen unsere Weiberröcke, gut, dann ist's unser Gefechtsvorteil.

MARIE
einwerfend.
Wie beim Heiraten.
FRAU KÜNKELÜN.

Je galanter der Feind, desto furienhafter fahren wir auf ihn. – Auch möchte ich keinen Teil des Ruhm's den Männern in der Huldigung an ihre Kleidung zuerkennen. Das sind ebenso zwei schwere Gründe dagegen.

ERSTE
gespannt zitternd, ganz bebend.

Zwei gegen zwei. Und Ihr entscheidet? – Oh, saget ja, ich renne gleich bei allen herum, gleich plündern wir die Rüstkammer nach Soldatenkleidern aus! Jubelt und stampft. 's steht mir so totschick!

FRAU KÜNKELÜN.

Wenn dir einmal der Tod geschickt ist, denkst du auch nicht mehr an Hosen, so wenig wie an die alte Mode. Wir bleiben wie wir sind.

ERSTE.

Jetzt freut mich garnichts mehr. – Ich kann nicht mehr. Schwach, flügellahm. Wie soll ich jetzt noch Waffen führen! mit so gelähmten Gliedern. –

FRAU KÜNKELÜN.

Nun habt ihr wohl genügend Generalstabssitzung bei mir gehabt. Ich bitte euch, zu gehen und tüchtig auszuschlafen, damit ihr morgen frisch seid.

ERSTE
rafft plötzlich ihren Mantel auf und wütet.

Ich werde mir aber heute Nacht doch noch einen Hosenrock nähen! Gegen den An der Türe. könnt Ihr nichts haben, Frau Künkelün! Und wenn ich den habe, dann weiß ich, werde ich morgen alles in Fetzen hauen! Stürzt hinaus zur Türe.

ZWEITE.
Ja dann auch meine Empfehlung.
FRAU KÜNKELÜN
steht erregt auf.
Es ist doch gewiß, daß wir morgen jämmerlich geschlagen werden, ihr Weiber seid zu kleinlich.

Zweites Weib umständlich ab.
MARIE.

Jetzt tragen's die Weiber seit Adam und Eva [71] von unten offen, nun auf einmal soll's nicht mehr recht sein. Na, die Kunzenmüller hat schon ehedem gerappelt.

FRAU KÜNKELÜN.
Mir wird auf einmal so schrecklich bang. Schließe das Haus hinter ihnen zu.

Marie ab. Frau Künkelün sieht kurz durchs Fenster.
FRAU KÜNKELÜN.

Ich schleife das ganze wie eine Schleuder, die ich nicht schwingen kann, gegen den Feind. Dies Schorndorf! Die Männer hört man noch Bock hopfen auf dem Rathaus, so fidel sind die.


Marie kommt zurück.
FRAU KÜNKELÜN.
Hörst du, wie die Mannsleute lärmen?
MARIE.

Ja die, die haben's schön. Eigentlich sind wir ja so saudumm. Im Gehirn gehören wir vergant't. Setzt sich. Die Mannsleute machen Bockhopfen und nachher müssen erst wir wieder hinhalten.

FRAU KÜNKELÜN.
Sei froh, du bist ja ledig. Oder bist du's nicht?
MARIE
rückt sich unruhig.
Ja bin ich ledig, aber Frau Künkelün, wir kriegen doch nachher wieder denselben ins Haus.
FRAU KÜNKELÜN.
Das weiß ich noch nicht.
MARIE
anhauchend.
Frau Künkelün! Räuspert sich dann. Warum benützt die Gelegenheit eigentlich der Roland nicht?
FRAU KÜNKELÜN.

Beschrei es nicht! Ich fürchte mich. Ich klappere schon die ganze Nacht wie im Frost, weil ich ihn noch nicht in sicheren Gewahrsam gebracht habe.

MARIE.

Ich begreif nicht, was er gegen Sie haben sollte. Das ist Ihre unnötige Angst. Wenn Sie einer liebt, dann ist's der.

FRAU KÜNKELÜN.
Eben deswegen. Ich erhalt mich ihm nicht, wenn ich ohne seinen Schutz in den Kampf gehe.
MARIE.
Ah so, dann meinen Sie, er möchte Frau Künkelün davon abbringen.
FRAU KÜNKELÜN.
Jawohl und mit Gewalt.
MARIE.

's Haus ist ja gut zu, da kann niemand ungerufen herein. Aber ich sage mir eben, der Bürgermeister ist heute, heute ganz gewiß festgesetzt.

FRAU KÜNKELÜN.
Es wird mir nicht einfallen! So möchte ich mich überhaupt nie vergessen. Und vollends bei dem!
MARIE
steht auf wie's Gewissen.

Da! Den Panzer habt [72] Ihr mit Willen abgelegt. Da ist's kein Wunder, daß es Ihnen pfingstelt auf Morgen mit dem schlechten Gewissen gegen den armen Menschen. – Das gibt auch nichts gutes, 's gibt den Tod.

FRAU KÜNKELÜN.
Ich hatte keine andere Wahl.
MARIE.
Weil's für den wüsten Assen ist.
FRAU KÜNKELÜN.
Du stehst sehr anklagend gegen mich. Es ist doch meine Sache, wenn ich sterben will.
MARIE.

Läßt man ihn helfen, sind wir alle künftig frohgemut, und 's Schorndorf wird sicher gerettet. Dann braucht's heute Nacht nicht die unsinnige Angst vor der gutmütigen Unschuld.

FRAU KÜNKELÜN.
Er kann nicht helfen, das hat noch einen andern Grund. Ich möchte den Ruhm der Tat.
MARIE.

Diese Ruhmsucht sieht nicht wie Sieg aus. Hättet Ihr ihn eben wirklich lieb, nicht bloß so ein hochnäsiges Mitleid mit ihm, dann würd's Euch nix antun, hätt' der verachtete Tropf 's Halbteil vom Ruhmeskranz einmal redlich verdient.

FRAU KÜNKELÜN.
Du bist närrisch, ich kann's nicht, mit ihm die Liebe, 's Bett, teilen Es schüttelt sie.
MARIE
kleiner.
Ob er das Bett so sicher mit Euch wollte!?
FRAU KÜNKELÜN.

Selbstverständlich das! Auf was anderes hat er seinen Kreuzblick gar nicht gerichtet. Ihm ist der Ruhm einerlei, mir die Liebe.

MARIE.

Was heißt Ruhm! Daß man nachher von den Männern, die so feig gewesen sind, recht schön gelobt und gepriesen wird? Das ist schal.

FRAU KÜNKELÜN
mutlos.

Du magst recht haben. Aber den Affen zu lieben, wirst du mich darum doch nicht lernen. Darum ist's das einfachste, ich wehre mich, so gut ich's allein kann, wie's eben dann geht.

MARIE
mit gewisser Leidenschaft.

O nein, Frau Künkelün. Ganzen Mut haben, ganzen Mut, er ist der Mutmesser mit seiner Wüste. Einmal den Sprung zu ihm, wie in den Tod, und nachher dafür wieder mit meiner Frau Künkelün, wieder das schöne Leben.

FRAU KÜNKELÜN
zaghaft.

Ich kann's nicht. Das Ueberwinden ist für mich zu groß. 's ist so weit bis zu ihm hinunter, der im Aussehen beinah' ein Tier ist.

[73]
MARIE.
Wie ist's denn, wenn ein Hirt eine Königstochter liebt und die Königstochter erwidert?
FRAU KÜNKELÜN.
Der Hirt wird dann immer ein schöner Knabe sein.
MARIE.
Und wenn er ganz wüst wäre, das Seltsame reizt.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich war schon einmal sehr nah ihm, aber nachher da hat mich's dann so eiskalt geschüttelt.
MARIE.
Wenn der Allmachtsochse bloß wenigstens käme!
FRAU KÜNKELÜN.
Ruf ihn nicht. Wenn er kommt. Er kommt bloß, alles zu vereiteln.
MARIE
auf ein polterndes, kurzes Geräusch.
Wart' einmal, da!
FRAU KÜNKELÜN
in zitternder Angst.
Mache mir keine Angst, hast du etwas gehört?
MARIE.
Oh, oh, Frau Künkelün, eine Frau mit Eurem Vorhaben, so zu zittern!
FRAU KÜNKELÜN.
Oh, morgen wird es furchtbar sein! Im Antlitz der feuerschlündigen Kanonen!
MARIE
bestärkt sie.

Ach, das wird schrecklich sein, aber seht Frau Künkelün, das ist jetzt bloß eine Tiefstimmung. Morgen steht Ihr ganz anders.

FRAU KÜNKELÜN.
Nein, ich habe keinen Mut.
MARIE.
Ihr habt schon Mut, bloß gesagt, noch nicht den ganzen.
FRAU KÜNKELÜN
auf ein langes, kratzendes Geräusch, mit hohlen Augen.
Hörst du das nicht, das Schieben, das lange Kratzen? Wie etwas, das sich näher schiebt!
MARIE.
Still, laßt horchen! Beide horchen gespannt.
FRAU KÜNKELÜN.
Hörst du's? – Das ist 'r.

Marie nickt mit dem Kopf. Frau Künkelün krallt sich fest an Marie. Die Spannung beider ist die höchste. – Da tut's plötzlich einen lauten Plumpf auf der Treppe, dem ein leises Fluchen folgt. Unwillkürlich lachen beide kurz auf.
MARIE.
'r ist ein Plumpsack.
FRAU KÜNKELÜN
leise, wieder ernst.
Hast du ihm gewiß die Haustüre aufgelassen?
MARIE.
Ich habe geschlossen.

Marie zieht die Blendklappe. Es wird dunkel. Wieder tut's einen lauten Krach, diesmal von größerem Umfang. Eine Stimme schreit: »Licht«.
MARIE
heiter.
Der Mensch ist naiv. Man soll ihm noch zünden auf seinen Abwegen.

[74] Jetzt kichern beide unbeklommen. Draußen brummt ein Fluch: »Melak und Kurpfalz«.
FRAU KÜNKELÜN.
Hast du verstanden? Er wird es doch gewiß sein?
MARIE.
Sehen Sie, jetzt wünschen Sie ihn schon.
FRAU KÜNKELÜN
ärgerlich.
Ach du! So mein' ich's nicht. Hoffentlich ist's kein Franzose.
MARIE.
Das mein' ich auch, 'n Landsmann ist 'r, so saumäßig als 'r ist.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich glaube, wenn er einen Anschlag gegen mich vorhätte, würde er nicht so laut poltern.
MARIE.
Jesses! 'r tatzt an der Türe.
FRAU KÜNKELÜN.
Laß mich noch vorher hinaus! Wenn er so nachts kommt, wie ein großer Affe, muß er furchtbar sein.
MARIE.
Hat er nun's Loch bald?
FRAU KÜNKELÜN.
Ich warte nicht, bis er's findet.
MARIE
sehr leise.
Halt, er steht schon ganz in der Türe.

Die folgende Händelei sehr leise, aber zäh und wild.
FRAU KÜNKELÜN.
Lege dich du für mich in's Bett. Vorwärts, du bist mein Dienst.
MARIE
wehrt sich.
Das geht über Gesindepflicht hinaus.
FRAU KÜNKELÜN.
Um Gotteswillen! Du wirst dich nicht sträuben! Stößt sie.
MARIE.
Ich tu's einmal nicht!
FRAU KÜNKELÜN.
Du hast mir zu gehorchen!
MARIE.
Halt! Ich hab' ja die Kleider an!
FRAU KÜNKELÜN.
Willst du dich ausziehen?! Dann laß den Rock fallen!
MARIE.
Ich bin nicht gesund!
FRAU KÜNKELÜN.
Das ist ihm und mir wurst. Hinein schnell!

Marie fliegt mehr ins Bett. Roland avanciert, langsam tastend.
FRAU KÜNKELÜN.
Stelle dich schlafend. Ich verberge mich.

Frau Künkelün versteckt sich hinterm Bett. Marie schnarcht. Roland steht etzt dicht am Bett und
streckt die Arme hoch in die Luft aus. Während seiner Rede geht Frau Künkelün langsam um ihn herum, sodaß sie zuletzt hinter ihm steht.
ROLAND
man hört sein Zähneklappern.

Meine Zähne klappern [75] wie bei dreißig Grad Kälte. Aber ich will sie ppacken, überwerfen wie einen Mehlsack. ZZappelt sie, drück ich sie, wie eine Schlange einen Vogel samt den Federn in den Hals preßt, wie ein ZZauberer zzwei Haasen in einen zusammenquickt. – Ichch kkönnt aber auch, ich könnt aber auch, iich hhab's aber dem BBürgermeister vversprochen, daß ich sie ffange und einsperre. VVor allzugroßer Liebe biin ich auch nicht fertig dazu uund zum Warten neben ihr bin ich nicht schön genug. – IIch ppack sie uund ddrück sie. Er beugt sich dicht über die Schnarchende.

FRAU KÜNKELÜN
leise für sich.
Entsetzlich! Jetzt müßte sie auffahren. Sie verstellt sich zu eindringlich, bis es zu spät ist.

Das Bett kracht, Roland kniet mit einem Knie auf das Bett.
FRAU KÜNKELÜN.
Marie, fahre auf! Er tut's sonst. Ich muß ihr rufen. Marie, laß es doch nicht zu!
ROLAND.

Sie schläft wie Waldmoos. Jetzt hört man einen kropfigen Ton, ein Aechzen des Betts. Man sieht eine Verschlingung zweier Gestalten.

MARIE
schreit zugleich auf.
Meine Rippen.

Frau Künkelün zieht die Blendklappe. Es wird hell. Der Anblick ist sehr heiter, Roland steht mit einem breiten Hemdschlitz auf dem Rücken, so daß die nackte Haut durchschaut, und glotzt die in den Armen gehaltene Marie lang an. Dann läßt er sie aus den Armen gleiten, er kratzt sich hinter den Ohren, wendet den Kopf langsam und sieht Frau Künkelün stehen, worauf er sich mit der ganzen Front gegen sie herumkehrt und sie anstiert. Dann erhebt er die Faust.
ROLAND
kurz, gleichsam die Faust wegwerfend.
Falsche!
FRAU KÜNKELÜN
stolz.
Wer ließ Euch in das Haus?

Roland schmeißt den Hausschlüssel wie eine stechende Natter von sich.
FRAU KÜNKELÜN
heiter.

Da fliegt ja das Geheimnis. Wollt Ihr ihn nicht behalten, Verräter? – Dein Hemd ist, zum Kennzeichen für dich, zerschlitzt.Mit Eifer. Du fängst mich nicht und nun wird's nie!

ROLAND
lächelt überlegen.
Wenn ich ja wollt!
FRAU KÜNKELÜN.
Wenn du roh wärest.
ROLAND.

Wenn ich nun nach keiner Rücksicht mehr guckte. Kopf gegen Marie wendend. Ich könnt auch sagen, ich habe das Recht.

[76]
FRAU KÜNKELÜN
nicht ohne Angst.
Roland, ich habe dich für brav gehalten.
ROLAND
grinst und lacht.
Ein braves Büble, hähähä.
FRAU KÜNKELÜN.
Ja dafür. Du hast das schlecht gemacht, daß du mit dem Bürgermeister über mich geredet hast.
ROLAND
sehr erbost.
Ist das nicht schlecht, ddaß du dich an mir schschämst?

Frau Künkelün will etwas sagen, er schneidet ihr das Wort durch lautes Schreien ab.
ROLAND.
Stirb nur! DDu hast doch keinen Mutt. Dich knicken sie um wie's Zweigholz der Buche. Hähä!
FRAU KÜNKELÜN
zitternd.
Das weißt du so gewiß nicht.

Marie erhebt hinter Roland mahnend den Finger zu Frau Künkelün.
ROLAND.
Hörtest dich nur selber reden! Dir ist ein Bangen in allen Gliedern.
FRAU KÜNKELÜN.

Ich kann's nicht finden. Ich bin verhältnismäßig ruhig. Das heißt, wird man denn viel noch denken, wenn einen eine Kugel trifft?

ROLAND
mit seligem Lachen.

Meinst wohl? dann sei's herum, wenn du tot bist. Dann siehst's Unendliche. Bloß alles, was man dazwischen hält, siehst du nicht. Du zwitscherst darum nicht mit den Augen, wenn mein Kopf vor dich kommt. Eine Wand geht durch deine Nase, an der vorbei siehst du links 's Unendliche und rechts 's Unendliche, zweimal die ganze Welt geht in deinen Kopf, daß die eine die andere aufhebt. Darum siehst nix. Und ich kann dich ruhig stehlen. Vorher hängt dein Köpfle herunter von der Mauer und nachher hängt's mir von der Schulter wie von einer gehackten Taube Die Kleider kann man dir abziehen, wie die Schalen von einer Banane, dann läßt man die Raben hinfliegen, daß sie dich picken, wie zwicken. Weißt nicht, ob's nicht Küsse sind über den ganzen Leib, dem ich die Arme schieb' unter den warmen Rücken, zum Verstecken bei mir in der Aepfelkammer. Schleich nachts immer hin. Hähähä. wenn morgen stirbst.


Frau Künkelün und Marie haben gespannt mit Entsetzen zugehorcht. Roland will fortlaufen. Wie er schon nahe der Tür ist, ruft Frau Künkelün mit schwacher Stimme.
FRAU KÜNKELÜN.
Roland, ein Wort. Laß uns allein, Marie, geh in deine Kammer.

Roland wartet. Marie geht. Es ist still.
[77]
ROLAND.
Was willst du von mir?
FRAU KÜNKELÜN.
Sterb ich?
ROLAND
setzt seine Rede fort.

Wenn's aber diesmal auf der Kirche läutet, daß man dich mit einsammelt, dann zünd ich diesmal 's Schorndorf an.Lacht gräßlich. Daß es brennt und im Backofen kracht. Hähähä. Wendet sich das zweitemal zum Gehen.

FRAU KÜNKELÜN
wimmert heraus.
Bleibe bei mir!
ROLAND.
Sei nur gestraft! Du hast den Mut nicht, daß du mich erlöst.
FRAU KÜNKELÜN
starr gegen ihn.
Bleibe! Ich erlös dich!
ROLAND.
Vor Furcht und Schrecken!
FRAU KÜNKELÜN.
Nein aus Not. Ich will leben und siegen!
ROLAND.
Es sei doch nie, hast du gesagt.
FRAU KÜNKELÜN.

Roland, nach der Schlacht sehe ich anders, wenn ich den ringenden Greuel gesehen habe, dann kann ich auch dein Gesicht aus der Nähe vertragen. So scheußlich du bist!

ROLAND.
Bin ich –?
FRAU KÜNKELÜN.
Oh gewiß, das darfst du sicher glauben.
ROLAND.

Dann gewöhn dich in mein Gesicht, dann ist alles viel kleiner morgen was du siehst.Lacht. Du solltest dann einmal sehen, wie du auf die Männlein einhaust wie mit einer Weide auf Federvieh.

FRAU KÜNKELÜN.
Nach der Schlacht.
ROLAND.

Anders hatten wir's nicht gesagt. Du hättest den Panzer antun sollen, damit du unverletzt geblieben wärest und mir dann danken könntest.

FRAU KÜNKELÜN.
Du kamst doch nun vorher an mein Bett.
ROLAND.
Weil du nicht Wort gehalten hast.
FRAU KÜNKELÜN.

Ich will nun Wort halten, merke es doch! – Du hast mir etwa erzählt, das entsetzlicher ist als ein lebendiges Erschaudern vor dir.

ROLAND
klagend.
So entsetzlich bin ich wirklich?
FRAU KÜNKELÜN.
Beklag's nicht, du hörst ja, nach der Schlacht hab' ich den Mut für dich, ohne Einschränkung.
ROLAND.
Aber zum Schlagen hast du nichts.
FRAU KÜNKELÜN.
Darum hilf mir du!
ROLAND.

Du hast ja meine Hilf mit dem Panzer und anders sei's nicht möglich, hast du auch schon gesagt. Frau Künkelün schüttelt den Kopf. Also ich soll doch helfen?

[78]
FRAU KÜNKELÜN.
Man dürfte dich eben nicht sehen, wenn du mir hilfst.
ROLAND.
Ja, geht das?
FRAU KÜNKELÜN.

Sieh, in dem Panzer ist es nicht gegangen, erstens höhnten dich die Weiber darin, neu in mir. Und zweitens wird mein Ruhm für die Tat auch durch den Panzer, der dein ist, noch verringert.

ROLAND.
Hähä, so ein eitles Weib mit dem Ruhmesgeiz.
FRAU KÜNKELÜN.

Daß du auch nur in einem Stäubchen als Roland erkannt neben mir, mit mir im Kampf stehst, duld ich absolut nicht.

ROLAND.
DDann müßt ich wohl Weiberkleider anziehen?
FRAU KÜNKELÜN.
Und einen Schleier über's Gesicht? – Man würde dich erkennen, das geht nicht.
ROLAND.
Wie aber dann?
FRAU KÜNKELÜN.
Würdest du das tun?
ROLAND.
Ich hab's noch nicht gehört, was.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich habe etwas.
ROLAND
wird ganz warm berührt.
Was?
FRAU KÜNKELÜN.
Es liegt in meiner Kommode.
ROLAND
neugier verbergend, gleichgültig.
Gib's einmal her.
FRAU KÜNKELÜN
geht an die Kommode, zieht die Schublade auf Ehe sie es herausnimmt, lächelnd.

Es ist aus alter Zeit, vererbt von Großmutter zu Großmutter. 's ist schon viel hundert Jahr alt und nie mehr benutzt worden.

ROLAND
neugierig.
Laß es sehen!

Frau Künkelün gräbt's zu unterst heraus, klopft jetzt das Mottenpulver ab und schüttelt's auf. Es entpuppt sich als weißer Spitzhut, Harlekinmütze.
ROLAND
erstaunt.
Eine Mütze? Will sie aufsetzen.
FRAU KÜNKELÜN.
Vorsicht, sie macht dich unsichtbar.
ROLAND.
O je, o je, die nehm ich nicht. Hält sie hin, damit man sie ihm abnähme.
FRAU KÜNKELÜN.
's ist bloß die Tarnkappe.
ROLAND.

Da ist etwas mit los, nein, nein, die nehm ich nicht. Nimm sie mir ab, nimm, nimm. Da ist etwas mit los.

FRAU KÜNKELÜN.
So schreit einer, der der leibhaftige Mut sein will?! Gar nichts ist los damit, behalt sie nur!
ROLAND.
Ich werf sie vor die Füße!
FRAU KÜNKELÜN.

Das Heiligtum, mein altes Erbstück. Bedenke doch, die hatte Siegfried auf, als er Gunther geholfen hat.

[79]
ROLAND.
Ich habe keinen Neid auf Siegfried, nimm doch die Kappe weg!
FRAU KÜNKELÜN.
Es ist doch keine Schlange.
ROLAND.

Eine ganz giftige Schlange sogar. Du kommst erst jetzt damit. Daß du nicht unpfiffig bist, habe ich auch schon gemerkt. Ja, nach der Schlacht, du willst mich damit betrügen. Du hast dich in der Not darauf besonnen und ich nehme die Kappe nicht.

FRAU KÜNKELÜN.
Wie pfiffig bist denn du? Du hast dich mit meinem bittersten Feind, meinem Mann, gegen mich geeint?
ROLAND.
Du weißt warum.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich verzeihe dir ja auch den Verrat Wird erregt. darum, so behalte jetzt das Kleinod.
ROLAND.
Du hast bloß Todesangst.
FRAU KÜNKELÜN.

Ist diese nicht genug, daß du dein Zaudern überwindest? – Aufwallend. Aha, du willst mir gar nicht helfen, weil du mich Stockt ... schreit auf. tot haben willst.

ROLAND.
So rasen brauchst du nicht. Ich seh', dich treibt es wild um. Ich will die Kappe schon behalten.
FRAU KÜNKELÜN
verzückt, heftig rasch.
Setz auf!

Roland folgt der Aufforderung wie unwillkürlich, wartet aber mitten in der Bewegung des Aufsetzens.
ROLAND
lächelnd.
Wie ist's damit? – Wenn ich sie aufsetze, bin ich unsichtbar.
FRAU KÜNKELÜN.
Sicherlich.
ROLAND.
Dann wär's wie eine Abschiedsfeier von der Welt, mein Verschwinden.
FRAU KÜNKELÜN
berückend.
Ach, 's muß nicht so aufgefaßt sein.
ROLAND
hustet.

Mh mh, eine Geschäftssache habe ich noch vorher mit dir. Wo hast du meinen eisengeschmiedeten Panzer hingelegt?

FRAU KÜNKELÜN.
Brauchst du's zu wissen?
ROLAND.

Unter der Kappe tut mir doch der Schutz gut, denn wenn einer haut und zufällig das Unsichtbare trifft, was dann?

FRAU KÜNKELÜN.

Der Wert der Kappe liegt ja darin, daß, weil man unsichtbar ist, man geschickt ausweicht, und unerwartet da ist. Du brauchst keinen Panzer.

[80]
ROLAND.
Setz du die Kappe uff! – will ich dir sagen.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich will gesehen sein, die Sichtbarkeit soll mir den Ruhm geben.
ROLAND.
Könntest mir aber doch die zwei Schalen geben.
FRAU KÜNKELÜN.

Die zwei Schalen! – Du kriegst sie nicht mehr. Meinst du, ich wollte an meinem Geliebten nachher noch solch Spottkleid sehen?

ROLAND.
Aber mit einem geschlitzten Hemd läßt du mich herumlaufen.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich kann dir unmöglich heute noch ein Hemd flicken, mit diesen nervösen Fingern.
ROLAND
rasch, sehr lachend.
Dann, dann lauf' ich eben einfach unter der Kappe.
FRAU KÜNKELÜN.
Wenn du meinst.
ROLAND.
Hast auch schon daran gedacht? – Wart', gleich setz' ich sie auf und und – hab' dich.
FRAU KÜNKELÜN.
Oh weh! Gemacht.
ROLAND.
Hähähä, das mach' ich. Fürchtest du dich nicht?
FRAU KÜNKELÜN
sieht ihn lange an, dann.
Ich bin bereit.
ROLAND
stutzt neu.
Wie kommt das? Vorhin nicht?
FRAU KÜNKELÜN.
Ich seh' ja dein Gesicht nicht.
ROLAND.
Herrschaft, jetzt gurgelt's mir im Hals. Frau Künkelün, Frau Künkelün, jetzt erlöst du mich.
FRAU KÜNKELÜN
lebhaft.
Setz' auf, allmählich bebe ich.
ROLAND
plötzlich traurig, nachdenklich.
Nein, du willst mich nicht. Du willst, hä Höhnisch. den Gefallen tu' ich dir nicht.
FRAU KÜNKELÜN.
Nein. Weißt du, was du bist? Du bist feig. Du hast Mut zum Raufen und bist – zu feig zur Liebe.
ROLAND
schreit sie an.

Wie steht es da mit dir? Sie sehen einander lange an, endlich spricht Roland, seine Stimme zittert. Wenn es dein Wille ist, ddann setz' ich sie doch auf.


Frau Künkelün begibt sich mehr gegen den Hintergrund in die Nähe des Betts – Roland schaut ihr, mit allen Gliedern bebend, nach. Seine Stimme gurgelt dumpf.
ROLAND.

Frau Künkelün ... Hörst du denn nichts mehr vorher? – Ich ich habe das Gefühl einer Versuchung ... Ich fühle es als Unglück. Ich ich mein'. Wir verlieren, wenn meine Kraft ein Grammgewicht verliert heute, morgen die Schlach.

[81]
FRAU KÜNKELÜN
setzt sich traurig auf's Bett.

Ich bin ganz trostlos. Roland will ein paar Schritte zu ihr machen. Frau Künkelün schreit, wehrt ab. Keinen Schritt näher, ohne die Kappe. Ich will's nicht sehen.

ROLAND
steht.

Ich fühl's als Unglück. Ich bin verdammt zum Meidenmüssen der Liebe. Ich bin verdammt. Ich bin der Mut.

FRAU KÜNKELÜN.
Die Feigheit auch zugleich.
ROLAND
ringt in sich.

Feig? Das wühlt mich um wie mit einer Pflugscharre. Mit brennendem Blick zu ihr. Das sagst du, der ich helfen soll, zu mir. Feig.

FRAU KÜNKELÜN
arme emporwerfend.

Nein, helf mir nicht! Ich will sterben. Die Liebe krieg ich nicht als Kampfpreis. 's ist wahr, was ist der Ruhm! Der nur, weil's feige Würmer gibt, besteht.Lacht. Könnt ich jetzt die Männer auf ihren feigen Strohsäcken im Rathaussaal sehen, während ich hier wache. Während der Schreier um Erlösung zaudert, bis – er kann.

ROLAND.

Ich zaudre nicht, ich führe Kampf. Ich kämpfe rasend. Es tost in mir, daß man's auf Meilen hört. Wie das Ventil von einem Gebläse. Melak schläft nicht. Er hört den Druck von meinem Herzen, ob es beharrt. Du Frau, wenn ich dir nachgebe, so –

FRAU KÜNKELÜN.
Mir? Du bist's, der kam.
ROLAND.
Weil es mich brennt wie den Tiegel im Feuer.
FRAU KÜNKELÜN.

Dann mach ein End! Was ich jetzt an dir vollbring, ist die Grenze meiner Kraft. Die muß ich überschreiten, dann bin ich stark genug, allein morgen.

ROLAND.
Und doch nicht so, daß du nicht sterben mußt.
FRAU KÜNKELÜN.
Das weißt ja du!
ROLAND.
Wir legen's auf die Wage.
FRAU KÜNKELÜN.

Ist's dann nicht herrlich, auf Leben oder Tod bedrängt sein?! Roland, komm bedeckt auch unbedeckt, jetzt her.

ROLAND.
Du bist in Glut. Ich ließe dich doch nie allein.
FRAU KÜNKELÜN.
Hältst du mich bei Besinnung? – Dein Wort erscheint so ehrlich im Klang, daß ich dir glauben möcht.
ROLAND.

Ja, glaub mir, heute nicht. Morgen. Ich setze, wie du sie mir gabst, zum Zweck der Schlacht die Kappe [82] auf und dann aber, wenn's vorbei ist, reiß ich sie mir vom Kopf. Dann nimm mich an!

FRAU KÜNKELÜN.
Recht öffentlich besorgst du das, damit es alles sieht, mit wem verbunden ich gekämpft habe.
ROLAND.

Soll ich sie aufbehalten etwa? Frau Künkelün, willst du mich auf diese Art erlösen? Wenn ich verschwunden bleibe, so meinst du, hab ich keine Schmerzen. Die hab ich doch. Wenn ich verschwunden bliebe, so müßtest du, denk, den daran.

FRAU KÜNKELÜN
tritt ihm näher, frei.
Wenn ich nun daran dächte!
ROLAND.

FFrau Künkelün. Was gäb das für ein Leben, für Sie? – Sieht ihr listiges Lächeln. Schmerz Roland, war die Kappe schon einmal verschenkt?

FRAU KÜNKELÜN.
Dann gib sie her, wenn du so nichtswürdig von mir denkst.
ROLAND.
Ich mache bloß aufmerksam, wie gefährlich das Geschenk ist.
FRAU KÜNKELÜN.

Wissen wir das noch nicht? Du bist ein von mir unsinnig Gebarmherzigter, du bist was häßlich Aufgehäuftes. Wie griff ein wahrer Mensch nach Liebe von mir, ihm so hingehalten.

ROLAND.
Sie ist von mir nicht unergriffen.
FRAU KÜNKELÜN.
Ich glaub es nicht, ich seh dich ewig zögern.
ROLAND.
Einmal hört's auf.
FRAU KÜNKELÜN.

Mir zerrinnt das Gehirn im Warten wie laufender Käse, ich erlebe den Morgen nicht, heißt es nicht halt, fest, hart. Heut ist die schauervolle Nacht vor großem Morgen.

ROLAND
befehlweise.
Die hälst du aus!
FRAU KÜNKELÜN.
Und kommst du wirklich auch zu Hilf, morgen? An was erkenn ich, daß du da bist?
ROLAND.
Das wirst du spüren.
FRAU KÜNKELÜN.
Setz doch die Kappe probweis auf und mach ein Zeichen mit mir aus! Bloß probieren!
ROLAND.
Wie zäh du das verlangst! Probieren heißt viel, wenn du dabei bist.
FRAU KÜNKELÜN.

Ich muß doch wissen, ob sie auch noch tut. Es könnt doch sein, daß sie durch's lange Liegen die Kraft verloren hätte.

[83]
ROLAND.

Ich weiß schon, das Liegen hat ihr nicht geschadet. – – Oh oh, da ist sogar noch ein Haar von Siegfried daran.

FRAU KÜNKELÜN.
Blond oder schwarz?
ROLAND.
Du bist doch ein gerissenes Luder. Du hast das Erbstück zweifellos entweiht.

Frau Künkelün reißt ihm darauf die Kappe weg. Roland ruft.
ROLAND.
Halt meine Kappe!
FRAU KÜNKELÜN.
Nun passe auf, was ich jetzt tu.

Sie läuft mit der Kappe weg in den Hintergrund. Roland folgt ihr.
FRAU KÜNKELÜN.
Da sollst du staunen, was mit dir geschieht. Jetzt bist du hart am Bett. Ich setz sie auf.
ROLAND
mit gesträubten Haaren.
Nein nein, Frau Künkelün.
FRAU KÜNKELÜN.
Und doch setz ich sie auf. Es muß heraus, wie's mit dir steht.
ROLAND
schreit rasend.
Nein, um Himmelswillen, nein.
FRAU KÜNKELÜN.
Vor was hast du denn solche Bärenangst?
ROLAND.
Du machst dann mit mir, was du willst.
FRAU KÜNKELÜN.
Den Liebsten nenn ich dich.
ROLAND.
's ist mir noch neu.
FRAU KÜNKELÜN.
Und kamst so kühn daher?
ROLAND.
Nicht kühn. Verzweifelt.
FRAU KÜNKELÜN.
Darum sei froh, wenn's so nah ist.

Roland packt mit Geiergriff nach der Kappe und krampft sie an sich.
ROLAND.
Ruf, wenn du mich brauchst.
FRAU KÜNKELÜN.
Du bist mir ein Rätsel, du zerquälst dich vor Entbehren und marterst dich Erfüllen.

Roland geht auf nichts mehr ein und schreitet der Tür zu, die Kappe bei sich, Frau Künkelün folgt ihm zur Türe.
ROLAND.
Ruf nicht zu spät!
FRAU KÜNKELÜN.
Und versäume du nicht.
ROLAND
bleibt unter der Türe noch einmal ruhig stehen.
Aber einen Schlaf würd ich vorher noch tun, daß du frisch wirst.
[84]
FRAU KÜNKELÜN.
Wenn ich kann.
ROLAND
reicht die Hand.
Dann schlaf wohl.

Frau Künkelün gibt ihm schweigend die Hand. Roland geht. Frau Künkelün schiebt den Riegel vor. Dann bleibt sie in der Mitte des Zimmers stehen. Auf dem Turme fallen zwölf schwere Glockenschläge. Frau Künkelün atmet schwer auf.
Vorhang.

5. Akt

[85] Fünften Aufzug.

Personen.


Sämtliche bisher vorgekommenen.


Melak.


Franzosen.


Scene. Ein Teil der Befestigung.

Der Auftritt auf die Mauer geht durch den Turm. Der Platz ist gepflastert. Mauer und Turm hart kleingesteint. Die beiden Häuser rechts und links kontrastieren durch ihre geweißten Wände. Braunes Ziegeldach. Der Zugang zur Bühne ist zwischen Turm, bezw. Mauer und Häusern. Der Auftritt der Franzosen geschieht bis zu den Hüften auf von außen angelegten Leitern, deren Holme über den Mauerkranz hinausstehen. Zuerst ist's noch Dämmerlicht. Bei Beginn des Sturm's wird es hell.

[86] Frau Künkelün steht allein oben auf der Mauer, regungslos, so daß sie von den auf den Platz dringenden Weibern nicht wahrgenommen wird.

WEIBER
dringen ungerüstet herein.
Uns krabbelt's alle!
EIN WEIB.
Ich hatt geglaubt, 's sei Täuschung oder Einbildung von mir.
ANDERES WEIB.

Nix da, mir war's, als spräng ein Iltis auf meinem Bauche herum, ich wollt ihn allfort fangen. Nachher hab ich Licht gemach, da springt's ruhig weiter, aber sehen tu ich nix, auf einmal rasselt 's ab und durch die Tür hinaus.

DRITTES WEIB.
So ziemlich war's bei mir.
VIERTES WEIB.

Mich hat's ständig auf den Fußfohlen gekitzelt. Ich bin darnach hinuntergefahren, aber gesehen hab ich nix.

ERSTES WEIB.
Was mag das aber sein?
ANDERES WEIB.
Ein unverschämter Narrenscherz von einem Menschen, der nix zu tun hat.
DRITTES WEIB.
's sind aber alle Männer eingesperrt.
VIERTES WEIB.
Vielleicht war's das Alleingefühl.
ERSTES.
Ich habe aber sonst auch schon die Nacht allein verbracht, aber so gekrabbelt hat mich's nie.
ANDERES WEIB.

Schon oft allein verbracht hab ich, aber diesmal war mir's, als wollte mir einer die Gedärme austrommeln.

DRITTES WEIB.
Was trommeln! Mich hat's gedroschen wie von sieben Dreschern.
VIERTES WEIB.
Du hättest Prügel gekriegt? Wißt ihr, da ist etwas umgegangen.
ERSTES WEIB.
Aber so bei allen?
ANDERES WEIB.
Und nicht bloß zwischen zwölf und eins. Die ganze Nacht.
DRITTES WEIB.
Ob's wohl die Künkelün auch gespürt hat?!
VIERTES WEIB.
Das müßten wir noch wissen. Auf! Wir müssen zu ihr.

Wie sie abgehen wollen, stürzt ein Weib herbei, einen Rock auf den Armen.
NEUES WEIB.

Helft mir! Ich habe die ganze Nacht Maschine genäht. Da den Hosenrock. Zeigt ihn hoch. Beim letzten Stich surrt auf einmal etwas ins Rad, es knackt und 's bricht die Nadel ab und mir wischt 's eins über die Backen, zweimal rechts und einmal links und dann noch küßt's mich. Ich hab aufgeschrieen und stürz, wie ich da ankomm' hinaus, da [87] hängt mir's noch am Rock wie Bleigewicht im Traum an den Beinen, daß man nicht springen kann.

ERSTES WEIB.
Das könnt' auch übernächtig sein.
NEUES WEIB.

Nein, nein, ich hab' mir den Kopf ins Wasser gesteckt, daß ich klar werde, da hat mich's von hinten noch tiefer hineingetunkt.

ZWEITES WEB.
Der gleiche Schabernack.
NEUES WEIB.

Gott sei Dank, hab ich ihn doch fertig gekriegt! Das ist mein einz'ger Trost dabei. Meinen Hosenrock, wie die Mode in Paris ist, seht ihn blos an!

DRITTES WEIB.
's hat keine Zelt, wir müssen zur Künkelün.
VIERTES WEIB.
Ich will es wissen, was es ist.
NEUES WEIB.
O ja, zur Künkelün!

Wie sie wieder abgehen wollen, stürzt Marie herbei.
MARIE.
Meine Frau! Meine Frau! Wo ist meine Frau?
ALLE.
Was, sie ist nicht daheim?
MARIE.

Oh, der ist etwas passiert! Ich habe sie heute Nacht verlassen und da war einer bei ihr. Ich kann's nicht sagen, wer. Es ist ein Unglück mit ihr passiert, sie ist verschwunden! Es krabbelt mich wie ein Maikäfer am unverschämtesten Ort, das ist's Zeichen. Wo ist meine Frau? Will fortstürzen.

ERSTES WEIB.
So halt doch!
ANDERES WEIB.
Was, dich krabbelt's auch?
DRITTES WEIB.
Uns alle krabbelt's.
VIERTES WEIB.
Ganz auf's selbe!
NEUES WEIB.
Ist deine Frau nicht daheim? Ich weiß, sie war's.
MARIE.
Wüstes Mensch du, tät mich meine Frau so krabbeln?! Etwas passiert ist mit ihr.
NEUES WEIB.
Wer war denn bei ihr?
MARIE.
– Wer wird es sein?!
ALLE
erschreckend.
Oh der! Der war der Spuk.
MARIE.

Der Krabbler? Wie soll er's blos? Ich habe Licht gehabt und eine ganze Stunde hab ich's ausgehalten und nix gesehen.

ALLE.
Was aber dann? Wir müssen doch zur Künkelün.
MARIE.
Erst finden müssen wir's.

Wie sie abgehen wollen, hält sie eine Stimme auf.
[88]
STIMME.
Die ihr sucht, sie ist da.

Alle ste erschreckt und sehen in eine Richtung. Die Richtung der Stimme.
MARIE.

Ja, schwätz noch mal Gespenst! Vielleicht können wir dir eins für's Krabbeln abgeben. Wird von den andern vorn hingeschupst.

STIMME.
Hat's alle gekrabbelt in ganz Schorndorf?
MARIE.
Ja, 's ganze Schorndorf.
STIMME.
Soll ich euch sagen, was euch krabbelte?
MARIE.
Ja was? Darum fragen wir eben.
STIMME.

Euch krabbelte der Mut, heut nacht. Nichts anderes, holt nur gleich Spieß und Flint, es geht gleich los.

MARIE
hebt die Hand vor's Gesicht, sieht scharf.
Wer schwätzt denn das?
FRAU KÜNKELÜN.
Ich, deine Frau.
MARIE
aufgeregt.
Meine Frau! Wo sind Sie? Schon auf der Mauer? Ab in den Turm.
NEUES WEIB.
Frau Künkelün, ich hab' ihn fertig.
FRAU KÜNKELÜN.
Hab' es schon gehört.
NEUES WEIB.
Auch wie mich's plagte am letzten Stich?
FRAU KÜNKELÜN.
Jawohl. Da war der Mut bei dir. Der Mut, den ihr alle braucht, daß ihr heute mit mir sieget.
ALLE VIER
untereinander.
Ouatsch, wir habend doch fischch gespürt.
FRAU KÜNKELÜN.

Nur fort, besinnt euch über's Wunder nicht zu lang, folgt lieber dessen Trieb aus den faulen Federn. Und laßt's euch weiter krabbeln, dann siegen wir.


Die Weiber alle ab. Marie tritt aus dem Turm oben auf die Mauer.
MARIE.

Da seid Ihr, Gott sei's Dank! Hatt' ich 'ne Angst um Euch! Ich hatt' gefürcht't, Ihr wär't ihm heimgefallen. Habt Ihr schon gehört, wie's bei mir zuging?

FRAU KÜNKELÜN.

Ja, du bringst mich schön in Mißkredit, bei den Weibern. Sie meinen wieder wunder was mit Roland. Und es war gar nichts. Er ist als rechter Trottel fortgegangen.

MARIE.
Hat sich nichts gewagt?!
FRAU KÜNKELÜN.

Daß er so nötig geliebt sein will, ich glaube, 's ist Getue von ihm, damit man ihn nicht auch noch darin auslacht.


Wenn die Weiber weg sind, tritt Roland auf dem Platze auf, er erscheint, wie gezaubert. Er war schon da und nimmt jetzt nur die Mütze ab.
[89]
MARIE.

Ich hatt' geglaubt, das gäb' so einen festen Bund mit ihm für heut'. Deutet hinaus gegen den Feind. Melak ist doch ein großer Schlingwurm. Hackt man ihm einen Kopf ab, heißt es, wachsen ihm sieben andere nach. So, so ist's Ihnen gegangen Frau Künkelün? Wie erklär' ich mir's dann aber, ich hatt' bei heller Ampel gern eine Stunde 's Gefühl als wär's etwas.

FRAU KÜNKELÜN.
So lang' bei dir?
MARIE.
Und so eindringlich und deutlich wie wirklich.
FRAU KÜNKELÜN
räuspert sich.
Du hast gewiß im Traum gelegen.
MARIE.
Dann möcht' ich bloß immer träumen.
FRAU KÜNKELÜN.
Ach so, dir hat's gefallen. Du bist gar nicht erregt.
MARIE.

Ach, warum soll ich's Ihnen nicht gestehen.Mit Tränen. Ich war so sterbensglücklich, ich glaub, Frau Künkelün, mir ahnt's. Schluchzt. Ich sterb.

FRAU KÜNKELÜN
streicht ihr die Stirn.
Er war bei dir.
MARIE
außer sich.
Wer?!
FRAU KÜNKELÜN.
Roland.
MARIE.
Nie und nimmer war er's! Ich lüge nicht, 's war bloß Gefühl.
FRAU KÜNKELÜN.
Schweig still! Er war es doch.

Marie senkt den Kopf und erblickt unten auf dem Platz Roland, sie erschrick und taumelt, deutet.
FRAU KÜNKELÜN
rasch.

Ich wünsche dich noch nicht. Schleich mir nicht auf jedem Wege nach. Ich hab es schon vernommen, was du angestellt hast, damit.

ROLAND
heiser.

Rache war das, Rache für die lange Verachtung. Jetzt gehör ich allen. Bloß du, bloß du, vor dir schlag ich aus. Du bist mir nicht erreichlich, 'z heilig, 'z heilig bis zuletzt.

FRAU KÜNKELÜN.
Marie ist furchtbar d'ran.
ROLAND.
Meine Marie, die hat das Siegel.
FRAU KÜNKELÜN.
Was willst du damit sagen?

Statt einer Antwort geht Roland ab. Pause.
MARIE.
Mich holt 'r in die Kammer, bei seinen Aepfeln.
FRAU KÜNKELÜN.
Ach nein, sei nicht so todestraurig.
MARIE.

Ich bin nicht traurig, 's ist mir schon als ob's [90] Blut in mir rinnte, als hört ich's hintropfen wie's Gesicker in räsem Boden.

FRAU KÜNKELÜN.
Da schickt ich dich am besten heim, wenn ich nachher keine Marie mehr haben soll.
MARIE.
Darum sag ich lieber adieu, jetzt schon. Ich bin drüben am Remstor.
FRAU KÜNKELÜN.
Du hilfst nicht mir?
MARIE.
's fällt Ihnen sonst bloß 's Herz hinab.
FRAU KÜNKELÜN.
Ist dir's denn so gewiß? Marie entfernt sich schon. Laß nur dir nicht 's Herz hin abfallen.
MARIE.
's tät den Franzosen ungesotten nicht schmecken. Ich behalt's schon in mir. Marie ab.
FRAU KÜNKELÜN.
Dann blas »an die Gewehre«! Wir fordern Melak, von uns aus, heraus, wenn er noch nicht d'ran denkt.

Marie bläst entfernt Signal: »An die Gewehre!« das beim Heer eingeführte Signal dafür. Sogleich zappelt es aus allen Winkeln, aus den Häusern. Die Weiber stürmen und besetzen die Mauer.
WEIB
im Hosenrock.
Hierher auf mich gehalten, ihr Pariser!
FRAU KÜNKELÜN
ruft entgegen.
Der Feind ist reg. 's ist unser Tag.
ALLE WEIBER.
Hurrah!

Unter Trommelwirbel und Kanonendonner naht der Feind. Die Weiber werden ganz still, stehen regungslos, sowohl die auf der Mauer, als die, welche noch soeben über den Platz eilten.
EIN WEIB.
Wie sich das aufrollt!
ANDERES WEIB.
Uh, die Masse rote Hosen.
DRITTES WEIB.
Und hinter Weiler noch kommen sie jetzt herfür.
VIERTES WEIB.
Das hat man gar nicht gewußt.
FRAU KÜNKELÜN
ruhig.

Setzt die Gewehre! Befehl weiter geben! Es kommt Regung in alles. Der Platz leert sich. Der Befehl läuft durch. Nach einer Weile. Feuer! Es prasselt wie an einer Kette.

WEIB
im Hosenrock.
Ich hab getroffen.
FRAU KÜNKELÜN.
Das kann auch eine andere gewesen sein.
WEIB
im Hosenrock.
Ich habe darauf gezielt. Alle stopfen die Gewehre.
[91]
FRAU KÜNKELÜN.

Dann macht so weiter, ihr seht, 's heißt flinke Arbeit, das Zucken der roten Masse auf uns zu geht ruhig weiter.

ERSTES WEIB.
Tät nur das Stoppen nicht so lange dauern!
ANDERES WEIB.
Wir können kaum den zehnten Teil abbüchsen.
DRITTES WEIB.
Wenn ich die Flinte nehm, ich glaub, es sei 'ne Gans, die ich zu mästen hätt.
VIERTES WEIB.
Nur immerzu, stopf tüchtig, daß der Treff auch voll wird. Sonst rappeln sie sich hoch.
FRAU KÜNKELÜN.

Sind alle fertig? Wie vorhin. Setzt die Gewehre! – Feuer! Es geht eine freudige Bewegung über die Mauer.

ALLE.
Das hat gezunden!
FRAU KÜNKELÜN
erregter.
Stopft, diesmal war's besser. Bis an die Mauer dürften sie gar nicht herankommen.
ERSTES WEIB
wieder beim Stopfen.
Uebung macht den Meister.
ANDERES WEIB.
Den Ladstock zwirbelt man wie den Spinnfaden.
DRITTES WEIB.
Die Gans stinkt schon aus dem Schlunde.
VIERTES WEIB.
's muß ihr speiübel werden, aber alles über die Rothosen!
FRAU KÜNKELÜN.

Hussah! Dort sprenkelt ein Schimmel, seht ihr ihn? Hinter den Bäumen wie ein Schulreiter. Im hellen Uebermut. Das ist Melak! Alle auf ihn gehalten. – Feuer! Blickt gespannt. Die Salve kracht. Wer hat getroffen?

ALLE
zugleich.
Ich hab' getroffen.
FRAU KÜNKELÜN
unter den Jubel hineinrufend.

Er wälzt sich am Boden. Dort kommt der Feind zum Stillstand. Schüttet das Feuer hinaus wie die Frühsaat!


Neue Weiber kommen. Die Bewegung auf der Mauer wird aufgeregt.
WEIB
im Hosenrock.
Zunder Zünder Beutelschwamm! Er schwingt sich auf den Rappen!
FRAU KÜNKELÜN
bebend.
Und jetzt geht es im Sturm! Man hört den Laufschritt der Musik: »Dim dum darum ...«.
FRAU KÜNKELÜN
schreit mächtig.
Weiber, zittert nicht beim Zielen! Ein jeder Schuß ist wertvoll wie eine Goldunze.

Ein Weib kommt auf den Platz und ruft hinauf.
[92]
WEIB.
Künkelün, auf dem Remstor liegt schon die erste Leiter.
FRAU KÜNKELÜN
wendet sich herum.

Dort führt Marie. Deutet nach rechts. Hole von dort zehn Musketen. Wir können noch warten. Die Leiter muß geworfen werden. Weib ab. Wendet sich wieder um. Kinder, wie steht es hier?

WEIB
im Hosenrock.
Sie kommen ran! Sie kommen ran! Drohend. Gebt acht, kommt nur herauf!

Die Weiber wischen sich den Schweiß von den Stirnen, daß sie ihn von den Händen abspritzen können.
FRAU KÜNKELÜN.
Holla, Gewehre weg, die Leitern fallen über. Aexte heraus, die Holme hacken.

Es geschieht. Zwei Leitern fallen an. Es gelingt den Weibern nicht; sie zurückzuwerfen. Beim Feind wird's still.
ERSTES WEIB.
Was ist das?
ANDERES WEIB
deutet.
Die weiße Fahne!
DRITTES WEIB
blickt über den Mauerkranz.
's kommt einer die Leiter herauf mit einem Fazinettchen.
VIERTES WEIB
über die Mauer gebückt.
Er bedeutet, daß er was ausrichten will.
FRAU KÜNKELÜN
winkt.
Stillstand! Der Befehl geht weiter. Es wird ganz still.
FRANZOSE
kommt oben an und ist ganz verblüfft.

Je suis très étonné. Des femmes?! Da gönnen wir nicht schießen weiter. Lacht mit Zähnen. Müssen uns schieße lassen alle tot von so schöne Frauen. Ist ein süßer Tod, durch schöne Frau sterben. Wo sind ihr Männer?

ALLE.
Wir haben keine Männer.
FRANZOSE.
Schorndorf, Weiberrepublik? Wo kriegt ihr die Kinder?
FRAU KÜNKELÜN.
Sollen wir das Geschwätz anhören? Warum stürmt Melak nicht weiter?
FRANZOSE.

Aben gesehen mit eine gute Fernglas, daß es müssen seien lauter Weiber, aben sofort eingestellt das Feuer und Zieht die Mütze. Melak läßt bitten um pardon.


Einige Franzosen erscheinen auf den Leiterköpfen.
DIE FRANZOSEN
rufen aus.
Ah, comme cette ville est très jolie!
[93]
FRAU KÜNKELÜN
eifrig.
Darum verduftet!
DIE FRANZOSEN
lachen.
Cette femme bilieuse.

Die Weiber sehen sich an, schämen sich ein bißchen.
FRANZOSE.
Des femmes sans hommes, connaissez – vous cela en France?
DIE FRANZOSEN.
Heiraten? Sprich eiradän.
DIE WEIBER
werden falsch.
Frau Künkelün, die treiben Narretei mit uns.
FRAU KÜNKELÜN.
Es sind dieselben wie unsere Männer. Was wünscht Melak?
FRANZOSE.
Was ...!? aben doch Männer! und die lassen kämpfen ihre Weiber?
FRAU KÜNKELÜN.

Die haben wir eingesperrt, richten Sie das mit einem Gruß an Ihren General aus, wenn er nicht Schande erleben wolle, soll er seinen Gegner ernst nehmen.


Die Franzosen erholen sich aus dem Staunen.
FRANZOSE.
Mais, mais.
DIE WEIBER
lachen.
Jetzt meckert 'r.
FRANZOSE.

Mais, mes femmes! Voulez – vous être tuées? Mes belles femmes. Par Dieu! Mon général est très fou de votre beauté. Sehr im Eifer. Mein General schlägt mich, wenn ich komme ohne den Frieden mit solchen schöne Frauen, die voll Rücksicht auf uns schon aben die Männer eingesperrt.


Wirst eine Kußhand, seinem Beispiel folgen die
andern. Die Weiber außer Frau Künkelün machen's ästhetisch und zeigen dagegen die Hintern.
DIE FRANZOSEN
verletzt, entsetzt.
Schocking!
FRANZOSE.
Sage Melak, Weiber wollen nicht.Mais, mais.
DIE WEIBER.
Mäh, mäh.
DIE FRANZOSEN.
Mes belles femmes!
FRANZOSE.
Sind sehr gottlose Weiber, wollen verderben wie Sodom und Gomorra.

Zieht sich zurück, mit ihm die andern.
DIE WEIBER.
Mach' daß du fortkommst, Malefizspitzbube du! Wir brennen dir eins in die Rothosen!
FRAU KÜNKELÜN.
Beschimpft ihn nicht auch noch, Melak wird furchtbar wütend werden.
[94]
WEIB
im Hosenrock.

Soll ich ihm keins auf den Schädel schmeißen? Er hat nicht einmal von meinem Kleid Notiz genommen. Das wird gerochen.Will werfen.

FRAU KÜNKELÜN.
Laß' das, es ist wider 's Völkerrecht. Erst wenn die Flagge gestrichen ist, geht's wieder los.
WEIB
schmeißt.
Die Flagge ist gestrichen. Schade, 's hat nicht mehr getroffen.

Der Marsch im Laufschritt wieder neu und heftiger
Kanonendonner. Man hört ein krachendes Zischen. Die Weiber drehen wild die Köpfe her und hin, kaum Zeit, stehen schon die Leitern voll Franzosen.
FRAU KÜNKELÜN.

Das Rathaus! Eile schnell, hier Schlüssel, los! Die Männer abgeführt in Klemens Keller! Weib ab. Die Leitern werfen! Sie stößt und hilft. Beide Leitern stürzen um. Noch währenddessen stehen schon wieder neue. Flink! Flink! Von überallher Krachen, Stürzen und Brechen. Du Hosenrock, so los! Wieder stürzt eine Leiter. Haß, Haß, Haß! Geschrei: »Hurra!« über die Mauern. Die Unsern sind schon im Sieg. Hier stehe ich, hier wird der Drang am größten.


Während sie zum Kampf treibt, stürzen bewaffnete Weiber über den Platz zur Hülfe, unter dem Ruf: »Das Remstor ist frei, dort gehen sie zurück! Frau Künkelün wendet sich kurz um, da sieht sie Roland, Marie auf die Schulter geworfen, quer über den Platz schreiten und verschwinden.
FRAU KÜNKELÜN
wirst den Säbel weg, krampft die Fäuste und schreit.
Melak heraus!

Indem sie brüllt, erscheint Melaks schöne Perrücke, in diese krallt sie gleich mit allen Fingern ein. Sein Kopf schiebt sich aber nach. Es erscheint ein schönes Mannsgesicht, geschützt und gedeckt. Das
Schießen hört auf.
MELAK.
Da bist du schöne Frau. Dich will ich gewinnen.
FRAU KÜNKELÜN
verblüfft, zitternd.
Bist du der Melak?

Einen Augenblick stockt der Kampf. Nur Frau Künkelün krallt fest.
MELAK.
Schöne Frau, es geschieht dir nichts, wenn du dich jetzt noch ergibst.
FRAU KÜNKELÜN.
Wenn keine Frau von euch verletzt wird.
MELAK.

Ich will es dir versprechen. Nur eure Männer gebt mir, ich lasse sie in meine Kanonen laden. Und zum Hohn vor euren Augen an die Mauern schießen. Zu Beider Freude.

FRAU KÜNKELÜN.
Zu meiner Freude nicht, Melak, es ist keine Fahne gehißt um Unterhandeln, ich stürze dich hinab.

[95] Das Drängen und Ringen nimmt seinen Fortgang. Nach jedem heftigen Einhauen steht Melak höher.
MELAK
lacht.
Du stürzst mich hinab? Ich steige immer höher. Schon bin ich mit dem ganzen Kopf über der Mauer.
FRAU KÜNKELÜN.
Weiber dränget! Drücket! Sein Auge stiert mir riesenhaft entgegen.
MELAK
schiebt.
Ist es mein schönes Haupt nicht wert, daß du dich bezähmst?
FRAU KÜNKELÜN.
Dein Lockenkopf ist herrlich, aber es soll mich der Tod treffen, wenn er mir gefällt.
MELAK
schiebt.
Wir gehören zusammen.
FRAU KÜNKELÜN
zitternd.
Ich werde doch mit ihm fertig werden!
MELAK.
Du hast ein unschönes Ungestüm. Du kannst viel schöner sein.
FRAU KÜNKELÜN
faßt hastig mit der einen Hand anders.
Ob du nicht erstickst!
MELAK
mit rotgepreßtem Kopf.
Mein Hals ist Gänserich.
FRAU KÜNKELÜN.
Schützt meinen Arm besser, ich spüre einen Stich!
DIE WEIBER.
Um Himmelswillen! Wir werden doch unserer Frau helfen können!

Das Fechten und Stechen über Melaks Kopf geht eine Fallen der Franzosen. Eine stumme Wut.
FRAU KÜNKELÜN.
Drück nicht noch weiter! Melak bleibe stehen!
MELAK
steht höher.
Du spürst es, wie ich steige.
DIE WEIBER
rufen.
Kommet, kommet alle daher! Da ist der Melak!
FRAU KÜNKELÜN
wie an ihm hängend, so hoch steht er schon.
Helfet! Meine Kräfte! Er reißt die Klammer aus, mit der er festgeschlagen ist.
DIE WEIBER
angstvoll, wütend.
Gottes! Er steht schon oben bis zur Brust. Zu ankommenden Weibern. Herbei!

Die Mauer ist allmählich so angefüllt, daß überhaupt nicht mehr gefochten werden kann, sondern Frau Künkelün nur ganz allein an Melak hängt und so das Ringen zwischen beiden auf's äußerste gespannt erscheint.
FRAU KÜNKELÜN
leise.
Schwinden mir die Sinne, wer kann mir helfen?
[96]
MELAK
unheimlich, ächzt.
Weib, noch jetzt gebe ich Gnade. Stehe ich aber oben, weh dir!
EIN WEIB.
Frau Künkelün! Ihr haltet ihn nicht mehr. Besinnt Euch noch!
FRAU KÜNKELÜN.

Wir hätten an den Männern durch unsern Ungehorsam schändlich gefrevelt! Er schießt sie nicht an Schorndorfs Mauern!

MELAK.
Schönes Weib! Die Männer stift ich Euch!
FRAU KÜNKELÜN.
Du steigst schon nicht mehr höher. Du sprengst die Klammern nicht!
MELAK.
Mach auf, ich schenk Euch Eure Männer!
FRAU KÜNKELÜN.
Nein!
MELAK.
Dein Eigensinn ist närrisch.
DIE WEIBER.
Frau Künkelün!

Melak hat sich losgerissen und hebt sich hoch über alle hinaus. Frau Künkelün kniet zwischen den Weibern ermattet, daß sie kaum unter den Röcken zu sehen ist.
MELAK
rauh, frohlockend.
Es ist des Hohnes wert!
FRAU KÜNKELÜN
emporschießend, hängt ihm im Wams.
Hilfe schrei ich! Hilfe! Der Platz bleibt unbegangen.
MELAK.
Es sind deine letzten Weiber.
FRAU KÜNKELÜN.
Hilfe! Hilfe!
DIE WEIBER.
Frau Künkelün! Wir sind alle!
MELAK
tönend.
Du bist von Sinnen, ich gebe jetzt noch Gnade.
FRAU KÜNKELÜN.
Nein, du mußt hinunter. Ich, ich hab's übernommen, Sckorndorf.
MELAK.
Dann nicht, ich setz den Fuß hinauf.
FRAU KÜNKELÜN.
Wer hilft mir! Heißt er –?

Die Franzosen brechen von draußen in lauten Jubel aus.
DIE WEIBER.
Frau Künkelün, er steht mit einem Fuß!
FRAU KÜNKELÜN.
Mut, heißt er, Roland!

Wie der Name fällt, wird die Tür aus dem Turm aufgerissen. Es ist, als pfiffe Melak ein Wind ins Gesicht. Man sieht ihn sinken und stürzen.
DIE WEIBER.
Hurrah! Sieg!

Das Geschrei geht über die ganze Mauer. Sie dringen, verrückt vor Erregung, auf Frau Künkelün ein, und küssen sie, wo's hintrifft. Der Knäuel löst sich zugleich.
[97]
FRAU KÜNKELÜN
setzt sich auf den Mauerkranz, ermattet.
Ist Roland zur Hilfe noch recht gekommen?
DIE WEIBER.
Nicht nötig war er mehr.
FRAU KÜNKELÜN.
Wir sind ohne ihn fertig geworden.

Roland steht jetzt unten auf dem Platz, die Kappe unter dem Arm.
DIE WEIBER
höhnen.
Geh heim, alter Affe! Du kommst zu spät.
ROLAND
höhnt zurück.
Ihr seid zum Teil nicht viel schöner als ich. Ihr habt mich für den Affen gut bezahlt.
FRAU KÜNKELÜN.
Halt! Im neuen Schorndorf gebe ich das Bürgerrecht. Roland ist Ehrenbürger, von mir ernannt.
DIE WEIBER.
Weshalb auch das?
ROLAND.
Weshalb denn nicht?
FRAU KÜNKELÜN.

Wo er auf der Straße begegnet wird, sei mit ihm Gruß und Gegengruß. Das Vorurteil, das gegen uns Weiber geherrscht hat, das hoffentlich gefallen ist, es soll auch gegen den Verachteten fallen.

ROLAND
weint in den Ellbogen.
Ich dank auch schön.
DIE WEIBER
erstaunt.
Was, der kann weinen? Ihr, mit ihm sollten wir uns doch einmal ansehen.

Die Weiber steigen von der Mauer und andere drängen sich um ihn.
ROLAND
verwehrt sich.
O jerum, jerum, lasset mich in Fried!
FRAU KÜNKELÜN.
Nicht so, Roland, besieh dich auch mit ihnen, unter gleichen Augen.
ROLAND.
Ich bin das ungewohnt.
FRAU KÜNKELÜN.
Nun, Weiber, holt die Männer noch herbei. Denen müssen wir doch die Leviten lesen.
DIE WEIBER
jauchzen.
Die Männer, die leben ja auch noch.

Alle ab. Frau Künkelün und Roland sind allein.
FRAU KÜNKELÜN.
Nun willst du deinen Lohn?
ROLAND.
Ich weiß nicht, ob ich ihn krieg.
FRAU KÜNKELÜN.
Zuerst gib mir die Kappe zurück, dann –
ROLAND.
Die Kakappe behalt ich nicht?
FRAU KÜNKELÜN.
Sie war doch nur für den Kampf von mir dir gegeben.
ROLAND
staunt.
Ist das gesagt worden?
FRAU KÜNKELÜN.

Du stellst zu großen Unfug an damit. [98] Es könnt ja kein Ehebett mehr in Schorndorf sein, behieltest du die Kappe.

ROLAND
wirst sie hastig hinauf.
Da hast sie.
FRAU KÜNKELÜN
hebt sie auf.
Und nun dein Lohn. Mein Dank mit Worten ist zu wenig.
ROLAND.
Ach, ohne Kappe!? Will ich das nicht.
FRAU KÜNKELÜN.
Du willst es nicht?
ROLAND.
Ich muß zuerst nachsehen, ob die Marie aufgehört hat, aus ihren Wunden zu bluten.
FRAU KÜNKELÜN
erschrickt.

Was heißt das? – Marie soll tot sein? Dann gingest du zu ihr? Kannst du dich gar nicht zum Schicklichen emporraffen.

ROLAND.
Man lacht mich aus. Du lachst mich aus. Alle lachen mich aus.
FRAU KÜNKELÜN.
Als du die Kappe hattest, nicht?
ROLAND
stolz, wohlgefällig.
Nein, da nicht. Unter der Kappe versteckt, da war ich am Lachen.
FRAU KÜNKELÜN.

Zu deinem wahren Gesicht kriegst du gar kein Vertrauen mehr? – Roland, kämest du nicht wenigstens her zu mir?

ROLAND.
Das steht einmal fest, daß ich verachtet bin.
FRAU KÜNKELÜN.
Du bist zum Ehrenbürger ja ernannt.
ROLAND
pocht an sein Herz.
DDa drinnen, da drinn, bei dir und allen ändert sich da nichts.
FRAU KÜNKELÜN.
Du bist in einem Irrtum, ich hab dir viel getan.
ROLAND.
Ich dir weniger?
FRAU KÜNKELÜN.
Nun wir, wir sind ja Freunde, die wägen nicht, wer mehr tat.
ROLAND.

Ja, solang es Kampf und Not gab, waren wir wohl Freunde. Aber zum Hausfreund hast mich, sauber, nicht ernannt.

FRAU KÜNKELÜN.
Das wolltest du?!
ROLAND.
Allzeit das Recht, allzeit Empfang.
FRAU KÜNKELÜN.
Du bist mir stets willkommen.
ROLAND.

Ich weiß schon, wie du's meinst. Du findest immer einen Ausschlupf. Gar jetzt, wo du die Kappe wieder hast. Ich kenn dich schon.

FRAU KÜNKELÜN.

Wir können, glaub ich, miteinander wetteifern, wenn sich's um die Erfindung eines Auswegs handelt. [99] Gesteh's nur offen, dir ist's nur wichtig, wie man dich in der Liebe ansieht.

ROLAND.
Nein. Ich will's aber gestehen. Ich hhab vorerst genug.
FRAU KÜNKELÜN
wie mißverstehend.
Aha, dir ist beim Kampf der Atem ausgegangen.
ROLAND
lacht schäkernd.
Hehehehe. Wenn's damit schicklicher gesagt ist.
FRAU KÜNKELÜN.
Dann bist du mir wohl gut gesinnt?
ROLAND.
FFrau Künkelün ist's doch, die mir so gutt's erwiesen hat. Die Nacht hat mich gestillt.
FRAU KÜNKELÜN.

Willst auch noch dabei sein, wenn die Männer kommen? Dann komm herauf zu mir und setz dich, zum Verdruß meines Mannes, hier neben mich.

ROLAND.
Hehe. Das setz ich mich. Ab, zu ihr hinauf auf die Mauer.
FRAU KLEMENS
kommt auf den Platz.
Frau Bürgermeister. Wie wird das dann? Bringen die Frauen gleich die Knüppel mit?
FRAU KÜNKELÜN.
Ja, bringt sie mit! Und legt euren Männern eine Blecheinlage in die Hosen.
FRAU KLEMENS.
Schon gut! Schnauft ab.
ROLAND
kommt oben an.
Dein Gast.
FRAU KÜNKELÜN.

Recht, daß du kommst. Ich würd mich recht viel zeigen, fortan, dann fällst bald nicht mehr auf. Wenn dir ein Unrecht wo geschieht, dann kommst zu mir. Das alte Klatschnest Schorndorf muß dein unbespottet Storchnest werden. Die Marie, hoff ich, wird sich wieder regen und aufleben. Die gib mir heraus!

ROLAND.
Die Mamarie soll ich herausgeben?
FRAU KÜNKELÜN.

Ja, geb sie mir. Bei mir kann sie wieder zu Kraft kommen. Du mußt das Alleinleben in deiner Kammer aufgeben.

ROLAND.
Darum will ich sie ja behalten, daß ich nicht mehr allein bin.
FRAU KÜNKELÜN.
Sie stirbt bei dir.
ROLAND.
Das macht doch nichts.
FRAU KÜNKELÜN.

Du kriegst eine neue Wohnung eingeräumt. In dem ganz andern Geist, der jetzt über Schorndorf kommen muß, baust du dich gut ein. Marie nimmst du dir zur Frau, wie's überall der Brauch ist.

ROLAND.
Sie sieht mich lebend nicht an.
[100]
FRAU KÜNKELÜN.
Du irrst dich, sie, Roland, hat den Mut zu dir. Sie hat dich gestern nacht nicht gern vermißt.
ROLAND.
WWenn das wahr ist, ich hhab bei ihr allein ein selig Gesicht vor mir gesehen.
FRAU KÜNKELÜN.
Na siehst du. Und Marie hat wohl am tapfersten deshalb gekämpft auf Wagnis auch des Todes.
ROLAND.
Oh ja, Marie, die hat mich gern.
FRAU KÜNKELÜN.

Paß auf, wenn sie noch lebt, dann kriegst du auch noch Kinderlein von ihr, eine ganze Schar junger Mut.

ROLAND.
Oh Frau!
FRAU KÜNKELÜN.

Wenn dann wieder ein Melak kommt, braucht man, hoff' ich, dann keine Weiber mehr. Dann kämpft ein neues Geschlecht, das von dir kommt.

ROLAND.
Hahaha. Lauter junger Mut.
FRAU KÜNKELÜN.
Und ich gebe dir den Türmerposten auf dem Kirchturm, dann bist du zugleich der Höchste.
ROLAND.

Unund wenn dder Feind kommt, blas ich mit der Tute Sturm, daß alles mit muß, aller junger Mut, und hilft. Ah.

FRAU KÜNKELÜN.

Dein Nachwuchs, der letzte Nacht ersproß, wird schon wieder ein bißchen ansehnlicher. Die Leute haben dann immer weniger weit zum Entschluß, dein Geschlecht als 's höchste zu achten.

ROLAND
fuchtelt in tiefer Ergriffenheit.

Frau Künkelün! Stürzt an ihr nieder und weint in ihren Schoß. Mutt, Mutt, ich bin er immer gewesen! Durch deine vürnehme Hilf' hab' ich's Obdach gefunden. Ich lauf in der Verachtung seit ich auf der Welt bin. Oh Oh!


Es sammeln sich unten Männer- und Weiberhaufen. Die Männer stehen in geordneten Reihen, rechtsum zur Richtung, die sie gekommen sind, die Front zur Mauer.
FRAU KÜNKELÜN.

Sei jetzt nur still, alles versammelt sich unten, tu ihnen nicht die Wohltat, daß sie dich heulen sehen.


Roland reibt sich die Augen und steht von der verwundert gaffenden Menge abgekehrt. Frau Künkelün erhebt sich. Die Männer stürzen auf die Knie. Frau Künkelün stellt sich stolz auf.
BÜRGERMEISTER.
Oh, laß mich's Wort für alle führen!
FRAU KÜNKELÜN.
Vor allem schweig! Schweigen ist jetzt eure beste Empfehlung.
BÜRGERMEISTER.
Himmelskönigin! –
[101]
FRAU KÜNKELÜN.
Sei nicht so flink damit, du wirst nie Himmelskönig.
BÜRGERMEISTER.

Vor meinen Augen Königin wie die von Holland oder England mit einem kleinen Mann, dem Prinzgemahl, laß den mich bleiben! Ich lieg' im Staub vor dir wie eine teige Zwetschge. Laß dir's zuschwören. Hebt die Hände. Wir wollten nie Franzosen gern, die Angst um Schorndorf's Schicksal. Das Wort wird ihm abgeschnitten.

FRAU KÜNKELÜN.

Angst, das stimmt. Wir wollen and're Männer. Schweigt! Kein Wort weiter! Sonst muß die redelüsterne Zunge doch vor die Hunde. – Kein Wort von solchen Männern. – Ihr findet noch zerstreut manch braves Weib im Blute liegen. Wie? Konntet ihr nicht höflicher gegen unser schwaches Geschlecht in diesem Falle sein? Sonst seid ihr unnütz höflich. Beim Kampf ums Leben stehen die Weiber in aller Welt sonst sehr gerne nach. Dafür allein wird uns're Anmut auch so willig auf der ganzen Erde an den Mann verteilt, dafür, daß er uns schützt. Darum, weil ihr's nicht so getan habt, werdet ihr künftig keine Anmut mehr vom Weib erfahren.

ALLE MÄNNER.
Oh Gott! Oh Gott! Seufzen und winden sich.
FRAU KÜNKELÜN.

Wie machtet ihr's?! Ihr hocktet in einem Keller zuletzt und wir durften bluten. Die Frau verliert ihr Blut gerad genug für's ganze Menschengeschlecht. Dann ist's nur ausgeteilt gerecht, verlieret ihr's, ihr Männer, in Schlachten beim Gefecht. Ihr habt zu blut'ge Leistung auf uns aufgebürdet.

ALLE MÄNNER.
Vergebung! Vergebung!
FRAU KÜNKELÜN.

Ich zweifle sehr, ob wir so anmaßende Kerle weiter anerkennen wollen. Denn 's nächste Mal kommen Schweden oder ein anderesmal Russen oder die ganze Internationale, die sollen wir dann immer von Schorndorf's Mauern werfen? Ihr Mannsleute könnt weit laufen, bis ihr wieder solche Weiber findet, die so 's Heiligtum für euch schützen.

ALLE MÄNNER.
Wir sind darüber ganz verzückt.
FRAU KÜNKELÜN.

Das glaub ich schon, aber uns fällt es nicht ein, euch auf den Buckel zu nehmen wie uns're Kolleginnen in Weinsberg. Wir lassen die Finger von euch. Wenn wir uns durchgehauen haben, so wollen wir auch Männer haben.

BÜRGERMEISTER.
Wir lassen uns auch durchhauen.
FRAU KÜNKELÜN.

Das ist auch die einzige Bedingung, die [102] ich stelle, unter der 's wieder gut wird. Auf öffentlichem Marktplatz unter Beteiligung der ganzen Bevölkerung verfüge ich, laßt ihr euch alle ohne Ausnahme von uns die Hosen spannen.


Toller Beifall bei den Weibern.
FRAU KÜNKELÜN.
Einverstanden?
BÜRGERMEISTER
trüb.
Ja.
FRAU KÜNKELÜN.

Ihr müßt voll ganz entehrt sein, dann, wenn die Pflänzchen welk liegen wie frisch gepflanzter Salat, bespritzen wir sie sorgfältig mit erquickendem Tau und ziehen sie auf, bis sie groß und stark stehen zu unserem Wohlgefallen, so herrlich, daß wir sie essen möchten.

BÜRGERMEISTER.
Oh schöne Aussicht, neues Jugendland!
FRAU KÜNKELÜN.

So versteht sich, daß künftig kein einz'ger Mann mehr das Züchtigungsrecht über seine treue Hälfte hat, sondern im Gegenteil, daß fortab der Prügel in unsern Weißzeugtruhen für euch bereit liegt. Einverstanden?

BÜRGERMEISTER.
Oh saure Senfgurken, die uns bevorstehen.
FRAU KÜNKELÜN.

Damit hätte ich mein Programm für Schorndorf's Weiterführung abgewickelt. Häuft euch zunächst zurück noch in die Gassen! Die Männer und Weiber bewegen sich rückwärts in die Gassen. Nur du, Spitze dieser Kniekompagnie, Künkelün, erwarte hier noch ein besonderes Strafgericht. Bleibe du hier, Roland!Gegen die zurückgehenden Haufen. Dort hinter's Haus steh eine, die meinen Wink zum Anmarsch weiter gibt, es kommen dann zuerst die Frauen in zwei Gliedern, und stellen sich Spalier, hernach die Männer zum Gassenlauf!

BÜRGERMEISTER.
Was wird da kommen!
RAT KLEMENS.
Es kommen auf jeden gern hundert Knüppelschläge.

Alles ab außer Frau Künkelün, Roland und dem Bürgermeister.
FRAU KÜNKELÜN
nachdem die Bühne sonst leer ist.
Blick' auf, da steht ein Mann.
BÜRGERMEISTER.
Ich hab' ihn längst mit Argwohn angesehen.
FRAU KÜNKELÜN.
Ihm habe ich meine Tarnkappe gegeben.
BÜRGERMEISTER.
Ich besinne mich nicht.
FRAU KÜNKELÜN.
Du weißt die Kappe, die ich als Hausheiligtum –
BÜRGERMEISTER
es fällt ihm ein, entsetzt.

Hat Roland?! [103] Da können wir ja gleich ein Kinderbett uns kaufen. Dann ist er manchmal unsichtbar. Oh höchste Gaunerin!

FRAU KÜNKELÜN.
Du bist schon wieder kühn.
BÜRGERMEISTER.
Ich bin zur Null gemacht.
FRAU KÜNKELÜN.
Die sollst du sein.
BÜRGERMEISTER.

Wann gabst du sie ihm denn? Oh, oh ich ahne grausig, Wischt sich den Schweiß von der Stirn. die letzte Nacht war ich gefangen.

FRAU KÜNKELÜN.
Du gabst ihm ja selbst den Hausschüssel.
BÜRGERMEISTER.
Ich ihm?
FRAU KÜNKELÜN.
Leugnen ist lächerlich, er gab mir ihn.
BÜRGERMEISTER.
Betrüger!
FRAU KÜNKELÜN.
Dafür eben schenkt ich ihm, Gabe gegen Gabe, die Kappe.
BÜRGERMEISTER.
Und trug sie nachts.
ROLAND.
Nein tags.
FRAU KÜNKELÜN.
Sprich du nicht!
BÜRGERMEISTER.
Tags? Ich weiß es zu erraten, den Feind schlug er.
FRAU KÜNKELÜN.
Nein ich, mit ihm verbunden.
BÜRGERMEISTER.
Das ist die Weiberkunst, Betrug!
FRAU KÜNKELÜN.
Wie's dir gehört.
BÜRGERMEISTER.
Es soll die ganze Stadt wissen!
FRAU KÜNKELÜN.

Dann seh dich vor! Ich habe die Kappe wieder. Ich trag' sie künftig häufiger, ihre Kommodenzeit ist um. So merke dir, bei jedem Wort, das du sprichst, bin ich dabei.


Frau Künkelün gibt den Wink.
BÜRGERMEISTER.
Oh weh!

Es erscheinen festen Schrittes, die Knüppel am Gürtel herabhängend, die Weiber. Marie, dick verbunden, mit dem größten Knüppel, mit einem Ausdruck, Schmerz verbeißend und dämonische Luft, die Männer zu prügeln.
FRAU KÜNKELÜN.

Nun halt! Ah du Marie! Gesegnet seist du, die Lust, sie durchzuprügeln, macht dich wieder frisch. Stell' du dich darum vorne an! So. Und sieh daher, nennst du nicht den da einen Mann?

MARIE
nach einer Pause des Ueberlegens.
Meine nicht, daß du noch länger ledig bist! 's Gesicht ist Nebensache.

Roland nickt ihr zu unter dem Lachen der Frauen.
[104]
FRAU KÜNKELÜN.

Künkelün, begebe dich zur Anführung in die Gasse, ich hoffe, der Mut zum Anlauf wird dir nicht gebrechen.


Bürgermeister seufzend ab, Frau Künkelün schreitet herab, es ist erwartungsvoll still. Die Turmtüren fallen auf und zu. Frau Künkelün stellt sich nun als erste zum Empfang der Männer, sie ruft zu Roland hinauf.
FRAU KÜNKELÜN.
Ritter, diese Parade gebe ich vor Euch zu Eurer höchsten Auszeichnung. Sie hebt die Hand. Vorwärts!
ROLAND.
FFrau Künkelün schlagt nicht zu derb!
FRAU KÜNKELÜN.

Die Stadträte sollen längere Zeit Sitzschmerzen haben! Damit ihnen die Sitzungen etwas vergehen! Künkelün, wirst du kommen!

BÜRGERMEISTER
brüllend.
Nur mir nach!

Die Männer rennen wie gepeitscht durch die niederprasselnden Knüppel. Geräusch laut rasselnd.
Vorhang.

Ende.

[105]

Fußnoten

1 Fährmann der Schatten in die Unterwelt.


Notes
Entstanden 1910/1911. Erstdruck: Berlin-Lichterfelde (Selbstverlag), 1912. Uraufführung 1914, Schauspielhaus, Düsseldorf.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Essig, Hermann. Der Frauenmut. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A306-9