Johann Jakob Engel
Herr Lorenz Stark
ein Charaktergemälde

1.

[3] I.

Herr Lorenz Stark galt in ganz H ....., wo er lebte, für einen sehr wunderlichen, aber auch sehr vortrefflichen alten Mann. Das Äusserliche seiner Kleidung und seines Betragens verkündigte auf den ersten Blick die altdeutsche Einfalt seines Charakters. Er ging in ein einfarbiges, aber sehr feines Tuch, grau oder bräunlich, gekleidet; auf dem Kopfe trug er einen kurzen Stutz, oder wenn's galt, eine wohlgepuderte Troddelperücke; mit seinem kleinen Hute kam er zweimal ausser die Mode, und zweimal wieder hinein; die[3] Strümpfe waren mit grosser Zierlichkeit über das Knie hinaufgewickelt; und die stark besohlten Schuhe, auf denen ein Paar sehr kleiner, aber sehr hell polirter Schnallen glänzten, waren vorne stumpf abgeschnitten. Von überflüssiger Leinewand vor dem Busen und über den Händen war er kein Freund; sein grösster Staat war eine feine Halskrause mit Spitzen.

Die Fehler, deren dieser vortreffliche Mann nicht wenig hatte, und die denen welche mit ihm leben mussten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, dass die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der That klüger war, als fast Alle mit denen er zu thun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, dass man ihm selbst seiner Gesinnungen [4] und Handlungen wegen keinen gegründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen Andre ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter; und weil er, bei seiner natürlichen Gutmüthigkeit, über keinen Fehler sich leicht erhitzen, aber auch keinen ungeahndet konnte hingehen lassen, so war er sehr ironisch und spöttisch.

In seiner Casse stand es ausserordentlich gut; denn er hatte die langen lieben Jahre über, da er gehandelt und gewirthschaftet hatte, den einfältigen Grundsatz befolgt: dass man, um wohlhabend zu werden, weniger ausgeben als einnehmen müsse. Da sein Anfang nur klein gewesen, und er sein ganzes Glück sich selbst, seiner eigenen Betriebsamkeit und Wirthlichkeit schuldig war: so hatte er in frühern Jahren sich nur sehr karg beholfen; [5] aber auch nachher, da er schon längst die ersten Zwanzigtausend geschafft hatte, von denen er zu sagen pflegte, dass sie ihm saurer als sein nachheriger ganzer Reichthum geworden, blieb noch immer der ursprüngliche Geist der Sparsamkeit in seinem Hause herrschend: und dieser war der vornehmste Grund von dem immer steigenden Wachsthum seines Vermögens.

Herrn Stark waren von seinen vielen Kindern nur zwei am Leben geblieben: ein Sohn, der sich nach dem Beispiel des Vaters der Handlung gewidmet hatte; und eine Tochter. Letztere war an einen der berühmtesten Ärzte des Orts, Herrn Doctor Herbst, verheiratet: einen Mann, der nicht weniger Geschicklichkeit besass, Leben hervorzubringen, als zu erhalten. Er hatte das ganze Haus [6] voll Kinder; und eben dies machte die Tochter zum Liebling des Alten, der ein grosser Kinderfreund war. Weil der Schwiegersohn unfern der Kirche wohnte, die Herr Stark zu besuchen pflegte: so war es ausgemacht, dass er jeden Sonntag bei dem Schwiegersohn ass; und seine Frömmigkeit hätte zuweilen wohl gern die Kirche versäumt, wenn nur seine Grossvaterliebe den Anblick so werther Enkel und Enkelinnen hätte versäumen können. Es ging ihm immer das Herz auf, wenn ihm der kleine Schwarm, beim Hereintreten ins Haus, mit Jubelgeschrei entgegensprang, sich an seine Hände und Rockschösse hängte, und ihm die kleinen Geschenke abschmeichelte, die er für sie in den Taschen hatte. Unter dem Tischgebete schweiften zuweilen die Augen der Kleinen umher, und er pflegte ihnen [7] dann leise zuzurufen: Andacht! Andacht!; aber der gerade am wenigsten Andacht hatte, war er selbst: denn sein ganzes Herz war, wo seine Augen waren, bei seinen Enkeln.

Mit seinem Sohne war dagegen Herr Stark desto unzufriedener. Auf der einen Seite war er ihm zu verschwenderisch, weil er ihm zu viel Geld verkleidete, verritt, und verfuhr; insbesondere aber, weil er zu viel auf Caffeehäuser und in Spielgesellschaften ging. Auf der andern Seite verdross es Herrn Stark, dass der Sohn als Kaufmann zu wenig Unternehmungsgeist, und als Mensch zu wenig von der Wohlthätigkeit und Grossmuth seines eigenen Charakters hatte. Er hielt ihn für ein Mittelding von einem Geizhalse und einem Verschwender: zwei Eigenschaften, die HerrStark in gleichem [8] Grade verabscheute. Er selbst war der wahre Sparsame, der bei seinem Sammeln und Aufbewahren nicht sowohl das Geld, als vielmehr das viele Gute im Auge hat, das mit Gelde bewirkt werden kann. Wo er keine Absicht fand, da gab er sicherlich keinen Heller; aber wo ihm die Absicht des Opfers werth schien, da gab er mit dem kältesten Blute von der Welt ganze Hunderte hin. Was ihn aber am meisten auf den Sohn verdross, war der Umstand: dass dieser noch in seinem dreissigsten Jahre unverheiratet geblieben war, und dass es allen Anschein hatte, als ob er die Zahl der alten Hagestolzen vermehren würde. Der Vater hatte den Sohn zu keiner Heirat bereden, der Sohn keine Heirat ohne des Vaters Einwilligung schliessen wollen: und beide waren in Geschmack und Denkungsart allzuverschieden, [9] als dass ihre Wahl oder ihr Wunsch je hätte übereinstimmen können.

Herr Stark hatte seine ganze Handlung der Aufsicht des Sohns übergeben, und ihm zur Vergeltung für seine Mühe, einige nicht unwichtige Zweige derselben völlig abgetreten. Nur die Geldgeschäfte, deren er viele und sehr beträchtliche machte, hatte er sich selbst vorbehalten. Indess unterliess er nie, besonders weil er in die kaufmännische Klugheit seines Stellvertreters nicht das meiste Vertrauen setzte, sich um die übrige Handlung, so wie um das ganze Leben des Sohns, zu bekümmern; und da er ohne Unterlass etwas versäumt oder nicht ganz nach seinen Grundsätzen fand, so gab dies zwischen Vater und Sohn zu sehr unangenehmen Auftritten Anlass, die am Ende von beiden Seiten ein wenig bitter und beleidigend wurden.

[10] Man sehe hier zur Probe nur einen der letzten Auftritte, der für die Ruhe und Glückseligkeit der Familie die bedeutendsten Folgen hatte.

2.

[11] II.

Der junge Herr Stark hatte sein Wort gegeben, im öffentlichen Concert zu erscheinen, und sich zu diesem Ende in ein lichtbraunes sammtnes Kleid mit goldgestickter Weste geworfen. Er hatte sich über dem Anziehen ein wenig versäumt, und fuhr jetzt mit grosser Eile in das gemeinschaftliche Arbeitzimmer, wo eben der Alte beim Geldzählen sass. – Friedrich! Friedrich! rief er, indem er die kaum zugeworfene Thüre mit Geräusch wieder aufriss.

Gott sei bei uns! sagte der Alte; was giebts? – und nahm die Brille herunter.

Der Sohn forderte Licht zum Siegeln, warf sich an seinen Schreibtisch, und murmelte dem Alten, seitwärts die Worte [12] zu: Ich habe zu arbeiten – Briefe zu schreiben.

So eilfertig? sagte der Alte. Ich wiederhol' es dir schon so oft: bedächtig arbeiten und anhaltend, hilft weiter, als hitzig arbeiten und ruckweis. – Doch freilich! freilich! Je eher man sich vom Arbeitstisch hilft, desto früher – –

Kömmt man zum Spieltisch, wollte er sagen; aber weil eben Friedrich mit Licht hereintrat, so besann er sich, und verschluckte das Wort.

An wen schreibst du denn da? fing er nach einiger Zeit wieder an.

An Eberhard Born in S**.

Den Sohn?

Der Vater heisst August, nicht Eberhard.

Gut? Meine Empfehlung an ihn! – Ich denke noch oft an die Reise von [13] vorigem Sommer, wo ich ihn kennen lernte. Es ist doch ein vortrefflicher junger Mann.

O ja! murmelte der Sohn in sich hinein. Wer nur auch so wäre!

Ein ordentlicher, arbeitsamer, gesitteter Mann, wie geboren zum Kaufmann. Voll Muths, etwas zu unternehmen, aber nie ohne Bedacht; in seinem Äusserlichen so anständig, so einfach: von Sammt und Stickereien kein Freund, und was ich an ihm ganz vorzüglich schätze – kein Spieler. Ich denke, er soll in seinem Leben noch sein erstes Solo verlieren. – Wenn er ja einmal spielt, so ist es nicht in der Karte, sondern mit seinen Kindern. Er hat so liebenswürdige Kinder! – Ach, und der Alte, sein Vater! Der kann so ganz aus vollem Herzen gegen ihn Vater seyn. Das ist ein glücklicher Mann! – [14] Ich kenne Väter, fuhr er ein wenig leiser fort, die sich an ihm versündigen, die ihn beneiden könnten.

Schreib, oder –! sagte der Sohn, indem er eine Feder nach der andern auf den Tisch stampfte und hinwarf.

Der Alte sah das eine Weile mit an. – Du bist ja ganz ärgerlich, wie es scheint?

Wer's nicht wäre! murmelte der Sohn wieder in sich.

Bin etwa ich daran Ursache? Hab' ich deinen Geschmack nicht getroffen? – Er stand auf, und ging zum Tische des Sohns. – Ich weiss, du bist von Winken und von Anspielungen eben kein Freund, und ich kann ja auch deutlicher reden.

O, es braucht dessen nicht, sagte der Sohn, und schrieb fort.

[15] Der Alte nahm ihm ruhig die Feder aus der Hand, sprützte sie aus, und legte sie hin. – Sieh! fing er dann an: es wird mir von Tage zu Tage immer ärgerlicher, dass ich einen Menschen von so weitläuftigem Kopfe und von so engem Herzen zum Sohn haben muß. Einen Menschen der für seinen Putz, sein Vergnügen, der in L'hombre und Whist ein Ducätchen nach dem andern, oft auch wohl dutzendweise, vertändelt; der nur noch gestern wieder bis in die sinkende Nacht gespielt hat, und der, wenn er eine grossmüthige Handlung thun sollte, vielleicht keines Thalers Herr wäre; – einen Menschen, der ewig ledig bleibt, weil keine Partie ihm reich genug ist, und der doch immer übrig hat, zu fahren, zu reiten, den Cavalier zu machen, Sammt und Stickereien zu tragen. – Ich muss wohl nicht [16] Unrecht haben, fuhr er nach einigem Stillschweigen fort; denn du kannst mir nicht antworten.

O, ich könnte, sagte der Sohn, indem er mit Hitze aufstand; aber – –

So sprich! Was verhinderte dich?

Bei Gott! ich bin es müde, so fortzuleben. –

Dass ich das hoffen dürfte!

Ich bin nun, denk' ich, ein Mann, und kein Kind mehr. Warum wird mir denn noch immer begegnet, wie einem Kinde?

Sohn! Sohn! Es giebt alte Kinder.

Ich bin aufmerksam; ich versäume nichts, was zu thun ist: ich setze nie die Achtung und die Ehrerbietung gegen Sie aus den Augen –

Nur den Gehorsam ein wenig.

Ich verwalte das Ihrige mit Redlichkeit [17] und mit Treue: und doch – doch kann ich keine Stunde in Ruhe leben; doch wird mir durch Vorwürfe ohne Ende jeder Augenblick meines Daseins verkümmert; doch wird mir jede Zerstreuung, jedes elende Vergnügen gemissgönnt.

Du sprichst sehr hart, aber sehr wahr. Jedes elende Vergnügen!

Elend – weil es mir nichts, oder eine Wenigkeit kostet. Was hab' ich denn verloren, wenn ich verlor?

Das Kostbarste, was wir haben: die Zeit.

Und soll ich denn gar keinen Genuss meiner Jugend haben? Soll ich immer so fortarbeiten, wie Sie; mich eben so tragen, eben so einschränken, wie Sie? eben so – –

Nun, was stockst du? Sprich aus!

[18] Eben so – bei Thalern zusammensparen, um bei Hunderten wegzuwerfen?

Wegzuwerfen! sagte der Alte, dem nichts in der Welt so unerträglich schien, als dass Kinder ihre Eltern über den freien Gebrauch eines selbsterworbenen Vermögens richten sollten. – Dacht' ich es doch, dass der junge Mensch noch würde mein Vormund werden! Wegzuwerfen? Was verstehst du darunter? Was heisst bei dir wegwerfen? Sprich! – Er ging ihm nach, und hielt ihn etwas unsanft am Arme. – Seinen Beutel für jeden ehrlichen Mann offen halten, der Beistand braucht; etwa das?

Ehrlich! sagte der Sohn mit ziemlich gesunkener Stimme. Wenn sie es alle wären!

O, ich bin noch wenig betrogen. Ich fasse meinen Mann erst ins Gesicht, ehe [19] ich gebe. Und was nennst du denn wegwerfen? Sprich!

Sie borgen Allen – ohne das Geringste davon zu haben.

Thor! Ohne das Geringste davon zu haben? – Er zog die Hand von seinem Arme, und gab ihm einen Blick voll Verachtung. – Ich habe das davon, zu sehn, dass es meinem Mitmenschen wohl geht. Rechnest du das für nichts? – Und wenn sie mich einst die lange Strasse hinabtragen, und ich hier Alles dahintenlasse; so hoff' ich, es soll da Mancher mit Thränen in seinen Augen sprechen: »Schade um den rechtschaffenen Mann! Ich hab' ihm mit Weib und Kindern meinen ganzen Wohlstand zu danken. Ich war in Noth und kam zu ihm; da half er mir auf, und ich konnte bei Ehren bleiben.« – Bei dir hingegen. – – Doch was stehe [20] ich da und predige in den Wind? Dein Kopf hat einmal seine eigene Philosophie, und wollte Gott, dass es eine gescheidtere wäre! – Nur immer wieder an deine Arbeit! Schreib! Schreib!

3.

[21] III.

Herr Stark setzte sich wieder ruhig an seinen Tisch, und achtete wenig darauf, dass der Sohn eine geraume Zeit mit grossen, heftigen Schritten umherging. Er hatte den Grundsatz, dass man einem geschlagnen, weinenden Kinde Zeit lassen müsse, um auszuschnucken, und dass es unvernünftig sei, von einer aufgeregten Leidenschaft augenblickliche Stille und Ruhe zu fordern. Der Kampf im Herzen des Sohnes würde sich auch wahrscheinlich, wie schon so oft, zum Vortheil der kindlichen Liebe und Ehrerbietung entschieden, und Alles würde seine vorige Gestalt angenommen haben: wenn nicht unglücklicher Weise ein Mensch hereingetreten wäre, der dem jungen Herrn Stark [22] aus mehr als einer Ursache verhasst war. Es war ein gewisser Herr Specht, einer der kleinen Anfänger, die auf die Güte des alten Herrn bei jeder Gelegenheit Anspruch machten, und die für die Wünsche des Sohns nur allzuoft darin glücklich waren. Dieser hier hatte den Vorzug vor allen Übrigen; denn er war Pathe und Gevatter zugleich: Verhältnisse, die dem Herrn Stark, nach alter Sitte, noch sehr wichtig und ehrwürdig schienen. Was aber den Sohn besonders gegen ihn aufbrachte, war der aus gewissen aufgefangenen Reden geschöpfte Verdacht, als ob Herr Specht eine junge liebenswürdige Witwe, Madam Lyk, die bei dem Sohne sehr viel und bei dem Vater sehr wenig galt, bei letzterm angeschwärzt, und ihm Veranlassung zu allen den bittern Glossen gegeben hätte, womit er dann und wann über sie herzufahren pflegte.

[23] Ei! sagte nach seiner gewöhnlichen gleissnerischen Art der Herr Specht, indem er gerade beim Hereintreten zu seinem grossen Verdruss auf den Sohn stiess, der noch immer umherging: – Ei mein werthster HerrStark! Gleich hier an der Schwelle bin ich so glücklich – –?

Seine tiefen Verbeugungen und seine süssen Mienen hatten dem Sohne noch nie so fade und unausstehlich geschienen, als jetzt. – Was giebts? Was solls? fuhr er den ganz erstaunten und erschrocknen Besuch ein wenig unartig an.

Himmel! sagte Herr Specht, und griff wieder nach dem Drücker der Thüre; ich hoffe doch nicht, dass ich ungelegen komme? dass ich Störung verursache?

Es wäre möglich. Die Zeit ist edel, mein Herr. –.

Ja wohl! ja wohl! Schon bei unser [24] einem; und erst vollends bei Ihnen! bei einem Manne, der solche Geschäfte macht, solch ein Werk führt! – Wahrlich, ich begreife oft nicht – –

Was es giebt? Was Sie wollen? Hab' ich gefragt. – Borgen etwa? noch ehe die alte Schuld ganz getilgt ist? – Oder wieder Nachrichten von der Witwe, Ihrer Nachbarinn, bringen? – Da! Wenden Sie Sich an meinen Vater, und nicht an mich! –

Indem noch Herr Specht mit den Augen in allen Winkeln war, und nicht wusste, ob er gehen oder bleiben, ob er schweigen oder antworten sollte, drehte der alte Herr Stark, dem nachgerade das Gehör ein wenig schwach ward, und der nicht wusste, ob er etwas und was er hörte, sich auf seinem Stuhle herum, und half ihm durch ein freundliches Willkommen! [25] von seiner Herzensangst. – Der Sohn warf sich wieder an seinen Tisch, um weiter zu schreiben.

Nun? Und was steht denn zu Diensten? sagte HerrStark, nach mehrern unbedeutenden Fragen; – denn umsonst pflegt Er nicht zu kommen, mein lieber Pathe.

Ich – ich wollte so frei seyn, stotterte dieser, indem er schielende, misstrauische Blicke nach dem Sohn zurückwarf – ich habe, diese Tage über, Gelegenheiten gefunden – so allerhand kleine Gelegenheiten – –

Das versteh' ich ja nicht. Was für Gelegenheiten?

Ich meine: einen vortheilhaften Handel zu schliessen, mir einen kleinen Gewinn zu verschaffen –

Ja so! – das ist mir lieb; das ist [26] schön. – Immer zugegriffen, mein lieber Specht!

Aber – wie's denn bei Anfängern geht – die Beutel sind so eng und so flach. So wie man hineingreift, hat man auch auf den Boden gegriffen. – Dies war, beiläufig zu sagen, einer der eigenen Einfälle des HerrnStark, die Herr Specht sich sorgfältig zu merken und gelegentlich bei ihm selbst, mit immer gutem Erfolg, wieder anzubringen pflegte. – Und da wollt' ich denn also – wenn's ohne Beschwerde geschehen könnte – –

Frischen Vorrath holen. Nicht wahr? – Nur heraus mit der Sprache!

Herr Specht lächelte, und schlug den Alten mehrmalen hinter einander, mit den äussersten Fingerspitzen, sanft und schmeichlerisch auf die Schulter. – Sie sind doch ein vortrefflicher Mann, liebster Herr Pathe – [27] Ja, ja! Weil ich ein so guter Prophet bin. – Aber was war's denn, das Er vorhin mit meinem Sohne absprach? Hat Er Sich dem schon entdeckt?

Ich wollte. – Ich hatte die Absicht; aber – der junge Herr –

Wird vermuthlich bedauert haben? wird sich ausser Stande gesehen haben, zu dienen?

So schien's beinahe. –

Es kann Ernst damit seyn. – Die Zeiten sind sich nicht immer gleich, und ich denke, es mag ihm jetzt selber fehlen.

Hehehe! – liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch manchmal zu spassen wissen!

Zu spassen? sagte der Alte, und wies nach dem andern Tisch auf die reichgestickte Weste hinüber. – Sieht Er denn nicht, dass mein Sohn sein Gold hat verarbeiten lassen? – Ein jeder freilich nach [28] seinem Geschmack! Der Eine hält's mit einer vollen, der Andre mit einer flimmernden Tasche.

Dieses Wort, in keiner ganz üblen Laune und mit einem ziemlich gutmüthigen Tone gesagt – denn Herr Stark war wohl Spötter, aber kein hämischer; und wenn er im Verdrusse erst wieder witzig ward, so war das immer ein Zeichen seiner schon wiederkehrenden Ruhe – dieses Wort folgte auf zu bittre, zu ernstliche Vorwürfe, und ward in Gegenwart eines zu gehassten, zu verachteten Menschen gesprochen, als dass es auf das Herz des Sohns nicht eine sehr unglückliche Wirkung hätte thun sollen. Er sprang mit Ungestüm auf, murmelte heftige unverständliche Worte zwischen den Zähnen, und warf die Thüre.

4.

[29] IV.

Mein Gott! sagte Herr Specht, dem vor Schrecken beide Arme am Leibe niedersanken: der junge Herr war ganz erhitzt, ganz ergrimmt. Ich will doch nicht hoffen, dass meine Gegenwart –

Nicht doch! tröstete ihn der Alte, den seine Übereilung schon innerlich zu gereuen anfing: es ist nur seine Art so; er machts nicht anders. – Dann gab er Herrn Specht die benöthigte Summe, mit hinzugefügter Warnung, dass er sein Geld nicht verstecken, sich nicht in mehr oder in grössere Geschäfte verwickeln sollte, als die er verstände, und übersehen könnte. – Übrigens, sagte er, wünschte ich, um Lebens- und Sterbenswillen, eine kleine Verschreibung. Er kann sie mir diesen Nachmittag bringen.

[30] Gewiss! gewiss! sagte Herr Specht; und klopfte ihm wieder, wie zuvor, mit leichter schmeichelnder Hand, auf die Schulter. – Ich dacht' es doch gleich, liebster Herr Pathe, dass mir von Ihnen würde geholfen werden. Auch meine Frau sagte: Geh immer! So ein Mann, sagte sie, wie der Herr Stark ist, lebt auf der Welt nicht weiter. – Nun, guten Morgen! guten Morgen!

Er hätte ein Vieles darum gegeben, wenn er das unglückliche Wort von der Frau hätte zurückholen können: aber es war heraus, und mit dem Forteilen wollt' es nicht glücken. Herr Stark winkte ihm wieder umzukehren, und drohte ihm, nicht ohne Ernst, mit dem Finger. – Weil Er doch Selbst von ihr anfängt, mein lieber Specht, und weil ich's bisher immer vergessen habe; – sag' Er mir [31] einmal recht aufrichtig: wär' Er nicht ein wenig verliebt in die Frau?

Je nun, stotterte dieser – ein junger Ehemann – freilich –

Der selige Lyk, denk' ich, war's auch. Und nun, die Witwe – die ihm das Seinige vertändelte, verputzte, vertanzte, verschmaus'te – Er weiss ja wohl besser, als ich's Ihm sagen kann, was dort für Umstände sind. Gar nicht mehr so glänzende, als vordem. – Nehm' Er Sich also in Acht, lieber Specht! Sei Er auf Seiner Hut!

Aber wie so, bester Herr Pathe? wie so? – Meine Frau – –

Ist mir gar sehr nach der Mode. Alles was nur aufkömmt, das macht sie mit. Und darum stell' ich mir vor – weil Er doch nur ein Anfänger ist, und weil ich Ihn doch sonst als guten Haushälter [32] kenne – ich stelle mir vor: Er hat so eine gewisse schwache Seite, und die junge Frau hat die ausgekundschaftet. – Hab' ich's getroffen?

Liebster, bester Herr Pathe – –

Man gesteht das nicht gern. Schon gut! – Aber ich bitt' Ihn, als Freund, lieber Specht! nehm' Er Sich in Acht! Sei Er ein Mann! – Bei einer schlechten Wirthinn, geht der beste Wirth von der Welt zu Grunde; da ist kein Haltens. Er füllt da in ein löcheriges Sieb: und wenn Er Sich auch zu Schanden füllte; Er bringt in Ewigkeit nichts hinein. – Ich weiss zwar wohl, fuhr er nach einem Weilchen mit Schmunzeln fort, wie's die Weiber zu machen pflegen –

Ja freilich, freilich, seufzte hier Specht, und fuhr sich mit dem Finger hinter die Ohren. Da steckt's!

[33] Wie sie den jungen Mann in die Enge treiben; Launen haben, Zufälle haben, Beklemmungen und Ohnmachten haben – Gott weiss, was Alles? –, und wie dann auf einmal wieder das Wetterglas steigt und heitre Sommerluft wird; wie sie da schmeicheln, liebkosen, tändeln, und dann so unversehens, als wenn ihnen nichts drum wäre, damit herausrücken: die da, die trägt dies und trägt das; die geht hier hin und dort hin; die macht dies mit und das mit: – die Närrinn! – Unser eine ist doch eben, was sie ist. –

Nun wahrhaftig! rief Specht, dem über die gute Laune des Alten das Herz wieder ganz leicht ward: Es ist, als ob Sie hätten dabei gestanden.

Und wenn sie dann den guten Tropf in der Schlinge haben: wie sie da küssen, liebäugeln, herzen –[34] Ganz, wie sie's zu machen pflegen! – indem er die grösste Verwunderung vorgab – ganz nach der Natur! Zug vor Zug!

Ei, ich weiss das. Ich bin ja alle die Schulen durchgegangen. – Aber zum Henker, Pathe! Der Mann muss Mann seyn; er muss ein Herz von Stahl und von Eisen haben. – Immer, liebreich, nie verliebt: ist die Regel. – Und was verliert man denn nun, wenn man sich darnach hält? Man gewinnt! Denn wer der Frau nachgiebt, der hat nur dann und wann gute Tage; wer sein Ansehen behauptet, der hat sie immer. – Oder meint Er etwa, dass die junge Frau des Mannes nicht eben so bedürftig ist, als der junge Mann ihrer? – Possen, Possen, mein lieber Specht! Eben so bedürftig; und unter uns: oft wohl mehr!

[35] Nun wart! – sagte dieser, indem er hinter sich sah, und die strengste Miene zog, die in sein flaches Gesicht nur hineinwollte – an das Gespräch will ich denken. Ich will dich mir künftig anders ziehen.

Aber mit Art, versteht sich. Mit Art!

Ei freilich! die Art ist die Hauptsache. Die muss nicht vergessen werden. – Und nun wandt' er Geschäfte vor, die ihn eiligst nach Hause riefen, und ging. Des festen Vorsatzes vermuthlich, nichts zu wagen was ihn vielleicht gereuen, und nichts anzufangen was er vielleicht nicht durchsetzen mögte.

5.

[36] V.

Während Herr Stark über seinen Streifzug gegen das schöne Geschlecht aller Sorgen vergass, ging der Sohn, voll der äussersten Erbitterung, auf seinem Zimmer umher. – So mich zu misshandeln, rief er: seinen einzigen leiblichen Sohn; und das in Gegenwart eines so verächtlichen, eines so nichtswürdigen Menschen!

Eines so unbedeutenden, armen Wichts! hätte er sagen können: der sich mit Bücklingen und Schmeicheleien durch's Leben windet, und der übrigens noch eine ganz gute, ehrliche Haut ist. –

Mich der Verachtung, dem Spott, dem bittersten Hohngelächter Preis zu geben; und das auf eine so hämische, so gesuchte, so recht ausgekünstelte Art!

[37] Auf eine freilich ärgerliche, aber dem Alten nun einmal gewöhnliche, und hier von selbst sich darbietende Art, wobei doch, wie sonst immer, der Ehre und des guten Namens geschont ward. –

Mir in dem Augenblicke, wo ich mich hinsetze und für ihn arbeite, so grundlose, so aus der Luft gegriffne, so abscheuliche Vorwürfe zu machen!

Grundlos nun in der That, wenigstens was Spiel und was Nachtschwärmen betraf; aber darum nicht aus der Luft gegriffen: denn unmöglich konnte der Vater von den jetzigen geheimen Gängen des Sohns anders, als nach Ähnlichkeit der ehemaligen, urtheilen; und so waren sie, in seinen Gedanken, noch immer auf die Caffeehäuser und zum Spieltisch gerichtet. – Dass jetzt wirklich die müssigen Augenblicke des Sohns, und mitunter [38] auch halbe Nächte; zu sehr lobenswürdigen, sehr edlen Handlungen verwandt wurden: das war niemanden weniger, als dem Vater, bekannt; und diese lobenswürdigen, edlen Handlungen hatten auch so ein gewisses Aber, dass sie der Sohn für keinen Preis dem Alten hätte wollen bekannt werden lassen. –

Doch zu Bemerkungen, die den Vater hätten entschuldigen oder gar rechtfertigen können, war füritzt der Sohn nicht gestimmt: er sprach vielmehr sich selbst durch die heftigsten, überspanntesten Ausdrücke immer tiefer in den Verdruss hinein; und endigte zuletzt mit dem Entschluss, seine Lage auf einmal und so ganz zu verändern, dass er schlechterdings ausser aller Verbindung mit dem Vater hinausträte, nicht bloss das väterliche Haus, sondern auch die väterliche Stadt verliesse, [39] und an einem ganz fremden Orte mit dem Wenigen, was er vor sich gebracht hatte, ein eigenes Haus errichtete. Die Vernunft selbst, glaubte er, billigte nicht nur, sondern beföhle diesen Entschluss; denn seine vollen dreissig Jahre hatt' er bereits verlebt, und zwar in so herznagendem Kummer, in so tödtenden Ärgernissen und Sorgen, dass die zweiten dreissig zu hoffen Thorheit war: und warum er, eines wunderlichen, grillenhaften, unverbesserlichen Vaters wegen, mehr als die erste, schönste Hälfte seines Lebens aufopfern sollte, das konnt' er nicht einsehn. Sein Herz sprach dagegen zu laut, und im Gesetz fand er's nirgend geschrieben.

In der That war diese Trennung vom Vater kein neuer, sondern ein schon oft gehegter, und selbst bis zum vollständigsten [40] Entwurf durchdachter Einfall, bei welchem das Wie? und Wohin? und durch was für Mittel? schon längst beantwortet, und nur das Wann? noch unentschieden geblieben war. Immer war indess dieser Einfall mit dem Zorne, der ihn erzeugt, und mit dem Grolle, der ihn genährt hatte, wieder verschwunden. Wenn er sich jetzt in dem höchsterbitterten Gemüthe des jungen Mannes fester setzte als je, und im kurzen zum entschiednen, unwiederruflichen Vorsatze ward; so hatte das einen noch ganz andern Grund, als die Launen des Vaters: aber einen Grund, womit Herr Stark sich so äusserst geheim hielt, dass er ihn kaum sich selbst zu gestehen wagte. Von jeher war es sein Lieblingsentwurf gewesen, sich mit einer der reichsten und glänzendsten Partieen der Stadt zu verbinden: jetzt auf einmal [41] spielte die Liebe ihm den muthwilligen, hämischen Streich, dass sie ihn mit allen seinen Neigungen zu einer Person hinriss, die von den Vorzügen, welche sonst Liebe entschuldigen, auch nicht einen befass. Weder war sie von besonderer Schönheit des Gesichts oder des Wuchses, noch stand sie in der ersten Blüthe der Jugend, noch zeichnete sie sich durch grosse, schimmernde Geistestalente aus, die auch ohnehin, an Herrn Stark keinen gar eifrigen Bewunderer mögten gefunden haben. Güter hatte diese Person vollends nur wenig, ausser solchen, die es eigentlich bloss für den ersten Besitzer sind, und die auf Andre als Güter nie so recht übergehen können: ein Paar liebenswürdige Kinder. Kurz, es war eben die Madam Lyk, wegen deren Herr Specht so verhasst war, und über die wir den [42] Vater so strenge haben kunstrichtern hören.

Es ist bekannt, dass man in lebhaften Träumen zuweilen sich selbst fragt: ob man denn wache oder nur träume? und dass die Antwort immer das Gegentheil des wirklichen Zustandes auszusagen pflegt: man wache. Herr Stark hatte mehrmalen, wenn er der Madam Lyk in sehr zärtlichen Empfindungen gegenüber sass, sich ganz ernstlich befragt: ob er noch frei oder verliebt sei? und immer war noch die Antwort gefallen: frei. Gleichwohl war ihm bei dieser Freiheit nicht so ganz wohl zu Muthe; denn auf den zwar undenkbaren, aber doch an sich nicht unmöglichen, und nur zum Scherz, so angenommenen Fall, dass er irre, konnte er alle die bittrern Höhnereien vorausdenken, womit ihn zu Hause der [43] Vater, und ausser dem Hause die vielen Familien verfolgen würden, die mit der beschwerlichen Waare ihrer erwachsenen Töchter auf einen so reichen Erben und zugleich so schönen, blühenden Mann, als Herr Stark, trotz allen vom Vater erlittenen Drangsalen, noch immer war, etwa ein Auge haben mögten. Das Beste wäre auf diesen Fall gewesen, Madam Lyk nicht weiter zu sehen; aber dieses ging, solange man mit ihr an Einem Orte lebte, aus hundert Gründen nicht an: und so ward denn jenes erkannte, oder vielmehr nur ganz undeutlich empfundene Beste dahin näher bestimmt, dass man sich von diesem Orte, je eher je lieber, müsste loszureissen suchen. – Doch, wie gesagt, mit diesem stärkern, eigentlich entscheidenden Bewegungsgrunde kam es zu keinem rechten Bewusstseyn; Herr Stark [44] hätte Leib und Leben darauf verschworen, dass es bloss der wunderliche, unausstehliche Alte sei, der seinen verdienstvollen, einzigen Sohn, welcher so lange Jahre für ihn und die Familie gearbeitet hatte, in die weite Welt jagte. Wie gut sein Herz seyn müsse, erkannt' er hiebei aus dem Kummer, womit er an den üblen Ruf und an die ausserordentliche Verlegenheit dachte, in die der Alte unausbleiblich gerathen müsste; aber einmal wollt' es dieser nicht anders haben, und der Sohn konnte nicht helfen.

6.

[45] VI.

Der Einzige in der Familie, der von dem Herzenszustande des jungen Herrn Stark zwar nicht völlige Kenntniss, aber doch ziemlich wahrscheinliche Spuren hatte, war der Schwager, Herr Doctor Herbst. Er hatte dem seligen Lyk, als Hausarzt, in seiner letzten Krankheit gedient; er wusste, dass wegen Handlungsverdriesslichkeiten grosse Feindschaft zwischen ihm und Herrn Stark dem Sohne geherrscht hatte, und er selbst war Vermittler bei der sehr rührenden Aussöhnung gewesen, die vor dem Tode des erstern vorhergegangen war. Bei dieser Aussöhnung, hatte HerrStark dem Sterbenden in die Hand versprochen, dass er, auf den Fall seines Hintritts, die Witwe mit Rath und That [46] unterstützen, und besonders die Handlungsangelegenheiten, von denen Herr Lyk gestand dass sie in nicht geringer Unordnung wären, möglichst aufs Reine bringen wollte. Dieses edelmüthige Versprechen hatte Herr Stark mit dem grössten Eifer erfüllt: er hatte ganze Monate hindurch jeden Augenblick, den er eigenen Arbeiten hatte absparen können, den Angelegenheiten der Witwe gewidmet; und schon mehrmalen hatte der Doctor, wenn er der sehr kränklich gewordenen Frau noch spät Abends einen Besuch gab, ihn in voller, eifriger Arbeit über ihren Büchern getroffen. Er hatte bei dieser Gelegenheit bemerkt, dass die wirklich grossen und liebenswürdigen Tugenden, welche Madam Lyk in ihrer jetzigen traurigen Lage so viel Anlässe zu entwickeln fand, und welchen er selbst volle Gerechtigkeit [47] wiederfahren liess, das Herz des Schwagers nicht ungerührt mögten gelassen haben. Besonders war ihm die Verwirrung und der rasche Unwille aufgefallen, womit einst Herr Stark eine ganz unschuldige, mehr im Scherz so hingeworfene Warnung, sich nicht zu verlieben, aufgenommen hatte; auch hatte er viel Licht aus der gleich darauf folgenden dringenden Bitte geschöpft, dass er doch, um's Himmels willen, von dem ganzen Umgange mit Madam Lyk, in den er ja selbst ihn hineingezogen, der Familie, und besonders dem Vater, kein Wort verrathen mögte.

Indessen, so gewiss, nach der Semiotik des Doctors, dieses Zusammentreffen von Diensteifer, Blödigkeit, und Geheimthun auf Liebe hindeutete; so glaubte er's mit dieser Liebe doch keinesweges so[48] weit gediehen, dass er sie in irgend einiger Verbindung mit dem Entschluss hätte denken sollen, den ihm jetzt der junge Mann zu seinem grössten Missfallen kund that. Herr Stark verlangte auch über diesen Entschluss das Geheimniss; aber dieses schlug der Doctor ihm förmlich ab: er versicherte sich vielmehr sogleich des lebhaftesten Beistandes der Frau mit der Schwiegermutter, um den jungen Mann von einem so raschen und für die ganze Familie so höchst nachtheiligen Schritte zurückzuhalten. Dass es mit diesem Schritte voller Ernst sei: daran konnt' er nach Allem was er sah und hörte, und besonders nach den Briefen, die man ihm vorgezeigt hatte, nicht zweifeln.

Alle Mühe, die man nunmehro vereinigt anwandte, um Herrn Stark zu besänftigen und ihn von seinem Vorsatze [49] abzuziehen, war rein verloren. Den Gründen des Schwagers setzte er andere Gründe, den Bitten und Thränen der Mutter die feurigsten Betheurungen der Liebe und des Gehorsams, mit Ausnahme dieses einzigen Puncts, und den abwechselnden Liebkosungen und Spöttereien der Schwester Unempfindlichkeit und Unart entgegen. Man bemerkte, dass, je mehr man ihn zu beugen und zu erweichen suchte, desto steifer und hartnäckiger er auf seiner Meinung bestand; und so ward denn, in einer geheimen Familiensitzung zwischen Mutter Schwiegersohn und Tochter beschlossen, dass man einen ganz andern Weg einschlagen, und da mit dem Sohne nichts auszurichten sei, sein Heil mit dem Vater versuchen wolle. Man hielt sich versichert, dass auf das erste freundliche Zureden des Vaters, der Sohn mit [50] Freuden einen Entschluss würde fahren lassen, wobei er selbst am ersten und am meisten verlieren müsste; auch war man ganz darin einig, dass der hofmeisternde Ton und die spöttelnde Laune des Alten zuweilen ins Unerträgliche fielen; dass ein Sohn in männlichen Jahren anders, als im Knaben- und Jünglingsalter müsste behandelt werden; und dass jeder Mensch seine ihm eigene Sinnesart habe, die man wohl in gewissen zufälligen Äusserungen leiten, aber nie im Ganzen und im Wesentlichen umschaffen könne. Der Alte selbst, hoffte man, würde, nach seiner sonstigen Billigkeit und Vernunft, sich hievon leicht überzeugen lassen.

Doch, was die Leichtigkeit des Überzeugens betraf, so gerieth man bald wieder in Zweifel. HerrStark hatte der Proben von Steifheit und Unbiegsamkeit des [51] Charakters zu viele gegeben; und man ward daher einig, den Angriff auf ihn ja nicht übereilt und tumultuarisch, sondern behutsam und methodisch zu machen. Die Beobachtungen, nach welchen man den Plan verabredete, waren folgende. Der Alte hegte von dem Verstande und der gesunden Beurtheilung des Doctors sehr vortheilhafte Begriffe; der Doctor demnach sollte zuerst erscheinen, ihm die Entschliessung des Sohns eröffnen, und ihn von der Nothwendigkeit sowohl als Billigkeit, sein Betragen zu ändern, mit Ehrerbietung, aber auch mit Nachdruck, belehren. – Das Wort der Mutter war in Familienangelegenheiten immer von grösstem Gewicht gewesen, und schon oft, obzwar nie in einem so kitzlichen Falle, war ihren dringenden Vorstellungen, wenn auch mit einigem Kopfschütteln, nachgegeben [52] worden; die Mutter also sollte nach dem Doctor hereintreten, und wenn die Vernunft des Alten schon wankte, den Widerstand seines Herzens durch Bitten, und allenfalls auch durch Thränen, zu brechen suchen. – Von der Tochter wusste man, dass sie mit ihren Schmeicheleien und Einfällen eine wunderbare Gewalt über den Vater hatte, und dass sie, wegen grosser Ubereinstimmung ihrer eigenen Gemüthsart mit der seinigen, sich in allen Krümmungen und Wendungen seiner Laune geschickt ihm nachzuschmiegen, und ihn fast immer zu ihrer Absicht herumzuholen wusste; die Tochter also sollte zuletzt erscheinen, und dem durch Mann und Mutter schon ganz erschöpften und abgematteten Eigensinne des Alten den letzten Gnadenstreich geben.

Bei diesem ganzen schönen Entwurfe, [53] äusserte bloss die Mutter noch etwas Furcht; der Doctor hielt sich, unter göttlichem Beistande, guten Erfolgs versichert; und die Tochter vollends vermass sich mit grosser Freudigkeit, dass keine – wenn nur erlaubte und ehrliche – Sache in der Welt seyn müsste, wozu sie ihren lieben, alten, seelenguten Vater nicht hinschmeicheln oder hinbitten wollte. Doch säumen, meinte sie, müsse man nicht mit dem Angriff: denn der Bruder mache schon allerlei bedenkliche Anstalten, die auf eine nahe Abreise zielten; auch sei nur eben der jährliche Abschluss der Handlungsbücher geendigt, und dieser Zeitpunct müsse dem Sohn zur Trennung vom Vater nothwendig der schicklichste dünken. Das Scharfsinnige dieser Bemerkung, die den beiden andern entwischt war, wurde erkannt und gelobt: ihr zufolge [54] ward nun einmüthig festgesetzt, dass man gleich den andern Morgen sich frisch an das Werk machen wollte.

7.

[55] VII.

Es war ein Capital zahlbar, und Herr Stark sass vor einem Tische voll Sächsischer, Brandenburgischer, Hannöverischer und Braunschweigischer Neuer Zweidrittelstücke. Er zählte, da der Doctor hereintrat, das angefangene Häufchen von funfzehn Stück geschwind zu Ende, und hiess ihn dann mit frohem Herzen willkommen. Seine erste Frage war nach ihm selbst, und gleich die zweite war nach den Kleinen.

Die sitzen zu Hause über den Büchern, sagte der Doctor.

Bravo! bravo! die fangen früh an; die werden schon vorwärts kommen. – Und ist denn wirklich Trieb da? ist Kopf da?

So viel ich jetzt noch beurtheilen [56] kann: beides. Ich bin zufrieden mit meinen Kindern.

Ich auch. Ich auch. – Ha, wenn ich die guten Kleinen nicht hätte! Wär' ich nicht da ein armer Mann mit alle dem Bettel? – indem er die Hand verächtlich gegen den Tisch warf. – Für wen in der Welt hätt' ich gesammelt? gearbeitet? Denn mein Sohn da, der Freigeist – –

Eben von dem, bester Vater, mögt' ich mit Ihnen reden.

Sehr gerne. Nun?

Nur müssen Sie auch Geduld haben, mich anzuhören.

Ich habe. – Zeit und Geduld; alles beides.

Sie sind so eingenommen gegen den Sohn. Sie werfen die Schuld seiner Fehler immer auf ihn allein. – Sollt' es nicht vielleicht einen Andern geben, der mit ihm theilte?

[57] Einen Andern? Der mögte mir schwer zu errathen werden. Der ist –?

Ein sonst guter, billiger, vortrefflicher Mann. – Denn um nur Eins zu erwähnen, und eben das was Sie doch am meisten auf ihn verdreusst: Ist's so ganz seine eigene Schuld, wenn er noch ledig blieb?

Nun? ist es denn meine?

Ein wenig, dächt' ich.

O ja! Oder wenn's um und um kömmt, wohl ganz. – Freilich, so ein Weib, wie man sie jetzt täglich zu seinem Ärger herumflattern sieht; – ein Weib mit Tausenden, das ihm Tausende durchgebracht hätte, das keinen Ball, keine Redoute versäumt, Triset und Liebesintriguen gespielt, weder Mann noch Kinder geachtet hätte; kurz, Herr Sohn – so ein Weib, wie sie die neueste Modeerziehung ausbrütet, und womit er am Ende wohl gar [58] – mir wird übel und wehe – zu Schimpf und Spott der ganzen Familie, vor's Geistliche Gericht hätte laufen müssen: so eins hätt' er wohl gerne gehabt, von Herzen gerne! Und konnt' ich das zugeben? konnt' ichs recht sprechen, dass er mit sichtlichen Augen in sein Verderben rennte? – Wenn ich zu ihm sagte: Sieh, Sohn! da ist ein hübsches, stilles, sittsames Mädchen, braver, ehrlicher Eltern Kind; – das wird zwar nur wenig haben, wird vielleicht nichts haben; aber es ist in Gottesfurcht und in Einfalt erzogen: – nimm's! und es wird dankbar gegen dich seyn; es wird dich lieben, wird deine Kinder lieben, wird sie erziehen, dass Gott und Menschen an ihnen Freude haben; wird dir mehr Tausende ersparen, als dir jenes zubringt: konnt' ich da durchdringen? – Stand er da nicht vor mir– [59] mit einem Gesichte, mit einer Unterlippe – so hangend! so albern!

Sie haben freilich Recht – völlig Recht –

Nun dann!

Aber wenn Sie's auch sonst in Allem, wenn Sie's in jeder erdenklichen Absicht hätten: – in einer einzigen, weiss ich doch nicht, ob Sie's haben? – Er sagte dies mit einem sehr bescheidnen, beinahe furchtsamen Tone.

Die mögt' ich doch näher kennen. Die ist –?

Ihre ganze Art, wie Sie Sich mit ihm nehmen. Ihr Ton, worin Sie von früh bis in die Nacht mit ihm reden.

Hm! Aber ich bin nicht unbedeutsam; ich nehme Lehre an. – Wie soll er gestimmt seyn, mein Ton?

Liebreicher, freundlicher, – väterlicher, wenn ich das sagen darf.

[60] Und ist er denn rauh? Ist er stürmisch?

Wenn er das lieber wäre! – Dann und wann ein wenig Jähzorn, Unfreundlichkeit, Eigenwillen: wer verzeiht das nicht gern einem Vater, und einem so guten Vater?

Verzeiht das! – Drollicht!

Nur dann wieder Güte, Offenheit, Liebe, Vertrauen! – Aber Ihr schneidender, Ihr empfindlicher Ton – – Hier rückte der Alte am Stutz; und der Doctor fand für gut, etwas lindernde Mittel hinzuzusetzen – – Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht, so zu reden; ich sag' es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht – – Ihre ewig fortgesetzten Spöttereien und Anspielungen, die, gleich kleinen Schlägen, jeder an sich nur sanft sind, aber,[61] zu schnell hinter einander und immer denselben Fleck treffend, zuletzt unerträglich werden; – kurz, Ihr Necken; Ihre witzigen Ausfälle – –

Genug! sagte der Alte: genug! Dagegen lässt sich nichts aufbringen. Sie haben Recht.

Und dürft' ich denn also hoffen –?

Was? – was? – indem er ihn mit ein Paar grossen und stieren Augen ansah, die den Doctor ganz irre machten: dass ich in meinen Jahren mich ändern; dass ein alter, verwachsener, knotiger Stamm sich nun noch biegen und ziehen sollte? – Das ist unmöglich, Herr Doctor, unmöglich!

Nun ward der Doctor, der es so gut gemeint hatte, auch an seiner Seite verdriesslich. – Sie verfallen schon wieder in Ihren Ton. – [62] Schon wieder? Und das mit Ihnen, mit dem ich doch sonst eben nicht witzle? – Er sagte das Wörtchen: witzeln, mit einem ganz eigenen Nachdruck. – Nun, Sie sehn dann wohl Selbst: es ist unmöglich, unmöglich! – Gleichwohl – habe ich Mitleiden mit meinem Sohn; und ich komme da eben auf einen Gedanken – auf einen, glaub' ich, guten Gedanken – den aber nur Sie würden ausführen können.

Nur ich? –

Sie haben mir so eben Ihre grosse Gabe dazu bewiesen.

Wie versteh' ich das? Welche Gabe?

Je, die glückliche Gabe, Fehler zu sehn und zu sagen. Wie, wenn Sie nun gingen, und meinem Sohn auch die seinigen sagten? – denn dass er ihrer hat, dafür steh' ich. Recht derbe Fehler! – [63] Wenn Sie zu ihm sprächen: »Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht so zu reden; ich sag' es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht« – oder wie Sie es sonst herumbringen; wie Sie sonst Ihre Pille versilbern wollten: – Sie werden ja das wissen, Herr Doctor –

Gut! gut! sagte dieser, und biss voll Unmuths die Lippen.

Kurz, wenn Sie sprächen: »Die bewusste Unterredung mit unserm Alten hab' ich gehabt. Es ist doch ein wunderlicher, eigenwilliger, hartnäckiger, alter Mann. Steif ist sein Rücken, und steif ist sein Kopf. Beide würden eher brechen, als biegen. – Wie, wenn lieber Sie, der jüngere Mann, die Fehler ablegten, die den grämlichen Alten auf Sie verdriessen? wenn Sie, zum Beispiel, [64] ein gesetzterer Mensch, ein sparsamerer Wirth, ein aufmerksamerer Kaufmann würden? Ich stünde Ihnen dann mit meiner Ehre dafür« – und hier meine Hand, dass Sie Ihr Wort nicht bereuen sollten! – »ich stünd Ihnen mit meiner Ehre dafür: der Alte sollte uns anders werden; er sollte seinen Sohn lieber haben, als seinen Witz; er sollte keine grössere Sorge auf dem Herzen tragen, als wie er den einzigen Erben seines Hauses und seines Namens glücklich machte.« – Hier drehte sich Herr Stark wieder gegen den Tisch, und griff nach den Beuteln – Denken Sie der Sache gelegentlich nach! Es ist ein Vorschlag zur Güte.

Ich sehe wohl, sagte der Doctor, der seinen Verdruss kaum mehr bergen konnte – es ist nichts mit Ihnen zu machen.

[65] Finden Sie das? – Das hat schon Mancher gefunden. Das ist fast immer so mit Leuten, die nach Grundsätzen handeln.

Und so muss ich's Ihnen denn nur gerade heraussagen. Sie werden erschrecken; aber – – Ihr Sohn – –

Mein Sohn?

Er will von Ihnen – will fort!

Dem Alten war jetzt eben ein Zweidrittelstück in die Hände gefallen, das ihm nicht so recht echt schien. Er besah es von vorn und von hinten, warf es auf den Tisch, um den Klang zu hören, und musterte es endlich aus. – Dreizehn, vierzehn, funfzehn – Willvon mir? Wohin?

So gelassen dabei? – Aber Sie denken vielleicht: es sei nur Vorwand, nur Kunstgriff. – Ich schwör' es Ihnen dann auf Ehre: er will fort, will nach Br ..., auf nimmer Wiedersehen.

[66] Will er? – Hahahaha!

Sie lachen?

Über etwas sehr Lächerliches.

Nun beim Himmel! So finde ichs nicht.

Aber ich! – Lieber, lieber Herr Sohn! So etwas für Ernst zu nehmen!

Und wofür sonst?

Für nichtigen, leidigen, elenden Trotz.

Ich fürchte, Sie werden bald anders denken. – Ja, wenn es das erste mal wäre, dass er den Einfall hätte! Aber er hatt' ihn schon öfter. – Und so leicht es mir Anfangs ward ihn zurückzuhalten, so schwer ward mir's nachher.

Natürlich! Weil Sie Sich gleich Anfangs zu viele Mühe gaben.

Er geht aber. Denken Sie an mich, lieber Vater! Er geht! – Und nun – was wird die Welt davon urtheilen? Ihr [67] Sohn ist für keinen üblen Mann bekannt, und Sie Selbst werden ihn so nicht bekannt machen wollen. – Ihre Handlung werden Sie fremden Händen vertrauen müssen. Sie sind zu alt und mit andern Geschäften zu überhäuft, um diese Hände genug zu beobachten. – Ihre Frau wird ihren einzigen Sohn – denken Sie Selbst, wie ungern! verlieren; wir Alle –

Ach Thorheit! Thorheit! sagte der Alte, und zählte fort.

Wenn Sie's so ansehen – –

Wie anders?

Ich habe dann das Meinige gethan, und muss schweigen.

Lieber, lieber Herr Sohn! – und er drehte sich zu einem ernsthaften Gespräch herum, mit bei Seite gelegter Brille. – Ihre Gründe sind gut, sind vortrefflich; aber für wen? Für meinen Sohn, oder [68] für mich? – Wenn ihn die Welt als keinen üblen Mann kennt; so hoff' ich sagen zu dürfen: mich kennt sie als einen guten. Auf wen wird also der meiste Vorwurf, der meiste Tadel fallen? – Wenn die Handlung zu Grunde geht; wer ist's, der den Schaden trägt? der verliert? Ich, der Greis, der sein Gutes genossen hat und nun auf die Grube geht? oder Er, der Jüngling, der erst geniessen soll, und – so gerne geniessenmag? – Mit dieser einzigen, ihm ganz zufällig entfahrenen Spötterei, war der Alte auf einmal wieder in voller Laune, – Was? was? fuhr er mit einer Art von komischem Unwillen fort: ein Mensch, der nicht das Herz hat, bei einer Frau zu schlafen; der hätte Herz, dass er davon ginge? dass er sich auf seine eigene Hand setzte? dass er hier Alles im Stiche liesse? – Ach Thorheit! Thorheit!

8.

[69] VIII.

Madam Stark, die schon einige Zeit auf ihrem Posten gestanden hatte, glaubte jetzt eine unglückliche Wendung des Gesprächs zu bemerken, und kam herein. Das Mutterherz war ihr übergetreten, und sie hielt das Tuch vor die Augen.

Bist du da, lieber Vater?

Auch die? sagte der Alte in sich, und sah nun im Geist, mit voller Überzeugung auch schon die Tochter kommen. – Ja, wie du siehst, liebe Mutter. – Er stand auf, und ging ihr freundlich entgegen.

Diese Freundlichkeit beunruhigte Madam Stark; sie hätte, nach dem Antrage des Doctors, ihn weit lieber mürrisch und verdriesslich gefunden. – O ich sehe schon, sagte sie, ich werde wieder einmal vergeblich bitten.

[70] Warum? Weil ich freundlich bin, meinst du? – Ich fürcht' es beinahe auch, weil du weinst. – So ein vierzig Jahre mit einander leben, macht doch sehr mit einander bekannt. – Wenn du dein Recht fühlst, weiss ich, da kömmst du so zuversichtlich, so freudig, und ich bleibe dann in meiner gleichmüthigen Ruhe; aber wenn du dein Unrecht fühlst, da beweinst du den schlechten Erfolg den du voraussiehst, und ich bin dann fein freundlich, um dich zu trösten. – Nur gleich die Probe zu machen: Was giebts?

Dein Sohn will von dir – fuhr sie mit grosser Wehmuth heraus.

Wenn er will; – – du weisst, er ist kein Jüngling mehr; er ist Mann.

Freilich! Freilich! Und eben darum – –

Richtig! – Eben darum muss er wissen, was er zu thun hat.

[71] Aber ihn verlieren zu sollen! –

Das ist nicht anders. Söhne gehn in die Welt.

Wenn du nur mit ihm reden, nur ein einziges mal mit ihm freundlich seyn, ihm dein Wort geben wolltest – –

Wie? – wie? – Nun da sieh einmal, Mutter! Sieh, wie Recht du hast, dass du weinst! – Ich mein Wort geben? ihm? Und worüber? – Der junge Mensch, seh' ich, wird mir fein aufsätzig, fein trotzig; es verdreusst ihn, einen so wachsamen Beobachter, einen so beschwerlichen Erinn'rer zu haben; er mögte gar zu gern den Mund gestopft wissen, aus dem er so unangenehme Wahrheiten hört; er macht da Plänchen, mich in Furcht zu setzen, in Respect zu erhalten; er mögte mir – wie heisst doch die Redensart? – er mögte mir Brillen verkaufen. Eben jetzt [72] hat er da eine fertig, wovon er glaubt, dass sie mir unvergleichlich stehen müsste; und da kömmst du nun, und bittest mit heissen Thränen, dass ich die Nase hinhalten soll, um sie mir aufsetzen zu lassen. – Sage: ist das recht, Mutter? Ist das vernünftig?

Sie hören! sagte die Alte, und streckte die Hand mit dem Tuche gegen den Doctor. – So hat er es immer mit mir getrieben! Das gelt ich bei ihm! Das bin ich ihm werth! – So hab' ich mich von jeher müssen verächtlich machen und misshandeln lassen.

Herr Stark bat, dass sie schweigen mögte: denn das Jammern sei ihm in der Seele zuwider, und Unvernunft hör' er nicht gerne; aber er bat umsonst, und er hätte selbst können schweigen. Endlich besann er sich, dass er ja auf dem einen [73] Ohre taub sei, und dass er über das andre nur den Stutz ziehen dürfe: was er denn unverzüglich that, und sich gemächlich wieder an seine Arbeit setzte.

9.

[74] IX.

Wo sind sie denn? rief die Doctorinn, indem sie den Kopf zwischen die Thürflügel steckte. – Ei sieh! Alle hier bei dem Vater? – Guten Morgen! guten Morgen!

Schon so frühe? sagte der Alte. Vor Tische?

Ich hatte einzukaufen, musste vorbei. Husch flog ich herein, um meinem Väterchen einen guten Morgen zu sagen. Denn ich weiss, er sieht mich so gerne. Nicht wahr?

Als ob das noch Fragens brauchte!

Wenn ich nicht so ganz zufällig käme, so hätte mich eins von den Kleinen begleitet; das, was am artigsten oder am fleissigsten gewesen wäre. – Ich küsse Ihnen in Aller Namen die Hand.

[75] Danke. Danke. – Er sah sie bedenklich, aber nicht ungütig an. – Du thust ja heut ausserordentlich freundlich?

Ich thäte nur so? Ich bin's.

Und hast hier noch niemand gesehen? – Deinen Mann nicht?

Den wohl. Am Theetisch.

Deine Mutter noch nicht? – Sie log mit einem Kopfschütteln, um nicht mit einem ausdrücklichen Nein zu lügen. – Dann ist's aber nicht artig, ihr nicht die Hand zu küssen.

Ach verzeihn Sie! sagte die Tochter, und küsste ihr, seitwärts lachend, die Hand.

Deinen Bruder wohl noch vielweniger? –

Gesehn; aber kein Wörtchen mit ihm gesprochen. Er lief mir da mit einem Gesichte vorbei, mit einem Gesichte! – Huy, dacht' ich, was kümmern mich deine [76] Gesichter? Lauf immer! – Aus meinem guten Humor bringt mich kein Mensch. Denn Sie wissen wohl: ich bin ganz Ihre Tochter.

Bist du? sagte der Alte, und lachte mit innigem Wohlbehagen.

Immer munter, immer fröhlich und guter Dinge. Wer's nicht mit mir ist, mag seine Launen für sich behalten. Oder wenn ich mich ja mit ihm abgebe, so geschieht es nur, um ihn auszulachen. Da, der Herr – indem sie mit dem Finger auf den Doctor wies – hat die Erfahrung.

Närrisches Weib! sagte dieser. Hab' ich denn Launen?

O, du hast! hast! du bist Mann. – Aber doch wirklich, mein lieber Vater; nahe geht's mir, dass ich den Bruder immer so unlustig sehe. Ich wollte von ganzem Herzen, er wäre glücklich. – Ich [77] meiner Seits, wenn ich dazu helfen könnte – ich thäte Alles.

Doch? Thätest du Alles? – Jaja! – Er war aufgestanden, und packte die Beutel zusammen.

Wollen Sie denn fort, lieber Vater?

Ich bin fertig. –

Aber Sie könnten doch noch immer ein wenig bleiben.

Wozu? – Er gab ihr einen scharfen, bedeutenden Seitenblick, und drohte ihr mit dem Finger. – Weib! Weib! du hast mit deinem Mann gesprochen, hast mit deiner Mutter gesprochen, hast mit deinem Bruder gesprochen.

Sie meinen: heut? hier im Hause? – Nein wahrlich! Mit Mann und mit Bruder kein Wort.

Also doch mit der Mutter!

Nun? Wäre denn das nicht recht?

[78] Gar sehr. – Aber da kömmst du nun mit eben der Bitte, wie sie; nur anders eingekleidet, versteht sich. Was sie tragisch gesagt hat, das willst du komisch sagen. – – Geh! geh! Mit denen da ward ich fertig; aber mit dir – –

Da getraun Sie Sich nicht?

Aus Ursache. – Denn sieh! wenn du bittest, da bitten gleich alle deine Kinderchen mit; und das mögte mir denn zu viel werden. – Geh!

O, nun – nun kommen Sie mir gewiss nicht von dannen. Oder wenn Sie gehn, lauf ich nach. – Gutes, liebes, bestes Väterchen – –

Schmeichlerinn!

Schmeichlerinn? – Das bin ich nur dann, wenn Sie Sich nicht erbitten lassen.

Nun, was willst du? Nimm Alles! – Er hielt ihr beide Geldbeutel hin.

[79] Nicht doch! Geben sollen Sie nichts. Keinen Heller.

Aber eine Thorheit begehn, für die ich hinterdrein, um sie nicht begangen zu haben, das Zwiefache, Dreifache gäbe.

Thorheit, sagen Sie? Lieber Gott! – Als ob's Thorheit wäre, einmal recht gütig, recht liebreich zu seyn! – Sie sind das gegen mich; sind's so sehr: seyn Sie es um meinetwillen auch gegen den Bruder! – Um meinetwillen! Denn Sie helfen mir da von der unangenehmsten Empfindung, die ich nur kenne. – Er beneidet mich – ich habe das mehrmalen bemerkt; – er hat allerhand kleinen Argwohn, dass ich Ihrer wohlthätigen Zärtlichkeit missbrauche: und fast – wenn man bloss nach dem Scheine geht – hat er Ursache dazu. Denn sagt er nicht [80] eben so gut Vater, als ich, und geniesst doch so viel weniger Liebe?

Er von der Mutter, und du vom Vater. So ist's in der Ordnung.

Nein, ich bitte; bitte, so sehr ich kann: Machen Sie, dass er bleibt! dass er nicht fortgeht!

Kann ich ihn halten?

Mit einem einzigen guten Worte.

Hm! – Das, meinst du, soll der Vater dem Kinde geben!

Gut heisst freundlich, nicht bittend. – Wahrlich, er hat Gefühl, er ist dankbar. Er wartet nur auf die erste Eröffnung des väterlichen Herzens, und Sie haben den besten Sohn von der Welt. – Wenn er nun glauben müsste, dass ich seine Entfernung zu seinem Schaden nutzte? dass ich Ihnen für mich und meine Kleinen abschmeichelte, worauf wir zwar Alle kein[81] Recht haben, was aber doch ihm eben so gut zukommen würde, als mir? – Sie wissen, dass das nicht ist, und dass ich dazu ganz unfähig bin; aber er würd' es doch glauben: er würd' es ganz sicher glauben; und meine Empfindung dabei – – Sie hatte Thränen im Auge.

Diese Beweise von Zartgefühl, Schwesterliebe, und Uneigennützigkeit, deren Wahrheit ausser Verdacht war, freuten den Alten innigst, und er sah sie mit grosser Zärtlichkeit an. Er glaubte, nicht bloss sein Fleisch und sein Blut, sondern auch sein Herz und seine Seele in ihr zu finden.

Liebes, gutes, bestes Väterchen, fuhr sie fort, und nahm Alles zusammen, was sie im Tone Süsses und in der Miene Liebkosendes hatte – alle meine Kinderchen bitten mit. Könnten Sie's abschlagen?

[82] Je nun, sagte der Alte, und fuhr sich mit den Fingern ein paar mal über die grauen, etwas nass gewordenen Augenwimper – dran werd' ich schon müssen. Ich will mit ihm reden.

Gewiss? gewiss?

Ja doch! – So freundlich, wie noch jemal in meinem Leben.

Und bald?

So bald sich's thun lässt. In diesen Tagen.

Ein Mann, ein Wort? Schlagen wir ein?

Da! – so freundlich, wie noch jemal in meinem Leben.

Sie lächeln aber so in Sich. Worüber?

Ach – über mich selbst. – Lass das gut seyn! – Er hatte schon ungefähr die Art, wie er sich nehmen müsste, im Kopfe, und lächelte fort bis zur Thüre.

[83] Armer Mann! sagte er noch, im Vorbeigehen, zum Doctor: Sie sind gewaltig betrogen. Sie forderten von mir eine Frau, und ich habe Ihnen eine Schlange gegeben.

10.

[84] X.

Nun? triumphirte die Doctorinn, als der Vater hinaus war: hatt' ich nicht Recht, liebe Mutter? War's des Schreckens und des Aufhebens werth? – So ein kleiner Zwist in einer Familie gemahnt mich, wie ein Feuer in einer Brandmauer. Das brennt schon aus, ohne Lärmschlagen.

Und du glaubst dich am Ende? sagte der Doctor.

Völlig. Völlig. Der Vater hält Wort.

Er müsste erst mehr versprochen haben. – Aber gesetzt auch, dass du zu deinem Zweck kömmst, und dass der Bruder für diesmal bleibt – –

Für diesmal? Warum denn nicht immer?

Wird er von seinen Schwachheiten [85] lassen? Wird der Vater von seinem Eigensinn lassen?

Niemal! niemal! seufzte die Mutter.

Schwerlich! stimmte die Tochter mit ein.

Und also! Was sind wir weiter gekommen? – Wir wollten die inneren Ursachen der Uneinigkeit heben, wollten die Quellen des Übels verstopfen; und da uns nun das nicht gelang – da stellen wir uns hin, und pinseln und pflastern an einem Geschwürchen, das, wenn wir es heute heilen, morgen wieder aufbrechen wird. – Das ist falsche Heilart, fuhr er mit Kopfschütteln fort, wovon ich bei Zeiten zurücktrete, und sie dir allein überlasse.

Klug! klug und gelehrt! sagte die Frau. – Aber auch Pfuscherarbeit wird manchmal gute Arbeit. Lass mich nur machen! [86] Wie aber, wenn du ein Meisterstück machen könntest?

Ein Meisterstück? – Nun?

Er ging mit einem Blick voll Missmuths umher, und rieb sich die Stirne. – Ach, es ist nicht zu machen. Es ist ein frommer Wunsch, weiter nichts. – Heiraten, heiraten müsste der Bruder. Ein kluges, sittsames, zärtliches Weib müsst' er nehmen.

So eins, wie du hast. Nicht wahr? – Sie sah ihm freundlichlächelnd unter die Augen.

Nun ja! Und wenn auch nur so eins – –

Boshafter! –

Er bot ihr liebreich die Hand, und zog sie in seine Arme. – So ein Weib würd' ihn zu Hause bei seinen Geschäften halten: denn zu Hause wäre ja sie; es[87] würd' ihm alle die Vergnügungen, denen er jetzt nachläuft, verleiden: denn bei ihr fänd' er ja bessre; es würd' ihn von den kleinen Thorheiten des Putzes und der Modesucht abziehn: denn man putzt sich ja nicht für die Seinigen, nur für die Welt. –

Er fand den grössten Beifall mit dieser Rede. Die Frau liebkoste ihm, und die Schwiegermutter ertheilte ihm Lobsprüche.

Alle Quellen des Missvergnügens wären dann auf einmal verstopft. Der Vater und wir alle wären zufrieden. – Ja, wenn es möglich wäre, fuhr er mit einer Art von Begeisterung fort, indem er lebhafter umherging – wenn es möglich wäre, dass er die Witwe – die gute Witwe – –

Hier flogen beide Frauenzimmer zu ihm hinan, und brachten ihm ihre Gesichter so nahe, dass er erschrack und zurücktrat. – [88] Was ist denn? Was hab' ich gesagt? fing er an.

Die Witwe! riefen sie beide aus Einem Munde. – Sprachen Sie nicht von einer Witwe, Herr Sohn? – Erwähntest du nicht einer Witwe, mein Bester? – –

Der Doctor war unzufrieden, dass er sich mit seinem Geheimniss so bloss gegeben, und versuchte sein Möglichstes, um es noch festzuhalten. Er war durchaus nicht zu bewegen, dass er es im Ganzen hätte herausgeben sollen. Indessen riss, durch das ewige Fragen, bald die Frau, und bald die Schwiegermutter, ein Stück davon ab; und so bekamen sie endlich so viel davon in die Hände, dass er nicht absah, warum er den unbedeutenden Rest nicht noch freiwillig dazu geben sollte. Überdies hatte man ihm das heiligste Stillschweigen gelobt, und Mutter [89] und Tochter hatten einander selbst recht inständig darum gebeten. –

Jetzt, da die Frauenzimmer ihr Geheimniss zu besichtigen anfingen, fand sich, dass sie sehr wenig daran erbeutet hatten. – Die Witwe hatte Kinder – war ohne Vermögen – war nicht mehr jung: – ihr vier oder fünf und zwanzigstes Jahr mogte sie immer schon zurückgelegt haben; – der Liebhaber schien noch gar nicht entschieden; – der Vater hatte Vorurtheile gegen die Frau; – ihn von Vorurtheilen zurückzubringen, war immer sehr schwer, fast unmöglich: – alle diese Umstände liessen von der Liebe des Sohns, wie aufrichtig und zärtlich sie übrigens seyn mogte, keine Heirat, und noch weniger von so einer Heirat eine feste Grundlage für die Ruhe und Zufriedenheit der Familie hoffen. Man war also [90] wieder in gleicher Verlegenheit, als zuvor.

Indessen tröstete sich die Doctorinn mit dem Gemeinspruche: dass der Mensch nicht zu weit vorausdenken, und wenn nur seine nächste Aussicht nicht trübe und gewitterhaft sei, sich beruhigen müsse. Voller Friede, meinte sie, sei wohl freilich das Beste; aber auch Waffenstillstand – und diesen wenigstens glaubte sie für die Familie bewirkt zu haben – sei schon nicht zu verachten.

11.

[91] XI.

Abends bei Tisch erlitt der Muth der Frau Doctorinn, durch einen einzigen Blick des Alten, einen gar unsanften Stoss. Es war Donnerstag, wo, nach der Regel, das ganze Herbstische Haus, bis auf das kleinste Enkelchen herunter, bei dem Alten versammelt, und dieser dann gemeiniglich sehr vergnügt und beredt war. Eins der ersten Gespräche pflegte von denjenigen Kranken des Doctors zu seyn, die der Alte, wenn auch nur von Ansehen, kannte, und an denen er, theils dieser Bekanntschaft wegen, theils weil sie Kunden seines Schwiegersohnes waren, viel Theil nahm.

Diesmal fragte er besonders nach einem gewissen Herrn Heil, einem Manne [92] von mittlern Jahren, der eine starke Familie hatte.

Ach, der! sagte der Doctor: der ist schon völlig ausser Gefahr.

Doch? Das ist mir eine sehr liebe Nachricht! – Der Mann hat viel Unglück gehabt, und es kann nur sehr wenig Vermögen da seyn: was wär' aus den vielen lieben Kindern geworden? – Es ist übrigens ein so rechtlicher, ein so stattlicher Mann: er hat mir Tag und Nacht in Gedanken gelegen. – Aber – wenn ich nicht irre, so sagten Sie ja nur noch vorgestern: er sei der Schlimmste von Ihren Kranken; es sei Ihnen ganz bange um ihn?

Da stand's auch mit ihm soso. Er lag da eben in einer Krisis.

Was heisst das? – Krisis! – Das Wort, deucht mir, hab' ich schon öfter gehört.

[93] Das Wort ist griechisch, mein lieber Vater.

Ei meinetwegen arabisch! Ich mögte den Sinn davon wissen. – Ihr Herrn nennt immer Alles mit fremden Namen; wozu das? – Eine deutsche Krankheit wird doch keine griechischen Zufälle haben?

Aber Zufälle, die sich zu deutsch nicht so kurz wollen sagen lassen. – Krisis nennt man bei hitzigen Fiebern die letzte, stärkste Anstrengung der Natur, der Krankheit durch irgend eine hinreichende Ausleerung gekochter Krankheitsmaterie ein Ende zu machen.

Gekochter Krankheitsmaterie! wiederholte der Alte langsam, und wiegte mit dem Kopf vor sich hin. – Das ist nun deutsch: in der That!

Deutsch, wie Griechisch. Nicht wahr?

[94] Beinahe. –

Ich will mich näher erklären. Gekocht nennen wir eine Krankheitsmaterie, wenn sie sich von den gesunden Säften, denen sie beigemischt war, schon so abgesondert hat, dass der Körper sich ihrer entschütten, oder wo nicht völlig entschütten, sie doch nach aussen hin absetzen kann. – Hat die Natur zu dieser Wirkung noch Kraft, so genest der Kranke; hat sie keine, so stirbt er. – So lange nun dieses glückliche oder unglückliche Bestreben der Natur fortdauert, sagt man von einem Kranken: er sei in der Krisis.

Ja nun – nun wird's helle, Herr Sohn; nun versteh' ich. – Und so kann man denn auch in einer Krisis, wo es sich mit der Krankheit bessert, so herzlich krank seyn?

Nicht anders. – Während der ganzen [95] Zeit, da die Materie gekocht, und dadurch die Krisis vorbereitet wird – Sie verstehn mich nun schon – –

Vollkommen.

Während dieser ganzen Zeit ist die Krankheit im Wachsen, im Zunehmen; und kurz vor der Krisis, oder vor dem glücklichen Auswurf der Unreinigkeiten, pflegen heftige, drohende Bewegungen zu entstehen, die das Übel auf seinen höchsten Grad treiben, und die man füglich einen kritischen Tumult nennen kann.

Bewahre Gott! rief der Alte, der einst einen Tumult erlebt hatte, und vor dem Worte erschrack.

Nicht doch! – Helfe Gott! muss man sprechen.

Was? Helfe Gott! zu einem Tumulte? – Doch freilich; wenn's mit dem Bewahren zu spät ist, da hat man schon Recht, [96] dass man um's Helfen bittet. – Und die Hülfe kömmt denn wohl durch den Doctor; nicht wahr?

Der kann dabei wenig, sehr wenig. Das Meiste und das Beste muss die Natur thun.

So! – Aber der Doctor nimmt doch sein Geld; und da, dächt ich, wär's denn auch Pflicht, dass er zur Hand wäre, und mit Allem, was er von Pulvern und Mixturen nur auftreiben könnte, wacker in den Tumult hineinwürfe, um desto eher Frieden zu stiften.

Die Anwesenden lachten – bis auf den Sohn, der in Gedanken vertieft sass – und am meisten lachte der Doctor. – Sie wären mir ein trefflicher Arzt, lieber Vater! Wissen Sie, dass Sie durch Ihre zu grosse Thätigkeit, die Krisis stören [97] und dadurch den Kranken in's Grab bringen könnten?

Ei wie so? Das mögt' ich doch ungern. Der armeHeil!

Eine gestörte Krisis zieht immer entweder schleunigen Tod, oder doch gefährliche, in der Folge tödtliche Versetzungen nach sich, die wir abermals mit einem griechischen Worte Metastasen nennen.

Genug! genug! sagte der Alte; kein Griechisch weiter! – Ich merke wohl, Ihr Herrn macht's Euch bequem, deckt euren Kranken fein warm zu, und gebt mit untergeschlagenen Armen Achtung, wo die Natur hinaus will.

Viel besser ist's wirklich nicht. Ich gesteh' es Ihnen.

Je nun – Wenn's so am sichersten oder am heilsamsten ist, ist's am besten. [98] – Er sass hier einen Augenblick nachdenkend, und spielte mit seinem Teller. – Lieb ist mir's denn doch, dass ich bei der Gelegenhei dahinter gekommen, wie ein kritischer Tumult muss behandelt werden. Ich hätte da einen erzeinfältigen Streich können machen.

Wie so? fragte der Doctor.

Ich hätte mich können verführen lassen, mitten in einer Krisis die Cur zu versuchen.

Sie? fragte der Doctor noch einmal.

Der Alte schwieg; aber ein bedeutender, lächelnder Blick den er nicht sowohl auf den Sohn, als nach der Seite hinwarf wo dieser sass, liess den drei Verbündeten keinen Zweifel, dass er mit seinen Reden auf den Zustand des Sohnes ziele: nur, wie er ihn in diesem Zustande zu behandeln denke, das blieb ein Räthsel. [99] Nach Tische rieth man und rieth; aber mit allem Rathen ward die Neugier mehr gespannt als befriedigt. Endlich that die Doctorinn, die gewissermassen das Orakel der Familie war, und die seit dem Siege von diesem Morgen noch an Ansehen gewonnen hatte, den wirklich nicht üblen Vorschlag, dass man sich füritzt den Kopf nicht weiter zerbrechen, sondern die eigne Erklärung, die der Vater durch sein Betragen geben würde, ruhig abwarten solle: ein Vorschlag, den Mutter und Mann höchlich billigten; denn dass diese Erklärung völlig befriedigend und völlig zuverlässig seyn müsste, sprang in die Augen.

12.

[100] XII.

Herr Stark, der Sohn, war mit seinen Anstalten zur Abreise bis auf's Einpacken fertig; er war nur noch unschlüssig, wie er Abschied nehmen solle. Heimlich sich aus dem väterlichen Hause wegzuschleichen, in welchem er kein anderes Andenken, als an geleistete gute Dienste, zurückzulassen sich bewusst war, fiel ihm nicht ein; auch legte ihm sein Herz die Verbindlichkeit auf, eh' er ginge, seinem Vater für die erhaltenen vielen Liebesbeweise so ehrerbietig als zärtlich zu danken. Er hatte sich eine Art von Anrede ausgedacht, die dem Alten gleich sehr die Festigkeit und Unabänderlichkeit seines Entschlusses, als die rechtschaffnen, kindlichen Gesinnungen eines Sohnes beweisen [101] sollte, den er so hartherzig aus seinem Hause stiesse. Die Ausdrücke, womit er besonders den letzten Zweck zu erreichen hoffte, waren die gewähltesten, die er hatte finden können; und beim Zusammensetzen derselben war ihm eine Menge Thränen entflossen, die insoferne wahre Freudenthränen waren, als sie ihm für unverkennbare Beweise des vortrefflichsten Herzens galten. Indessen ward, schon bei dieser Vorbereitung, dem jungen Manne immer bänger und ängstlicher, je lebhafter in seiner Einbildung die Züge des ehrwürdigen väterlichen Gesichts hervortraten; und als er sich endlich zusammennahm, um wirklich sein Wort an den Mann zu bringen, so gerieth dies so äusserst übel, dass der Alte keinen geringen Schreck davon hatte.

Die ersten Worte der Anrede: »Mein [102] lieber« – kamen so ziemlich heraus, und ein Mann von etwas schärferm Gehör, als Herr Stark, mögte sie haben verstehen können; dann aber gerieth der Redner plötzlich in so ein Stottern, Zittern und Erblassen, dass der Alte, der von den Ursachen dieser Erscheinung keinen Verdacht hatte, mit grosser Beängstigung auffuhr, dem Sohne kräftigst unter die Arme griff, und durch sein Rufen um Hülfe das ganze Haus auf die Beine brachte. Das eigne Zittern, das bei dieser Gelegenheit den Alten befiel, die Eile und Sorgfalt, womit er selbst einige dienliche Arzeneien, mit Allem was zum Einnehmen nöthig war, herbeischaffte, und die unablässigen liebreichen Fragen: wie dem Sohne jetzt sei? und wie der Zufall ihn angewandelt? machten es diesem, der nicht wenig dadurch gerührt ward, unmöglich, [103] von dem eigentlichen Grunde der Sache nur Ein Wort zu erwähnen. Lieber bestätigte er den Alten in der Voraussetzung, dass eine Lieblingsspeise, wovon des Mittags zu reichlich genossen worden, an dem ganzen, übrigens unbedeutenden, Zufalle Schuld sei, und liess sich eine lange, nachdrückliche Ermahnungsrede gefallen, deren Inhalt das Lob der Mässigkeit war.

Da er wohl sah, dass es mit dem mündlichen Vortrage durchaus nicht gehen würde, so entschloss er sich nun zu schreiben, und eh' er in den Wagen stiege, den Brief an Monsieur Schlicht, einen alten invaliden Handlungsdiener, zu geben; der, nach geschwächtem Gesicht und Gedächtniss, in dem Hause des Herrn Stark eine Art von Haushofmeister vorstellte, sich zu allerhand kleinen Geschäften [104] willigst gebrauchen liess, und, trotz seines wunderlichen Wesens, das Vertrauen der Eltern, aber noch mehr der Kinder, in hohem Grade besass. –

Ein andrer peinlicher Abschied, den Herr Stark unmöglich anders als persönlich nehmen konnte, weil ein schriftlicher nach dem bisherigen engen Verhältniss, allzukalt würde geschienen haben, war der von der Witwe.

Die gute Frau befand sich eben in einer sehr beunruhigenden Lage. Ein harter, ungestümer Gläubiger, der an das Lykische Haus eine zwar nur unbeträchtliche Forderung hatte, bestand durchaus auf Befriedigung; aber die Casse hatte schon zu ansehnliche Zahlungen geleistet, um auch noch diese leisten zu können. Die Witwe wusste, dass, wenn alle aussenstehenden sichern Schulden eingegangen [105] und dadurch die fremden Forderungen völlig getilgt wären, ihr nur wenig zu ihrem eigenen und ihrer Kinder Fortkommen übrig bliebe; sie wusste, dass auch dieses Wenige unausbleiblich verloren gehen, und zu dem Elende der Armuth noch die Schande eines öffentlichen Bruchs hinzukommen würde, wenn das Beispiel von nur Einem Gläubiger alle übrigen ermunterte, ohne Zeitverlust auf sie einzubrechen. Der natürlichste Weg, aus dieser Verlegenheit herauszukommen, war der, sich an ihren so dienstfertigen und zu Diensten dieser Art durch sein Ehrenwort sogar verpflichteten Freund zu wenden; auch konnt' es kein Hinderniss für sie seyn, dass die Entdeckung ihrer Noth in der That nur eine versteckte Bitte um thätigen Beistand war: denn niemand wusste so gut als Herr Stark, [106] dass bei den Vorschüssen, die er ihr etwa machen könne, nichts zu verlieren stehe. Sie setzte sich also nieder, ihn um seinen, freundschaftlichen Rath zu ersuchen; allein sie brachte kein Wort aufs Papier: ein noch nie gefühlter, unüberwindlicher Widerwille zwang sie, von ihrem Schreibtische wieder aufzustehen. So ging es ein, so ging es mehrere Male.

Endlich fiel natürlicher Weise die Aufmerksamkeit der Witwe von ihrer äussern auf ihre innere Lage; sie befragte sich selbst wegen der Ursache eines Widerwillens, den wenigstens ihr Freund durch sein Betragen nicht verschuldet haben konnte, da er immer die Güte und die Gefälligkeit selbst gewesen. Sollte sie die Schuld etwa bloss in ihrer Bescheidenheit, in dem Gefühle suchen, dass es empfangene Freundschaftsdienste sehr schlecht [107] erkennen heisse, wenn man so leichtsinnig bereit sei immer neue zu fordern? Ihr innres bess'res Bewusstseyn überzeugte sie, nicht zwar von der Falschheit, aber doch von der Unzulänglichkeit dieser Erklärung. Sie ward endlich zu einem Geständniss genöthigt, welches ihr, so einsam sie war, vor Scham das Blut in die Wangen jagte; zu dem leisen, unwillkommnen Geständniss: dass sie ihren Freund mit etwas zärtlichem, als bloss freundschaftlichen Augen betrachte, und dass sie nur darum, weil sie ihn liebe, ihm so ungern in ihrer Blösse erscheine. Ihre nach Entschuldigung umherspähende Selbstliebe fand indess den Grund dieser Leidenschaft – die sie zwar aufs äusserste bekämpfen zu müssen einsah – nicht allein verzeihlich, sondern selbst lobenswürdig: dankbare Empfindungen, und [108] mehr noch für die ihren kleinen Waisen erwiesene Liebe und Achtung, als für alle ihr selbst erzeigte grosse, nie zu vergeltende Gefälligkeiten, hatten ein Herz verstrickt, das sich noch immer jeder guten und edlen Empfindung ohne Rückhalt hingegeben hatte.

Diese nur eben geendigte Selbstprüfung gab der Miene der Witwe, als Herr Stark hereintrat, eine Schamhaftigkeit und Verlegenheit, ihrem Tone eine Sanftheit und Weichheit, wo durch sie einem Manne, der ihr ohnehin schon so sehr ergeben war, äusserst reizend erscheinen musste. Er forschte nach der Ursache ihres kränklichen Aussehens und ihrer Blässe; sie schlug voll Verwirrung die Augen nieder: – Er bat, wenn sie irgend einen geheimen Kummer nähre, sich ihm mitzutheilen, und seine Dienste, falls er ihr [109] nützlich seyn könne, nicht zu verschmähen; sie dankte ihm mit inniger Rührung, aber ohne den Muth zu haben, mit ihrem dringenden wichtigen Anliegen herauszugehen: – Er gestand ihr die Absicht worin er komme, und dass er nichr lange mehr so glücklich seyn werde, ihr seine Dienste persönlich anzutragen; sie war sichtbar erschrocken, forschte nach den Ursachen eines so unerwarteten Entschlusses, bat ihn, wenn es irgend möglich sei, davon abzustehen, und klagte, da ihr Bitten vergeblich war, mit nassen Augen ihr Schicksal an, das sie, nach so mancherlei harten Prüfungen, nun auch ihres besten, ihres einzigen Freundes beraube. – Ohne Zweifel hatte das unglückliche Verhältniss mit ihrem Gläubiger, aus welchem sie nun durch Herrn Stark herausgerissen zu werden nicht [110] mehr hoffte, oder doch, bei seinen jetzt eintretenden eignen Bedürfnissen, auch nur von fern darauf anzutragen nicht die Dreistigkeit hatte, den grössten Antheil an ihrer Wehmuth; Herr Stark indessen, der von jenem Verhältniss nicht im mindesten unterrichtet war, konnte unmöglich anders, als ihre Rührung ganz auf Rechnung ihrer innigen Dankbarkeit, ihrer zärtlichen Freundschaft setzen: und durch diesen Irrthum stieg seine eigene Rührung zu einem so hohen Grade, dass er, nach mehrern fruchtlosen Versuchen ein Lebewohl hervorzustammeln, und nach nur Einem, aber desto heissern, Kusse auf ihre Hand, sich eiligst von ihr losreissen musste.

Er segnete, indem er auf die Strasse hinaustrat, die schon eingebrochne Dunkelheit, die es ihm erlaubte, unbemerkt [111] hinter seinem Tuche zu weinen. Dann erlauschte er vor dem väterlichen Hause den Augenblick, wo er ungesehen in sein Schlafzimmer entschlüpfen konnte, warf sich, nur halb entkleidet, aufs Bette, und erleichterte sein gepresstes Herz durch Seufzer und Thränen. Er ward von mancherlei zärtlichen Wünschen, von mancherlei schmeichelhaften Hoffnungen bestürmt; aber endlich gelang es ihm, durch die Rückerinnerung an seine ausgestandenen Leiden, sie alle von sich zurückzuweisen, und dadurch eine Seelenstärke und Entschlossenheit an den Tag zu legen, wie er sie, nach der sonstigen Weichheit seines gar zu guten Charakters, in sich selbst kaum gesucht hatte. Er sprang auf, zog noch diesen Abend den Reisecoffer aus seiner Kammer, öffnete Kasten und Schränke, und belegte alle Stühle [112] mit Wäsche und Kleidungsstücken, um sie am folgenden Morgen beim Einpacken sogleich zur Hand zu haben.

Nein! sagte er, während dieser Arbeit, zu sich selbst: wer nicht die Kraft hat, sich fest und unwandelbar zu entschliessen, der bleibt, was er zu bleiben werth ist: ein Sklave. – Ich habe angefangen; ich muss hindurch. – Mag es doch mein Vater nun mit Andern versuchen! Mag er es doch erfahren, was für ein Unterschied zwischen einem Diener und einem Sohn ist! Mag er es doch erfahren, und mich zurücksehnen so viel er will! Ich werd' ihm nicht kommen. – Hab' ich denn sonst keine Pflichten zu erfüllen, als nur gegen ihn? keine gegen mich selbst? –

13.

[113] XIII.

Lass Er's doch gut seyn! sagte der Alte zu MonsieurSchlicht, als ihm dieser in voller Bestürzung die auf dem Zimmer des Sohns gemachte Entdeckung mittheilte, und nicht fertig werden konnte, das Haus seines guten alten Wohlthäters zu bejammern, wenn es mit dem jungen Herrn seine erste und festeste Stütze verlieren sollte. Er sah es in Gedanken schon von allen Seiten baufällig werden und in Trümmer zerfallen.

Hat nichts zu sagen! meinte der Alte, der sich hinsetzte, um für seinen Sohn einen offnen Wechsel zu schreiben.

Nichts zu sagen! erwiederte Schlicht, und war unschlüssig, ob er über die Gleichgültigkeit des Alten mehr erstaunen [114] oder sich ärgern sollte. – Nichts zu sagen, Herr Stark? So erwägen Sie doch – –

Dass dich! rief hier der Alte: – da muss ich nun den Wechsel, der beinahe schon fertig war, wieder zerreissen, und einen andern anfangen. – Kann Er denn keinen Augenblick schweigen? Ist Ihm denn das Plaudern so zur andern Natur geworden? –

Monsieur Schlicht hatte das Eigne, dass er die Wörter: Plaudern und Schweigen, wenn sie mit Beziehung auf ihn selbst gesagt wurden, gar nicht hören konnte, ohne misslaunig und stöckisch zu werden. Er hatte, in jüngern Jahren, sich lange und viel in der Welt umhergetrieben; hatte, wie er immer zu rühmen pflegte, seine Augen nie in die Tasche gesteckt: und wenn andre Leute sich Einsichten [115] und Erfahrungen gesammelt hatten, so hatt' er's wohl auch. Ein solcher Mann, meinte er, müsste Freiheit zu reden haben, oder es hätte sie niemand, und alle Welt müsste schweigen.

Er kehrte kurz um und wollte fort, als Herr Stark ihm ernstlich befahl, zu warten, und ihn dann zu seinem Sohne zu begleiten, wenn sich etwa noch dieses oder jenes zu veranstalten fände. –

Die übrige Familie, die Monsieur Schlicht schon etwas früher, als den Vater, von seiner Entdeckung benachrichtiget hatte, war eben in vollem fruchtlosen Kampf mit dem Sohne, als Herr Stark, in Begleitung des alten Handlungsdieners, hereintrat. Seine Erscheinung auf einem so abgelegenen Zimmer, das er gewiss seit der Blatternkrankheit der Kinder mit keinem Fusse mehr betreten hatte, setzte [116] Alle in die grösste Erwartung, und den Sohn in eine sichtbare Verwirrung. So gut es indessen in der Geschwindigkeit möglich war, raffte sich dieser zusammen, um den Vorwürfen oder Vorstellungen des Vaters, und wenn er die letztern auch noch so kräftig mit dem vollen Beutel in seiner linken Hand unterstützen sollte, nachdrücklich entgegenzuarbeiten. –

Das sind viel Sachen, Monsieur Schlicht, sagte der Alte, indem er die Augen auf die vollen Stühle umherwarf: und ich sehe hier nichts, als den einzigen kleinen Coffer. Da gehn sie ja unmöglich alle hinein.

So bleiben sie heraus, murmelte Schlicht, ohne dass es der Alte hörte; warum ist er nicht grösser?

Wäre denn sonst keiner da? Denn in diesen hier bringt Er ja kaum das [117] Drittel von allen den Kleidungsstücken. Das könnt Er, dächt' ich, mit halben Augen sehen.

Ach, ich – mit meinen Augen, Herr Stark – ich sehe nur mein Leiden an der Geschichte.

Warum denn aber? – Sei Er nicht wunderlich, Freund! Geb' er mir Auskunft!

Der alte Mantelsack mag noch da seyn, den Sie vor etwa dreissig oder vierzig Jahren auf Ihren Reisen brauchten. Er war ja schon damal in lauter Fetzen.

Der Alte konnte sich kaum enthalten zu lachen. – Ich weiss nicht, wie Er mir manchmal vorkömmt, Monsieur Schlicht. Solche feine und kostbare Kleidungsstücke – denn Er sieht ja wohl, dass das eine Garderobe ist die für keine tausend Thaler geschafft worden – die will [118] Er in den schmutzigen alten Mantelsack schnüren?

Ich nicht. Ich will hier weder packen noch schnüren.

Noch einmal: Sei Er nicht wunderlich, Freund! Steck' Er Geld ein, und geh' Er zu dem Manne gegen der Börse über! Der hat Coffers, den ganzen Laden voll, von allerhand Grösse und allerhand Art: da such' Er sich einen aus! – Zu hoch und zu breit, denk' ich, wird Er ihn wohl nicht nehmen können; aber mit der Länge wird Er sich vorzusehn haben. – Am besten, Er geht vorher in den Schuppen, und nimmt an meiner Chaise das Maass.

An welcher Chaise? –

Der Alte sah ihn einen Augenblick an, und schüttelte mit dem Kopfe. – An der zerbrochenen nun doch wohl nicht? [119] denn von der ist ja nichts als der Kasten übrig.

Nun, ich höre ja wohl! An der neuen, die Sie zur Reise von vorigem Sommer kauften.

Richtig! – Ich mache sie meinem Sohn zum Geschenk; denn mir steht sie da nur im Wege: mit meinen Reisen ist's aus. Und, Monsieur Schlicht – dass Er mir das ja nicht vergisst! – lass Er vorher erst recht nachsehen, ob auch noch Alles in haltbarem Stande ist: Riemen und Eisenwerk, Räder und Achse. Nichts ärgerlicher, als wenn man unterwegs mit seinem Fuhrwerk in Krüppeleien geräth! – Die Chaise, fuhr er mit unwilligem, verweisenden Tone fort, hat mir da, den ganzen Sommer hindurch, in der Trockniss gestanden. – Woran ich selbst nicht – denke, denkt niemand.

[120] Ich wollte, sie wär' in tausend Trümmern, brummte Schlicht vor sich hin, und verliess das Zimmer in einer noch weit üblern Stimmung, als worin er's betreten hatte. Sich Mangel an Aufmerksamkeit auf das Haus oder irgend etwas zum Hause Gehöriges, oder sonst unter seiner Aufsicht Befindliches, Schuld geben zu lassen, war ihm ganz unerträglich. Ein getreuerer Aufseher, und ein besserer Ökonom, als Er, sollte auf Erden noch erst gefunden werden. – Übrigens liess er es bleiben, zur Abreise des lieben jungen Herrn auf irgend einige Art zu helfen; den Coffer für ihn mogte ein Anderer schaffen.

Der Alte sah mit einem trüben, mitleidigen Lächeln hinter ihm her. – Wie schwach einen doch manchmal das Alter macht! sagte er dann, mit einer Wendung [121] gegen den Doctor. Der gute, ehrlicheSchlicht ist meinem Sohne so herzlich, so herzlich ergeben, dass er ihn, vor lauter Ergebenheit, lieber hier würde umkommen, als auswärts sein grösstes Glück machen sehen. – Nein, Gottlob! da bin ich festrer Natur. – Es ist freilich wohl angenehm, die lieben Seinigen immer um sich zu haben; aber, wenn das einmal nicht seyn kann – –

Und warum nicht? Warum kann das nicht seyn? fragte die Alte, die ihre Bewegung nicht länger bergen konnte. –

Aus mehr als einer Ursache nicht, gute Mutter.

Darf ich die hören? – Nur eine einzige, bitt' ich.

Alle! – Es sind ja keine Geheimnisse.

Nun? –

Zuerst schon deswegen nicht: weil ich [122] und er, wenn wir hier länger zusammenblieben, uns einander das bischen Leben nur schwer machen würden.

Das sei Gott geklagt! Und die Schuld? –

Die ist mein. Das versteht sich. – Ferner deswegen nicht; weil ich so oft ihm vorgeworfen, dass es ihm an Entschluss und Unternehmungsgeist fehle, und weil es seltsam herauskommen würde, wenn ich gerade beim ersten Beweise vom Gegentheil – wie nun dieser auch immer seyn mag – ihm durch den Sinn fahren wollte. Endlich und hauptsächlich deswegen nicht: weil die Errichtung eines neuen Handlungshauses und der dazu nöthige Vorschuss ihn zu einer Thätigkeit zwingen, ihn zu einer Sparsamkeit und Ordnung gewöhnen werden, wie ich sie ihm hier, mit allen meinem Predigen, nicht habe beibringen können. Ich hoffe, [123] er soll mir jetzt eine ganz andere Denkungsart annehmen; soll mir jetzt ganz so werden, wie ich ihn immer wünschte.

Und deine Handlung? fuhr die Alte mit etwas gesunkenem Tone fort: deine Geschäfte? –

Die, Mutter, sind meine, nicht deine Sache. Wer sie so lange gut zu führen gewusst hat, wirds auch jetzt wohl noch wissen. – Denke du lieber an das, was dir noch wird zu besorgen bleiben.

Mir? – Und das ist?

Du wirst ihn doch nicht so trocken abfertigen wollen? wirst ihm doch zu guterletzt noch einen Abschiedsschmaus geben? – Ich hoffe, Sie kommen dazu auch, lieber Doctor. Und du – indem er die Tochter ansah – und euer ganzer kleiner Anhang, versteht sich. – Er lächelte mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit [124] gegen sie hin. – Da wollen wir noch einmal recht von Herzen mit einander vergnügt seyn.

Vergnügt? Recht von Herzen? seufzte die Mutter. – Wirst du das können?

Warum nicht? Was in der Welt soll mich hindern? – Der Ort, wohin er zieht, liegt ja so nahe. Wir dürfen nur auf die Post schicken und anspannen lassen, wenn uns künftig einmal das Herz zu gross wird; wir dürfen nur zu ihm fahren. – Ja, wenn es zur See nach America, oder gar bis nach China ginge! oder gar bis nach der Botanybay!

Behüte Gott! rief die Alte.

Amen! Amen! Und nun keine Seufzer weiter! Es ist genug. – – Du hörst, fuhr er dann fort, indem er sich mit gütigem Ernst gegen den Sohn herumwandte, dass ich von deinen Absichten weiss, und [125] dass ich sie, nach Lage der Umstände, wie diese nun einmal sind, eben nicht tadle. – Geh mit Gott, mein Sohn! Meinen Segen zu deiner Reise! – An deine Stelle hier kann der erste Buchhalter treten, Monsieur Burg; den kennst du selbst als einen gewandten, thätigen, rechtschaffnen Mann: und ich, so alt ich bin, habe doch auch noch Kräfte, um arbeiten, und Augen, um nachsehen zu können. Für meine Handlung also sorge nur nicht; aber wie es mit deiner gehn wird? – Aller Anfang, sagt man, ist schwer; und was du dir selbst, bei so mancherlei Nebenausgaben, erübriget haben kannst, mag dich eben nicht drücken. – Da! indem er den ziemlich schweren Beutel, den er bisher gegen die linke Hüfte gestützt hatte, auf den Tragkasten unter den Spiegel setzte – eine kleine Erkenntlichkeit[126] für geleistete Dienste! Ich hob sie dir immer auf, um eine Zeit damit abzuwarten, wo sie dir eben gelegen käme; und diese, denk' ich, ist jetzt. – Aber, da es dir doch noch fehlen, und Dieser oder Jener, wegen unsrer unvermutheten Trennung, bedenklich werden und dir sein Zutrauen versagen mögte; so ist hier noch ein offner Wechsel, der hoffentlich allen Bedürfnissen abhelfen und alles Misstrauen entfernen wird.

Der Alte schwieg, und schien einen Augenblick auf die schuldige Danksagung des Sohns zu warten; aber es erfolgte nichts, als eine steife, ungeschickte Verbeugung. – Ich sehe wohl, sagte er dann, dass ich dir in einer Arbeit gekommen bin, worin man sich eben darum so ungern stören lässt, weil man sie so ungern anfängt. – Ich will dich jetzt [127] länger nicht aufhalten. Wenn du hier fertig bist, sprechen wir einander schon weiter. –

14.

[128] XIV.

Die Verbündeten sahen dem Alten, als er das Zimmer verliess, mit sehr verschiednen Empfindungen nach. Die Mutter war voll Ärgers und Jammers, dass er dem Sohne, den er sollte zu halten suchen, selbst das Fortgehen erleichterte; die Tochter, voll Empfindlichkeit und Beschämung, dass sie mit dem guten Worte, welches ihr versprochen und in gewisser Absicht freilich gehalten worden, so schlau hinter das Licht geführt war; und der Doctor, voll stiller Bewunderung des scharfen, richtigen Blicks, womit der Vater den Charakter seines Sohns musste gewürdiget haben. So wie man diesen nur ansah, entdeckte man sogleich sein ganzes Inners in seinem Äussern. Das [129] Licht der Augen, die bedeutunglos vor sich hinstarrten, schien bis auf den letzten Funken verlöscht; aus den Gesichtsmuskeln war alle Festigkeit, alle Spannung verschwunden, und die Arme hingen an beiden Seiten so schlaff und welk herunter wie die Zweige einer Zitterespe.

Erst, als Mutter und Schwester zu ihm hinantraten, um ihre Theilnahme an seiner Entlassung zu bezeugen, kam auf einmal in die todte, seelenlose Gestalt wieder Leben; er bat sie, mit abwärts gekehrtem Blick und hinter sich ausgestreckter verwandter Hand, dass sie, wenn sie noch einige Zärtlichkeit für ihn hegten, ihn auf der Stelle verlassen mögten. Diese Bitte ward von dem Doctor, der selbst voranging, mit Wink und Blick unterstützt; er urtheilte, dass der Schwager noch ein wenig mehr beschämt als gekränkt [130] sei: und Scham, glaubte er, sei eine Empfindung, bei der man überhaupt keine Zeugen, und am wenigsten die mitleidigen, liebe. –

Wirklich war die Art, wie sich der Alte benommen hatte, eben weil sie so äusserst nachgebend und sanft schien, für die Eitelkeit des Sohns sehr verwirrend. So wenig auch dieser die Absicht gehegt hatte, seinem Vater wehe zu thun – denn dazu war er, wie wir aus der besten Quelle, nehmlich von ihm selbst, wissen, viel zu gut und zu fromm –: so lag es doch leider! in der Natur der Sache, dass der Alte für so manche Kränkungen, die er erwiesen, jetzt an seinem Theil eine empfinden musste; und da hätt' es der Anstand nun wohl erfordert, dass er sich diese Kränkung auch ein wenig hätte merken lassen. So ohne die mindeste Einwendung, [131] und ohne eine Spur von Missmuth und Kummer, in den Abgang des Sohnes einwilligen: das hiess von den Verdiensten desselben um die Handlung sehr herabwürdigend denken, und gegen seine Unentbehrlichkeit, die doch so vollgültig durch die Unruhe der Familie und durch das Schrecken des alten Schlicht bestätiget war, sehr beleidigende Zweifel äussern.

Noch mehr musste es schmerzen, dass der Alte, durch sein Betragen, eine heimlichgenährte sichre Hoffnung des Sohns, die zwar dieser sich selbst noch nicht bekannt hatte, geradehin für eitel und thöricht erklärte. Die Unentbehrlichkeit des Sohnes einmal festgesetzt, liess es sich nehmlich voraussehn, dass der Vater sich alle ersinnliche Mühe geben würde, ihn zurück zu halten: und da hätte dann jener, nach seinem so vorzüglich guten Charakter, [132] sich gewiss am Ende bewegen lassen, über alles Vergangne einen Schleier zu werfen, und auf gute vorteilhafte Bedingungen wieder an seinen alten Platz zu treten. Jetzt, da sich einmal der Vater so ganz anders erklärt hatte, war bei seiner störrischen Sinnesart nichts gewisser, als dass er sich in Ewigkeit nicht zum Ziele legen, sondern, wenn Noth an Mann ginge, lieber seine Geschäfte äusserst zusammenziehen, als das geringste gute Wort gegen den Sohn verlieren würde. Und so stand denn dieser mit seiner Wahl zwischen den zwei gleich unangenehmen Entschlüssen mitten inne: entweder Reue zu zeigen, und das Joch, das er hatte abschütteln wollen, ganz geduldig wieder auf seinen Nacken zu nehmen; oder den unglücklichen Vorsatz zur Abreise ins Werk zu setzen, ohne dass er davon die beabsichtigten [133] Vortheile hätte. Er bereute es jetzt zu spät, dass er sich das prophetische Herzklopfen bei dem versuchten Abschiede vom Vater nicht ein wenig mehr hatte warnen lassen.

Was ihm diese Unannehmlichkeiten noch weit peinlicher machte, war der Umstand: dass seine Gesinnungen in Betreff der Witwe nicht mehr völlig die alten waren. Von den Schwierigkeiten, die einer Verbindung mit ihr entgegenstanden, hatten die meisten, durch das längere und öftere Betrachten, wie das so oft zu geschehen pflegt, an ihrer Wichtigkeit schon verloren; und vollends seit gestern, wo sich die Witwe so äusserst liebenswürdig gezeigt hatte, waren sie fast gänzlich verschwunden. Über den Mangel an Vermögen konnte ein Mann, der dessen selbst genug hatte, hinwegsehn; die Kinder, da [134] sie Ebenbilder einer so liebreizenden Mutter waren, schienen eher eine angenehme, als eine beschwerliche Zugabe; und das Gerede einer albernen Menge, das ohnehin nie lange Dauer hat, lässt kein Kluger sich irren. Es blieb also von allen Steinen des Anstosses nur der grösste, der zu fürchtende Widerspruch des Vaters, übrig; und diesen wegzuräumen, war wohl schwerlich ein bessres Mittel, als dass man die Verbindung mit MadamLyk zum ersten und wesentlichsten Vergleichspuncte bei der gehofften triumphirenden Wiederkehr machte. Statt also, wie es der anfängliche Wunsch des HerrnStark gewesen war, seiner Liebe aus dem Wege zu gehen, wollt' er jetzt dieser Liebe vielmehr entgegen eilen; es war nichts als eine der Selbsttäuschungen, denen der junge Mann so sehr unterworfen [135] war, wenn er sich am vorigen Abende zu einem so herrlichen Siege seiner Vernunft über seine Schwachheit Glück wünschte: denn gar nicht die Vernunft, sondern die Schwachheit, hatte gesiegt, und in dem Entschluss zur Trennung hatte die Hoffnung der Vereinigung versteckt gelegen. Seine vielen Thränen hatte inm weniger der Schmerz des Abschieds, als der heimliche Gedanke entlockt, dass sein Entwurf nicht vor aller Gefahr des Scheiterns gesichert seyn mögte; wenigstens, wie es jetzt leider! am Tage lag, wäre so ein Gedanke ganz nicht unvernünftig gewesen. – –

Der Doctor, der die Gemüthslage des Herrn Stark, bis auf den Punct von der Witwe, durch und durch sah, kam jetzt in der Absicht zurück, ihm mit seinem guten Rathe zu dienen. – Es wandelte [136] ihn einige Verachtung an, als er den Schwager, in armselig zusammengekrümmter Gestalt, auf dem zugeworfnen Coffer sitzend fand, wie er mit der einen Hand auf das Knie griff, und mit der andern das schwere, sorgenvolle Haupt unterstützte. Er sah wohl, dass so einem Manne sich der Rath unmöglich geben liesse, den er sich selbst, unter ähnlichen Umständen, in die er aber nie hätte gerathen können, ganz gewiss gegeben hätte; nehmlich: einen Entwurf, mit dem es einmal so weit gediehen, trotz aller Unannehmlichkeiten lieber durchzusetzen, als schimpflicher Weise davon zurückzutreten. Für den Schwager, glaubte er, sei nichts anders zu thun, als dass er irgend eine erträgliche Wendung ausspüre, womit jener sich dem Vater, ohne zu grosse Beschämung, wieder anbieten könnte; und diese [137] Wendung schien ihm durch die grossmüthigen Geschenke des Vaters, gleichsam absichtlich, vorbereitet. Es war natürlich, dass das Herz des Sohnes davon gerührt werden musste, und eben so natürlich, dass diese Rührung das Verlangen erzeugte, einen so edeldenkenden Vater lieber nie verlassen zu dürfen. Wenn man dann dem Alten noch in dem Hauptpuncte willfahrte und sich geneigt zu einer Heirat erklärte; so liess sich erwarten, dass dieser mit Freuden einschlagen, and dass er dem Sohne wohl gar seine Handlung, mit dem einzigen Vorbehalt der Geldgeschäfte, völlig abtreten würde.

Herr Stark hörte diesen Entwurf, den ihm der Doctor mit aller möglichen Feinheit und Schonung vortrug, zwar nicht ohne Scham, aber doch mit Gelassenheit an; nur bei dem Worte Heirat Stiess er [138] auf einmal einen so mächtigen, so tief aus dem Herzen geschöpften Seufzer aus, dass der Doctor sogleich einen neuen Sorgenstein argwöhnte, der härter als alle übrigen, drücken müsse. Er liess jetzt, im Fortgange der Rede, ein Wörtchen von Madam Lyk und ihrer Liebenswürdigkeit fliessen; – die Wirkung davon übertraf alle Erwartung: Herr Stark riss sich vom Coffer auf, floh in ein Fenster und entdeckte durch laute Thränen, wie weit es mit seinem Herzen schon müsse gediehen seyn. Jetzt ward nun guter Rath etwas theurer, und der Knoten verwickelte sich allzusehr, als dass der Doctor ihn auf der Stelle zu lösen gewusst hätte. – Um Zeit zu gewinnen, fiel er auf das Mittel: dass er sich, als Bruder und Arzt, für die Gesundheit des Schwagers besorgt stellte, ihn um seine Hand [139] bat, und in seinem Pulse fieberhafte Bewegungen entdeckte. Herr Stark, als ob er schon sehnlich auf einen Vorwand, seine Reise aufzuschieben, gewartet hätte, ergriff dieses Wort des Doctors mit vielem Eifer; er liess sogleich einen kleinen freiwilligen Frost über sich hinschaudern, setzte sich, wie ermattet, nieder, und versicherte, dass er wirklich seit einigen Tagen etwas Fieberhaftes verspüre. Der Doctor verschrieb ihm nun Arzeneien, die weder helfen noch schaden konnten; und Herr Stark fing an, eines Flussfieberchens wegen, worüber die Familie sich nicht sonderlich beunruhigen durfte, das Zimmer zu hüten.

15.

[140] XV.

Was giebst du mir, wenn ich dir eine Entdeckung mache? – sagte der Doctor, als er zu seiner Frau zurückkam.

Lass hören! – Vielleicht eine Gegenentdeckung.

Der Bruder ist sterblich verliebt in die Lyk.

Die Lyk ist sterblich verliebt in den Bruder. –

Ist's möglich? – Und nun erfolgte von beiden Seiten eine Herzenserleichterung, die mit allen Holdseligkeiten ehelicher Vertraulichkeit gewürzt war. –

Sie ist krank, sagte die Doctorinn, herzlich krank; ich habe die Freundinn von ihr, die eben da war um dich zu ihr zu bitten, über alle Umstände befragt; [141] sie hat gestern Abend – und merke dir's wohl: weil eben der Bruder von ihr gegangen – –

Der Bruder? Da hat er Abschied genommen!

Natürlich! – Sie hat, sagt mir die gute Freundinn, gar nicht aufhören können zu weinen; die ganze Nacht hindurch hat sie kein Auge geschlossen; alle Munterkeit, alle Esslust ist bei ihr fort; – dazu hat sie Krämpfe – die schrecklichsten! –

Krämpfe? Hm!

Kurz: das arme Weib steckt in Liebe bis über die Ohren. – Und nun bitt' ich dich, Herzensmann: lass Essen und Alles seyn, und mach dass du hinkömmst, damit wir das Nähere erfahren!

Sie ist ohnehin nicht die stärkste, sagte der Doctor, der ein wenig ungläubig schien; – sie ist dem Bruder ungemein [142] viel Verbindlichkeit schuldig; – sie hat ein dankbares Herz –

Eben deswegen! Solche Herzen sind dir die brennbarsten; die fangen Feuer, wie Zunder. – Der Bruder ist ein ganz artiger Mann. –

Das wohl.

Und ich kenne dir eine, die Anfangs auch nur dankbar war, weil ein Gewisser – ein noch artigerer Mann – ihr von einem bösen Fieber geholfen hatte, und die nachher – –

Das verdiente einen Kuss, der gegeben ward, und der Doctor flog fort.

Er fand die Witwe freilich nicht wohl; aber so krank denn doch nicht, als die gute Freundinn, und dann weiter die Frau Doctorinn, es gemacht hatten. Sie gestand, nach einigem Kampf mit sich selbst, dass der Hauptgrund ihres Übelbefindens [143] in einer Unruhe des Herzens liege. Der Doctor horchte mit beiden Ohren: denn er glaubte schon den ausserordentlichen Fall vor sich zu haben, dass ein Frauenzimmer die Schwachheiten seines eigenen Herzens verplaudre; aber als das Geheimniss an den Tag kam, war es weiter nichts, als ihr Verhältniss mit dem gedachten Gläubiger. Der Doctor war Hausarzt dieses Mannes, und hatte ihm und seiner Familie grosse Dienste geleistet: die Witwe gründete hierauf die Hoffnung, dass ein von ihm eingelegtes gutes Wort ihr Nachsicht auf einige Wochen bewirken könnte; und sie beschwur ihn um dieses Wort, als um eine Freundschaft, die ihre Genesung mehr, als alle Arzeneimittel, befördern würde. Ihre Lage, sagte sie, sei die dringendste von der Welt, aber nichts weniger als verzweifelt: [144] sie sei im Stande, wenn man ihr Zeit lasse, alle ihre Schulden bis auf den letzten Heller zu tilgen; und sie berufe sich deswegen auf das Zeugniss seines Schwagers, des Herrn Stark – wenn er anders noch hier sei. –

Das Eigne in der Modulation der Stimme, womit sie diese letzten Worte aussprach, zusammengenommen mit einem kleinen übelverhehlten Seufzer, und mit dem Niedersinken ihres bis dahin aufgehobenen Blicks in den Busen, schien dem Doctor eine Indication zu geben, die er sich nicht dürfe entschlüpfen lassen.

Ich bin zu Ihrem Befehl, sagte er, liebe Freundinn; aber ich bitte Sie zu erwägen; dass die Summe die Sie mir angeben, von keinem Belang, und dass der Mann mit dem wir zu thun haben, von rauher, unfreundlicher Art ist. So wenig [145] ich zweifle, meinen Antrag bei ihm durchzusetzen; so könnte er doch leicht sich herausnehmen, bei dieser Gelegenheit Dinge zu sagen, die mir wehe thun würden. – Warum denn auch einen rauhen, beschwerlichen Umweg zum Ziele gehen, wenn ein gerader, gebahnter Weg offen da liegt?

Welcher? seufzte die Witwe.

Sie nannten vorhin einen Freund, dem jede Gelegenheit, Ihnen gefällig zu werden, das grösste Vergnügen erweckt. Ich bürge Ihnen für seine Gesinnungen gegen Sie.

Dieser Freund – –

Gönnen Sie ihm doch das Glück, Madam, Ihnen dienen zu können!

Das Glück? – Aber wenn's denn ein Glück ist; so gestehn Sie: er hat es nur zu reichlich genossen. – Ich erliege unter [146] der Last meiner Verbindlichkeiten. Ich kann sie ewig nicht tilgen. – Und will er jetzt nicht fort, dieser Freund? Will er uns nicht verlassen? Wird er des Geldes genug nur zu eigener Einrichtung haben? – Ihre Stimme schwankte, und sie schien in ausserordentlicher Bewegung.

Es mangelt ihm nicht, Madam; ganz gewiss nicht! – Geben Sie ihm die Freude mit auf den Weg, Ihre Wohlfahrt gesichert zu haben! Lassen Sie mich hin, ihm es vorzutragen! Es ist in wenig Augenblicken geschehen. – Er stand auf, und machte Miene sich zu entfernen.

Nein! Nein! – war Alles, was die Witwe hervor bringen konnte. Sie hatte die Hand des Doctors, um ihn zurückzuhalten, mit einer ihr ungewöhnlichen Hitze ergriffen. Er fühlte das Brennen und Zittern der ihrigen, und bat sie, ihrer [147] schwachen Gesundheit zu schonen. – Ich rede dann, weil Sie's so wollen, mit Ihrem Gläubiger, und ich halte die Sache mit ihm für so gut als berichtigt. Werden Sie ruhiger, liebe Freundinn! – –

Der Doctor hatte an diesem Wenigen schon genug, um bei seiner Zuhausekunft seiner Frau zu sagen, dass sie wohl schwerlich geirrt haben mögte. – Aber, setzte er hinzu, wie in aller Welt soll das werden? Wo soll das hinaus?

Du fragst? – Wenn sie wirklich so liebenswürdig und sanft und gut ist, wie du sie mir immer gerühmt hast – –

Das ist sie wahrlich! wahrlich!

Nun so lässt man den dritten Mann kommen, den Priester. Der weiss Mittel für solche Übel.

Mir wär's recht; in der That! Ich nennte die gute Frau mit Vergnügen [148] Schwester. – Aber ich gestehe dir: dass ich zittre, wenn ich an deinen Vater denke.

O, der wunderliche, alte – liebe, böse Mann der, der Vater! – Ich bin so erbittert auf ihn; ich mögt' ihn gleich – – ja, was mögt' ich, ich Närrinn? – – Aber je lieber ich ihn habe, desto abscheulicher war's, mich so herumzuführen, so zum Besten zu haben. – Ich vergess' ihm das nicht; nimmermehr! Ich spiel' ihm irgend einen Gegenstreich, und einen recht argen. – Wart! Eben mit der Lyk muss ich ihm einen spielen. – Wie? Soll denn darum, weil er sich gegen die arme Frau eine wunderliche Grille in den Kopf gesetzt hat – –

Und eine falsche. Denn nicht sie hatte Hang zur Verschwendung, sondern der Mann.

[149] Nun ja! – Und soll denn darum die arme Frau ein so schönes Glück nicht machen, das sich ihr anbeut? Soll darum der Bruder eine Leidenschaft aufgeben müssen, die den schönsten, edelsten Grund von der Welt hat? – Da sitzt er nun in seinem Käfig, der arme Narre! und hängt das Köpfchen. – – Hahahaha! Es ist doch ein närrisches Ding um's Verliebtseyn. – Aber Geduld nur! Geduld! Er soll mir heraus, und soll mir ins Ehebette zur Lyk, oder ich will nicht das Leben haben.

Du unternimmst da viel, sagte der Doctor. Wie willst du deinen Vater gewinnen? – Was Zureden bei ihm vermag, hast du erfahren; und dass du mit List ihn fangen solltest? – ich fürchte, er geht dir in keine Falle.

Gesteh nur: es ist doch ein kluger, [150] ein ausserordentlich kluger Mann, mein Vater.

Der klügste, den ich in meinem Leben gekannt habe.

Sieh in mir seine Tochter! – – Sie setzte ihren Zeigefinger auf die Brust, und streckte ihre kleine Figur in die Höhe.

Ah! – sagte der Doctor, der sich verbeugte, und über ihr komisches Pathos von Herzen lachte: alle Verehrung, Madam! Aber darf man denn dieses oder jenes von Ihrem Plane voraus wissen?

Sobald er da seyn wird: ja! – Weisst du indessen, was vor allen Dingen zu thun ist, und was von Niemanden so gut gethan werden kann, als von dir? – Bring dem Vater bessere Begriffe bei von dem Bruder! Erzähl' ihm sein Betragen gegen den seligenLyk! Ich bin versichert, das wird ihm gefallen, recht sehr gefallen. – [151] Auch das erzähl' ihm, wie edelmüthig er sein Versprechen erfüllt, und wie treu er, ganze Monate lang, für die Witwe gearbeitet hat. Solche Züge, weiss ich, freuen den alten Mann in die Seele, und ein wildfremder Mensch, von dem er so etwas hört, wird auf der Stelle sein Blutsfreund. – Gewiss, er hätte das schon früher erfahren sollen.

Und würd' auch, so wie Ihr alle, wenn ich nicht dem Bruder hätte mein Wort geben müssen, zu schweigen. – Jetzt, sobald ich Gelegenheit dazu finde – –

Willst du thun, was dein braves Weib dir aufgiebt. Nicht wahr?

Schuldigermassen.

Schön! – Und ich will Bekanntschaft mit unsrer Witwe machen; ehester Tage! Ich hab' es mit der Freundinn von ihr schon eingeleitet. Ich bin ganz[152] neugierig auf sie. – Da sind auch die beiden Kleinen von ihr, die hier täglich vorbei in die Schule müssen: ein paar Engel von Kindern! Morgen ruf' ich sie mir herein, und da will ich sie herzen und lieb haben, als ob's meine eigenen wären.

16.

[153] XVI.

Die Gelegenheit, sein gegebenes Wort zu erfüllen, fand sich für den Doctor gar bald. – Willkommen! Willkommen! sagte der Alte, als jener das nächste mal zu ihm hineintrat: wie stehts? – Und vor Allem, Herr Sohn: wie stehts mit unserm kritischen Kranken? Ich sehe ja die Mutter noch keine Anstalten machen.

Anstalten, lieber Vater? Wozu?

Zu dem Abschiedsschmause, den ich bestellt habe. Hat er denn immer noch Fieber? – Ein ihn: eigenes flüchtiges Muskelnspiel um die Gegend der Lippen schien anzudeuten, dass er die Krankheit des Sohns eben nicht für die ernsthafteste halte.

Es steht, wie es steht: sagte der Doctor, [154] der diese Gelegenheit, für den Schwager zu reden, um so lieber ergriff, da der Alte nur eben seinen schwersten Posttag abgefertiget hatte, und jetzt, seiner Gewohnheit nach, im Sessel der Ruhe pflegte. In solchen Augenblicken, wusste er, war das Herz des Alten für Eindrücke des Angenehmen und Guten immer am meisten offen: denn die Gegenwart, die allein ihm zuweilen zur Last fiel, hatte er dann bei Seite geschafft; und in die Vergangenheit pflegte er immer mit grosser Gemüthsruhe zurück, so wie in die Zukunft mit froher Hoffnung vorwärts, zu blicken.

Sie reden ja ganz bedenklich, erwiederte er dem Doctor. Es wird doch nichts Schleichendes werden? – Da mögt' es mit der vorhabenden Reise noch langen Anstand haben. – Er lächelte wieder.

[155] Bis jetzt ist es Flussfieber, sonst nichts. – Dass sich etwas Schlimmers dahinter versteckt halten sollte, will ich nicht hoffen. Indessen hat man der Fälle.

Aber es lässt sich doch vorbauen? Nicht?

Allerdings. – Auch wüsst' ich nicht leicht, für welchen Kranken, wenn es zum Ernst kommen sollte, ich treuer und herzlicher sorgen würde, als für den Bruder. Ich lieb' ihn gar sehr; denn so wenig ich seine kleinen Schwachheiten an ihm verkenne, so weiss ich doch, dass er zu unsern rechtschaffensten, selbst zu unsern edelsten jungen Bürgern gehört.

Das klingt gar schön; in der That! Und am schönsten wohl in dem Ohre eines Vaters.

Sie haben mich fast abgeschreckt, über den Bruder mit Ihnen zu reden. – [156] Wie das? – Wenn Sie mir solche Dinge von ihm zu sagen, und noch mehr, wenn Sie mir Beweise davon zu erzählen haben; so reden Sie bis in die sinkende Nacht! Ich will hören! – Leider! würden solche Dinge für mich nur zu sehr den Reiz der Neuheit haben.

Und woher wollten Sie auch, dass sie Ihnen bekannt seyn sollten? – Ihr Sohn ist mit dem Guten, das er gethan hat, nie laut geworden.

Das klingt ja immer noch schöner. – Er beugte sich gegen den Doctor vor, und setzte mit einem kleinen ungläubigen Kopfschütteln hinzu: Sie haben mich ganz neugierig gemacht. Was für Wunderdinge werd' ich denn hören?

Der Doctor hatte keine Noth, unter den Beweisen von dem Edelmuthe seines Schwagers zu wählen; er hatte nur Einen, [157] aber auch desto wichtigern, in seinem Gedächtniss. – Sie erinnern Sich doch, fing er an, des unglücklichen Verhältnisses, worin Ihr Sohn mit dem seligen Lyk stand? Sie wissen doch, zu welchen boshaften, verläumderischen Briefen nach A ... sich dieser leichtsinnige Mann durch kaufmännischen Eigennutz hatte verleiten lassen?

Ich weiss das freilich, Herr Sohn. Aber ich bitte: wenn's zu Ihrem Zwecke nicht unumgänglich nöthig ist, so lassen Sie's ruhen! – Als der Mann sich hinlegte und starb, ging mir das nahe, und da gab ich ihm die Erinnerung daran in sein Grab.

Edel! – Und wahrlich! will dort' ich sie nicht wieder hervorziehn. – Nur gestehen Sie: dass es noch edler, als blosses Vergessen ist, wenn man so bittre Beleidigungen, die für den Menschen nicht [158] minder kränkend, als für den Kaufmann waren, mit den wichtigsten, langwierigsten, mühsamsten Diensten erwiedert.

Und wer that das? fragte der Alte begierig.

Ihr Sohn. – Meine wenige Hoffnung, den seligenLyk zu retten, da sein Fieber so heftig und sein Körper so sehr entnervt war, ward mir noch vollends durch eine ganz sichtbare Unruhe seines Gemüths vereitelt. Ich suchte ihr auf den Grund zu kommen; und es fand sich, dass er die schmerzlichste Sehnsucht fühlte, sein dem Bruder erwiesenes Unrecht wieder gut zu machen, und dass er nicht ruhig glaubte sterben zu können, wenn er nicht durch die aufrichtigste und wehmüthigste Bitte um Vergebung sein Gewissen erleichtert hätte. Ich erbot mich zum Mittelsmanne, und ich ward mit Freuden [159] dazu angenommen. Wenn der Bruder nicht gleich auf mein erstes Wort bereit war, den unglücklichen Mann zu besuchen; so lag das nicht, wie ich Anfangs glaubte, an einem Rest von Rachgier oder an einer natürlichen Herzenshärte, sondern bloss an seinem allgemeinen Abscheu vor allen Krankenzimmern, und an der Furcht vor dem zu heftigen Eindrucke, den ein Sterbender auf ihn machen könnte. Als er sich endlich entschloss mir zu folgen, und nun den Unglücklichen ansichtig ward, der ihm unter lautem Schluchzen die zitternden Arme entgegenstreckte; da war auf einmal jener Abscheu und jene Furcht aus seinem Herzen so rein verschwunden, dass er mit der lebhaftesten Begierde auf den Kranken zustürzte, und ihn mit Inbrunst umarmte. Das Menschliche, Edle, Grossmüthige [160] seines Benehmens rührte jeden Gegenwärtigen, und auch mich, der ich wahrlich! nicht der Weichmüthigste bin, bis zu Thränen. Wie viel Mühe gab er sich, den armen Leidenden zu beruhigen, und ihn von einem Bekenntniss zurückzuhalten, das für ihn so beschämend und kränkend seyn musste! Aus wie vollem Herzen strömte ihm das Wort der Versöhnung, als ihm seine innre Erschütterung es endlich auszusprechen erlaubte! »Fordern Sie, sagte er, fordern Sie einen Beweis von der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen; und wenn er irgend in meinen Kräften steht, so betheur' ich Ihnen vor Gott: ich will ihn mit Freuden geben. Kann ich Ihnen, kann ich den Ihrigen dienen? Kann ich's in diesem Augenblicke? kann ich's in der Zukunft? Womit? Womit? – Ich erwarte nur Ihr[161] Wort, bester Lyk; und was es auch immer seyn mag – –«

Der Alte sass in seinem Sessel, vor lauter Zuhören, so stille, dass er kein Glied bewegte. Nur war er sich gleich Anfangs mit der Hand nach dem Stutz gefahren, um ihn von dem guten Ohre ein wenig zurückzustossen, und jetzt auf einmal fuhr er sich mit den Fingern an seine Augenwimper.

Der Sterbende, fuhr der Doctor fort, nutzte die Erklärung des Bruders zu einer Bitte, deren Wichtigkeit ich erst hinterher aus der ungeheuren Arbeit kennen lernte, die ihre Erfüllung kostete. Er gestand, dass seine Handlungsgeschäfte in Verwirrung, seine Bücher in nicht geringer Unordnung wären.

Das will ich glauben, sagte der Alte.

Er bejammerte das Schicksal seiner [162] Frau und seiner unmündigen Kleinen, wenn ihn Gott von der Welt rufen sollte.

Und das mit Recht! Ich denke, er war nicht weit mehr vom Bruche.

Der auch wohl sicher erfolgt wäre, wenn die unermüdbare Geschäftigkeit Ihres Sohnes nicht gethan hätte.

Wie? –

Das Geständniss des Sterbenden war kaum abgelegt, als Ihr Sohn ihm sein heiliges Wort gab: dass er auf den Fall Seines Todes nicht ruhen wolle, als bis er Alles, so gut er es immer möglich finde, in Ordnung gebracht habe.

Und er hielt's? rief hier der Alte hitzig.

Mit der pünctlichsten Treue. Ganze Monate lang brachte er, Abend vor Abend, in jenem Hause der Trauer unter den verdriesslichsten Geschäften zu, verglich Bücher, zog Rechnungen aus, schrieb oder [163] beantwortete Briefe; indessen Sie, mein lieber Vater, ihn auf Bällen, oder in Concertsäälen, oder an Spieltischen glaubten. –

Es wäre besser gewesen, wenn der Doctor diesen unnöthigen Zusatz unterdrückt hätte; denn ohne dem Schwager damit zu nützen, that er sich selbst damit Schaden. Er brachte sich um ein Fässchen Weins, oder um irgend ein andres Geschenk, das er sonst für seine angenehme Erzählung gewiss erhalten hätte.

Ich habe denn eben keinen Wahrsagergeist, sagte der Alte empfindlich, – Die Thorheiten meines Sohns, die mich verdriessen mussten, durft' ich erfahren; aber sein Gutes, das mir hätte können Freude machen – –

Der Doctor entschuldigte sich, wegen seines Geheimhaltens, mit dem abgenöthigten [164] Versprechen zu schweigen: einem Versprechen, das er vielleicht zu gewissenhaft bis auf den Vater ausgedehnt habe. Die kleine Falschheit, die in dieser Erklärung lag, da vorzüglich um des Vaters willen jenes Versprechen war gefordert worden, glaubte er sich vergeben zu können. – Bald darauf erinnerte er sich einiger Kranken, denen er noch Besuche zu geben hatte, und empfahl sich dem Alten. –

Er war schon mehrere Minuten hinaus, als HerrStark noch in seinem Sessel, von dem er beide Arme bequem herabhangen liess, mit feuchtem Blick vor sich hinschmunzelte, und in Gedanken das unbegreifliche Bild seines geputzten und gepuderten Sohnes anstaunte, wie er vor dem Krankenbett eines Feindes edelmüthige Thränen vergoss, und ganze Monate[165] lang alles Vergnügen aufgab, um in das Chaos vernachlässigter Handlungsbücher Licht und Ordnung zu bringen. – Er ward durch den Besuch von ein paar Fremden gestört, die für die abgebrannte Kirche zuL ... und die mit abgebrannten Pfarr- und Schulgebäude milde Beiträge sammelten. Er nahm sie mit vieler Leutseligkeit auf, und statt der dreissig oder funfzig Reichsthaler, die er sonst vielleicht geschrieben hätte, schrieb er jetzt volle hundert. – Der erste Buchhalter, Monsieur Burg, trat herein, und suchte mit verlegner Miene einen Brief vorzubereiten, worin ein Verlust von mehrern Tausenden als höchstwahrscheinlich vorausgesagt ward. – So etwas fällt in einer Handlung schon vor, sagte der Alte, und gab ihm den Brief, nach nur flüchtiger Durchsicht, mit einer Freundlichkeit [166] wieder, als ob er die angenehmste Nachricht von der Welt enthielte.

Den ganzen Abend hindurch war er über die Entdeckung, die er so unvermuthet gemacht hatte, ungewöhnlich heiter und froh; es war ihm, als ob ihm erst jetzt, in seinem hohen Alter, ein Sohn wäre geboren worden. Als er in seine Schlafkammer ging, gab er vorher der Alten, die solcher ehelichen Zärtlichkeiten schon seit lieben langen Jahren entwöhnt, und daher nicht wenig, aber auch nicht unangenehm, erstaunt war, einen recht herzlichen Kuss. Das Einzige, was ihn noch innerlich ärgerte, war der Umstand: dass an einer Waare, die doch tiefer hinein ein so gutes und feines Gespinnst zeigte, gerade das Schauende so schlecht seyn musste.

17.

[167] XVII.

Unter so angenehmen Vorstellungen der Alte eingeschlummert war, unter so unangenehmen wachte er auf. Da er sein Herz von der Erzählung des Doctors voll hatte; so versetzte ihn ein Traum in das Lykische Haus, wo er das Vergnügen genoss, seinen Sohn, mit Schweiss und Staub bedeckt, unter einem Haufen ganz verschiedenartiger, höchst undeutlich durcheinander geworfener Waaren zu sehn, die er mit grossem Fleiss auseinander suchte. Er wollte so eben zugreifen, um ihm zu helfen, als in seiner Einbildung die mit dem Namen Lyk verbundenen Bilder lebendig wurden, und ihn aufs bitterste den Entschluss bereuen liessen, in ein Haus voll so toller Verschwendung und so ärgerlicher [168] Ausschweifung getreten zu seyn. Indessen hielt er den Anblick der prächtigen Zimmer, die in seinen Gedanken sich eher für einen Fürsten als einen Kaufmann schickten, der mit grösstem Überflusse besetzten Tafeln, der umherschwärmenden Bedienten, ja sogar der wilden, lärmenden Trinker, die Champagner wie Wasser hinuntergossen, eine Zeitlang aus; aber als endlich sein Sohn mit der Hausfrau süsse Blicke zu wechseln anfing, und beide auf einmal in bebänderten Domino's, mit Masken in den Händen und rothen Absätzen unter den Schuhen, vor ihm standen: so stürzte er, voll des äussersten Widerwillens, zur Thüre, und dankte dem Himmel, auf die grosse Hausflur hinauszukommen, die ihm aus frühern Jahren, von den Zeiten des alten Lyk her, so wohl bekannt war. Er hob [169] hier sorgfältig beide Rockschösse auf, und drückte sie dicht an den Leib, um unbeschmutzt durch die Packen und Ballen und Kisten und Fässer zu kommen, zwischen denen ehemal nur ein ganz schmaler Weg hindurchging; aber plötzlich ward er zu seinem Erstaunen inne, dass seine Vorsicht unnütz, und dass die ganze Flur von Waaren so ausgeleert war, wie eine Schatzkammer nach einem Kriege von Gelde. Alle Wände umher hingen voll angezündeter Lampen, und nicht lange, so ertönte aus dem Hintergrunde des Saals – denn das war die Flur nun geworden – eine lustige Tanzmusik: Paar an Paar hüpften, wie unsinnig, gegen-und durcheinander; und als er sich leise niederdrückte, um wo möglich hinter ihnen weg und zum Hause hinauszuschleichen: tanzte ihm unversehens eine der muntersten [170] und galantesten Frauen der Stadt, von gar nicht gutem Rufe entgegen, riss ihn, wie sehr er sich sträubte, in die Reihe hinein, und wirbelte dann, in Verbindung mit der ganzen Gesellschaft, den guten Alten, der nie als in seiner Jugend ein Tänzchen, und auch da nur ein Ehrentänzchen, gemacht hatte, so unbarmherzig auf und nieder, dass er bei seinem endlichen Stillstehen kaum wieder Athem gewinnen konnte. Er fand sich hier einem Spiegel gegenüber, der ihm seine ganze gegen die übrige Gesellschaft so abstechende Gestalt, zugleich mit seinen grauen Wimpern und den ehrwürdigen Runzeln seines Alters zeigte; ein Anblick, worüber er augenblicklich wach ward, und sich völlig so athemlos und so eingefeuchtet fand, als ob die geträumte heftige Leibesbewegung wirklich Statt gehabt hätte.

[171] Gottlob! rief er, indem er die Augen weit aufthat, und sich des einsamen Schimmers seiner Nachtlampe von Herzen freute: es war nichts, als ein Traum. Hätt' ichs doch kaum geglaubt, dass man im Traume ein so schweres und angreifendes Stück Arbeit machen könnte! – Die tollen, rasenden Menschen! – Und nun fing er an, weil die Wallung in seinem Blute noch fortwährte, und die verhassten Bilder noch ihre volle Lebhaftigkeit hatten, sich recht ernstlich über den Unsinn zu ärgern, womit so Mancher für die läppischen, armseligen Vergnügungen, denen er nur eben beigewohnt hatte, Vermögen und Gesundheit und ehrlichen Namen auf's Spiel setze. Er dachte sich mit dem äussersten Abscheu die Möglichkeit, dass auchsein so sauer erworbenes Gut, eben wie das Lykische, in wenig [172] Jahren verprasst, und der Name Stark, den er bisher in Ehre und Ansehen erhalten, mit Schimpf und Schande belegt werden könnte. Hier fielen ihm die süssen, zärtlichen Blicke auf's Herz, die er seinen Sohn mit Madam Lyk hatte wechseln sehen. Es fuhr ihm kalt über den Rücken. Doch tröstete ihn wieder die Betrachtung: dass die Liebe zum Gelde in dem Herzen seines Sohns keine schwächere Leidenschaft, als die Eitelkeit, sei, und dass es ihm jene gewiss nicht erlauben werde, sich mit einer Frau von so mittelmässigen Umständen – denn was konnte eine so weit getriebne Unordnung und Verschwendung zurückgelassen haben? – und noch obendrein mit einer Mutter von Kindern, zu belasten. So weit, sagte er, kann sein Geschmack an Galanterie ihn doch unmöglich verleiten. [173] Zwar, wandt' er sich wieder ein, hat er ja meine Erwartung schon in Einem Stücke getäuscht; und so könnt' er es leicht auch in diesem. – Doch ich träume noch, glaub' ich; die Fälle sind einander zu ungleich. Das Opfer, das er bei so einer Heirat brächte, wäre zu gross; auch hat er hier volle Zeit zur Besinnung – denn in eine Liebe verstrickt zu werden, die ihn aller Besinnung beraubte, sieht ihm nicht ähnlich –; und welche Wahl er treffen kann, wenn ihm nur die Besinnung frei bleibt, ist keine Frage. Am Krankenbett des seligen Lyk sah er sich überrascht; er ist nur ein eitler und schwacher, kein verderbter, kein boshafter Mensch: es war natürlich, dass der erschütternde, ihm so neue Anblick eines Sterbenden, und die dringende Aufforderung die so sehr zu rechter Zeit an sein [174] Herz erging, ihn zu einem Versprechen hinrissen, das er bei kalter Überlegung wohl schwerlich gethan hätte, das aber, einmal gethan, nicht unerfüllt bleiben durfte, wenn er nicht geradezu als ein Mann von schlechter Gesinnung erscheinen wollte. – Und warum sollt' er denn nicht auch freudig gethan haben, was einmal gethan werden musste? Warum sollt' er nicht, während er's that, in dem Bewusstseyn seiner Rechtschaffenheit, und in der Achtung die er gegen sich selbst empfinden musste, sich so wohl gefallen haben, dass er immer freudiger fortfuhr? Ich danke dem Himmel, wenn er bei dieser Gelegenheit in den Geschmack des Guten gekommen. Vielleicht, dass ihn das edlere Vergnügen wohl noch ganz von den armseligen Eitelkeiten abzieht, zu denen er bisher einen so unglücklichen [175] Hang hatte; und dann vollends – leben Sie wohl, Madam Lyk, mit aller Ihrer Feinheit, und Ihrem Weltton, und mit dem ganzen Gefolge von Liebenswürdigkeiten, das hinter Ihnen drein treten mag! Für meinen Sohn sind Sie nicht. –

Wenn diese Gedankenfolge des Herrn Stark, so richtig und bündig sie schien, dennoch nur wenig zutraf; so lag das an den beiden so gewöhnlichen Fehlern: dass er einen Charakter, der sich bis jetzt nur von gewissen Seiten entwickelt hatte, und von andern sich selbst, noch ein halbes Räthsel war, als schon völlig bekannt und ergründet voraussetzte; und dass er in die Vorstellung der Verhältnisse, worin er diesen Charakter handeln liess, einige bedeutende Irrthümer brachte, deren Entstehungsart wir vielleicht künftig [176] erfahren werden. Genug, dass für den Augenblick Herr Stark sich beruhigt fühlte, und wieder einschlief; doch hatten wirklich die aufgestiegenen Dünste seinen Horizont ein wenig getrübt, und Sonnenaufgang war daher nicht ganz so heiter, als man bei Sonnenuntergang hätte erwarten sollen.

18.

[177] XVIII.

Frau Doctorinn Herbst hatte den Besuch, den sie der Witwe zugedacht hatte, jetzt wirklich abgelegt; und kam mit Gesinnungen von ihr zurück, die sich aus denen womit sie hinging, errathen lassen. – Die Frau war gerade nicht schön, aber reizend: es gab wohl andere Frauen, die, wenn auch nicht jetzt, wenigstens ehemal, bei der Vergleichung mit ihr gewonnen hätten, und die trotz aller Verwüstungen, welche ein zu häufiger Ehesegen anzurichten pflegt, sich noch immer zum Verwundern erhielten. Allein das Sanfte und Einnehmende in der Miene und dem Betragen der Lyk, ihre vortreffliche Kinderzucht, ihre Achtung gegen das Andenken eines Mannes, der durch [178] seine sinnlose Verschwendung sie unglücklich gemacht, der sie aber gleichwohl geliebt hatte, ihre innige Dankbarkeit gegen den bewussten Freund, von dem sie nicht ohne Thränen im Auge reden konnte: alles das war von höherm Werthe als Schönheit; und die Doctorinn fühlte sich in solche Begeisterung dadurch gesetzt, dass sie ihrem Manne wiederholt erklärte: sie würde ihr Haupt nicht eher sanft legen, als bis sie die Verbindung zwischen ihrem Bruder und der Witwe zu Stande gebracht hätte. – Es ist kein Weib auf Erden, sagte sie, womit der Bruder glücklicher leben könnte; sie besitzt in ihrem natürlichguten Verstande, in ihren durch Erfahrung bestätigten Grundsätzen, in ihrem zur Ruhe und zur Häuslichkeit so ganz sich hinneigenden Charakter, gerade das was [179] dem Bruder noth thut, und was der Vater selbst an der Gattinn seines Sohnes nicht besser wünschen könnte.

Der Doctor nickte hie und da mit dem Kopfe, und murmelte Ja; ging aber nachdenkend und verdriesslich umher. – Was ist dir? fragte die Doctorinn endlich.

Ich komme von dem Gläubiger unserer Witwe, dem Horn. Du weisst, er hat für gegenwärtigen Augenblick ihr Wohl und ihr Wehe in Händen.

Nun? – O der nichtswürdige Mensch!

Kennst du ihn denn?

Aus seinem Gesichte nicht, aber aus deinem. – Was gilt's, er will ihr nicht länger nachsehen, will sie zu Grunde richten?

Das nun nicht; dazu ist er zu gottesfürchtig. Er will nur sein Geld.

[180] Und aus ihr mag werden, was will! Nicht wahr?

Kümmert das einen Kaufmann?

Die Doctorinn bat in hohem Tone um Ausnahme für ihren Vater, die der Doctor mit Freuden machte; und nun fuhr sie ganz unbarmherzig über den Gläubiger her. Ohne dass sie diesen Horn je gesehen hatte, ward er vor ihrer Phantasie eins der hässlichsten, zurückschreckendsten Gesichter der ganzen Stadt. – Ich mögte, sagte sie, wundershalber den Elenden doch kennen lernen, der ein so braves, liebenswürdiges Weib, eine Mutter von zwei unmündigen Waisen, so schändlich verfolgen kann. – Aber nein! nein! Mich schaudert, wenn ich mir das Ungeheuer nur denke.

Kind! Es ist ein ganz gemeines, plattes Menschengesicht, aus dem in der [181] Welt nichts hervorleuchtet, weder Gutes noch Böses. Ein Gesicht, wie es unter den leeren Geldseelen so viele haben, und wie man sie an Börsentagen zu Dutzenden kann herumlaufen sehen.

Aber, fuhr sie fort, dachte denn der Mensch mit keiner Silbe an die Verbindlichkeiten, die er gegen dich hat? an die Krankheiten seines Weibes und seiner Kinder, wo du Tag und Nacht, mit Gefahr deiner eignen Gesundheit – –

Ach schweig doch! Das ist ja Alles bezahlt.

Bezahlt? – Lässt sich so was bezahlen?

Und vielleicht, wenn er in seinem Buche mein Folium ausschlägt, bin ich bei ihm noch tief, tief in der Schuld. Denn: hat er mich nicht zu Tische gebeten? Hab' ich nicht, in Gesellschaft [182] von Rathsherrn und Matadoren, Fasanen bei ihm gegessen? Tokaier bei ihm getrunken?

Der Elende! – Ehre mir Gott meinen Vater!

Stille! Wer wird in solcher Gesellschaft ihn nen nen? – Aber, mein Kind – damit wir das Wichstigste nicht vergessen – –

Ja wohl! Wie wir die arme Witwe aus seinen Klauen reissen –

Die nicht mehr; aber mich. – Meine Gutherzigkeit hat mir einen sehr üblen Streich gespielt, und ich kann darüber leicht in's Gefängniss wandern.

Um's Himmels willen! du hast dich an dem Menschen doch nicht vergriffen?

Pfuy! Dazu acht' ich meine Hände zu hoch. – Ich habe nur aus Verdruss, weil nichts mit ihm auszurichten war, [183] Feder und Dinte gefordert, habe mir den Betrag der Schuld auf Mark und Schilling angeben lassen, und habe ein Wechselchen ausgestellt – auf mich selbst: von etwas über dreitausend Mark; in acht Tagen zahlbar.

Bravo! sagte die Doctorinn, und flog ihrem Mann an den Hals. – Aber ist es möglich, dass der fühllose Mensch den Wechsel annahm? von dir!

Warum nicht? Ich habe das schöne Haus hier, und habe Dich. Ein drei-, viertausend Mark, und wenn auch noch etwas mehr, bin ich ihm werth; unbesehens!

Hast du denn aber Geld zu bezahlen?

Da steckt der Knoten. – Keine dreihundert Mark.

Mann! Mann! So lieferst du ja dem Unholde dich selbst in die Hände.

[184] Freilich! – Denn was ich seit einiger Zeit gesammelt hatte, ist vorige Woche, wie du weisst, zu Capital gemacht und ausgethan worden. Neue Einnahme, wenigstens beträchtliche, seh' ich fürs erste nicht ab; und geschrieben ist nun einmal der Wechsel, und will bezahlt seyn. – Indessen – weisst du, worauf ich mein volles Vertrauen setze?

Nun? Auf einen Rest von Scham bei dem Horn?

Nicht doch! – Auf die kluge Tochter des klugen Herrn Stark, die ich glücklicher Weise zur Frau habe. – Die, mit ihrem Kopfe, hilft mir sicherlich durch. –

Eigentlich hatte der Doctor einen Anschlag auf den vollen runden Beutel gemacht, den der Vater, beim Besuche des Sohns, unter den Spiegel gestellt hatte, und der seines Wissens noch unangerührt [185] dastand. Allein die Doctorinn, die nach abgestattetem Danke für das so gütige als gerechte Vertrauen, welches man in ihren Verstand setzte, ein wenig nachgesonnen hatte, schlug auf einmal in die Hände, und rief: Ich hab's!

Das Geld? fragte der Doctor.

Nein, aber die Art und Weise, wie wir's bekommen. Die Witwe selbst schafft es an.

Die Witwe? –

Und das von unserm Alten. Von meinem Vater.

Von deinem Vater? –

Nun ja! ja! Was giebts denn da zu verwundern? – Einmal ist's doch nothwendig, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, dass der Alte die Witwe kenne; und eine bessere Gelegenheit dazu, als diese, wird sich nicht finden. – Kurz, [186] sie macht einen Besuch bei dem Vater, bittet den Vater, gefällt dem Vater, bezahlt ihre Schulden, heiratet den Bruder.

Himmel! rief der Doctor, und ich habe noch kein Kleid auf die Hochzeit. – Die kömmt mir rasch über den Hals. Ich will nur gleich in den Laden.

Haha! – Aber spotte nur? spotte! Die Sache ist so gut wie geschehen. Es ist unmöglich, wenn der Vater die Witwe sieht, dass sie ihm nicht gefalle, und auf dieses Gefallen bauen wir dann weiter fort, bringen ihn von allen seinen Vorurtheilen zurück, lassen ihn die Heirat nicht bloss genehmigen, sondern selbst wünschen.

Wenn er nun aber die Witwe nicht vorlässt; wie da?

Leere Grille! –

Oder wenn er wohl gar – was wir [187] doch wirklich zu fürchten haben – sie ungütig aufnimmt?

Wenn Er –? Sie stand hier einen Augenblick stille, und sah auf den Boden. – Mann! rief sie dann aus: Du bist mitunter doch allerliebst. Ich mögte dich küssen für deinen Einfall.

Für welchen?

Dass er sie ungütig aufnehmen könnte. – O, wenn der Himmel das wollte!

Versteh' Euch Weiber ein Andrer!

Komm! Ich eröffne dir das Verständniss. – Nicht wahr? Wenn der Vater sie ungütig aufnimmt: so begeht er, ganz gegen seine sonstige Art, einen Fehler, den er durchaus, es koste auch was es wolle, wieder wird gut machen wollen; so setzt er sich selbst aus der guten Laune heraus, in der es immer so schwer wird ihn zu fassen und mit ihm fertig zu [188] werden; so sind wir auf einmal, und gleichsam durch einen Sprung, an dem Ziele, zu dem wir uns sonst – wer weiss wie langsam und durch wie viel Schwierigkeiten? – hindurchwinden müssten.

Alles gut! sagte der Doctor. Wenn nur nicht zu besorgen wäre – –

Freilich! – Dass er den Fehler nicht macht.

Ganz im Gegentheil! – Dass er ihn nicht für Fehler erkennt.

Ach, wenn er ihn nur erst macht! Die Erkenntniss wollen dann wir ihm schon verschaffen. –

Aber, mein Kind – indem er bedenklich den Kopf schüttelte, und eine sehr ernsthafte Miene annahm – dem eignen Vater eine Falle zu legen – ich weiss nicht – –

Eine Falle! – Was nun das wieder [189] ist! Eine Falle! – Ich sinne in der Welt auf nichts Arges, nur auf Liebes und Gutes; und da kömmt der Mann und erhebt ein Geschrei, als ob ich über Tücke und Hinterlist brütete. – Wer hat mir denn das Basiliskenei in mein Nest geschoben, als eben Er? Wer hat den unglücklichen Einfall gehabt, als ob der Vater sich übel benehmen könnte? Er wird sich sehr gut benehmen, sehr gut. Das soll der Herr Doctor nur wissen! – Mit diesen Worten ergriff sie ihre Enveloppe, und war schon längst auf der Strasse, als der Doctor noch immer den Faden suchte, woran er seinen casuistischen Knäuel entwirren könnte.

19.

[190] XIX.

Die Verwunderung, womit Madam Lyk ihre neue Freundinn so schnell zurückkommen sah, ging in Freude über, als sie den glücklichen Ausgang der Unterhandlung mit Horn erfuhr; aber diese Freude wieder in Unruhe, als die Doctorinn fragte, ob sie ausser diesem Horn, den sie nun freilich fürs erste los sei, nicht noch andere Gläubiger habe?

Ich hoffe, sagte die Witwe, keine so dringende und so ungestüme.

Gesetzt aber, dass ihrer mehrere aufwachten; wie da? – Wär' es nicht für Ihre Ruhe sehr wesentlich, meine Freundinn, lieber allen auf einmal den Mund zu stopfen?

Wenn mir das möglich wäre; wie [191] gerne! – Aber ohne Zeit, die man mir lässt, und ohne Zutrauen, das man mir schenkt – –

Kennen Sie meinen Vater? fiel die Doctorinn ein.

Der Person nach – kaum. Sehr von weitem.

Aber dem Charakter nach? der Denkungsart nach?

Da hab' ich die höchste Meinung von ihm. Ich schliesse auf den Vater von seinen Kindern.

Die gerathen nicht Immer. Glauben Sie mir: die Kinder des alten Stark könnten besser seyn, wenn sie dem guten Vater ähnlicher wären.

Sie sagen für meine Erkenntlichkeit allzuviel.

Für mein Herz allzuwenig. – Und nun fing sie an, ein Gemälde zu entwerfen, [192] das zwar wirklich dem alten Herrn ziemlich ähnlich sah, das aber gleichwohl für ein Bildniss, wofür es doch gelten sollte, zu wenig Eignes und Unterscheidendes hatte. Eine zu gerührte kindliche Dankbarkeit, und eine zu lebhafte Begeisterung, die immer idealisirt und verschönert, hatten die Farben gemischt und den Pinsel geführt. Indessen war eben durch diesen Fehler das Gemälde um so geschickter, der Witwe ein unbedingtes Vertrauen einzuflössen, und eine lebhafte Begierde nach einer so vortrefflichen Bekanntschaft bei ihr zu wecken. Wäre mitten unter den schönen Zügen des verständigen, menschenfreundlichen, grossmüthigen Mannes, auch die ernste Falte des Sittenrichters und das heimliche Lächeln des Spötters, die doch so sehr zur Physiognomie des Herrn Stark gehörten, [193] sichtbar geworden: so würde freilich jenes Vertrauen sehr geschwächt, und diese Begierde sehr gedämpft worden seyn.

Die Witwe bezeugte in den kräftigsten Ausdrücken ihre Bewunderung, ihre Verehrung, und war nicht wenig neugierig, wohin das Alles gemeint sei.

Kennen Sie – muss ich noch weiter fragen – dasBlumische Haus?

O sehr wohl. Ich bin Schuldnerinn auch von ihm.

Und wie nimmt es sich? Gut? –

Mehr als gut; äusserst edel. Es hat mir die grossmüthigste Nachsicht von vielen Monaten bewilligt.

Blosse Pflicht, meine Freundinn! – Es hat sich, wie ich sehe, seiner eignen Geschichte und der grossen Verbindlichkeiten erinnert, die es ehemal gegen den guten seligen Lyk, Ihren Schwiegervater, hatte.

[194] Davon weiss ich nichts, sagte die Witwe.

Mir schwebt es vor, wie im Traume. – Ich war noch ganz jung, als einst mein Vater sehr spät von der Börse kam, und den ganzen Tag von nichts als von einem gewissen Blum sprach – dem Grossvater des jetzigen – der seine Zahlungen eingestellt hatte, und dessen Fall man für unvermeidlich ansah. – Mein Vater, obgleich in keiner Handlungsverbindung mit ihm, nahm den lebhaftesten Antheil an seinem Schicksal, und zeigte sich höchst erbittert gegen gewisse heimliche Neider, die den ehrlichen schuldlosen Mann verfolgten, und seinen Fall zu befördern suchten. Er fasste den Entschluss, ihn, wo möglich, zu retten; und der alte Lyk, immer vertrauter Freund unsers Hauses, war von gleicher Gesinnung. Mein Vater untersuchte [195] hierauf die Bücher von Blum, fand seine Rettung, wenn er gehörig unterstützt würde, sehr möglich, so wie ihn selbst an seinem Falle – oder ich sollte sagen, an seiner Verlegenheit – völlig unschuldig.

Die Witwe sah bei diesem letzten Zuge nieder, und seufzte.

Und nun nahm er, in Verbindung mit Lyk, die ganze Schuldenlast auf sich, bezahlte die Ungeduldigen baar, setzte den Andern Termine, und machte mit einem Worte der Verlegenheit und der Verfolgung des Mannes ein Ende. – Was mir, als Kind, diesen Auftritt tief ins Gedächtniss prägte, war mein Erstaunen, einen alten ehrwürdigen Mann mit schlohweissen Haaren, der meines Vaters Vater hätte seyn können, so bitterlich weinen zu sehen. Der gute Mann war ganz aufgelöst [196] in Dankbarkeit und in Rührung. – Er betrat nachher unser Haus sehr oft, der alte, freundliche Blum, und befestigte sein Andenken bei mir durch eine Menge kleiner Spielsachen und Näschereien, die er mir immer zuzustecken pflegte. – – Nun, meine Freundinn? Darf ich noch erst sagen, wo ich hinaus will? – Mein Vater ist noch immer der Alte, sein Wille zu helfen der alte, sein Vermögen dazu – aber nein! das ist nicht mehr das alte; das hat sich indess verdoppelt, vielleicht verdreifacht: und also – was kann Sie hindern, ihm ohne Umstände den Antrag zu thun, dass er an Ihnen, wie ehemal anBlum handeln, und alle Ihre Schulden übernehmen wolle? – Ihre Kinder sind seines Freundes Enkel; überlegen Sie das!

Die Witwe war über diesen Vorschlag [197] nicht bloss erstaunt, sondern erschrocken. Ihre Dankbarkeit trieb sie an, den Rath einer so wohlmeinenden, so zärtlich um sie bekümmerten Freundinn nicht zu verachten; und doch zeigte ihre natürliche Blödigkeit ihr die Befolgung dieses Raths als für sie unthunlich, als beinahe unmöglich.

Kann ich – fing sie zu stottern an – kann ich den Muth haben, Frau Doctorinn – ich eine Fremde – eine ihm völlig Unbekannte – –

Sie dürfen Sich in der That nicht bedenken. Der Dienst, der Ihnen geleistet wird, ist zwar dankenswerth, aber nicht gross. Ihre Sachen, hör' ich, sind durch meinen Bruder bereits in Ordnung; eine Durchsicht ihrer Bücher ist nicht mehr nöthig; Gefahr zu verlieren ist bei Ihnen keine: und also – – Ich lasse nicht ab, [198] liebe Freundinn. Ich bin ein eigensinniges Weib. Sie müssen mir Ihr Wort darauf geben, dass Sie morgen am Tage zu meinem Vater gehen.

Der Witwe stand der Schweiss vor der Stirne. Aber die Doctorinn, obgleich nicht ohne Mitleiden mit ihr, hörte nicht auf, ihr zuzusetzen.

Freilich, sagte sie, wär' es natürlicher, Sie an meinen Bruder, als an meinen Vater zu weisen; denn jenen kennen Sie schon, und ohne Zweifel wissen Sie Selbst, wie viele Hochachtung er gegen Sie hegt, mit welcher Herzlichkeit er Ihnen ergeben ist; – –

Eine feurige Röthe, die sogleich wieder in Blässe überging, flog der Witwe über die Wangen. Die Doctorinn wollte nicht das Ansehen haben, sie zu bemerken. – [199] Allein der seltsame Mensch – Gott mag wissen, aus welcher Grille? – will ja von hier, will sich von seinem Vater trennen, und eine Handlung unter eigner Firma errichten. – Ausser dass er den Einfluss und das Gewicht nicht hat, wie mein Vater; so braucht er gegenwärtig sein bischen Armuth für sich: und so sehen Sie wohl – –

Ich sehe Alles, sagte die Witwe. Ich bin Ihnen für Ihre Theilnahme, für Ihre so unverdiente, gränzenlose Güte unaussprechlich verbunden: allein, da doch gegenwärtig noch keine Noth ist; da Horn, wie Sie Selbst mich versichern, fürs erste schweigt, und da die übrigen Gläubiger mich nicht drängen – –

Die Doctorinn, ob sie gleich sehr ungern diesen Schritt that, sah sich genöthigt, mit der vollen Wahrheit herauszugehen, [200] und der Witwe zu sagen, dass, wenn sie den Gang zu ihrem Vater verweigerte, ihr guter Mann wegen eines für sie ausgestellten Wechsels ins Gedränge kommen, und nicht wissen würde, wie er den ungestümen, hartherzigen Horn befriedigen solle. – Dieses einzige, unerwartete Wort war entscheidend; die Witwe versprach nun heilig, obgleich mit schwerem, muthlosen Herzen, dass sie morgen im Tage dem alten Herrn Stark ihre Ehrerbietung bezeugen wolle.

20.

[201] XX.

Es war um Theezeit; und die Doctorinn, die sich den Mund ganz trocken gesprochen, aber bei der Witwe den Thee verbeten hatte, kam auf den Einfall, ihn bei der Mutter zu trinken. Sie fand hier zugleich den Vater, der dann und wann bei der Alten ein Schälchen nahm; und zufälliger Weise auch MonsieurBurg, den Madam Stark so eben wegen eines Gerüchtes ausfragte, das ihr zu Ohren gekommen war. Es hiess: ein ziemlich bemittelter Oheim von Burg, den dieser zu beerben gehofft hatte, sei noch in seinen alten Tagen schlüssig geworden, sich zu verheiraten. – Ist das wahr? fragte die Alte.

Leider wahr! sagte Monsieur Burg.

[202] Aber wie in aller Welt kömmt er auf den Gedanken? Ich hätt' ihn für vernünftiger angesehen.

Wie? sagte der Alte, den die Lust, sie ein wenig zu necken, ankam. Ist Heiraten Unvernunft, Mutter?

Behüte! Es wäre Lästerung, das zu sagen. Ehe ist ja eine Einsetzung von Gott.

Das mein' ich! Und eben deswegen, Mutter – weil der alte Oheim, nach langer Verblendung, das endlich einsieht; so bereut er sein bisher geführtes sündliches Hagestolzenleben, und kriecht zu Kreuze.

Jaja! rief hier Monsieur Burg, dem der wahrscheinliche Verlust der Erbschaft schwer auf dem Herzen lag –: Kreuz soll er schon finden, denk' ich, das soll er finden!

Lieber Monsieur Burg! sagte die Alte, [203] und nahm einen andächtigen Ton an: auf Erden hat wohl jeder sein Kreuz; und was der Himmel dem Oheim auferlegt, muss er tragen, und muss darüber nicht murren. Das ist Pflicht eines Christen.

Die Doctorinn hatte Noth, nicht zu lachen. – Aber, sagte der Alte, du hörst ja, dass er der Trübsal willig entgegengeht, und dass er sich ganz demüthig in die Schule der Geduld begiebt. Was verlangst du denn mehr? – – Alberne Menschen übrigens sind diese Hagestolzen: das ist gewiss. In der Jugend, hüten sie sich sorgfältig vor einer Thorheit; und im Alter, begehn sie dafür eine Narrheit.

Ei, ei! rief die Doctorinn aus. Lieber Vater!

Was ist? –

Sie waren ja sonst ein so grosser Freund, ein so eifriger Vertheidiger des Ehestandes.

[204] War ich? – Nun, so will ich's auch bleiben, und will die Thorheit geschwind zurücknehmen. Doch die Narrheit, Kind, musst du mir lassen.

Drollicht! – Aber ich bin's zufrieden. Es gilt. –

Und ist's denn wahr, fuhr die Alte zu untersuchen fort, dass die Person, in welche sich der Oheim verliebt hat – –

Verliebt, Mutter? Hat er sich denn wirklich verliebt? – Ich dachte, er heiratete bloss aus Zerknirschung.

Wenigstens, sagte Monsieur Burg, kann die Zerknirschung noch kommen. Das Weib soll hässlich seyn, wie die Nacht. – Und Kinder bringt sie ihm obendrein in das Haus. Ganzer zwei.

Wirklich? – Nun, das war's, sagte die Alte, was ich im Sinne hatte, und wornach ich vorhin Ihn fragen wollte. – Also [205] eine Witwe nimmt er zur Frau? und eine Mutter von Kindern? Hm! –

Von zwei lebendigen Kindern.

Hmhm! –

Scheint dir das sonderbar, Mutter? Mir nicht. Mir scheint es das Vernünftigste bei der Sache. – Wenn Kinder da sind, so wird denn doch der Alte mit Ehren Vater. – Eine Witwe zu heiraten, ist immer die beste Art, zu fremden Kindern Vater zu werden.

Und was giebt's denn für eine andre? fragte die Alte ganz ehrbar. – Ach ja! – indem die Tochter, die sich nicht länger halten konnte, von Herzen zu lachen anfing, und der Vater mit einstimmte. – Das treuherzige Ach ja! war nicht gemacht, dieses Lachen zu dämpfen; und die Mutter, so sehr sie sich Anfangs dagegen sträubte, lachte am Ende mit. – [206] Herr Stark, wie man sieht, war in seiner Feiertagslaune; aber sicher hätt' er ihr nicht den Zügel schiessen lassen, und hätte sich kein's seiner Spässchen erlaubt, wenn nicht Herr Wraker, der alte Oheim von Burg, ein bekannter Ausschweifling gewesen wäre, der die Hochachtung von keinem Menschen, und also auch nicht von dem Neffen, hatte. – Indessen, als in der Folge des Gesprächs sich der gekränkte Eigennutz des jungen Mannes immer stärker verrieth, und er sich endlich zu bittre, zu unanständige Glossen erlaubte, wies ihn Herr Stark, zwar liebreich, doch alles Ernstes, zurechte. – Er berührte zuerst den Hauptpunct der wahrscheinlich verlornen Erbschaft, und erklärte diesen Verlust für nichts weniger als ein Unglück: denn, meinte er, Monsieur Burg sei ja Manns genug, um durch [207] eigene Kräfte sein Glück zu machen; und so ein Glück habe immer mehr Werth, als ein anderes, das durch Erben oder durch Heiraten erlangt werde. – Wenn man, sagte er, die hiesigen grossen Häuser der Reihe nach durchgeht; so findet man, dass sie alle entweder vom lebenden Stifter selbst, oder höchstens vom Vater her sind: die vom Grossvater her sind schon alle wieder im Abnehmen, im Sinken. Selbst ist der Mann! sagt ein Sprichwort, das für alle Stände, und besonders auch für den unsrigen, wahr ist. – Dann kam Herr Stark auf die Liebesgeschichte des Herrn Wraker, und fand auch an ihr eine Seite, von der sie ihm gar nicht mehr so thöricht und lächerlich vorkam. – Der Bräutigam, sagte er, ist freilich ein altes morsches Geripp von Manne, das eher für den Sarg als für's Ehebett [208] taugt, und die Braut eine ziemlich missgeschaffne, klapperdürre Schöne, deren hervorstehender Zahn und blinzelndes Auge nicht den besten Hausfrieden verspricht; aber, Monsieur Burg! seh' Er einmal – ich bitt' Ihn – von diesen Hauptpersonen ein wenig ab auf die Nebenpersonen, die kleinen hülflosen Kinder! Wie, wenn die Mutter bei sich selbst überlegt hätte, dass sie nur herzlich arm, und dass Armuth eine rauhe Witterung ist, worin solche zarte junge Pflänzchen leicht ersterben oder verkrüppeln? wenn sie die ihrigen an die sanftere mildere Luft der Wohlhabenheit hätte bringen wollen, um ihnen ein froheres Wachsthum, ein schnelleres Gedeihen, zu sichern? Dann wäre, von ihrer Seite, die Heirat schon nichts so gar Thörichtes mehr, eher etwas sehr Mütterliches und [209] Kluges. – Und von Seiten des alten Wraker? Wie, wenn auch der sich durch Gründe hätte bestimmen lassen, die weit mehr unsre Billigung, als unsern Tadel, verdienten? wenn er, nach einem Leben voll Ausschweifungen, noch zu guter letzt etwas Verdienstliches hätte thun, und das Glück von ein paar unschuldigen Wesen hätte gründen wollen, die es vielleicht erkennen und sein Andenken in Ehren halten? – Freilich kränkt er darüber den guten Neffen, der sonst sein nächster Erbe gewesen wäre; aber – mag er gedacht haben – ein Mann wie der, der so reiche Hülfsquellen in sich selbst hat, und der zu so einem Verluste nur lacht – –

O, das thu' ich auch; das thu' ich recht von Herzen! sagte Monsieur Burg, indem er mit grinsender Miene, die ein [210] verachtendes Lachen ausdrücken sollte, sein Oberschälchen umwandte, und sich empfahl. –

Die Tochter ergriff die Hand des Vaters, um sie zu küssen. – Das thu' ich im Namen der Kleinen, sagte sie: für die Sie Sich so nachdrücklich erklärt haben. – Ach, was solche arme kleine Waisen mich jammern! – So oft mir dergleichen vorkommen, mögt' ich gleich einen recht wackern jungen Mann zur Hand haben, den ich ihnen wieder zum Vater gäbe. –

Und der Witwe zum Manne; nicht wahr? Denn warum er sonst eben jung seyn sollte – –

Wie? Das sehen Sie nicht? – Damit er mir nicht zu früh wieder wegstürbe; und ich dann neue Noth mit den Kindern hätte.

Sieh, sieh! sagte der Alte. Kömmt's so herum? Fein genug!

[211] Aber Sie wollen vielleicht, dass Witwen nur lauter schwache, gebrechliche Männer heiraten sollen; Krückenstösser, wie den Wraker, die zu nichts weiter taugen, als fremder Leute Kindern Brot zu verschaffen? – Die armen Witwen! –

Ei nicht doch! nicht doch! Wenn sie nur selbst noch nicht alt sind – – denn das gesteh ich dir: eine Heirat zwischen einem jungen Manne und einem alten Weibe ist mir zuwider. –

Das ist sie wohl jedem. – Nein; meine Witwen sind so im Anfang der zwanzig, sind überdies noch brav, gefällig, haushälterisch, fromm – –

Aber hässlich; nicht wahr?

Behüte Gott! Eher schön.

Nun, was fragst du denn lange? – Gieb sie, an wen du willst, an die jüngsten und die wackersten Männer! Ich bin es herzlich zufrieden. – [212] Brav, Väterchen! Herrlich, Väterchen! dachte die Tochter; wir wollen dir dieses Wort zu seiner Zeit wieder vorhalten. Es geht dich näher an, als du wohl denkst. – Und nun machte sie sich auf leichten Füssen davon, um nach Art braver Eheweiber, die für den Mann ihres Herzens keine Geheimnisse haben, dem ihrigen alles Vorgefallene zu berichten.

21.

[213] XXI.

Ist wohl nicht möglich! – sagte Herr Stark, als Monsieur Schlicht mit der Nachricht hineintrat, dass Madam Lyk ihn zu sprechen wünsche. – Er wird sich verhört haben, mein lieber Schlicht. Meinen Sohn wird sie sprechen wollen.

Nein, Sie! Sie! Ich hab' ausdrücklich gefragt.

Hm! Also mich? In der That? – Nun, so führ' Er sie gegenüber in das Besuchzimmer. Ich werd' erscheinen. – Was in aller Welt kann das seyn? Wie komm' ich zu einer so galanten Visite? – Es ist ja wohl kaum halb zehn – indem er nach seiner Uhr sah; – und die Frau ist schon auf? ist schon angezogen? hat schon ihre Chocolade getrunken? [214] Das ist ja ganz ausser der Regel! – Er trat, seiner Gewohnheit nach, vor den Spiegel, um sich den Stutz, gerade zu rücken. – Wirst schon wieder schief zu stehen kommen, sagte er lächelnd; aber, mein guter Stutz – – Glück werden wir ohnehin nicht mehr machen. Wir sind zu alt, sind so sehr ausser der Mode. – –

Ich sollte erröthen, sagte die Witwe, die durch das Studium einer ganzen langen Nacht keinen bessern Eingang hatte ersinnen können; ich sollte, wegen der Störung und des Zeitverlustes, die ich verursache – –

Die Verlegenheit und die Furcht der guten Frau hatten ihre Stimme so sehr gedämpft, dass der Alte, der nach Art der Schwerhörigen ihr scharf ins Gesicht sah, und dadurch ihre Verlegenheit noch vermehrte,[215] nur aus der Bewegung ihrer Lippen abnahm: sie müsse reden. Auch das Zurückstossen des Stutzes liess ihn nur ein leises, undeutliches Murmeln, keine eigentlichen Töne vernehmen. – Ich muss Sie bitten, fing er jetzt an, mir eine Schwachheit des Alters zu Gute zu halten; ich habe, wenn die Witterung kalt wird, einen Fluss auf dem rechten Ohre, der aber Gottlob! so arg nicht ist, dass ich, wie mein Nachbar, ein Hörnchen mit mir herumtragen dürfte. Haben Sie nur die Gefälligkeit, ein wenig lauter zu reden, und ich werde Sie hören.

Diese Aufforderung zum Lautreden vermehrte das Herzklopfen der Witwe, die schon so des Athems wenig genug, und dabei ein Anliegen hatte, das seiner Natur nach nicht wollte geschrieen werden. Es kam ihr äusserst gelegen, dass [216] eben jetzt Herr Stark sie zum Niedersitzen auf das altmodische rohrgeflochtene Canape einlud; denn kaum erhielt sie, bei ihrer heftigen innern Bewegung, sich auf den Füssen. Es gelang ihr jetzt, dem alten Herrn zu bedeuten: dass ihre grosse Verpflichtung gegen seinen würdigen Sohn, der durch lange mühsame Arbeit sie aus einer höchst unangenehmen Verwirrung gezogen, ihr ein gerechtes Vertrauen auch gegen den Vater einflösse, und dass sie hoffe – – Hier sank ihr die Stimme wieder; und Herr Stark brachte nicht heraus was sie denn hoffe: dass er nehmlich gleiche Grossmuth beweisen, und wenn sie von diesem oder jenem ihrer Gläubiger gedrängt werden sollte, ihr seinen einsichtvollen Rath und selbst seine thätige Unterstützung nicht versagen werde. Er bezog die paar Wörter, die [217] er verstand: Grossmuth, Rath, Unterstützung, noch immer auf seinen Sohn; und deutete, weil sie jetzt auch von Dank sprach, ihre Hoffnung bloss dahin: dass er ihren Besuch gütig aufnehmen, und sich ihren Dank für die ihr erwiesene Hülfe werde gefallen lassen. Dem gemäss erwiederte er, zu nicht geringem Erstaunen der Witwe: dass sie sich in ihm ganz an den Unrechten wende, indem er Alles was sein Sohn für sie gethan, erst spät hinterher erfahren, und dass er also ihren Dank unmöglich annehmen könne. – Unsre jungen Herren, sagte er, pflegen die Väter nicht zu ihren Vertrauten zu nehmen; sie fürchten, dass man jede Art von Eröffnung als schuldige Rechenschaft von ihrem Thun und Lassen ansehen werde; und sich einem solchen Zwange zu unterwerfen, sind sie ganz und gar nicht gemeint. – [218] Die Witwe rang, in einer ziemlich langen, ängstlichen Pause, mit sich selbst, wie sie das nehmen, und ob sie im Gespräche fortfahren oder es abbrechen solle. Sie konnte kaum anders, als das trockne Hinweggehen über den Hauptpunct in ihrer Anrede für ein geflissentliches Ausbeugen und Ablehnen nehmen; und was der Vater vom Sohne sagte, schien sogar das Betragen desselben zu missbilligen. Indessen war es möglich, dass Herr Stark nur übel gehört hatte; und so raffte sie sich zusammen, um auf einem andern Wege das Gespräch wieder einzuleiten. – Die Doctorinn, sagte sie, habe ihr die Freundschaft gerühmt, die ehemal zwischen Herrn Stark und ihrem verstorbenen Schwiegervater, dem alten Lyk, geherrscht habe; und sie lebe der Hoffnung – – [219] Auf dieses Wort, welches Herr Stark vollkommen verstand, gab er die passende Antwort: dass er den alten seligen Lyk von seiner Kindheit an gekannt, und schon in den ersten Schuljahren sein Freund gewesen; dass sie nachher, ihr ganzes Leben hindurch, in sehr enger Verbindung gestanden, und dass sie gewiss, in vorkommendem Falle, ihre gegenseitige herzliche Freundschaft sich aufs thätigste würden bewiesen haben. – Aber, sagte er, so ein Fall kann, Gottlob! nicht vor; wir hielten beide unsre Geschäfte in guter Ordnung, und verschlemmten und verschleuderten nicht: und wo das ist, da ereignen sich die Umstände nicht leicht, in welchen der Freund dem Freunde einen ausgezeichneten Dienst leisten oder wohl gar eine Aufopferung für ihn machen könnte. – [220] Wenn gleich diese Anmerkung nichts weniger als Schmeichelei seyn sollte; so hatte sie doch bei weitem den Sinn nicht, den die Witwe ihr gab, und den sie nach dem obigen Missverstande – oder itzt kaum mehr Missverstande – fast gezwungen war ihr zu geben. Sie glaubte, einen bittern Vorwurf über die Unordnung zu hören, die ihr verstorbener Mann in seine Geschäfte hatte einreissen lassen, glaubte sich zum zweitenmale empfindlich zurückgewiesen, und erblasste und erröthete, im Gefühl ihrer peinlichen Lage, eins um das andre. Herr Stark, der ohne Brille nicht scharf mehr sah, ward von ihrem Zustande nichts inne.

Sie haben, fing er nach einigen Secundem wieder an, den guten alten Schwiegervater wohl nicht mehr gekannt?

[221] Nie – sagte ihm ein stilles, schwaches Kopfschütteln der Witwe.

Und seine Frau, die alte redliche Mutter Lyk, wohl eben; so wenig?

Eben so wenig – sagte ihm ein abermaliges Kopfschütteln; denn die Witwe, der das Herz immer voller und schwerer ward, war nicht im Stande zu reden. –

Hätte Herr Stark von der jetzigen wirklich bedrängten Lage der Witwe, und besonders von ihrer Absicht auf ihn, nur die mindeste Ahnung gehabt: so würde er, bei seiner wahrhaft grossmüthigen Denkungsart, und seiner Achtung für Unglückliche, ihrer sorgfältig geschont, und jedes seiner Worte genau bewacht haben; aber so hielt er, in seiner Unwissenheit über beides, es gar nicht für übel gethan, wenn er ihr von [222] seinen Gedanken über echten weiblichen Werth eine kleine Eröffnung machte. –

Sie haben, sagte er, viel verloren, Madam; Sie hatten eine sehr vortreffliche Schwiegermutter. – Freilich war sie im Grunde nur Hausfrau; aber mehr zu seyn, kam ihr auch nie in den Sinn: der Mann, glaubte sie, gehöre der Welt; die Frau, dem Mann und den Kindern. Das war so der ehemalige alte Glaube, worin man die Töchter erzog, und wobei nun freilich die Mädchen nicht so fein und niedlich wie jetzt, aber dafür desto braver und wirthschaftlicher, und einem Manne der an sein Fortkommen dachte, desto lieber und werther wurden. Der alte Lyk sagte mir oft, dass er diese herrliche Frau als seinen besten Segen von Gott betrachte, und dass er ohne sie bei weitem nicht in so guten Umständen seyn [223] würde, als er es wäre. Er liebte und achtete sie ungemein; auch wohl mit deswegen, weil sie ihm viele Ehre machte: denn sie galt in der ganzen Stadt für die beste und erfahrenste Wirthinn, und war für unsre Weiber, in jeder häuslichen Angelegenheit, das allgemeine Orakel. – Dabei war sie nichts weniger, als peinlich, oder gar mürrisch: Sie hätten sehen sollen, Madam, mit wie einnehmender Freundlichkeit sie den Gästen entgegen kam, die der alte Lyk fast jedesmal von der Börse mit sich brachte; wie sie sich freuen konnte, wenn bei der Bewirthung, die immer nur bürgerlich, aber reichlich und anständig war, ihre Gerichte schmeckten, und wenn, die kleine Gesellschaft während dem Essen recht gesprächig, recht laut ward. Sie fragte dann mit den Augen ihren Mann, der alle ihre [224] Blicke verstand; und sobald er gewinkt hatte, war sie in zwei, drei Sprüngen zum Keller hinunter, und holte selbst von dem besten alten Rheinwein herauf, der uns dann noch beredter, noch fröhlicher machte. – Sehn Sie, Madam! Mit so einer liebreichen, frohen, wirthschaftlichen, Hausfrau waren wir damaligen Männer über und über zufrieden, und nannten sie, wie sie's auch wirklich war, unsern Schatz und unser Herz; heut zu Tage, wo sich der bürgerliche Ton immer mehr in den adlichen, auch wohl hie und da in den fürstlichen hinaufzieht, wären das gemeine, abgeschmackte Ausdrücke: da nennt man, glaub' ich, die Frau mein Kind; aber ich weiss doch kaum, wen ich glücklicher preisen soll, ob den ehemaligen Mann mit dem Schatze, oder den jetzigen mit dem Kinde. – Doch Sie [225] verzeihen, Madam; ich plaudre da ein Langes, ein Breites, und weiss selbst nicht, wozu? Denn dass andre Zeiten andre Sitten bringen, ist ja natürlich. –

In dieser Art von Standrede auf die verstorbene Schwiegermutter fand sich wieder so manches Empfindliche, dass die Witwe den Zweck ihres Besuchs nun völlig aufgab, und sich Herrn Stark auf der Stelle würde empfohlen haben, wenn nicht ein jäher Schwindel, in welchem Alles vor ihren Augen zu taumeln und zu tanzen anfing, ihr das Aufstehen verboten hätte. Gleichwohl musste sie dieses Aufstehen versuchen, als sie sich plötzlich von zwei weiblichen Stimmen begrüssen hörte, worunter sie die der Doctorinn sogleich unterschied. Die liebe Neugier hatte diese und die Mutter herbeigeführt: die eine, um zu erfahren wie es [226] stände, und um nöthigenfalls die Witwe zu unterstützen; die andre, um eine Person näher kennen zu lernen, die ihrem Sohne so verpflichtet, und wie man ihr nicht verborgen hatte, zugleich ihm so werth war.

Mein Gott! was ist Ihnen? rief die Doctorinn aus, die den Zustand der Witwe auf den ersten Blick erkannte, und ihr rasch entgegensprang, um sie zu halten. – Wohl gar in Ohnmacht? fragte erschrocken Madam Stark; und: Nimmermehr! rief verwundert der Alte; während die Kranke aus den Armen der Doctorinn auf das Canapee glitt, und plötzlich ohne Athem und Farbe, wie eine Leiche, dalag. Die Doctorinn rief nun laut um Hirschhorngeist; die Mutter eilte in die Küche nach frischem Wasser; Herr Stark holte Hofmannischen Liquor; [227] und in kurzem war auch Monsieur Schlicht und das ganze Haus in Bewegung. – Endlich war Madam Lyk in so weit wieder hergestellt, dass sie sich getraute, zu Fuss und ohne Begleitung nach Hause zu kommen. Aber das gab niemand zu, und am wenigsten der alte Herr Stark, der sich überhaupt so gütig und herzlich benahm, dass die Witwe an seiner Gesinnung gegen sie ganz wieder irre ward. Er liess einen Wagen holen, in welchen, nach seiner Anordnung, die Doctorinn zuerst hineinstieg, um, während man der Witwe von aussen nachhülfe, ihr von innen die Hand zu reichen. Auch Monsieur Schlicht, der trotz seines Alters noch sehr berührig und kraftvoll war, musste hinein, mit der Anweisung: sobald der Wagen hielte, herauszusteigen, um Madam Lyk den Arm zu bieten, aber ja,[228] wenn sie wieder schwächer würde, erst Hülfe aus dem Hause zu rufen, und sich nicht zu viel auf eigene Kraft zu verlassen. –

Nun? fragte der Alte, sobald er sich mit der Mutter wieder allein sah: kannst du mir sagen, was das hiess? was das vorstellen sollte? Ich für mein Theil verstehe kein Wort. – Die Frau kömmt am frühen Morgen gegangen, und reisst mich aus meinen Geschäften: ich denke nicht anders, als sie will Wechsel auf England oder auf Holland kaufen; aber am Ende – was hat sie bei mir zu thun? – In der Welt Gottes nichts, als in Ohnmacht zu fallen. – Ist das etwa jetzt neuer Ton? Macht man zu London und zu Paris solche Morgenvisiten?

Wie du nun bist! sagte die Alte. Ein Frauenzimmer wandelt ja leicht etwas an.

[229] Ein Frauenzimmer! – Warum denn aber dich und die Doctorinn nicht?

Je nun – eine ist ja nicht, wie die andre.

Mutter! – Wenn alle die Weiber, die den ganzen Tag, mit Roman und Komödie in der Hand, auf dem Sopha liegen, oder die auch den Morgen am Putz-und den Abend am Spieltisch vergeuden; wenn sie hübsch, wie du und die Doctorinn, von früh bis spät auf den Beinen wären, um sich in ihrer Wirthschaft herumzutummeln: ich wette, wir würden von keinen Krämpfen und Schwindeln und Ohnmachten, und wie das Zeug alles heisst, weiter hören. – Zwar einmal – er drohte ihr erst mit dem Finger, und nahm dann ihre dürre, welke Hand, um sie zu liebkosen – einmal spieltest du mir auch einen Streich; da [230] war ich in rechtschaffner Angst. – Doch das war auf dem Bette der Ehren, bei der Niederkunft mit der Tochter; und für so eine Ohnmacht alle mögliche Hochachtung! Die hat denn doch Hand und Fuss.

Böser Mann! sagte die Alte, mit einer Miene die halb schmunzelte und halb schmollte: lass doch solche Dinge nun aus dem Kopf! Das sind ja alte Geschichten.

22.

[231] XXII.

Bald nach dem Mittagessen erschien der Doctor: theils, um sich nach der Gesundheit, theils – oder wohl eigentlich und hauptsächlich – um sich nach der Gesinnung des alten Herrn zu erkundigen. Er fragte fast in einem Athem: Wie befinden Sie Sich? und: Wie gefiel Ihnen die Witwe?

Auf das Erste, lautete die Antwort: Wohl! und auf das Zweite: Nicht übel!

Sie werden gefunden haben, dass es eine sehr feine Frau ist. Nicht wahr?

Fein? Je nun ja! Wie Sie wollen. Figur und Gesichtchen sind ganz erträglich. – Es lässt sich schon denken, wie so eine Frau einen schwachen, thörichten Mann hat so weit bringen können, [232] sich um ihretwillen zu Grunde zu richten. –

Der Doctor, der sich einer günstigern Antwort versehen hatte, war ein wenig betreten. Indessen hielt er es nicht für gut, in gerader Richtung über den Strom zu schwimmen. – Sie ist zugleich von sehr sanfter Art; meinen Sie nicht?

Sie scheint es. Die Weiberchen scheinen Manches, Herr Sohn.

Aber sind doch Manches auch wirklich?

Wie man das nimmt. – Was sie jedesmal sind, sind sie wirklich. Heute dies, morgen das.

Mein Gott! Sie sind doch auch sehr gegen die Weiber.

Für sie, für sie, Herr Sohn! – Ich schätze, an dem lieben Geschlechte nicht bloss die Tugenden, sondern auch die [233] Schwachheiten; aber wohl gemerkt! diese mit jenen verbunden. Die Welt- und die Modeweiber, die nur die Schwachheiten, aber nicht die Tugenden, und eben darum jene im höchsten Grade haben; die, Herr Sohn – wie Sie schon längst gemerkt haben können – sind mir zuwider.

Und zu diesen, glauben Sie, gehöre die Lyk?

Ob noch jetzt? kann ich nicht sagen.

Ich bin Arzt in dem Hause. –

Da wissen Sie Bescheid um ihre Gesundheit.

Ja. Aber auch wahrlich um ihre Denkungsart, ihre Sitten, ihren Charakter. – Ein Arzt hat manchen geheimen, vertraulichen Augenblick mit den Weibern.

So? – Und das sagen Sie mir so frei ins Gesicht?

[234] Warum nicht? –

Mir, dem Vater von Ihrer Frau? – Wenn ich nun der es wieder sage?

Gerne! gerne! In Gottes Namen!

Der muntre, freudige Ton des Doctors rührte den Alten, und er ergriff seine Hand. – Lieber, guter Doctor, sagte er, Sie und meine Tochter machen zusammen ein braves, ein herrliches Paar. – Gott erhalte euch so! Ich habe ja ausser euch keine Freude. – Er hatte grosse Lust auf den Sohn zu kommen, dessen noch fortdaurendes Flussfieber ihm sehr zu missfallen anfing; allein der Doctor liess ihn nicht los von der Witwe.

Nehmen Sie einmal an, sagte er, dass die Frau wirklich ist, was sie scheint: sanft, liebreich, nachgebend, gefällig; – wäre da der unsinnige Aufwand imLykischen Hause nicht auch ohne sie zu erklären?[235] Liesse sich's nicht denken, dass eine so geartete Frau ihre eigene Neigung dem eitlen, auf lauter Pracht und Vergnügen erpichten Manne hätte aufopfern können; dass sie sich bloss durch ihn, ohne den mindesten innern Trieb, von einer Gesellschaft zur andern, einem Balle zum andern, hätte fortreissen lassen?

Die Wirthschaft aber ging nach der Heirat erst an. –

Natürlich! Denn da wird das Haus erst ein Haus. Die Frau erst macht es dazu.

Und der ganze Aufzug – der Staat – die glänzende Equipage – das Alles scheint mir mehr auf weibliche, als auf männliche Neigung zu deuten –

Kam aber doch lediglich von dem Manne.

[236] Hm! – Zwar sind manche Männer Weiber, und ärger als Weiber. –

Das mein' ich! Und dann, liebster Vater: was hätte die Tochter eines armen Landpredigers – denn das ist die Lyk – was hätte ein Mädchen, das weder Vermögen noch Aussteuer in's Haus brachte, für grosse Ansprüche machen können?

Ungeheure! Das verstehn Sie nur nicht. – Die Waare der eitlen Weiber hat keinen bestimmten Preis, aber in ihren eigenen Augen einen unermesslichen Werth. Wenn für so ein Figürchen oder ein Lärvchen – und oft für noch weniger, für ein bischen Geschwätz oder Geziere – ein Baron seine Baronie, oder ein Graf seine Grafschaft vertändelt; so haben sie dabei noch immer verloren, sich noch immer zu wohlfeil weggegeben: [237] denn mit eben diesen – Herrlichkeiten oder Armseligkeiten – hätten sie ja ein ganzes grosses Fürstenthum unter kaiserlichen Sequester bringen können.

Wir reden hier aber von keiner Buhlerinn, sondern von einer Frau –

Alle Achtung!

Und deren Glück oder Unglück, Ehre oder Schande, hängt ja so innig mit Glück oder Unglück, Ehre oder Schande des Mannes zusammen.

Wird denn das überlegt? –

Hier wahrlich, hier ward es sehr überlegt. – Dass sich Anfangs das junge, unerfahrne, in der Welt noch ganz neue Landmädchen in den Strom von Vergnügen kopfüber hineinstürzte, und nur an den jetzigen süssen Genuss, nicht an die künftigen herben Folgen dachte: das hoff' ich, wird ein Menschenkenner, [238] wie Sie, eben so leicht verzeihn, als begreifen. –

Aber das Ding währte fort – immer fort – ohne Ende.

Bloss durch Schuld des Mannes, mein lieber Vater. – Die Frau ward schwanger und kränklich, und ich war nun fast täglich im Hause. Wie oft bezeugte sie mir ihre Sättigung, ihren Überdruss, ihren Ekel! Wie herzlich wünschte sie sich das geräuschlose, häusliche, thätige Leben zurück, woran sie von jeher gewöhnt war! Aber dazu ihren Mann zu bereden, war keine Hoffnung; denn gleich ihr erster Versuch, ihn umzustimmen, erregte seinen heftigsten Zorn. Sie liebte den Mann; sie war schwach; sie war der Armuth wegen, worin sie zu ihm gekommen war, scheu und blöde: Er dagegen – war stolz, gebieterisch, auffahrend, gegen [239] die Liebkosungen und die Thränen der Frau wenig empfindlich. Ich sah das nur zu sehr, als er von ihrer Mutterliebe das Opfer forderte, den künftigen Säugling nicht mit eigener Brust zu ernähren.

Und auch das liess sie gut seyn? gab nach?

Was sollte sie machen? –

Der Alte schüttelte missbilligend mit dem Kopfe.

Die Wirthschaft ging indess ihren Gang immer fort, immer dem Abgrunde zu; und es musste doch wahrlich grosses Vermögen da seyn, dass der Mann seine Verschwendung ganze Jahre lang durchsetzen konnte.

Das war auch; das war! rief der Alte. Ungemeines Vermögen!

Indess ward die Frau durch manche [240] Beispiele gewarnt; sie ahnte traurige Folgen: allein da das Gesicht des Mannes heiter blieb, so verschloss sie, mit ihrer gewohnten Furchtsamkeit, alle Besorgnisse in ihr Herz. – Endlich, als wirkliche Verlegenheiten eintraten, denen nur der äusserst vorteilhafte Verkauf des Gartens ein Ende machte, wirkte sie, durch die nachdrücklichsten, zärtlichsten, wehmüthigsten Vorstellungen, wenigstens einige kleine Einschränkungen aus, und für die Zukunft Versprechungen, die aber nur zu bald wieder vergessen wurden. Wäre nicht noch zu rechter Zeit der Tod in's Mittel getreten; so hätte sie wahrscheinlich den vollen Bruch des Hauses, und tiefe, bittre Armuth erlebt.

Nur wahrscheinlich? Sagen Sie: gewiss und unfehlbar! – Aber, dass die Schuld so ganz nur des Mannes gewesen wäre, [241] nicht ihre eigne – – ich gestehe Ihnen, Herr Sohn, das will mir gar nicht recht in den Kopf. Ich habe Nachrichten, die anders lauten, ganz anders.

Von wem? – Ich bitte Sie, lieber Vater –

Von – –

Von dem Wolf in der Fabel, hätte er sagen können; denn eben, als schon der Name ihm auf den Lippen schwebte – –

23.

[242] XXIII.

Trat Herr Specht in das Zimmer, und ward von dem Doctor sogleich als derjenige Mann, an den er sich halten müsste, auf's Korn genommen. Es sei nun, dass die süsse Miene und die schmeichlerischen Demüthigungen des Herrn Specht, oder dass gewisse Äusserungen des Schwagers, die ihm noch dunkel im Gedächtniss schwebten, diesen Verdacht bei ihm, rege machten.

Herr Specht setzte mit wichtiger Miene einen grossen Beutel Geld auf den Tisch: äusserst froh, wie es schien, dem liebwerthesten Herrn Pathen seine bisherige Schuld bei Heller und Pfennig abtragen zu können. – Er hatte bei einer kleinen Speculation mit Waaren, die gerade [243] damal gesucht wurden, ein ansehnliches Sümmchen gewonnen; er eilte also, sich durch Abbezahlung die Geldquelle zu reinigen, die er bei längerer Vernachlässigung leicht einmal hätte verstopft finden können. –

Ei potz, potztausend! sagte der Alte, indem HerrSpecht den Beutel ausschüttete: das ist ja gewaltig viel Geld! Das ist ja ein Reichthum, wie des Mannes im Evangelium! Wo hat Er das Alles her?

Hehehe! Liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch immer so gerne spassen! – Reichthum? Daran fehlt viel. – Lieber Gott! – Aber man thut denn das Seinige; und wenn ein Körnchen zum andern kömmt, sagte einmal der Herr Pathe, und immer neue Körnchen dazu – –

Ja, sieht Er? Da wird am Ende ein Haufen. Das ist ganz richtig. – Indessen [244] zählte Herr Specht munter fort, und sah sich dann und wann nach dem Sohne um, den er diesmal eben so gern, als sonst ungern, hätte kommen sehen, um sich einmal in seinem Glanze vor ihm zu zeigen. – Die Summen wurden richtig befunden, das Geld wieder eingesackt, und die eingerissnen Papiere zurückgegeben.

Nun! sagte der Doctor – weil ich sehe, dass Sie mit Ihrem Geschäfte fertig sind, mein Herr Specht – wie geht's Ihnen? wie befinden Sie Sich?

Specht, unter tiefer Verbeugung, wobei sein Kopf eine Art von Schneckenlinie beschrieb, dankte tausendmal für gütige Nachfrage, und versicherte: er sei wohl.

Und zu Hause – die Frau Liebste? die Kinder?

[245] Alles, alles wohl, mein verehrtester Herr Doctor.

Nun, das ist schön; das erfreut mich. – Wie sieht's denn jetzt in Ihrer Nachbarschaft ans? Was macht Madam Lyk?

Hehehe! Die lebt denn immer so fort, ganz im Stillen. – Wie's einer Witwe denn auch nicht anders ziemt. Ganz im Stillen.

Vormal war es dort nicht so stille. Da war gewaltiger Lärm.

Ach, das sagen nur der Herr Doctor noch einmal! Lärm bei Nacht, wie bei Tage. Keinen Augenblick hatte man Ruhe. – Das war ein Geschrei, Gefahre, Gelaufe, Getümmel; und wenn Ball oder Maskerade war, ein Gefiedel, Geflöte, Geblase, Gepauke – man hätte mögen von Sinnen kommen. Meine Frau hat dabei in dem einen Wochenbette [246] was Rechts gelitten. Sie nahm es dem Herrn nicht so sehr übel, als der Madam, dass man so gar keine Rücksicht hatte, und so schnell nach ihrer Niederkunft ein solches Spectakel anfing. – Sie konnte seitdem die Frau nicht mehr ansehn. – Es war auch wirklich recht gottlos.

Freilich! Die kurzen sechs Wochen über hätte man sich schon ein wenig still halten können. – Aber ob denn die Wirthschaft nicht bald wieder angehen wird?

Damit hat's denn wohl so seinen Haken. – Er kniff das eine Auge ein wenig, und glaubte Wunder, wie verschlagen er aussähe.

Wie so? – Der Mann ist doch lange genug unter der Erde. Die grosse Trauer ist aus.

Das wohl; aber – – Er schob den [247] Daumen der rechten Hand ein paar mal über den Zeigefinger, und zuckte dabei die Achseln. – Wo einmal das fehlt, mein lieber Herr Doctor – –

Ja, das ist wahr; da fehlt Alles. – Und aufgeräumt mag die Frau unter den Beuteln des alten Schwiegervaters ein wenig haben; das will ich glauben.

Ein wenig? Hehehehe! –

Aber wenn nur noch etwas, auch nur noch ganz wenig da ist; ein kleines, unbedeutendes Restchen: – solche Menschen, die einmal in der Jugend nicht rechnen gelernt haben, sind wie vom Bösen besessen. Sie haben nicht eher Ruhe noch Rast, als bis sie Alles, schlechterdings Alles, auch den letzten Pfennig durchgebracht haben. Erst müssen die Gerichtssiegel an Kisten und Kasten kleben; eher ist kein Aufhören bei ihnen.

[248] Ja, das kann auch hier noch so kommen. Ich widerspreche keinen Augenblick, mein Herr Doctor. –

Der Alte, der sehr wohl merkte, wo der Doctor hin wollte, hatte sich im Rücken des Herrn Specht auf seinen Sorgenstuhl gesetzt, und hielt sich ganz ruhig. –

Eins wüsst' ich nur für mein Leben gerne, hob der Doctor wieder an: nicht, wer von beiden Theilen allein und ausschliessend; – denn dass beide nicht viel getaugt haben, ist mir gewiss – aber wer wohl so am meisten und vorzüglich, an dem ewigen Schmausen und Tanzen und Tollen in dem Hause Schuld gewesen ist: ob die Frau, oder der Mann?

Die Frau! die Frau, mein lieber Herr Doctor!

Doch? – Sie sind freilich der nächste Nachbar; Sie können das wissen.

[249] So wie die Frau nur den Fuss ins Haus setzte, ging's los.

Ja, das sagt man. – Aber ich habe neulich ein paar recht wackre Männer über die Frage streiten hören, und da meinte der eine: dieser Umstand beweise wenig, beweise nichts; es sei ganz und gar nicht die Frau, sondern – was ich nun freilich für übertrieben halte – einzig und allein der Mann gewesen, der allen den Unfug getrieben.

Ach, wer das auch mag gesagt haben, mein liebwerthester Herr Doctor – mit aller Hochachtung von ihm gesprochen –

Nehm' Er Sich in Acht, sagte der Alte aus seinem Hinterhalte. Red' Er nicht allzuviel!

Wie so? wie so, mein bester Herr Pathe? Ich hatte nichts Böses im Sinne. – Die Frau ist von Ansehn recht artig, [250] und ich mögte fast sagen, schön – was ich mich zwar zu Hause bei Leibe nicht dürfte merken lassen, hehehe! – und da, meint' ich, könnte einer der jungen Herren, die immer um sie herum waren – –

Sich in sie vergafft haben? rief der Alte mit Lachen; jaja! – Und so einer will denn nichts auf sie kommen lassen. Das ist begreiflich. – Ich selbst kenne einen sonst braven Mann, der sich gewisser vertraulicher Augenblicke mit allerlei Damen rühmt; und eben der – –

Der wird's seyn, sagte Herr Specht: der wird's seyn; ganz gewiss!

Der Alte und der Doctor lachten von Herzen, und Herr Specht blieb ihnen sein Hehehe! auch nicht schuldig. – Er trocknete sich die thränenden Augen, und versicherte, dass er nirgend in der Welt [251] so froh sei, als bei dem liebwerthesten Herrn Pathen.

Aber, nahm der Doctor wieder das Wort: nun einmal im Ernst, lieber Herr Specht! – Dass Sie keinen Grund zu Ihrer Behauptung haben sollten, lässt sich von einem so vernünftigen Manne wie Sie, nicht wohl denken. Vermuthlich hat einmal, in einem vertraulichen Abendstündchen, der selige Lyk Ihnen geklagt, dass er mit dem Wildfang von Frau gar nicht fertig zu werden, sie gar nicht zu bändigen wisse.

Geklagt, mein Herr Doctor? Mir? In einem vertraulichen Abendstündchen?

So vor der Thüre, mein' ich. – Bei einem Pfeifchen. – Da schwatzen ja Nachbarn wohl eins zusammen.

Ach mein Gott, lieber Herr Doctor! Wo denken Sie hin? – So ein vollwichtiger [252] Mann bei der Börse, so ein angesehener Kaufherr; der sollte sich gegen mich kleinen Anfänger so herabgelassen, so erniedriget haben? – Nein, da ist nur unser einziger HerrStark, der gegen jedes Kind freundlich ist, und der auch den kleinsten Bürger etwas gelten lässt; den Ruhm hat er ganz allgemein. –

Sehr verbunden! sagte der Alte.

Die andern Herrn – es scheint ihnen schon zu viel, unser Einen nur ansehen zu sollen. Der höflichste, unterthänigste gute Morgen wird mit einem Wesen erwiedert, mit einer Miene – – Er quälte sich, eine recht stolze, recht verachtende anzunehmen; aber einmal ging in sein Gesicht, ausser der Spechtischen Original-Miene, keine andre hinein.

Nun, dann merke ich schon – dann haben, gewiß die Handlungsdiener, oder [253] Andre im Hause, die um die Sache Bescheid wussten, ein wenig geplaudert.

Die Handlungsdiener? – Ja mein Gott! das sind nun vollends die rechten. Die sind, wo möglich, noch ausgeblas'ner, als ihre Herrn, oder wenigstens unerträglicher; denn mit allen ihren hohen Salairs – was sind sie? – Diener, sagt meine Frau, weiter nichts. Unser Einer, sagt sie, wenn er auch nur schmale Bissen isst, schneidet sie doch von seinem eigenen Brote; aber ein solcher Miethling – – keinem zu nah gesprochen! setzte er furchtsam hinzu –

Alles wahr! Alles schön, mein Herr Specht! Aber ich habe damit immer noch keine Antwort. – Sie wissen die Gesinnung der Frau und ihren Hang zum Verschwenden nicht durch den Mann, nicht durch Vertraute des Hauses; und [254] woher denn sonst? – muss ich Sie fragen.

Durch Ohrenbeichte, sagte der Alte ein wenig bitter, weil er schon merkte, dass ihn Specht hintergangen habe. – Die Lyk ist heimlich katholisch, und dieser Specht ist ihr Pater.

Ach um Gottes willen! rief Specht, indem er mit wahrhaft protestantischem Schrecken zurücktrat: wenn das der Herr Hauptpastor hörte! oder gar meine Frau! – Ich ein Pater?

Das Lachen der beiden Herrn, das zwar bei dem Alten ein wenig verstimmt klang, brachte ihn bald wieder zu sich. – Nein! sagte er: mein Herr Doctor: was ich weiss, das weiss ich aus sehr erlaubter und sehr zuverlässiger Quelle.

Nun? – Darf man denn nicht erfahren – – [255] Kaum, dass ich Herrn Stark von der tollen Wirthschaft imLykischen Hause die erste Nachricht brachte; so rief der Herr Pathe sogleich: das kömmt von der Frau her! Das ist die neue Modewirthschaft der Weiber! Da geht nun wieder einmal, unter Tanzen und Frohlocken, ein Haus, und ein so herrliches Haus zu Grunde. – Und als ich das bei Tische wieder erzählte, sagte meine Frau augenblicklich: Er hat Recht, der Herr Pathe! Er hat ganz Recht!

Ja so – allerliebst! – Und da schoben Sie denn nachher jede ähnliche Ausschweifung ganz getrost der Frau auf den, Hals?

Lieber Gott! Wie denn anders? – Meinem Herrn Pathen muss ich doch glauben; denn der hat Erfahrung – o, der kennt die Welt; der weiss Alles.

[256] Ist Er toll? fragte der Alte, indem er, zu grossem Schrecken des armen Specht, sich voll Unmuths aus seinem Sessel aufhobt.

Liebster, bester Herr Pathe – –

Wahrlich! das wird lustig, sagte der Doctor. Sie, mein lieber Vater, haben die Sache von Herrn Specht, und Herr Specht hat die Sache von Ihnen.

Der Doctor bekam einen sehr unfreundlichen, und der Pathe, der wie versteinert dastand, einen ganz vernichtenden Blick. – Er ist – murmelte der Alte zwischen den Zähnen – mit allen seinen Höflichkeiten und Reverenzen – – Hier begriff er sich noch, riss den Geldbeutel mit Heftigkeit zu sich, und ging davon.

24.

[257] XXIV.

Sie sehen den Lohn der Welt! – sagte der Doctor, indem das Schweisstüchlein des Herrn Specht in voller Bewegung war; – das ist nun der Dank für alle Ihre mühsamen Gänge und Ihre gegebenen Nachrichten!

Mein Herr Doctor! rief Specht, und drehte dabei die Augen gen Himmel: – Wenn ich nicht so unschuldig bin, wie ein neugeborenes Kind – –

O das sind Sie! Das will ich Ihnen bezeugen.

Wenn nicht der Herr Pathe Alles, Wort vor Wort, so gesagt hat, wie ich's da wieder sagte – Er legte zu einer feierlichen Betheurung die Hand auf die Brust. –

Keine Schwüre, Herr Specht! Ich [258] glaube Ihnen, eben um Ihrer Unschuld willen. – Mein Schwiegervater hat Alles gesagt, was Sie ihn sagen liessen; vielleicht noch mehr: aber wissen Sie auch, warum? – Weil eben damal zwei nicht unansehnliche Häuser gebrochen waren, und zwar, wie die ganze Stadt wusste, durch Eitelkeit und Verschwendung von Weibern, die aber der Lyk so ähnlich sahen, als die Sünde der Tugend. Das eine war eine verlaufene Engländerinn, das andre eine Tänzerinn aus der Oper. Narren von Männern hatten solche Weiber geheiratet. – Diese Vorfälle lagen dem alten Mann auf dem Herzen; und auch die Lyk war eine aus der Fremde hieher Gekommene, eine ihm völlig Unbekannte. – Was er zu Ihnen sprach, war nur als Frage zu nehmen, die Sie nicht so leichtsinnig und so beharrlich zum Nachtheil [259] einer würdigen Frau – denn das konnte sie wenigstens seyn, und das ist sie – Hätten beantworten sollen.

Aber ich wusste ja nicht, mein Herr Doctor – ich wusste so wenig, als der Herr Stark – –

So wussten Sie doch dies, dass Sie nicht wussten. – Und eben dies, mein Herr Specht, war die Wahrheit, die Sie als ehrlicher Mann hätten bekennen müssen.

Ach mein Gott, lieber Herr Doctor! Da hätt' ich ja doch widersprochen.

Nun? Und wenn Sie nun widersprachen?

So einem Manne? so einem Herrn? In alle Ewigkeit nicht.

Wahrheit, Herr Specht – merken Sie Sich das für die Zukunft! – Wahrheit nach Ihrer besten Erkenntniss sind Sie [260] nicht bloss Ihrer Ehre, sondern auch Ihrer Glückseligkeit schuldig. Eben mit ihr fahren Sie sicher am besten. – Die Art, wie man die Wahrheit sagt, macht den Unterschied; sonst sagt man sie dem Könige, wie dem Bettler.

Ach mein Herr Doctor! Wenn Sie doch nur wären, wie ich!

Sie sind sehr gütig. –

Da sitzt man und sorgt und grübelt, und hat Frau und Kind auf dem Halse, und weiss oft vor Angst nicht, wo aus wo ein; und wenn man denn da in so ein Haus kömmt, und alle die grossen Kisten sieht, und die ungeheuren Ballen mit Waaren, und das Gerenne und Getreibe der Leute, und die Frachtwagen, die ab- und die aufgeladen werden, und das ganze volle Dutzend Pferde davor: – ach Herr Doctor! es wandelt einen eine Ehrfurcht [261] an, ein Respect! – Wo um Gotteswillen! nähme man da den Muth her, auch nur zu muchsen?

Der Doctor fasste jetzt seinen Mann ein wenig scharf ins Gesicht, und wollte kein Wort weiter an ihn verlieren. Er versprach ihm auf sein ängstliches Bitten, bei dem alten Herrn Alles wieder in's Gleis zu bringen, schrieb ihm ein Recipe zu einem niederschlagenden Pulver, das er sich in der nächsten Apotheke sollte machen lassen, und wünschte ihm wohl zu leben.

25.

[262] XXV.

Obgleich wirklich Herr Stark mehr durch sein eigenes Vorurtheil, als durch den armen Tropf von Pathen hintergangen war: so war doch der blosse Schein von dem letztern ihm ärgerlich; und noch ärgerlicher, dass er bei dieser Gelegenheit die Fassung verloren, und dadurch jenen Schein bestätiget hatte. Er fühlte recht gut, dass er die Sache nach seiner gewöhnlichen Art, mit lachendem Munde, hätte abmachen können. Indessen gereichte dieser Fehler, wenn es ja einer war, ihm zur Ehre: denn der Grund davon lag weit weniger in seiner gekränkten Eigenliebe, als in der Rechtschaffenheit seines Herzens, das ihm alle gegen die Witwe begangenen Ungerechtigkeiten [263] auf einmal bitter vorwarf, und ihm denjenigen der dazu mitgewirkt hatte, in einem nicht mehr lächerlichen, sondern gehässigen Lichte zeigte.

Die Tochter, die theils durch Madam Lyk, theils durch ihren Mann, von allem Vorgefallenen genau unterrichtet war, glaubte die Herzensstimmung worin sie den Alten vermuthete, zu ihrem Zweck benutzen zu müssen. Sie machte ihm einen nur ganz kurzen, flüchtigen Besuch, bei dem sie sich nicht einmal setzte, aber gleichwohl mit sichrer Hand alle die Saiten anschlug, die sie in dem Herzen des Vaters als die empfindlichsten kannte. Den Vorwand zu diesem Besuche musste die Bitte geben, die der Alte des Morgens beim Abfahren des Wagens an sie gethan hatte, ihm von dem Befinden der Witwe Nachricht zu bringen.

[264] Entschuldigen Sie mich, sagte sie, lieber Vater, dass ich Ihren Befehl erst so spät erfülle. Aber am Vormittage machten es mir Geschäfte, die ich nicht aufschieben konnte, unmöglich; auch hielt ich mich da bei der Witwe nicht lange auf: diesen Nachmittag habe ich mich etwas länger verweilt, und komme so eben – aber ich muss sagen, mit recht schwerem recht bekümmertem Herzen – von ihr.

Wie so? fragte der Alte nicht ohne Theilnahme. Hat der Zufall sich wiedergefunden?

Das nicht. Sie leidet nicht sowohl am Körper, als am Gemüthe. – Das arme Weib fürchtet zu Grunde gerichtet zu werden, weil ein gewisser Horn, der ihr Gläubiger ist, entweder bezahlt seyn, oder gegen sie losbrechen will.

Horn? – Wenn sie mit dem zu thun hat – – [265] Leider!

Da beklag' ich das gute Weib. Nachsicht ist bei dem nicht zu hoffen. – Aber ist denn die Lyk noch immer in Verlegenheit, in Verwirrung? Ich glaubte, dein Bruder hätte Alles in Ordnung gebracht.

Das glaubt' ich auch; aber – er mag Termine gesetzt haben, die nun nicht ganz können gehalten werden.

Das sollte mir leid um ihn thun.

Oder er mag – – Ja, wenn ich Handlungskenntnisse hätte; da riethe ich weiter, mein lieber Vater.

Lass gut seyn! Es ist da Mehreres möglich. –

So viel weiss ich denn jetzt, warum die Witwe diesen Morgen bei Ihnen gewesen ist.

Nun? –

Eben dieser Verlegenheit wegen mit [266] Horn. – Den Bruder zu sich bitten zu lassen, ging seiner Unpässlichkeit wegen nicht an; ihn zu besuchen, da er noch ledig ist, schien gegen den Anstand zu seyn: und doch war die Sache dringend, und die Witwe – ich wiederhole ihre eigenen Worte – die Witwe fühlte durch das edle Benehmen des Bruders, wovon sie nie anders als mit inniger Rührung spricht, ihr ganzes Vertrauen an den Namen Stark wie gefesselt. Sie wollte also diesmal bei dem Vater suchen, was die Umstände von dem Sohne zu fordern nicht zuliessen: Rath, Hülfe, Vermittelung, Unterstützung.

Und hat geschwiegen? Weswegen?

Sie hat gesprochen, wie sie mir sagt.

Nein! –

Sie hat wohl sicher gesprochen; aber – – [267] Nein! – wiederholte der Alte mit einem Nachdruck, der seine noch fortdaurende ärgerliche Stimmung verrieth.

Ich denke, mein, guter, lieber Vater hat sie nur nicht gehört, nicht verstanden.

Dann hat sie auch nicht gesprochen, sondern gemurmelt. Die verwünschte Gewohnheit des Murmelns wird von Tage au Tage ärger. In meiner Jugend sprach man zum Maule heraus. – Am Ende, wahrhaftig! fordern die Menschen noch, man soll ihre Gedanken hören.

Sie ist furchtsam, das arme Weib. Verzeihen Sie ihr! Sie Selbst haben sie dann noch furchtsamer gemacht.

Ich? – Weisst du, was du da sprichst? – Ich mache niemand furchtsam, der etwas zu bitten hat, sondern ich muntre ihn auf und höre ihn an; und wenn sich's ohne meinen eignen zu grossen Nachtheil [268] thun lässt, helf' ich ihm ohne Umstände und gerne. Die elende, nichtswürdige Kunst, durch Achselzucken und Sauersehen und langes Bedenken seinen Gefälligkeiten Werth zu geben, hab' ich niemal verstanden. – Das hätte die Frau Tochter wissen und der Witwe schon sagen können.

Hab' ichs denn nicht? – Werden Sie doch nicht unwillig, mein lieber Vater!

Unwillig! Nun werd' ich gar unwillig! – Wie kömmst du mir heute vor?

Ach, ich kann wohl Unrecht haben; ich glaub' es selbst. – Hätt' ich mich recht bedacht, so wär' ich lieber gar nicht gekommen. Ich bin so missmüthig gestimmt.

Über die Witwe? –

Ja. – Und dann – wie die kleinsten Umstände das Herz oft am meisten rühren – [269] Nun? –

Ich sah, eh' ich in das Wohnzimmer der Lyk trat, ein paar Augenblicke durch das Spiegelglas in der Thüre. – Da sass die gute Frau, in die eine Ecke des Sopha gedrückt, den Arm auf ein Kissen gestützt, und ein Tuch in der Hand, um sich die Thränen zu trocknen. Ihr zur Seite sassen, jedes auf seinem Schemelchen, die zwei unschuldigen Kleinen, die sonst immer so froh um sie herumschwärmten, aber jetzt, wie es schien, an das Spiel gar nicht dachten: sie sahen so still in den Schooss nieder, als ob sie den Herzenskummer der guten Mutter theilten; und blickten dann endlich, weil diese vielleicht eben einen tiefen Seufzer ausstieß, von der Seite zu ihr hinauf, mit einem Ausdruck in ihren Augen! in ihren grossen, blauen, himmelreinen Augen! mit [270] einer Bänglichkeit, einer Zärtlichkeit, einem Ernst! – ich dachte an meine eigenen Kleinen, und dachte an Sie. Wenn Sie das gesehen hätten, mein lieber Vater! – Sie riss das Tuch heraus, und fuhr sich damit an die Augen.

Sind's denn so artige Kinder? – fragte der Alte mit einem Tone, der auf einmal wieder ganz weich war.

Ach so wohlgezogen und artig! – Freilich hat die Frau nur diese beiden zu übersehen, und ich ihrer mehrere: aber dennoch erkenn' ich sie in der Kunst der Erziehung für meine Meisterinn; sie regiert die Kleinen mit Einem Blicke, mit Einem Winke, und das niemal im Bösen, immer in Liebe. – Doch ich stehe und plaudre, und vergesse, dass meine Kleinen zu Nacht essen wollen. – Ich muss fort, lieber Vater. Leben Sie wohl! Verzeihen [271] Sie, wenn ich mit meiner üblen Laune Sie heute angesteckt habe! Es soll nicht wieder geschehen. – Sie küsste seine Hand, und verschwand. – –

Das Herz des Alten war ein an sich so guter und jetzt durch die gehabten kleinen Erschütterungen so trefflich aufgelockerter Boden, dass es gar nicht anders seyn konnte, als der hineingestreute Same des Mitleids musste reichliche Früchte tragen. – HerrStark konnte zu Abend nicht essen, und die Nacht über nicht schlafen. Immer schwebte ihm die kleine Gruppe vor, die ihm die Tochter geschildert hatte, und immer war's ihm, als ob er hin müsste, um der Witwe das Tuch aus der Hand und die kleinen lieben Waisen auf seine Arme zu nehmen.

Ausser diesem Bilde, waren es noch Gedanken anderer Art, die ihn beunruhigten, [272] und von einer Seite zur andern warfen. – »Die Witwe fühlte ihr Vertrauen an den Namen Stark wie gefesselt.« – Das schien ihm gleichsam ein Schuldbrief zu seyn, ein Wechsel, den der Glaube an Tugend auf seine Ehre gezogen hatte, und den er unmöglich anders als honoriren konnte. – »Sie hatte bei dem Vater suchen wollen, was die Umstände von dem Sohne zu fordern nicht zuliessen.« – Wie konnte er sich's nur denken, dass der Vater in Beweisen von Edelmuth hinter einem Sohne zurückbleiben sollte, den er seiner Engherzigkeit wegen so oft getadelt hatte? – Dann noch der Name der Frau, der ihn an seinen ehemaligen vertrautesten Freund, den guten, redlichen Lyk, erinnerte; ihre grosse, bis zur Ohnmacht gehende Schüchternheit, fremde Hülfe zu suchen, die er [273] als einen sichern Beweis edler Denkungsart ansah; ihre Thränen, die er zum Theil wohl selbst durch gewisse Züge in der Unterredung mit ihr mogte hervorgelockt haben; das mannichfaltige Unrecht, das er ihr, von Vorurtheil geblendet, durch Spöttereien gethan, die sie so ganz nicht verdiente, und für die nun sein eignes Herz, ob sie gleich das Ohr der Unschuldigen nie erreicht hatten, Genugthuung forderte; die Gelegenheit, die sich eben im Hause der Lyk gefunden, das verborgene Gute in dem Charakter seines Sohnes, das ihm so grosse Freude gemacht hatte, an's Licht zu bringen: – alle diese und ähnliche Betrachtungen hielten den Alten bis nach Mitternacht wach, und liessen ihn auch dann noch keinen festen Schlaf, nur einen unruhigen Schlummer finden.

26.

[274] XXVI.

Hier herein, Monsieur Schlicht! – sagte am folgenden Morgen Herr Stark, dessen Gesicht noch alle Falten und Runzeln vom vorigen Abende hatte. Ich hab' ein Wörtchen mit Ihm zu reden; und in diesem Zimmer – es war das Schlafzimmer, das er ihm öffnete – sind wir noch am ersten allein.

Dem alten Handlungsdiener, der nicht das beste Gewissen hatte, war bei dieser Anrede nicht wohl. Er war dem Schlafzimmer von alten Zeiten her gram: denn er hatte hier schon manchen schweren Kampf mit Herrn Stark zu bestehen gehabt; und eben jetzt war ihm wieder vor einem Examen bange, worin die Falschheit seines Vorgebens, dass der junge Herr[275] noch immer unpässlich sei, an's Licht kommen konnte. Er warf sich in den Trotz Kain's, der bekanntlich nichts als verkappte jämmerliche Furcht war, und fragte auf beide Beine gesteift: Was soll ich? –

Monsieur Schlicht, muss man wissen, war treu wie Gold; und wenn das Interesse seines lieben alten Wohlthäters mit irgend einem fremden in Streit gerieth, so war er im Stande, für jenes Leib und Leben zu lassen. Aber, wenn im Innern des Hauses ein solcher Streit entstand: so war er sicher von der Partei der Kinder gegen den Vater; und würd' es auch gegen die Mutter gewesen seyn, wenn nicht diese eben so treu, als er, es mit den Kindern gehalten hätte. Er hatte die letztern ungeboren gedacht, und sie oft auf seinen Armen getragen, hatte ihnen tausend kleine Dienste und Gefälligkeiten [276] erwiesen, und tausend kleine Schmeicheleien und Liebkosungen dafür wieder erhalten. Noch jetzt, da sie schon längst erwachsen waren, nannten sie ihn immer Du, und lieber alter Vater; was dem fast siebzigjährigen Junggesellen, der es, bei allem guten Willen, nie bis zum Heiraten und bis zum eignen Kinderzeugen hatte bringen können, jedesmal in der Seele wohlthat. Auch vergassen die Kinder nie, was er selbst immer richtig vergass: seinen Geburtstag; wenigstens erinnerte die Doctorinn daran ihren vergesslichern Bruder: und das ward dann ein Tag froher Feier, wo der alte Schlicht bei den Geschenken, die ihm reichlich dargebracht wurden, und die für seine Bedürfnisse sorgfältig ausgewählt waren, nicht selten Freudenthränen vergoss, und von der Doctorinn, wenn er dieser zum [277] Dank die Hand küssen wollte, wohl gar ein Mäulchen davontrug. Durch solche Bande, die weit zarter, aber eben darum auch fester, als die der Ehrerbietung waren, die ihn an seinen Brotherrn knüpften, hing er unauflöslich an beiden Kindern; auch hatte er eine Schrift auf das Rathhaus getragen, worin er sie zu alleinigen Erben des nicht ganz kleinen Capitals einsetzte, das er sich in seinen vieljährigen Diensten gesammelt hatte. –

Vermöge dieser Anhänglichkeit, vertuschte Monsieur Schlicht, ehe der Sohn mit zunehmenden Jahren dreister ward, manche geheime Ausflüge desselben, und hatte darüber, wenn es herauskam, in dem oberwähnten Schlafzimmer manchen harten Stand mit dem Vater. Jetzt war er abermal Vertrauter des Sohnes, und hatte selbst die Chaise anspannen lassen,[278] worin vor ein paar Tagen der junge Herr zu einem Freunde aufs Land gefahren war, weil es ihm gleich Anfangs unerträglich geworden, ohne Frost und Hitze ein Fieber zu haben, und wie ein Übelthäter zwischen vier Mauren zu sitzen. Monsieur Schlicht lebte diese Zeit über in grosser Unruhe, dass der Alte dahinter kommen, und es dann wegen seiner falschen Nachrichten vom Sohne sehr derbe Vorwürfe absetzen mögte.

Indess kam er dieses mal mit dem Schrecken davon. – Ich habe etwas vor, sagte Herr Stark, wozu ich einen Mann brauche, auf den ich mich verlassen kann, und der zugleich um sich weiss, und in Handlungsgeschäften gewiegt ist.

Dieses herzerhebende Wort war Trost und Balsam für Monsieur Schlicht. Seine Kenntnisse und Einsichten geehrt zu wissen, [279] war ihm nie gleichgültig, und im gegenwärtigen Augenblick höchst erfreulich. – Befehlen Sie, befehlen Sie, sagte er, mein lieber HerrStark! indem er ganz nahe zu ihm hintrat, um gleichsam jedes Wort ihm von den Lippen zu horchen. – Er erfuhr nunmehr, was Madam Lyk am gestrigen Tage bei dem Alten gewollt habe; erfuhr ihre unangenehme Lage mit Horn, und vielleicht mit noch andern Gläubigern, die Herr Stark nur näher zu kennen wünschte; erfuhr die grossen Dienste, die der junge Herr der Lykisohen Handlung geleistet hatte, nebst der Neigung des alten Herrn, das vom Sohne angefangene gute Werk zu vollenden, und der Verlegenheit der Witwe, durch Verwendung seines Credits für sie, ein Ende zu machen.

Die Herzensfreude des guten Schlicht [280] über Alles was ihm vertraut ward, am allermeisten aber über die Ehre dieses Vertrauens selbst, war so gross, dass Herr Stark den Strom der Beredtsamkeit, womit sich der alte Mann über jeden einzelnen Punct dieser Erzählung auszubreiten im Begriff war, durch ein stets wiederholtes und immer stärkeres: Hör' Er doch! Wir werden ja vor Abend nicht fertig! kaum zu hemmen vermogte. – Aber wie plötzlich stand und gefror dieser Strom, als Herr Stark hinzu setzte: dass er nicht gesonnen sei blindlings zu verfahren, sondern vor allen Dingen erst von dem Sohne wissen wolle, ob die Activa der Witwe ihre Passiva wenigstens balancirten, und in wie kurzer oder wie langer Zeit etwa Hoffnung sei, dass sie völlig aufs Reine kommen und mit allen ihren Gläubigern auseinander seyn werde.[281] Da mein Sohn, sagte er, die Lykischen Bücher durchgearbeitet, und also von der ganzen Lage der Handlung die vollständigste Kenntniss hat: so ist dies von ihm ohne Zweifel besser, als von der Witwe selbst oder von ihrem Buchhalter zu erfahren, der wohl ohnehin nicht der thätigste und geschickteste seyn mag. Geh' Er also gleich zu meinem Sohne hinauf, Monsieur Schlicht, und lass' Er Sich über die angegebenen Puncte – er wiederholte ihm diese Puncte langsam und deutlich – eine recht bestimmte, ausführliche Nachricht – hört Er? recht bestimmt und recht ausführlich – geben. Ich muss jetzt fort; aber in einer Stunde längstens bin ich zurück, und erwarte alsdann Seine Antwort. Nachdem die lauten wird, will ich Ihm dann schon weiter sagen, was Er zu thun hat. –[282] Es wäre unmöglich gewesen, dass Herr Stark die plötzliche und totale Gesichtsverfinsterung des alten Handlungsdieners nicht hätte bemerken und irgend etwas Unheimliches wittern sollen, wenn nicht eben jetzt, zu grossem Glück für Monsieur Schlicht, die alte Wanduhr geschlagen, und mit ihrem ersten lärmenden Streich auf die Glocke den Gedanken des alten Herrn plötzlich eine andere Richtung gegeben hätte. Es war die höchste Zeit geworden, auf die Börse zu gehn, wo Herr Stark gerade heute ein Geschäft von so grosser Wichtigkeit hatte, dass er nicht schnell genug glaubte hineilen zu können. Mit einem kurz abgebrochenen: Adieu! Mach' Er Seine Sachen gut! griff er hastig nach Hut und Stock; und verliess den armen rath- und hülflosen Monsieur Schlicht, der unbeweglich wie eine [283] Salzsäule dastand, und das einzige Wörtchen Ja! – bis zu welchem seine ganze Beredtsamkeit jetzt versiegt war – mit immer längeren Pausen, und immer schwächerem Tone, hinter Alten her sprach.

27.

[284] XXVII.

In seiner Seelenangst, da er sich das ehrenvolle Zutrauen des alten Herrn so gern erhalten hätte, und doch auch nicht wusste wie er es anfangen sollte, irrte Monsieur Schlicht, wie ein Unkluger, im ganzen Hause umher; und kam zuletzt auch vor das Zimmer des jungen Herrn, ohne selbst zu wissen was er da wollte. – Man denke sich sein Erstaunen, als er das Zimmer geöffnet, und den Gegenstand seiner Sehnsucht mit aufgestütztem Arme am Tische dasitzend fand. Er kreuzte und segnete sich, eh' er ihm näher trat, und ihn mit zitternder Stimme fragte: ob er's denn wirklich wäre?

Da glaubst doch nicht an Gespenster? sagte der junge Herr Stark.

[285] Ach mein Gott! Wenn's nicht heller lichter Tag wäre; man mögt's beinahe. – Wie, um's Himmels willen! kommen Sie hier herein?

Von hinten, mein lieber Schlicht. Durch den Thorweg.

Ha! – Stand der offen?

Sperrweit. –

Nun, so soll doch auch den Knecht gleich auf der Stelle der Henker holen! Er hat Holz gefahren, der Schlingel! und hat mir den Thorweg offen gelassen.

Monsieur Schlicht, in seiner ökonomischen Wuth, wollte augenblicklich hinunter, um den Knecht rechtschaffen auszufenstern. – Aber, sagte Herr Stark, ist's dir denn nicht lieb, alter Vater, dass ich mich auf diese Art habe in's Haus schleichen können?

Ach ja! ja! erwiederte Monsieur [286] Schlicht: gar zu lieb! und ich will ja auch dem Kerl noch ein Trinkgeld, ein gutes Trinkgeld geben; mit tausend Freuden! – Aber ausschimpfen muss ich ihn erst, und muss erst sehen ob Alles zu ist. Wir haben Diebsbanden hier in der Stadt. – –

Das Geheimniss von der frühen Zurückkunft des Herrn Stark war kein andres, als seine zur vollen Leidenschaft gediehene Liebe zur Witwe. Diese machte ihn für jede Gesellschaft, so wie jede Gesellschaft für ihn, ungeniessbar. Sein Freund, der die unglückliche Stimmung seines Gemüths bald genug inne ward, suchte ihn auf alle mögliche Weise zu zerstreuen und aufzuheitern: er brachte Gespräche auf die Bahn, in denen Herr Stark seine Handlungskenntnisse entwickeln konnte; er stellte eine eigene kleine [287] Jagdpartie für ihn an; er schlug gesellschaftliche, muntere Spiele vor, bei denen sonst Lachen und Scherz nie fehlen: aber Alles vergebens. Im Gespräch gab Herr Stark, wenn von Java die Rede war, über Jamaica Antwort; auf der Jagd liess er die Hasen, die man ihm fast vor die Füsse trieb, ungesehen davon laufen; und zu den Spielen war er so unlustig oder nahm sich dabei so linkisch, dass sie fast eben so schnell wieder abgebrochen, als angefangen wurden. Endlich, wie leicht zu erachten, ward man der undankbaren Mühe, ihm Vergnügen zu machen, überdrüssig; und Herr Stark hätte noch ein wenig zerstreuter seyn müssen als er es war, um nicht zu merken, dass er seinem Freunde zur Last, und was noch mehr ihn kränkte, seinen Mitgästen lächerlich ward. Er packte also [288] schnell wieder zusammen, und nahm schon am dritten Tage von seinem gütigen Wirthe Abschied, der zwar Ehrenhalber seine zu frühe Rückreise tadelte, aber im Grunde des Herzens froh war ihn wieder loszuwerden. –

Herr Stark hatte nunmehr die völligste Überzeugung, dass er mit seiner Leidenschaft nur vergebens kämpfe, und dass er ohne den Besitz der Witwe unmöglich leben könne. Es waren drei Fälle, die bei der Bewerbung um sie Statt finden konnten; und für jeden war sein Entschluss schon gefasst. Wenn der Vater seine Einwilligung abschlug, aber die Witwe sie gab; so setzte er sich mit den Vormündern der Lykischen Kinder, und zog zu der Witwe in's Haus, um ihre Handlung, die er genugsam hatte kennen lernen, zu übernehmen und fortzuführen. [289] Wenn der Vater, wie er zwar innig wünschte, aber zu hoffen sich nicht getraute, seiner Wahl aus vollem Herzen beistimmte – denn ein nur gezwungner oder gar erbettelter Beifall genügte ihm nicht –; so schlug er die Lykische, ohnehin gesunkene, Handlung so vortheilhaft los als möglich, und führte die Geliebte seines Herzens in das väterliche Haus ein, wo er dann mit verdoppeltem Eifer sich seinen Geschäften widmen, nur ihnen und seiner Liebe leben, und den Vater überzeugen wollte, dass es ihm so wenig an Talenten als an Tugenden fehle. Wenn unglücklicher Weise die Witwe selbst – sie, für die er so viel gethan hatte, und die er so innig liebte – seinen Wünschen abhold war; so blieb er keinen Augenblick länger in einer Stadt, wo er das Weib seines Herzens ohne [290] Hoffnung des Besitzes vor Augen haben, oder wohl gar einen Dritten – er knirschte bei dieser Vorstellung – in ihren Armen glücklich sehen müsste. Er begab sich alsdann, wie er bisher gewollt hatte, nach Br ..., wo schon Alles zu seiner Aufnahme bereit war, und wohin er den Briefwechsel mit seinem Geschäftsträger eben in dieser Hinsicht noch fortsetzte.

So weit stand der Entschluss des Herrn Stark, ohne zu wanken, fest: und schon dies beruhigte gewissermassen sein Herz; aber noch erhielt ihn die Ungewißheit, welche von den aufgezählten Möglichkeiten zur Wirklichkeit kommen würde, in jenem finstern, schwermüthigen Staunen, worin ihn der alteSchlicht überrascht hatte. Um auch dieser Ungewissheit los zu werden, beschloss er jetzt, sobald der Vater zu Tische sässe, in das Haus des [291] Schwagers zu eilen, der um das Geheimniss seines Herzens nun einmal wusste, und der ihm seines vollen, unbedingten Zutrauens werth schien. Mit ihm wollte er sich über die Art und Weise besprechen, wie er am besten die Gesinnung der Witwe, und dann auch die des Vaters, erforschen könnte.

28.

[292] XXVIII.

Alles gut! Alles sicher! sagte Monsieur Schlicht, indem er mit geriebenen Händen und frohem Angesichte wieder hereintrat. – Der Knecht hat seinen Ausputzer, und hat sein Trinkgeld weg; der verwünschte, nachlässige Kerl!

Den Ausputzer, sagte Herr Stark, hättest du sparen können.

Nein, nein! Das Trinkgeld eher; denn das hatte der Zufall verdient, aber den Ausputzer er selbst. – – Ach, was ich mich freue, mein lieber, lieber HerrStark, dass Sie wieder zurück sind! Ich war in gewaltiger Noth.

Um mich? – Mir fehlte nichts, lieber Vater.

Aber mir desto mehr. – Denken Sie [293] Sich nur um's Himmels willen! was für einen Auftrag mir da der alte Herr giebt.

Nun? –

Ich soll zu Ihnen heraufgehn – zu Ihnen, den ich nicht hier wusste! Wie ward mir dabei? – und soll Sie recht genau und recht umständlich befragen, wie es mit der Handlung der Madam Lyk steht, um derentwillen ich so oft habe wachen müssen.

Was? rief Herr Stark, und fuhr mit grosser Bewegung vom Stuhle.

Jaja! – Ob die Activa die Passiva wenigstens balanciren, und in wie kurzer oder wie langer Zeit sie etwa realisirt haben werde?

Schlicht! – Er fasste den alten Handlungsdiener bei beiden Armen. – Mich, mich sollst du darum befragen? Mich?

Wen denn sonst? – Ihr Vater weiss [294] alle Ihre Gänge zur Witwe. Sie selbst scheint ihm davon gesprochen zu haben.

Sie selbst? – Ich glaube bei Gott, Alter! es ist nicht richtig mit dir; du bist von Sinnen. – Wie kömmt mein Vater zur Witwe? –

Hören Sie, junger Herr! sagte Monsieur Schlicht, und schüttelte ärgerlich mit dem Kopfe; das von Sinnen seyn lassen Sie weg! Das bitt' ich mir aus. Ich habe Gottlob! so alt ich bin, meine fünf Sinne so gut, wie ein Andrer.

Aber noch einmal, Schlicht! – Antworte, und sei dann böse so viel du willst! Wie kömmt mein Vater zur Witwe?

Hab' ich denn schon gesagt, dass Er zu ihr kam?Sie kam zu ihm.

Sie zu ihm? –

Gestern Vormittag. Hieher in's Haus. – Und kam hier schlimm genug wieder weg.

[295] Ha! rief Herr Stark, und erröthete über und über.

Oder eigentlich stattlich genug. Denn die Frau Doctorinn und ich brachten sie in einer Kutsche nach Hause.

In einer Kutsche! Warum? – Er fing an, zu erblassen.

Je, sie lag ja in einer Ohnmacht, die arme Frau! dass man geschworen hätte, sie wachte vor dem jüngsten Tage nicht wieder auf.

Grosser Gott! – Vielleicht der Vorbote von einer Krankheit, von einer tödtlichen Krankheit!

Ach, hat sich etwas! – Er warf den Kopf in den Nacken. – Sie denkt Ihnen an keine Krankheit. Sie war kaum wieder zu Hause; so war sie flink, wie ein Vogel.

Ist das wahr? Ist das sicher?

[296] Wird denn Schlicht Sie belügen? – Aber sagen muss ich Ihnen noch, mein lieber, lieber junger Herr, was ich für eine grosse, für eine ausnehmende Freude gehabt habe.

Du? –

Ihr Vater hat in Ausdrücken von Ihnen gesprochen; in Ausdrücken! – Er nahm hier einen pathetischen Ton an. – »Mein Sohn hat so rechtschaffen gehandelt – mein Sohn hat sich so brav bewiesen – mein Sohn hat die Grossmuth gehabt.« – – Sehn Sie, mein lieber, lieber junger Herr! So hatt' ich noch in meinem Leben von Ihnen nicht reden hören.

Herr Stark hätte sich gern ein wenig geschämt, wenn er vor Vergnügen dazu hätte kommen können. Er sah den Nebel, der über seiner Zukunft lag, sich[297] schon ziemlich erheitern, sah den liebsten seiner Wünsche zur Hoffnung werden, und bestürmte nun den alten Schlicht mit einer Menge von Fragen, die aber grösstentheils ohne Antwort blieben. – Wenn ich doch nur wüsste, sagte er endlich, was in aller Welt die Witwe hieher gebracht, was sie gewollt hat?

O, was das betrifft; damit kann ich aus dem Munde des alten Herrn Ihnen dienen. Sie ist in Verlegenheit wegen eines gewissen Horn, der ihr zusetzt.

Horn? rief Herr Stark, und trat mit Heftigkeit gegen den Boden. – Ha! der elende, nichtswürdige Geizhals! So hat er mir doch das Wort nicht gehalten, das ich so mühsam, mit so vielem Zureden, von ihm erpresste! – Ich Thor! Warum bezahlt' ich auch den Bettel nicht gleich? – Und was beschliesst denn mein Vater? Was will er thun?

[298] Er reisst die Witwe heraus; ganz gewiss! – Ich werde schon hören, sobald er von der Börse zurückkömmt.

Bleibt er dort lange? Was meinst du?

Ich denke. Er schien ein Geschäft von Wichtigkeit vorzuhaben. Er eilte sehr.

So will ich zu meiner Mutter hinunter. Vielleicht weiss sie mehr, lieber Alter, als du. Oder, wenn auch sie nichts weiss – dann zum Schwager, zur Schwester, zur Witwe selbst!

Halt! halt! rief Monsieur Schlicht, indem er ihn noch glücklich bei dem einen Rockschoss erwischte: so haben wir nicht gewettet, junger Herr; so kommen Sie mir nicht fort! – Erst Nachricht, ob die Activa der Witwe ihre Passiva – –

Nur decken, meinst du? – Es bleibt noch Capital-Conto. Nicht wenig.

Schön! – Und die Zeit, wann sie realisirt haben wird?

[299] Drei, vier Monate längstens.

Vortrefflich! – Aber nun mögt' ich noch einige Umstände wissen; als erstens – –

Fort war Herr Stark.

Fort ist er! brummte Monsieur Schlicht, und sah mit Kopsschütteln hinter ihm her. – Das ist mir denn doch wahrlich zu bunt. Dahinter liegt mehr verborgen. – Junger Herr! junger Herr! Sie haben der Witwe zu tief in die Augen gesehen. Sie sind verliebt. – – Je nun – wenn er's denn einmal ist – was für ein Unglück? – Eine hübsche, wackere Frau ist die Witwe; das ist gewiss: und wenn sie ihm ansteht – – Sie hat viel Lebensart, muss ich sagen; sie dankte mir gestern gar höflich; sie nannte mich einen lieben Herrn Schlicht über den andern: – Also – wenn sie ihm ansteht – warum soll er [300] sie nicht zur Frau nehmen? Wer wird's ihm wehren? – Immer zu, mein Herr Stark! Immer zum Werk geschritten! Das Junggesellenleben ist ein langweiliges Leben. – Haha! – Da kann ich alter Kindernarre noch in meinen siebziger Jahren etwas zu tragen und zu hätscheln bekommen. – In Gottes Namen! – Ich wollte, sie wären schon da, die kleinen niedlichen Püppchen, und könnten schon laufen.

29.

[301] XXIX.

Von der Mutter war wenig oder nichts zu erfahren; und so eilte Herr Stark durch den Thorweg, den ihm Monsieur Schlicht öffnen musste – denn wenn er von vorne ging, konnt' er dem Vater in den Wurf kommen – zur Schwester.

Diese, die von seiner Reise gewusst hatte, schien über seine Rückkunst verwundert. Sie konnte sich's nicht versagen, den ungeduldigen Liebhaber mit seiner Leidenschaft ein wenig zu necken, sich eben so brennend-neugierig zu stellen, als er selbst brennend-verliebt war, und ihm auf seine Fragen über die Witwe lauter Gegenfragen über die Reise zurückzugeben. Doch am Ende brach ihr das mitleidige Schwesterherz; und sie machte [302] ihn durch die Entdeckung, dass, nach ihrem und ihres Mannes Dafürhalten, die Witwe wohl eben so verliebt sei als Er, über alle Beschreibung glücklich. Sie selbst war es in hohem Grade durch das stolze Gefühl, das immer ihrem Geschlechte so wohl thut, einen Mann in den Fesseln eines Weibes sich krümmen und winden zu sehn; doch fühlte sie zugleich, wie alle wohldenkenden Damen, einen lebhaften Trieb, den Leiden des armen Schmachtenden, so schön und so lieblich anzuschaun sie auch waren, ein baldiges Ende zu ma chen. Sie versprach ihm mit Hand und Mund, dass sie nichts was in ihren Kräften stehe, unversucht lassen wolle, um das Schifflein seiner Liebe, wenn nur nicht Wind und Wetter allzusehr entgegen wären, glücklich in den Hafen zu steuren.

[303] Bei der Zuhausekunft des Doctors, kamen die drei Entwürfe zur Sprache, die Herr Stark auf die oberwähnten drei Fälle bei sich festgesetzt hatte. Der Doctor wollte durchaus, dass er sich vor allen Dingen mit dem Vater verständigen, und seine Geschäfte wieder antreten sollte, wo denn die Einwilligung zur Heirat mit der Witwe gewiss nicht fehlen würde. Herr Stark hingegen wollte vor allen Dingen der Gesinnung der Witwe versichert seyn, um zu wissen, ob er den Ort seines Aufenthalts nicht verändern müsse, und wie er sich gegen den Vater zu nehmen und zu erklären habe. In sein altes Verhältnis, sagte er, trete er für keinen Preis wieder zurück, was auch immer sein Schicksal seyn möge; und die Billigung seiner Liebe betreffend, kenne er die unüberwindliche Beharrlichkeit des Vaters [304] in seinen einmal gefassten Vorurtheilen.

Der Doctor erzählte ihm jetzt, wie sehr das Vorurtheil gegen die Witwe bei dem Alten bereits erschüttert worden, und bestand noch einmal darauf, dass sein erster Schritt die Aussöhnung mit einem Vater seyn müsse, der von nun an gewiss auf einen ganz andern Fuss mit ihm leben werde. Die Rückkehr des alten Verhältnisses, meinte er, sei durchaus nicht zu fürchten, sobald nur nicht der Sohn selbst daran arbeite es wieder herzustellen. Ob der Vater ihn liebe? sei nicht die Frage; nur habe dieser Liebe bisher ein nothwendiger Zusatz gemangelt, und dieser Mangel sei die Ursache alles Verdrusses und aller Erbitterung geworden. – Herr Stark bestand darauf, dass der Doctor sich näher erklären sollte; und [305] dieser versprach es, wenn er zuvor das feierliche Wort erhielte, dass ihm seine Freimüthigkeit nicht sollte übelgedeutet werden. Dieses Wort ward gegeben. –

Nun dann! sagte der Doctor: der Liebe Ihres Vaters mangelte, was jetzt schon in hohem Grade da ist, und was Sie noch täglich zu vermehren in Ihrer Gewalt haben werden: Hochachtung für Sie.

Wahr! Mehr als zu wahr! Er hat mich von jeher verachtet.

Er hat von jeher gewünscht, Sie innigst hochachten zu können. – Fragen Sie jetzt Sich Selbst, in welchem Maasse Sie ihm das möglich machten!

Hab' ich ihm Schande gemacht? rief Herr Stark, indem er mit grosser Bewegung aufstand. Hab' ich Lasterthaten begangen?

Ist von Schande die Rede? Werden [306] Sie den schon hochachten, der sich mit keinen Lasterthaten befleckt hat? Gehört zur Hochachtung nicht mehr?

Herr Stark erinnerte sich der Freude des altenSchlicht über den Ton worin, sein Vater von ihm gesprochen hatte, ward besänftigt, und setzte sich wieder. –

Ich habe Ihr Wort, dass Sie meine Freimüthigkeit mir verzeihen wollen; und so lassen Sie mich ein für allemal, um Ihrer und Ihres Vaters Zufriedenheit willen, über diesen Punct meine geheimsten Gedanken sagen! – Ihr Vater hielt Sie für keinen bösen, aber für einen schwachen, für einen auf sich selbst beschränkten, zur Sinnlichkeit, Weichlichkeit, Eitelkeit ganz sich hinneigenden Charakter. Nach dem, was er von Ihnen sah, von Ihnen hörte – denn Ihr Gutes verbargen Sie ja vor ihm – konnt' er kaum anders, [307] sondernmusste Sie dafür halten. Er dachte Sie im vollen Gegensatz mit sich selbst; und sich selbst konnt' er doch wahrlich! auch bei der strengsten Unparteilichkeit, mit keinen andern Augen ansehn, als womit alle Welt ihn ansieht: mit Augen der Billigung und der Achtung. Daher sein Ton gegen Sie: ein wirklich empfindlicher, ärgerlicher, kränkender Ton, der mir von jeher missfiel, den ich gegen meinen Sohn, wie ich auch immer von ihm urtheilen mögte, ewig nicht brauchen würde, auch freilich, weil mir Witz und Laune dazu versagt sind, nicht brauchen könnte; der aber aus dem ganzen Geiste und Herzen des Alten zu natürlich hervorging, als dass die Abänderung desselben, solange er Sie in dem alten Lichte betrachtete, je gehofft werden durfte. – Ihm diesen Ton zu nehmen,[308] war kein anderer Weg als ihm sein Urtheil von Ihnen au nehmen; und dieses – er ergriff hier die Hand des Schwagers, und drückte sie ihm mit Wärme – diesesist ihm genommen.

Herr Stark hatte mit Ruhe gehört, und schwieg auch noch jetzt. Der Doctor bekannte ihm, dass er die ganze Geschichte der Aussöhnung mit Lyk, nebst Allem was darauf gefolgt sei, dem Alten erzählt habe, und schilderte ihm die grosse Rührung desselben nicht ohne eigene Rührung. – Treten Sie ihm jetzt unter die Augen, und Sie werden einen ganz andern Blick von ihm sehen. Reden Sie jetzt mit ihm, und Sie werden einen ganz, andern Ton von ihm hören. – Wahrlich, Herr Bruder! wenn Sie auch alle die kleinen – Schwachheiten will ich nur sagen – beibehielten, die er sonst an Ihnen bespöttelte: [309] er würde sienicht mehr bespötteln; er würde sie immer noch weg wünschen, aber sie dem uneigennützigen, grossmüthigen, edelthätigen Manne, den er jetzt in Ihnen erkennt, mit Freuden, zu Gute halten. Nur Annäherung, Aussöhnung, Vertrauen! – und ich schwöre Ihnen, Sie gelten ihm künftig mehr, als wir Alle; Sie führen ihm jede Gattinn, die Sie wollen, als seine Tochter zu; Sie sind Herr aller Ihrer Handlungen, solange Sie in dem Geiste, wie seit Lyks Tode, handeln; Sie haben an ihm keinen Tadler und Sittenrichter mehr; nur einen liebenden Freund, einen zärtlichen Vater.

So gern Herr Stark dieses Alles nicht bloss als Liebhaber, sondern auch als Sohn hörte, dessen Gefühle der Natur und der Pflicht nie völlig erstorben waren, so nahm er es doch mehr für angenehme [310] Vorspiegelung, als für wirkliche Hoffnung. Er beharrte darauf, dass sein erster Schritt seyn müsse, von der Gesinnung der Witwe gewiss zu werden, um bei dem Versuche der Aussöhnung mit dem Vater sogleich seine Liebe erklären zu können: weil diese Aussöhnung, wenn man hinterher seine Liebe verwürfe, von keiner Dauer, und wenn die Witwe selbst ihm ihre Hand verweigerte, von keinem Nutzen seyn würde. Er sei in dem letztern Falle nun einmal entschlossen, seinen Aufenthalt zu verändern. – Man stritt noch eine Weile hin und her; aber jeder blieb, wie gewöhnlich, bei seiner eigenen Ansicht: bis die Doctorinn, die sich ihrer Wirthschaft wegen hatte entfernen müssen, wieder hereintrat, und Mann und Bruder zu Tische abrief. Sie sagte ihnen, dass sie den Kindern besonders [311] habe decken lassen, und dass sie drei allein seyn würden, um mit voller Freiheit zusammen zu rathschlagen.

Der Streit zwischen dem Doctor und Herrn Stark ward ihr jetzt zur Beurtheilung vorgelegt, und sie entschied, nach kurzem Besinnen, für beide und wider beide. – Ihr könnt euch nur darum nicht vereinigen, sagte sie, weil Ihr Männer, das heisst, weil Ihr Starrköpfe seid, die, wie sie einmal ein Ding gesehen und gefasst haben, es immer sehen und immer fassen. – Mein Gott! so werft doch Euer beider Meinungen in Eine zusammen, und Ihr seid ja fertig.

Wie zusammen? fragten hier beide. Wie geht das an?

Ja, wenn wir Weiber nicht wären! –

Ihr holden Friedensstifterinnen! sagte der Doctor, und lachte.

[312] Das sind wir, mein Herr; das sind wir. Davon sollen Sie gleich die Probe sehen. – Du, Bruder, willst vorher der Liebe deiner Witwe gewiss seyn, ehe du mit dem Vater sprichst. Nicht?

Allerdings.

Und du, Herr Gemahl, willst den Bruder vorher mit dem Vater einverstanden wissen, eh' er mit der Witwe Richtigkeit macht?

Nicht anders.

Nun, was zankt Ihr Euch denn? Da giebt's ja gar keine Schwierigkeiten. Das geht ja ganz vortrefflich zusammen. – Ich schaffe dem Bruder die vollkommenste Gewissheit von dem Ja der Witwe, ohne gleichwohl dieses Ja ausdrücklich zu fordern; und der Bruder, wenn er diese Gewissheit hat, gönnt dem Vater vorher das Wort, eh' er der Witwe seine Anträge [313] macht. Dann wird er ja hören, und nachdem er hört, kann er handeln. Der Vater darf nicht klagen, dass der Sohn ihn vernachlässiget habe, und der Sohn darf nicht fürchten, dass er von einer oder der andern Seite in Verlegenheit komme. – Lässt sich etwas Leichters, etwas Einfacheres denken?

Aber ich sehe nicht ab, sagte der Doctor, wie du, ohne förmlichen Antrag, des Ja der Witwe gewiss werden kannst.

Armer Mann! Das siehst du wirklich nicht ab? – Sage mir doch: wie nanntest du jüngst ein Gesicht, woran du gewiss vorher weisst, dass dein Kranker dir sterben werde?

Ein hippokratisches etwa?

So ungefähr. Ja, so klangs. – Nun, die Freiheit der armen Mädchen und Witwen, wenn sie im Abfahren begriffen ist, [314] hat eben ein solches hip – hip – wie heisst es?

Hippokratisches Gesicht.

Richtig! – Und darauf verstehn nun wir Weiber – wir klugen, mein' ich – uns eben so gut, als Ihr Euch, Ihr gelehrten Herrn Doctoren, auf jenes. – Heute Abend, Bruder, hast du von der Witwe volle Gewissheit, ohne dass ich gleichwohl das Mindeste mit ihr richtig mache.

Aber, Schwester, sagte Herr Stark, wenn du deine Gute gegen mich vollenden wolltest – ich wünschte von dir noch Eines.

Und was?

Dass du, ehe ich mit dem Vater spräche, auchseine Gesinnung in Absicht dieser Heirat – nicht eben geradezu, nur von weitem, ganz von weitem – erforschtest. Ach, das würde mir die Unterredung [315] mit ihm so unaussprechlich erleichtern.

Kann geschehn! sagte die Schwester.

Er soll ja sein Vorurtheil gegen die Witwe schon halb verloren haben?

Das hat er. Schon mehr als halb. – Aber, lieber Mann, wie ist's denn mit dir? Du wirst doch auch etwas thun.

Was in meinen Kräften steht – gerne. Ich bin des Unfriedens in der Familie schon so überdrüssig! –

Morgen, weisst du, ist Sonntag, und der Vater isst hier zu Mittage. – Wie, wenn du ihn da in dein Zimmer nähmst, und ihn zur väterlichen, freudigen Wiederannahme des Bruders zu stimmen suchtest? wenn du ihm den Bruder von seinem letzten Geschenke so gerührt schildertest, so dankbar, so gut –

Dass er ihn selbst wieder zurücksehnte?

[316] Nun ja!

Mit Vergnügen. – Aber dann wird er sogleich, wenn er den Bruder gesund glaubt, ihn rufen lassen, oder wenn er ihn noch für krank hält, zu ihm, hinaufgehn und ihn umarmen.

Er umarmt nicht so leicht. –

Nein, nein! sagte Herr Stark. Verschone mich, Schwester! – Auch hast du mir ja versprochen – –

Wahr! Ihn der Heirat wegen erst auszuholen. Und dazu will Zeit seyn. So Schlag auf Schlag geht das nicht. – Und doch mögt' ich so ungern, dass der Sonntag, wo wir ihn hier allein haben, und wo er gemeiniglich so vergnügt ist, für die Hauptunterredung verloren ginge. – Halt! Du warst ja auf dem Lande, Bruder? Bei einem Freunde?

Nun freilich.

[317] Besinne dich! Du warst nicht, sondern du bist auf dem Lande. Mein Mann hat dir zu der Reise gerathen, und heute oder gestern – mag es doch heute seyn, heute nach Mittage! – bist du von hier gefahren. Indessen bleibst du bei deiner Schwester, und kannst wieder zur Stadt kommen, sobald du willst. Schlicht soll Bescheid darum wissen.

Ich glücklicher Mann! sagte der Doctor. Was für eine Frau ich doch habe!

Nicht wahr? –

Eine kluge, eine herrliche Frau! – Von einer Erfindungskraft! einer Geistesgewandtheit!

Bosheit! Bosheit! rief sie. Nichts weiter! – Da will er mich nun verführen, dass ich ihm einmal sagen soll, was eine Frau doch so ungerne sagt: Mann! du hast Recht.

[318] Die süsse Miene, womit sie jetzt aufstand, versprach einen Kuss, und der Doctor fuhr sich schon mit der Serviette über die Lippen; aber plötzlich wandte sie sich gegen die Thüre, befahl den Pudding zu bringen, und setzte sich ganz ehrbar wieder an ihre Stelle.

30.

[319] XXX.

Komm' ich nicht ein wenig zu oft? sagte die Doctorinn, indem sie einen Augenblick an der Zimmerthüre der Witwe stillstand. Werden Sie Sich nicht bald meine Besuche verbitten?

O meine Freundiun! mir Ihre Besuche verbitten! Ich, die ich mich lieber niemal von Ihnen trennte! – Sie thun mir da eine Frage – –

Die übler klingt, als gemeint ist. Weiss ich's nicht schon, dass Sie mich recht gerne ertragen?

Ertragen! – Nun kommen Sie mir vor Mitternacht nicht von dannen.

Ich Arme! Da wär' ich ja schrecklich gestraft. – –

Man nahm jetzt Platz, und die Doctorinn [320] wollte so eben auf ihr Hauptthema einlenken; als ein Lehrling aus der Lykischen Handlung hereintrat, und den alten Mann von gestern ansagte, der Madam Lyk aus dem Wagen gehoben habe.

Der Doctorinn schoss auf der Stelle das Blatt.Schlicht? rief sie aus. Der kömmt nicht anders, als wenn er geschickt wird. Was kann der wollen?

Er will, sagte der Lehrling, und schielte seitwärts die Doctorinn an, Madam Lyk unter vier Augen sprechen.

Nicht unter sechsen? Ei mein Gott! da muss ich ja fort. Das ist übel. – Doch wenn Sie erlauben, Freundinn; so schleich' ich mich hier in dies Seitenzimmer, und wahrlich! wahrlich! ich will dort recht fromm seyn. Ich will an's Fenster und nicht an die Thüre treten.

Wie Sie mich quälen! sagte die Witwe. [321] Bleiben Sie doch! Was für Geheimnisse kann er denn haben?

Wer weiss? Er mag wohl einmal auch nicht geschickt seyn. Er ist noch Junggeselle.

Leichtfertige Freundinn! – Sie trat jetzt mit vieler Höflichkeit in die Thüre, und nöthigte den Alten herein, der sogleich durch die Heiterkeit seines Gesichts die gute Beschaffenheit seiner Botschaft ankündigte, und die Doctorinn in ihrer Ahnung bestärkte.

Sieh da, sagte diese: lieber, guter alter Vater! Bist du's denn wirklich? – Ach mein Himmel! Und geputzt wie ein Bräutigam, oder wie ein Brautwerber. Was stellt das vor?

Der alte Schlicht lachte herzlich. –

Wirklich, so galant hab' ich dich in meinem Leben nicht gesehen.

[322] Man hat gut galant seyn, liebe Frau Doctorinn, wenn man Gönner hat, die auf einen was halten. – Er sah hier, wie verstohlen, auf seine neue atlassne Weste, und von der Weste wieder auf seine Wohlthäterinn; mit einem Ausdruck von Dank und Liebe, der ein noch älteres Gesicht, als das seinige, hätte verjüngen können. – Die Weste war ein Angebinde der Doctorinn an seinem letzten Geburtstage gewesen, und er trug sie, um seiner Sendung Ehre zu machen, heute zum ersten male.

Die Doctorinn, von seiner Pantomime gerührt, schlug ihm sanft auf die Schulter. – Aber ist es denn wahr, lieber Alter, dass du mit Madam Lyk ganz allein seyn willst? dass ich hier fort muss?

Wie so? Wie so?

Der Handlungsbursche, der dich hier anmeldete, sagte – – [323] Ach, der Handlungsbursche ist – – Bei einem Haare hätt' er ein Kraftwort herausgestossen; aber zum Glück besann er sich noch, übersetzte den Narren, den er im Sinne hatte, in: nicht recht klug, und versicherte, dass die Frau Doctorinn sein ganzes Anbringen hören dürfe; sie komme selbst darin vor. –

Mit grosser Ernsthaftigkeit hielt er dann seinen Vortrag. – Sein Principal, sagte er, der Herr Stark, bedaure ganz ungemein, dass er gestern, wegen zunehmender Gehörschwäche, die eigentliche Absicht des von Madame ihm gegönnten angenehmen Besuchs nicht verstanden, sondern diesen Besuch für eine blosse überflüssige Höflichkeit genommen habe. Er sei nachher durch seine Frau Tochter, die hier anwesende Frau Doctorinn Herbst – die bei dieser Gelegenheit einen sehr [324] herzlichen Blick erhielt – über jene Absicht näher belehrt worden; und da er nun ihn, den Monsieur Schlicht, theils als einen Handlungskundigen, theils als einen treuen und verschwiegnen Diener, aus vieljähriger Erfahrung kenne: so habe der Herr Principal eben ihm den Auftrag gegeben, der Madame die Versicherung seiner vollkommenen Bereitwilligkeit au ihren Diensten zu überbringen, auch demnächst sich in das Comtoir des Herrn Horn zu verfügen, um sofort die etwanige Schuld bei diesem ungestümen, dem Herrn Stark von der schlechten Seite schon wohlbekannten Manne durch Wechsel oder baar, wie er selbst es wollen würde, zu tilgen. Übrigens bitte sein Herr Principal, wenn ähnliche Fälle mit noch andern Gläubigern eintreten sollten, dass Madame sich nur gleich an Ihn wenden, [325] und ihn überhaupt wie ihren Curator betrachten wolle, als wozu er sich mit Vergnügen erbiete. Zugleich wünsche er, mit allem Dank verschont zu bleiben, weil er durch den Herrn Sohn sehr wohl unterrichtet sei, dass er in keinem Falle bei der Unterstützung von Madame etwas wage, und sich also bei dieser kleinen Gefälligkeit eigentlich gar kein Verdienst um sie beimessen könne. – Er, Monsieur Schlicht, ersuche jetzt um beliebige genaue Angabe der ganzen Hornischen Forderung, damit er dem noch übrigen Theile seines Auftrages genügen, und dem Herrn Principal die ganze Sache als völlig abgemacht berichten könne. – –

Kaum hatte Monsieur Schlicht mit vielem Wohlbehagen seinen Vortrag geendigt: so ergriff die Doctorinn die Hand der Witwe, und fragte, nicht ohne töchterlichen [326] Stolz im Herzen: Hatt' ich nun Unrecht?

O meine Freundinn! – Eine solche Grossmuth an einer Fremden, an einer fast gänzlich Unbekannten! – Aber ich weiss ja, wem ich diese Hülfe zu danken habe.

Wem? Wem? – indem sie sich vor ihrer Umarmung zurückbeugte. – Meinem Vater; sonst keinem!

Er hat die edelste Tochter. –

Kennen Sie die? – Eine Schwätzerinn ist's, die nichts auf dem Herzen behalten kann; die dem Alten Alles vorplaudern muss was sie weiss, und die ihm denn auch gesagt hat, was sie von der unangenehmen Lage ihrer Freundinn und von der Absicht des gestrigen verunglückten Besuches wusste. – Das ist Alles gewesen; ich versichere Sie. Kein Wort von [327] Fürsprache, von Aufmunterung Ihnen zu helfen; kein Gedanke daran! Das hätte die Freundinn herabgesetzt, und den Vater beleidigt. Der handelt nicht, wie es ihm Andre eingeben; der handelt nach seinem eigenen Herzen.

Ich höre Sie mit einer Bewunderung – einer Empfindung – –

Lassen wir das! – Und nun umarmte sie die Witwe mit wahrer, herzlicher Freundschaft. – Mein guter Schlicht, der nie viel Zeit hat, wartet auf Antwort; und ich denke doch, Sie werden ihn durch keine abschlägige kränken?

Die Witwe bat jetzt Monsieur Schlicht, seinem Herrn Principal ihre innige Verehrung, ihre tiefe Rührung über den unverdienten Beweis seiner Gewogenheit zu versichern; aber zugleich ihm zu sagen, dass der Gehorsam gegen den einen Theil [328] seines Befehls ihr den Gehorsam gegen den andern unmöglich mache. – Ich werde Sie Selbst, lieber Herr Schlicht, mit einigen Zeilen von meiner Hand beschweren, die Sie ihm zu überreichen die Güte haben werden. Den persönlichen Dank behalt' ich mir vor. – Sie erlauben doch, beste Freundinn? – mit einer Wendung gegen das Seitenzimmer.

Gehen Sie, gehen Sie nur! Sie thun etwas sehr Überflüssiges; aber ich weiss, Sie würden es doch nicht lassen. –

Die Doctorinn nutzte die Augenblicke, da sie mitSchlicht allein war, um ihn von Allerlei zu unterrichten, was ihm zu wissen Noth that: von dem Wechsel, den ihr Mann an Horn ausgestellt hatte, um die Witwe ausser Gefahr zu setzen; von ihrem Wunsche, dass der Vater davon nichts merke, und also nicht ihr Mann [329] quitirt werde, sondern die Witwe; von ihrer Absicht, den Bruder noch einige Tage vorgeblich auf's Land zu schicken, bis ein gewisser Entwurf gereift sei, der ihn von seiner Grille, nach Br ... zu gehen, unfehlbar zurückbringen werde; endlich von der aufhörenden Nothwendigkeit, das Wohlbefinden des Bruders und seine Abfahrt auf's Land, die aber erst diesen Nachmittag müsste geschehen seyn, vor dem Vater geheim zu halten. – Monsieur Schlicht, mit seiner gewöhnlichen Gefälligkeit, versprach, sich das Alles zu merken, und fand die Anschläge seiner lieben Frau Doctorinn ganz vortrefflich.

Madam Lyk trat mit einem Briefchen und einem Zettelchen in der Hand, auf welchem die Hornische Schuldforderung verzeichnet war, wieder herein, und gleich nach ihr erschien ein Mädchen mit einer [330] Flasche süssen Weins und mit Gläsern. Die Doctorinn verbat, indem sie ihren Widerwillen gegen starke Getränke; Monsieur Schlicht, indem er seine Geschäfte zu Hause vorschützte, wo er noch so Manches zu thun habe, dass die Stelle ihm unter den Füssen brenne. Die Witwe, die sich ihm für seine Mühe so gern erkenntlich bewiesen hätte, bot alle ihre Beredtsamkeit gegen ihn auf, und schon gerieth er mit der seinigen sehr in's Stocken; aber die Doctorinn, um mit der Witwe allein zu seyn, schlug sich auf seine Seite, und half ihm durch. – Ich kenne, sagte sie, meinen lieben, guten Schlicht: er thut Alles was ihm obliegt, mit grosser Treue, mit grossem Eifer; und da ihm das Haus meines Vaters zur Aufsicht übergeben ist, so hängt er daran nicht anders, als ob er, wie die Schnecke, [331] damit verwachsen wäre. Er trägt es zwar nicht auf dem Rücken, aber er trägt es dafür auf dem Herzen. Ihm ist nicht anders wohl, als wenn er darin steckt.

Das war einmal ein Lob, ganz nach, dem Sinne von Monsieur Schlicht, und er dankte dafür, indem er es ehrlich annahm, mit vieler Freude. Auch MadamLyk sagte ihm noch beim Abschiede viel Schönes; sie erinnerte sich alles des Guten, was sie aus dem Munde des Herrn Stark von ihm gehört hatte, und freute sich die Bekanntschaft eines Mannes gemacht zu haben, der einer so hochachtungswürdigen Familie, als die Starkische, so vorzüglich werth sei. – Kein Madera, noch Cyper, noch Syrakuser, noch was sonst die Flasche der Witwe enthalten mogte, hätte das Herz des alten Schlicht mehr erquicken, oder ihm den Kopf mehr [332] benebeln können, als diese lieblichen Worte; denn wirklich schien er, als er auf die Strasse hinaustrat, ein wenig berauscht. Er sprach in einem fort mit sich selbst, und gesticulirte dabei so lebhaft, dass Mehrere der Vorübergehenden stillstanden, und mit Lachen ihm nachsahn. Der Inhalt seines Selbstgespräches war: dass von allen Frauen der Stadt die Frau Doctorinn ohne Widerrede die beste, aber gleich nach ihr Madame Lyk die liebenswürdigste und vortrefflichste sei. – Indem, er sich dachte, dass irgend jemand so frech seyn könne ihm das zu läugnen, stiess er mit dem Stock so heftig gegen das Pflaster, und schnitt so wilde Gesichter, dass ein paar spielende Kinder vor Schrecken zusammenfuhren, und mit Geschrei in die Häuser liefen.

31.

[333] XXXI.

Es war der Doctorinn peinlich, dass die Witwe kein Ende finden konnte, die Grossmuth ihres Vaters und ihre eigene Freundschaft zu rühmen; aber wie viel sie auch bat und ablenkte, immer kam die Rede darauf zurück. – Ich hätte, sagte die Doctorinn endlich, so gern über meinen Bruder mit Ihnen gesprochen; aber wie ich wohl sehe – –

In dem Augenblick schloss sich der Mund der Witwe, und desto offner stand nun ihr Ohr. –

Sie glauben wohl nicht, dass hinter der scheinbaren Heiterkeit, womit ich zu Ihnen kam, sich ein sehr bittrer Verdruss versteckte? Gleichwohl ist es nicht anders. Ich habe über meinen Bruder zu klagen, recht sehr zu klagen.

[334] Unmöglich! Über so einen Bruder?

Jaja! Über so einen! – Eben dass er so einer ist – –

Liebe Frau Doctorinn! – Sie war ganz sichtbar gekränkt.

Ich kann mir nicht helfen; ich trage mein Herz auf der Zunge. – Sehen Sie, Freundinn! Nichts in der Welt thut mir weher, als wenn man mir meine guten Gesinnungen nicht erwiedert, wenn man mich für meine Offenheit mit Verschlossenheit, für mein herzliches Zutrauen mit kaltem Misstrauen belohnt. – Sagen Sie, was Sie wollen; so etwas ist ärgerlich, ist abscheulich.

Will ich es denn vertheidigen? Aber dass Ihr würdiger Bruder. – –

O, ich sehe schon: Sie werden auf ihn nichts kommen lassen; Sie sind zu sehr seine Freundinn.

[335] Wenn ich's nicht wäre! – Sie hatte Thränen im Auge.

Indessen sind Sie doch auch Freundinn von mir, und Sie werden gerecht seyn. – Ich will das Ärgste setzen, was doch sicher nicht ist: dass mein Bruder eine Sache auf dem Herzen trüge, die ihm eben nicht Ehre machte; kennt er denn nicht seine Schwester, seine liebreiche Schwester, die Alles in der Welt eher thun würde, als ihn verrathen? Kennt er nicht seinen redlichen Schwager, der von jeher so innig Theil an ihm nahm, und der ihn auch jetzt mit Rath und That so gern unterstützen würde? Muss er auf tausend Fragen, auf tausend Bitten, dass er sich öffnen wolle, noch immer verschlossen bleiben?

Aber darf ich denn hören –?

Da ist sehr wenig zu hören. Leider [336] weiss ich, oder errath' ich, nur das ganz Allgemeine: Er liebt!

Er – liebt? – fragte die Witwe, nicht ohne Stocken; denn in dem Augenblick sah sie ihn vor sich, den biedern, den edlen Freund, wie er beim Abschiede die Hand ihr so glühend küsste, dass auch sie sich im Herzen sagte: Er liebt!

Alle Anzeichen sind wenigstens da: ein unablässiges Seufzen; ein stieres Hinblicken auf einerlei Fleck; eine weiche, kränkliche Sprache; ein feuchtes, schmachtendes Auge. – Aber wen er liebt, wen? – mit keinem Bitten, keinem Zureden ist das herauszubringen. – Es wird doch wohl in Ewigkeit keine Person seyn, die nicht mehr frei wäre? die ihr Herz schon verschenkt hätte?

O gewiss nicht! gewiss nicht! sagte die Witwe – und gerieth über dieses rasche, [337] ihr entfahrene Wort in eine Verlegenheit – eine Verwirrung –

Also Sie wissen? indem sie ihr näher ruckte.

Nichts, liebe Freundinn. Ich weiss davon nichts; aber – – ich schliesse aus seiner Denkungsart, seinem Charakter, dass – wenn er so etwas merkte – –

Nun, dann rath' ich nicht länger. Denn dass er eine Person lieben sollte, die er zu nennen mit Recht Bedenken trüge; die seiner unwürdig wäre: – nein, das will und das mag ich nicht rathen.

Ich bitte Sie. Keinen solchen Gedanken! – Sie enthielt sich kaum einer Thräne; denn so möglich es blieb, dass nicht sie diese Person war, so konnte sie doch nicht umhin, sich an deren Stelle zu setzen.

Lassen Sie mich ganz freimüthig herausgehn! [338] Ich wende mich nicht ohne Ursache an Sie. Ich habe meinen Bruder die ganze Zeit über, da er Ihre Bücher berichtigte, fast gar nicht gesehen; er war hier jeden Abend bei Ihnen. – Natürlich ward er mit Ihnen vertraut.

Die Witwe zitterte vor dem, was nun folgen würde. Sie erröthete und erblasste.

Sollte da in so manchem Gespräche, in so manchem ungezwungenen, unbelauschten Gespräche – denn Sie waren ja wohl meistens mit ihm allein? – –

Das freilich; aber – –

Sollte da nicht irgend ein kleiner Zug ihn verrathen haben? Sollte nicht irgend ein Wörtchen gefallen seyn, das uns Licht geben könnte?

Ich wußte nicht. Ich müsste zurückdenken, sägte die Witwe. Doch überhaupt – – [339] Was überhaupt, liebe Freundinn?

Er hatte hier Arbeit vollauf; er hatte zu rechnen. Es ward sehr wenig gesprochen.

Rechnungen freilich nehmen den Kopf ein. Aber bei alle dem – der Anfang seiner Leidenschaft fällt gerade in die Zeit, da er bei Ihnen rechnete; denn bis dahin war er noch heiter und munter. Gewiss hat er, neben den Zahlen und Brüchen, noch an etwas Anders gedacht. – Können Sie Sich nicht erinnern, ob Sie einmal Gesellschaft hatten? ob Frauenzimmer darunter waren?

Ich hatte – niemal Gesellschaft. – Sie wusste sich keinen Rath mehr. Sie pflückte und zupfte an ihren Kleidern.

Nun, so werd' ich wohl auch hier nichts erfahren. Ich werde so klug wieder gehn, als ich kam. – Mein, Trost [340] muss seyn, dass die Zeit endlich Alles an's Licht bringt, und dass auch diese Liebe nicht ewig Geheimniss seyn wird. – Indessen glauben Sie nur nicht, dass mich blosse Neugier zu Ihnen geführt hat; es war eben so sehr zärtliche Besorgniss um einen Bruder, den ich Thörinn noch immer liebe, so wenig er es auch werth ist.

Sie sind hart. – O mein Gott!

Ich sehe ihn blässer, magerer werden; sehe ihn alle Heiterkeit, allen Frohsinn verlieren; sehe ihn hinwelken mitten in der Gesundheit: wie kann ich da ruhig bleiben?

Hinwelken! – Liebe Frau Doctorinn!

Nicht anders. Nur noch diesen Morgen sagte mein Mann: das geht nicht; das thut auf die Länge nicht gut; der Bruder muss sich nothwendig erklären.

Die Witwe gerieth hier in eine Wehmuth, [341] die sie kaum mehr bezwang. Auf Erklärung freilich kam's an: und dass er diese zurückhielt; dass er sich lieber in heimlichem Gram verzehrte, als seine Liebe bekannte: was sollte sie daraus schliessen? – Missbilligte er selbst diese Liebe? Stand ihm ihr zu geringes Vermögen; standen ihm ihre Kinder im Wege? –

Eigennuz mischt sich denn auch mit in's Spiel; ich will es nicht läugnen. – Ich hatte einst eine Schwester, die ich an den Blattern verlor; ach ein Geschöpf, liebe Freundinn! – von einer Sanftheit, einer Gefälligkeit, einer Seelengüte! – Wie gerne hätte ich so eine Schwester wieder! Wie hoffte ich immer, dass mein Bruder sie mir zuführen sollte! Wie würd' ich sie, und um ihrentwillen auch meinen Bruder, geliebt haben!

Auch ich – sagte die Witwe – hatte [342] – Und nun zog sie ihr Tuch hervor, und weinte es so über und über voll, dass sie es wegwerfen und sich ein frisches nehmen musste.

Gewiss war Madam Lyk, das Wenige ausgenommen, was von Verstellungskunst jedem Frauenzimmer unentbehrlich ist, nicht im mindesten Heuchlerinn; und ihre Thränen flossen also ohne Zwang, aus der Fülle des Herzens: aber gewundert würde sich, wenn sie hier hätte zugegen seyn können, die kleineAmalie ein wenig haben, dass, im achten Jahre verstorben, und seit vierzehn Jahren nicht mehr erwähnt, sie noch jetzt ein so reichliches Thränenopfer erhielt.

Auch die Doctorinn zog nun ihr Tuch hervor, aber in etwas anderer Absicht; sie verbarg ein Lächeln dahinter. – Lassen Sie uns, fing sie dann an, von diesem [343] Gespräche abbrechen; denn wozu einander wehmüthig machen? Wir wollen denken; was hin ist, ist hin, und was im Grabe liegt, kömmt nicht wieder.

Das kömmt freilich nicht wieder, schluchzte die Witwe.

Hingegen wo noch Leben ist, da ist Hoffnung. – Mein Bruder ist wohl auch nicht so hinfällig, als meine Besorgniss ihn macht; wenigstens, wie ich diesen Mittag sah, hat er noch gute Esslust: und die, denk' ich, ist eben kein Zeichen zum Tode. Sie lächelte. – Übrigens wird er jetzt schwerlich nach Br ... gehen; er wird, denk' ich, hier bleiben: und da – –

Er wird hier bleiben? fragte die Witwe, und schien durch dieses Wort ein wenig getröstet.

Ich denk' es, sagt' ich. – Und da wird denn mein Mann, der sich auf solche [344] Krankheiten versteht, ihn unter der Aufsicht behalten, und wird ihm schon wieder zu Kräften helfen. Vernünftig wird er ja auch wohl am Ende werden, und wird sich erklären. Meinen Sie nicht? – Sie. lächelte wieder.

Die Witwe gerieth über die plötzliche Veränderung des Tons und der Gebehrde der Doctorinn in nicht geringe Verwirrung. Fast musste sie glauben, dass nicht des Bruders, sondern ihrer selbst wegen geforscht worden sei, und dass jener seine Liebe zu ihr der Schwester schon erklärt haben müsse. Diese Vermuthung bestätigte sich, als die Doctorinn mit voller Heiterkeit fortfuhr: Ich bekomme denn, doch noch wohl eine Schwester; o! ich bekomme sie ganz gewiss; eine eben so gute, sanfte, liebreiche Schwester, als die ich verloren habe. Mich dünkt, ich sehe[345] die holde Seele schon vor mir. – Sie hatte die Hand der Witwe genommen, der sie bei diesen letzten Worten einen sanften Druck gab; und die Witwe, unbewusst was sie that, und zu spät darüber erschreckend, erwiederte nicht allein diesen Druck, sondern zeigte auch in ihrem noch feuchten Gesichte ein sanftes Lächeln. Sie war böse über die Hinterlist ihrer Freundinn, und war's doch auch nicht; sie ärgerte sich über die heitre Miene derselben, und war doch auch froh darüber; sie wusste selbst nicht recht, wie sie gesinnt war. Aber allein wäre sie gerne gewesen, um alles Gesprochne noch einmal zu überdenken, und bei sich auszumachen, wie viel oder wie wenig sie wohl von ihrem Herzen verrathen habe.

Die Doctorinn, als ob sie ihr diesen Wunsch aus den Augen gelesen hätte, [346] stand auf, um Abschied zu nehmen. Es wird spät, sagte sie; ich muss fort. Leben Sie wohl, meine gute, sanfte, liebe – – ach mein Gott! ich härte bei einem Haare gesagt: Schwester! Sie sehen, wie voll ich den Kopf von der Herzensangelegenheit meines Bruders habe. – Was meinen Sie? Soll ich ihm ganz wieder gut seyn?

Ach liebe Freundinn! Sie waren ihm noch keinen Augenblick böse.

Nicht? Wirklich nicht? – und nun erfolgte eine wärmere, längere Umarmung, als noch bis jetzt unter ihnen Statt gehabt hatte.

Auf der Flur fand die weggehende Doctorinn den ältesten Sohn der Lyk, den sie aufhob und küsste. Der jüngere lag an einer kleinen Unpässlichkeit nieder. Sie hatte den schnellen Einfall, die Mutter zu bitten: dass es ihr morgen früh erlaubt [347] seyn mögte, den Kleinen holen zu lassen, um ihn einem der grössten Kinderfreunde, ihrem guten alten Vater, zu zeigen, der an der schönen Gestalt und dem artigen Betragen des Kindes sich sehr ergötzen würde. – Er kann, sagte sie, mit meinen eigenen Kleinen spielen, und kann bei uns essen. – Die Mutter bewilligte das, und der Knabe hüpfte und sprang vor Freuden. – –

Zu Hause machte die Doctorinn ihren Mann, aber noch mehr ihren Bruder, durch die mitgebrachten Nachrichten sehr glücklich. Besonders rührte den Letztern die Unterstützung, die sein Vater der Witwe hatte angedeihen lassen; er empfand darüber eine Freude und eine Dankbarkeit, wie er sie über die grösste, ihm selbst erwiesene Wohlthat nicht würde empfunden haben. Aber unzufrieden war [348] er, dass die Schwester mit dem Inhalte des Gesprächs, welches zwischen ihr und der Witwe vorgefallen war, so sehr zurückhielt, und dass er mit allem Forschen nichts weiter herausbrachte, als bloss: er werde geliebt; er werde ganz sicher geliebt; und sie, die Schwester, stehe ihm für ein freudiges Ja, sobald er es fordern würde, mit ihrem Leben. Was die Witwe Alles gesagt, und durch was für Züge sie ihr Herz verrathen habe: das verhüllte auch ihm, ob er gleich Bruder und Liebhaber war, der Schleier des weiblichen Zartgefühls; nur dem Ehemanne ward, im vertraulichen Schlafkämmerlein, dieser Schleier ein wenig gelüpftet.

32.

[349] XXXII.

Die Kirche war aus, und die Strasse fing an sich mit wohlgekleideten Leuten zu füllen, denen es niemand ansah, wie sehr sie ihrer Sünden wegen waren gescholten worden; als einer der kleinen Herbste von seinem Posten am Fenster, wo er Wache gestanden hatte, in Eil gegen die Thüre rannte, und nun auf einmal der ganze unruhige Schwarm ihm nach auf die Hausflur stürzte, um den kommenden Grossvater und die begleitende Mutter – die aber Sonntags, ihrer Alltäglichkeit wegen, nur wenig galt – mit Freudengeschrei zu bewillkommen. Der Alte empfing die Kleinen mit den gewöhnlichen scharfen Verweisen wegen ihres ungebührlichen Lärmens, aber zugleich mit einer [350] Freundlichkeit, die den Eindruck jener Verweise augenblicklich wieder verwischte. Er wollte jetzt anfangen, seine Tasche für ihre Leckermäuler, und seinen Geldbeutel für ihre Sparbüchsen zu leeren, als er auf einmal im Hintergrunde einen holden Knaben einsam und dem Scheine nach traurig dastehen sah, und seine Tochter fragte, wer denn das wäre?

Ach ein lieber, süsser Junge, sagte die Doctorinn: der älteste kleine Lyk; ein Schul- und Spielgenoss meines Wilhelms.

Lyk? rief der Alte; o lass den Kleinen doch naher kemmen!

Er kam auf den Ruf der Doctorinn, und ging nach ihrer Anweisung zum Alten, dem er mit all dem Anstande und der Ehrerbietung die Hand küsste, wozu ihn die Mutter gewöhnt hatte.

Wirklich, wirklich, ein allerliebster [351] Knabe! – HerrStark theilte ihm jetzt, wie den Übrigen, mit; und hob ihn dann auf einen Tisch, der im Vorsaale stand, um, wie er sich ausdrückte, zu sehn, ob er ihn kenne. – Jaja! rief er, lieber süsser Kleiner! wir sind schon alte Bekannte. – Sieh her, liebe Tochter, sieh her! Wie doch das nachartet! – Diese Stirne und dieses Kinn – –

Ganz des alten Lyk; unverkennbar!

Spiel der Natur! rief Herr Stark.

Ordnung der Natur! rief die Tochter; und setzte auf eben den Tisch ein's ihrer eigenen Kinder, das wirklich in seiner Gesichtsbildung eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Grossvater hatte. – Der Alte liebkoste jetzt beiden, und war ausnehmend vergnügt.

Aber, sagte er: wenn der alte gute Lyk den Mund zum Lachen verzog; da [352] hatt' er so ganz etwas Eignes in seiner Oberlippe. Ob auch wohl der Kleine das hat? – Lieber Kleiner! thu mir den Gefallen und lache! Hörst du?

Der Kleine blieb ernsthaft; denn er hatte keinen Anlass zum Lachen, und war noch nicht fein genug, um in der Aufforderung selbst diesen Anlass zu finden. – Ich will dich schon dazu bringen, sagte der Alte, und zog aus seiner Börse einen neuen spiegelhellen Doppelducaten, den er ihm zu geben versprach, wenn er ihm den Gefallen thäte und lachte. – Der Knabe verläugnete hier das mercantilische Blut nicht, aus dem er entsprossen war, sondern lachte den schönen Ducaten mit sichtbarer Begierde an, ihn aus der fremden Tasche in die seinige zu spielen; und nun riss Herr Stark ihn mit vieler Wärme [353] an seine Brust, um ihn zu küssen. – Sieh! sieh! sagte er zu der Tochter.

Dem Grossvater wie aus den Augen geschnitten!

Nicht wahr? – Da nimm hin, lieber Kleiner, und wenn du zu Hause kömmst, so gieb den schönen Ducaten der Mutter, und bitte sie, ihn in deine Sparbüchse zu stecken. –

Bei Tisch war der Alte so ganz in seiner heitersten Laune, sprach und scherzte mit den Kindern so viel, und machte zu der Nachricht, die man ihm von dem Wohlbefinden und der kleinen Erholungsreise des Sohnes gab, eine so gute Miene, dass die nachmittägliche Unterredung zwischen ihm und dem Doctor unter keinen günstigern Vorzeichen hätte beginnen können.

Der Doctor fing damit an, dass er dem [354] Alten im Scherz zu der vortrefflichen Behandlung seines kritischen Kranken Glück wünschte, dessen Übel er mit dem richtigsten Blicke gefasst, und wie es nicht anders scheine, aus dem Grunde gehoben habe.

Doch? sagte der Alte lächelnd. Hab' ich einige Anlage zur Kunst?

Was Anlage! Sie sind Meister darin.

Also Alles glücklich vorüber?

Alles. Die ganze Krisis.

Der Trotz zum Herzen heraus?

Völlig, völlig heraus. Und das Herz im frischesten, gesundesten Zustande. Voll Liebe, Dankbarkeit, Ehrerbietung für einen Vater, der statt zu zürnen, wie er gekonnt hätte, nur edel wohlthat.

Aber, Herr Sohn, noch bin ich mit meiner Cur nicht am Ende. Sie haben durch so manche Ihrer Krankheitsgeschichten [355] mir verzweifelt bange vor Recidiven gemacht; und da will ich denn, Sicherheits halber, meinem Kranken noch eine kleine Nachcur verordnen, von der ich hoffe, dass sie ihm gute Dienste thun soll.

Für jetzt wäre wohl das Beste, dass Sie ihn stärkten.

Meinen Sie? Und wodurch?

Durch volles Vergessen, volle zärtliche Vaterliebe.

Wenn's nur damit nicht noch zu früh ist! – Nein, nein! Ich habe die Sache nach meinem eigenen Kopfe angefangen, und so will ich sie nun auch durchführen? Ich will den Vortheil nicht ungenutzt lassen, dass der junge Herr durch seinen Trotz sich mir in die Hände gegeben hat, und dass er nun schon muss, wie ich will.

War er denn nicht immer in Ihren Händen?

[356] Nicht ganz. Ich musste Rücksichten nehmen. – Gesetzt, dass ich in unsrer ehemaligen Lage gesagt hätte: »Sohn! das und das ist mein Wille; darauf besteh' ich durchaus; so und so sollst du's machen; oder ich jage dich aus dem Hause, schicke dich an einen Ort, der dir nicht ansteht, vor dem dir graut:« – denn unter uns! dass ihm vor seinem Br ... graut, weiss ich sehr sicher; – sagen Sie mir: was würden die Mutter, die Schwester, Sie Selbst, alle Menschen, von mir gedacht haben? Ein Tyrann, ein Barbar, ein harter, unnatürlicher Vater wär' ich gewesen. – Vor seinem Trotze so zu handeln, war in der That ohne Härte nicht möglich; nach seinem Trotze kann und darf ich so handeln, und ich will den sehn, der mich tadelt.

Einer wird es doch, lieber Vater.

[357] Wer? –

Ein Mann von dem edelsten Herzen: Sie Selbst.

Falsch! Mit mir selbst bin ich einig. – Ich werde meinem Sohne gerade heraussagen: mit unsrer Verbindung ist's aus; auf die rechne nicht länger; in mein Haus, in meine Handlung, kömmst du nicht wieder.

Lieber Vater! sagte der Doctor.

Das steht fest. Das ist nun einmal entschieden.

Der Doctor war nicht wenig erschrocken. – Sie werden mich wenigstens anhören, hoff' ich, und dann weiss ich gewiss: Sie werden ganz anders denken.

Sie anhören? Das will ich gerne. Hier sitz' ich! – Aber ganz anders denken? Da müssten Sie mir doch etwas sehr Sonderbares zu sagen haben.

[358] Nichts sehr Sonderbares, aber sehr Wahres.

Schön! Ich bin neugierig darauf.

Sie können's nicht sonderbar finden, wenn ich behaupte: dass eine einzige That, zu welcher glückliche oder unglückliche Umstände einen Menschen hinrissen, ihn von Grundaus verändern, ihm gleichsam eine neue Seele einhauchen kann. Bewusstseyn einer ehrlosen, schändlichen Handlung kann den Menschen auf immer verschlechtern; Bewusstseyn einer guten und grossen, ihn auf immer veredeln.

Wohin zielt das? fragte der Alte.

Sie erinnern Sich, was ich Ihnen von dem Benehmen Ihres Sohns am Sterbebette und nach dem Tode des seligen Lyk erzählte.

Das war schön! Das war edel von, ihm!

[359] Hätten Sie's jemal in ihm gesucht?

Nie.

Auch wahrlich! Er in Sich selbst nicht. Ein unerwarteter, ihm ganz neuer Eindruck, ein unwiderstehliches Gefühl rissen ihn hin. Aber einmal gethan, diese That; sollte sie ohne Spur, wie ein Blitz, haben verschwinden können? sollte sie kein Andenken an sich zurückgelassen, nicht durch dieses Andenken mächtig auf ihn eingewirkt haben? – Glauben Sie mir: das Bewusstseyn von Werth, Güte, Tugend, das Ihr Sohn aus dem Lykischen Hause mit sich nahm, ist für ihn unendlich wohlthätig geworden; es hat ihn von seiner ehemaligen Kleinlichkeit, Eitelkeit, Selbstsucht schon um Vieles geheilt, und noch immer wirkt es zu seiner Besserung, seiner Veredelung fort. – Was Sie sonst mit so vielem Recht an ihm aussetzten, [360] ist schon Alles ganz anders: seine ehemaligen Gesellschafter hat er verlassen; Spiel und Tanz sind ihm gleichgültig, und gegen den Putz ist er kälter geworden: schon seit Monaten kein neues Kleid mehr! seit Monaten kein Gang mehr, als in den Concertsaal, den unschuldigsten aller Vergnügungsörter! Sein jetziger herrschender Trieb ist: zu wirken, nützlich zu werden, Hochachtung und Beifall von Andern, wie von sich selbst, zu verdienen. – Ist nicht in diesem Allen die Wirkung jenes Augenblicks, wo er sich selbst in einem so neuen Lichte und die Tugend in ihrer Würde und Schönheit sah, unverkennbar?

Der Alte, der mit grosser Aufmerksamkeit zuhörte, winkte dieser Entwickelung Beifall; und doch war sie, wenn auch nicht falsch, wenigstens sehr einseitig und [361] unvollständig. Die Hauptbildnerinn an dem Herzen des Sohns, die Liebe, war aus guten Gründen vergessen.

Selbst das, fuhr der Doctor fort, dass er die Thorheit beging Ihnen zu trotzen, stösst meine Meinung von ihm nicht um, sondern bestätigt sie eher. Eben weil er jetzt edler und also stolzer geworden war, konnt' er die Behandlung, die er vormal verdient hatte, nicht mehr ertragen; eben weil er Hochachtung gegen sich selbst zu fühlen anfing, wollt' er auch Hochachtung von Andern, selbst von seinem Vater, geniessen; und so entstand denn, bei der gewohnten traurigen Entfernung von Ihnen, und bei dem unseligen Misstrauen, womit er Sie im Irrthum über sich gleichsam vorsetzlich erhielt, jener Trotz, jener nicht zu rechtfertigende, übereilte Entschluss, den Sie durch Ihr weises Benebmen [362] ihn so sehr haben bereuen lassen. Aber, mein bester Vater – wollten Sie einen Fehltritt aus solchen Gründen, an einem solchen Sohne, der Ihrer täglich würdiger wird, jetzt so grausam bestrafen?

Was? rief der Alte, indem er mit lebhafter Bewegung aufstand; was reden Sie, lieber Doctor? Was fällt Ihnen ein?

Sie sagten: in Ihr Haus, in Ihre Handlung käm' er nicht wieder.

Das soll er auch nicht, muss er auch nicht.

Sind Sie denn noch immer erbittert? –

Erbittert? Ich? – Nun, beim Himmel! Wenn alle Väter sich so erbittern wollten, das wäre den jungen Herrn, ihren Söhnen, wohl eben recht.

Wie versteh' ich denn aber –?

Ich will aus der Verbindung mit ihm [363] heraus, und will mich zur Ruhe setzen. Mein Haus soll das seinige, meine Handlung die seinige werden. Verstehen Sie jetzt?

Ja, mein Gott! rief der Doctor freudig: wenn Sie Sich so erklären! – Der Text war dunkel; die Auslegung ist sonnenhelle. – Aber Ihr armer Sohn! Was wird er nicht für einen Schrecken haben!

Scherzen Sie nicht zu früh! Die Bedingungen sind zurück.

O, die wird ein Vater, ein edler, grossmüthiger Vater machen. Ich bin sehr ruhig darüber.

Dass sie auf sein Bestes berechnet sind, können Sie denken. – Ich hab' ihn jetzt, wie gesagt, in meiner Gewalt; und so besteh' ich durchaus darauf: er soll thätiger werden; er soll die Handlung, wenn sie die seinige wird, mit mehr Ernst und mit [364] mehr Eifer führen, als unter mir; er soll dem abgehenden einen Buchhalter keinen Nachfolger geben, weil er dessen Arbeiten mit den seinigen zugleich verrichten kann, ohne dass eben der Schreibtisch eine Galeere werde; er soll dem Umherschweifen in Gesellschaften und an öffentliche Örter entsagen; und sich sein Haus da durch anziehender machen, dass er ein Weib – aber kein Modeweib, keine Putz-, auch keine Büchernärrinn – nimmt, sondern ein braves, häusliches, herzliches Weib, das er lieben, das aber auch ich schätzen und ohne Erröthen Tochter nennen kann. – Fügt er sich in diese Bedingungen: – gut! so übergeb' ich ihm Alles, beziehe meine eigne Wohnung für mich, und betreibe meine übrigen Geschäfte in Ruhe. – Fügt er sich nicht, – nun, so kann ich weiter nicht helfen; [365] ich arbeite dann mit meinen Buchhaltern fort, und ihn schick' ich – wohin der junge Herr nicht mag, und wohin er mir doch zu gehen gedroht hat: nach seinem Br ... In mein Haus, so lang' es das meinige bleibt, kommt er nicht wieder.

Das also, das Ihre Nachcur, mein lieber Vater?

Das! – Wird sie ihm anständig seyn?

Er wird darin gleich sehr Ihre Liebe und Ihre Einsicht erkennen. – Bereiten Sie Sich vor, den dankbarsten, den gerührtesten Sohn zu umarmen!

Meinen Sie? – Nun, so bereiten auch Sie Sich vor, einen Mann zu erblicken, der Haus und Handlung verliert, und der dazu lächelt!

Wie freu' ich mich dieser Ihrer Laune, mein Vater! –

Aber ich mich gar nicht Meinung [366] von mir. – Was? Erbittert wär' ich gewesen? Erbittert gegen einen einzigen Sohn, von dem Sie mir Dinge erzählt hatten, die mir Freudenthränen in's Auge lockten? erbittert gegen ihn, über den Sie schon längst mein Wort hatten, dass, wenn er würde, wie ich ihn wünschte, es meine erste, herzlichste Sorge seyn sollte, wie ich ihn glücklich machte? – Ein solches Wort, meinen Sie, spräche der alte Stark in den Wind? Ein solches Wort könnt' er brechen? – Gehen Siel – Gehen Sie! – indem er sich selbst zum Gehen anschickte – Sie haben mein Herz verkannt, meine Ehre gekränkt; und nun komm' ich Ihnen – er schien sich einen Augenblick zu besinnen – in vollen acht Tagen nicht wieder!

Der Doctor lächelte, und ergriff die Hand des Alten, um sie zu drücken; [367] denn Umarmungen waren zwischen ihnen nicht Sitte. Die Herzlichkeit des Gegendrucks, den er erhielt, überzeugte ihn von der grossen Zufriedenheit, womit sein vortheilhaftes Zeugniss über die veränderte Denkungsart des Sohnes war angehört worden. Gleich sehr überzeugte ihn davon ein angenehmes Geschenk, das ihm noch diesen Abend gebracht ward; ein grosser Korb voll des herrlichsten alten Rheinweins, woran, wie die Träger sagten, sich der Herr Doctor erquicken sollte.

33.

[368] XXXIII.

Je wichtiger, durch die Erklärung des Vaters, der Punct von der Heirat geworden war; desto begieriger ward der Sohn, die Meinung desselben über die Witwe zu wissen, und desto scheuer die Tochter, sie zu erforschen. Gleichwohl wagte sie am folgenden Nachmittage beim Thee einen Versuch, mit dem es aber nicht zum glücklichsten ablief.

Wissen Sie schon, fing sie an, lieber Vater, was sich gestern für eine wichtige, für eine denkwürdige Begebenheit zugetragen hat?

Nein, sagte der Alte.

Der edle Liebesritter Wraker hat seine reizendeDulcinea glücklich zum Altare geführt.

[369] Hat er? – Der alte, armselige Stümper!

O spotten Sie seiner nur nicht! Er soll sich so glücklich, so überschwenglich glücklich fühlen – –

Je nun – er ist dem Himmelreich nahe.

Dem künftigen, meinen Sie? Ich zweifle, dass er daran noch denkt. – Doch was geht mich der alteWraker an zusammt seiner Liebesgeschichte? Ich sehe nur, wie mich mein guter Vater gelehrt hat, auf die unschuldigen kleinen Waisen, die doch nun wieder einen Beschützer haben. – Ach das liebe kleine Waischen von gestern! Nicht wahr? wenn doch auch das wieder einen Beschützer hätte!

Die Mutter gab der Tochter einen abmahnenden Wink, und der Vater ward auf einmal sehr ernsthaft. – Dafür, sagte [370] er, liessest du wohl äm besten den Himmel sorgen. In solche Sachen sich einzumischen – – Aber was will ich? Ich bin wohl thöricht, sehr thöricht.

Lieber Vater! sagte die Tochter verlegen.

Ich hätte beinah' einer Frau, wie dir, eine Klugheitsregel gegeben. Als ob du deren bedürftest!

Von wem nähm' ich sie lieber an, als von Ihnen?

Nein, nein! Das hiesse ja wohl, dem Tage ein Licht anzünden. – Auch bist du für solche Thorheiten noch viel zu jung. Das Heiratstiften ist nur Sache für alte, abgelebte Matronen.

Die spitzfindige Miene, die er bei diesen Worten zog, und die unwillige, ärgerliche der Mutter, machten der Tochter so bange, dass sie auf der Stelle verstummte. [371] Es musste etwas Unangenehmes zwischen den Eltern vorgefallen seyn, das sie durch ihr Gespräch wieder aufgeregt hatte; und das war ihr ausserordentlich traurig. –

Um's Himmels willen! fing sie an, sobald der Vater hinaus war: was hab' ich gemacht, liebe Mutter?

Ja, der wunderliche, grillenhafte Alte, dein Vater! Wird man je aus ihm klug? – Ich glaube, wenn ich hundert Jahre mit ihm lebte; ich lernt' ihn dennoch nicht aus. – Denke dir nur, was ich gestern, der Witwe wegen, für einen Verdruss mit ihm hatte!

Der Witwe wegen? – Das ist das Unangenehmste, was Sie mir sagen könnten!

Er fand sie hier wartend, als er aus deinem Hause zurückkam. –

Nicht möglich!

[372] Sie wollte ihm danken, dass er sie aus ihrer Verlegenheit mit Horn gerissen: aber das verbat er, und hörte kaum danach hin; er kam sogleich auf ihren ältesten Kleinen, den er bei dir hatte kennen lernen, und sagte von dem Kinde so viel Liebes und Schönes, dass er der guten Frau das Herz abgewann, und sie recht munter und zutraulich machte. Er zog sie dann aus einem Gespräch in das andre, und war so zufrieden mit ihr, so zufrieden –

O mein Gott, liebe Mutter! Sie machen mich unaussprechlich neugierig. Sagen Sie mir doch nur dies und jenes, was vorfiel!

Gerne. Wenn ich's nur wieder zusammenbringe! – Von der Wirthschaft ihres Vaters, glaub' ich, war gleich zuerst die Rede; jaja!

[373] Und sie wusste zu antworten? wusste Bescheid?

Um Alles. Bis ins Kleinste hinein.

Ah! da begreif' ich. Das wird ihm gefallen haben.

Gar sehr. – Dann kam er auf den plötzlichen Wechsel, da sie durch ihre Heirat, von der Arbeit weg, mitten in lauter Vergnügen versetzt worden; und meinte: dieser Wechsel sei ihr doch wohl äusserst reizend gewesen? sie hätte wohl für keinen Preis auf's Land zurückgehen mögen?

Sieh den Alten! Da legt' er ihr eine Schlinge.

Ob sie so etwas merkte, oder – Genug, sie ward ganz niedergeschlagen, und versicherte ihm, dass sie mitten im Wohlleben nie ohne Sehnsucht an das väterliche Haus zurückgedacht habe. Der [374] Mensch, sagte sie, sei zur Arbeit geschaffen, und nur Arbeit erhalte ihn glücklich; das Vergnügen, wie sie aus eigner Erfahrung wisse, sei nur Würze, und wolle nur als Würze genossen werden: wer es zur Nahrung missbrauche, zerstöre seine Gesundheit, und nehme dem Vergnügen selbst allen Reiz. Jetzt, da sie von sich selbst abhange, sei es ihr wieder vergönnt ein thätiges Leben zu führen, und eben jetzt, sobald sie nur von drückenden Sorgen frei sei, führe sie auch wieder ein glückliches Leben.

Schön! herrlich! Das war ihm wie aus der Seele gesprochen.

Damit fiel denn das Gespräch auf ihre Handlungsgeschäfte, in die sie sich schon so hineingearbeitet hatte, so vollkommen Bescheid darum wusste, dass er ihr recht grosse Lobsprüche ertheilte. Aber die [375] lehnte sie alle ab, und gab sie ihrem Lehrer, wie sie ihn nannte, deinem Bruder zurück, von dem sie nun anfing, mit so herzlicher Dankbarkeit, mit so inniger Rührung zu reden, dass auch ich und dein Vater nicht wenig davon gerührt wurden. Sie konnte am Ende vor Wehmuth nicht weiter, und musste schweigen.

Aber, liebe Mutter! in dem Allen seh' ich noch nicht den mindesten Anlass zu einem Streite.

Der ist auch gar nicht gewesen.

Nicht? – Aber Sie äusserten doch – –

Höre nur erst zu Ende! – Als die Witwe hinweg war, ging dein Vater hier noch eine Weile herum, und sprach sehr rühmlich von ihr; und dann auch von deinem Manne, der sich auf die Menschen sehr gut verstehe, und ihm diese wackere Frau zuerst in dem rechten Lichte [376] gezeigt habe. – Ewig Schade, setzte er hinzu, dass sie an einen Menschen, wie diesen Lyk, hat gerathen müssen, der ihrer so wenig werth war, und der sie sammt ihren Kindern an den Bettelstab hätte bringen können. – Da nutzt' ich denn die Gelegenheit, und fing an: Was meinst du, Vater? das wäre so recht für unsern Sohn eine Frau gewesen. Und da sie jetzt Witwe ist; so dächt' ich immer, wir machten ihm einen Antrag darüber: denn sie ist doch noch jung, und es gäbe gewiss eine recht gute Ehe.

Ah liebe Mutter! das, fürcht' ich, war zu rasch, war zu deutlich.

Freilich wohl! Aber, du lieber Gott! ich sah das Eisen so herrlich glühen, dass ich's für Sünde gehalten hätte, nicht zum Hammer zu greifen und ein wenig zu schmieden.

[377] Ja, wenn nur nicht die Funken umherflögen! Es ist so eine Sache damit. – Aber was hatt' er denn gegen die Heirat? Was bracht' er denn vor?

Das! sagte Madam Stark, und fuhr mit der flachen Hand über den Theetisch.

Wie? Er antwortete nicht?

Kein Sterbenswörtchen, Aber da für sah er mich an – du weisst, wie er einen ansehen kann! – mit einem paar Augen! – Ich dachte Wunder, was jetzt herauskommen würde; aber nichts! nicht ein Laut! Er zog mir nur ein saures, äusserstsaures Gesicht, und ging mit Kopfschütteln davon.

Das ist doch seltsam, sehr seltsam. Was gäb' ich darum, dass er gesprochen hätte!

Abends bei Tisch kam denn so etwas hervor. Da war er wieder in seiner gewöhnlichen [378] Laune, und schwatzte von der Thorkeit des Heiratstiftens, wobei des Danks so wenig und des Undanks so viel zu gewinnen stehe, und von alten Mütterchen, denen ihr eigenes Liebesfeuer ausgegangen wäre, und die so gern ein fremdes anzündeten, um sich daran zu wärmen und an die eignen bessern Tage dabei zurückzudenken; kurz, so ärgerliches und spitzfindiges Zeug, dass ich's machte, wie er, und ihm auch ein recht saures Gesicht zog, und auch mit Kopfschütteln davonging.

Immer gut, liebe Mutter! Immer besser, als wenn Sie gesprochen hätten! – Aber wenn ich doch nur begriffe –!

Und hiemit fingen die Damen an, sich in scharfsinnigen Muthmassungen über die eigentliche Ursache zu erschöpfen, warum dem Alten die vorgeschlagene Heirat mit [379] der Witwe so missfalle – denn dass sie ihm missfalle, setzten sie als erwiesen voraus. – Waren's etwa die beiden kleinen Kinder der Witwe? Das glaubte die Doctorinn nicht. War's noch ein Rest des alten Vorurtheils gegen sie? Das glaubte MadamStark nicht. Waren's die zu geringen Vermögensumstände der Frau? Das glaubten die Damen alle beide nicht. – Kurz, der Alte war ihnen auch diesmal, wie sonst schon öfter, ein Räthsel.

Als der Doctor hinzukam, wurden diese Muthmassungen um noch eine vermehrt. Er sah von der Witwe und ihren Umständen ab, und glaubte, dass dem Vater nicht sowohl die Heirat missfalle, als das Vorschlagen derselben, das Anmahnen und das Bereden dazu. Er will gewiss, sagte er, dass der Bruder völlig frei, ohne fremden Einfluss und Antrieb [380] handeln, und eine Wahl ganz nach seinem eigenen Herzen treffen soll. – Hätte der Doctor noch hinzugesetzt: dass vielleicht das Kopfschütteln des Alten weniger der Witwe, als dem Sohne, gegolten, und dass seiner geäusserten Unzufriedenheit wohl nicht so sehr Missbilligung jener, als Misstrauen gegen diesen, zum Grunde gelegen; so hätt' er vermuthlich, statt der halben, die volle Wahrheit getroffen. Der Alte konnt' es für möglich halten, dass der Sohn sich zu dieser Heirat bereden liesse, aber zugleich nach seinem Charakter für wahrscheinlich, dass er in der Folge diesen Schritt bereute, und dann seine Ehe unglücklich würde. –

Auf dem Heimwege wurden Doctor und Doctorinn einig, dass der Bruder nur das vortheilhafte Urtheil des Vaters von der Witwe, nicht den kleinen Vorfall mit [381] der Mutter, erfahren müsse. Sein Muth, wie beide sehr richtig urtheilten, war eher zu stärken als niederzuschlagen. Übrigens, da jetzt Alles erschöpft war, was zur Vorbereitung eines guten Ausganges nur immer geschehen konnte; so hielten sie es für nothwendig, dass der Bruder ein Ende machte, und so bald als möglich dem Vater vor Augen träte.

34.

[382] XXXIV.

Gleich am folgenden Tage kam Herr Stark angeblich wieder zur Stadt, und liess gegen Abend durch Monsieur Schlicht den Vater fragen, ob er so glücklich seyn könne ihn ohne Zeugen zu sprechen. Er ward augenblicklich angenommen, und fand das Wort des Doctors bestätigt: dass wenn er jetzt dem Vater vor Augen, träte, er einen ganz andern Blick von ihm sehen, wenn er jetzt mit ihm redete, einen ganz andern Ton von ihm hören würde. Der Empfang war bei allem Ernste so gütig, und die Frage: welche Wirkung in der nicht mehr angenehmen Jahreszeit die Landluft auf ihn gehabt habe, ward mit so vieler Theilnahme vorgebracht, dass die Ängstlichkeit des Sohnes sich um ein Grosses verminderte.

[383] Um sein Herz noch mehr zu erleichtern, trat er sogleich auf den Vater zu, und fing eine Bitte um Verzeihung alles Vorgefallenen an, die aber der Vater grossmüthig genug war ihn nicht vollenden zu lassen. – Hast du, fiel er ihm in die Rede, mit deinem Schwager gesprochen? Hat er dir meine Absichten mit dir entdeckt?

Ja, mein Vater.

Und deine Meinung darüber? –

Ich habe für meine Erkenntlichkeit keine Worte. – Er ergriff die Hand des Alten, und küsste sie ihm mit eben so viel Ehrerbietung, als Rührung.

Hast du auch die Bedingungen erfahren, die ich dir mache?

Ich werde sie heilig erfüllen. Nicht bloss als Ihre Befehle, auch als Wünsche meines eigenen Herzens. Thätig zu werden, [384] ist jetzt mein einziger Trieb. – Und da mich Ihre Einsicht, Ihr väterlicher Rath, wie ich hoffe, bei jedem wichtigern Schritte leiten wird; so verspreche ich mir den besten, glücklichsten Erfolg meiner Bemühungen. Es wird mein eifrigstes Bestreben, mein Stolz, meine höchste Zufriedenheit seyn, Ihnen Freude zu machen.

Die werd' ich haben, wenn es dir wohlgeht. – Aber warum erwähnst du einer der Hauptbedingungen nicht, deiner Heirat? – Hast du noch keine Wahl getroffen?

Mit der gewöhnlichen Schüchternheit, womit Fragen dieser Art pflegen beantwortet zu werden, sagte der Sohn: Ich habe.

Kenn' ich deine Geliebte?

Mit noch größerer Schüchternheit brachte er die Antwort hervor: Seit Kurzem. [385] – Aber äusserst schnell flossen ihm am einmal die Worte, als er anfing die Tugenden seiner Geliebten zu preisen, und auf die Bosheit gewisser Elenden zu schelten, deren tückischen, giftigen Pfeilen auch die reinste unbefleckteste Tugend nicht entgehe.

Diese Vorrede, sagte der Alte, könnte mir bange machen. – Ich bitte um den Namen deiner Geliebten.

Es half dem Sohne nichts, dass er den Namen der Witwe nur mit ganz leiser, gedämpfter Stimme aussprach. Er war genöthigt, ihn desto lauter zu wiederholen.

Also die! sagte der Alte ernsthaft, indem er mehrere Schritte umherging: die Witwe! – Ist das bloss Nachricht, die du mir giebst; oder – –

Es ist Vortrag meines innigsten, herzlichsten Wunsches, für den ich um Ihren [386] gütigen Beifall, um Ihre väterliche Bestätigung bitte.

Unter Euch selbst, hoff' ich, ist doch schon Alles ausgemacht? Ihr seid einig? –

Wie freute sich jetzt der Sohn, dem Rathe seines Schwagers gefolgt zu seyn! und dem Vater mit voller Wahrheit betheuren zu können: auch nicht das erste Wort von Liebe sei zwischen ihm und der Witwe gewechselt worden; auch nicht einmal vorläufig, unter vorausgesetzter Zustimmung des Vaters.

Um so besser! sagte der Alte. So braucht nichts erst zurückzugehen.

Zurückzugehen, mein Vater? – Sollt' es denn das? Müsst' es denn das?

Ich sehe den Gang, den diese Liebe genommen, ganz deutlich. Du hast an der Witwe mit einer Rechtschaffenheit, einem Edelmuthe gehandelt, wovon dein [387] Herz dir das Zeugniss giebt, dass sie dir zur Ehre, zur grössten Ehre gereichen. So ist natürlich ihr Anblick dir werth geworden; denn er erinnert dich an die beste That deines Lebens: aber eigentliche herzliche Leidenschaft, eigentliche innige Liebe, die bis in das Alter ausdauren, und dich für Alles entschädigen könnte, was du ihrentwegen entbehren und aufopfern müsstest – nein, mein Sohn! die kann ich hier unmöglich voraussetzen; unmöglich!

Warum unmöglich, mein Vater? – Und was müsst' ich denn ihrentwegen entbehren? Was müsst' ich ihr aufopfern? – Ich sehe nichts.

Ist dir der Reichthum nichts, den so manche Andre dir zubringen würde? – Die Witwe an sich selbst ist ohne Vermögen.

[388] Wahr! aber – –

Was von den armseligen Trümmern des ehemaligen Lykischen Reichthums auf ihr Theil kömmt; ist nach unsern Rechten die Hälfte. Wie viele der Fonds, die ich aus der Handlung herauszuziehen vielleicht gezwungen bin, glaubst du damit decken zu können?

Ich werde mich einschränken, mein Vater. Ich werde die Handlung so viel als nöthig, und mein Hauswesen auf's äusserste einschränken. Ich werde im höchsten Grade sparsam und thätig werden.

Gut! Aber das Alles, wirst du am Ende fragen, und muss jetzt ich fragen: für wen? – Für eine Frau, die schon jetzt nicht die jüngste mehr ist, und von deren Schönheit vielleicht nach wenig Jahren kaum noch einzelne Spuren da sind.

[389] Ist's denn ihre Schönheit, auf die ich sehe? – Gott ist mein Zeuge! noch hab' ich sie mit keiner andern verglichen. Was mich gerührt und mich ihr auf ewig gewonnen hat, sind die Tugenden, die sie in so mancher traurigen, prüfenden Lage bewiesen, und von denen ich Monate lang ein naher, glücklicher Zeuge gewesen.

Der Alte ging von neuem umher, und schwieg. – Sie hat Kinder, fing er dann wieder an.

Die vermehren meine Liebe zu ihr. Es sind ein paar Engel. –

Aber Engel, die Bedürfnisse haben. – Lass das Wenige, was aus der Verlassenschaft des Vaters für sie übrig bleibt, durch Zufälle schwinden; so haben dich diese Kinder Vater genannt, und du wirst verpflichtet seyn als Vater für sie zu sorgen.

[390] Das werd' ich gewiss, und werd' es mit Freuden.

Mit Freuden? – Was du ihnen zuwendest, werden deine eigenen Kinder verlieren. An fremdes Blut wirst du thörichter Weise wegwerfen, was deinem eigenen zu Gute kommen könnte. – Ich bitte dich: wie kannst du einen solchen Gedanken nur fassen? ihm nur einen Augenblick Raum bei dir geben?

Der Sohn kannte den Vater zu gut, um nicht äusserst betroffen zu werden. – Sie reden da nicht aus Ihrer eigenen Seele, mein Vater; unmöglich! –

Was heisst das? Aus welcher, als aus seiner eigenen, kann man reden?

Sie schaffen Sich eine fremde, enge, äusserst beschränkte Seele, die Sie mir als die meinige leihen. Aus ihr nehmen Sie das, womit Sie mich zu verwirren [391] oder zu überzeugen glauben. – Ich sehe, loh habe Ihre Achtung ganz, und habe sie auf immer verloren. Ich werde meinen eigenen Weg gehen müssen. Ich will es. – Mein einziger Wunsch zu Gott ist – indem er die Hände mit Kraft in einander faltete – dass Sie noch lange, lange leben, und noch mit eigenen Augen sehen, wie sehr Sie Sich in mir irrten, wie sehr Sie mir Unrecht thaten. – Er wandte sich von dem Vater ab gegen das Fenster mit einem ganz zerrütteten, von den widrigsten Empfindungen zerrissenen Herzen.

Mehr, als einen solchen Beweis seiner Gesinnung und der gänzlichen Umwandlung seines Charakters, konnte der Vater nicht fordern. – Nach einer tiefen, feierlichen Stille, worin er dem Sohne Zeit liess sich wieder zu sammeln, rief er ihn sanft bei seinem Vornamen: Karl!

[392] Durch das Weiche, Zitternde dieses Tones fühlte sich der Sohn gleichsam unwillkürlich herumgerissen. Wie ward ihm, als er den guten, ehrwürdigen Alten dastehen sah, die Augen mit Thränen gefüllt, und die Vaterarme weit gegen ihn offen haltend!Karl!, rief der Alte noch einmal: warum hast da dich mir so lange verborgen? – Und nun stürzte der Sohn, von Empfindung überwältigt, obgleich noch ungewiss was er zu hoffen habe, auf den Vater zu, ergriff mit beiden Händen eine der seinigen, und bedeckte sie ihm mit Küssen.

Willst du, sagte der Alte, in dieser schönen, uns beiden gewiss unvergesslichen Stunde, mir schwören, mir heilig schwören, dass du nie anders denken willst, als du dich jetzt erklärt hast? dass du nie, auch nicht im Innersten deines [393] Herzens, der guten Lyk ihren, Mangel an Vermögen oder ihre Kinder vorwerfen willst? dass du Liebe und Tugend ihr für mehr als alles Vermögen anrechnen und Ihre Kinder stets so ansehen willst, als ob sie die deinigen wären? –

Der Sohn war nicht bloss gerührt, er war erschüttert. – Ich will, ich will! stammelte er, und vermogte kein Wort weiter hervorzubringen.

Ich nehme deine Rührung für Eidschwur. – Und nun warf er die eine Hand ihm auf die Schulter, zog ihn an sich, und küsste ihn wiederholt und von Herzen. – Wegen der Art, wie ich dich setze, verlass dich auf mich; ich bin kein ungrossmüthiger Vater: und so nimm mein Haus und meine Handlung hin, und obendrein – meinen zärtlichen Vatersegen zu deiner Liebe! – [394] Ein so rascher und so mannichfaltiger Wechsel der Gefühle war mehr, als das Herz des Sohnes ertrug. Statt dem Vater zu danken, wankte er rückwärts, um einen Stuhl zu gewinnen, auf den er sich halb athemlos hinwarf. Ein plötzlich hervorbrechender Strom von Thränen erleichterte ihn; während der Alte, der sich neben ihm setzte und ihm selbst seine Thränen trocknen half, ihm unablässig zuredete: Lass doch! lass! Sei ein Mann! Trockne ab, lieberKarl! Wir müssen ja wahrlich zu deiner Mutter, um ihr Theil an unsrer Freude zu geben. – Wer weiss, wie lange und wie ungeduldig sie unser schon wartet? – Und wenn mich nicht Alles täuscht; so finden wir dort noch, zwei Andre, die unser beider Erscheinung mit Sehnsucht entgegenharren.

35.

[395] XXXV.

Wirklich hatten sich bei der Mutter auch der Doctor und die Doctorinn eingefunden, um von dem Ausgange der Unterredung, von der sie wussten dass sie vorfallen würde, desto eher unterrichtet zu seyn. Wie gespannt ihre Erwartung war, lässt sich aus dem grossen Antheil, den sie bisher an dem Bruder genommen, und aus der mannichfaltigen Mühe, die sie sich seinetwegen gegeben hatten, ermessen. Sie glaubten überwiegende Gründe zu haben, den besten Ausgang zu hoffen; und doch liessen sie, eben wegen der Grösse ihres Interesse, sich ein wenig in die Furcht und Ängstlichkeit der Mutter hineinziehen, die, weil ihr Interesse das noch grössere, noch lebhaftere war, nichts als traurige Ahnungen hatte. –

[396] Desto angenehmer war für Alle der Überraschung, als jetzt der Vater in Gesellschaft des Sohnes hereintrat, und ihnen, sogleich durch sein Lächeln seine Zufriedenheit, durch seine feuchten, gerötheten Augen seine Rührung verrieth. Er hielt den Sohn an der Hand, der sein Gesicht noch mit dem Tuche verdeckte, und führte ihn der Alten mit den Worten zu: Hier, liebe Mutter! hier bring' ich dir einen guten, einen würdigen Sohn, der auf dein Alter Bedacht nimmt, und dich von den Wirthschaftsorgen befreien will, die dir schon lange zu lästig fielen. Er will sie einer jungen, wackern Frau übertragen, die er dich bittet zur Tochter anzunehmen, und deinen Muttersegen über seine Liebe zu sprechen. – Errathen wirst du wohl seine Wahl nimmermehr; – und du gewiss auch nicht, indem er [397] sich gegen die Tochter umwandte, und beide zwar anlächelte, aber ihnen zugleich mit dem Finger drohte.

Der Sohn konnte unter den Segenswünschen der Mutter, und den Antheilsbezeugungen der Schwester und des Schwagers seine Augen so bald nicht trocknen. – Alle vereinigten sich endlich, dem Vater zu danken und ihm zu liebkosen, der sie der Reihe nach küsste, aber in seine gewöhnliche muntre Laune für diesen Abend nicht wieder hineinkam. Die Empfindungen, die bei der Unterredung mit dem Sohne ihn tief durchdrungen hatten, waren von zu ernsthafter Natur gewesen, als dass er sogleich wieder zu den muthwilligen kleinen Scherzen hätte zurückkehren können, womit er sonst seine Gespräche zu würzen pflegte.

Er liess es sich nicht nehmen, am folgenden [398] Tage in eigner Person den Freiwerber seines Sohnes zu machen. – Ob Madam Lyk von diesem Besuche angenehm oder unangenehm überrascht war; ob sie eine bejahende oder verneinende Antwort gab? wird wohl niemand erst fragen. – Die Ehe ward eine der glücklichsten in der Stadt. Die Familie hing, jedes Glied mit jedem, durch die zärtlichste Liebe zusammen. Herr Stark erfreute sich, bis in's höchste Alter hinauf, des Wohlstandes und der vollkommenen Eintracht aller der Seinigen, und genoss das süsse, kaum mehr gehoffte Glück, Enkel an seine Brust zu drücken, die nicht bloss seines Bluts waren, sondern auch seinen Namen trugen.


ENDE. [399]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Engel, Johann Jakob. Roman. Herr Lorenz Stark. Herr Lorenz Stark. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A158-1