Die schwäbische Sündfluth 1

1. Gesang

Der Zirkelschmied beim Schöpplein saß;
Jetzt, Schwanenwirth, füllt mir das große Glas,
Ich will den Herrn was erzählen,
's ist was für durstige Kehlen!
Heut Nacht war der Schwanenwirth, so begann
Der Zirkelschmied, ein gewaltiger Mann;
Mir träumte, er war der Noah -
"Will nit hoffen - Tohu wab - oha!"
Der Noah war er, und wohlbekannt
Als Schwanenwirth im Assyrerland,
Ich, auf des Herrn Försters Schimmel,
Ich war der Juppitter vom Himmel.
Alle Hagel! Ihr seid gut aufgeräumt,
Erzählt doch weiter, was Ihr geträumt.
Mach't nicht viel Federlesen,
Was ist denn der Förster gewesen?
Der Förster? Das ist den Herren klar,
Daß der des Schwanenwirths Hausknecht war,
So durft' er die Sündfluth erleben,
Nun höret, wie das sich begeben.
[76]
Gar oft ritt der Hergott der freundliche Greis
Am Schwanen vorüber und fragte: Was Neu's?
Gewöhnlich jedoch blieb er hängen,
Weil ihn die Geschäfte nicht drängen.
Da schmauchte mit Dem, der die Welt regiert,
Vortrefflichen Knaster der Schwanenwirth,
Und der Amtmann auch und der Helfer,
Und tranken Achter und Zwölfer.
Zumeist doch Achter, aus Sparsamkeit,
Des Beispiels wegen wie and're Leut.
Es gab noch keinen Burgunder -
War aufgespart für ein Wunder.
Wenn Ihr mir recht brav und recht fleißig bleibt,
Und immer so fort anständig kneipt,
Hat oft sich Gottvatter erboten,
Dann, Kinder, dann gibt's auch Rothen!
So ein Weinchen, göttlich! Ich bin nur noch
Mit dem Jahrgang nicht im Reinen, jedoch
Soll er verjüngen die Alten
Und jung die Jungen erhalten.
Nun hatte der Noah sechs Töchter im Haus,
Die sahen gar gütig und rothbackig aus,
Und waren gar fromm und anstellig,
Und Gott und den Menschen gefällig.
Der Alte war gnädig und schmunzelte oft,
Und kneift in die Backen sie unverhofft
Und fragte sie auch, wie sie heißen,
Und ob sie beim Küssen nit beißen?
[77]
Es hielten die Jungfern nicht viel auf Credit,
Drum bracht' er der Brävsten auch immer was mit,
Die that viel kochen und opfern -
Sie durfte die Pfeife ihm stopfen.

2. Gesang

Grad kehrte Gottvatter beim Schwanenwirth ein,
Zu trinken ein Schöpplein vernünftigen Wein,
Wollt' restauriren den Magen,
Darein ihm der Aerger geschlagen.
Ihn hatte der Schwanenwirth nie noch geseh'n
So wild und so zornig ins Wirthshaus 'reingehn,
Und ihm fährt in die Glieder der Schrecken,
Als der Hergott den Grund thut entdecken.
"Du kennst mich, ich bin ein langmüthiger Mann,
Ich drücke ein Aug zu, so lang als ich kann,
Aber ganz kann ich außer mich kommen,
Wenn Alles und gar nichts will frommen.
Fang' ich einmal zu verzürnen mich an,
So weißt Du, es hindert kein Mensch mich daran,
Und in meiner verlorenen Ruhe
Weiß ich selber nicht mehr, was ich thue.
Da komm' ich heut Mittag, die Zeit weiß ich nicht,
Ich hatte gerad an der Sonn' was gericht',
Vom Sinai runter nach Theben -
Die führen ein lästerlich Leben.
Da sitzen sie über bei Würfel und Spiel,
Polizeistund' die kennen sie gar nicht am Nil,
Sie saufen und fressen wie Thiere
Und strecken von sich alle Viere.
[78]
Wenn so was am heiligen Sonntag geschieht,
Zum Kukuk das geht über's Bohnenlied,
Besonders die fürnehmen Kasten
Wo thun sie noch beichten und fasten?
Wenn Einer einmal sich so recht übernimmt,
Da will ich nichts sagen, doch hat mich's verstimmt,
Daß sie in Neujahrstag 'nein tanzen,
Und schelten auf's Pfarrer's sein' Ranzen.
Das Schändlichste aber das stellst Dir nicht vor,
Da komm' ich vor's Memphisser Brückenthor,
Da machen die Heiden, Panduren,
Gott straf mich, auf mich Carrkaturen!
Da stellten sie hin einen Ochsen, ein Viech,
Und sagen: der Ochs, der Ochs, das wär Ich!
Ein Ochs vor sämmtlichen Leuten
Soll mich, den Hergott, bedeuten.
Und weiter, der Unfug geht über den Spott,
Da malen sie mich, o du lieber Gott -
Als Kranich mit krummen Beinen,
Vor Zorn möcht ich Blutigel weinen!"

3. Gesang

Das hab' ich genug jetzt, man wird mir zu keck.
Ich tilge die Brut von dem Erdsboden weg!
Hab' ich darum das G'sindel erschaffen?
Sie sollen sich höllisch vergaffen!
Aber Du, lieber Noah, Du habe nicht Angst,
Weil Du und Dein Haus mir in Freuden anhangst,
Wenn Alle zu Grund müssen gehen,
Euch soll nichts Böses geschehen.
[79]
Mich haben die Menschen auf's Tiefste gekränkt,
Am Besten wird's sein, wenn man Alle ertränkt;
Das alte Geschlecht ist voll Sünden,
Du wirst mir ein neues begründen.
Vermittlung, Versöhnung gilt heute noch Nichts;
Drum höre den Plan meines Rachegerichts!
Das Feuer ist mir zu kostspielig,
Ich thu es mit Wasser höchst billig.
Schlaf jetzt! Wir geh'n Morgen ganz früh an's Geschäft,
Gib Acht, daß der Hausknecht die Zeit nicht verschläft,
Er soll mich präcis vier Uhr wecken -
Zuvor soll ein Frühstück mir schmecken!
Dann sollst Du die Arche des Noäh erbaun,
Das Holz kannst Du freveln, ich will Dir zuschaun.
Wie sie aussieht, das steht in der Bibel,
Du bist drin bewandert nicht übel!
Nur ja vergiß mir die Spanfergel nicht,
Denn dieses gibt später ein Leibgericht,
Auch nicht die Ameisenhaufen,
Die Fisch' - werden schwerlich versaufen!
Auch's Ungeziefer versorgst Du mir,
Carl Vogt zur Strafe verzeichnets Dir;
Doch krümme keinem ein Härchen,
Und nimm von jedem ein Pärchen!"

4. Gesang

Schier hätte der Noah noch Händel gekriegt,
Mit seinem Herrn Stammgast, der also verfügt:
Die Nilpferd, Kröten und Schlangen
Zur Rettung rasch einzufangen.
[80]
Und der Noah sprach: Nimm den Regenschirm,
Hausknecht, und suche du das Gewürm.
Ich selber treib in die Scheuer
Einstweilen die Wiederkäuer.
Es war kein Spaß. Was kreucht und fleucht
Zusammen zu bringen, es war nicht leicht.
Und der Noah wurde hitzig
Und sprach zum Herrn fürwitzig:
Von was aber soll dieses viele Vieh
Denn leben, o Herr, ich traute nie,
Daß sich's wird machen lassen,
Ihr wolltet doch auch nicht spassen?
Der Alte brummt, dann aber versetzt
Er laut: "Das ist ein dummes Geschwätz.
So ist's, so steht es geschrieben!
Willst Du mich auch noch betrüben?"
Ei, dachte der kluge Schwanenwirth,
Doch hat er sein Maul nimmer dranriskirt,
Seine wunderlichen Sachen
Könnt Er doch viel einfacher machen!
Er kann ja Alles, was braucht er denn mich?
Was muß er mich plagen mit alle dem Viech?
Ich soll nicht mucksen, nicht klagen -
Was wird meine Frau dazu sagen?
Doch baute der Noah sein viehmäßig Haus,
Und hängte den Schild auch des Schwanen heraus,
Thut Menschen und Vieh drein stecken,
Und lustig den Hergott dann wecken.
[81]
Der freut sich, daß Alles schon ist arranschirt,
Und lobet den Noah, den Schwanenwirth,
Begibt sich zum Himmel verwundert,
Und schickt die Sündfluth herunter.

5. Gesang

Es regnet und schüttet jetzt Tag und Nacht,
Es donnert und blitzt und rumpelt und kracht.
Wie lange soll das denn dauern?
Gegen alle Regeln der Bauern?
Der Noah schickt Raben und Tauben aus,
Und hoffet, sie bleiben ihm aus dem Haus.
"Sie bringen mir elende Blätter -
Ich komm' in Gant bei dem Wetter!"
"Ja regnets denn als noch?" fragt gar oft
Der Schwanenwirth Noah und schüttelt den Kopf.
"Was helfen mir Raben und Tauben,
Meine Grundbirnen müssen dran glauben!"
Es regnet und rieselt noch Tag und Nacht,
Bis an Johanni, da ist's vollbracht;
"Beständig" - ruft Schwanenwirths Peter,
"Steht auf dem Barometer!"
Das Wasser verlauft sich vom Ararat,
Drauf Noah sich nieder gelassen hat;
Er entläßt das Viehvolk eben
Und wundert sich, daß sie noch leben.
Dann guckt er den Regenbogen sich an,
Und ruft seine Frau und die Töchter heran,
Und deren Männer und Kinder,
Und opfert die letzten Rinder.
[82]
Und er sagt: ich bedauer' sie haben mein Salz
So ordentlich g'fressen, aber ich glaub als,
So Rindviecher und so Kälber
Gibt's als-einmal noch von sich selber.

6. Gesang

Und der Alte ruft aus dem Himmelreich:
"Ist's trocken drunten? Ich komme sogleich!
Ich glaub' es ist gescheidter,
Du legst an den Bogen die Leiter."
"Festhalten! So. Nun Gott sei Dank!
Die Feuchtigkeit macht mir die Engel krank.
Gottlob! jetzt ist's vorüber!
Ich schenke Dir meine Züber!"
Schon recht, sagt der Noah, das aber ist
Nicht viel mit Erlaubniß; ich dächt' Ihr wißt,
Daß Ihr mir die Wirthschaft ruiniret,
Und daß ich das Vieh Euch salviret.
"So bitte Dir schnell eine Gnade aus!
Keine Komplimente! Nur grad' heraus!
Willst was, das ich verboten?
Oder sprich, willst Du jetzt Rothen?"
Das wär's! versetzet der Schwanenwirth.
So ein Affenthaler! Ich bin ruinirt.
Der Schwanen wird wieder floriren;
Wollt Ihr mir Rothen spendiren.
"Den sollst Du haben," der Herrgott sagt,
Doch hab' ich noch gar nicht nachgefragt
Nach meinen armen Tröpfen,
Nach meinen lieben Geschöpfen!"
[83]
S'ist Alles in Ordnung, Herr Zebraoth!
Nur eines machte mir schwere Noth,
Die schönen Mammuthsknochen
Die sind mir leider zerbrochen.
"Thut nichts! Es war das ein plumpes Vieh,
Und schickte sich in die Welt auch nie:
Zu groß waren seine Kiefer ...
Was macht das - Ungeziefer?
Das Ungeziefer? Der Noah erschrickt,
Eine Floh-Art hatte er heimlich geknickt,
Auch einige Wanzen vertilget,
Darein Gott der Herr nicht gewill'get.
Schon gut! Es ist vorderhand noch genug
Vorhanden. Ich billige Deinen Unfug,
Muß doch noch mancherlei machen,
Kelleresel zum Beispiel und Drachen."
Dank' schön! so murmelt der Schwanenwirth,
Ich hab' mich nicht in ihm geirrt,
Er bleibt ein Projectenmacher
- Und ich ein uralter Kracher.
Dabei guckt er auf und gibt mir ein' Tritt,
Und merkt, er hat vor sich den Zirkelschmidt,
Und da ruft er siebenmal: oha! -
Aber jetzt hab' ich Durst wie der Noha.
Der Noah soll leben noch tausend Jahr
Und gründen ein manches Mitmenschenpaar,
Die alle Nachkommen haben -
Unter Andern die Knöpflesschwaben!

Fußnoten

1 Auch in rheinschwäbischer Mundart vorhanden.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Die schwäbische Sündfluth. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9E7E-2