Mythus vom ersten Bruder Liederlich

Unweit von dem Paradies,
Wo sich Adam niederließ,
Hat's auch Eva unternommen
Und ist zwofach niederkommen.
Höflich riefen alle Leut:
Welche große Aehnlichkeit!
Der ist ganz der alte Adam,
Und der Blonde ganz die Madam!
Und von diesem Zwillingspaar
Hieß der Jüngre Abel zwar,
Weil er brav versprach zu werden
Unter Schaf- und sonst so Heerden.
Kain ward zu seiner Schand
Gleich der Rothkopf zubenannt,
Denn an seiner Stirne mächtig
Trug ein Mal er sehr verdächtig.
[138]
Das verursacht stillen Gram,
Adam, als er wahr es nahm,
Und ihm schwante wenig Gutes,
Von dem Setzling seines Blutes.
Aber Eva, seine Frau,
Nahm es nicht so sehr genau,
Ließ den Knab im Wald sich tummeln
Bei den Käfern und den Hummeln.
Langsam wurden Beide groß,
Und der Kain sittenlos.
Aber schüchtern auf den Nabel
Sah sich stets der sanfte Abel.
Als die Hosen und der Wamms
Waren nun verwachsen ganz,
Schickt der Adam, dieser Sünder,
An die Arbeit seine Kinder.
Abel dünkte sich ein Graf,
Als er hüten durft' die Schaf'!
Kain schätzte sich ein König,
Als er jägdeln durft' ein wenig.
Nach vollbrachtem Tagewerk,
Haben sie sich dann gestärkt,
Und behaglich in Pantoffeln
Aßen sie zu Nacht Kartoffeln.
Als die Mahlzeit war zu End',
Wuschen sie die langen Händ',
Haben sich die Pfeif' gestopfet
Und ein Thier am Berg geopfert.
[139]
Während in den Himmel hoch,
Abels Opfer rauchte, kroch
Kain's Rauch hinab zur Höllen,
Das verdroß den Waidgesellen.
Darum eines Abends spat
Grübelt er auf Uebelthat;
Als der Abel goß den Lattich,
Stellt sich Kain hin wo's schattig.
Seht, er richtet seine Flint'
Auf das Bruderherz geschwind,
Ernst, besorg ich, will er machen,
Kain, was seyn das für Sachen!
Hoffentlich drückt er nicht los!
Nein, das ist gewissenlos!
Das ist nicht blos unvorsichtig,
Das ist schändlich, niederzichtig!!
Adam, als er wahr es nahm,
Stößt ihm auf der alte Gram,
Stürzt herbei mit seiner Gattin
Und versetzt: o Gott, es hat ihn!
Hilfe, liebe Nachbarsleut!
Was ist unserm Abel heut?
Solches kann ich nicht kapiren,
Weiß ihn Keiner zu kuriren?
Immer steht noch Alles dumm
Um den armen Abel 'rum,
Plötzlich fängt man an zu wissen,
Daß ein Sterbfall eingerissen.
[140]
Kain spürt der Reue Fluch
Ueber dieser Treue Bruch,
Und das belfernde Gewissen
Hätt ihn beinah todtgebissen.
Adam aber kommt und sagt:
Hab ich es doch gleich gedacht!
Thut das Haar ihm rückwärts streichen
Und entblößt des Kains Zeichen.
Kain wie die Pestilenz
Flieht erschreckt die Landesgrenz,
Um sich auswärts unter Beben,
In den Ehstand zu begeben.
Weiter sagt die Weltgeschicht',
Kain wurde liederlich,
Und sein Samen schwerlich feiner,
Die Freischärler und Zigeuner.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Lyrische Karrikaturen. Das Buch Biedermaier. Erzählungen des alten Schwartenmaier. Mythus vom ersten Bruder Liederlich. Mythus vom ersten Bruder Liederlich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9F01-1