Fridolin

Gern sing' ich den Biedersinn,
Des Barbiers, des Fridolin,
Aber Käthchens falsche Art
Zu erzählen fällt mir hart,
Denn dies Nähermädchen hat
Aufgebracht die ganze Stadt.
Käthchen hatt' ein schön Gesicht,
Sittsam aber war sie nicht,
Fridolin hat mit Verstand
Dieses allzuspät erkannt, –
Ach, es macht uns sehr betrübt,
Wenn man solche Mädchen liebt.
[141]
Schon in früher Morgenstund'
Machte Fridolin die Rund',
Eilend in der Stadt herum,
Und bedient das Publikum,
Seines Messers flinker Schnitt
Bracht' ihm Ehr' und Appetit.
Doch bei Tage wie bei Nacht
Hat er Käthchens nur gedacht,
Wie ein Bild an einer Wand
Sie vor seinem Geiste stand,
Nachts erblickt er sie im Traum,
Und bei Tag im Seifenschaum.
Einen Hut mit Seidenband
Kauft er und ein schön' Gewand,
Käthchen ward mit Recht entzückt,
Weil er ihr so Vieles schickt,
Und mit einer großen Scham
Nannte sie ihn Bräutigam.
Für die unbefleckte Ehr'
Schien das Mädchen sorgsam sehr,
Abends schloß sie ihre Thür',
Fridolin durft' nicht zu ihr,
Auf daß ihrer Unschuld nicht
Schaden in der Nacht geschicht,
Nur bei hellem Tagesschein,
Ließ sie ihn in's Kämmerlein,
Und vergönnt' ihm einen Kuß
Zum beglückenden Genuß;
Kam der Abend dann herbei,
Ging er in die Brauerei.
[142]
Spät noch eines Abends saß
Fridolin beim Gerstenglas,
Freute sich mit reinem Sinn
Auf den nächsten Morgen hin,
Und gedacht' in einem Jahr
Sie zu führen zum Altar.
Plötzlich sprach zu ihm ein Freund,
Bastian, der's redlich meint:
Ei pfui tausend, Fridolin,
Duldet dies Dein Biedersinn,
Daß ein Reiteroffizier
Schleicht zu Käthchens Kammerthür?
Dieses Wort des Bastian
Faßt ihn sehr mit Schrecken an,
Mit den Beinen greift er aus,
Eiligst nach der Liebsten Haus,
Und mit einem starken Stoß
Sprengt er das Pariser Schloß.
Da beim Lampenscheine sah –
Großer Gott, was sah er da?
»Großer Gott, verleih' mir Kraft,
Nein, das ist nicht tugendhaft,
Käthchen nein, und dreimal nein,
Käthchen, Du bist nicht allein!«
Fridolin, vom Zorne roth,
Fand die Worte nur mit Noth:
»O Du ungetreue Braut,
Meinst Du, daß mich das erbaut?
Bei Dir ist ein fremder Mann,
Gott, wie greift mich dieses an!«
[143]
»Käthchen, Käthchen, meine Pflicht
Duldet solchen Unfug nicht,
Käthchen, noch in dieser Nacht
Ist die Brautschaft ausgemacht,
Käthchen, wenn der Morgen graut,
Hat der Pfarrer uns getraut!«
Als sie dieses Wort vernahm,
Meinte Käthchen jetzt vor Gram,
Sprach gerührt der Offizier:
»Solches kam mir niemals für,
Fridolin, Du edler Mann,
Sei mein Freund von heute an!«
Wer auf eine Led'ge traut,
Mensch, der hat auf Sand gebaut,
Denn ein Windhauch, ohne Spur
Ist des Mädchens Liebesschwur,
Weislich knüpft der biedre Mann,
Fest'res Band im Ehstand an!

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TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Fridolin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9CCC-2