[7] [10]Vorgänge: 1.

1.

Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain;

der Mond läuft mit, sie schaun hinein.

Der Mond läuft über hohe Eichen;

kein Wölkchen trübt das Himmelslicht,

in das die schwarzen Zacken reichen.

Die Stimme eines Weibes spricht:


Ich trag ein Kind, und nit von Dir,

ich geh in Sünde neben dir.

Ich hab mich schwer an mir vergangen.

Ich glaubte nicht mehr an ein Glück

und hatte doch ein schwer Verlangen

nach Lebensinhalt, nach Mutterglück

[10] und Pflicht; da hab ich mich erfrecht,

da ließ ich schaudernd mein Geschlecht

von einem fremden Mann umfangen,

und hab mich noch dafür gesegnet.

Nun hat das Leben sich gerächt:

nun bin ich Dir, o Dir begegnet.


Sie geht mit ungelenkem Schritt.

Sie schaut empor; der Mond läuft mit.

Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht.

Die Stimme eines Mannes spricht:


Das Kind, das du empfangen hast,

sei deiner Seele keine Last,

o sieh, wie klar das Weltall schimmert!

Es ist ein Glanz um alles her;

du treibst mit mir auf kaltem Meer,

doch eine eigne Wärme flimmert

von dir in mich, von mir in dich.

Die wird das fremde Kind verklären,

du wirst es mir, von mir gebären;

du hast den Glanz in mich gebracht,

du hast mich selbst zum Kind gemacht.


Er faßt sie um die starken Hüften.

Ihr Atem küßt sich in den Lüften.

Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.

[11] 2.

Die Sonne strahlt auf rauhen Reif;

Baum bei Baum steht weiß, steht steif.

Aus ihren Pelzen von Kristallen

lassen die Zweige Tropfen fallen.

Schon zeigt ein Wipfel nackte Spitzen,

die feucht und scheu gen Himmel blitzen.

Der Park will weinen, die Sonne lacht;

zwei Menschen beschauen die schmelzende Pracht.

Sie stehn auf eisernem Balkone.

Ein Mann sagt innig, sagt mit Hohn:


So, Fürstin, war's im blendenden Saale.

So standest du bei deinem Gemahl

[12] in deinem Pelz von Silberbrokat,

als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat.

Da: fühlst du noch? was war da ich,

der hergeschneite Unbekannte,

und wie sich plötzlich außer sich

dein Auge doch in meines brannte

und immer nackter sich entspannte,

als ob im glitzernden Gehölze

das Schwarze aus dem Weißen schmölze.

Ja, Fürstin: da beherrscht' ich mich

und küßte nicht, o Du, die Hand,

die schon zu mir herüberfand,

sonst hätt' ich auch den Mund geküßt:

so klar, so starr ergriff mich dein Gelüst,

mit mir gleich zwei erschütterten Kristallen,

die mächtig warm das ewige Licht beschlich,

in Einen Tropfen zusammenzufallen.

So bist du mir; so rein, so frei! – Und ich??


Hoch steht der Park mit Eis befiedert.

Die starren Wipfel, Trieb an Trieb,

erschauern wirr. Das Weib erwidert:


ich weiß nicht, wie du bist – du bist mir lieb –


Ein Windstoß stöbert durch den Park.

Zwei Menschen fröstelt bis ins Mark.

[13] 3.

Aus erleuchteten Fensterräumen

tönt in die Nacht Musik und Tanz;

jenseit der Straße verschwimmt der Glanz

unter dunklen Trauerbäumen.

Ein Kirchhof schweigt da, Grab an Grab.

Das Licht prallt von den Leichensteinen,

die schwarz durch weiß zu huschen scheinen;

zwei Menschen wandeln auf und ab.

Am winterlich durchnäßten Zaune

tönt eines Weibes zögerndes Geraune:


Schon Einmal wollt sich bei solchen Klängen

Einer in mein Innres drängen;

[14] ich hatt ihn Jahr und Tag gekannt.

Wenn er in meiner Nähe stand,

ging mir das Blut in Feuerflüssen.

Als er mich endlich wagte zu küssen,

war alles in mir abgebrannt.

Ich hörte nur die Tanzmusik:

was er wie Sphärenklang empfand,

war mir Gedudel und Gequiek.

Ich konnt mir nit ein Wörtchen abringen.

Jetzt – hör ich Engelsharfen klingen.


Von den goldig glänzenden Lettern

der Gräber scheint der Glanz abzublättern:

das Licht schielt um die nassen Gitter.

Ein Mann gesteht, fast mit Gezitter:


Wir haben einander sehr ähnlich gelebt.

Unsre Liebe tanzt auf Leichen,

die keine fromme Hand begräbt.

Noch gestern sah ich ein Gesicht erbleichen:

sie will vom Leben nichts als mich,

ich konnt ihr nichts als Mitleid reichen,

in das sich noch Verachtung schlich.

Ich liebe dich.


Das Licht lacht auf den blanken Steinen;

zwei Menschen möchten lachen wie weinen.

[15] 4.

Zwischen geputzten Herren und Damen,

die durch Zufall zusammenkamen,

wiegen zwei Menschen sich im Tanz;

um sie rauscht des Saales Glanz.

Bebend legt sich im Kreis der Kerzen

sein dunkles in ihr schwarzes Haar,

legt sich über zwei bebenden Herzen

an ihr Ohr sein Lippenpaar:


Ja, du: wiege dich, laß dich führen,

und fühl's, fühl's: Niemand kann uns trennen!

Laß uns nichts als Uns noch spüren,

selig Seel in Seele brennen!


[16] Zehn Jahr lang glaubt'ich, daß ich liebte;

zu Hause sitzt mein Jugendglück,

sitzt und starrt auf Einst zurück,

als ich sie noch »ewig« liebte.

Nimm mich, wiege mich! Hingegeben

bringt sie jetzt ihr Kind zur Ruh;

ist auch Mein Kind! – Nimm mich, Leben,

wiege, wiege mich, führ mich Du!


Taumelnd drängt sich im Kreis der Kerzen

sein wirres in ihr wirres Haar,

drängt sich über zwei taumelnden Herzen

an sein Ohr ihr Lippenpaar:


Ja, es wiegt uns! Nit erzählen!

Führe mich sanfter! Nit uns quälen!

du bist mir gut, ich bin dir gut.

Hab doch auch die Seel voll Schmerzen:

spür ein Kindchen unterm Herzen,

und ist nicht von Deinem Blut.

Sanfter noch – mir braust vor Hitze;

komm, sei lieb, mein wilder Tor!

hüte deine Augenblitze –

nick mal – lach mal – mir ins Ohr!


Ihr schwarzes Haar erschauert ganz.

Zwei Menschen wanken; es stockt ihr Tanz.

[17] 5.

Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen

strömt durch Glas und Gitterstangen

Dunst; zwei Menschen stehn davor.

Die gesättigten Gewürme hängen

still in buntverflochtnen Strängen;

einem Manne haucht ein Weib ins Ohr:


Du, die Schlangen muß ich lieben.

Fühlst du die verhaltne Kraft,

wenn sie langsam sich verschieben?

Eine Schlange möcht ich mir wohl zähmen;

möcht ihr nit ein Gliedche lähmen,

wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft.


[18] Eh sie noch vermag zu fauchen,

werden ihre Augen nächtig –

Sterne tauchen

wie aus Brunnenlöchern auf –

setz'ich ein Rubinenkrönche

auf ihr Stirnche: still, mei Söhnche,

züngle, Jüngle – Ringle, lauf,

spiel mit mir! – Du, Das wär prächtig.


Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen

tippt ihr Finger an die Scheibe;

ihre Augen stehn in Träumen.

Während sich zwei Dipern bäumen,

sagt ein Mann zu einem Weibe:


Du mit deinem egyptischen Blick,

bist du so wie die dadrinnen?

Noch, du, kann ich dir entrinnen!

Daraus knüpft man sein Geschick,

was und wie man haßt und liebt.

Komm: wir wollen uns besinnen,

daß es Tiere in uns giebt!


Hitze schwingt. Zwei Augen wühlen

brandbraun in zwei grauen kühlen;

doch die stählt ein blauer Bann.

Und zwei Seelen sehn sich funkelnd an.

[19] 6.

Durch stille Dämmrung strahlt ein Weihnachtsbaum.

Zwei Menschen sitzen Hand in Hand und schweigen.

Die Lichter züngeln auf den heiligen Zweigen.

Ein Mann erhebt sich, wie im Traum:


Ich kann zu keinem Gott mehr beten

als dem in dein-und-meiner Brust;

und an die Gottsucht der Propheten

denk ich mit Schrecken statt mit Lust.

Es war nicht Gott, womit sie nächtlich rangen:

es war das Tier in ihnen: qualbefangen

erlag's dem ringenden Menschengeist!

O Weihnachtsbaum – oh wie sein Schimmer,

[20] sein paradiesisches Geflimmer

gen Himmel züngelnd voller Schlänglein gleißt –

wer kann noch ernst zum Christkind beten

und hört nicht tiefauf den Propheten,

indeß sein Mund die Kindlein preist,

zu sich und seiner Schlange sprechen:

du wirst mir in die Ferse stechen,

ich werde dir den Kopf zertreten!


Ein Weib erhebt sich. Ihre Haut

schillert braun von Sommersprossen;

ihr Stirngeäder schwillt und blaut.

Sie spricht, von goldnem Glanz umflossen:


Ich denk nit nach um die Legenden,

die unsern Geist vieldeutig blenden,

ich freu mich nur, wie schön sie sind.

»Uns ist geboren heut ein Kind«

das klingt mir so durch meine dunkelsten Gründe,

durch die zum Glück, dank einer Ahnensünde,

auch etwas Blut vom König David rinnt,

daß ich mich kaum vor Stolz und Wonne fasse

und deine Schlangenfabeln beinah hasse!


Er lächelt eigen; sie sieht es nicht.

Ein Lied erhebt sich, fern, aus dunkler Gasse.

Zwei Menschen lauschen – dem Lied, dem Licht.

[21] 7.

Kaminfeuer und blauer Tag

liebkosen ein hohes Damengemach,

die Wärme scheint schier frühlingshell;

zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell.

Der Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände,

das Weib faßt zärtlich seine Hände:


Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen?

Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen!

Sollst uns mit Märchennamen taufen;

nit so hinterm Leben herlaufen,

nit so häßlich auf deiner Hut sein.

Weißt? wenn du lachst, Lux, muß alle Welt dir gut sein!


[22] Er lacht und küßt die schmeichelnden Fingerspitzen,

fährt durch den dunkeln Haarbusch sich,

und seine grauen Augen blitzen:


Ja – wenn ich traurig bin, hass'ich mich;

dann wird wohl auch die Welt mich hassen.

Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen,

Lea: sehr eigen tauf' ich dich.

Es tut nicht not, daß man dem Alltag trotzt;

es giebt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt.

Drum bleibe nur das Wunder, das du bist,

und ich bin Lukas dein Evangelist.

Du bist die Fürstin Isabella Lea,

die Löwin und die Gottbeschwörerin;

aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea,

lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa

zum Lichtbringer Osiris hin.

Denn hier thront Lukas Luchs, dein Sekretär,

das dunkle Raubtier mit den hellen Lichtern,

der Große Geist-Luchs der Indianermär,

verhaßt wie Lucifer den Blaßgesichtern.

So tauf' und krön' ich dich mit neuem Sinn:

komm, meine große Geistbeschwörerin!


Er schlägt das weiße Fell um sie und sich.

Zwei Menschen freun sich königlich.

[23] 8.

Sylvesternacht. Viel Glocken läuten.

Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn

den Dunst des Horizontes leuchten

und drüber die Millionen Sterne stehn.

Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren,

lehnt ein Mann auf eisernem Balkone,

sagt mit trunknem, heiserm Ton,

während im Hause Gläser klirren:


Dort schläft im Dunst mein Eheweib,

und Du – besiehst mit mir die Sterne.

Und hinter uns trinkt Jemand Haut-Sauternes,

dem du gehörst mit deinem Leib,

[24] mit deinem hoffnungsvollen Leib.

Himmel, Himmel, o könnt ich blind sein!

Lea! blind sein! noch einmal Kind sein!

Oh, du kennst wohl nicht dies Grauen:

klar und kalt wie Gott durchschauen:

nur aus Leid ist Glück zu bauen.

Alles Leid ist Einsamkeit,

alles Glück Gemeinsamkeit –


Er stockt. Die Glocken rings verstummen;

es ist, als ob die Sterne summen.

Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib:


Nur mir, nur Gott gehört mein Leib.

Mir steht ein andrer Himmel offen,

als ihn die Leidenden ermessen.

Hast du dein eignes Wort vergessen:

Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?!

Uns ging kein Paradies verloren,

es wird erst von uns selbst geboren.

Schon reist in manchem Schooß auf Erden

ein neuer Menschensohn – der sagt:

so ihr das Himmelreich nicht in euch tragt,

könnt ihr nicht wie die Kindlein werden!


Es glitzern die Millionen Sterne;

zwei Menschen schauen in die Ferne.

[25] 9.

Ein Zimmer schwimmt voll Cigarettenduft,

zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.

Nun blickt ein Weib, aufatmend, einen Mann verstohlen an –

seine offne Stirn, den kurzgehaltnen Bart,

den Mund von träumerisch verschlossener Art,

Hiebnarben neben den heftigen Nüstern –

und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern:


Diese Nacht war furchtbar. Ich konnt nit schlafen:

mich quälten die unausgesprochnen Dinge.

Es war halb Traum halb Höllenstrafe.

Wie auf der Jagd – als stäke mein Hals in Schlingen;

[26] fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz!

Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge

das Telephon am Kopfend' meines Betts,

als wolle die Frau mich Grauenhaftes fragen,

die du – oh Lux: nit wahr? ich glaub,

Dir kann ich Alles, Alles sagen;

o furchtbar, sich mit Heimlichkeiten tragen!

Nit, du? – Du! Lukas! – Bist du taub?!


Schweigen. Ihre Augen schauen

nachtbraun seine morgengrauen

durch den Rauch verschleiert an.

Sacht die Lider schließend sagt ein Mann:


Früher konnt ich schwer mit Leuten reden;

jetzt sprech ich mit dem Fremdesten gern.

Es geht ein Band von dir durch mich zu Jedem,

als wenn wir Alle Engel wär'n.

Und doch: wer darf uns Teufeln trauen!

Schon Eva hat zu klar erkannt:

das Unerkannte ist es, was uns bannt.

Denn eine tiefe Wollust schläft im Grauen.


Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.

Sie hauchen wieder Ringe in die Luft.

Das Zimmer schwimmt voll Cigarettenduft.

Zwei Menschen horchen, was ihr Innres spricht.

[27] 10.

Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,

blinde Spiegel, rostige Wappenschilder;

und hohe Aktenwände. Und inmitten

sitzen zwei Menschen mit seltsam kalten

Anstandsmienen da und halten

Conferenz mit einem dritten.

Dieser blickt korrekt gekleidet

und gelangweilt in die Welt,

während er verbindlichst leidet,

daß ein Mann ihm folgenden Vortrag hält:


Hoheit, ich fand in den Archivpapieren,

die ich die Ehre habe zu registrieren,

[28] gewisse halb politische Dokumente,

die Mancher arg mißbrauchen könnte.

Hoheit wissen, die Welt steckt heute

voll explosibler Elemente;

und da in Fürstenhäusern manchmal Leute

antichambrieren,

die Andern in die Karten schauen,

möchte ich lieber meinen Dienst quittieren,

wenn Hoheit mir nicht voll und ganz vertrauen.


Hoheit räuspert sich und blickt voll Schonung

und gelangweilt in die Welt.

Da sich hierauf alles still verhält,

sagt ein Weib mit seltsamer Betonung:


Herr Doctor, wir danken voll Verständnis.

Und, um Vertrauen mit Vertrauen zu ehren:

Hoheit mein Gatte huldigt der Erkenntnis:

dem Lauf der Welt kann Niemand wehren.

Ihr rascher Abschied träfe uns empfindlich;

ein Archivar von gleichen Qualitäten

scheint mir zur Zeit ganz unauffindlich.

Sie sind, Herr Doctor, voll und ganz von nöten.


Sie neigt das Haupt seltsam verbindlich:

Hoheit verneigt sich, wie es Brauch.

Zwei Menschen lächeln; der dritte auch.

[29] 11.

Wolken flattern groß um den Mond;

als ob in staubenden goldbraunen Lappen

eine mächtige Zauberspinne thront.

Die Schritte zweier Menschen tappen

durch eine schattenflackernde Gasse.

Ein Weib sagt mit entzücktem Hasse:


Mein Herz darf Freiheit von diesem Menschen verlangen,

der nichts als meine Mitgift hat gefreit,

und der nichts liebt als ein alt Krongeschmeid,

das Einzige, was Ich von ihm empfangen.

Es ist sehr schön – ein Nest von blinden Schlangen

mit rauchtopasenen Stirn- und Rückenflächen;

[30] draus äugt, wie jetzt der Mond durchs Dunkel,

ein großer bläulicher Karfunkel –

den möcht ich ihm, Das würde mich rächen,

über der Wiege meines Kinds zerbrechen!


Wolken wühlen schwer um den Mond;

als ob durch silbergraue Schollen

mächtige Maulwürfe dringen wollen.

Ein Mann entgegnet, sehr betonend:


Was du von ihm empfangen hast,

ist meiner Seele keine Last;

auch nicht das Kind von seinem Blut!

Aber ich hab ein unabwälzbares Grauen

vor den Gelüsten schwangrer Frauen;

die sind der Seele blindeste Brut.

Vergleich mir nicht den Reiz von toten Steinen

mit dem belebenden Licht, dem reinen;

daß du jetzt arm bist, leite dich hinauf!

Was buhlst du mit Topasen und Karfunkeln –

sei reicher –: hebe deine dunkeln

Augen mit mir zum Himmel auf!


Er staunt: sie steht jäh still im Schreiten:

in ihren Augen und Mundwinkeln streiten

Auflehnung, Pein, Verwundrung, Glück, Ermatten.

Zwei Menschen werfen Einen Schatten.

[31] 12.

Kälte glänzt auf den Feldern.

Arm in Arm, Hand in Hand

sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern

über das starrgefrorne Land

die Sonne steigen.

Ein Mann bricht das Schweigen:


Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur,

und wär ich jeder andern Empfindung bar

und spürte nur

den rauhen Maiduft aus deinem Haar,

der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht

meiner Heimatwälder mich beseligt,

[32] es wär mir Inhalt genug vom Leben:

du hast mir den ewigen Frühling gegeben.

Du bist mir blutlieb! – blick nicht so kalt

auf deinen Fuß, der meinem gleicht!

Was tust du stolz, wenn mit Gewalt

meine Seele sich deiner neigt?!

Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel,

wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn;

ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn,

und wenn wir wollen, haben wir Flügel!


Das Weib blickt nach den scheuen Tieren.

Dann weicht ein starrer Zug von ihren

Lippen, als gebe sie etwas preis:


Ja? tu ich kalt? – Ja: kalt wie Eis,

eh's sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand,

daß sie heiß wird wie Feuerbrand!

Ja –: Kalt oder heiß! nur nit lau!

schwarz oder weiß! nur nit grau!

das ist der Wahlspruch einer »armen« Frau.


Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz

und grell wie Schmerz im Sonnenscheine.

Sie legt die Hand, groß wie die seine,

aus seinem Arm fest auf ihr Herz.

Zwei Menschen kämen gern ins Reine.

[33] 13.

Der Tag hat aufgehört zu schnein.

Der graue Eichwald reckt sich weiß belastet,

von einem letzten Licht betastet.

Zwei Menschen waten querforstein.

Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet:


Ich bad' so gern durch frischen Schnee,

durch den noch Keiner gegangen ist.

Wenn ich die reine Spur dann seh,

die wie vom Himmel gefallen ist,

dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten,

wo ich als Kind in einer Schneenacht stand,

weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten,

[34] der mir zurückgab mein hell Heimatland,

wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten

in hundert lachenden Linien sich verzweigt,

wo in die leuchtenden Ewigkeiten

Rebhügel über Hügel steigt,

und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins

die tiefe grüne Schlucht des Rheins!

Hier aber – – Sie erschauert, schweigt,


ein Mann spricht wie voll jungen Weins:


Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land,

dies Land, in dem sich Rußlands Steppen

schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen.

O! aber sieh's erst im Sommergewand,

wie's dann drin summt und hummelt und tummelt und tut,

wenn hoch im Abendsonnenbrand

der alten Kiefern verschämte Glut

sich aufreckt aus der Versunkenheit.

Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit.

Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft

wie fernes Meer aus tiefer Kluft.

Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn:

in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin!


Er glüht, sie strahlt, küßt seine Hand;

zwei Menschen danken ihrem Vaterland.

[35] 14.

Die Sonne scheint in einen Blumenladen,

durch den ein Flor von Orchideeen schwillt;

ein Eishauch klärt die Stadt. Zwei Menschen baden

sich in dem Duft, der durch die Scheiben quillt.

Bunt lechzen Schooß an Schooß die fleckigen Blüten.

Ein Mann bekennt aus schwerem Brüten:


Sonst graute mir vor schwangern Frauen,

als wär ich einer Verwachsnen begegnet;

Dich kann ich wie die Blumen beschauen

und fühle wirklich, du bist »gesegnet«.

Meine Vaterschaft war mir Zufallsmache,

alle Vaterliebe Gewohnheitssache –

[36] jetzt möcht'ich beten: o wäre dein Kind von Mir!

Und doch: auf diese reine Begier,

Lea, aus der ich eben erwache,

fällt mir das schamlose Blühen hier

wie eine Befleckung: ich verübe

nur Tierisches – das ist das Trübe.


Er will die Straße weiter, wie duftbeklommen;

er fühlt sich heimlich beim Arm genommen,

tief wird das Weib gegrüßt von irgendwem.

Sie nickt kalt, lächelt angenehm.

Dann folgt sie ihm, wie zu sich selbst gekommen:


Vergleich dies Glück dem tierischen nicht!

Einst meint'ich zu sterben am Ekel der Begattung,

und ich begriff das Wort »Beschattung« –

jetzt leb'ich wie die Pflanze dem Licht:

mit einer Sehnsucht, Lukas, wie eine Blinde!

Ich muß dir ja dies Fleisch und Blut noch wehren;

aber würdest du's nicht begehren,

ich würde verkümmern, glaub'ich, samt meinem Kinde.

Was ist da trüb? Ich seh nit, was!

Wir leben, wir lieben – wie klar ist das!


Sie muß von neuem grüßen: Herren zu Pferde.

Die lächeln mit galanter Geberde.

Zwei Menschen blicken auf die kalte Erde.

[37] 15.

Es wird dunkler; immer heller blitzen

durch die Asche im Kamin die Kohlen.

Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen,

stockt ein halbverhaltnes Atemholen.

Eine Wiegenweise bannt noch beide;

aber endlich lacht das Weib und spricht,

blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide:


Du machst schon wieder dein russisch Gesicht.

Was hast denn wieder Graues zu schleppen?

Kannst denn nit auch mal aufglühn wie deine Steppen,

eh der Regen vom Himmel bricht?!

Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen,

[38] darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen:

meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken

auf meinen braunen Brüsten entdecken,

meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln,

all mein Schmachten auf Deine Lippen sammeln –

ja fühlst denn nit, einfältiger Mann,

wie vielfältig man küssen kann?!


Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle.

Es wird dunkler; eine breite Welle

Glut erlischt in seinem Bart.

Und er sagt unsäglich zart:


Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen

Augen, die so verwirrend schimmern

wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern,

wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen.

Ich ließ dich spinnen und weben von Herzen;

nun willst du Fliege mit mir spielen.

So spiel denn! spiele, Spinnchen – und lerne fliegen:

ich nehme dich mit: komm, Herz: ich weiß ein Land,

wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen,

der gläubig eine Kachelofenwand,

auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt,

für einen Himmel voller Sterne hält!


Und zwei Menschen vergessen die Welt.

[39] 16.

Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel.

Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:

ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.

Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.

Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.

Jetzt reckt er das Kinn:


Lea! seit meinen Jugendjahren

bin ich nicht so im Fluge gefahren,

so rasend noch nie.

Aber noch rasender war's gestern Morgen,

als ich im Sturm deinen Namen schrie

und, als wäre mein Gott drin verborgen,

[40] mit ihm rang um dich, Knie an Knie:

schleife mich, Sturmgott, um die Erde,

sei sie unrein, sei sie rein!

gönne mir nur kein Glück am Herde,

hingerissen will ich lein!

Sage mir – Du! ich frage dich: schreit

Dein Gott auch so Meinen Namen?

Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?

Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!


Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.

Die Zügel schlackern; die Bügel bäumen schon.

Das Weib umschlingt ihn fallbereit:


Nenn's nicht Wahnsinn, nenn's lieber Ahnsinn!

Lukas: ich hab in manchen furchtbaren Wochen

dagelegen wie zerbrochen

und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!

Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!

Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,

als ob es die Sonne blindmachen müßte!

Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,

und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,

ich lasse mich wiegen, du – wiegen – wiegen –


Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.

Zwei Menschen glauben sich im Himmel.

[41] 17.

Ampelschatten hüllt vier bebende Lippen.

Der Park wankt, als wühlten Geister drin;

Nachtsturm reißt an den Fensterrippen.

Die dunkeln Lebensbäume schwippen

tief zur verschneiten Erde hin.

Die bebenden Lippen atmen so schwer,

wie Menschen atmen, um nicht zu stöhnen.

Dumpf horcht der Mann nach den heulenden Tönen,

die bald aufhimmeln, bald tierisch röcheln.

Er preßt die Adern auf seinen Knöcheln:

das Weib, stumm wie er,

ist ihm zu Füßen vom Divan gesunken:

[42] sie ringt die Finger auf seinen Knien.

Ihre schwangern Hüften umschauern ihn.

Sie stammelt trunken:


So komm doch! nimm mich doch! trag mich weg!

ich will ja blindlings Alles dir geben!

Und wenn's mich umbringt hier auf dem Fleck,

ich will ja mein eigen Blut hergeben!

Nur schau nicht so grauenhaft tot ins Leben!


Sie klammert sich hoch an seinen Armen

an seine Brust; die hämmert zum Sturmerbarmen.

Er stöhnt. Sie schüttelt ihn: komm! Sie hört

ihn betteln: ja komm! Sie liegt emporgerissen

auf seinen entbreiteten Fäusten mit schwebenden Füßen,

und –: verstört

holen zwei Augen ihr aus den Eingeweiden

eine Nacht von Entsetzen und Weh:


Geh – keucht er – geh!

Dein – sein Kind regt sich zwischen uns beiden!


Er reißt sie an sich, reißt sich los;

der Sturm heult wahre Trauer-Oden.

Komm! ringen vier Hände Schooß an Schooß.

Geh! recken zwei Arme riesengroß

sich zum Stoß.

Zwei Menschen winden sich am Boden.

[43] 18.

In das Geräusch eines Bierlokals,

in das Rauschen großstädtischen Straßenskandals

mischt sich wie Kettengerassel ein Ton.

Elektrisches Glühlicht kämpft in den Ecken

mit blassem Taglicht und Schattenflecken.

Ein Mann spricht horchend durchs Telephon:


Lea! – Hörst du? – Was ist geschehn?

Gestern Abend – hörst du? – es war eben zehn:

dein Brief aus deinen großen Schmerzen

lag mir wie Albdruck auf dem Herzen –

Auf Einmal: ich wagte kein Glied zu regen,

so hatt'ich die Angst des Unterliegens –

[44] auf einmal kann ich mich frei bewegen:

mich hebt ein Gefühl vollkommenen Fliegens

wie über ein Ufer, über ein Meer –

Sag: hat meine Seele hellgesehen?

bist du erlöst von deinen Wehen?

Sprich doch! Was atmest du so schwer?!


Er horcht. Durch das Geräusch des Lokals,

durch das Rauschen des Straßenskandals,

durch eine Stille hohlsausend und leer

kommt eines Weibes Stimme her:


Deine Seele hat hellgesehen:

ich bin erlöst von meinen Wehen:

mir lebt ein Kind.

Es liegt wie Albdruck auf meinem Herzen.

Es sieht nicht meine großen Schmerzen.

Es – ist – blind –


In das Rauschen des Straßenskandals,

in die Geräusche des Bierlokals

mischt sich wie Kettengerassel ein Ton;

ein Mann verläßt das Telephon.

Er hört im Hintergrund einen Herrn

»Kellner, mehr Licht auf Erden!« schrein,

und ein Gelächter hinterdrein.

Zwei Menschen sind einander fern.

[45] 19.

Mondlicht greift durch bleiche Gardinen,

legt Flecke auf ein Himmelbette;

zwei Menschen sehn's mit bleichen Mienen.

Sehn die Flecke in schleichender Kette

grell ein Kind, das schläft, umkränzen;

es schläft mit offnen Augenlidern.

Die stillen Augensterne glänzen;

glänzen weiß wie blindes Eis.

Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern.

Wie aus einem Abgrund gerissen

starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen,

haucht sie heiß:


[46] Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir;

ich lieg' in Dankbarkeit vor dir.

Ich lag bis heute wie unter Steinen,

wie unter einer Sticklast Schnee;

du bist gekommen, nun kann ich weinen.

Jetzt aber – geh!

Ich will vor dir kein Klagweib sein;

laß mich, solang' ich lieg', allein.


Der bleiche Mann im Vollmondlicht

neigt sein unbewegtes Gesicht.

Sein Blick weilt wie in weiten Fernen

auf den blinden Augensternen.

Und er spricht:


Das Kind, das du geboren hast,

sei deiner Seele keine Last:

sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt!

Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen,

das alles andere, gröbere Licht beschwingt;

in ihm wird dieses Kind aufgehen.

Es wird die irdische Qual nicht sehen.

Wir werden's leiten wie auf Wolkenauen.

Es wird das innere Weltlicht schauen.


Er küßt sie, geht – sein Schatten streift das Kind;

zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind.

[47] 20.

Eisblumen und Hyazinthenduft

ringen mit warmer Zimmerluft;

weiße Seide umbauscht ein braunes Weib.

Ein Mann sieht ihren genesenen Leib

auf weichsten indischen Kissen ruhn;

ihr Goldbrokatschuh streift den Boden.

Er steht in blauen Segeltuchschuhn,

seine Radfahrjacke von graugrünem Loden

zuknöpfend, einen Brief in Händen,

und fragt, indem er drin Kniffe zieht:


Willst du dir auch die Augen blenden,

weil du ein Kind hast, das nicht sieht?!


[48] Ich soll mit dir »ins Weite gehen«?

Was gehn heißt, wirst du bald verstehen,

wenn du mit deinen zarten Zehen

erst barfuß für uns betteln mußt!

ich glaube, da würde dir die Lust

zur blinden Liebe sehr schnell vergehen.

Einst, ja, da nahm ich Credit aufs Leben

und schlug die Schulden in den Wind;

aber als Vater lernt man eben,

was wir dem Dasein schuldig sind.

Das träumt nicht wie die grünen Seelen,

die sich vorm Leben ins Blaue stehlen,

bis die ergraute Welt sich rächt.

Und klein beigeben mit großem Munde:

dann gehn wir an uns selbst zu Grunde –

nit, Lea? das steht Uns Beiden schlecht!


Er legt ihren Brief sehr zart auf ihr Knie;

sie wiegt ihren Goldschuh. Dann antwortet sie:


Du hast sehr blaue Schuh an, sehr blaue!

du kommst wohl von einer – Wolkenaue?!

Aber ich dank dir; du sprachst sehr klar.

Ja ja: man träumt oft wunderbar!


Ihr Goldschuh zieht im Teppich einen Strich.

Zwei Menschen lächeln bitterlich.

[49] 21.

Nur an den Eichen bebt noch braunes Laub,

es bebt im Wind; und wenn die Spechte klettern,

dann weht der Schnee wie Kieselstaub

und knistert in den abgefallnen Blättern.

Zwei Menschen sehn im Park den Abend zaudern.

Ein Weib bezwingt ein leises Schaudern:


Heut hat ein Mensch mir leidgetan,

der sonst mein Weichstes zur Erstarrung brachte.

Er hat mir nie ein Leid getan

seit jener Nacht, die mich zur Mutter machte;

er ist fast stumpfer als ein Scherben.

Heut aber, vor dem blinden Leibeserben,

[50] vergaß er selbst sein gnädiges Stottern;

er saß nur da und ließ sich schlottern.

Ich mußt ihn immerfort betrachten,

ihn halb bedauern, halb verachten.


Der Mann an ihrer Seite nickt;

er sieht im kahlen Park den Abend dämmern,

er hört im hohlen Holz die Spechte hämmern.

Er sagt, indem er einen Zweig zerknickt:


Ich fühle jeden Tag mein Herz in Nöten,

wenn eine Frau sich mit Erröten,

und wie zur Abwehr blaß und zart doch,

samt unserm Töchterchen an mich drängt,

während vielleicht in meinem Bart noch

der Hauch von deinen Küssen hängt.

Ich kann sie nicht so flach bedauern;

ich würde lieber mit ihr trauern,

könnt ich wie sie mich sanft und klug besiegen

und leidenswillig den Nacken biegen.

Jawohl, wir sind von härterem Holz;

von Eichen bricht man keine Gerten.

Drum wolln wir nicht noch selber uns verhärten;

denn daß wir Mitleid schenken, macht uns stolz.


Er horcht: ein Rauschen stört das Spechtgekletter:

zwei Menschen gehn durch abgefallne Blätter.

[51] 22.

Die Nacht am Horizont gähnt Strahlen,

als wolle der Himmel die Erde verzehren

oder ein neues Gestirn gebären;

zwei Menschen sehn ein Nordlicht prahlen.

Sie stehn auf eisernem Balkone;

sie sehn den Glanz elektrisch zucken,

sich auf und ab ins Dunkel ducken.

Ein Mann sagt schmeichelnd, sagt mit Hohn:


Das, Fürstin, scheint mir recht ein Thron

für deinen neuen Menschensohn.

Ich möcht ganz lange Arme haben:

dann setzt'ich dich mit deinem blinden Knaben

[52] dort auf die herrlichste Flackersträhne.

Ich seh ihn, wie er deine Mähne

schwarzstrahlig durch den Weltraum spannt,

hoch über allen Sinn und Verstand.

Du hast doch gar zu wüstes Haar;

für eine Mutter sonderbar!


Dem Weib zucken die Augenbrauen;

wo die schwarzen Bogen sich spalten,

zittern zwei kleine quere Falten,

wie ein zerbrochenes Kreuz zu schauen.

Sie sagt verhalten:


Du zielst fehl auf mein Mutterherz,

Dir lacht es selbst beim bittersten Scherz.

Ich gebe Nichts an mein Kind verloren.

Ich fühle nicht: dies Kind ist Mein.

Ich fühl: ich hab einen Menschen geboren

zu seiner eigenen Lust und Pein!

Ich geb ihm meinen Glückwunsch blos!

und trage noch manchen Wunsch im Schooß!

Weib sein ist doch das herrlichste Loos!


Ihr dunkler Blick hat sich gefeuchtet.

Der Mann streicht ihr wild Haar versonnen

glatt wie zum Scheitel der Madonnen.

Zwei Menschen sehn die Nacht erleuchtet.

[53] 23.

Kaminfeuer und Morgenrotschimmer

schmücken ein hohes Damenzimmer.

Ein Weib erhebt aus meergrüner Seide

ihre nackten Arme beide

vor einem Mann breit in die Luft

und lacht, umschwebt von Mandelduft:


Ich glaub, ich bin noch immer schön;

mein Kind hat mir nichts weggenommen.

Und hättst mich eben baden sehn,

du wärst mit mir gen Himmel geschwommen!

Was stehst denn wieder wie im Schlaf?

Oh Lux, was bist du für ein – Schaf!


[54] Er lächelt eigen, sie merkt es nicht:

er senkt, scheinbar grübelnd, sein scharfes Gesicht.

Sein Fuß streichelt ein Eisbärfell.

Er fragt halbhell:


Schönheit? – das ist mir nichts als Hülle

um irgend eine Liebreizfülle.

Der Reiz zur Liebe und zum Leben,

wenn den die Reize einer Gestalt

mir wie aus Eigner Seele eingeben,

dann bin ich – schön in ihrer Gewalt;

sonst sind sie angeflogne Schäume,

Nachwehen toter Künstlerträume.

Du würdest ja Raffael nicht entzücken:

du bist zu kriegrisch ins Kraut geschossen.

Deine dunkle Haut ist voll Sommersprossen.

Dein Pferdshaar, dein herrischer Nasenrücken

taugen zu keiner klassischen Ode;

und dein klassisch Kinn ist garnit mehr Mode.

Aber – jetzt will ich die Augen zudrücken,

will nichts mehr fühlen als deinen Bann,

nichts küssen als deine Wildkatzenstirne;

und wärst du die durchtriebenste Dirne,

du wirst mir eine Heilige dann –


Prüfend blicken zwei Seelen einander an.

[55] 24.

Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen;

sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen,

wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald

das Eis der fernen Seeen knallt.

Dann scheinen tiefer noch gesenkt

die dunkeln, weißgesäumten Äste,

um die das Frühlicht machtlos hängt.

Ein Mann spricht mit ergriffner Geste:


Das ist wie eine Versammlung von Greisen

um ein fremdes Täuflingsbette.

Keiner rührt mit seinen weisen

Händen an die Schicksalskette.


[56] Sie lassen stumm das Unverwandte

zwischen ihren Seelen schweben.

Sie segnen fromm das Unbekannte:

es wehrt dem Überdruß am Leben.

Sie schenken jedem Morgengrauen

ohne Anspruch ihr Vertrauen.


Durch den schwer beladenen Wald

geht auf einmal ein Schattenwanken;

von den Zweigen, die noch schwanken,

fällt der Schnee, zu Schlacken geballt.

Über ein Weib kommt ein Gedanke:


Lukas, du sollst dich nicht verstellen!

Wenn unter diesen starren Bäumen,

so oft der Eisschreck draußen schallt,

Echos wie aus schweren Träumen

In mein warmes Leben kalt

diesen Todesschauer bellen,

daß wir unser Glück versäumen –

dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten

Bildern mich zu prüfen trachten,

dann sollst du mit mir fühlen und denken:

wir wollen Nichts und Nichts dem Schicksal schenken!


Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen.

Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen.

[57] 25.

Jeder Hauch stockt. Auf den Mooren

steht der Nebel wie angefroren,

ob auch fern der Himmel loht;

zwei Menschen schaun ins Abendrot.

Einsam hebt ein Birkenstämmchen

aus dem bleichen Rauch sein Reisig;

in der Spitze zaudert eisig

noch ein Blättchen wie ein Flämmchen.

Und ein Weib bemerkt verloren:


Das steht nun da wie'n Waisenkind,

das weder Vater noch Mutter kennt,

von aller Heimat abgetrennt;


[58] Stiefmutter Sonne stellt sich blind.

Und ob auch fern der Himmel brennt,

es sehnt sich nicht, es rührt sich kaum,

leidlos wie der Geist im Raum.


Jeder Hauch stockt, sie erschrickt:

von dem kahlen Birkenstämmchen

ist das letzte Blatt geknickt.

Zaudernd sinkt das fahle Flämmchen

in das rauchverhüllte Land.

Und ein Mann hebt Haupt und Hand:


Lea, du sollst dich nicht verstecken!

Ich seh aus deinem tiefen Schrecken,

wie dich der leere Raum bedrückt.

So will's der Geist; wenn nur drei Birken

das Grauen der Unendlichkeit bezirken,

dann ist das Auge schon beglückt.

Er will und kann nicht einsam sein:

er lebt davon, sich umzuschauen.

Drum sinne nicht zuviel in dich hinein!

Denn eine tiefe Unlust schläft im Grauen.


Jeder Hauch stockt. Rot und stumm

starrt der Himmel wie eingefroren

durch den Nebel auf den Mooren.

Zwei Menschen kehren langsam um.

[59] 26.

Über altersgrauen offnen Folianten,

zwischen Schränken mit verstaubten Kanten,

rostigen Waffen, bunten Wappenschildern,

blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern,

hängt ein goldner Streifen Licht.

Sonnenstäubchen schweifen dicht

um das Schnitzwerk hoher Stühle;

kommen noch dichter ins Gewühle,

denn ein Mann berührt ein Weib und spricht:


Das hab ich mir als Kind beim Klettern

im grünen Forst nicht träumen lassen,

daß ich in diesen vergilbten Blättern

[60] einst suchen würde Boden zu fassen.

Es ist für dich geweihter Boden,

als wär ein uralter Wipfel zu lichten;

ich seh nur tote Wurzelschichten,

kaum noch wert sie auszuroden.

Wie zur Erinnerung blüht da matt

noch manch Blaublümlein Ehrenpreis;

aber der morsche Stammbaum hat

als letzten Sproß ein blindes Reis.


Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken

der Sonnenstäubchen stieben wie trunken.

Denn das Weib umschlingt ihn leis:


Drücken dich wieder die blauen Schuh?

Was mußt denn gleich so quer immer denken!

Du mußt dich liebender versenken

in diese stillen Dinge, du!

Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu;

und gelt? das willst doch offen sehn.

Ich soll mich dir doch blos gestehn!

Ich wollt auch – wollt dir längst schon sagen:

mein Kind, Lux – Nein: ich wollt dich fragen:

ich möcht dein Töchterchen mal sehn!


Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden.

Zwei Menschen müssen den Blick abwenden.

[61] 27.

Unter taktvoll schreitenden Kostümen,

die den Rausch vergangener Zeiten rühmen,

überschaut ein Weib ein nächtlich Fest.

Weiß verschleiert Haar und Ohr und Wange,

vor der Stirn die goldne Isis-Spange,

steht sie groß in starrem Asbest.

Fast so groß wie jener Mann,

der aus dunkler Magier-Augenbinde

um sich blickt wie auf Gesinde.

Und sie naht sich ihm und rührt ihn an:


Zaubrer – du kennst die Schlange, und kennst den Drachen,

die sich am Weg der Liebe auf Erden bewachen.


[62] Ich kenn eine Mutter in einer Not;

die streckt allnächtlich zum Tag die dunkeln Hände,

daß er ein Schicksal von ihrem Herzen abwende,

mit dem ihr blindes Kind sie bedroht.

Soll sie mit Augen der Schlange ihr Nest behüten?

soll sie den Drachen bitten, es zu bebrüten?


Hell beginnt der wimmelnde Saal zu klingen,

taktvoll läßt der Schwarm der Kostüme sich leiten,

bis sie sich rauschend zu Paaren in Kreisen schwingen,

die der Magier und das Weib umschreiten:


Göttin, ich kenne die Schlange, und kenn auch den Drachen,

die sich am Weg der Liebe gen Himmel bewachen –

und kenn eine Mutter in andern Nöten;

die würde mit ihren blassen Händen

ihr Kind, ihr sehendes, lieber noch heute töten

als je ihr Herz von ihrer Brut abwenden.

Mutter Isis, begreif deine Erde freier!

horch: dein Magier lüftet den Gäa-Schleier!

Sie träumt seit je das Ungeheuerliche,

Unwirkliche, höchst Abenteuerliche;

doch was er wirkt, der Traum, ist das Gewöhnliche,

und was er birgt, das tiefst Versöhnliche.


Er unterbricht ihr einsam Gewander;

zwei Menschen tanzen mit einander.

[63] 28.

Es schwebt ein Klingen übers Eis,

wie ferne Frühlingsstimmen leis.

Blaß starrt der See. Auf blitzenden Eisen

fassen sich, fliehn sich zwei Menschen und kreisen.

Jetzt kommt der Mann in scharfem Bogen

vor das Weib herumgeflogen

und faßt sie fester und bäumt im Sprung:


Halt! – Gelt, Frau Fürstin, das wär ohne Schwung:

vom Schlittschuhlaufen zum Strümpfestopfen,

vom Radfahren zum Steineklopfen,

das wär doch gar zu harte Bahn?

Ja, du: ich lief durch manchen Wahn,

[64] als mich das Jugendblut noch trieb,

mit offner Hand an jedes Herz zu stürzen,

bis mir am eignen Herd nichts übrig blieb

als wenig Fleisch mit viel Gewürzen.

Zwar, mir ist Mancher zugetan,

so in der Welt, der wohl was opfern würde,

beehrt'ich ihn mit dieser Bürde;

aber – – Er läßt sich rückwärts kreisen.


Blaß starrt der See. Sie folgt. Die Eisen

blitzen schriller übers Eis.

Sicher folgt und fragt sie leis:


Und wenn's für dich nun keine Bürde wäre,

Steine für deine arme Herrin zu klopfen?

Und wenn's für mich nun eine Würde wäre,

Strümpfe für meinen reichen Herrn zu stopfen?

Und wenn ich wähnte: das ist kein Wahn,

so ganz bin ich dir zugetan –

und bin dir auch ganz aufgetan –


Sie schreit wild: Lukas! – Ein Knall, ein Sprung,

hoch hat der Mann sie an sich gerissen.

Es donnert unter ihren Füßen,

es klafft. Er bäumt mit ihr im Schwung.

Es ist nur ein ganz schmaler Spalt.

Zwei Menschen lachen, daß es schallt.

[65] 29.

Nun scheinen selbst die Blumengewinde

der indischen Kissen voll Frühlingssehnen;

am Fenster schmilzt die letzte blinde

Eisblume unter hellen Tränen.

Ein Mann sieht die barocken Ranken

mehr und mehr durchsichtig schimmern,

gleißend Gold in Silber flimmern;

er sitzt in drückenden Gedanken.

Er senkt noch tiefer Stirn und Ohr:

er hat ein Weib am Herzen liegen,

mit Augen, die zur Sonne fliegen.

Sie flüstert, glüht an ihm empor:

[66] Und heb mich wieder so herrlich hoch,

und trag mich fort, o trag mich fort!

Und wären die Berge noch so hoch,

ich will dir folgen an jeden Ort;

ich will dir Alles, Alles hingeben!

Verkauf mein letztes bißchen Schmuck,

nimm mir mein Eigenstes, nimm mir's Leben;

nur fort, nur fort aus diesem Druck!

Und wenn wir's bis zum Bettelstab bringen,

und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken,

dann wird's wohl überall noch gelingen,

eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen

und den nächsten Wald in Brand zu stecken;

und selig will ich mit Dir zusammen

wie eine Hindufrau stehn und flammen!


Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht.

Sie hebt das Haupt – sie sieht ein Gesicht

heiß von bebenden Narben zerrissen;

das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen

mit dem Ausdruck eines Steins,

der zerspringen will, und spricht


mühsam: Und dein Kind? – Und – meins? –


Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß;

zwei Menschen weinen fassungslos.

[67] 30.

Der Himmel scheint blutunterlaufen.

Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn

die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn;

die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen.

Ein Weib lehnt an der Fensterborte,

düster, wie aus Erz gebaut.

Der Glanz macht ihre braune Haut

glühender als eine Braut.

So hört sie eines Mannes Worte:


Dein Herr Gemahl? Nein: des ist nicht im Wege.

Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten.

Und träf'er mich in seinem Gehege,

[68] ich würd' ihn mir sehr höflich betrachten:

Hoheit, Sie dürfen mich verachten.

Sie dürfen, wenn Sie's wagen, mich töten.

Ich würde vielleicht sogar vor ihm erröten;

das ist ein Vorgang der Natur,

mein Körper ist arg tierisch. Nur:

mein Geist ist über meinen Nöten! –

Ja, Lea: begreifst du, was das heißt:

ich will getrieben sein vom Geist!?

Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen

und nichts mehr wissen will als seine Triebe,

dann offenbart sich ihm das weise Wesen

verliebter Torheit: die große Liebe.

Du bist noch nicht so zwecklos mein:

du willst noch mich, ich soll noch dich befrein.

Dies blinde Kind aus fremden Lenden,

es scheint uns immer zuzuschauen,

ob wir nicht sein Vertrauen schänden.

Und siehst du: Das – jawohl – das macht mir Grauen!


Er bebt; er zerrt an seinem Bart.

Das braune Weib wird bleich, wird rot.

Dann sagt sie leise, mühsam, hart:


Das Kind, vor dem dir graut, ist tot –


Zwei Menschen schweigen wie erstarrt.

[69] 31.

Der Mond bescheint ein steinernes Portal,

durch kahle Zweige eine feuchte Schwelle.

Die Zweige leuchten wie aus Stahl.

Zwei Menschen stehn in einer Grabkapelle.

Der Mond legt Schatten auf ein totes Kind;

nur seine beiden offnen Augen glänzen.

Sie glänzen wie die Blumen aus den Kränzen,

bleich und blind.

Sie glänzen bleicher als der Vollmondschein.

Ein Weib höhnt in die Nacht hinein:


Ich hatt ein Kind, und nicht von Dir,

ich steh in Freiheit neben dir;

[70] ich bin erlöst, wenn Du, wenn Du es bist!

Ich bin die Fürstin Isabella Lea,

die auf dem Weg der Liebe gen Himmel ist –

ich, Mutter Isis, Mutter Gäa,

die willig ihre eignen Kinder frißt,

der irdischen Gerechtigkeit entrückt.

Ist nun mein Gott, mein Lucifer, beglückt??


Sie wankt; sie hat die Augen zugedrückt.

Ein Mann legt ihr die Hand auf Stirn und Haare.

Er spricht – sein Blick verschlingt die dunkle Bahre:


Das Kind, das du getötet hast,

war meiner Seele nicht die Last

auf unsrer Wallfahrt zu der Freiheit,

die Einheit schafft aus aller Zweiheit.

Aber du hast mich tief verwandelt;

du hast für mich aus einem Geist gehandelt,

der nichts mehr will als klar am Ziele ruhn –

Komm! – denn ich weiß jetzt: du kannst schweigen.

Ich habe Manches in der Welt zu tun,

Lea! und Das – nun ja, das wird sich zeigen.

Im übrigen, Madam: es wohnen

noch Krüppel genug auf Fürstenthronen!


Er küßt ihr Stirn und Augen, wie zur Weihe.

Zwei Menschen wenden sich ins Freie.

[71] 32.

Hellblauer Himmel mit weißen Streifen

läßt alle Saatfelder grüner prangen.

Und den Bäumen am Wege muß wohl ein Bangen

vor den mächtigen Roßschweifen

des Windes durch die Knospen wehen:

sie zittern. Aber zwei Menschen gehen

ruhig einen Wiesenrain hinan.

Einem Weibe erwidert ein Mann:


Mein Töchterchen? – Hm – sonderbar:

sie sagte – sie meinte wohl dein Auge und Haar –:

du siehst ganz schwarz aus, ganz schwarz und heiß,

aber inwendig seist du wohl weiß.


[72] Nun stehst du wieder, wie zur Erstarrung geneigt.

Lea! sieh um dich! Sieh, wie alles sich ändert:

wie jeder Baum sein Wachstum klarer zeigt,

wie's lichtbegehrlich aus Spitze an Spitze spritzt,

wie er das Eine, das alle zackt und rändert,

mit eigner Perlschrift trotzig ins Freie ritzt!

Dann preist dir jedes Hälmchen im Feld

den Geist der körperlichen Welt.

Dann sagt dir jeder Lebenshauch:

wie du dich giebst, so bist du auch!


Er stutzt: Sie lächelt ins Blaue hinein.

Sie steigt still über den Wiesenrain.

Sie bricht sich einen Knospenzweig ab.

Sie hebt ihn wie einen Zauberstab:


Wenn ich nun aber nach jenen Wolken weise,

die unter der Sonne den Abendhimmel streifen,

und nun im Geist nach Morgenländern reise,

dann mögen sie noch so eigen anders schweifen,

die ganze Landschaft versichert mir:

wie du mich nimmst, so bin ich dir!


Sie stutzt: Er weist still über die Wiesen:

die sehn noch aus wie abgeweidet.

Die Wolken werfen Schatten wie Riesen.

Zwei Menschen merken, was sie scheidet.

[73] 33.

Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;

bis in den Wald herüber klingt es leise.

Hell vor sich hin erwiedert eine Meise:

ich fühl's, ich fühl's, wie lieb, wie lieb sie's meint.

Die Finken sind verstummt: ein Rappe schnaubt

und schüttelt sein Geschirr. Zwei Menschen streichen

dem edlen Tier die dampfend heißen Weichen.

Nun reckt das Weib ihr dunkles Haupt:


Als du vorhin so kerzengrad anhieltest,

fiel mir ein Traum ein, der mir gestern träumte.

Es war, als ob du fern die Laute spieltest;

ich stand am Meer, in dem die Nacht noch säumte.


[74] Da kam, auftauchend mit dem Morgenrot,

gerudert von zwölf tiefgebückten Herren,

die Kronen trugen, ein gewaltiges Boot;

ich sah die Herren wie an Ketten zerren.

Am Steuer aber, über ihnen, frei,

stand Einer, der war nackt, und glänzte. Und –


sie stockt: der Rappe, zitternd, stampft den Grund,

sie zittert mit – sie hören auf zu streichen,

der Mann nimmt ihr das Wort vom Mund:


Und Er, der Glänzende, gab dir ein Zeichen

und kam mit seinem Lautenspiel herbei.

Und Du, du mußtest ihm die Hände reichen

und folgtest ihm und seiner Melodei.

Und wenn du staunst, wieso ich alldas weiß,

dann staune auch, wieso dies Tier mitbebte,

als meine Seele so in deiner lebte,

wie seine Haut in unsrer Hand so heiß.

Und staune, Seele, was dich so beschwingt,

daß du die Meise zwitschern hörst: ich bin's!

und was dich lerchengleich zu jubeln zwingt!

und wie's dich wieder wie als Kind durchdringt,

das Glück folgsamen Eigensinns!


Die Lerchen jubeln, daß die Sonne scheint;

zwei Menschen ahnen, was sie eint.

[75] 34.

Fern in jungen Birken spielt der Wind,

scheint das scheue Frührot anzuschüren.

Von der zarten Glut umglänzt beginnt

eine Mühle sich zu rühren;

rosig schauert das grüne Feld.

Wo der altersgraue Park sich lichtet,

unweit einer Grabkapelle,

grüßt ein Weib ins Freie, Helle,

blitzt ein Stahlrad auf, blitzt und hält,

schwenkt ein Mann die Rechte, heiß hochgerichtet:


Frühling! – endlich! – wie drängt das, mitzutun!

Mir war, als müßt ich über dies Saatenmeer

[76] mit meinen blauen Segeltuchschuhn

wie die Schwalben hin und her!

Und dann so schweben: fliegende Blicke werfen!

Wie alle Sinne sich an einander schärfen!

Man wird bis in die volle Brust

seiner Gotteskraft bewußt,

und selbst aus Grabesfinsternissen

lacht es: All Heil, Welt! dies neue Gewissen.


Funkelnd streift sein Grußblick die Kapelle.

Aber da, statt mitzugrüßen,

bebt das Weib empor, Zorntränen quellen:


Ich weiß nur Eins, und geb's auch Dir zu wissen:

mir lacht dein Weltall gar zu bunt!

mir ist mein Herz, hier dies mein Herz, zerrissen,

und wär so gern, o Gott wie gern, gesund!

Und quälte das Deinen Gott auch nur zum Teilchen

wie Mich, du küßtest dir die Lippen wund

und heiltest, heiltest mich! Ja nick nur! Und –

ach, Lukas, sieh: das erste Veilchen!


Sie steht auf einmal ganz beglückt,

daß er, entzückt, sich bückt, es pflückt,

es ihr an Herz und Lippen drückt

und wie ein Junge lacht dazu.

Zwei Menschen lassen Gott in Ruh.

[77] 35.

Durch offne Fenster, lautlos, glänzt die Nacht.

Es regt sich nur das Licht der tausend Sterne.

Und Frühlingshauch. Und dunkelblaue Ferne.

Und manchmal eine Fledermaus auf Jagd.

Und Atemzüge, unterdrückt und schwer,

voller Spannung, mehr und mehr.

Jetzt rauscht ein Seidenglanz und bricht den Bann:

ein Weib drängt sich an einen Mann:


Lukas! was liegst du wie vom Alb gedrückt,

als ob du nichts von meinem Dasein fühltest!

Meinst du, mich hat die Zukunft nicht bedrückt,

wenn du mich Tag für Tag für Tag hinhieltest?!


[78] Und jetzt, wo dieser Druck mich fast erstickt –

Du! – Lukas?! – Wenn du – wenn du mit mir spieltest –


Sie schüttelt ihn, ihr Augenglanz wird hart;

er starrt hinein, wie vorher in die Ferne.

Und wieder regt sich nur das Licht der Sterne,

die Jagd der Fledermäuse. Und sie starrt:

sie starrt wie er – will drohn – da wirkt sein Bann:

sie zuckt, sie nickt, sie lacht ihn traumhaft an.

Und traumhaft geht sein Wort ihr zu Gemüt:


Fürstin, ich will nichts halb. Ich will dich sehn,

in ganzer Schönheit, ganzer Häßlichkeit.

Ich will vor dir, du sollst vor mir bestehn,

vom Alb der scheuen Ahnungen befreit;

ich will die nackteste Befreiung.

Wenn dann die Male deiner Mutterwehn

dich nicht dem Gott in meiner Brust verleiden

oder dem Tier in unsern Eingeweiden,

will ich nach so viel Sehnsucht und Kasteiung

nicht wie ein Nachttier mich mit dir vergehn:

ich will mit dir ins Licht der Menschlichkeit!

Sei bereit!


Er küßt sie wach; er drängt sie sanft zurück.

Sie sitzt und sinnt, wie über Raum und Zeit.

Zwei Menschen beten für ihr Glück.

[79] 36.

Und lichter als der lichte Tag im Zimmer

und immer lichter schauert ein Geflimmer

von Kerzen über helle Blumen hin.

Still schwebt um silberblau gestickte Kissen

der Duft des weißen Flieders, der Narzissen.

Und durch die Bläue, durch die Blumen hin

zittert die Luft, als ob sich Herzen rühren:

zwei Menschen stehn – noch tönen still die Türen –

mit Augen, die den Himmel nahe spüren,

entblößt bis zu den Hüften da:

ein Mann mahnt: du! – ein Weib haucht: ja.
Still sinkt ihr Arm von ihren braunen Brüsten,
[80] die Lichter schauern immer schimmernder;
sein Blick erbebt, als ob sie lodern müßten.
Die Blumen atmen immer flimmernder.
Die Sterne an den silberblauen Wänden
erstrahlen wie in keiner Nacht so blank.
Still nestelt sie am Goldband ihrer Lenden;
sein Körper spannt sich unter innern Bränden,
wie eines Kämpfers straff und schlank.
Still schaut sie auf; er muß die Augen schließen.
Still weht ein Flor zu Boden. Er will sehn!
Er sieht nur, wie zwei Augen Licht ergießen,
zwei dunkle Augen, die ihm zugestehn
– still –
was er will.
Er will sie ganz mit seinem Blick erkennen;
er sieht sie ganz nach seinem Blick entbrennen.
Er will nichts mehr als stehn und stehn
und still in ihre Seele sehn.
Er steht und muß die Hände heben,
als blende ihn das ewige Leben;
und dunkel rauscht der Weltraum. Da
mahnt sie ihn: du – da haucht er: ja –
und alles rauscht tief innerlich.
Zwei nackte Menschen einen sich.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Vorgänge: 1.. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/