[1] Vorwort

Keine Furcht! ich will nicht etwa, nach Art der Kasperle-Poeten vor den Jahrmarktbuden, hier den Ausrufer machen und erklären, was der Sinn des Buches »nämlich« sein soll. Ueber sein Innerstes Nichts, höchstens die Eine Bitte: diese Seelenwandlung zu lesen als die Geschichte einer Jugend, eben nicht blos als ein Bändchen von Gedichten zu durchblättern! –

Ein mehr Aeußerliches ist es, worüber ich mich kurz erklären will: die Abweichung von dem alten widersinnigen Brauche, jede Verszeile mit großer Letter anzubrechen, und die mancherlei Stellen in Sperrschrift. Es herrschen Vorurteile gegen solche Auffälligkeiten; man wittert poetische Schwächen dahinter oder – poetische Eitelkeit. Aber man vergesse nicht: die Druckschrift hat doch nur den Zweck, die lebendige Sprache zu ersetzen. Je rascher das gelesene Wort die Vorstellung des gehörten erweckt, umso besser ist der Zweck erfüllt. Daher alle Regeln der Rechtschreibung, daher die Interpunktionen und all die andern Erleichterungen dieses Verkehrs zwischen Auge und innerem Ohr. Und grade der Versdichter, der seinebannenden Wirkungen eben den verborgenen Sinnlichkeiten der lebendigen Sprache ablauscht, sollte kein mögliches Mittel verschmähen, durch das er sein gedrucktes Wort so schnell, eindringlich und fließend, als wenn er selbst es sprechen würde, dem Leser zu Gemüte führen kann. Zumal Dem, der laut liest, wird damit gedient sein; und erst der laut gelesene Vers führt in die Tiefen des Urteils wie des Genusses! –

Freilich wird es immer Stellen geben, wo all das Mannigfaltige an Stimmung und Empfindung, das der Dichter in Einer Wendung, Einem Bilde, Einer lautlichen Verknüpfung durch seine Kunst zusammenklingen läßt, den Hörer je nach seiner Sonderart zu Widersprüchen gegen Vortrag und betonendes Gefühl des Künstlers reizen würde. Aber eben Da hat Dieser umso mehr das Recht und vielleicht ein wenig gar die Pflicht, gleichsam als ein treuer Eckart seiner eigenen, in Lust und Schmerzen geborenen Kinder zärtlich den Finger zu heben und der unholden Welt still seinen schützenden Willen zu weisen. Und dem Leser bleibt ja unbenommen, sich nicht daran zu kehren. Wo aber etwa Unzulänglichkeit zu solchen Mitteln greift als Krücken der rhythmischen Ohnmacht, wird sie gradedurch die Krücken erst recht ins Auge springen.

R.D.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Erlösungen. Vorwort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/