Die Jagd

»Wohlauf, ihr Herrn, ha wohlauf zur Jagd!
Reißt weg die Becher vom Mund!
Der Himmel wird grau, es windet, es tagt,
Der Hahn kräht Morgenstund!«
So ruft der Junker von Hesselhag,
Das leere Glas in der Hand,
Ins übernächtige Zechgelag,
Und wirft das Glas an die Wand.
[231]
Schlaftrunken fahren die Gäste auf,
Sie schütteln das Lockengeflecht,
Und rütteln im Hin- und Widerlauf
Die Koller sich rasch zurecht.
Die Kohle im Schlot, der Wein im Krug
Ist todt, es schauert die Herrn,
Sie waschen den Kopf, sie haben genug,
Sie hören den Jagdruf gern.
Und Rossegewieher dringt herauf
Zum Saal und Fackelschein,
Im Schloßhof lärmt der Hundehauf,
Hell klingen die Hörner darein.
Das hat den Junker aufgemannt,
Er schreitet hinaus zum Saal,
Sieh da, im fliegenden Nachtgewand,
Sein blutjung Ehgemahl!
Sie blicket ihn an: o lieber Herr,
Geht heut nicht auf die Jagd!
Verzeiht, daß ich den Weg Euch sperr,
Ich träumte so bös zur Nacht;
Die Rosse, die jetzt ihr wiehern hört,
Sie fuhren uns beid hinaus,
Zur Gruft nach Sankt Katharinenwörth,
Heut, Herr, bleibt heut zu Haus!
Und zürnet nicht, so träumt ich, Herr!
»Was?« donnert der rauhe Mann,
»Schon wieder das eckle Weibsgeplärr?
Ein Schwachkopf hör es an!
[232]
Geh weg!« Ach Herr! »Verstehst du deutsch?
Geh weg!« Gott nein, ich bleib
An deinem Halse – »die Hundepeitsch
Für dich, zudringlich Weib!«
Geschlagen ist die holde Frau,
Da steht sie wie versteint,
Ihr großes Auge himmelblau
In Thränenglanz erscheint.
Sie wankt dahin, sie weint sich aus,
Läßt Alles gehen und stehn,
Den ganzen Tag hat Niemand im Haus
Die arme Herrin gesehn.
Indessen sucht in Wald und Feld
Der Junker Waidmannslust –
»Ei, Bettelmann, willst du kein Geld?
Was wirfst dich in die Brust?«
Ei, Edelmann, die schöne Au
Verwüstet länger nicht!
Seht zu, daß Eurer frommen Frau
Daheim kein Leids geschicht!
»Halloh, was soll das, alter Schuft?«
Roßfenchel hier für Euch!
Geht, säubert von bösen Geistern die Luft
In Eurem Haus sogleich!
Sonst weh! »Sonst weh,« gedankenlos
Nimmt hin der Junker das Kraut,
Verschwunden ist über Fels und Moos,
Der ihm es anvertraut.
[233]
»Ha, dummes Zeug!« es wischt den Traum
Der Jäger vom Aug sich so,
»Ha Rappe, wohlauf, setz über den Baum!
Ans Waidwerk auf und halloh!«
Und fernher lärmt der Hundehauf,
Hell klingen die Hörner darein,
Der treffliche Junker ist wohlauf,
Er saust über Stock und Stein.
Schon sinkt herab zum Hochlandsee
Der glühende Sonnenkern,
Schon blinkt aus seiner einsamen Höh
Der heitre Abendstern;
Da zieht der lachende Edelmann
Befriedigt auf sein Schloß –
»Wo ist die Hausfrau, sagt mir an,
Die solcher Fang verdroß?«
»Wo ist die meine? Verdrießlich Weib!
Zur Unzeit seh ich sie nur.
Wo steckt sie jetzt? Weiß Gott ich treib
Ihr aus die kranke Natur!
Den besten Anfang hab ich gemacht,
Wie schnell ist sie verstummt
Heut früh mit ihrem Geträum zur Nacht,
Das all ihr Wesen verdummt!«
»Ha, eingeschlossen? Verriegelt die Thür?
Bring, Weib, mich nicht in Wuth!
Mach auf! noch immer stumm? Dafür
Ist dieser Fußtritt gut.«
[234]
Die Thüre kracht aus Angel und Schloß
Zu Boden, Knall und Fall,
Herbeistürzt eiliger Dienertroß,
Verblüfft vom Widerhall.
O sieh, o sieh, da liegt sie todt,
Des Junkers schön Gemahl!
Auf ihrem Prunkbett, blutigroth,
Durchbohrt vom gierigen Stahl!
»Wer that mir das?« schreit auf – ihm grauts –
Der schwerbetroffne Mann;
Da scholl eine Stimme scharfen Lauts:
Das thatest Du, Tyrann!
Die Stimm verklang, der Junker blickt
Ins alte Bettlergesicht.
»Kerl, hat die Hölle dich hergeschickt?
Greift den verwegnen Wicht!
Vergebens jedoch sehn seiner Spur
Die bleichen Diener nach,
Verschwunden schon, über Trepp und Flur,
Ist der so seltsam sprach.«
»Laßt mich allein!« gebietet jetzt
Der Herr – die Knechte fliehn –
Der Herr in sich versunken setzt
Aufs blutige Bett sich hin.
»Ermordet liegt mein schönes Weib!
Und Ich hab' Das gethan!
Ich schlug – erschlug ihren edeln Leib!
Fluch, Fluch, weintrunkner Wahn!«
[235]
»Beschimpfung trägt kein treues Weib.
Ein Bettler unterweist
Den hohen Herrn – weiß Gott, ich treib
Aus mir den bösen Geist!
Ich schäme mich. Komm Fenchelkraut,
Komm würze den schnöden Wein.
Dies Weib hat Gott mir anvertraut,
Dich der mein Freund allein!«
Habt ihr die Rosse wiehern gehört
Beim ersten Lerchenflug?
Zur Gruft nach Sankt Katharinenwörth
Fuhr still ein Leichenzug.
Kein Sang und Klang. Im Zwielicht saß
Ein Mann dort, betete leis.
Man rief ihn an – über Grab und Gras
Verschwunden war der Greis.

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TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Die Jagd. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9D8B-E