[290] Roga

Schweigend unter den Genossen,
Wie ers nie gewohnt,
Wandelt Roga, gramverschlossen,
Bleich wie dort der Mond.
Stolzer Roga, Sänger, Räuber,
Soll dein Ruhm verwehn,
Kühner Roga, Stern der Weiber,
Willst du untergehn?
»Euch zu fliehen, war mein Wille,
Aber ich bezwang
Mein Gemüth«, so bricht die Stille
Roga mit Gesang;
Nimmt die Laute, die vertraute,
Die ihm Gott beschied,
Und die Männerzähre thaute
Seinem letzten Lied:
»Unterm Schatten der Olive,
Auf dem weichen Moos,
Lag ein Held, als ob er schliefe,
Magdalan im Schoos –
Aber diese schönen Wangen,
Abendstrahlbegrüßt,
Ruhend an der Brust der Bangen,
Hat der Tod geküßt.«
[291]
»Und die Hand des Todten führte
Sie zum heißen Mund –
Wie mich die Bewegung rührte,
Thut euch Niemand kund –
Wiegt in träumenden Gedanken
Seine Arme, die
Wieder ihrer Hand entsanken,
Und dann weinte sie,«
»Von dem Hügel stieg ich nieder,
Trat mit Scheu heran,
Wandte weg die Augenlieder,
Weil die Thräne rann;
Aber schauen mußt ich wieder,
Nur nach ihr, ich stand
Von der Züge, von der Glieder
Anmuth festgebannt.«
»Meinem Bruder, sprach die Reine
Brach das Augenlicht;
Mitleid, Fremdling, haben Steine,
Menschen Mitleid nicht.
Räuber haben ihn erschlagen,
Welcher der Gefahr
In des Lebens Maientagen
Nicht gewachsen war.«
[292]
»Als er heimwärts seine Schritte
Lenkte von der Jagd,
Hat er, ritterlicher Sitte,
Tollen Kampf gewagt.
Räuber haben ihn erschlagen –
Ach, wo ist ein Freund,
Der den Jüngling ohne Zagen
Rächet, wenn beweint!«
»Als ich dieser Trauerzüge
Hohe Schönheit sah,
Glaubt ich nimmer, daß ichs trüge,
Was ich fühlte da.
Blicke, die aus Thränen flammen,
Und der heilge Schmerz,
Schnürten mir die Brust zusammen,
Schnitten mir ins Herz.«
»Ihrer schmerzbeklommnen Rede
Nie vernommner Ton
Trieb mir aus der Brust die Fehde,
Meinen Haß und Hohn;
Ungekannter Regung Gluten
Fühlt ich, wie sie sprach,
Mich durchfluthen, mich durchbluten,
Bis mein Trotz erlag.«
[293]
»Und ich rief, in Lieb entglommen:
Hast du keinen Freund,
Hat doch Roga dich vernommen,
Hab doch ich geweint
Dieser Mord – war meiner Brüder
Grauser Zeitvertreib,
Du gibst mich den Menschen wieder,
– Mädchen, sei mein Weib!«
»Laß mich deiner seelenvollen,
Strahlenden Gestalt
Feurige Bewundrung zollen,
Bis mein Wort verhallt;
Bis der Athem aus dem Busen
Nimmer kehrend geht,
Bis verlassen von den Musen
Dieser Geist verweht!«
»Aber sie, wie eine Rose,
Wenn die Knospe bricht,
Hob sich leuchtend aus dem Moose,
Glut im Angesicht –
Und mit Augen, wundersamen,
Stolz und sternenkalt,
Daß mich Schauer überkamen,
Schreitet sie zum Wald.«
[294]
»Und sie ließ mich bei dem Todten,
Wo ich, wie gebannt,
Wie gewurzelt in den Boden,
Lange starrend stand;
Bis mich Nacht und Donner schreckten,
Und der Eulen Schrei,
Bis mich wilde Blitze weckten
Aus der Träumerei.«
»Alle Wälder, alle Fluren,
Stadt und Burg und Land
Forscht ich aus nach ihren Spuren,
Die ich nirgends fand.
Und der Abend sah mich wieder
Am Olivenbaum,
In der Brust der Qualen Hyder
Und das Haupt voll Traum.«
»Doch wo ist der Jüngling heute?
Wo die Schwester, wo?
Wieder schaut ich starr ins Weite,
Hin, wo sie entfloh.
Lange bin ich so gestanden,
Habe so gestarrt,
Bis die Sterne wieder schwanden
Und es Morgen ward.«
[295]
»Ach! und von der Wunderbaren,
Der mein Lied erklang,
Hab ich nimmer was erfahren,
Tage, Monden lang –
Magdala, der theure Name,
Süß in jedem Mund,
Ward mir einzig von der Dame
Meines Herzens kund.«
»Nun versandet ohne Gnade
Liegt des Friedens Born;
Meines Lebens sichre Pfade
Haben sich verworrn.
Dem Vollkommensten der Wesen,
Das ich schauen sollt,
Blutge Trübsal auserlesen
Hab ich nicht gewollt.«
»Wilde Brüder, Waldgenossen,
Meiden muß ich euch,
Denn ihr habt ein Blut vergossen
Außer meinem Reich –
Roga wankt, der heldenkühne,
Ihr macht Roga bleich,
Aber eine große Sühne
Biet ich mir und euch!«
[296]
»Wilde Brüder, Waldgenossen,
Horcht, gehorchet mir!
Meinen Tod hab ich beschlossen,
Sterben will ich hier.
Kann, o kann das Herz noch pochen,
Hat das Leben Sinn,
Wenn der Seele Schwert zerbrochen,
Wenn der Muth dahin?«
»Lasset eure Dolche blitzen
In des Mondes Schein!
Taucht die so geweihten Spitzen
Tief ins Herz mir ein!
Bis der Athem aus dem Busen
Nimmer kehrend geht,
Bis verlassen von den Musen
Dieser Geist verweht!«

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TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Roga. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9DDA-9