[96] Ein Abschied

»Laß, o laß mich weinen, laß mich klagen,
Wolle nicht nach meinen Thränen fragen,
Ach mein Klagen, ach mein seltsam Weinen
Locket in die Augen auch die Deinen.
Leb wohl, leb wohl!
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Und was ich gerne sagen möcht,
Ueber die Zung ichs nimmer brächt.
Blicke freundlich, liebe gute Seele,
Deinen stillen Kummer nicht verhehle!
Sprich du nur, in einem sanften Herzen
Will ich treu bewahren deine Schmerzen.
Du bist so weich,
Ach, schönes Kind, du bist so bleich!
Gib mir die Hand, wie stumm du bist!
Du weißt, daß man zum Abschied küßt.
Laß, o laß, denn ich muß immer weinen,
Mond und Sonne werden nicht mehr scheinen,
Lenz und Lust sind ewig mir verflogen,
Mit den Schwalben sind sie fortgezogen.
Du theurer Mann!
Verzeih, daß ich nur weinen kann.
Ein Wörtlein drückt das Herz mir ab,
Und Schweigen selber ist mein Grab.«
[97]
Kannst du reden nicht, und kannst nicht schweigen,
Möchtest mir dein ganzes Innre zeigen –
Lebe wohl! laß dich zum Abschied küssen;
Sollten wir für immer scheiden müssen?
Geliebte du!
Nimm diesen Kuß und den dazu!
Schon sind wir uns gesunken, sieh!
Ans Herz und wissen selbst nicht wie.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Ein Abschied. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9E6C-C