Theodor Däubler
Das Nordlicht
Florentiner Ausgabe

Erster Theil. Das Mittelmeer

Prolog
[Es sind die Sonnen und Planeten, alle]
Es sind die Sonnen und Planeten, alle,
Die hehren Lebensspender in der Welt,
Die Liebeslichter in der Tempelhalle
Der Gottheit, die sie aus dem Herzen schwellt.
Nur Liebe sind sie, tief zur Kraft gedichtet,
Ihr Lichtruf ist urmächtig angespannt,
Er ist als Lebensschwall ins All gerichtet,
Was er erreicht, ist an den Tag gebannt!
Ein Liebesband hält die Natur verkettet;
Die Ätherschwelle wie der Feuerstern,
Die ganze Welt, die sich ins Dunkel bettet,
Er sehnt in sich den gleichen Ruhekern.
Durch Sonnenliebe wird die Nackt gelichtet,
Durch Glut und Glück belebt sich der Planet,
Die Starre wird durch einen Brand vernichtet,
Vom Meer ein Liebeswind verweht.
Wo sich die Eigenkraft als Stern entzündet,
Wird Leben auch sofort entflammt,
Und wenn die Welt sich im Geschöpf ergründet,
So weiß das Leid, daß es dem Glück entstammt.
So muß die Erde uns mit Lust gebaren,
Und wird auch unser Sein vom Tag geschweißt,
Können doch Sterne uns vom Grund belehren
Und sagen, daß kein Liebesband zerreißt.
Wir sehn das Leben uns die Jugend rauben,
Es ängstigt uns das Alter und der Tod,
Drum wollen wir an einen Anfang glauben
Und schwören auf ein ewiges Urgebot.
[3]
Doch ist die Ruhe blos ihr Ruheleben,
Nichts ist verschieden, was sich anders zeige;
Und vollerfüllt ist selbst der Geister Beben,
Ja, alles die Natur, die sprechend schweigt!
Beständigkeit ist der Gewinn der Starre,
Doch es ereilt, zermürbt sie Ätherwuth,
Und blos der Geist ist da, daß er beharre,
Da er als Licht auf seiner Schnelle ruht.
Es sucht die Welt zwar immerfort zu dauern
Und sie umrundet drum den eigenen Kern,
Sie kann zum Schutz sich selber rings umkauern,
Doch ist ihr Wunsch nicht ewig, sondern fern.
Es mag die Welt das Weiteste verbinden,
Der Geist jedoch, der aus sich selber drangt,
Kann solche Riesenkreise um sich winden,
Daß überall sein Wirken sich verschenkt.
So sind die Welten immerfort entstanden,
Doch da sich Ewiges jedem Fiel entreißt,
Entlösten Sterne sich von Sternesbanden,
Was die Unendlichkeit im Sein beweist!
Ja Liebe, Liebe will sich Welten schaffen,
Blos Liebe ohne Zweck und ohne Ziel,
Stets gleich, will sie stets anders sich entraffen,
Und jung, zu jung, bleibt drum ihr ewiges Spiel.
Denn glühte durch das All ein Schöpferwollen,
So hätte Eine Welt sich aufgebaut,
Und traumlos würden Geister heller Schollen,
Im klaren Sein, von ihrem Dunkelgrund durchgraut.
[4]
[Ich sah einmal in einen Regenbogen]
Ich sah einmal in einen Regenbogen,
Er schien mir aller Stürme stilles Thor,
Dann ward ein Karren plötzlich durchgezogen,
Es zerrten Büffel ihn stets weiter vor.
Es gingen diese Thiere selbst des Weges,
Längst hatte sie der Mensch für sich betäubt,
– Es hieß das noch etwas, – wers kann, erwäges –:
Ich sah hinweg, ins Licht, das nie zerstäubt!
Oh weiße Sonne, Deine goldenen Strahlen
Berauschen und erwecken meinen Geist,
Du bist die Arbeit, und mit heiligen Qualen
Trifft Dein Gebot mich, wenn das Herz vereist.
Was Du bedeutest, Sonne, ist der Seele,
Auf dieser Welt, am innigsten verwandt,
Es ist, als ob die Glut den Kern entschäle,
Denn mein Erbarmen gibt mir selbst Bestand.
Ich bin so blos wie Du, geliebte Sonne,
Und wo ich nackt bin, herrschst Du über mich,
Und folg ich Dir, so ist das reinste Wonne,
Denn Dein Gebot ist mir ganz wesentlich.
Ja, meine Freiheit sind die Weltgesetze,
Der Geist ist Überkraft ihres Vereins,
Dort bin ich tief wie ungehobene Schätze,
Ein Theil des allerjüngsten Eigenseins.
Es kann mein Geist entsetzlich sich ereifern,
Denn alles, was in ihm sich selbst bestimmt,
Wird durch die Schatten, die ihn blaß umgeifern,
Da sie veraltern und zergehn, ergrimmt.
[5]
In mir erglimmt die allerreinste Weiße,
Ein Licht, das mich in Sonnentreffen ruft!
Es klirrt beinah: »Was Dich beengt, zerreiße!«
»Ihr Urlichttiefen, schützt, was Ihr erschuft!«
Ich habe jetzt die Welt in mir empfunden
Und langsam überdenk ich, was geschah;
Ich konnte mich, mir selber, klar bekunden,
Ich war als Schöpfer mir Geschöpf ganz nah!
Jetzt weiß ich auch vom Grund der Himmelsdinge,
Die Erde trägt im Kern ihr Sonngebot,
Befiehlt das Licht es, sprengt sie Felsenringe,
Und was verstumpfte zeigt sich goldumloht!
Versucht die Schöpfung in den Raum zu drängen,
Denn zeitlich faßt ihr nicht das WeltenEi.
Und wißt, wo Sterne in einander hängen,
Erkennt das Urlicht sich und schöpft uns frei.
Wo sich die erste Weltenweiße spaltet
Und plötzlich in ihr Urereigniß tritt,
Erscheint der Tag, den sie geheim verwaltet,
Und rollt sein Schweigen in die Sphären mit.
Die Sonne wahrt ihr Wesen stets am hehrsten
Und hat es still der Erde anvertraut,
Die schimmert nun am Pol, wo sie im Leersten
Der Einheit helles Urgebot erschaut.
Der weiße Erdenkelch, der dort ersprossen,
Beweist der Welt, daß der Beschluß
Der Dinge, die sich tief in sich ergossen,
Sich unabwendlich ernst ereignen muß.
[6]
Wie es vom Licht die Erde überkommen,
So hegt sie ihr Geschick im eigenen Kern,
Und ist im Menschen das Vertraun verglommen,
Wird sie sofort ein goldener Rachestern.
Auf unserer Freiheit, unserm Innerlichte,
Beruht der Erde stille Schaffensglut,
Doch furchtbar geht die Sonne zu Gerichte,
Beherrscht sie nicht ein geistiger Erdtribut.
[7]
[Die Erde treibt im Norden tausend blaue Feuerblüthen]
Die Erde treibt im Norden tausend blaue Feuerblüthen
Und übermittelt ihren Sehnsuchtstraum der Nacht,
Drum soll der Mensch auch seinen Flammenkelch behüten,
Wenn er, durch ihn belebt und lichterfüllt, erwacht.
Fürwahr, es sind die Gluthanschürer Gärtnerschaaren
Von einer langbegrabenen, auferstandenen Pracht,
Versteinte Wälder wollen sich uns offenbaren
Und Pilger holen sie aus finsterem Erdenschacht.
Ja, Pilger graben, wühlen sich stets mehr hinunter,
Stets tiefer in der Erdenmutter dunkles Heiligtum;
Ihr Herzschlag, ihr Gehämmerwerk, erhält sie munter,
Asketen aber sind sie zu des Urlichts Ruhm.
Auf ihrer Freiheit, ihrer Glutenkernesnähe
Beruht und tagt das ganze Dasein dieser Welt,
Sie sorgen, daß das Totgeglaubte auferstehe,
Durch sie wird jede Nacht vom Nordlichte erhellt.
So wandeln wir in wunderbaren Flammengärten,
Es thürmen Feuerlauben sich ins Grau empor,
Die fernen Drachen wurden freundliche Gefährten
Und schimmern still vor meines Weibes sicherm Thor.
Ihr Grubenarbeiter, Ergrübler freier Wunder,
Vertraut dem Irrlicht nicht, das listig Euch umschwirrt
Bleibt unbeirrte, biedere Erdenherzerkunder,
Seid Eurer eigenen Willensthiere ernster Hirt.
Der Sonne könnt ihr blos im Erdenschooße nahen,
Dort unten stoßt ihr auf den Sinn von dieser Welt,
Und auch das Licht der Dinge, die noch nie geschahen,
Wird grundbestimmt durch Euch in uns hervorgeschwellt.
[8]
[Fürwahr, ich habe Tropenwälder schon im Traume]
Fürwahr, ich habe Tropenwälder schon im Traume,
Als Nord und Südlicht, wunderbar erblühn gesehn,
Ich fühlte Morgenröthen rings im Mittagsraume
Aus unserer Erde plötzlich kindlichrein entstehn.
Ich faßte mich und nahte manchem jungen Manne
Und lauschte gern auf seines Wesens Wirkungslied;
Ich fand ihn ganz allein und doch im Urlichtbanne,
Und sah, wie er den Kern von alten Schaalen schied.
Es schienen lauter Hände mir fast Urwaldfächer,
Ja Knospen gar, aus denen Blüthen aufgezuckt;
Und schon ihr Daseinsrausch durchsprühte Scheibendächer
Und hat mit Flammenzungen Düsterzeit verschluckt.
In Riesentreibhäusern sind die verschwundenen Wälder,
Als grüne Flämmchen und als Blüthenschein erwacht,
Der Dampf gemahnte an die heißen Nebelfelder
Von einer tiefvergrauten fernen Lebenspracht.
Und jeder Jüngling hütete die eigene Blüthe;
Sowie er kam, entzuckte sie aus seiner Hand,
Aus jedem Wirten glühte aller Kerne Güte,
Doch gleich verglomm der Glanz, sobald sein Gärtner schwand.
Mit Feuerschwertern ward die Starre aufgerieben,
Mit Samenpfeilen selbst das Eisen kühn erweicht,
Sein Blut aus seinem Wesensgrund emporgetrieben,
Die ganze kalte Weiblichkeit vom Geist geaicht.
In die Natur sind lauter Kolben vorgestoßen,
Die Walzen und die Nacken haben rings geschwitzt,
Aus Allem wühlte sich die Sehnsucht nach dem Großen,
Ein Urgewitter hat in Menschenhut geblitzt.
[9]
[Nun seh ich Menschen, von der Erde selbst gehoben]
Nun seh ich Menschen, von der Erde selbst gehoben,
Zu ihrem Werke, wie zu einem Feste, gehn,
Und Tropenwälder, in ihr Wirken eingewoben,
In freier Sonnenluft auf unserer Erde stehn.
Nun sind sie schon der Flammenforst der Menschenseele,
Die Einheit, die sich aus der Wechselschalung samt,
Ein ganzes Weltgewitter lebender Befehle,
Das Schweigen, das uns strahlend an uns selber mahnt.
Ich sehe einen Meteor in Menschenhänden
Sich wunderfältig bilden und dem Geist entfliehn,
Ich staune nun vor lauter Feuerbränden
Und sehe zitternd einen Stern nach Norden ziehn.
Das ist ein Eisenleib, ich kann ihn klar erkennen,
Ein Werk, das in sich selbst das Erdenlicht verschließt,
Es will sich stolz von seinem Ursprungsfeuer trennen,
Oh seht, wie kühn es sich in Fremdheiten ergießt.
Jetzt träum ich nicht, die Gluthen werden blasser!
Das ist ein Riesenschiff, das kühn vom Stapel läuft;
Nun zieht es heim. Sein Wesen kennt das Wasser.
Es wird von tausend Küssen schäumend überhäuft.
Es eilt das Schiff durch seine selbstbewegten Wogen
Und flieht das Land, voll Freude an der Flut,
Doch dann bedenkt es sich und dreht in kurzem Bogen
Rasch um und weiß sich in des Meeres Hut.
Es scheint mir so ein Eisenleib eine Verheißung
Von einer geistgelenkten Meteorenwelt,
Von einer langerwägten, plötzlichen Entreißung
Der fleischgewordenen Seele, die sich lichtwärts schnellt.
[10]
[Auch ich will wandern, immer weiter heimwärts schreiten]
Auch ich will wandern, immer weiter heimwärts schreiten,
Mein Geist wird sich im Eis von seiner Furcht befrein,
Um meinen Leib ein blonder Süden hold sich weiten,
Das Meer in meiner Seele eine Thräne sein.
Die Einsamkeit umfange mich wie eigene Flügel,
Selbst die Verzweiflung ist für mich ein kühler Wind.
Schon weiten sich ringsum der Sehnsucht goldene Hügel,
Ein fremdes Erdenglück umlächelt mich gelind.
Das ist ein Wandern, ach, ein schweres, tiefes Wandern,
Zu viele Gletscher sind bereits in mir erstarrt,
Ich bin ein Hafen, voll von sturmgepeitschten Landern,
Doch für mich selbst sind meine eigenen Pförtner hart.
Hinweg, erschallt es, fort von deinen stillen Seen,
Hinweg von deinem stahlkalten Verstand, hinweg!
Hinweg aus Buchten, wo sich Segel windlos drehen!
Wozu ein Traum an einem urbestimmten Fleck?
Ich aber schaue fort, mich zwingen stärkere Träume,
Sie bannen mich, – da stehn sie, – sehn mich an, – weh mir! –
Mein armes Ich, mein Leben, das ich stets versäume,
Aus einem Schwindelgrat sträubt sich mein Willensthier.
Ich will, ich darf nicht in die eigene Tiefe blicken,
Sie zieht mich an, sie quält mich, läßt mich nimmer los,
Ich sträube mich, beschwert mit wirklichen Geschicken,
Mein Thier, mein Nacken bleiben steif: – jetzt keinen Stoß!
Das Übel weicht zurück, ich fühl es an den Haaren;
– Was mich erschreckte, war nicht arg, doch ungewöhnt –
Das Schweigen um mich her hat viel von mir erfahren,
Ich werde irgendwo im Mittagslicht verhöhnt.
[11]
[Ich kenne in mir selbst ein Thal, wo alle Bäume]
Ich kenne in mir selbst ein Thal, wo alle Bäume,
In Fliederbleiche, zu einander Grüße wehn,
Wo längsterlebte, starrgewordene Schreckensträume
Wie Gletscher über Wolken in die Tiefe sehn.
Ich liebe dieses Thal, um mich herauszusehnen,
In weißen Schlössern herrscht mein einziger Feind,
Im Weiher spielen seine Kinder mit den Schwänen
Und meine Spötter sind in Lauben laut vereint.
Ich nahe einem hohen, offenen Gartengitter,
Ich möchte mich versöhnen, doch da bellt ein Hund,
Dann eine Meute, rings umschwirrt mich Astgeknitter,
Ich laufe, Jemand ruft: Verfluchter Vagabund!
Das Thal ist lang, unendlich seine Duftalleen,
Ich stürze meinem eigenen Schrecken hilflos nach,
Dann bleib ich, wie ein Hirsch, den man getroffen, stehen,
Ich wittre, – ja, man beißt mich, ach, der argen Schmach!
Ich lebe noch, somit kann ich noch weiter leben,
»Ich bitte!« sprechen Wege höhnisch rings um mich,
Wohin? Um nicht am gelblich gleichen Fleck zu kleben –
Hinweg vom Wahn! Mein Ich, laß endlich mich im Stich!
Es geht, wenn mans vermag, und schließlich kann man helfen,
Ich wandere stiller fort und nahe einer See;
Ich siegte selbst, – hinweg sind alle Märchenelfen, –
Dort unten schweigt der große Freund von meinem Weh.
Das Meer ist grau, doch urgesund und brandet,
Um nicht der Fiebersterne Ruhebett zu sein,
Es ist der Strand von starkem Algenhauch umrandet;
Es schlürft mein Wesen sein Geheimniß lüstern ein!
[12]
[Nun heißt es bauen, Schiffe bauen, Holz behauen]
Nun heißt es bauen, Schiffe bauen, Holz behauen,
Sich Segel liefern lassen, Bretter hobeln, leimen;
Auch Abends wirken; – furchtlos vor den Dämmerbrauen –,
Des neuen Leibes Rippen ohne Tadel reimen.
Nun muß ich auch zum Daseinsakrobaten werden,
Auf Riesenschleifen nieder und dann aufwärts schnellen,
Das Leben nimmer fürchten, heldisch sein auf Erden,
Verworfen werden, aber nimmermehr zerschellen!
– Den Tod verachten? – Oh, das ist bedeutend schwerer!
Den Denkern glauben? Nebenbuhler, Akrobaten!
Die Dinge selber werden immer mehr die Lehrer,
Was bleibt uns da, als eine Welt naiver Thaten?
Doch alles das bin ich, nicht meine tiefste Flamme,
Verscheucht man mich, so wird sie immer mehr erwarmen,
Ich weiß, daß ich als Geist von altem Adel stamme,
Verhöhn ich mich, so muß sie meiner sich erbarmen!
Ich will das Meer und alle offenen Religionen!
Hinweg von mir, zurück zu meinem hohen Wesen,
Verzehren muß ich mich und gar nichts darf ich schonen,
Doch da ich bin, so heiße es, im Brand genesen.
Geschick! Ein dumpfes Echo unserer toten Heiden.
Vernunft! Ein längst verfahrner, alter Räderkarren.
Der Glaube! Leider oft die Angst vor Glück und Leiden.
Begeistere Dich! So ruft es! Und ich laß mich narren!
Begeistere Dich! erschallt es durch das ganze Leben,
Es ist ein Baum seine Begeisterung, die er meistert,
Du sollst, wie er, mit festen Frühlingsblättern schweben,
Begeistere Dich! Sei schon auf Erden ganz begeistert!
[13]
[Nun schweige Du als Traum; sieh Welten westwärts träumen]
Nun schweige Du als Traum; steh Welten westwärts träumen,
Doch Du geh mit der Erde ihnen ernst entgegen,
Du mußt mit Deinem Kern Dich gegen Sterne bäumen;
Sei friedlich und sei frei auf allen Deinen Wegen!
Mein klarster Strahl, nun sei bereit mit mir zu wandern,
Doch nein, ich folge Dir, Du bist bereits im Osten,
Noch seh ich Dich nicht ganz, Du räthselst noch in andern,
Drum fort, mein Schiff, Du gaukelst schon um Deine Pfosten.
Wir fahren bald den Sternen, Wind und Meer entgegen,
Dann peitscht der Sturm die Träume mir aus meiner Mähne;
Der Wahn wird sich vor meinem Willen niederlegen;
Geschicke mich umblitzen, da ich Macht ersehne!
Sei nicht verzagt, Du suchst die Freiheit jüngster Welten,
Die Erdengluth, die nordwärts strebt, um dort zu dämmern;
Doch zieh nach Süden; laß sie rufen, laß sie schelten,
Laß Du von Deinem Herzen Dir Dein Schicksal hämmern.
Doch gleich ans Werk, – sei ruhig und doch unbesonnen,
Den Abend sieh von toten Tageshelden schwärmen,
Doch Du vollende nie, was Du mit Dir begonnen,
Und reizt das Zwielicht Dich, so magst Du Dich erwärmen!
Sei heiß und heilig, wie die Liebe unserer Erde,
So eisig wie der Sterne strenge Feuerbahnen;
Verbrennt am Tagesgrab man seine Schlachtenspferde,
So mag Dichs an die Nüchternheit des Siegens mahnen.
Doch ruhst Du, ruhe jetzt, – Dich völlig zu begreifen, –
Die Nacht erscheint mit ihren längstdurchlebten Träumen,
In Deinem Tage mag ein anderes Wirken reisen,
Laß die Natur, nicht Dich, vorüberschäumen!
[14]
[Es folgt am Himmelsbogen]
Es folgt am Himmelsbogen
Das Licht dem Mutterruf,
Und scheidend noch bewundert
Die Sonne was sie schuf.
Mit ihren Strahlenarmen
Aus reinem Liebesgold,
Umschlingt sie noch das Leben,
Bevor sie weiterrollt.
Aus Thälern und aus Fluren,
Bedeckt mit Waldespracht,
Dem Kleide unserer Erde,
Entrauscht die kühle Nacht.
Die losen Windesboten
Entschlüpfen dem Geäst
Und herzen einen Nebel,
Ders Tagesbett verläßt.
Der letzte Kronenschimmer
Der Sonnenelfen bricht
Und überall betrübt sich
Das bleiche Dämmerlicht.
Zeigt nimmer sich den Blicken
Der Sonne tiefste Macht,
So gleicht doch unsere Liebe
Enthüllter Sternenpracht.
Enträthselte Gefühle,
Ihr wallt zum Himmelszelt,
Und oben sehn die Sterne
In Liebe auf die Welt.
[15]
[Zum Wind und Nebelreigen wehn]
Zum Wind und Nebelreigen wehn
Rings Wiesenwische gar geschwind,
Man sieht sie durch die Fenster sehn,
Ob Träume etwa munter sind.
Halloh, da folgt ein loser Traum
Dem Schattenwink mit einem Satz
Und gibt dem Waldgespenst aus Schaum
Auf Bauch und Schenkel einen Schmatz!
Der Mond reißt seinen Silberspind
Auf einmal für die Tänzer auf,
Und manche kalte Hand von Wind
Beputzt bereits den Schemenhauf.
Das zieht sich ganz in Flitter an,
Die Nebel nicken, thut es nur,
Und glaubt, daß man uns trauen kann,
Auch wir sind Träume der Natur!
Nun schwebt mit leichtem Windestritt
So mancher Traum mit seinem Dunst,
Der Mond beleuchtet ihren Ritt
Und seine Thiere sind in Brunst.
Ein Traum wird über Feld gebracht,
Durch Haine, die noch unbewohnt;
Ein Märchen, das ein Elf erdacht,
Erzählt man ihm vom Silbermond.
[16]
[Einst trug der Mond Geschöpfe]
Einst trug der Mond Geschöpfe,
Die wurden immer bleicher,
Denn oben kargten plötzlich
Die vollen Lebensspeicher!
Nun ist man dort verdorben;
Durch Kampfe und Entbehrung
Geschah der Mondesfluren
Entsetzliche Verheerung!
Doch es erfüllte einstens
Ein Mondvolk Sonngebote
Und ahnte kaum das Ende,
Das seinen Feinden drohte.
Die Göttin ihrer Liebe
War unsre grüne Erde,
Ihr sandte man die Träume
Und Seufzer der Beschwerde!
Jetzt giebt es oben Geister,
Doch sind sie ungeboren,
Auch ging für sie die Liebe,
Die sterblich macht, verloren!
Doch glücklich sind sie nimmer,
Sie rühren keine Hände,
Denn geht der Mond in Trümmer,
Bedroht auch sie ein Ende!
[17]
[Die Nebel fliegen weiter]
Die Nebel fliegen weiter,
Es schüttelt sie der Wind,
Die Nacht ist kühl und heiter,
Den Träumen wohlgesinnt.
Sie ziehen ihre Kreise
Und drehen sich geschwind,
Und ihre rauhe Weise,
Die pfeift der Wirbelwind.
Sie wehen um die Weiden
Der Reihe nach heran,
Und alle ihre Leiden
Erfahrt der Baum sodann.
Die Winde könnens wissen,
Sie Haltens Leid in Bann,
Ihr Leib ist schmerzzerrissen,
Sie ziehn den Selbstmord an.
Sie scheinen sich zu sträuben,
Sind sie noch blaß und nackt,
Ihr Weigern zu betäuben,
Wenn Frühlingsbrunst sie packt;
Doch ihre winzigen Blätter
Verkünden nirgends Glück,
Es sehnt ihr Zweiggekletter
Sich nach dem Nichts zurück.
Des Laubes nasse Schleier
Entrieseln fast dem Baum
Und schleppen bald im Weiher
Den einzig frohen Saum!
[18]
Verschiedene Nebel drängen
Sich ganz in das Geäst
Und bleiben drinnen hängen
Und schlafen plötzlich fest.
In weichen Wolkendecken,
Im zarten Nebelflor,
Mag manches Räthsel stecken,
Denn ringsum glänzt das Moor.
Ein Irrlicht huscht herüber
Und tanzt vergnügt am Sumpf,
Doch wird der Wald stets trüber,
Die Luft gar rauh und dumpf.
Nur zwischen Teich und Binsen
Hüpft noch das grüne Licht,
Und einige Nebel grinsen
Mit totem Angesicht.
Das ist der letzte Reigen,
Der um die Sümpfe wallt,
Die kühlen Nebel neigen
Sich ohne Wesenshalt.
Die Nacht hat ausgefunkelt,
Der letzte Stern verblinkt,
Die Welt ist ganz verdunkelt,
Der blutige Mond versinkt.

[19][21]
Die Hymne der Höhe
[Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen]
Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen,
Beginnen die Bahre des Tags zu entzünden;
Es gibt im Gebirge kein reifes Verblühen;
Verbluten, Verrauchen, soll Frieden verkünden!
Schon regt sich in Schluchten das traumhafte Leben,
Es fangen Gespenster, in Flammenspiralen,
Sich an in die funkelnde Luft einzuweben,
Und Glastfalter siehst Du ihr Dasein verstrahlen.
Der Hauch und die Seele von farbigen Schäumen
Wird eben von Nebeln zum Meere getragen,
Es scheint, was da blühte, jetzt Wolken zu säumen
Und träumt noch von südlichen, glücklichen Tagen.
Fürwahr, heiter rüstet sich jetzt eine Flotte,
Schon winden sich Segler aus purpurnen Hallen,
Denn meistens beschützt sie der Dom einer Grotte,
Aus Herbstwolkentrümmern und Aderkorallen.
Doch reckt schon, im Thal, sich der Riese des Dunkels
Und hebt mit den Schultern die glühenden Lasten
Des langsam verchwirrenden Tagesgefunkels,
Und tief in den Schluchten scheint alles zu rasten.
Noch einmal zersprengen die Sonnenscheinlanzen
Die Massen und Mauern von Schattentitanen;
Den Gipfeln entstrahlen jetzt Protuberanzen,
Es wird das ein Traumland von lauter Vulkanen.
Es brennen die Höhen. Und Abschiedsignale
Beginnen auf sämtlichen Zinken zu rauchen!
Es wallen auch Blutschatten nieder zum Thale,
Es scheint mir das Jahr heute Nacht zu verhauchen!
[23]
Ich sehe die Stunde der Ruhe entschweben,
Es scheinen Gebirge sich grau zu bekränzen,
Der Mond sich, als mildes Gefühl, zu erheben,
Rings Wölkchen in windstiller Andacht zu glänzen.
Es trübt seine Nachtfahrt kein Zittern und Rauschen,
Es wollen sein einmütiges Gipfelerblicken
Die Hoheliedwolken der Sohle belauschen,
Und oben, da scheinen die Sterne zu nicken.
Es funkeln die ewigen Gletschergedanken,
Vom mystischen Blau ihrer Tiefe umwandet;
Sie sind hochgefroren, da gibt es kein Schwanken,
So werden Ideen vom Sterben umbrandet.
Doch sprudeln die Bäche erfolgreich ins Leben
Und selten vergrübeln sich Fluten in Seen,
Der Mond aber liebt es, das heimlichste Weben
Der Dingedurchdringung im Geist zu erspähen. –
Es stürmt dort das Wasser wie zaumlose Pferde
Mit wirbelnden Mähnen die Felsen hinunter,
Das Leben behagt dieser brünstigen Heerde,
Sie wittert es schon und das macht sie so munter.
Zu Adern Italiens geweitet, entschwellen
Die Gießbäche brausend dem Gletscherbereiche,
Auch meine Gefühle sind Hochgebirgsquellen
Und stürzen sich südwärts ins breite Geschleiche.
Es faßt mich das Leben: Verwalten und Spenden,
Ist ewig das Wirken von Menschen und Welten,
[24]
Wir selber vollenden mit eigenen Händen
Das Ur-Ich, an dem wir schon zeitlos zerschellten.
Ihr Flammen der Liebe, Ihr Lebensgestirne,
Erfunkelt Euch dauernd das gleiche Bestehen,
Und auch die Ideen in meinem Gehirne
Verwirklichen ewig mein geistiges Lehen.
Sie scheinen mir Blüthen im himmlischen Haine,
Oft pflückt sie der Schöpfer mit goldenen Stielen,
Das Dunkel vernarbt aber rasch jene Scheine,
Die Seufzer ums Leben der Schnuppen die fielen.
Die Sterne behaupten durch rhythmische Schnelle
Ihr Lebensgefunkel erleuchteter Sprache,
Verklärt doch des Blutes erlösende Welle
Auch hier, durch Erkenntniß, die einsamste Brache!
Die schrecklichen Berge sind Steine auf Leichen,
Die Kohlen im Untergrund Särge, die modern,
Doch werden die Toten dereinst den Bereichen
Der unholden Nacht, urbegeistert, entlodern.
Sie pferchten das Gold in das tiefste Gebirge,
Die Habsucht erspäht noch die Schätze des Geizes,
Dann gilts, daß die eine den andern erwürge,
Und stets siegt das Gold und die Schmach seines Reizes.
Doch Gold ist der Schein eines wirklichen Lichtes
Und sagt uns: »Ihr sollt Eure Reichthümer heben!«
Der Erde entschwellt es, die Seelen durchbricht es,
Erreicht Eures Sternes frohsinniges Leben!
Ihr toten Gesellen, wie soll ich Euch packen?
Ich will Euch erwecken, Ihr werdet mir dienen,
[25]
Gespenster, ich krieg Euch, es wird Euer Nacken
Dereinst noch vom lastlosen Tag überschienen.
Ihr felsfinstern Sphinxe, auch Ihr tragt im Kerne
Den geistigen Tag ohne Schluß und Beginnen;
Ich wittre sein Dämmern in innigster Ferne,
Nun heißt es, mit Bergen verbunden, gewinnen!
Ihr stummen Kolosse, Ihr sprecht mit den Gipfeln
Bestimmt eine Sprache zerbröckelnder Formen,
Doch seht, in den Zungen, Geberden und Wipfeln
Belebt sich, erhebt sich, ein Grat ewiger Normen.
Ihr Sterne erhebt mich, Ihr Sterne entzückt mich,
Ich bin außer mir, doch in mir wurzeln Gluthen!
Und deshalb, Ihr Sterne, zerpflückt mich, entrückt mich,
Ich fühle so gerne mein Urlichtvermuthen.
Das Thallied des Werdens erklingt in der Seele,
Es glimmt zu den Gipfeln, noch regt es sich leise,
Jetzt faßt mich die Erde, erfüllt meine Kehle,
Und weither durchschauert uns still ihre Weise.
Jetzt packt sie mich ganz, dann streift sie mich sachter,
Es sucht sich in Rhythmen die Zeit zu vollenden;
Ich bin ja ein Dichter, ein Zustandsverachter,
Und kann, was vergeht, zu den Ursprüngen wenden!
Es ist meine Seele an Freiheit gebunden,
Sie kann sie nicht fliehn und erschöpft sie als Bilder,
Sie lebt und besteht auf unendlichen Kunden,
Und Nordlichterscheinungen sind ihre Schilder.
[26]
Die Mondscheingebirge umfrösteln jetzt Winde
Und wärmere Hauche verhüllen und betten
Sich tiefer in hangende Wolkengewinde
Und Sturzbäche rauschen wie silberne Ketten.
Es prangen die Gletscher in Monddiademen,
Es können sich Spitzen mit Perlenschmuck krönen,
Die Stirnriesen scheinen verschleierte Schemen,
Und seltsam, man hört keinen Schreckruf erdröhnen!
Es träumen die Adler, es schlafen die Geier,
Und Mondeulen rüsten sich brünstig zum Fluge,
Es brüten die Weibchen rings sichtbare Eier
Und Raubgier erwühlt sich im hellgrauen Zuge.
Jetzt frierts in den Lüften, und starrblaue Schatten
Beginnen die Nacht in die Thäler zu bannen,
Der Mond übergleißt die verglasenden Matten,
Der Reifvogel kann manchen Grat überspannen.
Die Sterne jedoch überglimmen die Schleier
Der frostigen Mondnacht und regsam verkünden
Sie, züngelnd und sprühend, als Glücksprophezeiher,
Das Bündniß von allen erhabenen Gründen.
Die Treue des Kernes der Erde zu Sternen
Kann leise im irdischen Sein sich bekunden,
Wir sollen die Winke des Werdens erlernen
Und strahlend der wechselnden Übel gesunden.
Es birgt alles Dauernde Urlichtsekunden,
Oft werden wir schwindelhaft einwärts gerissen,
Dann zeigt sich uns, plötzlich, die Welt überwunden
Und weit in uns selber erglimmt das Gewissen.
[27]
So treibt auch die Erde die innerste Stille,
Ihr rollendes Wesen, in uns, zu ergänzen,
Drum ist es bestimmt, daß der menschliche Wille
Bedeutung erfunkle, um tief zu erglänzen!
Doch nährt auch der Erdkern rebellische Eile,
Und die fügt sich nimmer an runde Konturen;
Beseeligter Gluthen fast sonnige Theile
Zersprengen, zerbröckeln sich Klammertorturen.
Die Pole umschließen die härtesten Rippen,
Die mittlere Schwere bezwingen blos Reifen,
So kommt der Planet immer wieder ins Kippen,
Und was da beginnt, das gelangt nicht zum Reifen.
Es wandern die Pole und zeugen Entgleisung,
Dem Gluthinnern kann sich die Kruste nicht fügen,
Die Rundform veränderter Axenumkreisung
Des Wuthkerns Ellipsenbrunst nimmer genügen.
Die ruhlose Erde vermochte nicht lange
Die Kinder des Lichtes am Land zu bewirthen,
Und schützte, versteckte sie sorgsam und bange,
In sicheren Meeren, die Inseln umgürten.
Jetzt rüttelt die flüssige Lava an Felsen,
Ihr Druck ist zumal am Äquator gar mächtig,
Was helfen Vulkane mit Speichern und Kesseln,
Die Lava zersprengt sie, – die Erde ist trächtig! –
Die Inseln bis Japan erbeben am meisten,
Amerikas Zentrum erlebt keinen Frieden,
Die innere Urgluth vernichtet die Leisten,
Die selbst sich die Rundsucht des Globus beschieden.
[28]
Der Lavaball drängt zum magnetischen Pole
Und will sich stets gegen die Erdaxe sträuben,
Er schenkt uns das Nordlicht und trachtet zum Wohle
Des Lebens, des Lichttages Zwang zu betäuben.
Der Mond nun erwartet den Bruder noch immer;
Und läßt oft die Erde aus Sehnsucht erbeben,
Doch diese zersprengt nicht den Mutterschlundglimmer
Und kann nur die Nordlichtpropheten beleben.
Oh Mond, dir zu trauen ist schrecklich gefährlich,
Du trügst uns vielleicht in den freundlichsten Nächten,
Du steinbleiches Bild, ist Dein Wohlwollen ehrlich?
Du bist der Vertreter von furchtbaren Mächten!
Dein Lichtflimmerschleier ist milchig und traurig,
Oh, will er dereinst alles Leben bedecken?
Die Seelen und Mütter durchwühlst Du oft schaurig,
Soll alles, sich wieder gebärend, verrecken!
Geschwächt ist im Innern das Lavagluthtoben,
Das Glastmeer umklammern granitharte Wände,
Die Are wird immer nur mählig verschoben,
Es zeitigt das Leben sich Dauerbestände.
Es streut ja das Nordlicht, aus goldenem Horne,
Rings Blüthen und Küsse auf Gletscher und Meere,
Setzt flimmernde Schlangen in sprudelnde Borne
Und leuchtet in jeder lebendigen Lehre!
Jetzt scheinen Gebirgssphinxe Götter voll Güte,
Sie tragen ja Gluthen in eiskalten Falten,
Es ist, als ob Gott alles Leben behüte,
Es kann sich nur felsenumschlungen erhalten!
[29]
Der Mond muß als ohnmächtiger Schemen erbleichen.
Die Aare umkreisen wie Schöpfergedanken
Die Nordlichtgebirge. Den Thälern entweichen
Rings Nebel wie Weihrauch, der Gottheit zu danken.
Vom Herrgott erfleht unsere Erde den Frieden;
Mit eigenen Flammen entbrennt sie ihr Leben;
Dafür wird der Menschheit Vollendung beschieden,
Denn uns ist gegeben, wonach wir noch streben.
[30]
Venedig
[Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen]
Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen,
Da hob mich Zeus, im Flügelthal, zum Unermeßlichgroßen,
Ein Fordern war mein Wonneflug, dem Mannesblick ein Jagen;
Ich wollte fort, blos fort, und nirgends dort, an Ziele stoßen.
Mir ist es oft, als ob ein Gott die keusche Jünglingsseele kühre.
Da sah mein Herz, noch jung und frei, um sich die Welt entweichen,
Und Zeus war froh, daß sein Geschöpf nicht Furcht und Höhenbangen spüre,
Ich wollte nichts – und wollte doch das Unerfaßbarste erreichen!
Es könnte sich die Weiblichkeit dem Schwane sanft ergeben,
Den schlanken Hals, voll Lustgewalt, um ihre Glieder schmiegen,
Ihr ganzes Sein, beim Gotteskuß, im größten Glück erbeben,
Doch nein, ach nein, es scheint im Weib die holde Urfurcht doch zu siegen.
Oh Sonne, wirf uns übers Meer die blendendlichte Lebensbrücke,
Die allen folgt, die weit von Dir zerstreut, durch Meere steuern,
Es scheint mir doch, oh Sonnenschein, daß jede Regung dich entzücke,
Denn Küsse sprühn, wo Gondeln ziehn, im Kranz von Lebensfeuern.
Durch Wellen schlängelt es sich her, mein Weltband hellen Sonnenlichtes.
Ein Schwanenhals erscheint es mir, am Gondelkiel und Buge,
Der jedes Boot, das schwankt, umkost, und sieh, aus Goldspiralen flicht es
Ein Sonnennetz und dieses folgt, leicht wogend, auch dem Gondelzuge.
Das Ruder schöpft sich Flimmergold aus morgenblassen Spiegelfluten,
Die Inseln rings umspinnen sich mit wunderhellen Sonneweben,
[33] Und dichter sehe ich, wie Gondeln ringsum mich umsputen,
Oh Rührigkeit, bald wird auch mich ein Glückgespinnst umgeben.
So manches Segel, gelb und rot, umschwebt mich, wie Venedig
Es freundlich mir, als Gruß aus seiner Buntheit, sendet;
Oh Herrin, bleibe mir, dem Schönheitspilger, hold und gnadig,
Es ist mein Blick von deinem Spiegelmeer geblendet!
[Venedig, deine Marmorsäulenwälder]
Venedig, deine Marmorsäulenwälder
Durchstreif ich tausendmal und gerne,
Sie sind die bleichen, steinernen Vermelder
Versunkenen Seins in Meer und Nebelferne.
Arkadien bist du unsrer Welt geworden,
Zu Menschenlust von Menschen aufgerichtet,
Schufst du Oriente frei in Welschlands Norden,
Und Hellas Geist hat über dir gedichtet.
Doch ist Arkadien nicht durch dich gefallen?
Oft ward das Leben in besiegten Ländern
Wild von Venedigs scharfen Löwenkrallen
Zerzaust, denn so gefiel es Machtverschwendern.
Die Forste breiter Berge, die verkarsten,
Verschwanden bald im Schlamm, wo sie verschimmeln,
Die Eichen, die einst Abhangfelsen barsten,
Versteinern, wo jetzt Kellerasseln wimmeln.
Arkadien hat sich früher ausgebreitet,
Es rauschten Bäche durch Illyriens Schluchten
[34]
Zu Leuten, die sich dort ein Glück bereitet;
Venedigs Flotten lagen in den Buchten!
Erwürger trugen sie, roh und verwegen,
Erpresser, die des Landes Kraft entwalgten;
Es heulten ihnen Stürme zwar entgegen,
Die Felsquelladern rings verkalkten,
Doch blieb der Leu auf seinen braunen Matten;
Dann bargen sich die Krumen unter Steinen;
Und Wolken werfen nun violette Schatten
Auf Friedhöfe von Urwäldern und Hainen.
[Oh Frühjahrsfrüh, hoch oben auf Arkadiens Bergen]
Oh Frühjahrsfrüh, hoch oben auf Arkadiens Bergen,
Erscheine mir in deiner blaffen Glut,
Du sollst mir keine Zauberkraft verbergen,
Die noch behutsam in den Keimen ruht.
Das Licht erstrahlt aus großer Morgenferne;
Die Sonnennähe, die uns bald umkrallt,
Entreißt sich erst der Ewigkeit der Sterne,
Wenn sich ein Sonnentag zusammenballt!
Oh Weltenei, mit deiner Sonnenmitte,
Dich sehen wir als einen Strahlendom,
Und drinnen regt, mit leichtem Engelstritte,
Das Leben sich, in stillem Feuerstrom.
Schon bannt das Licht die künftigen Gestalten
Mit Gluthenmacht auf harten, nackten Stein
[35]
Und merzt sie tief in steile Felsenspalten
Als Lebensbilder, Formgespenster, ein.
Auf Trümmern seh ich Lichtgedanken thronen,
Wo mancher sich mit Wucht am Felsen hält,
Drum wurzeln, dauern Arten für Aeonen,
Da nie ein Sturm ein Gluthenurtheil fällt.
Die Bäume spenden sich mit vollen Zweigen,
Was jeder hat, an Lust, an Lebensduft,
Wir Menschen aber suchen, was uns tief zu eigen
Und doch getrennt ist durch die Sonnenkluft.
Die Macht des Lichtes, die uns rings versprengte,
Wie dies ein großes Taggebot befiehlt,
Ließ Treugefühle, wo sich Brunst verschränkte,
Als Band zurück, das sich durch Gluth erhielt.
Die Wesen, die den Wurzeln sich entringen,
Vollbringen es durch ihre Eigengluth,
Doch hängt ihr Sinn an sonderbaren Dingen,
Denn tausendfach regt sich verwandtes Blut.
Der Mensch kann die Versuchung von sich streifen;
Er weiß, daß eine Reife in ihm ruht;
Erwacht sie, wird er sich erst ganz begreifen,
Die Wahrheit glimmt in keuscher Weibeshut.
Nur eine Seele kann die Blüthe tragen,
Oft knospt sie lang, bevor sie rasch erwacht,
Ein Augenblick kann einem Auge sagen,
Was Sonnenkinder unter sich vollbracht!
Ach, welche Kluft mag mich vom Weibe trennen,
Von jenem Kind vom gleichem Wesensbaum;
[36]
Gestalten kanns die Seele, ja erkennen,
Dem Leibe eilt sie weit voraus im Traum.
Bevor mein Sonnenfesttag aufgegangen,
Erblaut mein Schicksal, das ihm blaß entsteigt,
Mit Seelenarmen möcht ich darnach langen,
Ich ahne was sich fern entgegen neigt.
Ja, bloß ein Wesen ist für mich erschaffen,
Einst führt die Sehnsucht uns zum gleichen Ort,
Für Sonnenkinder darf kein Abgrund klaffen,
Man sieht sich und erkennt sich durch ein Wort.
[Die Welt kann sich durch Liebe nur erhellen]
Die Welt kann sich durch Liebe nur erhellen,
Da treu ein Stern des andern Leben hegt,
Ein Weltlichtherz entschnellt nur Schwesterwellen,
Das Lebenslicht, das Liebe trägt und wägt.
So malt die Sonne bunte Frühlingsranken,
Aus Fels und Schlucht, Entwürfe voll von Kraft;
Ihr Mittag bringt des Lebens Vollgedanken,
Aus denen sie die Thatgeburten schafft.
Gedanken, die durch starre Felsen dringen,
Erschöpfen jedes Sein aus Stein und Licht,
Denn bloß notwendige Sonnideen zwingen
Zur Lebenslogik, der die Form entspricht.
Ein Taggeschöpf muß sich zur Sonne kehren,
Der Mensch zumal, denn wir sind glaubensbang;
Mein Innerlicht, dir hehl ich kein Begehren,
Gieb mir ein Weib, mein, rein und seelenschlank.
[37]
In deiner Schönheit, Weib, bringst du die Schäume
Der Seelenfluth dem Schöpferkusse dar,
Aus deiner Schlankheit sprudeln weiße Träume
Und Jugendgold verklärt dich wunderbar.
[Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen]
Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen,
In heitrem Lenzesschmuck, nach einem Fernenflug,
Als wähnten sie, als hofften sie, die Winde bliesen
Sie munter fort, als traumhaftbunten Flatterzug.
Nun plötzlich seh ich, wie sich einige regen,
Befreite sie und trägt sie gar ein Lenzgeruch!
Narzissenfelder können ihren Flug erwägen –
Denn Liebenden gelingt der erste Fluchtversuch! –
Nein, weiße Tauben sind es, die mich deutlich täuschen,
Dort weiß ich, daß ich Blüthensehnsucht wahr empfand,
Nun lausche ich der Vögel wirren Fluggeräuschen,
Die erst im Steilgesang ihr Urgewicht erkannt!
Ich selber bin ein Wunsch nach Liebe und Entfaltung,
Der mühsam erst aus Irrgespinnsten bricht;
Mein Weib, wann gebe ich dir lichte Wahrgestaltung,
Wo bist du Kind, das wieder kindlich zu mir spricht?
Ich weiß genau, daß tausend weiße Himmelswiesen
In uns sich suchen, weil sie gleicher Duft beseelt,
Sie wollen sich aus Liebe ferneher erkiesen,
Und keusches Glück hält sie einst sommertreu vermählt.
Ja, keusch ist die Natur, die liebend sich befruchtet,
Denn Reinheit weht vom Mittagsmeer, vom Schneegefild,
[38]
Dir gilt mein Lied, oh Gischtsee, die im Felsland buchtet
Und tiefverschluchtet Lebensdurst und Ruhbrunst stillt.
[Mir ist es oft, wenn ich die Augen schließe]
Mir ist es oft, wenn ich die Augen schließe,
Als ob die Welt der eigenen Phantasie
In einem Strom von mattem Golde fließe
Und traumhaft durch die wache Seele zieh.
Das ist das Blut, das die Erinnerungsbilder
Gar traumbeschwingt aus dem Gemüte hebt;
Es ist ein anderes Leben, zarter, milder,
Das aus den Seelengrüften bleich entschwebt.
Die Lichtgestalten haben ausgerungen,
Mit dem Geschicke scheinen sie versöhnt,
Durch meinen Wesenswunsch, beim Flug verschlungen,
Sind sie des Eigenwillens schon entwöhnt!
Jetzt seh ich herbstlich goldene Wälderhallen;
Um Bilder sind die Aeste schön verzweigt,
Dort wo die welken Blätter langsam fallen,
Verstrahlt ein Tag, der Fabelmanen zeigt.
Es tropft das Lebensblut von Bäumen nieder,
Im Wind zerstiebt das gelbgewordene Laub,
Im Walde hallts von Windnachtsschritten wieder,
Am Weg verliert der Herbst den halben Raub.
Sind auch die Blätter bald im Wald verflogen,
Bleibt ihre Seele doch in der Natur,
Das Sonnenroth, das Bäume eingesogen,
Trinkt erst im gelben Herbst die Kreatur.
[39]
Die Sommerfreude jauchzt in Vogelliedern,
Als Waldesecho, noch am goldenen Meer,
Die Menschen werden still und sie erwidern
Die Waldestrauer, bang und wehmuthsschwer.
Wenn arme Leute dürre Zweige sammeln,
So lieben sie und sehn sie erst den Wald,
Wenn sie des Waldes Schaudermärchen stammeln,
Wird er der Geister düsterer Aufenthalt.
Du glaubst an einen Hauch der Menschenseele,
Wenn Du den letzten Athemzug erlauscht,
Du glaubst, daß die Natur von sich erzähle,
Wenn sacht ein Wind im Wald zum Abschied rauscht.
Dann ist es mir, als schlichen Sterbewesen
Durch Träume sich in meine Seele ein,
Als Bilder kann ich sie zusammenlesen
Und berge sie im Urerinnerungsschrein.
Die goldenen Ströme flammen auf wie Hallen,
Ein Strahlendom schließt seine Wölbung zu,
Gedanken, die sich stolz zusammenballen,
Entfalten ihre sehnsuchtsfreie Ruh.
[40]
[Versteinerte Eichen am Grund der Lagune]
Versteinerte Eichen am Grund der Lagune
Beginnen dem Sumpfe mit Wucht zu entwuchern
Es wachst schon die trutzige Dünenkomune,
Und Kunden erblühen von Nordlandbesuchern.
Es können sich rumpfige Gruppen erreichen,
Es schließen sich Thore, es öffnen sich Brücken,
Es wollen sich wiedererstandene Leichen
Die bleiche, verfeinerte Marmorhand drücken.
Die Seele der alten, versunkenen Wälder
Beginnt sich auf einmal verklärt zu beleben,
Arkadien erwacht, junge Lichtrauschvermelder
Belauschen die Fluthen im Dunkel von Reben.
Es grünt und es blüht unser keusches Venedig,
Erfrischt und verjüngt durch die Reinheit des Meeres,
Gelingt es der Seebraut, des Blutbuhlen ledig,
Ein Freistaat zu sein und ein Herz des Verkehres.
Rialto, die Pulsadern deiner Entfaltung,
Kanäle und Ströme, die ferneher fließen,
Gewähren den Träumen der Pfahlwelt Gestaltung,
Da ringsum verkalkte Gespenstalgen sprießen.
Es tragen die Fluthen vom Osten her Rosse,
Porphyre und Stoffe zum Strande des Piave,
Rabbiner lustwandeln auf grünendem Flosse,
In goldenen Kirchen ertönt hold das Ave.
Die Götter Arkadiens sind wieder erstanden,
Im Schatten von Pappeln schlürft Pan kühle Muscheln,
Sirenen, die schüchtern auf Stranddünen landen,
Beginnen sich Märchen der See zuzutuscheln.
[41]
Nun tutet Neptun, bis zum Bauche erhoben,
Und weckt die Tritone, die halb erstickt schnarchen,
Die Fichtentitanen und Brackwasserkloben
Entrecken Holzkronen und Kranzwartenarchen.
Mit glühendem Sonnenstift zeichnet sich Klio
Die Thurmthaten auf, die zum Goldhimmel zucken,
Es flattern die Wespengespenster der Io
Zum Schriftforscher Rio, wo Glastadler spuken;
Promethische Zinnen, mit reinen Erdstimmen,
Erklimmen mit Lebensgischtschwingen den Himmel,
Ein Athemgold kann in der Tiefe erglimmen
Und rings übersprüht es das Menschengewimmel.
Venedig, du selbst bist die klaffende Auster,
In der Aphrodite die Schönheit bekräftigt,
Venedig, es rahmt dich ein zephyrgekrauster
Gischtschleier, der lebhafte Nymphen beschäftigt.
Es weben die Wellen sich Lichtflitterflore,
Die Schleier der Keuschheit entschweben dem Meere;
Venedig, eröffne der Venus die Thore,
Doch stelle dich stolz gegen Lilith zur Wehre.
[42]
[Oh Farbenstadt Venedig, dir zu Füßen]
Oh Farbenstadt Venedig, dir zu Füßen
Verstreut und legt ein grüner Strom Juwelen,
Das Meer will jedes Dogenhaus begrüßen,
Es dürfen nirgends Fluthgeflechte fehlen.
Auf himmelblauem Dunkelgluthengrunde,
Verbrähmt und strickt das Meer vor jedem Schlosse
Prunkteppiche, und seiner Tiefe Funde
Umschwärmen leuchtend jede Seekarosse.
Harmonisch sind des Meeres Sonnenstoffe.
Vor Marmortreppen webt es Züngelspitzen
Und droht verfinsternd steil das Gothisch Schroffe,
So hilft es sich mit Silberwirbelwitzen.
Die reinsten Flammen sind Türkisen, Rauten,
Doch hebt das Meer oft ganze Perlenspiegel,
Narzissen schwemmt es vor die Schimmerbauten
Und rothe Nelken vor Verwitterungsziegel.
Ein wahrer Prachtdamast ruht vor den Stufen
Der Muttergotteskirche »la Salute« ,
Das Meer hat allen Prunk emporgerufen,
In diesen Teppich wirkt es Grundtribute.
Die Kirchenkuppel blickt mit mildem Auge
Zur Spenderin der Reinheit auf, zur Sonne,
Da scheint es fast, als labe sich und sauge
Ein Tempelwunsch am stillen Milchtagsbronne.
Venedig, die Empfindungsinseln stiller Stunden
In deinen Fluchen, geb ich dir in Liedern wieder,
Venedig, bunte Fernen sind in dir verbunden,
Verschwundene Numen öffnen hier die Schlummerlider.
[43]
[Venedig, dankbar bringen dir die Götter Gaben]
Venedig, dankbar bringen dir die Götter Gaben,
Geschenke, wie sie keine andre Stadt empfangen;
Du bist wie Aphrodite, der du gleichst, erhaben,
Du hast erwachend stets ein trautes Brautverlangen.
Bevor dein Bräutigam, das Meer, dich darf gewahren,
Beschaust du dich im Venusspiegel durch die Schleier,
Die nächtlich sich auf deinen goldenen Sonnenhaaren
Verdichten, als ein Liebespfand von deinem Freier.
Der Venus Tauben, kaum vom Traume aufgeflogen,
Umgurren deine buntgefüllten Wandellauben,
Und Taubenschemen, Schaumphantome goldener Wogen,
Besetzen Zinnen, Kirchenkuppeln aller Glauben.
Es blauen dunkle Fluten um die grünen Augen,
Die glanzlos in den Ebbestunden fast erblinden,
Die Sumpfalgen, die Ströme aus den Furchen laugen,
Beginnen rostigroth rings Tanzkränze zu winden.
Das Licht auf der Lagune ist der Pfau der Hera,
Den Zeus Gemahlin für Venedigs Freundschaft spendet,
Denn hier lebt alles noch in einer Sonnenära,
In der Minerva Helm und Lanze frei verwendet!
Fürwahr, die Götter Hellas leben in Venedig,
Auf der Lagune glitzern Hermes Flügelschuhe,
Das Volk ist findig, eitel, heiter und ruhmredig,
Es fand Merkur in ihm seiner Bewegtheit Ruhe.
[44]
[Der Dogenpalast, den Phantome bewohnen]
Der Dogenpalast, den Phantome bewohnen,
Behorcht Domgebote, die Rom streng erwogen,
Und alle die blutlosen Staatsabstraktionen
Beleben die Rhythmen der rollenden Wogen.
Der Volkswille wird eine Weltblüthenlese,
Es kreuzen sich Sitten verschiedener Länder,
Venedig, die Stadt jeder Brauchexegese,
Verkleidet das Fremde in eigene Gewänder.
Die Säulen, die prachtvoll den Staatspalast tragen,
Verzieren verschiedene Blattkapitäle,
Man sieht den Akantus aus Zwergstämmen schlagen,
Auf nordischem Schaft grünt die griechische Seele.
Der Mythus der Parsen, der Kult der Hebräer,
Verästelt sich mit dem Ardennengeblätter,
Urkomische Gnome, homerische Seher,
Vertragen sich trefflich als Völkerbaumvetter.
In heidnischer Einfalt erblüht eine Säule,
Ein Mädchen erwacht und gefällt einem Manne,
Bald liebt sich das Paar unterm Bettdeckenknäule,
Und dann legt die Amme ein Kind in die Wanne.
Die Eckpfeiler dieses grotesken Palastes
Bezeichnen die Menschenerkenntniß der Sünde,
Zuerst das Geheimniß, die Eva erfaßt es,
Ihr Adam empfindet der Traurigkeit Gründe.
Am anderen Pfeiler liegt Noah im Rausche,
Es hat ihn der Saft der Vergebung umdunkelt,
Damit nicht der Alte die Wahrheit verplausche,
Hat Wuth aus dem Blick eines Engels gefunkelt.
[45]
Das richtige Urtheil, – wie hier zu Gerichte, –
Spricht Salomon weise, am dritten der Pfeiler;
Den Vierten steht niemand, im innersten Lichte
Der Kirche erstrahlt er als Weltleidenheiler.
[Im Erdgeschoß tragen die Ganzunbekannten]
Im Erdgeschoß tragen die Ganzunbekannten,
Die Massen des Volkes, die Last des Palastes,
Im Stockwerk darüber, die friedlichverwandten
Geschlechter des großen SanMarkoMorastes.
Auf schlankerem Schafte erblühn hier Gebilde
Verschiedener Stile zu Tragkapitalen,
Der tragische Widder, das Willkürlichwilde
Im Edelblut wittert auf Eichenlaubpfählen.
Ihr furchtbaren Rümpfe und Staatspalastpfeiler,
Ihr scheint mir ein Wuchtgebild wuchernder Wälder
Versteinender Eichen, die schlanker und steiler
Zum Freilichte klimmen, und seid Leidvermelder!
Ihr schnurrigverkrusteten Trumpfkapitale,
Ihr Eidechsen, Schnecken, Schmarotzer und Räude
Aus Marmor und Moos, ihr seid Meergrundjuwele,
Gebilde des Gischtes und Schaume der Freude!
Die Volkskraft am Meere enthüllt und entwindet
Dem wandernden Wasser sein algengeschmücktes
Geschäftshaus: Venedig, die Einsicht erfindet
Das Stützengerüst, das Gemüt überblickt es!
[46]
[So flammt denn auf, ihr goldenen Hallen]
So flammt denn auf, ihr goldenen Hallen,
Erwache meiner Seele Gold,
Gewaltig mag die Blutfluth wallen;
Erstehe, was zum Tag gewollt!
Oh Sonnentempel, golddurchflossen,
Umwölbe Deinen Pilgersohn,
Du nahtest mir mit Sonnenrossen
Und hältst mich nun in holder Frohn.
In tiefstem Bann magst Du mich halten,
Wann immer ich dich ahnen kann,
Denn rufen mich die Huldgestalten,
So holt mich Helios Viergespann!
Ein Fremdling bin ich, losgerissen,
Befreit vom Boden, der mich schuf,
»Du wirst den Hohn der Dinge wissen!«
Das ist mein Sonnaufforderungsruf.
So flammt denn auf, Ihr Abendhallen,
Oh Herbstwelt, wölbe Dich empor,
Du Goldschaum sollst Dich aufwärtsballen,
Auf Wolken wohnt der Sonnenthor.
Ich werde hier mein Herz ergründen,
In diesem Tempel ruh ich aus,
Das Gold in steilen Seelenschlünden
Erwühlt in mir ein Gotteshaus.
Die Sterne hab ich lang bewundert,
Sie nahten nicht dem Sehnsuchtsgold,
Und forschte ich selbst ein Jahrhundert,
Ich wüßte nie, was ich gewollt.
[47]
Die Nacht hab ich mit Gold umzogen,
Die Sterne deckt ein Feuerstor,
Mein Herz umglüht ein Nordlichtbogen,
Und ich vergesse, daß mich fror.
Ihr hohen Thore aus dem Osten,
Du überstülptes Wunderhorn,
Du Sonnendom mit goldenen Pfosten,
Du bist Byzantiums reifes Korn.
Du bältst in Dir, als voller Same,
Die Wüstenträume eingekerbt,
Daß Asiens Glaube nicht erlahme
Hat Dich Venedig übererbt.
Es ruhen Heilige und Propheten
In manchem goldenen Tempelsarg,
Sie warten demuthsstumm und beten,
Denn ihr Gemüt ist hoffnungsstark.
Aus Menschennähe hoben Christen
Die Märtyrer in Sternenglanz,
Den Himmel, den rvir sonst vermißten,
Verbildlichte und wahrt Byzanz.
Venedig, Deine Ferngestalten
Bringt unsre Wesenheit ans Licht,
Die spatgeborenen Christen halten
Sich jetzt an Jesus Erdgesicht.
Man holt in goldenen Prozessionen
Des Tempels Sonnenschatz hervor,
Die Engel sollen menschlich wohnen,
Schon öffnet sich das Mittagsthor.
[48]
Ein Psalm erklingt, und Davids Name
An sich ist schon ein Hoffnungsborn,
Fürwahr, San Marko ist ein Same,
So goldig wie das volle Korn.
Denn Gold ist der Kometenpollen,
Die Liebe selbst, die Gott erfreut,
Die Wogen auch, die uns umgrollen,
Wenn sie der Lichtsamen bestreut!
[Auf dem Markusplatze in Venedig finden]
Auf dem Markusplatze in Venedig finden
Seit Jahrhunderten sich stets die gleichen Gruppen,
Denn der Tod kann wirtlich gar nichts überwinden,
Aus den Bengeln müssen Eltern sich entpuppen.
Die Gewänder und sein Erbtheil nimmt ein jeder,
Wie das Schicksal sie ihm eben träge bietet,
Des Verzinkers Sprößling greift vielleicht zum Leder,
Und ein Backersohn entsteht, der Holz vernietet.
Die Belebungsfülle aber bleibt die gleiche,
Nach verebbten Nothformen erscheinen Leute,
Kein Verjüngungsstrom bricht durch die Daseinsdeiche,
In Jahrtausenden ist es genau wie heute.
Die Verblichenen, so scheint es mir, beseelen
Ihre Nachkommen im Jenseits ewig weiter,
Die Langeweile muß sie entsetzlich quälen,
Zeigt sich nirgends ein Gewohnheitsüberschreiter.
[49]
Nur die Helden konnte Christi Tod befreien;
Die Gottähnlichkeit ist hier so karg bemessen,
Daß zehntausend Fromme nur zugleich gedeihen,
Der Durchschnitt aber wird in Noth vergessen!
Die Vergeßlichkeit ist unser Trost auf Erden,
Doch wenn zeitlos wir die Dinge übersehen,
Wehe uns, da wir uns ewig hören werden,
Und verstehen, daß wir uns um Nabel drehen.
Täglich strömen Leute aus den finstern Gassen
Von Venedig auf den Platz, um Scherz zu treiben,
Jeder kann das Laster aller andern hassen,
Um demselbstverständlicheigenen treu zu bleiben.
Täglich macht der Pöbel seine alten Witze,
Da er einschrumpft, hält er sie beinah für neuer,
Selten nur durchzischen ihn Begeisterungsblitze,
Und aus Uebermuth legt er dann Freudenfeuer.
Stilgeberden und die Sprache, die uns bleiben,
Sind die Lichtgeschenke, die wir uns gerettet,
Doch die Menschheit seh ich krampfhaft abwärtstreiben,
Ihre Wucht und Furchtbarkeit hat sie verwettet.
Durch Verschiedenheit kann sich die Welt erkennen,
Und als Gegensatz darf Aehnliches bestehen,
Doch von Fleischgewohnheiten soll man sich trennen,
Sonst wird die Menschheit bald ermattet untergehen.
Liebesräusche kennen nur die Kinderlosen,
Zum Vergnügen wird der Mensch zumeist empfangen,
Seine Seele kriegt im Elternalltag Hosen,
Häubchen werden von Verwandten angefangen.
[50]
Spießbürger, Ihr seid fürwahr nicht umzubringen,
Fremde kommen her, die Freiheit zu genießen,
Kann die Lust ein junges Sein beschwingen?
Nur ein Abenteurer mehr wird ihr ersprießen!
Nein und doch, das Liebesfeuer gährt in allen,
Aus dem Erdenkerne will es sich befreien,
Klarer kann es wählen; mag der Leib verfallen,
Wahlgeschlechter wird der Geist zusammenreihen.
Denn die Liebe und das liebende Gewissen
Ist die Lichtinsel für treibende Gefährten,
Hinter Finsternissen, vielen Hindernissen,
Seh ich Fernen, wo sich Lichtwesen bewährten.
Pöbel, stärker als Dein Trachten sind die Plagen,
Die das Feuer anstachelt, wenn Du verwüstest,
Gemeiner Wurm, Du mußt zur Sonne ragen,
Wär es nur, wenn Du im Tod Dein Nichts verbüßtest.
Eigenmächtigwilde, zynische Projekte
Schmiedet jedermann, – wie oft, – und muß doch lieben.
Ach, wie häufig man das Heidenthum erweckte,
Lieber Gott, und wir sind Christen doch geblieben!
Ja, ein Brand geht durch die Menschheit, eine Flamme,
Die uns rastlos auffordert, dem Licht zu leben,
Lodre Gluth, in unserm guten Arierstamme,
Würde Du der Wesen, die auf Erden kleben!
Pöbel, nein, ich kann Dich wahrhaft gar nicht hassen,
Weiß ich doch, daß Zukunftsgluthen alle leiten.
Ja das Was und das Warum, wer mag es fassen,
Doch genug, wir alle kennen Sehnsuchtsweiten.
[51]
Stundenlang kann ich am Markusplatz lustwandeln,
Albernheiten hör ich hier am Tag verhandeln,
Abends trachtet man mit Mädchen anzubandeln,
Garstiger Pöbel, kannst Du gar nicht Dich verwandeln!
Einmal nur im Leben wird der Mensch zum Dichter,
Wenn sich Schwärmerei seiner Natur bemächtigt,
Opfermüthig für die Braut, aufrichtig, lichter,
Wird der Mann, der liebend seine Lust berechtigt.
Mag er da des Eigenthumes Wahrheit ahnen,
Das in fremder Obhut einzig darf bestehen;
Ja, der Same, dem wir heilige Pfade bahnen,
Soll ins Weib, dem er gehört, keusch übergehen.
Würden wir mit Würde den Geschlechtstrieb lenken,
Gäb es weder Diebe noch verdungene Knechte,
Unsre Sucht Besitzgesetze einzurenken,
Ist der Alp und die Erinnerung echter Rechte.
Armes Volk, ein jeder dünkt sich frei vom Ganzen,
Glaubt, er sei ein Mann, ein Weib, rein wie Ideen,
Die im Sprachgebrauch sich einfach fortverpftanzen,
Niemand weiß, wie viele Dinge übergehen!
Die Geschlechtlichkeit, das Tiefste, will bestehen,
Menschenzwitter triffst Du deshalb selten,
Wesen doch, die mehr Geschlechter in sich ehen,
Giebt es, da die Ursprungsketten sonst zerschellten!
Markusplatz, du mußt vom Jenseits Macht empfangen,
Ehen sind in aller Welt auf Dir entstanden,
Wieviel Wesensreihen haben hier einst angefangen,
Täglich stichst du Blickblitze zu Liebesbanden.
[52]
Zufall sagt man; kann es einen Zufall geben?
Bis der Markusplatz besteht, mag man dran glauben!
Ist es nicht viel einfacher, daß Parzen weben,
Und daß wir die Frucht vom Schicksalsbaume klauben?
Heiter bin ich jetzt gestimmt, die Saat geht weiter;
Heil San Marco Dir, Du stiftest ferne Ehen,
Du beglückst das Volk und Deine Glanzbestreiter,
Ja, ein Stern scheint sich um diesen Fleck zu drehen!
Sonnenschiffe, die am Markusstrande landen,
Lassen hier den Lichtbegriff der Menschheit steigen,
Selbst der Markusthurm, den Sturm und Brunst umbranden
Scheint symbolisch sich nach Osten vorzuneigen.
[Was ich denke und empfinde]
Was ich denke und empfinde,
Herz im Herzen, ist es wahr?
Schwebt die Seele nicht gelinde
Vor den eigenen Wunschaltar?
Götter kann ich jubelnd krönen,
Doch mein Glück bleibt lange aus;
Kann mich nicht hineingewöhnen,
In das fremde Weltenhaus!
Goldene Traumfäden verflechten,
Freuden in mein Nachtgespinnst,
Wenn sie Dauerglauben brächten,
Wüßte ich, Du bist und minnst!
Alles, alles nur Phantome;
Selbst die Lust eine Idee?
[53]
Hoch empor im goldenen Dome
Bäumt und träumt sich Heil nnd Weh.
Jedes Schicksal trüg ich gerne,
Auch die Sehnsucht die mich plagt;
Käm ein Wink nur aus der Ferne,
Wäre Wahrheit nicht versagt!
Nach dem Tode sinkt der Parze
Nie der Faden aus der Hand,
Nein, sie zieht ihn durch das schwarze
Erdgewebe umgewandt.
Sie verspinnt ihn immer weiter,
Bricht ihn, kreuzt ihn, wies gelingt,
Seh ich dann die Flammenleiter,
Die mich vor den Richter bringt?
Klotho, laß dem Seelenfaden
Des Geschickes Selbstentschluß,
Laß mich kühn im Sturme baden,
Nur die Freiheit ist Genuß.
Hier im Tempel will ich träumen,
Der sich herbstlich aufgebaut,
Unter Heiligen auf Bäumen,
Die im Laub hervorgegraut.
Eigenwillig, Ihr Erbauer,
Habt Ihr diesen Wald gekrönt,
Doch des Herbstes Gold und Schauer
Haben tief emporgethönt.
Unsre Träume haben Grenzen,
Unsre Wünsche, ach, sind kahl,
[54]
Wenn die Werke sich beglänzen,
Traf sie ein Verhängnißstrahl!
Blos gehorchen soll man, schaffen,
Kunst, wachs in den Sturm hinein!
Schiffer, die nur Gold erraffen,
Bringen Dir den richtigen Stein.
Träume wucherten, Propheten
Ruhten dort im Eigenlicht;
Als Euch Schemen tief durchwehten,
Künstler, schuft Ihr voll Verzicht!
Ja, Ihr hörtet Eichen rauschen,
Was Euch fast in Angst gedrängt,
Wolltet dann den Lärm belauschen,
Habt Euch an den Tag gehängt.
Lachesis, laß meinen Faden
Nie aus deiner Liebes Hand,
Halte ihn auf allen Pfaden
An die andern angespannt.
Liebe will ich traut empfangen,
Tausend Wesen hab ich gern,
Ja, der ganzen Menschheit Bangen
Trübt in mir den Freudenstern.
In das Wirrnetz der Moiren,
Greife plötzlich Atropos,
Muß ich einst das Licht verlieren,
Thue rasch, was Gott beschloß.
Glücklich werd ich nie im Leben,
Liebe, Wahrheit, die ich will,
[55]
Sind nur Dinge zum Erstreben,
Immer stumm und nimmer still.
Wo ich mich um Kenntniß quäle,
Huschen Irrlichter vorbei,
Flammen die ich rastlos zähle,
Mehren, kreuzen ihre Reih.
Spürend fühl ich nur die Leine,
Unsrer Parzen goldene Schnur,
Jedem, weiß ich, wird das Seine,
Gütig ist die Allnatur.
Glaub ich an den Freiheitschimmer,
An die eigne Willenskraft?
Ja, ich bin ein Lichterklimmer,
Der gehorsam borgt und schafft.
Durch die Numen spukt das Ende,
Das die Sterne treffen muß,
Doch es drängen meine Hände,
Von mir ab, den Athemschluß;
Denn aus einem Machtgeschlechte
Ging ich stolz und kühn hervor,
Götter schuf es sich als Knechte,
König wurde oft ein Thor.
Eines Volkes Stil und Stempel
Heiligt man und nennt ihn Gott,
Fatalisten schänden Tempel,
Nicht der Jakobiner Spott.
Ich gehöre zu den Tauben,
Die der Vorwitz nicht berührt,
[56]
An die Freiheit will ich glauben,
An die Gluth die Güte schürt.
Wagt Euch vor Ihr Einzelleute;
Glaubt in Gottes Schurz zu sein,
Wie Ihr fühltet, denkt auch heute,
Völker thun es und gedeihn.
Muß es deshalb Gott auch geben?
Schuf er mich von seinem Thron,
Ward ich durch mein ganzes Streben
Element der Negation!
[Das Wasser scheint vom Lande eingesogen]
Das Wasser scheint vom Lande eingesogen,
Es reift ein Nachmittag auf dem Moraste,
Von Purpurfurchen ist der Sumpf durchzogen,
Die Segel hängen schlaff von ihrem Maste,
In Trägheit eingemuschelte Gestade
Umstarrt die See gleich einem Prachtachate,
Die Thürme aber glühn in einem Ätherbade,
Es ist, als ob ihnen ein Lichtgott nahte.
Der Wind, der rothe Barken froh geschaukelt,
Erlaubt den Booten jetzt am Strand zu schlafen,
Die Masten sind von Goldträumen umgaukelt
Und glattes Wasser ebbt um jeden Hafen.
Ganz okergelb, wie aus dem Lehm gezogen,
Bedecken Segel, Netze die sich sonnen,
[57]
Den trockenen Strand in einem großen Bogen;
Matrosen schlummern unter morschen Tonnen.
Ich sehe Goldranken die Luft durchrauschen,
Es scheinen heitre Rhythmen rings zu schwirren,
Den seltenen Zauber will ich still belauschen,
Doch horcht man hin, so glaubt man sich zu irren.
Ein Windhauch trägt mir viel zu viel vom Äther,
Vom rothen Dunste in die müden Augen,
Ich schließe sie, bis Abendfarben später,
Gemildert, für die Traumgesichter taugen.
Am Meere flimmern ringsum Briesenschilder,
Es kann der Blick den Glanz nicht mehr ertragen,
Die hohe Sonne aber leuchtet milder,
Es kann der Blick sie um ihr Räthseln fragen.
Oh Sonne, Deine Frohheit kann ich noch ermessen,
Die Fernen suche ich in meiner Tiefe,
Der Gott im Schlummer und im Wachvergessen,
Erscheint mir klar. Es ist, als ob er riefe!
[Es lodern die Thürme, es lohen die Masten]
Es lodern die Thürme, es lohen die Masten,
Die Menschen sind ringsum von Flitter umzittert;
Um gothische Eckgibel drängen sich Quasten,
Das Meer scheint mit Quecksilberdraht übergittert.
Die Säulen umschleichen jetzt gelbliche Reben,
Und rothe Reflexe wie herbstliche Blätter
Beginnen Balkone am Strand zu umkleben;
Der Abend erscheint, als des Dionysos Retter!
[58]
Venedig, Du hast Hellas Götter empfangen,
Sie brachten Dir alle erhabene Geschenke,
Nun röthest Du selber des Dionysos Wangen,
Den Äther durchschwirren bereits Bacchus Schwänke.
Es wachsen die wispelnden Schatten allmählig;
Kein wucherndes Epheugespenst aber tötet
Die goldenen Dolden, die rings schon unzählig
Der Abend am Marmor noch immer fort röthet.
Die ruhigen Ranken umklammern die Bauten,
Im griechischen Stile, mit Gängen und Lauben,
Hier ist es, als ob Flimmerflechten vergrauten,
Dafür aber strotzen und reifen nun Trauben.
Figuren um Dächer und flache Terrassen
Erscheinen wie Geister, die bleich herabschauen,
Es ist als beseelte der Abend die Massen,
Als wären die Statuen in Bernstein gehauen.
Es scheint sich das Meer an die Ufer zu lehnen,
Der Abend wird schwerer, die Stadt imposanter,
Man könnte jetzt Dionysos über ihr wähnen,
Die ganze Lagune liegt da wie ein Panther.
[Sonne, Sonne, holde Sonne]
Sonne, Sonne, holde Sonne,
Spenderin von Lust und Leid,
Eine große Lichtkolonne
Ist zu Streit für dich bereit.
[59]
Ringen wir nach deinem Lichte,
Ist es weil uns Gluch durchloht,
Denn mit jedem Lichtverzichte
Droht und folgt uns schon der Tod.
Licht, du kannst uns Richtung geben,
Leben ist ein Sonnenkampf,
Selbst die Erdengötter schweben
Eben frei im Abenddampf.
Jeden Leib, alle Gestaltung
Unterwühlt und fällt der Tod,
Doch des Daseinsurerhaltung
Überthönt das Abendroth;
Alle Formen, die sich sonnen,
Stürzt das hohe Mittagslicht,
Hoch in Wolken eingesponnen,
Überlebt uns das Gesicht.
Sonne, du verdammst zum Tode
Und du bist auch die Geburt,
Denn in jeder Sonnenode
West ihr, die ihr heimwärts fuhrt.
Dionys, du bist erhoben,
Sonnentrunken steigst du auf,
Alle Lichtgewordenen loben
Deinen goldenen Wirkungslauf.
[Die Strahlen der Sonne sind blutige Speere]
Die Strahlen der Sonne sind blutige Speere
Im Kampfe mit Wolken und Finsternisgraun,
Die Ruhe versinkt in dem dunkelnden Meere,
Ich kann kaum hinab in den Grababgrund schaun.
[60]
Die Blüthen der Vorwelt erglühen nun wieder,
Die Lenze Italiens erwachen voll Pracht,
Die Lilien Illyriens eröffnen die Lider,
In marmorner Reinheit als Engel gedacht.
Jetzt denk ich an dich, Jacobello del fiore,
Der alle Narzissen der Inseln vereint,
Auch Du sahst die Jungfrau im goldenen Flore
Der Gluthen der Tiefen, der abends erscheint!
Murano, Du Eiland verwunderter Kinder,
Auf Dir knospen Blumen mit Heiligenschein,
Medusenerschauer, als Bechererfinder,
Lustwandeln in deinem lichtinnigen Hain.
Es bluten die Ziegel der alten Paläste,
Im Augenblick, da uns die Sonne verläßt,
Der Abend verglimmt, und es glüht jede Veste
Des Gürtels, in den sich Venedig gepreßt.
Dann folgen die Farben der sanften Geschlechter,
Denn Fliederlicht sprüht über zartes Gestein,
Giorgione und spätere Traumrechtsverfechter
Vermochten es einst hier im Glanz zu gedeihn.
Jetzt schmückt sich der Himmel mit Wolken und Wappen,
Von sämtlichen Völkern zusammengestellt,
Da flattern die Habichte, Warten und Knappen
Von allen vergangenen Geschlechtern der Welt.
Auch meine Standarte mag aufgerollt fegen:
Die Eindrücke faßt meine Seele im Lauf,
Ich will meine Reime nicht suchen und wägen,
Was Rhythmen mir zuwerfen, das fange ich auf!
[61]
[Venedig, es ergießt sich Deine Ernte]
Venedig, es ergießt sich Deine Ernte
Aus Blumenseelen in die weite Welt,
Denn jeder Duft, der sich von Dir entfernte,
Trug Samen fort für künftiges Blüthenfeld.
Die Nelken Deiner Vorwelt sind erstanden,
Ihr Zauber hat Carpaccios Traum durchschwebt,
In Basaitis blühenden Guirlanden
Sind wieder Korn und Mohnblumen belebt.
Mansueti hat ein holdes Sonnenmotto,
Das Veilchen blüht in seiner keuschen Hand,
Die großen Glocken des Lorenzo Lotto
Umträumen oft ein goldenes Sommerland.
Bellinis, Du Giovanni, Du Gentile,
Ich pflückte Astern oft in Eurem Traum,
Die Diestel sticht sich dicht zu eurem Stile;
Doch grünt in Eurer Art ein Lorbeerbaum!
Oh Tintoretto, lauter goldene Trauben,
Ein ganzes Erntefeld hast Du erschaut,
Des Herbstes Wolkengold und Kupferlauben
Sind wiederum in Dir emporgegraut.
Venedig, ganz Arkadien ist erstanden,
Dein Veronese übersteht den Lenz,
Die Träumer, die an Deinem Strande landen.
Beräuchern Deine Weltmagnifizenz.
[62]
[Der Zauber, den ringsum die Nacht aufgerufen]
Der Zauber, den ringsum die Nacht aufgerufen,
Beginnt sich vernehmlich am Meere zu regen,
Im Schatten verblauen die marmornen Stufen
Der stillen Paläste an wogenden Wegen.
Der goldene Samen des schaffenden Tages
Ist ringsum im flutenden Meer aufgegangen,
Allüberall flackert und glastet ein wages
Geringel von Aalen und glitzernden Schlangen.
Beim Gondeln begegnen wir Zitterpolypen,
Nebst Austern uud anderen Muscheln der Tiefe,
Die ringsum gespenstig am Wellenkamm wippen,
Es ist, ob die See von Gethier übertriefe.
Auch mir will die Seele im Leibe entquellen,
Die Wünsche entsprudeln, gleich Gischtschmetterlingen,
Den innigsten Wellen, die Freuden erhellen;
Ich will, ach ich will mich ins Lichtdasein schwingen.
Ihr Perlen und Spangen am Grund meiner Seele,
Oh laßt Lebensfunken den Blicken entsprühen,
Und dann sehnlichähnliche Thränenjuwele
Im nämlichsten Wesen voll Schwermuth erglühen!
Ihr Tage vergraut, Nächte dunkelt vorüber,
Bis endlich die Sonne mein Glück mag bescheinen,
Das Herz geht mir über, mein Einblick wird trüber,
Oft möchte ich schluchzen und Felsen wundweinen.
Wann wird mir ein Mund mein Geheimnißwort sagen,
Mein Weib, oh mein Weib, wirst Du je mich verstehen?
Dein Mund muß die Gluth meiner Lippen ertragen,
Mein Schmerz wird zu Dir als mein Glück überwehen.
[63]
Die Münder verbrüdern Millionen von Blüthen,
Drum muß jedes Wort, das sie sagen, befruchten,
Ein Mund lispelt Liebe und läßt Stürme wüthen,
Die fern in den Seelen sich fruchtbar verschluchten.
[Auf des Tages Abendschleppe]
Auf des Tages Abendschleppe
Streut der Mond sein Lichtgeschmeid,
Über ferner Alpentreppe
Funkelt noch das Purpurkleid.
Doch ein Ruhestundenschleier
Glitzert jetzt allein am Meer,
Schwangespenster, Silberreiher
Wimmeln, schwimmen ringsumher.
Wie in einem Irisbecken
Ruht der goldene Honigmond,
Zarte Wolkenhände strecken
Ihn empor, wo Sirius thront.
Viele ersterglimmte Lichter
Nicken wieder schläfrig ein,
Denn des Mondes Flor wird dichter,
Alles, alles funkelt rein.
Da vor unserm Gondelbuge
Rauscht ein weißer Fabelschwan,
Rüstet er sich gar zum Fluge?
Immer huscht er um den Kahn.
[64]
Kaum hält unser Fährmann inne,
Taucht das Thier ins Meer hinab,
Und in bleicher Silberrinne
Biegst Du um ein Marmorkap.
In den heimlichen Kanälen
Ist der Schwan dann wieder da,
Dichtumloht von Mondjuwelen
Lenkt und leuchtet er beinah.
Seine weißen Flimmerglieder
Sind viel zarter als ein Traum,
Rings verliert er sein Gesieder,
Oder ist es Gischt und Schaum?
[Steile Thürme hoher Bauten]
Steile Thürme hoher Bauten
Steigen ringsum jäh empor,
Ausweichrufe nur verlauten,
Finster bleiben Thür und Thor.
Oft kann sich der Mond verstecken;
Hinter irgend einem Haus
Will er sich dann vorwärtsrecken –
Plötzlich aber bleibt er aus!
Dunkel wechselt mit der Helle,
Wolken treiben hin und her,
Schneeschein deckt die Riowälle,
Furchtbar dröhnt das ferne Meer.
Stürmen wird es, Wind und Regen
Singen bald ihr Schauerlied,
[65]
Und auf stillen Silberwegen
Horch ich dann was rings geschieht.
Oh, es drängt mich wildes Grausen
Hin zum bleichen Dünenmeer,
Wellen, die die Winde krausen,
Reitet jetzt ein Hexenheer.
[Ein Stier mit einem Silberhorn]
Ein Stier mit einem Silberhorn
Trägt die Nacht aus Nebelfugen,
Durch Wolkenritzen windverworren
Siehst Du kaum die Sterne lugen.
In schwüle Dünste eingehüllt
Schwärmen düstre Mondlichtseelen,
Der Wölfe Troß, der oben brüllt,
Klefft den Wind aus Silberkehlen.
Die Thiere, noch ganz ungezähmt,
Bleiben rudelweise stocken,
Die Hexen humpeln halbgelähmt,
Viele wollen plötzlich bocken.
Am Hexenbuckel huckepack
Mit weitausgespreizten Beinen
Hockt oft ein Zwerg als plumper Sack,
Gnomen reiten selbst auf Schweinen.
Was hackt sich dort die Flügel aus?
Ach, das sind die Mondlichteulen,
Sie wirbeln rings in wildem Braus,
Oben muß die Bora heulen.
[66]
Der Wind verrammelt rasch die Thür
Großer, voller Wolkenberge,
Im Innern aber wühlt dafür
Eine Schaar geringer Zwerge.
Ein Schneegebirg, ein Slavenschloß
Scheint der wilde Sturm zu tragen;
Den Ritt auf tollem Nebelroß
Will ein dünner Lichtprinz wagen.
Schon sprengt er vor, er wagt den Sprung
Hin zur Burg der Silbersale,
Es wohnt da drin in großem Prunk
Eine bleiche Fabelseele.
Wie traumverloren sitzt sie dort,
Spinnt an ihrem Silberrocken,
Die Spindel webt in einemfort
Und verstreut die Mondlichtflocken.
Ich blicke lange dort hinein,
Schön sind diese Wolkenhallen,
Bis Nebel um den Sonnenschrein
Stummer Mondnachtmärchen wallen.
Vom Lido hörst Du Prall auf Prall
Wogenbogen wild zersplittern,
Daß Gischt und Schaum beim Wellenfall
Silberblitze grell durchzittern.
Es scheint hier manches Marmorhaus
Blendendweiß und schroff gezimmert,
Besonders wenns der Wogenbraus
Silberkalt und bleich umschimmert.
[67]
Das wurde einst aus Griechenland
Hergefloßt in gleichem Strome,
Der wogte es von Hand zu Hand
Und verklärte es zum Dome.
Jetzt scheint mir, daß ein Silberwurm,
Dort im Meer, ein großer Drache,
Im Mondlichtpanzer nun den Thurm
Des Sankt Georg still bewache!
Auch steigt ein dichter Silberrausch
Aus dem weichen Wogenpfühle
Und schnellt sich rasch als Lebenshauch
In die nächtlichscharfe Kühle.
Es gab so einer Schaumgestalt,
Kaum erwacht in Mondlichtfrieden,
Der Griechengeist einst Formgehalt,
Denn das sind Okeaniden.
Hoch oben, von der Nacht verscheucht,
Fliehen Mondlichtsilberfalter,
Ein Hexenschwarm, der weiterkeucht,
Schleppt sich fort, trotz Sturm und Alter.
So manche Wetterhexe wirft
Blicke aus der Nebelkappe
Und schärft sie, da sie vorwärts schlürft,
Daß sie besser weitertappe.
Am Meeresstrande aber wohnt
Manche Nymphe schmuck und schnippe,
In Silberspiegel wirft der Mond
Frische Jugendkraft der Sippe.
[68]
Es schleppt sich nun ein Rittertroß
Schwer heran auf Zottelkleppern,
Gar müde sind schon Mann und Roß,
Wenn sie sich zusammenläppern.
Bis übers Knie sinkt jeder ein,
Weich und schlüpfrig sind die Dünen,
Doch traben sie im Mondenschein
Als verwegene Nebelhünen.
Sie reiten mühsam bis zum Meer,
Ohne alle Sturmnachtrufe,
Und sie verlieren ringsumher
Aus den Dünen Silberhufe.
Es schlottert alles schon vom Leib
Dieser müden Nebelschaaren,
Im Meere grinst ein Hexenweib
Mit verwirrten Mondlichthaaren.
Im Dunst erstickte fast der Wind,
Und es rieselt schon der Regen,
Durch Wolken guckt der Mond geschwind,
Da sich Schleier um ihn legen.
Doch wie der Dunst sich kaum verzieht,
So entsteht ein Mondlichtleben,
Denn wo er sich in Tümpeln sieht,
Bleiben bleiche Krabben kleben.
Die sind des Mondes Wirbelbild,
Sinds im krausen Wellenspiegel,
Dem allerhand Gethier entquillt;
Und am Ufer liegen Igel.
[69]
Fern im Schlamme siehst Du noch
Reiter sich und Rosse wälzen,
Die meisten stürzten in ein Loch,
Sieben schleppen sich auf Stelzen.
Ein Panzerschiff im Hafen scheint
Fast ein Wallfisch aus dem Norden,
Ein Unhold, der den Tag verneint,
Stets bereit, das Volk zu morden.
Venedig, bist Du endlich frei?
Eine Albkraft will mich würgen,
Die Panzerfaust, so schwer wie Blei,
Muß den Druck auf Dich verbürgen!
[70]
Rom
[Ihr Wasserträgerkaryatiden]
Ihr Wasserträgerkaryatiden,
Einst wart Ihr Romas Ziegelsklaven
Und heute seid Ihr Invaliden,
Die früh mit hohen Architraven
Sich fort und fort in sich verschlangen,
Bis sie im fernen Apennin
Gar viele Quellennymphen zwangen,
Vor ihrer Kaiserin zu knien.
Die klaren Bergströme ergossen,
Wie Strahlen, senkrecht sich nach Rom
Und sprangen, sprudelten und flossen
Dort munter als Brillantenstrom.
In Iriskränzen wühltet, spieltet
Ihr Tropfen und Ihr frohen Lichter,
Ihr frischen Blumenschäume kühltet
Der Götter Marmorangesichter.
Dann stürzte Zeus von seinem Throne,
Die Nixen wurden bald verjagt,
Und blasser ward der Glanz der Weltenkrone,
Die siebenzackig sonnwärts ragt.
Ihr Invaliden steht ermattet
In der Campagna nun allein;
Verstümmelt, weinumrankt beschattet
Ihr Ziegen noch im toten Hain;
Voll Trauer seht Ihr wie die Reben,
Sonntrunken in verschlungenen Reihn
Und stolz auf den Albanerwein,
Rings freudig in die Weite streben.
Ihr Saft quillt goldig aus den Trauben,
Die in des Herbstes Purpurlauben,
Umrankt von grünen Epheuschlangen,
Auf tiefgebeugten Ästen prangen.
[73]
Durchglüht den Wald der Abendschein,
Beginnt das Licht rings zu verklingen,
So ists, als ob im Pinienhain
Die schwersten Silberfrüchte hingen;
Drangen scheinen uns zu blenden,
Ein grelles, gelbes Transparent
Verhängt das ferne Firmament,
Und Riesenbäume spenden
Uns roter Äpfel große Last;
Doch geht hinter den Obstgeländen
Der fahle Tag dann bald zur Rast,
So fallen sie gereift vom Ast.
[Aus einer Wolke Glastportalen]
Aus einer Wolke Glastportalen
Besonnt die Glut das Herz der Welt
Und spannt mit ihren goldenen Strahlen,
Hoch über Rom, ein Riesenzelt.
Die Nebel, die sich fest verkneten,
Umzackt ein schroffer Feuerrand,
Dann werden sie zu Goldmagneten,
Denn Glut entsaugt das Gold dem Land;
Und viele scheinen selbst mit Händen
Die Farben ringsum anzuziehn,
Und wo sie Lohe wild verschwenden
Da ists, als ob Vulkane spien!
Ist auch die Sonne schon gesunken,
Erhalt sich eine Wolke lange
Die Abendglut in ihrer Wange
Und walzt sich plötzlich farbetrunken
Ins Dämmergold, das aufwärts schwellt.
Der Himmel scheint ein Erntefeld
[74]
Mit reifen Sonnenstrahlenähren,
Die Spukgebilde nun verheeren;
Und viele Kupferkuppeln schimmern
Des Abends um das Kapitol,
Und viele tausend Fenster flimmern,
Wie überklebt mit Goldstanniol.
[Der Boden ist verdorrt und braun wie Ocker]
Der Boden ist verdorrt und braun wie Ocker,
Die Hütten und Gebüsche siehst Du kaum,
Die Häuser sind aus Lehm gebaut und locker,
Das ist der nahen Großstadt gelber Saum.
Was leuchtet dort hinter den welken Bäumen?
In tausend Farben schimmert jetzt ein Feld,
Ich sollte so ein Schauspiel nicht versäumen,
Die Todten steigen aus der Unterwelt!
Ich bin zu Allerseelen angekommen,
Oh Rom, schon zeigst Du Dich in buntem Kleid!
Es brennen rings die Blutlampen der Frommen,
Dabei der gelbe Schmerz, das blaue Leid;
Das ist die Saat, die Gottes Licht verstreute
Und die sich Rom in seinem Hain gehegt,
Das da sind lauter brave Weinbergleute,
Die längst der Todesengel fortgefegt.
Feldeinwärts greifen schon die Spinnenfühler
Der Stadt, die jetzt mit einemmal beginnt.
Die Häuser steigen an. Die Luft wird schwüler.
Es zieht mich in das fremde Labyrinth.
Doch überall, hinter den Wuchtzypressen,
Entschwirrt den Friedhöfen ein Schein wie Od.
Ich werde diesen Eindruck nie vergessen,
Ich lobe Rom, dem Hoffnungsroth entloht!
[75]
[Den Meisten scheinst Du, Rom, dazu erkoren]
Den Meisten scheinst Du, Rom, dazu erkoren,
Den Frieden immer wieder zu verleihn,
Hat man die Ruhe in der Welt verloren,
So will man Rom, dem Erdenherz, sich weihn!
O Sonnenstadt, Du gießt den großen Massen
Dein Friedensöl in ihre Seelenfluth,
Und selbst den Menschen, die Dein Walten hassen,
Verjüngt Dein Zauber noch den Glaubensmuth.
Ruht doch in Deiner fabelhaften Enge
Die Kraft, die unsern Menschengeist befreit;
Du einst in Dir das größte Machtgepränge
Und wahrst dabei die stolze Eigenheit.
Die Herzblutwellen, die durch Völker rollen,
Entschnellst Du, Rom, durch Deiner Pulse Schlag,
Der Welt befiehlt dadurch Dein Herrscherwollen,
Doch diese leistet nur, was sie vermag!
Es rannte mancher Papst mit seiner Stirne
Wohl aus Verzweiflung an die Tempelwand,
Beschränkt erschienen ihm die Christenhirne,
Für Großes reicht kein menschlicher Verstand!
Dann ward durch Romas Wuth die Welt vergiftet,
Die ganze Menschheit hat den Zorn erweckt,
Der Lateran hat Böses angestiftet,
Das Fieber dann die Erde angesteckt!
So war es mir, als ich die Urbs begrüßte,
Und die Campagna hell in Flammen stand,
Ein Pilgerchor, der seine Schuld verbüßte,
Schlich romwärts in den hellen Feuerbrand.
[76]
[Enthüllt sich mir ein Glücksempfinden]
Enthüllt sich mir ein Glücksempfinden,
Kann ich an Deiner Herznatur
Die Seelenruhe wiederfinden,
Oh Rom, befreit mich Dein Azur?
Ein Sonnentag ist eine Freude
Und wirklich anders hier in Rom,
Krystall umfunkelt die Gebäude,
Die Lust ist mir ein Lichtphantom.
Es ruht des Himmels blaue Leere
Auf Säulen ganz aus Luft und Licht,
Es gleicht der Äther einem Meere,
Kein Himmelssegler ist in Sicht.
Die Sonnenfäulen stehn auf Plätzen
Und tragen ihren Baldachin,
Die Stunden werden sie versetzen
Und ihre Schatten weiter ziehn.
Ein Lebensdom mit Sonnenpfeilern
Zieht ewig über Meer und Land,
Doch bleibt in trägen Erdverweilern
Sein Wesen völlig unerkannt.
Die Sonnenpsalme, die erschallen,
Singt unsre Seele, lichtverwandt,
Und Geister baun sich Tempelhallen,
Wo der Gedanke sich entspannt.
Oft werden Götter überwunden,
Gar bald verlischt ihr hoher Ruhm,
Doch neuer Götzen rasch entbunden,
Verbleibt der Mensch im Heidenthum!
[77]
[Zur Pauluskirche geh ich täglich]
Zur Pauluskirche geh ich täglich,
Es war zuerst blos Zeitvertreib,
Doch liebe ich sie jetzt unsäglich
Und suche dort nach meinem Weib.
Zur Kirche müßt es wiederkehren,
Beglückt wie ich durch ihre Pracht,
Es sollte stets den Rausch begehren,
Der immer wieder hier erwacht!
Der Frau gefallen Kolonnaden,
Die um den Marmorspiegel stehn,
Die Üppigkeit im Knauf entladen
Und sich im Boden wiedersehn.
Es schweift ihr Sinn an Säulengängen
Hinab, hinan und weit zurück,
Sie liebt die fächerfreien Längen
Und Räume, rings beherrscht vom Blick!
[Der Petrustempel bleibt hienieden]
Der Petrustempel bleibt hienieden
Zum Einbruch ferner Geister frei,
Es birgt den zweckefremden Frieden
Des Domes aufgerecktes Ei.
In Völkern, die im Kampf gewonnen,
Wird aus dem menschlichen Gehirn,
Dem Weltgesetze eingesponnen,
Sich neue Lebenskraft entwirren.
[78]
Es wird der Mensch einst ohne Sorgen
Zum Geist, der gegen Schein sich bäumt
Und unbekümmert um ein Morgen
Die Phantasien ganz entzäumt.
Die Macht sei eingeprägt in Rassen,
Die ihren Staub sich umgeschafft,
Denn sonst verliert sich in den Massen
Der Auserlesenen Sonderkraft.
Dann soll der Mensch in diesen Räumen,
Wo man das Höchste schon erfaßt,
Der Kindheit Gaukelspiel verträumen;
Bei Göttern ist er hier zu Gast.
Unheimlich sind die Dimensionen,
Wo Perspektive fast verschwand,
Den ptolomaeischen Legionen,
Die Eigenmaaße nur gekannt.
Den Raum, die Zeit zu überwinden,
Versucht der Mensch im Petersdom,
Einst werden sie von selbst verschwinden,
Schon bannt uns Ewiges an Rom.
Ein großer Meister, der uns mahnte:
Kopernikanisch sollt Ihr sein!
Und freiere Geschlechter ahnte,
Erbaute seinen Traum in Stein.
Wie bei dem Hirn die Schädeldecke
Sich an die innere Fülle paßt,
So wälzte er die Marmorblöcke
Um die Idee, die er erfaßt.
[79]
Er thürmte auf und wölbte mächtig,
Was seiner Ahnung klar entsprang,
Verjüngungskühn, gedankenträchtig
Gebar er seinen Marmorsang.
Der Geistesblitz, der den Planeten
Ins Sternenall hinaufgeschnellt,
Begeisterte den Steinpoeten
Zum größten Tempel dieser Welt.
Er ahnte mehr als er vernommen
Und setzte schon das Monument
Gedanken, die noch kaum erglommen,
Wo die Idee schon hell entbrennt.
Ihr Lebensfeinde, schwere Steine,
Wenn Euch ein Sonnensohn bezwang,
Seid Ihr im rhythmischen Vereine
Ein felsgewordener Sonnensang.
Bei allen heißen Meißelschlägen,
Wenn blitzend das Gestein zerspringt,
Wenn Riesentrümmer sich bewegen,
Und irgendwo ein Werk gelingt,
Wenn wir die Säulen sonnwärts stellen,
Was nur Titanenkraft vollbringt,
Wenn die Gebirge selbst zerschellen,
Hast Du, oh Sonne, uns gelingt.
Drum Marmorstein, Du mußt erbleichen,
Du dienst dem Himmelstürmer Geist,
Den keine Fallsterne erreichen!
Der Meteor erlischt, vereist.
[80]
Zu seiner Sehnsucht Starre friert er.
Bringt Kandelaber, reich geschmückt!
Stellt sie um Marmorbilder reichgezierter
Bekräftiger, daß Euch viel geglückt!
Die Leuchter schmücken goldene Spangen,
Die Blutrubine starr umglühn,
Smaragde seh ich ringsum prangen,
Brillanten in den Tempel sprühn.
Nun spricht ein sanftes Gold zum Herzen,
Es rauscht mich an wie Feuerklang,
Gar lieblich flimmern stille Kerzen,
Und das Gemüth wird wehmuthskrank.
Ich höre Engel jubelnd singen,
Die Thränen werden deren Kleid,
Und die Musik zu Unschuldsschwingen,
Mein Glück, da gleichst Du meinem Leid!
Die Wuchtkuppel durchbraust ein Psalter,
Hoch oben schwebt ein Cherubim
Als hehrer Hierarchieerhalter,
Denn Art und Adel tagt in ihm!
Hinan zu meinem Götterhimmel!
Hier werde ich zum Kind und schwach,
Mein Traum entrausche dem Gewimmel,
Du Meteor in mir, erwach!
[81]
[Dir Artemis, der Erstgeborenen]
Dir Artemis, der Erstgeborenen
Von Letos hohem Zwillingspaar,
Dem reinsten Weib, dem zuchterfrorenen,
Bringt mein Gemüth den Nachtsang dar.
Dein Speer und Silberpanzer blinken.
Auf wildem Schimmel, ohne Zaum,
Die Halbmondfackel in der Linken,
Durchschweifst Du still den Sternenraum.
Du reitest sicher, ohne Zügel,
Und stürmisch wiehert nun Dein Roß,
Es wittert weißes Nachtgeflügel,
Da schleuderst Du Dein Wurfgeschoß!
Es sprengt Dein nacktes Magdgeleite
Auf Windfliehern um Dich herum,
Wohl keine weicht von Deiner Seite,
Zur Jagdzeit sind sie meistens stumm.
Sie haschen Vögel, die ermüden,
Doch blos die Göttin wirft den Speer,
Nun kommt der Jungfrau, aus dem Süden,
Ein Vogelzug jäh in die Quer.
Um Störche, weiße Tauben, Reiher,
Ein reiches, frühes Lenzgeschenk,
Wirft jetzt der Jagdtroß dichte Schleier,
Und fängt sie listig und gelenk.
Doch vorwärtswirbelnd, wiederkehrend,
Setzt sich der Vogelschwarm zur Wehr,
Sich weiterwindend, rings sich mehrend,
Weicht nimmer dieses Wolkenheer.
[82]
Dianas Fakel zu verdüstern,
Scheint ihnen Rettung in der Noth,
Doch bleiben sie von Windverwüstern,
Trotz Muth und Hurtigkeit, bedroht.
Ein Zug von Turteln gurrt, und lüstern
Wirft sich der Jungfrau munteres Pferd,
Jetzt geifernd aus den weiten Nüstern,
In diese Schlacht, die es begehrt.
Ganz wirr, verworren sind die Mähnen
Der Gäule bei der wilden Jagd,
Sie tragen tausend Luftsirenen,
Von Artemis hoch überragt!
Die führt den Troß, der sie begleitet,
Jetzt wüthend ins Getümmel ein,
So weit das Wolkenfeld sich breitet,
Entbrennt der Kampf im Fackelschein.
Sowie die Herrin Beute wittert,
Durchzuckt Begierde ihr Gesicht,
Es blendet, bricht, es blitzt uud splittert
Jetzt Britemertis Silberlicht.
Sie will das Wild zu Tod verletzen,
Ganz rücksichtslos wird aufgeschlitzt,
Selene liebt das tolle Hetzen,
Ihr Silberlicht wird rings verblitzt.
Bald wird das Nachtgezücht zerstieben,
Der Himmel ist mit Flaum bedeckt,
Der ganze Schwarm ist aufgerieben
Und im Gemetzel lahmgeschreckt.
[83]
Den Göttern wird als frohe Kunde
Verkündet, daß die Schlacht vollstreckt,
Es heulen noch die Sturmwuthhunde,
Sie haben heute Blut geleckt.
Der Himmel muß als Mond erscheinen,
Der sich ins Sternenall erstreckt,
Denn hinter Federn und Gebeinen
Liegt nun der Kampfplatz ganz versteckt.
Hoch oben sieht man Kraterschlacken
Von Silbersäumen leicht erhellt,
Und scharf umgrenzt von Mondlichtzacken
Erscheint das große Todtenfeld.
Erstarrt, vereist ist jetzt der Himmel,
Der Mond eroberte ihn ganz,
Und siegreich sticht das Jagdgewimmel
Sich einen Rieseniriskranz.
Nur langsam löst sich das Gefieder,
Es ist der Göttin Jagdtrophäe,
Als Flocken wirbelt es hernieder,
Die Höhen hüllen sich in Schnee.
Als strebten Segler nach dem Orte
Der sichern Rast, mit scharfem Kiel,
Drangt durch das Wogen unserer Worte,
Durch kühner Rhythmen Wechselspiel,
Gleich Pfeilen von entspannter Sehne,
Als Lichtbild, herrlich die Idee:
So tritt aus Nebeln jetzt Selene,
Ganz Hellas glänzt in Silberschnee!
[84]
Das Mondlichtnetz umschlingt uns wieder,
Der Himmel ist fast wolkenfrei,
Und Leleithia steigt hernieder,
Sie hilft des Nachts von eins bis drei.
Stets westwärts wehen die Jägerschaaren
Im Mond Muchion übers Meer,
Wie sie Italiens Strand gewahren,
Fliegt flinker noch das freie Heer.
Durch Wälder streifts im Schwebeschritte
Als blasser, weißer Nebelstreif,
Um Wiesen schweifts, mit leichtem Tritte,
Und gleitet schon und schleift aus Reis.
Die Göttin sieht auf fernen Zinken
Des Bruders Troß im Purpurlicht,
Und horch, sie muß zum Aufbruch winken,
Da eine Jungfrau leise spricht:
[Zu Wüstensand verbrannte]
Zu Wüstensand verbrannte
Der Erde trockener Theil,
Und in die Wildniß sandte
Apoll den ersten Pfeil.
Der Wüstenathem brachte
Ihm nichts als heißen Sand,
Er schmachtete und dachte
Vielleicht an Phöbos Hand.
[85]
Die Gluthenstrahlen drangen
Gar tief ins grüne Meer
Und regten das Verlangen
Nach Wolkenschutz und Wehr.
Gar duftige Gestalten,
Vom Wellengang geschnellt,
In Nebelmänteln wallten
Nun in die blaue Welt.
Sie kamen unvermuthet
Zum ausgedorrten Pfeil,
Er war beinah verblutet,
Sie brachten ihm das Heil.
Er wäre bald verkommen,
Er schmachtete im Sand,
Sein Leben schien verglommen,
Die letzte Hoffnung schwand.
Die Nebel kosten, küßten
Den dürren Zukunftsbaum,
Sie labten ihn mit Brüsten,
Erfüllt von Lebensschaum,
Sie sagten: Nicht verzagen,
Es wird die Hoffnung bald
Im Boden Wurzel schlagen,
Sie sei Dein fester Halt!
Sie rauschten das mit Wärme,
Erst hörte er sie kaum,
Dann sah er Nebelschwärme
Ringsum im ersten Traum.
[86]
Bald drangen frische Kräfte
Zum letzten Federnsaum,
Und grüne Frühlingssäfte
Durchfieberten den Baum.
Oft hat die Langeweile
Die Palme dann gequält,
Von einem andern Pfeile
Ward ihr darauf erzählt.
Zu unverheilten Wunden
Rang sich ihr Sehnsuchtsdrang,
Da ward die Brunst entbunden
Und blühte liebesbang.
Die Hoffnung wollte lieber
In keiner Blume ruhn,
Sie schwang sich noch hinüber,
Als Duft sich zu verthun.
Den andern Baum bethörte
Der Düfte Überschwang,
Sein Blüthenohr erhörte
Was sein Gemüth durchdrang.
Doch hat der Blüthenzungen
Geflüster nicht die Scham
Der Blume gleich bezwungen,
Als sie von Lust vernahm.
Erröthend nur erhörte
Ein Kelch den Duft sogleich,
Die meisten aber störte
Er nicht, sie welkten bleich.
[87]
Verdurstend, elend, standen
Die Palmen oft allein,
Die Nebelkinder fanden
Sich lange, lang nicht ein.
Vom alten Baume blieben
Sie ganze Monde fern,
Da ward er aufgerieben,
Es brach sein Lebensstern.
Die letzten Wesensstrahlen
Erblühten noch voll Pracht,
Es sind die Purpurqualen,
Als Abschiedskranz, erwacht!
[Oh Göttin, welches Weh durchzittert]
Oh Göttin, welches Weh durchzittert
Dich sanft, da Du das Lied erlauscht,
Hat es die Keuschheit Dir verbittert,
Hat Dich der Traum vom Baum berauscht?
Von Ästen seh ich Nebel baumeln,
Der Jungfrau Traumlust scheint erwacht,
Sie zagt, ihr bangt, sie könnte taumeln,
Nun blendet sie die eigene Pracht!
Die Stute wiehert, denn es striegelt
Sie schon der erste Sonnenschein,
Ihr Waidweibantlitz aber spiegelt
Der Nemisee entzückend rein.
Die Schönheit, die ihr göttlich deuchtet,
Die ward mit Keuschheit ihr bestimmt,
[88]
Drum hat ihr Blick sich leicht befeuchtet,
Sie flieht, da schon der Tag erglimmt!
[Es steigt mit der goldenen Leier]
Es steigt mit der goldenen Leier
Apollo empor in die Welt,
Das Licht ist an sich eine Feier,
Und wer sie empfindet ein Held.
Es lüften sich duftige Schleier,
Es trennt sie der strahlende Schwall,
Und Erdstimmen freuen sich freier
Im sonnendurchglühten Krystall.
Das Gold, das wir alle begehren,
Das ewig der Sonne entrollt,
Erklingt in den weitesten Sphären,
Denn alles ergötzt sich am Gold.
Wo Wölkchen am Himmel erglimmen,
Da schweben auch Englein hervor
Und singen mit kindlichen Stimmen
Des Morgens unendlichen Chor.
Kaum hört man die Stimmlein noch säuseln,
Die Äuglein sind strahlend und klar,
Die Lüfte des Frühlings verkräuseln
Die Flügel, das goldene Haar.
Die Elfen beginnen den Reigen,
Sobald nur ihr Weckruf erschallt,
Man sieht sie den Blüthen entsteigen,
Ihr Lichtschritt durchzittert den Wald.
[89]
Sie wirbeln in flimmernden Schäumen,
Sie tragen sie zierlich zur Schau,
Beim Tanzen entfällt ihren Säumen
Erfrischender, perlender Thau.
Sie folgen geschwind Terpsychoren
Und suchen beim Tanze Genuß,
Erhascht von dem Hauche der Hören
Verwehn sie beim brünstigen Kuß.
Jetzt klingen die Lebensgelüste
Zum spendenden Gott aus dem Thal,
Dann sieht er vom Strahlengerüste
Oft Länder, verwüstet und kahl.
Doch brennt er, mit flammendem Stifte,
Der Starre vernichtet, verzehrt,
Lebendige Worte in Trifte
Der Wüste, die Wollust begehrt.
[Der Morgenrothstrauß hat sich lang schon erhoben]
Der Morgenrothstrauß hat sich lang schon erhoben.
Wie Bluttropfenrosen im sammtigen Moose
Ihr Knospen verbergen, verglüht nun dort oben
Im Dunkel der Dünste die letzte Frührose.
Den Himmel umflimmern die lieblichsten Farben,
Im Nebel erscheinen Hortensien und Lilien,
Es züngeln im Blüthenkranz glühende Garben,
Und alles das spiegelt die See von Sizilien.
Jetzt will sich die Anmuth vollendet genießen,
Dazu ihre Ruhe im Meere vertiefen,
Der Spiegel erscheint, alle Brisen zerfließen,
Als ob nun die wogenden Seewünsche schliefen.
[90]
Es gleicht jetzt der Tag einem ruhenden Löwen
Mit goldig erglühender, sonniger Mähne.
Ganz still ist das Meer. Und fast suchen es Möven.
Es ist, als ob jede im Äther sich wähne.
Erschreckt durch ihr Eigenbild flattern sie weiter,
Um irgendwo Winde und Wogen zu finden.
Es reckt nun Poseidon gewaltig und heiter
Sein Haupt aus der See, alle Zweifel verschwinden.
Die Stirne des Gottes ist gar nicht umzogen.
Im Bann seiner Blicke bestätigt sich alles,
Bedächtig und ernst wird die Schöpfung erwogen,
Er denkt an die Kinder des klaren Krystalles.
Da leuchten die Algen und Aderkorallen,
Die leiblos, fast todesverschont, sich vermehren;
Es leben dort Schwämme und farbige Quallen,
Die hinschwimmend Leiden und Jubel entbehren.
Es ist das kein Leben voll Trauer und Schauer,
Wo Leibes und Todesorkane sich hetzen,
Das Wasser ist schwanger an Schwere und Dauer
Und mag sich in klare Betrachtung versetzen.
Es horchen Tritone dem Chore der Horen,
Sie spielen den Sonntag auf goldenen Trompeten,
Es gehn keine himmlischen Hymnen verloren,
Die herrlich der Leier Apollos entwehten.
Es dringt aus den Liedern ein lustiges Trillern,
Ein schalkhaftes Trällern zufriedener Kinder,
Tritonflossen fangen an ringsum zu schillern,
Da lacht man wahrscheinlich und schwimmt nun geschwinder!
[91]
Erfaßt von der Freude am Flimmern und Glänzen,
Versprüht auch der Tag seine scherzhaften Brisen,
Delphine umspringen mit schimmernden Schwänzen
Poseidon, den einfältig lächelnden Riesen.
[Die schaumgeborenen Nixen sind übersprudelnd heiter]
Die schaumgeborenen Nixen sind übersprudelnd heiter,
Sie schnellen sich im Meere, in wilder Lust empor,
Delphine und Tritone sind meist ihre Begleiter,
Gesellig ist ihr Wesen, voll Leichtsinn und Humor.
Du hörst sie unterm Wasser von Lust und Liebe tuscheln,
Sie plätschern und sie schäkern nach lauter Kindesart,
Sie schauen auf zum Strande, bewerfen ihn mit Muscheln,
Und nun erhebt ein Nix sich mit nassem, langen Bart.
Er möchte gerne Fischern verständlich sein und prahlen,
Er taucht nach Iakobsschalen und schlürft daraus das Salz,
Den Bart auswindend spritzt er jetzt plötzlich Wasserstrahlen,
Und Austern, Tang entzaust er dem Haar auf Wams und Hals.
Die raschen Brandungswogen begehren schon das Leben,
Sie rollen voller Sehnsucht herüber übers Meer,
Sie schwellen starke Lüfte, die über Land entschweben,
Und sie gebären Lieder im blinden Greis Homer.
Sie überfluthen Länder und branden erst in Wäldern,
Entzünden bunte Blumen, verkuppeln sie sogar,
Entschäumen dann als Blüthen den winddurchwogten Feldern,
Sie sind die Macht des Meeres, das alle Kraft gebar.
[92]
[Du dunkle See, vertraue Nachts der Sonnenwärme]
Du dunkle See, vertraue Nachts der Sonnenwärme,
Nur was der klare Tag erschafft ist stark und wahr,
Oh Muttermeer, dem Licht gebierst Du Wolkenschwärme,
Denn es befeuchtet und begehrt Dich immerdar.
Ihr falschen Silberblicke doch, im Dunstgespinnste,
Was flackert Ihr so frech, voll geiler Mondesbrunst,
Es ist, als ob ein Geisterbund am Seegrund grinste,
Ihr sucht umsonst nach Lebenslust und Liebesgunst.
Die Liebe seid Ihr nicht, Ihr kalten Augenblicke,
Es kennt die Freude nicht, was sich der Scheelsucht weiht,
Ihr seid kein Samenlicht für Kraft und Glücksgeschicke,
Da ihr zu seelenleer und doch voll Neidsucht seid.
[Du siehst die Eos kaum im Traum erzittern]
Du siehst die Eos kaum im Traum erzittern,
Bevor sie plötzlich schön und rasch erwacht,
Von Helden träumte ihr und Lichtgewittern,
Vom Sonnengott, der sie zum Weib gemacht.
Es ließ das Traumgesicht sie leicht erröthen.
Und schon geschieht was Eos kaum gedacht,
Apollo kommt, den Dunkelwurm zu tödten,
Und beider Liebe überströmt voll Pracht.
[Oh Sonne, unsere holde Lebensmutter]
Oh Sonne, unsere holde Lebensmutter,
Von Wolkenschwärmen bist Du eng umdrängt,
Es gleicht ein Mädchen Dir, das Taubenfutter
Und volles Wohlwollen von Herzen schenkt.
[93]
Die weißen Flaume wehen leicht belichtet
Zum Sonnenscheine, der sie hold erhellt,
Ihr ganzes Wesen scheint hinangerichtet,
Denn sie entwanden sich dem Thal der Welt.
Jetzt schillern sie, bekränzt mit Thauguirlanden,
Und wie Perlmutter glänzt die Seeglasur,
Im Morgenflor wird Aphrodite landen,
Sie bringt die Lebensmilch in die Natur.
[Es grüßt sie Athene mit blitzender Lanze]
Es grüßt sie Athene mit blitzender Lanze,
In himmlischen Augen erblaut ihre Seele,
Sie schaut auf ihr Hellas im traumgrauen Glanze,
Auf Elfenbeinburgen und Lichtseejuwele.
Gar fröhlich bringt Hermes den Göttern die Kunde
Der plötzlichen Schönheit erblühender Wiesen,
Sein Flug unterrichtet fofort Junos Runde,
Denn munter erscheint er auf duftenden Brisen.
Es hören die Götter die Lenzlerchen schmettern,
Es jubeln die Schwalben, es gurren die Tauben,
Die Horen beginnen auf Bäume zu klettern,
Um hurtig den Wald und die Flur zu belauben.
Es wecken der Venus leichtschwebende Schritte
Die schlafenden Thiere, Reptilien und Schnecken,
Befreit sind die Muscheln vom schleimigen Kitte,
Es können sich Nattern jetzt wiederum strecken.
[94]
[Die Sturmfluth des Lenzes, des Lichtes, der Gluthen]
Die Sturmfluth des Lenzes, des Lichtes, der Gluthen
Umbrandet die Hügel als reifendes Korn,
Es steigen die Blutdasein fordernden Fluchen
Stets höher, es speist sie ein Ewigkeitsborn,
Im Herbst aber müssen die Reben verbluten,
Dann leert sich der Flora glückspendendes Horn,
Es werden die Faune in Felsspalten tuten,
Und überall zeigt sich die Dürre, der Dorn.
Kein Laub hemmt den Schall mehr; die Zeit heller Klänge,
Die Jäger, das Echo erscheinen im Thal,
Wild wirbelnde Rhythmen verdrängen Gesänge,
Man klatscht und man macht den Bacchantenskandal.
Es fangen die Faune an rings zu erwachen,
Es staken die Schalke in fremdem Revier,
Du hörst sie und gleich darauf Bergschemen lachen,
Und was man auch sagt, hört ein ganzes Spalier.
Es rufen des Herbstes glücksuchende Stimmen,
Es blutet die Rebe, die Gluthen ersehnt,
Sie liebt den Vesuv und sie will ihn erklimmen,
So sonnt sich Ariadne an den Panther gelehnt.
Es wirbelt des Herbstes bacchantischer Reigen,
Es tanzt ihn im Walde ein weiblicher Chor,
Wie Kupfer entflimmern die Blätter den Zweigen,
Es rascheln dabei Tamburellen hervor.
Wie taumelnd erstarrte Titanen verschlingen
Sich Felsen, von Wäldern und Bächen umrauscht,
In Schluchten, wo lustige Sprudel entspringen,
Hat einst die lärnäische Schlange gehaust.
[95]
Gigantenkakteen gedeihen auf Wänden,
Um Felshermen züngelt wildwuchernder Wein,
Die Rillen durchklimmt er mit blutigen Händen,
Und Moose umflechten wie Bärte den Stein.
Man sieht sich den Epheu zu Schaukeln verknüpfen,
Und drauf hocken Olme und krötig Gethier.
Vor Grotten beginnen Giftvipern zu hüpfen,
Und drinnen pfeift lüstern ein kleiner Satyr.
Auf Pinien und steilen Zypressen verspinnen
Die Lichter sich langsam zu goldenem Flor.
Es zucken des Abends die purpurnen Zinnen
Der Burgen des Tages zum Äther empor.
Jetzt schreitet uns Bacchus im Walde entgegen,
Das Wetter bedingt seinen launischen Sinn,
Nichts ist ihm an anderer Unbill gelegen,
Mit grünendem Thyrsusstab zieht er dahin.
Am Wagen verschlingt sich das Laub um die Speichen,
Es schleppen ihn Panther durch fruchtbare Flur,
Es scheinen die scheckigen Thiere zu schleichen,
Und Epheu entwuchert als Wagenradspur.
Es reicht eine Nymphe dem Weingotte Wasser,
Er sieht nur mit funkelndem Blicke hinein,
Und schon wirkt der Zauber. Der Trank edler Prasser
Entschäumt nun der Schale. Es blutet der Wein.
[96]
[Von Eris, der streitbaren Schwester geleitet]
Von Eris, der streitbaren Schwester geleitet,
Von Hermes, dem Gotte der Stürme befreit,
Erscheint uns jetzt Ares, der ungestüm reitet,
Er fühlt sich zu jeder Verheerung bereit.
Er hetzt mit dem Sturme, der Eichen entwurzelt,
Und Windwirbel wälzen sich hinter ihm her,
Es sind schon Begleiter in Schluchten gepurzelt,
Die Thäler durchrast bald ein schreckliches Heer.
Als stürmisches Dröhnen die Trifte durchschallte,
Erweckten Trompeten die schlummernde Wuth,
Und als dann der Marssang in Halden erhallte,
Berauschte die Mannen barbarischer Muth.
Das Land überfluthen rebellische Stämme,
Es stürzen sich Völker auf fruchtbare Flur.
Die Anhöhen krönen lebendige Kämme,
Es wechselt der Berge bewegte Kontur.
Jetzt schleudert man Steine auf steiles Gemäuer,
Mit Brandfackeln dringt man zum Hauptthor hinan.
Es helfen die Winde, sie nähren das Feuer
Und stecken im Stadtgebiet Brandherde an.
Verreckende Menschen durchwühlen Gebeine
Verstümmelter, röchelnder Krieger am Feld,
Und brennender Städte wildlohdernde Scheine
Beleuchten die Schlachtnacht, die Ares durchgellt.
Den Stadtwall verkleiden gigantische Leitern,
Es thürmen sich Lanzenquadrate steil auf,
Doch scheint rings die Angreifertaktik zu scheitern,
Verschnaufende decken die Erde zu Hauf.
[97]
Der Kriegsgott zieht lachend durchs ärgste Gedränge,
Es freut ihn das Blitzen von Lanze und Speer,
Es dröhnen jetzt überall Schlachtengesänge,
Und hinter ihm taumelt ein klapperndes Heer.
So wird noch der Grause als Traumbild von Kriegern
Im letzten Momente des Lebens gesehn:
»Ohmacht unsere Kinder zu Rächern und Siegern!«
Beginnen dabei, die da fiebern, zu flehn.
Ein sterbender Fürst sieht sein Volk nun in Ketten
Und stumm schon, wie Schemen, in fremde Frohn ziehn,
Man kennt ihn nicht, niemand mehr denkt ihn zu retten,
Wie herzlos macht alle der eigene Ruin!
Der Lichtschein der Fackel der Eris beleuchtet
Entsetzliche Szenen; ein Krieger erschlägt,
Von Blut und von Angstschweiß beschmutzt und befeuchtet,
Den eigenen Genossen, der Werthwaffen trägt.
Die Todten ziehn fort, ohne Abschied zu nehmen,
Der Zug ist noch länger und ärger gepreßt,
Die Krieger verbluten, umgaukelt von Schemen,
Und plötzlich entsteigt zwischen Freveln die Pest.
Sie schließt sich an alle veränderten Farben,
In schwarzen Gewändern durchstreift sie die Nacht;
Harpyen, die schreckliche Gifte erwarben,
Verschleppen was heimlich die Greisin entfacht.
Sie stiegen von dannen, das Nahen der Schaaren
Giebt niemals ein Krächzen und Auflodern kund;
Wir können sie nirgends beim Brüten gewahren,
Sie nisten am liebsten in röchelndem Mund.
[98]
Sie fliegen stets vorsichtig, durchsichtig, leise
Durch Strecken, die eben der Kriegsgott verheert,
Dann ziehen sie immer noch weitere Kreise,
Und wo sie erscheinen, wird eifrig bekehrt.
Es lassen Propheten oft Jünglinge schlachten,
Die werden den Numen zum Opfer gebracht,
Sie trachten ein Sühnungsgebot zu beachten
Und hoffen, daß Zeus holde Milde erwacht.
Von Betenden, die die Altäre umhocken,
Wird eifrig Erlösung vom Übel ersteht;
Sie möchten den Göttern ihr Mitleid entlocken
Und fühlen sich plötzlich vom Pesthauch umweht.
Ein Jüngling verkam bei der schrecklichen Seuche,
Sein Grab hat ein Mädchen für sich mitbegehrt,
Doch waren im Lande die Opfergebräuche
Verzweifelter Bräute und Wittwen verwehrt.
»Verweigert mir jemand mit Dir fortzuschlafen,
So schwöre ich Rache zu nehmen!« Beschließt
Das Mädchen fanatisch: »Auch mich will ich strafen,
Wie Euch, die Ihr stumpf meinen Buhlen verließt!«
Die Rasende sieht man mit Brandfackeln rennen.
Sie wirft sie in Scheunen. Die Flamme erloht.
Jetzt fängt schon der Seuchenherd an abzubrennen.
Und ringsum die Völker verschont nun der Tod!
[Doch früher schon fühlte ein Mann sich erkoren]
Doch früher schon fühlte ein Mann sich erkoren
Und plötzlich von Göttern zum Handeln gedrängt;
[99]
Der Angstschweiß bedeckte des Predigers Poren,
Es war seine Sprache von Geistern gelenkt.
Es schien ihm zuerst, daß ihn Todte beklemmten,
Und plötzlich, als würden ihm Worte entwürgt,
Da bald keine Zweifel den Redeschwall hemmten,
So schien ihm die eigene Mission fest verbürgt.
Er hielt alle Menschen um sich für besessen,
Und wirklich aus allen sprach Fieber und Brunst,
Sie schienen orgiastisch die Pest zu vergessen,
Er dünkte sich ringsum von Schweinen umgrunzt.
Er sah, wie die Leiber ihr Leben erhalten,
Bewußtlose Körper von Fäulniß zernagt,
Verkrampften sich, wollten nicht kampflos erkalten,
Da hat er die Worte der Rettung gesagt!
Es stieg ihm ein Frösteln in Nase und Ohren,
Er glaubte sich selber vom Übel erfaßt,
Er hielt sich beim Reden bereits für verloren,
Drum sagte er alles in rastloser Hast.
Er sprach rasch von Flucht und er ward kaum verstanden,
Es schwoll seine Inbrunst, er sah sich gehemmt,
Ein Schwindel war nahe, die Sinne entschwanden,
Er hat sich der Ohnmacht entgegengestemmt.
Es schienen ihn Todte und Träume zu plagen,
Sein innerstes Wesen ist schrecklich entbrannt,
Es konnte sein Herz ohne Hinderniß schlagen,
Es preßte ihn dann eine blutrothe Hand.
Er sprach von der Sonne, von schöneren Landern,
Er sprudelte Worte vom Auszug hervor,
[100]
Er sah alle Menschen in Flammengewändern,
Sie kamen ihm größer, lichtähnlicher vor.
»Ihr alle seid Kinder des himmlischen Glanzes,«
Begann er, von Fieber geplagt und gejagt:
»Ihr leuchtenden Träger des Urflammenkranzes,
Oh sagt, habt Ihr noch nicht den Ausfall gewagt?«
Doch wiederum fühlt er die Nachtflügel schlagen,
Er wehrt sich uud bäumt sich, spricht doppelt vom Licht,
Erzählt von dem Gotte im fliegenden Wagen
Und stürzt dann zu Boden, sein Augenlicht bricht.
Da schreien und laufen bereits ganze Schaaren,
Die Sonne hochpreisend zum westlichen Meer.
So lang sie die Krone des Lebens gewahren
Befiehlt noch ein Herzog dem rasenden Heer.
Am Strande besteigen sie eilig Triremen,
Die stürmische Brandung, das Dunkel der Nacht
Vermögen nicht Fahrlustorkane zu lähmen,
Man liefert sich oft um ein Boot eine Schlacht.
Man zimmert sich Flöße, trotz Stürmen und Tosen,
Und stiegt auf die Fluchen mit Weib und mit Kind,
Es stürzen am Wogenmeer thurmhohe Hosen
Hernieder, und Segel zerfetzen im Wind.
Es retten sich Wenige nur in den Booten,
So manches, das steuerlos, dichtgefüllt, treibt,
Vermißt auf dem Meere den sichern Piloten,
Man hört wie die Fluch sich an Bauchplanken reibt.
Wohl glaubt man das Ende des Sturmes zu spüren,
Doch fühlt man sich hilflos, verlassen im Meer,
[101]
Man ist nicht im Stande, das Schiffchen zu führen,
Nun scheint die Natur ringsum dunkel und leer.
Doch mag auch das Meer sich im Windschlummer wiegen,
So wacht es doch weiter und nie wird es ruhn,
Die Liebe, das Leben kann gar nicht versiegen,
Am Ozean nachtet ein seliges Thun.
Oft will er sich dehnen und regungslos glatten;
Doch nimmermehr senkt sich sein schöpfender Arm,
Er schlingt mit den Lüften die ewigen Ketten
Des Lebens und schwellt seinen Nachtwanderschwarm.
Ein Boot sah von ferne ein plötzliches Glimmen,
Es ward nur von wenigen Augen gewahrt,
Doch ging es dem Lichte wie freundlichen Stimmen,
Es freute die Menschen auf stürmischer Fahrt.
Bald war es verschwunden und nimmer zu finden,
Die Schiffer durchspähten das Dunkel der Nacht,
Sie trachteten Fackeln am Bug anzubinden,
Es waren die Masten zusammengekracht.
Bald huschte ein Licht, wie ein Irrlicht, am Meere,
Die Fluch schlug darüber und löschte es aus,
Dann fuhren die Armen der Kreuz und die Quere
Und hörten im Meeressaus garnichts als Braus.
Oft zeigten sich Sterne, als Wolken zerrissen,
Sie blinkten wie Splitter auf blaugrauem Stahl,
Der Taggigant hob dann auf wolkigem Kissen
Den Morgen empor in den Sternbildersaal.
Es schienen noch Berge die See zu begrenzen,
Es schliefen die Wellen, der Morgen war lau,
[102]
Man sah oft Sprungbrisen am Meere erglänzen,
Und ringsherum wuchtete wolkiges Grau.
Es springen jetzt Lichtschemen plötzlich zum Meere,
Es lächelt das Wasser, der Himmelsazur,
Die Dünste zertheilen die Tageslichtspeere,
Ein Halbwrack umglüht eine Flammenkontur.
Ein Tag ist erschienen voll goldiger Dauer,
So hold wie ein Jüngling, leichtlockig und blond;
Der Himmel wird dunkler, noch höher und blauer,
Ganz glatt ist die See, die sich wonniglich sonnt.
[Die Verschwenderin der Liebe, unsere Sonne leuchtet wieder]
Die Verschwenderin der Liebe, unsere Sonne leuchtet wieder,
Und das Meer ist von der Wonne ihres Goldes überstrahlt,
Ganze Rudel von Delphinen tauchen auf und tauchen nieder,
Ob das Wasser mit der Sonne und den Meergeschöpfen prahlt?
Alle Wellen sind Impulse, sind der Wunsch nach Windbewegung,
Winde sind die Flucht ins Leben, Sprünge aus dem Ruhezwang,
Und das Leben ist die Sehnsucht und der Flug zur Lichterregung,
Und das Meer ist eine Lunge, voll von großem Athmungsdrang.
Weißes Licht und weiche Lüfte, kommt, das Meer wird Euch empfangen,
Schnellt es Wellen doch mit Armen, ganz aus Gischt und Licht empor,
Seht! Es schleudert Freudenkränze, wo sich Luft und Schaum umschlangen,
Und die stiegen nun vergoldet, wie ein Meergoldmeteor.
Freude siehst Du ringsum funkeln, gar nichts rastet auf den Fluchen.
Athmen will das Meer, nur athmen! Seht den Wind, der ihm entweicht!
[103] Hört ihn kichern, hört ihn plätschern! er, das Kind der Sonnengluthen
Wird die schwülen Lüfte kühlen, wo er nur den Strand erreicht!
Auf den Schiffen die Matrosen werden alle froh und heiter,
Wie ein Traum von Schaumbrillanten zischt der Gischt empor am Kiel,
Ringsum springen die Delphine, unsere munteren Schiffsbegleiter,
Und dann schimmern ferne Riffe, für die Schiffenden ein Ziel.
Jedes Schiff bekommt jetzt Ruder, ja womöglich Steuer, Segel,
Alles regt sich voller Hoffnung, da man fern ein Eiland sah,
Hemden näht man rasch zusammen und man findet Hammer, Nägel,
Und so trägt nach kurzen Stunden manches Boot schon Mast und Raa.
[Durch den Zitteräther blinken]
Durch den Zitteräther blinken
Riffe traumhafter Gestalt,
Oftmals glaubst Du, sie versinken
Als ein Trugbild ohne Halt.
Silberschwingeninseln schweben
Ferner als der Himmelsrand,
Wenn die Winde sich beleben,
Treibt man bald zu ihrem Strand.
Endlich, endlich kommt man näher,
Und die Rettung scheint gewiß,
Denn es sehn die besten Späher
Nirgends mehr ein Hinderniß.
Sind das Inseln der Sirenen,
Von Smaragden eingefaßt?
Warten auf den Sonnenlehnen
Nymphen auf den seltenen Gast?
[104]
Plötzlich wollen alle lauschen,
Jeder fürchtet den Gesang,
Oder hören sie im Rauschen
Etwa schon den Brandungsdrang?
Dennoch gebt es anzulegen,
Sagen sich die Schiffer kühn:
Düfte hauchen schon entgegen,
Und die See wird hell und grün.
Schwierig ist es einzufahren,
Wo das Meer, wie eingeschlitzt,
Zwischen lauter sonderbaren
Klippen Silbergischt verspritzt.
Hohe Brandungswogen pressen
Sich voll Wucht durch eine Schlucht,
Und es wachen rings Zypressen
Um die dunkle innere Bucht.
Doch die Einfahrt zwischen Klippen
Wagt kein Boot bei Wellengang,
Denn mit lauter lauten Lippen
Warnt das Meer den Fels entlang.
An die nächste Inseldüne
Wird ein Schiff dann angeweht,
Denn es haben kühle, grüne
Ströme günstig sich gedreht.
Hin zum Strande, wo die Qualle
Nach dem kalten Salze lechzt,
Steuern jetzt die Schiffe alle,
Rings von Möven laut umkrächzt.
[105]
Viele wollen strandwärts waten,
Und am feinen Muschelsand,
Den die Schiffer nie betraten,
Ziehen sie jetzt ihr Boot ans Land.
Viele weitverstreute Schiffe
Hat ein Strom zum Strand geschwemmt,
Und es wurde durch die Riffe
Nur ein einziges geklemmt.
Kaum ist durch die Felsenenge
Dieses volle Schiff hindurch,
Tönen gleich Sirenenklänge,
Und am Buchtgrund lugt ein Lurch.
Wie die Menschen näher kommen
Sehn sie ringsum Nymphen nahn,
Einige kommen angeschwommen
Und es wippt dadurch der Kahn.
Manche sehn sie Kurzweil treiben,
Viele tummeln sich herum,
Menschen doch und Nymphen bleiben
Alle, voll Erstaunen, stumm.
Jene mit den Robbenschwänzen
Sind den andern stets voran,
Und sie sehn sich beim Scharwenzen
Klug mit Seehundsaugen an.
»Will ein Fürst sich offenbaren
Der den Namen freundlich nennt?
Will er sein Geheimnis wahren
Als ein stummer Meerregent?
[106]
Seinen Wunsch will ich beachten,
Läßt er gütig uns ans Land!
Opferthiere will ich schlachten,
Stehn wir erst auf festem Strand!«
Diese klug erwogenen Worte
Sprach, vom Schiffe aus, ein Mann,
Und aus hoher Felsenpforte
Trat ein Weib, das sanft begann:
»Seid willkommen, Ihr Dämonen,
Hier am stillen Nymphenstrand,
Auf der Insel dürft Ihr wohnen,
Knüpft mit uns ein Freundschaftsband!
Seht in jenem Flimmerrahmen,
Wie der stille Fürst sich nennt,
Ströme winden seinen Namen
Durch die Flut, die blau entbrennt,
Mag der Wind die Wellen hetzen,
Sichtbar bleibt er immerdar!«
Solches sprach in klaren Sätzen
Jenes Weib mit Wunderhaar.
Darauf stieg sie auf die Klippe,
Wo sich wild die Strömung brach,
Und dort lauschte ihre Sippe,
Wie sie freundlich weiter sprach:
»Fremdlinge, Ihr seid erlesen
Hier in unserer Hut zu sein,
Denn wir sind beherzte Wesen,
Die den Menschen Schutz verleihn.
[107]
Durch die Ströme unserer Meere
Wurdet Ihr hierher gebracht,
Der Delphine kundige Heere
Haben Euch dabei bewacht.
Eures Volkes besten Samen
Haben wir in Euch bewahrt,
Ja, wir kennen Eure Namen,
Nun erfahrt von unserer Art:
Wißt, es wurde jedem Fische
Eine Nymphe hold bestimmt,
Seht, wie in der Salzesfrische
Jede anders taucht und schwimmt,
Rings aus unseren niedern Kuppen,
Wo nur eine Nixe liegt,
Leuchten ganz verschiedene Schuppen,
Wenn ein Weib den Schwimmrumpf biegt.
Häufig senden die Forellen
Ihre Nymphen an das Meer,
Über Felsentrümmer schnellen
Sich die Bachbewohner her.
Seht doch, mit dem Karpfenschwanze
Jenes stille Nixenpaar,
Und, im hellen Sonnenglanze,
Jene Goldmakrelenschaar,
Es sind dort die roten Barben
Stolz auf ihren Schuppenglanz,
Schaut und staunt, in tausend Farben
Flimmert unser Nymphenkranz.
[108]
Fische werden sie Euch bringen,
Alles wird Euch hier geschenkt,
In die Netze, in die Schlingen
Wird die Nahrung still gesenkt.
Seid nur gütige Dämonen,
Helft den Nymphen immerdar,
Denn auf fernen Muschelthronen
Herrscht ein böses Otternpaar.
Tief in Grotten soll es wohnen,
Furchtbar wird uns seine Brut,
Nimmer sollt Ihr sie verschonen,
Tödtet sie mit kühlem Muth!«
Kaum war dieser Gruß entflossen,
Trat aus einem Felsenthor
Hold, zum Sonnensang entschlossen,
Die Sirenenfürstin vor:
»Höret nun vom großen Sehnen,
Hier auf dieser Sonnenflur,
Was die Schaar der Felssirenen
Schon an Wundern tief erfuhr.«
Diese holdgesungenen Worte
Wiederholte dann ein Chor,
Und es wuchs am steilsten Orte
Eine Harfe hoch empor,
Gleich umflatterten sie Schwingen;
Durch des Weibes Meistergriff
Ward das Spiel zu Schmetterlingen,
Rings umtanzten sie das Riff.
[109]
Stärker war die Meeresbrandung,
Wo ein Kap sich niedersenkt,
Vor der Insel Felsumrandung
Schien ein Gischtstrom hingelenkt.
»Blickt auf unsere Flattermähnen!«
Hub die Felsentochter an:
»Ungekämmt sind die Sirenen,
Doch schon wogt der Schmuck heran.
Unsere größte Augenweide,
Taucht aus dem Brillantenschaum,
Rauschend reicht er das Geschmeide
Aus dem allertiefsten Raum.
Seht, es schnellt zu jeder Stunde
Anderer Schmuck vom Grund empor,
Unser Blick giebt unten Kunde,
Welche Gluth man sich erkor!«
Solches sangen die Sirenen
Und sie sie flochten Gluth ins Haar,
Bis auf ihren Flimmersträhnen
Nichts als Licht zu sehen war.
Dieses stoß zum Meer hernieder,
Sprühte zu der Fluth zurück,
Und der Felssirenen Lieder
Sangen hold vom Liebesglück.
Ihre Harfe tönte weiter
Und sie wuchs bei jedem Ton,
Ihres Spieles Stimmungsleiter
Schuf sich eine Formvision.
[110]
Denn, statt frischer Silberklänge,
Wurde wildverrungenes Weh
Ein bewegtes Fischgedränge –
Und das fiel dann in die See.
Abend wars mit einem Male,
Ringsum brach das Tagesgold,
Selbst die Nachmittagsopale
Haben sich am Strand verrollt.
»Hört das Wesen unserer Thränen,
Lauscht dem Sonnenabschiedsbrauch,
Hört die Trauer der Sirenen!«
Tönte nun ein Zephirhauch.
»Kommt, Ihr leichten, holden Elfen,
Löst Euch von den Zweigen los,
Kommt, Ihr sollt mir spielen helfen,
Denn die Harfe ward zu groß!«
Also sang die Felsentochter,
Als das letzte Gold verglomm,
Und ihr tonweltunterjochter
Elfenchor gehorchte fromm.
Dieser Fürstin stolze Miene
Schien ergriffen, als sie sang:
»Kurz nur krönen uns Rubine,
Wenn der Tag in Blut versank!«
Dunkler Strudel Purpurgluthen
Schäumten, bäumten sich zur Bö,
Lustimpulse, die noch ruhten,
Sprühten plötzlich in die Höh.
[111]
In den Himmel wuchs die Harfe,
Elfen spielten überall,
Und zur stummen Daseinslarve
Ward schon mancher Anfangshall.
In der Höhe ihres Fluges
Nahmen Vögel ihren Sang,
Von des holden Elfenzuges
Schöpferharfe, in Empfang.
Helle Abendrosenkränze
Schlangen sich im Hain empor,
Und die wunderbarsten Tänze
Wand dabei der Elfenchor,
Rosen wuchsen um die Klippen
Auf der dunkeln Kuppenflucht,
Endlich aus der Boote Rippen,
In der stummen Inselbucht.
Und da riefen schönheitsbrünstig
Viele Stimmen auf der See:
»Große Göttin! sei uns günstig,
Lasse uns in Deine Näh!«
»Hört noch dies von den Sirenen!«
Sang darauf die holde Frau:
»Tiefen Nachtfluthen entlehnen
Wir die reichste Krönungsschau.
Diese Ströme bergen Greise,
Blendendhell ist ihr Talar,
Und in stillem Lichtgeleise
Schreiten sie das ganze Jahr.
[112]
Nur in Silbermondlichtnächten,
Wenn die Muscheln offen sind,
Suchen sie für uns die echten
Perlen aus dem Kalkgewind.
Seht! Die Strömung bringt uns alle
Perlen her, in ihrem Lauf,
Und sie wirft sie uns beim Pralle
Ihrer Brandung jäh herauf.
Wenn wir dann die Perlen tragen,
Glühen Käfer uns im Haar,
Und in ihrem Silberwagen
Naht uns zart die Elfenschaar.
Lauter leise Elfen laden
Perlen auf, für ihren Wald,
Nächtlich schmücken ihn Dryaden
Lieblich dann und mannigfalt.
Morgens, mit der ersten Wärme,
Wogt der Horenzug heran,
Und es sehn die blonden Schwärme
Sich den Putz der Bäume an.
Und sie blicken voll Entzücken
Auf den Perlenüberfluß,
Auf die Nachtthauzweige drücken
Sie den frühen Blüthenkuß.«
Kaum hat so das Weib gesprochen,
Blinkten Meer und Mondenschein –
Plötzlich hat sie abgebrochen,
Und sie lud die Gäste ein.
[113]
Kaum war man ans Land gesprungen,
Hörte man den Wald im Wind,
Doch das Meerlied war verklungen,
Und man hielt sich fast für blind.
Alle Menschen, traumumfangen,
Hatte gleich der Durst gequält;
Von der Ankunft Furcht und Bangen
Wurde später noch erzählt.
Auf der Insel wilder Myrthen
Ließ ein stilles Hirtenvolk
Sich von Nymphen blind bewirthen,
Wunder gaben ihm Erfolg.
Später lebte dort ein echter,
Fabelschauender Poet,
Denn es hatten Urgeschlechter
Guten Samen ausgesät.
Jupiter hat Großes wollen,
Als Semelen er umschlang,
Und da nahmen jene Schollen
Sein Begehren in Empfang.
[Es lebt in Dir, oh Zeus, wie Menschen Dich erfassen]
Es lebt in Dir, oh Zeus, wie Menschen Dich erfassen,
Die Rumpfnatur und unser Trumpf, die Götterwelt.
In Dir sieht man die Riesen, die Du haßt, erblassen,
Sie klammern sich an Dich, wenn sie Dein Arm zerschellt.
Zyklopen, die beim Absturz selber sich zerquetschten,
Hat noch der Kampf gegen die Götterwelt gestählt,
[114]
Als die Titanen einst zum letzten Male fletschten,
Hat sich ihr Satansathem Jovis Licht vermählt.
Sie haben sich versteinernd, noch beim Todesringen,
Umkrallt und ihren Feuerodem selbst gehemmt;
Und schrecklich sieht man ihre Leiber sich umschlingen,
Seit eine starre Kruste unsere Welt umklemmt!
Es lebt in Zeus, was er besiegt hat und zerschmettert,
Die Felsenwucht, die unterm Spiegelmeer versinkt,
Der Lebenssturm, der über Wolken weht und wettert,
Der Menschengeist, der ihn im Marmelstein besingt.
Es haucht Dein Mund, oh Jupiter, die Fluchtplejaden,
Und wenn Du lachst, so flattern Nebelkinder auf,
Es können Deine Blicke Wuthblitze entladen,
Es zeugt Dein Donnerwort vom Ernst im Weltenlauf.
Gott, wolltest Du von Deinem Throne Dich erheben,
So hätte alles Wollen seinen Tod erstrebt,
Du aber würdest still und friedlich weiterleben,
Da Deine Allmacht nie vor einem Ende bebt.
Es kann der Reichtum Deines Wesens nicht erlahmen,
Schon ruht des Fatums Ewigkeit in Dir vollbracht.
Die Weltgedanken drängen sich zu Deinem Samen
Und werden Sterne oder Einzelgöttermacht.
Jetzt runzelt sich auf Deiner Stirn der Menschheit Sorge,
Was trübt auf einmal Deine heitere Majestät?
Die Furcht, daß sich der Geist ein anderes Licht erborge,
Zu dem er einst durch Leid vergöttlicht übergeht?
[115]
[Oh Zeus, Du hehres Angesicht in Hellas Mythen]
Oh Zeus, Du hehres Angesicht in Hellas Mythen,
Du blaue Himmelsjugend, die sich voll verschenkt,
Nun weichst Du einem Wüstengotte der Semiten,
Der in der Menschheit seine eigene Pein bedenkt.
Oh Rom, Du unermeßlich weiter Machtgedanke,
Du Riesenreich, ohne geniale Religion,
Es widerstand Jupiter Stator nicht dem Zanke
Der fremden Gottheiten vor Vestas Thron.
Als sich der Römer vor den Feinden sicher fühlte,
Als kein Barbar Italiens Fluren mehr betrat,
Und ferne sich die Kriegswuth der Quiriten kühlte,
Da ist die Zeit zum Geisterkampf in Rom genaht.
Oh Rom, Du hast bereits zwischen den Ziegelmauern
Gar sanft und gut in trauter Blumenau geruht
Und konntest drum die Götterschlacht nicht überdauern,
Denn stärker als Zäsarenwuth war Glaubensmuth!
Es ward in Rom dereinst ein Tempelbau beschlossen,
In den die Sonne durch die offene Kuppel scheint,
Es ist ihr Licht darin zu jedem Gott geflossen,
Es schien im Pantheon der Weltolymp vereint.
Man wünschte damals wohl nur einem Gott zu dienen
Und ahnte kaum, welch Ei man in die Festung trug,
Man wollte Numen lieben und erbaute ihnen
Den Streittempel, aus dem die Flamme plötzlich schlug.
Die Brandfackel warf einst der Arier Alexander
In eine Tausendglaubensstadt, nach Babylon,
Er schweißte damals viele Götter aneinander
Und setzte sich auf einen neugefügten Thron.
[116]
Doch wurde der, wie Babels Kult, ein Ungeheuer,
Er schwankte bald, und alle Tempel wankten mit,
In Babylon entstand ein großes Glaubensfeuer,
Und es vollzog sich da der Geister Rassenübertritt.
Die Ariergötter wurden männlicher und böser,
Der Rachegeist hat Asiens Staaten eingerenkt,
Gezähmten Wandervölkern aber wurde der Erlöser
Vom Sieger, als Versöhnung, in das Herz gesenkt.
Es überkamen die Semiten Indiens Samen,
Hebräer schürten Asiens Gnadenlicht und Heil,
Die Arier handelten in Staatenschicksalsdramen,
Ihr Pfad zur Rasseneinsicht war verkrümmt und steil!
In Rom erst wurde dieser Kampf ganz ausgerungen,
Die Geister sind zu ihrem Stamm zurückgekehrt,
Das Kreuz hat Asiens Überschwemmungsvolk bezwungen,
Das Judenthum sich gegen Christi Wort gewehrt.
Oh Rom, oh Rom, beschließ die Einheit Deiner Sitten,
Du hast über den Weltenlauf zu kühl gedacht,
Die Römer horchten launisch zu, wenn andere stritten,
Ob Jahwe oder Jupiter die Welt gemacht.
Die Numen wechselten im Lande der Quiriten,
Stets nahm man Fremde auf und hat sie umbenannt;
Es durften alle sich in Rom Altäre miethen,
Man hielt von keinem viel und wurde tolerant.
Der späte Römerglaube war nicht bodenständig,
Sonst hätte ihn kein anderer Brauch ersetzt,
Der Kult der Keuschheit aber war bereits lebendig,
Die Muttergottes hat die Vesta nicht verletzt.
[117]
Das Feuer ehrten stets Italiens Kinder,
Es ward als das Symbol der Ehrfurcht scheu geschürt,
Man übergab ihm Opferlämmer, Widder, Rinder,
Und ward dafür bei seiner Gottheit eingeführt.
Dem Müßiggang verdankt die Frau die frühe Achtung,
War sie es doch, die unkundig für Krieger bat,
Dem Tode schenkt, wer rastlos schafft, fast nie Beachtung,
Doch ist ein Fürwort gut, wenn man dem Ende naht!
Wie sind uns heute die Begriffe doch geschwunden,
Um die Geburt verschiedener Glauben einzusehn,
Wie hätte Christi Wort sich können je bekunden,
Hätte kein Urkult dürfen zu ihm übergehn!
Nur wer vermochte sich zu fremdem Leid zu neigen
Und wer die kleinen Freuden eines Volks verstand,
Wer nicht verschmähte sich als Heidenfreund zu zeigen,
Empfing das wahre Heil aus der Apostel Hand.
Es blieben Krieger, die ihr Leben wild verbrachten,
Als Christen selbst den Sakramenten fern;
Und da sie sterbend erst ihr Seelenheil bedachten,
Vertiefte und verewigte man den Avern.
Es fehlte nicht im alten Rom an Emotionen,
Die Todten wurden öffentlich daselbst verbrannt,
Es freute Rom Bestattungsfeiern beizuwohnen,
Es kam die Plebs der ganzen Urbs herbeigerannt.
Ja, Rom ergötzte sich an Trauerbacchanalien,
Es ward in früher Zeit bereits in Rom gepraßt,
Im Heldenlenze gab es schon die Luperkalien,
Vom Schaulusttaumel ward das ganze Volk erfaßt.
[118]
Erlag ein Imperator durch Gewalt dem Tode,
Hat jeder Bürger sich voll Wichtigkeit gedünkt,
Er fühlte seine Rolle bei der Episode
Und liebte Romas Boden, wo ihn Blut gedüngt!
[Oh Rom, wer hat mit einer Wölfin Dich verglichen]
Oh Rom, wer hat mit einer Wölfin Dich verglichen,
Die Nimmersatt die Völker um sich her verschlang?
Es hat die Menschen stets ein Angstgefühl beschlichen,
Wenn Botschaft Deiner Siege bis zu ihnen drang.
Dich fürchtete die Welt als Unhold voller Tücke,
Als bösen Dämon, der am Erdenrand besteht,
Sie glaubte, Deine Schwere und Gewalt zerdrücke
Unwiderstehlich was ein anderer Stamm gesät.
So seh ich Dich in Menschen, die Du im Triumphe
Durch Deine Gassen fortschleppst bis zum Kapitol;
Legionen brachten Deinem aufgedunsenen Rumpfe
Die Zufuhr, die ihn labt, denn immer war er hohl!
Zum Spotte und zur Marter zogen Todgeweihte,
In langem Zug, durch manchen aufgesperrten Schlund;
Die Siegespforten und das spöttische Geleite
Der Kriegsgefangenen gab seine Bosheit kund.
So konnte der Besiegten Haß noch nicht erschlaffen,
Sie hatten ihre Ohnmacht allerdings erkannt,
Und dennoch blickten sie voll Wuth auf ihre Waffen,
Die Rom zum Hohne neben die Besiegten band.
Die Männer blieben meistens stumm und wuthvergessen
Und dachten still an neue, nahe Körperqual;
[119]
Die Weiber aber schrieen thierisch, wie besessen,
Erfaßte sie die Schmerzensangst mit einem Mal.
Dann wurden sie, ganz ungewohnt länger zu denken,
Urplötzlich still und haben höchstens mitgebrüllt;
Die Römer aber schien die Stumpfheit arg zu kränken,
Denn Folterwuth hat ihren Sinn bereits erfüllt.
Den Qualverfallenen sprachen sie von nahen Schmerzen,
Und haben der Gefangenen Bangen aufgereizt;
Sie wollten erst mit Schreckensgräueln scherzen,
Mit denen sie auch später keineswegs gegeizt.
Verthiert erschienen ihnen meistens die Barbaren
Und nur die Augen kleiner Kinder hell und klug,
Ein Gott dünkte sich jeder unter diesen Schaaren,
Und war gewiß, daß er die Zügel würdig trug.
Der Feldherr mußte still an Alexander denken,
Wie er ihn einst auf einem Schlachtenbilde sah,
Und wollte so die Triumphatorrosse lenken,
Was auch voll Pathos und Geberdenspiel geschah.
Es ward des Vaterlandes glücklichem Befreier
Der Bürger Dank beim Einzug festlich dargebracht,
Ein Dichter hat im Auftrage zur Siegesfeier
Ein Widmungslied auf Romas großen Sohn gemacht.
Oh ruhmumstrahltes Rom, mit einer Riesenrose
Verglich Dein Sänger Dich im Abendpurpurglanz.
Er sah Dich so, da Flammenfalter leicht und lose
Dich bunt umflatterten, als schwirrten sie zum Tanz.
Er nannte, Roma, Dich die Blüthe edler Freuden,
Den Baum der Griechengöttinnen am Tiberstrand,
[120]
Die Stadt in deren Tempeln und Gebäuden
Der Geist des Platon die Gespenster Asiens fand.
Doch scheinst Du, Weltstadt, mir, im klaren Sonnenlichte
Ein Wuchtkrystall, der jede Fluthenflucht bezwingt;
Du birgst, in Dir versteint, die halbe Weltgeschichte,
In der, zum Schutz, die eigene Sonderkeit versinkt.
Du hast wohl fremde Sitten, andern Kult erworben,
Zum Spenden aber war Dein Geist zu klein,
Es hat Dein Volk das Wort des Heilandes verdorben,
Und statt Vergessen lugte Trug aus Deinem Wein.
In Rom erschien der Griechen wunderleichte Muse
Und hat sich an Italiens Lichtfeldern erfreut,
Die Urbs jedoch blieb eine rohe Riesendruse,
Die alles aufsog, was ein freier Geist verstreut.
Das Lied verknöcherte in steifen Gönnerbanden,
Die Kunst war schon vor Alarich in Rom verscharrt,
Das Nazarenerthum hat kurze Zeit bestanden,
Zu todten Formen ist sein Feuerthum erstarrt.
Du wuchsest, Urbs, ohne das Weite zu erstreben,
Die Flora Asiens scheint in Dich hineinkrystallisiert,
Du konntest Dich mit dumpfem Punierprunk umgeben,
Der Rom, das große Erdmuseum, ziert.
[121]
[Aus den Häusern, von den Schollen]
Aus den Häusern, von den Schollen
Reißen sich jetzt trage Haufen,
Denn der Weckruf ist erschollen,
Wilde Bestien werden raufen.
Ja, im Zirkus giebt es heute,
Einen Kampf von Gladiatoren,
Dann zerfleischte Christusbräute!
Alles drängt schon zu den Thoren,
Hin zum Zirkus der Zäsaren;
Römer, Griechen, Skythen, Mohren,
Können da sich bunt gewahren.
Kinder gingen schon verloren,
Mütter fangen an zu kreischen,
Und gepreßte Kinder krächzen;
Vorwärts wollen alle dringen,
Um sich, selbst durch Schreien, Ächzen,
Ihren Einlaß zu erzwingen.
In dem großen Menschenknäule
Können Diebe Beute haschen,
Und im großen Angstgeheule
Ihre Opfer überraschen.
Vor den argbedrängten Pforten,
Und auch drinnen, auf den Stufen
Des Theaters, allerorten,
Fangen Stimmen an zu rufen:
Bestien seien ausgekommen!
Menschen, die zu rasch geklommen,
Um sich Plätze zu erstürmen,
Die im großen Zirkusbogen,
Sich als Stufen Überthürmen,
Wollen wieder niederwogen;
Andre hergerannte Leute
[122]
Aber bleiben trotzdem hocken!
Draußen noch kam eine Meute
Durch die Aufregung ins Stocken,
Da sich in den engen Gassen
Eine Menschenmenge staute,
Die sich durch die Schreckenslaute
Hat von Angst erfassen lassen!
Endlich drängt die Pöbelschlange
Vor bis zu den letzten Sitzen,
Und die Menge kann nun lange
Noch, im Zirkus wartend, schwitzen.
Diese ganzen trägen Massen,
Die das Welttheater füllen,
Wird, sobald die Bestien brüllen,
Wilder Taumel rasch erfassen;
Alle werden ihre Blicke
Gleich zum grausen Schauspiel wenden,
Wo durch Bisse im Genicke,
Menschen ohne Kampf verenden.
Andere, die sich etwas wehren,
Werden wild zerfleischt verrecken,
Um noch anderes Blutbegehren
Ihrer Zuschauer zu wecken!
Ja, die ganze tolle Meute
Wird dann mit erhobenen Händen
Rings, für ihre Menschenbeute,
Tigern lauten Beifall spenden.
Reichgeschmückt ist das Gelichter,
Das da wartet, die Gesichter
Sind gerötet durch die Hitze,
Und darüber fallen Witze;
Römer lachen und verspotten
[123]
Alle fremden Prachtgewänder,
Denn der rombeherrschten Länder
Bunte Völkermassen rotten
Sich im Zirkus bunt zusammen.
Nicht allein das Blutvergießen
Kann das Publikum entflammen,
Noch das grause Bauchaufschlitzen
Durch die scharfen Krallentatzen
Völlig wilder Wüstenkatzen
Einzig alle unterhalten.
Nein, man lacht und spottet gerne
Über schlechtgeschminkte Falten,
Und was sonst das Hochmoderne,
Wie zum Beispiel Flachsperücken
Reicher schöner Adelsfrauen,
Die sich fast barbarisch schmücken,
Um berückend auszuschauen!
Heute wird man auch die Priester
Fremder Völker hier verlachen,
Denn die bleiben meistens düster,
Wenn die andern Späße machen.
Unten sieht man ein Geknülle
Doch man kann nichts klar erkennen
Und vernimmt nur Wuthgebrülle.
Wilde Schaulüste erbrennen,
Ganze Zirkusreihen schreien
Aus das Staubgewölke nieder,
Viele Stimmen prophezeien
Dem und jenem krumme Glieder.
Kaum verweht die Balgerwolke,
Steht in ihrem Katzenruhme
Eine Bestie vor dem Volke,
[124]
Und schon fliegt so manche Blume
Zu den Tigern, die die Christen,
Vor den Blicken Roms, zerfetzten.
Römer wollen sich nun brüsten,
Daß sie wahrlich nicht die letzten
Seien, die im Stande wären,
Gästen, die sie zu sich luden,
Ein Spektakel zu gewähren!
Nubier freuen sich und Juden
Und ganz ebenso Germanen,
Allen ist bereits das Morden,
In geschlossenen Zirkusbahnen,
Ein Bedürfniß fast geworden!
[Sieh Rom, es gleicht Dein rundes Prachttheater]
Sieh Rom, es gleicht Dein rundes Prachttheater,
Das Du der Volksbelustigung geweiht,
Fürwahr dem größten Menschenflammenkrater,
Der Gluthbrunst wuchtvoll rings um sich verspeit.
Es wird von Rom sein Bestes hier geboten,
Denn als es den Theaterbau begann,
Versuchten Künstler alles zu verknoten,
Was je der Geist voll Trefflichkeit ersann!
Es wurden auf Korinthos schlanke Säulen
Etruriens Bögen ringsum aufgesetzt,
Und Hellas Helden mit geschwungenen Keulen
In Marmor und in Travertin gemetzt!
Die Stufen senkten sich vom Aventine
Zum Thale unterm steilen Palatin,
[125]
Dem Hügel mit dem Kaiserbaldachine,
Und alles baute man aus Travertin.
Das war die größte Rennbahn unserer Erde,
Sie hat elliptisch Steinpfeiler umkreist.
Dort bäumten sich die erzgegoßenen Pferde,
Die weither übers Meer nach Rom gereist.
Selbst Obeliske sollten lichtwärts sich erheben,
Auch Sphynxe gab es rings in großer Zahl,
Die Wolfin säugte Rheas Brut daneben,
Der Zirkusherkules war kolossal.
[Ich ahne einen Zirkusbrunnen]
Ich ahne einen Zirkusbrunnen,
Der zwischen stummen Numen plaudert,
Und Buben stechen mit Harpunen
Ins Spundthier, das zu speien zaudert.
Darunter ruht ein Marmorbecken,
Das Steintritone wuchtig tragen,
Und aus den Plätscherfluthen recken
Sich Kinder heiterer Wassersagen.
Als Nixen spielen sie und spritzen
Die Fluth zu losen Luftplejaden,
Und aus den Nebelhemdenschlitzen
Der Weibchen rieseln Gischtkastaden.
Ich höre Abendhauche säuseln
Und sehe Wimpeln die sich schlängeln,
Ich merke wie sich Kämme kräuseln
Und langsam aus dem Becken drängeln.
[126]
Da überspannt die starken Wogen,
Die windbewegt rasch niederschlagen,
Mit einem Mal ein Regenbogen,
Den goldene Sprudelfluthen tragen.
[Der Abend hält die Welt umschlungen]
Der Abend hält die Welt umschlungen,
Der Dinge Lichtringe zerrinnen,
Und lauter goldene Wolkenzungen
Beginnen Stimmung zu gewinnen.
So stiegt denn fort, Ihr Himmelszeichen,
Verklagt die blutigen Zäsaren,
Erzählt von stummen Bruderleichen
Den Schaaren, die Begeisterung wahren.
Entflattert durch den fernen Äther,
Und Pflügern, die ums Wetter fragen,
Erzählt als rastlose Verräther
Von Zirkus und Zäsarenwagen!
Erklärt Euch Völkern, sprecht zu Numen,
Und giebt es wirklich Rachegeister,
So ruft sie auf, und aller Krumen
Befruchtungswunsch sei Cäsars Meister!
Zu Vipern sollt Ihr Wolken werden,
Und laßt Ihr Euch vom Gluthhauch tragen,
So werdet Ihr mit Lämmerheerden
Im fernen Blau zusammenschlagen.
Ein Wolkenwidder wird sich wehren,
Ihr aber sollt nur Rache schreien,
[127]
Mit Blitzen streckt die Lümmelbären,
Der Donner muß den Lenz verleihen.
Das Kriegsvolk, das den Blitz betrachtet,
Wird sich für Speer und Schild entflammen,
Der Priester, der sein Opfer schlachtet,
Hört Götter donnernd Rom verdammen!
Ihr Dünste sollt dann hagelschwanger
Die Wolkenbotschaft weiter tragen,
Und trefft Ihr Bauern an am Anger,
So müßt Ihr sie vom Felde jagen.
Zerschlagt die Äcker der Barbaren,
Die feig um ihre Herde lungern,
Erweckt den Neid auf die Zäsaren
Und laßt die Friedlichen verhungern!
[Das Taggerüst steht jetzt in Flammen]
Das Taggerüst steht jetzt in Flammen,
Die Ordnungswelt scheint zu verlohn,
Profile, die von Phoebos stammen,
Entweichen vor Hephaistos Thron.
Den Marmor haben Abendstrahlen
Im Zirkus bis aufs Blut verletzt,
Und allseits wird von Marterqualen
Voll grauser Lüsternheit geschwätzt.
Ein Schiffer spricht dabei von Feuern,
Die man auf Masten oft erblickt,
Er sagt, dann muß man furchtsam steuern,
Da sie ein Gott zur Warnung schickt!
[128]
Auf einmal scheint es auch, als schwirrten
Arenaflammen ringsumher,
Sie fallen auf und einige Hirten
Erschreckt ein irres Lichterheer.
Das Abendblut ist abgewaschen,
Der Himmel sieht getigert aus,
Die Nacht wird alles überraschen,
Doch lahmt sie nicht den Zirkusbraus.
Es suchen Viele mit dem Schmuck zu protzen
Und halten Werthsachen ans Licht,
Geschmeide, die von Feuer strotzen,
Sind ringsum lange noch in Sicht.
Auf einmal wird der Himmel röther,
Die Sterne scheucht ein Glanz zurück,
Doch schimmern nur die Christentödter
In ihrem Ruhm und Schlächterglück.
Ein Morgen graut am Firmamente,
Im Zirkus blickt sich niemand um,
Jedoch die letzten Erdmomente
Der Opfer machen Viele stumm.
Die Hatz hat noch nicht ausgewüthet,
Nun ist die Blutgier voll erwacht,
Es dünkt sich niemand ganz vergütet
Und eher um sein Geld gebracht.
Noch immer lechzt man nach dem Kampfe,
Der bringt der Menge wahre Lust,
Sie liebt das wüthende Gestampfe
Der Bestien auf des Opfers Brust.
[129]
Der Zirkus weckt die Kriegsbegierden,
Die Lust zu plündern lodert hell,
Der Mensch hängt trotz Manier und Zierden
An Schlächtereien und Bordell.
Er will am Abend Lust erreichen,
Er ist durch wilde Brunst erhitzt
Und mancher denkt sich einzuschleichen,
Weil er kein Kaufgeld mehr besitzt.
Im Zirkus sterben ringsum Christen,
Unglaublich steigt die Leichenzahl,
Verreckte giebt es mehr als Kisten,
Und noch fließt Blut durchs Marmorthal.
Schon schwelgen die Patrizierkinder
Im Vorgefühl vom Bacchanal,
Sie sind obszöne Lustempfinder
Und treffen für die Nacht die Wahl.
Die Weiber, die mit Lümmeln flüstern,
Sind ringsum meistens bleich und dick
Und haschen mit dem Buhlen lüstern
Noch einen letzten Christenblick.
Das letzte Augenlichtgeflacker
Erfreut sie, weil es Wuth aufwühlt,
Dann wird beim Bacchanal der Racker
Und Metzen Sinnenlust gekühlt.
Es sind der meisten Menschen Züge
Bereits verthiert und schweißbedeckt,
Doch keiner sah noch zur Genüge
Wie Tiger Menschenblut geleckt.
[130]
Im Zirkus liegen lauter Leichen,
Die Opfer haben ausgezuckt,
Die satten Bestien aber schleichen
Durch Leiber, die sie halb verschluckt.
Es schließt das Leid in Liebestriften
Des Jenseits unsere Lust mit ein,
Das Unheil, das wir boshaft stiften,
Macht unsere Opfer wehmuthsrein.
So zieht denn hin, Ihr tapfern Christen,
Dem Märtyrer ist Licht bestimmt!
Wozu ein blasses Leben fristen,
Wenn dort, in Euch, das Lamm erglimmt?
Die Menschen sind verlorene Schafe,
Die der Zerstörer wild zerstreut,
Dort ferne, hinterm Grabesschlafe,
Erscheint der Hirth, der uns erfreut.
Die Freiheit und die Zucht sind Geister,
Die man auf Erden blind verjagt,
Das Jenseits hilft dem edlen Meister,
In dessen Kunst die Wahrheit tagt.
Ihr Christen, Euer weißes Sterben
Ist wirklich ein beherztes Werk,
Ihr mußtet Euch in Rom verfärben
Und glänzt dafür auf Zions Berg.
Auch Euren Feinden wird verziehen,
Sie gehn mit Euch bei Jesum ein,
Es wurde ihnen Wuth verliehen,
Um Eurer Unschuld Hort zu sein.
[131]
[Siebenfache Bogengänge]
Siebenfache Bogengänge
Überwinden ihre Schwere
Und sie wölben über Hänge
Sich empor zum Belvedere,
Wo ein Kaiser ungezügelt
Allen seinen Lüsten fröhnt.
Krauses hat er oft erklügelt,
Doch an seine Staatsverwaltung
Hat die Welt sich bald gewöhnt.
Sie erbaute ohne Murren
Was der Träume Prunkentfaltung
Eines Kaisers je an Schnurren
Und an bunten Luftgebilden
Nur begehrte. Hangegärten
Wurden steil von Künstlergilden
Und assyrischen Gelehrten
Mit dem Gelde aller Länder
Aufgebaut und ausgestattet.
Und der römische Verschwender
Sitzt, von Palmen überschattet,
Auf dem goldenen Herrscherstuhle,
Den die schönste Zierrath schmückt,
Neben ihm ruht seine Buhle,
Deren Lächeln ihn beglückt.
Auf des Zirkus Marmorstufen
Liegt die Welt zu Neros Füßen,
Die ihn feierlich mit Rufen
Und Applausen will begrüßen.
Plötzlich aber faßt ihn Schwindel,
Vom verachteten Gesindel
Hört er sich als Gottheit preisen,
Und beglückt durch das Gejohle,
[132]
Läßt er tausend Gäste speisen!
Denn es liegt ihm viel am Wohle
Seiner freien Unterthanen,
Die in ihm Apollo ahnen.
Jede Kehle schreit sich heiser,
Denn soeben ist der Kaiser
Aufgestanden, und zum Lohne
Winkt er jetzt von seinem Throne.
Wird er auch Befehle nicken?
Ringsum sieht er bleiche Schranzen
Auf die Kaiserwimpern blicken
Und es wachen Praetorianer
Links und rechts mit blanken Lanzen.
Steil in Stein als Wegebahner
Stehn Kentauren bei den Treppen.
Schwarze Sklaven aber schleppen,
Über Nero hoch erhoben,
Wunderbare Flimmerschilder:
Diesen Einfall will man loben,
Denn das sind die Ebenbilder
Ewig funkelnder Gestirne,
Die dem Kaiser und der Dirne,
Die er heute Nacht wird küssen,
Stets gehorsam folgen müssen!
Nero geht mit seinen Gästen
Jetzt nach Hause, und vom Westen
Speit ein Riesenungeheuer
Ihm die unverdauten Feuer
Eines Tages schräg entgegen.
Dieses Thier scheint sich zu regen,
Greift es gar nach Romas Zinnen,
Die sich immer dunkler röthen?
[133]
Soll ein Brand der Urbs beginnen
Und die Stadtbewohner tödten?
Rom sieht spät den Tag verglimmen
Und die Gluthen sich verfärben,
Doch zum Kaiser flüstern Stimmen:
»Bau ein Rom auf Romas Scherben!
Willst Du Dich mit Zeus verbinden,
Mehr als Helios sollst Du können!
Um die Sonne Dir zu gönnen,
Mußt Du aber Rom entzünden!«
Kaiser Neros Blicke schweifen
Jetzt zum Meer, das sie als Streifen,
Wie ein blutigrothes Zeichen,
Voll Bedeutung, noch erreichen.
Feuerkämme überragen
Albalongas Berggelände,
Hohe Lohezungen schlagen,
Aufgewühlt durch Riesenbrände,
Hinter jenen Hügelketten,
Wie aus Kratern, in die Lüfte.
Doch die Straße stiller Stätten,
Wo die großen Römergrüfte
Ernst aus der Campagna steigen,
Wird nun bald im Dunkel rasten
Und ihr Farbenflimmer schweigen.
Auf den höchsten Gräbern glasten
Jetzt bereits die letzten Schlacken,
Und auf steilen Mauerzacken
Sieht man auch nur Einzellichter,
Denn die Finsterniß wird dichter!
Etwas später erst beginnen
Des Gebirges steile Wände
[134]
In den Schneefeldern und Rinnen,
Wie in Blut getauchte Hände,
Plötzlich wieder aufzuglühen
Und ihr Gold rings zu versprühen.
Nero sind die grellen Scheine
Vor dem Aufbruch noch erschienen
Und er denkt der Berge Weine
Sich bei Festen zu bedienen.
Romwärts will er jener Thäler
Reiche Purpurfluthen lenken,
Daß die künftigen Erzähler
Ihm einst Anerkennung schenken.
In des Kaisers Hirne spukten
Stets die reichsten Bacchanalien
Von ganz Asien und Italien.
Und auf Riesenaquädukten
Sieht er nun nichts mehr als Weine
In den Zirkus sich ergießen
Und sich selber, im Vereine
Mit dem Volk, die Pracht genießen.
In den spätern Naumachien,
Denkt sich Nero, werden Fürsten,
Herrscher ferner Monarchien,
Die nach Ruhm und Reichthum dürsten,
Einzig dann vor Rom verenden.
Und in andern Wasserschlachten
Will ich Haifische verwenden,
Denn ich weiß, vor mir schon brachten
Kaiser grause Krokodile
In den Zirkus. Doch mein Wille
Ist noch größer, und viel weiser
Bin Ich, Nero, Gott und Kaiser.
[135]
Lange, lange muß es währen,
Bis der Zirkus sich vom Haufen
Schwüler Gäste kann entleeren.
Endlich wird man sich verlaufen,
Um in engen, dunkeln Gassen
Oft sein Letztes zu verprassen!
Draußen will sich alles letzen,
Dichte Schatten aber setzen
Sich im leeren Zirkus nieder.
Alle Flämmchen rings zerstieben,
Nur ein Saum wie Frühlingsflieder
Ist am Marmor noch geblieben.
Roms verschiedenartige Schänken
Sieht von Menschen man umringen,
Um erst drinnen nachzudenken,
Wie den Abend zu verbringen.
Ungeheure Gruppen branden
Vor dem gelben Tiberwalle,
Einige können drüben landen,
Doch der Thermen Marmorhalle
Hat Verschiedene aus den Gassen
In ihr Inneres gezogen.
Nun verebben rings die Massen
Aufgewühlter Pöbelwogen.
[136]
[Ganz stille wirds in Neros finsterm Garten]
Ganz stille wirds in Neros finsterm Garten,
Wo die Zypressen auf die Winde warten,
Um laut zu ächzen und zu stöhnen.
Und in den Nischen giebt es Marmorbecken,
Aus denen Flammen aufwärts lecken,
Um Götter mit der Erde zu versöhnen.
Der Kaiser sieht sie mit Geknister lohen
Und trockene Bäume in dem Hain bedrohen.
Es muß ihr Rauch sich im Geäste sammeln,
Wo sich beschwingte, lose Windesschlangen
Im dunkeln Kronendickicht mitverfangen,
Da Pinienhäupter ihren Weg verrammeln.
Umkreist von einem matten Irisbogen
Kommt nun der volle Mond heraufgezogen.
Er ist vom vielen Wandern wohl ermattet,
Er scheint ein trunkenes Auge, roth verschwommen.
Der Kaiser merkt es kaum, daß er erglommen,
Da ihn der Pinienhain tief überschattet.
Er läßt sich in den Gang der Orchideen
Und Rosen, die ihm Duft entgegenwehen,
Von seinen Lieblingssklaven tragen.
Er will sich an den Blüthendüften weiden,
Und Lärm und Lust der Nebenmenschen meiden,
Denn nicht mehr zieht es ihn zu Trinkgelagen.
Der Kaiser denkt jetzt an das GötterEnde.
Oft wars, als ob man Botschaft sende,
Wenn Schnuppen lautlos durch den Äther schwirrten,
Es werde Zeus von seiner Höhe stürzen.
Und irrte er dabei zwischen den stillen Myrrhen.
So konnte ihm der Fall die Nacht verkürzen.
Die Gäste trinken nun beim Bacchanale
Falernerwein aus tiefer, goldener Schaale,
[137]
An Schönheit kann sich jeder Gast entzücken,
Gelöst sind Romas ernste Ehebande,
Denn eine große einzige Guirlande
Umfängt die Menschen, die sich frei beglücken.
Es fröhnt in Neros marmornem Gebäude,
Wer fröhlich ist, der tollsten Sinnenfreude.
Man ließ die Wände wunderbar bekränzen,
Und um die Würde festlich abzumildern,
Verhängte man den ernsten Stein mit Bildern
Und schuf im Riesensaale Blumengrenzen.
Wenn Römer ihre Marmorhallen bauen
Und in die Säulen tiefe Rinnen hauen,
So bleibt die Felsenwucht doch ganz dem Steine,
Und wenn die Künstler längst zu Staub zerfallen,
So lebt das Märchen steiler Marmorhallen
Noch fort und schafft sich langsam Trauerhaine.
Die Säulen zeugen stumm von Sklavenleiden,
Und wenn sie Gluthblumen im Herbst umkleiden,
So sprüht als Rankenschmuck das Blut der Todten
Noch rings hervor in dem Erinnerungsgarten
Der vielen tausend fern und längstverscharrten
Gemarterten, Gefangenen von Despoten.
Es blinken weiße Tempel durch die Lauben
Und um die lauten Brunnen gurren Tauben.
Der Säulen rassescharfer Kanelierung
Entspricht des Dorers adlige Regierung.
Die Hallen zeugen rings von Jugendstärke,
Und stolz auf die Gedankenwelt der Sagen,
Die sie in Stein gemetzt zum Lichte tragen,
Sind diese Bauten traute Meisterwerke.
Versuchte Rom das Schönste sich zu bieten,
So griff es zu den heitern Griechenmythen,
[138]
Man zauberte die lieblichsten Gelände
Der Odyssee auf roth getünchte Wände.
Gestalten, die im Trojerkrieg erscheinen,
Lustwandeln in Elysiums heitern Hainen,
Und ringsum unter Heldenepisoden,
Bedecken Seidenkissen Mosaike,
Mit ihren Fabelwesen der Antike,
Denn jeder Gast singt, trinkt, versinkt am Boden.
Auf andern Wänden leuchten Luftgestalten
Und blonde Knaben, die Guirlanden halten.
Doch von der Decke eines hohen Saales
Beschauen lauter wohlgepflegte Numen
Die muntern Menschen, reichgeschmückt mit Blumen,
Und freun sich am Gebraus des Bacchanales.
Es leben im Weine rebellische Kräfte!
Denn wenn sich der Sommer mit Wolken bedeckt,
Als ob er zum Aufbruch die Sturmsegel reffte,
So wird auch die Wuthgluth der Reben erweckt.
Das Erdfeuer will dann sein Wollen bekunden
Und bleibt nicht mehr länger in Trauben gebunden,
Es fügt sich nicht länger dem Sonnenverzichte,
Es gährt und es sucht seinen Ausbruch zum Lichte!
Solange sich Reben auf Lichthügeln weiten,
Wird Sonnenbegehren den Menschen begleiten,
Denn Traubensaft stärkt uns beim tollkühnen Wagen
Und läßt selbst den Schwankenden nimmer verzagen!
Der Wein ist die Frucht, die den Wildwald vertrieben,
Und ist der Begleiter der Menschen geblieben,
[139]
Er soll zur Berauschung und Freude gedeihen
Und Menschen das Jahr hindurch Lichtlust verleihen,
Er bleibt seinem Pfleger und Lichtspender treu,
In beiden sind Liebe und Lenz ewig neu!
Es reift nicht der Same allein in den Früchten,
Es müssen sich Gluthen als Räusche verflüchten.
Berauschen uns Trauben, vom Sommer geschwängert,
So wird unsere Jugend und Wollust verlängert.
Drum singt man und trinkt man zum wärmenden Weine,
Damit uns das Leben urwillig erscheine,
Der Mensch will die Schönheit zur Freude genießen,
Es soll nicht der Liebe die Frucht nur ersprießen,
Es müssen auch Träume der Seele entschweben,
Kultur ist ein bacchisches Erdgluthenleben,
Und wenn sich die Menschen, aus Traumlust, umschlingen,
So soll sie das Feuer der Erde durchklingen,
Und wenn sie, berauscht, lauter Freuden entzünden,
Befruchten sich Seelen in heimlichen Schlünden!
Ein Weib im Saal vergißt des Adels Hoheit,
Die Brunst erhitzte es zu schwüler Rohheit,
Das Marterschauspiel voller Blutvergießen
Erweckte seine dumpfen Fleischgelüste,
Und als sie einen Sklaven brünstig küßte,
Begann sie ganz in Wollust zu zerstießen.
Der Jüngling ist im Zirkus aufgefallen,
Sein rothes Kleid, die blanken Achselschnallen
Gefielen dort sogleich verschiedenen Frauen,
Und eine treibt mit ihm jetzt süße Händel!
[140]
Es schwingt ganz ruhelos ihr Seelenpendel,
Sie kann sich nicht am Kind zufriedenschauen,
Sie küßt sein Haupt und seines Haares Rosen
Und fühlt die Gier noch immer wilder tosen.
Sie hält sein teures Wesen hold im Arme,
Nein, Lüste sind es, die sie halb ersticken,
Jetzt sieht sie Bilder sich entgegennicken
Und Finger winken ihr im Traumlustschwarme.
Gar feurig glühn des Knaben dunkle Augen,
Sie herzt ihn innig, seinen Hauch zu saugen,
Doch treulos schwelgt ihr trübes Lustempfinden
Bei einem andern, der bereits erblaßte
Und dessen blondes Haupt sie nie umfaßte.
Sie sah ihn kaum in wildem Schmerz sich winden
Und seinen weißen Leib im Blut verschwinden –
Er ist dahin, sein holder Blick gebrochen,
Hat er sein letztes Sterbewort gesprochen?
Oh könnte er im Traume noch erscheinen,
Um Unverständliches ihr zuzuraunen
Und sie mit blauen Augen anzustaunen!
Dem Weibe wars, als müßte sie vor Wehmut weinen!
Es drängt sie zum Athmen, sie muß in das Freie,
Sie will, daß ihr Buhle sie dennoch geleite.
Es regt schon der Morgen voll heimlicher Weihe
Die eigene Stimme aus rauschender Weite.
Das Murmeln und Singen vom innersten Werden
Befreit ihre Seele von Erdenbeschwerden.
Nun fühlt sie sich locker, voll trautem Entzücken,
Statt sinnlichem Fiebern ein seelisches Schwingen,
[141]
Sie glaubt nun, sie könne den Sorgen entrücken,
Und horcht auf ein erdhaftes, innerstes Klingen.
Nun ist es, beim Wandeln im Parke, dem Paare,
Als ob sich die Seele der Welt offenbare,
Es sieht wie verwundert die Stille sich weiten
Und ruhige Sterne die Nachtbahn durchschreiten,
Und beide erkennen die Urzwistigkeiten,
Sie meinen, es dürften die Winde nachlassen
Und dennoch kann nachttiefer Braus sie erfassen!
Die Nebel entsteigen der goldenen Ferne,
Da spiegeln die Seelen zufriedene Sterne,
Die Umwelt wird munter, und Rom liegt im Schlummer,
Auf Wolken wie Kissen verschlaft es den Kummer.
Fast leichenbleich scheint jetzt die Herrin der Lander,
Wo bleibt das Gebraus seiner Menschenverschwender?
Es schimmern die Berge in ruhigen Linien,
Dem Nebelfeld draußen entragen rings Pinien.
Im Park ein Narziß, wie Ovid ihn sich dachte,
Beschaut sich im Schloßteich und horcht auf sein Rauschen,
Es ist, als ob Sehnsucht in ihm tief erwachte,
Denn immer noch scheint er aus Marmor zu lauschen.
Er frägt und befrägt sich im schlummernden Weiher.
Der Geist dieser Statue begreift nicht das Schweigen.
Dann hüllt er sich langsam in flimmernde Schleier,
Da ringsum der Thau fällt und Lichter entsteigen.
Es werden die Tropfen noch wachsen und schwellen
Und endlich wie schimmerndes Obst sich erhellen,
Wie Keime zu Augen und Knospen ersprießen.
Es wird auch der Thau sich dem Tage erschließen,
Bald werden die Tropfen das Sonnlicht empfangen,
Um fallreif und flimmernd im Garten zu prangen.
Es sehnt die Natur sich mit wuchtiger Brunst
[142]
Der Dämmerung entgegen. Es schwankt schon der Dunst.
Er zweifelt, ob heute das Goldlicht obsiegt.
Vielleicht naht ein Tag, da der Nebel aufstiegt:
Doch nein, denn es fiebert das Leben nach Licht,
Das Morgens sich Thaukränze flicht und durchbricht!
[Die Kuppen der Berge sind Eisgötterzelte]
Die Kuppen der Berge sind Eisgötterzelte,
Und rings auf den Felsen liegt überall Schnee,
Im Thale erdrosselt der Frühling die Kälte,
Und oben verschanzt sich die Winterarmee.
Wenn westliche Winde dann wonniglich wehen,
Ergrünt um die Eisburg ein lebender Wall,
Die silbernen Panzer verschrumpfen, zergehen,
Und Waldstimmen lispeln vom Schneefestungsfall.
Bald sieht sich der Winter im Lager umzingelt,
Er reißt seine Zelte ab, groß ist die Wucht.
Es hat sich der Schnee schon wie Leinwand geringelt
Und stürzt als Lawine hinab in die Schlucht.
Es tragen die Flüsse die Lenzbotschaft weiter,
Die Schneereste schmelzen, vermischt mit dem Gischt,
Es blühen die Mandeln, der Himmel wird heiter,
Der Winter hat weithin Italien erfrischt.
Den Gießbächen jubeln die Schwalben im Thale
Voll Freude entgegen und alles erblüht,
Das Wasser entbraust jedem Bett und Kanale,
Der Frühling kam diesmal besonders verfrüht.
[143]
Die Thauwinde kräuseln die lauen Gefilde,
Da tauchen die Blüthen wie Schaumkämme auf,
Die Weiten umschlingt ihre milchigste Milde,
Stets weißer, blos weiß wird des Lichtlenzes Lauf:
Wie Inseln, umbrandet von schäumenden Wassern,
Erscheinen die Villen, in blühender Au,
Und bergen die Träume von Daseinsvergessern,
Denn oft wohnen Denker in marmornem Bau.
Es rastet die Fluch dort, um ruhig zu wirken,
Und rings bilden Myrthen und Schlehdorn den Haag,
Es treiben bereits viele Linden und Birken,
Und zwischen den Blattern liebäugelt der Tag.
Die langen Alleen beschatten Zypressen,
Ein Teich aber scheint sich durch Rosengerank
Und anderes Dickicht im Park einzupressen,
Und Lorbeer umdunkelt den Gartensfluthgang.
Dem Weiher entragt eine Inselterrasse,
Die gleicht einem Schiffe, das Wasserkraut hemmt,
Im Seerosensumpf steckt die breite Rumpfmasse,
Von Blüthen ist selbst das Verdeck überschwemmt!
Dort oben, am Steinboot, im Frühlaub verborgen,
Enttaucht eine Statue, der Flora geweiht,
Doch sieht man kein Mädchen für Lenzopfer sorgen,
Man nennt das den Ort, wo die Kirsche gedeiht.
Es stellte der umbrische, edle Gestalter
Des Bildes die Reine ins friedliche Grün,
Jetzt singen die Vögel und tanzen die Falter
Davor und umher, wenn die Sträuche erblühn.
[144]
Es braucht ihr kein Mensch seine Huld zu bezeugen,
Und bleibt auch das Standbild im Dickicht versteckt,
So werden die Bäume sich weiter verneigen,
Und jährlich wird Frühlingsglück wieder erweckt!
[Oh Flora, du hast dein Italien der Kriege]
Oh Flora, du hast dein Italien der Kriege
So herrlich mit Blüthen und Träumen verschönt,
Dich hätte das römische Volk nach dem Siege
Von Herzen zur Göttin der Liebe gekrönt.
Doch brachten Gelehrte, verzückt, Aphrodite,
Nach Wanderungsjahren, aus Griechenland heim,
Sie senkten den Blick in die Herzensgebiete,
Das Meer aber gab seinen Erdhimmelsreim.
Die See offenbarte auch ihnen die Liebe
Und hat ihre Räthsel stets weiter entrückt,
Sie zog sie hinein in ihr Wellengestiebe
Und hat sie belehrt und doch niemals beglückt.
Man liebt jenen goldenen, sichtbaren Bogen,
Das Ende der Welt, das sich ewig entdehnt,
Man weiß wohl und fühlt, man wird immer betrogen,
Und doch folgt ihm stets, wer sich fort von sich sehnt.
Und oftmals erblickt man auch Inseln von Streifen,
Wie Reifen mit Flimmerjuwelen umsprüht:
Der Mann will das Eiland erreichen, begreifen,
Und löst seinen Gürtel, der Keusches umglüht.
Der Grieche zumal schäumte leicht durch die Wogen,
Er hat lauter Fernen lebendig erfaßt,
[145]
Das Meer ist den tollkühnen Männern gewogen
Und trägt seine Last oft zu traumreicher Rast.
Drum hat sich den Griechen der Zauber des Meeres
Am Strand ihrer Inseln voll Schönheit enthüllt,
Sie sahen am Morgen auf einmal ein hehres,
Lichtinniges Weib, ganz von Erdbrunst erfüllt!
Das war Aphrodite. Aus schäumenden Kronen
Erschien sie und hat ringsum Urmilch verschenkt,
Sie wollte die Kühnen am vollsten belohnen
Und hat Jungfrauaugen vor ihnen gesenkt.
Als Roma die Venus von Hellas empfangen,
Da wurde Italien um Flora gebracht,
Nur selten durchglühte die Lust ihre Wangen,
Und da ist die Keuschheit der Blumen erwacht.
Oh Flora, Dich hätte kein Christkind vertrieben,
Du wärest als Göttin der Liebe erkannt,
Die Erdmutter Gottes, die Urfrau geblieben,
In der die Geburtsgluth der Gnade entbrannt!
Du Ewigkeitsweib, holde Flora, wir stehen,
Du UnerkanntEinsame, die nicht erstirbt:
Oh, lasse Dein Wesen die Erde umwehen,
Da Jugend im Dufte sich sucht und erwirbt!
Oh, lasse entwurzelte Seelen durch Kränze
Noch einmal am Erdhauch sich bitter erfreun,
Im Duft schwankt die Sinne und Urgefühlsgrenze,
Drum mag man mit Reuethau Blüthen bestreun!
[146]
Oh Flora, Du hättest, als Göttin der Liehe
Den vollen Gefühlen des Volkes verwoben,
Als Hoffnungssymbol, im Verheerungsgetriebe
Der Kriege, die Seele der Römer erhoben.
Das Heiligthum Deiner vollendeten Güte,
Oh Flora, erglühte bereits in den Herzen
Der Streiter, in denen ein Wunschgarten blühte,
Um einst dort zu rasten und Gram auszumerzen!
Den Römern erschienen auf Gipfeln, in Triften,
Sowie in der Wüste die lieblichsten Gärten,
Und wenn sie den Ozean furchtlos durchschifften,
So sahen sie Fluren, die Frieden gewährten.
Oh Flora, Dich seh ich ein Glücksland enthüllen,
Du zeigst heitere Villen an Bajäs Gestaden,
Die Greise mit Jünglingen eifernd erfüllen,
Und lauter noch plaudern versteckte Kaskaden.
Umrauscht vom wildsausenden Brandungsgebrause,
Erscheinen Terrassen, die Pfade verknüpfen,
Und diese geleiten zu marmornem Hause,
Um wieder im Dickichte rings zu entschlüpfen.
Die Villen entstanden im Sinne Vitruvius,
Und drinnen erblickte man feurige Schlangen,
Die rings auf den Hängen des fernen Vesuvius
Wie kupferne Klammern und Gluthspangen prangen.
Reflexe, wie Aale und blutrothe Fische,
Enthuschen bei Bajä dem flimmernden Gischte,
Und hie und da hört man ein seltenes Gezische,
Wenn einmal das Mondlicht ein Gluththier erwischte.
[147]
[Oh großes Rom, mit Deinen stolzen Marmorbauten]
Oh großes Rom, mit Deinen stolzen Marmorbauten,
Versteckten Backsteinhäusern und verruchten Gassen,
Als Deine Kinder ihrer Weltmacht ganz vertrauten,
Begannen sie die Stadt beruhigt zu verlassen.
Ein zweites Rom, das an die Festungswälle grenzte,
Ist dann in der Campagna wunderbar entstanden,
Und diese Landstadt, die Dich rings und hold umkränzte,
Beschützte ihren Frieden zwischen Laubguirlanden.
Schon Cäsar hat die Wünsche Roms verstanden,
Als er der Allgemeinheit seinen Park vermachte,
Und als die Bürger dann daselbst Erholung fanden,
So freute sich das Volk, weil Cäsar es bedachte.
Dann später wohnten die Patrizier nur in Villen,
Und ihre Baumeister wetteiferten an Können,
Um alle Prachtbedürfnisse von Rom zu stillen
Und sich die Freude freier Künstlerschaft zu gönnen.
Es brachten doch die Bürger zum Palaelienfeste
Bis in das Herz von Rom berühmte Blüthenhügel,
Die Reichen praßten da, das Volk bekam die Reste,
Sogar die Plebs hatte ihr Anrecht auf Geflügel!
[Du freudige Stadt, ein ensetzliches Nagen]
Du freudige Stadt, ein ensetzliches Nagen
Durchwühlt Deinen Boden. Vernimmst Du das Klagen?
Oh Rom, horche auf, unterscheide das Bohren,
Es wird unterirdisch ein Lichtgott geboren!
Die Menge der Anhänger Christi gräbt Gänge,
Um drinnen ihr Leid und sich selbst zu verstecken,
[148]
Es ist, als ob innerste Erdgluth sie dränge,
Die Heilkraft des Menschengeschlechtes zu wecken.
Du riesiges Rom, Deine Wälle und Mauern
Vermögen dem Anprall der Feinde zu trotzen,
Verfolgte jedoch, die in Grotten schmarotzen,
Beginnen Dich schon voller Haß zu belauern,
Kein Leib aber wird seinen Wurm überdauern!
Die Heiden verspotten noch immer die Christen
Und nennen sie dumme Bewußtseinsbetäuber
Und schelmische Käuze, die unsichtbar nisten.
Versteckt unter ihnen sind allerdings Räuber,
Von Christo in Schutz seines Kreuzes genommen,
In Manchen ist wirklich auch Reue erglommen.
Sie trachten die blutigen Schemen zu bannen,
Womöglich die Erdgiftinstinkte zu würgen,
Und singen Lichtlieder, die Priester ersannen,
Um Büßern das ewige Reich zu verbürgen.
Verschiedene Graber und Nachgrübler wähnen
In sich und den meisten den Tod der Gelüste,
Da aber erstehen auf einmal Hyänen,
Die Nachschleicher dessen, der Jesum falsch küßte,
Und diese beschließen die Christengemeinde
Zuerst zu verleumden und dann zu verkaufen.
Denn, meinen sie, liefern wir Rom seine Feinde,
Im Untergrund, aus, läßt man uns dafür laufen!
Und wirklich, die Römer verzeihen den Räubern
Und lassen die Grottenstadt lüften und säubern:
Sie ziehn unter Rom, aus den schimmligen Löchern,
Gestalten, die halbnackt im Kellersumpf waten
Und lebend schon fast zu Skeletten verknöchern.
Auch Priester sind unten in Isisornaten,
Und alle die Narren, so schmipft man die Sekte,
[149]
Von der schon so mancher im Zirkus verreckte,
Vertheilt man nun wieder an alle Theater,
Und spottet: nun rette sie dort ihr Gottvater!
Das Christenthum aber ist nickt zu vernichten,
Es steigen die Jünger des Heiles auf Leitern,
Bereit auf die leibliche Lust zu verzichten,
Zurück in die Grüfte, die stets sich erweitern.
Erglimmt die Begierde zum eigenen Entsetzen,
So reißt man dort heimlich die Kleider in Fetzen
Und kratzt eine Statte, mit blutigen Händen,
Im Urbsuntergrunde, zum Gottesdienst aus.
Die Thatsachen formeln sich hier zu Legenden,
Und singt man, so schallt in den Gängen Gebraus.
Doch lieben die Christen ihr schreckliches Heim,
Und sprechen sie, lispelt die Decke den Reim:
Der Reim ist geboren, der Reim ist erstanden,
Das christliche Lied, in unheimlichen Banden
Vermag aus der Urklage klangwärts zu branden.
Oh Rom, diese Höhlen durchfressen den Boden,
Auf dem Du Dich roth wie ein Morgen erhoben,
Es trachten sich Christen zusammenzuroden,
Um Gott und den Heiland unheimlich zu loben.
Die Leute, die bohrend die Schlünde durchschleichen,
Empfinden ein neues, unstillbares Glück,
Sie trachten gemeinsam das Heil zu erreichen
Und finden davon in sich selber ein Stück.
Gar oft, wenn sie betend und schaffend erschlaffen
Und fieberdurchfröstelt beim Graben verzagen,
Erscheint es beinahe, als könnten Gedanken
Und Geister, allein, weiter schaufeln und schaffen.
Die Weiber erkranken, man grabt kaum, doch Klagen
Und Seufzer vermögen noch weiter zu nagen!
[150]
Ein Priester umgab sich im weitesten Gange
Mit gläubigen, bleichen und Leichengesichtern.
Nun spricht er, beleuchtet von rußenden Lichtern,
Mit winziger Stimme, mit zinndünnem Klange,
Vom Golgathasieg über Satan, die Schlange!
Es schleppen sich immer noch Greise auf Krücken,
Mit Weibern und Kindern, mit wimmernden Stimmen,
Von ringsum herbei, um zu Gott zu entrücken
Und frei durch den Geist Christi Reich zu erklimmen.
»Oh kommt«! ruft der Priester: »Ich will Euch beglücken,
Ihr alle dürft Blüthen der Ewigkeit pflücken,
Ihr selbst seid des Geistes lebendige Kronen,
Und kann auch der Tod Eure Stiele nicht schonen,
So bleibt doch das Licht und der Hauch für Aeonen!
Vernehmt Ihr die Worte, die Jesus gesprochen,
So wird in Euch selber der Winter gebrochen,
Dann träufelt der Thau einer geistigen Taufe
Erfrischend und segnend aus Gott in die Seele.
Ihr folgt tausend Strömen, beim innersten Laufe,
Und sorgt, daß der Trost nimmer unter Euch fehle!
Oh Menschen, nun sind in Euch selbst Christi Saaten
In eigener Wärme im Herz aufgegangen,
So spendet den Pollen mildthätiger Thaten,
Dock scheut Euch, verbergt auch die Scham auf den Wangen,
Und kommt dann, das Blut Christi selbst zu empfangen!
Der Sommer der Seele wird Lenze befruchten,
Der Ingrimm in Euch Christi Feind niederwuchten,
Ein Lenz aber, der in der Seele erblühte,
Währt ewiglich, sieht man, daß Gott ihn behüte!«
Die Zuhörer fühlen sich ringsum durchschauert
Und lichte Gedanken, von Sorgen umkauert,
Die alle zu schwach zum Erblühen geblieben,
[151]
Beginnen nun spürbar durchs Dunkel zu sieben.
In Träumen entstand wohl bereits manche Ranke
Aus Eden vor Menschen und zauberte Auen
Vor fündige Sinne. Der Anhaltsgedanke
Jedoch war zu schwach, um sich tief zu erschauen,
Und ließ die Gelüste ein Reizschloß erbauen.
Am Ewigkeitskeim konnte Erdfaulheit nagen,
Gewohnheiten durften die Hoffnung verlachen,
Durch Christum jedoch wird Elysium jung tagen,
Die Gluthfrucht im Schwachen am stärksten erwachen!
Oh Rom, ein gewaltiges Hämmern und Bohren
Zernagt Deinen Boden und will nicht verstummen.
Es haben sich Christen tief unten verschworen,
So höre, das unheimlich steigende Summen!
Die Christen beginnen den Leib zu kasteien,
Um so jede Gier aus der Seele zu merzen
Und völlig den Geist aus dem Staub zu befreien,
Denn alles das, glauben sie, können die Schmerzen!
Das Christenthum hat seine Wurzeln geschlagen
Und schon unterwühlt es den römischen Boden,
Es wird bald, als Baum, in den Sonnenraum ragen,
Und einst überschattet es Friedensperioden.
Nur wird es beim Wachsen Rom früher zerspalten
Und alle Theater und Tempel zerschmettern,
Doch spendet es dann mit helllobdernden Blättern
Und ewigen Blüthen der Welt Urgewalten.
Es wird als Befruchter von Geistesgeschlechtern
Den Völkern um sich holde Jugend verleihen.
Durchpilgert von heiligen Glaubensverfechtern
Wird dann ein gesegnetes Weltreich gedeihen,
[152]
Und sollte der Baum auch in Rom einst verdorren,
So werden schon Schößlinge ringsum ersprießen,
Denn endlich wird dennoch die Wahrheit entworren,
Wir werden sie alle gemeinsam genießen!
Ein Priester dort unten verträgt nicht das Bohren,
Die Martern, die Sorgen, das ewige Hämmern.
Es ist ihm, als ginge die Jugend verloren,
Als müßte er nutzlos in Kerkern verdämmern.
Es kann schon ein Fühlen die Lüsternheit schüren,
Es packt ihn auf einmal ein Ekeln und Grausen,
Ganz freudlos in Gruben verschüttet zu hausen,
Und schon wird er flüchtig, ein Weib zu verführen.
Doch hält ihn dort oben bald Trauer umklammert,
Er sieht seines Körpers fast todähnliche Blässe,
Er fühlt, daß er nun trost und hoffnungslos jammert,
Und abermals sinnt er von Dunkel und Nässe.
Verfinstert erscheint ihm die Seele der Heiden,
Er hält sie für schlechte, verlotterte Buben,
Ein ewiges Licht aber, weiß er, sind Leiden
Und Jubel der Bruderschaft, tief in den Gruben.
Es scheint ihm auf einmal ein Irrlicht die Pfade
Der Innerlichkeit und der Stadt zu erhellen.
Es huscht durch die Sinne, es scheint ihn zu schnellen –
Da ruft er: »Oh Herr, habe Nachsicht und Gnade!«
Doch folgt er dem Tanzlicht durch Gärten und Gassen
Und trachtet dann Buhlinnen rasch zu bekehren,
So rufen die Leute: »Was sind das für Lehren,
Fürwahr, er ist toll und man müßte ihn fassen.«
Nun will er die Zukunft von Rom prophezeien
Und wie die Sibyllen das Ende der Götter
[153]
Verkünden und Tempelaltäre entweihen!
Da ruft aber plötzlich ein anderer Spötter:
»Fürwahr, es braucht niemand in Rom zu verzagen,
Viel besser als Narren, kann Janus uns sagen,
Ob dunkle Epochen mit flunkernden Sehern
Sich uns, den Beherrschern des Erdrundes, nähern.
Doch nein, Ihr könnt still wie der Gott – ohne Grauen,
Den Feinden zum Trotze – ins Zukunftslicht schauen!«
Da ruft jener Priester emphatisch und zornig:
»Ihr Heiden seid bleicher als wir in den Schachten,
Und ist unser Weg auch verborgen und dornig,
So will ich doch wieder im Schlund Gott verfechten!«
Nun hält man den Priester für völlig verschroben
Und laßt ihn auch, trotz seines Blutfluches, laufen;
Doch ihm ist es plötzlich, als müßte er toben
Und weinen, er ist ja gemein wie der Haufen!
Er ist der Gemeinschaft der Christen entflohen
Und hat sich auch wieder den Lüsten ergeben,
Man wird ihn bestimmt als Verräther bedrohen.
Er tappt aber trotzdem zurück durch die Gange,
In denen die Christen voll Bangigkeit schleichen,
Er fürchtet dabei seiner Obrigkeit Strenge
Und freut sich dann wieder, das Heim zu erreichen.
Nun wird er, er kann es wahrhaftig nicht fassen,
Von allen Genossen mit Jubel empfangen,
Man wartete lange, voll Angst und mit Bangen
Auf ihn, der die Grottenverstecke verlassen.
Es scheint sein Erscheinen sogar zu entzücken,
Er sieht, wie die meisten sich demüthig bücken,
Sie glauben, er sei aus der Gruft zum Bekehren
Und Spenden des Heiles urplötzlich verschwunden
Und habe als Flüchtling das Rechte gefunden,
[154]
Damit ihm die Freunde die Reise nicht wehren!
Sie hofften, es werde der Herr ihn geleiten,
Und beteten öfters, es möge gelingen,
Gefahrlos die feindliche Stadt zu durchschreiten
Und vielen das Wort des Erlösers zu bringen.
Der Priester war schwach und er konnte sein Treiben
Dort oben in Rom keiner Seele bekennen,
Doch hoffte er ferner asketisch zu bleiben
Und nimmer im Fieber ins Freie zu rennen.
Auf einmal jedoch kam die Luftsehnsucht wieder
Und glühende Brunst fuhr ihm jäh durch die Glieder.
Da warf sich ihm aber ein Mädchen zu Füßen.
Sie kam in die Gruft, für Vergangenes zu büßen,
Sie zitterte lange, jetzt kann sie kaum stehen
Und muthvoll ihr teuflisches Fühlen gestehen.
Doch ruft sie auf einmal mit blutigem Mund:
»Oh heiliger Bruder, mein Herz ist so wund,
Ich starrte in Moder und garstigem Dunst,
Ich stöhnte, oh Heiland, entraff mich der Brunst,
Ich habe gefastet, ich sprach mein Gebet,
Es haben sich Bilder im Kreise gedreht,
Ein Jüngling erschien mir, auf schäckigem Thier,
Doch kam nicht der Heiland herunter zu mir.
Ich faßte den Knaben, er hat mich geküßt,
Da pochte mein Herz und es wuchs mein Gelüst,
Ich weiß, – oh ich hab ihn im Traume gedrückt
Und herrlich mit Blüthen und Thränen geschmückt.
Die Venus, vor der ich mich früher geneigt,
Hat sicherlich diese Gestalt mir gezeigt.
Denn bat ich um Männer vor ihrem Altar,
So zeigte sich gleich eine herrliche Schaar.
Ach, wie mich noch jetzt die Erinnerung quält:
[155]
Ich habe da stets, was mich reizte, gewählt,
Doch nun packt mich immer die Sorge im Traum,
Erwach ich, so würgt mich der modrige Raum.
Gespenster erfüllen die furchtbare Leere,
Sie stürzen auf mich, ich fühl ihre Schwere,
Oh hilf mir, ich weiß, ich bin immer noch geil,
Der eigene Kalvarienberg ist mir zu steil,
Oh rette mich, du, und versprich mir das Heil!«
Nun bückt sich der Priester und spricht voller Güte:
»Der Heiland erhört Deinen innigen Ruf,
So bete mit mir, daß der Herr Dich behüte.
Denn siehe, er liebt was er leiderfüllt schuf.
Umarme die Wände und küsse die Erde,
In der wir verborgen den Heiland erflehn,
Und wisse, es ruht Christi folgsame Heerde
In Grüften, um einstens noch rein zu erstehn!
Ob wisse, wir können die Erde nicht schänden,
Sie haucht sich jungfräulich die Pestschemen weg,
Nach Kriegen und Aufruhr, nach gräßlichen Bränden
Umgrünt sie, versteckt sie den schandhaften Fleck,
Sie birgt uns in sich, da wir Rom einst zerstören,
Die Stadt, die wie Babylon, brunsterhitzt praßt,
Doch muß man sich erst gegen sich keusch empören,
Bevor man das Übel der Heidenurbs haßt.
Die Gluth dieser Erde, die hier uns erkoren,
Die Feinde des Fiebers im Darme zu sein,
Hat gleichfalls den Heiland jungfräulich geboren
Und will, daß nun wir unterm Kreuze gedeihn!«
In sich aber greift und erfaßt jener Priester
Das Grauen des Zwiespaltes, der ihn bewegt,
Er beichtet, befragt sich und innerlich liest er
Dabei ein Gebot, das sein Wesen zerlegt.
[156]
Er schluchzt: »Mutter Gottes, Du helles Gewissen,
Du glühender Wunsch, der das Dunkel zertheilt,
Der Schmerz hat die Nebel der Seele zerrissen,
Und Du hast mein furchtsames Herz dann geheilt.
Maria, Du liegst in unendlichen Wehen,
Du Erdmutter, Mutter, Du leidest in Gruben,
Im Schlunde der Urbs, die als Urgrund entstehen.
Wir schwanken, uns schwindelt in wunschdumpfen Stuben,
Wir irren und walten durch weltgraue Räume
Und sind nur die Wurzeln für Träume, für Bäume.
Maria, auch Du mußt Dich einsam erkunden,
Wir wühlen für Dich und wir schlagen Dir Wunden,
Wir wollen verschrumpfen, doch Du sollst einst tragen
Und Sonnen verfinsternd der Erde entragen.
Oh Heiland, nun hab ich Dich wahrhaft gefunden,
Du ruhtest so traurig und stumm in dem Grab,
Dann bluteten plötzlich, oh Herr, Deine Wunden,
Da ich Dich, Dein Mörder, bleich angesehn hab.
Das Blut aber leuchtete sanft in der Tiefe,
Es wurde die Erde auf einmal erhellt,
Und mir war, als schimmerte, sickerte, liefe
Es ringsum ins sonnlichtbeackerte Feld.
Ich sehe es noch in den Weinbeeren reifen,
Der Glaube an Dich, guter Heiland, erwacht,
Wir können die Saat Deines Blutes begreifen,
Die Herbsternte strahlt in unsagbarer Pracht!
Es fließt Deine Milch, in verzücktem Gebete,
Und reifen im Lichte Geschlechter heran,
So legt in dem Baum, den die Schöpferhand säte,
Der Sohn seine Liebe und Fruchtbarkeit an.
Es wachsen die Wesen, in Streit und in Liebe,
Und geben ersterbend lebendigen Geist,
[157]
Auch ich habe Beeren und Ranken und Triebe
Im Urgrund der Seele, die Gott ewig preist!
In mondbleichen Nächten, beim sternstillen Morgen,
Erleuchtet und kräftigt der Sohn mein Gebet,
Die Gluth, die im Schooße der Erde verborgen,
Berauscht meinen Wein, wenn die Wärme verweht.
Ach, ferne vom Tage und lautem Verhalten
Giebt ganz sich der Mensch seiner Herzlichkeit hin.
Oh Heiland, dann magst Du in mir wachsam walten,
Ich lache, ich weiß, daß ich ganz bei Dir bin.
Du kannst mich zu Dir, viel zu tief zu Dir ziehen,
Dann seh ich, getilgt ist die furchtbare Schuld,
Denn Gnade ist mir, für mich selber, verliehen,
Ich trage die Reue und Scham mit Geduld!«
[Ganz erschöpft vom Bacchanale findet Nero keinen Schlaf]
Ganz erschöpft vom Bacchanale findet Nero keinen Schlaf,
Und es dringt aus fernen Räumen sanft verklingende Musik
Bis zum Kaiser noch herüber, weil sie keine Thüren traf.
Und da flüchtet das Gewölke. Neros Träumemosaik
Zeigt ihm Rom im Purpurkleide, aufgebaut aus Abendpracht.
Das Gestöhns ferner Flöten hat den Dunst nun ganz verzweigt.
Und in Neros Traumregionen ist ein grauser Schwarm erwacht,
Der aus seinen Seelenkerkern zügellos und wild entsteigt.
Freches Lachen, schrille Schreie, wie das raschelt, wie das klingt,
Wie das Zittern straffer Saiten Schloß und Riegel rasch bezwingt,
Wie es Fieberfeuer schürt, selber nun als Lohe glüht,
Bis im Traumgluthstrom des Kaisers mancher Feind als Schatten brüht!
Nero folgt nur seiner Neigung, ob er fiebert oder tobt,
Schrecklich ist das Machtbedürfniß im tiberischen Geschlecht,
Nero kann es nicht vertragen, wenn man Kaiser Claudius lobt,
[158] Weil sich der an fernen Fürsten noch im Innern Roms gerächt.
Viel zu weit sind jetzt die Grenzen im vollstreckten Römerreiche,
Und so feiern Satrapien selber ferne den Triumph.
Es entwachsen Kolonien ringsum schon dem Urbsbereiche,
Und es blühen Freudenstätten ferne zwischen Wald und Sumpf.
Nero aber will, trotz allem, Großes seinen Römern bieten,
Und da glaubt er plötzlich, es entspricht des Volkes Appetiten,
Fängt er an die Traumgestalten wirklich durch die Gluth zu hetzen,
Ganz entschieden, denkt er, wird man mich dafür unendlich schätzen,
Denn es schläft kein Weltbeherrscher, immer schwelgt er nur und träumt!
Es umschleichen ihn stets Schleier, wie ein schnellverträumter Trug.
Plötzlich sieht er Fürsten taumeln, ihr Gewand war roth gesäumt,
Und er sah auch, wie aus Wunden furchtbar grell ein Feuer schlug.
Dieses Bild hat ihn gereizt, und er denkt nun mit Gefallen,
Wie besiegte Völkerstämme furchtbar enge Fesseln tragen,
Wie auf einmal, aus der Höhe, Flammenmassen niederfallen
Und die Menschen rasch vertilgen, weil sie ihm nicht mehr behagen.
Ja, er sieht nun blasse Sklaven sich durch Feuerschlangen winden,
Endlich auch die Senatoren, die ihm immerhin noch trotzen,
Und die ganzen Menschenknäule dann im Flammendunst verschwinden,
Plötzlich aber andere Fratzen aus den Nebelfalten glotzen,
Doch es grämt ihn, daß das Feuer gar so wuchtig weiterschwoll
Und der Rauch so schnell entfauchte, ihm den Marterreiz zu nehmen.
Plötzlich gellt ein heiseres Lachen. Nero hört, man nennt ihn toll.
Und es kreischen schon und kichern, rings um ihn, vermummte Schemen.
Flammen werden wohl erscheinen, wenn die Masken niederrollen,
Denkt der Kaiser. »Aber nein doch, seht, es sind die frechen, tollen
Christen!« ruft er: »Die statt meiner, Rom, die Welt beherrschen wollen!
Nero wagt man toll zu nennen, mich, den größten Römerkaiser?«
Brüllend hat er sich erhoben, und er schreit nun: »Spottet leiser!«
Und er sieht, zum Traum gewendet: »Kreischt doch nicht mit schrillen Stimmen,
[159] Denn die Welt könnte Euch hören!« Da ihn jene fort ergrimmen,
Will er jetzt im eigenen Inneren Rauch und Dunst heraufbeschwören,
Denn die Christen, dieser Auswurf, dürfen keine Allmacht stören!
Solche Qualen der Beschimpfung kann ein Kaiser nicht ertragen,
Und so laßt er Lästerchristen rasch aus ihren Höhlen holen
Und sie rings auf hohe Kreuze für ihr freches Höhnen schlagen.
Darauf läßt er Holz entzünden, denn sie sollen schnell verkohlen.
Dieses Schauspiel findet Anklang, die verdroßenen Weltbesieger
Lassen, unterm Boden Romas, ringsum nun nach Menschen scharren,
Nach dem Maulwurf suchen emsig jetzt Hyänen, Hund und Tiger,
Und man zwingt auch viele Sklaven mitzubrüllen: »Wir sind Narren,
Denn wir glauben an die Marter, spannt uns vor die Judenkarren!«
Ja, es müssen schwarzverhüllte, todtgeweihte Karawanen
Wechselweise ihre Wagen, voll von Christen, vorwärts ziehen,
Und da giebt es ganz verschiedene Bürger, Freie, Unterthanen,
Aber Keinem wird von allen Gnade oder Recht verliehen.
Wie ein Wurm wird nun die Sekte aus dem Darme Roms gerissen.
Doch es trauern nicht die Christen, denn ganz rein ist ihr Gewissen.
Sie bemerken kaum die Feinde, sie vernehmen kein Gekicher,
Ihr Gebet giebt ihnen Starke, denn nun müssen sie verscheiden.
Und sie ziehen fest und tapfer, ihres Martertodes sicher,
Hin zur Stätte ihrer letzten, gottgefälligen Erdenleiden.
Viele glauben es genügt nicht, um zu Gott sich aufzuschwingen,
Stark und gläubig auszuharren, und Verlästerung und Qual
Scheinen ihnen viel zu wenig, um den Himmel zu erringen,
Und sie singen Gott bestürmend fromme Lieder im Choral.
Fieberangstdurchzuckt erreicht nun dieser Wurm die Marterstätte,
Hurtig werden schon die Christen auf die Kreuze angenagelt,
Und man ruft, wie einst bei Christo: »Bittet Gott, daß er Euch rette!«
Und von hohen Flammenstößen sieht man, wie es Funken hagelt.
Rom, besonders um das Forum, wird durch diesen Brand bedroht.
Doch man schürt das Feuer weiter, hocherfreut, daß etwas loht!
[160] Niemand denkt jetzt an Gefahren, mit Gejubel und mit Johlen
Sieht der grausam rohe Haufen jene Christen dort verscheiden.
Alle brüllen, klatschen Beifall, daß die Feinde nun verkohlen,
Denn man liebt es, sich an Leiden anderer Menschen frech zu weiden.
Ach, die wilde Feuermarter, wie sie einreißt, wie sie schneidet!
Doch Gedanken und Gefühle voll von Liebe, Todgeweihte,
Die Ihr für den Henkerkaiser und sein feiges Krongeleite,
Hoch zu Gott empor gerichtet, weil er mit der Schöpfung leider,
Heben Euch zu Dessen Rechten, Nero noch zur linken Seite!
Wie aus Weltenessen stäuben stets lebendige Gedanken,
Und sie legen, wo sie können, Feuer in den Hirnen an.
Heute aber prasseln sichtbar Bäume mit Raketenranken
Und entzünden in den Seelen, was sich nur empören kann.
Glühend rother Bast wie Zunder löst sich los von todten Christen
Und entschwebt ihnen wie Tauben, denn so niedrig ist sein Flug,
Und es kann auch dieses große Gluthgefieder ringsum nisten:
»Feuer!« hört man plötzlich rufen, wo der Sturm den Zug hinschlug!
Eingeäschert ist schon manches jämmerliche Backsteinhaus,
Jeder Brand aber bringt Freude, denn man weiß doch, Nero baut
Jedem gerne neue Häuser und drum giebt es Saus und Braus.
Trunken tanzt man um Ruinen, Rohheit wird nun ringsum laut,
Leichtsinn ist die nächste Folge, mit dem Feuer kann man spielen!
So ein Brand ist doch ein Schauspiel, wie es niemand früher kannte,
Nichts ist schöner als ein Feuer, wenn die morschgewordenen Dielen
Funkenstiebend rasch verprasseln und die Balken imposante
Wuth entflammen; traurig ist nur, wessen Haus nicht mitverbrannte!
Trunken und im Trubel drängen sich die Massen hin zum Kaiser,
Der erleuchtet durch der Kreuze helles, grelles Fackelflackern
Sich das Marterschauspiel ansieht. Viel zu schrill jedoch und heiser
Gellt ihm jetzt das wilde Schreien von so dünkelhaften Rackern!
Ja, er glaubt ein Machtbewußtsein aus dem Volksgebrüll zu hören –
Gar nichts aber, denkt er, darf durch Lob des Kaisers Allmacht stören.
[161] Jetzt erstürmt der böse Pöbel plötzlich Neros schöne Gärten.
Durch des Pincios holde Haine tollt die angetrunkene Menge
Und entleert sich vor den Büsten von Heroen und Gelehrten,
Und vor Virgils Marmorstandbild lallt der Haufen Lottersänge.
Ringsum fahndet er nach Christen, um sie rasch ans Kreuz zu schlagen,
Da man aber keine findet, fängt man an darum zu losen.
Kreuze sind schnell aufgerichtet, tausend Mordgesellen tragen
Schon ein todgeweihtes Mädchen, das sie erst noch lüstern kosen,
Jetzt zum rasch geschaffenen Richtplatz. Keinem Opfer hilft sein Brüllen.
Heute müssen Ungezählte noch als Ruß die Nacht erfüllen!
[Die dunkelsten Gluthen des Juli verbluten]
Die dunkelsten Gluthen des Juli verbluten,
Es scheint ein entschwundenes und kurzes Vermuthen
Glückssprühenden Lebens der Welt zu entsteigen,
Sie fühlt ihrer Spannung tiefrhythmisches Schweigen.
Es quillt wie ein Leuchten aus herbstlichen Narben,
Die Asche der Farben, die brennend erstarben,
Erblaßt und verzittert, und Frühlichtbestäubung
Versenkt alle Schleier der Farbenbetäubung.
Erschlaffen die Strahlen, die Wonne erwecken,
Entstehen Lichtflechten, die Gluth zu bedecken,
Es scheinen sich Netze auf Farben zu legen,
Und Nerven beginnen sich ringsum zu regen.
Die waren einst selber die Freude, die Farben,
Und ahnten im Lenze, nach sonnlosem Darben,
Den Aufruhr des Sommers, sein fühlendes Schaffen,
Und spüren bereits sein urjähes Erschlaffen.
Es liebt die Natur diese drückende Schwüle,
Sie ahnt ihre leiblichsten Muttergefühle,
[162]
Sie läßt sich von glühenden Küssen betäuben,
Und fügt sich in Alles, sie kennt ja kein Sträuben!
Sie schweigt, ihrer Wonne, der Sonne ergeben,
Sie schützt ihr der Starre entbundenes Leben,
Und stirbt dann der Sommer, verweht ihr Empfinden,
Sie kann sich mit allen Gestalten verbinden!
Nur kurz hat die Schwüle des Juli gedauert,
Schon fühlt sie, wie Müdigkeit matt auf ihr kauert,
Es flüchtet die Gluth über blühende Zäume.
Und fühlst Du! Ihr Abschied erschüttert die Bäume. –
Es baute sich Nero auf Antiums Gestaden
Ein Lustschloß mit marmornen Prachtkollonaden,
Und eben erfreut sich der Kaiser im Schatten
Am heitern Getriebe auf sonnigen Matten.
Er sieht, wie sich Blüthen im Zephyr entblättern,
Um scheinbar als Flügel ins Blaue zu klettern
Und wieder zu fallen, wenn andere fliegen,
Um träumend sich wieder auf Halmen zu wiegen!
Es ist ihm, als warteten Pinien am Hügel,
Mit riesigen Kronen wie offene Flügel,
Aufs Machtwort des Lichtes, sich selbst zu besiegen
Und übernatürlich zur Sonne zu fliegen!
Er hört ein Geplätscher, aus steinerner Muschel,
Als wäre es Liebender leises Getuschel,
Und wirklich, ein Pärchen in Marmor gehauen,
Kann dort seine Schönheit im Weiher erschauen.
Im Sonnenlicht aber erfrischen Fontänen
Den Garten mit hellen, gelockerten Strähnen,
[163]
Die Marmordelphine und Nixe verschnauben,
Damit sie am Mittag wie Perlen verstauben. –
Ein Regenkreis soll diese Borne umranden,
Ihr Thau aber sprüht auf die Gartenguirlanden,
Die Erzkinder, rings voller Lust und Behagen,
Am Brunnenrand winden und mühelos tragen.
Das Wassergeräusch und Gefächle von Kühle
Liebt Nero besonders bei drückender Schwüle;
Da scheint ein Campagnatag weithin zu rauchen,
Um Abends in blutigem Dunst zu verhauchen.
Dann will sich der Äther mit Nebel verhängen
Und allseits die Kreise des Lebens verengen,
Die Küste darf gar keine Welle bespülen,
Es scheint selbst die See dann die Schwüle zu fühlen.
Vermag sie dem Land keine Briese zu schicken?
Sie scheint heute wirklich in Dunst zu ersticken.
Die Sonne versinkt hinter glühenden Streifen,
Doch Nero will weiter den Garten durchschweifen.
Er wartet bis Sterne ihn freundlich begrüßen,
Bald legt sie das spiegelnde Meer ihm zu Füßen;
Denn er ist der Gott, der die Erde verwaltet,
Schon wundert er sich, daß der Dunst sich nicht spaltet.
Der Kaiser beginnt jetzt zu schimpfen, zu fluchen,
Er will es durch wüthendes Schreien versuchen,
Die Götter und Sterne des Himmels zu wecken
Und selbst die Olympier durch Christum zu schrecken.
Nun ruft er, er läßt sich bekehren und taufen
Und will dann die Sterne den Göttern abkaufen,
[164]
Dafür aber Rom als sein Opfer anzünden,
Wenn Götter ihm Antwort durch Sterne verkünden.
So wandelt der Kaiser noch lange am Strande
Und blickt auf den Himmel mit purpurnem Rande,
Die Lichter des Abends sind noch nicht erglommen:
Was zögert das Dunkel herüberzukommen?
Es blicken dann endlich drei Sterne hernieder,
Doch haben sie Höfe, wie blutige Lider,
Sie wollen nicht einfach wie sonst herabsehen,
Und alles, voll Milde auf Erden verstehen.
Ihr Blick ist verfinstert und fast ohne Leben,
Nicht reuelos schöpfender Liebe ergeben,
Doch kann sie der Kaiser verweint fast gewahren,
Und hält sie für Zeichen der himmlischen Schaaren.
Er sagt sich, da Götter mich ganz anerkennen,
So muß ich zum Danke die Urbs niederbrennen,
Und bau ich dann Tempel mit goldenen Hallen,
So will ich sie plaudernd mit Hermes durchwallen.
Er will, daß die Welt sein Erträumen erlerne,
Denn denkt er, so krümmt sich sein Sinn in die Ferne!
Er kann lauter raumfreie Haine entfalten,
Und zeitlos, ganz grundferne Bauten gestalten.
Doch plötzlich entsinnt er sich göttlicher Spender
Und blickt dann zum Himmel, wo röthliche Ränder
Noch immer die spärlichen Sterne verschleiern,
Denn ringsum die Nebel sind finster und bleiern.
Es hat sich die Dämmerung noch nicht ganz verzogen,
Er sieht einen heftigen, flitternden Bogen
[165]
Von Osten empor sich stets heller erheben,
Daß selbst in der See jetzt Reflexe erbeben!
Es laßt ihn besonders die Richtung erstaunen,
Er glaubt an ein Schauspiel olympischer Launen,
Da sagt sich der Kaiser: nach göttlichem Rechte,
Erleuchte auch ich bald die feindlichen Nachte!
Er sieht sich bereits von der Gluthurbs umgeben,
Wo goldene Wimpel den Fenstern entschweben,
Es dünkt ihn, es grüßen ihn Feuerdämonen
Die lange schon lauernd die Häuser bewohnen.
Doch stehen auf einmal die schrecklichen Recken
In Kellern und Dachkammern auf, schlagen Decken
Und Treppen schnell ein, und die Rieseneinbrecher
Entragen den Lucken der brennenden Dächer.
Die Glutharme greifen voll Wuth und begehrlich
Nach allem was nah ist und feuergefährlich,
Dabei aber trachten die Flammentitanen,
Sich immer noch andere Gassen zu bahnen.
Die lockern Gesellen, mit zackigen Zungen,
Sind sicherlich schon zu den Tempeln gedrungen
Und Flammengestalten, mit furchtbarem Hauche,
Entwachsen rings Arme und Häupter am Bauche.
Es sieht sie der Kaiser sich himmelwärts bäumen,
Und ihn, der ein Gott wird, im Kreise umzäumen,
Darauf, als ein lohender, goldener Reigen,
Tief huldigend ringsum vor ihm sich verneigen.
Doch Nero träumt nimmer! Wahrhaftige Gluthen
Beginnen der dunstigen Nacht zu entbluten,
[166]
Es wurden die Wolken zu Lippen und Wunden,
Der Mond und die Sterne sind völlig verschwunden.
Jetzt hört er auch plötzlich ein menschliches Schreien,
Es scheine der Boden rings Feuer zu speien,
Doch gleich darauf: »Rom brennt! es ist ganz verloren,
Es hat sich die Plebs mit dem Heere verschworen!«
Es wollte der Kaiser die Brandfackel werfen,
Drum denkt er die Aufsicht im Land zu verschärfen,
Er sinnt schon nach Strafen für jene Entzünder
Und sieht sich zugleich auch als Roms Neubegründer.
Dann glaubt er, es wollte ihn Zeus freudig stimmen,
Und deshalb ließ Hermes die Häuser erglimmen;
»Es folgte ein Gott«, ruft er, »meinen Befehlen,
So kommt denn, wir wollen beim Brande nicht fehlen!«
Es glaubt nun der Kaiser sein Werk zu genießen,
Nicht soll ihn der Anschlag von Andern verdrießen,
Er freut sich noch heute im Feuer zu prassen,
Ja, strahlend will Nero sein Antium verlassen.
Es scheinen ihm Qualme, durch irdisches Tosen
Und Wettern, entblätterte himmlische Rosen,
Doch immer noch andere erglühen dort oben,
Wo Träume sich plötzlich als Bäume erhoben!
[Es haben die meisten ihr Viertel verlassen]
Es haben die meisten ihr Viertel verlassen,
Es schleichen jetzt Diebe, verwegen und dumm,
Durch öde und schmutzige, brennende Gassen
Und schleppen die Beute fortplündernd herum.
[167]
Es folgen schon allseits den Räubern und Mördern
Die Flammentitanen mit flatterndem Bart.
Es scheinen auch Stürme ihr Wüthen zu fördern
Und nirgends bleibt irgend ein Stadttheil erspart.
Es stürzen sich Winde, in riesigen Wirbeln,
Ins lodernde Rom und zerschleudern es wild,
Es knattern rings Balken, wo Glastfalter schwirbeln,
Der Hunger der Gluthen wird nimmer gestillt!
Die gräßlichen Brände der Hauptstadt entfachen
Die Funken vom mittleren Feuersbrunstheerd,
Es tönt dort beständig ein furchtbares Krachen,
Die ganze Suburra ist längst schon verheert.
Wenn brennende Bretter beim Einsturz zerschellen,
Erheben sich Funken mit Asche vermischt,
Dann können Raketen sich plötzlich entschnellen
Und lohen, wenn es im Vipernneste dann zischt.
Die Stadt überrascht nun ein gräßlicher Regen
Von Funken, den Keimen zu künftigem Brand,
Und gleich darauf wollen sich Glastschlangen regen,
Gar gierig umzüngeln sie jegliche Wand.
So wie sie dann Pfosten und Balken erschleichen
Umschlingen sie sie, wie durch Hunger ergrimmt,
Es lodern sofort alle Bretter und Speichen.
Der Brand, der die Hügelstadt siegreich erklimmt,
Muß bald den Palast der Cäsaren erreichen!
Am Boden versengen besoffene Leute,
Die plötzlich die Gluth in Spelunken erfaßt,
Es stürzt aus den brennenden Häusern die Meute
Der Räuber fast immer zugleich mit dem Glast;
[168]
Denn Menschen beneiden die Gluth um die Beute
Und plündern beinahe mit ärgerer Hast.
Verworfene Weiber durchjohlen mit Dieben
Die Trümmer und scheinen verteufelt vergnügt,
Und werden sie endlich vom Feuer vertrieben,
So rauft sich das Pack, weil kein Raub ihm genügt.
Schon will man nach Christen zum Peinigen suchen,
Die Menge ist wieder zum Martern geneigt,
Der Pöbel beginnt auf die Juden zu fluchen
Und ruft: »Diese Schmutzbrut von Ratten entsteigt
Den Grüften von Rom, um die Stadt einzuäschern,
Drum spüret nach ihnen mit Hunden und Häschern!«
Doch findet der Pöbel nicht viele zum Hetzen,
Der Blutdurst der Massen wird noch nicht gestillt,
Es ist nach dem Rauben von Plunder und Schätzen,
Jetzt mancher zum Morden und Schänden gewillt.
Man flucht auf die Numen und huldigt dem Kaiser,
In Rom wird jetzt nimmer an Götter geglaubt,
Die Stadt hält es sicher für richtiger, weiser,
Wenn jeder die Wuth gegen Schemen verschnauft.
Es haben ja doch beim Verbrennen Penaten
Die Pflicht als Beschützer der Heerde verletzt,
Hingegen kann niemand des Kaisers entrathen,
Denn dieser hat stets, was da brannte, ersetzt.
Es freun sich die Römer, wenn Tempel abbrennen,
Wer wird sich zu Göttern, ohnmächtig ihr Gut
Vor Feuer zu schützen, noch weiter bekennen?
Fürwahr, die Olympier vernichtet die Gluth
Geschädigter Menschen, in Fieber und Wuth!
Entlaufene Sklaven, Soldaten und Metzen
Verprassen Geraubtes in wildem Genuß.
Sie plünderten, raubten zuerst auf den Plätzen
[169]
Und schwelgen jetzt roh auf der Insel im Fluß.
Der Äsculaptempel wird schleunigst erbrochen,
Im Inneren predigt ein junger Prophet,
Es scheint ihm das Blut in den Adern zu kochen,
Er schwört, daß er Zion als Lichtbraut erspäht.
Er fiebert von Sodom, Gomorrha, den Städten,
Die einstens Jehova mit Schwefel zerstört,
Er weiß es, die Bibel mit Rom zu verketten,
Und ruft, daß Gottvater, durch Frevel empört,
Beschlossen hat, Rom durch den Brand zu zerstören:
Er habe bereits Christi Jünger gesandt,
Die Welt noch zur Einkehr zu Gott zu beschwören,
Doch wurden sie alle verkannt und verbrannt.
Die Christen erschracken beim Sprengen der Pforten,
Sie wurden auch gleich von der Menge geplagt,
Doch hat es der Priester, mit feurigen Worten,
Zu sprechen und weiter zu donnern gewagt.
Es horcht nun der Mob auf den tapfern Zeloten,
Der alle Patrizier und Reichen verklagt,
Dem Volke, aus Goldgier und Hochmut verboten
Zu haben, verbrüdert und glücklich zu sein,
Doch Christus läd alle zum Abendmahl ein!
Er spricht von Verzeihung und Gnadenverleihung,
Vom himmlischen, allen verheißenen Reich,
Von Herrschaft der Liebe und Knechtebefreiung,
Und siehe, es wirkt diese Predigt sogleich!
Der Pöbel versteht seinen Gott der Zerstörung,
Und fängt schon, in wilder und blöder Empörung,
Im Tempel des Gottes der Heilsmächte an
Die Opfergeräte in Stücke zu schlagen.
Es findet dabei wo ein Mann einen Wagen,
[170]
Und rasch macht ein Haufe daraus ein Gespann.
Es wird einer Christin das Büßergewand
Auf einmal mit Johlen vom Körper gerissen,
Und Buben und Greise sind eben beflissen
Das Mädchen zu schmücken; mit komischem Tand
Bedeckt, steht die Nackte nun oben im Karren,
Und der fängt schon an, über Dielen zu knarren!
Obszön hergerichtet, voll Tempelbehängen,
Begleitet von höhnischen Pöbelgesängen,
Erscheint nun die Christin, den Ihren entrissen,
Im Freien. Und kraftlos als prächtiger Bissen
Gepriesen, entschwinden ihr endlich die Sinne,
Da heißt es, es schlafe die Göttin der Minne!
Bedroht durch die Flammen, verfolgt von der Hitze,
Verläßt man die Insel, die Feuer umloht.
Es droht noch der Priester und schreit nach dem Blitze,
Da schlägt ihn ganz einfach die Volksmenge todt.
Darauf zieht die Meute hinab zum Emporium
Und schlägt, in der Unordnung komisch vereinigt,
Ein liederlich klingendes MassenBrimborium.
Und trifft man wo Christen, wird flott losgepeitscht,
Ja, selbst alle Mächtigen, die nicht entflohn,
Begegnen in Rom jetzt verwerflichem Hohn.
Die Flammen erfaßten die Schläuche Boreas,
Da sind alle Winde dem Gotte entsaust,
Nun werden die Güter der Erben Äneas
Von Stürmen und Flammen zusammen zerzaust.
Die Gassen durchhallt wildes Brausen und Pfauchen,
Und oft dröhnt und donnert es plötzlich und kurz,
Das heißt dann, in Häusern, die lodern und rauchen,
Erfolgte ein Dachstuhl und Stützbalkensturz.
[171]
Es zerrt mancher Flüchtling des Hauses Penaten
Noch krampfhaft hervor aus dem gräßlichen Brand,
Und rechnet aufs Glück seiner künftigen Saaten,
Auf Zukunft und Wohlstand, durch eigene Hand!
Das Volk läßt sich schwer durch die Hitze vertreiben,
Es hängt noch am grauen, verlorenen Gut,
Und will nah beim Grab seiner Habe verbleiben
Und denkt still an das, was für immer dort ruht.
Doch langsam beginnt es nach oben zu drängen,
Es weiß sich vielleicht höher besser gefeit,
Doch liebt es auch sehr sich in Knäule zu engen
Und drückt sich an anderer Leiber und Leid.
Es suchen die Reichen sich hoch zu versammeln,
Auf kühleren Hügeln, vor Feuer geschützt,
Beschließen sie gleich jeden Weg zu verrammeln,
Damit nicht das Volk diesen Rückzug benützt.
Es muß sie die unklare Zukunft verstimmen,
Besitzende Menschen sind meistentheils scheu,
Sie zittern, wenn Herr oder Diener ergrimmen,
Und hassen und fürchten was fremd ist und neu.
Sie trachten, die raschen Entschlüsse zu meiden,
Sie haben sie oft schon, zu spät erst, gefaßt,
Sie bangen auch jetzt für die Götter der Heiden
Und wünschen dabei nichts als Aufschub und Rast.
Ja freilich, sie schmähten am liebsten, am stärksten,
Und schwer nur verbeißen sie Kummer und Wuth,
Es trifft doch das Feuer die Reichen am ärgsten,
Denn gar nichts verliert die plebejische Brut!
[172]
Doch hoffen sie, Nero wird alle beschenken,
Zumal, die das Feuer zu Bettlern gemacht,
Besitz in verläßliche Hände zu lenken,
Bewährt sich doch immer zum Stützen der Macht.
Gar viele erklären die Christen für schuldig
Und tuscheln, sie hätten die Hauptstadt zerstört;
Doch sagt man es nicht, und schweigt lieber geduldig,
Solang man nicht Neros Vermuthung gehört.
Dann wollen die Reichen vor ihm sich verneigen und stöhnen,
Bis endlich sein Herz sich der Ihren erbarmt;
Noch können sie Keiner die Christen verhöhnen,
Sie fühlen sich alle ein wenig verarmt.
Sie trachten nur Nero für sich zu gewinnen
Und sinnen nach Macht durch zäsarische Huld;
Und nennt dann der Kaiser die Träger der Schuld,
So wollen sie die ganz ins Trugnetz verspinnen.
Die Reichen geloben den Thron zu erhalten,
Sie haben im Freistaat das Alte gestützt,
Seit jeher gefiel ihnen machtvolles Walten,
Und oftmals schon haben sie Kaisern genützt!
Sie lassen sich immerdar schützen und führen,
Sie sind doch der Bürgerschaft sicherer Theil,
Auch können Propheten die Reichen nicht rühren
Und selten nur sind sie im Staatsdienste feil.
Das, denken sie, muß doch ihr Kaiser bedenken
Und ihnen, blos ihnen, sein Wohlwollen schenken!
Wahrhaftig sie sind auch kein schwankender Haufe,
Sie haben nur Sinn für die sichtbare Macht,
Sie folgen dem Strome auf jeglichem Laufe
[173]
Und haben es stets wie die Starken gemacht;
Ja, sinkt auf der Waage unsichtbarer Machte
Die Schaale des Neuen auf einmal beschwert,
So herrschen sie weiter; durch eherne Rechte
Wird wiederum der, der das Geld hat, geehrt!
Sie bleiben die Staats und Familienerhalter,
Die Herrscher in jeglicher Generation,
Sie lassen ihr Recht als Gesellschaftsverwalter
Bestimmt ihren Enkeln und meistens dem Sohn!
Doch seht nur, sie ehrten doch auch die Penaten,
Und brachten stets Opfer nach herrschendem Brauch,
Sie ließen für Jupiter Mastochsen braten
Und freuten ihn so durch den speckigen Rauch.
Sie stellten sich stets zum Olympe am besten,
Indem sie zu Ehren der Götter gepraßt,
Sie opferten immer bei häuslichen Festen,
Wie es Göttern und Priestern auf Erden gepaßt!
Ja, wurde bei Reichen ein Hymen geheiligt,
So hat man auch Opfergelage bestellt,
Stets waren die Götter beim Jubel betheiligt,
Und neidlos hat Zeus sich zu Menschen gesellt.
Nun haben die Götter die Reichen verlassen,
Sie denken, warum wurde Rom nicht verschont,
Was wollen sie, thun sie, man kann es nicht fassen –
Fürwahr ihre Freundschaft hat gar nicht gelohnt!
Besonders Vulkan wird von allen verlästert,
Es heißt schon, wo bleibt die hieratische Zucht,
Es sind diese griechischen Götter verschwestert,
Und Gift birgt der Inzucht verwerfliche Frucht.
[174]
Nun spricht ein Patrizier die folgenden Worte:
»Oh Jupiter Stator, beherrsch uns allein,
Wir halten zu Deinem gesetzlichen Horte,
Damit wir auf Erden fast sorglos gedeihn.
Erscheine als Adler und schrecke die Schlange,
Die fürchterlich wüthet, zurück in den Staub;
Es weilt ihre ringelnde Brut schon zu lange
Hier oben, Dein Rom wird ein Unterweltsraub!
Zertritt diesen Gluthwurm mit schmerzlosem Fuße,
Er knete sich rasch zum verzuckenden Knäul,
Oh Jupiter, hör uns, auch wir thuen Buße,
Gebiete dem furchtbaren Furiengeheul!
Wir lieben Dich, Jupiter, Herr unserer Schlachten,
Du solltest, Du guter und leuchtender Gott,
Die anderen Numen zu Tode verachten,
Sonst stürzt Dich noch einst ein Olympierkomplott.
Wir wollen von nun an nur Dir auf Altaren,
Was Du und was andere Götter begehren,
Zur Huldigung opfern, den Widder, den Stier,
Die Taube, das Schaf, jedes reinliche Thier,
Auch Sklaven, verlangst Du es, schenken wir Dir,
Der Kaiser und wir!« und es ruft schon die Menge:
»Oh Jupiter, herrsche allein auf der Welt,
Wir weihen Dir Tempel, und Feiergesänge
Ertönen für Dich, der die Ordnung erhält!«
Es greift jetzt der Brand nach den weitesten Gassen.
Als hungriger, allesverschluckender Wurm
Beginnt er die Vorstädte rings zu erfassen,
Und seht, seinen Durst löscht ein furchtbarer Sturm.
[175]
Doch müssen im Bauch die Metalle sich stauen,
Sie reißen des Drachen Gedärme entzwei,
Und was nicht die heißen Geweide verdauen,
Entfließt seinem Wanste als zuckender Brei.
Der Pöbel verlaßt nun die dumpfigen Stätten
Des Lasters, in denen der Brand ihn bedroht,
Man drangt aus den Schenken, sein Leben zu retten,
Und sieht sich schon himmelhoch, grellroth umloht.
Gewürgt von entsetzlichen Plagen und Sorgen
Verlieren die Menschen ihr letztes Vertraun,
Die Nacht ist voll Schrecken, und was bringt der Morgen?
Sie denken mit Grauen ans baldige Graun.
Jetzt fängt auch die gräßlichste Gier an zu schnauben,
Es folgt das Gelichter dem eigenen Drang,
Es kann sich nun allerhand Raublust erlauben,
Denn plötzlich sind Mörder die Meister vom Strang.
Es grinst die Begierde aus thierischen Zügen,
In Blutblicken fuchtelt die Schurkennatur,
Die Nasen verkrümmten entsetzliche Lügen,
Ein Mord ließ auf jeglicher Stirn seine Spur.
Ein Schrei seines Opfers durchgellte die Ohren
Von jedem Gesellen, der Trümmer durchsucht,
Die Ohrmuscheln sitzen wie knapp angefroren,
Das sagt, so ein Kopf ist von uran verflucht.
Da zieht so ein Haufe, mit Beute beladen,
Die Straßen entlang und verspottet Merkur,
Er ruft ihn, verspricht ihn zu Festen zu laden,
[176]
Doch zeigt sich vom Gott keine irdische Spur.
Da pfeift nun der Mob und ein wildes Geschrei
Erklärt, daß er nimmer die Raubgottheit sei!
Der Pöbel macht Aufruhr und schwört, daß er Ares
Allein seinen Diebsantheil abtreten will,
Er flucht und verspricht, daß des Kriegsgottaltares
Gesprenkelter Marmor vom März bis April,
Und dann von September bis Ende des Jahres,
Von Lenzzicken, Ferkeln und HerbstwurfHausthieren
Bedeckt sein wird, um seinen Tisch zu garnieren!
Es kommen jetzt abermals flüchtige Soldaten
Und Sklaven mit wimmernden Kindern und Frauen.
Sie mögen die Asche mit Opfern durchwaten
Und grausam sich, ringsum, am Grauen erbauen.
Oft tragen sie die noch zurück in Spelunken,
Wo Schwache, wie irre, den Flammen erst trotzen:
Doch wirbeln von überall glitzernde Funken,
Und alles beginnt in das Feuer zu glotzen.
Nun fangen die Römer an doch sich zu wehren,
Es packt sie die alte, fanatische Wuth,
Und siehe, sie treiben die Räuber mit Speeren
Und Steinen zurück in die zischelnde Gluth.
Sie sehen oft Mütter im Feuer verschwinden,
Und viele zerfetzen vor Schmerz ihr Gewand,
Die suchen verwirrt ihre Kinder zu finden,
Doch Mörder und Opfer vertilgt schon der Brand.
Es wagt es kein Mann, sie der Gluth zu entreißen,
Und schließlich, wen kümmert das Weibergeschrei?
Sie suchen den eigenen Gram zu verbeißen,
Und stehn, wenn ein anderer schluchzt, stumm dabei.
[177]
Es greifen die Gluthklauen immer noch weiter,
Das schnaubende Feuer wird nimmermehr satt,
Es glimmt und es klimmt auf der Hügelurbsleiter
Von Gasse zu Gasse, zum Saume der Stadt.
Es nahen von allseits die Flammen den Schaaren
Von Römern und Fremden in furchtbarer Noth.
Sie können nichts anderes als Feuer gewahren,
Das Grab ihrer Habe ist blutroth umloht,
Die Gluth leckt rings weiter, doch sonst herrscht der Tod!
Das Feuer an sich aber wird zum Gespenste,
Der Gott, der dem Moses im Strauche erschienen,
Und der über Daniel in Babel erglänzte,
Dem jetzt neben Juden auch Christen fromm dienen,
Hat eben sein Antlitz den Römern gezeigt,
Und sehet, das Volk hat vor ihm sich verneigt!
Bedrängt durch das Plündern uud Morden der Horden,
Erstickt und bedroht durch den qualmenden Brand,
Sind alle beinahe zu Kindern geworden:
Da dünkt sich ein Träumer vom Himmel gesandt.
Er plappert emphatisch, zum Volke gewendet,
Es hätten die Götter die Tempel geschändet,
Und dann hat er laut in die Flammen geschrieen:
»Ihr Numen habt Eure Altäre bespieen!
Du Mars, hast die Pfeiler des Staates zerschlagen
Und nicht einmal Hera und Hesta verschont,
Die Flammen Hephaistos verdüstern den Wagen,
In dem herrlich Phöbos, der Sonnengott, thront.
Wir werden an Jesum von Nazareth glauben!
Wir wollen ihm Opferaltäre erbaun!
[178]
Es mögen die heidnischen Götter verstauben!
Wir können dem Jupiter nimmermehr traun!«
Die Worte des Priesters erschüttern die Menge,
Sie dünkt sich wahrhaftig von Göttern genarrt,
Doch fühlt sie zugleich die entsetzliche Strenge
Des Neuen, das dort aus der Gluthsäule starrt.
Sie konnte noch nie solche Wuthrede hören,
Was heute erscholl, hat noch niemand gewagt,
Sie will sich noch immer nicht offen empören,
Doch wird alles Alte forsch weiterbenagt.
Wer kann es verstehen, daß Götter verkommen?
Doch seht Euch nur um, allzuwahr ist der Greuel!
Der Herr aber, der seinen Weltthron erklommen,
Verschüchtert noch immer den hilflosen Knäuel
Von Heiden, den Funken und Sprühgarben taufen.
Und plötzlich spricht wiederum einer im Haufen,
Und zwar der verstockteste, grausamste Heide,
Der früher den Pöbel zum Morden verführt,
Von christlicher Hülfe, von siegreichem Leide
Und Herrschaft der Armen, die Jesum erkührt.
Ein anderer sagt mit ekstatischen Gesten,
Er sei aus den Höhlen der Christen entflohen,
Er kenne das Walten der Sekte am besten
Und fühle nun wieder sein Christenthum lohen.
Er habe sich völlig dem Heiland verschrieben,
Da dieser die Menschen als Brüder beschützt,
Er sei auch ein christlicher Priester geblieben
Und habe schon oft der Gemeinschaft genützt.
So werden die Bürger, die Rom tief betrauern,
Dem Christenthum langsam gewogen gestimmt,
[179]
Sie müssen sich selber so innig bedauern,
Daß endlich der Heiland in ihnen erglimmt.
Sie denken, ein Gott der sich selber gepeinigt,
Erspart uns, die leiden, bestimmt seinen Hohn.
Ein Gott, der in sich alle Welten vereinigt,
Und der seinen eigenen, leiblichen Sohn
Den Menschen geopfert hat, wird uns beschützen
Und freundlich beim Ausbau von Rom unterstützen.
Ein Weib kommt nun plötzlich wie rasend gelaufen.
Es scheint durch Geschautes verblüfft und verzückt.
Ein eisiges Staunen erfaßt schon den Haufen,
Er wird, wie aus Angst, auseinandergerückt.
Jetzt hält diese Frau ihre Hände erhoben,
Als folgte sie, sehend, der hellsten Vision.
Erst mag sie das Kreuz und die Märtyrer loben,
Und nun schreit die schauende, wilde Person:
»Ich habe zwölf Kinder auf einmal verloren,
Sie wurden vom höllischen Feuer verzehrt!«
Sie hätte acht Söhne dem Staate geboren
Und selber mit üppigen Brüsten genährt,
Nun hätten die Götter die Heimath vernichtet
Und die und sie alle zu Grunde gerichtet.
Nun sucht sie und scharrt sie, im Schutt der Ruinen,
Ihr Schreien hat furchtbar die Brandnacht durchgellt,
Es ist ihr des Heilandes Mutter erschienen:
Sie sieht sie als leuchtende Herrin der Welt.
Nun schwört sie, sie werde zum Throne gerufen,
Es habe die Mutter sich zu ihr geneigt
[180]
Und gleich dann, auf herrlicherleuchteten Stufen,
Ihr rings ihre Kinder als Engel gezeigt.
Nun ist sie im Taumel zu Boden gesunken,
Sie glaubt, sie hat himmliche Milde getrunken,
Es hat ihr die Jungfrau die Lichtbrust gereicht
Und drum ist ihr plötzlich so wonnig und leicht.
Doch faßt sie sich wieder, voll brünstigem Verlangen
Zum Volke zu reden, beginnt sie nun laut:
»Ich habe den Heiland, hoch über den Schlangen
Der lodernden Welten, voll Ruhe erschaut!«
Zuerst ist das alles nur schweres Gestotter,
Sie zerrt noch, zerzaust ihren Sprachenballast,
Doch plötzlich entwirrt und enthaspelt sie flotter
Die trefflichsten Worte, zu Sätzen gefaßt.
Stets schriller beginnt sie zu wüthen, zu wettern,
Als schlüge sie Blitze aus stahlhartem Stein,
Sie ruft, sie wird Götteraltäre zerschmettern
Und gleich darauf setzt sie den Weltheiland ein.
Schon folgen ihr Mütter und leidende Frauen,
Die viele verloren, die Kinder, den Mann,
Sie wollen von nun an der Leidmutter trauen,
Die schmerzensreich ewige Gnade gewann.
Nun zieht sie, im Zuge, in offene Gefilde,
Rings sieht sie den Dunst und die arge Gefahr,
Im Himmel erschaut sie die Göttin der Milde
Und baut ihr daselbst einen Sternenaltar.
Ja, Sterne sind wahrhafte Boten der Güte,
Denn immer, wenn lodernde Helle erblaßt,
[181]
Sobald nur der Blutring des Tages verglühte,
Erscheinen sie alle als Spender der Rast.
Ihr innerstes Wesen ist seelig beflügelt.
Ihr gläubiges Funkeln verstrahlt Gottes Macht.
Ihr Minnen ist frei und ihr Chaos gezügelt,
Und was da erkeimt, wird von ihnen bewacht.
Im Dasein der Sterne, den schützenden Müttern,
Sind Sorgen und Freuden urewig gepaart,
Drum muß auch ihr Leuchten die Frauen erschüttern,
Die sich schwach und hülfebedürftig gewahrt.
Die nächtliche Ewigkeit, sehen sie, spendet
Erlöschende Sterne der sterblichen Welt,
Die Milde der glücklichen Lichtfürsten sendet
Uns Erdkindern Grüße, durch Mitleid erhellt.
Nun flüstern die Mütter, wir werden allnächtlich
Uns hier, unter Bäumen, oft wiederum sehn,
Oh bleiben wir, tagsüber, reinlich und rechtlich
Und lassen wir Nachts uns von Schauern umwehn.
Oh bringen wir Blüthen, die Sterne des Tages,
Zum holden und herrlichen Gottesaltar,
Dann freuen die Augen des weltlichen Haages
Der Sterne urkindliche, liebliche Schaar.
Jetzt singen die gläubigen Weiber: »Wir pflücken
Die Blüthen der Felder, um Gott zu erfreun,
Wir wollen versammelt uns lieben und schmücken
Und dann wie die Blätter uns weithin zerstreun!«
[182]
Als vielerlei Länder Sybillen gebaren,
Hat Romulus Wölfin sie alle gesaugt,
Und jetzt stürzt ein Jude das Reich der Cäsaren,
Und ihn hat das Leid aller Menschen gezeugt.
Er ist ein unendlicher Seelenerwecker,
Er hat an dem Kreuze die Erde befreit,
Er ist aller Völker Verheißungsvollstrecker,
Und wer an ihn glaubt, überflügelt das Leid.
Es hat ihn die Weibheit der Erde getragen,
Er ist, wie das Licht, der Jungfräulichkeit Kind,
Er leidet das Leben und kennt keine Klagen,
Und schenkt uns sein Blut, wie ein Herbstwald dem Wind!
Es folgen ihm Weiber und gläubige Männer,
Durch ihn sind sie Alle zu sterben bereit,
Er ist unser gütiger Herzenserkenner,
Und wer ihn erfreut, ist von Zweifeln befreit.
Er machte die schweigenden Tiefen empfindlich,
Und als er die Römer zur Kreuzigung zwang,
Da wurden die Leidenden unüberwindlich,
Denn groß ist der Büßenden fürstlicher Gang.
Von glühenden Zungen, die Unheil verkünden,
Ist ringsum die Urbs des Genusses umloht,
Und Flammen, die Leiber und Seelen entzünden,
Bereiten den Gottheiten Sorge und Not.
[183]
Weltungeheuer, aus Zunder und Feuer,
Es sind Deine Numen in Satans Gewalt,
Es wird schon das Burgen und Tempelgemäuer
Von gräßlichen Klauen des Brandes umkrallt.
Die Auen des Pan sind unheimlich verglommen
Und Flammengedanken verschlingen sich tief
In Seelen, die leibliche Botschaft vernommen!
Erwacht ist der Weinberg, der still und stumm schlief!
Die Krallen des Brandes verschleudern die Steine
Der Tempel der alten, versinkenden Welt,
Verwüstet sind weithin die heiligen Haine,
Es haben Propheten die Eichen gefällt.
Ganz Rom kann die brennenden Tempel erblicken,
Die Numen sind alle vom Feuer bedroht,
Sie werden aus Angst in den Flammen ersticken,
Es naht ihr lebendiger, lodernder Tod.
Denn seht, diese Flammen beschützen das Leben,
Sie sind schon ein furchtbares Zukunftsgespenst,
Es kann sich der Erdgeist oft drohend erheben,
Doch er ist es, der uns mit Freuden bekränzt.
Der Boden muß ringsum Ideen gebären,
Die Erde trägt ewige Wälder im Schooß,
Sie labt, wer da Durst hat, mit Reben und Ähren,
Und wenn wir verzweifeln, so zeigt sie sich bloß.
Denn nackt sind die Flammen, ja Rankenskelette
Das haftige Wesen vom wachsenden Wald.
Gar vieles erzählen uns brennende Städte,
Und Roma entleuchtet Jehovahs Gewalt!
[184]
Doch Nero, von brüllenden Löwen umgeben,
Erblickt nur ein Schauspiel von singendem Gold,
Und wenn seine Bestien, vor Schrecken, erbeben,
So fürchtet er gar nichts, denn Zeus ist ihm hold!
Die Katzennatur scheint an Flammen zu saugen,
Vielleicht wird ihr Wüstenbedürfniß gestillt,
Die Grausamkeit gleißt schon aus grünlichen Augen,
Der Brand macht die Thiere erschrocken und wild.
Der Kaiser jedoch merkt kein Zerren und Pfauchen,
Er sieht nur ins Feuer, das Wunder versprüht,
Er schaut, – doch er ahnt nicht, daß Götter verhauchen,
Da jegliches Denken ihn fürchterlich müht.
Die nächsten Geschlechter begruben die Numen
Und haben sich Tempel aus Trümmern gebaut,
Ihr Gott aber wuchs nicht aus römischen Krumen,
Er hat auch nicht einfach ins Weltwerk geschaut.
Man wählte den Gott, der Ägypten gegeißelt
Und der seine Feinde im Meere ertränkt,
Man hat ihn sofort im Gedanken gemeißelt
Und so dessen mystisches Wesen gekränkt.
Man gab ihm bewegliche, griechische Glieder,
Ein jüdisches Haupt und etruskischen Rumpf,
Man webte sein Wesen in christliche Lieder
Und sang sie zu Ostern zum Sonnentriumph.
So müssen im Brande die Götter vergehen,
Das Bildniß des Zeus ist schon lange gestürzt,
[185]
Es haben die Stürme, die fürchterlich wehen,
Dem Feuer den Weg über Hügel verkürzt.
Die Flammen zerstören die Marmoraltäre,
Doch unberührt dauert des Weltherrschers Thron,
Dort schützt bald der Papst seine römische Lehre,
Dann später das Reich und die Inquisition.
[186]
[Oh Weltenleu, oft sträubst Du Deine Flammenmähne]
Oh Weltenleu, oft sträubst Du Deine Flammenmähne,
Entloht der Urbs der Feuerabglanz Deiner Wuth?
Oh jage Löwe: was bedeuten Purpursträhne?
Es brüllt der Mensch. Das Holzwrack knarrt. Es tobt die Gluth.
Sind Gallier drinnen, um nach Römergold zu scharren?
Die Gänse schnattern nicht, fort ist der Latiermuth!
Erscheint ein Triumphator dreist am Siegerkarren,
Soll Rom im Brand den Abglanz seiner Kraft gewahren?
Barbaren sind es und sie werden hier beharren!
Dort kommen sie mit windverworrenen, goldenen Haaren!
Es sträubt die Feuermähne die Zerstörungslust
Von frechen Söldnern und von freien Kriegerschaaren!
Die haben kaum von Gold und Goldesmacht gewußt,
Und wie sie ungestüm die Tempelpforten sprengen,
Erscheint in Manchen plötzlich Gott im Flammenwust!
Die Römer sehn sie wild zertrümmern und versengen,
Sie suchen Gott im Feuerheerd nnd Abendhauche,
Und Rom beginnt sie drum mit Wasser zu besprengen.
Wie eine Wittwe wühlt die Urbs, im eigenen Rauche,
In der Campagna sich ins Grab von ihrem Geiste,
Sie scharrt und stöhnt und liegt dann stumm auf ihrem Bauche,
Das Gold ist fort und tot der Aar, der sie umkreiste!
[187]
[Das Weltgenie von Rom war todt]
Das Weltgenie von Rom war todt.
Der Löwe hatte kurz geröchelt,
Die Leiche aber weiter fort die Welt verpestet.
Ihr voller Rumpf, der sich durch lauter Raub gemästet,
Schwoll an, und wie ein Aas im Straßenkoth
Bedrohte er die Welt mit arger Fiebersnoth.
Doch Rom, die Stadt des stumpfen Mittelweges,
Blieb selbst noch skeptischabergläubisch groß.
Sie wuchs, denn sich zu füllen blieb ihr Loos,
Doch sie behielt auch ferner etwas Träges.
Ihr guter Bürgersinn gab ihr Gedanken
Und stellte sie in keiner Lage bloß.
Verletzten sie des Nachbars Räuberpranken,
So gab sie plötzlich ihm den Todesstoß.
Oh Rom, ich sehe, wie Du meistens Dich vertheidigst:
Die Völker, die Italien mitbewohnten,
Propheten, die Dein Mittelmaaß beleidigt,
Die Sklaven, die sich gegen Rom verteidigt,
Und jeder Feind, der Deiner Macht genaht,
Ward von der Göttin Roma überfahren.
Du übertrumpftest schließlich das Triumvirat,
Stets konnte sich Dein Bürgergeiz die Macht bewahren.
Zertrümmert lag das Werk der herrlichen Cäsaren,
Doch Rom, das immer siegreich seinen Feind zertrat,
Besiegte nun durch seinen Glauben die Barbaren.
Das Wort ward durch das Römerthum zur That,
Die Urbs verschmähte nicht vom Besten anzunehmen,
Denn niemals liebte sie, was arg zurückgeblieben,
Das Kühnste mußte schließlich sich nach Rom bequemen,
Denn Rom besteht und die Propheten werden aufgerieben.
[188]
[Gedeihe, großes Rom, bestelle Dir Konzile]
Gedeihe, großes Rom, bestelle Dir Konzile,
Verknüpfe alles was Du irgend schlau vermagst,
Es gilt Dein Wollen einem großen Lebensziele,
Dem Werk, in dem Du selber unvergleichlich tagst.
Versuche, Rom, in Deiner Kirche das zu fördern
Was irgendwie sich an Dein Machtverlangen schmiegt.
Du wirfst die Weltrebellen zu gemeinen Mördern,
Und biegst, zerknickst, was Deinem Sieg entgegenliegt.
Es braucht der Mensch den Mittelweg, um still zu wandeln,
Und den hat Rom für alle Völker reingefegt,
Die Abgewichenen wird es gerne mild behandeln,
Da keine Schwäche Rom sich in die Wege legt.
Den Tartarus vertiefte es zur Christenhölle
Und hat dadurch den Einsturz seiner Macht gehemmt:
Sein Geist war da, damit die Zahl der Christen schwölle,
Und seine Kraft hat Riesenfluthen eingedämmt.
Oh Rom, Du wecktest Schätze, die in Heiden schliefen,
Du hast Dir Grundverschiedenes angepaßt,
Du hörtest tausend Stimmen, die nach Rettung riefen,
Und trugst der Weltkultur unendlich große Last.
Du zogst die Welt in Deinen Bann erhabener Ruhe,
Du sammeltest die Worte, die Du rings erfrugst,
Du legtest fremdes Gut in Deine goldene Truhe,
Um die Du dichte Schleier des Vergessens schlugst.
[189]
[Jetzt fühle ich der Schönheit Flügelschläge]
Jetzt fühle ich der Schönheit Flügelschläge,
Im Norden ist die Lilie Frankreichs aufgegangen,
Die Christenliebe wird in Marmorblöcken rege.
Es scheint der Fels nach Sonnenformen zu verlangen,
Es klimmt ein Frühjahr steil empor an Kathedralen,
Und über Thürmen seh ich Schönheitsgipfel prangen.
Das Leben läutert sich aus unempfundenen Qualen,
(Denn nichts zu fühlen ist der Fluch im schweren Steine,)
Zu Formen, die lebendig ihrer Nacht entstrahlen.
Es trachten lauter Sonngeburten im Vereine
Als Pfeilerbündel langsam sich emporzurecken,
Denn alles Irdische verneint das Steile, Reine!
Es scheinen Osterglocken allerliebste Schnecken,
Verkrümmte Lurche, Olme, Echsen, stumpfe Würmer,
Die reinste Teufelsbrut, im Steine zu erwecken.
Fürwahr, es ruft mit ernstem Glockenschlag der Thürmer
Ein ganzes Schlummerreich empor ans Licht, ins Leben,
Und weist: Oh folgt dem Menschen, Eurem Sonnenstürmer!
Ihr Wesen alle, laßt Euch froh zum Licht erheben,
Ihr Schwalben, sehnt Euch her nach stolzen Menschenwerken,
Ein Taubenschwarm soll immerdar dem Bau entschweben!
Ermüdet mag der Wanderer einen Dom bemerken,
Die Schönheit ihm fast engelsgleich entgegenfliegen,
Des Münsters Himmelssehnsucht jeden Pilger starken!
Es mögen Wünsche domwärts in der Luft sich wiegen,
Und sollte unterwegs die Büßer Furcht beschleichen,
So möge Schönheit alle Zweifel gleich besiegen.
[190]
Es kann kein Engel zwar von seinem Sockel weichen,
Noch je der Glockenklang ihm goldene Flügel leihen,
Doch seine Schönheit wird uns immerdar erreichen!
Jetzt schweben holde Engel schon in langen Reihen
Vom Dom herab und leiten uns in hohe Hallen,
Um Seelen durch beschlossene Ruhe zu befreien!
Das Innere scheint mir in Italien aufzuwallen:
Da sieht der holde Franz in eigener Innerferne
Die gleiche Gluth wie Frankreich, hinter Blutkrystallen!
Sein Münster wölbt sich über Gottes liebe Sterne,
Selbst Vögel nisten traut in seinen Kathedralen,
Denn was da liegt und leidet hat er innig gerne.
Er scheint mir fast die liebe Frau auf Glas zu malen.
Warum? Ich weiß es nicht: Auf einem stillen Anger
Erscheint mir seine Jungfrau hinter Gnadenstrahlen.
Sie ist für mich der ganzen Welterlösung schwanger,
Es fangen Frühlingsblüthen an um sie zu lachen,
Doch wird ihr Antlitz immer traumhafter und banger.
Besonders blaß erscheint sie durch das Lenzerwachen,
Sie ahnt vielleicht bereits in ihrem Muttertraume
Den eigenen Sohn im Kampf mit irgend einem Drachen.
Da zwitschern aber alle Vögel laut im Zaume
Und wollen wohl die Angstgedanken so verscheuchen,
Doch seht, auch Engel blasen schon im Wolkenflaume.
Das singt aus voller Brust und aufgeblähten Bäuchen,
Das braust, daß es die Jungfrau rasch im Haag erwecke,
Denn Frühlingsstürme werden bald das Land durchkeuchen.
[191]
Doch hegt der Heilige besonders eine Hecke,
Wo Blüthen bunt aus blassem Glase bluten,
Und predigt Vögeln dann in einer grünen Ecke.
Das alles ist ein hohes Lied der Erdengluthen,
Ein Heilsversprechen jeder kleinen Vogelstimme,
Ein wunderbares Dichterthum und Grundvermuthen!
Das singt von Höhen, die der Mensch erklimme,
Von einer Liebe, die das Sternenall umarme
Und die in Werken sich ihr Weltgesetz bestimme!
Nun schnitzt der Heilige, in seinem tiefem Harme,
In einer Sprache, die wie Holz so gern erblühte,
Auf einmal Jesum, daß Er unser sich erbarme!
Die Sprache, die beim Trab von Virgils Vers erglühte,
Die wie ein Roß die Recken stolz ins Treffen führte,
Wird plötzlich so, als ob sie sanft zu sein sich mühte.
Ja, sie erweichte, als Franziskus sie berührte.
Nun tönt sie hold und giebt des Heiles Stimme wieder,
Es ist, als ob sie lusthaft seine Hand verspürte.
Es bleibt der Heilige bei seinem Werke bieder,
Er hat nur seinen Gott in frisches Holz geschnitten,
Doch keiner blickte je so treu vom Kreuze nieder.
Das ist ein Christus, der für alle ausgelitten,
Umgraut vom Dunkel einer alten Tempelecke,
Erfahrt er wohl bereits das Gut, das er erstritten.
Jetzt hascht ein rother Strahl empor zur kalten Decke,
Vielleicht ein Wiederschein der Gluth, die er entzündet,
Doch ists, als ob die Hölle sich nach oben recke!
[192]
Die Sünder schlängeln sich zum Heil, das er verkündet,
Doch wieder nein, das rothe Licht, das da erzittert,
Ist ruhig wie ein Herz, das sich mit Gott verbindet.
Wer weiß, was dieses Lämpchens Einfalt alles wittert?
Wie dem auch sei, das Werk, mit dem er uns bedachte.
Ward bei der Arbeit nie durch Zweifelsangst verbittert.
Er sähte stets und sah die Saat, die bald erwachte,
Sein Leib war Früh und Abendgluth, die nach dem Sturme
Schon häufig heitere Überraschungsstunden brachte.
Nicht Glocken, Schwalben rufen uns von seinem Thurme.
[Es siebt die Erdengluth durch Kathedralenranken]
Es siebt die Erdengluth durch Kathedralenranken,
Sie hat sich rings in kühnem Schnörkelwerk verkrustet,
Das Lebensfieber sprengt nun alle Leibesschranken!
Erschaut die Gluth, die in den Zinken weiter prustet,
Seht NotreDame, das sich trotz Teufelsspott erhoben,
Verweilt, wo Nachts der Sturm durch finstere Bögen hustet!
Dort harrt ein Nonnenzug und scheint den Tod zu loben.
Er steht vielleicht, er möge sie dem Tag entreißen,
Denn hier ist Licht nur bleich in Trauer eingewoben.
Doch höher oben seh ich Marmorengel gleißen,
Die scheinen schon im Himmel Hymnen anzustimmen,
Und drunter trachten Drachen Schmerzen zu verbeißen.
Doch wollen Freuden rings die Leiden überklimmen,
Es strebt und klettert drum das ganze Domgefüge
Vorbei an Wuthgebilden, die in Stein ergrimmen.
[193]
Es ringeln sich und wandeln lauter Schneckenzüge,
Wie Schicksalstreppen und astrale Schreckgewinde,
Bedenklich aufwärts über Spuk und Teufelslüge.
Hier ist es ganz, als ob der Stein die Form empfinde
Und sich im Thurm zum Himmelssturme selbst ermannte,
Es ist, als ob ein Dom die Welt in sich verbinde.
Oh Bau, jetzt kommt der Geist, den Dir Italien sandte.
Er wandelte und blickte lange in Ruinen,
Er liebt und er begreift Dich schon, man nennt ihn Dante.
Das Frankenthum erfaßt er in Terzinen,
Er ist ein Massenfolterer und Dichter,
Und rings umschielen ihn verblüffte Mienen.
Es ist, als ob im eigenen Höllentrichter
Er Wurfspiralen, Schatten, rhythmisch bändigte,
Denn seht, im Wirbel glotzen Schreckgesichter!
Es ist, als ob sie Gott in sein Belieben händigte,
Er wird ein Geisterrichter und ein Seelenkomponist,
Heil Dante Dir, der solche Fahrt beendigte!
Du bist ein Weiser, aber dennoch schon ein Christ,
Ein Welscher, der die Massen liebt und heimlich lauert,
Ob einer das Verstellen kurz vor ihm vergißt.
Doch Gnade jedem, der ertappt, vor ihm zusammenschauert,
Denn kalt ist er und jetzt sogar ein Menschenhasser,
Er sieht, versteht kein Laster, das sich dumpf verkauert.
Wie lugt die Faulheit doch, verdummt aus grauem Wasser.
Wo Lebensmilde nie durch dicke Deiche bricht,
Da steckt im EigenDreck der Geizhalz wie der Prasser.
[194]
Dem Dichter winkt gar oft ein schreckliches Gesicht,
Das ist dann meistens wer, den er im Leben kannte,
Und häufig lauscht er hin, was so ein Schatten spricht.
Doch da er jeden Zufall aus der Welt verbannte,
So fühlt er eine urgerechte Welt im Ich
Und deshalb rührt auch selten nur ein Schicksal Dante!
Durch innere Zwiste führt der Genius einen Strich,
Da tritt, mit blutigem Haupt, die Tragik erst zu Tage
Und grinst das Wesen an, das sich mit Gott verglich.
Dann ists, als ob das Höllenlachen aufwärts rage,
Als ob die Grausamkeit sich jäh mit Fleisch bekleide,
Und selbst die Starre falsches Lächeln noch vertrage.
Es ist, als ob ein todter Blick am Leid sich weide,
Stets heller, hohler, höher hallt das Höllenlachen,
Und alles grinst und girrt, verkrallt im Lasterrachen.
Das sind die Zangen der Materie, Sünden, Seuchen,
Auch Unzuchtzähne, Fieberbiber, Ursturzmächte,
Gewissensbisse, die uns hin und wieder scheuchen.
Des Schleudergeistes Ohnmacht im Geschlechtsgefechte
Verkrampft, was in uns heult, zum eigenen Steinsymbol,
Zur Höllenplastik ewig starrer Seelenmächte!
Verdammtes kreist da, ohne Axe, ohne Pol,
Die Selbstmörder sind ewig in den letzten Zügen,
Der Urblick zwinkert grundlos tief und schrecklich hohl.
Da muß die Wuth sich in das Welterbeben fügen,
Und das will rastlos, unerlösbar seinen Tod.
Du kannst den Höllengrund zerreißen, nicht durchpflügen!
[195]
Es giebt wohl keine Rettung mehr im Sünderkoth,
Und dringt darum auch Wuth und Spott aus dem Morast,
So stößt den Schreier Dante ruhig weg vom Boot.
Vielleicht hat er bereits das Paradies erfaßt,
Es dringt sein Geist wohl ahnungsvoll in Christi Nähe,
Doch nichts als Dites Stadt entstammt ihm seine Hast.
Es ist, als ob sie ganz aus Wuth und Glast entstehe,
Schon sieht er Thürme, Trümmer schaurig funkeln,
Wer weiß, ob nicht ein Schmerz die Festungsstümpfe blähe?
Seht, Nackenmauern, dick bespickt mit Giftfurunkeln,
Umschwirren Seufzerschwärme, die den Schlaf verloren,
Und Weh entströmt aus Thüren, die in uns verdunkeln.
Oh, das sind Schlünde, Münder, Feuerflammenohren,
Gehirne, Bäuche, die sich Nimmersatt verzehren,
Gebisse, Spuk wie Speichel vor den Höllenthoren.
Es brennen Gluthen, ohne etwas zu bekehren,
Sie säubern nichts und sind doch grauenvoll und mächtig,
Und nirgends wird sich ihrer je ein Mensch erwehren!
Ach, ewig bleibt die Erde an Verdammten trächtig,
Und dennoch, – was dort schleicht, – das sei mit Recht verachtet,
Ja, Nachsicht ist der Höllenabkunft sehr verdächtig!
Was sich verstellt und einwärtsschielend sich betrachtet,
Bleibt immerdar der Qual im Höllenschlund verfallen,
In dem das Fleisch, wenn schuldlos selbst, doch nöthig schmachtet,
Da blos als Gegensatz die Seelen heimwärts wallen!
[196]
Entreißt der Geist von Dante sich aus Höllenkrallen?
Belebt, vermengt er noch dazu den Rassenschleim?
Durch ihn wird manches fremde Lied in Rom erschallen!
Horcht, jetzt entwindet sich sein Wunsch aus Satansheim,
Mit Himmelsrhythmen sprengt er jede Geistesfessel
Und spielt nur mehr mit Bildlichkeiten und dem Reim.
Denn peitscht sein Feuergeist auch im Verderbenskessel
Die Seelen noch im starren Kreislauf auf und nieder,
Vertauscht er doch schon Höllenthron und Richtersessel.
Er giebt der Christenheit ihr Rechtsbewußtsein wieder,
Er zeigt den Menschen als ein armes Erdensein
Und nennt den Leib ein urverfluchtes Leidensmieder.
Es gilt, aus diesem sich im Geiste zu befrein,
Ist in den Körper doch die Seele blos gebettet,
Und in der Dichtung faßt sie schon den Freiheitsschein!
Wo Dante Büßer durch ihr Seufzen kühn verkettet,
Da hat er rasch den Bann des Einzelseins gebrochen
Und Seelen, als des Wortes Widerhall, gerettet.
Des Handelns Einklang hat der Dichter ausgesprochen,
Wir hören ihn und übergeben ihn den andern,
Und deshalb kommen Büßer vielfach angekrochen.
Verbunden müssen sie dem Heil entgegen wandern,
Doch wieder einzeln und entlöst der Gluth entschweben,
Denn Seelen werden abermals zu Salamandern!
Einst wirst Du stark wie irgendwelches Urerbeben,
Das stets an Rachefelsen, freudenkündend, rüttelt,
Und schreist den Freiheitsschrei, den alle jetzt erstreben!
[197]
Denn einst genesen wir vom Fieber, das uns schüttelt,
Ist der Erlösungsruck von Dantes Büßerseelen
Doch ein Gebet, das zwischen Gott und uns vermittelt.
Das Christenthum vermochte sein Genie zu schweelen,
Er wurde zum Symbol, das Jesus Kraft erkannte,
Und konnte, aus Vernunft fast, dessen Lehren wählen.
Oh Du Verbannter, unerfaßbar herber Dante,
Oh sage, was bestimmte Dich fürs Heil zu werben,
Ich glaube und mag glauben, daß dich Liebe sandte.
Du suchtest frische Dornen unter Tempelscherben
Und konntest Worte Platons und von andern Weisen,
Damit in unsere Gesetzestafeln kerben.
Du sahst, wie lang der Geist auf Christum hingewiesen,
Und wie ihn ein verstecktes Volk hervorgebracht,
Und hast dafür die große Vorsehung gepriesen!
Selbst Aristoteles ist jung in Dir erwacht,
Den Himmel bautest Du nach Maaßen alter Heiden,
Ward Ptolemäus doch der Schwerpunkt neuer Macht.
Oh Dante, nun verstand Dein Geist nicht blos das Leiden!
Ein Christ schon, fühltest Du den Überschwang der Gnade,
Aus deren Wesen sich die Lebenswege scheiden.
Damit sich jede Innergluth zu Gott entlade,
Ward uns die Freude am Verschiedenen gegeben,
Und schließlich wandeln wir auf unserm Lieblingspfade!
In allen Völkern sollte sich das Heil beleben,
Und Dante war der Kirche ein beherzter Streiter,
Doch konnte sich sein Geist hoch über Rom erheben!
[198]
Seht, alle Völkerengel schweben auf der Himmelsleiter
Empor zum Licht und sind wie Kühnheit, Adel, Treue,
Erhabene und helle Himmelsbahnbeschreiter.
Oh, daß nur keiner seines Fühlens Echtheit scheue,
Verschiedene Menschen, alle Völker sind willkommen,
Daß jeder nur in sich die Gottheit freue!
Alltäglich wird das Paradies von uns erklommen,
Durch Christi Licht ist manche Albgewalt zerstoben,
Und um den Gnadengrund ein Engelskranz erglommen.
Der will im Chor den Wechsel aller Wesen loben,
Und statt der sieben stummen Regenbogenfarben,
Die Ewigkeit bedeuten, wenn Gewitter toben,
Erscheinen Engel, die sich Thatenglanz erwarben,
Und Gottes Ewigkeit im Tagewerk verkünden,
Und alle uns durchstrahlen ihre Flammengarben.
Sie suchen sich zugleich im Fühlen zu verbünden
Und durch den Herzschlag Ewiges zu unterbrechen,
Um rhythmisch nochmals in den Kreislauf einzumünden.
Oft wollen wir zu Gott mit goldenen Glocken sprechen,
Und da entsprüht der Seele englische Musik,
Und alles lobt den Herrn in freien Feuerbächen.
Das Zeitgefühl, das einstens urharmonisch schwieg,
Bevor der Raum sich eigentlich hineinergossen,
Erwirbelt sich bewußt als Rhythmenmosaik.
Die Klangrubine, die ganz klar in uns ersprossen,
Beruhn beinah auf unserm tiefsten Daseinshalt,
Da sie der Zeit, doch ohne Rauminstinkt, entflossen!
[199]
Du volle Allgewalt, die durch die Seelen schallt,
Du sollst als Wort den Eindruck meines Ichs erhärten,
Oh, mache mich zu einer freien Lichtgestalt!
Ihr Fieberblüthen meiner Wunsch und Wollustgärten,
Laßt meinen Seelenhüter hehr in Euch enttauchen,
Kommt, Cherubims mit urgezückten Flammengerten!
Aus Zauberbeeten mag die Himmelssehnsucht hauchen
Und wandle bodenlos und stumm durch meine Seele,
Und Gold soll, um ihr rothes Michumwehen, rauchen!
Seht, nun entstehen Engel ohne jede Fehle,
Es blendet mich jetzt ihre grelle Helmenhelle,
Doch ist es schon, als ob ein Hauch sich drüber schweele.
Nun wogt ein grüner Frauenchor zur Gnadenquelle,
Ein ernster Stolz bewegt ihr weises Erdgehaben,
Doch sind sie blos der Lenz der blauen Traumeswelle.
Nun braust auch diese schon, berauscht durch Schöpfergaben,
Die sie in sich verbirgt, gewaltsam durch mein Fühlen,
Und spricht von Greisenernst und Jubeln munterer Knaben.
Wahrhaftig, Kinder singen rings auf Wolkenpfühlen,
Wie mild erweichen mich die Schwingen dieser Geister,
Die das Gemüth erwärmen und mein Fieber kühlen.
Ein Saumschwall innerer, regenbogenglanzumkreister
Vertreter mystischer, wie nichtigster Gewalten
Erscheint uns jetzt, geführt von einem stillen Meister.

Unfaßbare, unendlich ferne Grundgewalten

[Rand: Duccio da Buoninsegna]

Beginnen wie aus Schlünden rings hervorzuklingen,

Um demuthsvoll um Unsere Liebe Frau zu walten.

[200]
Fast unsichtbar sind ihre lila Cherubsschwingen,
Und es vermag ihr Chor die liebe Himmelsweise
Durch Erdenrhythmen unverletzbar zu verschlingen.
Es thront die Muttergottes hehr im Engelskreise,
Den unser Dasein in die Ewigkeit erhoben,
Und übertönt der Sterne einfache Geleise.
Der Mutter Wesen ist aus Menschlichkeit gewoben,
Erbleichend darf blos Sirius ihre Pracht begrüßen,
Und unser Hoffen ihre Muttersorgen loben.
Des Mondes Todessichel starrt zu ihren Füßen,
Der Sterne zwölf, durch ihre Bahnen urverbunden,
Erscheinen blos, um in ihr Wesen einzufließen.
Es trachten andere, sich zu einem Reif zu runden,
Und kein Versuch geht je im Mutterschooß verloren,
Selbst Sternensehnsucht kann, als That, der Mensch bekunden!

[Rand: Piero della Francesca]

Ganz makellos erstrahlt, wer unser Heil geboren,

Es ist, ob Ewiges von keiner Sünde wüßte,

Jungfräulichkeit hat sich zur Schöpfungsgluth erkoren!

Es schwellt des Weibes Minne ihre hellen Brüste,
Doch ihre Milch sind Sternennebel die vergrauen,
In ihrem Blick geht jeder Sonnentag zur Rüste.
Die Welten scheint ein Fünkchen Güte aufzubauen,
Und nichts als Gnade strahlt aus ihren stillen Augen,
Die Eine Weltidee spannt ihre Flügelbrauen.
Der Mutter Wangen können alle Thränen saugen,
Was zählt ein bloßer Mond in solchem Perlenbilde?
Ihr Nacken mag zum höchsten Königsleiden taugen!
[201]
Wie Arme Hände werden, wird die Macht zur Milde,
Die Würde kann sich unter ihrem Halse stauen,
Der Adel birgt sich hinter ihrem Schulterschilde.
Aus dem Profile ragt das Lebensgrundvertrauen,
Es scheint ihr Haupt, gekrönt von holden, goldenen Flechten,
Die Möglichkeiten der Kometen zu erschauen.
Es ist, als ob die Auen ihr ein Opfer brachten,
Und Duft und Liebeshauche sich zusammenrafften
Und ihre Schöpferin mit ihrem Kleid bedächten.
Mag doch der Duft an allem, was ihm hold ist, haften,
Um so ein menschliches Gedenken zu erwecken,
Denn Hauche sind es, die der Jungfrau Anmuth schafften!
Oh seht, wie Düfte sie gar einfältig bedecken,
Wie plötzlich lauter Hauche sich zu Bauschen schwellen
Und so den keuschen Leib vor unserm Blick verstecken.
Daß ewig Düfte sich um ihre Glieder wellen,
Verbirgt des Erdenfrühjahrs junges Waldverwandeln,
Denn Lenz muß sich zu Lenz in stiller Reih gesellen!
Ich seh ein Hemd, gewoben aus dem Hauch der Mandeln,
Als Duft und Pracht der Jungfrau um den Leib sich legen,
Natur, wie zart willst Du Dein Menschenwerk behandeln!
Die Sonne scheint für Dich, Marie, den Strauch zu hegen,
Dem Rosenströme, Purpurfluthen hold entrauschen,
Für Dich, der Strahl in Kelchen Liebe anzuregen.
Denn Königin, Du zeigst Dich nun in Purpurbauschen,
Du wirst zum Sinnbild aller thronenden Gewalten,
Doch um die Schultern scheinst Du Düfte zu vertauschen.
[202]
Denn Veilchenhauch legt dort sich auf die Mantelfalten,
Du willst die Demuth leicht auf Deinem Wesen spüren,
Um in der Welt voll milder Huld zu walten!
Wer tritt nun schaudernd durch die goldenen Himmelsthüren,
Oh Jungfrau, sieht Dich Dante jetzt in Deiner Größe?
Er wagt es nicht, den Saum von Dir nur zu berühren!
Doch ists, als ob er Leben in Gebilde flöße,
Die seinem Innern rein wie ein Gebet entsteigen,
Verträgt doch seine Urvollendung keine Blöße!
Er scheint mir selbst ein Baum mit reichen Blüthenzweigen,
Ein hoher Stamm, an dessen Wurzeln Menschen nagen
Und dessen Äste Liebeswinde weiter neigen.
Er lauscht wie Andere gegenseitig sich verklagen,
Es wollen seine Wurzelfühler Leid verspüren,
Um alles Menschliche durch sein Gefühl zu tragen.
Genie, wer trachtet nicht Dein Wesen einzuschnüren!
Du darfst, Du kannst an Altersschwäche nimmer sterben,
Und deshalb muß der Mensch Dein Feuer furchtbar schüren.
Es wird die Wurzeln Dir der Nageneid verderben,
Denn jeder fühlt sich durch Dein Riesensein beraubt,
Und thut Dir weh, um Dich dann rascher zu beerben.
Doch Dantes Lebensbaum hat sich stets mehr belaubt,
Da seine Seele blos das Paradies ersehnte,
So leuchtete es endlich in sein Dichterhaupt.
Ein Engelschor, den seine Seele wirklich wähnte
Und der sonst unerfaßt am Grund der Seelen weilte,
Verhauchte Blüthen, die sein Baum ersterbend thränte,
Und vieles, was der Mond zerrüttet hatte, heilte!
[203]
[Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder]

Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder,

[Rand: Buonaventura Berlinghieri]

Du Licht des Glaubens, das die Christenheit durchleuchtet,

Wir alle fühlen uns durch Deinen Trost gesunder!

Ihr Aussatzkranken, die Ihr Euer eigenes Weib verscheuchtet,
Gesteht, vermochte Rom nicht Euer Leid zu bessern?
Ihr sagtet nein, da Ihr verwirrt vorüberkeuchtet!
Kein Papst vermag es, Eiterwunden zu bewässern,
Den Kranken allen, die ein grauses Übel peinigt,
Hilft kein Gebet, noch sonst ein Arzt mit Trank und Messern.
Von Sünden aber wird der Mensch in Rom gereinigt,
Der Vatikan vergiebt die Schuld der Erzbefleckten,
Denn Heiden haben Heilige zu diesem Zweck gesteinigt!

»Dort wo die Märtyrer das Gnadenwerk vollstreckten,

[Rand: Simone Martini]

Da wird uns Elenden der reichste Trost gespendet!«

Denkt mancher Pilger, dessen Muth Legenden weckten.

Wie mancher sich, von Rom aus, wieder heimgewendet,
Erblickte er, mit voller Lust im Lenz den Flecken,
Der seinen Tagesmarsch, als nahes Ziel, beendet.
In junger Pracht, erwachten rings Toskanas Hecken,
Gar schöne Mädchen kamen ihm des Wegs entgegen,
Und keine schien vor fremden Pilgern zu erschrecken.
Auf allen Wegen sah man sich das Leben regen,
Oft Söldner vor den Schänken leicht ihr Geld verspielen,
Ein Fräulein gar am Fenster ihre Flechten pflegen,

Verschiedene Wirthe nach den Pilgersäckeln schielen.

[Rand: Antonio del Pollajuolo]

Oft stumme, dunkle Mädchen, unter niedern Thüren,

Erröthen, wenn sie schmucken Jünglingen gefielen.


[204] [Rand: Masaccio]

Dann kam ein Wirth die Pilger in sein Haus zu führen,

Und da sie lahm und müde vor den Schänken harrten,

War es das Erste dort, die Schuhe zu entschnüren.


[Rand: Sano di Pietro]

Dann wollten sie behaglich auf die Mahlzeit warten,

Zu Haus jedoch, gewahrte einer, voll Vergnügen,

[Rand: Pisanello]

Drei Mädchen wunderbar in einem Nelkengarten.


[Rand: Botticelli]

Es waren Schwestern mit den selben schönen Zügen,

Die sich soeben um den gleichen Freier stritten,

Mit einem andern wollte keine sich begnügen.

Sie riefen, keine hätte jemals es gelitten,
Daß eben der mit einer andern sich vermähle,
Und käm ein Prinz dafür für sie herangeritten!
Ihr goldenes Haar durchblitzen Prachtjuwele,
Und jede konnte, selbst im Streit, den Anstand wahren,
Vielleicht, damit der Fant, als Klügste, sie erwähle!
Sie wollten jetzt schon alle Reize offenbaren,
Die Streitbarste trug in den Flechten grüne Spangen,
Die fast wie Schlangenwunder in dem Goldwust waren.
Die Zweite schien bei jeder Kopfwendung zu bangen,
Sie hatte Perlen still um ihren Hals gewunden,
Und leichtes Fieber schlug ihr öfters in die Wangen.
Der Jüngsten Art und Scherze schienen zu bekunden,
Daß sie der Brautschaft sich am allernächsten wähnte,
Auch schien, dem Lächeln nach, der Zank ihr fast zu munden.

[Rand: Pisanello]

Wie sie das Köpfchen sanft an ein Geländer lehnte,

Umschwirrten dieses Schmetterlinge, die der Nelke

Fast glichen, die von ihrer Brust sich aufwärtssehnte.

[205] Denn keine Blume will, daß sie verblätternd welke,
So schienen Herz und Nelken etwas zu erwarten,
Und endlich knarrten auch der Laube Kreuzgebälke.

Der langersehnte Jüngling war nunmehr im Garten,

[Rand: Botticelli]

Und für die Jüngste hat er gleich ein Beet geplündert,

[Rand: Pisanello]

Doch setzten sich darauf rasch Falter aller Arten.


Kein Zweifel hat den Fant, bei seiner Wahl, behindert.

[Rand: Botticelli]

Er ging zur Jüngsten hin, die ihn so bang ersehnte.

Die Andern schwiegen. Ward dadurch ihr Schmerz gelindert?


Rasch reichten sie der Braut, die nun am Bräutigam lehnte,

Schnellabgerissene, schmetterlingsumhuschte Blüthen

[Rand: Pisanello]

Und gingen dann von dannen, da ihr Auge thränte.

[Rand: Botticelli]


Als dies der Fremdling sah, so mußte er darüber brüthen,

[Rand: Masaccio]

Doch ward er weg vom Traum zum Abendmahl geladen,

Das, wohl aus Müdigkeit, die Pilger stark verfrühten.

Dort hörte er statt holder Freierserenaden
Den Sang von Pilgern, die soeben romwärts zogen,
Und auch er selbst empfahl sich da Marias Gnaden!

Wie Abendvögel kamen Männerstimmen angeflogen,

[Rand: Giotto]

Und endlich konnte er des Liedes Worte auch verstehen,

Sie baten sanft die Jungfrau: »Sei uns Elenden gewogen!«

Sie sangen: »Schenk die Gnade uns, die wir von Dir erflehen!«
Sei freundlich und durch Güte tilge unsere Sünden,
Dein Lächeln ist so lind und mild wie stilles Frühlingswehen.
Oh steig hinab zu unseres Herzens Gluthenschlünden,
Oh kühle unsere Seelen, wie ein Lenzhauch unsere Brüste,
Und hilf uns gnadenvoll das Reich des Sohnes zu begründen!
[206] Maria, geht ein heißer, langer Tag zur Rüste,
So mag, wer seine Heimath liebt, Dich holde Mutter loben,
Dann ists als ob der Himmel sich mit Funkelsternen brüste.
Die Sterne sind in Deinen Mondlichtschleier eingewoben,
Der Gürtel Deiner Reinheit ist der Milchstrom ferner Sterne,
Und unsere Seelen werden über ihm zu Dir erhoben.
Gar tief erfaßt man Dich in seines Wesens Glaubenskerne,
Wir danken Dir, daß Du uns Leid und Liebesahnung schenktest,
Doch hilf uns jetzt, denn wir verzweifeln oft, ob deiner Ferne.
Als Du den ersten Liebesblick ins Weltendunkel senktest,
Da konnte gar kein Augenblick mehr zeitlos je verzittern,
Da Du bereits in jedem Glück zur Weltekstase drängtest.
Bald wandte sich der Sonnenball hervor aus Lustgewittern,
Und bis zu uns empor, die wir uns selbst durch Dich erworben,
Vermochte keine Wuth, kein Trotz die Urfluth zu verbittern!
»Ward dann ein Schöpfungstag auch durch des Bösen List verdorben,
So konnte doch Dein Thränenmeer den Heiland uns gebären;
Du weinst, Marie, daß wir durch eigene Schuld gestorben!«

[Rand: Neoccio da Siena]

Wie konnte dieser Sang nun eines Pilgers Herz beschweren,

Denn dieser blieb zurück, aus Reue sich am Rain zu winden,

Er schluchzte laut, denn unermeßlich war sein Bußbegehren.

Ein anderer Pilger, der nach Haus zog, sollte so ihn finden,
Er neigte sich zu ihm herab und flüsterte ganz leise:
»So hör auf mich, Du armer Mensch, laß alle Sorgen schwinden!
Es winkt der Friede Dir nach einer solchen schweren Reise,
Du gehst bestimmt zum Himmel ein, der Papst wird Dir vergeben!«
Der andere aber schrie: »Er rettet mich auf keine Weise!«
[207] Er stöhnt: »Verteufelt war von Kindheit an mein ganzes Leben!«
Da sagt der andere darauf: »Der Papst ist voller Macht und Güte,
Es scheint ein Jünglingsherz in seinem Inneren zu erbeben!
Er ist kein Greis, ob er uns auch mit weißem Haupt behüte,
Denn als er mir verziehen hat, da schwanden mir die Sinne,
Es war, als neigte sanft zu mir sich eine Frühlingsblüthe.
Es schien, als streifte sie den Schnee herab, daß er zerrinne,
Da fühlt ich keinen alten Mann, ich ward so voll von Leben,
Ich wußte, sah nur, daß ich Trost für alle Zeit gewinne!«
»Umsonst ist meine Pilgerfahrt, ganz nutzlos mein Bestreben!«
Rief abermals der Wandersmann und wandte sich am Boden:
»Es kann sich kein Gebet von mir, bis hin zu Gott erheben!
Der Böse will aus meinem Ich sein Theil zusammenroden,
Ich fühle, wild verzweifelnd mich bereits in seinen Krallen,
Und zahl schon, vor Vertragsverfall, mit Satansepisoden.
Die Seele fleucht den Leib bereits, die Seele die verfallen,
Oh sieh, wie sie die Glieder krümmt, um höllenwärts zu fegen,
Nun büß ich ewig, ewig lang für dieses Erdenwallen.
Ich war fürwahr ein herber Fant, ein wüster, trüber Degen,
Nur war ichs schon von Angeburt, ich mußte eben tödten.
Doch eines Tages konnte sich in mir die Reue regen.
Wie glühte da das Hoffnungsroth empor aus Sturmesnöthen,
Voll Einfachheit schien da mein Sein zu Gottes Werk zu stimmen,
Der nächste Morgen aber war ein höllisches Erröthen!
So muß die Schönheit in der Welt den Bösen arg ergrimmen,
Ach, welchen Bruch vollbrachte er, als ich mein Glück verachtet,
Ich warf es weg, es durfte nichts als Haß in mir erglimmen!
[208] Doch was ich that, war stets bewußt. Mein Sinn war nie umnachtet.
Als Sünder war ich immer frei, mein Blick war niemals kühler,
Ich habe selbst mich schrecklich kalt aus starrem Trotz betrachtet.
Verdammt bin ich in Ewigkeit, ich armer Satansschüler,
Ich füge mich nicht mehr ins Reich, das Gott für uns geschaffen,
Schon fühle ich der Höllenhast verkrümmte Gluthenfühler.
Der Abgrund, den ich selbst erschuf, wird nun unendlich klaffen,
Und Schatten werden mir des Nachts von jetzt ab stets erscheinen
Und, traurig singend oder stumm, durch dumpfes Dunkel gaffen!
Sie singen schon: Wir wollen uns im Mutterschooß vereinen,
Dich hätte blos ein Fünkchen Glück in Gotteswelt gerettet,
Doch stießest Du die Mutter fort, drum müssen wir nun weinen!
Es hätte jede That von uns mit Gott Dich jung verkettet,
Das Böse schmiegt ans Gute sich, sonst gab es keine Güte,
Doch hast Du uns kein einzigmal im Herzen eingebettet.
Da jedes Einzelne von uns, um Dich sich nutzlos mühte,
So sei samt Deinem Schlag verdammt, stets wird der Fluch sich mehren,
Wir nisten nun als Schreck in Deinem ruhlosen Gemüthe.
Auch unser Abgang von der Welt kann Hader rings gebären,
Die Hölle ist entsetzlich rief und steigt, wenn Sünder sinken,
Ihr Haß ist furchtbar, kann sie doch die ganze Welt begehren!
Ja wirklich, sieh, ihr Thor versperren rostgefeite Klinken,
Sie will mit ihrem Dunkelschlund rings Schatten geil erschnappen,
Ich fühle mich ganz rettungslos, stets schneller, gluthwärts hinken!«
Das rief der Pilger und er riß sein Kleid dabei zu Lappen,
Im Staube wälzte er sich bleich, als wär er schon ein Schatten
Und stand dann auf und schwankte weg, um romwärts fortzutappen.
[209] Ein anderer Zug, der heimwärts ging, schien langsam zu ermatten,
Da sang er denn ein geistlich Lied, voll Gottesfurcht und Würde,
Dann ging die Reise mit Gesang viel leidlicher von statten.
Man stimmte an: »Es trägt der Mensch fürwahr die schwerste Bürde,
Doch arg und bitter wär sie nur, wenn Gott uns nicht auf Erden
Den eigenen Sohn, als Trost und Glück, stets reicher schenken würde.
Drum greifet froh nach Gottes Gunst, verzagt nicht bei Beschwerden,
Das wäre wohl ein trüber Fant, der Gottes Hand verschmähte,
Der könnte sich, statt erfurchtsvoll, fürwahr nur dumm gebärden!«
Da plötzlich wars, als ob die Schaar ein Wunderbild erspähte,
Es blitzte im Olivenhain, man sah wo Perlenreifen,
Und alles war so silberfrisch, da Wind im Haine wehte.
Es schien dort eine Wurmgestalt wie durch den Wald zu greifen,
Dann wars der Trasimenersee, zu Füßen eines Weibes,
Denn kalte Hauche sah man klar rings Marmorberge streifen.
Fürwahr, im Mondlicht zeigten sich die Formen eines Leibes,
Das war ein eigenes Wunderding, das an die Götter mahnte,
Und schien entrückt, gar weit entrückt, vom Hauch des Erdgetreibes!
Es wartete, wie kühlbewußt auf Macht, die es schon ahnte,
Es war ein Wolkengötterbild, das in Italien reifte,
Und plötzlich schiens, als ob ein Streif von ihm, sich seewärts bahnte.
Und als die Briefe auf der Fluth wie auf und nieder schweifte,
Da schien der Dunst ein Arm zu sein, der Perlensträhne fischte,
Die wohl die Göttin, Morgens früh, von ihrem Leibe streifte.
So lag der Schmuck bei Tag im See, wo sich sein Glanz erfrischte,
Und kam dann immer nur ans Licht, die Göttin hold zu schmücken,
Dann wars, als ob sein Perlenblau mit Silber sich vermischte.
[210] Doch konnte da die Göttin wohl die Menschen leicht entzücken,
Und tauchte je das Strahlennetz dann auf, voll Lichtgezitter,
So thats der Wind; doch schiens ein Arm beim Fischen zu verrücken!
Zypressen wachten stumm im Thal, man hielt sie leicht für Ritter,
Und Ölbaumreihen ruhten rings wie müde Bajaderen,
Und schliefen sie, durchglimmte stets ihr Dunstlaub Mondlichtflitter.
Doch schien ihr Wesen kaum der Schlaf bedeutsam zu beschweren,
Gar manche sprang frisch auf zum Tanz, wo andere sich umschlangen,
Und eine Ausgestreckte schien schon Wollust zu begehren.
Das Mondlicht war das Flockenbett für mancherlei Verlangen,
Und tausend Lagen gaben sich, die Bäume wie die Schatten,
Es sahn die Pilger, wie sie schon nach andern Posen rangen!
Die Heimfahrt ging den Pilgern nun gar rasch und gut von statten,
Ein Jüngling, der mit ihnen zog, erzählte dann im Norden:
»Italien wollte einen Blick mir in sein Herz gestatten!«
Er sprach: »Ich bin in jenem Land ein anderer Mensch geworden!
Dort spielte, nackt und wunderbar, ein Jüngling aus der Leier,
Der Schwestern neun umrauschten ihn und lauschten den Akkorden.
Gar rhythmisch um den Leib gewellt, umwallten sie die Schleier,
Sie wogten sacht wie Fliederduft und ließen sich nicht haschen,
Auch war ihr Anblick leicht verwischt, wie nur ein Hauch im Weiher.
Doch kann man sie beim Tanze oft im Mondlicht überraschen,
Mit Feuerklängen schmücken sie die rauschenden Gewänder,
Und streuen in Wirbeln dann Brillanten aus den Faltentaschen.
Mit Funkelpracht umgürten sie im Schwung die Schleierränder,
Dann ists, als ob die Klänge rings zu Gluthen übersprühten,
Und so ihr Erdenfeuer sich mit jedem Takt veränder!
[211] Umhaucht ist jener ferne Hain von Oleanderblüthen,
Olivenwälder dehnen sich noch weithin um die Lichtung,
Um ihr Geheimniß vorderhand noch eifrig zu behüten.
Den Wald jedoch durchdringt der Klang von jenes Jünglings Dichtung,
Stets zittern Silberblätter mit, als ob sie Wind bewegte,
Und jeder Ölbaum birgt bereits dort jener Rhythmen Richtung.
Dort ists, als ob der nächste Tag sich langsam mondwärts regte,
Gespenstig schien mir jeder Baum, vor dem sein eigener Schatten,
Zu Mittag, wie um Mitternacht, sich dünn zur Ruhe legte!«
Als eines Morgens, noch im Lenz, rings auf Toskanas Matten,
Sich Pilger ihrem Heimatland gar frei und munter nahten,
Da wollte mancher Einer sich dort lange Rast gestatten.
Sie warfen ihre Stäbe weg und gruben mit dem Spaten
Im Wald nach einem Wurzelstrunk, der wulstig wär und knotig,
Und bei der Arbeit konnte dann ein Lied zumeist gerathen.
Nicht immer war es kunstgerecht, nein schwulstig oft und zotig,
Es trug in sich das rohe Maaß verknorrter Wurzelknoten
Und sprühte voll von Übermut aus seiner herben Gothik.
Es wußte nichts von Silbenzahl, von steifen Kunstgeboten,
Und gab sich selbst den neuen Guß, den Leib, der ihm behagte.
Der Druck blieb dann als Werk zurück. Die Flammen, die entlohten!
Ja, alle Schöpfung, die bestand, das heißt, dem Stein entragte,
Vermied allein den Untergang, denn Dasein ist das Leben,
Dock blieb sie nur dem Tode gleich, der, was sie schuf, verjagte.
Dann konnte sie fast wie der Tod sich plötzlich fremd erheben,
Und fing sich gleich, ganz Leiblichkeit, voll Wollust an zu regen,
Denn jedes will die reifste Form des Einzelseins erstreben.
[212] Es ist ein Sein, auf sich gestellt, fast leidlos und verwegen,
Auf sich allein besteht die Lust und das bewirkt das Leben!
Der Tod kommt, weil wir unbewußt den Weg uns selbst verlegen.
Die Erde trächtige allerorts berauschendes Erbeben
Und hält es sich Millionenhaft durch brunstgeschaffene Rudel
Als Haas entspringt der Lenz dem Busch, als Schwalbe fort zu schweben.
Ein Feigenbaum erscheint beinah ein grüner Wollustsprudel,
In dem die Erde Freude spürt, da sie ihn doch belebte.
Damit das Jüngste munter sei, herzt nun ein Kind ein Pudel.
Es ist, als ob das Blüthenglück am Zaun als Bohne klebte,
Als ob ein lustiges Frühlingslied, gar quellenfrisch gesungen,
Sich plötzlich mit dem ganzen Rausch recht inniglich verwebte.
Der eine sang: »Welch forscher Bursch, kam just vom Busch dahergesprungen.
Der Lenz, das Kind der Winterswuth,
Ist es bestimmt und bläst aus vollen Lungen.
Er ist ein starkes, junges Blut
Und freut sich mit den Lerchen,
In Nestern weckt er schon die Brut
Und klappert mit den Störchen!«
Ein Anderer hat sein Lied verfaßt
Und singt es schaurig wie ein Märchen:
»Der Engel Deines Hasses reißt mit Hast
Mir alte Wunden auf am Marterpfahl,
Ich seh Dich nicht und finde dennoch keine Rast.
[213] Du träumst mit Lust von meiner Höllenqual,
Doch zieh ich weiter durch den Wald in wonniglichen Lüften,
Und freu mich stets am grünen Saal mit seinem gelben Lichtportal!«
Jetzt steht ein Zug geblendet still, umschwirrt von Honigdüften,
Und es vermögen sich die Pilger kaum der Sinne zu bedienen,
Es ist, als stünde ihr Verstand vor lichtdurchsprühten Sonnenklüften.
Es sind die Dinge rings um sie mit einem Irisring erschienen,
Und endlich glaubte mancher doch, er höre ringsumher ein Summen,
Und wehrte sich mit seinem Arm, als wärs ein Schwarm von Bienen.
Und in den Lüften klar und warm schwoll immermehr das dumpfe Brummen.
Doch drang durch keinen Zitterzweig die Spur von einer Leibgestaltung,
Im Goldrausch wollte nichts entstehn, noch das Gemurre rings verstummen.
Doch plötzlich sahn sie einen Keil, wie eine rothe Lichtzerspaltung,
Durchs Flimmergrün, mit festem Schritt, dem Pilgerzug entgegentreten,
Das war dann mancher Wandersmann, der romwärts ging mit edler Haltung.
Es zog wohl oft ein Kriegerherz, dort romwärts für sein Heil zu beten.
Denn mancher Knappe war dabei und wirklich sang ein Troß von Rittern:
»Oh Herr, wir ziehen von den Dingen weg, die unser Herz verdrehten.«
Dann ging es fort: »Wir thaten viel, um Deine Freude zu verbittern,
Doch sehn wir auf dem Golgatha von Lanzenknechten Dich umgeben,
Und ihr und unser Speer muß gleich vor Deiner Huld zersplittern.
Vergießt Du auch Dein Herzeblut, kann sich in Dir kein Zorn beleben,
Die Seele bleibt ganz makellos, ob auch die blutigen Eiterflecken
Den Leichnam dort am Marterkreuz als schwarze Krusten rings umkleben.
[214] Es konnte sich der Geist dafür entscheidend aus dem Körper recken,
Und blau wird jetzt der Himmelsbau, zu dem die Wünsche sacht ersprießen,
Wo noch mit weißen Wolken Dich die Sünden schwer bedecken!
Dann aber kannst Du, durch den Mond, des Nachts Dein Sternenhaus erschließen,
Und jeder, der dann Christum minnt, schaut solche Prachtgestaltung
Und fühlt in sich von überall die große Liebe minnig fließen.
Dann sehn wir hoch im Sternendom die ewige Heilsentfaltung,
In uns ersteht ein Gnadenthal voll stillem Himmelsschimmer
Und alles das verschenkst Du uns für kurze Fleischenthaltung!«
Vorüber zog der Ritterzug, und bald verschwand er im Geflimmer,
Da sang die Schaar, die heimwärts zog, ein geistlich Lied mit vollen Stimmen
Und hörte in den Pausen noch den andern Chor wie ein Gewimmer.

[Rand: Alessio Baldovinetti]

Sie sang: »Oh Mutter, hör auf uns, Du kannst alleine nicht ergrimmen.

Christi Reich mit List und Lanzen kühn bewahren,

Doch Du bleibst Königin des Heils, die Heiligen sind die Immen.

Drum halte treu und sündenrein die Seele Deiner Pilgerschaaren,
Die Schleier, die Du wonnig trägst, sind Nebel leichten Iristhaues,
Und rothes Strahlengold durchglüht den goldenen Schwall von Deinen Haaren.
Als Mittagskleid umwallen Dich die Hüllen unseres Himmelsbaues,
Am Abend aber streifst Dus ab, in Gold und Purpur Dich zu zeigen,
Und fällt es in das Meer, so strahlts wie das Geglitzer eines Pfaues.
Im Rosenhemde magst Du früh dem Sternenkleide sacht entsteigen,
Oh Jungfrau, Jungfrau, hör auf uns: Maria, Jungfrau, bleib uns gnädig,
Und wandere hehr durchs Himmelreich, wenn Stürme Völker niederneigen.
[215] Die Schönheit, die Dein Sein umstrahlt, was Dich enthüllt, ist sonnenfädig
Und knüpft sich jung und neu aus uns, hervor aus unserm Lichtersehnen,
Verzeih uns, Jungfrau, doch es macht Erkenntniß Deiner Huld ruhmredig!
Nicht wir sinds, die Dir Schönheit leihen, nein wenn die Menschen Schönheit wähnen,
So wird von Dir und Deinem Sohn uns dessen Ahnung blos beschieden,
Denn auf den Strömen Deines Heils kann jeder sich durchs Weltall dehnen!«
So war, was man beim Pilgern sang, stets wahr und dennoch sehr verschieden,
Ein Kreuzzug, eine Romfahrt gab den Seelen herrliche Belehrung,
Wer hinzog, war von Angst gepeitscht, wer heimging barg den Frieden.
Verschiedentlich wie die Natur blieb drum der Seelen Lichterhebung.
Doch die Bewegung ging durch Rom. Dort konnte jeder sich bekennen.
Denn da erst faßte man zumeist des Eigenwesens Selbstbestrebung.
Die kleinste Regung gab das Heil. Es sollte überall erbrennen.
Es konnten Offenheit und Scham den lieben Herrgott gleich erfreuen.
Es war, als wollte sich von uns der beste Theil der Seele trennen.
Die Meisten konnten ihren Fehl, des Lebens Sünden tief bereuen,
Und kreuzte man sich dann am Weg, so zog man stets in anderer Richtung,
Daß keine je die andere wog, um jede Wirkung zu zerstreuen.
Ja wahrlich, Rom barg in der Welt, in sich, die größte Wunschverdichtung,
Die Massen wältzen sich herbei, sich ihres Dünkels zu entkleiden,
Und Völker gingen draus hervor, denn rasch ergab sich deren Sichtung.
[216] Veredelten die Christenwelt doch Glaubenszwang und Alltagsleiden,
Ob jetzt ein Kaiser oder Papst auch grausam ihre Macht gewannen,
So waren doch die Folgen gut, sie konnten Glück von Größe scheiden!
Die Zukunft sehnte sich zum Volk, wie Lust und Bildung zu Tyrannen,
Die Kirche herrschte durch den Geist, schon mehr durch Kraft als wahren Glauben
Und trotzte kühn dem Schwabenschwert, des Raisers kriegserfahrenen Mannen.
Stets wollte sich das Äußerste der Macht durch List berauben,
Der Einfalt blieb der Alltag hold und ließ sich selbst zum Heil belügen,
Die wuchs in gerader Ehrlichkeit und ließ die Wildheit dann verschnauben.
Es können Schwert und Fegegluth zur Staatenführung kaum genügen,
Man braucht auch Herrschergier und Noth, um Menschen menschlich zu vereinen,
Denn blos wenn man das Recht erzwingt, gelingt es Reiche fest zu fügen.
Oh Rom, wie konntest Du den Rausch, der Dich umschwoll, in Formen gießen?
Hier weitete des Nordens Bau sich abermals zur Heidenhalle,
Es tauchten wieder Tempel auf, wie Jovis Priester sie verließen.
Es schien, als ob des Franken Geist zur Pilgerfahrt nach Süden walle,
Und plötzlich wie Orvietos Dom und wie Spoletos Kathedrale
Zu Deinen Füßen, altes Rom, bezwungen auf die Kniee falle!
Das Römerthum entreißt sich nie der Erdenwucht mit einemmale,
Gar erdenfreudig strebte hier die stolze Gothik gleich ins Weite
Und wandelte, aus Wonnedrang, den ersten Dom zum hellen Saale.
Doch wars, als ob die Erde selbst die Würde solcher Kunst bestreite,
[217] Die Edelform entstieg dem Grab, denn als man rings nach Tempeln scharrte,
Bedeuchte es, daß Überschwang zum Einfachen von selber leite.
Man sah, wie Brunellescos Trotz zur wuchtigen Rustika erstarrte,
Und wie nach Mystik und nach Furcht, nach langem Himmelsreichbegehren,
Der Mensch nun mehr vernünftig Thun und kluge Wirklichkeit erharrte,
So fügte man auch Stein auf Stein, gar bald nach heiteren Lebenslehren.
[Im Norden aber scheinen sich Gerippe gegen Fleisch zu wehren]
Im Norden aber scheinen sich Gerippe gegen Fleisch zu wehren,
Der Geist, der sich von Roms Bestimmtheit weg und weiterkritisierre,
Vermochte plötzlich eine Form nach eigener Artung zu gebären.
Die schale Leiblichkeit, die bald zur Lasterfratze halb verthierte,
Ward selbst als Sinnbild eitler Lust im Kirchenschnörkelwerk vermieden,
Drum sah man aufdemDomen kaum ein Spukbild mehr, das niederstierte.
Man sah, berechnete Verquickungen von seltenen Unterschieden
Und spitzte alles Wissen zu, um himmelwärts hinanzuklettern,
Und steifte sich beim Thürmen stets auf Krönungspyramiden.
Gar manches Münster trotzte so, fast erdentrückt, den Himmelswettern
Und ward dadurch ein Ebenbild geklärter, geistiger Empfindung,
Gereifter Reinheit, ders gelang, die Teufelsmächte zu zerschmettern.
Die Säule, keine Stütze mehr, erkannte sich als Formverbindung,
Im Dome konnten schwindelhoch Gedanken Halt im Stein besitzen,
Denn blos aus tiefstem Innermaaß entströmte jede Pfeilerwindung.
Mit Schillerspielen sollte Licht die Kircheneinsamkeit durchblitzen,
Belehrend drang es in den Dom, erzählte stets von Gottes Wollen,
Und drängte, kreuzte sich versprengt durch die verglasten Mauerritzen.
[218] Auch schien ein dunkler Schwermuthshauch die Marmorbilder zu umgrollen,
Die Köpfe waren leidverzehrt, fast leibentrückt in ihrer Größe,
Und Mäntel sah man oft vom überlangen Halse niederrollen.
Gewänder, schlaff und faltenreich, verbauschten keusch die kleinste Blöße,
Der Heiland aber jener Zeit blieb stumm in seinen Marterqualen,
Und oft verbleichte nur sein Leib, zerfleischt durch rohe Lanzenstöße.
Doch ward er blutentleert zu schwer, so sing die Seele an zu strahlen,
Und waren seine Glieder bald verblichen, wesenslos, gebrochen,
Durchgeistigte der Heilandsgeist ganz eigentlich die Kathedralen.
Oh Christenthum, Du läßt das Herz der Leidentrückten stärker pochen
Denn nie verhehlst Du einen Schmerz, der Armut magst Du Dich nicht schämen,
Und da Du neue Leiden schufst, hast Du Dein Machtwort ausgesprochen.
Ja, die Betroffenen eilten zu, an Deinem Kreuz sich auszugrämen,
Denn schmerzenfördernd wie Du warst, begriffst Du auch, wer Schmerz erlitten,
Es ist, als ob die Leiden doch zum Menschenheil vom Himmel kämen.
Du tönst als ein Naturlaut fort und hast zumeist den Sieg erstritten,
Denn blutvergießend legtest Du stets Balsam aus die Wunden,
Und Du erwarbst dein Engelsheer, wo Du ein Dasein abgeschnitten.
Die Wittwen, Waisen folgten Dir, war doch ihr Fröhlichsein geschwunden,
Die ganze Menschheit aber geht stets sonnenwärts durch Leidepochen
Und hat sich drum aus Müdigkeit mit Leidverbreitern noch verbunden.
Die alten Deutschen, die so schwer mit ihrem Heidenthum gebrochen,
Empfanden lang das neue Heil so arg wie scharfe Marterzangen
Und wollten dann die Leiblichkeit dem Geiste gänzlich unterjochen.
[219] Sie nahmen sich fürwahr zu ernst. Zu freudlos war ihr Lichtverlangen.
Sie suchten, konnten fast das Ich, samt seiner eigenen Unschuld, morden,
Doch schürten sie da unbewußt Beginne, die im Herz erklangen.
Was er nicht liebte und empfand verstand nach langer Pein der Norden,
Doch sind dabei, nach kurzer Frist, die groben, trotzigen Germanen
Ein heimathfremdes Träumervolk, ein wurzelwunder Stamm geworden.
Doch endlich schien die Erde sie an ihren tiefsten Hort zu mahnen:
Und Kathedralen, hoch und hehr, strengmathematisch ausgeklügelt,
Steilrhythmisch in die Höh gethürmt, ein anderes Werden anzubahnen!
Wo sich der Meister selbst erhebt, wenn er des Münsters Wucht beflügelt,
Und kaum der Gottheit Nahe sucht, vermag ers, Thürme aufzurecken,
In denen keinen Höhenflug ein erdentreues Rufen zügelt.
Doch in sich selbst begann man nun noch schönere Dome zu erwecken,
Aus Liebesgluth und Brunst gefügt, erstand so mancher Glaubensthurm,
Der konnte, einmal ganz am Ziel, die Welt, das Sonnenglück erschrecken.

Wohllautwolken entwirbeln im Orgelsturm
Den Seen der Seelen, die Ufer zerschlugen,
Denn ringsum entreckt sich ein glühender Wurm!
Und rhythmenverblitzende, wuchtige Fugen
Erlösen melodisch die Liebesgefühle,
Die lange den Fluch der Verdammniß ertrugen.
Die Freude entschmettert der lüsternen Schwüle
Und wonnigerstrahlend als Freiheit und Äther
Umhaucht sie ersprühte krystalllichte Kühle.
[220]
Ein Aufschwung lichtherrlich, urwillig gesäter,
Zu Tönen erglühender, reifender Liebe
Durchwuchtet die Seufzer asketischer Beter.
Genußschreie schluchzen im Wollustgetriebe
Und gleichen dem brausenden Aufklatschen nasser
Strandstürmender, wogenverkrümmender Hiebe.
Es schlingt aus uns allen ein goldener, blasser
Gefühlsschwall, der jeder Verstummtheit entbuchtet,
Sich weitwärts ins bacchische Lachen am Wasser.
Ein tönender Sprudel, der Sonnen befruchtet,
Entzückt, überstürzt sich, berührt mich als Manna,
Erhört sich als Echo im Münster verschluchtet
Und braust über uns als Erlösungshosianna!
[221]
[Altes Rom, der große Geist Deiner Cäsaren]
Altes Rom, der große Geist Deiner Cäsaren,
Dein erfrühtes Glück und Deine Lustgelüste
Übertrotzten jeden Wuchttrumpf der Barbaren,
Nur Dein Marstag ging im Sturmgebrüll zur Rüste.
Denn als Du die Welt, die Du dereinst besessen,
Voll von Möglichkeiten in Dir selbst erschautest,
Hast Du Deine Erzlegionen bald vergessen,
Und es kam die Nacht, in der Du selber grautest.
Ja, die Riesenkunst von Rom erstand erst später.
Fremdlinge, die wild die Urbswälle zerschellten,
Blieben tausend Jahre ihre Selbstvertreter,
Bis sie Michelangelo ins Dasein schnellten!
Blutvermischung, Völkerwirbel, Rassenspeicher
Haben Buonarroti an den Tag gewunden,
Die Germanen machten ihn wohl glaubensreicher,
Doch vor allen hat sich Rom in ihm empfunden.
Seine Seele konnte selbst das Größte meistern,
Jener Dom, der über seinem Geist entstanden,
Krönt den Tempel einer Welt von freien Geistern,
Deren Macht Erschauer der Natur empfanden.
Peterskirche, Markstein romverlorener Schlachten,
Keim und Prachtkrystall versammelter Kulturen,
Wuchtgefühl der Urbs, das junge Schöpfer überdachten,
Birgst Du Roms Idee in Deinen Steinkonturen!
Greifen doch arenarunde Tempelarme
Wie aus Deinem Wesen in die breite Weite!
Doch beschützt Du auch die Welt im Tagesharme,
Kühlen Brunnen, was Dein Gluthengeist befreite?
[222]
Jener Moses, den ein Wunsch für Dich bestimmte,
Petersdom! scheint Deinem Innersten zu fehlen,
Denn der Geist, der über Pracht und Zank ergrimmte,
Kann die Welt nicht mehr, aus Rom heraus, beseelen.
Zuchtgebote mußtest Du mit Wucht verheißen,
Moses Wesen, Rom, zur vollen Gottheit steigern,
Nicht versuchen, Länder rings an Dich zu reißen,
Und Dir selbst das Wort und seine Furcht verweigern!
So hat Michelangelo in seinem Moses
Nur barock sein eigenes Wesen übertrieben,
Und es folgte gleich auf ihn ein hoffnungsloses
Epigonenthum, das ohne Gott geblieben.
Doch mit jenem Sklaven, der in sich das Wesen
Beider Erdgeschlechtlichkeiten noch verbindet,
Hat er ganz gefühlt und ist er Er geblieben,
Denn das Leid um seinen Lenz steht dort entrindet.
Auch in jenem anderen trachtet die Gestaltung
Immer noch aus Unvollendung aufzuragen,
Ach, wie furchtbar ist des Sklaven ganze Haltung,
Da die Muskeln ihren Arbeitstag verklagen!
Gott, Italiens Erde ist so hold und düster,
In der Muttergottes hüllt sie sich in Dünste:
Doch ein knabenhafter, frühlingsglückbegrüßter
Tag entsaugt ihr immer innere Feuersbrünste.
Oh, das Blut durchrollt die honiggoldenen Blöcke,
Deren Wesen Michelangelo erschaute,
Und Italiens Wiesen, Weine, Rinder, Böcke
Rauschen oder flüstern hier versteinte Laute.
[223]
[Morgen wird es! Wie verfleischlicht schweigt die Frühe]
Morgen wird es! Wie verfleischlicht schweigt die Frühe.
Langsam athmen blos die hellen, gelben Lehnen,
Und es ist, als ob der Geist sich Formen glühe.
Oh Du Weib in mir, wonach wirst Du Dich sehnen?
Wirf die Nacht und ihre Hüllen stolz vom Haupte,
Schon durch Deinen Wunsch kann sich der Wind erheben,
Doch es ist, als ob Dir nur der Harm erlaubte,
Bald ein Tag zu werden, tief uns zu beleben!
Nein, der Tag erklärt uns nicht sein Wesen,
Ewig unvollendet staunt und lauscht er immer,
Seine Kraft ist niemals seine Macht gewesen,
Blos Panik entwirbelt ihm, als Weltwuchtschimmer.
Könnte er den Arm bereits nach Osten heben,
Oh, so bliebe unsere Erde plötzlich stehen,
Diese Schöpfung würde gar nichts mehr erstreben:
Doch sein Haupt lenkt, unvollendet, keine Wehen!
Jetzt erklärt sich die Sixtina mir im Geiste,
Und ich sehe die Propheten, die Sibyllen
Eifern, daß der Tag sein stilles Lichtwerk leiste,
Denn die Welt gehorcht dem vollen Jenseitswillen.
Bannt doch Gott, der Herr, stets seinen eigenen Schatten
Auf die Erde, daß sie reiche Früchte trage,
Und darum ermüden nimmer unsere Matten,
Denn der Geist verlangt, daß er zum Tage rage!
Dort erfaßt sich die Unendlichkeit im Herzen
Adams, den sie weckt, damit sie tief bestehe.
[224]
Diese Gaben aber birgt der Mensch mit Schmerzen,
Und er wünscht, daß er zurück und untergehe.
Oh das Weib, das ihn schon fürchterlich erblickte
Scheint am Manne nun voll Bangigkeit zu hangen,
Und ihr Schatten, der ihn lange schon bestrickte,
Fängt jetzt an, nach Wahrgestaltung zu verlangen.
So geschieht es denn. Die Frau ist auferstanden!
Aus den Farrenbainen wuchten Paradiese,
Vögel jubeln, Palmen schleppen Prachtguirlanden,
Innere Frühjahre erblühn auf Hang und Wiese.
Doch der Genius wächst noch. Wird das Weib genügen?
Fühlt es schon in sich die eigenen Wesensmängel?
Reiz an Reiz versucht es an den Leib zu fügen,
Doch der Mann will die Idee und glaubt an Engel.
Wenn es schläft, ermahnt ihn sein Gewissen,
Halte Dich an das, was Dir der Herr gegeben,
Denn sonst wirst Du bald das Paradies vermissen,
Trachte furchtlos fort in der Natur zu leben!
Adam aber will sein Innerstes erfassen
Und beschließt zu sinken, um zu Gott zu steigen.
Keine Harmonie will er geordnet lassen,
Und was schwach ist knickt und nennt er nun sein Eigen!
Armes Weib, Du Urversuch den Mann zu trösten,
Biete Dich nicht an, verfluchter Lust zu dienen!
Doch es ist, als ob sich alle Fesseln lösten,
Ja, die Freiheit ist im Weib zuerst erschienen!
Der Entschluß des Opfers ist in ihr entstanden.
Feig hat Adam seine Knechtin angenommen
[225]
Und enteilt mit ihr nun allen Heimathlanden
Und ist Vielem nah, doch nie zu sich gekommen!
Rase nun, verlorener Sohn, von Schmerz zu Leiden,
Wollte Gott, der Herr, doch still auf Dir beruhen,
Du jedoch willst ihn um seinen Grund beneiden,
Und verzweifelt seh ich Dich den Tag verthuen.
Abend wird es. Blasser Mann, nun darfst Du rasten.
Deine Unvollendung fängt sich an zu klaren.
Und Du sagst Dir ernst: Wozu das breite Hasten?
Doch zu spät! Der Abend kann nicht lange wahren.
Deine Schultern sind die scharfen Horizonte
Eines Thales, dessen Schlund die Nacht entwuchtet,
Die Brust ist alles Berggelände, das sich sonnte
Und nun athmend kundgiebt, was es tief verschluchtet.
Dein gewellter Bauch ist wie die See in Häfen,
Die da aufhüpft, gurgelt und nur schwer ermüdet.
Nachsicht schwebt und legt sich nun um Deine Schläfen
Und Du preist die Nacht, die sich mit Gluth umfriedet.
Oh, die Nacht geht auf und hoch im Osten glimmt es,
Einsichtsvoll versenkt sie sich in innere Sterne,
Denn sie liebt ihr sterbliches, weil urbestimmtes
Lächeln aller Welten ohne Grund und Ferne.
Ihre Brüste sind die See der beiden Hemisphären,
Die da übervoll den jungen Tag erbangen,
Um dem Kinde milde Labung zu gewähren.
Hast auch Du, oh Nacht, so wildes Lustverlangen?
[226]
Große Nacht, ich kann Dich eben klar betrachten,
So wie Du in stillen Meeren Dich oft spiegelst,
Fühl auch ich Dich, dessen Sterne tief erwachten:
Bleibe, die Du einst die Sonne ganz verriegelst!
Stürzt die Welt aus ihrer Tiefe her zusammen?
Drangt das ewige Gericht nun zum Erlöser?
Eine nackte Flamme, der wir fern entstammen,
Ruft uns nun zurück, wir werden religiöser!
Was nicht nackt an uns ist, wollen wir verstecken,
Des Verfleischlichten beginnt man sich zu schämen.
Unsere Blosheit aber will sich gottwärts recken,
Herr, Du wirst den Geist in Deine Obhut nehmen.
Alle Welten streben nach der Seelenmitte,
Und darum empfinden wir das Zeitverschwinden.
Heiland, führe uns bei jedem Heimwärtsschritte,
Denn wir können gar nichts aus dem Zeitschlund winden!
Jeder kann in sich den eigenen Werth erlangen,
Doch es gilt zur rechten Stunde anzukommen,
Lange werden deshalb alle Lauen hangen,
Und die Seligkeit gehört den Starken, Frommen!
Herr, die ganze Nacht kehrt in dein Inneres wieder,
Jedes Wesen muß unendlich sich beginnen,
Alle Sterne singen ihre Liebeslieder,
Herr, Du bist in uns und bist in ihnen drinnen!
[227]
[Ich fühl den Blick von einem Sterne]
Ich fühl den Blick von einem Sterne
Seit meiner frühesten Jugendzeit,
Ich spielte kaum und bangte gerne,
Und nur das Leid war mir nicht weit.
Ich hing an mir und kaum am Leben,
Doch meine Mutter liebte mich.
Ich wollte fort und doch vor Lust erbeben,
Und starb nicht, als ich mir entwich!
Ach, ich empfand die Macht von Mächten,
Die mich da losriß vom Gewühl
Und suchte dann in heiteren Nächten
Nach jenem Sterne im Gefühl.
Auf einmal ist er aufgegangen,
Er war nicht der, den ich gewähnt,
Nun überstrahlt er jedes Bangen
Und glüht, wenn meine Seele thränt.
Er lenkt mich oft aus den Gefahren
Und führt mich stets zurück zum Leid,
Er will im Schmerz sich offenbaren,
Und drum vergeß ich jeden Streit.
Als mir das Liebste ward entrissen,
Empfand ich kaum den grauen Tod,
Es ist zwar schwer, den Schmerz zu missen,
Doch bleibt der Stern, dem er entloht!
Oh, immer strenger wird mein Wesen,
Und die Erinnerung findet ihren Grund,
Es gilt sich selber auszulesen,
Die Liebe macht kein Schicksal wund.
[228]
Ich fühl den Blick von einem Sterne
Seit meiner frühen Jugendzeit,
Ich spielte nie und bangte gerne,
Und auch das Leid war weit, zu weit!
[229]
[Arkadien meiner Seele, nun erwache!]
Arkadien meiner Seele, nun erwache!
Ich harre auf den Wind, der mich versteht,
Ich warte, daß er meinen Lenz entfache:
Erscheine, Geist, der durch die Wesen weht!
Es werden Lieder reif in mir erblühen,
Die keusche Wahrheit plötzlich offen sein,
Das Leid wird dann als Thau den Traum besprühen,
Oh, nun ergründe Dich, mein holder Hain!
In meiner Seele bleichen Dämmerstunden
Wird gar behutsam jedes Reis gehegt,
In stummen Blumen schlummern unsere Wunden
Und öffnen dann die Lust, die man verborgen trägt.
Der Menschen Freude wird sich zu mir bücken,
Ich will ob ihres Glückes glücklich sein!
Auch meine Einsamkeit wird sich dann schmücken,
Und das Erfühlen wunderbar gedeihn!
[Es ist Italiens Karneval ein großer Dichter]
Es ist Italiens Karneval ein großer Dichter,
Das Urerlebte dieses Volkes wühlt er aus.
Vermummen sich die braven, täglichen Gesichter,
So nehmen die Instinkte ihren freien Lauf.
Es preßt sich da der Geist zurück ins Heidenleben,
Die Dominos sind die Gespenster einer fernen Nacht,
Der Pantalon wird schon in guter Unschuld streben,
Wozu der Harlekin die Zwischensprünge macht.
[230]
Er ist der Hermes dieser grausen Lumpengötter,
Doch seine Farben plaudern sein Geheimniß aus,
Er kennt sie alle und ist deshalb auch ihr Spötter
Und hat vor Unterweltfiguren keinen Graus.
Die Colombina läßt sich noch als Venus schmeicheln
Und ist das Affenspiegelbild der Helena,
Katharinen muß man selbst mit Pfauenwedeln streicheln,
Denn sie war Juno, als der Weltanfang geschah!
Der Ganymed ist zum Brighella ausgewachsen,
Zum Doktor hat es Aristoteles gebracht,
Der Jupiter versteckt sich hinter Maskenfaxen
Und wird als Erzbetrüger schließlich ausgelacht.
Jetzt fühlt sich jeder frei wie auf des Oeta Höhen
Und schlüpft, wo er nur kann, bei einer Nymphe ein.
Es lassen Danaen sichs ausgezeichnet gehen,
Es regnet Gold in manches stille Kämmerlein.
Es kann die Juno heute Nacht unmöglich schlafen,
Und wirklich kommt ihr Jupiter mit Bacchus heim,
Sie wird ihn barsch, trotzdem es kalt ist, strafen,
Und zwar am Theil mit plastisch vollem Reim.
Der Bacchus aber läßt den Zeus alleine,
Protheisch ändert er sich plötzlich überall,
Oft ist er dick, oft klein, dann nichts als Beine,
Und scheint der Schatten aller nach dem Maskenball.
Fürwahr, er ändert sich durchs Gehn zwischen Laternen,
Da schiebt er manche, die nach Haus ziehen, fast zum Licht,
Und schmilzt zusammen, wenn sie sich davon entfernen,
Du schlimmer Wicht, hilfst nur in dunklen Gassen nicht!
[231]
Was dröhnt jetzt plötzlich? Römische Legionen?
Geharnischt ziehen sie die Gassen laut herauf,
Sie werden ihre Beute, Weibervolk, nicht schonen:
Oh Weltnothwendigkeit, so nimm denn Deinen Lauf!
Der Spaß beginnt, nun wird es immer lauter, toller,
Die vielen Menschen werden langsam aufgemischt,
Das jubelt, sprudelt immer thörichter und voller,
Die Jugend, selbst die Kindheit, wird nun aufgefrischt.
Der Lenz erblüht bereits in den geschloßenen Städten,
Und Frühlingslust und Brunst wird ringsum angefacht.
Das Volk verpfändet selbst die Kleider und die Betten,
Da jeder undrapiert, stets anderswo, erwacht.
Im Karneval drangt alles an die Oberfläche,
Mit Juxen und mit Lumpen ist das Volk bedeckt,
Es ist, als ob der Tand von selbst aus Kisten brache,
Und wer nicht mitthut, wird als Finsterling geneckt!
[Die Dirnen erscheinen als büßende Nonnen]
Die Dirnen erscheinen als büßende Nonnen,
Pierrots, häufig Ladenverkäufer, sind stumm,
Und Diebe, als Richter, zu Strenge gesonnen:
Als schwanger ziehn alternde Fräulein herum.
Verkrümmte verkleiden sich gerne als Krieger,
Matronen, als Puppen, gefallen sich gut,
Es brüllen Bediente als Löwen und Tiger,
Romantiker tragen die Feder am Hut!
[232]
Die Damen bewegen sich oft wie Kokotten
Und laufen im heiklen Momente davon,
Der Freidenker läßt sich als Priester verspotten,
Und ringsum ergeht sich ein Weltpantheon.
Voltaire spricht ein wenig französisch und Dante
Giebt rasch einer Köchin für elf Stelldichein,
Selbst Newton verkehrt mit des Belzebubs Tante
Und reitet mit Cato ein hölzernes Schwein.
Ein Lord mit unendlichem Pappenzylinder
Wird eben mit Gyps und Papier überweißt,
Ein Sokrates sucht seine eigenen Kinder,
Ein Mönch wird von johlenden Knaben umkreist.
Seht, Bismarck führt dort eine Gans ins Theater,
Vielleicht reißt sie gleich nach dem Abendmahl aus,
Sechs Kinder verloren soeben den Vater,
Und auch ihre Mutter ist nimmer zu Haus.
Die Weiber, mit männlichem Blut und Allüren,
Sind endlich in Hosen zufrieden und keck.
Betrogene lauern im Dunkel der Thüren
Und springen oft wüthend aus ihrem Versteck.
Nun stiegt wo ein Hut, man zerrt eine Mähne,
[Erstochen wird jedesmal irgend ein Mensch]
Die Deutschen erleben dabei eine Szene,
Und Engländer sitzen zufrieden beim Lönsch.
Nun sieht man den Karneval selber als Prinzen
Im Wagen erscheinen. Er ist eine Frau.
Und allerhand Leute bestaunen, begrinsen
Den Zug mit Najaden und Magiern genau.
[233]
Denn alles ist da tiefsymbolisch gestaltet,
Es gehn die drei Könige schmunzelnd voran,
Der Karneval selbst, dessen Anzug veraltet,
Verzweifelt und stirbt schon im Hintergespann.
Doch gleich nach dem Zug kommen Mönche und Nonnen
Und tragen für Mittwoch schon Kohl und Salat,
Doch sind sie noch alle zum Ulken gesonnen
Und tanzen, trotz Gaffern und trotz Zölibat.
[Der Frühling ist da und am Korso erscheinen]
Der Frühling ist da und am Korso erscheinen
Die lieblichsten Frauen in offenem Wagen,
Es wollte ganz Rom seine Grazien vereinen,
Das Wetter erlaubt, lichte Kleider zu tragen.
Ein Mädchen, das alle Bewerber verlachte,
Erschien uns soeben in Lilien gebettet,
Sie will, daß die Männerwelt lechze und schmachte:
Wer weiß, welcher Geck sein Geschlecht doch noch rettet?
Ei, seht das Gespann, alle Pferde und Räder
Sind herrlich mit Rosen geschmückt und umwunden,
Die Damen, die drin sind, besuchen die Bäder
Und haben dort immer Bewunderer gefunden.
Da kommen noch prächtige Wagen mit Damen,
Die Gäste des Hauses mit Sträußen beschenken.
Da sieht man auch Bräute in blühendem Rahmen
Vergnüglich an Bälle und Bräutigam denken.
Nun taucht auch ein Karren mit bunten Ciocciaren
Im Hintergrund auf. Rugantino sitzt drinnen.
[234]
Wir können durch ihn manches Neue erfahren,
Er wird die Kritik des Momentes beginnen.
Er pfeift auf die Redner und Volkstribunale
Und labt sich am Weine der römischen Hügel,
Es braucht sein Humor kein Nörglerskandale
Er hält keinen Schmeichlern und Strebern den Bügel.
Der Frühling ist da. Keine Maske, kein Spötter
Bekritelt, bezweifelt sein frühes Erscheinen.
Es regen sich überall römische Götter,
Der Janus erklärt sich in sinnlichen Hainen.
Bald fallen die Larven. Dann blicken die Augen
Ganz offen hinaus in die goldenen Tage.
Die Wurzeln beginnen rings Leben zu saugen.
Wir pflückten schon Primeln und Veilchen im Haage.
Bald füllt sich die weite Campagna mit Leuten,
Die Mandeln beginnen sie schon zu erwarten,
Es duften Orangen und rufen nach Bräuten,
Es wird die Natur, wie von selber, zum Garten.
[Oh, nun leb auch ich der Freude]
Oh, nun leb auch ich der Freude,
In mir selbst ist Karneval,
Flaggen heiterer Luftgebäude
Wehen jetzt mit einemmal.
Seltenes Glück kann ich erfassen,
Worte hör ich auferstehn,
Darf sie nicht verhallen lassen,
Rasch ist es um sie geschehn.
[235]
Flugs verfolge ich Gedanken,
Die ein Wehwunsch aufgescheucht.
Oh, nun aber ja nicht schwanken:
Packt das Wild, das flüchtig keucht!
Ja, das ist ein neuer Kummer,
Dort versteckt er sich im Laub,
Der verbleibt erst dann im Schlummer,
Doch ein Lied ist jetzt mein Raub!
Alle rothen Wolkensippen,
Alles was der Tag verbarg,
Lispelt nun mit tausend Lippen,
Schlimm und gut, um seinen Sarg.
Ferne höre ich die Winde,
Die geschwätzig waldwärts wehn,
Seht, und auch ich selbst empfinde
Träume, die Euch Antwort stehn.
Bäume, die ich oft erspähe,
Tragen ihre Tagesfrucht,
Und die schüttelt erst die Nähe
Einer Nacht in meiner Schlucht.
Rosenhauche kurzer Stunden,
Die Ihr ringsum Gold verwebt,
Wißt! ich bin Euch eng verbunden,
Denn Ihr habt mich tief belebt.
Lieder kann ich jetzt vernehmen,
Alles schweigt und alles singt,
Stimmen, die vor mir sich schämen,
Haben sich schon zugeblinkt.
[236]
Oh, sie trachten sich zu reimen,
Bald verdämmert ihre Macht.
Träume, die im Nu erkeimen,
Stehen schon in Blüthenpracht.
Alles mag ich fest umschlingen,
Leg Dich, Wind, an meine Brust!
Nacht, Du wirst mein Herz durchdringen,
Sterne werdet weltbewußt!
Auch Ihr letzten Himmelsnarben,
Seht, auch ich bin stumm und wund.
Bald verflimmern alle Farben,
Denn die Nacht ist urgesund.
Abend ist es, wenn ich singe.
Wenn der Tag verhaucht, verblaßt,
Ahnt sich die Natur der Dinge:
Werde Lied, das mich erfaßt!
[Namenlos sind meine Lieder]
Namenlos sind meine Lieder,
Sagbar kaum wie sie entstehn,
Laute tauchen auf und nieder,
Bis sie klar zusammengehn.
Endlich freuen mich die Rhythmen,
Die ein Lied sich ausgewiegt,
Und ich will mich ihnen widmen,
Ihre Stimmung hat gesiegt.
Würde ich durch die Gefühle
Tiefer Liebe überrascht,
[237]
Hätte ich im Truggewühle
Alles Wirkliche erhascht.
So vertrau ich meinen Liedern
Nur die wahrste Sehnsucht an.
Kann ein Wesen sie erwidern,
Steh ich schon in einem Bann?
Meine gutgemeinten Worte,
Zieht denn hin und immer fort;
Horcht an manchem fernen Orte,
Ob ein Herz, ein Strauch verdorrt.
Lispelt leiser als die Blätter,
Daß kein Schmerz Euch überhör,
Seid der letzten Hoffnung Retter,
Fädelt Euch durchs feinste Öhr.
Findet Ihr ein keusches Wesen,
Das Euch wirklich ganz vernimmt,
Oh, so kann ich fern genesen,
Plötzlich werd ich gut gestimmt.
Namenlos sind meine Lieder,
Soll ich ihnen widerstehn?
Mein Geschick klingt drinnen wieder,
Was da kommt, ist schon geschehn!
[Ich will in einem Park den goldenen Abend feiern]
Ich will in einem Park den goldenen Abend feiern
Und träumen, wenn die ersten Sterne sich erschaun.
Dann blickt auch mein Gemüth aus Amethystenschleiern
Und fängt im Traume an Erlebtes zu bethaun.
[238]
Dort blinkt schon einer. Und nun gleich ein zweiter.
Ihr fernen Sterne folgt Euch stets und habt Euch gern.
Ihr hehren Weltbeschreiter seid Euch stets Begleiter
Und alle ehrt Ihr, selbst im Kleineren, Euern Herrn.
In die Musik will ich mein schweres Leid versenken,
Sie möge es umzaubern und um mich verwehn,
Von purer Gluth, die Angstgefühle, die mich kränken,
Entwirren, bis Ideen furchtbar vor mir stehn.
Ihr Brunnen seid zu laut zu solcher Klärung,
Ein Garten, ein Sonnett, ein Bild sind mir genug.
Ihr vielen Sterne, gebt mir viel zu viel Belehrung,
Wo Schicksal graut, wird alle Sprache bald zum Trug.
Ein Friedhof ist bereits ein Paradies auf Erden,
In das wir schon aus Marmor unbeweglich schaun,
In Gärten aber, wo die Götter sprachlos werden,
Beschleicht mich unergründlich bleiches Graun.
Die Numen schlummern nicht. In einer kecken Laune,
Sind alle dort im Lorbeerdunkel festgebannt.
Hermaphroditen wehren schlau sich gegen Faune,
Endymion wird von Artemis im Schlaf erkannt.
Ich kann mich nirgends still mit stummem Grün umfrieden,
Vereinsamt unter Myrthen ölt sich ein Athlet.
Bis auf die Zehen bleich sind Marmorniobiden.
Geht jetzt der Mond auf? Flüstert Pan ein Nachtgebet?
Die Götter schlafen nicht. Wo ich auch träume, wander,
Verfolgt der Wind mich und es rauscht das Laub.
Oh, nun begleiten mich auf einmal Oleander,
Alleen sind so traut und dort – die Lichtung – taub!
[239]
Fürwahr! Es schweigt und schlummert diese Wiese,
Sie hat sich rings mit Schwermuthsthränen bunt bethaut,
Ein Baum aus Asien wuchtet da als fremder Riese,
Ich meide ihn! Wo tönt mir ein vertrauter Laut?
Ich schweife weiter. Lauter dichtes Flüsterdunkel
Umgiebt mich wiederum! Auf einmal lausch ich auf!
Kamelien blühen. Horcht, ein zartes Waldgefunkel,
Dann ein Gebraus, sagt laut: dort ist ein Wasserlauf!
Carraraschwäne harren blaß an einem Wehre,
Doch Wasserquirle halsen hastig hin und her,
Ein Schneegewölk kommt eben ostwärts in die Quere,
Und nun ist dieses Dunkel lautvoll, leer und schwer.
Der Lorbeerduft und Harzgeruch der Parkzypressen
Umflattert wild mein winderfrischtes Angesicht.
Ich sehe kaum! Wie soll ich Weg und Steg ermessen?
Ich schlendre unterdessen, – und seht, – dort wird es licht!
Ein leiser Weiher spiegelt still den großen Baren.
Die anderen Sterne sind noch alle weiß umwölkt.
Vielleicht wird bald die alte Klarheit wiederkehren,
Zumal da doch der Nordwind noch im Duster schwelgt.
Ich zieh den Teich entlang und denke an die Numen,
Die plötzlich in den Seelen heiter aufgetaucht,
Dereinst begrünten sie Italiens dunkle Krumen,
Und heute sind sie da, und wieder fast verbraucht.
Was bannt mich fest? Was will sich mir erklären?
Wie, spiegelt dieser Weiher eine echte Sphinx?
Ich blick empor und sehe nimmermehr den Bären,
Denn es bedeckte sich der Himmel neuerdings.
[240]
Doch sehe ich die Thiergestalt sich trotzdem spiegeln,
Und zwar so still, daß eine Sphynx auch aufwärts blickt.
Es will das Obere seine Tiefe wohl erklügeln,
Und Unteres scheint durchs wahre Dasein ganz berückt.
Ich mag mich abermals im Lorbeerhain verlieren,
Nun weiß ich ja was dieser Garten alles birgt,
Gespenster wallen auf, entwurzeln sich aus Thieren,
Und ruhen dort als Mikrokosmus streng bezirkt.
Der Garten selbst verschlingt in sich Italiens Schätze,
Dem Stein und Muschelstrande gleicht der Weiherkies,
Ein dunkler Weg im Grünen ahmt die Gegensätze
Von Flur und Haide in Etruriens Paradies.
Jetzt ist der ganze Park noch kalt, verwildert, finster,
Und ich verstehe seinen Reiz vielleicht allein,
Erblüht jedoch am Meer und Apennin der Ginster,
So rahmt auch hier der Goldlack holde Beete ein.
Und dann umglühen Käfer offene Purpurblüthen,
Und eine Aloë verschenkt in einer Nacht
Die Pracht, die ihre Wurzeln hundert Jahre hüten,
Bis sie auf einmal jäh und übervoll erwacht.
Es glänzt mein Pfad! Ich werde nun zu Menschen treten.
Fürwahr! Vor mir erstrahlt ein herrlicher Palast.
Zum Feste denn! Ich darf mich heute nicht verspäten.
Ach, welches Bangen mich auf einmal ganz erfaßt!
[241]
[Ein blendendes Treppenhaus hält mich umfangen]
Ein blendendes Treppenhaus hält mich umfangen.
Ich weiß nicht, wie recht durch die Knäule und Schlangen
Von Masken und Schleppen zum Saal zu gelangen.
Treppauf und treppab seh ich Dominos stiegen
Und riesig gewandt, sich in Festgruppen schmiegen.
Das wirbelt und plaudert. Das blendet die Sinne.
Das funkelt und flunkert von flüchtiger Minne.
Das fächelt mit rosigem Fächer noch Scham
Ins blasse Gesicht eines alternden Gecken,
Der eben sich etwas zu eifrig benahm.
Ich sehe mit Küssen sich Arme bedecken.
Dort wirft eine Dame den Handschuh zurück;
Ein Jüngling berührt ihre Spitzen voll Glück;
Und niemals bemerkte ich Kleider, Geschmeide,
So sehr, als wenn Larven die Züge verhüllen.
Jetzt heben sich Finger behandschuht zum Eide,
Erwünschtes verspricht man sich bald zu erfüllen!
Es ist das ein Vorspiel in rauschender Seide.
Ich selbst aber sehne mich weg von den Stiegen
Und trachte mich langsam ins Innere zu schmiegen.
Es schweift nun mein Auge durch flimmernde Zimmer,
Rings spiegelt sich Flitter und Lüsterlichtschimmer.
Ein Walzer fängt an manches Paar zu beschwingen
Und rhythmisch den festlichen Saal zu durchklingen.
Jetzt wirbelt und tanzt alle Welt durcheinander,
Im Umkreise protzen verlaßene Matronen.
Es streift mich soeben ein Prachtsalamander.
Ein Zwiegespräch könnte sich allerdings lohnen.
Doch ist er bereits unter Feen verschwunden.
Nun faß ichs, es handelt sich hier um Sekunden!
Die nächste Entstiegene lohender Gluthen
Wird sicherlich gleich, wo es sei, angehalten;
[242]
Vergnüg ich sie dann blos auf kurze Minuten,
So fürchte ich nimmer die rothen Gewalten!
Ein Domino, schwarz wie die Nacht in den Meeren,
Trägt Perlen im Haare. Ich sah ihn schon früher.
Vielleicht sind das Schnüre urkünftiger Zähren.
Wer weiß? Er ist lustig, denn viele Bemüher
Und junge Erglüher umschwirren ihn heiter.
Nun lassen wir sie, und lustwandeln wir weiter.
Die Kerzen umschimmern schon flimmernde Schleier,
Und Wandspiegel geben sie kugelhaft wieder;
Fürwahr, oben hangen jetzt durchsichtige Eier
Und gießen ihr Irislicht rieseldicht nieder.
Kurz nur treffen sich die Blicke,
Jedes denkt an heitere Dinge.
Knüpft durch eine Zufallsschlinge
Hier der Augenblick Geschicke?
Ist ein Ansturm wo geglückt,
Plötzlich wird dort hell gelacht.
Ward ein Fall ans Licht gebracht?
Jede Laune wird zerpflückt!
Skepsis ist des Faschings Wesen,
Seine Freude Medisance,
Lauter kleine Antithesen
Geben Witzen Resonance:
»Seht im Spiegel jene Damen
Haben Häubchen wie ein I,
Passen wirklich in den Rahmen!«
Lacht ein Täubchen mit ésprit.
Hier ist alles Rokoko,
[243]
Blüthenbüschel schlüpfen sacht
Aus der Zierrat blasser Pracht.
Engel sitzen ohne Tracht
Hoch auf Wolken irgendwo.
Feen schweben im Trikot,
Über unserem Erdniveau.
Alle sind galant und froh,
Masken geben Rendezvous,
Vor der Hand, nur Fuß an Fuß,
Gottseidank inkognito.
Überall wird kokettiert,
Herzen brennen lichterloh,
Jeder Witz ist unmaskiert,
Wehe jedem, der sich ziert!
Hier kommt alles apropos,
Nur! wo bleibt mein Domino?
Schwupps! da huscht er durch den Saal!
Maske, hab ich dich einmal!
Muth, mein zugereister Mann!
Sprechen wir sie höflich an:
»Magst Du Maske, mir Vertrauen schenken,
Möchte mich um Deine Gunst bemühen,
Laß den Blick in Deine Seele senken
Und den Fall der Larve hold verfrühen.
Wenn zwei Menschen Gleiches denken,
Kann ein Blick ein Ja versprühen,
Unser Fühlen hold zur Liebe lenken,
Und die Herzen aneinanderglühen!«
Meine Kühnheit hat gefallen,
Denn ich bin schon eingeladen,
Plaudernd auf und ab zu wallen,
Und nach heitern Promenaden,
[244]
(Kann ich wirklich amüsieren)
Ernste Themen zu riskieren.
Doch vor allem will ich loben:
»Holde Maske, Du bist prächtig,
Deine Schönheit mitternächtig,
Perlen, die Du rings verwoben,
Gleichen Deine trauten Augen,
Die nicht für die Erde taugen.«
»Nicht so schnell, das Paradies,«
Heißt es jetzt: »ist furchtbar weit,
Und da man mich draus verstieß,
Trag ich jetzt als brave Maid
Muthig jedes Erdenleid!«
»Oh es ist die Einsamkeit,«
Fall ich ein: »Voll Bitterkeit,
Täglich schlag ich eine Schlacht,
Mein Alleinsein giebt mir Macht,
Du jedoch bist wie die Nacht,
Weib und schwarz und voller Pracht!«
»Müßte Dich erst ganz erproben
Kannst bestimmt auch Andere loben!«
»Oh, bewundern kann ich Viele,
Manche,« sag ich: »hat Geschmack,
Helles paßt zum Faschingstile,
Schwarz jedoch zu meinem Frack!«
»Schließe nicht nach dem Gewand!«
Hör ich: »Mann aus fremdem Land,
Oft verbirgt die schwarze Hülle
Weiser Schönheit Überfülle!«
»Ganz und gar nicht, glaube mir,«
Fall ich ein: »Gewand und Zier
Sprechen offener als ein Mund:
[245]
Deine Seele ist ein Schlund.
Weißes Fleisch ist ein Geschenk.
Deine Schönheit Dir zu eng.
Durch die Larve, nicht die Haut,
Hab ich ganz in Dich geschaut!«
»Was Du sprichst ist zwar gewagt,«
Wird als Antwort mir gesagt:
»Doch es freut mich immerhin,
Deine Worte haben Sinn.
Willst Du mit mir plaudern gehn?
Hier wo sich die Paare drehn,
Die Musik von Liebe girrt,
Wird man ganz und gar verwirrt!«
»Auf ein recht vertraulich Wort,«
Sag ich: »geh ich gerne fort,
Hier im Saal ist es so warm:
Schlanke Mohrin, Deinen Arm
Und zugleich die kleine Hand,
Als ein erstes Freundschaftspfand!«
»Alma dürfen Sie mich nennen,
Doch von nun an, bitte: Sie.
Sollen lieber gleich mich kennen,
Denn Sie haben Phantasie.
Stellen Sie sich wenig vor,
Schließen Sie nach meinem Ohr,
Das ist klein und etwas rund,
Und so ungefähr der Mund!«
»In die allerliebste Muschel«,
Sag ich: »wispert man kein Sie,
Du und Du wirkt im Getuschel
Voll von dunkler Harmonie!«
»Nun so muß die Larve fallen!«
[246]
Heißt es nun mit Energie.
Was nun folgt, kann mir gefallen,
Dieses Weib hat Poesie!
»Werthe Dame, Ihre Blicke
Gaben mir den ersten Stich,
Doch ich glaube an Geschicke,
Und verstehe manchen Schlich.
Wollte mir daher vertrauen:
Frauen sind nicht fürchterlich,
Doch gesteh ich, Ihre Brauen
Triumphieren über mich!«
Kaum bin ich damit zu Ende,
Reicht sie mir vergnügt die Hände:
»Dem Besiegten«, sagt sie: »Gnade,
Sein wir offen und gerade,
Eben noch voll Prüderie,
Hab ich jetzt schon Sympathie!«
»Nun so wandern wir denn weiter,
Flüchten wir von Saal zu Saal!«
Meine ich vergnügt und heitert
»Menschen sind mir eine Qual,
Sehn wir lieber durch das Fenster,
Hinterm riesigen Krystall,
Auf die silbernen Gespenster,
Dort beim großen Wolkenball!«
»Oh da bin ich gern dabei,
Was ist, bitte, Poesie?
Sehe sie in allerlei,
Doch ihr Wesen saß ich nie!«
Wie mich das die Dame frägt,
Sage ich ihr unentwegt:
»Treue Freunde, Traumgebilde,
[247]
Jeder Ahnung Wahrgestalt,
Unseres Wanderns Mondgefilde,
Gar kein Ziel, ein innerer Halt!
Lebenshauche unserer Lieder,
Frühjahre der Seelennacht,
Hier an Ihrer Brust der Flieder,
Der mich bang und froh gemacht,
Aller Dinge Melodie,
Nicht der Glanz, doch das Genie,
Tiefste Wirbelharmonie,
Ist ganz greifbar Poesie!«
»Jene Dame dort im Saale
Scheint mir schön geschmückt zu sein,
Ja, es ist mir, als verstrahle
Sie den klarsten Sonnenschein,
Ihre Tagsmaragden leuchten
Und ich sagte gern, befeuchten
Wie ein helles Quellengrün
Wiesen, wo Narzissen blühn!«
In die Rede stimm ich ein:
»Sehn Sie dort, im Kerzenschein,
Ruht ein Weib fast mitternächtig,
Nur Rubine und Granaten
Übersprühn es urbedächtig:
Skeptisch gegen Tagesthaten
Scheuen sie fast jeden Laut!
Doch auf Ihrem Haare graut
Schon des Morgens Perlenschimmer,
Oh sie tagen, tauen immer!«
Ihre Larve fällt herab,
Scham und erstes Morgenroth
Sah und haschte ich noch knapp,
[248]
Und ich weiß was mich bedroht!
»Kommen Sie, doch vor den Leuten
Bleibt es noch beim alten Du!
Dieses Sie darf nichts bedeuten!«
Meint die Maske voller Ruh,
»Nun das sei, um Mitternacht,
Sag ich so wie so dann Sie,
Maske, durch Deinen Esprit
Wird die Zeit mir kurz gemacht!«
Kaum erst ist das ausgesprochen,
Werden laut wir unterbrochen.
Es wirbeln und rascheln im Saal Tamburellen,
In Seide gekleidete Masken umtollen,
Als Eidechsen, Falter, Insekten, Libellen,
Bacchantinnen, die ihre Spenden entrollen.
Mit Reben umgeben sie Fenster und Thüren,
Satyre verschenken Orangen und Nüsse,
Silen will die lieblichste Nymphe verführen,
Und Kinder mit Lichtflügeln werfen uns Küsse.
Jetzt tritt Aristophanes selbst auf das Podium
Und ruft die italischen Masken ins Leben;
Wir sehn lauter Frauen voll Kampflust und Odium,
Und Männer sich weiblichen Launen ergeben.
Rosaura hat eben den Hausstand zerschlagen,
Es kann Harlekin sich darüber nicht trösten,
Doch auch Pantalon nicht den Jammer ertragen,
Er läßt bei Brighella rasch Trostäpfel rösten.
[249]
Das alles erklärt von olympischer Warte
Ein Weib, das verzückt aus dem Chore getreten;
Es sagt uns, es sei die Commedia dell' arte
Das letzte Hellenenthum junger Poeten.
Nun schenken uns Faune ganz reizende Düten;
Wir öffnen sie, tosten und schneiden Gesichter,
Wir möchten das bittere Geheimniß behüten,
Doch schwatzt schon und lacht das Paniskengelichter.
Das Weib am Kothurne entschuldigt sich heiter
Und schwört uns bei Bacchus, das seien die Reste
Des attischen Salzes und fahrt munter weiter,
Was wir nun besorgten, sei weitaus das Beste
Aus Hellas, homerisches Riesengelächter!
Wir sollten es tief aus den Bauchhöhlen holen,
Denn Dionysos liebt alle frohen Geschlechter!
Und nun schlagen Kobolde laut Kapriolen.
Auf einmal erscheinen im Saale Laternen.
Wer trägt sie und schwingt sie? Ganz weiße Gestalten,
Pierrots mit hellflimmernden, blendenden Sternen,
Beginnen jetzt schweigsam beim Feste zu walten.
»Sie sind dem eleusischen Dunkel entstiegen
Und kennen die Paare, die bald sich vermählen,
Und werden sich gleich an die Glücklichen schmiegen!«
Beginnt nun die Pythia mit Schwung zu erzählen.
Nun wird meine Maske, dann ich von Laternen
Und stummen Geberden umschwirrt und umgaukelt,
Und trotzdem die Lichter sich endlich entfernen,
Ists beiden, als würden wir förmlich geschaukelt.
[250]
Gottlob, die Prophetin fährt fort: »Die Laterne
Hat Diogenes diesen Pierrots hinterlassen,
Doch auch seine Tonne, – ich zeige sie gerne –,
Ist da, sie kann heimliche Insassen fassen!«
Es will meine Maske nicht wegsehen. Verlegen
Erwarten wir beide recht peinliche Scherze.
Doch nein! Ein gefälliger Gott ist zugegen
Und tritt mit dem veilchenumwundenen Märze,
Der Blumen verstreut, rasch im Pantherfell auf.
Das Faß wird gewendet; es sprudelt der Wein
Wie Gold aus dem Spund; seinen schäumenden Lauf
Durchkreuzen und dämmen nur Trinkbecher ein.
Verschiedene Zwerge mit kreischenden Stimmen
Und sprechende Vögel erscheinen im Saal;
Sie thuen, als würden sie neidisch ergrimmen
Und machen im Fistelton argen Skandal.
»Folge mir aus diesem Saal,
Hier ist alles zu konfus,
Das wird fast ein Bacchanal!«
Sagt die Maske: »Billigst Dus?«
»Nein, ich gehe gerne fort,«
Sage ich sogleich erfreut:
»Sprechen wir ein trautes Wort,
Sinnlos, aber doch gescheit!«
»Sehn wir jetzt dem Windfest zu!.«
Sagt die Maske überrascht,
[251]
Wie sie plaudernd, ganz im Nu,
Eine Mondvision erhascht.
Hinterm Fenster sehen wir
Wolkenrosse Leichen ziehen,
Und ein helles Silberthier
Glotzt in Chaosharmonien.
»Willenlose Wirbel sind
Wilde Beute ohne Herrn,«
Meint die Maske: »jedem Wind
Folgen, geben sie sich gern.«
»Flockenwolken stocken dort!«
Fall ich in die Rede ein:
»Scheuen sich in einem fort,
Formen oder Gischt zu sein.«
»Nebeldüten öffnen sich,
Weiße Kelche gehen auf,«
Meint die Maske feierlich:
»Sieh den dichten Irishauf!«
»Welches fabelhafte Gold,
Welche große Pollenwuth,«
Sag ich: »sich dort hoch entrollt
Und dann überm Monde ruht!«
»Gehn wir weiter, möchte jetzt
Eigentlich am Meere sein!«
Sagt die Maske: »denn zuletzt
Sah ich es im Mondenschein.
Ringsum perlte der Kies,
Lauter Wünsche huschten auf,
Alles zerrte, schwirrte, stieß
Ohne Anfang und Verlauf.«
»Habe ich nicht recht geahnt,
Als ich sagte, daß Dein Geist
[252]
Dich an dunkle Hüllen mahnt?«
Frage ich die Maske dreist,
Sie erwidert: »Sicherlich
Hast Du recht, zu recht gehabt,
Doch ich fühle, innerlich
Wird die Trauer weggeschabt.«
»Nun, so wollen wir im März«,
Ruf ich froh, »aufs Land hinaus,
Ja es pocht bereits mein Herz
Mit dem wilden Meergebraus,
Oh, der Lenz kommt ungehemmt,
Fühlst Du ihn nicht aufwärtsziehn?
Windeswogen überschwemmt,
Wittert ihn der Appenin.
Jeder Wuchtcharakter beugt
Endlich sich vor Lust und Föhn,
Jede Wandlung, die er zeugt,
Macht den Leichtsinn wunderschön.
Hat doch alte Erdenkraft,
Mit der Sonne hold vermählt,
Den Planeten umgeschafft,
Das er selbst den Gott erwählt,
Der sich ihm als Rausch entrafft.«
»Deinen Fels erklimm ich nicht,
Meine Seele liebt die See,
Dir zu folgen wird mir Pflicht,
Doch bedenk auch Du mein Weh!
Unser Urgeburtenmeer
Zog mich fast zurück zu sich.
Schon ward alles ringsum leer,
Und die Leere fürchterlich.
Doch man hat mich aufgefischt,
[253]
Die Erinnerung aber war
Schon im Busen aufgefrischt,
Und nun wird mir völlig klar
(Weiß ich auch nicht recht warum),
Daß ich nichts entfalten darf.
Irgend etwas wehrt es stumm,
Damals aber sah ichs scharf!
Doch ich liebe noch das Meer,
Wenns dem Nichts entgegenschäumt
Und erbärmlich hin und her
Sich verschlagt und wild verträumt!
Schäumt es, glaub ich fast, es sträubt
Etwas sich, nur Wind zu sein,
Doch sowie es ganz zerstäubt,
Gischtet es dann frei und rein!«
»Ja, es sträubt, es bäumt die See
Gegen das Zerstäuben sich,
Schäumend schluchzt sie noch Ade,
Und enthaucht dann bitterlich!«
Fall ich ein, dann faß ich mich:
»Schwarze Maske, lasse das,
Komm aus diesem Witterstrich,
Ohne wirklichen Verlaß,
Rasch zurück zum Maskenfest!
Tritt ans Fenster! Monderhellt
Stehn dort Wesen felsenfest,
Blicke in die äußere Welt!«
»Siehst Du jenen Tropenbaum,
Sterne spähn durch sein Geäst,
Goldig sah ich ihn im Traum,
Und darauf ein Schlangennest!«
Sagt das schwarzverhüllte Weib,
[254]
Athmet tief und fährt dann fort:
»Gar nichts hatte seinen Leib,
Ringsum wogte Gottes Wort.
Früchte bunt und schlangenrund,
Sah ich ohne Zeit und Ort,
Eine führte ich zum Mund,
Und da war ihr Ast verdorrt.
Ich verbiß in Felsen mich,
Durch die Zähne troff die See,
Und der Erde Vipernstich
Fühl ich noch als großes Weh!«
»Komme fort und sieh mich an,
Weg von Dir uud jener Welt!
Hänge Dich an Deinen Mann,
Sieh in ihm ein Lichtgezelt.
Was man schaut und rings erfährt,
Das bestätigt was man ist!«
Sage ich: »Denn man bewährt
Tiefer sich als Ziel und Frist!
Wenn man wirklich innig liebt,
Braucht man keinen Wunsch zu fliehen,
Was ein einzger Mensch vergiebt,
Hat schon Gott durch ihn verziehen!«
»Sei mein Freund und steh mir bei,
Nimm den Ring von meiner Hand,
So! Nun bin ich endlich frei!«
Sagt ein Weib mir urverwandt!
Mitternacht! Mitternacht! Die Larven fallen.
Mitternacht! Man erkennt sich, jubelt laut.
Mitternacht! Walzer wallen durch die Hallen.
[255]
Mitternacht! Keinem Gaste bangt und graut.
Mitternacht! Die Isis wird bewußt
Und entschleiert sich der Sonnenwelt.
Jubel sprudelt aus der Göttin Brust:
Ihre tiefe Einsicht überwellt
Urgesuchte, weltverliebte Lust.
Wollust wird zu Gott geschnellt.
Mitternacht! Ich beschenke Dich mit Blumen.
Mitternacht! Du trinkst mir zu, man wünscht und hofft.
Mitternacht! Blüthenreif bedeckt die Krumen.
Mitternacht! Der Nordwind geistert und erschreckt uns oft.
Mitternacht! Was sieht nimmt einen Flor.
Völker überziehen sich mit Scham.
Ostern glüht jetzt überall empor.
Geist entsteht. Wer weiß woher er kam!
Mitternacht! Mein Weib und ich sind eins,
Eins im ewiggroßen Weltgebraus,
Glücklich unseres Zusammenseins,
Ruhen wir vom langen Wandern aus!
»Alles Fühlen, alles Denken
Ist ein fremdes oder fernes
Insichselbstsichtiefversenken!«
Sag ich: »Jeder Mensch erlern es.
Doch vor allem soll es gelten,
Sich persönlich zu verschenken,
Licht aus seinen Innerwelten
In die Nächsten zu versenken.
Alles Sehen, alles Lieben,
Ist an sich das wahre Leben,
[256]
Blos die Hoffnung ist geblieben,
Die Ereignisse entschweben!«
»Das Gebrause, das ich höre,
Ist wahrscheinlich wirklich wahr,
Lauter unsichtbare Chöre
Singen uns als trautes Paar.
Winde walzen Wolkenwogen
Unaufhörlich himmelwärts,
Für die Liebe ausgezogen
Wuchtet auch in uns der Schmerz.
Dieses Ineinanderbranden,«
Sagt mein Weib: »ist wunderbar,
Oft geht da der Blick abhanden,
Doch auf einmal wird es klar:
Immer neue Wünsche winden
Tief sich in ein Urgemüth,
Können nie das gleiche finden,
Da es sich zu dauern müht
Und in stillen Freiheitspeichern,
Immer fester sich erfaßt,
Und so glaub ich, wir bereichern
Uns auch fort und ohne Rast!«
»Willst Du nicht zum Fenster treten?«
Frag ich: »doch dann sprich nur weiter,
Siehst Du jene Statue beten?
Oh, die Mondnacht ist nun heiter!«
Der Mond umfaßt die Glieder eines Knaben
Und seinen Leib bedecken Perlenschnüre.
Ist das Ekstase, starres Lustgehaben?
Die Schatten dauern still wie Liebesschwüre!
[257]
Der Mond will sich am weißen Marmor halten,
Als Weltruine liebt er kalte Gesten:
Das Felsgestirn sucht weithin in den Spalten
Der Erdromantik stets nach hehren Resten!
Der Grieche scheint die Mystik einer Seele
Dem todten Lichte völlig darzubringen,
Dafür empfängt sein holder Leib Juwele,
Die aus der Geisterwelt herüberklingen.
Ein Schein wie Milch umfließt die weißen Glieder,
Und Iristropfen schimmern aus dem Steine.
Selene steht und tritt zum Jüngling nieder,
Es ist, als ob sie küssend ihn beweine.
Nun scheint das Licht sich schweigsam zu beleiben
Und fast die stillen Glieder zu erweichen;
Es wollen beide stumm in Glück verbleiben,
Und blos in einem Liede sich erreichen.
»Schwermuthwolken kann ich wittern,
Gehn wir nicht zurück zum Fest?
Träume wollen uns erschüttern,
Werde mein und halt mich fest.
Furchtbar fühl ich schon die Stunden,
Da man lebt wie jeder lebt!«
Sagt mein Weib: »ich liebe Kunden,
Wo der Mensch sich überhebt!«
»Meinst Du jene Lichtsekunden,
Da man selber sich entschwebt,
Da die Mühe überwunden,
Immer tiefer niederstrebt?
[258]
Ja, mit jedem Flügelschlage
Schließt man Gräber unter sich,
Denn die Zukunft aller Tage
Wirkt in Dichtern innerlich!
Doch für heute laß das gehn,
Höhen hat die Erde auch,
Und ihr Wesen ist Gestehn!
Doppelspiel ist Frauenbrauch!
Worte«, sag ich: »kann man zügeln,
Sterne aber scheinen wahr,
Blicke kann man kaum erklügeln,
Immer sind sie offenbar!«
»Nun, so komm, wir wollen schweigen,
Glücklich lehnt sich Traum an Traum,
In uns selber aber steigen
Traute Stunden aus dem Raum.«
»Siehe«, spricht mein Weib: »wie innig
So ein Saal sich selbst beseelt,
Wie sich alles still und sinnig,
Minnig fast in Pracht vermählt.
Oh, der Raum fängt an zu sagen!
Ruht er schon vom Feste aus?
Schweigen ist das tiefste Fragen,
Horch! es lispelt jetzt das Haus!«

Marmorsäulen sind mit reicher Steinmetzarbeit dicht umlaubt,
Tragen dumpf der Fenster Bögen. Karyathiden halten Wacht,
Bleich im Narrenspiel der Menschen, stumm im Wechselspiel der Nacht,
Und die kleinen Nischensäulen sind gewunden und geschraubt.
Oh Ihr weiten, fernen Zeiten! In der Seele wachgerufen,
Taucht Ihr auf, Euch zu empfinden, und lebt fort, wenn Ihr mich rührt.
[259] Altumwandet kommt das Neue, und wir werden so verführt,
Als Erprobtes zu verwenden, was wir eben selber schufen.
Große Römervillen werden Ruheplätze der Natur,
Wo sich tausend Elemente unserm Menschenwillen beugten.
Wesen, die fast abgeschlossen von den Schollen, die sie zeugten,
Geistig und sich selber lebten, wandelten auf freier Spur!
Im Gedanken freie Schwärmer, Philosophen, Forscher, Dichter,
Allen Lebens Feuerblüthen, starke Seelen voller Glanz,
Immer schlürft Ihr, wie Kometen, Pollengold vom Sternenkranz,
Ahnt Ihr aber auch die Gründe ewiglich verschiedener Lichter?
Sterne und ihr Nachtgefolge ziehen durch ein stummes All,
Ihre Sehnsucht weckt das Leben, keine Strahlen gehn verloren,
Denn die Ewigkeit ist innig: und in uns bereits geboren,
Wird der Geist, der sie durchleuchtet, jung beseelt als Widerhall!
Stille Treue zu den Sternen ist das Leben der Planeten,
Und die Sonnensehnsucht zeigt sich als Kometen in der Welt,
Und auch diese werden endlich frei auf ihre Gluth gestellt.
Suchen sie dann selbst die Ruhe, können Welten sich verkneten.
Aller Sterne Feuerblüthen schleift in sich der Weltkomet,
Denn sein Schooß empfängt beim Wandern lauter Sternenelemente,
Doch wir selbst erschaun sein Wurzeln blos auf kurze Glücksmomente,
Wenn er Liebesworten ähnlich seine Feuerschnuppen sät.

»Sieh, im Tanzsaale die Paare!
Hofft dort jemand was wir fanden?
Denn was ich nun tief verwahre,
Hab ich früher nie verstanden.
[260]
Sage Du mir,« spricht mein Weib:
»Wie soeben alles kam,
War ich Dir blos Zeitvertreib?
Sage, wie ich mich benahm.«
»Nun wir haben traut geplaudert,«
Gebe ich zur Antwort: »Endlich
Hat man nimmermehr gezaudert,
Alles schien uns unabwendlich!
Holde Anmuth Deines Wesens
Hat mich innerlich bewegt
Und die Ahnung des Genesens
Plötzlich in mein Herz gelegt.
Traut beginnen meine Lieder
Bis ich Höhenlust erwühlt,
Schwer nur faß ich mich dann wieder,
Doch so wie ich Dich gefühlt,
Holdes Weib, blieb ich hienieden,
Deine Augen hielten Wacht,
Riefen mich und strahlten Frieden.
War das meine letzte Nacht?«
»Deine letzten finstern Stürme!«
Sagt mein Weib: »An Deiner See,
Bau ich unsere festen Thürme,
Daß ich Dich beruhigt seh!«
»Richtig,« ruf ich: »Deine Blicke
Senkten gleich sich in mein Sein,
Lenkten schon unsere Geschicke,
Denn ich fuhr im Hafen ein.
Wahrlich, so ist es gewesen,
Jetzt entsinn ich mich vielleicht,
Oh, ich war ein wirres Wesen,
Habe nie mein Ziel erreicht.
[261]
Schifflein waren unsere Reden,
Wiegenspiele munterer Fahrt,
Mit der Flagge eigener Art,
Sollten ernst sie sich befehden.
Gut gerüstet als Piraten,
Haben meine aufgepaßt,
Deine sollte Dich verrathen,
Da Du Dich verkleidet hast!«
»Ja, die Wimpel meiner Laune«,
Sagt das Weib: »Verrieten mich!
Wirklich wahr, ich denke, staune:
Alle ließen mich in Stich!«
»Ich verfolgte sie im Treffen,
Hofft ich doch, daß ich verlor,
Ließ oft andere Segel reffen,
Sieh, und endlich kam ich vor!
Hinterm Damme Deiner Zähne,«
Mein ich: »Rüstetest Du fort,
Plötzlich fiel da eine Thräne,
Auf das flinkste Kaperwort.
Oh, da ist es gleich gesunken,
Beide tauchten wir danach,
Alle Mannschaft ist ertrunken,
Unsere Schlacht ward unsere Schmach;
Jene Perle liegt im Meere,
Und wir denken noch an sie,
Todt sind unsere munteren Heere,
Alles schweigt aus Harmonie!«
»Bleib in meinem sicheren Hafen,«
Sagt mein Weib: »ich halte Wacht,
Selbst die Träume sollen schlafen,
Ferne braust die dunkle Nacht!«
[262]
Die Putten, mit den schweren Fruchtgewinden,
Die heute lauter Schelmerei erlauscht,
Sind fröhlich, denn nun haben sie verstanden
Was Liebe ist und wie uns Lust berauscht.
Die Spiegel, die Gestalten wiedergeben
Und die dem Saale seinen Prunk verleihn,
In denen scheinbar lauter Paare schweben,
Sind bald bestimmt, ganz blind zu sein.
Erinnerungen werden wiederkehren.
Und tausendfach erträumt sich dann der Saal,
Gleich Spiegeln können ihn Visionen mehren,
Und ringsum wimmeln Nischen holder Wahl.
Doch werden hier die Sammtgardinen rasten,
Im Mondlicht schimmert bald ihr Purpur halb,
Die prachtvollen und schweren goldenen Quasten
Umbaumeln sie darauf gleich einem schweren Alb.
Die Gäste fangen an nach Haus zu gehen.
Die Edelsteine hüllen sich in Nacht.
Aus Sammt und Seide wird bald Wärme wehen
Und feenhaft entschwebt sich selbst die Pracht.
Nun heißt es scheiden und zufrieden bleiben,
Ich nehme vieles Glück vom Feste mit.
Der Abschied drängt: wozu noch Kurzweil treiben,
Zum Wiedersehen wagen wir den ersten Schritt!
Nur lose Blumen darf ich jetzt verschenken,
Sie sind so bunt wie es beim Feste war,
Ich selber will blos an die Freuden denken,
Es wird in Blüthen jeder Frühling wahr!
[263]
[Oh, sei mein Lenz, ein ganzes neues Leben!]
»Oh, sei mein Lenz, ein ganzes neues Leben!
Oh, lös den Reif, der meine Seele zwangt,
Fort aller Trotz, ich will das Glück erstreben!«
Ruft hold mein Weib: »Die Welt ist gluthdurchtränkt!
Mein Keuschheitsfeuer strahlt zu Deiner Wärme,
Mein Leib ist Dein, es folgt bereits der Geist,
Fühlst Du sie nicht, die flüggen Frühlingsschwärme?
Sie sind aus mir in Dich emporgekreist!
Der starken Sprache frische Sprudellieder
Entschwirren mir zugleich als Sang und Lied.
Das Eis zergeht, ich habe Dich nun wieder,
Urewig bin und war ich blos Dein Weib.
Oh sei mein Lenz, ich kann Dich herrlich bannen,
In Sehnsuchtsbachen spiegle sich Dein Licht.
Fängt dann der Lustschwall an sich abzuspannen,
Umträume mich und schweige, schlafe nicht.
Oh bleibe mir, daß sich die Seelen küssen,
Oh fühle dort, wie Wunsch zum Wunsche bangt,
Denn Träume sind es, die sich hören müssen,
Damit ein Sein im andern sich erlangt!«
Nun sage ich: »Laß an die Brust Dich drücken,
Es jauchze schon, voll Übermuth, ein Kind!
Wir wollen kindlich, kindisch uns beglücken,
Denn Lust zerrinnt, wer bannt sie, hascht den Wind?
Wenn weltvernarrte Träume uns entschweben,
Verspinnen Scherze sich von Herz zu Herz,
Und immer mehr von uns muß sich ergeben,
Der Leiber Gluth vereint zu gleichem Schmerz!
Nicht morgenhold sollst Du mich je entstammen,
Kein Scharlachgold entlohe Deinem Blut,
Ich scheue Freuden mit zu wundersamen
Enträthselungen unserer Geisterfluth.
[264]
Ich mag die Welt in voller Sonne sehen,
Wo jedes Fühlen sich zur Klarheit dehnt,
Die Mittagshauche Blüthendüfte wehen,
Erhaben alles sich nach Reife sehnt!
Mich freut der Tag, der sich von Liebe flüstert,
Ich liebe Seelen, die sich ganz vertraun,
Das Feuer, das in stillem Blicke knistert,
Doch vor der Schwüle packt mich arges Graun!«
»Oh sei mein Lenz, laß mich den Traum vergessen,«
Fleht nun mein Weib: »Da ich gar einsam war.
Das war ein Bild voll Weiden und Zypressen
Und selbst die Sonne schien nur selten klar.
Nun will ich Luft und Licht und Dich genießen,
Schon kommt der volle Lenz, der mich erweckt,
Des Winters Irisflimmer wird zerstießen,
Bald scheint die Welt von Teppichen bedeckt.
Wird alles Gold aus dunklem Schacht gezogen?
Sieh, wie es innerlich die Reben wärmt,
Von den Geschöpfen wird es eingesogen,
Da es berauschend durch uns alle schwärmt.
Ein Kuß voll Gluth und Gold soll uns vereinen.
Oh komm, zwei Ringe, kühlen, fühlen sich,
Wir wollen fiebernd uns gefällig scheinen,
Wie bist Du kalt, war das ein Stich?
Wir sind ein paar und eng verbunden,
Wir liebten glühend und sind auch erblaßt,
Was fremd uns schien, verblich und ist verschwunden,
Und nur was beide eint, hat sich erfaßt.
Was unsere Seele nicht unendlich paarte,
Ist weggesprüht, in beiden längst versengt,
Doch was sich heimlich, ähnlich, offenbarte,
Hat sich vermengt und Frieden uns geschenkt!«
[265]
Ich sage drauf: »Ich kann nur wenig lieben,
Das, was mich freute wird mir plötzlich fremd,
Was mich dereinst berauschte, das ist stumm geblieben,
Was hat wohl immer noch mein Glück gehemmt?
Mein Traum enttauchte stets dem Abendgolde
Und unermeßlich schien sein Horizont,
Gestalten wandelten in meinem Solde,
Und haben bläßlich sich in Blut gesonnt.
Ich ließ mich oft von Wünschen weiterführen,
Und habe Sänger ahnungslos belauscht,
Ich träumte mich durch offene, goldene Thüren,
Und ward vom Wald in tiefen Schlaf gerauscht.«
»Du rastest nie!« sagt nun mein Weib: »Verbleibe!
Wo rast Du hin, hast Du ein Ziel im Sinn?
Ich habe auch die Nacht in meinem Leibe,
Sie harrt auf Dich, sieh, wie ich hurtig bin!
Schon rauscht aus dunkelen, lebensbangen
Gefühlen Manches wie Verwunderung auf,
Sirenen wollen nach Juwelen langen
Doch trügt der Mond sie und ein Tunfischhauf.«
»Der Mond!« Entschlüpft es mir: »Mit Wolkenflügeln
Erweckt er pulsend kaum den Wind am Meer,
Er küßt die Säume, die ihn glitzernd spiegeln,
Doch grollt die See, denn grau ist sie und leer.«
»Ich habe ja das Meer erschaut, empfunden,«
Sagt nun mein Weib: »Es sucht und hascht die Lust,
Sein ganzes Wesen ist von Glück durchwunden,
In Geistern, Fischen, durch und durch bewußt.
Ein Irisschleier, Netze der Sirenen,
Verschlingen sich um jeden Funkenschaum,
Und Briefen, die sich sprühend weitersehnen,
Verstrahlen flimmernd, irgendwo im Raum.
[266]
Das Meer genügt, vergnügt sich, ohne Mitte,
Und spendet was das Mutterland verlangt,
Denn schlagend flüstert es die dumpfe Bitte:
Gieb mir zurück, wonach mich lange bangt.
Die Erde seufzt darauf und athmet schwerer.
Da springt die Briese auf. Der Schiffe Schwarm
Kehrt rasch zurück. Das Meer wird leerer.
Und alles schläft dann ohne Angst und Harm.«
»Oh sei mein Hort, mein Heim,« steht meine Stimme:
»Auf heller Briese wehe ich Dir zu.
Daß nur mein Heimathlicht jetzt nicht verglimme,
Sonst findet meine Seele keine dunkle Ruh.
Du bist mein Pharus, will Dein Licht mich rufen?
Schon wirft es mir sein langes Flammenseil.
Dort ist der Hafen. Da der Mole Stufen.
Ins Dunkel sticht und wühlt der Blendepfeil.
Das Wasser kann allein das Licht erfassen:
Ihm ist kein Stern zu ferne und zu schwer.
Wird sich in Dir mein Glück empfinden lassen,
Und sei es schwankend nur, wie tief im Meer?«
Sahst Du noch nie den Fall der Leoniden?
Wenn Sterne lautlos durch den Äther zittern
Und ringsum sich beim Falle noch zersplittern,
Erkennst Du doch den großen Wunsch nach Frieden.
Blick auf die Vögel! Ziehen sie nach Süden,
So scheinen sie, vereint, kein Arg zu wittern.
Doch kann ein einziger Sturz den Zug erschüttern,
Denn gleich fühlt sich der ganze Schwarm ermüden.
[267]
Dich konnt ich durch ein tiefes Wort erlangen,
Denn Du ergabst Dich plötzlich unbewußt,
Und Scham und Liebe quoll in Deine Wangen;
Jetzt glüht Dein Fühlen hold an meiner Brust.
Bald kann ich Dich in voller Gluth umfangen,
Denn Ruhe sucht urschließlich jede Lust.
[Nun bist Du mein! Denn wunderbar ist Liebe]
Nun bist Du mein! Denn wunderbar ist Liebe,
Ein Tag von Stimmen, über uns gekommen.
Wir haben uns im trüben Lautgetriebe
Nur allzutief und klar und ganz vernommen.
Stets überwellten Wünsche Deine Brüste
Und ich bedrückte Dich durch Liebesschwüre,
Doch heute ruhen diese Herzgelüste
Und Deinen Nacken zieren Perlenschnüre.
Erinnerungen schimmern durch die Freuden
Und traut und traurig seh ich Bilder wieder,
Ich harre in unendlichen Gebäuden
Und Träume wachen auf als lauter Lieder.
Ich will das Unvergleichliche verstehen
Und sehe mich im Mondlicht über Seen,
Ein Fieberwind kann mich so mild umwehen,
Daß alle Sterne zitternd untergehen.
Aus Perlen können zarte Träume thauen,
In ihrem Wesen schlaft ein Abgrundgrauen,
Das sie geängstigt immerdar erschauen,
Und Schicksal scheint aus ihnen aufzublauen.
[268]
Auf einmal wandle ich in tobten Hallen.
Sie scheinen gothisch und am Mond entstanden,
In Gängen seh ich Wesen heimisch wallen,
Und schon gefall ich mir in diesen Landen.
Unweigerliche, ehrliche Zypressen
Umwuchten dort das einfachste Gebäude,
Da drinnen kann man seine Welt vergessen
Und schöpft aus Seelenbrunnen Himmelsfreude.
Ein Marmorhaus mit seltenem Kirchengibel
Erschimmert jetzt in sanfter Perlenbleiche,
Und hehre Bildergruppen aus der Bibel
Erschauen sich im goldenen Himmelreiche.
Orkane, die zumeist als Traum verblaßten,
Vielleicht das Mittelalter meiner Ahnen,
Gewalten, die sich niemals klar erfaßten,
Beginnen mich bestimmt an sich zu mahnen.
Ein Dom, gewiß dem Monde zugewendet,
Versteinert ringsum seine grünen Muster.
Dort, wo die Hostie ruht bin ich geblendet.
Was glimmt! Ich werde urbewußter.
Ich trete vor und höre hohle Stimmen,
Das ist das KryptaEcho meiner Todten,
Jetzt fängt das Blut der Steine an zu glimmen,
Oh Gott, der Mensch erkennt Dich in Geboten:
Es singt der Fels sein Lied in Strahlengarben.
Oh Herr, gestatte, daß ich einsam werde.
Ich mag um sanfte Marmorstille darben.
Beruht auf ihrem Nordlichte die Erde?
[269]
Oh kalte Flamme, leichter als das Leben
Und stiller als die nackten Felsenriesen,
Ich will Dich wie der Stein in mir erstreben,
Oh Herr, Du seist im jüngsten Glück gepriesen.
Der Tempel ist noch immer nicht verschwunden.
Wie kann ich diesen Traum so lange bannen?
Ich bin ihm jetzt durch Wirklichkeit verbunden
Und blos ein Wille bringt mich nun von dannen.
Da schwelgt die Stadt in bleicher Perlenzierde.
Mit Marmorthürmen blickt sie zu den Hügeln.
Doch keine Rhythmen zeigen hier Begierde,
Und Linien seh ich nirgends Sehnsucht zügeln.
Der Fluß mit seinen WaldIntimitäten
Vertheilt gerecht des Thales Ernst und Milde,
In Buchten drängt er sich mit Bußgebeten
Und vor Gemäuer schwemmt er Mondlichtschilde.
In heimlicher Entfernung ragen Vesten,
Der stille Perlenstrom gelangt zu jeder.
Auch ruht ein Nebel fern auf Burgesresten,
Und scheint mir eine Ghibelinenfeder.
[Es ist, als ob ein Traum zu sein sich schäme]
Es ist, als ob ein Traum zu sein sich schäme.
Trägt jegliche Idee in sich Verzicht?
Denn sonderbare, große Bergprobleme
Besonnen sich in meinem Innerlicht.
[270]
Versteinert sich noch immer nicht mein Schweigen,
Und doch, es schmückt, berückt uns jetzt ein Lenz,
Erinnerung, Du sollst der Nacht entsteigen,
Ich rufe Dich, ich nenne Dich Florenz!
Fürwahr, das sind die edlen Festungsthürme,
Die ich von San Miniato voll empfand,
Dort sah ich allen Marmors Flammenstürme
Und stummer Gluthen leisen Daseinsbrand.
Rings sehnen Lehnen sich zum Arno nieder,
Und Ölbestände glimmen still empor,
Sie lispeln ihre leisen Silberlieder,
Und oft tönt oben ein Zypressenchor.
Du wundervolle Landschaft, Deine Milde
Hat ein gewaltsames Geschlecht verstärkt;
Und deshalb ragt ein Schloß in einem Bilde
Unbändig auf, wenn man es kaum bemerkt.
Das goldene Ostergrün bethauter Wiesen
Erknospt, wenn längst die Morgenlerche singt,
Und rings um steilbethürmte Festungsriesen
Ein mädchenhafter Frühlingshain sich schlingt.
Toskanas Geist erklärt sich mir in Worten,
Schon hat er bleibend sich in mich versenkt
Und meine Sehnsucht oft zu holden Orten,
Zu Füßen hoher Zwingburgen, gelenkt.
Ich liebe Dich, Bereich der Silberlinien
Und Schneegebirge, die als Hauch verwehn,
Gelände, wo nur selten niedere Pinien,
Geschieden von Zypressen, einsam stehn.
[271]
Florenz, Dein Volk soll Städtemauern bauen,
Du hast die Arbeit kraftvoll anerkannt,
Dein Geist will Felsentrümmer rein behauen,
Und Klarheit ward durch Dich in Stein gebannt!
Du gabst der Erde Thaten und Ideen,
Doch niemals ward Dein Boden Schwärmern hold,
Du hast Dich selbst als Wirklichkeit gesehen
Und Leib und Seele ganz und rein gewollt.
Die Nacht in Deiner Seele ist nicht finster,
Du kennst doch kaum ein mystisches Versteck,
Aus Deiner Öde blüht noch goldener Ginster
Und lacht und duftet über jeden Zweck.
Es ist Toskanas eingeborene Stimmung
In ihren Robbias eigentlich erwacht,
Sie schufen ringsum kalte Prachterglimmung
Und haben Märzbeginnen angefacht.
Die Engel, die durch blaues Wasser waten,
Wie man sie oft auf Wandmedaillen sieht,
Vermocht ich selber einstens zu errathen;
Es war, als still ein Arbeitstag verschied.
In goldener Wonne ruhten die Maremmen,
Und nirgends, nirgends, regte sich ein Wind:
Da nahte, zwischen eines Flusses Dämmen,
Auf einmal mir ein hehres Himmelskind.
Es mußte sicherlich durchs Wasser schreiten,
Es kam so langsam wie ein Riesenschwan,
Es schien die größte Stille zu verbreiten
Und hat dem Uferhain kein Leid gethan.
[272]
Es glühten seine Flügel durch Zypressen,
Die fühlten wohl sein Aureolenlicht,
Denn sie verneigten sich wie angemessen,
Und alle Dinge schienen wirklich schlicht.
Dann kam der Traum mir leider in die Nähe,
Ganz plötzlich hielt ich ihn für reinen Dunst,
Und da empfand die Seele arges Wehe,
Und es verließ sie wohl des Himmels Gunst.
Ein Schiff sollte den letzten Zauber rauben,
Denn als ein solches fuhr der Traum vorbei,
Doch was ich sehe brauch ich nicht zu glauben,
Ich und die Segel sind sich einerlei.
[Florenz, das ist ein kühner Frühlingstag]
Florenz, das ist ein kühner Frühlingstag,
Ich stoße überall auf heiteres Glück,
Wohin ich auch die Blicke wenden mag,
Es fallt in mich ein Eindruck stets zurück.
Die Sonne blendet heute überall,
Ich kann ihr wirklich kaum entgehn
Und wittere einen Seelenüberfall,
Will gar in mir ein Omen auferstehn?
Ich pralle abermals vor Glanz zurück.
Der Arno schien mir gerade ins Gesicht.
Ich gehe wiederum ein kleines Stück:
Und endlich wird es in mir selber Licht!
[273]
Erscheint vielleicht im Geist der weiße Christ,
Ist meine Seele wahr und keusch genug,
Legt seine Milde sich in meinen Zwist,
Da ich schon häufig heiter Leid ertrug?
Entstehe, bleicher Heiland, fern in mir:
Du blendest mich und bist dabei so weich.
Das ist mein Seelengrund: erfüll Dich hier!
Beherrsche mich, Du bist in Deinem Reich!
Wie eine Zelle sei mein stilles Herz,
Oh, geh in sie, wie in San Marco, ein,
Dort ist das Leid so weit von jedem Schmerz,
Oh könnt ich einsam, rein und einfach sein!
Maria ist die Reinheit in der Welt,
Die einzig Gottes Flammenwort empfangt,
Und wenn sie das in sich verborgen hält,
Hat sich der Herr in seinen Sohn versenkt.
Ihr Engel, Wanderer, Esel, Rind,
Erzählt Euch selbst, was Ihr bei der Geburt
Von unserm Gottgeschenkten Gnadenkind
In Eurer biedern Einfachheit erfuhrt.
Denn damals wurde Er in Euch bewußt,
Ihr wart voll Angst und deshalb floh er Euch,
Dann hielt der Nil ihn noch an seine Brust
Und wer ihn zeugte, folgt ihm mit Gekeuch!
Bei seiner Taufe ward ihm selber klar,
Daß er der Heilige der ganzen Welt
Und der Verkünder ihres Geistes war:
Der Jordan selber hat sich aufgewellt.
[274]
Oh Herr, jetzt steigst Du aus dem dunklen Grab.
Ob Dich dazu der Wächter Schlaf beschwingt?
Zwar trägst Du schon den holden Friedensstab,
Doch bist Du noch von Urvergessenen umringt.
Was Dir nicht nahen kann, bleibt immer da.
Verbunden sind Dir ewig Fuchtel, Pfahl.
Wo jemals eine Christenthat geschah,
War sie ein Sieg über den Stolz, die Qual!
Der Herr mit seinem Leibe ist nun fort.
Der Engel macht es seinen Jüngern klar:
Er lebt in uns. Er flammt aus Gottes Wort.
Er strahlt nun ewig in der Christenschaar.
Hier ist er nicht, im finstern Grabesloch,
Noch oben zwischen Sternen in der Nacht.
Doch leiblich ist er da. Erkennt ihn doch!
Oh geht ihm nach, versucht was er vollbracht!
Oh Christus, wär ich rein und weltenbleich,
Erfröre endlich jeder Erdensinn,
Erthaute ich in Deinem Himmelreich,
Wie bin ich schwach und sehn ich mich dahin!
Oh Gott, Dein Sohn erscheint im Frühlingshain.
Die Magdalena sieht ihn schwebend gehn.
Es ist kein Thau so klar, kein Schnee so rein,
Wie das Ereignis, das vor ihr geschehn.
In seinem Schweigen schläft bereits das Leid,
Er ist der Dinge allerdünnster Hauch,
Das Leben, das sich seinem Schöpfer weiht,
Der Trost und unser holder Wesensbrauch.
[275]
Als Gott mit uns bis in die Sünde fiel
Und in der Wesenheit unendlich blieb,
Enthüllte Er sich als das Himmelsziel
Und tilgte eifrig jeden Wuchertrieb.
Auf dem Erbarmen, das sein Sohn empfand,
Beruht nun auch des Vaters Gnadenthum,
Und in den Christen bleibt das Unterpfand
Von unseres Schöpfers Wirklichkeit und Ruhm.
So hat am Tabor Christus sich verklärt,
Berückend hell war die Astralgestalt,
Er ward das Ganze, das sich nie verwahrt
Und ewig sich in uns zusammenballt.
Es reichen seine Hände aus dem Ei
Des eigenen Wesens und zugleich der Welt,
Er ist der in sich selbst gekehrte Schrei,
Der jedes Wert im Nichts zusammenhält.
Erhoben und zerschmettert ist das Sein.
Die Jünger stürzen, oder wallen hehr,
Aus diesem Erdenleben voller Pein,
In Jesus Christus weites Gnadenmeer.
In Viele schwankt und wankt etwas zurück,
Doch Alle drängt des Geistes Majestät,
In tiefsten Seelenwinkeln glüht das Glück,
Auf dem Er noch in hehrer Pracht besteht.
Maria wird vom Sohne hold gekrönt.
Sie beugt sich keusch zu ihrem Heile vor.
In ihr sind Schöpfer und Geschöpf versöhnt.
Ekstatisch singt die Welt den Gnadenchor.
[276]
Angelico, in Dir erklingt er rein,
Wie nirgends sonst in Deinem Heimathland,
Du knüpfst von ganz Toskanas Frühlingshain
Zu Gott ein wunderbares Friedensband.
Florenz, es sprüht aus Deinem großen Ernst,
Ein heiteres Erdenlicht zu Gott empor,
Oft mein ich, daß Du Dich vom Leid entfernst,
Und Deine Seele wellt sich wie ein Flor.
Ein vollerfüllter Wunsch befreit zu sein,
Auf Gottes Sonnenstille zu beruhn,
Eine Idee, der sich die Engel weihn,
Entschuldigt da das untere Sein und Thun.
Oh, wie das jubelt und der Welt verzeiht!
Wie sich das Licht, wenn alles still ist, regt!
Wie sichs Verzückungsstunden hehr verleiht
Und rings die Erdgeschicke redlich wägt!
Ach, dieser Glanz ist außen wie in mir.
Die Sonne selbst hat Gott für sich gestellt.
Als Licht erwärmt Er Menschen, Flur und Thier,
Und ist der Sohn! Und wir sind Geist der Welt!
Oh Gott, Du krönst die Schöpfung, die Du liebst,
Wo ich auch irre, folgt mir Deine Luft,
In der Du Deine ganze Huld vergiebst:
Ich liebe Liebe, Wärme, Licht und Duft.
[277]
[Florenz, das sind die Erzstunden des Tages!]
Florenz, das sind die Erzstunden des Tages!
Jetzt sehe ich die Steingespenster kaum,
Doch zittert nun ein seeliges und vages
Erleben, aus den Bronzen in den Raum!
Es einen Feuer, Wasser, Schmelz und Härte,
Der Geist und die Materie sich im Erz,
Es ist ob Kupfer Lust in sich versperrte,
Und ungebändigt friert im Zinn der Schmerz.
Verocchios Reiter und nervöse Pferde,
Die Jünglinge, die hold die Sonne freit,
Sind dauernde Geständnisse der Erde,
Die fiebernd sich der Sonnenliebe weiht.
Aus Pollajuolos holden Knabenlippen
Erschäumt noch jetzt des Gusses Innergluth,
Des Sonnenlichtes Salamandersippen
Entschlürfen solchen Mündern Wollustblut.
Das Erz ist nackt. Es will sich sieghaft sonnen.
In Donatellos David ward es frei!
Es hat der kleine Leib entblößt gewonnen,
Er hielt allein die Fußbekleidung bei.
Die schien ihm schön! Ob er sie brauchen konnte?
Als Harnisch wird sie stets am Licht bestehn,
Und wie er seinen Körper lieblich sonnte,
Vermocht er es, sich fertig anzusehn.
Die Thiere des Bologna werden munter.
Es sucht ihr Blut im Erz die Sonne auf.
Ein Truthahn sträubt sich, balzt mitunter,
Und Echsenvolk vergoldet sich zu Hauf.
[278]
Des Baptisteriums grüne Wunderthüren,
Verkünden sich im Glanz, was einst geschehn,
Und ihre Thiere und Guirlanden spüren
Bestimmt in sich den Frühling übergehn.
Gestalten, die an Bronzepforten hungern,
Berührten oft mein wehmuthsvolles Herz,
Und Hunde, die längs warmen Mauern lungern,
Ersah ich schon und fand ich drum in Erz.
Es giebt auch ewigstarre Kupferpfaue,
Verschiedene Schildkrotpaare aus Metall,
Verzinkte Katzen lieben das Getraue
Vom großen, ganzen Mittagssonnenschwall.
Es ringeln Igel sich am Licht zusammen.
Ein Stieglitz pickt ein Sonnenbrosam auf.
Es streben Krebse aus gebrochenen Flammen,
Und Schlangen knüpfen einen Klopferknauf.
Als einst sich ein Flamingo her verirrte,
Bereitete ein Meister seinen Guß,
Und als er wiederum der Stadt entschwirrte,
Bestand er schon als Kunstentschluß!
Selbst jene erzexotischen Giraffen,
Die man den Medicis einst dargebracht,
Erschienen hier, sich dauernd umzuschaffen,
So daß man ihren Bau noch jetzt belacht.
Auf einem Thurme seh ich Störche hocken,
Auch brütet über uns der Mittagsball,
Es läuten sonngebräunte Männer Glocken
Und so erklingt und wirbelt rings Metall.
[279]
Des Knaben Tag vertiefter Mittagsnabel
Bestärkt um sich die ganze Lichtfigur,
Und Jovis Adler raubt mit scharfem Schnabel
Und hellen Krallen seine Kreatur.
Die Glockentöne geben ihr Gestaltung,
Nun sehe ich das Sonnenthier genau,
Auch Ganymed erscheint mit schlanker Haltung
Und schwebt im Erzlicht auf der FrühlingsAu.
Es schlafen Ziegen müde auf den Feldern,
Es hat die warme Luft sie übermannt,
Die Wälder füllen sich mit Brunstvermeldern,
Dort tanzt ein Greis, priapisch angespannt!
Florenz, das sind die Erzstunden des Tages,
Des Mittags urentscheidender Moment,
Die Schicksalsmacht jedes Vernichtungsschlages,
Der Schöpfungssturz, in dem sich Gott erkennt!
Der Augenblick, in dem bereits das Messer
Von Abraham des Sohnes Hals berührt,
Und da der Engel rufend einfällt: »Besser
Als Jakob, das geliebte Kind, gebürt
Es sich, für Jahwe einen reinen Bock zu schlachten!
Oh sieh, da Du das Feuer angefacht,
Begann Dich scheu ein Widder zu betrachten!«
Und Brunelleschi hat das Werk vollbracht.
So strahlt der Durchblick, wenn sich Kinderseelen
Entscheiden Knabe oder Maid zu sein,
Wie andere unbewußt sich nur erwählen,
Als Idolino allem sich zu weihn.
[280]
[Florenz, am Himmel stehen weiße Lilien]
Florenz, am Himmel stehen weiße Lilien
Und strömen Pollengold zu Gott empor,
Es schlingen Bäche sich wie Lichtreptilien
Durch manches burggekrönte Felsenthor.
Der Arno breitet sich im Sonnenscheine
Still zwischen Hainen und Palästen aus,
Wohl übergolden sich bereits die Steine,
Doch schweigt noch lange nicht der Tagesbraus.
Ich sehe Bauern jetzt, auf schlanken Booten,
Stromauf und abwärts ihrer Hauptstadt nahn.
Was für ein Schaustück wird mir nun geboten?
Nur Blüthen duften, glühn aus jedem Kahn.
Es wallen Züge über hohe Brücken,
Jahrhunderte erwehn in diesem Traum,
Ich sehe Häuser sich mit Flieder schmücken
Und Nenupharen gleicht des Flusses Schaum.
Zur alten Hochburg folge ich der Menge,
Denn dorthin rankt sich jeder Blüthenkranz,
Und eine Rosenschlange sonder Länge
Umfaßt bereits die Häusersäume ganz.
Am Platze gleißt ein Riesenscheiterhaufen,
Es höhnen, lachen Schemen wild empor,
Die Henker harren. Ihre Knechte laufen.
Drei Mönche schreiten aus dem Kerkerthor.
Doch eigen! Bauern legen weiter Blüthen
Auf alle Stapfen ihrer Heimathschmach,
Es ist, als ob sie traumhaft sich bemühten,
Zu tilgen, was dereinst Florenz verbrach!
[281]
Savonarola schreitet stumm zum Galgen
Und denkt sich, über sich, zu Gott zurück,
Im Umkreis aber sieht er Spuk sich balgen,
Denn Jeder hascht vom Schauspiel blos ein Stück.
Es weiß der Mönch jetzt nichts mehr vom Gefängnis,
Die Marter im Bargello war so arg!
Wogegen jenes Thurmes Schreckensengniß
Beinahe holde Einsamkeiten barg.
Nun zwitschern Vögel um die Seufzerkreise,
Die dort des Heilands Liebling tief erwühlt,
Sie schluchzen laut und jubeln schließlich leise,
Denn Schmerzen werden fast durch Schmerz gekühlt.
Die Bauern bringen immer noch Guirlanden
Und schmücken wunderbar den ganzen Platz,
Ich sehe weiter neue Barken landen:
So flechtet fort, Toskana birgt Ersatz!
Savonarolas Martern waren schrecklich,
Wie stieß das Erz in seine Weichen ein,
Es hieß: »Ist Deine Reue unerwecklich,
So sollst Du fort und fort gefoltert sein!«
Er hörte sich, vielleicht auch Andere schreien,
Die Erzgesetze, die er einsam floh,
Begannen Henkern Rachekraft zu leihen,
Die Not zu leben wurde ringsum roh.
Es kitzelte, erhitzte diese Knaben,
Des armen Mönches Peiniger zu sein,
Vor ihm verkupferten sich plötzlich Raben
Und pickten in sein wundes Fleisch hinein.
[282]
Ein Truthahn wühlte sich aus seinem Bauche
Unweigerlich, entsetzlich geil empor,
Er gluckste wie ein Darm und sein Gepfauche
Ging unter Messern selbst in Erz hervor.
Nun denkt der Mönch an seine Zelle,
In der sich Christus hold zu ihm geneigt,
Hat doch die Fluth der inneren Wesensquelle
Ihm stets den Sieg über das Leid gezeigt.
Die Bauern bringen weiter Rosen und Narzissen,
In Barken und auf Karren weit herbei,
Der Mönch kann sie nicht sehen, doch ahnen, wissen,
Daß er ein Keim im neuen Lenze sei!
Jetzt fressen fast wie Kupferkrebse Flammen
Sich in des armen Mannes Nacktheit ein,
Sie müssen wohl aus den Bargello stammen,
Ja, dorther kommen sie in langen Reihn!
Doch wird die Zelle von San Marco weiter,
Der Heiland dämmert in ihr Inneres ein,
Wie herrlich strahlt die hehre Himmelsleiter,
Die Gnade kann ihm Leichtigkeit verleihn.
Die Hähne aus Metall verschwinden krähend,
Der Tag und seine Kraft vergeht in Nichts.
Zurück Astralwelt! dieser Geist wird sehend
Und überblickt sich jenseits des Gerichts!
Der Duft der Tugenden kann ihn umarmen,
Es heben seine Engel ihn zum Heil,
Wie ruhevoll wird er in Gott erwarmen,
Er weiß es tief: sein Weg war gar nicht steil!
[283]
Es ist der Scheiterhaufen jäh verschwunden,
Der Platz wird aber weiter ausgeschmückt,
Die Thürme sind durch Kränze weit verbunden,
Die Feindlichkeiten scheinen überbrückt.
Es streuen zarte Kinderhände Rosen,
In denen Wangenroth auf Schnee erglüht;
Ich fühle rings, wie sich Gerüche kosen,
Wie sich ein Duftgewind zu werden müht.
Die volle Pracht der ernsten Loggiabögen,
Die dreimal ihren Schwung bestätigt hat,
Das Merkmal ewig stummer Sprackvermögen,
Bleibt einzig ungeschmückt, erstarrt und glatt.
Doch kann jetzt Perseus hier sein Erz beleben,
Noch wirkt er stolz in grüner Ruhe fort.
Es siegt der Geist, was soll die Welt daneben,
Er ist das wieder stumm gewordene Wort!
Er mag das abgeschlagene Haupt nicht zeigen,
Er wägt es nur und findet es nicht schwer,
Und doch; ihm ward ein großer Sieg zu eigen,
Denn in sich selber würdigt er sich hehr.
Am Arno seh ich weiter Blumen landen,
Sie wellen Düfte um Fiorenzas Brust,
Die Vögel schlingen rings Gesangsguirlanden,
Und alles duftet, jubelt, schluchzt vor Lust!
[284]
[Es ruft mein Weib: Du darfst im Singen nicht ermatten]
Es ruft mein Weib: »Du darfst im Singen nicht ermatten,
Es hat Florenz die jungen Werthe angefacht,
Und Mancher darf sich hier ein Heimathlied gestatten!
Oh sieh das Paradies, das aus Toskana lacht!
So blieb der Grund von uns, so muß es ringsum werden,
Im Genius ist schon oft ein Traum davon erwacht.
Einst wird es wieder tiefer Nordlichttag auf Erden,
Die Gluth, die auf den Hügeln in die Reben knistert,
Beginnt sich plötzlich urrebellisch zu gebärden.
Der Wind, der schlangenkalt vom Paradiese flüstert,
Verbreitet leicht und hurtig unsere Sehnsuchtsmähren.
Wie gerne werden Elemente jung verschwistert!«
Da fall ich ein: »Die Urgefallenen begehren,
Am mächtigsten durch das Genie, das sie uns spenden,
Aus ihrer Weiblichkeit zur Macht zurückzukehren.«
Da ruft mein Weib: »Aus unserer Erdenmutter Lenden
Ging einst ihr Hoffnungssohn, der holde Mond, hervor,
Und damals wollte alles sich zum Vollen wenden.
Das Leben schlang der Goldepocken Märchenchor,
Das Lamm war wirklich mit dem Löwen traut verbrüdert,
Und Mondbewohner sorgten für die Nothdurft vor.
Wir alle waren wieder engelsgleich befiedert
Und schlürften Thau als unsern frischen Morgentrank,
Denn unser Seelenfriede wurde rings erwidert!«
Ich falle ein: »Es ward der Mond auf einmal krank,
Da siechten auch die Wesen dieser Erde hin,
Dann starb er ab und allen uns ward todtenbang!«
[285]
Nun ruft mein Weib; »Das Dasein birgt den gleichen Sinn,
Toskana ist als letztes Paradies geblieben,
Aus seinem Boden schöpft die Zukunft noch Gewinn.
Das Urlicht will aus seinen Lieblingskindern sieben,
Der Mond entringt sie seiner Mutter fort und fort,
Ein Zweiter kommt in uns und strahlt in Seelentrieben.
Wenn auch Toskanas Erdenparadies verdorrt,
Wird doch gereiftes Innergold Triumphe feiern,
Schon wogt der Mond in uns, Heil unserm Seelenhort!«
Die letzte Heimath kann sich plötzlich mir entschleiern,
Sibiriens Gletscher sind mit Gnadenglast besprengt,
Es singen Kinder, Greise spielen noch auf Leiern.
Der todte Mond ist durch das ewige Licht verhängt,
Der Norden strahlt sein Blut in Welt und Seelenfernen,
Im Menschen hat die Freiheit sich der Brunst entengt.
Du ahnst den Ineinandersturz von Rassenkernen,
Die goldenen und die weißen Völker sind versöhnt
Und spenden ihres Wesens Heimlichkeit den Sternen:
Durch Geistesjugend wird das graue Land verschönt!
[Die Windesschlangen lispeln schadenfroh von Eden]

Die Windesschlangen lispeln schadenfroh von Eden

[Rand: Botticelli]

Und fiebern goldig dort durch einen Lorbeerhain,

Es will der Abend mit den Blattern freundlich reden

Und Dämmer zieht in die verborgenen Seelen ein.

[286]
Am Arno wandeln junge, mythische Figuren,
Ihr Frühling fühlt sich ungeschwächt zur Ruhe gehn,
Ich sah sie oft mit Sonnenuntergangskonturen,
Als Rätsel still erstehn und bald darauf verwehn.
Oft schienen sie, in Thau gehüllt, sich kaum zu wiegen
Und stumm zu weinen, weil ihr Perlenschmuck zergeht,
Sich aneinander schlank und schmerzensbang zu schmiegen
Und hold zu horchen, ob ihr Schicksal sich verräth.
Es blicken Augen, die den ganzen Tag erschauten,
Durch edle Lust vergeistigt, in den frühen Tod,
Und blasse Leiber, die der Tagespracht vertrauten,
Sind urerborgt von goldenem Abendroth umloht.
Die Sorgenbilder eigener Jugend werden schwinden,
Wohl sind sie noch ein Traum, doch sehe ich sie kaum,
Vielleicht kann ich auf einmal sie nicht wiederfinden,
Doch perlt und schimmert jetzt des Flusses Muschelschaum.
Auch in mir selbst ist vieles Schöne schon erstorben,
Und Schnörkel, Schnecken seh ich Abends rings umher,
Wie wenig habe ich bisher im Leid erworben,
Und was mich freut, wird schließlich wieder inhaltsleer.
Nun sind sie weg. Ich wußte es. Die Dunstgestalten,
Die Frühlingsfreuden haben keinen eigenen Halt.
Nun heißt es, Hoffnungen von trüben Dingen spalten,
Der Geist glüht fort und viele Formen werden alt.
Mein Gott, ich habe mich vom Jubel abgewendet
Und horche fort und fort und immer ohne Grund:
Wozu wird meine arme Seele wild verwendet?
Ich lausche auf, doch nirgends ruft ein Wundermund!
[287]
[Es blickt der Mond schon skeptisch auf die Dinge nieder]

Es blickt der Mond schon skeptisch auf die Dinge nieder.

[Rand: Ambrogio Lorenzelli]

»Er fühlt sich«, sagt mein Weib: »als ganzes Element,

Es regen Thierbeginne ihre Ringelglieder,

Erwirbeln sich und werden wieder rings getrennt.

Den Sternen gleich, die ängstlich durch die Dämmerung spähen,
Ob alle Fremderscheinungen bereits verwehn,
Beginnen viele Silberwische zu entstehen,
Um wieder hurtig zwischen Strudeln zu vergehn.
Es macht der Mond im Fluße Quecksilberversuche
Zu einer geilen, jugendhaften Wirkungswelt,
Es spüren Hunde vieles schon vom Brunstgeruche,
Oh hör, wies von Gehöften fern herübergellt!«
»Die Ölbäume, die dunkle Fluren übersilbern,
Verstecken,« sag ich: »manchen grauen Aufenthalt
Von kindischen Geheimnißweltentsilbern,
Die immer wispeln, was nicht mehr zu Ohren hallt!
Oh sieh, dort wird ein müder Esel heimgetrieben,
Wie eigentümlich er vom Fluß gespiegelt wird!
Man stößt und zerrt ihn, sag, wo ist der Herr geblieben?
Hat er, oder das Thier sich hier, vor mir verirrt?«
»Oh lache, lalle nicht, so angstvoll ernste Sachen,
Du magst,« sagt mir das Weib: »Kentauern sehn,
Erfahre Deine furchtbar urempfundenen Drachen,
Doch wehe Dir, wenn je wir auseinandergehn.
Du bist ein Kind und trinkst die Milch von meinen Brüsten,
Du thust so dumpf, weil Dich nach weiterer Lust verlangt,
Genügt kein Liebesglück, kein Weib, Deinen Gelüsten?
Bist Du vielleicht an eitel Übermacht erkrankt?«
[288]
[Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen]

Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,

[Rand: Paolo Uccello]

Er sei von Silberkatarakten überschwemmt,

Allein die Arche Noahs soll noch fort bestehen,

Man hämmere, zimmere sie, geheim und ungehemmt!

Es kommen alle Vögel langsam angeflogen
Und bauen sich in ihrer Rettungsburg ein Nest,
Auch andere Thiere fühlen sich herbeigezogen
Und kommen selber, Paar an Paar gepreßt!
Im Mondenscheine lagern aber noch Geschlechter,
Auf die das Silberlicht sein Todtenlinnen senkt,
Was helfen da die schwerbehelmten Uferwächter,
Da hoch der Mond das Sterben über sie verhängt!
Kameele kommen mit fast menschlichen Gesichtern
Aus großen Wüstenfernen schwerbeladen heim,
Vom Sonnentag verführt, begleitet von den Richtern,
Den Sternen, wittern sie des Mondes Todeskeim.
Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,
Schon stehen nun Figuren wie Gespenster da,
Und überall, wo Nachts die Silberwinde wehen,
Erfriert, erstirbt beinah, was je am Tag geschah.
Im schwachen Schatten freundlicher Olivenbäume
Verschlafen Schafe rings das stille Mondesgraun,
Sie sind wie todt, denn schon verlassen sie die Träume,
Um brünstig sich in Fremdnaturen zu erschaun.
Dort gehen sterbliche Gestalten eben jagen,
Ihr Hund beschnüffelt jeden Mondesschattensaum,
Im Grünen hör ich viele kleine Stimmen klagen,
Den Tod der Eltern fühlen sie vielleicht im Traum.
[289]
Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,
Ich nehme die Idee von jedem Thier zu mir,
Ein stilles Leben will ich tief fürs Thier erstehen,
Denn wirklich ist das Thier und sterblich einzig hier.
[Erkenne Dich in Deinen gelben Seelenhallen]

»Erkenne Dich in Deinen gelben Seelenhallen,

[Rand: Giotto]

In denen Du den Sonnenmythus tief erlebst:

Ersehnst Du Wesen, die in Dich herüberwallen,

Ersteht ein stilles Traumbild, daß Du ganz erbebst!«

Hat das mein Weib gesagt? Ich seh es an und träume.
»Fürwahr, in unserer Arche ruht die Schöpfung aus,
Wie groß ist doch der Grund, wie wenig jene Schäume!
Wie rasch!« sagt laut die Frau: »erschöpft sich aller Graus!
Durchlebe es, wie junge Menschen Früchte pflücken,
Wie gerne giebt sich, lockt uns fast das reife Obst,
Es freuen Blüthen sich, ein blondes Haupt zu schmücken,
Denn alles bringt sich dar und wird, wo Du es lobst!«

»Wir müssen uns durch innere Willensthiere dienen

[Rand: Simone Martini]

Und werden erst durch unsere Lieblingslämmer Wir,

Wir brauchen Wölfe mit verwegenen Räubermienen

Und brave Hunde für des Geistes Jagdrevier!

Wir wollen stets ein selbstgewähltes Lamm beschützen
Und drum verketzern wir, was ihm zuwider ist,
Doch«, frage ich, »wozu solch einen Zwist benützen,
Blos um zu wissen, wie man schließlich sich vergißt?«
[290]
»Das Lamm ist da, es ist gestorben und erstanden,
Doch Schemen deuchten Hunde mich und Wolfsgezücht,
Der Leu, der Stier, der Aar, die sich dem Lamm verbanden,
Sind«, sagt mein Weib: »ein Element und Urgericht!
Des Geistes Schönheit dünkt mich auch im Grund erhaben,
Ich sehe Dichter fromm zu edlen Frauen gehen,
Die Pracht des Weibes, ganz, sammt seinen Nacktheitsgaben,
Im Marmor als ein Dom der lieben Frau erstehen!«

»Merkst Du denn nicht, wie bange ich im Mondlicht fische,

[Rand: Taddeo Gaddi]

Der Stier, die große Macht, ist schon seit langem todt,

Das Lamm verglüht, jetzt schickt der Geist uns seine Frische,

Ich Armer warte fiebernd vor der Seelennoth!

Ich senke meine Angel in die Meerestiefe
Und sehe keinen Sturm, der meinen Gott bedroht,
Was könnte ich, wenn ich ihn auch aus seinem Schlummer riefe,
Ich fische eigenmächtig,« ruf ich: »Mein Gebot!
Im Geistermeer wird bald der Fische Fürst erscheinen,
Der überstrahlt und klärt dereinst was wild verbraust –
Ich fische fort, verschwende meine langen, langen Leinen:
Wie finster ringsum alles hadert und sich zaust!«

Was man auch will, den Willen wird man doch verketzern!

[Rand: Thomas von Aquino]

Denn blos in großen Grundideen kennt sich Gott.

Oft ist ein Mensch, der sich besinnt, zu voll von Schwätzern,

Und leer an Glauben, Ehrfurcht, Adelskraft und Spott.

Urplötzlich fühl ich mich in Gottes Hand und Nähe,
Und es verklärt sich wundereinfach die Vernunft:
Wie prachtvoll ich die Welt im Geist verankert sehe,
Es folgt die Gnade tief in alle Niederkunft!
[291]
Wozu den hehren Kirchenbau bewußt zerstören,
Wozu ihn stützen, falls der Geist ihn schon verließ?
Erlernen wir, statt auszuforschen, jetzt das Hören,
Wer weiß, wie oft das Neue Reich sich schon erwies!
Es sind die Sprachen Flammenvögel, die in Rassen,
Die sie erst selber schaffen, ihre Nester bauen,
Aus mancher kann das »Feuerwort« sich jung entraffen,
In allen schläfts: aus welcher wird es grauen?
Ich horche lange schon, vielleicht schon manches Leben:
Zu jedem Kinde beug ich mich voll Glauben hin,
Was sprüht aus jedem Blick, wer soll die Welt erheben?
Wie furchtbar tief ist jeder Waise Wesenssinn!

Im hellen Seelenscheine sehe ich mich selber,

[Rand: Taddeo Gaddi]

Seit Ewigkeit auf meinem eigenen Kreuzweg gehn,

Ich irre durch das Zweifeln ab, die Welt wird gelber,

Ich sterbe, lebe auf und ab, und muß bestehn!

Oh heilige Verachtung, großer Spott des Geistes,
Der alles urerwogen dennoch tragen kann,
Dein Wesen ist zu streng, denn sieh, mein Herz zerreißt es:
Gesteh, entkomme ich durch Ehrfurcht Deinem Bann?
Hinweg, Du großes Licht, ich will vor Dir vergehen,
Ich fasse nicht die Majestät von Deinem Leib,
Ich fliehe Dich, um stets in Dich zurückzuwehen,
Ich zweifle, fluche, und bin doch zu sein bereit!
Gefühle, die den Geist mit Schmerz geboren haben,
Verstummen und zerwühlen sich vor ihrem Sohn,
Das ganze Leid ist kalt, da kann uns niemand laben,
Oh, welcher Hohn durchdonnert die Passion!
[292]
Es kann kein Mensch mehr muthig seine Pflicht verrichten,
Wer weiß, ob seine Meinungen auf Gottes Wort
Nicht immer noch verzichten, ja es gar vernichten:
Wie oft warf ich wohl selbst mein hehrstes Gut schon fort?
Ich treibe um die schalsten Nichtigkeiten Schacher,
In meinen Frieden schleicht sich der Verrath,
Stets finden die Entschlüsse Zufallswidersacher,
Ich klimme, ringe! – Ob mir je die Gnade naht?
Ich sehe mich im Herzenslichte stets nur selber,
Seit Ewigkeit, auf meinem eigenen Kreuzweg gehn,
Ich zweifle immer noch, die Welt wird langsam gelber,
Ich sterbe immer und kann nimmer auferstehn!
[Florenz, wie herrlich ragen Deine Burgenthürme]

Florenz, wie herrlich ragen Deine Burgenthürme,

Toskanas Gluth wölbt Deine Kuppeln stolz empor:

[Rand: Masaccio]

Im hohen Dom vertoben erst die Erdenstürme,

Und oben lobt Dich still der Sterne Engelschor.

Wir wollen alle wieder schlicht und einsam werden,
Wie das die starke Herzensgluth in uns verlangt,
Die sagt: So wird es einst und war es schon auf Erden!
Ja wie? Nun so, wie unserm Herzen darnach bangt!
Wir haben schon den allerwunderbarsten Glauben,
Er macht uns unermeßlich frei und willensstark,
Es kann ein Kind sich Gottes Heim zu sein erlauben,
Und in so manchem Wesen ist kein Trug und Arg.
Ja, blicke ich in Kinderaugen oder Sterne,
So denk ich, Gott, wie viel Du uns noch sagen wirst!
Ich bin in Dir und Du in meinem Wesenskerne,
Oh Mensch, verzage nicht, selbst wenn Du stirbst und irrst!
[293]
Florenz, die Muttergottes weilt in Deinen Mauern,
Wie hehr die Erde sich in Dir erhoben hat!
Es kann ihr Hohelied in Deinen Stätten dauern,
Ich lobe Dich, oh lichtverlobte Marmorstadt!
Dein Dom ist hoch, doch über ihm, da sind die Sterne,
Und so viel weiter wird noch unser Glauben sein,
Doch in der Ewigkeit vergeht auch jene Ferne,
Es mag mir Gott kein Fassen, sondern Macht verleihn!

Oh Muttergottes, jenseits Deiner Herzensnähe [Rand: Die heilige Anna] Erdämmert eine Mutter, die wir nie erkannt. Befragt mich nicht, da ich sie unwahrnehmbar sehe, Doch weiß ich mich von ihrer Heimlichkeit gebannt.

[Florenz, wie selbstverständlich still sind die Paläste]

Florenz, wie selbstverständlich still sind die Paläste,

[Rand: Leon Battista Alberti]

Vor denen einstens große Fackeln grell geloht –

Die Feste sind vorbei, nur selten seh ich Gäste,

Und nirgends zeigt sich mehr ein stolzer Schloßdespot.

In engen Gassen stehen sie mit Mondlichtsäumen,
Die grünen Fensterläden sind hermetisch zu,
Du glaubst es kaum, daß noch dahinter Seelen träumen,
Denn alles schweigt in runzeldumpfer, dunkler Ruh.
Ich aber sehne mich nach Todtenmonumenten,
Wo Mann und Weib am eigenen Sarg gelacht,
Dort haben sie, bevor sie sich für immer trennten,
Noch einmal, buhlend, Liebesfieber angefacht.
Wo Wollustwucht zu ganzen Machtgenerationen
In einem Augenblicke sich verschwendet hat,
[294]
In heiteren Rustikagebäuden wollt ich wohnen
Und träumt ich gern den Jubeltraum der eigenen Stadt!
Wo bist Du, großer Geist, der alles leisten konnte,
Der akrobatenhaft die Menge unterhielt,
Der Launen meisterhaft als Wirklichkeiten sonnte
Und der mit Weltproblemen wunderbar gespielt?
Die Formen scheinen vor dem Geiste zu verschrumpfen,
Florenz, ich kann und will nicht mehr zu Dir zurück,
Zyklopisch gilt es jetzt sich selbst zu übertrumpfen,
Denn blos in den Geschicksgewittern blitzt das Glück!
Florenz, ich habe mich an Dir emporgesungen
Und jetzt durchwandle ich Dich abermals als Kind,
Ich klopfte an Dein Erz, es hat mir hold geklungen:
Wie sind mir Wind und Dinge hier doch wohlgesinnt!
[Der geile Brunnen mit den steilen Wasserwürfen]

Der geile Brunnen mit den steilen Wasserwürfen,

[Rand: Bartolomeo Ammanati]

Der zwischen Thürmen sich nach Eigenhöhe sehnt,

Mit seinen Erzfiguren, die nackt Austern schlürfen,

Erscheint mir jetzt einer versunkenen Welt entlehnt.

Wie kalt belauscht Neptun das Plätschern von Tritonen,
Wie freut ihn noch der Gischt, der seine Schenkel kühlt,
Er bleibt auch hier ein Stück der immerstillen Zonen,
Wo Nasses Kaltes durch sich selber fiebern fühlt.
Die Nymphen, mit den vielen Fingern, krauen
Der schlüpfrigen Delphine gleißendes Geschupp,
Und heitere Faune aus den schwülen NachbarAuen,
Umlungern nun bereits den Quell als munterer Trupp.
[295]
Der kleinste Faun, der Schalk des muntern Rudels,
Hat eine Fratze wie ein Truthahn, wenn er balzt,
Und schielt nach einem Bengel, der im Schwall des Sprudels
Mit starken Erzgliedern ein Wasserwunder halst.
Dir, Nereus, legt in Deine alten Kupfermuscheln
Das Mondlicht Perlen, die es Wasserschemen weiht,
Die zieren sich damit, und wenn sie wichtig tuscheln,
Bezeigt der ganze Quell ihre Zufriedenheit.
Es stürzt der Gischt in lauter losen Silbersträhnen
Ganz schleierähnlich über manche Erzfigur,
Die seh ich sich an alle Möglichkeiten lehnen
Und juble plötzlich wie die Fluch in die Natur!
[Ich habe einst Giganten langsam wandeln sehen]

Ich habe einst Giganten langsam wandeln sehen

[Rand: Andrea del Castagno]

Und nun vergesse ich das Schauspiel nimmermehr,

Dann konnten sie auf einmal nicht mehr auferstehen

Und ich war froh, denn sie bedrückten mich zu sehr.

Nun dachte ich an lauter frische, grüne Dinge
Und pflückte Manches, das sich mir verschwiegen bot,
Ich wußte wohl, wie jeder Übermuth verginge,
Und dennoch floh ich jede große Lebensnoth.
Doch plötzlich sind sie wiederum vor mir entstanden
Und haben schrecklich sich der Kleinlichkeit entreckt,
Es sind das Königinnen, Fürsten wilder Banden,
Ein Tisch, den man für Weltgewissen fromm gedeckt.
Ihr Riesen dürft mich aber nimmermehr bezwingen,
Zwar seid Ihr größer als der allerhöchste Thurm,
[296]
Doch will ich gegen alle Hindernisse ringen,
Es braust in mir ein Sturm, es wühlt in mir ein Wurm!
Ich höre in mir selber eine Hölle heulen,
Weg von der Erde, Ihr Titanen dieser Stadt!
Es packt der Geist die Thürme, schwingt sie stark wie Keulen,
Jetzt findet eine Schlacht, vielleicht im Jenseits, statt!
Es lacht ein Riese, lacht ein grünes Runzellachen.
Das kann der Wille. Wächst er doch durch ihn empor!
Erscheint mir Pan? Kann der durch meine Wuth erwachen?
Ich wälze Felsen und jetzt lacht ein Echochor.
Es bleibt kein Thurm. Ob ich denn nicht zum Kampfe tauge?
Der Dom allein ist übrig. Darf ich ihm nicht nahn?
Der Riese wächst. Der Mond ist sein Zyklopenauge.
Der Dom beharrt. Er wankt durch keinen Größenwahn!
[Herz, mein Herz, sei wieder demuthvoll und offen]

Herz, mein Herz, sei wieder demuthvoll und offen

[Rand: Der heilige / Franz von Assisi]

Und komme Dir und andern Feinden gütig bei,

Du darfst und sollst noch mehr als ein Florenz erhoffen,

Doch manche Dich zuerst von Wuth und Dünkel frei!

Der Dom des Herrn ragt immer noch in holder Bleiche
In diese sternenhelle Perlennacht empor,
Doch scheint er mir bereits wie eine reiche Leiche,
Mit einem mondgewirkten Riesentodtenflor.
Behutsam, meine Seele, denn Du wirst nun siegen!
Erblick im Sterben Leben und Du bist befreit!
Oh, wie die schweren Dinge fürchterlich erliegen,
Sie weichen schon und zwischen uns bleibt unser Leid!
[297]
Oh, unsere vielen Willensthiere sind vergänglich,
Wie sehn sie uns aus ihrem Dämmer blutig an,
Mein Herz, so zeige Dich für alles Leid empfänglich,
Oh, liebe sie und ziehe sie in Deinen Bann!
Dem Dome selber gleichen seine tausend Tauben,
Die sind wie er so grau, so blau und fernenroth,
Nun ruhen und gurren sie in meinen Felsenlauben
Und nisten zwischen Seelen, Schnee und Todesnoth!
Oh Gott, jetzt bin ich wirklich schwindellos erhoben,
Der monderhellte Dom verbleicht in meiner Nacht,
Ich stehe fest und möchte dennoch fort nach oben,
Oh Gott, wozu verleihst Du mir so hehre Macht?
Empor, empor, empor zu Gottes mildem Frieden!
Die Völker liegen unter mir in stiller Ruh!
Ich suche Gott und bleibe dennoch ganz hienieden.
Ich herrsche, folge, und wer früge noch: Wozu?
[Ich wandle nun, als urbesorgter Mensch und Dichter]

Ich wandle nun, als urbesorgter Mensch und Dichter,

[Rand: Domenico di Michelino]

Als Riese, unerreichbar hoch, über Florenz,

In meiner Hand ist alles, selbst die Himmelslichter,

Ihr Grund gewährts und mein Beschluß erkennts!

Ich wirke selber liebreich zum Bestand der Dinge:
Du einzige Möglichkeit der Möglichkeiten sei!
Durchglüht uns hold, Ihr wundergleichen Schöpfungsringe
Und macht die Sonne reich und unsere Seelen frei!
Du, Sirius, grüßt uns brüderlich durch alle Schleier,
Die still vom Monde niederperlend uns umgraun,
[298]
Ich danke und ich melde Dir, die Welt wird freier:
Nur das ist wahr, daß wir uns einst in Gott erschaun!
Wie treu Ihr blickt und blinkt, Ihr traurigen Planeten,
Ihr habt noch ein Geschick und tragt es muthig fort!
Ich grüße Euch, wir wollen heiter sein und beten,
Wir alle wälzen uns um Gottes holdes Wort.
Du müde Stadt, Du Blüthenfrühling mir zu Füßen,
Oh ruht und träumt, entweht Euch, duftet in die Nacht:
Das was Ihr seid, nicht scheinen müßt, will ich begrüßen,
Oh glaubt, was Ihr nicht glaubt! Ihr seid voll Werth und Pracht:
Was Ihr verdeckt, verachtet, höre ich verstummen.
Des Friedens, den Ihr träumt, entsinnt Ihr Euch nicht mehr?
Ihr seht die heitere Pflicht gespenstig sich vermummen,
Doch die ist Euer Tag, so hehr und klar wie er.
Florenz, hoch über Deinen Thürmen schwebt die Seele,
Die blos in Dir für alle Ewigkeit erwacht,
Dafür erhältst Du auch die schönsten Mondjuwele,
Denn Deine Marmorpracht verherrlicht noch die Nacht!
[Die Gnade will, daß wir die argen Dinge hassen]

Die Gnade will, daß wir die argen Dinge hassen.

[Rand: Die heilige / Katharina von Siena]

Der Brand entsteht, damit das kalte Licht besteh!

Der Friede kommt, damit wir uns zusammenraffen,

Der Engel aber, der uns liebt, birgt Krieg und Weh!

Es soll auf Erden Lenz und langer Frieden werden,
Doch wehe jedem Volke das die Rast erstrebt,
Drum liebt und tragt für Euer Vaterland Beschwerden:
Denn Gott verläßt den Menschen, der am Eigenen klebt!
[299]
Ihr dürft die Häuser, Tempel jeden Lenz bekränzen,
Doch sorgt dafür, daß stets im Herzen Feuer sei,
Bekriegt Euch selbst und brandschatzt jenseits aller Grenzen,
Macht Eure Seelenkluft von Lieblingsplätzen frei.
Erforscht die Bösen, helft Gesunden, tränkt die Feigen
Und seid entmenschlicht, wenn Ihr mit Euch selber ringt:
Ihr sollt der Welt ein thränenloses Auge zeigen,
Erscheint ihr stark, selbst wenn Ihr tief in Ohnmacht sinkt!
Seid Raubthiere mit gräßlich scharfen Daseinskrallen,
Doch wählt die Beute und verzehrt sie still und fern,
Laßt nie ein Stück davon zurück zur Erde fallen,
Denn was Verbote scheut, meint abermals den Herrn.
Das Wort in uns beflügle Euch zu Heldenthaten!
Seid wie ein wandelnder bereiter Festungsthurm,
Wenn Noth es heischt, so dürft Ihr selbst zum Kriege rathen,
Doch wehe Euch, folgt dann kein Frühling auf den Sturm.
Das Wort in uns befreie Euch von aller Stärke,
Verankert demuthsvoll das eigene Volk im Herrn,
Denkt niemandem zu helfen, bleibt beim eigenen Werke,
Und wirkt dadurch so unerschöpflich wie ein Stern.
[Florenz, es kämpfen Riesenwolken mit dem Äther]

Florenz, es kämpfen Riesenwolken mit dem Äther,

[Rand: Filippo Brunelleschi]

Noch sind sie haltlos über Fluren hingestreckt,

Doch heller, windgeblähter, lauern rings Verräther,

Am Marmor haben Schatten jäh emporgeleckt!

Jetzt stapeln Wolkenbrocken plötzlich sich zu Treppen
Und schließlich gar zu einer Riesenkuppel auf,
[300]
Das ist ein Schwebebau mit lichten Silberschleppen,
Und stets zerschlitzt ihn noch der Mond auf seinem Lauf.
Schon hat das Ganze Ton und Glanz von roher Seide
Und scheint beinah ein faltenloser Baldachin,
Jetzt wetterleuchtet es, und lauter Mondgeschmeide
Beginnen diesen Nachtpalast zu überziehn!
Ich sehe Heiden stolz sich wie daheim benehmen
Und Riesenalabasterkaryathiden stehn
Mit ganz unsagbar echten Perlendiademen
Jetzt rings als Träger stummer Wunder, die geschehn.
Doch herrscht der Mond noch immer hold in diesen Hallen.
Es steigen seine Silberreiher wieder auf,
Ich sah sie ja am Dom empor und niederwallen,
Und plötzlich überschwärmen sie den Bau zu Hauf.
Nun ruft es stumm in mir: die Kuppel ist gelungen,
Und nur der Geist, kein Bauwerk wird je weitergehn,
Die Marmorthürme hat die Zukunftsfluth verschlungen,
Nun heißt es in der Seele einen Dom erspähn!
Der Giottothurm erglüht in seltenem Eigengolde,
Wie sonst es sich allein auf Elfenbein gezeigt:
Florenz, aus Dir erblüht das UnerreichbarHolde,
Ich aber wittere Sturm, wo sich Dein Traum verzweigt!
[Florenz, Du wirst in meiner Wirklichkeit bestehen]

Florenz, Du wirst in meiner Wirklichkeit bestehen,

[Rand: Cimabue]

Erglühe, strahle ferner monderleuchtet fort,

Mein Seelensturm wird Deinen Lilienstaub verwehen,

Ich trage Kinder Deiner Huld von Ort zu Ort.

[301]
Doch Du verglimmst in mir, ich kann Dich nimmer bannen,
Du hast noch einmal Deinen Himmel sanft geklärt,
Dir bleibt der Mond, doch wandere ich nun frei von dannen,
Wer weiß, was meine Seele noch an Huld erfährt!
Fürwahr, nicht eine Wolke ist der Nacht geblieben,
Die Mondstadt hat sie alle über sich verscheucht,
Auch meine Traumgebilde werden bald zerstieben,
Ob mir ein großes Urgeheimniß wirklich deucht?
Hieratisch ist die Mutter Gottes hoch erschienen,
In Mondlicht schimmert rings die Nachtkontur,
Empfindungen mit kindlichstillen Engelmienen
Gewahren mich in Menschen, Dingen, Fluth und Flur.
Ich blicke auf Florenz, doch ist es mir zu ferne!
Der Arno und der Marmor perlen aus dem Grau,
Doch heller kaum als drüben noch der Mond, die Sterne:
Denn Geist erdämmert schon im ersten Morgenthau!
Die Muttergottes grüßt uns, ohne leicht zu nicken,
Je ein Planet verwirklicht ihren Kronenrand,
Die Freigestirne können Geist und Welt erquicken,
Das Christuskind hält bald die Sonne in der Hand.
Der Mond geht herrlich hinter Schneegebirgen unter.
Florenz wird eine Perle, die ich wachgeträumt.
Nun ruht sie wieder und die Farben werden munter.
Oh, welche Frühe aus dem eigenen Weibe schäumt!
[302]
[Mein Weib und ich, wie glücklich sind wir doch gewesen]

Mein Weib und ich, wie glücklich sind wir doch gewesen,

[Rand: Fillippo Lippi.]

Sie folgt uns noch, die goldene Wonne von Florenz,

Es ist in jenem Traum ein anderer Mensch genesen,

Oh glaube, danke doch dem lichtentzückten Lenz.

Es wollen Felsen, Flüsse, Wälder froh sich sonnen,
Und seelig drängt das Frühjahr sich an uns heran,
Was eben Thau benetzte, zeigt sich goldumsponnen,
Horch auf die Luft, ob man ein Kommen wittern kann.
Du Frühling in mir selbst, Jungfräulichkeit der Lüfte,
Erfaßt und halst Euch, klingt und jubelt wie das Licht!
Es ist, als ob der kühne Lenz die Welt verblüffte,
Die Lerchen trällern: Gebt Euch hin, verwehrt Euch nicht!
Jetzt springt der Ginster auf und giebt der Wonne Stärke.
Ein ernstes Glockenläuten zittert durch den Wind.
Am Felde gehen Menschen forsch zum Tagewerke.
Und irgendwo in unserer Nähe brüllt ein Rind.
Auf einmal kann ein Schiff im Strom nicht weitersegeln.
Es halten Pappeln wohl die Morgenbriese auf.
Ins Wasser furcht es lauter krumme Schifffahrtsregeln.
Wann wieder giebt der Wind ihm seinen goldenen Lauf?
Es stiegen meine Wünsche schneller als die Winde.
Ich helfe, schwelle Segel bis ans helle Meer.
Sind meine Lieder nicht belebte Angebinde?
Ihr Auferstehn ist leicht, ihr Dasein folgenschwer!
Ich träume fort, ich träume fort, muß träumen!
Wohin? Wohin? Ein Flügel stürzt dem andern nach!
Das ist der Wind, der Wind! Wir wogen, schäumen!
Ein Lied erbraust, wo eines laut zusammenbrach!
[303]
Der Traum von Venedig
[Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!]
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Sie nähert sich soeben ruhevoll Venedig
Und dort bereitet man sich laut zu einem Feste,
Um hohe Gäste hold und huldvoll zu empfangen.
Am Himmel seh ich winzige Purpurwölkchen prangen,
Es hat der Wind sie wie Lampions gekräuselt und gezapft,
Und eben zucken auch die ersten Sternlein auf:
Da ists, als wollten sie den Wölkchen sacht sich nähern,
Um rings das Licht der bunten Lämpchen zu entzünden.
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Nun tritt sie stolz, mit silberheller Mondessichel,
[306]
Im Abendlande durch Venedigs Pforten ein.
Wie würdevoll sie unterm Sternenbaldachine,
Der höher als der edle Schmuck der Mondessichel schwebt,
Nun übers Meer, mit wollustfreudiger, gütiger Miene,
Sich immer weiter hebt und unser Ruheglück belebt!
Es übersprühen ihre Schleierhüllen Prachtsmaragde,
Und ihren unteren Saum und die Sandalen Blutrubine:
Vier schöne Königssöhne tragen ihren Baldachin,
Zwei Bleichgesichter ziehen still in weißem Seidenkleid voran.
Ihr Wamms ist goldbetreßt, sie tragen einen viola Mantel
Und müssen stets, wenn sie das Abendland beschreiten,
Aus Anstand, einen Schurz um ihre Lenden breiten.
Doch hinter ihrer Königin erscheinen holde Mohren,
Die tragen ihr der Herrschaft herrliche Insignien nach,
Das Szepter gar ist wunderbar, besetzt mit vier Planeten!
Von vorne sind sie völlig nackt, doch überwellt in holder Pracht
Das erste Morgenroth, als Mantel, ihre schwarzen Rücken!
So tragen sie den Baldachin, den schönen, sternbesäten,
Und können drum, voll Königssinn, den Westen stolz betreten.
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Die Mondessichel glänzt und glimmt
Als Silberschmuck auf ihrer kühlen Stirn,
Und ihre volle nackte Brust befächelt sacht
Ihr blasser Sklave Zephir mit dem Wolkenfächer:
Der ist aus Flaum und leichtem Nebelschaum,
Es färben ihn die letzten Abendgluthen,
Es kräuselt ihn sein Eigenwind,
Da ihn der Sklave, schwebend, fächelt.
Belustigt das die Königin,
Denn seht, wie jugendlich sie lächelt?
So bunten, grellen Federnputz
Erreicht in schriller Farbenreih
[307]
Allein der Schmuck vom Papagei,
Wie eben ihn in voller Pracht
Der Abend auf dem Flaum entfacht,
Wo selbst das Rötheste und Allerblauste
Der Wind geschmackvoll zueinanderkrauste!
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Mit nacktem Busen, bloßem Bauch
Betritt sie nun die holde Stadt Venedig.
Sie trotzt dem fremden Christenbrauch,
Der starkbehaarte Theil der Scham
Ist jeder Überhülle ledig.
Sie bleibt bei uns, so wie sie kam,
Und um sie her nimmt alles seinen ungezwungenen Lauf,
Doch fällt im großen Dunkel so ein Schamtheil wenig auf.
Der Mohrin Nacktheit merkst Du kaum,
Man schmückt und ändert blos den Schleiersaum,
Den dieses Weib so üppig durch Venedig schleift,
Daß sein Besatz noch weithin die Lagune streift.
Mit Flammengarben aller Art,
Mit Purpurzungen, blutigen Flecken,
Mit manchem fahlen, halbverblaßten Bart,
Will in Venedig man den Schleierrand bedecken.
Am Lande wird das Flammenband,
Nach alter Art, als langer Flammenrang gewahrt,
Den Zauber aber müssen Meerreflexe erst erwecken!
Frohlocken will die ganze Stadt!
Mit langgezogenen Kantilenen,
Mit eigentümlich süßlicher Musik,
Mit Tönen, welche Lüste nur ersehnen,
Mit Trommelstreichen wie im Krieg,
Mit Lustfanfaren nach dem Sieg,
Mag man die Mohrenkönigin empfangen:
[308]
Und wenn sie schon berauscht vorbeigegangen,
So heften wir auf ihre Schleppe Purpurspangen.
Ist sie dann fort, kriecht alles Gluthgewürm zur Rast,
Die Flammenschlangen, die der Menschenhand entstammen,
Verbergen sich vor uns in großer Hast,
Und tiefverringelt im Morast,
Muß ihre Brut wie Aale grau verschlammen,
Und auch der Schwarm von grünen Feuerfröschen
Wird bald im dunklen Sumpf verlöschen.
[309]
Perlen von Venedig
Jacopo Bellini
Wahrhaftig die Trauer der salzigen Meere,
Erwacht im Gemüth Deines herrlichen Knaben,
Verwundert wie alles allmächtige Gehaben,
Erfüllt sein Erstaunen die glaubhafte Leere.
Das Weltherz ist klar, wie der Schmerz einer Zähre,
Und Sterne, die nichts als ein Muttermeer haben,
Erblassen, um leidende Seelen zu laben,
Denn drüben enttauchen wir sanft, ohne Schwere.
Maria, die Vieles erfuhr und erlitten,
Blickt still auf die Unschuld des strahlenden Kindes
Und hofft, für die Kindlichkeit Aller zu bitten.
Oh, hofft auf die Reinheit des leuchtenden Windes,
Er weht, doch er kommt nicht mit langsamen Tritten,
Er hilft euch als Hauch eines Lichtangebindes.
[310]
Der Schiffer
Es ächzen die Flanken und Taue wie Kinder,
Das Meer bäumt sich auf, wie ein fiebernder Kranker,
Es wird jeder Wirbelsturm rascher und schlanker,
Die Hosen entstehn und vergehn stets geschwinder.
Der Fischer bewegt sich und greift wie ein Blinder.
Er wehrt sich und betet: »Mein Gott und mein Anker,
Enttrage das Boot, es wird lecker und schwanker,
Ach, zeige Dich, Herr, als der Sturmüberwinder!«
Es fliegen dem Manne Schaumknäule wie Tauben
Voll Wucht noch im Fluthenbraus unter die Nase,
Da sinkt ihm der Muth und er sucht noch zu schnauben.
Doch steigt schon die Bahre, im grauen Gerase,
Voll Schleier empor, ihm den Athem zu rauben ...
Schon ist er erblaßt – verhaucht im Geblase.
[311]
Das Weib
Das Kind ruft im Fieber: »Der Vater ist böse,
Beschütze mich, Mutter, er schimpft mich und droht,
Er ballt seine Fäuste, er naht mir im Boot
Und johlt durch das heulende Wogengetöse.«
Es betet die graue, vergrämtreligiöse
Gefährtin des Schiffers in tödtlicher Noth:
»Mein Heiland, entreiße mein Söhnchen dem Tod!«
So wiegt sie, so hofft sie, daß Gott sie erlöse.
Das Kind ächzt: »Der Vater ist wieder betrunken,
Er findet jetzt nimmer den Weg bis nach Haus.«
Die Mutter ist schaukelnd zusammengesunken.
Das Kindlein verstummt, das Gestöhne ist aus:
Es weint nun das Weib und es weißt sich sein Haar,
Das wird es beinahe im Wesen gewahr.
[312]
Die Irrsinnige
Madonna, ich sah Dich am sternhellen Meere
Da kamen im Winde die Todten zu mir,
Dann wuchs eine Sichel mit grausamer Gier
Und schnitt in die Weihe der Seelenverkehre.
Ich suchte und fand keine Hülfe zur Wehre,
Es ward jene Schlange ein blendender Stier,
Und sieh, jenes Thier ist jetzt immer noch hier,
Das Kind und den Gatten erdrückt seine Schwere.
Maria, verscheuche den Spender der Schrecken,
Ich schenke Dir gerne mein gischtweißes Haar,
Das Meer aber möge sich wieder verstecken.
Ich bringe die Milch meiner Weiblichkeit dar,
Ich will Deinen Hauch milder Hülfe erwecken,
Es wehe das Schweigen, das wird wie es war.
[313]
[Um Neumond ist traumblau mein Gatte erschienen]
Um Neumond ist traumblau mein Gatte erschienen,
Sein Kommen verbreitete heimliches Schweigen,
Es wollte mein Wesen sich ganz zu ihm neigen,
Da war er um mich, wie das Schwärmen von Bienen.
Ich wollte sein Nahesein treulich verdienen
Und gab ihm, was irgend der Seele zu eigen,
Um Liebe und Reinheit vereint zu erzeigen,
Da schwirrte es licht, wie das Knistern von Kienen.
Ich sah ihn: es war seine Mannheit vergangen,
Das bartlose Antlitz allwissend verjüngt,
Der Mund ohne Purpur und farblos die Wangen.
Ich habe mich seiner theilhaftig bedünkt,
Sein Wollen durchwogte mein herzhaftes Bangen,
Es ward meine Weichheit mit Thränen gedüngt.
[314]
[Ich gab meinen Wahnsinn dem wandernden Wasser]
Ich gab meinen Wahnsinn dem wandernden Wasser,
Das schlaflose Schmachten bekam ja die Nacht,
Ich habe das Lachen der Schwachen erdacht
Und achte als wallender, unsichtbar blasser
Erbarmungsgedanke und Warnungserfasser
Auf alles was schamhaft im Weltall erwacht,
Ich habe dem Walde den Sang dargebracht,
Und altere nun als ein markkranker, nasser,
Ja selbstnasser Stamm einer wehweichen Weide
Am Weiher vom weltweiten eigenen Leide.
Ein Reh wittert oft in die sandstarre Haide
Und kehrt dann ins Schicksal zurück, das ich meide.
Ich weiß nicht, verbirgt sich vor mir eine Weide?
Ich weile im Wehwind! Wann weichen wir beide?
[315]
[Oh Meer, ach, ich brauche von Dir eine Thräne]
Oh Meer, ach, ich brauche von Dir eine Thräne,
Es mag sie Dein Anblick der Seele gewahren,
Da lächelt mein Kind durch den Schimmer der Fähren,
Damit ich sein Mündlein im Augenroth wähne.
Und wenn ich sein fernes Getändel ersehne,
So will ich die Quelle der Schmerzen entleeren,
Und wie auf den Händen die Thränen sich mehren,
So glaube ich, daß sich ein Hauch an mich lehne.
Bald perlen die Finger von kindlichen Blicken,
Nun streichle ich leicht meinen flimmernden Arm,
Und fühle ihn weit leise Kühle erquicken.
Mein Glück ist nun ganz mein erstrahlender Harm,
Das Kind scheint dem sickernden Naß zuzunicken:
Es ist ja wie Milch so beseligt und warm.
[316]
Das Märchen vom Meere
Erzähle, oh Meer, mir das Märchen vom Meere,
Das Lied Deiner Inseln versteinerten Leides,
Besinge die Klippen des plötzlichen Neides,
Die Wiederkehrwirbel der innersten Leere.
Die Mär aller Meere ist gar keine Lehre,
Der Mittag bricht ab wie die Kraft eines Eides,
Der Abend, das Bild eines späten Bescheides,
Verbirgt des Verhängnisses sinkende Schwere.
Die Nacht hehrer Meere kann niemand errathen,
Da spiegelt die Trauer unsagbare Dauer,
Es ist, als ob Kunden dort gar nicht mehr nahten:
Die Fragen sind draußen genauer und rauher,
Die Märchen jedoch, die wir je dort erbaten,
Sind stumm und ergrauen in uns nur als Schauer.
[317]
Gewißheit
Es rollt der Löwe zweiunddreißig Sonnen,
Zu seinen Füßen und im eigenen Leibe,
Im Sommer nahe vor die Sonnenscheibe,
Und alle Wolken sind sogleich zerronnen.
Die Erde aber bleibt von Gold umsponnen
Und fast verschleiertnackt, gleich einem Weibe,
Von dem man fordert, daß es übertreibe,
Was ihm Natur und Sitte angesonnen.
Dann schlafen alle Träume, alle Schäume.
Blos Mittagsmystik loht aus jedem Zweige.
Und wie vergeistigt sind die stillsten Bäume.
Da ists, als ob ein Ding zum Dingsein neige:
Ja, ja, um Alles schwirren Athemsäume,
Kein Wesen wünscht, daß da ein Gott entsteige.
[318]
Die Sonnenblume
Du Blume, die sich hold zur Sonne wendet,
Ich wollte einstens Deinem Wesen gleichen,
In mir die Sonnenzukehr fromm erreichen,
Doch etwas sagte mir: Du bist verblendet!
Ich habe alle Blüthenkraft verschwendet,
Ich fühlte samend meinen Glanz erbleichen,
Die Luft den Duft von meiner Jugend streifen,
Und heute sind die Lust, die Macht verendet.
Doch seh ich Blumen tief aus sich erstrahlen,
An jedem Morgen sich zur Sonne neigen
Und fast mit Hingebung zum Lichte prahlen.
Ich aber mußte rasch herniedersteigen.
Verloren sind ja alle Sehnsuchtsqualm;
Mein Wesen wurde Niemandem zu eigen.
[319]
Frieden
Das blaue Meer verliebt sich in das Leben,
Und tausend Augen sind uns wohlgesinnt:
Ja, schon beginnt der Hauche Tausch, der Kräuselwind!
Und lauter Herzen fangen an zu beben.
Bald wird das Meer sich wohl zum Ufer heben.
Die kleinste Welle, die als Schaum zerrinnt,
Die Spitzenschleier um die Erde spinnt,
Mag sich dann irgendwo und ganz ergeben.
Ein blauer Schmetterling hat sich verloren.
Im Blauen draußen find ich ihn nicht mehr:
Hat ihn der Strand als sein Geschenk erkoren?
Mein Herz, Dir werde nicht auf einmal schwer!
Bestimmt hast Du bereits ein Lied geboren,
Nun sing Dich aus, am traumhaft blauen Meer.
[320]
Orpheus
Den Inselkranz bewachsen kalte Farren.
Der Thauwind weht vom Süden und vom Meere.
Der Regen stürzt sich in die Wintersleere.
Die Farren aber müssen weiter harren.
Auf einmal scheint ein Rausch den Wind zu narren.
Die Mythe bringt das Lied vom Lichtbegehre:
Sie schwimmt im vollen Mittag durch die Quere.
Ja, Tongestalten siehst Du rings erstarren.
Das ist ein Wunderthier mit goldenen Flossen.
Ein Lied weht seinen Sänger hold zum Strande,
Und Farren lösen alle Wurzelbande.
Durchs Lied sind Liebesblüthen voll ersprossen.
Verthierte Formen drohn vom Pflanzenrande,
Der Sang harrt: steil in Bäumen eingegossen.
[321]
Vision
In meinem Traumesgrau erscheinen Lilien:
Unendlich groß und doch in meiner Seele
Wird ihr Erguß zu manchem Prachtjuwele,
Und plötzlich gießt es Licht wie auf Sizilien.
Im Traum verwurzeln sich die Scheinreptilien.
Und halb bewußt, daß ich ihr Wesen schweele,
Umwande ich die scheuesten Urbefehle
Als Pflanzenspuk und als Gesichtsfamilien.
Das heikle Fiebergrau der Traumgewitter
Wird immer silberner und schließlich bleicher,
Und endlich knistert, blitzt ein Zickzackgitter.
Und dennoch merke ich andere Albeinschleicher.
Ihr Streit mit meinem Funkennetz ist bitter:
Doch schon ist meine Furcht gespensterreicher.
[322]
Des Liedes Wesen
In einem Land, wo alle Dinge traumhaft schauen,
An einem blauen Wundermeer kam ich zur Welt.
In einer Au, die ihre Pracht verborgen hält,
Begann mein Wesen seinen Räthselthurm zu bauen.
Aus allen Mienen dort glüht gütiges Vertrauen:
Was sanft in jenen Fernen in die Augen fällt,
Beschaut Dich zaghaft, wie von Innerthum erhellt,
Und Seelengrauen schweigt vor solchem Weltergrauen.
Ich glaube noch an jene blauen Morgenmeere,
Und oftmals blickt mich, was ich nie bemerkte, an.
Ja, Lieder perlen, wie in fremdem Augenbann.
Mein Träumen thaut auf Blicken ohne Ort und Schwere.
Mein Sang, der nirgendwo und ganz urselbst begann,
Will fragen, sehn und sein, und funkelt in die Leere.
[323]
Einsam
Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.
Das ist ein alter, lauteleerer Wald.
Ich athme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.
Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.
Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?
Ist das der Herbst, der schweigsam weiter wallt?
Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.
Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.
Erinnern kann ich mich, erinnern, blos erinnern.
Mein Wald war todt. Ich lispelte zu fremden Linden,
Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.
Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.
Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.
Ich kann in keinem Wald das EchoSchweigen finden.
[324]
Panik
Schon fühlen Nachtgestalten rings ihr Walten.
Des Tages Wangenwärme muß enthauchen.
Ihr Dinge wißt doch, daß wir Frieden brauchen,
Drum trachtet nicht den Athem anzuhalten.
Was mahnt, als dürften sich nun Hände falten?
Jetzt wars, als würde eine Furcht enttauchen,
Als ob die Blätter sich, geschreckt, vor Gauchen
Wie Säuglingsfingerchen zusammenkrallten.
Nur Ruhe, Ruhe! Und zuerst im Innern.
Dann läßt sich bald kein Wesen überraschen:
Des Friedens kann man sich ja blos erinnern.
Ach was, am Wasser laß die Plappertaschen:
Laß Dich nicht ein mit Zwiegesprächsbeginnern!
Was kümmern Dich die Schatten, die da waschen?
[325]
Odysseus
Das Leid, in dem ich willenlos ertrinke,
Entfernt und wellt mich oft an einen Strand,
Vielleicht in aller Sehnsucht Mutterland,
Von dem aus ich den andern Träumen winke:
Und wenn ich drüben meinem Selbst entsinke,
So bin ich nackt und doch im Schamgewand
Und nehme scheulos einer Jungfrau Hand
Und freu mich, daß ich frei von Schäumen blinke.
In jenem Osten bin ich oft gewesen.
Von dort weht ja die Hoffnung noch herbei:
Hat drüben eine Seele mich erlesen?
Man wandelt dort fast schein und schattenfrei,
Und doch voll Sonnenwohl sind jene Wesen!
Was schöpf ich noch im trüben Allerlei?
[326]
Verstumpfen
Du meine Seele, sei nicht so erschrocken!
Wird auch Dein krankes Wehmuthswort verstummen,
So müssen doch die Bienen weitersummen.
Und surren, surren wird es stets um Rocken.
Der goldene Morgen soll ja fort frohlocken,
Und Mücken werden sich zusammensummen,
Denn über jeder Pfütze muß es brummen,
Und Spinnen werden stumpf auf Moder hocken.
Du arme Seele, ach, Du kannst nicht schweigen:
An lauter kleinen Wesen wirst Du kleben
Und noch aus Müdigkeit zur Sonne steigen.
Auch Deine Dumpfheit wird noch weiterleben,
Dein Brüten einst vielleicht zum Weben neigen,
Vielleicht auf Spiegeln als Lybelle beben!
[327]
Der Gesandte des heiligen Antonius
An hellen Tagen, wenn die Stunden gelber blinken,
Befährt ein Mönch in einem kleinen Segelboote
Die braune Fluch, die just in vollem Golde lohte,
Und er vermag es, Fische sanft herbeizuwinken.
Sie tauchen heerdenweise auf, das Licht zu trinken,
Und da erklärt der Mönch ihnen die zehn Gebote,
Vertheilt unter die Horcher sieben große Brote
Und zieht dann fort, bis todt die Lichter niedersinken.
Er kann auch ruhig ohne Wind und Ruder fahren,
Denn immer, wenn er auftaucht, folgt ihm eine Briefe
Und oft vermagst Du ihn ganz nahe zu gewahren,
Da ists, als ob ein Geist ihm in das Segel bliese,
Denn gar nichts regt sich dann in seinen blonden Haaren,
Und ungekräuselt bleibt das Gras der nächsten Wiese.
[328]
Das Meer
Das Meer beginnt ringsum zu brausen:
Ich horche auf und tauche tief in Qualen,
In Schlünde, ohne Licht und Eigenstrahlen,
Wo nichts als grüne Schatten hausen.
Den bleichen Quallen fängt es an zu grausen,
Sie fliehen mich in dunkelnden Spiralen,
Ich schlüpfe zwischen meinen geilen Aalen
Und will am Hals die Krausen blind zerzausen.
Das Meer, das Meer! Was ist vom Meer geblieben?
Ein böser Traum mit aufgeschlitzten Wogen!
Mein Meer, mein letztes Meer, ich will Dich lieben.
Mir heißt das Meer, Du wirst hinabgezogen,
Du sollst zerträumt, hinweggeträumt, zerstieben:
Oh Meer, oh Meer, auch Du hast mich belogen!
[329]
Die Glanzperle
Im Halbmond, wenn die Sterne sich verdichten,
Der Wasserathem langsam dann verzieht,
Enttaucht ein Kahn, so traumhaft wie ein Lied,
Und scheint die letzten Wellen zu beschwichten.
Ein Seelenpaar, das Herz und Blick belichten,
Das blos die reinste Einheit giebt und sieht,
Vermag nach allem, was in Glück geschieht,
Den Rhythmus seiner holden Fahrt zu richten.
Es regt sich da kein Hauch am grauen Meere,
Es hat der Kahn statt Segel einen Traum
Und wiegt ganz spurlos seine Schattenleere.
Die Liebenden sind blaß und zart wie Schaum,
Ihr Antlitz mild, als ob es nichts begehre:
Man wundert sich ja nur, und wähnt sie kaum.
[330]
Sonderbar
Es wird der Mond in sieben Tagen erst verscheiden.
Die Ratzen hörst Du haßerfüllt und brünstig miauen,
Im Wasser todte Silberfratzen sich beschauen
Und ringsum hörst Du, hörst Du, Hunde schrecklich leiden.
Gestalten wirst Du plötzlich huschhaft unterscheiden.
Es fangen Hexen an, den Sabbathtrank zu brauen:
Ihr Werbeschrei und Katzentakt durchschrillt die Auen,
Die laute Nacht ist voll von blauen SatansEiden.
Doch jetzt erwachen, dort in Dir, die eigenen Eulen,
Die sind so fremd und eigen, weil Dir selbst zu eigen.
Wie schweigt die Nacht? Beginnt es blos in uns zu heulen?
Die Eulenmutter mag nicht aus dem Neste steigen.
Sie brütet über halberwachten Jungenknäulen.
Wie eigen, wenn die Dinge einmal alle schweigen.
[331]
Grau
Ich singe, wenn die seltenen Sterne glänzen,
Der Halbmond sich dem Meer entgegen neigt,
Das dunkle Friedensblau der Au entsteigt,
Und alle Fluren sich mit Thau bekränzen.
Ich singe zu den Mondschritttänzen,
Wenn plötzlich jede Windesstimme schweigt,
Bevor das erste Perlengrau sich zeigt,
Und mag in mir die Furcht der Flur ergänzen.
Doch auch in meinen blaffen Tagesträumen
Erwacht bestimmt der Farbenklang der Nacht
Und hält mich unter frischbethauten Bäumen.
Ein fernes Meer vermuthe ich dann sacht,
Und auch der Hauch von seinen Ginstersäumen
Wird mir mit seinem Rauschen nahgebracht.
[332]
Adria
Von Hellas kommt der Wind mit einem Nachen,
In reiner Sternesterbensstunde her.
Es perlen schon die Lüfte überm Meer,
Und ganz geringe Lichtdinge erwachen.
Das Sichverringeln hat etwas vom Lachen,
Und gar nichts, selbst das Fragen, wird mehr schwer:
Das erste Morgengold ist sorgenleer,
Und Alles scheint sich selber anzufachen.
Italiens Silberwälder siehst Du zittern,
Doch blos ein schwacher blauer Stern erbleicht,
Und wenig kann der erste Wind zerknittern,
Erlebst Du, was sein Weltgeschehn erreicht?
Die Erde scheint am Meere viel zu wittern.
Wer weiß, was für ein Wirken uns beschleicht!
[333]
Schicksal
Oh Morgenstern, ich wittere Deine Strahlen,
Du scheinst von einem Weib emporgehalten,
Du läßt auf Erden die Empfängniß walten,
Du bist das Ich von allen Scheidensqualen.
Dich Erzfunken unter den Traumopalen
Vernehme ich als welttiefes Erkalten,
Vom Sterben kannst Du frühe Liebe spalten,
Du trittst in Dich zurück, gleich Idealen.
Ick habe nie geliebt, wann muß ich sterben?
Oh Liebe, Liebe, trachte mir zu nahen.
Ich sterbe gern. Ums Sterben will ich werben!
Was thun, um Dinge, die schon urgeschahen?
Ich habe nicht geliebt und soll verderben.
Mein Lied, mein Lied, was bleibt Dir zu bejahen?
[334]
Das Eiland
Das Eiland meiner Wünsche ist vergessen,
Verträumt der Hauch seiner Nachmittagswärme,
Hinweg der Trauer traute Bienenschwärme,
Umsonst muß ich die Lider niederpressen.
Ich sehe wohl des Felsen Strandzypressen,
Doch nie die Au, für die ich draußen schwärme:
Je mehr ich mich am Meer um Frieden härme,
Muß ich ein immer Ferneres ermessen.
So bleib ich denn in meinem Hain von Lichtern:
Berauscht von Sternblüthen in düsteren Lauben,
Begegne ich dort anderer Welten Dichtern.
Mich wiegt ein Meer. Ein Leib schnürt meinen Glauben.
Und dennoch pflücke ich mit Traumgesichtern
Die holden Hoffnungen von Sternentrauben.
[335]
Der rothe Schimmer
Am klaren Meer unter den letzten Sternen
Kann sich ein Zauberschiff mit goldenen Masten,
Auf denen die verscheuchten Albe rasten,
Aus einem rothen Wolkenschoos entkernen.
Doch wenn Du hinblickst, wird es sich entfernen,
Es ist als ob die Insassen erblaßten:
Zu schwere Schatten dürften es belasten,
Und Du sollst auch das Träumen dann verlernen.
Doch sah ich dort einst Heilige und Frauen,
Die Helden Ilions und Illyriens Fürsten,
In ihren Gründen Künftiges erschauen.
Ich nenne keinen, kenne blos den Dürrsten:
Er sah zurück zu stillen Blüthenauen
Und schien nach Lebensspenden noch zu dürsten.
[336]
Die Dogaressa
Das ist ein Weib mit morgenrothen Wangen:
Der Mund gewöhnt, daß man ihm ernsthaft traue,
Verschwendet lächelnd Schimmer wie im Thaue,
Und diese Nase wittert unser Bangen.
Es sind die Flechten goldig wie die Spangen.
Die Augen grau, mit einem Stich ins Blaue,
Die Brauen Bögen, wie bei einem Baue,
Den lange Byzantiner angefangen.
Um ihren Busen athmen auch die Schleier,
Die Achseln fallen wie mit Blutgischt nieder
Und machen so den Hals fast rastlos freier.
Verwegen schlank versinkt das ganze Mieder,
..........................................................................
..........................................................................
[337]
Das ferne Schloß (Miramar)
Du heller Fürst auf ewiggrünen Hügeln,
Es kennt Dein blaues Auge nicht das Meer,
Umsonst erscheint mir Deine Wehmuthswehr,
Du kannst auf einmal keine Wünsche zügeln.
Du glaubst nur traumhaft hin und her zu klügeln,
Doch weht Dein unergründlicher Begehr
Vom Meer, von dort, vom großen Meere her,
Und ein Entschluß wird alles überflügeln.
Du bleiches Schloß, das Meer hat doch gewonen,
Es grünen Deine Lauben, trotzen noch die Mauern,
Doch alle Heimlichkeit war bald zerronnen.
Du sollst vor Deiner Leere tief erschauern:
Du bist ja schon von Sagen sacht umsponnen,
Das Meer und Deine Trauer werden dauern.
[338]
Zauber
Der Vollmond ist schon da! Hinter den Feigen
Siehst Du ihn kupferroth und kalt erscheinen.
Der Himmel hat das Blau von echten Weinen:
Und seht, der Mond erblaßt beim raschen Steigen.
Wie ist die Welt doch thierhaft jetzt und eigen:
Vielleicht wenn still die Sternelein erscheinen,
Für einen Augenblick mit sich im Reinen,
Und alle Seelen müssen dann auch schweigen.
Schon sind sie alle da! Die Szepter, Kronen!
Der Westen blos blieb gelber als Zitronen,
Und auch der Mond beginnt sich einzuschleiern.
Die fernen Glocken werden kurz nur tönen.
Es muß das Ohr sich an die Nacht gewöhnen.
Ich höre lauter Traumkonzerte feiern.
[339]
Die Wasserschlange
Besorgniß überkommt mich beim Gedanken,
Daß eine ungeheure Wasserschlange,
In sich verschlungen, bis zum Weib gelange,
Vor dessen Fenstern meine Wünsche kranken.
Ich möchte dort dem Mund mein Glück verdanken,
Und weiß bei allem nicht, weshalb ich bange,
Mein Herz ist voll von holdem Schmeichelsange
Und doch: die Stimme und die Schritte schwanken.
Ich darf in dieser Stadt kein Weib berühren,
Ich fürchte mich vor allen stummen Fluchen,
Sie werden es ja selbst zum Grauen führen.
Ich kam nicht her, um Jubel zu vermuthen,
Ich sollte blos die Angst des Wassers spüren:
Und nun genug, denn lauter Wunden bluten.
[340]
Die Epheuranke
Der Epheu dort am gothischen Palaste
Verschlängelt sich zum marmornen Balkone,
Sein Schattenwesen gleicht einem Spione,
Den irgendwie ein Rachewunsch erfaßte.
Es ist, als ob er wachsend weitertaste,
Um klar zu werden, wer das Schloß bewohne,
Und ob sich wirklich ein Verrath verlohne:
Er winkt ja schon mit einem freien Aste!
Nun blickt der Mond um eine hohe Ecke:
Und sieh, ein Weib erscheint hinter den Scheiben,
Was hält es dort so bleich an einem Flecke?
Der Epheu muß noch viele Zweige treiben,
Damit er seinen Kundschaftsweg vollstrecke:
Die Dinge sterben ab, die Räthsel bleiben.
[341]
[Jetzt mag der Mond auf Mosaiken spielen]
Jetzt mag der Mond auf Mosaiken spielen,
In stillen Kirchen, die man schüchtern meidet,
Beweint sein Licht den Heiland wohl, der leidet,
Weil die Geschöpfe ihrem Nichts verfielen.
Auch knieen blasse Schatten auf den Dielen
Und thränen, schwören, da die Nacht verscheidet:
So wird der Schein, der ihren Schein umkleidet,
Dort eingehn, hinter steilen Lichtprofilen.
Mein Augenblick, mein Traumgeschick wirft Schatten.
Was halte ich? Verlassen wir uns ganz?
Ich werde ja und mag schon langst ermatten.
Ich webe mich empor mit fernem Glanz:
Gestalten, die mich einst verleiblicht hatten,
Erschaut mein leises Wiedersein Byzanz.
[342]
Der Strom
Im Mondlicht schwimmen lauter Kinderleichen,
Es halten viele zwar die Augen offen,
Doch im Krystallsarg kann man nimmer hoffen
Und sucht blos Friedensmeere zu erreichen.
Verschleiert scheint das Mondweib nachzuschleichen:
Hast Du es nie verwittwet angetroffen?
Es weint: der Todten Augen bleiben offen,
Es weint und weint, durch Leid Dich zu erweichen.
Geschick, was spricht zu mir? Ich leide!
Ich habe doch genug an mir zu tragen,
Ich weiß ja klar, daß ich umsonst verscheide.
Wozu muß ich, ja ich, nur Schmerz ertragen?
Was zwingt mich, der ich jedes Nahen meide,
In Aller Klagen mich erst freizusagen.
[343]
Übertreibung
Oh Stadt, in Deinem letzten Dämmerlichte
Verflattern Fackeln langer Leichenzüge,
Als ob jetzt selbst die Fluch die Gluth vertrüge,
Sprühn alle Ufer nun in stillem Lichte.
Doch plötzlich, seht, die seltsame Geschichte:
Im Wasser selber schöpfen Feuerkrüge.
Doch ist das Schauspiel Zauber oder Lüge?
Wie, flimmerten und fischten drinnen Wichte?
Wie, glühte nie dein Wunder zur Genüge?
Es will nicht, daß ein Grün aufs Sprühn verzichte,
Und drum ergiebt es sich in Würmerflüge.
Nun sage, Sehnsucht, wie ich Dich beschwichte,
Mein Deuchten, Leuchten in den Rhythmus füge:
Ihr, meine Gluthfunken, seid Ihr Gedichte?
[344]
[Der Vollmond naht des Meeres Silberrande]
Der Vollmond naht des Meeres Silberrande
Und geile Lippen schwellen ihm entgegen,
Ertrunkene siehst Du sich am Seegrund regen:
Gespenster lösen alle Leichnambande.
Das Todtenflüstern aber zeitigt Schande,
Und alles siehst Du deshalb Grauen hegen,
Den Vollmond sich bequem aufs Wasser legen,
Und Angstgekicher weht zum gelben Strande.
Einst wird der Leib in meinem Grund versinken.
Was ich geschaut, ihn kurz und stink umgischten,
Dann jede Taggestalt ertrinken, sinken.
Gar oft, wenn sich Geschicke in mir trafen,
Errieth ich, daß um mich sich Andere mischten,
Einst aber kann ich nackt und einfach schlafen.
[345]
Das Sonnett
Es sollte mein Sonnett den Sternen gleichen,
Die blutigblau aus ihren Kernen leuchten,
Zuerst den Augen Feuerkreuze deuchten
Und dann auf einmal Lichtgeschimmer weichen.
Doch muß gar bald das Schimmern auch erbleichen:
Als ob die Urgluthen die Strahlen scheuchten,
Erscheint, bis unsere Lider sich befeuchten,
Den Blicken strahlenfrei das gerade Zeichen.
Dann zittre, wie um Sterne, feucht die Frühe,
Auf das erblickte Lid, zart eine Zähre,
In der die Gluth der Blutwünsche versprühe.
Es wünscht ja doch, daß es die Mär gebäre,
Daß schillernd Träumen seinem Grau entglühe
Und spielt, als ob es eine Perle wäre.
[346]
Der Herold des Sonntags
An perlenblassen Sommersonntagsmorgen
Erscheint ein Himmelskind unter den Dingen,
Es öffnet reiner Übermuth die Schwingen,
Und selbst der Wind hat wenig zu besorgen.
Das freie Meer bedenkt kein anderes Morgen,
Denn wenn sich Dinge über Tag verdingen,
So ist es nicht, um selber zu gelingen,
Ein Sonntag ist ja überall verborgen.
Der Sohn der Sonne wird in uns geboren,
Er strahlt aus allen, die dem Tag entstammen,
In diese Welt, die Gottes Wort verloren.
Oh, bleiben wir doch ohne Ort beisammen,
Der Sonntag hat uns, wo wir sind, erkoren,
Die Werke, Wesen werden seine Ammen.
[347]
Die hohe Botschaft
Wenn Wolken rings phantastisch niederblicken,
Entsteigt der Mittagsadler ohne Regung,
Doch meint die Stille innerste Bewegung
Und reicht die Frühe fertigen Geschicken.
An Quirlen kann sich da der Aar erquicken,
Der in der Stunde klarster Überlegung
Dort hinblickt zu der Fernen Flügelfegung,
Wenn alle steilen Strahlen rasch zerknicken.
Gar hehr erweist sich da der Geist am Meere:
Wir ahnen wohl, daß wir nicht blos empfangen,
Und streben dann nach eigener SeelenEhre.
Was da der Tag mit uns schon angefangen,
Das hegt und wird der Wesen ewige Lehre
Und kann in aller Nacht zu Wort gelangen.
[348]
Der Ruf
Der Sturm erfüllt das ganze Meeresdunkel,
So horcht, von Osten kommt das große Tosen,
Es möchte rufen, doch im athemlosen
Sichüberstürzen hörst Du blos Gemunkel.
Nun brüllt es auch, und zischendes Gefunkel
Vergeistigt wunderlich groteske Hosen,
Die Stengel tanzvernarrter Wolkenrosen:
Und plötzlich drohen oben GlotzKarfunkel.
Der Stier beginnt im Winde jetzt zu rufen.
Er bringt die Stille des bewußten Starken
Und tritt die blinde Wildheit mit den Hufen.
Die Murmelnden beginnen abermals zu harten,
Man dient dem Stier in allen Lebensstufen,
Die Arbeit wird die Wahrheit aller Marken.
[349]
Der Löwe
Der Werktag schleppt sich fort in dichtem Regen,
Ein Schiff wird in der Werft zurecht gemacht,
Es drehn sich Krahne unentwegt mit Fracht,
Und auch der Regen will sich gar nicht legen.
Das klare Wasser hört nicht auf zu fegen,
Zu Ende wird die Arbeit bald gebracht.
Da staunt: der Nachmittag zeigt seine Macht,
Der Markuslöwe spendet blauen Segen.
Im Westen ist er goldig klar erschienen,
Er wälzt sich zwischen Regenbogen vor
Und will, daß ihm die Elemente dienen.
Die Menschen wimmeln durch des Löwen Odemflor,
Die Boote auf der Goldsee scheinen Bienen,
Und Aller Blicke krönt ein Siegeschor.
[350]
Serenissima
Es beben die Schwalben wie Herzen, die toben,
Sie singen hinein in den siegenden Lenz,
Sie feiern den Herzog der Seeresidenz,
Der ausfährt, sich hehr mit dem Meer zu verloben.
Es ist noch der Morgen in Flore verwoben,
Drum siehst Du kein Schaustück, doch jedes Rind kennts,
Und alles erfreut sich des Hochzeitsmoments
Und dringt mit dem Glockengeläute nach oben.
Der Doge hat stolz einen goldenen Reifen
Ins traumhafte Blau seines Meeres versenkt,
Die Braut nur geschaut, um ihn traut zu begreifen.
Der Herzog hat traurig nach Hause geschwenkt,
Die Gondeln beginnen im Golde zu schweifen,
Dem Sang haben ganz sich die Schwalben verschenkt.
[351]
Der Herold von Florenz
Der Herold von Florenz in goldenem Flore,
In leichter, turteltaubengrauer Tracht,
Der unterwegs sein Eigenthum bedacht,
Erscheint am Meer in einem Sonnenthore.
Er tritt zu einem Frühlingskinderchore,
Und wo er hold zu der Umgebung lacht,
Dort gleicht sein Gruß dem Lenze, der erwacht,
Und die Erscheinung einem Meteore.
Am Strande die Gespielinnen der Wellen,
In bleichen Schleiern und mit hellem Haar,
Gewahren ihren fremden Spaßgesellen.
Am Wasser sagt er, was der Himmel war,
Und blau umschwebt von bebenden Libellen,
Wird allen trautes Heimweh offenbar.
[352]
Die Tochter von Fiesole
Toskanas Tochter kommt voll Reiz und Scheue
Zur hehren, sonnenhellen Sommersee.
Ein Taubenpaar, so weich und weiß wie Schnee,
Erscheint ihr da in der verzückten Bläue
Der Inselwelt unter dem Flügelleue
Und grüßt der grünen Hügel Frühlingsfee,
Die Hülle einer wehen Glücksidee,
Und wünscht, daß sie der Flug als Gruß erfreue.
Die Tochter Fiesoles entnimmt die Blüthen,
Die Kinder ihrer Vaterstadt gepflückt,
Nun strohgeflochtenen Körben, die sie hüten,
Und schon die Einfalt ihrer Art beglückt:
Die Tauben ruhen nun, wie um zu brüten,
Stumm an der Brust, an die das Mädchen sie gedrückt.
[353]
Des Dichters Angebinde
Am Arno stehn Zypressen starr am Grabe
Der Braut, die nur ein armer Träumer sah:
Der Statte ihres Waltens blieb ich nah,
Doch glaub ich, daß ich nichts erfahren habe.
Das Lied, an dem ich meine Sehnsucht labe,
Blieb ganz allein und als alleine da,
Doch plötzlich wars, als ob etwas geschah,
Und ich bekam vom Leide eine Gabe.
Ich wägte, hegte was ich schwer erduldet,
Da ward im milden Licht das Leid zum Lied
Und hat sich tief als Perle eingemuldet.
Und das empfand ich mit gesenktem Lid:
Nun Heimathmeer, mit Dir bin ich verschuldet,
So nimm von mir, was noch mit mir geschieht.
[354]
Die Sendlinge von Siena
Auf rothen Rossen kommen stolze Boten,
Mit Rollen über das Gebirge her,
Sie denken nach: das Amt ist schwer,
Es wird ein Freistaatsbündniß angeboten.
Die nordischen Despoten, Roms Zeloten,
Bedrohn die Eigenreiche immer mehr,
Den Markusstaat allein beschützt das Meer,
Doch hofft man nun, Toskana zu verknoten.
Die Reiter sind noch jugendlich und heiter:
Und seht, verkleidet kam ein Mädchen mit,
Zwar ist es angethan wie sonst die Reiter,
Auch merkst Du nicht, daß es beim Ritte litt,
Doch dienen ihm die bärtigen Begleiter,
Und einer folgt ihr gar auf Schritt und Tritt.
[355]
Der Wasserfall
Das Wasser wandert durch die blauen Thäler,
Der Wind verliebt sich in die stillen Dinge:
Es will das Licht, daß Alles Hymnen singe.
Und seht, die Wälder werden rings Erzähler.
Ein Bündnißgeist, des Guten frömmster Wähler
Ist da, damit der Heimath Sang gelinge.
Er spricht ins Wasser, daß es Botschaft bringe,
Er dröhnt sogar: Denn horcht, das Thal wird schmäler.
Es ist die Sprache das der Patriarchen.
Das Wasser sagt fürwahr: Wir wollen leben!
Und aller Schaum verlangt, daß Walzen schnarchen.
Der Ache Schleusenschlösser werden Archen,
Des Wassers Klarheit wird ihnen entstreben,
Man mag den Schatz des Wassers »Raschheit« heben.
[356]
Der holde Mönch vom Monte Oliveto
Es denkt der Mönch: Die Seele konnt ich wahren,
Ich hoffe, Gott erhält mich keusch in Frieden,
Der Liebe Grauen hab ich fromm vermieden,
Und etwas mag sich stets mir offenbaren.
Ich bin ein Kind mit weißem Kleid und Haaren,
Und habe nie mich weltlich unterschieden,
Ich weiß nicht, weilt ein Leib von mir hienieden,
Denn der hat nie den Hang am Fleisch erfahren.
Und doch, die Seele sing sich an zu trüben,
Drum zog ich aus und wandre nun zum Meere,
Um alle Blauheiten im Blau zu üben.
Damit der Perle Schimmer wiederkehre,
Versenkt man sie ins Meer, dem sie entnommen,
Auch ich bin krank und mag zum Heile kommen.
[357]
Das schnelle Ende
Das Grauen meines Wesens will erbleichen,
Es ist, als ob es in der Seele schneite:
Das Lied ist krank, dem ich die Perle weihte,
Der milde Schimmer scheint mir kalt zu weichen.
Ihr tranken Perlen seid der Krankheit Zeichen,
Ihr werdet blau und sagt, das Fieber schreite
Aus meinem Sange in das Klanggeleite:
Statt Perlen seh ich Augen blonder Leichen.
Ihr Perlen wollt meinem Gesicht entgleiten,
Ich spüre Euch ohne Gewicht erweichen,
Vergeht denn, liebliche Absonderheiten!
Ihr ward ein Schein aus morgenklaren Reichen
Und müßt vor einem Tag mit hellen Weiten,
Wie allerletzte Mondstrahlen, entschleichen.
[358]
Der Bernstein
Die Menschen lesen gerne in den Sternen
Und denken an die herbe Schrift des Herrn:
Ich aber wähle keine Weltenfernen
Und wähne das Geschick im Wesenskern.
Ich nehme einen Stein aus fremden Meeren
Und sehne mich nach seinem Sagensang,
Sein Wesen glänzt von eingekerbten Lehren
Und macht mich da gar traumerfüllungsbang.
Du goldenes Geschick in meinen Händen,
Erzähle Deine eingefrorene Mär,
Das Honigroth von Deinen glatten Wänden
Besprüht mein Spürsinn lüstern wie ein Bär.
Verglast in Deiner Blaßheit, ahn ich Schwingen
Und senke meinen Wahn in Dich hinein:
Nun lebe ich verwandt mit fernen Dingen,
In Dir, oh Stein, mit mir und Dir allein.
Es pocht mein Herz, Du Bernstein sprichst: sei leiser!
Nun bin ich still, still wie Dein Athemgold,
Denn Bernstein, heller Stein, ich bin Dein Weiser,
Ich weiß wie hold sich Ewiges entrollt.
Du wächst und athmest wie die gelbe Erde,
Die herrlich durch die Wälder Sonne schlürft,
Die wagt und plagt, damit sie größer werde,
Und Wachstum sagt: wachst, da ihr plündern dürft.
[359]
Ach was, Du bist ja athemloses Wachsen,
Du bist ja Wachs, halb Wabenwachs, halb Harz:
Mein Wahn erwacht: ein Wasser, voll von Lachsen,
Entrauscht und überrascht den alten Quarz.
Gesprengter Stein, in Ursels und in Fluthen,
Auf Deinen Härten will ich Fernen schaun!
Granitgrate, was könnt Ihr grau vermuthen?
Ihr Urburgen beruht auf Grundvertraun!
Das Wasser wechselt, Wechsel schnellen Wellen,
Und Wellen schwellen Schwingen und den Wind,
Der Wind beseeligt und die Seelen quellen
Unüberwindlich, weil sie gar nicht sind.
Nun Geist, als Sonne, komme Du zu Worte,
Die Sonne ist des Wortes Goldsymbol,
Erkunde unumwunden Zufluchtsorte
Und Hochzeitsgipfel für das Wonnenwohl.
Du Seligkeit, Du Ich mit Frühlingsflügeln,
Erhebe Dich, soweit es Welten giebt!
Dem Wasser laß den Sprung, dem Glück das Klügeln,
Du brauchst nicht Flügel, sei der Flug, der liebt!
Entschwebe Dir doch selbst, beseeltes Wesen,
Auch Deine Mutter Erde stiegt durch Dich,
Sie lebt ja nur, das Beste auszulesen,
Sie strahlt bereits und scheint uns innerlich.
Vineta, holder Wortesort erscheine,
Entschwebe Deiner Zukunft, werde Traum,
Ich schaue Dich in goldener Morgenreine,
Und Dein Erschwellen wellt Gewitterschaum.
[360]
Du Wendenwahn Vineta, Wind der Wende,
Du Wehmuthswunsch, erwache auf der Fluch,
Du Wagnißstadt und Warnung ohne Ende,
Entschließe Dich zum Flug, der Flug ist Muth.
Du Wahneswahrheit auf dem Wanderwasser,
Du Ewigkeit mit Gluthwurzeln im Blut,
Ich selbst, ein blauer Wunderwunscherfasser,
Erschaue nur, was fern im Glauben ruht.
Vineta, winde Dich empor zum Wesen,
Vineta, strahle aus Erbarmen auf,
Vineta, werde wie es nie gewesen,
Der Wind der Stille lenke unsern Lauf.

Schluß der Perlen von Venedig. [361]

[Du holdes Weib, verliebte, lyrische Gedanken]
Du holdes Weib, verliebte, lyrische Gedanken
Berauschen mich im Augenblicke voller Lust,
Es will mein Wesen Dir in jedem Kusse danken,
Und doch, der Liebe Abgrund wird uns nie bewußt!
Durch unseren Jubel zittern Reihen von Äonen,
In ihrer Ewigkeit verzuckt der Schwall der Feit,
Es kann sich alle Einsamkeit in uns belohnen,
Ja, es erklärt und es befriedigt sich das Leid!
Das Athmen Deiner holden Brust vermählt die Wogen
Verwolkter Meere mit der Sonne meines Wesens,
Mein Wollen hat den Sturm aus Dir emporgesogen,
Denn Liebe birgt den Schauer mystischen Genesens.
Aus unserer Liebeswonne jauchzt verborgenes Werden,
Doch sie verschlingt auch todesöde Möglichkeiten,
Sie wiegt in sich das Wesen unverhoffter Erden
Und überschreitet lauter angefangene Zeiten.
In unserem Rausch verträumen jene Weltgebilde,
Die einst der Erde, voll von eigener Wucht, entstrebten:
Doch leuchtet auch in ihn des Lenzes Sonnenmilde,
Die Halt gebot, bevor die Wüsten sich belebten.
Es einten uns die reichen Ursprungselemente,
Doch wir gebaren ein bewußtes Lichterhoffen.
Als sich in Dir der Seele Unschuldshülle trennte,
Stand auch in mir ein Schöpfungsabgrund plötzlich offen.
Wer weiß, was für ein Mensch jetzt in das Dasein schauert,
Was wir ihm schenken werden mag er überwinden,
Was er uns eben giebt, ist das, was ewig dauert,
In ihm soll sich die Welt als neue Macht empfinden!
[362]
[Irr nicht ab, oh Geist, vom Pfad auf dem Du wandelst]
Irr nicht ab, oh Geist, vom Pfad auf dem Du wandelst,
Frage nicht, ob Du, so wie Du glaubst, auch handelst,
Schwärm Dich aus, Du magst es wie die Andern treiben!
Spätere mögen sich Dein Denken einverleiben.
Fühlte ich mich doch von Jugend an als Heide;
Und verlangt die Seele auch nach fernem Leide,
Will ich es trotzdem mir nicht selbst bescheeren,
Denn das Schicksal birgt für mich von selber Lehren!
Ich fühle mich ganz eins, ein Leib und eine Seele,
Und führe Streit, den ich in mir erwähle;
Kein Gespenst, das ich nicht selber tief erschaue,
Hilft mir je bei meinem eigenen Wolkenbaue.
Singt die Seele auch auf einmal ferne Lieder,
Steigen dann im Herzen Zweifel auf und nieder,
Weiß ich doch, ich werde mich an sie gewöhnen
Und mit neuem Thun und Formenschmuck versöhnen.
Plagegeister, ich erbau Euch keine Bühne,
Nimmer glaube ich an Sünde und an Sühne:
Was Romantiker so gerne übertreiben,
Wird in mir Geheimniß oder Schrulle bleiben.
Heute da die Menschen alle lesen können,
Will ich ihnen gerne große Gesten gönnen,
Doch ich zieh es vor stets athembang zu schweigen,
Wo sich Räthsel plötzlich über mir verzweigen.
Für Saturn begründet man jetzt unbewußt Altare,
Stellt sich philantropisch gegen ihn zur Wehre;
Fortschrittszugluft zeugt gar häufig Gliederreißen,
Einsichtslos will jeder laut das Nichts verheißen!
[363]
Opfer der Natur, Ihr könnt mich nicht erboßen,
Statt zu packen, scheint das Leben Euch zu stoßen!
Ach, wie tief es trifft, statt rasch vorbei zu wehen!
Ernst ist es, und dennoch kann ich fortbestehen!
[Glocken erschallen!]
Glocken erschallen!
Von ruhmvollem Dom
Locken und hallen
Die Rufe von Rom!
Es folgen die Leute
Dem klingenden Strom.
– Sonntag ist heute –
Frohlockende Glocken,
Ihr greift mir ins Herz!
Der Äther ist trocken
Und klar schwingt das Erz.
Campaniens Campanen
Erweckt doch in allen
Ein gläubiges Ahnen,
In schallenden Hallen
Ergeht sich der Geist:
Oh Rom, du verzeihst
Dem Geist der entgleist!
Der Frühling erglitzert,
Von Liedern umzwitschert,
Umblühen die Bäume
Inngfräuliche Schäume.
Jetzt tönen auch Schellen
Von Klöstern Kapellen,
Und selbst bis in Zellen
Dringt Jubelgetön:
[364]
Ja alles wird schön!
Auf schneeigen Höhn
Verflattert der Föhn!
Duftender Schaum
Steigt durch den Raum,
Das Frühlingserblühn
Verschüttet das Grün.
Wie, alles vergeht?
Der Westwind verweht;
Nein, Bläue die währt,
Hat alles verklärt!
Fromme Gesänge
Beleben die Hänge,
Menschliche Schlangen,
Voll Gottesverlangen,
Durchziehen die Felder,
Dann bergen sie Wälder!
Oft hör ich Gebimmel:
Da seh ich Gewimmel,
Auch scheinen rings Fahnen
Zu drohn und zu mahnen,
Das freut wohl den Himmel,
Denn niemals noch war
Der Äther so klar.
[Am Volksplatze vereinen sich die Karawanen]
Am Volksplatze vereinen sich die Karawanen.
Von Rom befreite Sklaven aller Welt
Erscheinen mit geweihten Siegerfahnen
Und haben sich auf Rampen ringsum aufgestellt.
[365]
Die Sklaverei wurde zum Hauptprobleme
Der Römer, als sie es zur Macht gebracht.
Durch alle Zwangssysteme sind im Diademe
Der Urbs Befreiungsfunken wunderbar erwacht.
Die Kirche hat den Kampf zum Schlusse ausgefochten,
Und überwunden, steht sie dennoch siegreich da.
Die Gegner ihrer Wirksamkeit vermochten
Stets mitzuschaffen, daß die That, die da geschah,
Zerfasert und zerstückelt, dann auf uns gekommm!
Und nun ist Rom sein Lichtgedanke ganz genommen.
Doch öffnet sich die große Stadt den treuen Schaaren,
Gleich einem Herzen, das zu Seligkeiten führt.
Ich kann Sankt Peter und das Kapitol gewahren,
Und jedermann wird durch den Anblick rief gerührt.
Der übersonnte Corso gleicht jetzt einem Pfeile,
Der unser holdes Weltherz durch und durch durchdringt:
Er ist die Strecke der modernen Tageseile,
Der Macht, durch die das Ketzerthum die Urbs bezwingt.
Ihr Pilger, zieht zu Ara Coelis Wunderknaben,
Zur Scala Santa und zum nahen Vatikan,
Versucht den armen Geist durch sein Gebet zu laben,
Ersteht vom Himmel einen jungen Glaubenswahn.
Du Rom, entschließe Dich zu neuem Kampfe,
Tritt gegen Wucher und den Scheinwerth muthig auf,
Die Welt um Dich vergeht in wildem Werktagsdampfe,
Verhindre, kannst Du etwas, diesen Abgrundslauf.
Es ist ja Geldeswerth allein im Geist entstanden,
Drum säe man was fix ist, nicht als Samen aus.
Gold kann nicht wachsen, Christen habt Ihr es verstanden?
Dem Schöpfer ist die Wucherei ein arger Graus.
[366]
Das Werk des Vaters nachahmen ist Satanssunde,
Drum sei das Kapital, das sich verzinst, verdammt!
Der Geist, der trachtet, daß er Ewiges begründe,
Und dessen Wesen jedes Handelsmaaß entstammt,
Wird auch beleidigt, wenn man seine großen Werke
Wie Zeitliches behandelt und sich mehren läßt.
Drum Rom, erringe neue Zuversicht und Stärke,
Und stehe endlich gegen Ketzerschacher fest.
Befreite Sklaven, kommt in großen Prozessionen,
Drangt massenweise rings heran: Patrizier Roms
Empfangen Euch mit Flaggen. Auf den Festbalkonen
Begrüßen sie den Geist des freien Menschenstroms.
Es muß auch in der Zeit, was ewig einwirkt, siegen,
Die Feiertage strahlen durch das ganze Jahr,
Doch zu Frohnleichnam bändigen und überstiegen
Die Feststunden die Arbeit, die der Zwang gebar.
Frohnleichnam, Ruhetag unter den Feiertagen,
Du Auferstehung aller großen Erdensagen,
Du sagst, wenn man in einem fort im Leben stirbt,
So muß man schließlich auch an einem Zeitpunkt sterben.
Und wenn man immer neue Himmelslust erwirbt,
So wird dereinst die Welt das Gnadenlicht erwerben!
Wenn ewig sich Jungfräulichkeit im Sein erzeugt,
So mußte eine Jungfrau einmal schuldlos zeugen:
Wo das Geschöpf sich dauernd vor dem Schöpfer beugt
Da sollte Gott sich einmal vor der Schöpfung beugen.
Dort wo dem Fleisch verziehn wird, daß es aufersteht,
Wird einstens alles Sünderfleisch frei auferstehn,
Doch wo der Körper, nicht der Geist, zu Grunde geht,
[367]
Wird alles, was nicht geistig ist, zu Grunde gehn.
Da alles, was geschieht, sich unaufhörlich richtet,
So wird die Welt bestimmt auch in der Zeit vernichtet.
Da die Natur zum Schlusse jeden Hader schlichtet,
So wird die Schöpfung noch zum Ursprungsgeist verdichtet.
Dreieinigkeit besiegelt sich in allen Dingen,
Drum muß sie auch sich göttlich in die Höhe ringen.
Und da der Gottheit alle Dinge jung entspringen,
So wird sie ewig, was entsteht, ins Dreimaaß zwingen.
So zieht denn hin, die hohe Gnade soll verflachen,
Durch Euch hindurch in Thier und Pflanze noch erwachen!
Das Christenthum wird ringsum tiefe Wurzeln fassen
Und selbst die Felsenmassen nimmermehr verlassen.
Oh Rom, ich lobe Dich, denn in gezähmten Horden,
Bist Du zu einem tiefen Weltgesetz geworden!
Die vielen Glocken fangen wieder an zu lauten,
Ein ordentliches Dröhnen, – man muß sich dran gewöhnen, –
Beginnt nun, für sich selber, Manches zu bedeuten,
Und will uns da, wo wir auch sind, mit Gott versöhnen:
Das lockt und ruft und eilt einem auch nach,
Oh Klang, erfasse uns, in träger Geistesschmach!
Es sind nun Jesus Christus, Moses, die Sybillen
Bereits ein wenig in die Menge eingedrungen,
Man kann mit Vorsicht und mit etwas guten Willen
Von Dingen, die dem Geist des Christenthums entsprungen,
Nunmehr mit Bürgern und sogar mit Priestern reden.
Sie werden Euch, als närrisch, kaum noch ernst befehden!
Giordano Bruno, wie? Auch Du spukst schon im Haufen,
Jetzt ehrt man Dich, denn Dein System schuf Kopfzerbrechen,
Bekämpfte Dich ein Mensch, so würde man auch raufen
Und für so Schwererlerntes eine Lanze brechen.
[368]
Giordano, ach, Du sahst den Heiland in der Menge,
Und Du entsetztest Dich vor ihrer Schauderenge,
Du scheutest ihren Gott, Du holder Sonnensohn,
Und jede Prozession entlockte Deinen Hohn.
Du tratest auf, um träge Festzüge zu stören,
Dein Sang erhob sich bald in tausend Lebenschören
Und als Du heimgingst, mußten Dich die Götter hören!
Du warst ein wahres, feierliches Seelenlicht,
Das heutzutage sich in Prozessionen bricht,
Du selbst bist fort, Dein Regenbogen aber glüht
In allen Farben, die ein ewig Werk versprüht.
Was in uns liegt, kann oftmals ein Gemüth erfassen,
Doch will man es, selbst wenn bewußt, noch schlummern lassen:
Und wühlt es fort, so wird es auch zur Übermacht
Und schließlich uns, durch Liebe, völlig nahgebracht:
Entrauscht es dann, so hat es Eigenkraft zum Leben,
Und endlich müssen wir uns noch zu ihm erheben!
Es ringt das All, sich rings aus Liebe zu durchdringen,
Und ewig sucht es deren Dauer zu erzwingen,
Es kämpft dabei die Zeit, den Abstand zu vernichten
Und trachtet, sich als Lichtgestirne zu verdichten,
Verrundet und erstarrt, Errungenes zu schützen,
Und seine Schlummerlust dadurch, verstreut, zu stützen.
So ruht und so beruht die Welt auf ihren Sternen
Und wir empfinden rastlos deren Daseinsfernen.
Stets müssen sich die Abstände mit Formen füllen,
Die Lüfte sind der weiten Freiheit weiche Hüllen.
Das Licht, die Wärme, die ein Wesen kaum bespülen,
Sind Übergänge in den tiefen Weltgefühlen.
[369]
Die See ist da, um Dunst und Seelen aufzuscheuchen,
Und Stürme hören wir in Liebeslücken keuchen:
Ja, ja, das ist die Liebeskette der Natur
Und mitten drin im Meer, entstand die Kreatur.
Wir Menschen sind halb Sonnenkraft, halb Erdenzwang,
Ein Reis, das sich aus Liebe um die Heimat rang,
Denn liebreiches Vermitteln ist des Menschen Denken,
Das ganze Werden soll aus ihm zur Sonne schwenken.
Die Masse ist nur da, Gesetze zu bewachen,
Es soll sich stets der innere Tag in ihr verflachen,
Sie will, daß man sie nicht mit neuen Flammen störe
Und stets Gebotenes, wenn es neu ist, überhöre!
Oh Menschheit, die sich spinnenartig rings verbreitet,
Die alle Erdenbrunst in das Bewußtsein leitet,
– Denn alles was bestimmt ist, bis zum Licht zu klimmen,
Muß erst als Daseinsfunke wurzeltief erglimmen –:
Du wahrst Dir eifrig die Alltäglichkeit im Leben,
Denn Deine Pflicht ist blos ein stilles Weitergeben
Von Räuschen, die vom Grunde aus zur Sonne steigen
Und sich in Wäldern und in Seelen still verzweigen,
Die eine Liebestreppe in den Wesen finden,
Und dauernd, was geschieden ist, in uns verbinden!
Impulse tief verwerthen, Eigenes balanzieren,
Berührt sein, im Gemüth den stäten Wechsel spüren,
Für Kleinigkeiten Muth und Daseinskraft verlieren,
Ganz unbewußt ein Leben voll Gefahren führen,
Das ist das Loos, das immer in uns übergeht,
Und auch zugleich, als fremd, an uns vorüberweht.
[370]
Es ist der Mensch sein eigener Geschicksmagnet
Und er beherrscht sich durch ein stummes Lichtgebet,
Drum ziehet hin und sammelt Euch in Prozessionen,
Die Geister, die Euch sonst vor Eurem Tod verschonen,
(Denn wißt, er droht Euch rings! Und einem Riesenglücke
Verdankt Ihr Euer Leben trotz des Daseins Tücke,)
Vermögen es, wenn Ihr gefahrlos weiterschreitet,
Das Eigenglück, das Euch sonst Schritt für Schritt geleitet,
Zu Eurem Besten anders und erhabener auszunützen,
Doch müßt auch Ihr es, durch Gebete unterstützen.
Es gilt im Inneren sich zur Prozession zu sammeln
Und vor dem Alltage für einmal zu verrammeln!
Wir Menschen tauchen auf, geboren wird man nicht.
Die Kindlichkeit, die zart sich durch das Dasein flicht,
Verweht, wenn der Karakter in uns aufersteht
Und rhythmisch in die große Ordnung übergeht.
Der Geist, der freie Wille können selten gelten,
Doch, daß sie beide sind, erleuchtet ganze Welten:
Die Freiheit ist so klein, daß erst die Ewigkeit,
In der sie aber Macht hat, ihr ein Maaß verleiht.
Sie ist ein Nichts, doch immer wieder angenommen,
Hat sie in uns den höchsten Einheitswerth erklommen,
Die Möglichkeit zu leben ist unmöglich klein,
Und dennoch fügt sich alles in das Ganze ein!
Ein Opfer, ein Entschluß kann das Geschick von Ländern,
Auf einen Schlag, durch einen Zufall, sagt man, ändern!
Des Erdeneigenwillens kleinste Übermacht,
Der ewigferne schon im Sonnenschooß erwacht,
Hat einst die Welt, auf der wir wandern, frei gemacht!
[371]
Auch Menschen streifen lauter Freiheitsmöglichkeiten
Und müssen oder können sie oft überschreiten:
So kommt nach Rom, Ihr Katholikenprozessionen,
Und hofft Ihr es, so wird in Euch ein Wunder wohnen.
Oh, singt der frommen Männer Kampfchoral,
Ja, beugt Euch vor dem Leben, wie aus freier Wahl,
Das was Euch Wucht verleiht, das hält Euch lang befangen,
Doch was Erfahrung giebt ist immer noch vergangen.
Ihr ändert Euch und öfters merkt Ihrs an den Andern,
Das heißt, Ihr seht wie Eure Schrullen wandern,
Die Jugend um Euch her hat Manches Euch entzogen,
Voll Übermuth errafft, Euch Klügere drum betrogen.
Ihr glaubt vielleicht, mit jedem Augenblick zu sterben,
Warum nicht lieber rufen: »Herr wir erben, erben!«
Ihr sollt, was Ihr vereinzelt habt, schnell weitergeben,
Um Euch, nach freier Wahl, stets edler zu beleben!
Der Sinn des Daseins ist blos Handeln und Vertauschen,
Doch wenn Ihr wählt, sollt Ihr Euch selber gut belauschen,
Und bleibt bei Eurem Tode blos der Ursprungsfunken,
So sei Eure Persönlichkeit bereits versunken!
Verrauscht im Krieg der Mannen starke Lebenskraft,
So wird sie gleich von Anderen wonnig aufgerafft,
Es können Schlachten gar nichts auf der Erde schaffen,
In dieser Lebensfluth wird nie ein Abgrund klaffen.
Die Geistersphären, die das All zusammenschweißen,
Kann nimmer irgend ein Geheimniß niederreißen!
Wer herrschen darf, der muß sich überschätzen,
Und seine Macht dadurch, wenn sie entsteht, zersetzen.
[372]
Die Liebe aber wächst und rankt das Christenthum,
Die Wahrheit, um den Erdball, voller Macht, herum.
Wir mögen drum an Völkerführer immer glauben,
Noch will uns die Natur nicht die Romantik rauben!
Oh kommt, Ihr Menschen, mit Standarten und mit Fahnen,
Ihr triumphiert bei dieser großen Prozession,
Es zog der Geist zuerst dahin in langen Bahnen,
Nun geht der Leib, die Seele aber herrscht vom Thron.
Oh singt im Sonnenlicht, singt Euren Liebeschor,
Vielleicht könnt Ihr die Schmerzensketten noch zersprengen!
Geht irgendwo bereits ein großer Umschwung vor,
Will aus der Menge sich der Wahrheitsgeist entengen?
Wird man an Kreuzesstatt dereinst die Sonnenscheibe
Bei Prozessionen, wie beim Sonnenkult, gewahren?
Man trägt sie schon, seht die Monstranz aus Gold! Dem Leibe,
So wie dem Geiste, wird sich Gnade offenbaren:
Wir werden immer nur den Gott der Liebe feiern
Und seinen Glanz, aus Furcht, mit Sonnenlicht verschleiern!
Es überkommt die Gaffer bei der Prozession
Gar leicht, besonders wenn es heiß ist, Schlummer.
Und so verduseln viele Leute ihren Kummer,
Sie denken nicht an Mutter, Gatten, Sohn.
Was sie bewegte, sehn sie nur als ferne Bilder,
Dann überblenden sie auf einmal rothe Schilder,
Ein dichter Kupferflitter schwirrt vor ihren Augen,
Und Hals und Beine scheinen nimmermehr zu taugen.
[373]
Für sie würgt sich der Zug nur schwer durch heiße Gassen,
Und Schwüle senkt sich auf den Athemdunst der Massen,
Doch wacht man auf, geschieht es meistens wie im Schwindel,
Es ist, als tanzte Blut und Gold um eine Spindel!
Die Weiber, meistens Mütter, kommen nun zu Gruppen,
Das sind des Erdenwiderstandes tapfere Truppen;
Sie beben ihre Wünsche stets aus Seelensummen,
Ihr Hoffen, Wollen ist verwirrt wie Glockensummen.
Den Schein und dessen Anmuth wahren sie dem Leben,
Kein Weib wird sich mit solchem Schild ergeben!
So betet denn für glaubensabgewichene Söhne
Und hofft, daß jeder sich dem Himmel einst versöhne.
Wie herrlich ist es Euch noch fromm und stark zu sehen,
Der Geist wird Eure Reihen immer mehr umwehen!
Das Weib ist reich an Träumen und auch zukunftsschwanger,
Der Mann an Seligkeit zumeist nur ihr Empfanger!
Sie ist zwar leiblicher und auch viel erdennäher,
Doch Sie empfängt dadurch auch alle Urgluth eher,
Das Liebeslicht, das aus der Erde sonnwärts strebt,
Wird immer erst als Scham und Huld im Weib belebt.
Es liebt die Erde wohl die Frau am allermeisten
Und will an ihr das höchste Maaß an Schönheit leisten,
Der Tropen Überfülle wuchtet in den Haaren,
Die wir als Kranz um jedes schöne Weib gewahren.
Des Gischtes Frische mit des Riffes Schliff vermählt,
Ward zum Gebiß, das Seegeblink und Schmelz beseelt.
Der vollen Lust und Jugend holde Morgenkunde
Entschwellt aus jedem wonnereichen Frauenmunde.
[374]
Die Abendwolken, die zuletzt am Himmel hangen,
Vergehen nimmer auf des Weibes zarten Wangen,
Des Meeres Ströme, die in Buchten still erwarmen,
Sind nichts als Ahnungen von weichen Frauenarmen.
Des Muttermeeres Kinder aber sind die Seeen,
Zu denen Wolken, deren Ammen, niederwehen,
Oh Weib, in Dir verleiblicht sich die Weltenmilde,
Du bist das stillste aller wirklichen Gebilde.
Mit Purpurfahnen, wo der innern Liebe Gold
Vor unsern Sinnen Märtyrer entrollt,
Erscheinen jetzt in Furcht und Nacht gehüllte Nonnen,
In denen schon der Geist über das Fleisch gewonnen.
Die Allerschwächsten singen einen Machtchoral
Und preisen seelig ihren himmlischen Gemahl,
Nicht jeder Seelenrausch darf sich zum Licht ergießen,
Es müssen Thränen auch zu Wurzeln niederstießen.
Ein Theil der Welt will seine tiefen Schlünde füllen,
Und wer es wagt, wird sich in inneres Dunkel hüllen.
Wer Sonneneigenschaften in sich trägt ist gut,
Doch auch die Erde fordert Gluth von unserm Blut.
Der Staub ist da, damit die Wesen ihn erheben,
Das Licht, damit die Menschen es der Tiefe geben.
Drum dürft Ihr auch, voll Muth, das Tollste denken,
Was man auch thut, den Weltgang wird man weiter lenken!
Die Wahrheit ist vielleicht kein Zweck, blos eine List,
Es giebt blos einen Zwang, der ist, das was man ist.
[375]
Der Alltag ist der Gott, die Schönheit blos Symbol,
Die Tugenden und Hoffnungen gar häufig hohl.
Der Spießbürger um uns ist unsere Schicksalsmacht,
Er flüstert nur, durch alles, was er kreischt und lacht,
Die Wirklichkeit von unsrem Erdgeschick ins Ohr!
Wir ahnen es, und deshalb graut uns so davor!
Die Sünden, die wir oft entsetzt in uns gefühlt,
Verbleichen von den Gegenwarten fortgespült,
Doch etwas bleibt von ihnen stets in Jedem hangen,
Und deshalb muß uns noch vor ihren Siegen bangen.
Du fromme Prozession, zieh hin bei Glockenlauten
Du bist zumeist ein Troß von just noch braven Leuten.
Denn jene, die sich einmal nur erwischen ließen,
Nebst denen die den Anstand ganz verließen,
Durchgrübeln Kerkerlöcher, wühlen fort und fort,
Denn stets erwägt sich, stirbt und triumphiert der Mord.
Sie brüten unten fort, verseuchen langsam Alle,
Nur fremde, böse Mächte bringen uns zu Falle.
Wenn jemand plötzlich tief und schauerlich erbebt
Und fühlt, daß sich ein Arm der Hölle aufwärts hebt,
So fürchtet er vor allem selbstbegangene Fehle,
Denn an die Schuld der ganzen Welt erinnert sich die Seele!
Verbrecher sind als Lasterspeicher zu betrachten,
In ihnen lagert sich der Menschheit Schande ab.
Die Schuld, nicht ihre Träger, sollte man verachten,
Wo viel verbrochen wird ist auch der Richter schlapp.
Die Mörder tödten, heißt ihr Unrecht neu gebären
Und so der Welt zwei Missethäter mehr bescheeren.
[376]
Die Blutinstinkte, die Gefangene wild verbeißen,
Darf niemand durch Gewaltgerichte roh zerreißen,
Sie müßten sonst gleich einen neuen Mörder schweißen,
Dazu erzeugt auch jede That gleich eine Seele,
Und Blutgespenster schwirren stets um Mordbefehle!
Gewohnheitspanzer schützen uns vor Flüsterstimmen
Und Gluthimpulsen, die am Herzensgrund erglimmen:
Nur was die Menge will und stets von uns begehrt,
Hat sich, bis wir erwachsen sind, als gut bewahrt.
Vielleicht sind Schliffe, die uns unsere Umgebung giebt,
Alleine das Bewußtsein, das um uns zerstiebt:
Wenn uns die vielen Gegensätze rings verließen,
So würde jedes Sein im Traumgewirr zerfließen.
Die Völker haben sich schon ziemlich ausgeglichen,
Und in der Kleidung wird die Gleichheit unterstrichen,
Man hängt von anderen ab und ist sich nie genug,
Die Freibeweglichkeit ist jetzt ein Meistertrug.
Du Gleichheitsdrang, Tellurgesetz, hast viel besiegt
Und wilde Ranken oft um Zäune hold geschmiegt:
Ein Volk, das ruhig seinen Alltag leben mag,
Erscheint bereits und huldigt einzig dem Vertrag.
Bald wird es keine Götter um sich dulden wollen
Und nur Geboten in sich selber Ehrfurcht zollen:
Das Reich des Geistes wird in nächster Feit erscheinen,
Wer wittern kann, beginnt das Große schon zu meinen!
Ein Himmelreich, ein flaches Volk, fast ohne Recken,
Beginnt nun auch den Westen langsam zu bedecken.
[377]
Statt Jesus wird der Buddha noch der Herr der Erde!
Oh Heiland, der am Kreuze starb, durchzuckt kein Schauer,
Kein Taumel der Unendlichkeit jetzt Deine Heerde,
Genügt denn Allen eines Daseins dumpfe Dauer?
Oh Rom, beginnst Du, um die Ewige zu bleiben,
Schon wieder Schacher mit dem Christenthum zu treiben?
Du denkst, verzichte ich auf Ruhm und Krone
Und fecht ich mit dem Volke, das jetzt siegreich ficht
Und immer größere Schlingen um die Thronen sticht,
So herrsche ich bestimmt dereinst mit ihm zum Lohne!
Du glaubst, verbleib ich die Gebieterin der Welt
Und kriege ich auf diese Art genügend Geld,
So kann ich alle Volker führen und vergnügen
Und immer mehr Gewinnste zum Errafften fügen.
Italien schenkt mir dann noch eine hohe Kunst:
Man sagt, sie harre einzig auf Mäzenengunst.
Ja, goldene Scheiben in gewandten Händlerhänden,
Zumal wenn diese es mit offenem Verstand verschwenden,
Sind oft so wirksam wie des Lenzes Sonnenschein:
Es dringen ihre Strahlen überall hinein.
Denn zeugt das Licht stets Jubel, Sprudel, Duft und Garben,
Gebärt das Gold Gesänge, Standbilder und Farben!
Das Leben zieht den Purpur an,
Der Abend naht dem Petersdom,
Oh abgespannter Wandersmann,
Bald siehst Du einen Brand von Rom!
Der Tag zieht plötzlich laut dahin,
Es bringt uns seine bunte Schleppe
Verrauschten Jubel in den Sinn;
Es trägt mich eine Himmelstreppe
Jetzt in ein Seelenparadies,
[378]
Das ich wahrscheinlich nie verließ
Und mir doch immer nur verhieß.
Ein Schleier der sich niederwellt
Und auch aus allen Kelchen schwellt,
Der ringsum auf die Welt geweht,
Zugleich zum Himmel aufersteht,
Hat auch mich selber überkommen
Und ist doch tief in mir erglommen.
Oh Abendthau in der Natur,
Du Nebelgeist auf goldener Flur,
Bist Du auf einmal auch ein Traum?
Oh sage es, ich träume kaum!
Die Tagesprozession zieht weiter durch die Gassen,
In mir jedoch, erscheint schon manche Nachtgestalt:
Vermag ich es, sie noch in Form zu fassen,
Ist sie ein Wesen oder eine Weltgewalt!
Durch alle Menschen schwebt ein Inbrunstdunst,
Begreife und verdicht ich ihn, so ist es Kunst.
Es zeigt und neigt sich stets Erworbenes und Erlebtes,
Mein Wille, wenn er Muth hat, ordnet und verwebt es.
Mit Panzerhemden gilt es die Vision zu schützen,
Drum Konventionen kommt, Ihr müßt mich unterstützen!
Es sprechen schon die Blitze, die mich rings umschlingen,
Die Bajonette fangen an ihr Lied zu singen.
Ein altes Volk, das überall in Waffen starrt,
Erklärt sich mir: Sein Schicksal scheint ihm hart,
Doch mußte es, um noch der Gleichheit nachzustreben,
Ein großes Heer zum Schutz der Freiheit weit beleben
Und diesen festen Menschenwall im Land erheben.
[379]
Der ist ein Wall, wie fern um China, dessen Mauer,
Ein riesiggroßes Buddhathum liegt auf der Lauer:
Es wühlt sich schon empor und schafft sich rings ein Reich,
Oh Rom, was drängte sich in Deinen Machtbereich.
Es heißt vor allem für Millionen Nahrung schaffen!
Der Wille, gut verpflegt zu sein wird bald erschlaffen,
Wer Steuern zahlt, wird sich zu manchem noch bequemen,
Für seinen Frieden läßt man sich das Beste nehmen!
Oh Christenheit, man wird sich wahrhaft Deiner schämen,
Was hilft, um solche fremde Einflüsse zu lähmen?
Es hat der Schöpfer alles derart vorgesehn,
Daß alle Dinge scheinbar ohne Gott geschehn!
Wer die Gesetze mustert und mit List studiert,
Ist oft bestimmt, daß er den Glauben ganz verliert,
Der Geist ist in den Dingen gar so gut versteckt,
Daß wenn Du suchst, Du ihn dann oft nicht mehr entdeckst,
Dafür jedoch ihn unbewußt um Dich erweckst.
Ich mag darum den Staat noch fort analysieren,
Werd ich dabei die Hoffnung weghypnotisieren,
Kann sich vielleicht ein Geist noch irgendwie beleben
Und plötzlich herrlich über meinem Gleichmuth schweben.
Die Sonne hat den Wall, der uns beengt, versprengt.
Der steht in die Gesellschaft dehnbar eingerenkt,
Der blitzt und funkelt überall im Abendlicht
Und er erfüllt bei Prozessionen seine Pflicht.
Die Phantasie verfolgt ihn durch die Christenländer,
Denn jeden Staat verklammern feste Eisenbänder,
Indessen legt ein rother Hauch sich ringsum nieder
Und scheinbar fiebern jetzt die fernen Weltstadtglieder.
[380]
Die Prozessionen haben sich bereits verlaufen
Und tausend Schauspiele belustigen den Haufen,
Es flattern Purpurfahnen durch den Abendäther:
Nur in den Kirchen rings verspäten sich noch Beter,
Doch wollen jetzt auch diese schon nach Hause,
Und immer neue ruft der Glocken Erzgebrause.
Und wieder seh ich lauter rauschende Sutanen,
Und in des Tages Feuerstunden wehen Fahnen
Vom hohen Himmel selber auf die Erde nieder.
Aus fernen Kirchen schallen fromme Christenlieder,
Doch alles übertönt der Abendglockenklang,
Die ganze Stadt blinkt wie berauscht und fieberkrank.
Die Sonne ist von Wolkenriesen eingeschlossen,
Denn diese sind des Lebenssternes Kampfgenossen,
Sie häufen sich zu einer stumpfen Pyramide,
Und tief in deren Innern hämmern scheinbar Schmiede.
Nun ist der Bau schon purpurroth und ungeheuer
Und speit und schleudert wie ein Kriegsthurm Feuer,
Auch seh ich aus den überwälzten Stockwerkfugen
Rings Strahlenspeerquadrate drohend aufwärtslugen.
Hoch oben hält man seine Lanze schon gebogen
Und scheint zu einem Angriffe der Nacht gewogen,
Man ist auf diesem Wolkenwall gewöhnt zu siegen
Und unaufhaltbar westwärts immer fort zu stiegen!
Die Sonne ist gesunken und der Apennin
Beginnt sich schon mit Düsterkeiten zu umziehn,
Doch plötzlich überglühn die Spitzen Feuergeister,
Ein Schemenzug, von Norden kommt er, ostwärts reist er,
Umglüht und übersprüht die fernen, höchsten Berge.
[381]
Verlassen Könige auf einmal ihre Särge?
Dort seh ich einen goldenen Gigantenzug,
Und Reifen, wie man sie zu Kaiserzeiten trug,
Erscheinen jetzt auf diesen hellen Wiederscheinen!
Auch Kronen, eine Tiara, voll von Edelsteinen,
(Und am Sorakte, selbst nun eine Dogenmütze,
Von der es scheint, daß sie den Berg vor Unheil schütze,)
Umzaubern alle Höhen und verschwimmen schon:
Hinweg ist auch die blasse Geisterprozession!
[Die Glocken, Vögel und die Zwielichtzitterluft]
Die Glocken, Vögel und die Zwielichtzitterluft
Hat nun die Nacht, die stumm erwacht, zur Ruh gebracht:
Die Sterne zeigen sich in jeder Wolkenkluft,
Und auch in mir herrscht eine stille Wundernacht.
So wie der Abendstern durch Dämmerschleier glimmt,
Wird alles auf der Erde friedlicher gestimmt,
Die stummen Stürme wuchten in den Seelenschlund,
Und unser Mund giebt nichts als Athempausen kund.
Befunkelt sich darauf das ganze Firmament,
Durchzuckt uns alle ein Geburts und Glücksmoment!
Wer ist der Mensch, der nicht den Abendzauber kennt?
Es wird die Seele da so still und transparent!
Die Träume schmücken sich mit Tand und Kronen
Und überall vermuthen sich dann Prozessionen,
Es schließt die Nacht bald ihre warmen Wolkenflügel:
In warmen Mutterarmen schlafen ja die ganzen Sänger,
Die vielen, vielen Seelenkreise werden enger,
Und Träume überschimmern alle Blüthenhügel.
[382]
Nun zeigen sich auf einmal blaue Nebelgletscher
Und Flimmerbäche scheinen rasch herabzuthauen:
Ich sehe hellen Gischt und höre kein Geplätscher,
Denn Silberkatarakte darf ich blos beschauen!
Auf allen Zinnen und Ruinen perlen Ketten
Und überall erglimmt das müde Silberlicht,
Die Welt versammelt sich in tausend Zauberstätten
Und bringt sich nur im Ragenden dem Sinn in Sicht!
Auf Thürmen, die einst Rom zu seinem Schutz gebaut,
Wird allerlei lebendig – aber niemals laut, –
Dort leuchten bleiche Silberspeere, Geisterschilder,
Doch sind es wortlose, verschlossene Mondlichtbilder.
Ein fester Glaube braucht nicht mehr die hohen Warten,
Und deshalb mußten bald die Thürme hier entarten,
Jetzt sehn wir viele Kirchen Kuppeln hehr erstreben,
Und oben, fast wie eine weiße Friedenstaube,
Das Mondlichtspiegelbild, in sicherer Stille schweben:
Oh Rom, ich glaube nun, es herrscht und siegt Dein Glaube!
Vom Sonnenbann befreit, werden die Erdenwesen
Von Müdigkeit umarmt und in den Schlaf geführt,
Die Jugend wächst heran, Verwundete genesen,
Von Jedermann wird in sich selbst die Nacht gespürt.
Sie läßt im Thal durch uns, ringsum, die Fenster schließen
Und überreift das fröstelnde Gesträuch der Höhn,
In Häusern wollen Paare ihren Leib genießen,
Und wach erhält uns oft Musikgetön.
[383]
Die Nacht ermöglicht manches, was der Tag ersonnen,
Denn was das Licht vermittelte, was scheu sich traf,
Vereint das Dunkel und sein Spiel ist so gewonnen:
Die Welt verschließt die Welt in sicherem Liebesschlaf.
Oh Mutterschlummer unserer Erde steige, webe
Dich in das Schicksal aller Deiner Rinder ein,
Entwichene Wünsche, jedes Wesens Werberebe
Soll sanft verpflegt und treu durch Dich erhalten sein.
Es giebt nach einem solchen Sonnenfeiertage
Bestimmt nun einen Traum von Pracht und Glaubensmacht,
Es hält der Schlaf in jeder Seele deren Wage.
Denn Rausch und Ruhe werden da stets gleich gemacht!
Was andere Wesen unter Tags aus uns entrankten,
Wird durch den Schlummer nun in uns zurückgeführt,
Wir taumeln träumend, wenn wir nach Verschiedenem langten,
Und Nachts verhüllt sich, was bei Tag das Herz gerührt.
Dann ruht ja die Vernunft, sie liebt ihr Schweigen,
Die Dinge wirken aus sich selbst, kein Geist greift ein,
Die Träume dürfen in verlorene Tiefen steigen,
Und Längstvergessenes kann auf einmal froh gedeihn.
Die Seele stürzt oft durch verschwundene Zukunftsthüren,
Fürwahr der Traum ist unser großes Labyrinth,
Wir lassen uns vom Sinn der dunklen Ruhe führen,
Da er allein Verwirrtes wieder fest verspinnt!

[384] Die Menschen fangen an sich ringsum zu verlieren.
Die grellsten Häuser scheinen oft vom Mond geschminkt,
Perrücken bleiche Standbilder aus Stein zu zieren,
Die Dinge sind von Silberflitter überblinkt.
Es zischeln und es flimmern allerhand Fontänen,
Gespenster starren auf den grünen Beckengrund,
Brillantensprudel lockern sich zu Perlensträhnen
Und Silber quirlt aus jedem lauten Marmorspund.
Ich fühle jetzt: es träumt die Stadt vielleicht von Schlachten!
Der Geist ergiebt sich unumschränkter Erdenmacht,
Die Phantasie erschaut ein Volk in alten Trachten,
Und Rom umschweben Prozessionen voller Pracht.
Und wie die Traumgewebe sich verwickelt schließen,
Da tauchen lauter Schaumvisionen auf,
Aus tausend Seelen müssen Prachtgestalten sprießen
Und unbewußt tritt jede in den Schemenhauf.
Was träumt der Mensch! Von vielem Kummer, wenig Schmerzen?
Die blassen Nachtgespenster, zart wie Filigran,
Entschwirren voll Ergebung, durcherlebt, den Herzen
Und klären aller Seelen urgeheimen Wahn.
Dort wo das Nordlicht niederperlt, entschweben Schemen
Aus allen Seelen in die blaue Seelennacht,
Sie scheinen oft sich vor dem Schauenden zu schämen
Und haben deshalb lila Hüllen mitgebracht.
Wie viele sind aus unseren Leidweben gesponnen
Und wühlen blaue Trauer in ihr blondes Haar!
Erfüllt uns plötzlich Lust, so sind sie gleich zerronnen,
Und wir erscheinen uns mit Träumen als ein Paar.
[385] Der Mensch wird einst der Träume Wahrheiten erkennen
Und wissen, daß er blos im Schlafe Eigenes denkt,
Daß, wenn ihn fremde Einflüsse des Tags berennen,
Doch nur sein innerer Gesang das Leben lenkt.
Wir ahnen schon, daß alles was wir wirken, schaffen,
Stets Eindrucke für unser Jenseitsträumen läßt
Und daß, wenn alle Eigenformen einst erschlaffen,
Der Schmerz, den wir erweckten, uns dann niederpreßt.
Wir beichten Nachts und sollten uns auch bessern,
Doch geben wir auf keine eigene Stimme Acht,
Wir waten immer schamlos in getrübten Wässern
Und taumeln dumm durch jede Welterfrischungsnacht.
Nun ist die Prozession von Rom zu Ruh gebracht,
Der Meisten Traum verdumpft bereits zu schwerem Schlaf,
Nur über Dichtern zaubert noch die Fabelpracht,
Wer weiß, was sich soeben alles sah und traf?
Ich steh am Tieber und erblicke in der Tiefe
Jetzt eins große, riesengroße Prozession.
Es ist, als ob der Mond sie aus dem Schlummer riefe,
Doch nein, es träumt vielleicht der Strom die Illusion.
Ich sehe unaufhörlich wundersame Greise
Den Fluß hinunter, wohl zum Meere, ziehn:
Vollendet jetzt das Frühlingswalten ihre Reise,
Beginnen sie, erschöpft, vor Jüngeren zu fliehn?
Ich weiß nicht wer das ist, doch sind das Prozessionen!
Vielleicht ein Trauerzug mit Särgen aus Krystall!
Unendlich schnell entwischen diese Mondvisionen,
Doch zaubert es bestimmt im Wasser überall!
[386] Oft glaub ich, Eis beginne rasch herab zu schwimmen,
Und schau und staune, daß sich nichts an Brücken staut,
Dann aber seh ich in den Schwärmen Licht erglimmen
Und weiß und fühle auch, wovor mir lange graut.
Im Strome sehe ich bestimmt Heroensärge,
Der Fluß, der nach der tiefen Stille strebt und rinnt,
Entführt vielleicht die Fürsten unterwühlter Berge,
Wer weiß, ob das nicht lauter Urgewalten sind?
Vielleicht sind Flüsse lauter große Leichenzüge,
Es trägt die Fluch ja alle Wucht der Felsen ab,
Die Ewigkeit erglüht aus jedem Scheingefüge,
Und Wasser, Ströme sind der Schlacke Trubelgrab.

Der Rhythmus ist ein Himmelsflug und zeitigt Träume,
Die Silbenleiter führt zu dauernden Gedanken,
Die Reime sind die Blüthen erdentreckter Bäume,
Und deren Duft Gefühle, die durch Seelen schwanken.
Den Adler raubt das Sonnenlicht den Felsenmassen
Und leiht ihm Kraft zu einem steilen Wonneflug,
Sein Innermaaß kann er beim Steigen erst erfassen,
Denn schwebend ruht er dort, wohin das Licht ihn trug.
So ist es auch für Sonnenhelden nur gebührlich,
Dort auszuharren, wo sich fast der Geist verliert,
Dem Genius ist das Erdentrücktsein so natürlich,
Wie das Scharwenzen einem Gecken, der sich ziert.
[387]
Der Tag gebar auch das, was sich die Nacht erkoren,
Denn diese hat dem Mondlicht Wesen gleichgestimmt,
Die Fische, Eulen, Katzen und verschiedene Thoren
Besitzen Seelen, wie das Licht, das blau erglimmt.
Die Blüthen und die Lieder, die an Hecken hängen,
Sind wie das Silberlicht, das rings um Spitzen gleist,
Und Träume, die verschränkt durch unsere Seele drängen,
Sind ohne weißen Mondhalt gleich in uns verwaist.
Die Nachtigall jedoch hat sich ein Stern erschaffen!
Ihr Sang, der langsam schwellend durch die Seele bangt,
Läßt oft im Menschen Ahnungsweiten plötzlich klaffen
Und sagt ihm, daß er schon zur holden Heimath schwankt.
Oh Nachtigall, Du erderzeugtes Kind der Sterne,
Belebe das Gefühl, das sich ins Jenseits schwingt,
Dein kurzer Schlag entringt sich allerfernster Ferne
Und ahnt den Sturm, den noch das Schlummermeer verschlingt.
Oh Nachtigall, Du rufst nach einem Sohn der Erde,
Der die Unendlichkeit in seinem Wesen preist,
Oh schlage Nachtigall, daß er einst wirklich werde,
Erwühle, was ein Schmerzgefühl in Dir verbeißt!
Blos im verworrenen Wollen und im Wunschverlegen
Vermag die Seele nach dem Ewigen zu flehn,
Im steten Wechsel steigt sie selbst zu Sternenwegen
Und fühlt dabei die hehre Stille bleich erstehn.
Ja, die Unendlichkeit beginnt an uns zu zerren
Und wird nicht ruhn, bis sie dereinst auf uns beruht,
Und, daß wir nimmer uns vor ihrer Macht versperren,
Verfolgt sie uns mit Leid und opfert unser Blut.
[388]
Ihr holden Sterne, urverzückte Lebensfunken,
Ihr Liebesblüthen, Freuden der Unendlichkeit,
Aus Euren Bornen hab ich Glück und Gold getrunken,
Und nun bin ich berauscht und lustbefreit.
Du Milchstraße, Du Schleier aller Bräutlichkeiten,
Der Geist, der wie ein Wind auf Deinen Äckern weht,
Umarmt und halst mich oft und will mich heimwärts leiten,
Ich weiß, daß Deine Macht in meiner Nacht entsteht.
Die ersten Menschen liebten, fürchteten die Sterne,
Benannten wohl den herrlichsten nach ihrem Schatz,
Dann sagten sie, der dort ist nah, der hat mich gerne,
Und machten bald ins Zahlenthal den Geistessatz.

Mit Magieraugen blickt Ihr dunklen, hellen Sterne

[Rand: Leonardo]

In unsere leiderfüllte, heitere Sonnenwelt

Und wirkt, daß man den Trug der Täglichkeit verlerne.

Und endlich habt Ihr eine Seele selbst erhellt!

Es war das jener Meister stiller Machtfiguren
Und jenes Weibeslächeln, das die Welt versteht,
Der Schöpfer selbsterhellter Menschen und der Fluren,
Auf denen goldene Luft von blauen Auen weht.
Er war allein so ewig wie die stillen Sterne,
Und seine Seele fühlte deren Lebenskuß,
Geschlechtlich zog er fast die Dinge, aus der Ferne,
An seine Brust und sah und schuf sie gleich als Guß!
Als dann der Löwe des Erschauens aus dem Thale
Wager Gestalt, sich abermals zur Klarheit wand,
Verschwanden langsam manche seiner Daseinsmale,
Und heute noch entschweift ihr Geist dem Lebensrand.
[389]
Die Bäume sehen wir jährlich gleiche Blüthen tragen,
Bis plötzlich eine schönere irgendwo erglüht –
Dann weht ihr Duft zu anderen, die aus Knospen schlagen,
Und keine will sie, wie des Dichters Gluthgemüth!

Ja es verhaucht, verwildert, manche Wunderseele,

[Rand: Tasso]

Entblättert sich der Wandelträume ohne Halt,

Sie liebt, daß ihre Liebe sie zu Tode quäle,

Und alles ängstigt sie, als fremde Weltgewalt.

Unseelig, wer zum Lieben unter uns gekommen,
Aus Liebe leiden und aus Liebe sterben muß:
Wer stets betrogen, nie sein Echo hold vernommen,
Der ist ein seeliger, unstetiger Überfluß!
Oh Tasso, Tasso, plötzlich schöne Daseinsblüthe,
Was Du ersehntest, wußtest, wurde nie Dein Glück,
Du brauchtest eine Glaubenswelt voll schlichter Güte,
Stets hielt Dich Dein Geschick von jedem Ziel zurück.

Oh Nachtigall im Frühlingswald des Südens,

[Rand: Raphael]

Dein Sang verklingt und nimmer hört man so ein Lied,

Du warst die Fiebergluth urweiblichen Ermüdens,

Ein Hauch, ein Traum, der jede Duftberührung mied.

Geweihtes Rom, Du hast den Geist Deiner Poeten,
Dein Eigenthum, aus Deinen Mauern fortgebannt,
Italiens holde Tugenden in Staub getreten,
Und, Rom, auf einmal hast Du Dich nicht mehr erkannt.
Das Wucherlaub, der Epheu Deiner Urbsruinen,
Lebt nimmer in den Seelen junger Römer fort,
Du fängst nun an, den Schändern Deiner Macht zu dienen,
Warum verwucherst Du den edlen Glaubenshort?
[390]
Italiens Lavabäche hör ich nirgends fluthen,
Die hellen Gluthen werden fruchtlos aufgetheilt.
In Normen, die auf Feuerzeugenschaft beruhten,
Hat man Gesetzverschnörkelungen eingekeilt.
Wer riefe noch zum Gott dogmatischer Gebote?
Der stille Schöpfer, der die Sternennacht umfaßt,
Der einst aus allen Thaten gläubiger Wesen lohte,
Wird als Naturphantast entwickelt und gehaßt.
Es fühlt jetzt niemand mehr der Jenseitsstürme Wüthen,
Die Ewigkeit, die bang in jedem Leibe weilt!
Man gleicht, verebbt sich, hat nur Weniges zu hüten,
Und denkt, daß die Verflachung unsere Übel heilt.
Die Sonne hat für uns die Tropengluth verloren,
Das Meer die Seele und die Wüste ihren Geist,
Wir folgen nimmer plötzlich aufgereckten Thoren,
Und Wuchtgestalten stören, ärgern uns zumeist.
Wer kennt die Liebe zu vertrauten Glaubensstätten?
Selbst die Familie, unser Heimathglück, versinkt.
Oh Rom, bleib fest und hilf uns Ewiges zu retten,
Dem Glauben opfre jede Disziplin, die hinkt.
Verstehen wir das Mittelmeer und seine Milde,
Verträumter Spiegelseeen linden Kräuselwind!
Berauscht Euch, jubelt wieder, wellige Gefilde!
Die Mutter Gottes ist den Liedern wohlgesinnt!
Du Seele, fühlst Du nicht: das Leben ist die Wiege
Der Ewigkeit, dem stillen Kind von Lust und Leid?
Du Geist, erörtere wieder Fahrten, Furcht und Siege,
Der Mensch sei stets zu Freiheitsfreiungen bereit!
[391]
[Mein Rom, in Deinen Kirchen, Friedhöfen und Hainen]
Mein Rom, in Deinen Kirchen, Friedhöfen und Hainen
Ergeht sich meine Seele, wenn ihr bangt, so oft,
Wie könnte sie dann noch um ihre Todten weinen,
Da alles doch in Rom die Ewigkeit erhofft!
Wie gerne schweife ich durch jene langen Reihen
Lebendiger Obeliske, die als stumme Wacht
Der heiteren Nacht auf Gottesäckern streng gedeihen.
Oh Gott, unter Zypressen ist mein Sang erwacht!
Sie standen da in meiner Kindheit wildem Garten,
Von Pinienwipfeln blickte ich zum Silbermeer,
Ich konnte damals meine Wallfahrt kaum erwarten,
Und alles wuchs und blühte fröhlich um mich her.
Bei Sturm und Nacht verfolgte ich von meinem Fenster
Des Nebels und der Segel märchenhafte Fahrt,
Und als ich schlafen wollte, habe ich Gespenster
Auf meinem Bette oft, wie aufgebahrt, gewahrt.
Oh, meiner langen Kindheit schrecklich bange Tage,
Warum, warum, vergeß ich Euch noch immer nicht,
Weshalb entringt sich mir auch jetzt die ferne Klage:
»Du Jugend, erste Jugend, furchtbares Gericht!«
Zypressen knisterten in unserem wilden Garten,
Ich wollte leben und ich sah sie sorgend an,
Es war mir ja, als ob sie meiner wissend harrten,
Ich lief ins Haus, als bangte mir vor ihrem Bann.
Drum hört, Zypressen, meine dunklen Lieblingsbäume,
Ihr werdet stets in meinen Lichtvisionen stehn,
Ich hab Euch immer noch in meinen holden Träumen,
Als eine Mahnung und Erinnerung, gesehn!
[392]
[Zypresse, ach verlaß mich nicht]
Zypresse, ach verlaß mich nicht,
Wache einst an meinem Grabe:
Wenn ich ausgerungen habe,
Sehe Dich mein Innerlicht!
Greife mit den Wurzeln noch
Bis zu meinem Wundenherz,
Wühle dann nach einem Schmerz,
Sei mein allerletztes Joch!
Du, Zypresse, bist mir ähnlich,
Willst Du mein Begleiter sein?
Strebt Dein volles Sein doch sehnlich,
So wie ich, zum Sonnenschein.
Oh, mein Leben ist so traurig,
Urverlassen glüht mein Herz,
Meine Stille ist oft schaurig,
Dock mein Geist sinnt sonnenwärts!
Armes Herz, mir scheint, Du weinst!
Holder Baum Du sollst dereinst,
Was von mir noch zu erreichen,
Über Dich hinübertragen:
Ach, ich will auch Dir entweichen
Und vielleicht wo anders tagen!
[393][395]
Neapel
[Du herrschendes Kind im erwachsenen Leben]
Du herrschendes Kind im erwachsenen Leben,
Du strahlender Knabe, unglaubliches Meer,
Du hast Dich für ewig Dir selber ergeben,
Drum bist Du so furchtbar unnahbar und hehr.
Erstaune nicht Kind: es erscheint ein Gespiele.
Er ist nicht so wild wie der kleinliche Wind.
Er schwellt nicht, es schnellt keiner Geisteskeit Kiele,
Er ist wie der Mittag so sinnig und lind.
Sei innig, oh Meer, und sei minnig und leise.
Es liebt Dich ein Sänger voll Sehnsuchtsgesang,
Die Bitterniß schwellt seine weibliche Weise.
Es sei Dir nicht mehr, Meer, um Leidesklang bang.
Entzücke mich, Meer, und sei nicht nur Gespiele!
Mein scheuestes Lied Dir ergiebt es sich ganz.
Du willst keine Liebe. Du wiegst viele, viele!
Du bist nur Gespiele. Dein Spiel ist Dein Glanz.
So sei die Gespielin! Ich will Dich genießen.
Sei mehr als Gespielin: mir wird ja es schwer.
Du kannst als Geliebte die Augen nicht schließen.
Stets mehr bist Du Meer. Denn das Meer ist das Mehr.
[397]
[Zum sternigen Himmel italischer Nacht]
Zum sternigen Himmel italischer Nacht,
Versteigt sich der duftige Odem Sorrents,
Soeben sind Boten des Tages erwacht
Und überall freuen sich die Rinder des Lenz.
Es schwellt der Orange benebelnder Duft
Fast heimlich herbei und berauscht meinen Sinn,
Es kühlt stiller Lorbeer die windstille Luft
Und Myrthen enthaucht es, kaum merkbar: ich bin!
Ins traumhafte Dunkel der Nachtigall dringt
Das klagende Brausen der jauchzenden See:
Den Grotten, den Orgeln der Brandung, entringt
Der Rhythmus der Sehnsucht sich ewig und jäh.
Smaragde umschwirren das traumhafte Blau
Vom eingenickt still sich bethauenden Grün,
Und ruhen diese Thierchen auf blühender Au,
So scheinen rings Kelche und Sterne zu glühn.
– Jetzt tagt es, – denn überall sickert das Licht
Ins stetig vergrauende Blauen der Nacht,
Es flüstert auf einmal im Heckengeflicht:
– Es kommt schon der Morgen, – Ihr Wesen, gebt acht!
Das sind keine Rehe, – das Leben beginnt! –
Was knistert? Wer flüstert? – Was ists, das verstummt? –
Oh seht, wie sich etwas besinnt und entspinnt,
Ich liebe Dich, Biene, die immer noch summt! –
Die Sterne verschwinden wie Mythen im Grau,
Nur Sirius, der funkelnde Winterdemant,
Erwartet, wie Morgens der Blick einer Frau,
Den Tag, der die Welt als Gestalt übermannt.
[398]
Die bleiche und träumeumschleierte Erde
Besinnt sich des eigenen Ichs und erwacht:
Dahin ist des Nachthimmels Schicksalsbeschwerde,
Die Erde, der Tag, der sie freit: alles lacht.
Sie sehen sich, fasten sich, beide erröthen,
Ein wonniges Athmen entschnürt sich der Braut,
Es ist, ob sich Wesen zur Huldigung erböten,
Es neigt sich der Lorbeer, im Walde wirds laut!
Es schüttelt der Wind die verwelkenden Blüthen
Von thauüberschimmerten Bäumen herab,
Es regnet beinah, und es ist, als verfrühten
Die Lichtbringer rings ihren hastigen Trab.
Es zeigt ihrem weißen und herrlichen Ritter
Die Erdbraut, berauscht, ihre gastliche Pracht,
Durch alle Erlebenden zuckt das Gewitter
Des siegreichen Gatten, der fliehenden Nacht.
Es streichelt der Tag nun mit wonnigem Arme
Sein innig ergebenes, herrliches Weib,
Und lauter vergeistigte, wonnige, warme
Gefühle verhaucht nun der weibliche Leib.
Die See selbst durchzittern jetzt Wonnegefühle,
Die Felsen und Höhen sind sonnenbestaubt,
Und steil über Dünsten, wie Nachtlagerpfühle,
Erhebt der Vesuv sein lebendiges Haupt.
Sein Rauch ist so weiß wie ein bräutlicher Schleier
Und senkt sich fast unsichtbar ringsum herab,
Doch nahen jetzt Knappen des Tages, als Freier,
Sie kommen zur See, sie biegen ums Kap!
[399]
Die helleren Segel erscheinen zuerst,
Bei Capri entstammt sich das mächtigste Schiff,
Du Held, der Du rings Deine Schlachtflotte mehrst,
Du fürchtest wohl nirgends ein Seewirbelriff?
Das segelt bereits aus der finstersten Bucht,
Das ist ja die Große Armada des Lichts,
Sie schlagt alle Schemen sofort in die Flucht,
Denn seht doch, schon bleibt von der Dämmerung nichts.
Doch wächst sie noch an,
Wir sehn ihre Macht,
Im Sonnenlichtbann
Gewinnt sie die Schlacht!
Da kommt der Korvetten verschlungene Reih;
Mit schneidender Briese, mit stechendem Strahl,
Erfüllt sie die That, daß es Sonnentag sei!
Und immer noch mehrt sich der Lichtschiffe Zahl.
Mit schlängelnden Hälsen, auf schäumendem Gischt,
Zerreißen die Schwänegallionen die See,
Die seidig ergleißend und gluthuntermischt
Noch dalag wie milchige Weiten im Schnee.
Es spielen die Schwäne mit Silbergeschirr
Und reißen noch immermehr einwärts ins Meer,
Es schwirrt ihr Geklimper und schrilles Geklirr
Ringsum mit den Schiffen des Lichtes einher.
Ach, wie mich der sonnige Morgen erfreut,
Oh seht, jener Wölkchen italische Pracht,
Sie scheinen ja Fächer mit Flitter bestreut,
Und alles am Meer, alles Strahlende lacht.
[400]
Wie seelig durchschauert mich irdische Liebe,
Es feiern der Geist und der Wind ihren Rausch,
Sie dringen noch mehr als das Licht ins Getriebe
Und schwärmen sich überall glutherfüllt aus.
Jetzt spielt meine Seele mit Pinien im Walde
Und flüstert bereits den Gesang eines Baums,
Wir beide verstehen Dich, Mutter, und balde,
Italia, umsprüht Dich der Hauch meines Traums.
Oh Pinie, ich stehe auf südlicher Erde,
Wie Du, voller Wurzelgesundheiten, fest,
Doch träum ich mich fort, über jede Beschwerde,
Und fiebere und flüstere wie Du im Geäst.
Du athmest die freiesten Lebensergüsse,
Es meint Deine Schlankheit den krönenden Geist,
Oh Baum, Du empfindest fast Seelengenüsse,
Du bist ja ein grünender Psalm, der sie preist!
[Ob verliebt in Menelaus]
Ob verliebt in Menelaus,
Paris oder Fausten,
Wollustküsse jemals ganz
Helena berauschten?
Durch ein Ahnen ward das Glück
Immer ihr verbittert,
Hat sie doch am Mannesmund
Hades Hauch gewittert!
[401]
Aber ihr Trabantenchor
Schwelgte in Genüssen
Und vergaß im Augenblick
Völlig sich im Küssen.
Einzig im Erinnern kann
Glück sich still erhellen,
Freuden, die ein Mensch ersehnt,
Träumen nur entquellen.
Was sich sacht und langsam sucht,
Faßt sich keusch und zagend,
Plötzlich erst entstammt Genuß,
Alles überragend.
Holde Braut, Dein Eigenglück
Loht in der Pupille
Und vermählt sich wehmuthsvoll
Meiner tiefen Stille.
Eines Dunkels Trauerlaut
Perlt in Deinen Augen,
Ist es doch, als müßte ich
Licht und Leben saugen!
Still im Weib und unberührt
Ruht in ihm ein Friede,
Doch die Liebe haucht ihn weg –
Faßt ich ihn im Liede?
Gilt ein solcher Abschiedsblick
Deinem schönen Leibe?
Fort, beseeligter Gesang,
Leben, oh verbleibe!
[402]
Ahnt die Seele liebend gar,
Daß sie sich verzehre?
Daß die Schönheit, rasch verhaucht,
Nimmer wiederkehre?
Ragst Du mit dem schlanken Leib,
Weib, doch aus dem Staube,
Und der Jugend schwanker Hauch
Wird sich selbst zum Raube.
Hält, wenn man sich herzt und preßt,
Jugend uns umschlungen,
Hat ein Sein sie uns schon oft,
Werdend, abgerungen!
Fort ist unsere Jugend, fort,
Jäh uns weggenommen,
Und in Schöpfungen vielleicht
Über uns erglommen!
Als dereinst an Hellas Strand
Dies ein Mensch verspürte,
Wars, als ob ihn Wehmuth still
Zu sich selber führte.
Und da trat er in den Traum,
Wo die Götter wohnen
Und die Todeshauche sacht
Liebende verschonen.
Und er sah von Meer und Flur
Schleier auferstehen
Und im Frühling keusch und zart
Den Olymp umwehen.
[403]
Und er hörte wie der See
Wellenwiege rauschte,
Als die Venus sie fürs Bett
Blumiger Pracht vertauschte.
[Die Sonne glüht die Weltgesetze]
Die Sonne glüht die Weltgesetze,
Ihr strenges Antlitz giebt sie kund,
Gebote, die man nie verletzte,
Verkündet sie mit Feuermund!
Doch ihre großen, goldenen Strahlenarme
Ergreifen Hände einer andern Welt,
Sie schweifen hin zu manchem Flammenschwarme,
Den ihnen fern ein Stern entgegenschwellt.
Die Sonne birgt in gleichen Lichterhüllen,
In Lebensfalten, die sie schön entrollt,
Geschöpfe, die ihr Lichtgebot erfüllen,
Ideeen, die ihr heißer Kuß gewollt!
Planeten waren einst mit ihr verbunden:
Umfaßt von ihrer goldenen Mutterwand,
Gelang es ihnen selbst sich abzurunden,
Doch nie verletzten sie ihr Liebesband.
Nun will die Liebe uns zur Sonne bringen,
Es sprengt die Seele ihre Erdgestalt,
[404]
Die Nacht wird nie die Sehnsucht niederringen,
Sie ist Gesetz und hat in sich den Halt!
Sie ist die Liebe jeder EinzelBlüthe,
Die Welteneinheit, die sich wirklich fühlt,
Der Ring, der unsere Erde einst umglühte,
Die Macht, die jetzt die Starrheit unterwühlt.
Doch ist der Mensch noch tief an sich gebunden:
Wann hat er es bis übers Ziel gebracht?
Nur stufenweise wird das All empfunden,
Und selbst das Ursein ist beschränkt gedacht.
Es wird der Mensch vom Licht in seine Kreise
Durch geistige Wirklichkeit gebannt
Und in der Erde Seelengluthgeleise
Das All, als Ganzheit, erst in ihm erkannt.
Verschieden wurden sämmtliche Planeten,
In sich, ein sonderbarer Sonnentheil,
Und mußte jeder sich auch rund verkneten,
Trifft alle doch der gleiche Sonnenpfeil!
Und da das gleiche Licht auf allen lodert,
Erglüht auf jeden stets ein andrer Kuß:
Was jeder Strahl ist, wird von ihm gefordert,
Daß ihm das Seltene sich ergeben muß!
Durchs Leben wird es an den Tag gewunden,
Ihm Gleiches will das Sonnenangesicht,
Als Lust wird jeder Sonnenkuß empfunden,
Nur was sich liebt und trifft, das ist das Licht!
[405]
Ganz unergründbar sind die Sonnenseile,
Die uns auf Seelenhöhen schon gebracht,
Doch Licht sind die erlösten Erdentheile,
Und wärmend ringt, was bald als Licht erwacht.
Das ist die Macht der innern Sonnenmystik,
Die erdenseltenes Seelenlicht erhebt,
Denn durch heroische Charakteristik
Wird in der Welt der Adel streng belebt.
Doch drängt die Massengluth zur Sonnenscheibe,
Erheischt der Mensch für sich ein weites Wohl:
Er selbst vollendet sich in seinem Weibe
Und macht das Gold zum Sonnenglückssymbol!
Es gleicht das Gold erstarrten Sonnenstrahlen,
Gold wollen ist oft Sonnensohnespflicht,
Für Lust erleiden wir auch Schmerz und Qualen,
Denn so will es das Licht, ist Lust doch Licht!
In uns erglüht die Freudenfeuerkette,
Der stumme Nuß der Erd und Sonnengluth,
Und Sonnenwandlung bringt uns stets zur Stätte,
Wo, unser harrend, Glück auf uns beruht.
Doch hat der Ring der Freuden goldene Schranken,
Gar eng ist drum der Kreis vom Erdenglück,
Selbst Starke, die ihm nahe kommen, schwanken,
Denn SonnErkorene stoßen sie zurück.
Blos wer im eigenen Lichtmoment geboren,
Der jauchzt und jubelt unentwegt:
Es lacht das Licht, die Lust, in Feigen, Thoren,
Und freut sich, daß es so die Welt bewegt.
[406]
[Oh Sonne, Sonne, großer Lichtgedanke]
Oh Sonne, Sonne, großer Lichtgedanke,
Der Du das Unding zur Gestaltung raffst,
Oh, wüßtest Du, wie brünstig ich Dir danke,
Daß Du ein Kind durch meine Liebe schaffst.
Des Weibes stummer Blick hat mir verrathen,
Daß meine Sehnsucht heilige Wurzeln treibt,
Daß Träume wogend sich als Keim bejahten,
Und daß ein Wunsch von mir sich nun beleibt.
Du Kind, mein Kind, Du Frucht von meinem Wesen,
Erstehe stark und hold im Mutterschooß,
Oh Du mein Schmerz, sei endlich mein Genesen,
Oh ringe, ringe Dich von mir nun los!
Dann schmiege Dich als Glücklicher auf Erden
Durch die Erkenntniß an das Lichtgebot,
Es gabs ein Sonnensohn den Sonnenheerden,
Wie es am Sonnenantlitz, wechselnd, loht.
Wir Menschen wurden die Beschlußverkünder
Des Daseins, das sich überm Licht erwägt,
Die Einfalt und die Geistigkeitsergründer
Der Dinge, die den Tod in uns gelegt.
Gebt ab, Ihr Seelen, was Ihr kurz empfunden,
Vertieft in Euch was Ihr berauscht erfuhrt.
Es bleibt der Geist mit Eurem Nichts verbunden
Und Echtheit strahlt in jede Nacktgeburt.
[407]
[Einer Frucht, die reif ist, ähnlich]
Einer Frucht, die reif ist, ähnlich,
Stürzt die Sonne in die See:
Unerdenklich, unerwähnlich,
Ist es Abends Abschiedsweh.
Schatten, die uns überraschen,
Da das letzte Licht versinkt,
Scheinen Hände, die erhaschen,
Was im Äther rasch verblinkt.
Wie von lauter Flammenbündeln
Ist das Düster überloht,
Ringsum seh ich Argwohn zündeln,
Und ein Wolkeneinsturz droht!
Fällt der Aar getroffen nieder,
Schwingt das winzige Volk der Luft
Augenblicklich das Gefieder
Und schon schwirrts in Kluft und Schluft.
Alles Flimmern, das geblieben,
Dieses letzte Zwitterlicht,
Wie es Flederwische lieben,
Ist auf Haar und Schmuck erpicht.
Weiberaugen, Schminkgesichter,
Federfahne, Ring und Knopf,
Gleißen stärker öffentlicher,
Widersinn bezwingt den Kopf.
Weg aus solchen Brunstmomenten,
Niemand hält den Räthseln Stand!
Wär es endlich doch, als trennten
Lauter Sterne Meer und Land.
[408]
Schmale, kahle Dünen schmiegen
Ihren Pharus an das Meer,
Und ein Glockenschwall von Ziegen
Tönt vom Thale leise her.
Ängstlich wimmern diese Glocken:
Ob ein Heimchen mich umschwirrt?
Nein, ich höre nun frohlocken,
Eben singt der muntere Hirt.
Schlug man dort, tief eingebuchtet,
Einst ein blutiges Seegefecht,
Denn warum entreißt, entwuchtet,
Rings sich ein Gewaltgeschlecht?
Jene Schemen sind Zypressen,
Die in Gruppen einsam stehn
Und den Zug der Fluch von Pässen,
Sammt den Fluren, übersehn.
Oh, sie ringen aus dem Boden,
Sich entwurzelnd fast, empor:
Wollen sie zusammenroden
Was sich dort an Blut verlor?
Wehmuthsvoll und stumm verbluten
Wolkennarben immer mehr,
Und in farbenschweren Fluchen
Schwimmen Knaben hin und her.
Zwischen goldenen Plätscherkronen,
Die das Tintenblau erwühlt,
Kann sich erst der Schweiß verlohnen,
Wird er kühl hinweggespühlt!
[409]
Seht, das Meer tauscht mit den Wipfeln
Seinen ersten Windesgruß,
Und die Dämmerung giebt den Gipfeln
Ihren blutigen Abschiedskuß.
Doch nun glimmt es vor Altaren
Unserer sanften, lieben Frau,
Stimmen, Wesen, die sie ehren,
Bringen selber sich zur Schau.
Und die Stadt, die sich erhellte,
Gleicht im lichten Nachtgewand
Jetzt von selbst dem Himmelszelte
Mit dem Sommerdämmerrand.
Drüben am Vesuve schwellen
Seine Adern blutig auf,
Seines Wesens Grimmeswellen
Lenken unsern Schicksalslauf.
Er vergräbt sich wild in Pläne
Und erfüllt sie auch sogleich,
Seines Hauptes Schlangenmähne
Übersieht das Sonnenreich!
In Geschicke fügt er immer
Noch sein strenges Wirken ein,
Stirnenrunzeln, Wuthgeschimmer
Sind uns dessen Wiederschein.
Fühlte doch die erste Bleiche
Eruptiv die Daseinsnoth,
Ward die schwangere Wolkenweiche
Plötzlich ganz vom Geist durchloht!
[410]
Ja, der ersten Liebesschäume
Duftig zartes Dunstgedicht
Reckte sich, als Lebensträume,
Stracks zur Buhlschaft mit dem Licht!
Zucken immer noch Entschlüsse
Durch des Berges Flammenhaupt?
Drohen uns die Lavaflüsse?
Seht, wie grauenvoll er schnaubt!
Kann er gar das Fatum lenken,
Rührt er langsam seinen Arm?
Welches Volk will er ertränken?
Wo versinkt ein Inselschwarm?
Taucht er Skandinaviens Küsten,
Für Atlantis, aus der Fluth?
Mag zum Südpol er sich rüsten,
Wohin gährt sein Lavablut?
Oh Vesuvius, es umschlingen
Würmer Dein Medusenhaupt,
Gifte, die sich Dir entringen,
Werden in den Wind verstaubt.
Todverheißend sind die Schlangen,
Die in Deiner Nacht entstehn,
Lauernd auf den Raub gegangen,
Sprühn sie, wenn sie Leben sehn.
Angeschlemmt mit Todesflammen,
Selber fast ein Lavabrei,
Kneten sie sich erst zusammen
Und dann bersten sie entzwei.
[411]
Flammendrache, grauser Wühler,
Du bist Du und nur Dein Schein,
Deines Grundes Lavafühler
Greifen in das Dasein ein.
Was bezweckst Du hier im Leben,
Schäumender Verderbnißkrug?
Menschen, Thiere, Wald und Reben
Tödtet schon Dein Athemzug.
Bis zur Meersirenensippe
Rann sich oft Dein Gold verziehn,
Denn dort wollen auf der Wippe
Weiber rasch damit entfliehn.
Ja, sie balgen und sie streiten
Raschelnd sich ums Aftergold,
Netze sehn wir sie entbreiten,
Und kein einziger Schein entrollt.
Doch der Berg bleibt lebenlenkend,
Unerbittlich gluthverhüllt:
Wechselweise sich verschenkend,
Ist das Sein durch ihn erfüllt!
[Es schlingen durch Liebe verkettete Stunden]
Es schlingen durch Liebe verkettete Stunden
Ein wonniges Band durch die innere Nacht,
Nun können sich Sterne der Unschuld bekunden,
Doch trüben wir gerne, was ferne erwacht.
Die keuschen Gefühle sind winzige Sterne,
Sie können kaum blinken und winken sich zu,
[412]
Sie lächeln wie Kinder in lautferner Ferne,
Sie weinen ein wenig und gehn dann zur Ruh.
In uns Urverliebten, in mir und im Weibe,
Erweckt sie und stärkt sie die große Natur,
Es bittet mein Weib, oh verbleibe mir, bleibe!
In mir aber wüthet es: Sei, Kreatur!
Auch draußen erscheinen die Kleinen, die Freien,
Sie folgen der Mutter natürlichem Wink,
Sie nicken bescheiden in kindlichen Reihen:
Da sind wir und freun uns am eigenen Geblink.
Die Sonne ist längst schon nach Westen gegangen,
Doch schleppt sie im Sommer noch Goldschleier nach,
Drum sehn wir am Ozean Schaumkronen prangen,
Doch schwindet auch dieses Gefunkel gemach!
Durch innige Bande der Liebe verschlungen
Sind Wärme und Lüfte die Buhlen der Welt,
Damit in den triftigen Felsniederungen,
Selbst früh, nicht das Eine dem Andern entfällt.
Ich sehe in Liebe erglühende Sterne
Und auch der Planeten treuhaftenden Blick,
Die Inseln und Berge in nebliger Ferne,
Und alles erfüllt und erfährt sein Geschick.
Das ist es, das ist es, drum sind wir geboren:
Die innere Bestimmung erschaun wir stets mehr!
Kein Blick und kein Einblick geht jemals verloren,
Naiv sind die Sterne und wissend das Meer.
[413]
Doch was unsere Augen nicht sehn und nicht merken,
Wird heimlich und herrlich in Herzen erhellt,
Wir können erleben, beleben, uns starken,
Wir sind zweier Menschen geschlossene Welt.
Wie herzhaft erleiden wir Räthsel der Freude:
In Dich leg ich alles, ich bin ja durch Dich,
Oh Freude, oh Freude, oh Traumesgebäude,
Gabs jemals ein Licht, das mit Euch sich verglich?
Wo Du mich durchwitterst, da bin ich der Meine,
Verschiedene Seelen empfanden einst mich,
Doch Du bringst mein Wesen erst freundlich ins Reine,
Mein Weib, ja ich weiß es, Du selber bist »Ich«!
Ein räthselndes Schwingen, Erleiden und Fliegen,
Erläutert uns leuchtend, erklärlich und wahr,
Ein zeitliches SichinderEwigkeitWiegen
Betäubt, was sich eben dem Tage gebar.
Du dunkelerfunkelte, sterneversprühende,
Dich selber zum Tempel verzaubernde Nacht,
Auch ich bin und habe dir glücklich erglühende,
In sich lustverzückteste Hymnen gebracht.
Ihr Schemen des Forderns, zu Lüsten gesteigert,
Wo Ihr, wie von uns grundgesondert, erscheint,
Wenn nichts Eurer Brunst, in uns selbst, sich verweigert,
Sind Körper getrennt und die Seelen vereint.
Es sendet die Welt sich, getrennt, ihr Gefunkel,
In Schnuppen beseelt, in sich selber zurück,
Es weiß das Erstrahlte sein innerstes Dunkel
Und schwellt und erzittert sich ewig sein Glück!
[414]
[Hier lacht die Nacht: das ist die Stadt der tollen Nächte]
Hier lacht die Nacht: das ist die Stadt der tollen Nächte,
Das ist das Land der Liebe und der Liebesrechte,
Es fürchtet Niemand hier die großen Zweifelsmächte,
Da weilt die Kindlichkeit im schaudernden Geschlechte.
Das herzt sich und lacht, das tanzt auf der Straße,
Das nimmt sich aus Neigung und küßt sich zum Spaße,
Man liebt um zu lieben, entjubelt dem Maaße
Und ruft sich und winkt sich, das singt auf der Straße.
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Die Erde schämt sich, daß wir tanzen, scherzen,
Die Erde blutet ja vor Mutterschmerzen:
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen.
So komme, so komme, die Reue ist ferne,
Ich habe Dich gerne, wir haben uns gerne,
Die Nacht ist beruhigt, es flimmern die Sterne,
Wir jubeln und jubeln: die Sterne! die Sterne!
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Die Erde will nicht, daß wir herzen, scherzen,
Sie will uns aus der Herzensnähe merzen:
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen.
Das ist die Stadt, wo ich ein Wesen knickte,
Wo ich beinah vor Bangigkeit erstickte,
Das war kein Kind, das aus dem Fenster nickte,
Das war die Schuld, die mir das Schicksal schickte.
Jetzt springen wir, wirbeln wir, drüber, hinüber!
Vorüber, vorüber, je schneller je lieber!
Ich juble, wir singen, ich werde doch trüber,
Ich denke nicht dran und ich schwärme im Fieber.
[415]
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Die Erde will nicht, daß wir herzen, herzen,
Sie will uns aus der Herzensnähe merzen,
Sie blutet aus dem Herzen! aus dem Herzen!
Der Gram erfaßt mich, ringsum wird es dunkel,
Nur selten blitzt es, wittern wir Gefunkel,
Du börst und mehrst zugleich das Stadtgemunkel,
Auf einmal ward es überraschend dunkel!
Das Mutterherz blutet, es blutet und blutet,
Das Unheil wird überall wortlos vermuthet.
Was giebt es am Meere? Es grollt und man tutet,
Die Nacht ist vergraut, doch sie blutet! und blutet!
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Wir können nicht fröhlich sein, jubeln und scherzen,
Es fängt sich der Himmel an furchtbar zu schwärzen:
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen.
»Du Heiliger, Schutzpatron dieser Gefilde,
Maria, Du Königin ewiger Milde,
Beschirme die Stadt mit dem bräutlichen Schilde!«
Ertönt es vor manchem beleuchteten Bilde.
Wir wollen uns herzen, besitzen, vergnügen,
Wir lassen uns nimmer von Schemen belügen,
Wir mögen uns nicht mit dem Fleische begnügen,
Ihr Anderen laßt Euch betrüben, betrügen.
»Du Mutter, die keine Gewaltthat erfahren,
Beschütze, was fromm ist, vor Schreckensgefahren,
Erschaue Gerechte in thörichten Schaaren!«
Ertönt es: »Und lasse uns Trost offenbaren!«
[416]
Es blutet das Dunkel, das Mutterherz blutet,
Es blutet das Meer und man tutet und tutet,
Die Luft ist geschwärzt und von Schaudern durchgluthet,
Der Tag ist verkohlt und die Nacht grell durchblutet.
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Man singt jetzt; »Wir wollen uns eillig noch herzen,
Der Tod ist so schwarz und so ledig an Scherzen!«
Es tönt: »Bringt der Jungfrau gesegnete Kerzen!«
Es donnert die Luft und es tönen die Glocken,
Es kann, was da jubelte, nimmer frohlocken,
Es mag sich jetzt Niemand zum Tändeln verlocken,
Es blutet das Dunkel, es grollen die Glocken.
Das singt Litaneien, beleuchtet die Straßen!
Es wagt es jetzt Niemand zu lästern, zu spaßen,
Die Menschen, die lange das Murmeln vergaßen,
Durchmunkeln nun dunkeldurchblutete Straßen.
Das läuft aus den Häusern, die Freude ist ferne,
Das betet in jeder verrauchten Taverne,
Das tapft von Laterne jetzt stumm zu Laterne:
Auf einmal erschallt es: »die Sterne! die Sterne!«
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen!
Die Menschen fangen plötzlich an zu scherzen,
Das will genießen, jubeln, scherzen, herzen:
Das ist die Stadt mit dem gebrochenen Herzen.
[417]
[Lebensgold ist jedes Blatt und es kann nicht sterben]
Lebensgold ist jedes Blatt und es kann nicht sterben,
Nichts als Same, selbst der Stiel edles Sichverschwenden:
Was da weste, werden wir urbewußt ererben,
Ja, wir folgen immerdar inneren Palmenhänden.
Ach es blüht, entzaubert sich unsere Lebenssäule.
Reinheitsrosen schmücken sie. Volle Keuschheitskelche
Überwuchern sich zum Wald. An der Sonne grasen Gäule.
Und im Schatten wittern rings stille Friedenselche.
Todesschreie gellen tief, dort in meinen Tiefen,
Hinter Fieberlinden sind sicherlich die Nester
Dieser argen Hälslinge: ach, wenn sie doch schliefen!
Doch vernimm, sie schlafen ja! – Schliefen sie noch fester!
Kaumverfleischlichtes entreißt jäh sich seinen Eltern,
Was sich nur erhalten kann, mag sich schon besitzen,
Oh die Lust, doch auch der Tod, schäumt drum aus Behältern,
Die mit Schweiß und Thränen sich ewig überschwitzen!
Eine Sonne sinkt in mir, denn ich sehe Herzen
Sich erfunkeln und der Nacht Wesenspulse pochen,
Augenblicklich freuen mich meine tiefsten Schmerzen,
Doch die Freuden kommen schon düster angekrochen!
Ja, die Sterne flimmern doch, so wie sie uns scheinen:
Alle hämmern wie ein Herz, züngeln nach Geschicken,
Flackern aus dem Innersten, funkeln nach dem Reinen,
Lebend, durch Lebendigkeit, voll sich zu erquicken!
[418]
[Mein Gedanke hat mir Weib und Kind getödtet]
Mein Gedanke hat mir Weib und Kind getödtet,
Mörder! Mörder! dröhnt es um mich her,
Nein, es ist das kein Gesicht eines Phantasten,
Meine Seele ist ein wilderregtes Meer.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es scheint mich jenes Licht, das brennt, tief zu verklagen,
Das foltert, tödtet mich mit scharfem Speer,
Es splittert, nein, es beugt sich bis zum Herzen,
Es sticht so tief, so tief hinein! –
Dort scheucht mich jene rothe Blutgardine,
Der langen Gasse einziger Schein!
Er haftet sich an die Erinnerung an,
Er wird der armen Seele blutigrother Fleck,
Es wogt ihm meine Wollenssucht entgegen,
Doch immer wieder packt er mich als Schreck! –
Ach, schrecklich schmiegt er sich, als blutige Schlange:
Jetzt taucht er auf, – taucht empor – mit einem Bild!
Mein Weib seh ich erstarrt in Krämpfen,
Dazu mein Kind, ein blutiges Gebild.
Da liegt sie todt, von mir erdrosselt,
Es hat sie zu viel Lebensmuß erwürgt!
Dort seh ich noch die todten Schlangen, blutige Streifen,
Die Schmerzensspangen, die sie todtgeschnürt.
Ach, hat die Todesangst ihr Licht vernichtet,
Hat sie aufs Leben wissentlich verzichtet,
Hat sie das alles, alles das, gespürt? –
Zu plötzlich faßten sie die Schmerzenskrallen,
Gar rasch ist sie dem Erdentod verfallen,
Es suchte noch ihr Blick nach mir,
Er starrte nach der dunkeln Thür:
Sie spürte Tod und Schmerz in allen Nerven,
[419]
Es zerrte ja an seinen Mutterwurzeln
Ein jungerkeimtes eigenes Sonnensein!
Sie rief dabei bestimmt um Menschenhülfe,
Wie läge sonst ein Weib bei ihr, das ich noch nie gesehn,
Es schluchzt noch immer dort an ihrem Todtenbette,
Und weiter treibt es mich von dieser Schreckensstätte!

Ende des ersten Theiles. [420]

Zweiter Theil. Sahara

Das Kataklisma
[Da Deine Sternenaugen nie erblinden]
Da Deine Sternenaugen nie erblinden,
Oh Liebe, Seele aller Weltnaturen,
So flüstre sacht, kann ich die Todte wiederfinden,
Verspürst Du noch der Vielgeliebten Spuren!
Ist alles fort! Sind Menschen ewige Wesen?
Lebt nur von ihr, was sie in uns versenkte,
In uns, die sie aus Liebe auserlesen,
In mich zumal, dem sie ihr Sein verschenkte!
Du stärkste Liebe, Starrkrampf unserer Erde,
Die uns so schrecklich wird durch ihre Klammern,
Wenn sie mit Krallen, aus der Sonnenheerde,
Lebendiges ergreift, daß wir drum jammern,
Dich, ruf ich an, Dich Förderin der Schrecken,
Dich Mörderin, die uns erfüllt mit Grauen,
Du suchst das Gleiche wieder vorzustrecken
Und trachtest Lebensfluthen anzustaunen!
Wirst Du die Keime meiner Todten binden,
Daß ihre Formen sich zum Licht erheben!
Werd ich durch Liebe sie dann wiederfinden!
Kann, was er raubt, der Tod uns wiedergeben!
Durch seine Wüstenschrecken will ich schreiten,
Doch nur, was ich erfahr, will ich verbuchen:
Kein Hoffnungsglaube möge mich verleiten,
Für wahr zu halten, was wir hoffen, suchen!
Nicht süße Heuchler oder Priesterworte
Beweisen, daß die Todten auferstehn:
Doch forschen will ich, ob der Menschensorte
Gestalten, voll und gänzlich, untergehn.
[3]
Oh wüchse doch des Einzelwesens Starke,
Daß es den Tod noch überdauern müßte,
Daß man als Maurer großer Menschenwerke
Doch niemals mehr erbaute als Gerüste.
Dann müßte die Natur uns wieder zeugen
Und abermals zum Meisterwerke stellen:
Wie Gattungen sich nie dem Tode beugen,
So kann der Tod auch keine Helden fällen!

Gar friedlich waren alle Menschen, die mich einst umgaben,
Und fast zufrieden sind die meisten aus der Welt geschieden;
Sie ließen sich von kalten Worten, Staub und Schnee begraben,
Und Flocken fallen auf ihr Grab, fast wie ein Wunsch nach Frieden.
Am Friedhof laßt die Wandersonne ihre letzten Spuren.
Nun sind sie blutig und von Abendschleiern bleich umschattet.
Ich seh mich dort, auf jenen eis und gluthbedeckten Fluren,
Als Menschen, der beim Gehn im harten Schnee ermattet.
Die Schatten werden bald den letzten Tagesschein verdauen,
Und meine Stapfen wird der Wind mit frischem Schnee durchschütteln,
Und auch die Seelennarben werden mehr und mehr vergrauen,
Denn bald schon werden andere Leidensstürme an mir rütteln.
Schon wird es langsam stiller. Der Schnee dient anderm Schnee als Lager.
Und nichts empfindet mehr der frischen Flocken herbe Kälte.
Die Seelen schrumpfen ein: sie werden stumpf, gefühllos, hager,
Da sie ein Schmerzensschrei zu oft, ach gar zu oft, durchgellte!
[4] Natur, Dein Wunsch nach Ruhe mag sich immerdar erfüllen
Und schließlich folgt ihm auch die Menschheit ohne Widerwillen.
Schon naht die Nacht, da alle Jubelfarben sich verhüllen,
Und alle Dinge ihre Sucht, nur Form zu bleiben, stillen.
Ich selber, frostiger Mond, fühl mich zu Dir hinangezogen
Und leiste gern den Albtribut, den ich Dir schulde:
Auf bleichen Schauerträumen bin ich oft zu Dir geflogen
Und spürte da das Grinsen Deiner hohlen Backenmulde.
Erwachte ich, so fühlt ich auf der schweißbedeckten Stirne
Die Silberhand, die mich zurück ins schwere Träumen drängte,
Und folgte willig fast dem schreckverschwendenden Gestirne,
Das alles, was ich je erfuhr, zur Zwerggestalt verrenkte.
So werd ich schmerzzerfleischt den Tod einst selber rufen:
Auf Fieberwiddern ihm in kalter Nacht entgegen jagen,
Die Böcke werden prustend und verhustend, mit den Hufen,
Mein letztes Zucken, Blitzen gleich, aus eisigen Krusten schlagen!
Wer mag dem Tode langer trotzen als die ganze Erde?
Versprüht sie doch das Leben nur, um völlig zu erstarren:
Dem todten Monde folgt bereits der Erde Traumspukheerde.
Schon stolpert ihm die Fallsucht zu und zerrt am Narrenkarren.
Im Winter, wenn die Wolken sanft das Land beschützen,
Vermags der Mond die festgestockten Nebel zu zerreißen,
Dann löschen trockene Winde ihren Durst in Silberpfützen
Und scharfe Kälte kann, was kaum entsteht, bereits zerbeißen.
Zur heißen Zeit verhaucht die Blüthenfülle ganzer Haine
Gar oft in einer einzigen, schwülen Mondscheinnacht im Süden,
Von Anfang an kreist das Gestirn in honiggoldenem Scheine,
Und Duft auf Duft entweicht den Blüthen, die zu Tod ermüden!
[5] Verwelkt ist dann die holde Frühlingspracht am warmen Morgen.
Der Mond kann rasch des Lebens Frühlingsbraus entsaugen:
Sein Licht ist schroff. Er selber kennt nicht mehr die Schöpfersorgen.
Und starrt uns müde an, mit langst erloschenen Krateraugen.
Kein Liebesstrahl erfrischt die Tropennacht, die er durchschreitet.
Wie mattes Erz erglimmen seines Lichtes scharfe Klauen,
Womit er Helfen sprengt und Laken neben Laken breitet,
Um grinsend lichtbedeckte Scheingerippe anzuschauen!
Er raubt uns unsern Schlaf, um unsere Kräfte zu verbrauchen!
Er quält, erschlafft uns durch das Träumen, das uns meist zuwider.
Er bläht, berauscht sich mit der ganzen Erde Lebenshauchen
Und stürzt dann blutbesoffen, umgestülpt, des Morgens nieder.
[Mein Weib, mein Weib, wie Du Dich tapfer sträubtest!]
Mein Weib, mein Weib, wie Du Dich tapfer sträubtest!
Du bist so schwer, so bitter schwer, dahin gegangen.
Du Schmerz, als Du das liebste, holde Sein betäubtest,
Da konnte es der Tod noch lange nicht erlangen!
Als wahre Riesin ist mein Weib, zum Schluß, gefallen!
Mein Weib, Du warst mir da so plötzlich fortgenommen,
Du hast das ganze grause Leid vom Erdenwallen
In Deiner allerletzten Stunde voll vernommen.
[6]
Einmal, des Nachts, umschlangen wir uns plötzlich fester!
Als unsere Herzen immer wild und wilder pochten,
Verliebten wir uns mehr als je, stets stärker und gepreßter
Umhalsten wir uns da, wie wir es nur vermochten.
Doch plötzlich, überraschend plötzlich, wars zu Ende.
Zur Ohnmacht, ach, war Deine Stummheit rasch geworden,
Und nutzlos nur, betasteten Dich meine Hände,
Ganz machtlos sah ich Fieberwüthen Dich ermorden!
– – – Vermutheten wir gar, daß wir uns trennen müßten,
Wie wir im Glücke niemals den Verlust bedachten!
Es war, als wir uns damals scheidungsinnig küßten,
Als ob auf einmal lauter Ahnungsschauer jäh erwachten!
Du trampftest Dich an mich und Du begannst zu weinen.
Gar wilde Bitterniß war unserer Lust entfahren!
Was mochte da in Deiner Seele wohl erscheinen!
Denn nichts, was Dich erschreckte, konnten wir gewahren!
Doch Trauer träufelte so schwer auf unsere Freude,
Und nie umschlangst Du meinen Hals so lang und bange,
Und Du erträumtest wohl viel düstre Spukgebäude,
Dann lachtest Du gar kindlich bang und lange.
Und endlich doch, als wir das Glück zurückgewannen
Und uns vertraulich wieder hin zum Schlummer neigten,
Begannen die getrauten Träume Flügel aufzuspannen:
Ihr Bruderflug begann, indem sie nimmer sich verzweigten.
In Seelenfernen, die in uns kein Ende kennen,
Möcht ich Euch nach, ihr seeligen Stunden eilen,
Sie waren beider Glück und können sich nicht trennen,
Doch nein, ich blieb allein und werde nirgends weilen!
[7]
Ich seh in mich, ich blick Euch nach zum Himmelszelte!
Mein Glück ist fort, ganz unerreichbar meinem Wesen:
Denn sie ist weg, die unsere Wesen heimwärts schnellte,
Und unser Kind, auch unser Kind, muß mitverwesen!

Der Mondschein ist der Leichenschleier bleicher Kindersterne.
Die Silbersichel mäht zuerst die Allerschwächsten nieder,
Und stündlich ists, als ob ein Größerer sich von uns entferne
Und endlich schließen auch die Nachtbrillanten ihre Lider.
Und überstrahlt die Todtenbleiche ringsumher den Sternenacker,
So sprühn die Ewiggroßen, die selbst kleine Kinder kennen,
Im Vollmondscheine weiter; mit urmächtigem Geflacker
Bestehn sie fort und nichts kann sie von ihren Thronen trennen.
Und wird das Mondlicht später täglich wieder schwach und schwächer,
So siehst Du Sternlein, wie der Mächtigen Kinder, jung erscheinen,
Und es erglühen Bären, Löwen, goldene Palmenfächer,
Die ewige, weiße Schlange wühlt sich vor im Sternenhaine.
Und wie es war, so wird es dort auf Gottes Himmel wieder!
Doch auf der Erde, ach, erstehn wir nimmer aus dem Grabe,
Du Heißgeliebte mein, so öffne wieder Deine Lider,
So komm zurück, Du Lust, Du mein Geschick und meine einzige Habe!
Du Ruhenacht, wie herrlich bist Du doch im schwülen Süden.
Kein schwacher Lufthauch wagt es, Deine Schöpferpracht zu stören.
Es ist, als ob sich Liebesstimmlein fernher zu sich lüden.
Und ohne zu ermüden, müssen sich die Kleinsten hören.
[8] Aus Blüthen und aus Seelen, ja aus der Stille selbst im Haine,
Weht stets ein Duft empor, regt sich ein Traumesschimmer:
Oh Nacht, oh bitterfinstre Nacht, nur mich läßt Du alleine,
Die Stimme, die mich rief, ach nur die meine, hör ich nimmer!
Du leuchtest, klare Sternennacht, in ewiger Schöpferstille:
So spiegle Dich im leiderregten Meere meiner Seele
Und senk Dein schweres Gold hinab! das ist mein Friedenswille:
Nur Du tauchst bis zur Tiefe, wo ich mich um Stummheit quäle.
Nur Du machst alles Leid zum Lied und doch bewunderungsstummer!
Du giebst den Frieden, der befreit: der Schlaf beschwert die Glieder.
Zum Traum verspinnt die Trauer sich: was hilft ein dumpfer Schlummer?
Die Wehmuth hält er weiter wach, beschwert er auch die Lider ........
[Es scheint, daß eine schillerreiche]
Es scheint, daß eine schillerreiche
Nachnebelbrunst dem Meer entschwebt:
Und alles schweigt in dieser Bleiche,
Aus Mondlicht und aus Dunst verwebt!
Die fahlen Silbersträhne dehnen
Sich schleierhaft hervor im Raum.
Den Mond umblinzeln Iristhränen,
Als wie ein feuchter Trauersaum.
Die Sterne starren wie die Blicke
Der Sterbenden im Todeskrampf,
Verlöschend, durch die wolkendicke,
Dunstschwere Wand aus Licht und Dampf.
[9]
Sie glitzern und sie flimmern nimmer.
Du siehst wie ihre Kraft gebricht.
Der Mond vergraut im Eigenschimmer:
Und bald verblaßt auch dieses Licht.
Es will das Meer den Sturm gebären,
So plötzlich wogt es grollend auf,
Es brüstet sich, die Welt zu nähren,
Und schwellt die Wellen schon zu Hauf.
Die Sterne und der Mond verblassen.
Das Wasser aber sprudelt hell:
Nun huschen Aale aus dem nassen,
Unsagbar tiefen Lebensquell.
Sie ringeln sich und sie entwischen
Dem Salzgischt, den die Welle spritzt,
Und stehlen sich mit Silberfischen
Ins Leben, das jetzt ringsum blitzt.
[Oh Wißbegier, wann hast Du ausgetobt in meinem Innern]
[Oh Wißbegier, wann hast Du ausgetobt in meinem Innern?]
Oh Wißbegier, wann hast Du ausgetobt in meinem Innern?
Wann mildern der Gefühle zartverwobene Wehmuthsweben,
Den Sonnenschleiern gleich, die einen stillen Herbst durchschweben,
Das schlafloswilde Wühlen von erregten Sorgenspinnern?
Gefühl und Güte sind der Reichthum innerer Seelenflammen,
Und große Thaten Formen, die sich die Natur gestattet;
Vernünfteln die Verzweiflung einer Gattung, die ermattet,
Die um den Nutzen schleicht, um lustlos zu verschlammen.
[10] Der Erdenwesen Trachten sonnlebendig fortzudauern
Ward einer Schlange, die sich durch die Lebenswüste windet
Und endlich einen nutzerwägenden Verstand erfindet,
Gar ahnungsoft verglichen und erklärt von Weltdurchschauern.
Dein bleiches Spiegelbild, oh Wüste, die das Opfer fordert,
Das will ich jetzt durchträumen und mit Träumerlust genießen:
Nicht soll vor Schmerzensgraun Dein farbenschwankes Bild zerstießen,
Die Einsicht loht bereits, das Schicksal hats beordert!
Wohl ahn ich schon die Ruhe meines eigenen Wesens,
Denn der Gefühle Allgewalt, der Menschen Freude, ihre Liebe,
Die unauslöschlich glimmt und stockt, als wärs aus einem Siebe,
Beherrscht mich schon und zieht mich fort von dem Belauern des Verwesens.
Ich wähle eine Welt mit hellen Flammenkathedralen:
Schon wähn ich sie im Seelenschooße starker Menschenschaaren.
Ein Lebensüberschwang gebiert der Menschen Freigebahren,
Und domhoch seh ich Lebensströme ineinanderstrahlen.
Doch Wüstensand, noch locken mich Verstandespyramiden.
Ich bin ein Sohn der Zeit, da die Vernunft zu höchst gepriesen!
Ein Seelendrang hat mir den Weg ins Wüstenthal gewiesen,
Drum folg ich ihm beherzt, sind meine Wünsche auch verschieden.
Geschöpf, der Augenblick ist nah, Dir freudig zu verkünden,
Daß, was Du hoffst und heischst, Dir die Natur nicht mag verwehren,
Du warst bestimmt, das Feuer freier Freude fromm zu nähren,
Und Deiner Einsicht mag sich heut ein Wonnerausch verbinden.
Es braust der Erde Freudenschwall durch unser Glücksempfinden.
Ein stummer Rausch erzittert wonnig in den Wunschgefühlen,
Doch Wonnewogen, die wir jubelnd in den Äther spülen,
Sind auch das Liebesglück, durch das wir uns zu Sternen winden.
[11] Die Armut, das Verzichten hat der Mensch sich selbst geboten,
Als unserer Erde Wonnerausch noch allzu karg bemessen;
Nun ist er reich und hat den alten Glauben fast vergessen,
Da Freudenflammen ihn noch wuchtiger und frei durchlohten!
Auch der Verstand ward so zum Mittel stärker zuzugreifen,
Er fügte sich in das bedingte Vollmaß als Ergänzung:
Er ist emporgereift aus seiner einstigen Begrenzung
Und fordert den geputzten Sparsinn abzustreifen.
Die Lebensschroffheit und die Sitte bergen die Askese,
Die noch die Lebenswüste fordert, die uns Wesen peinigt.
Doch wißt und glaubt, die Freude steigt jetzt, brüderlich vereinigt:
Dies ist das Wort, das ich im Herzen und am Himmel lese!
[Des Lebens große Sonnerklärung]
Des Lebens große Sonnerklärung
Erwacht im menschlichen Verstand,
Sie ist die reinste Lustgewährung
Der Gluth, die sich im Glück erkannt!
Die Brandung, die uns tief durchwuchtet,
Die schaffend, singend uns durchtönt
Und durch bewußtes Thun befruchtet,
Ist überall von Glück gekrönt.
Die Sonne wird uns Kraft gewahren,
Da Mühsal die Vernunft erhält:
Von Flammen, die sich nie verzehren,
Wird Gluth und Glück zum Licht geschwellt.
[12]
Wir können froh den Tag genießen,
Da sich die Menschheit frei verband,
Nicht mögen wir uns scheu verschließen:
Die Sitte ordnet der Verstand.
Die große Sonn und Erdvermählung,
Die sich so reich ins All gefügt,
Die wir geahnt in der Erzählung,
Bis unsere Einsicht sie erglüht,
Die hat harmonisch uns durchklungen:
Sie ist in uns herangereift,
Hat voll und herrlich uns durchdrungen
Und Furcht und Hoffnung abgestreift.
Ein Band muß strahlend sich gestalten,
Das Welten aneinander schweißt:
Erfüllung ruht in solchem Walten,
Wo alles Sein urselbst sich preist.
[Was mir erscheint, ist das der große Gotteshimmel]
Was mir erscheint, ist das der große Gotteshimmel,
Ists Sternenglanz, der sich im Traumesdome regt?
Ist es die Nacht auf wildbewegtem Wolkenschimmel?
Ists kühler Wehmuthsschnee, der sich aufs Herze legt?
Du Traumesruhe, die auf reifer, abgemähter,
In schlafversunkener Mutterflur die Schmerzen heilt,
Du bleiches Bild, Du Sternenwelt im Purpuräther:
Ihr Glücksgefühle der Unendlichkeit, Ihr weilt!
[13]
Mir ists, als ob nun eine Ähre hell entsteige,
Schon schwebt sie frei, sah ich die Hand, die sie gepflückt?
Nun scheints, daß sie die vollen, goldenen Köpfe neige:
Ists ein Komet, der sich zur Erde niederbückt?
Ein goldener Strahl scheint zitternd aus mich her zu kommen.
Ein Meteor der meinem bangen Herzen naht!
Ein Bote ist vor meinen Augen schon erglommen,
So morgenklar und ernst wie eine freie That:
»Es kann das Menschenherz die Wahrheit streifen,
Es ahnt der Liebe und des Friedens Macht.
Hier mag der Same ewiger Freiheit reisen
Und er ist würdiger als Sternenpracht!
Der Mensch ist nicht von Gott verstoßen,
Er sündigt mit dem Sterne, der ihn trägt,
Es kann sein Thun nicht freuen noch erboßen,
Schon wirkt das Heil, wo man erwägt.
Die Menschheit soll ein Liebesband umschlingen,
Vernunft ist für Gerechtigkeit gereist,
Kein Schmerzensschrei wird unerhorcht verklingen,
Wo er im All ein Menschenherz ergreist.
Vernunft allein wird keine Wege finden,
Sie dient der Gnade, die die Welt verdient,
Ist Anfang nur und laßt den Schluß verschwinden,
Zeigt Euch das Nichts, wo Ihr am Ziele schient!
Die Freude wirble nun in Menschenseelen,
Der Frohsinn sei uns allen nicht vergällt:
Zum Troste mögt Ihr nach Äonen zählen,
Bis alles Leben mit dem Ball zerfällt.
[14]
Doch die Gerechtigkeit ist nur Erklimmung
Von Maaßen in der Schmerzenswelt.
Erlösung ist des Weltalls Urbestimmung
Und Gnade ists, die unsere Hoffnung schwellt.
Was leib und lustbegehrlich hier ersprossen,
Was weltharmonisch sich zusammenkrönt
Und sich vernünftig in die Form gegossen,
Das wird von Gnadenstimmen überdröhnt.
Schon die Vernunft ist ein Geschenk der Gnade,
Vor der die Welt in Ewigkeit erstarrt:
Kein Anfang sprüht empor vom Zeitenrade,
Wenn die Vernunft auf ihrer Kraft beharrt.
Das Fleisch ist nun erlöst aus der Verachtung,
In die der Sonne Strenge es gebannt,
Und die Vernunft entwandt sich der Umnachtung,
Wo sie die Gnade früh und schwach erkannt.
Heut mag die Gnade Euch Bestimmtheit schenken,
Sie schäumt und träumt urewiglich empor,
Nicht glauben mögt Ihr, sondern würdig denken,
Und keine Angst beklemme Euern Chor.«
Und als der Bote dies im eigenen Glanz verkündigt,
Verschwand er rasch, doch seine Stimme klang noch fort:
»Der Wahn verschwinde, daß die Schöpfung sündigt,
Doch nun verdunkle die Vernunft das hohe Wort!
Ja, Hohn und Leiden mag das Gnadenkind erfahren,
Da Ahnung seinem holden Sein entschwellt,
Denn aus der Welt, die wir durch Sinnentrug gewahren,
Erstrahlt auch Wahrheit, die uns der Verstand vorstellt!«
[15]
Die Silberwölklein, die ich rings um mich gewahrte,
Zerpflückten sich zu allerliebsten Engelein,
Blos Schönheit wars, die meinem Blick sich offenbarte,
Und eigenes Glück, dem sich die Seele konnte weihn.
Der helle Flockenschein auf winzigen Wolkenköpfen,
Der wurde Mang und Sang und Jubelmelodie.
Die Englein schienen aus dem Heil ihr Sein zu schöpfen,
Das stets der Welt ihr Licht und ihren Klang verlieh.
Sie sangen klar: »Wir grüßen Dich, Du große Gnade,
Die aus dem Heil sich in die Ewigkeit ergießt,
Um da als Welt zu wirken, ihrem eigenen Gnadenpfade!
Dich Gnade loben wir, die sich in Leidensformen schließt,
Die sich als Sünde suhlt und Sünderschmerzen leidet,
Bis Gnade sie in ihrem Gnadenschooß erwählt:
Die Gnade zu erfahren, selbst um Gnade neidet,
Da Gnade dann der größten Sünde sich vermählt!«
Dann sah ich rings um mich die Engelschaaren.
Sie wollten niederknien aus Wolkenkissen,
Doch da sie viel zu leicht und lustig waren,
So neigten sie im Chore Lichtnarzissen.
Sie sangen jubelnd: »Erde, Deinen Pollen,
Den Nordlichtsamen streust Du in den Ather,
Du schenkst die Keime hohen Sehnsuchtsschollen
Und wirkst als Deines Heiles Übertreter.«
So schweift denn, freie Flammengoldkometen,
Bis Wirbel Euch in eigene Fesseln legen:
Wenn Sonnen sich aus Liebesgluthen kneten,
So müssen sie im Schooß die Gnade hegen.
[16]
Wir Engel pflücken winzige Heilsgefühle,
Die spärlich auf dem Sonnenacker blühen,
Wir sehn das Menschenherz im Kampfgewühle
Und strahlen durch sein muthiges Lichtbemühen.
Ein einziger Gedanke, ein Empfinden,
In letzter Stunde mag ein Wesen retten:
Die Furcht und Reue mögen sich verbinden,
Ein Sein mit unserm Heile zu verketten!
Was Gnade wünscht und freie Gnade spendet,
Erweckt das Heil im Schooße eigener Gnade,
Durch Gnaden wird der Weltenlauf vollendet,
Vermag sie es, daß sie sich selber schade.
Erfülltes Heil in einem Weltenwesen
Muß alle grause Weltenlust zertrümmern,
Drum trachten Engel Gnade aufzulesen
Von Wesen selbst, die schwach und schlecht verkümmern.
Ein freies Nein ist starker als Gestirne,
Die blind, in ihrem Glanz sich eitel drehen,
Die Welterlösung hängt an einem Zwirne,
Nur muß ein Wesen frei zu Grunde gehen.
Der Mensch verstreut den Samen solchen Kommens,
Durch sichentgrenzendes und freies Wirken:
Das Heil vereitelt Knechtschaft eigenen Frommens:
Und drum verwünscht den Wunsch nach Sonnbezirken!
Pocht jetzt der Glaube plötzlich an mein Urgewissen!
Wie, sollte es schon bald mit mir zu Ende gehen!
Von lauter Skrupeln wird das wahre Ich zerrissen,
Und vor dem Tode sollst Du bleich in Stummheit stehen!
[17]
Den Wald, die Flur mag ich im heiligen Herbst betteten,
Und meine Seele gleiche dem entlaubten Baum –
Da mag kein Strauch die Andachtsfrist verspäten:
Er sammelt seines Wesens tiefureigenen Traum.
Der Baum, der üppig seine Lebenskraft verschwendet,
Der in des Daseins lustigem Schwelgen mitgewirkt,
Hat sich dem eigenen Räthselwesen zugewendet:
Er fühlt die eigene That, die sich in ihm verbirgt.
Ihr klaren Äste steht die hehrsten Herbstgebete,
Und in die goldene Stille starrt Ihr fromm empor:
So ringt nach Ruhe, wenn ich stumm den Wald bettete,
Ich such von mir, was ich im Jugendrausch verlor!
Die Buchen wollten sich dem Leben schenken.
Es hat am Walde sich der Baum berauscht:
Doch mag er jetzt sein Eigenwesen tränken,
Die Einzelheit, die jedes Sein behaust!
Versenk ich mich in meine Wurzeltiefen,
So glaube ich an einen Lebenskeim,
Dort wo die tausend andern weiterschliefen,
Erwachte er im üppigen Lebensschleim.
Daß Er dann Leben rauben muß und geben,
Weil er nicht mehr als aller Staub besteht,
Daraus erklärt sich Sitte, EinzelStreben,
Nur wünscht und fühlt der Mensch, wie er vergeht!
Von allem Gleichen freundlich angezogen,
Verschenkt er gütig, was sein Ich verlangt,
Er merkt es kaum, wie er vom Schein belogen,
Nur zwischen sich und seiner Freude schwankt.
[18]
Hat Irgendwer mein ganzes Sein ergriffen,
So ward mein Ich in größter Lust zerstreut:
Doch wird durch Raub der Mensch so hart geschliffen,
Wie dies das Leben für sein Ich gebeut!
Und doch banal ist was ich hier verfechte,
Die Weltmechanik deuten mag ein Tropf!
Nur ob ein Gott das Urgeschick verflechte,
Ob eine Allmacht ans Gewissen klopft,
Ach, wenn ich dies zu einer Lösung brachte!
Doch nein, dazu genügt kein klarer Kopf!
Die Welt aus ihrem Gleichgewichte heben,
Dies möchte jeder, der persönlich denkt.
In Weltgerüsten, die zusammen streben,
Wird alles, was im Ganzen ist, gezwängt;
Was sich nicht fügen laßt, das bleibt daneben,
Und unsere Seelenkreise werden so verengt.
Drum ist man höchstens noch berufen,
Durch schöne Täuschung, die das Herz erfreut,
Die Menschen vorzulocken vor die Stufen
Des neuen Götzen, der in uns gebeut!
Ersehntes kannst Du wohl zur That berufen,
Doch nur Gewänder werden so erneut!
Gelingt es Göttern, aus der Gruft zu schweben,
Empor zu steigen aus dem schönen Sarg,
Durch den ihr Mythos sich noch mag beleben,
Gar lang nachdem die Gottheit sich verbarg,
So müßten auch die Todten sich ins Sein verweben:
Blieb doch in allen uns ihr Bildniß klar und stark!
Mein Gott, wie kann ich mich zu dem Gespenste wenden,
Zu jenem Wesen, das ich voll erfaßt:
Sie fleht zu mir, mit ihren weißen Händen:
[19]
»Vergiß mich nicht, bin ich auch jetzt erblaßt,
Als bleicher Schatten müßte ich verenden,
Wär ich nicht länger Deine Leidens Last!«
Kein Gott und keine Sonne kann mich stärken,
Vernichtung, gieb mir wieder, was Du nahmst,
Nein Leben, sag, was ändert sich an Werken,
Die Du doch immer wieder ahnst und ahmst?
Wird Meinesgleichen einst sein Weib bemerken?
Wenn Du uns wieder in Dein Wirken rahmst?
[Schwindel packt mich, Bilder eilen]

Schwindel packt mich, Bilder eilen

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Ringsumher in wildem Tanz,

Hergeschleppt viel tausend Meilen,

Sprühn sie auf, in matten Glanz:

Keines mag um mich verweilen,

Jedes schwankt als Firlefanz.

Leiber scheinen sich zu theilen

Und verschwinden plötzlich ganz;

Doch in einem bleichen Haine,

Wo sich Ast und Ast verflicht,

Zeigen plötzlich sich Gebeine –

Und auf einmal wieder nicht.

Eva huscht in rothem Scheine,

Kauernd fast, hervor ans Licht:

Eingestemmt sind ihre Beine,

Abwärts schaut ihr Angesicht.

Ob sie jäh der Mutterscheide

Als ein reifes Weib entsprang,

Und dem Druck der Eingeweide

[20]

Schmerzhaft sich, mit Wucht, entrang?

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Wie gedrückt zu ewigem Leide,

Reißt sie sich vom Nabelstrang:

Und schon schwanken alle beide,

Mann und Weib, den gleichen Gang.

Deutlich will der Tod sich zeigen

Und er grinst mich hönisch an:

»Sieh, was einem Sein zu eigen,

Sprich, ob man noch hoffen kann!

Alles will sich hier verzweigen,

Setzt die besten Kräfte dran:

Menschen die zum Lichte steigen

Drehn sich schon in meinem Bann!«

Kurze Beine, schöne Büsten,

Weiber ohne Ebenmaaß,

Sah ich, die sich läppisch grüßten,

Komisch, ohne rechten Spaß!

Ob sie für die Ichsucht büßten,

Die ihr Sein aus Grüften las?

Tod Du wirst den Spuk verwüsten, –

Er zerspringt wie sprödes Glas!

Musiker mit Löwenmähnen,

Häupter ohne Leiberhalt,

Hat ein tiefes Lichtersehnen,

Plötzlich fast, emporgeballt.

Alles scheint sich hier zu dehnen.

Ist noch nichts als Ungestalt.

Sucht sich aber schon zu wähnen:

Wird bewußte Urgewalt!

»Solches Ineinanderklingen

Gab dem Leben Melodie,

Brachte mit gereiften Dingen

[21]

Auch den Zwerg in Harmonie.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Kann nicht so die Sichel schwingen,

Wie sie Schönheit einst verlieh,

Könnt mich um das Unkraut bringen,

Doch verschwinden werd ich nie!«

Kaum hat dies der Tod gesprochen,

Den ich blaß im Zwielicht sah,

Kamen Sphinxe angekrochen –

Und schon waren sie mir nah.

Wie von Zweigen abgebrochen,

Waren auch Harpyen da,

Und mein Herz begann zu pochen,

Als ich merkte was geschah.

Alle letzten Erdengäste,

Die im Todeskrampf entstehn,

Abfallszwitter, Lebensreste,

Die im Menschthum untergehn,

Wollten sich zum letzten Feste

Noch in Folterqualen sehn!

Was sich grausam würgte, preßte,

Lüstern, leidend, zu vergehn,

Fand, als Abglanz, aus den Wänden

Eines Saales jetzt Gestalt.

Manche Sphinx hat beim Verenden

Sich dort oben eingekrallt;

Nur ein Weib bis zu den Lenden,

Blickt sie um sich stumm und kalt,

Doch verräth ihr Nackenwenden

Einer Löwin Hinterhalt!

Ferne scheint mir, goldverschwommen,

Daß ein Weib im Takt sich dreh.

Wirbelnd wird sie naher kommen,

[22]

Ob ich sie dann besser seh?

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Ist denn noch kein Blick erglommen,

Hier im Weck m meiner Näh?

Ach, wie bin ich angstbeklommen,

Denn der Tod ward Salome!

Hei, sie tanzt mit Castagnetten –

Wie das klappert, wie das klirrt,

Um den Leib, die goldenen Ketten,

Haben klimpernd sich verwirrt.

Will sie vor dem Haupt sich retten,

Das sie surrend jetzt umschwirrt?

Nein, die Haare will sie glatten,

Und da steht sie unbeirrt.

»Sieh, das Ich in vollem Siege,

Wie es plastisch triumphiert,

Sieh, die Glieder, die ich biege,

Sieh, die Jugend, die sich ziert;

Daß sie nimmer unterliege,

Lobt den Tod, der sie gebiert:

Schaukelnd steht er bei der Wiege,

Da ers Leben balanciert."«

Als die Worte rasch verklangen,

Die Salome zu mir sprach,

Kamen Greise angegangen

Und die Jugend folgte nach;

Und mir wars, als ob sie sangen,

Als das Schloß zusammenbrach.

Doch von Mauern noch umfangen

Sah ich plötzlich ein Gemach;

Vieler frommer Greise Hände

Trugen sanft ein zartes Kind,

Statt des Mutterleibes Wände

[23]

Hieltens Menschen, wohlgesinnt!

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Denn wenn Fleisch und Warme schwanden,

Da wir kaum geboren sind,

Müßten wir gar schnell verenden,

Ist was schroff ist und geschwind,

Doch an sich der Grund der Leiden,

Da er Liebesketten sprengt!

Uns der Ichsucht zu entkleiden,

Die in Jammer uns gedrängt,

Und vom Tod und Sünde, beiden,

Die noch über uns verhängt,

Uns mit Liebeshand zu scheiden,

Ward ein Mensch der Welt geschenkt.

Sterne flogen hin und wieder,

Botschaft kündend nächtelang,

Und die Menschen knieten nieder,

Nahmen Jesum in Empfang.

Königsmienen, still und bieder,

Eine Mutter schwank und krank,

Eines Kindleins zarte Glieder,

Sah ich jetzt im Traumgerank,

Plötzlich ist der Tod erschienen,

Als ich kaum das Bild gewahrt:

»Alles muß mir ewig dienen!«

Höhnte er nach Siegerart.

Mütter mit Verzweiflungsmienen,

Sah ich jetzt um mich geschaart:

»Hab gewüthet unter ihnen,

Keiner blieb ihr Leid erspart!«

Ries der Tod und tanzte schrecklich!

»Hei der Tag vom Kindermord!«

Scholl es: »war für mich erklecklich,

[24]

Nie ergötzt ich mich wie dort.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Selbst die Gluth blieb unerwecklich,

Die mich tödtet und verdorrt!«

Niemals tanzte er so kecklich

Und dann endlich war er fort!

Söldner seh ich spielen, wetten,

Christen, die um Gnade stehn,

Und zum Golgatha, in Ketten,

Jesum durch die Menge gehn.

Kann ein Mensch die Götter retten,

Die bedingt im All bestehn?

Wenn sie Macht zur Hilfe hätten,

Würde sie kein Sturm verwehn!

Alles will nach oben streben,

Höhenrausch umfangt uns schon,

Selbst der Tod kämpft um sein Leben,

Furcht gebiert schon seinen Hohn.

Ja, ein Gott ward uns gegeben,

Ohne Ende, ohne Lohn.

Zu ihm kannst Du Dich erheben,

Läßt Du neidlos ihn am Thron.

Götter mußten arg ergrimmen,

Als ein Mensch in Freiheit starb.

Konnte nicht der Tag verglimmen,

Als sein Leib am Kreuz verdarb?

Nicht die Nacht den Thron erklimmen,

Als ein Mensch um Gottheit warb?

Nutzlos tönten Donnerstimmen:

»Blutiger Himmelsriß, vernarb!«

Nein, die Wunde blieb geröthet.

Gluth ergoß sich aus dem Schnitt.

Götzen, die das Volk gelöthet,

[25]

Stürzten ohne Halt und Kitt.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Menschen, die Ihrs Kreuz erhöhet,

Wo ein Mensch fürs Leben stritt,

Einen Gott habt Ihr getötet,

Doch er riß die Götzen mit!

Da erfaßten mich Skelette,

Statt des Todes Wiederkunft,

Sah ich mich in einer Kette

Von Gespenstern selbst verschrumpft.

Eine Stimme rief: »Ich wette,

Du verknöcherst in der Zunft,

Dichter, laß, daß ich Dich rette,

Folg nun wieder der Vernunft!«

Und nun fühlt ich mich im Fallen.

Sah Gerippe über mir.

Sank allein durch blasse Hallen,

Ausgeschmückt mit Ungethier.

Hielt an Fühlern mich von Quallen.

Und die sahn mich an mit Gier.

Dann entfiel ich ihren Krallen,

Durch ein andres Albspalier!

Und den ganzen Weg des Tanzes,

Den der Tod mit mir getollt,

Schien mir wie ein Drachenganzes.

Hart gestockt! In sich verknollt!

Und im Grün des Panzerglanzes,

In der Schuppen Flimmergold,

Sah ich mich von seines Schwanzes

Knorpelgliedern eingerollt.

Ruckweis ward ich vorgeschoben.

Rhythmisch schwankt ich hin und her.

Durch das Zucken dieses Kloben

[26]

Glitt und fiel ich immer mehr.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Plötzlich schwamm ich wieder oben.

Ob der Schweif der Jordan wär?

Denn den Drachen hör ich toben:

Sicherlich das Todte Meer!

[Dies irae, dies illa]
»Dies irae, dies illa,
Solvet saeclum in favilla,
Teste David cum Sybilla!«
Klang es plötzlich aus der Stille:
»WeltenEnde ist der Wille
Unseres Gottes Zebaoth!
Mensch, begreif die Weltennoth!
Sieh was allen Wesen droht,
Denn der Tod ist Urgebot!«
Wahrlich alles kam in Schwanken.
Mein Bewußtsein nur blieb still.
Stumm zerbarsten Felsenschranken.
Doch urplötzlich dröhnt es schrill.
Das sind ganzer Völkerstämme
Todesschreie in der Nacht –
Doch der Berge offene Klemme
Hat sie rasch zur Ruh gebracht.
Wohl gelingt es den Vergeudern
Des Geschaffenen, für den Tod,
Meere in die Luft zu schleudern.
Aufgedampft aus dunklem Schlot,
Thürmen sie in hohen Sphären,
[27]
Sich zu Wolkenburgen auf:
Doch es muß das Urmaaß wehren,
Nie entgleists in seinem Lauf.
Unserer Erde Sonnbegehren,
Das die Völker einst durchzuckt,
Muß sich jetzt als Gluth verzehren,
Die aus Kratern Inseln spuckt!
Dort das Volk wird sich erhalten,
Da es schnell und dauernd schwimmt.
Kind und Greis und Weibsgestalten,
Hei, wie das den Fels erklimmt!
Aller Völker Lebenssäfte
Schlagen jetzt aus diesem Stamm.
Ob ein Wuthhund plötzlich kleffte,
Schäumt nun fern ein Wogenkamm.
Kollossale Bergesrachen
Seh ich ganze Meere spein.
Alles muß zusammenkrachen,
Und die Menschheit hör ich schrein: »Ra«
Als ein Echo ohne Ende
Hat der Schrei nun fortgegellt.
Wenn die ganze Welt verschwände,
Dieser Schrei blieb als die Welt!
Ringsum Alles ist verschoben,
Felsendome ziehn mich an:
Was ist unten, was ist oben?
Frei bin ich vom Erdenbann!
Hei, Du wildes Felsgekrämpel,
Ängstigst nicht das Erdenkind,
Denn ich schweb in Deinen Tempel,
Dessen Lücken ringsum sind.
[28]
Erdenklammern oben, unten,
Machen unsere Seele frei,
Und es strömt aus lebensbunten
Fenstern jetzt das Licht herbei.
Wie ich mich so haltlos wiege,
Denk ich, daß in größter Noth,
Einst der Mensch dem Land entfliege,
Wenn der Ländereinsturz droht.
Denn die feste Menschbedingung,
Die sich still im All verwebt,
Ist ein Theil der Weltbezwingung,
Die der Sonne Macht belebt.
Unverschieblich, unverletzlich,
Ist das Sonn und Erdenband:
Unser Dasein drum gesetzlich:
Sonnbeschützt auf schwankem Land.
Bis die Erde sich noch bindet,
Ob sie noch so tobt und wühlt,
Ihren Schwerpunkt wieder findet,
Und mit Meeren Wunden kühlt,
Die am tiefsten eingerissen,
Sprengt sie nichts von dem Gesetz,
Das verknotet, als Gewissen,
Frei nun herrscht auf seinem Netz:
Auf dem Netz, das urversponnen,
Freies Sonnbewußtsein hegt,
Und das, wo es nachgesonnen,
Erdenheimweh sonnwärts tragt!
Meere seh ich niederwallen,
Aufgewühlt zu schwülem Dunst.
Menschenschreie hör ich schallen,
Schrecklich durch die Wolkenbrunst.
[29]
Ist doch alles eingefallen
Und die Menschheit langst zerstört!
Kann das Echo nicht zerprallen?
Da man noch das Rufen hört?
Was ertönt wird schrill und schriller.
Plößlich kreischt ein heiserer Schrei.
Und dann ists, als huscht ein stiller
Riesenvogel dumpf vorbei.
Und von neuem hör ichs rauschen:
Ja, das ist ein Flügelschlag!
Schallgebilde, rings, vertauschen
Ihre Flugbahn scheu und zag:
Wenn sie stumm um Kanten biegen,
Zwischen Felsen in der Nacht,
Hör ich dumpf ihr schweres Fliegen,
Da das Echo rasch erwacht.
Ganze Stimmenleitern ringen
Sich vom Mutterrufe los,
Um als Schreie zu verschwingen,
Abgesprüht vom Echostoß!
Und zu Bündeln paaren andre
Echowirbel sich im Kreis,
Und da scheints, das Leben wandre
Schon zurück in sein Geleis.
Hier wird gar kein Schrei vernichtet,
Alles schallt von Fels zu Fels:
Ja, die Welt wird neu verdichtet,
Lauscht dem Aufschwall des Gefälls!
Scheint ein Ruf wo abzuprallen,
Irgendwo vom Erdenrand,
Rasch im Chaos zu verhallen,
Steigt schon eine Bergeswand
[30]
Hoch empor, ihn aufgefangen!
Jeder Berg und jedes Werk,
Das zu sein nur angefangen,
Ward, daß es die Menschheit stärk!
Alles was nur quillt und schmelzt
Oder aus Bestimmungsbangen
Plötzlich sich ins Dasein wälzt,
Krümmt und thürmt sich nur zu Stufen,
Die dereinst der Mensch besteigt.
Gar nichts wird emporgerufen,
Was sich nicht vor Zwecken neigt!
Immer starker schwanken, beben
Bergkollosse im Entstehn.
Furchtbar ist ihr Haupterheben,
Kurz war das Zugrundegehn!
Ja, ich merk an jener Schlote
Langgefügter Doppelreih,
Daß sein Dasein sich verknote,
Das einst weltharmonisch sei.
Die Natur greift in die Tasten
Und bezähmt bestimmt die Welt,
Alles wird durch Rasten, Hasten,
Immer nur ins Maaß geschnellt!
Ganze Wandermeere dampfen
Aus den Orgelschlünden auf:
Kogel, Knäufe, Gipfel krampfen
Sich nun überall zu Hauf.
Doch das Alles scheint zu wackeln.
Alles wallt empor und fällt.
Still nur leuchten Riesenfackeln,
Wie als Ahnung aufgestellt!
Und ich laß den Traum gewähren,
[31]
Der mir lieblich zugeraunt:
Sieh, das sind die Cordilleren
Die Du werdend angestaunt.
Ja, wir wurden eben beide.
Alles was ich da erschaut,
Ist die Macht im Traumeskleide,
Die das Schicksal aufgebaut.
Was ich seh ist längst verschwunden,
Nur die Folgen schleifst Du nach,
Und dem Dasein eng verbunden
Bleibt was jäh zusammenbrach.
Feiern mag ich das Entstehen
Dieser Welt, die noch besteht,
Ihren Ursprung werd ich sehen:
Ursturz werde ein Planet!
Eben ist der Wirbel mächtig,
Irrgestirne zieht er an,
Weltkometen, schlank und prächtig,
Alles stürzt in seinen Bann.
Vieles krampft sich jetzt zusammen.
Der Kometen Flügelschweif,
Der ihn forttrug, auf den Flammen,
Wird zum steifen Erdenreif!
Plötzlich, aus dem Ozeane,
Hebt sich manches schroffe Kap:
Flügellahme Welttitane
Stürzen steil und rasch herab.
Über mir, in Felsenkrämpfen,
Ringt ein Riese mit dem Tod.
Er verpfaucht in Sturm und Dämpfen
Und sein Rumpf ist feuerroth.
Endlich berstet im Giganten
[32]
Das Gekrös und gluthenwund
Speit er seine schmerzverbrannten
Eingeweide aus dem Schlund.
In den Rippen, in den Knöcheln,
Zerrt ihn seine letzte Gluth,
Plötzlich schweigt sein Todesröcheln.
Wie verschnaubt er seine Wuth?
Um die Flügel und die Glieder
Hat sich rasch die Nacht geballt,
Aus dem grausen Schaumgefieder
Wich des Riesen Gluthgewalt.
Ja, der Gluthenrest vom Hasse
Des Giganten ist entzitscht.
Donnernd stürzt die kalte Masse.
Hei, die Fittige sind dicht.
Blitzend sprühte er von dannen.
Alles ward nun hart und schwer.
Auch des Riesen Wolkenspannen
Schlummern beide bald als Meer.
Tief in einer Erdenspalte
Stockt und friert der Feuerfluß
Und der große, felsenkalte
Recke ist der Kaukasus!
Mitten in der Erdzerspaltung
Taucht in mir die Ahnung auf,
Daß der Feind der Ungestaltung
Und der tödtliche Verlauf
Allen Daseins die Empörung
In den Leidenswesen schuf:
Und so folgt nun der Zerstörung
Unser Fluch, ihr Sünderruf.
Nun so seh ich die Erscheinung,
[33]
Jetzt als Christ und Sünder an,
Schließlich bleibt die tiefste Meinung
Nur ein tüchtiger Steuermann!
Grollen will ich mit den Mächten,
Deren Knecht ich bleiben muß,
Immer such ich nach dem echten
Unerreichten Seelenguß.
Denn mein Tod ist meine Sünde
Und ich ahn die Todesschuld:
In mir selber sind die Gründe
Meiner großen Ungeduld.
Doch: sie nimmer eingestehen,
Ist im Kampf von großem Werth,
Werd ich sie nur um mich sehen
Hab ich mich schon halb bewehrt!
Drum was einstürzt ist mir feindlich,
Mein Gewicht von mir getrennt,
Und mein Leib bedingt vermeintlich
Was man Tod und Strafe nennt.
Sonnwärts wird der Mensch nun stiegen,
Da er seine Schwere haßt.
Jeder Braus in Sonnenkriegen
Sei als Erdflucht aufgefaßt.
Alle Lastersucht versinke,
Da die Sonne Schlankheit heischt.
Seht vor Euch die Sonnenzinke,
Hört den Aar, der sie umkreischt!
Erde, bliebst Du meerumschlossen,
Flög ein flockiges Geschlecht,
Leicht dem Wogenschaum entflossen,
Nie durch Erdenbrust geschwächt,
Steil empor aus Sonnenwegen,
[34]
Als der Erde Danktribut,
Dem Planetenschwung entgegen,
Fast als freie Sonnenbrut!
Meer, oh bliebst du allerorten!
Nein die Wüste steigt empor!
Schreckniß, faß ich Dich in Worten?
Tod und Sünde wie zuvor!
Jammer zeigt sich meinem Wittern.
Meer, so öffne Dich, versckluck
Klippen, Riffe die zersplittern:
Doch von unten kommt ein Druck:
Und ich ahne Satanalien.
Stimmen tuschelns hin und her.
Und nun hebt sich ganz Australien
Ungeheuer aus dem Meer.
Schnuppen seh ich erdwärts stürzen.
Schroff und schräg und kreuz und quer!
Schuppenpanzer zwängen, schürzen
Jetzt den Erdball ringsumher.
Hei, das ist ein Feuertaumel:
Wie das heiter prasselt, zischt,
Und das bunte Birngebaumel
Bald sich mit der Gluth vermischt!
Flammen sprühn den Schnuppenregen
Feurig flimmernden Metalls
Erdenessen steil entgegen.
Schon im Wirbelkern des Balls
Lüstern sie, sich zu verschließen,
Einzufrieren in die Rast,
Formlos sich ins Sein zu gießen.
Und in wilder Werdehast
Thürmen Felsen sich unendlich,
[35]
Wo ein Menschthum fußen wird;
Und sein Schmerz wird unabwendlich,
Wenn es Wüsten einst durchirrt!
Von der Erde bis zur Sonne
Ist in uns ein steiler Weg,
Und es wälzt sich die Kolonne
Tapferer Völker schwer und trag
Immer weiter nur nach Westen:
Jedes Ziel bleibt unerreicht:
Auch der Uberschwang der Besten
Wird durch Selbstsucht eingedeicht.
Freudenlaute schrill und lüstern
Pfauchen jetzt Titane aus:
Allseits aus den weiten Nüstern,
Schnauben sie ins Weltgebraus:
»Sich im Erdenschacht verkrallen,
Das ist der Titanen Lust,
Krampfhaft sich zusammenballen,
Bein um Arm und Steiß an Brust!«
Also dröhnt es durchs Gepruste:
»Bald giebts keinen Unterschied,
Alles wird zur Felsenkruste,
Jedes ein geschlechtlich Glied.
Nur durch unsere dunkle Starre
Wird die Lust gezeugt, bewacht;
Uns erscheints, daß alles harre,
Ewig dauern Lust und Nacht.
Welches Glück in sich zu finden,
Was sich scheinbar flieht und haßt.
Lust und Ruhe, die sich binden,
Kaum hat man sich ganz erfaßt,
Ihr mögt dauernd Euch belohnen,
[36]
Schient Ihr ewig auch getrennt,
Kommt es plötzlich nach Äonen,
Daß Ihr Euch als Eins erkennt!«
[Verworren scheint mir, was ich eben hörte]
Verworren scheint mir, was ich eben hörte,
Doch in mein Wesen dringt der alte Friede,
Es war, als ob mein LichtIch sich empörte,
Daß uns die Erde noch an schwere Ketten schmiede!
Doch gerne fühl ich jetzt die Macht der Erde,
Und die Genesung zuckt in jedem Gliede,
Erbauung sprüht aus jeglicher Geberde,
Ich will den Schein, daß ich den Leib besiege.
Sag, Erde, wann bekleidest Du die Heerde
Der freien Menschen und der Sonnenthiere?
Ihr Feuerwesen glüht in Deinem Flammenheerde,
Daß nimmer sich ihr Lebensgrund verliere.
Wir werden wiederum dem Festlande entstammen!
Sowie die Ruhe kommt, den Ball zu heilen,
So sprudelt Leben gleich aus seinen Schrammen,
Dem meine Wünsche schon entgegeneilen!
Die ganze Sehnsucht fühle ich im Glücke,
In jungen Formen, Mensch an Mensch, verweilen;
Es scheint, daß uns die Erde schwer bedrücke,
Doch hält ein Sonnenwahn den Mensch umfangen,
Daß er dem Erdenglücke stets entrücke.
Wir jubeln wohl aus heiterm Sonnverlangen:
[37]
Doch spricht die Erde hier ein Wort der Theilung:
Die Sonnenbrunst bleibt an Geschlechtern hangen,
Und selbst am Ich, das sie, zur eigenen Heilung,
In Menschenwerth und Stammeshort gespalten.
Auch da beruht das Glück nur auf Verweilung,
Da Sitten unsere Stammesart ergänzen;
Denn lassen wir den Glauben gerne walten,
Gilts Stammesart durch Brauche zu ergänzen.
Wo Sitten bald zur Lebensform erkalten,
Dort ruht der Mensch in seinen heiligen Tanzen;
Halb Erdenkind, halb freier Sonnenkrieger,
Schnellt er sich fort, in seiner Schnelle Grenzen;
Da scheint der Leib der Leiblichkeit Besieger
Und seine Seele weilt in sich versunken.
Oh Leib, Du seeleninniger Sonnenflieger,
Nun wirble bald, am Eigenwesen trunken,
Auf Erden, glückerfüllt, wie freier Äther,
Wie starrer Fels, wie ewige Sternefunken!
Wirkt fort, Ihr sonnensündigen Erdenkneter,
Besorgt die Formung einstiger Lustempfinder,
Denn aus dem Wuste starrer Felsvertreter,
Steigt einstens der Gebildeüberwinder.
Statt lüsterm Schlaf, erfüllt er dann die Lüste
Eines Erzeugers eigener Sonnenkinder:
Ja, doppelt, denn er saugt die Gluth der Brüste
Der Erd und Sonnenflammen und empfindet
Die Lust der Erdenruhe, die er überwinden müßte!
Doch da so vieles Glück in ihm sich bindet,
Kann solches Doppelspiel sich nur erfüllen,
Wenn durch bewußtes Wollen jenes schwindet,
Das unsere Sonnenblicke kann verhüllen
Und sich als Erdentrieb bewahrt in Stunden,
[38]
Wenn Leiber sich in Brunst zusammenknüllen.
Oh Erde, endlich werde ich gesunden!
Oh Erde, Erde, Wille Du zu meinem Leibe,
Oh Erde, trachte Dich zum Ball zu runden,
Zur stachen berg und tiefenlosen Scheibe.
Wohl sind die Erdentriebe sonnensündig,
Doch sehn ich mich nach sündhaftem Getriebe,
Auch werden Menschen durch die Flammen mündig,
Die durch die Menschenliebe sonnwärts strahlen,
Denn unsere tiefste Lust ist weltenbündig,
Und gern ertrag ich alle Wüstenqualen,
Kann ich dafür das Sonnenziel erreichen.
Drum wältzt Euch tief in Flammenbacchanalen
Der Gluthverschluchtungen, Ihr lavaweichen,
Bald festgestockten, frischen Leiblichkeiten.
Versucht es, Euch in Ruhe einzudeichen.
Erstarrt, um neu den Lebensspalt zu weiten,
Den einst die Menschenseele überbrücke,
Wenn Völker wieder diesen Ball umschreiten!
Nun öffne Dich, Du große Weltenlücke,
Oh, daß die Erde sonnenfeindlich würde!
Du Erde, weih uns sonnenfremdem Glücke,
Denn wollustträchtig ist die Leibesbürde,
Mit ihrem sonnenfernen Erdenhange:
Auch giebt der innere Abstand uns die Würde.
Die Seelenschroffheit zeigt sich schon am Gange,
Dem Merkmal seelenschlanker Sonnenkinder,
Mit ihrem stolzerfüllten Thatendrange!
Drum Flammen, engt Euch ein und werdet minder,
Dann sollt Ihr rasch im Felsenschlund verwehen:
Der Starrheit und der Freiheit Weltverbinder,
Der Mensch, der Wüstenherrscher, muß entstehen!
[39]
Ich liebe Dich, Du Trotz im Weltdämone,
Nicht lieb ich nur, ich kann Dich auch verstehen:
Du bist in mir die Kraft zum Kampf und Hohne,
Du bist ein Räubertrieb voll jugendhafter
Vielseitigkeit im Tanz um ewige Throne.
Du nährst den Bauch mit Klumpen sonnentraffter
Verwesungsjauche und Du pfauchst ein nasses
Gewalg, ins Sonnenantlitz, aus dem Aster,
Als Ausbruch Deines ewigen Sonnenhasses!
Die Erde kreist im weltbestimmten Pilgerschritte,
Um täglich ihre lebenskräftigen Lenden
Dem Licht, zum heißen Leibeskusse, zuzuwenden:
Und schon entsprüht das Leben ihrer Flankenmitte.
Orkane, die Ihr wild das Felsgewirr durchkeuchtet,
Iht legt Euch langsam jetzt zur Ruh in tiefen Schluchten,
Doch in der Höhe mögt Ihr zwischen Wolken wuchten,
Dort hoch im Lied der Erde, das ihr Leid durchleuchtet.
Doch die Vulkane, die den Wolkenwust durchflittern,
Verschrumpfen auch zu stumpfen, ausgebrannten Augen.
Mag wohl die Erde nun zum alten Leben taugen,
Und alles Beben in der Sonnensaat verzittern?
Unendlich fühl ich mich zu Dir hinabgezogen,
Doch Erde, gute Mutter, sei mir jung gepriesen:
Schon flackern die Gesichter bärtiger Riesen
Aus Flammengarben, die von selbst zusammenwogen.
Es muß sich alles jetzt zu kräftigen Bündeln einen
Und wird sein Dasein so als Einzelwesen retten,
[40]
Was sich getrennt benagte, muß sich fest verketten,
Und unsere alte Welt im Morgenglanz erscheinen!
Die Erde soll sich neue Lebensformen gießen
Und Sonnenwesen stark im eigenen Bann erhalten,
Die Sonne wird den Menschen grad und schlank gestalten,
Denn frei wird er im neuen Lebenstag ersprießen.
Schon blinkt die Mondessichel durch die rothen Dämpfe,
Doch brach liegt noch das Bett erstarrter Lavafluthen,
Zu Lebensformen blocken sich erfrorene Gluthen,
Wie starre Todes und zugleich auch Lebenskrämpfe.
Es ist, als wollten Beine, Rümpfe sich erheben,
Es mag kein Arm getrennt von seinem Leibe bleiben:
Ein Schlachtfeld ists, wo Stümpfe durcheinander treiben,
Und alles hebt und drangt ein dumpfes Erderbeben.
Ein eigenes Weltgeräusch durchzittert noch die Öde,
Durchs Echo ward der letzte Völkerschrei zersplittert:
Nun hörst Du ihn, als Rhythmenschwall, der Leben wittert,
Zurück geschleudert von Gebirgen, schroff und spröde!
Dem Erdbereiche ist kein einziger Laut entkommen.
Gebirge haben seitwärts sich für ihn erhoben.
Es donnerten die Wolken ihn zurück von oben
Und unten wurde jeder sorgsam aufgenommen.
Jetzt können Töne sich als Stimmen gar zerstreuen.
Am Lavafelde wogen sie nun auf und nieder,
Und immer schriller geben sie die Spitzen wieder,
Als wollten sie bereits ein Weltidiom erneuen.
Ich seh kein Pferd und höre das Gestampf von Hufen,
Auch Menschen nicht und doch vernehm ich ihre Stimmen,
[41]
Wenn alle Lebenstrümmer wieder zu einander stimmen,
Dann werden Münder ihre Einzelsilben rufen.
Und Ohren werden sie, zur Rettung, gleich empfangen.
Und sprechend werden Leiber sich zum Tag erheben.
Und aller Länder Echo wird als Mundart sich beleben
Und jedes Volk wird unverschiedenen Klang erlangen.
[Schon krallen sich Leiber hervor aus den Schluchten]
Schon krallen sich Leiber hervor aus den Schluchten.
In Brunst sind die beiden Geschlechter verbunden.
Sie halten sich krampfhaft beim Werden umwunden
Und müssen sich unbewußt kletternd befruchten.
Erst dann, wenn die Flammen am Erdball verglimmen,
Die Meere verflachen, mit Höhn sich bedachen,
Kann helles Gewahren im Menschen erwachen.
Und schnelles Gebahren das Dasein bestimmen.
Nun klettern rings Körper auf Zacken wie Zunder;
Doch hätte auf einmal der Ball sich beschwichtigt,
So würde die Lage im Schlage berichtigt,
Und jedes geschäh, wie dereinst, durch ein Wunder!
Jetzt scheinen die Rassen hier Boden zu fassen.
Es zwängt diesen Trichter ein eigenes Gemenge
Von allerlei Kliffen in buntem Gepränge,
Und Farbe und Ausdruck erwerben die Massen,
Von felsigen Grund, den sie senkrecht erstürmen;
Sie streben empor zum beleuchteten Grade
Und färben sich kletternd, auf kantigem Pfade,
Um, aufwärts vom Grade, die Glieder zu thürmen.
[42]
Die Haut scheint durch innere Gluth zu verblassen,
Drum seh ich auch deutlich das Leibergeranke:
Jetzt walzt es und ringt es sein Sonnengedanke
Empor aus dem Trichter, als wulstige Massen.
Der Haarwuchs bedünkt mich ein wuchtiger Schatten
Am Menschen, der schreitend die Sonne ersehne!
Drum fallen vom Haupte die nächtlichen Strähne
Zum Schlunde zurück, wie ein weiches Ermatten.
Pechschwarz sind die Haare von jeglicher Rasse.
Sie wallen zu Boden wie riesige Schleppen.
Die Rothhäute schleifen sie längst über Steppen,
Denn diese erklommen zuerst die Terrasse.
Sie stiegen auf härtestem, altem Granite,
Der röthlich sie färbte, gewandt bis zum Lichte.
Schon folgen die kleineren, braunrothen Wichte
Den Spuren der Starken im Nachbargebiete.
Auch scheint sich im Trichter ein Stamm zu verbohren!
Er möchte der Lichtkegel steilsten erklettern,
Doch müssen die meisten entgleisen, zerschmettern,
Die übrigen bleiben schwarzlockige Mohren.
Nun endlich erklimmen die hellsten die Spitzen.
Doch steigen sie weiter auf endlosen Lehnen.
Das Schicksal bestimmt sie zu ewigem Ersehnen,
Zum schweifenden Zweifel und kurzen Besitzen.
Die gelben hingegen, am Rande der Spalte,
Bestreben sich muthig die Flur zu erreichen:
Ich sehe sie tapfer Kamine durchschleichen,
Sie trotzen dem spröden und glatten Basalte.
[43]
Sie klettern gar rüstig. Sie harren am längsten
Und athmen den Schwefel vulkanischer Dämpfe.
So fördern die Völker bewußtlose Krämpfe
Und streben noch immer, gefeit vor Sturzängsten!
[Du Lebenskrampf, nun wirst Du Klarheit wollen]
Du Lebenskrampf, nun wirst Du Klarheit wollen.
Das Sonnenmuß erscheint als Lust zu leben.
Das letzte Volk entklettert zäh den Stollen,
Und Vollbewußtsein kann sein Haupt erheben.
Die Massen, die dem Kraterschlund entfliegen,
Bedünkten mich verkrampft am Hang zu kleben,
Als Tausendhänder sich hervorzuschmiegen,
Verkrallt, verrunzelt, wo die Spalten klafften,
Noch starr die schroffen Schranken zu besiegen.
Nicht länger taugt das Aneinanderhaften.
Es muß die Blindheit der Gefühle schwinden.
Die Menschheit löst sich aus den fabelhaften,
Fast schlangengleichen, starren Urgewinden
Nun langsam auf, in krumme Einzelwesen;
Doch jedes trachtet wieder das zu finden,
Was eben noch mit ihm verschränkt gewesen.
Noch stehn die Menschen kaum und dennoch kriechen
Die Leiber, ihrer Wunden erst genesen,
Sogleich zurück zum fiebersiechen,
Geschlechtsverschiedenen andern Leibe
Und scheinen da den gleichen stets zu riechen.
Dann ists, als ob sie andere Sucht vertreibe.
Die Männer trachten sich emporzurecken,
Doch stets verfolgt vom gleichen krummen Weibe,
Gelingt es schwer, den Sonninstinkt zu wecken.
[44]
Denn will der Mann sein Ich aus Brunst erheben,
So trachtet sich das Weib ihm nachzustrecken:
Und scheint dann eines ganz aufeinmal zu erbeben,
So liegen gleich auch Andere mit in Krämpfen,
Um Drillingen im Nu das Sein zu geben.
Doch das Gebären kann die Wollust dämpfen.
Die Weiber wollen ihre Kinder nähren
Und lassen nun die Männer wüthend kämpfen.
Der Feinde muß sich Niemand noch erwehren,
Und dennoch würgt man sich nach alter Weise.
Ja, das Bewußtsein scheint erst einzukehren,
Wälzt der Instinkt sich längst im Urgeleise!
Der Schreck verfärbt die Haare mancher Streiter,
Und schon besitzt die Welt wie einstens Greise,
Doch diese leben hundert Jahre weiter.
Die Jugend werden Kinder bald ersetzen,
Und vollbesetzt ist dann die Altersleiter.
Gestalten, die das stumpfe Sein benetzen,
Die treten in der Menschheit jung zu Tage.
In ihr versucht die Welt sich festzusetzen
Und urhamonisch schafft sie eine Lage,
In der Gestirne sich das Leben spenden,
Dem einst die Menschheit klarbewußt entrage.
Zum Weib seh ich den Mann sich aufrecht wenden.
Er findet wieder was er einst verlassen.
Er labt das Weib mit seinen eigenen Händen,
Und was ihm naht, das muß er blindlings hassen.
Drum scheint es mir, es wird nach einiger Weile,
Wie einst, sich alles ineinanderfassen:
Und sprießt, was jetzt entsteht, mit Sturmeseile,
Geschiehts, um alte Maaße einzurenken.
Der Menschheit grundverschiedene Wesenstheile
[45]
Sind da, sich als Bewußtsein zu verschränken.
So wird die Einheit stolz ihr Sein erfassen
Und ihren Lebensdurchlauf kurz bedenken:
Heil Dir Natur, wie kannst Du Kraft verprassen!
Du reißt die Stütze Deines Weltenbaues
Aufeinmal ein und Du vertilgst die Rassen,
Die Fluren Deines heitern Erdengaues:
Du stückst und thürmst sie wiederum zusammen,
Und kühlst von Deines hohen Sonnenbaues
Unendlich steilem Throne alle Schrammen!
Wir wagens, Dich in Gut und Schleckt zu theilen!
Doch selber wirst Du nimmer Dich verdammen.
Viel größer ist Dein ewiges Urverweilen,
Als Lebensstürme, die sich selbst verzehren
Und zweck und ziellos durch das Chaos eilen!
Du kannst sie ewig jung in Dir gebaren.
Nun grüß ich sie in meiner eigenen Gattung,
Denn eben laßt Du diese sich vermehren.
Auf Erden giebt es nirgends mehr Ermattung.
Und was sich jäh in seine alte Form gegossen,
Das fordert des Geraubten Rückerstattung,
Und nichts Erworbenes ist mit ihm ersprossen!
Jetzt sind die Stumpfgewalten übermächtig,
Noch giebt es keine Kampf und Ehgenossen.
Die Leiber bleiben kaum drei Monde trächtig,
Um Drillingen das Erdensein zu schenken.
Selbst Greisinnen und Mädchen, jung und schmächtig,
Gewahr ich, wie sie plötzlich Kinder tranken:
Die vollen Brüste strömen üppig über,
Und nichts kann diesen Überfluß beschränken.
Oft wird das Lichtbewußtsein wieder trüber.
Die Schnellgeburten rauben es den Vätern:
[46]
Doch giebt es gleich ein Licht und Schattengegenüber,
Verkörperlicht in Sonn und Erdvertretern.
Auch Länder fangen wieder an zu beben.
Da hörst Du plötzlich die Bewohner zetern
Und Schreckensrufe schrill und laut erheben.
Doch so wird manches Angstempfinden rege,
Und unsere Sprache uns zurückgegeben.
Die Menschen packen auf den Wüstenwegen,
Die Echorufe auf von Felsenrändern,
Damit der ganze Stamm sie sorgsam hege
Und, um die Muttersprache nie zu andern!
Die Völker ziehn dem Lebenslaut entgegen,
Ihn aufzugreifen, in verschiedenen Ländern
Und ihn hinein ins eigene Sein zu legen!
Die Sprache hilft die Stämme auszuprägen
Und selbst den Eigenstolz als Gott zu heben,
Denn wallt sie auf, so zwingt sie zu erwägen,
Und wildfanatisch seh ich Völker sprechen,
Als schrien sie, schmerzdurchzuckt von Peitschenschlägen!
Ja, so nur können sie die Starrheit brechen
Und Zwecke fühlen durch das Volksgehaben:
Und solches fängt nun an hervorzustechen!
Nun sieht ein Wanderstamm in einem Graben
Die Reste abgedorrter Fühlerhaken.
Die zucken noch und trachten sich zu laben:
Sie stammen wohl von gleichen Lebenskraken,
Der plötzlich aus dem Krater Fühler langte,
Die lange tief im Erdenschooße staken.
Doch was sich krampfhaft hier zum Wurm verrankte,
Das scheint fürwahr kein Knäul von Menschengliedern,
Und jedes Volk, dem gleich vor Fremdem bangte,
Beginnt nun diese Masse anzuwidern.
[47]
Die meisten werfen schon darauf mit Steinen,
Doch einige trachten mit gesenkten Lidern
Sich dort mit Weibestheilen zu vereinen.
[Die Menschen kamen fast allein in steinige Lande]
Die Menschen kamen fast allein in steinige Lande,
Und dann erst wucherte die Lebensfülle nach:
Sie hungerten und dursteten im Gluthensande,
Denn Sturm und Sonne lüfteten nun allgemach
Die Wolkendünste, die das Erdenrund bedeckten,
Und Gluthenströme stürzten nieder auf das Land.
Die Wüstenlehnen, die sich weit und weiter streckten,
Entstanden kahl und brach im großen Sonnenbrand.
Der Himmel selbst verlor sich hinter Feuersbrünsten:
Nur Abends zeigte sich ein Gluthenkatarakt.
Dann ward es dunkel und der Erdendunst am dünnsten
Und Gold umschwirrte Felsenzacken, gelb und nackt.
Die Menschen, die sich oft zu Dritt, zu Viert, verloren,
Vermochten nie allein oder getrennt zu ziehn.
Sie trafen plötzlich Andere, die gar weit geboren,
Und dies hat ihnen ihre Lebenskraft verliehn.
Sie blieben mindesten zu Dritt und eng verbunden.
Sie schleppten müd und traurig eine Kettenlast.
Sie sahn sie nicht. Doch niemals ist sie ganz geschwunden.
Sie hielt sie unzersprengbar fest und schwer umfaßt.
Dies waren unserer Ahnen große Fesselqualen.
Doch Selbst und Pflichtgefühl ist nur dadurch erwacht!
Sank einer hin, verwundet von den Sonnenstrahlen,
So ward vom andern ihm ein Labetrunk gebracht.
Die Schlangen, die fast unbemerkbar rasch entstanden,
Vergifteten die Menschen oft durch ihren Biß,
[48]
Die andern saugten gleich wo sie ein Tröpfchen fanden,
Wodurch der Lebensdurst dem Tod ein Sein entriß.
Doch stürzte irgend einer jäh in eine Tiefe,
So warfen sich die andern alle blindlings nach.
Es war, als ob ein Wesensband durch alle liefe,
Das Schwindel zeugte, wo ein Glied zusammenbrach.
Das Gleiche sehn wir heute noch bei unsern Ziegen,
Sie folgen rudelweise einem einzigen Bock
Und sehn sie ihn in eine Schlucht hinunterstiegen,
So folgt dem einen Bock sogleich das ganze Schock!
Und mußte dann ein Mensch im Wüstensande sterben,
So haben sich die andern doch nicht mehr von ihm getrennt,
Sie mußten angeschmiedet dort im Nu verderben,
Dies aber zeugte, was man Freiheitssehnsucht nennt!
Doch eines Tages fanden sich gar viele Stamme
Auf einem Kap zusammen, das meereinwärts stach,
Nun wars, als ob es Leben überschwemme,
Wo machtlos sich das Meer an seinen Klippen brach.
Hier konnten sich die Menschenfesseln plötzlich lösen,
Denn alles zog sich allseits durcheinander an
Und warf den Samen zur Erkenntniß alles Bösen,
Das sich, als menschenfeindlich, je ein Mensch ersann.
Die Allgemeinheit konnte bloß das Sein befreien.
Durchs Pflichtgefühl giebt Jedermann an sie zurück
Was das Gemeinwohl schafft, wo Wollende gedeihen,
Und um den Heldenglauben wogt das Völkerglück.
Der Menschheit Sonnbewußtsein will, daß wir uns ändern:
Und jeder opfert gerne seinem Sonnenziel.
Der Glaubenszwang, die Strafen in verschiedenen Ländern,
Sind Völkern, wie den Kindern, heitres Spiel.
Es muß sich solch Gebahren lange vorbereiten,
Bis später es der Mensch zur Sitte prägen kann,
[49]
Um Sonnenkinder stark am Sonnenweg zu leiten,
Auf dem ein Wahnbild selbst Bedeutung oft gewann!
Wir sehn das Vorbedachte sich in Formen wälzen,
Da nur das Tiefbedingte in Erscheinung tritt;
Und können große Sonnenbrände unsere Götzen schmelzen,
Genügt zum neuen Guß bereits ein Wageschritt!
Wir nennen weltharmonisch, was schon vorbereitet,
Urplötzlich faßbar, vor beschränkten Sinnen steht:
Oft sehn wir nicht, was schon bewußte Bahn beschreitet,
Weil Sonnenwollen dem Geschehn entgegenweht.
Nicht solche Lichtgedanken, aber Sonnenthaten,
Ersann allein auf einer Klippe dort ein Mann,
Aus einem Riff, das andre Menschen nicht betraten,
Da jetzt die Fluth ringsum die Oberhand gewann.
Er sah die jungen Menschen sich durch wilde Tänze
Der neuerworbenen Freiheit hier am Kap erfreun;
Es war, als ob sich alles ganz beim Fest ergänze,
Als suchte Leben volle Pollensaat zu streun.
Man wollte lang und frei am steilen Riff verweilen,
Und Jünglingsgruppen schleppten goldenes Korn herbei.
Und andere sah er froh zu brünstigen Spielen eilen,
Und unersättlich, rastlos wogte noch die Reih
Der nackten, jungen, lüstern tollenden Gestalten,
Und mächtig zogs den Einsamen zurück zum Spiel.
Er sah nun einen Mann das Weib im Arme halten,
Das ihm vor allen andern wunderbar gefiel!
Er wollte rasch durch jene Sturmesfluthen schwimmen,
Dem Jüngling zu entreißen, was er fest umschlang,
Da hörte er auf einmal weiche, innere Stimmen,
Und leise horchte er dem eigenen Seelensang.
Da ist ein ewiges Weib in einer Mannesseele,
Die Sonnensitte, jäh, mit keuschem Blick, erwacht.
[50]
Ihr Auge flehte, laß, daß ich mein Lieb erwähle,
Und rasch hat sie ihr Schöpfer plastisch ausgedacht.
Er sah die Anmuthsreiche sich im Tanze schmiegen,
Die Weiblichkeit der Menschheit, Weichheit der Natur,
Die Kriegerbrunst im Manne einst besiegen,
Und er empfand die Anmuth schon auf freier Flur! –
Die Sonne hatte viel aus ihrer eigenen Kraft getrunken,
Nun sank sie übersatt und überrund herab.
Da stand der Mann, in seine Einzelheit versunken,
Gar tiefbewegt und stumm auf jenem schroffen Kap.
In seiner Ruhe blieben alle Rhythmen rege,
Die dort in brünstiger Lust sich üppig ausgetobt:
Nach Sonnverscheiden wurden alle müd und träge,
Doch ward das Licht, in ernster Andacht, noch gelobt!

Schon wogte Nacht: Schon fühlten sich die schlaffen Glieder,
Als jenen Sonnbefreiten rasch die Sonne sank.
Und sonnberauscht und müde sank die Menge nieder
Und wußte, unbewußt, den Schöpferstrahlen Dank.
Doch kaum wars dunkel, kam das Übel angekrochen.
Man fühlte, daß die Freiheit mit der Sonne schied.
Die Nacht hat sanft ihr erstes Machtwort ausgesprochen:
Die Sterne kündeten es funkelnd vom Zenith.
Und schon begann das Sonngefühl sich zu umnebeln,
Es zogen sich die Menschenknäule brünstig an.
Die Wucht des Leibes konnte bald die Stimme knebeln,
Die heut, beim Sonnenfest, ihr Sonnenlied begann.
[51] Das Sonnenfest, das Sonnenglück war abgebrochen.
Man würgte sich und preßte sich in wilder Gier.
Raum ward es dunkel, kam das Übel angekrochen:
Die ganze Menge schnaubte wie ein brünstiges Thier.
Erdrosselte vermengten sich bereits zu Haufen,
In einem lustdurchwühlten, engverkrampften Knäul,
Und man vernahm, vermischt mit ächzendem Verschnaufen,
Verschlungener Menschen brünstigstöhnendes Geheul.
Die Stärksten trachteten zum Strand zurückzuschleichen.
Sie sahn, mit Graun, den Leiberwust in fahlem Schein,
Und mitten drin erstickte Menschen, schlaffe Leichen,
Und, auf dem Fels, den einzig freien Mann, allein!
Da packte sie die Wuth und einige warfen Steine,
Auf jenen Helden, der persönlich sich erhielt.
Dann schleuderten sie alle, blindlings im Vereine,
Doch nur die ersten Würfe waren wohlgezielt.
Nun sanken ihre Arme schwer und steif hernieder,
Sie langten wohl noch lange schlafbefallen aus,
Doch alle Kenntniß schwand, es senkten sich die Lider,
Und schlummernd überwand ihr Sein den ersten Graus.
Sie krochen unbewußt zurück zu jenem Haufen,
Der sie mit Ekel und mit dumpfem Graun erfüllt.
Es konnte keiner sich zu seinem Heil verlaufen,
Sie waren alle bald mit jenem Knäul verknüllt.
Der Mann auf seiner einsamsteilen Felsenklippe
Empfand die Kettenlast, die ihn hinüberzog,
Ihm wars, als ob er selber mit dem Felsen wippe,
Als ob nun alles um ihn her in Dunst zerflog.
Ein Sprung ins Meer wäre bestimmt sein Tod gewesen:
Der Gischt, der über Klippen jäh emporgebraust,
Erschien ihm jetzt ein Heer von wasserflüchtigen Wesen,
Verschränkt emporgeschnellt, verschlungen und verkraust.
[52] Der Schaum, der stach zurrückglitt, die verstreuten Leichen,
Die jetzt die See in einem Wirbelgrab verschlang:
Er fühlte auch, er könnte nie das Land erreichen,
Und tief in Ohnmacht lag er viele Träume lang.
Doch als man Steine warf, da war das Werk gelungen!
Er richtete sich auf, als wär er selbst aus Gneis.
Die Kette, die ihn fest umschlang, war jäh zersprungen, –
Doch ward in kurzer Frist aus jenem Mann ein Greis.
Als er die Menschen sah, die ihn aus Neid bewarfen,
Da sprach er nichts, doch seiner Seele wilde Gluth
Verrunzelte sein Antlitz und in schroffen, scharfen
Verkreuzten Furchen, da erstarrte seine Wuth.
Ein Ackerfeld, das kaum der Lebensgeist bepflügte,
War jetzt des freien Menschen kühnes Angesicht,
Und was er selber über sich am Fels zerfügte,
Das machte er der ganzen Menschheit nun zur Pflicht.
Sein Fieberodem stockte rasch zu Wolkenmassen,
Voll Zornesdonnern beim befruchtenden Erguß,
Um mit den Flammen Blindbelebtes zu verprassen:
Und Mahnblicksfolgen blitzten durch der Seele Überfluß.
Die letzten Steine sah er jetzt am Riff zerprallen,
Da hat der Menschen Ohnmacht ihn in Wuth gebracht,
In Sonnenkriege ließ er Völkermassen wallen
Und Machtgedanken flatterten bereits zur Schlacht.
Verbote, die sich Panthern gleich aufs Opfer stürzen,
Hat auf die Lauer er vor manches Ziel gelegt,
Gewitter, die zur Erntezeit die Lüfte würzen,
Die haben sein erträumtes Sonnenfest durchfegt.
Zerstören mochte er, was allzurasch gelungen,
Zur Menschbefreiung aber wollte er den Zwang,
Der ihn vom Knäul getrennt, bis dessen Reif zersprungen,
Durch alle legen, als ein sonderndes Gerank.
[53] Ein Baum ward so gepflanzt, ein Kunstwerk hold begonnen.
Wie Blüthenthau, der durch den Morgen schwebt,
Hielt nun ein leiser Duft den Hauch der Welt umsponnen.
Ein Sonngeschenk, in dem das Erdenglück erbebt,
Ein Kunstwerk ward gepflanzt. Der ganze Hain begonnen,
In dem der Mensch sein Opfer gegen Himmel hebt.
Da mochte jeder sich in heiterm Glücke sonnen,
Ward doch durch alle auch sein Einzelzweck erstrebt!
Nun ebbte es und siedend flohen schon die Fluchen,
Da wußte wohl der Mann, der Staaten ausgeträumt,
Es würde, wenn auch Sturm und Meer nicht bald gesondert ruhten,
Der Rückweg ihm doch immerhin geräumt.
Und da begann der Sturm den Samen fortzutragen,
Der aufgespeichert um die brünstige Rotte lag.
Er wurde westwärts in ein fernes Land verschlagen
Und überschwemmte es mit Korn am nächsten Tag.
Der Menschen Brunstgestöhne und ihr Angstgepuste
Entflatterte der Erde steil im Sturmesflug,
Die Stimme gabs der Möve, die entstehen mußte,
Und kam zum fernen Strand, wohin der Vogel es vertrug.
Das Echo ward von jungen Möven gleich erwidert.
Im Neste weckte sie der erste Mutterruf.
Bald hatten alle Lebensschreie sich befiedert,
Da alles Dasein sich ein Lebensurlaub schuf!
[Ganz plötzlich ward ein blondes Mädchen irgendwo geboren]
Ganz plötzlich ward ein blondes Mädchen irgendwo geboren.
Sie reizte durch ihr Haar, und Kinder hatten sich verschworen,
Bei jedem wilden Spiel ihr junges Leben zu gefährden.
Drum hätte sie es auch bestimmt, bei einem Streit, verloren,
Wäre ihrs ein einziges Mal mißglückt, der andren Herr zu werden.
[54] Doch sie war stark und nahm es selbst mit rohen Knaben auf.
Die überlangen Haare schlang sie fest zu einem Knauf,
Denn sie belustigten sie oft beim Spiele und im Lauf,
Und wuchs und reifte sie auch rascher als die Spielgenoßen,
Schien dennoch große Üppigkeit in ihren Leib gegossen.
Die bleichen Schenkel schwellten durch das Laufen und das Hetzen,
Wie Milch, die beim Erwärmen aus der Schale ausgeflossen.
Die Brüste sind mit seltener Kraft dem schlanken Leib entsprossen
Und wogten auf, wie Wellen, die sich leicht mit Schaum benetzen:
Und große Anmuth schien sich an den Hüften festzusetzen.
Doch kaum entquoll die erste Milch den vollen Brüsten,
So floh sie mit zwei Jünglingen, die sie im Walde küßten,
Als sie erschöpft, durch die Verfolgung, in das Moos gesunken:
Denn beide hatten von der Jungfrau Athemquell getrunken.
Nun flohn sie alle drei nach einem Ort in fernem Lande,
Dort jenseits, hinterm Wald, vielleicht an einem Weltenrande.
Ein Einziger konnte ihrer Wollust nimmermehr genügen,
Sie wollte Lust zu Lust in holdem Wechselspiele fügen,
Sie trug verschiedene Rassen eingeprägt in ihren Zügen,
Und nur dem Krampf verschiedener Lust gelang es, sie zu sondern.
An ihren Kindern sah sie oft die Spuren beider Väter,
Ihr eigenes Antlitz spiegelte sich meistens in den Blondern
Und später schien der Wesensgang der Vaterschaft Verräther.
Doch damals waren Zwillinge gar oft so grundverschieden,
Daß man nicht wußte, welchem Vater sie das Weib geboren.
Doch lebten alle lange, lange noch im Wald in Frieden,
Denn keinen hatte sich das Weib zu größerer Lust erkoren.
Sie zog mit ihren Männern, ihren Kindern immer weiter,
Durch Wälder, die in kurzer Frist, mit stolzer Wucht, entstanden,
Und immer blieb sie munter, blieben munter die Begleiter.
Nur Glück empfanden diese sorgenlosen Walddurchschreiter,
Bis alle, wie gebannt, vor einem Wunder sich befanden.
[55] Ein Spiegel lag vor ihnen. Silbergrau und dennoch heiter.
Er löste sich, mit sanfter Anmuth, aus den Uferbanden
Und wurde weit das breite Meer und wogte weiter, weiter.
Dann senkten sich die Abendgluthen auf die müden Fluchen,
Und auf den Klippen wars, als ob dort bleiche Flocken ruhten,
Und Rieselwässer, sickernd, sich durch braune Klüfte drängten,
Da Honig oder blonde Harze sich mit Gluth durchtränkten,
Bevor sie bernsteinschwer ihr Gold in grüne Tiefen senkten!
Violette Quallen waren matte Schatten grüner Wellen,
Und tauchten auf, wie untere, festgestockte, salzige Quellen.
Die Möven flogen hin und her, da sie die Vögel schreckten,
Die sie doch selber, als ihr Schattenspiegelbild, erweckten.
Das Weib, das an der Küste stand, umspielten grüne Schatten,
Denn dunkler Wald bekränzte noch die Klippen und die Watten:
Sie stieg auf einen Fels im allerletzten Sonnenscheine,
Und trat dem Wunder stolz entgegen, tapfer und alleine.
Sie sah das dunkle Meer ihr rings entgegenbrausen.
Doch ihre Flanken konnten einen Rassenkeim behausen.
Der kühn in ihr entsprossen und am Meeresstrand erzogen,
Als Volk sich heimisch fühlen würde, auf den trotzigen Wogen.
Sie stellte ihre Macht, mit Würde, einem Meer entgegen:
Vermochte jenes schwere Frühlingswolken aufzufegen,
Aus Wellenbrüsten Lenzesfolgen ewig oft zu spenden
Und dennoch seine Schöpferkräfte nimmer zu verschwenden,
So konnte Ihrem Busen fette Lebensmilch entquellen,
Die Völker säugt, wie sie im Wald die höchsten Stämme fällen.
Und die, in pechdurchtränkten, kornbeladenen, hohlen Bäumen,
Den Winden und den Wellenschäumen sich entgegenbäumen.
Auch ihre Träume wiegte sie gar oft am Meeresstrande,
Und nimmer schied sie von dem holden, wunderreichen Lande,
Wo all ihr Fühlen sich in bunter Bilderreih ergänzte
Und gleicher Rhythmus ihren Athem und die Fluch begrenzte.
[56] Es glich ihr Sturmesodem einer überstürzten Welle
Im Meergebraus; der Seele stillem rhythmischem Gefälle
Entsprachen aber Tage wahrer, klarer Sonnenhelle,
Und viele Jahre später sang sie noch an jener Stelle:
»Wie flüchtige Wünsche, seh ich Wolken mit den Winden ziehen.
Sie gleichen Bräuten, die dem Liebeswunder sich ergeben,
Und scheinen wohl in keuschester Jungfräulichkeit gediehen,
Drum müssen sie auch bleich im goldenen Morgenschmuck erbeben.
Doch sind sie alle nur vergängliche und grause Launen
Erfüllungsschwangerer, unendlich keuscher Sehnsuchtsmeere. –
Und blitzen Fragen auf, durchrollt sie donnernd das Erstaunen.
Entringt sich ihnen Wolkenwonne und urbrünstige Schwere,
So möchte meine Seelensee unendlichlang ihr Glück genießen:
Sie schenkt es nicht. Sie schlürft es ein, aus jedem blonden Strahle,
Dem Lande gleich, wenn sich die Gluthenströme drauf ergießen,
Den Wonnedurft zu stillen aus der goldenen Tagesschale.
Die Erde trinkt doch stets aus überstülptem Sonnenbecher,
Den sie des Morgens mit dem Lippenrande kaum benippte,
Den ganzen Tag. Und ist er leer, so wird ihr Durst erst langsam schwächer.
Auch schlief die Erde stets, sowie die Schale niederkippte!
Ich gleiche einer Welle, die sich sonnewonnetrunken,
In Abendwollust, zwischen Klippen brünstig bettet,
Und die den Schaum, in dessen Goldgeflecht sie fast versunken,
Um Felsen spült, mit denen sie ihr Glück beinah verkettet!
Ich liebe Wellen, die sich zwischen Felsenklippen balgen,
Denn ich vermag es, so wie sie, die Liebe doppelt zu genießen,
Es wählen, quälen ja die Schaumes wellen brünstig zwischen Krustenalgen,
Wie weiche Arme, die sich sanft um rauhe Männer schließen.«
Und ihren Gatten sang das Weib noch schönere Wonnelieder.
Eins klang: »So legt Euch neben mich im weichen Sande nieder,
Denn ungeduldig wogt der Busen und mir glühn die Glieder,
Und keine Fluch, kein Meer giebt mir die holde Kühle wieder,
[57] Und einzig nur ein Kuß von Euch vermag die Brunst zu kühlen.
Ihr, meine Männer, laßt mich Eure kühlen Küsse fühlen,
So küßt und kühlt mich überall, die Gluth hinwegzuspülen.
So küßt die Flechten mir, und in den Euren laßt mich wühlen.
Wie traurig lieg ich Nachts alleine zwischen weichen Pfühlen;
Ein grauses Träumen wallt empor aus scheuen Angstgefühlen,
Und nur aus Albgestalten, ach, aus bildertollen, schwülen,
Verhaucht der Traum, wenn Morgenlüfte unsere Schläfen kühlen.
Bin ich allein, verhängt sich jede Nacht mit schweren Dünsten.
Ich wälze mich am Lager, bis die leeren Plätze dünsten,
Und lüstern spring ich auf, verzehrt von innern Feuersbrünsten:
Doch seid Ihr da, sind Traum und Luft zugleich am allerdünnsten.
Und wacht Ihr noch, seht Ihr mich an, wenn ich in Schlaf verfalle,
So ists, als ob sich klar der Himmel immer höher balle;
Ich träume da, daß ich in stillem Sternenhain nach Hause walle
Und alles blickt mich freundlich an in der geträumten Halle.«
Einst lag, nach langer Zeit, das blonde Weib im Traumesschlummer,
Als sie die Morgenwache längst schon hätte wecken müssen.
Doch alle waren zaghaft, selbst das laute Volk schien stummer,
Und keine Thaten folgten den Verlegenheitsbeschlüssen,
Denn über allen lag ein ungewohnter, schwerer Kummer.
Doch da entschloß ein Sklave sich, dem sie als Weib gewogen,
Die blonde Herrin sanft aus ihrem tiefen Schlaf zu küssen.
»Welch starker Thau heut niederfallt, der Herbst kommt angezogen«,
Sprach da das Weib: »Nun werden uns die Schwalben bald umschwärmen!«
Mit diesen Worten ist ihr letzter Traum hinweggeflogen,
Denn als sie aufstand, hörte sie ganz plötzlich starkes Lärmen,
Und alles drängte aus dem Zelt der lauten Schaar entgegen,
Um sie nicht allzusehr durch ihren Anblick abzuhärmen,
Denn mancher war des Nachts bei Überfall und Mord zugegen.
Und sah der Herrin Liebling mit blaublutigen Gedärmen!
[58] Man dachte nun, man werde einen Todten niederlegen.
Doch statt der Bahre schleppte man den Mörder, der sich bäumte,
Vor die Gebieterin, die das Ereigniß rasch durchschaute
Und sah, wie er aus Wuth, geknebelt und gebunden, schäumte,
Daß Geifer plötzlich vorquoll, der sich hinter seinen Lippen staute.
Dann blickte sie um sich und merkte, wie dem ganzen Volke graute.
Erst stand sie stumm, dann eilte sie in wildem Schmerz von dannen.
Ein Sklave folgte ihr mit raschem Schritt, auf einige Spannen.
Lang hetzten sie im Wald umher. Dann liefen sie zur Leiche
Und fanden sie in blutigen Pfützen, die bereits gerannen.
Sie wusch sie ab und stürzte dann auf ihre edle Bleiche.
Dies war der Jüngling, den sie einst zu sich heran gezogen,
Er blieb so lange mädchenhaft in seiner holden Weise:
Nun lag er da, verrenkt, verkrümmt, wie ein zerbrochener Bogen,
Und schien ein Kind, ein todtes Kind, aus einem stillen Teiche
Ans Land zurrückgeschwemmt von unschuldsvollen, stummen Wogen.
Er war ein Kind und konnte nie zum starken Helden reifen,
Drum wars so hold, ihm all das schwere Rüstzeug abzustreifen.
Nun war es aus. Die Glieder waren frostig anzugreifen
Und blieben in der Hand, um ihre Starrheit abzuwägen.
Die Herrin konnte nur zum letztenmal die Flechten pflegen
Und ihre warmen Arme um die kalten Schenkel legen,
Den aufgeschlitzten Bauch mit einem rothen Tuch bedecken,
Die Thränen vor sich selbst und ihrem ganzen Volk verstecken,
Um sich zur Rache und zu neuer That emporzurecken.
»Ich habe meine Pflicht erfüllt, ich hab mich nie verweigert
Und ohne Heuchelei der Männer Leibeskuß empfangen,
Und nach Verdienst, nicht nach der Jugend, meine Lust gesteigert,
Denn meine Brunst war groß, wenn würdige Krieger mich umschlangen,
Und blieben Jäger lange ohne Weiber und Gefährten
Allein im Wald, bis sie mit schwerer Beute wiederkehrten,
So gab ich ihnen, was sie kühn von mir begehrten,
[59] Und war beglückt und brunsterfüllt, wenn sie den reichen Samen
Mit freiem Lusterguß, mir in das leere Becken warfen.
Und welche Männer immer mich in ihre Zelte nahmen,
Das Volk geleitete uns stets mit Fackeln und mit Harfen,
Und selbst den ersten Männern, die der Tod mit fortgenommen,
Ergab ich mich, erschienen sie mir, Nachts, als Larven.
Es durften Sklaven, Kinder, Kindeskinder zu mir kommen
Und meine ewigen Jugendreize konnten allen frommen!«
So sprach das Weib, dann ward vor ihr und ihrem Volk gerichtet.
Der Mörder hatte selbst auf die Vertheidigung verzichtet,
Und beim Verhöre ist er stumm und willensstark geblieben.
Hat irgendwer von seiner Lust und Grausamkeit berichtet,
So peinigte die Menge ihn sogleich mit Peitschenhieben.
Kein mitleidsvoller Blick, kein Trost hat ihn emporgerichtet:
Er fügte sich gefesselt in des Feindes Machtbelieben.
Doch plötzlich schien der Herrin Wuth besänftigt und beschwichtet.
Doch nein, sie log, da ihre Blicke noch aus Haß zerstieben,
Es hat kein großes Lieben ihren Seelenkern gelichtet,
Sie rief: »Er ist ein Krieger, er hat manchen Kampf bestanden
Und einst des Feindes Übermacht in einer Schlacht vernichtet!«
Die Menge aber brüllte: »Kein Mensch in Feindeslanden
Hat je Dick so gekränkt, zum Kämpfen war er doch verpflichtet,
Drum quetscht ihn ein und peinigt ihn mit seinen eigenen Banden!«
Sie aber rief dazwischen: »Ach, gedenkt doch seiner Sänge,
Erinnert Euch der Lieder, die er einst für mich gedichtet,
Bedenkt, bedenkt, er ist ein Sänger und dann mildert Eure Strenge!«
Nun aber tobte es noch ärger in der großen Menge.
Gar viele heulten: »Sagt was kümmern uns die süßen Klänge,
Wir möchten sehn, ob uns kein Minnelied für Dich gelänge,
Wenn uns Dein Arm, wie einstens ihn, in holder Brunst umschlänge!«
Nun hat in jenem Weibe eine Schlange sich verringelt,
Die Wuth, die Eitelkeit, und manche Schlacke brünstiger Triebe,
[60] Verschlangen sich zum Knäule, und ihr Haß hat drauf gezüngelt.
Voll Wonne hörte sie die Rufe und die dichten Hiebe,
Und plötzlich kreischte sie von ihrem ganzen Volk umzingelt:
»Vergeßt es nicht, vielleicht seid Ihr die Kinder seiner Liebe
Und dort, Ihr Peiniger, des trotzigen Mörders Söhne;
So laßt doch ab und hört erbarmungsvoll auf sein Gestöhne.
Giebts keine Einsicht, die Euch endlich mit dem Mann versöhne?«
Nun wars, als ob der ganze Wald vor Wuthgeheul erdröhne.
Man hörte nichts. Doch schiens, daß man das Opfer laut verhöhne.
Und alle schlugen drauf, als ob ein Volk der Mordlust fröhne.
Dazwischen aber wimmerten des Mörders Sterbetöne.
Schon war er fast bewußtlos und man hörte nimmer das Gepfauche,
Noch jene Stimme, die da rief: »Laßt ab, denn ich verpöne
Die grause Lust, da ich das Maaß zum Staatenbauen brauche!
Laßt ab, daß ich mein Werk in letzter Stunde noch verschöne!
Bezähmt die Wuth, damit ich tief in Eure Seelen tauche,
Den Schmuck zu fischen, der Euch einst in fernen Tagen kröne:
So faßt Euch denn und dann empfangt aus meiner Hand die Löhne!
Der hellen Sonne gleich, die nach dem wolkenüppigen Föhne
Das Wesen ihrer Macht in klare, goldene Strahlen kleidet
Und ruhig Sturm und See und Dunst und Berge wonnig scheidet,
Die Feuerbrücken spannt, wo schon der Glanz das Naß zerschneidet,
Und Nebel trennt, wo bald ein Hirt die sanften Schafe weidet,
Vermöge es die Königin, im Volk die Wuth zu schlichten!
Mit ihrem hellen Blick, die ganze Massenwuth zu sichten!
Mit salbungsvollen Worten, die sich auf die Wogen legen,
Die Zorneswirbel durch die wilden Horden fegen,
Das tolle aufgeregte Volk allmählich zu beschwichten!
Und durch Versprechungen die Friedenswünsche zu verdichten!«
Von eigener Brunst begann sie ihrem Volke zu berichten,
Um all der Aufgeregten Spannung auf sich selbst zu richten.
Und siehe, bald begann man auf das Martern zu verzichten.
[61] Kaum hat die Herrin im Gewühl den Zornesprall gebändigt,
Mit Wort und Blick die Urnatur in ihrem Volk gemeistert,
So hat sie kühn, mit einem dreisten Zug, ihr Werk beendigt
Und sich am eigenen Seelenschwung und Wörterrausch begeistert.
Sie hat die Wollust ihrem Redeschwalle eingehändigt.
Es rief das Weib: »Ich schlief mit jenem Kind in meinem Zelte,
Als eine Gluth die Glieder beider zu einander schwellte.
Wir sahn das Blut, das Lust und Liebe durch die Leiber wellte,
Und als der warme Hauch der nahen Körper sich berührte,
Da wars, als ob ein Wesensschaum die holde Lust verspürte:
Ein Schauer überfiel uns, als sich Schwindel in uns rührte,
Und wohl als Jubel sich aus Brust und Kehle sanft entschnürte.
Wir fühlten wonneschwere Leiber ineinander fallen,
Die gute Lust von Glied zu Glied, von Aug zu Auge wallen.
Wir sahn uns an. Ich bebte. Konnte nichts von Liebe lallen.
Und hatte an den Gliedern, die ich wundschlug, mein Gefallen.
Er war so jung, ich wollte mich an seine Jugend krallen.
Ich küßte seinen Nacken und befühlte seine Lenden.
Die steifen Finger wühlten in den weichen Leibeswänden.
Was kann die Nacktheit eines Leibes doch an Prunk verschwenden!
Mit Purpurspangen schmückte ich sein Fleisch, mit meinen leeren Händen!
Und ich erstickte seine Küsse, wollte sie beenden,
Um nach Belieben seinen Körper hin und her zu wenden.
Doch war er gar so sanft und folgte jeder Sinnesregung.
Er sah mich an, so glückerfüllt und fast bereit zu sterben.
Ein schwüles Graun erfüllte mich bei jeglicher Bewegung.
Ich schnürte seinen Hals und sah den Körper sich verfärben.
Ein Blick noch schien, wie um Erinnerung, zu werben.
Und lächelnd wollte er aus meinen Schlangenarmen scheiden,
Von ihrem Druck befreit, von Leid und Leib sich sanft entkleiden!
Da packte michs, ich müßte mich an seiner Sehnsucht weiden.
Ich ließ ihn los und hauchte nun auf seine blassen Lippen.
[62] Wie war das herb, wie fühlte ich ein wonneschwüles Leiden.
Ich rieb und rieb und sah die Röthe zwischen seinen Rippen,
Denn endlich kam das Blut und tilgte seine Schreckensbleiche:
Ich tödtete ein Kind, zum Manne weckt ich nun die Leiche.
Als er erwachte, war ein Abgrund zwischen uns geschaffen.
Wohl half ich ihm, doch blieben wir für immerdar geschieden!
Wir trachteten uns stumm zu neuem Leben aufzuraffen,
Doch unsere scheuen Blicke hatten sich dabei gemieden.
Dann schlich ich aus dem Zelt, in dem der erste Mord geschehen,
Und er lief bald in einen Wald, mir aus dem Weg zu gehen.
Nach Jahren kam er heim in einem selbstgefügten Boote
Und unser Dorf umschlich er scheu, als ob ihm Strafe drohte.
Doch nie empfand ich ihn als Übertreter der Gebote,
Er konnte wiederkommen, doch sein Leben war gebrochen.
Er hatte nie zu einem Weib von süßer Lust gesprochen,
Was ihn umgab, das wollte er zerstören und entschleiern.
Er schuf den Pfeil, um seine Rache auf der Jagd zu feiern.
Es zog sein ganzes Wesen zu den leichengierigen Geiern.
Aus Lust am Rauben hat er kühn ein schlankes Boot gezimmert,
Die letzte Liebe zu der Welt und allen ihren Dingen
Gab ihm die Sucht und Lust in ihr Geheimniß einzudringen. –
Er haßte das Vorhandene, das freudetrunken schimmert:
Er wollte das Bestehende zu anderm Dasein zwingen.
Und hat das Holz geächzt und seine Beute matt gewimmert,
So gab ihm das die Lust, was er begann, ans Ziel zu bringen.
Drum ruf ich stolz, was Ihr erschafft, ist immerdar geschlechtlich,
Was anders käme, wäre freudlos und somit verächtlich.
Die Weiblichkeit ist räthselträchtig, unerforscht und mächtig,
Sie hält ein Stück des Weltgeheimnisses durch Scham verborgen,
Und drum empfangt Ihr auch unwiderstehlich stark und rechtlich,
Aus ihren Armen nur, den jungen Thatendrang am Morgen.
Ihr fühlt Euch einzeln und Ihr sucht Euch allseits zu ergänzen.
[63] Euch macht das Räthsel, das Ihr brünstig sucht, im Weltall Sorgen,
Und das Bewußtsein habt Ihr, weil Gefühle Euch begrenzen.
Als Einzelwesen glaubt Ihr ganz mechanisch an Ergänzung
Der Sinnlichkeit, durchs ewige Eins, das still und unverständlich
Sich tief in allen birgt, weit jenseits allen Daseins Ichumkränzung:
Und Freuden schufen Euch einst thätig, lustbelebt und endlich,
Drum scheinen Euch die Lust und schließlich Welt und Weib verblendlich.
Vom Weibe abseits sucht ein Jeder, von etwas etwas zu erfahren,
Und vom Genusse manches für die Stille zu bewahren.
Wer schwer des Weibes Huld empfängt, wird häufig schwül und bissig
Und wittert in der Welt umher und findet sie bald rissig.
Und der, dem ichs vergällt habe, hat Kräfte überschüssig
Die eigene Welt sich aufzubauen, die Welt mit einem Henkel,
Die Welt in der er Ordnung fand, weil alles eigenschlüssig:
Und zeugt er keine Kinder drin, schafft ihm sein Trachten Enkel!
Und statt im Schamtheil sucht er dann knapp unter ihm im Zwickel
Ein Räthsel, das sich hohl erweist. Doch spreiz ich da die Schenkel,
Geschiehts, damit sich furchtbar stets ein Wonnespiel entwickel.
So bleibt das Weib der Räthselhort! Und könnt Ihrs nicht genießen,
So laßt ihr eine Wollustwelt aus Dreiecken ersprießen.
Seit jenen Tagen hab ich Jünglinge zumeist erkoren,
Da fühlt ich fast das warme Blut den jungen Leib durchstießen:
Hab ihnen Kinder, wie den Männern, schmuck und schlank geboren.
Ich lieb des Jünglings Lächeln nach der ersten Nacht der Liebe,
Und nimmer hats ein Schreck in Kinderzüge eingefroren.
Ich spielte selbst damit und hoffte, daß es lang verbliebe,
Denn selbst des Tags geht solches Lächeln nicht verloren:
Und alles that ich, daß der Freudenschimmer nicht zerstiebe.
Doch jenes letzte Kind, das ich in holder Lust genossen,
Das traurig zu mir kam, als ob ihn grauses Schicksal triebe,
Hat jener dort erdrosselt, ach, hat mir so theures Blut vergossen!
Drum schlagt den Wütherich!! Sagt, weshalb zögern Eure Hiebe?
[64] Erfüllt die Pflicht und martert ihn und peitscht ihn unverdrossen!
Er ist ein Mörder und Ihr peinigt stets die feigen Diebe.
Ja gerne! Selbst wo man bereut! Und jener bleibt verschlossen!«
Doch nun bemerkte jenes Weib ein eigenes Volksgetriebe.
Die Freien und der Henker selbst, mit seinen Spießgenossen,
Vereinten sich zu einem Volk, das seiner Herrin trotzte.
Man drohte dreist und hielt die Mächtige umschlossen
Und sah, wie sie erschreckt, auf ihre Sprossen wüthend glotzte.
Im Augenblicke hatte sich ihr schlichtes Haar geringelt.
Ein Schlangenhaupt erschien dem Volk, das fast mit Frechheit protzte.
Und rasch zerstob der Mob, der dreist das Weib mit Wuth umzüngelt.
Dann rief sie laut: »Nur ich hab jenem Manne Lust gegeben,«
Und hastige zügellose Wuth hat nun aus jedem Wort gezüngelt:
»Mein Haß vermochte hohe, kühne Thaten zu beleben,
Drum bleib ich stolz und Ihr müßt feig und scheu erbeben.
Nun rasch zur Pflicht, jetzt peitscht ihn weiter, und gehorcht aufs Wort,
Entreißt ihm mit Gewalt die letzten Worte vor dem Mord.
Doch nein, sein Todesröcheln, horcht, entgurgelt ihm soeben,
Nun rasch die Axt zur Hand und murkst ihn ab, ich blicke fort!«
Jetzt senkten Ernst und Trauer sich, auf die Gemüther nieder:
Aus Menschenseelen, wie aus Felsenklüften, schien das Schweigen
Als erste Abendahnung schwer und mählig aufzusteigen.
Millionenflügel eines Windes schwirrten hin und wieder.
Die schwülen Hauche senkten müd ihr schlaffes Luftgefieder.
Sie irrten durch den Hain und schliefen ein, auf üppigen Zweigen.
Und alle Aste schienen sich von Luft beschwert zu neigen.
Des Himmels letzte Wolke schwebte nun herab zum Meere.
Sie schien von einer Insel sanft zu sich herabgezogen.
Sie senkte sich wohl selbst, durch ihre eigene Wollustschwere,
Und kam als brünstiger Schwan, aufs üppige Eiland zugeflogen.
Und fern verflüchtigt, senkten sich zwei Wolken thalwärts nieder,
Als wollten sie ihr Liebesthun in dunkler Schlucht verbergen.
[65] Und zum Genusse streckten sie die zarten Schaumesglieder
Gar lange aus, als ob sie überall ein Fiebern bargen.
Die eine hielt die andere fest, in lüsterner Umarmung,
Und ihr Geheimniß wallte auf, bis zu den stummen Bergen.
Und durch die Welt zog nun ein Rausch unendlicher Erbarmung.
Da trat die Königin hervor und sprach zum ganzen Volke:
»Es droht uns Tod und Neid und Streit und seelische Verarmung!
Der Menschheit Frevel liegt auf diesem Strand wie eine Wolke.
Verlaßt das Land, es scheint von einem Alb belastet.
Verscharrt mich hier im Wald und nehmt mich mit in Euren Träumen:
Und träumt von mir und fremden Bäumen, wenn Ihr ferne rastet:
Was Ihr von mir erfaßtet, als Sage laßt es schäumen.
Verlaßt den Strand, aus flotten Booten, hoch und steil bemastet,
Zieht Träumen gleich, auf Schäumen hin, wo Schäume Länder säumen.
Kreuzt selten eine Bucht, da nichts auf Eure Fahrten achtet,
Und zieht der Sonne nach, wenn Euer Sinn nach Fielen trachtet.
Ich selber wähl den Tod und will zur Greisin nicht erfrieren.
Mein goldenes Haar darf seine edle Farbe nicht verlieren.
Ich bin ein Fels, den Abendstrahlen matt mit Gluth verzieren.
Ich bin ein Sagenberg, mit Gold erfüllt und goldumflossen.
Lebt wohl, ich hab genug von holder Sonnenlust genossen.
So legen eigene Kinder mich, als Greise, bald zu Grabe
Und hüllen mich in blonde Flechten ein, die mich umwallen.
Dann ruh ich tief gebettet in der schönsten goldenen Habe:
Denn Gold, nur Gold, wird allseits auf die Glieder niederfallen.
Doch sollt Ihr stets in fernen Herbsten die Mysterien feiern,
Und an die Mutter denken, die nach langem Erdenwallen,
Sich selbst zurück zur Erde sehnte, um in goldenen Flechten
Gar tief zu ruhn, wenn Sänger einst ihr Sagenbild entschleiern.
Ich selber habe aufgehört zu knechten und zu rechten.
Zieht dann umher und singt berauscht, mit laubbekränzten Leiern,
Den Hymnus Eurer MutterErde, der die Saat entsprossen,
[66] Und heut zum letzten Mal, nachdem Ihr meinen Sarg bereits verscharrtet,
Besingt die Erde, der ein reicher Erntestrom entflossen,
Und die bereits die neue Samengluth erwartet.
Belauscht die Sprache, die im Lispelton die Blätter sprechen,
Wenn sie geräuschlos fast von ihren dürren Zweigen fallen.
Belauscht Euch selbst, wenn Schamgefühle aus der Liebe brechen,
Und ein Geheimnißzauber anfängt in Euch aufzuwallen.
Dies ist die Erde. Fürchtet nichts, die gute Muttererde!
Dies ist der Tod, die Stille und die sehnsuchtsreiche Liebe!
Sie schlummern, tief verborgen vor begehrlicher Geberde,
Im Alltag unerkannt, verdrängt von lautem Sonngetriebe:
Doch bricht die Erdmacht vor, so zieht es Euch zurück ins Dunkel!
Was Ihr nur selten fühlt, wird zum Geheimniß Euch, das Lieben!
Was Euch dem Licht entzieht, ja Eures Wesens Lustgefunkel,
Das Sterben ist Euch feindlich und verhängnißdumpf geblieben.
So bleibt denn unbelauscht, wenn Euch die Liebe schwer durchgluthet!
Was Ihr in seltenem Liebesglück Euch gebt, verschließt es innig.
Versenkt es in den Seelengrotten, die Ihr kaum vermuthet,
Und bleibt Euch treu, seid Ihr aus reiner Sehnsucht minnig!
Und wer für Liebe und für Liebesschmerz wie ich verblutet,
Der thut es für ein Räthsel, das voll Schwermuth ist und sinnig!
Die Leiblichkeit des Weltgeheimnisses sind Zucht und Sitte:
Durch Thaten zwingt die Erde uns, es dauernd einzukleiden:
Denn ihre Macht hält zwischen den Bestrebungen die Mitte
Und bleibt sich gleich und zwingt uns stets zum Unterscheiden.
Darum erwägen wir mit Stolz die eigenen Lebensschritte,
Beschließen wir nach freier Art Verworfenes zu vermeiden,
Will sich in uns das herrlichste Geheimniß doch behaupten!
Drum auf! Zu den Mysterien! Zieht im Herbst mit gluthumlaubten,
Verwelkten Zweigen zu den heiligen Grotten der Propheten
Und windet Euch, im Chore, durch die langen sonnbestaubten,
Geweihten Haine, zu den Priesterinnen vor, die beten!
[67] Dort weilen Weiber, die noch nie vom Liebeshauch getrunken
Und keines Mannes Schöfperrausch im eigenen Sein empfunden!
Sie bleiben stets in heiliger Erdenandacht tief versunken
Und halten sich mit ihrem eigenen Räthsel eng verbunden.
In Dampf gehüllt wird aller Weiber SonnenIch gebändigt:
Und manche kann dabei, betäubt, Empfundenes dumpf bekunden,
Wovon die innere Erdbestimmtheit sie im Traum verständigt.
Doch wird der Erdenräthsel urgewaltige Vollerfüllung
Durch Euer keusches Thun und Lieben allerzeit beendigt,
Und dem, was sich erfordert, gebt Ihr stündlich die Umhüllung!
Du erderwünschtes Zögern, edle Sprödigkeit des Weibes,
Du wahrst und förderst das Geheimniß unserer Seele,
Dem Sinn entrückt, wirkt Muttererde in der Frucht des Leibes:
Ihr nah zu treten, fühlst Du fast als Schmach und Fehle,
Denn heilig ist die Scham und sie verwirklicht Zuchtbefehle!«
Als nun der Abend seine Purpurdecken niedersenkte,
Und dann der Tag, mit blutigem Schatten, wie zum Abschied, schwenkte,
Da ließ die Herrin einen großen Löwen vor sich führen,
Den ihr, vor kurzem erst, ein mächtiger Nachbarkönig schenkte.
Sie ließ des Thieres Leib mit Stricken fest umschnüren:
Und sieben Männern nur gelangs, den Auftrag auszuführen.
Dann sprach das Weib: »Jetzt will ich meine letzte Lust verspüren!
Ich mag aus freier Wahl den kühnsten Sühnentod erküren:
Nun bindet mich auf dieses Thieres holdgeschmeidigen Rücken.
Sein goldener Leib wird meine weiche Nacktheit noch beglücken:
Dann sprengt die Löwenfessel, laßt uns Klüfte überbrücken
Und seine Wildheit wird uns Euren Blicken rasch entrücken.
Stecht ihm zuerst, mit einem Schwert, in seine fleischigen Lenden,
Der Katze Wuth zu steigern und die Todesqual zu kürzen:
[68] Dann werden wir zusammen bald in einer Kluft verenden,
Denn schmerzzerfleischt wird diese Bestie jäh von einem Felsen stürzen.
Ich bin ein Sturm und will die letzte Wucht und Wuth verschwenden!
Seht dort die Wolken, die um spitze Felsenkegel fegen,
Wo Winde ihre Horste baun, sich drin zur Rast zu legen.
Soll da ein Sturmbraus keine Lust an seinem Ende haben!
Wohl doch! Seht, ich berausch mich an den letzten Flügelschlägen!
Wo Ihr mich finden werdet, sollt Ihr mich sogleich begraben,
Damit ich mich in meine Ewigkeit hinüber dehne:
Im Goldhaar ich, die Rachekatze aber mit der Mähne.
Nun hört auch, welches Wesen ich in diesem Thiere wähne.
Erschaut das giftige Gefunkel seiner Stachelblicke,
Oft scheint sein Fieberauge eine haßdurchblitzte Thräne,
Dem Seelengroll entquoll, und nun durchzuckt es grüne Tücke.
Ein Unheilstern der Menschheit sträubte diese Sonnenmähne:
Drum ruh ich bald auf meines Feindes wuchtigem Genicke
Und menge wollustvoll die beiden Flammendiademe
Und stemm mich auf und krall mich fest, im letzten Schreckensglücke,
Und warte, daß der Tod uns grauenvoll entgegen gähne.
Oh Menschen, als Ihr einst den Wald durchwandelnd einwärts drängtet,
Da ließ die Wildniß Euch am Wege süße Beeren finden.
Als Ihr Euch haufenweise durchs Gestrüppe vorwärts zwängtet
Und hohe Bäume furchtlos fälltet, um Euch durchzuwinden,
Da fandet Ihr die Stacheln neben saftgeschwellten Beeren.
Und als Ihr boshaft Eure Schritte durch den Urwald lenktet,
Da mußte der, zum Schutz, die Schlangenbrut gebaren.
Und als Ihr Wälder dann, aus argem Trutz, versengtet,
Da sollten giftige Flammen Euren Weg im Wald durchqueren.
Sie huschten nachts aus Tümpeln, wo Ihr Euch des Tages tränktet,
Wie Feuerfrösche, schnell hervor, den Marsch Euch zu erschweren.
Ihr fiebertet bereits, als Ihr am Wege abseits schwenktet,
Dem Tod entgegen taumelnd hinter falschen Flammenheeren.
[69] Und wo Ihr Eure Glieder nicht aus Schmerzensqual verrenktet,
[Denn Fieber kamen, Eure Dörfer gräßlich zu verheeren]
Ertrankt Ihr oft, wo Ihr das Wollen in den Wald versenktet,
Im Schlamme, der sich aufgehäuft vor Eurem Sonnbegehren!
Und weiter zogt Ihr, ob Ihr Euch auch martertet und kränktet,
Bis Euch die Wildheit selbst entgegen sprang, um sich zu wehren:
Der Wildniß Wucht und Wuth mit einem Katzensatze zu entleeren.
Ihr Menschen, das Mysterium müßt Ihr aus dem Walde locken!
Es rankt sich, Epheuschlangen gleich, empor an stolzen Stämmen.
Es krampft sich einwärts in die letzten, splitterspröden Brocken.
Es wühlt sich aus der Fäulniß vor, ersproßt in bunten Schwämmen.
Es scheint der Viper gleich, in welkem Laub und Busch zu hocken
Und trachtet überall sein giftiges Sein hervorzuklemmen.
Und muß der Bäume Saft in frischen Stümpfen plötzlich stocken,
So seht Ihr Pilze bald die Waldeslichtung überschwemmen!
Doch zieht es an, das schreckliche Geheimniß wilder Wälder!
Erkennt im Wald des Schädlichen und Bösen giftige Keime:
Erfaßt und hegt in Euch die ersten kindlichen Vermelder,
Von inneren Reuelauten. Jedes Mißtons Echoreime,
Giebt Euch die Seele ganz empfindungsklar von innen wieder:
Oft sind es Laute nur, oft unbezwingbar wilde Lieder!
Ein Sang, ein Lebenshauch durchrauschte sanft mein Lebenswallen
Und ward ein Wind und wehte scharf um jede Lebenswende.
Doch endlich schlief er ein in meiner Seele Waldeshallen:
Doch diesmal ists ein Sturm, sein Echo werfen alle Wände
Gar tief in mich zurück, die Stimmen können nicht zerprallen
Und rufen laut in mir nach einem kühnen Sühnungsende:
Drum kommt! Ihr müßt mich rasch auf dieses Löwen Rücken schnallen!«
Gar hurtig regten sich der jungen Sklaven blutige Hände,
Die nun den Löwen knebelten. Und Blut, vermischt mit Geifer,
Entträufelte den Lefzen dieser Katze, die behende,
Sich ihrer Peinigerschaar erwehrte, die mit wildem Eifer
[70] Nun ihre Herrin auf des Löwen Rücken band und schnürte.
Und noch bevor das Weib die Ohnmacht seiner Glieder spürte,
Da es, die Katze wild umhalsend, seine Arme rührte,
Entsprang das schöne Thier, das seine Königin entführte.
[Wieder kam die Welt ins Schwanken!]
Wieder kam die Welt ins Schwanken!
Berge stürzten jählings ein:
Und das Bersten aller Schranken
Nahm der Mensch in Augenschein.
Auf den Inseln, die versanken,
Konnten Völker schon gedeihn:
Doch als Mensch und Thier ertranken,
Wurden sie noch handgemein.
Denn, dem Tode sich entraffen,
Dies nur galt und wirkte jetzt.
Gar kein Wesen konnt erschlaffen:
Angst hat rasch die Kraft ersetzt.
Magre Hälse der Giraffen
Würgten Schlangen, fluthbenetzt,
Und den wildbehenden Affen
Haben Menschen nachgehetzt.
Weg von seinen eigenen Jungen
Flog nun selbst der Pelikan.
Haß und angst und kraftverschlungen,
Fletschten sich die Bestien an.
Alle hat der Tod bezwungen,
Wo die große Fluth begann:
Lauernd war sie aufgesprungen,
Plätschernd schlich sie sich heran!
[71]
Ärger war es, wo sie zagend
Vorgedrängt, von Fern genaht:
Als wo Berge, himmelragend,
Nieder sausten auf die Saat
Junger Wesen, die fast fragend,
Aufgeblickt zum Felsengrat,
Der, sie alle rasch erschlagend,
Jeden Sonnenkeim zertrat.
Schrecklich sahn sich Menschenfratzen
Dumpf vergurgeln in der Fluth:
Eng verkrallt mit wilden Katzen
Sträubte Mancher sich mit Muth.
Andere, aufgebläht zum Platzen,
Bargen lang noch Lebensgluth:
Und das Wasser schien zu schmatzen,
Ganz durchschwelgt von Aas und Blut!
Bild und haltlos war die Eule
Schon als erster Vogel schlapp;
Schlangen reckten sich als Säule,
Hoch empor am letzten Kap.
Andere stürzten dumpf als Knäule,
Oft mit Tigern jäh herab,
Und es schien, daß im Geheule
Alles hörbar Athem schnapp.
Wie ein grauses Angstgequake
Halbverreckter Krötenbrut
Scholls aus der Kadaverlake,
Und noch immer schwoll die Fluth.
Gurgelnd trug die Aaskloake
Der Ersoffenen Erdtribut,
Als ein gelber Wasserkrake,
Dumpf in sich hinab, voll Wuth!
[72]
Riesenschlangen, Büffeltruppen,
Barsten rings, in sich verkrampft.
Gräßlich waren auch die Gruppen,
Wo die Lurche, hufzerstampft,
Auf den letzten Lebenskuppen
Ziegenheerden, starr und sanft,
Würgten: und dort haben Suppen
Schwüler Fäulniß aufgedampft.
Und es war beim Knäulverzucken
Allerlei hineingeklemmt,
Zwischen Bären eingestemmt,
Sah man Menschen drinnen hucken.
Und die Fluth hat beim Verschlucken
Geil mit Mensch und Vieh geschlemmt:
Doch sie hat beim Leichenspucken
Bäuche nur zurückgeschwemmt.
[In einem Land, das von der Fluth fast unberührt geblieben]
In einem Land, das von der Fluth fast unberührt geblieben,
Begann der Boden sich auf einmal bebend zu verschieben:
Das Meer hat hohe Wasserhosen an den Strand getrieben,
Die bald beim Sturm zu Brandungsschaum und Wirbelgischt zerstieben.
Da drang der Druck der großen Fluth herbei mit grausem Blitzen:
Ein Sturmrausch wars, ein Sausebraus, beschwert mit Hagelschauer,
Als wollte sich sein Nebelrumpf zerreißen und zerfitzen.
So stürzte er am Weltenmeer, auf wilder Dauerlauer,
Als Riesenwirbel hin und her und wurde immer dichter
Und riß auch manches Felsenriff hinab in seinen Trichter.
[73]
Da wälzte sich in einem Ruck ein Sturmstumpf mit Gebrüllt,
Vom Trubelkessel wuchtig los und trug, in schwarzen Hüllen,
Gar furchtbare Gewitterlust und schlug die Mutterfülle,
Als junge Stürme, keuchend los; da stürzten die, wie Füllen,
Dem Braus mit Windgewieher nach: und alles tanzte, tollte
Mit Wirbellust in sich zurück, als ob es sich verschlingen wollte.
Und Dünste schlürfend wuchs der Sturm noch immermehr, am Ozean,
Und raste dann mit einemmal dahin als fahndender Orkan.
Wahrscheinlich zog das Abendland ihn plötzlich mächtig an:
Er wallte, wogte hin zum Land, bis er den schwanken Strand gewann.
Und Schaum und Gischt und Fluth und Nacht erklommen Riesenhänge.
Der Mittag war in Sturm gehüllt. Die See entsprang den Ufern.
Weiß übergischtet war der Fels in steiler Meilenlange.
Das Meer hat stürmisch aufgejauchzt, als wärs von tausend Rufern:
Und Schlamm und Dunkel mischten sich zu wirbelndem Gedränge.
Die Schlacken zuckten blitzend auf, wie unter Sonnenhufern:
Da wars, als ob ein Rhythmentanz die Wildheit fast verschlänge,
Als trüge Fluth, beim Lebenssturm, als Mähne Gischtbehänge.
Und wieder donnerte am Meer ein anderes Ungeheuer,
Noch manche dunkle Ungeburt, aus dunstbezwungenem Feuer,
Zerschlug verblitzend, dort am Strand: und klarere Orkane
Entschlangen sich dem Wirbelherd und landeten am Strande.
Es war, als ob ein Walten sich auf einmal wieder ahne:
Denn peitschten Winde Kämme auf, dort hart am Strandesrande,
So waren sie im Trab davon, als ob sich eine Karawane,
Da stracks, am starren Lavahang, den Weg ins Dasein bahne!
Der Strand erklang, da Sturmeshast das ganze Land durchfegte,
Und allerseits dem Trubel sich, der Hang entgegenregte.
Ein Armenacker, Beingerank, das Gott von Rümpfen sägte,
Rang lavastarr nach Daseinsform und schwankte, ob es wägte,
Nach welcher Art, am freiesten, den neuen Leib zu fügen!
Das Erderbeben schnellte nun, aus tiefen Wirbelzügen,
[74]
Die erdenbrache Kreiskraft auf, der Lebenshast entgegen,
Und langsam schien ein Massenkrampf sich wirklich zu bewegen.
Und Sturm und Wogen klommen jäh empor auf Lavahängen.
Und Lustsuchtwucht und Ursprungsqual erstürmten starre Riffe.
Die Blitze mußten Dunst und Nacht mit einemmal zersprengen:
Ganz athemlos kam ein Orkan, als ob er seinwärts griffe,
Auf Wellenschimmeln gleich daher. Und alles drang nach oben.
Und immer wuchtiger erscholl das hohe Brandungstoben.
Und stöhnend, schnaubend, schlug die Fluth nun aufwärts über Klippen.
Und ächzend, wiehernd brach der Wind sich rings an scharfen Kanten.
Und dröhnend, knarrend fügte sich der Fels zu Knochenrippen.
Und pfauchend raste der Orkan, der plötzlich leibhaft rannte,
Dahin, am schwanken Lavafeld. Schon ward er eine Heerde!
Und gruppenweise stürzten sich ins Dasein wilde Pferde.
Und Schimmeltruppen schlugen toll den Blitz aus Lavakanten.
Und Rappen trabten, wo das Land im Augenblick erstarrte:
Da Schwankheit und Verzogenheit sich rasch in schlanke Leiber wandten.
Der Erdfels starrte, den, im Nu, der Rossetroß durchscharrte.
Und auch der wilde Wind verschwand. Der Sturm war abgebrochen!
Sein Rhythmus nur ward fortgeschnellt, als Herz und Lungenpochen.
Der Dunst umschwoll das Felsgestell aus festgefügten Knochen.
Und immer kam noch, fern am Meer, die Lavafluth gekrochen.
Die Wogen bäumten sich empor. Fast waren sie schon Rosse!
Es schien, als ob beim Brandungssatz, der See ein Sein entsprosse!
Und Pferdphantome, gischtbewehrt, entsausteu schon den Wellen.
Festleiblich ward ihr Luftgebild. Zum Hufe ward die Flosse.
Die Nüstern witterten voraus. Und eilig wie Gazellen,
Sah sich der ganze Rossetroß, jählings ins Leben schnellen.
Sie streckten ihre Hälse vor, wie einstmals die Giraffen:
Doch waren sie zu bärenplump und stürzten ihren Formen nach:
Beim Rasen ihre Leiblichkeit zu haschen, zu erraffen,
[75]
Wobei sich manches Roß sogleich die sprödgefügten Glieder brach.
Von Schimmeln wimmelte das Feld. Den Stuten und den Hengsten
Lief wiehernd manches Füllen nach und rief sie schon mit Ängsten,
Als suhlte es, beim Sturmgebraus, nicht rasch genug im Lauf zu sein.
Die Hengste sprengten mitten durch. Sie hielten sich am längsten.
Sie strengten sich oft gräßlich an und stürzten über Roß und Stein.
Sie drängten sich behende vor, und wo der Knäul am engsten,
Da warfen sie sich brunsterfüllt auf hurtige Mutterstuten
Und mußten meistens, hufzerstampft, am Boden dann verbluten.
Es konnten Rosse nun, im Trab, das Kap rasch überfluthen.
Ihr Blick war voller Kampfbegier. Sie lugten immer weiter:
Doch blitzten aus dem Seelenschlund, fast menschlich gute Fluchen
Und überglühten fast die Wuth, oft perlensanft und heiter.
Denn Räthsel würgten sich empor, die tief verborgen ruhten,
Und plötzlich wieherte ein Roß, als rief es seinen Reiter.
Doch ganze Heerden rasten vor. Sie wollten sich blos sputen.
Die Funken blitzten hell empor. Dies ward ein Jagdgewitter:
Denn abgestaut schien selbst der Wind, durch sonniges Gezitter,
Und Schweif und Mahnen sprühten jetzt, von Schweiß benetzt wie Flitter.
So stoß denn holdes Sonnengold aufs stolze, hohe Kap herab.
Und kataraktrasch sprang die Fluth jäh aufwärts über Klippen.
Der Lavastrand hat ausgebebt und dröhnte unterm Rossetrab:
Denn der hat jetzt den Gau belebt und trug in sich das Wippen.
Da schlug die innere Hast den Trupp bis hin zum Abendrande.
Und vorgewälzt und rings umdrängt, entschloß der Troß der Rosse
Sich rasch zum kühnen Todessatz und sprang am andern Strande
Ins schwanke, kalte Naß herab. Wie wuchtige Geschosse,
Entstürzte nun, mit toller Wuth, dem Strand die Pferdeheerde:
Und wieder gab dem Wogenmeer, was sie empfing, die Erde!
Und tausend über Tausende von Rossen wankten nieder
Und brachen sich beim Sprung sofort die kaum verkrallten Glieder.
Und immer größer war der Schub: je mehr im Meer ertranken,
[76]
Um destomehr erkrampften sich ihr Sein am andern Strande.
Sie klommen durch den Wogenprall, entsprangen Brandungspranken:
Und wild umkraust von Mähnengischt, sah man sie einwärts dampfen,
Und mit den Hufen, blitzhaft rasch, das Lavaland zerstampfen.
Im Nu belegte Stutenbrut, verfolgt von jungen Füllen,
Durchschwamm nun eine Ruhebucht, um da aufs Land zu springen.
So sollte sich die Ursprungswucht, durch Zufallslust, erfüllen,
Und unserer Wieherthiere Wurf nun unbedingt gelingen.
Und immer tiefer drin im Meer ward jeder Ruck zum Roß:
Und was am Wasser aufgetaucht, das ward gar rasch ein Wogensproß:
Und schwamm da lang als schwammiger Hengst, bevor er aufwärts schoß,
Und durch den heftigen Brandungssprung, sich fest in Formen goß:
Wo alles sich so wunderbar zu tieferfaßter Fügung schloß.
Von Wasserrossen so verfolgt, durchschnaubten stets die Pferde
Den schlackenstarren Lavaplan und fahndeten hinüber
Und rasten durch das brache Land und fühlten nie Beschwerde
Und stürzten dann, nach langer Hast, am andern Strand kopfüber,
Zurück, hinab ins Wassergrab, wo sie beim Satz ertranken.
Und andere trabten ihnen nach, vom Meer empor, zum Meer zurück:
Und sanken abermals ins Nichts: nurs Land kam aus dem Schwanken:
Doch rasch verschnaubte jedes Pferd: sie stürzten alle, Stück für Stück,
Hinab in einen Trubelschlund: die See hat sie verschlungen:
Und andre sind, trotz Todesritt, noch immer nachgedrungen.
[Durch Schlucht und Schlund brach jäh der Sturm]
Durch Schlucht und Schlund brach jäh der Sturm:
Er brauste lang am grauen Meer
Und schleppte seinen Trubelthurm,
Aus Schlamm und Wasser, hin und her.
[77]
Nun drang er zwischen Bergen ein
Und wälzte trockenen Lehm bergauf:
Er schien ein Bau, aus Staub und Stein,
Und rauchte aus dem Wirbelknauf.
Er stürzte sich, durch Fels und Schlucht,
Wo alles noch gebebt, gezuckt:
Und unten ward die dumpfe Wucht
Von manchem runden Schlund verschluckt.
Dort zuckte oft ein rothes Roß,
Im schauerlichem Todeskrampf.
Das Blut, das aus den Nüstern stoß,
Ward schwüler, dicker Lakendampf.
Die Würmer zehrten schon vom Fett:
Und als der Sturm daher gebraust,
Erweckte er das Pferdskelett,
Das halb verreckt war und verlaust.
Dies war vielleicht der letzte Rest
Vom herrlich freien ersten Ritt.
Was klein blieb, ward herabgepreßt,
Das Starte stürzte strandwärts mit.
Jetzt reckte manches Pferd den Hals
Und zerrte sich aus Dreck und Staub.
So ward der Zweck des Weltenfalls
Ein eiliger Bewegungsraub.
Die Rotte schlotterte noch lang:
Doch schwankte auch das Lavaland;
So schleppte sie, mit gradem Gang,
Sich langsam fort, durch Staub und Sand.
Am Boden lag ein Leiberstumpf:
Durch Wüstenwolken, fast verdeckt,
Vielleicht ein Rest vom Krakenrumpf,
Der sich als Menschen aufgereckt.
[78]
Die Rosse schnüffelten aus Durst,
In Fleisch herum und Menschgebein:
Da regte sich die Leiberwurst
Und biß sich in die Zitzen ein.
Es wieherten die Mähren laut
Und schleppten einzeln Menschen mit:
Und was sich da zu Haus gestaut,
Ward zuckender, bei jedem Schritt.
Beschwert durch solche Körperlast,
Die es nicht mehr von sich gewälzt,
Sank manches Roß. Doch halsumfaßt,
Trugs Reiter, die sich draufgesetzt.
Und Weiber, Kinder schleppten sich
Mit Pferden fort, am Bauch und drauf.
Und als das Bodenbeben wich
Kam alles bald in raschen Lauf.
Voll Schmerz und Müh ward fortgestampft.
Die Kraft kam nun vom Sturmwuchtbruch.
Und Mensch und Pferd in sich verkrampft
Entgurgelte ihr Ursprungsspruch. –
[Es schreckt mich die Wüste, die rings sich entrollt]
Es schreckt mich die Wüste, die rings sich entrollt:
Sie zeigt mir kein Ende im flimmernden Gold.
Die Sonne blickt traurig, als dunkler Opal,
Auf blendende Felsen, wie starrende Qual.
Es schweigen die Winde, von Hitze erstickt:
Da zeigen sich Wirbel, zu Wolken verdickt.
Sie treiben am Sande spiralisch umher,
Verschwinden auf einmal und werden bald mehr,
Durchstauben die Ebene, umkreisen den Grat,
[79]
Da scheint mir der Plan ein bewegter Achat.
Sie kommen mir naher. Ich athme den Staub.
Ich hör kein Gesause: ich wähne mich taub.
Da stampft schon im Sande ein Volksstamm vorbei:
Auf bräunlichen Pferden durchsprengt eine Reih
Verrunzelter Reiter mein sichtbares Feld.
Ich seh, wie sich jeder da sattelfrei halt.
Es kommen auch Weiber und grinsen mich an:
Sie folgen auf Gäulen, mit Kindern, dem Mann.
Es fletscht mit den Zahnen manch zwerghafter Wicht.
Sie scheinen mir Schemen: ist das ein Gesicht?
Mein Geist ist gespenstig, doch die sind aus Fleisch!
Nun hör ich auch deutlich ihr Gurgelgekreisch.
Es ist das der Hyksos berittenes Volk!
Ich fand ihre Truppspur, damit ich ihr folg.
Ich merk mir den Sturmschwarm aus Räubern und Staub,
Das Wüstengewitter, das Lichtheer auf Raub:
»Ein gelblicher Zwergstamm mit Weib und mit Kind,
Durchstreift die Sahara, gewandt und geschwind.
Auf braunen Arabern erreicht er den Nil
Und kommt und verschwindet und bleibt ohne Ziel!«
Nun seh ich auf einmal durch lebende Zinnen
Ein Schlackengeschwanke in wirbelnder Pein.
Dort mag wohl die Lava zu Formen gerinnen,
Und Flammen entwallen dem Brockengestein.
Es sträubt sich und wehrt sich der Schlundgrund dort drinnen,
Als wollte er stocken und tanzmunter sein:
Verzerrt und verzogen erhebt er sich zuckend
Und gluthrothe Qualme umsprühn ihn ringsum.
Und Schluckten, fast trubeldumpf Garben verschluckend,
Durchbuchtet ein dunkles und dumpfes Gebrumm:
Und Menschen, auf stilleren Felsspitzen huckend,
[80]
Begaffen das Schauspiel verwundert und stumm.
Der Felskessel hebt sich. Er bebt und verschwindet.
Der Krampf, den die Lava erstarrend verlor,
Wird leibhaft: und plötzlich empfindet
Ein Rumpf innere Gluth, da sein Umkreis erfror.
Jetzt lechzen die letzten Gluhtzünglein nach Leben.
Die Rachen am Brachplan sind glattstarr verkrallt.
Verschrumpft sind die Zacken. Zerzuckt ihr Erbeben:
Nun reißt jene Bestie empor mit Gewalt.
Sie laßt sich vom Felsgrat urplötzlich erheben.
Doch macht schon ihr Sockelblock überrascht Halt
Und schnellt nun den Urur empor auf die Beine.
Da steht er gewaltig. Gefühllos! Und bockt,
Als scheute er immer noch blutige Scheine,
Die rings aus dem Brockengemäuer gestockt.
Da klettern zum Apis, im Brudervereine,
Die Menschen, die rings die Geburtskluft umhockt.
Ich fühle mich selber hinübergerissen.
Ich folge dem Volk, das den Numen erkennt.
Auf einmal ist alles erregt und beflissen.
Ich seh mich im Schwarm, der die Zinne berennt.
Und wieder bewegen sich Felsenkulissen.
Doch brüllt nun der Stier für das Wuthelement!
Ein Kreisen von Bergen, von rasselnden Graten,
Ein Felsengewirbel entschleudert uns jetzt.
Die Erde scheint schrecklich in Schwung zu geraten:
Wir stehn auf der Platte und werden versetzt.
Vom Stamm, der bestimmt ist zu herrlichen Thaten,
Wird niemand beim großen Ereigniß verletzt!
»Wir rufen Dich, Isis, geschwängert im Bauche
Der Mutter, vom Bruder, Osiris dem Gott,
Entraff uns den Klüften, dem Schwefel, dem Rauche!
[81]
Sei huldvoll dem Volk, das um Apis sich rott!
Wir werden Dich ehren nach heiligem Brauche:
Dir nahe kein Feind mit verwegenem Spott! « – – –
Nun plötzlich verrammt sich die riesige Schraube.
Die Hose aus Kegeln und Gipfeln beharrt.
Verstummt ist das Dröhnen und Rasselgeschnaube.
Hat alles zurück in die Angeln geknarrt!
Es schützt uns die Erde. Es hilft uns der Glaube.
Kein einziger Mensch ward beim Bergruck verscharrt.
Oh Nilthal, Ägypten, du bist uns beschieden!
Wir steigen vom Sinai ekstatisch herab:
Dort schirme die Wüste ihr Zuchtreich in Frieden.
Es brüllt schon der Apis, beim zottigen Trab!
Bald baun wir ihm Tempel und Felspyramiden,
So steil wie der Sinai, das rettende Kap!
Wir wollen Dich ehren, Gebirge der Erde:
Du trugst uns aus Westen im Fluge herbei!
Wir folgten dem Apis. Wir sind seine Heerde.
Wir glauben an Isis, befruchtet im Ei
Ihrer Mutter vom Bruder, als Hort ewiger Herde:
Oh Isis, Du inbrunstgewaltiger Schrei!
Das Ra Drama
Die Pyramide
»Verwegener was willst Du?
Was peitscht Dich aus der Ruh?!«
Erscholls in meinen Träumen,
Als jähbewußter Schrei.
»Ich kann Dich nimmer zäumen,
Du Lichtbrunst schön und frei.
Ihr Wünsche zu erfahren,
Euch schnellt ein Sonngeheiß,
Die Lust am Faßbarklaren,
Empor zum Bild von Sais!«
Dies hab ich rasch gestammelt,
Als ich Ägyptens Ra,
Vor Tempeln traumverrammelt,
In heiliger Würde sah.
Das Volk war rings versammelt.
Da schien es mir beinah,
Als trügen jene Schaaren
In sich den Urbeweis
Der Kraft des Sonnenwahren
Bis vor das Bild zu Sais.
Dort hockten stumme Beter.
Da drang, nach Art und Weis
Der Krieger, ein Trompeter
Hervor aus einem Kreis
Ekstatisch krampfverdrehter
Erleuchteter von Sais!
Er blies und rief: »Für Väter
Der Gaue schafft ein Gleis,
Ihr andern folgt erst später:
[85]
Der erste sei ein Greis!«
Ich aber rief: »Wo geht er?
Daß er um keinen Preis
Vor mir, dem Lichtvertreter,
Den Schleiertand zerreiß?«
Nun hört ich ein Gezeter.
Es heulte das Geschmeiß
Der Weiber, Missethäter,
Besessener zu Sais.
Da lag das Pack in Krämpfen.
Ein Knäul von nacktem Fleisch!
Um Wuth und Brunst zu dampfen,
Schrie Ra durch das Gekreisch;
»Das Heil will Ich erkämpfen:
Verstummt, da ichs erheisch!«
Doch brüllten Weiber, Kinder,
Jetzt stärker und zu Fleiß.
Und Bauern trieben Rinder,
Mit Peitschen, in den Kreis.
Und riefen: »Schmerzverwinder,
Wann hilfst Du uns zu Sais?
Was soll mir Pein und Mühe,
Was Plage, Drangsal, Schweiß,
Zerstampfen Stier und Kühe,
Das eigene Weib, als Geis,
Wenn ich in Fieber glühe,
Am Feld, das junge Reis!«
»Es sollt Ihr armen Bauern,
Versammelt hier zu Sais,
Im Traume nicht erschauern,«
Rief Ra: »Und zum Beweis,
Begründ ich vor Beschauern
[86]
Was stets RaArbeit heiß.
Die wird Euch überdauern:
Ihr gebt mir nur den Gneis:
Ein Werk daraus zu mauern,
Wie ich allein es weiß!
Kein Volk wird es betrauern:
Der Welt vermach ich Sais!«
»Wir werden schmähen, keifen,
Bis Du uns nicht erhörst,
Uns fest darauf versteifen,
Daß Du den Alb zerstörst,
Und jammernd Sais umschweifen,
Bis Du den Spuk beschwörst!
Wir schließen einen Reifen,
Und wenn Du Dich empörst,
So wird man sich vergreifen,
Weil Du das Land bethörst.
Versuch nicht zu entkneifen,
Da Du den Strauß verlörst!«
So schrie beim Stadtumstreifen,
Ägyptens Volk vor Sais.
Dies ward ein Johlen, Pfeifen,
Ein wüthendes Gekreisch.
Selbst Kinder sah man kneifen,
Zur Stärkung ihres Schreis.
»Ihr seid zu viele Bauern.
Ich schaff den Priesterstand.
Wenn Träume Euch belauern,
Entschüttelt sie durch Sang
Und gebt mit Felsbehauern,
In einer Riesenwand,
Tief zwischen Felsenmauern,
[87]
Dem Schreckgesicht Bestand!«
Dies hatte Ra verkündet!
Wo man sich schlug und wand,
Da war sein Kult begründet,
Im nilgeborenen Land.
Da hat den Glaubensbrand
Wo still der Schlammstuß mündet,
Die Sprache Ras entzündet,
Gott schaffend, gottgesandt!
»Die Widder kommen nächtlich,
Als Spuk in unsern Gau.
Die Zahl ist gar beträchtlich,
Wir sehn sie ganz genau,
Stumm sehn sie und verächtlich
Auf uns, in unserer Au,
Und scheinen unanfechtlich
Bis spät im Morgengrau:
Drum sperr Du sie bedächtlich
Des Nachts in ihr Verhau!«
So rief man: »Ist es rechtlich,
Daß eine große Sau
Mit Ferkeln, mitternächtlich,
In unserm Kürbisbau
Gefräßig und geschlechtlich
Am Dasein sich erbau?«
So mischten mit Emphase
Sich Andere ins Geschwätz:
»Bei uns ist es der Hase,
Der wider das Gesetz,«
Schrie plötzlich eine Blase:
»Uns plagt. Und wie ich schätz,
Frißt er den Kohl im Grase,
[88]
Wenn je ich solchen setz!«
»Kein Alb soll Euch entsetzen,
Daß man sich drauf verlaß,
Ich kann ihn grabwärts hetzen!«
Rief Ra begeisterungsblaß;
»Nach seinen Lebensplätzen,
Sucht traumgrau, voller Haß,
Was Ihr mit Axt und Netzen,
Und ohne Unterlaß,
Getrachtet zu verletzen!
Drum zieht nunmehr fürbaß,
Das Thierbild beizusetzen,
Im eigenen Nachtgelaß!«
»Kein Reiher läßt sich fassen,
Wenn ich im Schlaf mich wetz!
Des ganzen Gaues Sassen
Verstricken sich im Netz,
Wo Vögel früh verblassen,
Ob sie das Licht verletz:
Drum sag, wie man Grimassen
Der Nacht sich widersetz?!«
So riefen die Erwerber
Der Landschaft hart am Nil. –
»Und uns umrauscht der Sperber,
Wir tödteten zuviel.
Wir wurden Jagdverderber,
Weils Morden uns gefiel.
Kein Landvolk hauste herber,
Beim grausen Jägerspiel!«
So rief ein starker, derber
Gaustamm mit Aarprofil;
»Jetzt sind wir Rangbewerber,
[89]
Mit Hohenpriesterziel:
Sind wir einst Machterwerber,
Bleibt doch der Stand servil!«
Da rief der Kraftverleiher,
Ägyptens Ra: »So seis,
Oh Sperbergau, Du freier,
So komm, ich überweis
Dir Macht und Schutz vom Schleier
Der Gottgewalt zu Sais.
Euch Priester, Prophezeiher,
Euch Wissende umkreis
Der Sperber heiliger Weiher,
Als Sohn des SonnenEis:
Am Mittag aber, sei er
Euch Sinnbild, Hort und Preis!
Ich will, daß man ihn feier,
Verehr und monatweis,
Als Sohn vom Lebensfreier,
Von Ra, der Urkraft, preis!
Ihr Andern kriegt den Reiher,
Und was Euch quält, die Geis.
Die Hasen, Storch und Geier,
Gewährt Euch wechselweis
Mein Gau und Gotteinweiher:
Auch Träger des Geweihs
Bekommt Ihr Bauern, Meier,
Nach Schreck und Zweck zu Sais!«
Nun heulten Männer, Weiber:
»Oh Herr, ein böses Thier
Ist unser Ruhvertreiber!
Doch sind wir alle hier,
Gesellen, Weber, Schreiber
[90]
Und flehen fromm zu Dir:
Oh, heile Seelen, Leiber
Vor der Dämonengier!
Wir sind nicht Übertreiber!
Doch glaub, ein Albvampyr
Ist jener Nachtdurchbleiber
In unserm Schlafquartier,
Wir spüren nur den Schrecken,
Wir fühlen einen Druck
Und können uns nicht recken,
So bleischwer wiegt der Spuk.
Ein Sarg will uns bedecken,
Da kann kein Stoß und Ruck
Der Sklaven uns erwecken,
Da ist es, als verschluck
Ein Würgerschlaf, in Sacken,
Den Rumpf, daß er verzuck!«
»Das sind die Todtenlehren!«
Rief Ra gedankenschwer:
»Verstorbene begehren
Die Sonnenwiederkehr.
Sie wollen Euch beschweren:
Begrenzen Euch stets mehr,
Zurück zu sich, zu kehren:
Was langsam im Verkehr
Sich ändern kann, verzehren:
Denn bleibt Ihr wie bisher
Und haltet Ihr in Ehren,
Was heilig ist und hehr,
So könnt Ihr fort Euch wehren:
In ewiger Todeswehr
Wird jung sich das gebären,
[91]
Was nie den Stamm versehr,
Dann taucht Ihr in der Rasse,
Als Form, die stets sich gleicht,
Und werdend nur erfasse,
Was ihr die Urform reicht,
Als ewiger Hintersasse,
Empor, wo Gleiches weicht!
Und solche Völkermasse
Erzeugt sich straks und leicht:
Denn, daß Bewehrtes passe,
Bleibt überrall erreicht.
Kein Krieg, geschürt vom Hasse,
Der, bildend, Euch durchschleicht,
Erzwingt sich eine Gasse,
Die Jungformen umdeicht.
So horcht auf Eurer Ahnen
Sichselbsterhaltungsschrei,
Friedförderliches Mahnen
Und Schlafaufwiegelei:
Beschreitet ihre Bahnen,
Macht Euch vom Albdruck frei!
Der Kultus, den wir planen,
Verlängert Eure Reih
Zu Lebenskarawanen
Im Schutz der Wüstenei.
Verbleibt beim Gutgethanen,
Aus Ahnenschwärmerei,
Und steht als Unterthanen
Den RaErstarkern bei!«
So sprach der Gott, da brachte
Ein junger Menschenbund,
In dem der Kult erwachte,
[92]
Ein Unthier groß und rund,
Aus einem tiefen Schachte
Vom Fels herab zum Sund.
Beim Tragen überdachte
Sein Rumpf die Männer und
Der Eindruck, den er machte,
War wunderlich und bunt.
Man trug den Unhold sachte
Und gab den Leuten kund,
Dies sei ein Gott und schmachte
Nach Kult am Erdenrund.
Man rief, er übernachte,
Verschrumpft am Grottengrund,
Und wenn auch todt, so trachte
Der hohle, heilige Fund,
Daß ihn der Mensch betrachte!
Trotz Bauch und Leberschwund,
Empfehl es sich, man schlachte,
Für den bezahnten Schlund,
Ein Opferthier und achte
Auf seinen Rumpfbefund.
Und wo man dies erdachte,
Ward man zur Stund gesund!
»Ach Ra, aus Schreckensnächten,
Vom Zorn des Albgottskloß,
Mach uns mit regelrechten
Beschwörungsformeln los.
Bestimm, uns selbst zu knechten,
Wir wünschen den Verstoß
Und wollen nimmer rechten,
Denn unsere Not ist groß!
So hilf den Spuk zu ächten:
[93]
Gar schrecklich ist das Los,
Gewürgt von Werggeflechten,
Erstarrt und athemlos,
Verklemmt in Todesschächten,
Zu sinken in den Schooß
Von feindlichschlechten Mächten:
Die Freiheit gieb uns blos!«
So schrien bejammernswerthe
Gepeinigte nach Frohn.
Und Ra, der Gott, bescheerte
Ägypten seinen Thron.
Dem Volk zu Sais erklärte
Er kühn die Sonnvision:
»Das, was ich Euch gewährte,
Wird jetzt zur Religion.
Es sehn die Priester schon,
Daß sich zum Guten kehrte,
Was Euch, zu Spott und Hohn,
Als Alb, den Schlaf verwehrte;
Drum lebe jetzt und wohn,
Wer lang die Rast entbehrte,
In Glück daheim, zum Lohn:
Und Priester und Gelehrte
Bewachen die Nation!
Ihr müßt Euch gleich erhalten!
Drum schafft ein Glaubensbild
Des gutbewährten Alten.
Und Inbrunst kühn und wild,
Laßt rings im Stein erkalten.
Was jung und frisch entquillt,
Mag Eure Kunst gestalten.
Doch was am meisten gilt:
[94]
Euch selbst müßt Ihr verwalten,
Wie Ra Euch einst gedrillt!
Dies wird den Kult entfalten,
Und durch ein Lichtgebild,
Bleibt Ihr dann ungespalten:
Der Wechseltrieb gestillt!«
Da war es, als entstamme
Urplötzlich Ra das Land.
Im aufgebrachten Stamme
Geschah nun allerhand.
Da schrie man: »Ra, verdamme,
Was Dir als fremd bekannt,
Und schütz mit festem Damme,
Nur was uns eng verwandt;
Erzwing durch unduldsame
Verbote den Bestand!«
»Ich laß vom Bräutigame,«
Schrie plötzlich brunstentbrannt
Ein Mädchen. »Zieh als Amme
Zum Kalb, das Ra gesandt!«
Befahl dem Weib ein Gatte,
Der eben sich entmannt.
»Oh Vater mein, gestatte!«
Rief jemand überspannt;
»Daß ich Dich neu bestatte,
Der Du in Nacht gebannt!
Ich heb die Felsenplatte,
Vom Grab mit eigener Hand;
Was ich am liebsten hatte,
Das sei Dir zugewandt.
Nun ruh auf anderer Matte,
Da nimm auch mein Gewand!«
[95]
Dann war es, als ermatte
Der Grabgestikulant.
Nun wurden lange Züge
Einander stumm gewahr.
Die brachten Eimer, Krüge
Und was ihr Hof gebar,
Den Fruchtpreis ihrer Pflüge,
Spontan zum RaAltar!
Man dachte, es genüge,
Bringt jeder Opfer dar,
Daß sich ein Staatsgefüge
Fest aufbau und bewahr.
Doch änderten die Züge
Der opferwilligen Schaar
Sich rasch, als Ra, zur Rüge,
Nun aufschrie: »Die Gefahr,
Die Gauen droht und Glauben,
Ist stets der Seelengeiz!
Wohl haben Lämmer, Tauben
Für Priester Werth und Reiz,
Doch nie werd ich erlauben,
Daß sich ein Reicher spreiz,
Weil er von üppigen Lauben
Am Felde, allerseits,
Die beste Frucht kann klauben!
Zur Linderung Eures Leids,
Müßt Ihr Euch schwer berauben:
Beim Schwören eines Eids
An Alle, die verstauben,
Wird nur des Ahnenneids
Plagkraft und Wucht verschnauben.
Drum nehmt das Liebste! Weihts
[96]
Für ewig Euren Todten,
So lang Ihr lebt und leibt!
Auch Euch wirds einst geboten,
Wenn Ihr Euch jetzt verschreibt
Und thut, was ich geboten!
Der Sohn, der hinterbleibt,
Erhalt Euch mit devoten
Gefühlen wohlbeleibt,
Und frag bei Todtenboten,
Ob Ihrs, wie einstens, treibt!
Im Dasein sich verknoten
Vermag, wer sich beweibt.
Doch das ist ganz verschieden,
So wie es Könige gilt
Mit Freuden, wie hienieden,
Im Westlichen Gefild,
Für ewig zu umfrieden!
Denn Könige sind gewillt
Von allen Unterschieden
Der Stände sich ein Bild
In loser Form zu schmieden:
Drum bergt, was ungestillt
Verloht, in Pyramiden!
Auf Sorgen flüchtig wild,
Legt einen todtsoliden
Sargdeckel, wie ein Schild.«
Da schleppte man die Blöcke
Ekstatisch hin zu Ra.
Auch waren Opferstöcke,
Von überall schon da.
Geschrei und Bocksgeblöcke
Verriethen was geschah.
[97]
Die Obern schwangen Stöcke
Und tödteten beinah;
Doch band man sich an Pflöcke
Ganz willig und man sah,
Wie Menschen Kühe, Böcke
Umtanzten, mit Hurrah!
»Laßt Urerfüllungszacken
Als Wunderbau entstehn!
Die schwanken, scharfen Hacken
Der Bilder, die verwehn,
Ergreifen sich und packen
Euch stets beim Untergehn.
Jetzt tragen sie als Nacken
Von Männern, die da flehn:
Kein Albgott soll sie zwacken:
Sie thürmen und zergehn.
Ihr Sein ist Ziegelpacken,
Befehlen und verstehn,
Verunglücken, beim Backen,
Vor Schmerz, das Aug verdrehn!«
Rief Ra: »Fürwahr, das Große
Ist nötig, schon gethan.
Nun lohts vom Erdenschooße,
Empor als Menschenwahn.
Der Schmerz vom wuchtigen Stoße,
Gab Schürung dem Orkan:
Daß man sich schlag, erbose,
Gehört zum Brunstvulkan!
Doch bleibt vom Tagalbkloße
Nichts übrig als ein Zahn.
Beim Aufbau schon Ruine,
Durchweht vom Todeshauch,
[98]
Entsteh das Grab und diene,
Beim Werden, als Verbrauch
Des Seins und als Maschine,
Die Sonnwucht knapp verpfauch!
Doch Bauer und Beduine,
Im Bann vom neuen Brauch,
Der Menschen Stromlawine,
Die sich ums Zweckmal stauch,
Das Weib mit Schreckensmiene,
Mit aufgeschlitztem Bauch,
Das gläubig zu empfangen,
Sich wild der Frucht entleert,
Und voller Brunstverlangen,
Die Ahnen, die es ehrt,
Die längst schon heimgegangen,
Als Kinder nur begehrt,
Das sind die Schicksalszangen,
Die ewig unversehrt,
Aus dumpfem Zukunftsbangen,
Urmächtig, unverwehrt,
Scharf ineinander hangen!
In diesem Fall verzehrt
Der Raffzahn der Erfüllung
Sich spurlos nicht und läßt
Des Nöthigen Leibumhüllung
Als Felseck scharf und fest.
Und tiefster Krafwerknüllung
Stumpfwunderlicher Rest
Erstarrt in Stein auf Erden!«
Der Pöbel schien mir Gleis
Und Pläne zu gefährden,
Da blickt ich sehnsuchtsheiß,
[99]
Empor aus diesen Heerden.
Inmitten des Geschreis
Stand Ra, mit Kraftgeberden.
Sein Mantel, schwer und weiß,
Konnt nimmer blutig werden
Und zu mir sprach er leis:
»Nach Trübsal und Beschwerden
Berausch Dich nun zu Sais!«
Ach, Fata Morgana der Sagensahara,
Erhabener Abglanz des alten Ägypten,
Ich las Deine Texte von Wandmanuskripten,
Ich wagte und schwankte; da kamen und kippten
Die Tempel, mit Inschriften, um. Und all das da sah Ra!
Da stand Er auf endlosen, schwebenden Treppen.
Ich kniete auf Stufen, am untersten Rand,
Und fühlte des Baues erstarrten Bestand:
Da wollt ich mich lichtwärts zum Taggotte schleppen.
Es warf noch sein Leib einen menschlichen Schatten,
Der fiel über Treppen, als Teppich, herab.
Ich stammelte lange, und bat ihn dann knapp,
Er möge mir Eintritt und Einsicht gestatten.
Dann kam ich zum Schatten. Ich faßte den Saum.
Denn dieser war wirklich, die Treppe ein Traum!
Ra blickte nach Westen und streckte den Arm
Zur Sonne hinüber, die aufwärts gewuchtet.
Der Tag war entstammt und das Dunkel verschluchtet.
Sein Auge ganz klar und sein Athem so warm.
Und Ra starrte schweigsam dem Taggott entgegen,
Der war uns im goldenen Karren genaht:
[100]
Kein Wind schien durch Ärmel und Falten zu fegen,
Und dennoch verwehte und schwand sein Ornat;
Auch brauchte kein Wollen den RaArm zu regen,
Nackt ragte er sonnwärts, als Warnung und That!
Da packten gar grimmige Riesen den Wagen,
Der Horus von Osten herüber getragen.
Sie ballten und krallten sich fest an die Räder.
Sie sprühten und glühten und bebten aus Wuth.
Es barst fast ihr rachsuchtentflammtes Geäder,
Da nirgends der Himmel Gewitter entlud!
Nun zogen auch wirklich die gierigen Hände
Der feindlichen Mächte den Wagen hernieder.
Nun wars, als ob alles im Brande verschwände.
Es fanden der Rosse geschmeidige Glieder,
Sammt Speichen und Deichsel und Karre, ihr Ende.
Da öffnete Horus, der Lichtgott, behende
Das flimmernde, herrliche Tagesgefieder!
Zum blauenden Saume verzitterte Iris.
Es trugen des Sonnenballs machtvolle Spannen,
Zerflitternd den leuchtenden RaSohn Osiris,
Aus stammendem Karren der Ankunft, von bannen!
Von Eindrücken, die mich so innerlich packten,
Hat wohl mein Bewußtsein nur einige erhascht.
Wo war ich? In grabpyramidenumzackten
Gefilden des Delta, mit Staub überascht?
Hat Fließen und Branden von Nilkatarakten,
Vielleicht meinen Halbtraum gar stark überrascht!
Ein riesiger Kessel umschloß mich im Kreise.
Auch stand ich so hoch, daß ich Gleise und Reise
Des Stomes in weitester Ferne gewahrte.
Ich sah, wie der Nil sich im Süden zertheilte,
Durch Schluchten schnell eilte, im Sande verweilte,
[101]
Sich einte und trennte und abermals paarte.
Doch gab es kein Ende, als glühenden Sand,
Und näher beinah, eine flammende Wand,
Und rückwärts vielleicht einen anderen Brand!
Der Nilstrom schien langsam herunter zu fließen.
Er schlich durch die Wüste in breiter Verschlingung,
Um rasch unter mir dann vorüber zu schießen.
Dies war, wie ein Anlauf zur Aufstiegserzwingung,
Um mühsam den Schlamm in die Höhe zu wälzen
Und endlich empor auf den Abhang zu kommen.
Gar prächtige Vögel auf riesigen Stelzen,
Umzogen den Strom, der die Nordwand erklommen,
Dann schienen sich Haine und Licht zu verschmelzen!
Dies war wohl ein Trug, der am Himmel erglommen?
Oft schien er so deutlich, oft goldrauschverschwommen!
Nun konnt ich den Blick schon zur Sonne erheben,
Zwar tiefer als wir, steht sie nirgends und nimmer,
(Die Warte sei hoch oder meerspiegeleben,)
Doch scheint sie des Morgens der See zu entschweben;
Versinkt sie des Abends im fluthenden Schimmer,
So stehn wir so hoch wie die Pupurgluthbrandung,
In der sie im eigenen Lichtsturm zerprallt,
Denn nur was uns scheint, trägt der Logik Gewandung
Und giebt unserer Urvernunft dauernden Halt!
Ihr Gräberkollosse, symmetrisch und protzig,
Erstarrte Symbole unbändiger Stumpfheit,
Ihr macht mich rebellisch, verwegen und trotzig!
Nur anspruchsvoll, ausspruchslos, dumm fast und klotzig,
Verwahrt Ihr die Mumien in modriger Dumpfheit;
Ihr sagt zwar, daß Völker gar lang, als Barbaren,
Des Stammlandes Wesensart halten und wahren,
Und wenn innere Gluthen den Wechsel entfachen
[102]
Und Horden als fahndende Menschen erwachen,
So wuchte die Starrform gespensterhaft nach
Und baue sich Fetisch und Ahnengemach.
Doch ist, was nur ruhn will, verrucht und verflucht.
Die Scholle soll geben. Die Erde muß spenden.
Und wer sie begehrlich, mit Lust, untersucht,
Den will sie mit Schätzen verwirren, verblenden,
Dem wird sie auf Wänden mit Schattenlegenden,
Die Bahnen bedeuten, das Werk zu vollenden,
Um Furcht, von sich selbst und der Menschheit zu wenden!
Sie schenkt und versagt ihren weiblichen Reiz:
Vergiebt uns die Habsucht, doch nimmer den Geiz:
Mir selber verzeiht sie und liebt mich bereits!
Ihr Seelenkrampfkrystalle, todte Pyramiden,
Alte Stillstandsmale, starre Dauertrümpfe,
Wie ist die Menschheit doch von Euch verschieden!
Ich hasse Euch, Ihr starren Urwuchtstümpfe!
Verachtung zoll Euch, Ihr gewaltsstupiden
Albhorte, jetzt die Plebs der Sudelsümpfe:
Ich will, daß gegen Euch, nach Störenfrieden,
Die Nasen störrisch selbst der Rudel rümpfe.
Wer sind die Gäuche, die ich rings vermuthe,
Die gräßlich nun entstehn, daß ich erbleiche?
Vampyrenbrut, Du trinkst von meinem Blute!
So weiche doch, noch bin ich keine Leiche,
Kaum ahnst Du selber Dich eine Minute,
Und schon ists, als ob Dich Lust durchschleiche:
Schon regt sich, was soeben scheinlos ruhte.
Welch neuer Alb erscheint im Mumienreiche!
Es ist, als ob mir Furcht und Muth entfluthe,
[103]
Und ringsum Rümpfe zum Gefühl erweiche.
Ach, wie entstehn doch alle Weltenwesen:
Was ist Bewußtsein, was Geschlecht, Verstand,
Was Sitte, Leib und Seelenantithesen,
Wie geht, was sich bekämpft, stets Hand in Hand!
Wie könnten wir von Spuk und Furcht genesen!
Du Sonne, brich der Starrheit Widerstand!
Wozu, mein Ra, hast Du mich auserlesen,
Was wollt Ihr Bestien wuth und brunstentbrannt?
Soeben seid Ihr nichts als Alb gewesen
Und schon erscheint Ihr meinem Sein verwandt!
Die Hälse reckt Ihr überlang vom Rumpfe,
Auch zwangt aus einigen sich bereits ein Kopf.
Dort ists, als ob ein Löwenleib verschrumpfe,
Und seine Mahne flechtet sich zum Zopf.
Zu Klumpen scheinen Stuten zu verstumpfen,
Doch wächst ihnen dafür ein Menschenschopf.
Nach Leben sehnt sich aber wirklich alles:
Die Ruhwucht, Urbrunst des Uräußerrings
Vereint sich selbst, bei des Ellypsenfalles
Vernunftgeburt, und zeugt sich neuerdings,
Beim Umlauf, kraft des Aufwärtspralles
Und der Beweglichkeit des tiefsten Dings,
Und starrt als Schwerpunkt unseres Dogmenwalles!
Und wie im Zauberbanne eines Winks,
Versteinerte nun jedes Thier zur Sphinx
Und reihte sich um mich: und rechts und links
Erblickte ich priapisch steile Obeliske.
Da wars vom Weiberhaltenden, als drings
In weiche Leiber, als fixierten Basiliske
Das Strakserstarrende, zur männlichgeraden Sphinx!
Und taufende von RaOsiris Sonnendisken,
[104]
Im Vollbesitze ihres Irislichtgeblinks,
Umschwirrten Purpursphinxe weiter Tempelzonen,
Wie Lichtgedanken zwischen Gluth und Blutvisionen.
Es mußte Ra in solchen Tempelhallen thronen,
Damit sein Ruhbewußtsein sich für uns bewahre,
Und RaGedanken, lauter unsichtbare Aare,
Umkreisten mich im Flügeltakte von Äonen!
Ein Albdruckgebirge, menschmächtig und nächtlich,
Entwuchs nun der Erde und scharrte mich ein.
Sein Sphinxblick nach innen durchdrang mich verächtlich,
Und rings das Gekröse erstarrte zu Stein.
Da schlug meine Seele, ein ängstlicher Vogel,
Ihr weißes Gefieder. Dann schwand mir das Licht.
Die Sphinx ward zum Berge. Ihr Kopfknauf ein Kogel.
Ihr Rumpf wohl ein Thierleib: ein Gott ihr Gesicht.
Und endlich erwacht ich aus Enge und Graun.
Und schlotternde Schatten, verschwommen und braun,
Gestatteten gelbes Gerank zu erschaun.
Gestalten verschwanden und trennten sich, wippten
Wie einst ich sie sah, nun in schweflichem Glanz.
Da rief eine Stimme: »Erwach in Ägypten!
Germane, verträume das Träumen beim Tanz!
Verschling, die vom Nektar der Traumgötter nippten,
Und stehe dann fest und gehöre uns ganz!«
[Waren dies die Spinxfelsfibern]
[105]

Waren dies die Spinxfelsfibern,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Die da schwollen und erstarrten?

Wars ein Ruck von Weltverschiebern,

Die noch tief in Grotten harrten?

Oder kam ich selbst ins Fiebern,

Als um mich die Berge knarrten!

Welch Gezücht von Ottern, Biedern

Quietschte in den Felsenscharten,

Als aus Höllenschluchtkalibern

Grufteinbrüche sie verscharrten.

Bache sträubten sich und zischten,

Auf und nieder durch Kulissen.

Wo sich Fels und Wasser mischten,

Ward der Strudel fortgerissen.

Eulen, die mit Hast entwischten,

Prallten auf an Hindernissen;

Und ich sah die mörderischten

Szenen jetzt ins Schattenrissen.

Riesengroße Schlangen fischten,

Aufgereckt, nach Leichenbissen!

Aufwärts langten sie nach Beute.

Senkrecht standen sie im Kessel.

Und ich wußte: dies bedeute,

Daß, was todt schien, sich entfessel:

Und bald peitscht die Albspukmeute

Uns mit Dorngerank und Nessel!

Mumien sehn ein neues Heute.

Tod sitz fest auf Deinem Sessel,

Denn, was Deine Hand zerstreute,

Bricht die Raum und Zeitmaaßfessel!

Und als Schlangenhälse barsten,

Da entkrochen Lurchenkröpfen

[106]

Nestbesätze mit bizarrsten

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Schwulstentschlüpften Doppelköpfen,

Und die allersonderbarsten

Vögel, mit Gesicht und Zöpfen,

Flogen aus den todtenstarrsten

Mumien auf und Urnentöpfen.

Schlünde sah ich rasch verkarsten

Und im Nu ihr Schreckbild schöpfen.

Felsen zeigten, daß sie leben,

Daß die todtgeglaubten Steine,

Ewig wechselnd, sich erheben.

Katzenklumpen, Riesenschweine

Schienen fast im Sprung zu schweben.

Und im letzten Wonnehaine,

Trat ein Stier auf heilige Reben.

Rosse schleppten Menschenbeine,

Und von Dreck und Aas umgeben,

Schnaubten Hunde Feuerscheine.

Plötzlich klaffte eine Spalte,

Und des Tages gelbe Grelle,

Die ins dunkle Wirrsal prallte,

Bannte uns an Ort und Stelle.

Nur ein Mannestorso ballte

Sich empor mit Riesenschnelle:

In ihm staute und verkrallte

Sich die letzte Lebenswelle,

Und der Glast, der einwärts wallte,

Glich da einem Löwenfelle.

Ja, es krümmten sich und zuckten

Rumpfgestalt und Muskelbänder,

Denn sie alle würgten, schluckten

Unthierspuk und Leichenschänder.

[107]

Keine Kopfknaufschwülste guckten

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Wuchernd über Halsstumpfränder,

Denn die Brut von Spukprodukten,

Lang verheerter Unglücksländer,

Schrumpfte ein, und manche duckten

Selber sich im Zweckvollender.

Berge wurden Muskelgruppen.

Rückgratfurchen Gießbachsschachte!

Achselhöhlen Grottenkuppen:

Jedes Ungeheuer brachte

Abfallschnitzel, Wesenschnuppen

Unter, als ihr Herr erwachte.

Knorpeln, Muskeln, Fleisch entpuppten

Stets was ihr Entstehn entfachte.

Drachen, Lurche, Urbrunsttruppen

Wurden, daß ein Arm sie schlachte!

Rings auf albbefreite Länder

Schien der Mittag heiter nieder,

Wolkenberge, Inselränder

Gaben klar die Wollust wieder,

Die das Meer, der Liebesspender,

Aus dem Irisflittermieder,

Rings durch Schleier, durch Gewänder

Und mit Lust und Luftgefieder,

Wallen läßt, als Freudensender!

Und um schroffe Inselglieder

Wand sich eine Strandguirlande,

Und die See, die weiblichweiche,

Spielte mit dem feinen Sande.

Sie, die trug und schimmerreiche,

Schwellte Flittergold zum Strande:

Und da warfen Klippen, Teiche,

[108]

Scheine, Splittergold, zum Pfande

[Rand: Der klassische Todtentanz]

See zurück, fürs Gleiche;

Und so suchte, im Verbande,

Jedes, daß es Lust erschleiche!

Aus den Räthselbuchten fuhren

Windgetragene Seegelboote,

Und auf ihren goldenen Spuren

Sah ich, wie die Schönheit lohte.

Volle junge Kraftnaturen

Folgten da dem Lichtgebote,

Fernen, fremden Kreaturen

Nichts zu sein als Liebesbote:

Und ich wünschte, fern auf Fluren,

Glück dem Schönheitsaufgebote!

Rings um Brunnen, klare Quellen,

Wuschen Königskinder Linnen:

Solches Mädchenspiel mit Wellen

Wollte Venus einst ersinnen,

Daß der Busen holdes Schwellen,

Vor der Mädchen Prüfersinnen,

Sich dort spiegeln und erhellen

Müßte, stündlich, vor dem Minnen:

Pracht zur Strahllust zu gesellen,

Ist der Venus Urbeginnen!

Aller Herrlichkeit Vollendung

Sah mein Aug, im Abendglanze

Vor sich stehn, als reife Sendung.

Nackt, mit einem Myrthenkranze,

Ward ein Weib, mit keuscher Wendung

Ihrer Hüften jetzt der ganze

Inbegriff von Schönheitsspendung!

Ach, in einem Todtentanze,

[109]

Traf mich plötzlich volle Blendung:

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Helena stand auf der Schanze

Priamus, und Troja brannte!

Und ich sah, wie sich begehrlich

Heldensinn zu Fernen wandte!

Völker schienen unversehrlich,

Als die Not sie westwärts sandte.

War die Fahrt auch grundgefährlich,

Kam man doch um Riff und Kante.

Fehlte auch was unentbehrlich,

Wenn kein Wind die Segel spannte,

Blieb doch Raubsucht unverzehrlich!

Grüne, schmale Länderstrecken,

Zwischen gelben Horizonten,

Silberranken, Städte, Flecken,

Felsenlehnen, die sich sonnten,

Kollossale Gräberrecken,

Ewig stumme Gruftremonten,

Tempel zu Begräbnißzwecken,

Schrecklich starre Festungsfronten,

Sah ich rings das Feld bedecken,

Das mir Träume geben konnten.

Aller Vögel Zufluchtstätte,

Anhalt meiner Trostgedanken,

Reich der Todten, stau und rette,

Was Du kannst, in schattenschwanken

Wunschphantomen: ach verkette

In den blassen Traumesranken,

Jetzt im stummen Spukballette,

Aller jener, die versanken,

Die, die ich so gerne hatte:

Ach, vermöcht ichs, Dir zu danken!

[110]

Helden wohl nach dem Gebahren,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Mann und Weib in Brunst verschlungen,

Konnt ich nun genau gewahren.

Just ist Lust ins Weib gedrungen.

Er, bedeckt von ihren Haaren,

Schwand beinah vom Weib bezwungen:

Manneswucht zu offenbaren,

Ist er keuchend aufgesprungen.

Sie ist mit emporgefahren:

Keinem ist der Sieg gelungen.

Tief verschmolzen, brunstbeklommen,

Konnte niemand matt entschleichen,

Zu einander zuckten, klommen,

Beide wonneschauergleichen

Leiber, deren Lust erglommen.

Wieder hat sie seine reichen

Lebenskräfte aufgenommen,

Doch nun mußte sie erbleichen,

Plötzlich war sie weißverschwommen,

Und ihr Fleisch schien zu erweichen.

Und sie hockten alle beide

So verkrümmt, aus Brunstverlangen,

Daß die Blicke, voll vom Leide

Ihrer Lust, mich wild bezwangen.

War ich beider Augenweide?

Galt mein Schmerz und Schauderbangen

Als der Ausdruck nur vom Neide,

Weil sich Schemen hold umschlangen?

Hell erblitzte ihr Geschmeide,

Ihre Augen, ihre Spangen,

Denn nun war sie weiß wie Kreide.

Wieder hat ihr Leib empfangen.

[111]

Dennoch wars, als ob er leide:

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Sprühend waren seine Wangen,

Unerschöpft die Eingeweide:

Sie doch blieb, von ihm umfangen,

Ein Skelett im Schleierkleide,

Ihre letzten Gluthen drangen,

Wie durch leichte, bleiche Seide.

Augen und Rubinenschlangen,

Glühten jetzt so schauertrunken:

Alles was ich um mich sah,

Schien ein Streit von Wollustfunken,

Ach, und ich erkannte da

Jener Augen Glühn und Prunken:

Meiner Todten war ich nah!

Wie, sie winkte halbversunken?

Gräßlich war nun was geschah:

Schon zersetzten dunkle Tunken

Antonius und Kleopatra!


Wie bist Du furchtbar hingeschwunden,

Geliebte mein, Geliebte mein,

Wie konntest Du mich so verwunden,

War Deine Seele niemals rein?

Nein, nein, sich so verrucht bekunden:

Der Frevel geht mir nimmer ein!

Als Buhlin jenem dort verbunden,

Soll dies ein Neugierantrieb sein,

Daß ich in grausen Marterstunden

Dich nun verfolg mit Graun und Pein!

Ist dies die Feindschaft der Geschlechter,

Der ewige Amazonenkrieg!

Schon seh ich Männerschaaren, Fechter,

[112]

Mit ewigvorbestimmtem Sieg.

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Dort ists, als ob ein Troß bezechter

Mänaden sich durchs Dunkel schmieg:

Und schon durchzuckt mich Brunstgelächter,

Das lang in meiner Seele schwieg.

Auch scheint mir gar nichts folgerechter

Als, daß schon Eins beim Andern lieg.

Nun will das Weib den Mann bezwingen.

Wie es bestrickend ihn umnetzt!

Er muß die Weiblichkeit durchdringen.

Ach, wie der Mann die Beute hetzt!

Nein, beide wollen sich verschlingen!

Der Haß wird langsam abgewetzt.

Der Friede will auch hier gelingen:

Es ist im Urlauf festgesetzt,

Daß Ruheformen jung entspringen,

Wo irgendwas das Maaß verletzt.

Die Schatten seh ich rings verschwinden.

Nun taucht ein Jüngling strahlend auf.

Mein Auge scheint fast zu erblinden,

Als ob es Goldgeflock betrauf.

Wie Knospen langsam sich entrinden,

Entschwellt nun Anmuth jedem Knauf

Der Sehnen, die sich herb verbinden,

Und endlos ist ihr Fleischverlauf.

Des Jüngling Namen will ich finden,

Ich denke nach, wie ich ihn tauf:

Antinous, nicht Bacchus heißt er

Und wird als Ziel emporgeschnellt.

Als Frucht entschwundener, entgleister

Gestalten, die er rings zerschellt,

Ist er versuchsgeburtumkreister

[113]

Endzweck, der sich ins Menschthum stellt!

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Wird ein Geschlecht sein hehrer Meister?

Erscheint die Zeit, da er verfallt,

Und andre junge SonnenGeister

Befruchten was sein Maaß erhält?

Leibhaftig sah ich ihn soeben!

Die Einsicht hat ihn mir erhellt:

Weltkräfte, die uns Knorpeln geben,

Die Weiblichkeit, die Busen schwellt,

Die haben sich als Formbestreben,

Zusammen hier als Leib gesellt.

Von Milch der Weichlichkeit umgeben,

Von Mädchenanmuth zart umwellt,

Seh ich den Jüngling keusch erbeben:

Um den Epheben ringt die Welt.

Tod, Du menschlicher Gedanke,

Sag, wann wirst Du ausgewischt?

Was nicht harren kann, das Kranke,

Wann wirds plastisch aufgefrischt?

Werden uns nach wildem Zanke,

Wenn die Rachsucht einst verzischt,

Feste Bissen mit dem Tranke

Seliger Räusche aufgetischt!

Noch erzwingt sich keine Schranke,

Bis der Aufruhr nicht erlischt!

Hier in diesem Herd der Gährung,

Seh ich alles wild vermengt:

Sklaven, ohne Rast und Zehrung,

Werden rasch zurückgedrängt.

Wer nichts suchte als Belehrung

Wurde nutzlos angestrengt.

Wünschte jemand gar Bekehrung,

[114]

Weil ihn Todesfurcht bedrängt,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Hat er Urtheil, Gott, Entbehrung

Selber über sich verhängt!

Zwischen rundverzweigten Schienen

Ist der Tod ein Sektorschnitt,

Durchgefurcht durch Brunstlawinen,

Voll bewegtem Lebenskitt.

Hier kann nur Erfahrung dienen.

Sonst hält der Verstand nicht Schritt!

Unter Fratzen, wilden Mienen,

Geht der Tod mit Würde mit,

Doch er ist als Bild erschienen,

Platon ists, der ihn vertritt!

Unfügbar ins Wechselganze

Bleibt das feste Ideal,

Drum gehts auch im Todtentanze

Weiter ein für allemal.

Tod, zu unserm Lebensglanze,

Bist Du selbst der tiefste Strahl:

Larven auch, zum Mummenschanze,

Schenkst Du uns, zur eigenen Wahl:

Gott und Mensch und Thier und Pflanze

Streben aus der Scheidungsqual!

[Aus dem Schäumen des Gesagten und den Rhythmen, die mich trugen]
Aus dem Schäumen des Gesagten und den Rhythmen, die mich trugen,
Aus den Wogen des Gewagten, die mich leidenschaftlich schlugen.
Zog mich Halberschöpften plötzlich Ra empor, mit starkem Arm:
»Fühl Dich fest und ursprungssicher, dieses Land ist lebenswarm!
Kannst Du völlig uns begreifen, schwindet bald Dein wilder Harm.
[115] Lös Dich los von jenem schwanken, rast und zweckelosem Schwarm:
Gierig sind die Schemen alle, aber schrecklich beutearm.
Komm, mein Sonnenkind, und walle tiefberuhigt durch die Halle,
Fürchte nichts vom Widerhalle, folge mir: vor jedem Falle,
Wahrt Dich meine Götternähe!« Also ward zu mir gesprochen
Und ich fühlte dann: ich stehe wirklich fest mit Fleisch und Knochen.
Endlich wußt ich auch: ich sehe, denn der Tag war angebrochen,
Und es hatten Nacht und Wehe tief in Winkeln sich verkrochen.
Und ich flehte: »Nun vergehe, meines Herzens graues Pochen!«
»Sieh die große Tempelhalle mit den hehren Königsbildern,
Keine Zunge ist im Stande ihre Herrlichkeit zu schildern,
Kein Gedanke, keine Sehnsucht ihren Schreckensernst zu mildern,
Faß Dich drum, Du wirst erfahren was gestaltbelebend wirkt:
Freue Dich, Du wirst gewahren, daß kein Räthsel sich verbirgt.
Höre rasch auf mein Geheiß: hier im Heiligsten zu Sais,
Dreh Dich rings herum im Kreis, nirgends steht ein Gottbeweis.
Jenes Bild ist eine Sage: Antwort giebt auf jede Frage,
Hilfe doch bei keiner Klage, das Bewußtsein das ich trage!«
Also ward ich angeredet, dann gab Ra mir die Erklärung:

»Den Urkern aller Selbstverzehrung,
Den Quellgrund eigener Lichtgewährnng,
Den Weltzwang unserer Lebensnährung,
Die kennst Du, durch Dein Grüblen, alle längst,
So daß Du mich durch Einsicht vorwärts drängst.
Nur was dem Geiste nach ägyptisch,
Doch für das Volk hier unerfaßbar,
Daß aller Urgrund ruheleptisch,
Dies sag ich Dir nun leiblos, haßbaar.
Der Laut durchbraust uns als der Hellste,
[116]
Wo er am zartesten entschwellt:
Das Licht erscheint uns als das Grellste,
Wo es verzitternd fast sich wellt:
Denn mächtiger, als ihr Ruhestreben,
Hat da ihr Ursprung sich entschnellt:
Verschlängelt muß sich drum erheben,
Was ruheflüchtig sich erhält!
Der Mensch, durch Sonnenzwang erhoben,
Verkrümmt sich bald zur Niederkehr,
Doch da ihn Gluthen wild durchtoben,
So streift und streckt er sich noch mehr.
Der Affe ist einst aufgeschossen,
Nach Andern hast Dus selbst erschaut,
Bis spät in seinen graden Sprossen
Sich Erdwucht üppig angestaunt.
Ein Neugeschlecht ist vorgeschritten.
Sein Lichtgang, erdbewußt und fest,
Hat mit dem Lichttrieb hold gestritten,
Der sich ein Seelchen fast entpreßt.
Das Faulthier, das herabgefallen,
Erstrebte den Elypsenschluß,
Doch sonnwärts muß Belebtes wallen,
Drum war das auch kein Dauerguß.
Nun will der Mensch sich frei erheben
Und schwingt sich kühn der Seele nach,
Wenn beide sich einst jung verweben,
Schwebt vor, was sich die Flügel brach.
So schlängelt Ihr Euch hin zum Lichte.
Verkrümmt bleibt drum der Höhenlauf.
Durch stille Kult und Selbstverzichte
Gebt Ihr das Überwundene auf.
Der Sphynxe kühnes Haupterheben
[117]
Entsteht elyptischschön im Leib
Und zeigt wie Formen sich beleben:
Aus Drang zum Licht, wie zum Verbleib!
Zum Manne klimmt die Weibesseele
Und sträubt sich vor dem Leibverein,
Es scheint, daß sie der Antrieb quäle:
Sie bildet sich zu gerne ein!
Doch habt Ihr sie einst fortgerissen,
So giebt sie Scham und Glauben auf,
Wird gerne Lustversprechen missen
Und willigt in den Daseinskauf.
Man kanns im Kleinen schon erleben,
Du selbst bist da kein Sonderling,
Du scheinst zu stark am Weib zu kleben,
Als daß Dein Geist sein Werk vollbring.
Zwar ist die Schwäche stark geschwunden,
Du hast Dich Todten nachgeschnellt,
Du hast sie, ehrlich, nicht gefunden,
Doch Du entdecktest diese Welt.
So laß denn gehn, was langst zersplittert,
Doch nimmer mehr vor Dir erscheint:
Du hast als Bock herumgewittert,
Doch war der Anlauf gut gemeint.
Die Todte müßtest Du vergessen.
Sie war zu nichtig und zu klein
Für Dich, der sich so hoch vermessen!«
Da aber fiel ich plötzlich ein:
»Du Ra, bist wahrlich unermeßlich,
Grad ragt Dein Geist zur Sonne auf,
Doch etwas bleibt mir fremd und gräßlich,
Daß Wehmuth nie Dein Herz betrauf,
Du bist fürs Weib ganz unberührbar,
[118]
Uranisch bist Du, nichts als Mann!
Der Lichtweg ist in Dir durchführbar,
Und geistig wirkt, was dumpf begann,
Doch sag, wo ist das Weib geblieben,
Denn ihre Fährten such ich nun.
Du sprachst, die mußten sich verschieben.
Nein, nein, wo ist der Todten Spur,
Wo ist, was sich beinah vom Leibe
Der MannElypse einst getrennt?
Du sagst, wir sind nicht weit vom Weibe,
Ich glaub, man hats, wo man es nennt!«
»Fürwahr, Du bist nicht leicht zu bessern,
So stürm Ihr nach, wenn Dus vermagst,
Wenn Du in blassen Sumpfgewässern
Die Taube ohne Pfeil erjagst.
Doch hehrer wärs, beim dumpfen Waten,
Wo Du nichts Flügges haschen kannst,
Du läßt den Seelenwurf gerathen,
Indem Du Dich zum Flug ermannst!
In Geistelypsen aufzuspüren,
Ist schrecklich schwer, doch wonnehell:
Es giebt das grellste Lusterglühen,
Erfahrs aus Deinem Strahlenquell!«
So hatte Ra zu mir gesprochen,
Und wieder stammte jedes Wort:
»Es schlängelt, ewig ungebrochen,
Das Leben sich zur Sonne fort.
Es sucht im Grund die runde Ruhe,
Doch lichtwärts führts sein Sonnenzwang.
Daß sich das Muß nicht schlaff verthue,
Sorgt stets der Sonnenmutterstrang,
Denn nie verrunzeln Nachtplaneten,
[119]
Von ihrem Urlicht ganz getrennt:
Sie bleiben, mit empfundenen Nahten,
So lang das Heben dumpf verbrennt,
Mit ihrem Mutterstern verbunden:
Und wenn sich Sonnenhöh erkennt,
Wird sich das Muß als Macht bekunden,
Indem es Zwänge Schöpfer nennt!
Ein Kind hat Freuden und Gedanken
Der Mutter immer zugewandt
Und seine ersten Schritte schwanken
Zur hilfbereiten Menschenhand.
So kommts, daß sich der Erdenkinder
Urstamm dem Kult der Sonne weih,
Dann kommen schlaue Gotterfinder
Und fühlen sich, begeistert, frei!«
»Ein freier Gott ist Menschenfreiheit!«
So jauchzt ich in die Rede ein:
»Und das Gelingen zeigt die Dreiheit,
In der es stets in uns erscheint.
Was Du mir zeigst, ist ramechanisch,
Es ist da Uhrwerk nur von Gott,
Doch was ich fühl ist überpanisch:
Erst jetzt wird mein Beginnen flott!
Nicht nur der Mutter urverbunden
Scheint mir ein Mensch, der wirkt und liebt,
Er hat in langen Schauerstunden,
In sich versenkt, was nie zerstiebt:
Was Raum, was Zeit, wir sind erwachsen!
Ich fühle was mein eigen war:
Wann kreuzen sich die Lebensaxen?
Was schimmert dort auf dem Altar?«
»Dir werde, was Du kannst erzwingen!
[120]
Vermags Dus, sprenge jedes Thor,
Der Lichtwucht wird noch viel gelingen!«
Sprach Ra: »Doch höre mich zuvor,
Wohl schwingt sich fort, was Du vollbrachtest,
Doch krümmst Du selbst Dich bald zurück:
Seitdem Du ichbewußt erwachtest,
Verglühte ein Elypsenstück.
Das Beste, was Du hier vollbrachtest,
Lebt fort, es war Dein größtes Glück.
Nun gilts, daß Du Dich selbst betrachtest,
Und sich Dein Urlauf niederbück!
Dein zweiter Brennpunkt wird erscheinen,
Den Du in Dir fürs Menschthum siehst.
Es schafft Dein Wollen ihn, Dein Meinen,
Vom Standpunkt, dem Du nie entfliehst.
Bald brennt in Deinem Busen Theben,
Weils viel zu viele Gluthen barg.
Der andere Brand in Deinem Leben
Der Stadt, die siebenhügelstark,
Ist langst verglommen und vorüber:
Du hast ihn unbewußt entstammt,
Denn damals war Dein Wesen trüber,
Und hat halbahnungslos verdammt!
Doch hör, es strahlt beim Brand von Theben,
Der Sonnenkult mit Macht empor,
Und es versagt sein Glanzbestreben
In Rom, wo er die Schlacht verlor!
Vernimm vom Strahl der andern Schlange,
Die langsam aus der Erde reift,
Die zündend, oft im Überschwange,
Die große Brunstspirale streift.
Sie strebt viel grader und viel greller,
[121]
Mit gleicher Schnelligkeit zum Licht:
Der Erdenkern, ihr Machtentschneller,
Bewirkt, daß sie den Tod durchbricht.
Sie weht in uns ganz sonnenähnlich,
Sie macht uns frei und mild und gut:
Und bleibt die Sonne stets ersehnlich,
So liebe auch die innere Gluth,
Die Flamme, die vom tiefsten Kerne
Der Erde, durch die Menschheit steigt.
Sie freue Dich, habe sie gerne,
Wo sie im Nächsten sich verzweigt!
Die Erde streift den Schwang der Seelen,
Beim Sonnumkreisen ewig ab:
Nach Rhythmen, die sich da entschälen,
Ists, als ob Chaos gierig schnapp.
Die meisten sind für uns verloren,
Nur wenige werden festgeschweist,
Und leiblich angepackt, geboren,
Weil sie die Erde niederreißt,
Die ihre Are rasch umschwingend,
Noch Abgewetztes stark ergreift
Und, unsere Flucht mit Wucht bezwingend,
Uns leiblich wieder niederschleift.
Von zwei Bewegungen erschaffen,
Wo sich zwei Richtungen erraffen,
Kommt auch ein Wesen nur zur Welt,
Was die Geschlechtlichkeit erhält!
Du siehst auch die Natur auf Erden,
Wie sie den Samen voll verpraßt,
Wie selten nur die Wesen werden,
Weil ihre Keimlust Kraft erfaßt.
Doch fruchtlos scheint mir keine Liebe,
[122]
Denn Seele ist sie selber nur.
Und glaubt man auch, ihr Rausch zerstiebe,
So läßt sie dennoch eine Spur.
Und was dem Ball, im All, entwuchtet,
Ist anderer Welten Keimgewalt,
Und was im Dasein nichts befruchtet,
Wird herrlich noch zu Gluth geballt.
Und um die Pole glüht der Same,
Den unsere Erde üppig streut,
Ein Wink, daß nie die Macht erlahme,
Die Wechselordnung sich gebeut!«
Da fiel ich ein mit sanfter Stimme:
»Jetzt fühl ich wohl, daß ich nun bald
Die Höhe eines Seins erklimme,
Da jeder Laut mich hold umhallt.
Ich bin befreit von jedem Grimme.
Ich habe selbst mich in Gewalt.
Mir ists, als ob das Leid verschwimme,
Ich fühl mich leicht und gluthdurchwallt!«
»Du weißt was heute sich begegnet,«
Hat Ra nun freundlich eingestimmt:
»Was flammenhändig alles segnet,
Und um die Pole kalt erglimmt:
Doch ohne Schreck ists nicht entstanden!
Du weißt: der Erde Kerngluth kreist,
Stets rüttelnd an den starren Banden,
Womit der Rundball sie umschweißt,
Da zum elyptischen Beharren,
Sie selbst ihr Flammenwesen weist:
Doch Lavakrusten, die erstarren,
Der Kugelschädel, der vereist,
Will selbst die Axendrehung ändern,
[123]
Wenn eine Wechselkraft erkreist:
Es trachtet stets nach gleichen Rändern,
Was Starrsinn in die Ruhe reißt!
So dient die Kugel sich zum Schutze
Vor kosmischer Zersetzungswuth,
Die Axe ändert sie zum Trutze,
Denn ihr ist Gleichheit ewige Hut.
Doch stört sie stets ein aufgeblähter,
Schnell schwingender Äquatorreif:
Denn innere Gluth, verwandt dem Äther,
Wirkt urelyptisch, ruhereif.
Das Mittelding von Fels und Helle,
Umkämpft den alten Axenstand,
Und sprengte oft, als Wechselschnelle,
Die innere starre Kugelwand.
Doch jetzt ist dieser Ball gegossen.
Der Makrokosmos schrumpfte ein.
Urfremdes hat sich angeschlossen
Und schafft das Leben im Verein!«
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .
»Das mystische Suchen, das Mythenverbuchen,
Der Packt der Eunuchen, die Kraft zu verfluchen,
Die Inbrunst beim Besten, das Wunschkrautentjäten,
Das Werk der Asketen, die Sehnsuchtsraketen
Verflachen am Ende: Du stehst an der Wende,
Empfange die Spende verschwendender Brände!«
So hörte ich plötzlich die Stimme von Ra.
Nun war es ergötzlich, was vor mir geschah,
Ich fiel in die Rede des Herren des Lichtes:
»Am Ende der Fehde, des EigenVerzichtes,
[124]
Wo bald die Elypse des Uebergewichtes
Den Leib sich erschwingt, der den Aufschwung vollbringt,
Den Formguß erringt, der selbstherrlich erklingt.
Durchbraust mich und winkt mir, was traumhaft gelingt!
Wo nichts als die Nacht den Altar mir enthüllte,
Und flimmernde Pracht sich dann langsam verknüllte,
Da seh ich nun Schleier ein Bildniß umwallen,
Es öffnet ein Weib seine goldenen Schnallen,
Nun werden die Hüllen den Hüften entfallen!«
Jetzt hör ich mich selber, mein Rufen erschallen,
Mein eigener Name erbebt in den Hallen,
Schon sind Leib und Leib ineinander gefallen
Und fühlen an Liebe, am Dasein Gefallen.
Mein Weib ist mir wieder in Wonne gegeben,
Ich hab es errungen, ich hab es erkämpft.
Jetzt will ich nur leben, berauschend erbeben,
Kein Glück sei verschwiegen, kein Schaudern gedämpft.
»Du hast Deine Höhe im Dasein erklommen,
Du bist an Dein Lichtziel, als Wesen, gekommen,
Nun mußt Du Dich eigenselbst immer mehr neigen,
Zurück in sich selbst wird Dein Thun sich verzweigen:
Hat einst sich die Leidenschaft völlig empfunden,
So wird auch die Lichtbrunst verstumpfen und schweigen!«
Dies konnte mir Ra noch, verdunkelnd, bekunden,
Dann ist mir der Nume für immer entschwunden.
»Das sind Deiner Augen hinsterbende Blicke,
Glückwerbende Funken im dunkeln Geschicke,
Das ist Deines Mundes lustseliges Lachen,
Wenn Freuden und Gluthen der Wangen erwachen
Und morgenzart Träume des Glückes entzünden
Und Wolken der sonnigsten Wonne verkünden.
Du schäumende Seele, Du träumende See,
[125]
Dein fruchtbares Fluchen, Dein dunkelndes Weh,
Dein weichliches Wogen und furchtbares Grollen,
Dein weibliches Wähnen und funkelndes Wollen
Entschwellen dem Busen, gebähren den Lenz,
Mit dem ich Gestalten und Tempel bekränz:
Du bist meine Kraft, Du mein seliger Genuß,
Ein Sommer erglüht jedem brennenden Nuß!«
»Und Du meiner Träume kometvolle Nacht.«
So flüstert das Weib, fast unhörbar und sacht:
»Du birgst meiner Sehnsucht grellzwinkernde Zwecke
Drum weck ich der Sterne unendliche Decke,
Die Lust und Begehren beharrlich umblaut
Und tief aus der Seele den Frieden erschaut!«
»Es glühn die Gefühle, die goldenen Schwäne,
Die Löwen des Himmels mit schweifender Mähne,
Empor in die Nacht, die um uns sich verschluchtet,
Da jedes Erzittern ein Weltbild befruchtet!«
Dies jüngste Empfinden versenkt ich, bis tief,
Wo traumlos, die Seele des Weibes noch schlief.
Dann rief sie: »Dein Wirken ist Fiebern und Wittern,
Dein Rhythmenempfinden ist Liebeserzittern,
Und was Du erfaßt, das begreifst Du mit Lust,
Du fühlst was Du herrlich beseeligen mußt.
Es schmerzt Dich, Du herzt es, und rhythmisch durchpulst,
Entmerzt das Gebild sich dummstillosem Schwulst!«
»Ich lieb Dich, Dein Wittern, Du wirst zur Gestalt,
Zum Blut, das berauschend die Glieder durchwallt!«
Dies hab ich gerufen, gestammelt, gelallt,
Dann sagt ich ihr stiller, voll Freudengewalt:
»Du Lust, Du Bewußtsein, Du Lustwuth und Hunger,
Es ist ob ein Brunsthund Dich unstät umlunger,
Doch Du nur bist wahrhaft, als scheinloses Spiel,
[126]
Dein Dasein ist Wirkung, ist Anfang und Ziel.
Die Erde ist erst mit den Menschen entstanden,
Die Geister beherbergend Urlust empfanden.
Nur Aberwitz zählt nach der Sonnenumkreisung,
Denn todt sind Äonen der Weltenentgleisung:
Unzählbar Epochen sonnüppiger Speisung
Stumpf niedriger Kriecher, die widrig zerstieben:
Uns sind nur Impulse, von allem geblieben!
Ein Krieg ist ein Brunstwolf, ein Weltjahr Lichtfibern,
Und liebender Menschen erzitternde Fibern,
Erzuckende Nerven empfinden der Welten
Entstehn und Vergehn, denn dumpfbrunststumpf zerschellten
Die Kegel und Gipfel, wo Menschenerkenntniß,
Ermessend nur, Anläufe annimmt und Endniß!
Ich liebe, ich herze, ich halt Dich umschlungen,
Nun werd ich vom tiefsten Ereigniß durchdrungen:
Aus unserer Umarmung entsteht eine Welt,
Durch jedes Gefühl wird ein Lustlicht geschwellt!
Wir zittern erzuckend: Jahrhunderte, dringt
Empor aus den Chaos, entsprüht uns, entspringt.
– Wir leben: – Jahrtausende, sterbt und versinkt!«
[127] Lothos
Ich liege im Kahne und fahre nach Theben
Und sinne, wie Dinge sich sorglos verweben,
Es träumt und es lächelt ein Mädchen daneben,
Sie schläft nun, da Winde sich kühlend erheben.
Die schwellenden Segel entschleichen der Stille.
Der Mondschein belichtet die Palmen am Nile.
Was hascht durch das Wasser, vielleicht Krokodille?
Es plätschern die Wellen jetzt silberne Spiele.
Die Mystik der Stille scheint Träume zu wecken:
Auf riesigen, schimmernden, schwimmenden Strecken
Sich suchender Fluchen, die Wirbel verstecken,
Die silberne Zungen des Schweigens belecken,
Kann leise der fiebernde Lothos erwachen.
Nun will seine Fülle Lichtblumen entfachen
Und mag, überblühend, die Kelche mit schwachen
Lichtkronen umgaukeln, die schaukelnd verflachen.
Der Nil überschwemmt bald mit Schlamm alle Saaten.
Gefunkel bedrängt schon verdunkelte Watten,
Wo Flußpferde schnuppern und uferwärts waten:
Sie scheinen gestockte, verknorpelte Schatten.
Du Mädchen im Kahne, Du kindliche Seele,
Dein Mund, der Traumtrautlichkeit bebende Schwelle,
Durchhaucht meinen Athem, ich trink ihn: die Kehle
Durchsickert die frische, gluthpurpurne Quelle.
Und Küsse auf Küsse entblühen dem Munde,
Ich plündre Dein Wesen in glücklicher Stunde,
[128]
Und laß nur die Seele, als blutende Wunde,
Die Lippen, geschwellt zu gluthüppiger Runde.
Du Kind, überreich noch an Lust und Begehren,
Dein wohllüstig Wesen muß heut sich verzehren,
Drum schweele es Freuden, die Freuden gebähren,
Bevor es Gedankengewitter verheeren.
Schon staut sich das Dunkel ringsum zu Ruinen,
Mit Strahlenkonturen und tragischen Mienen,
Von rückwärts von bleiblauem Mondlicht beschienen:
Dann senken sich plötzlich schwarzfinstere Lawinen.
Die Sterne zerflackern in rauchrothen Gassen,
Und Gluthzungen seh ich nach Nilbeute haschen,
Doch decken die Fackeln noch Hafendammmassen,
Bis Nachtkatarakte mich rasch überraschen.
[Theben ist eben dem Leben ergeben!]
Theben ist eben dem Leben ergeben!
Wohl hör ich sein Brausen, doch fehlt mir das Auge,
Mich vollauf mit all seinem Rausch zu verweben.
Ein Traum, der mich würgt, dem ich Sphynxmilch entsauge,
Verscheucht sich in Wirbeln und bannt mich doch mächtig:
Da fühle ich Ekel vor dampfender Lauge.
Doch die brodelt weiter, dickqualmig, albträchtig:
Dann weckt mich mein Erdhang beim Schlafen urplötzlich,
Der Traum setzt mich selbst nun ans Land, zartbedächtig.
[129] Und was nun geschah schien mir leibhaft ergötzlich:
Das Wasser durchwateten schwankende Massen,
Der Könige hörige Völker, die göttlich, gesetzlich
Der Herrscher Ägyptens berief, um jetzt vielfach zu prassen.
Sie kamen durchs Wasser, sich vorerst zu waschen,
Dann hallte ihr Schritt durch gepflasterte Gassen.
Es sollte der Nahenden Zahl durch das Rascheln bereits überraschen.
Der lüsterne Fürst aber harrte allein im Terrassenpalaste
Und suchte des Anblicks Gewalt, voll Wollustgeschmack, zu erhaschen.
Es staute sich Anzahl auf Anzahl, daß nimmer der Volksanprall raste.
Wie glitzernden Gürteln entschmiegt, entwimmelten viele dem Nile,
Doch andere torkelten nach, im mondblau besprengten Moraste.
Noch weitere kamen von fern, herwandernd zum heiligem Ziele,
Zu Amon, dem machtvollen Gott! Sie brachten ihm allerhand Gaben,
Daß keiner die göttliche Gunst, die Huld seines Herrschers, verspiele!
Es hatten die Wandrer im Nile fast alle ein ernstes Gehaben,
Sie schwammen und wateten leicht, als hatten sie flimmernde Flossen:
Dann kamen sie nackt und ganz naß an das Land aus dem marschigen Graben.
Da wurden auch Wasser und Schaum zu Schemen von Menschen und Rossen,
Auch diese erstiegen den Strand, mit silbernen Rümpfen und Greifern.
Doch kaum kam das Schauspiel zu Stande, war rasch auch sein Zauber zerflossen.
Doch folgten sich Troß über Troß, für Amon die Gottheit zu eifern.
Dann hatte der König den Tod der pilgernden Schaaren beschlossen.
Drum zerrten ihn Löwen herbei, umgeben von Huren und Pfeifern.
[130] Es stürzten die Bestien sich wild, voll Grimm, auf die frommen Genossen,
Sie sprengten dem Herrscher ein Gleis, zerrissen die Menschen am Wege,
Und haben das Blut und das Fleisch, der König den Anblick genossen!
Und immer noch walzte der Nil die Massen gewaltig und träge
Ans Land, wo zu Kurzweil und Spiel, die Katzen den Haufen durchrannten;
Doch starr blieb des Königs Profil, als ob er sich gar nicht errege.
Dann plötzlich enttauchten der Nacht, dem Dunkel, die Staatselephanten.
Die stampften die Büßer zu Tod, erwürgten sie rasch mit dem Rüssel
Und schleuderten wild aus der Nahe des Fürsten die niedern Passanten.
Dann reichte der König voll Huld dem Kanzler des Festraumes Schlüssel.

Wohl freit ich ein Kind,
Urjung wie die Nacht,
Bevor sie erwacht
Und des Tags sich besinnt.
»Sei heut meine Braut!«
So flüstert ich kaum:
Da hat sie im Traum
Mein Wesen durchschaut.
Sie blickte mich an,
So düster und süß,
Dann sprach sie: »Ich grüß
Dich minniger Mann.«
Sie folgte mir treu,
Mit traurigem Blick:
Es war ihr Geschick,
Daß ihr Leib mich erfreu.
[131]
Es sangen Gespielinnen lieblich beim Reigen:
»Ergieb Dich Du herrlichste Freundin und Schwester,
Bezaubre den Fremdling und sei ihm zu eigen,
Daß nie seine Zunge Niltöchter verläßter.
Dein Wesen umschmiege den Stolz seiner Seele,
Er gleiche der Palme, umrankt von Lianen,
Ihr mögt Euch umklammern, durchschauern, vermählen,
Bis goldene Stunden zum Aufbruche mahnen.
Wir Mädchen zerknicken, vom Manne gebrochen,
Sobald wir das Übel des Glückes genossen:
Wir gleichen dem Lothos, der endlose Wochen
Geduldig erkeimt, ohne Knospen und Sprossen.
Wir ähneln Agaven, die wuchern und wuchten,
Die knorpliche Blätter entknollen, entrollen,
Beinah brunstentwurzelt, ihr Fleisch zu entfruchten:
Und Pollen der Schollen dem Sonngolde zollen.
Der Aloë gleicht unser traumhaftes Wesen:
Der Pflanze, der einmal Lichtfieber erblühen,
Um kurz nur, des Nachts, ihrer Brunst zu genesen,
Der rauschrasch und brausstark Blühlüste entbrühen.
Es gleicht unsere Liebe der Luftlust am Dufte,
Der Urlust des Duftes, mit Winden zu spielen,
Es ist, als ob rasch jedes Blühglück zerpuffte,
Als ob Jungfraureize, erfreit, gleich zerfielen.«
»Wie die Blume nach der Blüthe,
Sehnt die Jungfrau sich nach Liebe;
[132]
Wacht, daß sie ein Glück behüte,
Das dann rasch als Lust zerstiebe.
Jüngling, hör, ich bin die Blume,
Die in einer Nacht verschmachtet,
Die, vom tiefsten Eigenthume,
Alles zu verschenken trachtet.
Jüngling, glaubs, ich bin Dein eigen,
Geist und Leib will ich Dir geben,
Will mich freun, erbeben, schweigen,
Lust und Seelenglück verweben.
Komm, oh komm, mit raschen Schritten,
Nur aus Liebe bangt der Seele:
Laß sie nimmer zaghaft bitten,
Daß der Leib sich traut vermähle.
Trag mich, über Marmorstufen,
Zu des Brautgemaches Thore!«
Also hat die Maid gerufen
Und dann sang sie mit dem Chore:

»Mondlicht weckt die Zauberstille, Priesterin im Heiligthume,
Das ein frommer Weltenwille bildet ohne Thun und Lärmen:
Schweigsam, schuldlos, jungverwundert blüht am Nil die Lothosblume
Und sie fühlt ihr zartes Träumen sacht zur Sternennacht entschwärmen.
Jungfrau, laß, wenn Freudenschäume perlend Deinen Leib erwärmen,
Nur behutsam, lustversunken, seinen Mund am Busen zittern.
Hast Du Nacktheit ihm gegeben, laß ihn tiefstes Fieber wittern,
Niemals mag nach Unerwühltem er sich ruhelüstern härmen.
[133] Jungfrau, hell wie eine Woge, wie der Thon der schlanken Vasen,
Hefte Lothos in die Flechten, in die dunklen Lockenhaare:
Wieg ihn, voller Leibeswollust, durch die kühnsten Glückekstasen,
Daß sich wild, in Schauernächten, alle Schönheit offenbare.
Streu die Perlen, streu sie schimmerend auf das Lager, auf die Kissen,
Laß die Stille in den Räumen, tief im dunklen Brautgemache,
Ihre Zauber schwer verträumen: ach, vergiß, um nichts zu missen!
Sink, versink in Schmerzbegehren, fühl des Lustempfundenen Brache.«

Brust an Brust in Lust versunken,
Halt ich Dich mit warmem Arm:
Meiner Glücksgefühle trunken,
Schenk mir Deinen Fieberschwarm.
Denn der Seele Wollustfunken,
Übersprühn als Irrlichttanz
Der Pupillen dunkles Prunken,
Grüner als ein Iriskranz.
Deine Träume mag ich haben.
Deine Nacht! Dein Sternenreich!
Schätze will ich wild ergraben,
Sinken in den tiefsten Teich.
Schrecklich muß ich mich beglücken.
Weib, Du meine schönste Nacht!
Schmerzen, Lüste, die entzücken,
Alle, alle sind erwacht.
Sternennächte, groß im Raume,
Hab ich oft in mir verträumt:
[134]
Himmel doch im Zeitenzaume,
Die kein Weltenende säumt,
Kannst nur Du, mein Weib, mir schenken!
Sterne funkeln würdig auf,
Rhythmen, die Geschicke lenken,
Kreuzen sich im Feuerlauf.
Dichte Augenzwinkerhaufen,
Bilder träum ich wüst und leer,
Schnuppen fühl ich niedertraufen,
Ewig glüht das Flammenmeer.
Sterne, Sterne sprüht die Seele.
Jetzt ists ein Brillantenschweif!
Plötzlich bleiche Mondjuwele,
Dann ein rother Flackerreif.
Ziellos ziehn die Sternenwelten,
Strahlend wie ein Glücksgefühl,
Friedlich unter Zeitenzelten,
Als verknüpftes Lustgewühl.
Sterne, Sterne, will ich haben.
Ewig daure das Gesicht!
Reich, oh Nacht, bist Du an Gaben.
Weib, versagst Du? willst Du nicht?
Nein Du spendest unermüdlich,
Nur ich selbst bin satt und müd,
Unerschöpflich, übersüdlich,
Bist Du, Jungfrau, lustdurchglüht.
[135]
Wüthe nicht, ich kanns nicht fasten!
Ewigkeit hab ich gewollt:
Großes laß ich Dich verprassen,
Sternengold das todt verrollt!
Was ich kann, muß ich entpressen,
Riesenweib, Du unterliegst:
Gelbe Schmerzenssternenessen
Spenden Lust, bis Du versiegst.
Dies sind meine Schicksalleuchten,
Dies der tiefste Unheilsblitz,
Angstschweiß, Sphynx, soll Dich befeuchten,
Sieh, schon klafft ein rother Ritz.
Hah, nun hab ich mein Geheimniß!
Bluthkorallen tropft im Takt!
Nichts bereu ich, als Versäumnis,
Ich bin Ich, Barbar und nackt.
Es schweigt der Silbersichelsee.
Drin blitzt das Licht der Himmelsbilder.
Nur Krieger flüstern in der Näh:
Im Mondlicht blinken ihre Schilder.
Sie spielen wohl die ganze Nacht.
Du hörst sie oftmals hellauf lachen.
Wohl keiner denkt an eine Schlacht,
Und einsam wandeln bloß die Wachen.
Die Erde, die zum Himmel gähnt,
Verlangt jetzt Lusterreger:
[136]
Die Kriegerschaar, die sie ersehnt,
Verstümmelt die gefangenen Neger.
Sie peitscht die Opfer rings herbei:
Wer bockt, wird gleich zu Tod gesäbelt.
Es liebt der Mensch den Marterschrei,
Drum wird, was leiden soll, entknebelt!
Als Werkzeug dient ein Riesenpflug,
Der kann auch Fleisch zerreiben:
Der schneidet jetzt, auf einen Zug,
Zehn Leiber durch, mit scharfen Scheiben.
Der Pharao, im Festsaal, läßt
Die liebsten Sklavinnen erwürgen;
Des Schergen Finger, der sie preßt,
Muß für die nächste Marter bürgen.
Die ganze Hand wird abgehackt,
Dem Henker bleiben blutige Stummeln.
Drob lachen Weiber, jung und nackt,
Die schäckernd ihn, im Takt, umtummeln.
Im Saale wird nun aufgetischt,
Wo lüstern leckre Paare zechen!
Doch Gift ward ins Gericht gemischt,
Und einige siehst Du schon erbrechen.
Erschrocken fahren andere auf
Und fangen an hinauszurasen,
Doch packen Krämpfe sie im Laus
Und Blut entsickert ihren Nasen.
Und rings, im Festraum hingestreckt,
Verröcheln jetzt die Königsgäste,
[137]
Dann kommen Söldner, blutbefleckt,
Und bringen johlend Menschenreste.
Geschultert werden Bein und Arm,
Rumpftrümmer, die noch immer triefen,
Dann folgt ein dichter Fliegenschwarm,
Und finster wirds in Schwindeltiefen.
[Mir träumte nun, uns allen träumte]
[138]

Mir träumte nun, uns allen träumte,

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Daß, was da zuckte, vorwärtsglitt

Und so die Welt zusammenräumte,

Denn jeder Abfall hupfte mit.

Das Blut, das noch aus Schrammen schäumte,

Ward abermals zum Daseinskitt,

Was krampfhaft sich zusammen bäumte,

Verschrumpfte rasch beim Übertritt

Zum Jungwurf, der sich kraus umsäumte,

Denn kleinlich war der neue Schnitt.

Was Menschen stündlich wüst verwuchern
Verkrüppelte und wurde starr.
Das Lumpige in Weltdurchsuchern,
Verschrumpfter Seelen Brunstkatarrh,
Das Schamlose in Fleischverfluchern,
Was zynisch bleibt und urbizarr,
Der Zunftdruck in Geschichtsverbuchern,
Eunuchenlust, Berufsgeknarr,
Der Muth in dummen Weibsversuchern,
Verbeugte sich als Zwerg und Narr.
Des Kloben schwammige Substanzen,
Durch Zwergtracht in Betracht gebracht,
Die Bauchfracht und der Buckelranzen,
Verdrehten sich ganz ungeschlacht.
Er wirbelte, begann zu tanzen.
Er hat lebendig aufgelacht.
Er kreiste zwischen Firlefanzen
Und riß sie mit als Wirbelmacht:
Was schimmelnd anfing anzuranzen,
Ist, rasch gewandt, als Wicht erwacht.

[139]

»Zwerg, Wirbelknirbs« rief ich: »belustig

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Dich frisch, verdirbs dem Tod, beim Tanz,

Was stiegt erwirbs und werde fett und wustig:

Des Nichtsgezirbs Urdissonanz

Sei laut in Dir, sei eigenbrustig!

Tanz, tanz, die Welt entlaus, entwanz,

Hei Negerzwerg, pechspeckig, rußdick

Bedeckt von schwarzem Kohlenglanz,

Dein Kopf schrumpft ein, der Rumpf wird krustig,

Und um Dich walzt ein Mummenschanz!«

Falls alle schwarzen Larven fallen,
So grinsen mich nur Schädel an:
Gerippe sinds mit Fingerkrallen,
Im Kaftan, wie ein Muselmann.
Die Mäntel, die sie lang umwallen,
Sind Schatten nur, die Truglust spann:
So dacht ich und mit Wohlgefallen,
Bemerkt ich wie der Spuk zerrann:
Durchschaut zerstoß wie Gallenquallen
Der Schwarm in meinem Geisterbann.
Statt Masken, dunklen Spukhalunken
Umgab mich jetzt ein Tschungelteich;
Umkrochen fühlt ich mich von Unken,
Und was ich abgriff wurde weich:
Ich selber bin somit gesunken.
Ich schwamm und watete zugleich,
Mir wars, als ob in Seegrundtunken
Mich eine Leiche bleich umschleich,
Und lauter grüne Fischblickfunken
Erleuchteten ihr Nebelreich.

[140]

Mein Sinken mocht ich nur vermuthen,

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Denn schon entschlüpfte ich dem Schlamm,

Und meine starren Glieder ruhten

Bereits auf einem Sammtsanddamm.

Tief unter mir, in dunklen Fluthen,

Erglühte mancher blutige Schwamm:

Am Ufer wuchsen Binsenruhten

Und blühten Blut, das leuchtend schwamm.

Die Leiche fing sich an zu sputen

Und regte sich gar wundersam.

Schon tauchten ihre schwarzen Flechten
Empor aus tiefem Tintenteich,
Dann schlug sie plötzlich mit der Rechten
Ein Halbrad und versank sogleich.
Die allzuschweren Haare schwächten
Zu stark das Weib, das leichenbleich
Und eingezwängt von Schilfgeflechten,
Versuchte, daß es einen Deich,
Halbangeschwemmt und halb mit rechten
Schwimmregungen, bewußt, erreich.
Kaum war das Weib ans Land geschwommen,
So wich der Teich hinweg und sank.
Sie aber blickte angstbeklommen
Zurück auf Binsenkraut und Tang.
Vom Sumpf, dem sie zur Noth entklommen,
Blieb fast nur das Morastgerank,
Doch ist kein Gluthschwamm drin verglommen,
Blutblühten sprühten auf der Bank,
Und ganze Funkenschwärme klommen
Empor am nahen Uferhang.

[141]

Des magern Weibes starre Glieder

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Vermochten kaum noch gradzustehn,

Sie standen auf und fielen nieder,

Sie mußten sich aus Schwache drehn.

Nun schlossen sie sogar die Lider.

Das Weib war noch zu matt zum Sehn.

Die Binsen lagen rings danieder

Und schienen plötzlich einzugehn,

Doch ihre Kraft gab ihr ein Mieder:

Ein Gluthhauch schien sie anzuwehn.

Zu Muskeln wurden Marterknuten.
Das Fleisch ward straff und fasersteif.
Das Blut sing an mit Hast zu fluten.
Die Brüste wurden schwer und reif.
Es war, als ob der Binsenruthen
Urdasein in die Schenkel kneif,
Die Striemen, die am schlaffsten ruhten,
Erhärteten zum Knorpelreif:
Es schien, in kurzen Kraftminuten,
Als ob, was schafft, zusammengreif.
Die Seele fing an aufzuwachen.
Nie war sie so empfindungsreich.
Brunstjagden, die die Lust entfachen,
Des Mannes Sieg, sein Züchtigungsstreich,
Das Willkürbangen aller Schwachen,
Verschmolzen Furcht und Lust zugleich:
Drum mußten beide hier verflachen,
Und, sieh, das Weib ward wesensweich!
Kaum sah es auf, vernahms das Lachen
Von Menschen und ward schreckensbleich.

[142]

Scheingreise grinsten rings im Kreise,

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Und da empfand das Weib die Scham,

Da kams, daß sie auf grause Weise

Ein wilder Ekel überkam.

Angstfieber schüttelten sie leise

Und ihr Gehaben wurde zahm.

Es staunten selbst die lüstern Greise,

Wie seltsam sich das Weib benahm,

Ihr wars, als stak sie tief im Eise,

Und ihre Glieder wurden lahm.

Die Schaulustunken, Lasterkröten,
Die Fische geiler Grausamkeit
Durchfröstelten das Weib, erhöhten
Ihr Junggefühl als nackte Maid.
Es war, als ob sie Schamkraft böten,
Zum Ruckstoß der Urwesenheit.
Sie wurden Fleisch, und Fleisch zu töten
Und haben dicht die Brunst beschneit:
Doch Ahnungen von Morgenröthen,
Die Wallung der Verborgenheit,
Quoll hoch empor in Weibeswangen.
Es sprang die Ruthengluth herbei,
Die Blühten, die am Schilfrohr schwangen,
Durchfieberten sie frisch und frei.
Es trug sie dort ein mutvoll Bangen,
Dem, vollbewußt, das Weib sich weih!
Zum Jungfrauschauspiel zu gelangen
Umstaute eine Greisenreih
Das Weib, und ihre Blicke drangen
Mitschöpfend, daß die Zuckt gedeih,

[143]

Tief ein ins fremde Weibeswesen.

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Und dieses, schamdurchschauert, scheu,

Versuchte Ranken aufzulesen.

Doch, was es angriff, ward zu Spreu.

Die Ruthen, selbst die Binsenbesen,

Zerstoben wie verdürrtes Heu.

Sie alle mußten rasch verwesen

Und trugen schon, im Weib, aufs Neu:

Sie sind der Zuchtkraft selbst genesen,

Und sieh, das Weib ward keusch und treu.

Es mochte nun zum Wasser langen,
Daß plätschernd es die Scham bedeck,
Doch nutzlos war das Unterfangen,
Längst leckte es ein Fiebern weg.
Durchs Bücken und Sichbeugen drangen
Die Flechten zum geheimsten Fleck
Und dienten so dem Weibsverlangen,
Durch Zufall, zum Versteckungszweck.
So blieb es denn, die Haare schlangen
Sich breit ums tiefe Schenkeleck.
Zuerst erstarrten Hand und Sohle.
Dann ward das Becken festgebannt.
Die Jungfrau ward zum Steinsymbole,
Durch sie bekam die Scham Bestand.
Das Greisengeile, Urfrivole
Erhärtete und blieb frappant.
Ein Mohr, verschrumpft zur Fußkonsole,
Entwuchs der dunkeln Unterwand:
Dann ward das Schauspiel rasch zu Kohle,
Da alles schwarz in schwarz verschwand.

[144]

Lauter winzige Silberwische

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Wurden ringsum immermehr,

Keimgefunkel, schwärmerische

Flitterblühten, wie im Meer,

Liebesblicke ewiger Frische,

Wohl ein ganzes Traumlustheer,

Wirbelten als gleisnerische

Sehnsuchtsfibern, voll Begehr,

Daß sich Gleiches geil erwische,

Sich verwickelnd, um mich her.

Waren das die Brunstgedanken?
Wars der Sinne Feuerbrand,
Jener Menschen, die versanken,
Als die Jungfrau keusch verschwand?
Wurden gar die schwachen Ranken,
Die ich zart um mich empfand,
Die ich leuchten sah und schwanken
Einer Jungform Urbestand?
Wurzeln, die das Fieber tranken,
Das die Leiber hold verband?
Eine Lothosblume ragte
Nun verduftend in die Nacht:
Als die Gluth der Liebe tagte,
Ist die Blume hold erwacht:
Und vor solcher Pracht verzagte
Mein Begehr, der brunstentfacht
Jede tolle Frage wagte,
Um zu wissen, was, vollbracht,
Jede Antwort kühl versagte:
Und ich hab nur nachgedacht!

[145]

Denn der Blüthe blasse Blätter

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Wiegten sich gar wollustbleich,

Blutdurchglüht und leicht violetter

Schmiegten sie sich weiblichweich,

Immer fleischlicher und fetter,

Endlich weißen Leibern gleich,

Eins ans andre, als erkletter

Jede Wallung aus dem Teich,

Fiebernd, wie ein fernes Wetter,

Leiblich schon und wollustreich,

Ein erzuckendes Empfinden,
Das als Buhlin sich ergiebt:
Und ich ahnte, hier verbinden
Viele was sich rings verschiebt.
Wenn wir selbst in Lust uns winden,
Wenn die Brunst als Glück zerstiebt,
Sucht das Weib vom Weib zu finden,
Was im Rausch dem Mann entsiebt,
Und der Mann will sich entrinden,
Der den Mann im Weibe liebt!
Welturanisch, unerklärlich
Liebt sich selbst das tiefste Ding,
Ewig still und unversehrlich
Schließt sich der UräusRing!
Die Geschlechter sind begehrlich,
Doch das Übel ist gering,
Für sich selber nur gefährlich,
Weil sich drin der Schmerz verfing,
Bleibt ihr Dasein unentbehrlich,
Daß die Liebe sich entschwing!

[146]

In den letzten Brunstgewittern,

[Rand: Der äthiopische Todtentanz]

Die ganz kraftlos sind und satt,

Sprüht die Liebe noch aus Zwittern,

Fast affektlos schon und matt;

Ohne Fernen zu durchwittern,

Ist die Liebe satt und platt,

Kaum geschlechtlich mehr, erzittern

Leib an Leib verlegen, glatt;

Und hier zucken und verwittern

Weib an Weib als Lothosblatt. –

Nächtlich keimen und entrollen
Blätter, zart und wundersam,
Den Bestand der weibertollen
Weibchen aus dem Mutterstamm
In den Kelch der wesensvollen
Liebe mit dem Blüthenkamm:
Lustgefühle, jäh erquollen,
Sind sich Braut und Bräutigam.
Und, statt goldenen Sonnenpollen,
Schnellt die Liebe, unduldsam,
Ohne leiblos auszurasten,
Aus dem tiefsten Werdenskern
Knaben vor, die sich betasten
Und sich haßvoll und doch gern
Ansehn und beim Schwelgen hasten:
Denn bald sind sie feind und fern!
Viele sah ich, die verblaßten,
Doch der Liebe ewiger Stern
Gab sich andern, die erfaßten,
Das Geschlecht erst zu ersperrn!
[»Barbaren!« war der Warnungsruf]
[147]
»Barbaren!« war der Warnungsruf,
»Die Feinde!« der Verzweiflungsschrei,
Dann traf mich schon ein Pferdehuf,
Und rings begann die Metzelei!
Nun bin ich wach und seh genau:
Ein feindlicher Volksstamm, mit Rossen und Wagen,
Durchplündert und brandschatzt den Usgau,
Da kommt er mit Pferden, auch Menschen zu jagen:
Die Hyksos erscheinen, Ägypten zu plagen!
Sie fahren im Karren, zertrümmern, zerschlagen,
Was immer sich aufreckt und aufthürmt,
Wo Reiter und Roß wild dahinstürmt.
Es schnalzen die Hyksos, es wiehern die Rosse!
Es blinken die Lanzen, es schwirren Geschosse!
Es pfeifen die Lenker, es grinsen die Weiber!
Gewimmer entschnarrt einem rauchenden Haufen
Verreckender Menschen, verzuckender Leiber,
Die röchelnd sich bäumen, zuletzt noch zu raufen!
Bewußtlose Menschen empfinden die Hiebe
Der Hufe, verscheidend, beinahe als Lust:
Zerquetscht durch die Räder im Karrengetriebe,
Verschnarcht mancher Rumpf mit zerschlagener Brust.
Nun rasen die Wagen bergauf über Leichen,
Es macht erst der Ansturm die Insassen munter,
Doch weiche Kadaver belasten die Speichen,
Drum stürzt Roß auf Roß katarakthaft herunter:
Ein irdisches Fiebern durchschüttelt Ägypten.
Ein Lichtbraus, der hurtige Hyksos beflügelt,
Durchschauert das Land, wo die Bauern versippten
Und menschlicher Starrsinn ein Hiersein erklügelt.
Die Lichtwucht will liebreich Erdkinder durchdringen,
Doch kann Mann an Mann nur im Kampfdrang heran:
[148]
Ganz anders, gelingt es dem Mann durch das Ringen
Zu fassen, was haßvoll ihm zustürmt im Mann!
Es wälzt sich ein Wüstengetümmel herüber,
Ein wildes Gewimmel verirrt sich zum Nil:
Nie färbte der Fluthschlamm die Flußwässer trüber,
Als da die Sahara das Thal überfiel.
Ein rasender Reitertroß würgt und verstümmelt,
Mit Wagen und Waffen, was rastete, praßte;
Ich selbst habe, nackt, unter Nackten gelümmelt,
Bis Angst mich vor kalten Kadavern erfaßte.
Ein Roß überstürzt sich, jetzt muß ich ersticken!
Es wiehert, ich beiß ihm mit Lust in die Nüstern,
Es wird mich erdrücken, ich fühl mich zerknicken,
Doch hört mein Bewußtsein noch weltwirres Flüstern.
Ich blute bestimmt, bin verwundet, zerschunden,
Gewahre im Mondlichte Rümpfe und Fratzen,
Ich schleiche durch Leichen, mit triefenden Wunden,
Um gierig das Fleisch von den Schädeln zu kratzen.
Nun packt mich ein Grauen, verkrampft mich in Mähnen:
Ein Pferd, das verreckte, versteckt meine Glieder,
Denn überall lecken und schnuppern Hyänen:
Nie ward mir ein Eindruck so schrecklich zuwider.
Es dürsten am Schlachtfeld wohl Tausende weilen,
Ich merk es am Lecken und hörbarem Trinken,
Drum such ich zum Schutze nach Lanzen und Pfeilen,
Die müssen im Mondlichte irgendwo blinken.
Und immer noch rasen Saharabarbaren,
Wie Schatten des Wahnes empor aus der Nacht:
Ich kann ihre Wagen am Schlachtfeld gewahren,
Da nirgends ein Tempel mich steil überdacht.
Vermag die Sahara das Thal zu verscharren?
Versandet das Land und zerfallen die Hallen?
[149]
Denn Schaaren von Hyksos, auf Rossen, in Karren,
Entfahren der Ferne, sich hier einzustallen.
Sie jagen durch Tempel und Tempelruinen:
Da wenden sich ihnen rings Menschen entgegen:
Vom sterbenden Mondscheine gelblich beschienen,
Beginnen sich etliche Gegner zu regen.
Verwesendes Theben, entstehn Dir denn Helden?
Vermag es die Schlachtenwucht Muth zu gebähren!
Beginnt sich die Schmerzbrunst Geschlagener zu melden?
Die Wurmlust der Ohnmacht sich stumpf zu verzehren?
Was Ehren, was Trotz, was Gefasel von Thaten,
Zum Schluß hilft die Geilheit beim muthvollen Sterben!
Mag plötzlich den Feigling Beherztheit berathen!
Ich seh ihn, verderbend, um Lustjucken werben,
Drum greif ich zum Scheine nach Pfeilen und Lanze
Und hoffe, es wird mich der Tod nicht verschonen!
Dem Feind winkt der Speer mit erbebendem Glanze,
Der Opfertod möge mein Großthun belohnen.
Komm Hyksos, erfreu dich beim Stechen und Schnüren,
Ich trachte Dir katzenhaftfahl zu entweichen,
Dann kann ich mein nahendes Ende verspüren
Und langsam erkalten wie andere Leichen.
Verzagtheit und Keuschheit, Ihr Ehrfurcht und Grauen,
Stets habt Ihr mir Thatkraft und Werblust versauert,
Nun laßt Euch, als Ohnmachtsgauch, kauernd, durchschauen,
So seid noch mein Lustwurm, von Abscheu durchschauert!
Erblickt mich der Krieger, der einsam dort reitet!
Ach, käm er herüber, ich wags nicht zu winken.
Wie werd ich gering, wenn der Angstkrampf sich weitet,
Bald muß ich in schrecklicher Schmerzlust versinken!
Unheimliches Kommen, angstschwangerstes Nahen,
Ich kann Dich erwartungsstumpf, einsam ertragen.
[150]
Mir ist es, als ob wir uns kannten und sahen,
Nun komm, Mann, mich Wehrlosen roh zu erschlagen! –
Halb Unding, halb menschlich empfundener Schatten,
So springt jener Klotzgnom vom zottigen Rosse:
Ach, bald kann ich schlafschlaff erblassen, ermatten,
Wie groß wird doch plötzlich mein Schlußlustgenosse!
Mein Henker, mein Richter, ergötz Dich beim Köpfen,
Die Freude wirft ewig quallüsterne Schatten:
Nur Du magst das größte Glück, tödtend, erschöpfen:
Da bist Du, nun geht die Vernichtung von Statten.
Ich fühl alles Zagen, voll Wollust, verrunzelt,
Jetzt kann ich die ganze Verachtung ertragen:
Nun seh ich den Henker, ganz blitzrasch, geil schmunzeln,
Und lüstern, als Jüngling, mich kühn überragen!
Sind Kopf jetzt und Wesen, gefällt und zerspalten!
Mir ist es, als sauste der Henker selbst nieder:
Fast wach ich, verkrampft unter Schattengewalten:
Und Dunkel und Ruhe belasten die Glieder.
Ein Sturmbraus durchwuchtet mein schluchtiges Wesen,
Mein Henker ist selbst in mein Inneres gefahren,
Nur so kann die Seele der Schmachlust genesen:
Ich reiß mich empor, um mich selbst zu gewahren!
Da kommen die Hyksos, von Raublust gepeinigt!
Oh, könnt ich ein Pferd ohne Reiter erspähn,
Oh, wär meine Seele von Feigheit gereinigt,
Ich würde nicht Raub und nicht Todtschlag verschmähn!
Jetzt schnell ich empor, um ein Roß zu erfassen,
Schon schnüre ich Nüstern und würg einen Reiter,
Ich schlag ihn zu Boden, ich seh ihn erblassen,
Ich saus auf den Gaul und schon brausen wir weiter.
Das war nun ein angstfreier, klarer Gedanke!
Ihr eigenstes Glück hat sich Kühnheit errungen,
[151]
Nun fall ich dem Feinde, zu Pferd, in die Flanke,
Und streite als Reiter: mein Streich ist gelungen!
Jetzt hetz ich mein Pferd ins Gemetzel von Schlemmern.
Bewußtlose Menschen zertritts mit den Hufen,
Und Halbtodter Schlafen beginnen zu hämmern
Und wollusttoll hör ich Verendende rufen!
Verächzen, Gestöhne, den Schrei der Hyäne,
Vernehm ich beim Ritt, über Rümpfe und Stummeln,
Es ist, als ob Erbschmerz der Dumpfheit entgähne,
Nun will ich, zu Roß, auf dem Schlachtfelde tummeln.
Hier bin ich der Meister, der Held und der Sieger,
Ich kann Dich, Saharanacht, qualbaar, verachten,
Ich bin kein Verreckender, bin auch kein Tiger,
Ich bin das Ereigniß nach brunstwuchtigen Schlachten.
Ich werde der Lebensrausch krampfstarrer Reste:
Geschwellt von der Sprudelbrunst sterbender Welten,
Erhält sich der Geist, als urewige Veste,
Die leidlos empfängt, was die Sinne vergelten! –
Gedanken, als klare, krystallkalte Drachen,
Ereignen sich tief, ich durchschau sie mit Muße!
Sie flattern wie Banner. Allflammen erwachen.
Und leibhafte Sieger thun schmerzverkrampft Buße.
Sahara, Du hast Deine Rasse geboren!
Schon schwängern die Schatten der Todten die Leiber:
Im Weib wird der Feindesschleim fertiggegoren,
Der Hyksossohn sei einst der Hyksosvertreiber.
Im Weibesleib treffen sich feindliche Rassen,
Dort keimen dumpf, unerfüllt, männliche Seelen:
Im Weib kann die Eigenheit stets sich erfassen,
Aus breiter Eintönigkeit Formen entschälen.
Die Frau ist das Traumesgraun schlummernder Lenze,
Die Ahnung, den Urbrunstdurst selbstlos zu schöpfen,
[152]
Die Nacht aller Möglichkeit, weit ohne Grenze,
Das Staunen vor Höhen ergrübelnden Köpfen.
Den Mann hat die RaGewalt sonnhoch erhoben:
Der Drang und das tiefste Ding bleiben das Gleiche,
Doch schufen die Sinne, die lustbunt vertoben,
Den Trieb, der die Einsicht persönlich erreiche! –
Die Kette der Liebe ist nirgends zerrissen:
Zwar hat die Sahara uns zahllos gespalten,
Doch bildet das Weib die verschiedenen Gewissen,
Und drum wurden Wesen geschlechtlich erhalten.
Der Urgrund der Seele ist wesensuranisch
Und soll sich, verkörpert, geschlechtlich empfinden:
Oft opfert der Sonnkern sich heldisch, titanisch,
Daß alles, was Weib wird, tief innen verschwinde.
So faß ich ratapfer Saharagedanken:
Kein Weib kann das Weib meines Wesens erwecken,
Die Reinheit des Einblicks gebiert ihre Schranken,
Und schrecklos läßt Klarheit in mir sich erstrecken.
Ihr zwinkert, Ihr Sterne, auch Ihr seid nur Sünder!
Ists Licht auch naiv, das Ihr selbstwesend spendet,
So seid Ihr Entzünder des Lebens auch Gründer
Verdunkelnder Schollen, wos Wollen verendet.
Ihr weckt die Planeten, die selbst sich verdichten,
Die furchtlos vom Tag in die Dunkelheit tollen,
Die Finsterniß lieben, verschließen, verkneten
Und, ewig vertrieben, enttollen, verrollen!
Heut gleicht Euch mein Geist, an Gewalt und an Würde,
Er selbst ist ein Stern und ein Tag aller Klarheit:
Er ruht und erträgt seine kosmische Bürde,
Sein Wesen, ein Ganzes, ist sonnhohe Wahrheit.
Er strahlt aus sich selbst, wenn die Erde verdunkelt,
Er kennt seine Macht, wie einst Simson die Kräfte.
[153]
Dich, Tempel der Welt, der als Raum mich umfunkelt,
Verklammert mein Urgrund jetzt blindlings, wie Schäfte
Versänk ich und wollt ich das Sein überwinden,
So würdet Ihr, zitternde Sterne, zertrümmert,
Ihr müßtet im finstersten Nichts mitverschwinden:
Das All wäre leer, um sich selbst unbekümmert!
[154] Ra
Oh Sonne, Dein Wesen ist ewiges Siegen!
Dein Wollen ist Licht, Deine mystischen Flügel
Erstrahlende Wärme, Dein Siegen ist Fliegen
Und hoch überblickst Du die Thäler und Hügel.
Dein Anblick ist herrlich, erscheinende Scheibe,
Und schön was Du ansiehst, oh Gottheit der Milde:
Du weist auf den Reichthum im menschlichen Leibe
Und schaffst den Gedanken zum stilstrengen Bilde.
Fast athemlos starr ich Dich an, gutes Feuer,
Ich bete und strebe zu Dir wie die Saaten:
Doch weilte kein Geist je beständiger und treuer
Bei Ra, seiner Gottheit, als ich Dein Chuenaten.
Erwachen die Strahlen des Tages, am Morgen,
So lachen wir alle Dir kindlich entgegen
Und können vom Sonnengold sorglos erborgen,
Was dann zu gebrauchen, wir frei überlegen.
Doch kann die Sahara Dick Abends verscharren,
So muß sich die Erde im Dunkel vergraben.
Sie gleicht dann den Todten, die tagfern erstarren
Und wahllos mit Gaben von andern sich laben.
Was da ist, ist da, weil es nachahmt und trachtet
Wie Du, heiliger RaBall, im Glanz zu erscheinen,
Vom Tage gebändigt, geschwängert, betrachtet
Das Erdkind sein allgemein eigenstes Meinen.
Wir wollen uns formen, wie Du es beorderst,
Und wünschen den Lichtpriestern schlechtwegs zu gleichen,
[155]
Wir hoffen und streben zu sein, was Du forderst,
Und loben Dich, wo wir Dein Wollen erreichen.
Es hüpft unser Herz, wenn wir folgsam Geheiße
Der Urgluth in uns, Dir zum Danke, erfüllen:
Da singt unsere Seele, als blende und gleiße
Ein RaTag in Tiefen, die stumm sich verhüllen.
Dir zwitschern frühmorgens die Vögel entgegen,
Die Fische entschlüpfen den Tiefen des Niles,
Die Schiffe beginnen sich munter zu regen,
Mich selbst fühlt ein Ich tiefverinnigsten Spieles.
Du, mannbarer Ra, hast das All erst erschaffen,
Das höchste der Werke mit Lust zu empfinden,
Doch laßt Du die Schlünde vom Werdesturz klaffen,
Um ewig das Größte, besiegt, zu verwinden.
Du blickst in die Tiefe erschreckender Meere,
Die fürchten, daß Sturmwuth die Weltfluth erschöpfe:
Es ist, als obs Weib sich, gebährend, verzehre:
Du tödtest die Schöpfung durch ihre Geschöpfe!
Doch Du dauerst fort. Von Räthseln durchschauert,
Erwartet das Erdweib das Sonnfruchterwachen.
Es horcht, ob das Leben, das tief im Leib kauert,
Durch Hüpfen es anstachelt, sonnauf zu lachen.
Ra, Allmacht Ägptens, Du Weltfelsenthürmer,
Du Herrgott der Hyksos, Du Urgrund der Meere,
Du Königserschöpfer und Schützer der Würmer,
Du Ungeduld aller, Du ewige Lehre,
Dich rufe ich an, als Dein Diener Chuenaten!
Ich will aller Welt Deine Macht offenbaren,
[156]
Drum gieb mir die Kraft zu rarühmlichen Thaten,
Dann ziehn wir gar bald zum Altar mit Fanfaren.
Du, Ra, gabst der Menschheit das Recht auf Gebieter,
Drum darf sie auch fordern, daß ich sie bezwinge:
Oh, sieh Deinen Diener Chuenaten, hier kniet er,
Hier fleht er, oh laß, daß das RaWerk gelinge!
Das Weib hat das Recht einem Mann zu behagen,
Die Dirne, als Kind, daß ein Knabe sie schände,
Es haben die Beine das Recht, uns zu tragen,
Die Palmen und Staaten aus plündernde Hände,
Die Lüfte der Wüste, aufs Meer sich zu stürzen,
Die Nebel, daß hitzige Winde sie hetzen,
Die Düfte der Blüthen, die Lüfte zu würzen,
Der Neid den Besitz seines Nächsten zu schätzen,
Verstorbene auf Ruhe und Murmelgebete,
Die Urgluth, durch Brunstwucht, die Lücken zu füllen,
Auf Angst und auf Kampf, die Allarmtrompete,
Die Luft und das Leid auf der Hungernden Brüllen,
Die Dummen, daß Gauner sie oftmals belehren,
Der Krieg auf die Städte, die prassen und rasten,
Das Feuer auf Zyklen, aufs Stetswiederkehren
Des Tags, das vermag, allen Glast zu entlasten.
Du, Ra, hast ein Recht auf die Werbegebete,
Da Du uns erleuchtest, was leuchtet, zu nehmen;
Du schufst uns, daß jeder Dein Wollen vertrete,
Drum preist Dich, wer aufhört, vor Dir sich zu schämen.
Du bist ja der Reichthum der alles verschwendet!
Wer einseitig handelt, mag gut sich verhalten
[157]
Und wäre gar thöricht und maaßlos verblendet,
Versuchte er selbst, sein Gesetz zu gestalten.
Doch Ra, ich, der König, verkünde Dein Wollen,
Da Du, Ra, mein Vater, ob unserer ergrimmtest:
Mein Wort gleicht des Lothos sonngoldenem Pollen,
Der alles befruchtet, was Du ihm bestimmtest.
Ein Urtrieb der Menschheit, gehorsam zu dienen,
Verschafft uns die Lust, uns nach Numen zu sehnen;
Was feig sonst, in mir ists heroisch erschienen,
Auch ich mag die Nacht meiner Gottheit entlehnen!
Ich bin wie des Niles belebende Fluthen,
In denen die Menschen sich spiegelnd erkennen,
Du selbst schufst die Fluthen und Ursprungsbrunstgluthen,
Damit Deine Räthsel in mir erst erbrennen.
Du siehst und erkennst Dich in Meeren und Seelen
Und suchst sie Dir ewig, aus Liebe, zu nähern,
Drum willst Du Gebete und Nilnebel schweelen,
Erfreust Dich, zur Fluthzeit, an Lichtheilerflehern!
Das alles, oh Ra, will ich folgsam erringen,
Ich will Nilfluthspeicher mit Spiegeln erschaffen,
Das Wasser, das abfällt, verriegeln, bezwingen,
Der RaWallfahrt alle Altare erraffen.
[»Chuenaten,« rief Ti, dessen Mutter: Chuenaten]
»Chuenaten,« rief Ti, dessen Mutter: »Chuenaten,
Dein Morgengebet ist fürwahr unbesonnen,
Oh laß Dich, Du thörichter Schwärmer, berathen!
Das Werk, das Dein herrlicher Vater begonnen,
[158]
Zerstöre es nicht durch verzweifelte Thaten:
Chuenaten, Chuenaten, die stolzen Kolonnen
Der Kämpfer für Ra, Deine bravsten Soldaten
Sind ringend gefallen, und wer hat gewonnen!
Es stehen die Vesten und Tempel von Theben.
Und mag Deine Würde auch ruhmvoll erstrahlen,
So weißt Du, was Anbeter Amons erstreben.
Die Priester der Hauptstadt verstehn mit Kabalen
Bestimmt noch den Aufruhr im Land zu beleben!
Du fahndest fanatisch nach RaIdealen,
Du wandelst auf einsamer Bahn und daneben
Vergißt Du der andern Gedanken und Qualen.
Ich warne Dich. Sage, was bringt Dich zum Rasen!
Ein Wahn ist in Dich, mein Chuenaten, gefahren.
Was wallt in Dir auf? Ach, laß die Ekstasen
Den Armen, den Kranken, die das offenbaren,
Was lange RaPriester vor Priestern verlasen.
Begrab die Gefallenen und laß die Fanfaren,
Die Frieden verkünden, zum Todtenfest blasen!
Das Ahnenverscharren bewahrt vor Gefahren:
Zur Zeit als mein Mann Amenemhotep lebte,
Befand sich, wo immer man Kriegsruhm erstrebte,
Im Heere des Landes ein Kadaververpacker,
Der sorgsam die Mumien der Helden verklebte,
Und sieh, auch Dein Vater war tapfer und wacker!
Doch weiß ich von Unheil, das einst uns umschwebte:
Es warf die Sahara waghalsige Racker,
Bis Theben, zu Pferd, daß die Erde erbebte,
Und damals, nur damals, verwesten die Leichen.
Chuenaten! So banne die schwankenden Schatten
Und laß uns nickt wieder von Ahnen umschleichen;
Sie kamen zuerst als verhungernde Ratten
[159]
Hervor aus den dumpfen, verdunkelten Reichen,
Und als wir für sie keine Nahrung mehr hatten,
Da mußten die Lebenden selber erbleichen:
Drum sollst Du, mein Sohn, Deine Todten bestatten,
Um nimmer den bösen Barbaren zu gleichen!
Ja, Zeichen erscheinen am Himmel, auf Erden,
Die gleichen, die einstens auf Elend gewiesen;
Die Priester erzählen mit Schauergeberden,
Von Tempelgespenstern und Schattenrißriesen.
Chuenaten, was soll aus den Nilländern werden,
Die Äcker sind brach, kein Vieh auf den Wiesen;
Sieh, niemand bekümmert sich mehr um die Heerden,
Die Steuern sind höher, geringer die Priesen,
Und Bauern vertummeln ihr Gut mit den Pferden!
Fürwahr, mein Chuenaten, Du gleichst den Barbaren,
Ratrunken zerbrachst Du Altare und Städte,
Doch sag, kann Dein Ra Dich vor Schaden bewahren!
Ich seh in den Tempeln, in Theben, Skelette,
Rings Menschen im Elend, statt rastarken Schaaren.
Man raschelt den Namen von Ra um die Wette
Und ahmt Dich auch nach, mit verwandtem Gebahren,
Doch Ra, wenn er Allkraft und Dankbarkeit hatte,
So könnt er Ägypten den RaKrieg ersparen!
Oh, glaube dem Weib, das mit Leid Dich geboren,
Dem Amon und Ptah bleibt die Kraft für die Rache,
Schon jetzt ist Dein Werk und Dein Welttraum verloren,
Schon ahn ich der RaFeinde gräßliche Lache.
Die RaMacht zerprallt vor den Amonstadtthoren:
Es spiegelt der Mond sich im Blutsprudelbache,
Der aufschäumt aus Mündern, aus Wunden und Ohren:
Mir ists, als ob Ras Tempel berste und krache,
Als hatte das Land gegen Dich sich verschworen!
[160]
Chuenaten, Chuenaten, Du hast keine Söhne,
Es konnte Dir Ra keine Knaben bescheeren,
Dies bleibt Deine Schuld, – drum hör mich: versöhne
Dich rasch mit den Feinden, die allseits sich mehren.
Chuenaten, oh hör auf das Völkergestöhne
Und laß uns nicht länger den Frieden entbehren!
Vermahle die schönste der Töchter und kröne
Den Freier zum König, bestürm ihn mit Ehren,
Daß niemand dereinst Dein Gedenken verpöne.«
»Ach Mutter«, rief plötzlich fanatisch Chuenaten,
»Kein Weib wird mein Streben und Wirken verhindern,
Das Dasein von Ra kannst Du nimmer errathen,
Da giebts keine Milde, da läßt sich nichts lindern.
Das da ist das Drama aus Ras Manngewalten,
Die allseits erwachen, den RaKampf entfachen,
Beim Dreinschlagen lachen, die Maße zerspalten,
Die Staaten gestalten, die Sklaven bewachen!
Ra selbst ist der mannbare Daseinsgedanke,
Der geisterhaft wachst und den Leib überwindet:
Er selbst der RaSehnsucht asketische Ranke,
Ist das, was im Menschen das Lichtall verbindet!
Er kehrt von der Erde den Blick hin zum Lichte,
Er kennt seine Ewigkeit zwischen den Welten,
Er wirkt, daß das Zeitliche selbst sich vernichte,
Und liebt was fanatisch bleibt, raumfrei und selten.
Ra selbst ist das Dasein von Menschen und Thieren,
Ra tödtet was schwach wird beim Sichselbsterringen,
Ra will, daß wir Männer den Erdtrieb verlieren,
Ist Ra doch das Schicksal: wer mag es bezwingen?
Die RaFlamme stirbt nicht, denn Licht ist ihr Wirken,
Ihr Anfang, ihr Aufschwall und zielloses Ende:
Sie will sich entzirkeln, entstrebt den Bezirken
[161]
Und schafft drum den Urschein von Raum und Zeitwende.
Chuenaten, oh Mutter, wird nimmermehr sterben:
Ihm konnte kein Weib seine Söhne bescheeren,
Ich werde einst selber mein Wirken ererben,
Die Flamme in mir kann sich nimmer verzehren.
Bald wird die Sahara das Nilthal verscharren,
Das reiche und üppige Leben verwesen,
Das Schwache erstarren, die RaKraft beharren,
Drum trennt sich was Mann ward vom weiblichen Wesen.
Bei Fischen, bei Fröschen, bei Kröten und Schlangen
Sind Männchen und Weibchen von nämlicher Gattung,
Die Tigerin hat noch das Raubthierverlangen
Des Tigers und zeigt keine Weibheitsermattung.
Die Löwin ist tapfer, doch fehlt ihr die Mahne,
Schon konnte der Löwe den Königstopf krönen.
Bei Vögeln, bei denen es ist, als ob sich Erhöhung ersehne,
Ist schön nur das Männchen, an Formen, an Tönen!
Der Stier ist das reifste der männlichen Thiere,
Die Kuh ist verschrumpft und sie gleicht einer Mutter:
Für uns ist es gut, daß sie Wildheit verliere,
Sie sucht nur ihr Futter, sie kalbt und giebt Butter:
So mag sich im Weib alle Weiblichkeit sammeln,
Der Mann muß, was schwach ist, von Anfang an, bannen,
Es darf das Geschlecht keine RaBahn verrammeln:
Und wird man ganz Mann, kann man fast sich entmannen!«
»Chuenaten, erscheine beim Fest der Kastraten!«
Rief plötzlich ein Priester mit zitternder Stimme.
Chuenaten ist fast außer Fassung gerathen,
Doch sieh, er ging hin mit verbissenem Grimme.
Rings standen des Tages Altarkandidaten,
Meist Kinder, bestimmt, daß ihr Urtrieb verglimme.
[162]
Es brachten die Eltern die Knaben nach Theben,
Sie sollten geschlechtslos dem Staatswesen nützen.
Es freute die Kinder, ein Fest zu erleben,
Sie suchten sich kaum vor den Schmerzen zu schützen,
Denn Neugier und Angst ließ sie gleichstark erbeben,
Dann schauten sie lüstern auf blutrothe Pfützen.
Es waren die Weiber nicht langer zu halten,
Es graute sie garnicht, das Schauspiel zu schauen,
Man sah wie sie keiften, wie Fauste sich ballten:
Es wollten sich alle am Blutstuß erbauen,
Und schrie säh ein Knabe, verkrallten sich, prallten
Und stauten sich Haufen von grausamen Frauen.
Die Männer im Harnisch, die rings sie vertrieben,
Beachteten kaum, mit verlorenen Blicken,
Die blutigen Szenen und stießen mit Hieben
Die Weiber zurück, um nicht selbst zu ersticken;
Gar viele verreckten, doch mehr noch verblieben,
Sich wirklich in Theben, beim Fest, zu erquicken.
Oft warfen sich Männer orgiastisch zu Boden,
Gar manche begannen sich selbst zu entmannen,
Und schrien dann vor Schmerz, mit verstümmelten Hoden.
Und Weiber, die wild ihren Wachen entrannen,
Begrinsten, begafften die Krampfepisoden,
Die rings sich, beim Fest der Kastraten, entspannen.
Die Hallen begannen sich langsam zu ädern:
Ein Scharlachbach sprang über Marmorterrassen:
Die Weiber, gereizt zum Beschaun von Blutbädern,
Bekamen die Jünglinge blasserer Raffen
Zu lüsternem Spiel, zum Verstümmeln, zum Rädern
Und kalten Betrachten von Martergrimassen.
[Unfaßbar viel Volk ist nach Theben gekommen]
[163]
Unfaßbar viel Volk ist nach Theben gekommen,
Und immer noch folgen sich Schiffe auf Schiffe:
Da kommen schon wieder Nilflotten geschwommen!
Gar viele umschifften gefährliche Riffe:
Zumal die den Weg durch die Schnellen genommen,
Sind fix und verstehn sich auf Nilschifffahrtskniffe!
Verankerte, heimische Barken entladen
Die nächtlich erbeuteten Austern und Fische:
Gar sorgsam entklaubt man von jäglichem Faden
Des Netzes die Thiere, daß keines entwische;
Und nah, am Gestade, lustwandeln und baden
Thebaner, erquickt durch die silberne Frische.
Jetzt nähern sich ringsum die Segler dem Strande,
Verschiedene bringen aus Punt Spezereien.
Die Händler erscheinen im besten Gewande,
Um sich und der Waare den Glanz zu verleihen:
Das hebt ganz natürlich die Freude am Tande,
Und gleich fängt man an, Werth und Preis auszuschreien.
Die Mannschaften klettern und reffen und raffen,
Mit Hast, doch im Takt, daß die Kraft nicht erlahme.
Fast würdevoll sitzen hingegen die Affen
Mit vagen Besitzerbegriffen im Krame
Und lassen sich gerne vom Haufen begaffen,
Und einer begrinst eine alternde Dame.
Die Frauen aus Punt sind rundputzig und tragen
Nur kurze, durchsichtige Kleider wie Glocken,
Begehrliche Männer, mit schlechtem Betragen,
Beginnen sie drum, halb zum Spaß, zu umhocken;
Behindert, beleidigt, vertheidigen, schlagen
Sich manche und andere entkommen erschrocken!
Die Krämer aus Charu, auf hohen Kameelen,
[164]
Belustigt das Schätzen und bloße Betrachten
Der Menschen und Sachen zum kaufen und stehlen;
Und manche, die lange nach Sinneslust schmachten,
Spazieren bereits ihre lüsternen Seelen,
Wo Gaukler und Weiber berauscht übernachten.
Vertheilt und versprengt, fast verloren, gerathen
Doch schließlich die meisten zum Platze des Festes,
Zur Feier der eben geweihten Kastraten.
Ganz Theben strebt hin und kein einziger verläßt es,
Denn dort sieht man Narren und Tanzakrobaten,
Und stets giebt ein Fest, wo auch Blut fließt, sein Bestes!
Chuenaten begrüßt nun sein Volk vom Balkone
Des Schlosses und spendet sein Gold den Getreuen
Des Ra; er zeigt sich den Städtern zum Lohne,
Weil diese nicht länger die Götzenmacht scheuen.
Selbst Hörige, Sklaven befreit er von Frohne,
Wenn diese sein Herz, durch den RaKult, erfreuen.
Der König, vom Weib und den Töchtern umgeben,
Denn sieben hat jene Chuenaten geboren,
Hat Ai und sein Weib, für ihr Günstlingsbestreben,
Statt Priestern des Amon, zur Huldigung erkoren:
Und diese versprechen stets eifrig zu leben
Und haben Chuenaten RaTreue geschworen.
Des RaTempels Diener umtanzen, umspringen,
Mit Trommeln und Flöten, den König zum Danke
Für alles was Ai und sein Weib schon empfingen;
Chuenaten hat fast die gebräuchliche Schranke
Und Ferne, die Königsgesetze bedingen,
Verwunden, denn einzig gilt jetzt der Gedanke!
Des Ai beste Schreiber und Zeichner erscheinen,
Bereit, das Ereigniß sofort zu vermerken;
[165]
Gemalt und gemeißelt, auf Rollen und Steinen,
Bewahr es die Nachricht von heilsamen Werken,
Von Tugenden, die sich im König vereinen,
Von Strahlen des Ra, die ihn anstachelnd stärken!
»Nun seht,« spricht Chuenaten: »ich fühle die Hände,
Die tief aus dem RaAll mein Inneres ergreifen;
Empfangt drum beherzt jede fürstliche Spende,
Denn ewig läßt Ra seine Tagessaat reifen:
Sein Reichthum ist alles, was anfängt sein Ende,
Drum spür ich sein Wollen zu Gold sich versteifen!
Nehmt hin: ich verschenke das Gut meiner Väter,
Empfangt auch das Geld jener feindlichen Lenker
Des Staates, der schamlosen Amonanbeter!
Ich selbst bin der eifrige RaStaatseinrenker
Und wüthe bewußt gegen alle Verräther:
Ja, wer nicht gehorcht, der verfällt meinem Henker!
So seht doch den Himmel und seht jene Streifen
Von Nebeln, die weit ihn und stillernst bedecken;
Um milde den heutigen Tag zu durchschweifen,
Gebar sie das Licht, und nun will sichs verstecken;
Doch bald wird es wieder durchs Schleierbrett greifen,
Als wollte es stündlich sein Dasein erwecken:
Doch dann sollt Ihr betend zum RaBall Euch wenden,
Damit er Euch, perlend und funkelnd wie Sterne,
Aus Wolken erblühend, erschaun kann und blenden.
Ihr Männer Ägyptens, Ihr Söhne der Ferne,
Dann beugt Eure Kniee und steht mit den Händen,
Und liebt Licht und Wärme, verehrt sie auch gerne!«
Es hat kaum Chuenaten die Worte gesprochen,
So strahlt schon der RaBall hervor aus den Schleiern,
Und stolz fühlt der König sein hohes Herz pochen,
[166]
Dann jetzt wird auch Theben die RaAllmacht feiern.
Schon kommt auf den Knieen die Menge gekrochen
Und schrill schallt der Schrei aller RaProphezeiher,
Die überekstatisch das RaReich verheißen.
Der König erscheint nun, von Gold übergossen,
Am hohen Balkone; denn Lichtbündel gleißen,
Hernieder auf ihn, auf sein Weib, auf die Sprossen
Des Hauses, die lieblich und zart sich befleißen,
Zu schenken, was scheinbar vom Himmel geflossen.
Es schreit nun die Menge: »Du, großer Chuenaten,
Unendlich wie Ra sind fürwahr Deine Thaten,
Du bautest die prachtvolle RaStadt Chutaten
Und schütztest die Tempel mit tapfern Soldaten,
Du sandtest dann Fürsten, mit Friedensmandaten
Nach Theben, zur Warnung der Stadtpotentaten,
Und siehe, sie kehrten mit Rathreferaten
Von Amon bekehrt und als Ras Renegaten
Zurück in die Stadt, die sie schamlos verrathen.
Du straftest sogleich alle KaApostaten
Und nahtest dann selbst Deinen Aufrührerstaaten.
Rasch schlugst Du die Heere von Amons Prälaten
Und bist, laut Beschlüssen und Friedenstraktaten,
Nun Herr und nun hier in der Stadt der rabiaten
Beherrscher des Usgau, in Amons Ornaten.
Wir sehn Deine Kraft an den Kriegsresultaten,
Wir preisen Dein Wesen in Tempelkantaten
Und trachten gehorsamst Dir gleich zu gerathen!«
Die Menschen die solche Gesinnung vertraten
Und jammernd den König um Gunstgaben baten,
Begannen in Ras Krampfgewalt zu gerathen
Und heulten orgiastisch: »Chuenaten, Chuenaten,
Nun laß uns dem Sumpf der Eunuchen entwaten!
[167]
Chuenaten, Chuenaten, ersetz die Kastraten
Durch Mönche mit Lustobgewaltsurrogaten;
Verriegle die Weiber allein in Kemnaten
Und schaff einen Orden mit Razölibaten
Und wahr uns vor fremden Geschlechtsattentaten.
Oh bilde die Sekte! Und Uraggegraten
Sind alle Ägypter, oh König Chuenaten!«
Nun bringen auf einmal fanatische Frauen
Die Kindlein herbei, sie dem Könige zu zeigen,
Und lassen Chuenaten, erfüllt von Vertrauen,
Indem sie sich tief vor dem Throne verneigen,
Die Säuglinge, die sie geboren, beschauen:
Und Graun packt den König, und nun folgt ein Schweigen!
Mit Riemen verschnürt sind die kindlichen Leiber,
Die Köpfe beschwert, um sie ganz abzuflachen,
Denn längst schon begannen die Zeichner und Schreiber,
Beim Bilden, ganz schroff, jede Stirn abzudachen:
Denn so ist der König und, sieh, auch die Weiber
Versuchen es Schreibern, in Fleisch, nachzumachen!
Der Priester des Amon benützt nun das Schweigen
Und ruft, von geharnischten Kriegern umgeben:
»Dein Aarprofil, König, ist garstig und eigen
Und sagt nur, Chuenaten ist überverwegen:
Er wird sich zu maßloser Dreistheit versteigen,
Ganz schonungslos handeln und nichts überlegen.
Gar schlaff ist Dein Fleisch, schlanker König Chuenaten,
Gar zart bist Du wahrlich, Du Mann Du, gerathen!
Doch sag, warum schreist Du in Mannschaftstraktaten,
Daß Du Mann, nur Mann bist, mit Ras Mannmandaten:
Fürwahr Du bewährst Deine Kraft durch Soldaten,
Die alles zerstampfen, so Städte wie Saaten!
[168]
Für Dich sind die Menschen umsonst und zuwider,
Drum schlachtest Du alles im RaÜbermuthe,
Und liegen auch Städte und Strecken darnieder,
Was thut es, zum Schluß liebst Du nur Deine Stute.
Nichts freut Dich als Reiten und Stärken der Glieder;
Ja, sicherlich steckt Dir der Hyksos im Blute!
Du plünderst die Grüfte, verweigerst die Gräber!
Du bringst selbst Amenti in Angst und Erregung!
Du bist nicht Osiris, Du schändlicher Streber!
Du giebst keiner Mumie die erste Bewegung!
Du bist nur ein diebischer Würdenvergeber
Und sorgst, statt für Todten für Pferdeverpflegung!
Du glaubst an ein urfreies leibloses Leben
Und willst Ku von Nivu und Ba gar entlösen,
Doch Blut ist die Seele und eitel Dein Streben,
Drum schone das Blut, mit bewußtreligiösen
Gefühlen der Achtung, dem Ewigen ergeben:
Nichts Tieferes giebt es in Leichengekrösen!
Doch laß alle Buße, Dir hilft kein Spruchsprudeln,
Zu spät ist es heute, Dein Blut ist verloren,
Es mag Dick Dein RaTroß, die Aischaar lobhulden!
Von Amon verdammt, wirst Du nimmer geboren;
Nun zähl Deine Freunde: in Ras Aufruhrrudeln
Hat mancher RaSchwärmer sich treulos verschworen!«
Jetzt naht von gewaltigen Massen umgeben,
Fast athemlos, Amons Gesandter Chuenaten
Und ruft: »Du Verwegener, nun sollst Du erbeben,
Verzucke, gefällt durch die eigenen Thaten
Und ohne, daß andere den Leib Dir verkleben,
Zum Nichtsein verflucht, von Soldaten verrathen,
Verdirb auf dem Felde, den Geiern zur Beute!
Nichts bleibe mehr aufrecht von Ras Machtdiktaten,
[169]
Aufflamme das Gold aller habsüchtigen Leute,
Die Gaben und Almosen schalkhaft erbaten:
Die Gluth ihres Gutes verzehre noch heute
Die RaSchaar im Nilthal, samt allen Piraten.«
Nun stürmen sich wüthend zwei Haufen entgegen:
Der König entreißt einem Bauern die Hacke
Und bricht sich gewaltsam, ganz tollkühn, verwegen
Ein Gleis, – trotz des Anpralls vom schwankenden Packe,–
Jetzt vor, bis zu Amon und stürzt ihn mit Schlagen
Der Axt und schreit: »Alpklotz zerstückle, zerknacke!«
Nun sieht er sich strahlend der Menge entragen
Und spottet, zum Priester des Amon gewendet:
»Nun kannst Du, vermagst Dus, den RaBall zerschlagen,
Denn Amon liegt da, von Chuenaten geschändet;
Ich mußte fürwahr nicht aus Zartheit verzagen,
Du rufe Dein Amen, mein Werk ist vollendet!«
Es dringt jetzt ein schreckliches Fremdengezeter,
Vermischt mit Gewimmer erstickender Kinder,
Hervor aus den Reihen lautschreiender Beter:
Auch kreischen die Weiber und Priester nicht minder,
Doch plötzlich schweigt alles, nun heißt es: »Dort geht er!«
Und bleich weicht das Volk vor dem Gottüberwinder.
Nun ruft man fanatisch; »Chuenaten, Chuenaten,
Wir sind es, die stets Deine RaRraft bejahten,
Du gabst uns Beweise, mit wahrhaft probaten
Gewaltakten, die ja Ras Allmacht verrathen!«
Und Männer aus Charu und andern Fremdstaaten
Bewundern besonders die That von Chuenaten.
[»Chuenaten,« spricht Ti, dessen Mutter: Chuenaten]
»Chuenaten,« spricht Ti, dessen Mutter: »Chuenaten,
Der Kampf war gewaltig, der Sieg ist errungen,
[170]
Die Feinde, die Amon und Theben vertraten,
Sind alle zerspalten, beinahe bezwungen.
Chuenaten, doch laß Dich trotz allem berathen,
Du hast viele Fremde als Söldner gedungen,
Erhalt sie und laß Deinen Bauern den Spaten,
Der Friede beweist, was im Kriege gelungen.
Chuenaten, auch ich habe große Gedanken,
Ich wage es einen Dir, flüsternd, zu sagen:
Die Fremden, Chuenaten, zerbrachen die Schranken,
Die ewig im Nilthal dem Staat unterlagen;
Ich glaube sie alle sind wuchernde Ranken,
Die schwer nur die Stämme Ägyptens ertragen:
Nie darf unser Land wegen jener erkranken,
Doch sollst Du sie plagen, nicht wahllos verjagen!
Chuenaten, Dich haben die Fremden betrogen,
Sie haben gestohlen, geschachert, erbeutet,
Sie haben Ägypten die Nährmilch entsogen
Und wo Ihr Euch hadernd im Nilthale bläutet,
Dort haben sie ihre Erfolge erwogen.
Und wenn Ihr Euch herrlicher Siege erfreutet,
Ward immer von Fremden der Kampfplatz bezogen:
Die nahmen, was Ihr zu erringen Euch scheutet,
Mein Sohn, und Du bist solchen Leuten gewogen!
Erfülle, Chuenaten, die einzige Bitte,
Behalte die Fremden als Sklaven im Lande
Und tödte die Reichen, nach üblicher Sitte:
So bringst Du gewaltige Feste zu Stande
Und jedermann richtet dann lieber die Schritte
Nach Städten des Ra und erneuert die Bande
Mit Dir, großer König, und löst so die Kitte
Der Gaue mit Theben, dem Amon zur Schande:
Denn sieh, Dein Chutaten liegt gut in der Mitte
[171]
Des Landes und prächtig am Weg zu den Meeren.
Dort kannst Du die Straßen nach Theben verlegen,
Den Zulauf zu Festen des Amon verwehren
Und leichter Ägypten zum RaKult bewegen.
Doch Ra, der Dir half, sollst Du einzig verehren
Und Haß gegen Fremde und Günstlinge hegen.
Auch sollst Du den Erben nicht länger entbehren,
Was ist Dir an Weib und an Töchtern gelegen,
Ein anderes könnte Dir Knaben bescheeren!«
Worauf jetzt der König entschlossen erwidert:
»Die Fremden besitzen ein gutes Gedächtniß,
Sie sahen erstaunt, was ich rastark gegliedert,
Wer weiß, übernahm man dabei mein Vermächtniß?!«
»Mein Kind,« wimmert Ti jetzt verletzt und erschrocken:
»Nicht wurden die widrigen Hyksos vertrieben,
Um ärgere Feinde ins Nilthal zu locken:
Noch ist uns die Macht zum Regieren geblieben,
Mein Sohn, und Du lockerst den Staat, um die Brocken
Ägyptens dem gierigen Feind zuzuschieben,
Zum Schluß wird das elende Kusch noch frohlocken
Und Du die Kuschitinnen hätscheln und lieben,
Mein Kind, dies erwog ich und sag es nun trocken.«
»Ach Muter, Du sprichst nur, Du weißt nicht zu sagen,
Du willst nichts erfragen, Du hast nichts verloren;
Das Weib bleibt das Übel, dem Thäter entragen,
Und sieh, Männer sagen, als wissende Thoren!«
Kaum hat jetzt die Mutter die Worte vernommen,
So giebt sie zur Antwort: »Du sollst mich belehren,
Mein Sohn, alles Große stets soll es Dir frommen,
Du konntest Ägypten zum RaKult bekehren,
Dein Heer hat die Mauern von Theben erklommen,
Drum soll Dich das Vaterland lieben und ehren;
[172]
Es seien die Fremden im RaStaat willkommen,
Dein Schutz sei vollkommen, Du magst ihn gewähren,
Doch hält Deine Rachsucht mein Herz arg beklommen!«
»Der Mann ist der Sünder, das Weib seine Sünde,
Es würgen und sän doch die nämlichen Hände:
Verrucht ist der Staat, den ich eben begründe,
Doch laß, daß ich schrecklos mein Werk jetzt vollende!«
»Du zitterst, mein Sohn, laß, mein Kind, Dich begreifen,«
Hat Ti jetzt, als Antwort, aus Antwort, gegeben:
»Du fieberst,« so spricht sie: »Visionen umschweifen
Dich jetzt und verdrängen Dein ernstes Bestreben.
Du solltest Dich besser auf RaWerthe steifen
Und andere aus göttlichem Ansehn entheben,
Du magst Dich an Götzen wie Amon vergreifen,
Doch nimmer so tief in Dir selber erbeben,
Ach, ruh jetzt und laß Deine RaSaat erst reifen!«
»Nein Mutter, es stehen die Tempel von Theben,
Die werden noch heute, zum Fest der Kastraten,
Entstammende Arme zum Himmel erheben
Und beten und flehen, daß alle drin braten.«
Es hat kaum der König die Worte gesprochen,
So schreit seine Mutter: Ȇb Gnade, Chuenaten,
Schon hab ich die Flammen seit Wochen gerochen,
Ich sah Dich, aus Wahnwitz, in Blutlachen waten;
Das Feuer ist rasch in der Stadt ausgebrochen,
Drob bist Du in arge Bedrängniß gerathen;
Es waren um Dich alle Wachen bestochen
Und stießen Dich nieder, als Feinde Dir nahten:
Selbst jetzt läßt der Anblick mein Herz rascher pochen.«
»So werde ich alle Ägypter entlassen
Und Fremde zu Wachen und Anstiftern wählen,
So mag denn die Gluth gleich ganz Theben erfassen,
[173]
Und niemand sich feig aus der Feuersbrunst stehlen.«
Den Worten des Königs wirft Ti sich entgegen
Und schreit: »Warum willst Du die Hauptstadt verbrennen?
Wie kannst Du so ruchlose Lauerwuth hegen,
Wie wagst Dus, den grausamen Plan zu bekennen?
Wozu blindlings dreinhaun und Feuer anlegen,
Warum nicht den Freund erst vom Erbfeinde trennen?
Du dürftest mich nimmermehr, Mutter mein, nennen,
Vermöchtest Dus nochmals den Brand zu erwägen!«
»Ein großes Bewußtsein ersetzt tausend Theben,
Denn Ra wirkt im Hirne, gewaltsam und herrisch,
Er muß sich aus Kampf und Krampf ewig ergeben,
Drum ist solch ein Wahnwitzbrand fürwahr nicht närrisch.«
Kaum sagt das der König, so spricht Ti entschlossen:
»Ich kann Deinen Worten wahrhaftig nicht trauen,
Ins Schloß, wo Du einst meinem Schooße entsprossen,
Begeb ich mich jetzt, ohne Zaudern und Grauen,
Inmitten von Theben, vom Feind eingeschlossen,
Erwart ich mein Schicksal, umgeben von Frauen.
Ich hoffe, Ihr habt Eure Pfeile verschossen,
Ich will, daß die Bauern den Usgau bebauen,
Von Bränden, von Possen, erzähl Zechgenossen!«
Allein zu sich selbst sagt nun grimmig Chuenaten:
Gott selbst ist der Sünder, die Schöpfung die Sünde,
Drum darf ich das Weib, nicht sie mich verrathen,
So brenne denn Mutter: ich wüthe, entzünde!
[Was mag der Krawall im RaLager besagen]
»Was mag der Krawall im RaLager besagen,
Es kappern wohl endlich die krätzigen Fremden,
Man will vielleicht Aussatzbefallene verjagen
Und kreischt oder feilscht nur um prunkvolle Hemden.
[174]
Ägypter, die Zucht unserer Väter verkümmert!«
Schreit jetzt Amons sehender Priester und wimmert;
»Der König hat hier unsere Gottheit zertrümmert
Und uns und sich selber das Dasein verschlimmert!
Fast trachtet der Tag heute länger zu dauern,
Es scheint sich ein Glastwall um Theben zu stauen;
Bespickt mit Beschauern sind alle Stadtmauern,
Rings mag sich die RaSchaar am Ballfall erbauen.
Man ahnt wobl, daß heute das Glück Thebens scheidet,
Denn morgen schon wird man in Blutgossen waten,
Ach Ai, warum hast Du uns albern beneidet,
Und ach, was verbrachst Du, waghalsiger Chuenaten!«
»Was machst Du da, Papis, fast scheinst Du zu warten!«
So schrein aus dem Tempel Altartanztrabanten:
»Komm laß uns die Seele von Amon entfachen,
Wir wollen toll schweißen, was andere umrannten!«
»Ach laßt mich,« sagt Papis: »den Abend betrachten
Und warten bis sacht alle Strahlen verglühen,
Jetzt wallen Gefallene vergangener Schlachten
Durchs Thal: sagt, was treibt Euch, das Fest zu verfrühen?«
»Es zieht der Tanz Todte an« schrein Koribanten:
»Gewesene hetzen uns, jung zu entstehen,
Und wo sie mit Krallenkraft Paare festbannten,
Umschauert gleich Mann und Weib des Werdens Wehen!«
»Ich komme gleich, Kinder mein, Ihr mögt genießen,«
Spricht Papis: »Das Licht ist nun ziemlich verschieden,
Doch seht wie um Theben jetzt Gluthähren sprießen,
Ein Goldrausch erwacht nun statt Silberfrieden!«
»Die Männer vermummten, verhüllten sich alle,
Die Mägdlein erscheinen wie Lichtmeteore,
Drum walle zum Schalle, zu Amons Nachtballe!«
So gellts aus des Tempels verdunkeltem Thore.
[175]
»Ich komme, ich komme, doch horcht aufs Geprassel,
Ja Flammen und Waffen des Ra seh ich nahen,«
Ruft Papis, dann hört er nur Schall und Gerassel
Der Schaaren, die rings seine Ahnung bejahen.
Im Tempel das Fest ist schon lange im Gange:
Die Männer, in Mäntelgewändern verkleidet,
Versuchen, verdunkelt, im Tanzüberschwange,
Ein Mädchen, das keine Gestalt unterscheidet,
Für sich zu erhaschen und hold einzufangen.
Die Mädchen, in flimmernden Schleiern, vermeiden
Zu rasch in die Freiersgewalt zu gelangen,
Woran sich die Sinne der Theilnehmer weiden.
Es ist das der Tanz heller Glanzmeteore!
Erstrahlende Mädchen entwallen dem Dunkel
Und wirbeln und kreuzen sich, rhythmisch im Chore:
Sie tanzen nach Harfen: ihr Perlengefunkel
Erzittert so reizend wie Mondlicht im Nile.
Schon sieht man so manche im Mantel verschwinden,
Da treibt sie ihr Freier zu lieblichem Spiele,
Wenn andere sich lang noch dem Dunkel entwinden.
»Ihr Kinder, Ihr Kinder, was hab ich geraten,
Das Fest ist ergötzlich, doch falsch Ort und Stunde!«
Ruft Papis: »Beim Feste fremdwidrer Kastraten
Darf niemand mehr tändeln; vernehmt meine Kunde:
Es mag jetzt die Gottheit durch Euch nicht genesen,
Es steht unser Amon mit Ra nun im Bunde,
Wir werden im Tempel verbrennen, verwesen,
Schon stammen die Häuser, ringsum in der Runde!«
»So komm in den Tempel, Dein Fieber zu kühlen,
Wir kennen die Männer nicht, die uns verführen,
Doch hold ist ihr Athem, und süß ihn zu fühlen,
So komme denn selber, ein Mädchen zu kühren.«
[176]
So singt man im Tempel, doch Papis ruft traurig:
»Ach, seht wie die Nacht sich mit Purpur verschleiert,
So glaubt an die Gluth, denn sie naht und ist schaurig:
Es geht nicht, daß Ihr, wenn man Ra anruft, feiert.«
»Die Sterne sind heiter und flimmern wie immer,
Das ist ein Komet, der uns goldig umschmeichelt,
Wir lieben sein schwirrendes, lichtes Geflimmer,
Er ists, der uns anhaucht und liebkosend streichelt.«
So singt man im Tempel, doch Papis schreit grimmig:
»So seht doch die Funken, die hoch Euch umschweben,
Erhebt Euch jetzt endlich und betet einstimmig,
Es möge Euch Amon das Zögern vergeben.«
»Die Sterne stehn fest, doch wir Taumelnden schwanken,
Wir zittern und beben, uns schwindelt, wir sinken;
Zu groß ist das Glück, um jetzt Amon zu danken,
Oh, laß uns Lust trinken, da Sterne selbst winken.«
So singt man im Tempel, doch rasend ruft Papis:
»Zertrümmere, Du bübischer Stümper Chuenaten,
Den Amon, den Ptah und vertreibe den Apis,
Doch wahr uns vor Flammen; ach laß die Soldaten
Rasch Eimer ergreifen, statt nutzlosen Lanzen:
Verschone Ägypter, die nie Arges thaten,
Sie wollten nur glücklich sein, jubeln und tanzen,
Du darfst nicht brandschatzend das Nilthal verrathen!«
Das Feuer haust immer noch näher und näher,
Jetzt stieben die Paare erhitzt auseinander,
Verstummt ist die Stimme von Papis dem Seher,
Doch ist es, als ob er die Halle durchwander.
Die Männer zerstampfen die Mantel und Larven
Und tanzen jetzt nackend im purpurnen Lichte,
[177]
Man spielt noch frenetisch auf berstenden Harfen
Und glaubt, daß man tanzend den Amon aufrichte.
Jetzt sträuben die Häuser entsetzt Flammenmähnen,
Die Winde zerzausen sie prasselnd und rauschend:
Im Tempel beginnen entsetzliche Szenen.
Doch Papis bleibt still und sich selber belauschend
Erwägt er die Flucht aus den rauchenden Mauern.
Da fangen schon Mäntel und Schleier rings Feuer
Und Papis sieht, lang kann es nimmermehr dauern,
Und keiner der Ausgänge scheint ihm geheuer,
So ruft er denn: »Kinder, die Todten erwachen!«
Er rast nun und ruft zu der Tanzsarabande:
»Es kann Euer Lachen den Amon anfachen,
So schmelzt jetzt versengend die ehernen Bande,
Die Euch mit der Gottheit für ewig verschweißen!«
So tollen denn alle, die brennend noch johlen.
Und Großes sucht Papis dem Volk zu verheißen.
Dann wogt Gold aus Körpern, die röchelnd verkohlen!
Die Windsbraut, die Brunstbraut, entfahren den Dächern,
Sie fassen sich, lassen sich tanzend nicht ruhen,
Sie sausen mit Fächern, entzausen sie Schwächern
Und wirbeln sich Gluthschmuck aus funkelnden Truhen.
Hier tanzt alles anders. Hier giebts kein Verweilen.
Die Glastpaare springen aus Lucken und Thüren.
Des Wahnwitzes Brandschwärme sprühn, glühn und eilen
Im Fluge aus furchtbaren Funkelgeschwüren.
Terrassen, umglastet von Scharlachguirlanden,
Die Flammen, auf Blutgluthglastkränzen erklettern,
Erscheinen wie Hallen für Brandsarabanden,
Und Blüthen umglühn sie mit grünlichen Blättern.
Ein Garten erwacht auf den brennenden Bauten,
[178]
Denn Blumen entwirbeln den flimmernden Schleiern,
Und Lichtbäume wuchern, wo Gluthen sich stauten:
Ja, Harze entstammen wie Kelche auf Weihern.
Die Thürme, die langsam zu bersten beginnen,
Erklimmen jetzt glimmende RaBrandBananen,
Und Wimpel umspringen die finstersten Zinnen,
Als schwenkten Chuenatens Fanatiker Fahnen!
Jetzt rasen auf einmal die Menschen zu Haufen
Zurück in die Stadt, ihre Habe zu retten:
Es scheint ganz unglaublich zu sehn, wie sie laufen,
Und viele versengen sogleich zu Skeletten.
Doch andere, die wieder im Freien erscheinen,
Entschleppen die Götzen und tanzen vor Jubel:
Es kann so der Brand ganz Ägypten vereinen,
Denn selbst RaSoldaten thun mit im Getrubel.
Die Fremden aus Charu durchplündern die Trümmer,
Sie sollten die Stadt für Chuenaten entzünden,
Doch dachten sie klüger: es wäre nichts dümmer,
Als glüthen die Güter in Feuersbrunstschlünden.
So stimmten die Fremden, voll Witz, und einhellig:
Die Tempel umsprühe ein glühender Gürtel,
Dort sei man beim Anschüren kühn und anstellig:
Doch ganz unbehelligt belaß man die Viertel
Der Stadt, wo die kleinmüthigen Spießbürger wohnen,
Dort schände man Mädchen und prügle Matronen,
Dann mag wohl der Tag sich zum Brandschatzen lohnen.
Doch plötzlich entsteht unter Mordbrennern Fehde,
Denn Weiber und Kinder beginnen zu stehlen;
Da hält gleich ein Lediger folgende Rede:
»Vermählte, Ihr sollt Eurer Diebsbrut befehlen,
Daß keines sich mehr an der Beute vergreife
[179]
Und lieber die Karren und Schiffe bereite,
Damit man dann leichter das Raubgut fortschleife,
Und nun schafft das Pack ohne weiteres beiseite.«
»Wie sprecht Ihr da,« zischelt ein Vater und Gatte:
»So laßt Weib und Kind sich ihr Eigenes erwerben,
Im Gegentheil will ich, daß niemand ermatte;
Es suche ein Jeder sein Gut unter Scherben.
Ihr Lottergesellen und Mütterverführer,
Ihr sollt jetzt ägyptische Jungfrauen schänden,
Ihr Schurken, Ihr zuchtlosen Meuteaufrührer,
Ihr müßt Euch vom Plündern zum Einbrechen wenden.«
»Wir haben zusammen Chuenaten verrathen,
Und rauben, um dann Eure Weiber zu kaufen,
Ihr Alten doch sollt heut in Feuer gerathen.«
So antwortet jener vom fraufreien Haufen.
Drauf wird vom Familienbeflissenen erwidert:
»Die Weiber und Kinder bestimm ich zum Plündern,
Zum Schutz sind die Väter ins Heer eingegliedert,
Und Ihr bleibt mit weitaufgerissenen Mündern.«
»Ihr Weibsknechte wartet, Ihr Lumpenbrutzüchter,
Ich will Euch im Nilthal wie Unkraut ausrotten;
Dich krieg ich, Du willkührlich ruchloser Richter,
Erwisch ich die Hoden, so liegst Du am Boden.«
Kaum schreit das der Ledige, entsteht ein Gezeter,
Es fängt mancher Hausen schon an, los zu raufen,
Doch blast noch vor Anfang des Kampfs ein Trompeter,
Und alles beginnt nach dem Hauptplatz zu laufen,
Doch gräßlich erregt und erschreckt, schreit die Menge;
»Wer Recht hat, entscheide, wer laut disputierte,
Im Einzelturnire verlier und versprenge
Nur der Blut und Gut, der so dreist renommierte.«
Da ruft schon der Gatte: »So warte Du Schmäher,
[180]
Gleich werd ich Dich quetschen, Dein Knorpelfleisch kneifen,
Du Einsteiger, Milchkalb und Kindskopfverdreher,
Ich werde Dich, Feigling, durch Blut und Dreck schleifen.«
»Und ich Deinen schlaffen Familiensitz packen,
Du Hahnrei, mich dünkts, ihn in Händen zu haben,
Dann mag ich Dich langsam erst knebeln und zwacken
Und will mich zum Schluß noch, beim Todtwürgen, laben.«
Kaum sagt das der Ledige, so droht ihm sein Gegner
Und trachtet, am Kampfplatz, ihn knapp anzuspringen:
»Du nennst Deine Schliche, Du dummdreistverwegner,
Du witzloser Ringer, so muß mirs gelingen
Dich gleich, selbst beim ersten Sprung, drunterzukriegen;
Noch bin ich gelenk und steh fest auf den Beinen,
Drum schleich ich umher, Dick im Nu zu bezwingen,
Und merk Dirs, ich werf Deine Eier den Schweinen.«
»Doch wärmt mich noch eher Dein Hausvaterlaken,
Ich hab Dir bereits Frau und Tochter geschändet,
Du glaubst nicht wie oft andere bei ihnen staken,
Noch wer Deine Habe genießt und verschwendet.«
Es schreit dies der Ledige, hindurch durchs Gelächter
Der Leute am Markte, die zischen und keifen:
»Ihr seid uns gar feig, beide, Hausdieb und Wächter,
So greift Euch doch an und erfreut Euch beim Kneifen.«
Nun kracht es und poltert es, blitzt es entsetzlich:
Der Tempel des Amon ist plötzlich geborsten!
Drin flattert, was flockig ist, flink und zerfetzlich,
Ja, Brandadler brausen aus glaststarren Horsten,
Und bis das Geprassel, das Rasseln der Wabe
Sich langsam besänftigt, sind Kinder und Weiber
Verbrannt und verscharrt unterm flammenden Grabe.
Ein Mann nur bleibt übrig und mustert die Leiber,
[181]
Die brenzelnd und bebend und knisternd verrecken,
Und hin zu ihm strecken sich glasthafte Tatzen,
Drauf schrecken ihn Zungen, die lechzend Gluth lecken,
Dann Blicke, so blau, wie von taubstummen Katzen.
Nun trachtet er kriechend dem Tod zu entkommen
Und stolpert zu Körpern, die hilflos verröcheln,
Die Angst vor dem Brand zeigt ihm alles verschwommen,
Und plötzlich verbohrt sich ein Schmerz in den Knöcheln.
Er muß seinen Leiberweg forttastend wähnen,
Er merkt nur, die Wand ist mit Gluth überkrustet,
Und menschliche Bänder sind brennende Mahnen,
Doch ists ihm, als hörte er rings sich umpustet:
Draus wirds ihm, als ob ihm der Ausriß gelange,
Auch ist er, fast traumhaft, ganz richtig getreten.
Und wie er hervortritt, umschreit ihn die Menge:
»Es zeigt uns ein Gott seinen echten Propheten.«
Nun wird schon der Mann auf die Schultern gehoben,
Er kann kaum den Schmerz seiner Wunden verbeißen
Und merkt nur, wie alle ihn johlend umtoben
Und schreiend laut auffordern Gott zu verheißen.
Doch ruft er nur: »Wasser!« und immer nur: »Wasser!«
Da stürmen die Fremden fanatisch zum Nile,
Und allseits verfolgen sie Amons RaHasser
Und selbst RaSoldaten sind jetzt mit im Spiele;
Und trotzdem gelingt es den Fremden, die Schiffe
In Eile zu kentern und rasch zu befrachten.
Die meisten sind flott und bereits im Begriffe
Die Anker zu lichten; wo andere noch trachten,
Die Feinde hübsch ferne vom Ufer zu halten
Und recht viel Erbeutetes unterzubringen:
Doch schließlich sind alle fast, ganz wohlbehalten,
[182]
Am Wasser und fangen an Psalme zu singen.
Doch da sich Ägypter am Ufer versammeln,
So lacht man verachtungsvoll draußen am Wasser
Und schlachtet, mit eben geheiligten Hammeln,
Auch Sperber und Reiher; ja, immer noch krasser,
Man laßt auch den Apis zum Frühstück zerstückeln!
Nun hört man ihn brüllen; dann grunzen und gackeln.
Drauf giebt man den Garaus selbst Neckhes Karnickeln.
Da packen Ägypter hellflammende Fackeln
Und trachten sie schwimmend in Brand zu erhalten,
Um draußen die Schiffe noch rasch anzuzünden;
Doch müssen fast alle beim Nachtbad erkalten,
Denn überall tauchen, aus nächtlichen Schlünden,
Des Nils Krokodille empor und erhaschen
Sofort alle Schwimmer, die selbst sich belichten.
Es wußten die Thiere: es giebt was zum Naschen!
Sie merkten das Brenzeln von vielen Gerichten
Und hörten das Lachen und Brüllen beim Schlachten.
Nun finden sie Menschen, die vortrefflich munden,
Und alle die Flammen, die Schiffern Noth brachten,
Sind wunderbar plötzlich zusammen verschwunden.
Da rufen die Fremden: »Stets gehe es Häschern
Wie Euch, grausen Henkern, in allen Gewässern;
Ihr wolltet uns ruchlos, zur Rache, einäschern,
So plätschert statt uns, frechen Apisfleischessern,
Jetzt heiter, mit heiligen Nilkrokodillen,
Im Flusse der Heimath und freut Euch am Spiele!
Wir wollen das Leid unserer Mitbürger stillen:
Es wartet schon Moses am unteren Nile.«
[183]
Jetzt tragen die Winde die Flammen zu Hausen:
Die Mitte von Theben steht gänzlich in Feuer,
Und Sprühregenbündel und Gluthblüthen traufen
Aus Rauchsäulen, rings überm Trummergemauer.
Das Feuer gelangt nun allmählich zum Garten
Des alten und prachtvollen Herrscherpalastes,
Und selbst alle Hallen, wo Staatswachen warten,
Sammt Pharaos Sammlungsarchiven erfaßt es.
Es knattern entstammende Balken und Planken,
Und alle die schlanken Palastsaalpilaster
Umarmen rasch RaGlastgranatapfelranken,
Und krachend zerbröckelt der Wandalabaster.
Da läßt sich denn Ti aus dem Flammenhaus tragen.
Die andern sind alle vor Theben geblieben,
Nur sie war entschlossen, ihr Leben zu wagen,
Sie hoffte, es würde ihr Sohn sie noch lieben.
Nun tritt sie, von Sklaven getragen, zu Tage,
Und rüstige, wirklich noch biedergesinnte
Bediente, vom alten ägyptischen Schlage,
Entführen sie klug aus dem Brandlabyrinthe.
Wohl stürzen am Wege Ruinen zusammen,
Und Brandstätten scheinen die Bahn zu versperren,
Doch senkrecht fast streben die Essen und Flammen
Empor aus den Tempeln, und unbeirrt zerren
Die Diener den Karren der Herrin treu weiter,
Und rings um den Zug fallen Glastschlacken nieder.
Ein Wirbel zerschlagener, ringsumverspeiter,
Zersplitterter Scherben umschwirrt ihn stets wieder.
Doch schrecklos und fast ohne inneres Bangen
Vermögen die Flüchtlinge weiter zu schreiten,
Um endlich heraus aus dem Brand zu gelangen.
Und bald scheint sich Kühle ringsum auszubreiten.
[184]
Die Kaiserin ward unverwundet gerettet:
So wurde die Mutter Chuenatens zum Wunder!
Sie war im Palast zwischen Glast eingebettet.
Die Pracht wie der Plunder, verpufft nun wie Zunder
Und steigt, zu Rosettengebilden verkettet,
Empor, um die Herrin von Ferne zu schmücken.
Doch sie hat, ganz einzig, beim Brand nichts verwettet,
Sie ging aus dem Schloß, um ihr Land zu beglücken,
Ihr ist es, als ob sich ihr Herz gar nickt gräme,
Sie tritt, ihrer Würde bewußt, aus dem Feuer:
So wird ihr die Hauptstadt zum Prachtdiademe,
Sie selbst zum Orakel im RaAbenteuer.
[Es war das kein Brand, sagt sich selber Chuenaten]
Es war das kein Brand, sagt sich selber Chuenaten,
Und was da noch aufflammt kann keiner mehr werden,
Ich wurde vom eigenen Anhang verrathen,
Was hilft da ein Anruf, was Menschenbeschwerden!
Wir werden jetzt selber von Theben verschlungen.
Ich mag auch mein Weib und die Kinder nicht retten.
Es ist mir der RaStaat, das Lichtreich, mißlungen.
Was kümmern mich da alle Kerker und Ketten!
Doch kann ich den nahenden Tag nicht erwarten,
Ich müßte, aus Scham, vor dem Lichte erröthen:
Es Glaube nicht Ra, daß wir alle ihn narrten,
Er findet noch Theben, doch ich will mich tödten!
Ach Mutter, wie eigen sind doch unsere Loose,
Du sagtest, es würde mich niemand bestatten,
Und siehe, Du selber versprühst in der Rose
ErG0ühender Blätter, die stammend ermatten.
Wie mochtest Du doch ob des Feuers erschrecken,
[185]
Nun bist Du verloren, auf ewig vernichtet,
Es wird Dich Ossiris jetzt nimmer erwecken,
Doch ich werde bald von ihm selber gerichtet!
Kein Mensch soll je wissen, wohin ich mich wende,
Kein Sklave Chuenatens Kadaver verrathen:
Ich will, daß kein Feind meine Grabstätte schände,
Drum berg ich den Leib vor Gewaltattentaten.
Ich klopf an die Thore der Stadtnekropole:
»Ihr Würmer der Unterwelt, öffnet die Pforte
Und sorgt, daß der König nicht oben verkohle,
Gehorcht, denn das sind eines Selbstmörders Worte.«
»Amenhoteps Sohn ist jetzt König im Lande,
Er nennt sich: Der AbG0anz vom RaBall, Chuenaten,
Er warb fremde Häscher und macht uns nur Schande,
Er fahndet fanatisch nach wahnwitzigen Thaten.«
Kaum ward diese Antwort im Keller gesprochen,
So wurde Chuenaten fast starr vor Entsetzen,
Und fing, halb gebrochen, an, nochmals zu pochen.
Er drohte noch, flehte schon folgende Sätze:
»Ich heiße Chuenaten und trachte zu sterben,
Ihr Priester empfangt meine letzten Befehle,
Doch wählt Ihr dann selber, zum Dank, meinen Erben,
Und hütet dafür auch das Blut meiner Seele!«
»So tödte Dich draußen, Du König der Häscher,
Wir warten auf Dich mit dem Bauchaufschlitzmesser,
Die Priester, Ossiris Gedärmeauswäscher,
Bereiten Dich dann für den Rangsargzumesser.«
Kaum hört das Chuenaten die Priesterschaft sagen,
So ruft er verzweifelt: »So laßt Euch verkünden,
Ich will das am lebenden Leibe ertragen,
Doch thut es, sonst laß ich ganz Theben entzünden.«
»Chuenaten, so nahe den schlafenden Ahnen
[186]
Im Urall, wo Dauer und Ewigkeit kämpfen,
Es fahnden fanatische RaKarawanen
Zuletzt nach Schlußkrämpfen, die Leid und Lust dämpfen.«
Kaum wurden die Worte von unten gesprochen,
So ward eine winzige Steinthür entriegelt,
Und flugs ist der König durchs Felsloch gekrochen,
Dann hat man es eilig versperrt und versiegelt.
Es folgt nun Chuenaten dem Priester durch Gänge,
Hindurch zwischen Bergen von Mumien und Särgen,
Jetzt kommt er zu einem, der hat seine Länge,
Da sagt ihm der Führer: »Der da wird Dich bergen!«
Chuenaten entblößt seinen Bauch und sagt tapfer:
»Da lieg ich im Sarge, der knapp ist und sackhaft.
Nun walkt, Darmauspacker und Blutsturzabzapfer
Im Bauchwurm herum: mancher Krampf ist auch schmackhaft.
Es freun mich die eigenen und anderer Schmerzen,
Drum laßt auch mein Blut, langsam tröpfelnd, entfließen
Und greift dem lebendigen König zum Herzen:
Ich will noch den Balsam der Mumien genießen.«
»Chuenaten, Du forderst unsagbare Leiden,
Wie kannst Du Dich selber so wahnwitzig hassen,
Wir tödten Dich erst, um Dich dann aufzuschneiden.«
Erwidert der friedliche Priester gelassen.
Drauf sagt rasch der König: »Ich kann Euch nicht trauen,
Ich will die Gewähr meiner Wiederkunft spüren,
Ich will mich beinahe als Mumie beschauen,
Drum wetzt Eure Messer und laßt Euch nicht rühren.«
Drauf murmeln die Männer der Mystik zusammen,
Und endlich spricht einer: »Dein Blut darf nicht fließen,
Sonst kannst Du Dich selber zum Nichtsein verdammen,
Es muß Dirs Ossiris einst wieder eingießen.«
»So sammelt, was abfließt, in Schläuchen aus Därmen,
[187]
Und legt es mir bei, in der Höhlung des Bauches,
So wird es mich einst, bei der Wiederkunft, warmen,
Doch folgt sonst in allem den Formen des Brauches!«
Kaum hat das Chuenaten ekstatisch gesprochen,
So sind alle Priester zum Schlachten entschlossen:
Man bindet ihn fest, dann wird rasch zugestochen
Und nichts von dem Blute Chuenatens vergossen.
»Ra, Ra,« rast Chuenaten: »Du schmerzwahres Alles,
Du wahrst Dir den Sieg, oh Du Macht des Erkennens,
Was macht Dir der Schlag meines eigenen Falles,
Du bist ja die Schlange des Weltallerbrennens!
Ra, Ra, laß den Mastdarm Chuenatens anpacken,
Es wallt rastlos G0ast durch die Adern erstarrter,
Fast harter G0uthmuskeln! und Brandzangen zwacken
Wahrhaftig ins Schmerzfleisch, ach, raste RaMarter!
Was soll diese Ruhe, Ihr grausamen Henker,
Ihr wollt meine Wunden mit Balsam bestäuben!
Ach, gebt mir den Garaus; doch laßt einen Denker,
Der sehend verscheidet, nicht sündhaft betäuben!
Ich fühl Deine Wege, Du rastlose Schlange!
Du selbst überwundene, unendlich verbundene,
Unfühlbare, sichtbare Zeugin vom Drange
Der Erde zur Sonne! Du furchtbar empfundene
Erstickerin, Würgerin üppiger Triebe,
Du kalte Vernunft und Du mitleidlos Leiden,
Du Irrweg im Krampfhirn, Du Schmerzsterngestiebe,
Du siegende Schlange, ach, laß mich verscheiden!
Ich spür mich zurück bis zur Wurzel vom Bösen,
Denn weibliches Leiden erschleicht mein Geweide:
Du Dreckweg zum Menschen, in Urschwulstgekrösen
Erweist Du Dich immer und steigst von der Scheide
[188]
Empor, bis zum menschlich veränderten Herzen,
Du würgtest die Urwelt bis hinzugelangen
Und suchst jetzt Instinkte mit Schmerz auszumerzen
Und kannst durch den Hirnbrei im Weltall frei hangen.
Du suchst Dich verschlungen im Bauch zu verstecken,
Das ist Deine List, mannhaft furchtbare Schlange!
Entweicht Dir das Erdweib, so kannst Du Dich recken,
Denn Frauen empfangen vom RaDrange bange
Den Schleimwurf mit übelgeträchtigtem Samen.
Entwischt Dir die Beute, so wirst Du G0eich steifer
Und zischst geil bis Scham, Graun im Weibsbild erlahmen,
Und spritzt Du Dich aus, speist Du giftigen Geifer.
Ra, Ra, Fatum, furchtbares Flammenentstammen,
Ich selbst bin das Feuer. Man packt mein Gedärme.
Ach, Schmerzbrände züngeln aus zuckenden Schrammen
Und setzen sich fest, und entsetzliche Schwärme
Von Brandfaltern flattern aus brennenden Resten
Des Leibes empor und verpesten die Länder!
Ach, Papis und ich, alle beide entpreßten,
Bei widrigen Festen, als Schwärmer und Schänder
Der Erde den Sommergott, trächtig an Schrecken
Und Freund der Kastraten und rastloser Laster!
Ra, Ra, Du kannst rasende Schmerzen erwecken!
Du siegst, Hascher, Häscher! Es wächst das Geknaster
Verpraster Brandgarben. Jetzt wackelt das Pflaster.
Dort qualmen die Fackeln. Hier schwirren die Kerzen.
Es fallen die raG0asterfaßten Pilaster.
Und mir greift von unten jetzt jemand zum Herzen.«
[189]
Der Ararat
Die Indische Symphonie
[Milde Winde warmer Nächte]
Milde Winde warmer Nächte,
Streift die Fieberträume fort,
Wenn der Schlaf mir Frieden brachte,
Glühte ich ein Flammenwort.
Morgen, morgen will ich sagen,
Was mich jetzt so toll umdrängt
Und dann mag ich klagen, fragen,
Welches Räthsel mich durchtränkt.
Doch ich muß in mich versinken
Und die Träume ferne sehn,
Wenn sie aus der Seele winken
Und dann still vorübergehn.
Von den Wesen muß ich scheiden,
Die mich kindlich hold gelenkt,
Will sie noch mit Licht umkleiden,
Doch ich selbst bleib unbeschenkt.
Zieht denn weiter, heitere Dinge,
Schöne Menschen, kühnes Spiel!
Und wenn ich Euch leicht beschwinge,
Ist es, weil mein Traum zerfiel.
Ach, ich muß in mich verrunzeln,
Hab schon tief hinabgeschaut;
Wie wenn Brunnenbrüder schmunzeln,
Hat es mich vor mir gegraut.
Bis zum Tag, da ich geboren,
Hielt ich oft Gedächtnißschau:
Und da schoben sich, als Mohren,
Bilder vor aus blassem Grau.
[195]
Und ich ließ sie würgen, brennen,
Hab mit Feuer sie gekrönt,
Als ich anfing sie zu kennen,
War ich schon daran gewöhnt.
Alle liebe ich wie Kinder,
Ach, der Abschied thut mir weh,
Doch ich schrumpfe ein – geschwinder
Noch entgleist mir was ich seh.
Lebt allein, zu anderer Freude,
Schwelgt und welkt aus Überschwang;
Schweb empor, mein Traumgebäude,
Über meinem Untergang!
[Kann die Nacht heut nimmermehr vergrauen]
[Kann die Nacht heut nimmermehr vergrauen?]
Kann die Nacht heut nimmermehr vergrauen?
Hält die Welt die Sternenträume wacht
Sind es Wolken die sich ringsum stauen?
Wann entstammt das ganze Himmelsdach?
Was erschau ich, das aus Schachten gruselt.
Sind es Riesen, die dem Grab entrollen?
Seht, sie schlafen; ihr Bewußtsein duselt;
Augen, Ohren sind noch dickgeschwollen.
Weiber sind es, überstark und schwanger,
Männer mit verkrampften Muskelgruppen,
Und sie stehn zusammen, wie am Pranger,
Um die Urbrunst blutend zu entpuppen.
[196]
Immer andere wuchern aus der Erde!
Sind es Menschen, die sich sterbend regen?
Glühend macht sie jede Krampfgeberde,
Bis sich Purpurkrusten drüberlegen.
Sind es Scharlachbäche, die entsickern?
Alabasterschwarten schwären, platzen:
Schweiß benetzt bereits die Dickern
Und sie zucken, wetzen sich und kratzen.
Seht, ihr Handgranit kann nimmer schmelzen,
Selbst die Arme frieren aneinander,
Bäuche scheinen sich hervorzuwälzen,
Doch wird Gneiß sofort ihr Krampfumrander.
Klumpenbrut, verramme Dich als Mauer,
Würg Dich, um die Restgluth zu entschnüren;
Schwül umschwirr sie uns, auf Zunderlauer,
Und entfliege dann zum Taganschüren!
Wahrlich, endlich hat der Tag begonnen;
Und schon wird sein Kupferrahmen breiter:
Licht beginnt das Weltbild zu besonnen:
Und ich seh, die Felsen wachsen weiter.
Glast umtanzt sie jetzt mit Scharlachschwingen,
Doch sie selber sind ganz formlos, massig,
Plötzlich aber hör ich Stimmen singen,
Und die tönen tief und dumpf und rassig;
»Arier, laß Dich unter Pracht begraben,
Sieh, Dein Werden ist ein rasches Sterben,
Nur die Kraftgedanken sind erhaben,
Die für ewig sich in Felsen kerben.
[197]
Wir sind alle nur von Dir verstanden:
Nackte Schatten, die Dich blaß umsprangen
Und dann plötzlich sich allein empfanden,
Können wir jetzt Werthbestand erlangen.
Doch Du selbst magst Dich verlassen, härmen,
Nichts erhaschend, nahe Deinem Grabe,
Laß von Schatten rastlos Dich umschwärmen,
Dazu stammt in Dir die LoderWabe.
Deine Aussicht muß Dein Traum verbauen,
Und er wird, soweit Du siehst, entrücken:
Ferne aber werden wir uns stauen,
Und als Grab von Dir die Welt entzücken.
Warte lang, verachte Dich und schmachte,
Gieb Dich auf, verweil in Dich versunken,
Deinen Nabel, nur Dich selbst, betrachte,
Schür in Dir den urbewußten Funken.
Doch erreicht ihn Deine Seelenleiter,
Wirst Du Wunder überall verbuchen!«
– Still ists jetzt, das Echo nur gellt weiter,
Wie ein Chor erstarkender Eunuchen.
Mein Erbtheil will ich wohl versehen:
Wie Blüthen liebt der Baum den Saft,
Ein Winterlied soll ernst erstehen,
Ich sammle meine Wanderkraft.
Doch soll ein Baum mit Wunderblüthen
Mein Schützer sein und doch kein Traum,
Es wird sein Grün mich kühl behüten,
Mein Reich umschwankt sein Schattensaum.
[198]
Und singt der Wind in seinen Ästen,
Und lullt sein lauer Hauch mich ein,
So träum ich von den liebsten Gästen,
Und bitte sie, mir gut zu sein.
Sie bleiben! Und mit steilen Leitern,
Durchsteigen sie des Baumes Laub;
Sie sprechen weiter und erheitern
Sich kindlich, selbst beim Früchteraub.
Dann ruf ich sie herbei und sage:
»Euch munden süße Früchte gut,
Ich lehr Euch, wie Ihr alle Tage
Mit Früchten Euch zu gute tut.
Ihr sollt Euch alle tief begreifen:
Die Silben lispeln wie ein Blatt,
Ein ganzer Satz kann in Euch reifen,
Der Saftgeschmack und Adel hat.
Ein Wort aus sich herausgesprochen,
Wird fruchtbar im Prophetenmund,
Und ist es reif hervorgebrochen,
So fühlt man das am eigenen Schlund.
Ein sanfter Nachgeschmack bleibt haften,
Er fühlt sich an wie Dattelduft,
Er reizt und zieht die halberschlafften
Wortfolgen aus der Gurgelschluft.
Seht, unsere Münder sind wie Blüthen,
Ein Hauch rafft das Geplapper fort,
Doch wenn wir Früchte in uns selber glühten,
Genügt von uns ein Mussewort.«
[Es streben die Felsen stets fester und steiler]
[199]
Es streben die Felsen stets fester und steiler
Empor aus der Sagen entathmenden Erde,
Und Ahnungen wallen, wie wandernde Meiler,
Umher mit gespenstiger Sehergeberde.
Mein Baum kann die Traumlandschaft langsam befruchten:
Es fangen jetzt Palmen an, Wurzel zu fassen,
Und Feuchtigkeit traust aus den Purpurgluthschluchten
Und macht sie zu wuchtigen Schattensatzmassen.
Durch Furchen erblick ich den Einbruch des Tages:
Die Gluthen beginnen bereits zu verblauen,
Und Kuppen und Buchten berauscht nun ein vages
Gefunkel von Augen mit randharten Brauen.
Man fordert mich auf, dort ein Meer zu erblicken,
Und wirklich ich seh einen glattstarren Spiegel,
Mit Sternen am Grunde, die ängstlich ersticken:
Dann ists, als ob Wind dünnes Grün drin aufwiegel.
Ach, Nebel durchschwarmen wie seltene Fische,
Mit eigenem Lichte, die dunkleren Fluthen,
Da spritzt jetzt und gischtet das Licht und die Frische
Ins untere Thal, wo die Nachtschatten ruhten.
Es ist, als ob Strahlen die Massen festbannten,
Dafür aber recken sich Schatten ins Leben:
Aus Wuchtklumpen macht sich ein Ruck Elephanten,
Die Hügel umscknuppernd, die Rüssel erheben.
Nun glastet der Tag aus den Wäldern und Spalten,
Aus Bergen, die immer noch Spitzen entschnellen,
Und Gipfel, wie warnende Arme, gestalten;
Und Jubel umzwitschert die sprudelnden Quellen.
[200]
Das Wasser entrauscht allen Spalten und Scharten
Und trachtet Granitfelsen rasch zu umarmen,
Als klarer Bach lacht es und mag nirgends warten
Und trankt alle Adern und kann nicht verarmen.
Jetzt springt es gar kühn, ungestüm über Trümmer
Und fängt an, auf Felsen und Wände zu klimmen,
Dann stürzt es aufs Grün, daß es nimmer verkümmer,
Und purzelt um Bäume, die kugelnd nun schwimmen.
Da ruf ich, mit Unmuth, zum Urwald gewendet:
»Ihr schnellfüßigen Rhythmen und holdtollen Wellen,
Ich will, daß Ihr selbst Euch, als Wesen, mir spendet.
Es soll Eure Wildheit zu mir sich gesellen.«
Da schenkt mir der Wald eine junge Gazelle,
Sie platscht durch den Bach, rascher herzugelangen,
Sie naht mir und ist auch schon munter zur Stelle
Und legt sich zu Boden und kost unbefangen.
Das Wasser erbraust aber immer noch stärker,
Ganz andere Bäche umbranden die Felsen:
Ein Wuchttrubel sprengt seinen sckluftdumpfen Kerker,
Und Schaumschwäne sausen mit Wirbelgischthälsen
Heraus aus dem Spalt und zergehn halbgestaltet:
Ein Spundbruch hat ringsum die Fluthwuth entbunden
Und bald alle Bachgewalt fallend entfaltet,
Im Nu sind die Flußfurten weithin verschwunden.
Jetzt schrei ich hinein in den kreisenden Strudel:
»Ich trag nach dem Schaum allen Wassers Verlangen,
Ein Wunder spukt stumm durch das Trubelgehudel,
Gestalte Dich eigenes, unklares Bangen!«
[201]
Es stiegt nun ein Taubenpaar sausend herüber
Und setzt sich jetzt gurrend, im Bäume, zur Ruhe;
Drauf gießt es auf einmal, es wird ringsum trüber,
Und ich der Verüber beschau, was ich thue.
Der Bergring gebart selbstersonnene Wolken,
Auch hat mancher Bach sich nach Farben gespalten,
Aus lockerem und ockrigem Boden wogt Molken,
Und Sandschleim und Milchgischt gleißt weiß auf Basalten.
Der Fluthsturz durchwuchtet das Wassertheater;
Der Schluchtschluft entgruselt der Indus, der Ganges.
Granitgrat, Du bist auch des Euphrat Felsvater,
Der Tigris entrieselt der Nachtwand des Hanges!
Es gleicht jetzt der Wuthfluthen Ursprungswuchtwunder
Dem fallenden Barthaar des Wahlvaters Brahma,
Denn Ewigkeitsbleiche umgraut den Bekunder
Vom Anklang und Anfang im Allflammendrama.
Jetzt steh ich, mit Wehmuth dem Welternst ergeben:
»Du Ehrfurcht in mir, Du mein Tiefdlickgewissen,
Ihr Schaumwollustleiber, die bleich niederschweben,
Ihr Gischtkinder, rings in den Wirbel gerissen,
Du Nacktheit des Wassers im Schaumkatarakte,
Du Urbrunst und Unschuld im Hudelgetrubel,
Gedanke, der Scharten und Grate zerzackte,
Entschleiere die Frucht unterm Gischtsudgejubel.«
Im Nu stürtzt der Wuthsturz nun selbst eine Brücke:
Ein prachtvolles Bogenroth loht aus dem Wasser,
Und Gelb schwellt, und Blau schaut, und Grün füllt die Lücke
Im Gluthrund am Fluthschlund. Und nun glüht ein blasser
[202]
Doch breiter, weitschweifender Veilchenkranz, sichtbar
Schon, mit in dem thorhohen deutlichen Bogen:
Und siehe, der Fluthguß und Gischt wird beschwichtbar:
Ein Loch hat die Wogen vielleicht aufgesogen.
Ja, tief unterm Fluthsturz kann Felsgrund erscheinen,
Und wuchtig entwächst jetzt ein Grat den Gewässern,
Ein Eiland aus harten und kahlen Gesteinen,
Entsteigt starr und farbig den glitzernden, blässern
Und langsam verrieselnden, flimmernden Schleiern,
Die bachkatarakthaft das Kap überdachen.
Dort will jetzt mein Geist eine Einweihung feiern
Und scharrt aus dem hohlen Granitgrottenrachen
Gemächer und prachtvolle, heilige Hallen:
Er kann seinen Felstempel herrlich entzacken:
Ich lasse in mir den Ballastwall zerfallen,
Und Schattenschalmassen zermalmen wie Schlacken.
Ich spür mich von Einsamkeitschmerzen zerfressen.
Ich fasse die Ohnmacht im Traumraum der Seele.
Nie werd ich die wirklichste Sehnsucht vergessen:
Ich preß mich durch schier unermeßliche Säle,
Ich werf mich dämonisch in wildfinstre Schlünde,
Und Glaubensgedanken umstarren mich heiter;
Ich staune nun selber und will meine Gründe:
Kein Traum aber zweifelt am Zeitbergbesteiger!
Die standbildgestaltenden Langergedanken
Entzieht mein Bewußtsein, im Kleid von Begriffen,
Jetzt langsam dem Traumbau, mit endlichen Schranken,
Und sieht seinen Felstempel fertig geschliffen.
[203]
Von Jubelbrunstfluthen und Bächen von Thränen
Verhüllt, überspült, und beim Sturz überschüttet,
Erfaß ich als Jungfrau mein inbrünstiges Sehnen
Und hüte in mir, was kein Suchtsturm zerrüttet.
Durch Urgluthbrunstunschuld und Reinheit des Gischtes
Kann prachtvoll das Weib sich im Geist offenbaren,
Stets darf ein durch Wassergeburt jungerfrischtes
Urdasein der Mannheit die Frau keusch bewahren!
Umkreist von den Wellen des Kesselgetreibes
Erscheint mir mein herrlichstes, lieblichstes Wesen:
Den Wuchtfels umschmeicheln die Flechten des Weibes,
Das selbst sich der Geist aus der Welt auserlesen,
Und Ruhe durchstrahlt alle Weltwechselfieber,
Obwohl jetzt die Farben des Bogens erblinden:
Doch was ich erschau ist mir tausendmal lieber,
Das Auge der Frau kann ich langsam empfinden!
Sie lehnt an der Pforte der Felstempelgrotte,
Die eben mein Forschergedanke gegraben,
Dort wohnt sie wohl ewig und hegt ihrem Gotte,
Im eigenen Leibe, der Welt Weibweihgaben.
Der Weg bis zum Tempel ist frei und ich wäre
Jetzt leicht bis zum liebreichen Weib vorgedrungen,
Doch ruf ich: »Ihr Fluchen erklärt Furth und Fähre,
Ihr wurdet just jubelnd und schluchzend verschlungen:
Jetzt dürft Ihr nicht schlürfend und summend verstummen,
Vermag ichs, den Grat, ohne Pfad, zu erklimmen!
So helft mir im Kummer, zertheilt die Unsummen
Von Schluckgurgelwirbeln zu wirklichen Stimmen.«
[204]
Ich weiß nun: ich habe die Sprache des Wassers
Und alles um mich ist nur Echo, Nachahmung:
Die That selbst ein Rückprall aufs Haupt des Verfassers
Der Eigenwelt, tief in der Traumrauschumrahmung.
Drum mag ich mich ernstlich der Jungfrau zuwenden
Und juble und schluchze, mit bebender Stimme,
Und hör erst das Echo von allen Wandenden,
von dem was da wimmert. Und schrei dann im Grimme:
»Oh sag und gieb kund allda, ahnende Nymphe,
Was schafft Dir das Wasser, dem Manne zu sagen,
Sei wahr, ich bewahr Dich vor jeglichem Schimpfe,
Ich nahe Dir nicht und will ferner nicht fragen.
Mein eigener Traum mag als Schaumhauch verzittern,
Die Urbrunst in mir laß ich leidwund enteilen,
Die Lust meiner Seele verzuckt in Gewittern,
Die andere Tage dereinst ernst zertheilen.
Es wird meine Dichtung ihr Eigenglück spüren,
Wohl mögen die holden Gefühle oft tauschen,
Doch nichts kann von meinem Gejauchze herrühren,
So bleibe denn keusch, Du Gesicht von Glücksrauschen.«
Nun schlagen auf einmal ganz rauchlose Flammen,
Im Umkreis der Jungfrau, hervor aus der Erde:
Sie müssen wohl tief aus dem Quarzpanzer stammen,
Sie zünden nichts an und ich seh keine Herde.
Mein Anruf doch gab jener Jungfrau die Gabe,
Durch folgende Sätze, mich tief zu belehren:
»Im Mannstamm die Flamme, im Weibe die Wabe,
Die laß Dir aus andern Gewalten erklären.
[205]
Du drangst stark und rasch durch den Sand der Sahara
Und sankst da ins Grab, wie Dir Ra das wahrsagte,
Du bautest ein Drama aus Quarz von Sakkhara
Und sahst, wie Chuenaten dem Epos entragte.
Jetzt fällst Du noch schneller zurück in dich selber,
Da giebt es bestimmt keinen Tag der Verweilung,
Doch werden die Träume schon heller und gelber,
Und siehe, Du fühlst auch bereits Deine Heilung.
Zwar trennt sich die lange Erdwandererspirale,
Die Schlange des Ra, jetzt stets mehr und stets starker
Von jener des Erdkerns, die gleich einem Strahle
Zur Sonne emporschnellt, aus tieffinsterm Kerker.
Zwar mußt Du als Mensch Deine Schwerwucht wegschleppen
Und fast Deine Seele, als Traumbild, verlassen,
Doch kennst Du bereits Deinen Weg durch die Steppen
Und weißt, wie dereinst Deinen Wunsch zu erfassen.
Das Weib macht dem Arier den Lichtumweg leichter,
Die Frau ist, als Erdweib, der Erdwabe näher,
Drum senkt auch der Mann, von der Höhe erreichter
Lichtspitzen, als ewiger Ellipsenbegeher,
Die eigene Seele zurück in die Seele
Des Weibes, das langsam, von Wabe getragen,
Dem Wandersmann nachklimmt und fast parallele
Strahlpfade betritt, um ihm nach aufzuragen.
So wird auch die Liebe der Menschen viel tiefer:
Sie giebt der Geschlechtlichkeit Mystik und Weihe,
Dann ist es am Lichtweg des Mannes, als rief er
Die Seele nur auf, daß sein Weib reich gedeihe.
[206]
Jetzt sind Leib und Seele beinahe verbunden.
Drum ist auch Dein Rücktritt noch nicht so beschwerlich,
Noch kann sich das Weib als Gefährtin bekunden,
Doch bald wird Dein Raubsteig der Frau zu gefährlich:
Dann klimmst Du allein und gedenkst Deiner Seele
Und suchst Dich an ihr und am Weib zu beglücken,
Dann hofft auch die Frau, daß sie Dir sich vermähle,
Und kann stets, durch Schmerzgeburt, ruckweis nachrücken.
Will später das Weib seine Schwachheit verwinden
Und kann die Genossin des Mannes erwachen,
So werden sich Seele und Leib wiederfinden
Und langsam die Pfade zum Lichte verflachen.
Du selbst aber wirst nur den Rückzug verspüren,
Und aufsteigend nichts als die Schaufelmüh fühlen,
Du wirst, bleich vor Schreck, blos ein Traumschaumbild küren
Und Spuklaunen, bis in Dein Grab, hinabwühlen.
Doch weißt Du, seit Sais, welchen Weg Du beschreitest,
Und siehe: Dein Traum wurde fremder und ärger,
Nur wußtest Du kaum, ob Du selbst ihn begleitest,
Und rings die Sahara ward nackter und kärger.
Zwar sinkst Du noch tiefer zurück in Dein Inneres,
Doch bald wird Dein Traum Dir den Weltaufschwung zeigen,
Denn alles was wird, das durchzittert ein dünneres
Und hilfreiches Feuer, das Indien zu eigen.
Es gleicht unser Land einem riesigen Herzen,
Vom Ozean, ostseits und westwärts, umflossen,
Beherbergt die Erde hier Berge von Erzen,
Und drin in den Grotten liegt Gold wohlverschlossen.
[207]
Im Norden verriegeln Gebirge die Pforten
Und halten den Gangeslandausgang verrammelt.
Und deshalb gehorchen wir stolz eigenen Worten,
Denn Kraft ist in allen uns tief angesammelt.
Wir gruben und suchten nach funkelnden Schätzen,
Wir grübelten nach und erwühlten Gefühle,
Die ätzten sich ein, an seeleinsamen Plätzen,
Und trieben uns rein aus der trüben Lustschwüle.
Das Mutterthum selbst hat die Weihe erschlossen:
Das Erdweib umgürtet sich kühn mit der Wabe,
Die reich aus dem Erdkern, im Lichtreich ersprossen,
Sie gab uns die Scham und das Mitleid als Labe.
Das geistige Reich, das in Indien erwachte,
Ist tief mit dem Innern der Erde verwachsen,
Zwei Wanderbranddrachen entwallen dem Schachte:
Der Gatsberge Richtungen sind ihre Aren.
Das Erdwabezwillingspaar theilt sich und schreitet
Der Sonne entgegen und folgend, nach Norden,
Die Gluth, die die Zugspuren mystisch begleitet,
Wird so einst, in Herzform, ein Weltstück umborden.
Denn das, was sich hier, fast als Gabel, gespalten,
Erstrebt doch ein Ziel, auf geschiedenen Wegen,
Zwar wird sich ein Drache fast krampfhaft erhalten,
Denn hart ist sein Brandkampf dem Tagball entgegen,
Doch muß sich der andere gar herrlich erweitern,
Um einstens den Bruder zu sich hin zu führen,
Und sieh, dieser Ernst soll Dein Herz jetzt erheitern:
Ich wähle für Dich Indiens westliche Thüren!
[208]
Ich selbst will den Träger des Tages gebären,
Oh, könnt ich mein Kind einst als Lichtkönig krönen!
Die Hingabe ist nur ein dankbar Verehren
Des größeren Mannes und Spenders von Söhnen.
Doch will auch die Seele ihr Lichtkind, voll Milde,
Der Welt ihren Sonnensohn, gottgleich, bescheeren;
Der Erdenschoß schenkt ihn dem Sonnengefilde,
Dann soll er hier oben das Wabewort lehren.
Wir Lichtkinder alle sind irdische Sünder
Und müssen ob unseres Daseins erschrecken,
Doch kann schon die Liebe des Mannes den Gründer
Des Reiches der Güte im Weibe erwecken.
Denn wisse: der Sonnensohn gleicht seinem Vater,
Und beide umstreben die Flammenumarmung,
Und kann man sich lieben, oh Wanderer, so naht er:
Der Geist reißt durchs Leidfleisch und heißt Welterbarmung!
Die Sünder, Gott selber der sündigt, erlöst er,
Daß Erdweib wird so einst geheiligt erscheinen:
Ein König ersteh mir, ein Lichtkindertröster,
In dem sich vereinigte Flammen verneinen!
Urjungferlich, ohne die Sonngluthbefruchtung,
Gebiert einst das Mutterthum rein seinen Heiland!«
So schluchzt nun das Weib in der Felsenverschluchtung,
Und Wabe umwallt schon ihr einsames Eiland.
[209]
Ich kann meine Jungfrau jetzt nimmer befragen,
Ihr Anblick hat wohl meine Einsicht beschwert,
Ich werde sie lange und tageweit tragen,
Bis einst sich die wandernde Wabe verzehrt.
Ich weiß, daß die Anfangshand nimmermehr rastet,
Es wäre die Ankunft zu wunschlos und hold,
Doch Wolken und Gipfel und Felsen umglastet
Sichselberbesitzendes, schweigsames Gold.
Und ich bin ein Schatten vergänglicher Träume,
Der ewig besitzlos sein Wesen verschenkt,
Ein Weiher, der selber befruchtete Bäume,
Zurück in sich selber, als Ansicht, versenkt.
Vielleicht schreit ich, streitend, den Dingen entgegen,
Vielleicht bleiben Lichtsprung und Nachtanbruch starr:
Vielleicht kann in mir sich der Tag schlafen legen:
Was bin ich, ein alles umfassender Narr?
Ich selbst bin ein Griff, Unbegriffenes zu pflücken,
Und sehend erwähl ich das Reife zum Mahl.
Die Aste, die, früchtebehangen, sich bücken,
Sind wohl so vernünftig wie ich, bei der Wahl.
Verlang ich beim Wandern, auf einsamen Pfaden,
Nach ruchloser Lust und versuch ich, zum Spaß,
Gewaltsam dem labenden Walde zu schaden,
So gleich ich dem Sturme, dem Stammfraß und Aas,
Die Wälder verderben und Städte verpesten!
Ich bin wie der Wirbelwind unstät und wild
Und irre, verwirr mich, wie er in den Asten,
Und wahllose Gesten verblassen mein Bild.
[210]
Vermag ichs vernunftvoll, den Gluthdurst zu stillen,
So braucht mich die Welt und gewährt mir auch Schutz
Und will, daß, vom Gaumen auf, Rauschadern quillen,
Und schafft mir Genuß, stets aus Ureigennutz.
Gewöhnt an den Frieden des Lebensgenießers,
(In dem erst die Wollust des Reifens ersprießt,
Die täglich die Frucht unterm Strahl des Begießers,
Voll Obhut und Freude am Werden, verschließt)
Wird wohl die Natur meine Stille erhalten
Und trachten, den sanften Betrachter der Welt
Stets jung zu gebären und gleich zu gestalten,
Da tief in den Wesen ihr Maß sich erhält.
Verließ ich auf einmal mein Dasein auf Erden,
So würde mein Waldaufenthalt hurtig ersetzt,
Mein Abgang wär trächtig an Austauschbeschwerden,
Wodurch ein Ereigniß Ergebnisse hetzt.
Ich selbst bin des Erdwerdens Reifevollstrecker,
Mein Seelenempfinden der Duft nur vom Duft,
Das Schmecken der Ernte ist Zweck für die Äcker,
Das Säen ein Sprung über jegliche Kluft.
Nun zeig mir, mein Inneres, die Frucht vom Gegrübel,
Der Wahrsagung Nachhall entschleire zuerst:
Des Wasserfallmaßes unsichtbare Kübel
Begreif ich als Rhythmus, durch den Du mich lehrst,
Die Einsicht ins Wesen begeistert zu steigern,
Denn schaffend nur treten wir gänzlich zu Tag:
Ein eigener Traum wird allein nichts verweigern,
Er zeigt erst wieviel in uns sprachlos brach lag.
[211]
Die Landschaft um mich ist noch immer gewachsen:
Die Wabe loht sott, denn es löscht sie kein Wasser,
Ihr Schatten macht haschende handartige Faxen,
Als wär das der Spukzug der Daseinserfaffer.
Ja, wahrhaft, der Abgang der Nymphe ließ Lücken:
Sie selbst ist verschwunden, die Arbeit blieb liegen,
Drum sammeln sich Schwaden, ins Sein einzurücken,
Und Höchstunwahrscheinliches fängt an zu wiegen.
Der Traum war zu groß, um sich jetzt zu erweisen,
Es kann sein Versprechen den Umfang nicht halten.
Es sei denn, die Welt rollt in Wahnwitzgeleisen
Und kann alle Räthsel ins Dasein einschalten.
Oh Wabe, oh Wabe, die Theben gerettet,
Da Du, wie ich ahne, die Flammen ersticktest,
So zeig Dich, unheimlich im Sein eingebettet,
Wie einst, als Du, fremd noch, mich dennoch bestricktest.
Und wahrlich, die Wabe zerschleiert, zerflattert,
Die letzten Glaststerne vernebeln, verblassen,
Doch bleibt nirgends Asche, da gar nichts verknattert,
Der Wabeschwall hat keine Spuren gelassen.
Dafür aber blühen die Sträuche und Bäume,
Ein Dufthauch und Blutrausch ist übrig geblieben
Und zündet die Blüthen an, schlüpft in die Träume,
Und alles fängt an sich ekstatisch zu lieben.
Was seh ich? Ein Paar scheint im Walde zu fliehen!
Die Nacktheit der Beiden, von Anmuth durchschauert,
Mag mächtig die Seelen zum Urwunsche ziehen.
Wo kauert der Feind, der mein Traumbild belauert?
[212]
Der Wald ist voll Keuschheit, oh, laßt Euch drin nieder,
Ihr dürft seine Düftelust überempfinden,
Ihr schlürft seine Sehnsucht ein: glühn Eure Glieder,
So müßt Ihr aus Wünschen die Wonne entwinden.
Verschlingt Eure Arme, als wären es Äste,
Und laßt drauf die Gluthküsse traumhaft erblühn,
Denn jede Umhalsung vertieft sich zum Neste,
Dem Jubelgefühle der Jugend entsprühn.
Was schreckt Euch, was kann Euch im Wald überraschen?
Die Schatten, die flatternd von Ast zu Ast hasten,
Sind Wabegespenster, die Glastfalter haschen,
Um dann mit den Fluchtgluthen ganz auszurasten.
Zwar scheinen mir dort jene Schatten gar eigen,
Die Wabe verglimmte schon lang, und sie weilen
Noch immer um uns, ohne matt zu verzweigen.
Doch fürchtet nichts, bald wird ihr Schwarm sich zertheilen.
Nun sagt mir, was macht Euch jetzt fröstelnd erbeben!
Des Mannes Pupille verstrahlt Diamanten,
Die Weibesblickperlen erschimmern ergeben,
Es ist, als ob beide die Sinne anspannten!
Wo harrt die Gefahr! Wie, verkrampfte das Dunkel!
Jetzt scheint es, als nahten uns Kriegselephanten:
Ein fernes Gesumme erwachst zum Gemunkel,
Dort kommt wohl ein König, gefolgt von Trabanten,
Die schildkrötenartig, geschützt von zwei Panzern
Und Helmen, mit ehernen, lauernden Katzen,
Jetzt plötzlich, und gleich bösen Waldfirlefanzern,
Hervorhuschen und mit verrunzelten Fratzen
[213]
Dem Liebespaar, ringsum im Urwald, auflauern.
Schon will eine Sippe die Flüchtigen anspringen,
Da scheint ein Gewitter den Wald zu durchschauern,
Und überall sieht man sich Schützer aufschwingen.
Es werfen sich Baren herab von den Zweigen
Und stemmen sich Einbrechern zornig entgegen,
Doch immer noch neue Verfolger entsteigen
Den Büschen, wo Bären die Wege verlegen.
Da fangen die Schatten verblaßter Erdwabe,
Die nimmer verzitternd nach Dasein verlangten,
Auf einmal an, grabbelnd, nach langem Geschabt
Am Waldrand, wo Handschemen lang und bang schwankten,
Ein Antlitz und leiblichen Gang zu erraffen;
Schon ordnet ein Zug sich behender Gestalten.
Und drauf schafft ein Ruck rings selbständige Affen,
Die stattliches Kriegergepräge entfalten.
Voraus saust ihr König mit goldener Krone,
Froh folgt ihm ein Troß mit blankblitzenden Lanzen,
Auch ficht manche Äffin, als Astamazone,
Gar listig jetzt mit, hinter Urwaldlaubschanzen.
Die trefflichen Schützen erklettern die Bäume
Und helfen den Baren, die Flüchtigen zu schützen,
Schon scheints, daß der Feind feig die Waldwahlstatt räume,
Da stürzen sich Unken aus Dschungeln und Pfützen
Und trachten, fast grunzend, das Paar anzuekeln,
Auch sieht man sich Fledermausschwärme erheben,
Und wie sich im Wegkehricht Spannferkel rekeln:
Drum wird es jetzt Zeit, daß die Zweige erbeben,
[214]
Daß alle Waldblätter, als Prachtpapageien
Davonfliegend, Fledermauswirbel vertreiben,
Und quakende Frösche, durch kindsartiges Schreien,
Die garstigen Kröten im Sticksumpf aufreiben!
Jetzt wird jede Astachsel gleichsam zum Neste,
Und allerhand Waldvögel folgen dem Zuge
Der Gluthkakadus und der gelben Festgäste
Der Äste, beim Dschungelsumpfstreitlustkriegsftuge.
Es wälzen die Bären die Säue aus Löchern
Und brummen, damit wir das Grunzen nicht hören,
Die Affen mit selbstsichanfüllenden Köchern
Beginnen die feindliche Wehr zu zerstören.
Sie stürzen sich stürmisch aus Thürme und Throne,
Die Kriegselefanten zum Kampfplatz befördern;
Sie schleichen behänd in die Tragpavillone,
Und manche Matrone erschrickt vor den Mördern,
Die frech alle Insassen zerren und zausen
Und muthwillig Menschen aus Käfigen wetzen
Und anfangen Damen der Hofwelt zu lausen,
Um Thierchen von sich in den Zopfschopf zu setzen.
Das macht selbst die würdigen Staatstrampler ruppig,
Sie wollen nicht länger das Affenpack tragen,
Doch drinnen im Kasten sind allesamt struppig,
Drum packt oft ein Rüffel ein Fräulein beim Kragen.
So kollern die Buckelbewohner zu Boden
Und kugeln, von Affen umhalst, in die Pfützen,
Da fängt sich, durch alle die Plumpsepisoden,
Der Einhufergleichmut an stark abzunützen.
[215]
Und wuthentbrannt stürmen die laufenden Hügel,
Mit Thronen und Schlössern und Götterpagoden,
– Doch ohne Geduld und Vernunft oder Zügel, –
Hinein in den Wald, wo Verfolgter Kustoden
Sich eilfertig waffnen, den Angriff zu hemmen.
Es senken die Bäume von selbst ihre Aste,
In dichtes Gestrüppe den Feind einzuklemmen,
Und bilden dadurch eine lebende Veste.
Nun spannen die Äffinnen Ranken und Kränze,
Um rings Elephanten zum Stolpern zu bringen;
Sie trachten auch listig der Waldstampfer Schwänze
Jetzt untereinander gewandt zu verschlingen.
So wird jede feindliche Festung gefangen,
Der Hof und das Harem des Königs geschändet,
Doch hofft noch der Herrscher zum Paar zu gelangen,
Und jetzt wird dazu gar ein Magier verwendet.
Der kann dem Gebieter nur eines versprechen:
Ihm selber, alleinig, doch fast bis zum Paare,
Ganz heil und gesund einen Weg durchzubrechen,
Damit er es dort lustverschlungen gewahre.
Der Herrscher greift zu, und schon knistern die Zweige:
Die Flüchtlinge fühlen den Sieg ihrer Liebe,
Da ist es, als ob sich ein Greisenhaupt zeige
Und gleich alle Unschuld der Nacktheit zerstiebe.
Es flattern die buntesten Blumen der Runde,
Als Schmetterlingsschwärme herbei und bedecken
Mit Blumen den Leib ihrer Jungfrau, im Bunde,
Und schützen die schamvollen Seelen vor Schrecken.
[216]
Und glänzende Käfer entschwärmen den Ästen,
Die Nacktheit des Jünglinges hold zu verhüllen.
Nun ists, als ob Panzer die Glieder umpreßten,
Ein Schutz und ein Keuschheitsgebot zu erfüllen.
Der Greis blickt jetzt grausam enttäuscht auf die Jugend:
Sein Wunschweib vergab sich, ein anderer bekam es,
Und brunstgeil, durch Buschwerk und Thränenthau lugend,
Verharrt er noch lange am Platz seines Grames.
Verheimlicht die Jugend sogar ihre Reize!
Was bleibt da dem Alter noch länger zu schaffen!
Kaum kann man sich spreizen; vom gräßlichen Geize
Besessen, gehts schwer mehr, sich Lust zu erraffen.
Die Traumbraut lehnt still an der Brust ihres Freiers,
Der Jüngling hat alles, ach, alles errungen!
Der Greis sieht den Sieg durch den Gischt eines Schleiers,
Denn Bäche von Leid sind den Lidern entsprungen.
Die Thränen des Alters sind frisch wie das Lachen
Der Jungen, die glücklich zusammen erzittern,
Auch kann oft ein Greisenblick Blitze entfachen,
Und Schmerzschleier werden zu Brunstdunstgewittern.
Der König soll donnern, doch stockt seine Stimme,
Da wirken sein Haß und sein Lähmungsschreck magisch,
Die Nagegedanken, der Wuthbruch im Grimme,
Umschwirren ihn eingepuppt, leiblich und tragisch.
Dann wallen sie langsam zu Gattin und Gatten,
Doch fliegen schon Bienen herbei und verscheuchen,
Als schwebende Helme, die flatternden Ratten,
Die endlich, gehetzt und zerstochen, verkreuchen!
[217]
Der Greis schweigt. Verbleicht! Und die schneeweißen Flechten,
Sein Bart, scheinen langer noch niederzuwallen.
Sie ringeln und kräuseln sich, gleich kunstgerechten
Gelegenheitslocken. Und wachsend umwallen,
Verschnallen sie Bündel und Büschel mit Zweigen
Der lebenden, himmelwärts wachsenden Bahre:
Gleich zeigt sich der Geier fleischwitternder Reigen,
Doch bergen den Leichnam jetzt Aste und Haare.
Dem Paare im Walde verschaffen die Thiere
Die herrlichsten Steine und Schleiergewänder,
Sie ziehen erbeutete Szeptersaphire
Und Kronenrubine eroberter Länder
Hervor aus den Truhen des fremden Thronschatzes
Und freun sich, damit die Verfolgten zu schmücken;
Im Raum um das Paar, auf der Flur des Waldplatzes,
Erscheinen rings Diener und füllen die Lücken
Der Aste und Wipfel mit Leibern und Schleiern.
Ernst senken zwei Tauben die Schaumhemden nieder,
Und Mantel, gehalten von schwebenden Reihern,
Umarmen dann langsam der Brautleute Glieder.
Ganz ruckweise schwärmen die Käfer und Falter
Nun auf von den Leibern, die hold sich bekleiden.
Doch Affen, die eifrigsten Putzumgestalter,
Benehmen sich keck und zumeist unbescheiden.
Sie geben sich viel mit den Spiegeln zu schaffen:
Die Äffinnen ärgern die eigenen Grimmassen,
Drum trachten sie Bilder der Frau zu erraffen
Und spiegeln sie links und rechts, frech, ausgelassen,
[218]
Und können es nimmer, beim Draufblick, verstehen,
Weshalb jene Züge so haltlos verblassen,
Hingegen die eigenen nimmer vergehen
Und niemals das lebende Glashaus verlassen.
Jetzt kapern die Affen des Greises Prunkbarke
Und rudern sie wuchtig herbei bis zum Paare,
Fast ists, als ob jeder da sichtbar erstarke,
Ja, alle sind schon wahre Prachtexemplare.
Der König der Affen sitzt sicher am Steuer
Und späht, ob sich keinerlei Unholde nähern.
Wahrhaftig sein Wesenskreis scheint nicht geheuer,
Denn nirgends noch stach man die Feinde mit jähern
Blitzspitzen, als hier dieses Thierherrschers Blicke
Vergiftend, vernichtend die Bösartigen treffen.
Und da es fast ist, als ob Rudern erquicke,
So trachten die Bären das Thun nachzuäffen
Und machen sich gleich um die Stricke geschäftig.
Doch nicken sie allzu geschwind mit den Köpfen
Und thun, trotz der Plumpheit, so überaus heftig,
Daß bald Bauch und Brust rudern, Athem zu schöpfen.
Das Brautpaar steigt ein, und es rudern die Affen
Die Barke, durch Röhricht und Algen, vom Lande,
Wo Feinde mit Packelephanten und Waffen
Im Walddickicht stecken, nach sicherem Strande.
Sie fahren durch Dschungeln und enge Kanäle.
Es bildet der Urwald unendlich viel Pforten.
Das Brautpaar umjubelt die ganze Waldseele,
Denn Thiere begrüßen es jetzt allerorten.
[219]
Die Fische umspringen den Kiel und die Ruder
Und zeigen den hellbunten Bauch ausgelassen,
Und selbst Krokodile ziehn mit, um ein Luder,
Das abfallen könnte, im Nu zu erfassen.
Das plätschert und gischtet gar lustig durchs Wasser,
Die Singvögel zwitschern dazu ihre Lieder,
Und oben am Aste, da hockt mancher Hasser
Des Daseins und sieht unwillkürlich hernieder.
Den Mahatma kann man am Mantel erkennen,
Der erdgelb stets auffällt, wo immer die Zweige,
Vom Walderemiten belastet, sich trennen,
Und jedermann vorerst vermeint, oben zeige
Sich fahl zwar, doch klar ein Stück Himmel im Walde;
Und Schreipapageien umschwirren im Kreise
Die Schallbahn der Barke durch Waldgang und Halde,
Und Lichtfalter folgen dem Schaumspurgeleise.
Das Siegerpaar naht einer sichtbaren Insel;
Da fängt das Geäst an, den Feind zu befreien,
Und hörbarer wird nun ein schwaches Gewinsel,
Weil Menschen und Thiere gleich, wachwerdend, schreien.
Es ist das die Zeit, da Gazellen und Hirsche
Rings anfangen wild ihr Geweih abzuwetzen,
Drum kriegen die Aste gar häufig unwirsche
Geweihstöße, die ihnen Thiere versetzen.
Beim Äsen und Schnuppern im dunkeln Geäste
Will öfters ein Männchen ein Weibchen bespringen,
Dann knicken die Zweige, und tiefeingepreßte,
Vom Buschwerk umwucherte Wesen entschlingen
[220]
Sich langsam ringsum aus dem Waldlaubgefängniß;
Zuerst sehn sich zwerghaste Krieger entschlüpfen,
Die gleich die Gefährten aus arger Bedrängniß
Befreien, indem sie Laubknoten aufknüpfen
Und dichtes Geäst, mit den blinkenden Schwertern,
Ganz einfach und forsch jetzt, der Reih nach, aufhauen.
So wird bald den stärkern und kriegskunstgerechtern
Gewaltelementen, die Lauben umstauen,
Ein Ausweg aus feindlicher Waldhast bereitet:
Jetzt können schon Menschen und selbst Elephanten
Die Lichtung, die rings vor den Blicken sich breitet,
Behäbig beschreiten: statt schlafübermannten,
In Waldnacht gebannten, gefangenen Soldaten
Besitzt so der Erbe des Reiches des Greisen,
Der eben gestorben, ein Heer von probaten
Genossen, entschlossen sich treu zu erweisen.
Jetzt denkt man vor allem ans Königsbegräbniß,
Das weite Veranstaltungsumsicht gebietet:
Vorbei ist ja nun das Gefängnißbegebniß
Im Dickicht, das jeglichen Lichtblick vernietet!
Doch als noch sein Wachsen das Heer schwer bedrängte,
Verrenkte und streckte sich immer der Leichnam:
Auch schwand dessen Haar, das sich Pflanzen verschenkte,
Da bald es der Wald in den eigenen Bereich nahm.
Ja, wuchtige, weißliche Wollbäume wuchern
Jetzt rings um den eben verschiedenen Riesen,
Auch nützt gleich der Fund diesen Buschwerkdurchsuchern
Die hier, mittendrin in den Fruchtparadiesen,
[221]
Im dichten Gewirre von Myrthen und Linden,
Von Mangos, Katappen und Ebenholzbäumen,
Auch Fasern zum Weben und Einhüllen finden,
Um leichter dann Schäume der Wildbrunst zu zäumen.
Der Leichenzug zieht nun, nach mehrstündiger Mühe,
Durch Haine von Palmen und heiligen Feigen,
Es scheint, daß zur Feier der Lodrahbaum blühe
Und manche Padmakastammzweige sich neigen.
Es kann sich von selbst jetzt ein Urwaldweg bahnen:
Wie Schlangen entschleichen spiralhaft Bananen,
Udumbarafeigen und Myrobalanen
Umwandeln sich langsam zu Affenaltanen,
Da rings, überall, sich die Waldthiere stauen,
Verwundert, aus Lauben den Zug zu erschauen;
Denn Brustwehren scheinen sich steil aufzubauen,
Weil Brustbeerbaumranken sich armstark vertauen.
Und Dschungeln, umgeben von urstummen Muscheln,
Wo munter die Unkenbruthnumen sich tummeln
Und suchen, sich Lustsucht durch Brunst zuzutuscheln,
Umsummen Unsummen von Brummeln und Hummeln.
[Natur, wie reich und hehr mußt Du in uns erscheinen]
Natur, wie reich und hehr mußt Du in uns erscheinen,
Da nur, was sich vertiefen wird, ins Dasein stürzt:
Und kann mit Fernem Durchempfundnes sich vereinen,
So fühlt man, wie ein Wunder die Erfüllung würzt.
[222]
Doch könnte jeder seinen Schlummerkern erkennen,
Entbehrten wir der Räthsel heilige Prachtgewalt;
Und alles, was die Menschen weltharmonisch nennen,
Erschräcke uns als zackenlose Ungestalt.
Und dennoch will ich die Vernunft zur Reife bringen
Und trachten, daß die Frucht in einen Urschlund fall;
Nicht jedes Ei muß sich zum Himmelsflug beschwingen,
Nicht jedem Wunsch entsprießt ein Sehnsuchtsschwall!
Die Ruhe sucht, erträumt die Blume, die verduftet:
Zum Frieden treibts die Menschheit, die Erkennmiß will:
Im Eigensein, in Seelen, schreck und felsdurchkluftet,
Beschwichtet sich die Brunst und liebt sich wieder still.
Die Leidenschaft, die Bäume, Träume, Bilder zeitigt,
Und stets verschiedenes aus dem gleichen Trieb erwirbt,
Wird leider nie vom Eigengeist verneint, beseitigt,
Bis nicht dereinst der Erdensehnsuchtswirbel stirbt.
Die Waldung scheint verführerisch und überglücklich,
Doch bald erwacht bewußt der Wind, der drinnen jagt,
Und es zerstückt, entzweit sich dann was unverrücklich
Sich selbst verschweigt, bevor die Arbeitsunrast tagt.
Nein, nein, mein Traum, Du kannst mich nicht bethören:
Ich mach mich leicht von Lust und Schönheitsräuschen frei,
Ich mag den Jagdruf meiner Tagbrunst nimmer hören,
Ich hole meines Wesens Ende selbst herbei.
Der krumme Weg, den diese Menschheit steil beschreitet
Und den sie immer völkergruppenweis erklimmt,
Ist jedem Einzelnen, der frei sein Dasein sich bereitet,
Zum Schlusse doch ganz gleich, vom Ursprung an, bestimmt!
[223]
Der Eine kargt, um seinen reichen Geist zu schärfen,
Ein Andrer schwelgt, weil innere Armut es verlangt,
Ein Späterer kann ins Weltall tanzend Sphären werfen,
Wo vielen vor der eigenen Geschlechtskraft bangt.
Ein jeder wird an seinem besten Platz geboren,
Verbrecherisch, asketisch, menschlich Weib und Mann:
In Waisen, Henkern, Narren, Dichtern, Krüppeln, Thoren
Steigt jegliches Bewußtsein gleich und steil hinan.
Ich habe ganz bestimmt das Meiste schon erfahren:
Ich war einst Mörder, Sänger, Dirne, Büßer, Held:
Ein jähes Ende doch und tausend Taggefahren
Ersparte mir vielleicht das Gleichgewicht in dieser Welt.
Und jetzt, in einem besseren und leichten Leben,
Erwartet mich bestimmt bereits ein Überfall:
Ein Schicksalseinbruch muß sich logisch oft ergeben,
Denn selbst zieht man ihn an, im Unzeitintervall.
Doch nein, die Menschheit muß das alles durchempfinden:
Mein Wesen ist nur einmal hier am rechten Platz:
Ich soll ein Vorspiel wohl mit Späterem verbinden,
Und mein Bewußtsein bleibt im Schicksalsbuch ein Satz.
Ich tauche ja, als logisch schuldloses Ergebniß,
Im Dasein auf und fühl ein Theil vom Weltenleid:
Doch mein ist kaum das einzige Jetzterlebniß,
Nein, nein, ich werde durch den Tod befreit!
Ich habe keine Seele, die unsterblich leidet,
Und schrecklich wär es, würde eine mir zu Theil,
Der Lebensgriff, der mich in Daseinsformen kleidet,
Verwelkt, und sein Verdorren ist mein eigenes Heil.
[224]
Oh Seele, meine Furcht, und wenn Du trotzdem fortbeständest,
So würde ich Dich tiefbegreifend dennoch los,
Du bist und leidest, weil Du Dich zu Fernem wendest,
Doch ich verschränke Dich in meinem Eigenschooß.
Ich bin die Frucht, die stirbt und keine Wurzelfühler
Und keine Blätterflügel in das Zeitreich streckt,
Ich bin ein kühler Grübler und vernünftiger Schüler
Der Erde, die Lichtherde in sich selbst erweckt!
Ich will keine Seele, vernehmt es Ihr Berge,
Und gebt mirs vielstimmig, als Echo, zurück!
Ich will keine Seele, so schreit es, Ihr Zwerge,
Ihr Riesen: denn dies ist mein Weltzuchtmeisterstück.
So schreit es noch lauter, dann kann ich es glauben:
Ich will keine Seele! Das Leid ist besiegt!
Das Grab ist ein Ende. Die Leiber verstauben.
Mein Ich wird zurück in den Schlummer gewiegt.
Es giebt keine Seele: das Erdwabenfieber,
Die innerste Gluth bringt uns Lebensverdruß.
Sie würgt die Mannflamme. Doch dies ist mir lieber.
Sie hilft, daß ich nimmermehr Mensch werden muß!
Ich seh einen Friedhof, von Träumen befruchtet:
Die Vorstellung reckt Grabkolosse empor,
Das Thal, das mich anstarrt, ist dunkel verschluchtet,
Und steigende Stummheit verschleiert ein Moor.
Durch Werdesturzurwucht und Sehnsucht zum Lichte
Entsteigt mancher Grabklotz, als Phallusgebild,
[225]
Und ringsum, wohin ich die Blicke auch richte,
Entragt die Begierde dem Lichtbrunstgefild.
Die furchtbarste Erdfurche, gleich einer Scheide,
Vertieft sich und klafft unter jeglichem Grab,
Der Stein und die Grube erhalten drum, beide,
Den Urspalt getrennt, der sich Tagdasein gab.
Die Gruftstümpfe, ursprünglich gleich, doch verschieden
Verzapft und verzackt und stets lichtwärts gewandt,
Umziehn ihre Schatten mit stumpfen, stupiden
Verreckungen, knapp schon beim Eigengrabrand.
Das da aber sind unsere wahrhaften Seelen:
Sie werden zu Mittag verdickt und verkürzt:
Jetzt wachst noch der Traumwall: doch wird er einst fehlen,
Begreif ich, warum man dann grufteinwärts stürzt.
Es giebt keine Seele! Laut kann ich es schreien.
Ich sink schon ins Lock, dem ich kaum erst entkroch.
Du hast keine Seele! den Phallusgruftreihen
Entgähnt schon das Ende. Ich bin nicht ..... und doch?
[Den Gipfeln und Riegeln, die rings sich belaubten]
Den Gipfeln und Riegeln, die rings sich belaubten,
Entschnellen auf einmal unendliche Kegel.
Was will sich vor mir gluthentfesselt behaupten?
Es ist, als ob Stummheit im Nebelschiff segel.
Von Zeit zu Zeit kann sich das Dasein verheißen!
Und Urbrunstgluth muß uns zum Ursprung berufen!
Ich seh jetzt die Erde Glastkrater aufreißen
Und Felszungen zuckend sich starr überstufen.
[226]
Doch stumm sind die Kletterblitzdonnerwuchtspuren,
Es wird wohl ein Wort bald das Weltall durchgellen.
Es sammelt, beim Rasten der Tagkreaturen,
Sich stets die Gesangskrast, vor Anspruchsapellen,
In Herzkammern an, um dann rasch zu erwachen.
So wird auch die Erde ihr Fieberlied hören,
Doch vorläufig wachsen noch Zeugen aus Rachen
Und Kratern empor, um das Sein zu beschwören.
Der Felskegel fünf recken, handhaft verbunden,
Sich steil über mir in den schweigenden Äther,
Und siehe, sie bluten aus furchtbaren Wunden,
Und jegliche Schramme wird stets aufgeblähter.
Dann schrumpft jede anders verrunzelt zusammen,
Nun kann sich der Handschatten plötzlich verkneten,
Auch er scheint dem selbigen Arm zu entstammen
Und will seine Wirklichkeit thätlich vertreten.
Ein eben verknorpelter Finger empfindet
Den Spender der eigenen Schattensaumseele,
Drum merk ich, wie einer den andern umwindet!
Der Wirklichen Größter trägt seltene Juwele.
Er kann sich nicht krümmen. Er stellt die Probleme
Und läßt sich von Augen des Schattens bestaunen.
Ein anderer besteht, da ich selbst ihn vernehme,
Und der kann dem Schattenohr Dasein zuraunen.
Der vierte, der dünnste und schwächlichste Finger,
Verschrumpft ohne Knöchel und sucht seinen Schatten,
Der rüsselhaft schnuppert, als wäre er Ringer,
Mit Wucht anzupacken; doch beide ermatten
[227]
Und ziehn sich verekelt zurück, so wie Schnecken
In Krampfschaalen, diese in Eigenschleimwände.
Der letzte bleibt wund, und, bedeckt von Blutstecken,
Beleckt ihn des Schemen erhebendes Ende.
Die Hände, die beide sich ängstlich ergänzen,
Sind Männlichkeit, Weiblichkeit, engangegliedert:
Die, Umrisse sprengend und trotzdem in Grenzen,
Sich selber, im Nebengeschlechte erwidert,
Urinnig genießen und sinnlich begreifen,
Doch ich kann sie dreifach, als Drittes, ermitteln:
Sie schaffen den Raum, den Gedanken durchschweifen,
Und Willenskraft schließt sich, mit jenen Zweidritteln
Des Menschenbewußtseins lebendig zusammen;
Und zwiefach erkenn ich, durch Sprache und Geste:
Es muß, was stets wechselt, sich selber entstammen,
Denn hier giebts nur Gluth, Luft, die Fluth und das Feste.
Drum seh ich auch Leichtigkeit, Fluchtsucht und Dauer,
Urrundwucht, Weltwechsel, Verfall und Allschmiegung,
Als sieben bewegliche Glieder auf Lauer
Nach einer vom Dasein geforderten Biegung.
Noch vier solche Wuchtgruppen sieht meine Seele,
Als irdische Gottheit, das Dasein gestalten.
Wer kann sie beschreiben! Ich staune und zähle
Die Handpalmen, die sich aus Armschaften spalten!
[228]
Ein Felstempel leidet und bebt jetzt lebendig
Und blickt in sich selber, mit allerhand Augen,
Ich selbst bin mehr drinnen und sehe inwändig
Die stetswunden Fühlspitzen Blut einwärts saugen.
Der sinnlichempfindende Zackenkamm gliedert
Sich achtzehnfach, leidvoll und lustreich, vom Stocke
Der fünf Gefühlspitzfühler los und erwidert
Dann sechstens, verrunzelt, verwirklicht, als hocke
Im Innern des Tempels, in selbstheller Engniß,
Verpriestert ein Finger, bewußt das Empfundene:
Er sperrt, was er spürt, ins Gedächtnißgefängniß
Und ihm nur verdankt sich das Rhythmischverbundene.
Den sechs Weltempfindungen setzen Gesichter
Sich, zerrbildhaft spiegelnd, genau gegenüber,
Drum ändern sich stets ihre Selbsteinblickslichter:
Entrückt die Empfindung, so werden sie trüber!
Erhebt sich der Finger der Eigenempfindung,
So scheint sein Gesicht ihn halbstarr anzustaunen;
Verbirgt er sich aber, als Brunstimpulswindung,
Verräth sich sein Schrumpfruck durch Auflachkrampflaunen.
Die Finger sind blaß. Und des Welttraumes Buntheit
Ergießt sich wahltrefflich ins All aus Pupillen:
Und ebenso trachtet das Erdsein die Rundheit
Und Rhythmensymmetrik, durch Ruhlust und Willen,
Die urfest bestehn, in uns zu erzeugen:
Und Süßgeschmack, Wollustduft sichern und regeln
Ideen, die unter sich Werdendes beugen,
Und zwingen sich stets, sich als Bild einzukegeln.
[229]
Der große Koloßklotz beruht auf Wühlfüßen,
Die zwei über fünfzig Gefühle verspüren,
Oft kann eins das andere stark übel versüßen,
Wo einige, vereinigt, das Leid herbeiführen.
Im Innern des Tempels verknüpfen die Enden
Von neun mehr als achtzig Welthanden als Herz sich
Und wollen, vertieft schon, sich Selbstdasein spenden
Und sitzen auf mir, denn stets bin ich inwärts Ich.
Doch tiefer als ich noch, im Schooß des Kolosses,
Erblick ich den Freiheitsohn selbsthell erleuchtet,
Dort reift er heran, in der Pracht eines Schlosses,
Und thront schon am Lothes, der nie sich befeuchtet.
Wahrhaftig, ich sehe das herrlichste Wunder!
Die Erde wird selbst ihren Heiland gebaren;
Erst wurde der Mutterleib runder und wunder,
Doch fängt jetzt der Geist an, das Fleisch aufzuzehren.
Das Kind, wie der Morgen im Irislichthemde,
Verweilt ernstbedenklich, von Engeln umlächelt:
Und Krüppel und Bettler entsendet die Fremde,
In welche der Wind schon die Botschaft gefächelt.
Wer bucklig war, schreitet heran wie ein Ritter.
Die Stummen beginnen Heilshymnen zu singen.
Die Blinden erschreckt noch das Taglichtgeflitter.
Und alles, was taub war, erhält Seelenschwingen.
Der Seele entreißt sich das Ursprungsgedächtniß.
Was eingesperrt war, überspringt seinem Kerker.
Die Menschheit erwirbt und verbirgt ihr Vermächtniß,
Denn ringsum erscheinen Ereignißvermerker.
[230]
Dem Himmel entsteigen jetzt Weltschlundkometen
Und wallen als Urwabezungen hernieder.
Das Kind aber wächst durch die Kraft von Gebeten
Und strahlt durch des Mutterleibs Honiggoldglieder.
Der Sohn kann der Mutter die Schönheit verleihen:
Der einfache schlanke Geburtszweckgedanke,
Wird alles jetzt weibereich, rhythmisch anreihen,
Und üppiger bleibt nur die Weltfruchtschaalflanke.
Und selbst alle Thiere durchzuckt das Menschwerden
Des Sohnes der Erde, der gar nicht empfangen
Und lustunbesteckt, ohne Schmerz und Beschwerden,
Im Mutterleib Kraft hat, sein Werk anzufangen.
Ein hellblonder Löwe vergnügt sich mit Kindern.
Und goldene Gänse durchstiegen den Äther,
Durch Liebesdurstbotschast Lustsehnsucht zu lindern.
Die Tigerbruth selbst sendet sanfte Vertreter.
Die Schlange Ananta verkrümmt sich als Brücke
Und läßt still die Thierstuch den Pfuhl überschreiten.
Die Singvögel jubeln von fristfreiem Glücke
Und lassen sich angstlos von Falken begleiten.
Im Waffer die Fische erheben die Köpfe
Und scheinen bereits die Verheißung zu hören:
Als ob dieser Freiheitssohn Erdfieber schöpfe,
Gelingt es jetzt Wildheit und Maß zu beschwören.
Ein Edelhirsch stürzt nun, mit goldenem Geweihe,
Gehetzt, aus dem Urwald hervor an die Lichtung,
Es scheint, daß der Heiland ihm Beistand verleihe,
Denn selbst bricht und lenkt sich der Pfeile Flugrichtung.
[231]
Es kann ihn kein Menschengeschoß je erlegen:
Verfolgen ihn ringsum auch hungrige Jäger,
Und rennen ihm einige hurtig entgegen,
So tauscht er gewandt jeden Fluchtwegverleger.
Wohl sind die Verfolger mit Blindheit geschlagen,
Denn niemand vermag es, das Kind zu erblicken,
Und jedermann trachtet die Thiere zu jagen,
Um endlich mit Speise den Leib zu erquicken.
Doch keinem gelingt es, ein Thier zu erhaschen:
Die Beute entgleitet sofort allen Händen,
Das kann zwar die Jäger gar stark überraschen,
Doch niemand befiehlt noch die Jagd zu beenden.
Verzweifelt, von Hunger gepeinigt, entschließen
Sich, fiebernd, die Menschen jetzt Beeren zu essen,
Doch selbst diese Früchte sind nicht zu genießen,
Es scheinen die Finger stets Perlen zu pressen.
Ein halbharter, dickfeuchter, prickelnder Reifen
Verteidigt auf einmal die mindesten Kräuter:
Die Menschen versuchen ins Obstfleisch zu kneifen,
Doch alles hat Stacheln, und nichts als Dickhäuter
Beherbergt der Forst jetzt, und selbst durch den Äther
Gelangt das Geflügel ganz heil, aus Gefahren,
Zum Wabealtar, wo die letzten Verspäter
Im Luftreich sich still um den Freiheitssohn schaaren.
Jetzt sehn sich die menschlichen Jäger den Schrecken
Des Endes durch Hunger und Furcht preisgegeben:
Ihr Bangen ums Dasein kann Mitleid erwecken,
Und Tauben beginnen erweicht zu erbeben.
[232]
Die fiebernden Thiere, die nimmermehr grasen,
Sehn wehmuthsvoll auf zum vermenschlichten Leiden,
Da sieht man auf einmal, erstaunt, einen Hasen,
Das Jägervolk auffordern, ihn auszuweiden.
Sofort wird das Opfer des Thieres vollzogen.
Doch kaum ward der Hase vom Menschen geschlachtet,
So steigen der Wabe schamkräuselnde Wogen,
Im Geiste der Jäger, der jäh sich entnachtet,
Gewaltsam empor: und auch sie packt das Wunder.
Sie sehn schon ihr Opfer sich goldroth erleuchten,
Ihr Leib fühlt sich satt an, die Seele gesunder
Wie je noch, wenn Fasttage Krankheit verscheuchten.
Jetzt fängt sich im Erdleib das Kind an zu regen.
Viel heller und greller noch blendet es alle.
Der Mutter entsteigt es und spendet den Segen.
Und gleich einem Leuschrei durchbebt es die Halle:
»Ich bin! das Martyrium der Erde verschwinde:
Mein Dasein erheischt aller Gottheit Verneinung,
Mein Licht blinkt von innen, und mild und gelinde,
Durchzieh ich die Welt als Urfriedenserscheinung.
Bald habt Ihr den Brahmakrampf ganz überstanden,
Die Tagkraft, der Arbeitsdrang darf rasch verfallen,
Das Licht aber geht Euch dafür nicht abhanden,
Es mag aus Euch allen ins Ätherall wallen.
Es wird jedes Kalpa aus mir jung geboren,
Die Felsen erschüttert mein Erdlichterklimmen,
Aus Seelenschluchtthoren zu Mutterleibsohren
Verkünden mein Kommen komethafte Stimmen.
[233]
Vernehmt meine heutige Seelenverheißung:
Die Wabe in mir, die ich machtvoll entfalte,
Verspricht Euch die herrlichste Lichtschmerzentreißung
Und schließt manche Scharte und Taggattungsspalte.
Es kann Euch der Hase der Umwelt versöhnen,
Denn jetzt bleibt die Wabe den Erdkindern nahe,
Kein Opferthier soll je zum Sonnengott stöhnen,
Damit sich das Fatum der Tagkraft bejahe.
Ganz schonungslos dürft Ihr nun keines mehr tödten,
Das Lebensleid sollt Ihr gemeinsam verneinen,
Das Weib, das mich jetzt ohne Schmerzschrei und Nöthe
Gebar, aber darf Euch noch unrein erscheinen.
Auch wird meine Mutter nach knapp sieben Tagen,
Nachdem sie mich sichtbar zehn Monde getragen,
Als unbefreit sterben, und weitere Plagen
Erwarten das Weib, doch laßt mich das sagen:
Nach mir kann dereinst sein Befreier erstehen,
Das Jungfrausymbol bleibt auch dann noch erhalten,
Das Kind aber wird mit entsetzlichen Wehen
Den Leib seiner schreienden Leidmutter spalten.
Das Weib jedoch wird dann am Leben verbleiben
Und sehn, wie die Menschheit den Erdheiland peinigt,
Ein Opferlamm nochmals sich willig entleiben,
Das Weib aber dann mit dem Manne vereinigt.
Die Wabe muß stumm um den Lichtaltar wallen
Und langsam den Gott mit dem Sohne vereinen:
Die Sünde dereinst auch vom Fleischgenuß fallen,
Und so sich das Jungfrausymbol selbst verneinen.
[234]
Dann werden verschiedene Mütter, vom Manne
Geschwängert, den eigenen Erdsohn gebaren,
Die Wabekraft kann einst, von Spanne zu Spanne,
Dem Tagjammer Helfer der Wahrheit gewähren.
Doch merkt es, die Wabe hilft ewig den Rassen,
Die rastlos sich aufwärts zum Lichtspender schwingen:
Und kann sie der Vater im Menschthum erfassen,
So dürft Ihr das Reich freien Friedens erringen.
Da giebt es aus Erden einst keine Verneinung:
Die Flamme wird tief in die Erdwabe greifen,
Die Liebe tritt wieder als Urlichterscheinung
Ins Dasein, zu welchem wir allesamt reifen.
Schon wartet im Norden der Hort der Befreiung:
Er schlummert im Schatzberge, Meru geheißen,
Und selbst meiner Wiedergeburt Prophezeihung
Verkündet er kühn, Völker an sich zu reißen!
So nennt mich denn Buddah und hört diese Wahrheit:
Ich werde im Dunkel der Menge verschwinden,
Mein Dasein verliert wieder langsam die Klarheit,
Mit der mich die leidreichen Menschen empfinden.
Ich gleiche dem Monde, der traurig verscheidet,
Sich selber erfüllend hingegen die Erde
Gar freundlich belächelt und Lichtschäfchen weidet,
Denn seht doch, auch ich sammle stets meine Heerde.
Bevor ich im Glanz meiner Machtpracht erstrahle,
Vergleicht mich dem Monde, in dem ich den Hasen,
Als Abbild vom sanften Verzichtideale,
Dort selbst, in verschiedenen Abnahmephasen,
[235]
Zum Abschiede, stets meinem Erdgeschlecht zeige,
Denn wißt: das Entsagungsthier hab ich mit Wabe
Dort tief eingemerzt, und ich selber entsteige,
Als Vollmondlicht, stets meinem nachtschwarzen Grabe.
Wie, gleich ich dem Vollmond? Der Mond bin ich selber!
Das Zeitleid durchbrech ich als Werth im Kalender,
Aus Herbstfeldern steig ich als reifer und gelber
Erdfruchtkern empor und belausche die Länder,
Die allesammt lang meine Nachtmacht ersehnen.
Gar pausbackig schau ich als Gautama nieder.
Als Erdgeist durchschimmere ich perlende Thränen,
Und Lichtflügel geb ich dem Erdfurchtgefieder,
Das fiebernd versucht, an der Mondbrust zu saugen.
Und seht, meine Milde entschwellt ihrer Hülle:
Mit Lichtmilch beträufle ich traurige Augen,
Und wieder verschwindet die Brust im Lichttülle,
In perlenden Schleiern und Irisgischtspitzen!
Denn wißt jetzt: ich wünsche mich wenig zu regen,
Ich bleibe, der Langlebigkeitsgottheit gleich, sitzen
Und bin drum stets lebend als Buddah zugegen.
Ich gleiche dem Monde, dem Sohne der Erde,
Der nimmer den Bruder befreit und alleine,
Voll Mitleid mit jeglicher Menschenbeschwerde,
Gar schweigsam dahinschleicht in bleichlichem Scheine.
Ich gleiche dem Monde, der Träume und Träumer
Der Erde entschmeichelt: ich kann auch die Brüder,
Die Buddahs, die schlummern, als Erdurschlundräumer,
Durch Ruhe gebären und werde nicht müder!
[236]
Ich gleiche dem Monde! Als Sohn dieser Erde
Und milder Verneiner des Sonnenrobottes,
Als Buddah, als der ich in Indien jetzt werde,
Bezweifle ich jegliches Sein eines Gottes!«
Kaum wurden die Worte von Buddah gesprochen,
So meldeten Wächter, im Festprachtgewande:
Ein goldener Vogel sei jäh ausgebrochen,
Nur weiß man nickt wo, ob im eigenen Lande,
Ob ferne im Osten, im Goldschloß der Sonne,
Ob südwärts, wo Meere der Stürme bedürfen,
Ob westlich, wo ewig die Wellen die Wonne
Des Sonnlichtes schmatzend und geilfletschend schlürfen.
Ob hoch, dort im Norden, wo Berge und Sterne
Beharren und nimmer den Wanderer bethören!
Der eine der Wächter sieht scharf in die Ferne,
Der andere kann alles was weitherstammt hören.
Sie lugen und lauschen und spüren noch immer:
Doch keiner vermag, was uns naht, zu errathen.
Da fang ich nun selbst an, in mir einen Schimmer,
Ein Klimperspiel, wie von verschiedenen Dukaten,
Genau, in der eigenen Welt, zu vernehmen.
Ich seh keinen Buddah mehr. Felstempel brennen.
Die Wesen verstecken sich, schreckhaft wie Schemen.
Und Werthe versuchen ihr Sprechwort zu nennen.
[237]
Da schlagen auf einmal unendliche Schwingen
Die Sprache der Indier, voll Pracht, auseinander:
Die Federn des Thieres sind Rhythmen, die klingen,
Doch fest, daß ihr Schallband das Weltall durchwander.
Und wahrlich, allüberall formen sich Sprachen.
Lautgruppen versuchen ihr Sein zu beflügeln
Und taumeln wie Nachen, die jäh in See stachen,
Noch auf und ab, tief zwischen Windwogenhügeln.
Der Mutterrumpf gleicht einem Glastpelikane,
Mit weiblichen Brüsten: und ist Mann und Ahne
Der Andern zugleich, und im Aufopferungswahne
Verpraßt er für Nachkommen Sprachenorkane.
Nun wird es mir klar: Indiens Sprache versprühte
Der innersten Mystik unendliche Güte,
Sobald ihre Fülle als Hymnus erglühte,
Und so im Gemüthe, den Ruhbuddab glühte!
Der Glaube, der voll aus ihr selber entstanden,
Befreit erst sein Wesen aus heimischen Banden,
Sein Flügelschlagbraus kann jetzt überall branden,
Und was ihm entstammt selbst im Ozean landen.
Und wirklich des Urrumpfes Achseln entschlüpfen
Schon allerhand Falter, die rings flugs weghüpfen,
Und einige, die flügge sind, fliehn und verknüpfen
Die Rassen, daß bald sich die Federn betüpfen.
Sonngoldene Möven enteilen dem Meere,
Damit sich der Anhang des Buddah vermehre,
Am Schwanz sitzt ein Kauz, Indiens heimliche Lehre,
Doch spürt kaum ein Goldthier die silberne Schwere!
[238]
Jetzt läßt mich die Welteinsicht wahrhaft erstaunen:
Die Sprachlaute stauten sich eben zu Daunen
Und schallen am Strande schon stark wie Posaunen,
Die Kauzart jedoch wird im Tempelgrau raunen.
Das schallt Mahabharata! Rakasch erwidern,
Als Echo, das Indieridiom in den Bergen.
Ich selber empfinde den Rausch in den Gliedern:
Und tief aus den Zwergen, die rings sich verbergen,
Verbreiten sich herrliche Lichthymnenfieber.
Der Taumel gefällt mir, denn rings tummeln Frauen,
Oh, könnte er dauern, je langer, je lieber:
Man kann nicht auf einmal das Traumgrau durchschauen.
Die zärtlichsten Winde, die Morgens liebkosen,
Ein mädchenhaft wahres und quellklares Lachen,
Dazu einen Dufthauch von Haut und von Rosen,
Das Auge der Frau, nach dem Brautnachterwachen,
Das alles erfaß ich, als greifbare Bilder:
Ein tanzender Ausbund von Jugendgestalten,
Umwirbelt mich sichtbar und schwingt immer wilder
Die Schleier zu blumenblattartigen Falten.
Und wirklich, beim Wirbeln, verwickeln die Hüllen
Sich krampfhaft, von Blumengedanken gehalten,
Sie schickten, verknüllten sich, Kelche zu füllen,
Als ob sich Dämone zu Tanzknäulen ballten.
[239]
Ein einziges Schleiergewirbel verknetet
Die Kleider zum Schlusse, und Jungfrauen hüpfen
Jetzt nackt in den Raum, wo die Priesterschaft betet.
Und wahrend die Hüllen sich bauschig verknüpfen,
Ergeben die Mädchen sich brünstig den Freiern:
Und aller Goldschutzschurz wird Pollen der Blume,
Aus plötzlich von Purpur durchglühten Brautschleiern:
Und oben hockt Schiwa im hochrothen Ruhme,
Der siegreichen eigenen Weltbildvereinung.
Sein Gluthgewicht senkt seinen Thron in die Tiefe,
Und rasch nur erfaß ich die Fiebererscheinung,
Es ist, als ob Gift aus dem Kelch übertriefe.
Ja, zwischen den Blattern liegt brunstschwül ein Panther,
Den Schiwa, sanft streichelnd, im Augenblick bändigt:
Doch tropft Schleim und Speichel ganz kurz übermannter
Thierurwuth vom Maul, wo das Reißzahnfleisch endigt,
Als Giftgeifersprudel hervor und durchrieselt
Die Blutblume, die unter Schiwa verschwindet.
Ein Stechregen, der nun ringsum niederrieselt,
Vertilgt jede Blattflamme, die sich entrindet.
Die Gluthzunge Schiwas, sein Raubkatzenauge,
Verschwinden zuletzt in der Schluftgruft der Erde,
Es scheint, daß der Gott alle Welthast aufsauge,
Denn jetzt stockt in uns jede Körpergeberde.
Die Brunstblume sinkt tief ins Innere der Seele
Des kummerlos schlummernden Tagelephanten,
Da ists, als ob Schiwa sein Kraftsein jäh stähle,
Als ob sich die Mannfasern ruckrasch anspannten.
[240]
Denn schon wälzt der weise Kolloß, wilderglühend,
Voll Brunst sich hervor, um die weibliche Erde
Mit Hast zu erfassen; lichtsprühend sich mühend,
Verschwitzt er aus Durstrausch und Auftauch beschwerde
Jetzt tausend Thaubäche, die perlend zerstießen;
Doch geht da die Nachttragpagode in Trümmer,
Das Lichtthier will nichts als den Erdleib genießen,
Es ist, als ob gar keine Weltpflicht ihn kümmer.
Der Sternbaldachin ist schon langst hoch verschwunden:
Der Purpurschabracke zerflatternde Fetzen
Zerstieben in kurzen Urbrunstlustsekunden,
In denen Thauströme die Erdstur benetzen.
Denn immernoch rieseln vom Lichtelephanten
Die Taggeilheitsbache wie Regen hernieder,
Die Perlmutterthürme mit hochimposanten
Prachtflanken, der Baubonzen Elfenbeinglieder,
Die Nachtherrschaftshallen sind alle zerfallen:
Der Tagelephant hat sie brunstwild zerschmettert:
Jetzt kann er sich platt in das Brunststeisch einkrallen:
Er wirst sich aufs Land, das er wuchtstumpf erklettert!
Doch kann mir nun Wischnu aufeinmal erscheinen;
Er thront ja mit Lackschmy, der Gattin, im Äther,
Ganz nackt, hockt er hoch mit verschlagenen Beinen,
Denn Dankgaben, Schambrauch, das alles verschmäht er.
Sein Fleisch strahlt so hell wie die Gletscher im Norden,
Wenn Rosenlichthauche sie Morgens umschmeicheln,
Sein Weib fächelt Wolken nach Blutstromakkorden:
Himalajas Eiswelt, die Stürme kaum streicheln,
[241]
Nur kann ich den Gott der Erhaltung vergleichen!
Die Gattin will ganz seine Anmuth genießen
Und wagt es, ihm prachtvolle Spangen zu reichen,
Und siehe, des Weltherrschers Füße umschließen
Bereits allerhand Glanzgeschmeide und Ringe.
Lichtkränze umwallen die Hüften und Schlafen,
Die Hände besetzen unzählige Dinge
Aus fernen, ausländischen Überseehäfen.
Die haarlose Nacktheit bleibt trotzdem erhalten:
Es läßt sie die Pracht nicht an Geltung verlieren,
Im Gegentheil trachtet das Weib, mannigfalten
Prunkgluthschmuck ums reizreiche Fleisch zu gruppieren.
Jetzt windet ein Weib sich, von Armen und Schlangen
Beinahe gebändigt, vor Wischnu in Krämpfen.
Ein Unthier, ein Jüngling, voll Brunstlustverlangen,
Versuchen gemeinsam, das Fleisch zu erkämpfen.
Das Weib aber weiß wohl sein Erbtheil zu stählen!
Geschickt wie die Schlange, entschleicht es dem Manne,
Verständig und fähig, Kampfkräfte zu wählen,
Enteilt es dem Thier, um die kleinste Zeitspanne.
Die Bestie, der Mensch müssen schnell unterliegen,
Denn siegreich erreicht jetzt das Weib beide Rhythmen,
Man sieht es den Feinden im Wirbel entfliegen
Und demüthig Wischnu sein Tanzkunststück widmen.
[242]
Die Männer, im Umkreise, athmen viel schwerer,
Da schwellende, fleischige Muskeln sie reizen.
Das Weib aber fühlt nun den Hauch der Verehrer
Und greift, wie um plötzlich mit Schönheit zu geizen,
Jetzt schamhaft zum Knie, um die Schenkel, das Becken
Verlegen mit Flechten gerecht zu verstecken:
Da stockt und da stockt nun der Odem der kecken
Gesellen und fängt an, das Weib zu bedecken.
Nun tanzt es auch wieder im wolkigen Hemde,
Und perlender Thau übersprüht seine Glieder,
Da wirbt und da stirbt jetzt ein Prinz aus der Fremde,
Und siehe, das Weib kriegt ein purpurnes Mieder!
Es tanzt noch, und Rosen, die fruchtlos verwehen,
Entsenden der Tänzerin duftmüde Hauche,
Die kann sie, beim Wirbeln, zu Blutschärpen drehen,
Und braucht sie symbolisch, beim landläufigen Brauche,
Die Scham vor den Menschen der Gottheit zu weihen.
Es scheint, daß ein Schleier ein Weib trefflich rüste;
Die Priester jedoch, die sich rings umherreihen,
Betrachten gar lüstern der Tänzerin Brüste.
Die Gluthblicke bleiben sogleich daran haften.
Im Nu überfunkelt ein Panzer den Busen,
Und Männer, die brunststarr die Nacktheit begafften,
Versuchen das Weib nun mit geilen, konfusen
Versprechungen dennoch zum Fall zu bewegen.
Das Weib aber kann jede Antwort verweigern,
Leicht lächelnd den Kriß in die Zahnklemmen legen
Und wieder den Wirbeltanz unbändig steigern.
[243]
Ein Glastpanther trägt dann das Mädchen im Panzer
Auf einmal davon, zu Verwandten und Ahnen,
Und Nachtelephanten und Grausfirlefanzer
Zerstampfen mit ganzer Gewalt die Brahmanen.
Die Nautsch knautschen laut und die Tagdewas spotten,
Um Nachdruck dem grausamen Rausch zu verleihen,
Und abermals lausch ich aufs Echo der Grotten
Und hör Zakhasch laut Mahabharata schreien.
[Ich aber sage allen Lebensüberwindern]
Ich aber sage allen Lebensüberwindern:
Laßt von der Schönheit Euch jetzt nimmermehr verführen!
Ich will die Leiden Eures Erdendaseins lindern,
Ich weiß des Flammengangs geheime Seitenthüren.
Sie stehn Euch offen, folgt mir bloß auf meinen Wegen,
Ihr dürft ein todtes Leben ohne Leid erhoffen,
Ihr könnt Euch selbst die steile Sonnenbahn verlegen,
So kommt, wir haben uns zur Wallfahrt gut getroffen.
So reißt Euch los vom Weib! Das Weib ist bloße Erde!
Doch steigt ins Grab hinein, und nicht empor zum Himmel.
Das Licht, der strenge Hirt, treibt seine Menschenheerde
Mit friedlichem Gebimmel, wie ein Schafsgewimmel,
Stets fort, bergan von Schmerz zu Wunsch, von Brunst zu Leiden;
Ich aber lehre Euch das Licht der Seele zu entzünden,
Und so als freies Sein, den Außenzwang zu meiden,
Und meinen Kult will ich mit Wucht in Euch begründen.
[244] So gebt Ihr Eurem Sein die beste Selbsterhaltung,
Den Tod könnt Ihr im Dammerscheine kaum gewahren,
Verneint Ihr das Geschlecht, die Leib und Seelenspaltung,
So birgt für Euch das Dasein keinerlei Gefahren.
Seid Sternen gleich, die keine andern Sterne stören,
Ich werde wie der Mond Euch durch das Dunkel führen,
Ihr sollt die Lieder meiner Inbrunst nimmer hören,
Und nichts als meiner Liebe Stille in Euch spüren.
Oh Mond, Du lauterer Lothos tiefster Weltenweiher,
Du schwimmst im Urallozean dahin: und Sterne
Entschlummern bleich, bedeckt von Deinen leichten Schleiern,
Und auch die Sehnsucht schweigt in Deiner Obhut gerne!
Drum folgt mir, Daseinsflüchtlinge und Mendikanten,
Vertilgt im Seelenfieber Eure Lichtbegierde,
Entstammt den Ampelschein, da wir sein Heil erkannten,
Kein Drang, kein Mangel sind des Priesters tiefste Zierde!
Ein Lothoslicht voll Milde ist in uns erschienen:
Ich hüte mich, sein Wesen irgendwie zu nennen:
Der Einheit aller Dinge soll mein Walten dienen,
Und Sinnbegriffe, Laute können nichts als trennen.
Der Mund, die Ohren, Augen sind der Umwelt Lucken,
Durch die uns äußere Feinde wahrnehmbar betrachten,
Einst soll jedoch die Einheit ineinander zucken,
Die Urlust die getheilte Reizbarkeit verachten.
»Du irrst, Unseeliger, Du irrst!« ruft eine Stimme.
Ein Krüppel, der mir nachschleicht, hält mir diese Rede:
»Ich reize Dich vielleicht zu herbem«, bitterm Grimme,
Doch wisse, Thor, Du trennst nur und Du wirbst um Fehde.
[245] Laß Leib und Seele mit einander wandern, seelig
Die Welt genießen und das Leidmaaß tragen,
So steigen wir am Sonnenpilgersteig allmählig
Und ohne Umweg auf aus unsern Jammertagen.
Unseliger, Du willst aus Milde Krüppel zeugen,
Ich bin bereits dereinst ein Bettelmönch gewesen,
Mein Leib verkam, doch ließ die Seele sich nicht beugen,
Dafür muß jetzt mein Leib lebendig halb verwesen.
Ich habe meinen Mord vielleicht noch zu begehen
Und werde als Vampyr die Nachte bleich durchschleichen,
Ich muß die Marterqual wahrscheinlich einst bestehen
Und soll verflucht, als Spuk, mein Ziel zuletzt erreichen.
Unglücklicher, Du kannst dem Schicksal nicht enteilen,
Du bist Asket und warst Du wirklich nie ein Prasser,
So wirst Du noch als Schlemmer auf der Erde weilen!
Du hältst Dich rein: vergeblich suchst Du einst nach Wasser!
An mir, dem Hinkenden, kannst Du genau erkennen,
Daß unsere Seelen mindestens ein Leben dauern,
Wildträumend will die Meine sich vom Leibe trennen,
Wohl seh ich oft, wie Windchimären sie belauern,
Doch krampfhaft kann der Rumpf sie abwärts an sich reißen,
Um starrbewußtlos sie ins Fleisch zurück zu binden;
Und dennoch kann sie nimmer sich im Leib verbeißen,
Noch jemals sich wie er, so jung und siech empfinden.
Denn das ist ja das Schauderräthsel meiner Tage:
Die Seele ist viel weiter als mein Leib gegangen,
Es scheint, daß sie fast greisenhaft ins Jenseits rage,
Und sieh, ich bin ein krankes Kind mit rothen Wangen.
[246] Auch ich, unseliger Pilgerhirt, auch ich erblicke
Das Lothoslicht am Rothen Ozean der Seelen:
Wenn ich zusammenknicke und beim Schrein ersticke,
So fängt der Buddah grausam an mich tief zu quälen.
Er ruft: ich bin der Aufruhr und die Seelenruhe,
Ich bin des Mondes Bruder, tief im Mutterschooße,
Ich bin die Furcht vor dem, was ich im Kerker thue,
Den Tod entfessele ich mit jedem Erdgluthstoße.
Ich bin der Daseinsflamme tiefste Urverneinung,
Da ich als Buddah die Vernunftaskese förder,
Drum ist ein Selbstmord meine schwerste Machtverheißung:
Ekstatisch bin ich Mahatma und Seelenmörder.
Mein Sieg kann nur in unterwühltem Land gelingen:
Ich muß den Lebensüberdruß zuerst verbreiten:
Wo Erderschütterungen meinem Sein entspringen,
Vermag ich es, den Kriegs und Pestweg zu beschreiten.
Statt Mord und Sühne könnt Ihr Euch den Selbstmord wählen:
Das ist das Resultat von meinen Einheitskrämpfen:
Die Krüppel dürfen sich im Dasein weiterquälen,
Denn Rohheit läßt sich leichter als das Weltleid dämpfen!
[247]
Die Iranische Rhapsodie
[Das ist das Land, wo alle Vöge gerne weilen]
Das ist das Land, wo alle Vöge gerne weilen,
Die Zone, wo die Erdbewohner Nester schonen,
Die Höhe, wo die Arten ihre Lücken heilen
Und durch Gefährtenthum den Ackermann belohnen.
Wenn ich im Lenz gar schwer mein leeres Feld bestelle,
Und Pferde Ockertnollen vor dem Pflug zertreten,
So geht ein Hund stets wedelnd mit, und sein Gebelle
Besänftigt Weib und Kind, wenn wir uns wo verspäten.
Wie gut ist doch ein Hund! Wie liebreich viele Thiere!
Wie reizvoll zwitschern Vögel ihre Liebeslieder,
Und girren tausend Tauben ringsum im Reviere,
Drückt mich die Müh und Lebensgier zur Erde nieder!
Wir schaufeln unser Grab, wenn wir das Land bebauen,
Und weilen schon allein, wenn wir die Furchen graben,
An unsere Armuth denken wir dabei mit Grauen;
An mir wird sich die Erde einstens mühlos laben!
Nein, lieber will ich meinen Leib den Geiern weihen,
Was ich so schwer zu Herz und Hirn emporgetragen,
Das sei mit Leidlustschreien und in breiten Reihen
Von Raubthierleibern, über Alltagsarbeitsklagen,
Gar steil und weit zu Licht und Lichterlust gerissen:
Ich gönne Vögeln meines Leibes Leckerbissen:
Sie mögen keines Körpers Kotgekröse missen
Und siegreich ihr Gefieder immer höher hissen!
Mein Bruder, dessen Äcker an die meinen grenzen,
Hält schweißbedeckt in seiner Pflugschararbeit inne
Und sucht mein Lied, in meiner Nähe, zu ergänzen:
Er will vielleicht, daß sich ein Zeitgespräch entspinne.
[251]
Ich horche denn auf meines Bruders holde Worte
Und lasse sorglos meine brachen Schollen schlafen,
Und gehts zur Arbeit, so bestimmen wir am Orte,
An welchem wir uns eben unversehens trafen,
Für andere Frühlingstage noch Zusammenkünfte:
Und abermals allein, betrachte ich, was er erdachte,
Wie brüderlich vernünftig er die Einzelzünfte,
In sich, zu einem Lichtzusammenschlusse brachte.
Er hat wohl Recht: wir Bauern schaufeln unsere Gröber
Und sind dem Seemann nur unwesentlich verschieden,
Wir ziehn das Tagwerk kreuz und quer, wie jeder Weber,
Und Lichterstreber sind die Priester nur hienieden.
Mein Pflug gleicht wahrlich einem blanken Kiele;
Er sprüht die Krumen, wie den Gischt, aus scharfem Gleise,
Er nähert sich, wie Schiffe, immer einem Ziele,
Doch kehrt er um, verneint er seine Pilgerreise.
Er ist ein braves Fahrzeug, das die Zeit durchsegelt,
Denn nur viel später siehst Du Pflugscharfurchen schäumen:
Erst wenn der Frühlingssprünge Ubermuth sich regelt,
Beginnen ernste Felder blumenbunt zu träumen.
Gischtweiße Pracht siehst Du zumeist zum Licht ersprießen
Und Wellen gleich die Acker weiß und weit bedecken:
Wir dürfen erst der Pflüge Blüthenschaum genießen,
Wenn sich die Arbeitsnachen irgendwo verstecken.
So lockre denn mein Schicksalsboot die trockenen Schollen,
Es ist, als wäre Lenzgezwitscher eine günstige Briese:
Ich horche, wie in mir die Ozeane grollen,
Und mein Verhängniß übersteigt mich wie ein Riese.
[252]
Mein Bruder, ach, Du meintest wohl, was ich empfinde,
Und wärst Du nicht so weit, so möcht ich Dich befragen:
Die Geier, die uns gleich nach dem Verrecken finden,
Sind wohl wie Wolken, die den Tod im Schooße tragen.
Wie oft sieht man sie hoch dem Ozean entragen,
Wie oft die Wogen an der Barke Planken schlagen,
Wie häufig hört man Geier um Kadaver klagen,
Und was uns unterliegt, kann unsere Frist benagen!
Ein Nachbar ist mir jetzt beim Ackern nah gekommen
Und sagt: »Kein Lenz ist je so zeitlich heiß gewesen,
Der Sommer ist wohl heute Morgen schon erglommen:
Zu allen Plagen scheint der Bauer auserlesen!
Wir armen Parsen arbeiten im Glanz des Tages
Und beten, wenn wir uns nach Regenwetter sehnen,
Und dennoch formen Schollen unseres kargen Sonnertrages
Unendliche, im Lenz verbrannte, welke Lehnen.
Zusammen könnten wir den Abhang urbar machen:
Die Felder sollten sich bis dort hinauf erstrecken,
Doch müßte Blau aus Pfützen uns entgegen lachen,
Und blieben selbst die Pferde drin im Drecke stecken,
So ging es immerhin beim Pflügen viel geschwinder:
Die grünen Wiesen würden Frühlingslüfte würzen,
Im Kühlen sangen Vögel und es könnten Kinder,
Durch übermüthige Sprünge, uns die Zeit verkürzen!«
»Dann würde ich den Meder nimmermehr beneiden
Und ließ den Fremdling gern in unserer Mitte, Felder,
In Sternennächten, ihrer Kleinodien entkleiden,
Denn selbst dem Fels entweiden Meder ihre Glieder!«
[253]
Dies hat ein Nachbar, der uns hörte, ausgesprochen,
Da sagt der frühere zu mir: »Fürwahr ich dachte
Gar oft, weshalb hält jener sich des Tags verkrochen
Und warum steigt er Nachts hinab in schwarze Schachtel«
Nun tritt der Dritte nah heran, um fortzunadern:
»Fürwahr, wir Parsen, die das Land beackern, darben,
Wir arbeiten in Hadern und aus unsern Adern
Entsprühn in Wirklichkeit jetzt Irans Frühlingsgarben!
Hingegen scheint der Meder nie sein Feld zu pflegen:
Bei Trockenheit sind seine Schollen grobe Knollen,
Nie sehn wir anderes dort als Lehm nach einem Regen,
Doch tiefverborgenes Gold liegt tief in einem Stollen.«
»Fürwahr,« setzt jetzt der andere Nachbar ein: »Wir sehen
Den Fremdling nur in lauer Mondnacht drüben wandeln,
In blauem Prachtgewand sah ich ihn dort alleine stehen
Und mit dem Eigenschatten irgendwas verhandeln.
Was mag er da Geheimnißvolles einsam machen?
Nach Nebeln, diesen gleich, die jetzt das Licht verschleiern,
Hat er in jener grauen Nacht mit mannigfachen
Handregungen gefahndet, und gleich Riesengeiern
Warf da, nachdem der Mond sich erst von selbst versteckte,
Der Wolkentroß sich auf die todte Vollmondscheibe:
Es graute Menschen, Thieren, die ihr Schweiß bedeckte,
Ein Schaudern sprühte kalt aus jedem Baum und Leibe.
Der Meder aber, glaub ich, blieb noch ausrecht stehen:
Wahrscheinlich konnte da sein Schatten niedersteigen,
Denn als der eisige Nebelgletscher anfing zu zergehen,
Ein goldener Mondring sich vermochte bleich zu zeigen,
[254]
Da schien der Fremde ebenfalls von Gold umsponnen.
Und als der Mond verjüngt den Himmel heiterfegte,
Da wars, als wäre Licht auf seinem Rock geronnen,
Doch Gold wars, das sein Schatten ihm zu Füßen legte!«
Jetztspricht mein nächster Nachbarfassungslos in seinem Zorne:
»Wir wollen diesen Eindringling nicht länger dulden,
Durch unsere Arbeit sprudeln ringsum klare Borne,
Und salzige Laken sammeln sich in reinen Mulden.
Verschwinden werden nächstens jene gelben Lehnen,
Aus denen höhnisch blaue Tümpel uns begrinsen,
Schon schwellt des Fremdlings Frechheit meine Schlafenvenen:
Vertreiben will ich ihn mit seinen letzten Binsen.
Er dient, der Finsterniß ergeben, blos dem Bösen,
Und scheint bei Ahriman gar tapfer auszuharren,
Den Vögeln giebt er nichts von Speiserestgekrösen
Und läßt sich noch, verreckt, dereinst aus Geiz verscharren!
Er krächzt oft Magierformeln wie ein garstiger Rabe:
Abra, abra, abrakada, dabra so fangen
Die Sätze an, und dann folgt rasch ein Fluchbuchstabe,
Und an dem Satzgespinnst bleibt gleich ein Erdschatz hangen.
Das kann in unserm Lande nimmer länger dauern,
Er würde lauter Unheil hier heraufbeschwören,
Beim nächsten Vollmond wollen wir ihm scklau auflauern
Und seine Macht sammt ihrem Zugehör zerstören.«
Ich habe selbst im Herzensgrunde Wuth empfunden,
Doch fällt mir ein, wie ich dereinst mein Weib erfreute:
Der Meder gab mir einen Stein aus seinen Funden,
Und heute reizt er noch den Neid der Nachbarsleute.
[255]
Vielleicht verhexte das Geschenk des Weibes Sinne,
Bestimmt ist es seit damals nimmer zu erkennen,
Es schmückt sich jetzt viel lieblicher zu unserer Minne,
Und öfters seh ich seinen Sehnsuchtsblick erbrennen.
Die Glücksgedanken kann es kaum vom Kleinod scheiden,
Es fühlt mein Weib in mir die Lust an meinen Spenden,
Mein Dasein giebt ihm Kraft, mein Abgang ist sein Leiden,
Doch hält es fest, was ich ihm gab, als Trost in Händen.
Es will die Frau vom Manne Dank und Tand empfangen,
Zufriedenheit kann ich ihr nimmer leicht bezeigen,
Zumal wenn ihr Geschenkgruppierungen gelangen,
Und nur was sie erhält empfindet sie als eigen.
Ein Erbtheil wird sie leichter als ein Gut verschwenden,
Das nacheinander sich um ihren Hausstand gliedert,
Sie sucht sich unsere Gunst durch Weigerung zuzuwenden,
Und oft ists ihre Lust, daß sie kein Glück erwidert.
Das alles habe ich gar rasch in mir erwogen
Und wollte, daß der Fremde uns noch Steine brächte,
Drum sag ich auch: »Wir werden ganz bestimmt betrogen,
Wir haben auf des Meders Geld und Beistand Rechte.
Ach, wäre doch mein Bruder jetzt beim Streit zugegen,
Doch seht, er ackert noch allein dort oben weiter,
Er trachtet, nackt wie ich, die Felder gut zu pflegen
Und bleibt bei seiner Arbeit immer neidlos heiter.
Fürwahr, der würde gütig unsern Gast beschützen,
Er sagte einst, die Wälder, die ich urbar mache,
Erscheinen, meine wachen Träume hold zu stützen:
Es ist, als ob in mir ein Wunderlenz erwache.
[256]
Die Kraft, die unter Tags die starken Stämme fällte,
Treibt Nachts die reifsten Lichtgedanken aus der Seele.
Das Traumlaub, das mir oft den Sonnenweg verstellte,
Beschattet mich, seitdem ich mich tagsüber stähle.
Mich selber seh ich ernst empor zum Äther ragen
Und Licht und Nahrung stolz und froh genießen.
Die Nachtigallen fangen an in mir zu schlagen,
Und immer tiefer will ich sie dabei verschließen.
Mein Bruder, könntest Du jetzt selber weitersagen,
Wie Du begreifst, daß Deiner Nachtigallen Lieder
Nur Antwortsfragen auf der andern Klagen wagen,
Oh kämst Du doch ermüdet jetzt zu uns hernieder!
Du ackerst knapp an Deines Arbeitsfeldes Grenze
Und thust, was Du dereinst in Deinem Traum erschautest,
Ein größeres Gut umfriedest Du mit jedem Lenze
Und schützt dadurch auch das was Du nicht selbst bebautest!«
Mein Bruder wirft mit starkem Mannesarm den Samen,
Oh seht zu ihm, er wird vielleicht herüber denken:
Damit die Lichtgedanken nimmermehr erlahmen,
Vermag er jeder Einsicht ihren Traum zu schenken!
Wie jeder Schößling sich mit Blättern leicht beflügelt,
Und wie die Bäume durch das Laub dem Staub entfliegen,
Birgt jeder Spruch, den man bewußt und kühl erklügelt,
Ursprünglichkeit, Furcht, ungezügelt, zu besiegen.
Mein Bruder komm, des Meders Geiz soll sich entfalten,
Der stumpfe Wurm, als Schmetterling, im Lichte schwirren,
Aus unserm Haß entschäle alle Taggewalten,
Die unsere Sinne jetzt als Hirngespinnst verwirren.
[257]
Wenn Deine Staatsgedanken bald zu Macht gelangen,
Dann ist es recht, daß auch des fremden Ansicht gelte,
Wenn Sonnenlehren einst in unserer Seele prangen,
Verdienen Medergeld und Werthe nimmer unsere Schelte.
Mein Bruder wird Euch immer klug und gut berathen,
Und meines Weibes Einfalt ist im Grunde besser
Als unsere Wuth und haßerfüllten Mannerthaten,
Drum schleifen wir jetzt Edelsteine anstatt Messer.
Es soll mein Weib von nun an goldene Spangen tragen.
Der Meder darf Geschmeide mit dem Hammer schlagen:
Wir alle wollen einen Staat zu gründen wagen
Und vor dem Anschlag auf das Alte nicht verzagen!
Die Erde, die wir plündern, ist voll innerer Güte,
Und ob der Mensch auch noch so unvernünftig wüthe,
Erscheint trotz allem doch kein Frühling ohne Blüthe,
Und diesmal ist es gar, als ob er sich verfrühte.
Die Erde spendet jetzt auch die geheimsten Gaben:
Sie will bestimmt, daß wir nach ihren Schätzen graben
Und uns im Alter durch Erspartes alle laben,
»Es wird der Sohn es besser als sein Vater haben!«
[Jetzt regnet es! Ich kann bereits die Tropfen zählen!]
Jetzt regnet es! Ich kann bereits die Tropfen zählen!
Mein Bruder ist schon patschenaß und denkt entschieden,
Sich nimmermehr mit seiner Arbeit abzuquälen:
So gönnen wir uns denn für heute alle Frieden!
[258]
Es sind das sonderbare Wolken, sonnumsponnen
Und gar so dünn, daß sie den Himmel kaum verhüllen;
Und trotzdem hat das Tröpfeln ringsumher begonnen:
Die Nebel werden sich wohl auch zusammenknüllen.
Der Meder hat das Wasser sicherlich gespendet:
Die Tropfen scheinen wie geschmolzenes Gold zu gleißen:
Ein Freund hat diesen Regen ganz gewiß gesendet
Und will vielleicht die Opfer Irans an sich reißen.
Das Nieselwetter sickert mild wie Schweiß hernieder:
Es ist, als ob uns Silberperlen rings benetzten:
Die Thiere nicken ein und schließen ihre Lider,
Ach, wenn die Nebel uns in einen Traum versetzten!
Es scheint das Gold aus unsern Poren sanft zu dringen,
Doch nein, wir sehn es doch vom Himmel niederrinnen,
Dort oben wieder kann es sich zum Lichte schwingen
Und alles was da lebt mit Irisglanz umspinnen.
Nun fängt es endlich lau und kräftig an zu regnen,
Und jeder denkt, die Werkzeuge nach Haus zu tragen,
Wahrscheinlich wird man sich beim Heimwärtsgehn begegnen,
Dort scheint mein Nachbar schon die Schafe fortzujagen.
Nun sehne ich die ganzen Thiere rings im Schlafe:
Kein Hirt vermag das Vieh aus dem Versteck zu treiben,
Wahrscheinlich packt die Angst auf einmal alle Schafe,
Die Böcke, selbst die Rinder, wollen draußen bleiben.
Wir helfen. Immer stärker klitschts und klatschts hernieder!
Es scheint, daß jetzt die Kühle auch erwache.
Die Feuchtigkeit dringt schnell und stark in meine Glieder.
Ich stehe bis zum Knie in einem kalten Bache.
[259]
Ich trachte mich bereits an Ästen anzuklammern.
Ein Wolkenbruch ist irgendwo herabgegangen.
Ich höre Thiergebrüll und Einzelstimmen jammern.
Ich fange selber an, ums Eigenheil zu bangen.
Was kann man da im Wasserwirbel wirklich machen!
Ists besser in den Bachen hin und her zu schwimmen?
Vielleicht gelang ich irgendwo zu einem Nachen!
Vielleicht ists rathsam, aus ein nahes Dach zu klimmen!
Nun, schließlich ist es nicht so arg! Noch kann ich stehen!
Ich will versuchen durch den Bach nach Haus zu waten,
Doch jetzt beginnen Nebelfetzen herzuwehen,
Und drunter baumeln lauter Schauderakrobaten.
Die Firlefanzer drangen sich um Schwefelmäuler,
Die scheinen sie voll Geilheit zu verspeisen,
In Schlünden hört ich noch die kleinen Windskindsheuler,
Leicht wimmernd, weggeleckt und eingeschlürft vereisen.
Grad über mir, ein dunkles Sturmwurmungeheuer,
Durch Sumpfdunst aufgedunsen, bricht jetzt Fieberwinde,
Denn dem geplatzten Bauch und Maul, bezahnt mit Feuer,
Entprasselt nun der Hagel seiner Rumpfgewinde.
Der Ätherhai will seinen weißen Laich verspritzen!
Doch nein: ein Weibchen ists, mit kleinen, geilen Eiern!
Ei sieh, die reiben, ritzen sich an allen Spitzen:
Ihr Hochzeitsreigen aber bleibt dabei ganz bleiern.
Die Eiswindwirbel, die sich schräg herniederwälzen,
Vertrusten wohl bereits an allen scharfen Ecken,
Doch mußte Reif in wenigen Minuten schmelzen,
Und in den Hecken bleiben jetzt die Heerden stecken!
[260]
»Halloh!« so ruft nun irgendeine ferne Stimme,
Ein Eber grunzt in einem Wurzelstumpf verschlungen,
»Zur Hilfe Elender!« schreit jemand jetzt im Grimme:
Rings von Gebraus und von Geräusch bin ich umklungen.
Ich selber wate durch das Wasser, halb betrunken.
Soeben ist ein Bock, der blöckend schwomm, ersoffen.
So mancher Rumpf ist unter mir im Sumpf versunken,
Und Leichen hab ich, treibend, überall getroffen.
Die Zeit hetzt schnell. Es ist nicht werth bei uns zu bleiben!
Des Übels Unglück ist es, seinen Grund zu fühlen,
Drum laßt sich, was ein Maaß in sich umarmt, vertreiben,
Und das Gewissen wird das Grübeln unterwühlen!
Ach, könnte ich den Wahn der Einzelheit besiegen,
Da die Gefühle doch bei fremden Leiden weilen,
Ach, ließen Zeitsturm, Raumtraum sich in uns durchfliegen,
So war ich frei und könnte alle Menschen heilen!
Was ist das, daß ich nicht am Eigenbangen hafte,
Vermags ein Fieber mich der Umwelt zu verschwägern?
Ich wate in Gefahr, da ich bereits erschlaffe,
Ich taste weiter zwischen eklen Schreckerregern.
»Zur Hilfe denn, die Herden werden weggerissen!«
Dies hör ich irgend eine ferne Stimme wimmern,
Ich fühle klar, ich will, man soll mich nicht vermissen,
Und müßte sich die eigene Lage selbst verschlimmern.
Durch Fluth und Guß versuch ich, munter durchzukommen,
Und fühle wie mich Quellen, lau wie Blut, umspülen.
Von goldenen Zitterwischen dünk ich mich umschwommen,
Und Salzgeprickel kann dabei die Glieder kühlen.
[261]
»Verfluchter Meder, der das Wetter uns bescheerte,
Wir werden Dich mit Deiner Hexenbrut vernichten,
Wir kennen jetzt der Erdenschatze Zauberwerthe,
Und auf Verkehr mit Wichten wirst Du nun verzichten!«
Den Fluch vernehm ich jetzt, beinah in meiner Nähe,
Und denke: habe ich das Leid hervorgerufen?
Und nun entsteht um mich ein Bild, voll wildem Wehe,
Denn alles, ach, zerfiel, was unsere Hände schufen!
Ganz fabelhafte, fahle Hagellagen decken,
Wie Klobenroggen, alle Abhänge und Kanten:
Und Menschen, Hirsche, spießten sich in riesenhaften Hecken,
In welche Thiere mit Geweihen blindlings rannten.
Am Himmel wuchten schwere, plumpe Sturmdunstklumpen,
Und blos ein Schauerknaul, mit lauter aufgeschlitzten Bauchen,
Verzieht sich ausgestreckt, und Wolkenbruchrestlumpen
Versucht nun eine Fuchtel schwankend zu verscheuchen.
Ist jener gelbe Fleck dort überhaupt die Sonne?
Sie will sich eitel, einer Greisin gleich, verstecken
Und lugt oft durch die Schleier, geil wie manche Nonne,
Die beten will, dient sie auch brünstig kecken Zwecken.
Jetzt scheint mein Eigenlicht ermüdet zu verkümmern:
In einsam tiefer Dämmerung muß mein Lied verbluten!
Es glüht ein Abend über ungekannten Trümmern,
Die Tempel werden sollten und verschollen ruhten.
Was kann im Halbschlaf mir ein Wasserdasein sagen!
Ich spähe aus, was noch mein Lebensodem bändigt,
Ich will den Anruf eines Wellenwesens wagen,
Vielleicht ist meine Pilgerfahrt noch nicht beendigt.
[262]
Ein Gauch wird scharf in meiner Vorstellung entwickelt:
Ich zeichne klar des Zwanges Leibergebniß,
Ich seh bereits, wie Fischblut durch die Adern prickelt.
Und nun steh fest! Dies wird bestimmt noch ein Erlebniß.
Gar schwabbelig ist dieser Wasserwamms gewachsen:
Sein Narwalbauch, mit Zitzenansatz, ist halb thierisch,
Drum stimmen mich auch seine laxen Wackelfaxen
Sowie sein Wachshautnackenflachshaar bald satyrisch.
Er kann kaum athmen, denn das Wasser sprudelt
Ihm unaussetzlich aus dem Walroßmaule,
Die Schwimmhautpratzen, die er rasch zusammen nudelt,
Verschrumpfen mit den Armen fast zu einem Knaule.
Sein Haupt ist bartlos, und der Aussatz klettert
Vom blauen Runzelhals empor zur stachen Glatze.
Der Anblick regt mich auf. Ich bin vor Schreck zerschmettert
Und sehe, stets violetter wird die ekle Fratze.
Sein Fleisch erweicht zu eitrigen Geschwüren,
Blutwucherungen krampfen sich um seine Lenden,
Jetzt fängt das Tümpelgeistgesicht an, mich zu rühren,
Und traurig ruf ich: »Bruder, kann ich Hilfe spenden?«
Der Wasserplatscher aber bleibt dabei apathisch
Und trachtet nichts am Asthmazustande zu andern,
Ich weiß nicht, weshalb, doch er wird mir jetzt sympathisch,
Und fängt sich an mit grünen Zünglein zu umrändern.
Ich tret ihm immer näher und ich sehe, seiner Zehen
Mistmuscheln sind verrunzelte und schmutzige Nägel,
Und wunde Wadenwarzen, die sich gräßlich blähen,
Umkleben bis zur Schlegelhälfte, ekle Egel.
[263]
Die Schwefelgarben aber, die ihn grell umglasten,
Gestatten mir das Wasserwesen zu betrachten,
Die nassen Schwimmhautpranken, die nach Nahrung tasten,
Umranken Algen, die die Arme stark befrachten.
Drum platscht er gar so arg im Blattpflanzenmoraste,
Und nun vermag ich auch ganz wahrhaft zu gewahren:
Der Aussatz, der bereits vom Bauch das Haupt erfaßte,
Ist ein Geranke blaßerwachter Nenupharen,
Die Tags darauf sich, langsam wachsend, rosa färben,
Und in der nächsten Nacht, verblauend, leicht erbleichen
Und tief ermüdet in der Blüthenfülle sterben,
Denn liebesschwer versinken sie in ihren Teichen.
Die Kratzkorallen und durch Krampf geplatzten Adern
Vermag ich jetzt mit andern Augen zu betrachten,
Beim Bauche staun sich Pampas und Papierbaumhadern,
Die wildzerzaust auch seine Schamtheile benachten.
Die Wucherungen, mit den blutigen Wurmgeschwüren,
Erfasse ich als kaktusartige Bulbenpflanzen,
Und auf der Schilfbestande schäckigen Rückgratschnüren
Beginnen winzige Wanzentupfen anzuranzen.
Die großen Eiterknollen seh ich goldgelb stocken:
Vielleicht muß ich mich an den Anblick erst gewöhnen:
Doch nun erkenn ich sie als grobe Bernsteinbrocken
Mit schönen, unpolierten fetten Ockertönen.
Ich glaube doch, daß irgend was sich da veränder,
Denn, reich beschwert, beginnt das Wassersein zu sinken,
Jetzt scheint das Ungeheuer fast ein Fettblatthand er,
Auf dessen Flossen Rosen anstatt Ringen blinken.
[264]
Der Rumpf ist nun beinah im Sumpf versunken.
Sein Haupt jedoch hat sich mit Gras bebartet.
Die Garstigkeit enthüpft ihm in Gestalt von Unken –
Nun ist er ganz als Mensch und blasser Mann geartet.
Im Tang verstrüppt, versank der Geist bis an die Hüfte.
Jetzt ruhn die Schultern auf den weichen Algenkissen.
Mit runden Büffelaugen schaut er in die Lüfte,
Und schweigend wird er in den tiefen Teich gerissen.
Dämonisch ernst verschwanden Hals und Nacken:
Die längst verzopften Bartflechten sind Aderblätter:
Ganz glatt und glanzhaft bleiben seine fetten Backen,
Und, schlürfend, wird der kurze, schwulstige Mund violetter.
Der Larve Nasenlöcher deckt bereits das Wasser.
Die starren Augen seh ich im Krystalle glänzen.
Verdunkelt sind die hohen Brauen und ein blasser
Goldbogen schwellt empor, die Fluthgruft zu bekränzen.
Ein Weltgeheimniß will sich hier aus sich erschließen!
Ein Zwitter ist ganz manngeschlechtlich jetzt entstanden:
Die Weiblichkeit, die abfiel, sah ich rein ersprießen,
Und da verstand ich, was wir alle längst empfanden.
Die hellen Wellenringe, die sich frei verschlingen,
Die Brauen, Ohren, Nase, Mund und Augen waren,
Erzählen flimmernd von den allerletzten Dingen,
In uns die Schmerzerlösung einst zu offenbaren.
Das Wasser, das ich anstarre, ist klar und strahlend.
Das Geisterauge hat es so zurückgelassen:
Die kalten Angstglastgarben, die beinahe prahlend
Entflackern, kann mein baarer Mannverstand nicht fassen.
[265]
Wie tausend Aale ist der Wasserfürst verschwunden.
Ein Werk des Heiles will er sicherlich besiegeln:
Er konnte sich bestimmt schon wo für uns bekunden!
Ich schaue auf. Ganz wach! Und seh den Mond sich spiegeln.
»Den Mann da, hat der Mond wahrhaftig angeduselt,
Er steht mit beiden Füßen in der hellen Quelle
Und sieht verdutzt, wie rings der Unkensumpf verfuselt,
Heh, Held der Feldgesprache, rühr Dich von der Stelle!«
Dies spricht nun, hoch im Fisteltone, eine Stimme.
Ich blicke hin und seh jetzt schnell sechs wilde Schimmel
Den Fels erklimmen, und ein Wicht peitscht sie im Grimme,
Denn ziemlich hell blinkt rings des Himmels Sterngewimmel.
Der Mond hingegen hat sich wiederum verzogen,
Drum kann ich auch den Pferdetreiber nicht erkennen,
Jetzt werd ich wohl von Träumen meines Traums betrogen,
Denn weshalb trachten jene Rosse durchzubrennen?
Ich sah die Pflugschar nicht am Acker blinken,
Wars Kalkgestein, ein Eisquadrat das aufwärts jagte?
Ich rief »halloh« und konnte kurz nur winken,
Da keine Frage sich aus meinem Munde wagte.
Ich möchte mich zurück zum Wassergeiste wenden,
So wahr und glaubhaft ist sein Wesen durch mich selbst gedrungen,
Doch ruht der Sumpf jetzt dunkel zwischen grauen Wanden,
Drum bin ich ihm auch unbedingt im Nu entsprungen.
[266]
Ein Wolkenknäul verdunkelt immermehr die Gegend.
Die Sterne werden weniger. Der Mond bleibt finster.
Das rauhe Schrein wirkt drum besonders wildaufregend.
Und angsthaft lauschend schwank ich jetzt durch dichten Ginster.
Im Thale traben lange Schattenkarawanen.
Tief unten hör ich Rosse durch die Schluchten pusten,
Hier Thiergespanne sich am Abhang Pfade bahnen,
Mit Silber scheint der Berg sich rings zu überkrusten.
Das sah ich rasch, da mir der Mond aus Nebeln
Den Überblick für einen Augenblick gewahrte,
Jetzt aber hör ich nichts als ein Geklirr von Säbeln
Und sehe nirgends einen Mann mit einem Schwerte.
Ich tappe weiter, und nun wirds noch einmal heiter,
Da merk ich einen Greis, umringt von weißen Schafen,
Der spricht: »Vertreiben Dich vielleicht die bleichen Reiter?
Tritt ein, wahrscheinlich ist es gut, daß wir uns trafen!«
Ich taumle in die Grotte eines Eremiten.
Ich sinke hin an einem heiligen Feuerherde.
Ich hör den Greis: »Wenn Urgefühle mich verriethen,
Empfangt ein reines Weib vielleicht das Kind der Erde.
Astvatereta wird wahrscheinlich jetzt geboren,
Im Schooße einer Jungfrau muß er hold erwachen,
Denn selbst des reinsten Weibes Echtheit geht verloren,
Kann purer Samen Lebensgluth in ihm entfachen.
Des Parsen Urtrieb ist die Spaltung der Geschlechter!
Drum ist es nöthig, daß sich unsere Welt erlöse,
Wir sind der Elementereinheit rege Wachter,
Und Scheidung ist in uns das Einfachreligiöse.
[267]
Das Weib ist irdisch und der Erde gleich zu ehren,
Der Same, den der Mann hat, seine halbe Habe.
Doch fängt er an, den Leib des Weibes zu beschweren,
So liegt er leichenunrein, wie in einem Grabe.
Des Mannes Auswurf, der das Weib entweihte,
Entleert es wiederum, mit einem Schmerzensstoße.
Doch wie das Weib einstmals aus eines Mannes Seite,
Entsteht der Heiland bald aus einer Jungfrau Schooße.
Vielleicht sind jene Stürme, die im Chaos wühlen,
Die Fluthergüsse, unter denen wir erbeben,
Die fürchterlichen Flüsse, die den Berg umspülen,
So wilderregt, weil sie das Erdenkind beleben!«
»Wohl mag es sein!« Hab ich als Antwort drauf gegeben!
»Noch glaube ich, die Nacht bricht jetzt herein auf Erden,
Drum sehn die erste wir, erschreckt, die Welt durchschweben,
Und alles trennt sich scharf, was wir vertreten werden.«
Jetzt wühlt der Greis beim Grübeln tief im Barte
Und starrt mit großen, rothen Augen in die Flamme,
Als ob er Antwort aus dem Element erwarte!
Mich aber reizt das Rankenspiel vom Gluthenstamme.
Die ganze Klamm durchwirbeln grelle Blatterschemen,
Und Schatten wallen durch die Halle des gerechten
Felseremiten, und, bekränzt mit Diademen,
Erstrahlen Stalagmiten ernst wie Marmorflechten.
Jetzt spricht der Einsiedler zu mir: »Anachoreten
Entschließen sich in einem Gottesohr zu hausen,
Die Erde mag, daß wir in Felsenlöchern beten,
Und diese Muschel höre gern sich selber sausen.
[268]
Die ganze Sehnsucht Irans hab ich hier gebeichtet,
Auch wirkte ich, da sie so mancherlei gewahrte,
Denn alles, was Ihr Parsen je im Krieg erreichtet,
Durchmurmelte zuerst als Wunschspruch unsere Bärte.
Wir baten alle: Erde laß uns einzeln walten,
Du sollst den Priesterstand des Herrscheramts entlasten,
Vom König mögen Götter, was sich ziemt, erhalten,
Wir Weisen aber und die Priester werden fasten.
Der Leiblichkeit entrückt, kann sich der Geist entfalten,
Drum meiden wir es, bis zur Sättigung zu speisen
Und trachten heilige Gerichte einzuschalten,
Gar mancher Magier machte drum auch Pilgerreisen!«
»Du mildgesinnter Greis, ich will bei Dir verweilen!«
Erwidre ich: »Ich liebe Dich und diesen edlen Sinter,
Denn hier, wo Steine weinen, hofft mein Leid zu heilen.
Nur in der Tiefe giebt es niemals einen Winter.
Mit Tropfsteinen umwolkt sind solche hohe Grotten,
Es wälzt der Fels unendlich viele Frauenbrüste
Aus sich hervor, Goldmolken sickert rings aus Zotten,
Als ob hier alles Bernstein überkrusten müßte.
Hier will ich Dir von edlen Erdgerichten melden,
Von Wein und von Getreide, um das Volk zu speisen,
Doch brauchen wir vor allem große Sonnenhelden,
Die uns in ihrer Zubereitung unterweisen.
Der Wein ist pur und gut, hat er sich rein gegohren,
Das weiße Mehl ist echter Same des Getreides,
Drum sei das goldene Brod als Heilssymbol erkoren,
Vom Weltenbesten, Flamme, Same, hat er beides.
[269]
Veredeln wollen wir den Parsenstamm durch Nahrung,
Die ferne, unterjochte Länder reichlich spenden,
Des Parsen Krieg gilt einzig seiner Artbewahrung,
Jetzt tragen Siege uns zu weiten Weingeländen.
So viel man kann, mag man zur Läuterung an sich reißen,
Ich will dem Feuer Feindes Habe, Labe weihen,
Denn meine Zähne sperrt das Recht, ins Fleisch zu beißen,
Mein Flammenstamm kann nur im Krieg gedeihen!«
Nun spricht der Greis: »Mein Kind, Du siehst im Fieber!
Es schmelzt Dein Feuergeist die letzten Erdenbänder,
In Dir erzuckt die Männlichkeit in jeder Fiber,
Doch wirst Du leicht zum hitzigen Sonnengutverschwender.
Es wabbert Deine Seele. Deine Kriegsbrunst knattert.
Sie gleicht dem rothen Flammenbart der aufwärts lodert:
Du siehst nicht wie er rasch im Eigendunst zerflattert,
Und ewige Nahrung fordert, die durch ihn vermodert.
Denn Feuer frißt, als Hungerwurm, in allen Brettern,
Nur stille Seelengluth kann unsere Wuthbrunst dämpfen,
Auch Du begehrst nur ringsum, alles zu zerschmettern,
Und haßt die Nacht mit ihren hehren Wunderkämpfen.
Wie Mondlicht stiegt mein Bart zurück zur guten Erde.
Ich selber fiebre auch, doch meine Lust ist milde:
Sieh, meine Seele liebt die sanfte weiße Heerde
Und sie vergiebt selbst Hast und Haß der Kriegergilde.
Den Wein und das Getreide will ich reinlich ehren,
Doch darf sich nicht der ganze Stamm daran berauschen,
Der Menschheit will ich sie symbolisch nur gewähren,
Zuerst jedoch die Erde selber noch belauschen.
[270]
Doch die Orakelantwort ahne ich zur Stunde:
Die Erde will, daß alle sich zuvörderst läutern,
Denn ihre reinste Frucht enthüllt sich nur im Munde
Des edlen Pilgrims und der echten Lebensdeuter!
Und Du, mein Sohn, genieße blos vom goldenen Weine,
Im Augenblick, da Du Dich ganz als Mann erkanntest:
Den Wahrsten blos durchschauere hold das Feuerreine,
Das sag ich Dir, zum Lohn, weil Du Dich schon ermanntest.
Du zwingst die Erde Deinen Traumrausch zu verlangen,
Es liebt die Welt bereits die Frucht unserer Bekanntschaft,
Wer Bilder sieht, braucht keinen Eindruck zu empfangen,
Das Mannwerk kennt man bald am Mangel aller Landschaft!«
»Die Kunst in uns erwuchs noch nie im stumpfen Rudel!«
So rufe ich: »Allein will ich mein Werk vollenden,
Es wuchtet in mir selbst ein furchtbar dumpfer Sprudel,
Oh Greis, ich zieh von Dir, hab Dank für Deine Spenden!
Der Mann, der sich vom Weibe gänzlich ausgespalten,
Kann in sich selbst den Geist vom Leibe unterscheiden,
Und läßt die Seele, als sein Liebstes, über beiden walten,
Und wird am Leib, was sie beleidigt, frei vermeiden.
Ein bloßes Wiederholen ist das Kinderzeugen,
Die Menschlichkeit hingegen dient Begeisterungszwecken,
Dem sucht die Frau, durch ihr Geheimniß vorzubeugen,
Und deshalb sehn wir Weiber das Geschlecht verstecken.
Vom Weib, von Erdenfesseln muß der Mann sich trennen
Und milde was ihn hindert in die Kissen legen,
Allein den Eigenmangel soll er rasch erkennen
Und schroff verachten, ohne lange zu erwägen.«
[271]
Das Sausenheim, das Tropfsteinloch des Grottengreises,
Vertausch ich nun mit Sturmgewölk und Regenmahnen,
Ich wähle mir den Schloßenscklag des Hageleises,
Statt eines Weisen Bart mit Weltbegeisterungsthränen!
Das prasselt und das gischtet erderfrischend nieder,
Und sieh, das spritzt und plätschert, wie der Stahl zersplittert,
Aus Schlitz und über Spitz der reinen Erdfelsglieder:
Und Licht erblick ich, das den Silberguß durchzittert.
Du heilige Himmelstraufe, die den Fels entkleidet,
Die Ackerkrumen vom bebauten Lande spülte
Und die es nimmer leidet, wenn man sorglos weidet,
Dich grüßt der Geist, der sich im Fleisch erwühlte.
Du reiner Regen, der das Felsgestein durchschauert,
Der mit dem Mondlicht, erdverliebt, sich ganz entladet,
Du Wasserbart, der den Orkan fast überdauert,
Du letztes Sturmwuchtbündel, wo der Geist sich badet,
Oh, laß mich einst das unfruchtbare Ding erfassen:
Ich kann mein Haus, der Noth gehorchend, nicht besorgen,
Das muß ich Weibern und den Knechten überlassen,
Ich fühle Ewigkeit und ich vergaß das Morgen.
So wie des Weisen Bart vom Geist herabgeflossen,
Denn in den Augen muß die Seele wohl erglühen,
So hast auch Du aus einem Sterne Dich ergossen,
Denn nur der Sirius kann so reine Pracht versprühen.
Die Seele wächst in diesem herrlich frischen Regen:
Sie öffnet ihrer Feuerblüthe Sternkelchflammen
Und läßt sich still von hellen Lichtgeweben hegen,
Sie muß bestimmt vom inneren Erdensterne stammen!
[272]
Oh lichte Himmelsmilch, ergieße Dich hernieder,
Umspinn der Urgluthblume weiblich keusches Becken,
Berühr der Kelchamphora wabezarte Glieder,
Und gleich wird sie in heiliger Furcht zusammenschrecken.
Umprassle, eisiger, kalter Schauer, meine Mannesmähne,
Laß Stahlgedanken Staatsgewalten scharf zerspalten:
Da ich mit blutiger Inbrunst mich nach Schlachten sehne,
So laß in mir das gluthgeschweißte Schwert erkalten.
Die Sterne werden mich auf meinem Zug begleiten!
Es zieht das Blut zum nimmersinkenden Gestirne:
Jetzt hört der Wuchtguß auf, der Umblick muß sich weiten,
Und Sterne spiegeln sich im Perlennaß der Stirne.
Heil Sirius, der den frischen Regen uns gespendet!
Du Erden und Du Himmelseinheit ohne Gleichen,
Du steigst nicht gern empor, lang bleibst Du abgewendet,
Und meidest da Tagarbeitsäcker, voll von Leichen.
Oh dunkle Schlummernacht, wie Du uns alle reinigst,
Wie sonderbar und wunderreich Du Dich betrachtest,
Mit Sternen glüht die reine Seele still vereinigt
Und staunt, wie sich das Lichtlosleibliche verachtet.
Die Erde selbst versinkt in ihre Eigenfalten:
Das Glanzlose ist Nachts dem kalten Nichts verfallen,
In Wirbelträumen fegen alle Taggewalten,
Mit Schreckgewalt, hinab in halbzerfallene Hallen.
Der Mensch vergißt sein Thun, daß er sich nur vergebet
Denn unschuldsrein, ein Kind der Ewigkeit, sind alle.
Lebst Du auch kurz in Deinem Schlummerspinngewebe,
So wahrt Dich doch das Zeitlose vom Folgenfalle.
[273]
Den Frevel bangt, hinabgeträumt ins Urbewußte,
Noch einst, als Zorneshose, tosend aufzutauchen,
Und das Verbrechen, das man einst begehen mußte,
Vermag man, unerkannt, zum Heile zu gebrauchen.
Mit Kindeseinfalt ruhen eingelullte Seelen,
Wie reine Seeen, nach den garstigen Tagesträumen:
Sie spiegeln Sterne und sie spielen mit Juwelen
Und fädeln Märchen ein und hegen Schicksalsbäume.
Oh Nacht, das Wunder fliegt aus Wolken um die Erde,
Der Geist erfrischt Dich wie der Wind und füllt die Lücken
Und Zwickel jeder jungermessenen Weltgeberde:
Die Freiheit siehst Du überall ihr Lichtschwert zücken.
Das Mondlicht will sogar das arme Land umarmen.
Erlösung möchte durch die Schönheitsflechten leuchten.
Wozu? Die Erde wird in garstiger Brunst erwarmen!
Warum die Feindin mit Geschmeiden rein befeuchten?
»Was brütest Du Menschenkind, hilf uns geschwinde,
Fang an, Deinen Acker zum Schutz zu ummauern,
Wo sind Deine Pferde, Dein Weib, das Gesinde,
Du bist wohl der Faulste von allen uns Bauern!«
Ich schau auf den Rufer und seh einen Wagen,
Von Rindern gezogen, mit Quadern befrachtet,
Bergauf einen mäßigen Halbtrab anschlagen,
Und drauf hockt ein Bauer, der schlau mich betrachtet.
[274]
»Ha Nachbar, Feldredner, erkennst Du mich nimmer?«
Dies hör ich: »Heh, wird denn Dein Blick auch schon trüber?«
Mein Nachbar fürwahr! Ich erkenn ihn im Schimmer
Des Mondlichts und laß ihn ganz lautlos vorüber.
Im Thal dort vernehm ich unsägliches Klagen,
Wahrscheinlich hat unten der furchtbare Regen
Die Bergsturzlawinen zusammengetragen,
Ich merk es, weil Menschen sich schrecklich aufregen.
Jetzt seh ich auf einmal Gestalten erscheinen:
Bestimmt nackte Männer, die bergaufwärts laufen.
Die Wehrlosen sehn mich und wimmen und weinen:
»Du magst uns aus Gnade als Sklaven ankaufen!«
»Ich brauche wohl Knechte, mein Feld zu besorgen!«
Dies geb ich zur Antwort; das Land, das mein Eigen,
Ist goldreich: so hoffe ich! Es mißt viele Morgen.
Und ich will mich nimmer zum Staub niederneigen.
»Wer seid Ihr?« so herrsch ich die Kerle entschlossen
Jetzt an. Und erbebend erklären mir jene:
»Die Fluth, die sich hoch über Berge ergossen,
Gebar uns für Dich, dort am Fuß dieser Lehne!«
Jetzt seh ich die Felsen auf einmal erstrahlen,
Ein Flammenband prachtvoll die Zacken umglasten,
Dann merk ich, wie Fackeln in Weltbrandspiralen
Erdämmern, da Männer den Sklaven nachhasten.
Sie klimmen am Abhang behend. »Unsere Krieger!«
So ruf ich und kann schon den ersten umarmen.
Das sind Babels Stadtthurm und Zinnenerflieger!
»Stoßt nieder!« schreit einer: »Und habt kein Erbarmen!«
[275]
»Erzählt erst was hat sich im Thale begeben!«
Bestimm ich; drauf sagt mir der Führer der Stürmer:
»Ein Wunder ists, daß diese Flüchtlinge leben,
Der Regen bescheert uns die elenden Würmer!«
»Der heilige Regen!« bestätigen die Gelben,
Denn erdfahl erscheinen die Flüchtigen belichtet;
Ich wende mich ab und vernehme vom selben:
»Wir haben schon längst die Gefangenen gerichtet!
Wir schonten sie nur, um die Geier zu speisen,
Sie lagen bewacht im befestigten Lager,
Und einzelne hatten sogar Feffeleisen,
Doch nährten wir sie, denn sie schienen zu hager,
Um einst unsern heiligen Geiern zu schmecken.
Wir dachten sie eben im Thal abzuschlachten,
Da goß es aus einmal an allen vier Ecken,
Es war als ob Himmel und Erde zerkrachten!«
»Gefesselt!« Befehl ich und höre dann weiter:
»Der Wall unseres Lagers ward plötzlich durchbrochen,
Nichts sah ich, die Bresche ward immer noch breiter,
Und da sind uns alle Gefangenen entkrochen!«
»Ich werde sie alle als Sklaven behalten!«
Dies wurde vom Kriegsvolk sofort angenommen:
»Wir haben ein riesiges Reich zu verwalten,
Und Parsen darf niedrige Arbeit nicht frommen!«
Jetzt seh ich im Felsschloß, knapp links gegenüber,
Entzückt eine herrliche Feuererscheinung:
Ich sehne mich hin, doch es wälzt sich ein trüber
Gebirgsbach, als trennte uns schroff eine Meinung,
[276]
Wildaufgeregt gischtend und zischend dazwischen.
Zwölf Riesen mit Fakeln stehn hoch auf der Brüstung!
Dort weilt auch mein Bruder: an echtkriegerischen
Geberden erkenn ich ihn jetzt in der Rüstung.
Er sieht mich und winkt mir nun freundlichabwehrend.
Er späht in die Tiefe. Er gleicht einem Sterne!
Es trachtet sein Troß, daß er Tod und Noth, wahrend
Er niederblickt, schnell aus dem Rückhalt entferne:
Jetzt wittert er sicherlich wildfremde Dinge!
Ich sehe ihn tiefinnerlich schrecklich erbeben.
Es ist, als ob Licht rings zu Schatten verklinge,
Er will sich vielleicht in den Himmel erheben.
Giganten gruppieren vertheilt Flammenflügel,
Es bilden die Fackeln, zu sechs, eine Spanne;
Mein Bruder bleibt ruhig und führt über Hügel
Die Heerschaaren aufwärts, im Augapfelbanne.
Jetzt seh ich verschiedene Fremdlinge nahen.
Zu mir kommen Greise mit herrlichen Bärten,
Die nackt sind und trotzdem mit Schmuck sich versahen
Und Treiber und Thiere mit Lasten beschwerten.
Sie tragen sonnartige, goldene Scheiben,
Die Weiber erscheinen in gelben Gewändern,
Und Kinder, die munter die Maulthiere treiben,
Entstammen bereits den verschiedensten Ländern.
Es spricht jetzt ein Greis: »Sieh die Priesterschaft Babels,
Hier stehn wir von Ria geschützt und gefangen,
Wir suchen Poissona im Schooß des Weltnabels
Und möchten zum Schiffe des Nouah gelangen.
[277]
Dem Licht sind wir immer entgegen gezogen,
Und leicht wallt kein Voltsstamm von Norden nach Osten,
Drum sind wir dem Gold und dem Gelb stets gewogen,
Auch wir sind Naturen, die nimmermehr rosten!
Wir haben die Sonnensymbole, zum Schutze
De Freiheit der Welt, in die Knechtschaft getragen,
Doch nun wird es dunkel, und siehe, ich stutze:
Vielleicht kann die Nacht uns jetzt zwiefach arg plagen.
Denn Bal rast vom Ausgang nach Westen und trachtet
Den Lichtschatz auf ewig für sich zu erhalten;
Erjagt er die Räuber, so ringt er, umnachtet,
Im Erdbauche selbst, um die Alltagsgewalten.
Nun sieh, diese Schilde und Weltlichtgeschirre
Versteckten wir tief in den Felstempelkellern,
Hier sind sie jetzt, ach, und ich fürchte, Bal irre
Durch Erdlabyrinthe, mit Himmelserhellern,
Und könne die Krönungsgeschmeide nicht finden!
Wir haben sie oben nach Osten getragen.
Gestatte darum, daß wir selbst nicht erblinden,
Sie dorthin zu thun, wo sie dereinstig lagen.«
Beim Bruder verunglimpft man mich jetzt wahrscheinlich,
Denn alle Verfolger und Peiniger sind drüben,
Doch wahrlich, mir ist diese Schimpfart nicht peinlich,
Es kann mich die Grausamkeit höchstens betrüben.
Ich habe im Kriege zwei Söhne verloren
Und kann die Gefangenen als Sklaven behalten,
Was wollen auf einmal die mordlustigen Thoren?
Nur fortwährend Köpfe und Töpfe zerspalten!
[278]
Jetzt fordern die Tröpfe zum mindesten Weiber!
»Ihr Priester des Bal, laßt uns liebliche Geiseln!«
So sprech ich: »und dann, weiße Lichtervertreiber,
Bringt Sonnenschein wieder, sonst wird man Euch geißeln!«
Drauf sagt Bals Vertreter: »Oh Parsifürst, glaube,
Wir leben und laben uns nur durchs Erraffen,
Die Grausamkeit juckt uns am meisten beim Raube,
Und selbst unsere Sinne sind schreckliche Waffen.
Das Weib an sich reißen, das Fleisch geil besitzen,
Das scheint mir der Innbegriff aller Entartung,
Das Dasein ist nichts als ein Sinnenerhitzen,
Drum freie im Weibe den Keim der Erwartung!
Ein anderes, früheres, leidloses Leben
Wird einst durch die Reize der Weiblichkeit zittern,
Oh sieh, hier steht Zirbanit, dem hold ergeben,
Der trachten wird, Räthsel im Rausche zu wittern.
Fürwahr, ihr Nacktheit ist prachtvoll zu schauen,
Ihr Blutfunkelauge ist scheu abgewendet,
Es bangt jede Faser, den Leib faßt ein Grauen,
Wo wäre der Mensch, den der Zauber nicht blendet?
Es sucht jede Muskel sich keusch zu verstecken,
Das Fieber der Scham übersprüht ihre Brüste,
Es müssen Dich Flammen der Sehnsucht belecken,
Wo wäre der Mann, der nicht zustürzen müßte!«
»Vertraue ihm nicht!« schreit auf einmal ein anderer,
»Auch ich bin ein Priester und herrlicher Seher,
Ich stamme vom Volke der Nilthalauswanderer,
Das Babylon knechtete: ich bin Hebräer!
[279]
Das alles war lasterhaft falsches Geplapper,
Ich selbst habe häufig vom Weltfall gesprochen,
Doch sagt ich das alles gleich klarer und knapper,
Und der hat begierig am Braten gerochen.
Sieh Zirbanit hier, die verwerfliche Metze,
Die Scheol aus sich in die Menschheit gespieen:
Sie spinnt jetzt Lichtschleier und Sinnlichkeitsnetze,
Ihr ward demiurgische Urkraft verliehen.
Die Tochter der Schlange kann niemand besiegen,
Drum sollt Ihr sie nimmer dem Sonnengott opfern,
Ich weiß, was ich sage, sie kann nicht erliegen!
Ich horchte schon oftmals mit Felsgrottenklopfern
In schallenden Hallen, an Wänden und Schlünden,
Und habe die Wahrheit des Daseins erfahren,
Nun will ich sie Euch, edle Parsen, verkünden,
Dann könnt Ihr uns allen viel Unheil ersparen!
Die menschliche Seele kann nimmermehr sterben
Und trachtet, entleibt, was ihr gleicht, zu umschleichen,
Um irdische Wesen für sich anzuwerben
Und Gutes und Böses, nach Lust, zu erreichen.
In Zirbanit walten unendliche Mächte!
Sie würde, geschlachtet, Euch alle durchgruseln,
Ihr würdet der Wollust ergebenste Knechte,
Drum laßt sie, in Kerkerhaft, langsam verduseln.«
»Ich kann Euch die Antwort, bei Leide, nicht sagen,
Mein Bruder nur darf einen Urtheilsspruch fallen,
Ihr seht ihn dort hehr, hellerleuchtet aufragen!«
So sprech ich: »Ihr mögt Euch zu ihm hingesellen!
[280]
Das Reich unserer Seele, ihm sei es beschieden:
Der Geist hat die Pflicht in die Lücken zu dringen,
Er schaffe aus Willkür den Krieg und den Frieden,
Und ich muß die Welt in sein Rechtsystem zwingen.
Ersetzt jetzt den Gießbach, der endlich versiegte,
Nun mögen mich Menschen vom Erzbruder trennen!«
Es ist mir, als ob sich ein Greis heranschmiegte,
Derweilen schon einige den Lichtfels berennen.
»Ich kam aus Milet, um mit Dir aufzutreten,«
So lispelt mir jemand, allein, in die Ohren,
Ich sehe mich um und bemerk den Poeten,
Der früher sich unter den Fremden verloren.
»Ich bin erst, Du sahst es, den Priestern entschlichen,«
So spricht er jetzt leise: »Ich liebe die Geister,
Die Einsamkeit suchend, der Lust ausgewichen,
Ich selbst bin ein Weiser und Leidenschaftsmeister.
Der Sieg über Babylon ist Euch gelungen,
Das wird Euerm Leibe wahrscheinlich behagen:
Die Juden sind tief in das Reich eingedrungen,
Drum kann Eure Seele Propheten befragen!
Doch Hellas allein wird die Selbsteinsicht scharfen,
Von mir kannst Du einst noch das Auffliegen lernen:
Und ohne den freundlichen Leib abzuwerfen,
Gelangst Du zu Roß bis empor zu den Sternen.
Ihr glaubt an die Engel, die wolkenhoch stiegen,
Und habt Sonnenboten noch niemals gesehen,
Doch konnte ein Mensch sich im Winde schon wiegen,
Denn Bellerophon sah ich himmelwärts wehen.
[281]
Aus Griechenlands wonnigen Rebengeländen
Vermagst Du dereinst in den Äther zu schweben,
Es wird Dir ein Abend, mit zitternden Händen,
Dort Flügel aus tönenden Goldwellen weben.
Dann fliegst Du zu Pferd über Länder und Meere,
Gesehn und gefolgt von geharnischtem Heere,
Kein Volk setzt sich je solchen Helden zur Wehre,
Drum komme, beschwingt durch die sonneigene Schwere!«
Ich kann das Gesicht dieses Weisen nicht leiden,
Es strahlt aus dem Greis eine schreckliche Kälte,
Ich will, er soll gleich meine Einsamkeit meiden,
Wer weiß, was mir jäh meinen Flugtraum vergällte?
[Es mag die Taggestalt in mir langsam verdämmern]
Es mag die Taggestalt in mir langsam verdämmern,
Der Eindruck bleibt an tausend Seelenecken haften,
Das Traumgeschaute läßt sich gern zum Erzwerk hämmern,
Drum sprüht Blutflammen, die schon oft Kunstformen schafften.
Da keine Weite meinen Seelenstern entkräftet,
Will ich die Erde mühsam weiter überschreiten,
Voll Schwermuth an den schwachen Wanderleib geheftet,
Wird Reinerfahrenes mich unendlich lang begleiten!
Die Seele wird sich in die Sternenacht versenken,
Doch gilt es Meer und Länder kühn zu überfliegen,
Der Erdenwechsel regt am besten an, zu denken,
Und das Gedächtniß will das Zufallsspiel besiegen.
Die Sterne müssen wohl die holde Erde lieben,
Denn mit erstaunten Blicken sehn sie rings hernieder,
[282] Und einige nahen gar, von Sehnsucht angetrieben,
Und blicken fort und fort und senken nie die Lider.
Du rothe Welt, die unserm Leib so nah gekommen,
Vielleicht weil unsere Seelen Dich herbeigerufen,
Du glühst mich an: was kann Dir wohl auf Erden frommen,
Vielleicht die Gluthgewalten, die uns freundlich schufen?
Oh, bleibe uns und wolle nimmer von uns scheiden!
Erschöpfe, nimm das Beste was uns hier zu eigen,
Für Deine Freude wird die Menschheit gerne leiden,
Erscheine, tritt aus Deinem hehren Bruderreigen.
Der Erde Inbrunst wirst Du schaurig in uns fühlen,
Die Traumlandschaft in mir ist gut und bieder,
Die Erdbrunst kann sich sanft im Waldgewipfel kühlen
Und jede Krone singt im Winde ihre Eigenlieder.
Priapisch grad entfalten sich die schlanken Palmen,
Und männlichsteil erstehn die Bergzypressen,
In ithyphallen Pflanzen kann die Brunst verqualmen
Und nasses Harz aus ihren schlaffen Fasern pressen.
Du Feuerfürst, so steig herab in Deine Wohnung!
Ich sehe Dich! Du wirst in meinem Traum lebendig:
Nun habe Dank, nimm was Du magst hier zur Belohnung,
Inwendig sprüht das Feuerglück bereits unbändig!
Du gelber Held und Erdenfreund, folg dem Gefährten,
Und kühre Lebensgluth, in kühner Weibgestaltung,
Denn in den Gärten, rings verheckt mit Flechtenbärten,
Gebarst Du Königinnen in der Krönungshaltung.
Sieh, Blüthenschleppen schwellen auf besterntem Teppich,
Die Majestäten sind in Eigenpracht gekleidet,
[283] Und nur verbrämt mit fremdem dunklem Eppich:
Das sind die Haine, die das Waldleid ewig meidet.
Du Grüngestirn, das sich behutsam will erschließen,
Es sprüht bereits Dein Prachtsmaragd aus meinen Leiden,
Hörst Du den Bach durch weite Wiesen fließen?
Und um den Tummler, sieh die stummen Trauerweiden!
Das sind verbannte Dienerinnen, die dort weinen,
Ihr Lockenhaar hat ihre Herrinnen verdrossen,
Oh Mondlicht komm, Du sollst den Armen hold erscheinen,
Laß Hoffnungsfunken auf dem Goldgeflecht ersprossen.
Du kannst das Leid der eitlen Dinger leicht verringern:
So komm und kämme sie mit Deiner Glitzerbriese,
Berühr ihr Haar mit lichten Fieberfingern
Und schmück mit Silberstocken ringsum ihre Wiese.
Mein trauter Traum, in blauem Trauerkleide,
Auch Du laß Deinen Edelstein erglitzern,
Ein Weidenkreis steht ganz allein auf weiter Haide
Und lauscht dem Murmellaut von Rauschräthselbesitzern.
Der heilige Baum ist selbst ein Priester unserer Erbe,
Der ganze Stamm von jener Art ist stark bebartet:
Versammle drüben Deiner Deuter Dienerheerde,
Und ruf uns auf, wenn uns das Magierthum erwartet.
Du Purpurfunke unserer Blutkunstinbrunst, flimmre,
Durchwirble hurtig unsere Traumgestaltungshallen,
Genie, erhasch ein Zufallskind, entführ es, zimmre
Der Nacktgestalt ein Fabelheim aus Bernstein und Korallen.
Der Rhythmus schnelle rasch den Traum ins Leben,
Der Pulsschlag öffne immer andere Wunderthüren,
[284] Stets junges Dasein schöpfte stets des Künstlers Herzerbeben,
Denn jede Neigung mag er zum Altare führen!
Da seid ihr, Sterngestalten, edle Perserfürsten,
Vom Himmel steigt Ihr hehr und steil hernieder,
Ihr fühlt die Seelen hier nach Ruhmesgluthen dürsten
Und habt als Götter doch beschwingte Erdstierglieder.
Der Fürsten fünf, die meine Seele angerufen,
Folgt noch ein großer Sonnengott mit goldener Krone!
Doch reift sein Reich nicht aus! Er stampfts mit eigenen Hufen!
Er kommt vom Nord und zwingt den Ost zu kurzer Frohne.
Der Siebente ist klein und bleibt der Sonne nahe,
Auch er wird seinen Ringlauf, bald erschöpft, vollenden,
Doch was ich selbst bereits durch meine That bejahe:
Das rothe Licht soll Persien jetzt sein Weltreich spenden!

Fürwahr, nun ist Irans Gewalttag erschienen,
Es steigen jetzt sieben Regenten hernieder,
Sie haben nur arische, aufrichtige Mienen,
Doch Babylons Prachtstil erschuf ihre Glieder.
Die breiteste Plastik verknüpft alle Rhythmen,
Die Muskeln durchwachsen sich straff aderartig,
Hier muß jeder Zug sich der Ruhurwucht widmen,
Drum ist auch im Stierrumpf kein Ruck zweckdumpf hastig.
Die Äthergeburten, mit Landstampfverlangen,
Sind wirklich als Büffel vortrefflich gerüstet,
Und da sie noch über mir riesenhaft hangen,
Erführe ich gern was im Windquirl sich brüstet.
[285]
Denn Brunst und Lust, Lust und Brunst sind nun das gleichet:
Es dringt mir mein Mutterlaut wie Milch zum Ohre,
Wer weiß, ob ich je den Allinhalt erreiche,
Ich fühle jetzt Gold und durchschweife Goldthore.
Die Flügel der Könige rauschen herunter:
Die Rhythmen sind alle melodisch verkettet
Und streben, statt rumpfkunderbunt, frei und munter
Zusammen und steigen ins Gleichmaaß gebettet.
Jetzt scheint auch das Volk seine Herrscher zu sehen,
Denn überall ruft man: »Dem Könige das Beste,
Es soll ein Geschlecht ohne Sorgen bestehen:
Dem Throne die Feste, dem Volk blos die Reste!«
Ich rufe: »Nun kommt, Eure Veste zu bauen,
Die Könige mögen in Prunkhallen schweben
Und Schönheit und Größe in Schlössern erschauen,
So kommt, in uns selber die Pracht zu beleben!«
Die Landschaft erscheint mir wahrhaft unendlich!
Mein Bruder zieht drüben mit Priestern vorüber,
Nun ist Persiens göttliche Macht unabwendlich,
Doch Brüder, drum wird Euer Schicksal nicht trüber!
Die Sonne soll wieder die Schollen bescheinen,
Das Lebenswort künden bereits ihre Priester,
Ich sehe den Bruder die Fremden vereinen,
Dort steht er, hebräische Texte verliest er.
Was wollen die Menschen? Was wünschen wir alle!
Aus uns irgend etwas, vielleicht unsere Seelen,
Ins Übermaaß schnellen: dann bleibt nach dem Falle
Ein Steinmal, das kann dann von uns breit erzählen!
[286]
Der erste Alleinherrscher Persiens betrachtet
Uns jetzt aus der Schwebehöh würdig und schrecklich:
Nun ist auch im Volk, das nach Königsmacht schmachtet,
Die Urkraft aus jeglicher Regung erwecklich.
Der König erscheint als ein Nachtungeheuer:
Den Stierrumpf umkräuseln assyrische Locken,
Die riesigen Flügel aus klingendem Feuer
Vergolden die Welt als Kometbrockenstocken.
Im Nacken verkrallt, hockt ein Adler und wittert,
Als lebender Helm, noch zurück zu den Sternen,
Und kann, wenn ein Goldmeteor niederzittert,
Die Speere des Himmels vom Herrscher entfernen.
Drum jubelt das Volk und mit Fackeln berennt es
Die Lehnen der Berge und peitscht die Gefangenen,
In diesen erglüht drum des Brandelementes
Wuthwirkung und leidreicher Wunsch zu vergangenen
Machttagen von Babylon rückwärts zu steuern.
Doch hilft nichts! Die siegreichen Perser entzünden
Im Fleische noch immer Schmerzfuchteln und feuern
Die Sklaven an, mühsam den Staat mitzugründen.
Die riesigen Augen des Weltherrschers bannen
Die Heerschaaren Asiens in schreckliche Knechtschaft:
Sein Blick kann den Weltwiderstand übermannen,
Denn jeder ist froh, der sein Frohntheil nur recht schafft.
Die Pflichtwichte wimmeln herbei und verzichten
Auf jeglichen Antheil am Ruhme der Großen,
Du siehst sie ekstatisch Frohndienste verrichten,
Selbst Felsen fürs Königsschloß bergaufwärts stoßen.
[287]
Da schafft man soeben Krystallkalkquadrate,
Auf Wagen von Ochsen gezogen, zur Stelle:
Und jetzt ists, als ob uns ein Siegerzug nahte,
Denn Fackeln verbreiten ringsum Tagesbelle.
Gefesselte Menschen erblickt meine Seele!
Sie scheinen nach Freiheit und Freude zu lechzen,
Es ist, als ob schreckliches Heimweh sie quäle,
Doch hör ich sie kaum beim Vorübergehn ächzen.
Sie schreiten gelassen zur Arbeit und bücken
Entkettet die bräunlichen Leiber hernieder,
Sie werden stumm helfen, die Königsburg schmücken,
Nur Schreivögel spreizen ihr grelles Gefieder.
Es lechzen der Fackeln luftdurstige Zungen
Aus perlendem Dunste nach freierem Äther,
Sie flattern ermattet, vom Kriegslärm umklungen,
Denn ringsherum blasen Triumphzugstrompeter.
Man schleift Elephanten, mit arger Beschwerde,
Aus Indien herbei, und die Rüsselthiertruppen
Beschnüffeln ermüdet die glühende Erde
Und schnuppern nach Pfützen, versprengt zwischen Kuppen.
Die Mädchen, die liebliche Schleier umglitzern,
Erglühen im Fieber und spähen nach Rettung,
Sie fürchten sich keusch vor den fremden Besitzern
Und scheuen die bräutliche Schicksalsverkettung.
Wohl durstet der Jungfrau im Perlengeschmeide.
Ich winke ihr zu. Sie begreift mich im Fluge!
Was fühlen wir beide, gemeinsam im Leide!
Ich habe noch Wasser im steinernen Kruge,
[288]
Ich fülle damit ihre Perlmutterschale.
Nun dankt sie mir stumm. Ach, sie schwankt wieder weiter!
Wohin, in die Arme von welchem Gemahle?
Ach, würde mein Bruder ihr Seelenbegleiter!
»Herbei Babelsmannen, beschafft blanke Platten,
Genug schaler Laster und schmachvoll verpraßter
Glanztage, die gar nichts von Manneskraft hatten!«
So ruf ich: »Ich brauche zum Bau Alabaster!«
Der schwebende König bezeichnet die Stelle,
An welcher er will, daß die Schloßsäulen stehen,
Er selber erglänzt in lichthellem Stierfelle
Und wird jetzt von jedem der da ist gesehen.
Ich spüre die Reihe der späteren Sieben,
Doch scheint sie im Volke fast niemand zu merken,
Es schreit nur: »Dem König kann alles belieben,
Er schmecke den Lustkern von sämtlichen Werken!«
Jetzt treiben schon mehrere Rädermaschinen.
Die Sklaven aus Babel beginnen zu bauen.
Sie können am besten im Hebelwerk dienen,
Auch kann ich sie leicht mit der Aufsicht betrauen.
Sie hatten versucht, Himmelsstiegen zu thürmen:
Und ist auch ihr riesiges Luftschloß mißlungen,
So trachtet ihr Geist jetzt den Äther zu stürmen,
Und manche Baukenntniß ist lang nicht verklungen!
Es drohn schon erhobene Säulenkollosse.
Krystallkalkpilaster umarmen die Hallen,
In der unser König am Throne, dem Trosse
Der Allstaatssatrapen und manchem Vasallen
[289]
Dereinst, nach Vollendung der Festung, erscheine.
Es kann Alabaster die Hauptwand verschalen.
Die hehre Palastpracht verdeckt jetzt die Steine.
Und mancher Sohn Babels singt an hold zu malen.
Da kommen die Schaaren aus Mesopotamien:
Auch Juden und Griechinnen seh ich darunter,
Da giebts lauter Weiber, selbst grausame Lamien:
Kein Teufelsput schien mir noch je kunterbunter.
Man trägt auch gigantische Harzfackeln aufwärts,
Es nahen Hetären auf schlanken Kameelen
Und werfen rings Dinge geringfügigen Raufwerths
Ins Pack der Begleiter, damit sie nicht stehlen.
Den Hals der Giraffen umarmen Halbaffen,
Vampyrkinder sind es mit Haar im Gesichte:
Gespenstpanther seh ich aus Fraufratzen paffen,
Und ringsumher schwirren beschwingte Sphinxwichte.
Adonis und Balaat kommen aus Babel,
Ein Priester Phöniziens bringt heilige Smaragde,
Ein anderer die Axt, womit Kain einstmals Abel
Das Haupt, und dann Moses den Kalbskopf zerhackte.
Ja Belgephor selbst, der priapische Esel,
Der Luftsprünge macht, trachtet Nothzucht zu treiben.
Das ärgert die Priester: ihr fremdes Genäsel
Bezeigt es, doch mir muß das räthselhaft bleiben.
Hebräer bemerk ich auf gelben Kameelen,
Darunter vermengt und versteckt Dromedare,
Die wollen sie pfiffig im Zuge verhehlen,
Damit sich ihr Diebstalgeheimniß bewahre.
[290]
Jetzt stiegt ein ganz schrecklicher Eber vorüber
Und packt Rindskopflarven im Fluge zum Fraße,
Und nun giebt sich, kriegt alles rings Nasenstüber,
Denn Zuchtstiere brüllen: und frei ist die Straße!
Sie rennen mit Riesengewalt durchs Gedränge
Und trachten den Anlauf zum Flug zu benützen:
Für einmal genügt jedes Flügelpaars Länge,
Doch muß sie die Brunstwuth beim Sprung unterstützen.
Wohl mag eine Spukkuh im Säulenbau kauern!
Was kann gar als Alpkalb im Hallenhaus heulen?
Vielleicht macht der König sie selbst wild erschauern,
Denn siehe, sie springen hinauf auf die Säulen!
Das setzt jetzt ein Klatschen und lautes Frohlocken:
Die Dewas und selbst die Assouras umtanzen
Die Knäufe, auf denen die Stierrümpfe hocken,
Ja, Hansa und Naga und Schlangenschlingpflanzen
Beginnen nun rings einen Firlefanzreigen.
Die Stierhörnerspitzen umschwirren Giftmücken,
Dann seh ich der Erde Bul plötzlich entsteigen
Und alles Monströse im Nu überbrücken.
Im Dunkel verschwunden sind alle Gespenster!
Warum war das Bul? Ich schau zum Palaste:
Dort ruhen die Stiere, erglitzern die Fenster,
Es ist, als ob Wabe die Veste erfaßte!
Das sind lichte Ized und Fervergewänder:
Die persischen Gluthgeister helfen beim Werke:
Das war der Steg Tschinvat, und Festungsvollender
Bezwangen die Drushas durch Amschaspandstärke.
[291]
Sie wollen das Dach auf das Herrscherhaus setzen:
Oh, könnte mein Denken Millionen bescheeren,
Denn seht, sie verstehn nicht das Felsenwegwetzen!
»So helft denn den Weibern, Gehilfen gebären,
Ihr geistigen Engel, wir sorgen für Leiber,
Herbei frische Weiber!« so ruf ich begeistert:
»Steh bei, Vohu Manô, betreib Fruchtabtreiber,
Sieh zu, wie der Mensch Elemente stolz meistert!«
Unglaubliche Geilheit erfaßt alle Wichte.
Hier ächzt man aus Lust, und dort kommen schon Wehen!
Es freut mich nun selbst diese wilde Geschichte,
Doch sehe ich leider auch Peris und Feeen.
In Leibern verkrampft und von Weibern zerbissen,
Vergeß ich mich nicht und ich schreie: »Ihr Männer,
Zum heiligen Werke, entwimmelt den Kissen,
Herbei Ihr Besiegten und freien Bekenner!«
Die Amescha Spentas erwarten am Dache
Die Ankunft des alten und frischen Geschlechtes.
Ihouras, ach, macht daß die Urkraft erwache,
Steht bei, Ihr Entscheider des Seelengefechtes.
Das war eine prachtvolle Glastfackelnbrandung!
Laut jauchzend umrast man den Saum des Palastes
Und trachtet die Quadern zur Dachstuhlumrandung
Ekstatisch zu heben. Den Knauf jedes Mastes
Belastet bereits eine Platte. »Schafft weiter!
Noch einmal, oh Menschheit, verrenk Dich zur Treppe!
Der Rumpfwurm wird immer noch brünstiger und breiter,
Und werfende Weiber sind rings Deine Schleppe.«
[292]
Noch einmal und wiederum wuchtet der Strudel
Mit Brandfackelkämmen hinan zum Palaste:
Nun giebt es ein Brunstrumpfgenudel, als prudel
Ein Schlangengewirr, schon vernehmbar dem Taste,
Den Bauch hindurchsurrend, durchsichtig und weichlich,
Hindurch, durch die furchtbar befrachtete Menge.
Die Adern sind sichtbar, das Hautgefühl speichlich,
Und immer fort brummts durch die ganze Lurchlänge.
Vom Urrumpfe spalten sich ringsumher Schlangen,
Und jedermann schnürt solch ein Albungeheuer:
Jetzt sind bereits alle von Armen umfangen,
Da zieht der Polyp sie herab und speit Feuer.
Nun sausen Glastadler mit Flammengefieder
Herbei, um die Menschen aus (Dual zu befreien,
Denn alle umschließt jetzt ein Müdigkeitsmieder,
Durchfiebert und schlaff sind die ganzen Sturmreihen.
Die Leute gewahren wohl kaum die Gluthschlange,
Die leuchtende Adler gewaltsam zerhacken,
Sie fühlen blos, Kühle berührt ihre Wange:
Vom Flügelschlag rührt das, beim Krampfrumpfanpacken!
Doch siehe, die Schlange ist nicht zu vernichten!
Die stammende Mähne der Erde gebiert sich
Stets andere Spuklurche, die Jammer anrichten:
Ich selbst zähle rings der Verschiedensten vierzig.
Von allen Weltenden, wo zehn jetzt entstehen,
Erscheinen auch riesige brennende Herzen.
Sie wandern. Das sind meines Bruders Armeeen.
Die werden uns helfen, den Feind auszumerzen.
[293]
Dort fließen die Pulse der Welt hold zusammen
Der Glaube der Erde umloht meinen Bruder,
Die Götter, die sämmtlichen Ländern entstammen,
Erschufen doch alle der Seele Lichtruder.
Es werden die Fackeln einhellig getragen.
Vereint schreiten Perser, Hellenen, Semiten.
Drum können auch Flammen zusammen aufragen
Und wirklich den Anblick von Glastherzen bieten.
Nun stiegen Sputschnuppen zur Rettung herunter:
Und statt zu verpuffen, entwickeln sich Schlangen,
Und munter umwirbelt ein flügger und bunter
Luftlurchenschwarm Menschen, vom Erdschmerz umfangen.
Wo immer ein Adler die Schlange gebissen,
Entschlüpft ihr ein Vogelkopf, spreizt sie Lichtschwingen,
Und ist drum, vom Himmelsgezücht wild zerrissen,
Geeigneter, geistiges Sein zu bezwingen.
Drum trachten die Drachen jetzt, Brunstwuth zu wecken
Und eigenen Rasseschleim überzuspritzen:
Du siehst schon die Erdstammen geil aufwärts lecken
Und alles begehrend sich wild überhitzen.
Das ist jetzt ein üppiges Hin und Herhüpfen:
Die Wollust durchzuckt selbst den Urrumpf der Lurche,
Man steht ihn verrenkt sich noch überverknüpfen,
Und irgend ein Leib steckt in jeglicher Furche.
Jetzt streckt sich die Hydra in schrecklicher Geilheit
Und hat in den Achseln Kadaver und Platten!
Mein Bruder benützt die priapische Steilheit
Und läßt zwar die röchelnden Menschen ermatten,
[294]
Doch reißt er die Würfel empor auf die Zinnen
Und sieht dann die Schlange in sich schlaff versinken:
Es siegte der Himmel! Das Fest kann beginnen!
Man scheint mir vom fast fertigen Dachstuhl zu winken.
Bald siehst Du nichts anderes als Nachtüberwinder.
Die grauslichen Erdrauschgeburten verrauchen.
Noch halten Glastadler Weibsleichen und Kinder,
Die lebend und schwebend im Umkreis auftauchen.
Das junge Geschlecht ist auf einmal geboren:
Jetzt legen es Atârgestalten zu Boden;
So ging wohl der Rassenkontrast schon verloren,
Und Einheit entrang sich den Kampfepisoden.
Der Jubel ist riesig. Das Werk wird gelingen!
Der erste Regent ist bereits eingezogen:
Sein Wesen kann alles hieratisch durchdringen,
Das Schloß scheint von hohen Geboten umflogen.
Schon nähern sich Gäste der herrlichen Veste,
Doch blieb gegen Osten der Bau unvollendet,
Dort liegen noch überall Trümmer und Reste:
Vom Würfelgetäfel ward wenig verwendet.
»Heran denn zur Arbeit, jetzt giebts keine Schlange!«
Das höre ich rufen, und dann heißt es weiter:
»Herbei faule Krabben, was macht Euch da bange,
Zur Arbeit, zur Arbeit, seid steißig und heiter!«
Nun wälzt sich die Menge, verkrümmt, in die Frohne.
Schon klettern verschiedene Kerle behändig
Auf Säulen empor. Und auf hohem Balkone
Wird alles auf einmal beim Schmücken lebendig.
[295]
Doch müde und keuchend erreichen die meisten
Die Pforten des Schlosses und stürzen zusammen:
Die Menge kann nimmer das Sonnenwerk leisten,
Und manche beginnen die Macht zu verdammen!
Da rast einer plötzlich mit qualmender Fackel
Hinan zum Palaste und schreit traumrauschtrunken:
»Du Albkolloß Irans, Du Weltzwingburg wackel,
Du Sternenregent Du, nun herrsch unter Funken!«
Dem Wüthenden stürzt sich kein Wesen entgegen,
Es folgen ihm alle Rebellen und stürmen
Die Stufen des Baues, und sieh, allerwegen
Beginnen sich Menschen schloßhoch aufzuthürmen.
Der Augenblick wird nun mit Kraft wahrgenommen.
Mein Bruder zerschmettert vor sich die Rebellen,
Und schneidet somit, die schon aufwärtsgeklommen,
Durch Schwertschlage rasch von den untern Gesellen,
Den Nutzlosgefährlichen, ab, und hochoben
Vollenden die muthvollen Vordern den Prachtbau!
Nun kommen die Gäste, den Bruder zu loben,
Und fordern, daß jeder auf göttliche Macht bau!
Es zeigt jetzt mein Bruder den vornehmen Gasten,
Daß nur Hundsgemeine beim Burgbau erlagen,
Man räumt die Kadaver, die alles verpesten,
Rasch weg und dann geht man zu Freudengelagen.
Es jubelt das Volk und es klatschen Eunuchen!
Die Jünglinge führen die züchtigen Braute,
Von allen vier Seiten herbei und ersuchen
Den König und selbst seine Schloßedelleute,
[296]
Sich erst mit den Jungfrauen gut zu vergnügen,
Bevor sie die Gattin dem Mann überlassen,
»Wir werden uns stets mit den Resten begnügen«,
So brüllt man: »Doch drinnen im Schloß sollt Ihr prassen!«
[Die Burg prangt auf Irans gewaltigster Lehne]
Die Burg prangt auf Irans gewaltigster Lehne.
Es weidet der Geist, der sie schuf, Glücksgefühle
Den Schloßbau entlang, denn es ruht jede Sehne:
Zufriedenheit birgt hundert Seelenrastpfühle.
Der erste Gewaltherr erstrahlt im Palaste,
Die späteren sechs nahen langsam den Hallen,
So wird jede prachtvolle Himmelsglastquaste
Dereinst als Weltherrscher von oben einfallen.
Am Bergabhang, rückwärts, erglüht die Felskante.
Mein Bruder entzündete dort sechs Herzherde,
Und, als ob das Schloß Feuerflügel ausspannte,
Um aufzufliehn, strahlt die iranische Erde.
Die Gäste sind lange im Prachtsaal versammelt,
Ich selbst will hineingehen, mich drin zu erfreuen:
Am Eingang gewahr ich, daß etwas da bammelt,
Und düster empfängt mich das Brüllen von Leuen.
Wahrhaftig, zwei Sklaven sind dort angekettet,
Es trachtet der eine, die Fesseln zu sprengen
Und schreit: »Ach, ich habe die Freiheit verwettet,
Wer kann jetzt noch Machthaber angstlos bedrängen.
[297]
Du Wandrer, gewahr meine Schmach: ich verschmachte!
Die Schlange war gar nicht so arg und gefährlich,
Die Adlerschaar wars, die das Menschenleid brachte,
Der Wabewurm bleibt uns zum Schutz unentbehrlich.
Es wollte die Erde die Nachtmacht benutzen: –
Du weißt es, sie fliegt mit gestirnten Spannen
Dem Manne entgegen, – um Schwaches zu stützen,
Als plötzlich die Aare zu hacken begannen!
Wohl siehst Du das Schloß jetzt, gewaltsam vollendet:
Doch wie zwischen Menschen und Thieren des Lichtes,
Ist nun auch die Freundschaft der Stände beendet,
Das sag ich Dir dreist, und willst Dus, bericht es.«
Von Schmerz überwältigt verstummt nun der Sklave.
Er hängt am Pilaster, ein Schaustück der Straße.
Er zerrt an der Last der Palastarchitrave,
Und Muskeln erwuchern zum Kraftübermaaße.
Der andere ist schöner: voll Jugend, ganz Anmuth!
Und scheint doch schon lange als Sklave zu leiden:
Er schmiegt sich ans Schicksal: man sieht, er gewann Muth
Und läßt still die Striemen ins weiche Fleisch schneiden.
Die Urkraft, sein Erbtheil, hier muß sie verkommen.
Sein üppiger Brustkorb beschwert schon die Lenden.
Sein Athmen ist plastisch, unsagbar beklommen.
Die Kraftarme enden in weiblichen Händen.
Die fleischigen Beine, in männlicher Länge,
Scheint weibliche Keuschheit beinahe zu kreuzen:
Es ist, als ob eines zum anderen dränge,
Und plastisch, statt geistiggeschlechtlich, zu reizen.
[298]
Nun sagt mir der Jüngling: »Gar lang muß ich schmachten!
Im Wesen der Welt liegt es, Wesen zu scheiden,
Die Sonne scheint ewig nach Trennung zu trachten
Und sammelt die Thränen im Brunnen der Leiden.
Ganz Mann kann der Arier sich jetzt hehr erheben,
Das reine Geschlechtsweib entsinkt seiner Nähe,
Ich selbst muß verachtet den Zwist überleben,
Ich weiß, daß ich mittendrin weiterbestehe.
Um mich zu verleugnen, erzieht Ihr Eunuchen,
Ihr Leid muß im Streit der Geschlechter vermitteln,
Ein Kettenglied sind sie: mich mögt Ihr verfluchen,
Ich träume mein Ursein und will nirgends rütteln!«
»Ich kann nicht Dein Freund sein, mir fehlt das Verständniß
Für Zwittergestalten, mein Ruf gellt nach Reinheit:
Dein Schrei ist beinahe ein Ohnmachtsgeständniß,
Ein Mann sein ist Pflicht und ein Fluch Geschlechtseinheit!«
Das, sage ich, brülle dann wüthend hinüber:
»Es darf kein Eunuche das Lichtreich bestecken,
Hinweg mit dem Kunstnichts, kein Weib ist mir lieber,
Als Hunderte unter die Fuchtel zu stecken!«
»Du wagst es, auf KönigsEunuchen zu schimpfen!
Du Hund Du, was kleffst Du hier zwischen den Säulen,
Du willst unsern würdigen Stand verunglimpfen,
Zurück, Hund, zu Hunden, hier darfst Du nicht heulen!«
Das haben jetzt sieben Eunuchen gerufen,
Harbona und Bizta, daneben Mehuman
Und Zethar verfluchen mich eben die Stufen
Herunter, sie zetern: »Den Frechling da thu man
[299]
Sofort in den Kerker!« Und Karkas, Abagtha,
Selbst Bigtha bestimmen: »Den Wicht,« mich, »den bindet,
Den argarroganten Geschlechtsmann, den packt da
Und reißt ihm den Stolz aus, bevor man ihn schindet!«
Natürlicher Weise beirrt mich kein Fluchen.
Ich schreite empor, doch der Wächter Ginknagtha
Behindert mich gleich bei den Eintrittversuchen,
Und sagt, ganz Verachtung: »Was macht der, im Sack, da!«
Fürwahr, ich bin wirklich nicht festlich gekleidet,
Schon werde ich ringsum als Bauer verspottet:
Ein Troß, der mir Stolz und Verachtung verleidet,
Hat rasch sich im Schloßhof zusammengerottet.
Da wandeln Altparsen mit Tiaren vom Saale
Herüber. Sie tragen Bartlocken und lange Talare.
Das sind meine Nachbarn! Sie wandeln zum Mahle.
Wer weiß, ob ich auch meinen Bruder gewahre!
Sie schmunzeln und sprechen zu mir, halb mit Lachen:
»Mein Lieber, Du wirst nicht zu Hof zugelassen,
Du halfst nicht beim Herrscherpalastüberdachen,
Du hieltest beinah zu den meuternden Massen.
Damit hast Du fast unsern Adel beleidigt.
Die Adler beschautest Du auch wildgehässig.
Zuerst aber hast Du den Meder vertheidigt
Und warst bei der Volksamtzutheilung sehr lässig.«
Fast platzend vor Lachen, mit grauser Grimmasse,
Fährt einer noch fort: »Auch Dein Stand ist nicht ehrlich!
Es heißt, daß sich niemand mit Handwerk befasse,
Was Edle auch machen, stets sei es entbehrlich!
[300]
Dazu fängst Du an, auf Eunuchen zu fluchen,
Und sieh, die Kastraten sind arg staatsgefährlich,
Und Du, was kannst Du, gegen Throne versuchen,
Dein Reichthum und Anhang ist wahrhaft zu spärlich!«
Nun trubeln die Weiber des Harems zur Rampe,
Und tanzend umsausen sie dumme Eunuchen,
Und eine schreit herzfrei: »Die Buhlin schlampampe!
Wie Falter die Lampe, zum Luftballett, suchen,
So wirbeln wir Weiber um machtvolle Wesen!
Lang schlafen wir Mädchen allein in der Kammer,
Doch hat uns der Buhle zur Lust auserlesen,
So tanze ihn aus, Deinen brunsttiefen Jammer.«
»Asketen geht weg, denn ich will mich auslaufen«,
So rufen nun alle: »Du Weiser bist häßlich,
Wir tanzen Dich kurzweg im Nu übern Haufen,
Nein, Milde laßt walten, jetzt sind wir vergeßlich!«
Hinüber, vorüber. Der Troß ist zerstoben.
Gewänder verschwinden schon längst hinter Säulen.
Jetzt will sich der Haß der Kastraten austoben,
Und einige drohn mir mit knotigen Keulen.
Da winkt rasch ein Parse und zeigt nach der Halle:
Es lassen die Wächter die Schwungwaffen fallen:
Jetzt zeigt sich mein Weib, bleich, entkleidet, – ich pralle
Zurück und ich fühle die Fäuste sich ballen.
»Umsonst,« ruft die Hure: »Du mußt mich vergessen!
Hier herrscht Myr Militta, das Weib eitler Geilheit,
Ich liebe es, Lust aus der Schmerzbrunst zu pressen,
Die einzige Tugend hier heißt Schmeichlerfeilheit.
[301]
Du hast mich dem Hofe nicht selbst angetragen,
Dafür bleibst Du draußen, den Geiz muß man strafen,
Ich selbst mag mich deshalb fürwahr nicht beklagen,
Ich kann meinen Wollustrausch täglich ausschlafen!«
Jetzt klettern die Massen auf allerhand Masten,
Und einige lachen herab von Giraffen,
Selbst jene, die einst den Palastadel haßten,
Versammeln sich rings als Altparsenschlaraffen.
So ist es! Der Spott, der mich trifft, wirkt erfreulich,
Man blickt auf das Schauspiel und mich froh hernieder!
Da sagt mir mein Weib: »Du erinnerst Dich, neulich
Umfaßtest Du noch meine Brunstfieberglieder,
Und heute verschaffe ich reicheren Buhlen,
Die neugierig alle, nach Lustbarkeit geilen,
Die Feinheiten aller Geschlechtspriesterschulen,
Und selbst Deine Marter kann Qualdurstige heilen.
Jetzt laßt mich alleinig das Finstre genießen,
Die Nacht meine weibliche Nacktheit umschließen;
Kein Mädchen kann dunklere Wollust erschließen
Und tieferen Reiz aus sich selber ergießen.
Ich liebe die Weichheit der Finsternißkissen,
Ich mag der Geheimnisse Brüste nicht missen,
Die Nacht soll von mir jede Einsamkeit wissen,
Ich hab mich ins dichteste Dunkel verbissen.«
Man schwenkt Feuerstümpfe. Man klatscht auf den Masten
Und freut sich am Jubel der Königseunuchen.
Man sieht Korrybanten aufs Schloßpodium hasten.
Die ganze Palastrampe dröhnt von Versuchen,
[302]
Sich selbst und das Pack durch den Tanz zu erhitzen.
Man pufft und man schleift einen Mann mit Prachtmähne.
Das Haremsvolk guckt durch die Hinterwandritzen.
Der rasende Aufrührer tritt auf die Szene.
Jetzt nahen hieratisch gekleidete Weiber,
Sie tragen Luftschleier, fast zarter als Farren,
Sie folgen, bewacht, dem Palastzeitvertreiber,
Und fangen rings an, auf das Opfer zu starren.
Jetzt fesseln die Henker den schweren Rebellen
Und lassen ihn dann auf die Steinrampe fallen.
Man peitscht ihn, daß weithin die Schmerzschreie gellen,
Und Klatschen und Jubel entbuchtet den Hallen.
Schon naht man dem Manne, mit flimmernden Spießen.
Auf ihn sind auch allerhand Blicke gerichtet,
Denn Menschen, die gerne ein Schauspiel genießen,
Sind ringsum, herum um das Podium, geschichtet.
Wie Sterne im Morgengrau krampfhaft verstahlen,
Und starr, fast im Tagpanzer, langsam verblassen,
Erscheinen mir jetzt diese grausamen Strahlen,
Die fast trachten angestrengt Qual anzufassen.
Den Schrei des Gemarterten würgt das Gezeter
Der Zirbanitpriester, die ringsum sich zeigen,
Und Zither und Zymbelspielkinder, Trompeter
Durchwirbeln der Zirbanit lieblichen Reigen.
Das Weib ist, in Spitzen gekleidet, erschienen.
Ein reizreicher Diener umschmiegt ihre Lenden.
Und Zirbanit zittert. Sie kräuselt mit Kienen
Die Haut des Rebellen: mit fiebernden Händen
[303]
Ergreift sie die Krause und zieht sie vom Leibe
Und zwitschert dann leise und sinkt in die Arme
Des Liebesgespielen: sie sieht eine Scheibe
Mit Gluthmarterzeichen und drinnen im Schwarme
Der grellen Gespenster des Lieblinges Lippen.
Sie zittert heran an die brünstigen Schwülste.
Sie fletscht mit den Lefzen. Sie fühlt seine Rippen.
Sie beißt und erzeugt sich im Jünglingsfleisch Wülste.
Jetzt hört man am Mastwald ganz fieberhaft lachen.
Dort oben verkrampfen sich geile Gestalten.
Du merkst kaum, daß einzelne Lustbäume krachen.
Ich suche aus Angst mich an etwas zu halten.
Ich glaube: ich muß jeden Augenblick stürzen
Und fühle ein schmerzhaftes Brennen der Sohlen,
Ich mag mir die Lust nicht so kümmerlich würzen
Und höre schon wieder im Schloßhofe johlen.
Jetzt kommt schon ein Priestertroß vorwärts gelaufen,
Es ist, als ob Rudel Betrunkener nahten,
Das ist der Beschnittenen und Schnittlinge Haufen,
Denn wenige leben in MönchsZölibaten.
Ich sehe, sie schleppen den greisen Hebräer,
Der früher mich ansprach, hindurch durch den Trubel.
Er scheint mich zu kennen. Jetzt tritt er mir näher.
Und ruft nun hindurch, durch den Saufbrüderjubel:
»Hazazel, Hazazel, schreckliches Fatum!
Mein Leib treibt nach unten, man zwingt mich zum Bösen,
Nun bin ich verloren, denn schlägt je das Rad um,
So läßt sich der Sündenbock nimmer erlösen.
[304]
Du einsamverspotteter, wirklicher Priester,
Warum schlugst Du Babels Brut nicht schnell in Fesseln?
Du einzig von Jahwe, in Persien, erkiester,
Vernimm es, jetzt peitscht uns das Kebsweib mit Nesseln.
Dein Bruder sieht weit, doch es fehlt ihm die Steile:
Er hat Irans Reinheit an Babel verrathen,
Er sieht selbst im Laster den Lichtkeim zum Heile
Und glaubt an das Urmuß der bösartigen Thaten.
Jehova jedoch ist ein reiner Gedanke.
Er ist fast nur Zukunft. Der Erdschmutz sein Ekel!
Er läßt wohl, daß Babel sein Dasein umranke,
Damit sich sein Gestern mit Schlechtem verhäkel,
Er selbst aber steigt hehr hervor aus der Erde.
Ein einziges Volk nur vertritt seine Größe:
Und Zebaoth heißt er, als Herr seiner Heerde,
Die Laster und Unkraut, durch Schwert und Axtstöße
Um Jahwe her, wegräumt: denn wisse, das Böse
Ist überall dort, wo sich Heiden befinden.
Es reicht Euch vom Scheitel bis tief ins Gekröse
Der Erde hinab, wo die Teufel sich winden.
Das Gute hingegen, reicht nur von Hebräern,
Die eifrig Jehovah im Herzen erstreiten,
Aus ihnen, den irdischen Umvolkvorstehern,
Empor bis zum Schöpfer, zu Urfreiheitsfreiten!«
Es wollte der große Hebräer noch sprechen,
Doch schon hat der Strudel ihn vorwärts gerissen,
Nur: »Hazazel, Hazazel, wer wird Dich rächen?«
Ertönt es noch hinter den Säulenkulissen.
[305]
Jetzt strampeln acht wollüstige Panther zur Rampe:
Bacchantinnen tanzen mit nackten Kumpanen,
Es folgt jede lachend dem schlankwüchsigen Kampe,
Ein Lampe und Schafe sind da: Ägypanen,
Mit Zitzen am Ziegenhals, sitzen die Thiere
Bereits hier im Bacchuszug, rings auf der Ferse.
Am Bambusstuhl, prachtvoll im Pampasspaliere,
Erscheint nun ein Dichter und singt seine Verse.
Mit Eselohrbüscheln, mit Flachshaar und Larve,
Umzischeln die Masken den Rhythmenauffinder.
Ein Arschaffenschwanzpanisk zupft auf der Harfe.
Genau gegen mich wischerln spielgeile Kinder.
Da kommt eine reife, fast platzende Traube:
Ein Zugsägypan ists, mit Zitzen und Kröpfen,
Es scheint, daß er gerne beim Wandern erlaube,
Den Brustneckar rings aus den Eutern zu schöpfen.
Drum hängen sich Thiere an alle Milchzitzen,
Auch Tauben umflattern den Jüngling und gurren:
Ein Urwaldsatyr unterhält uns mit Witzen,
Er schlägt Purzelbäume, erzählt freche Schnurren.
Epheben, mit Schellen an Füßen und Händen,
Belustigen Nymphen durch Luftkapriolen.
Satyrkinder lassen sich unverschämt schänden,
Und laufen sogar große Lümmel zu holen.
Ein Mohrägypan ist soeben erschienen,
Ein Schreivögelwirbel umstiegt seine Zitzen,
Sein Traubenrumpf könnte ein Volksheer bedienen,
Er sieht sich genöthigt, Milch selbst auszuspritzen.
[306]
Der Kropfägypan und sein Bruder der Neger
Geleiten den Weisen Milesier zur Rampe.
Der schneuzt sich, dann sagt mir der Mythenausleger:
»Zieh fort, sind ein Weib und vergiß nicht die Lampe,
Denn jetzt bleibt es lange noch finster und traurig:
Du wolltest ja selbst alles haarscharf erkennen:
Da hast Dus: der Nachtkern der Dinge bleibt schaurig:
Und Du kannst jetzt säubern, nur immerfort trennen.
Ich selbst bin nur hier, auf der Durchfahrt nach Hause.
Ein Gott, der schon einmal in Hellas geboren,
Der Pentheus, (wie Du, ein ganz dummer Banause,)
Einstmals schon zu kostbarem Spott sich erkoren,
Verschwand in der Heimath, vom Feinde zerrissen.
Doch jetzt ist sein Tag da: gleich wird er erscheinen.
Ich seh ihn bereits hinter Säulenkulissen:
Er kommt, um die Menschen durch Lust zu vereinen.
Selbst ich, der vernünftige Viereckedenker,
An dessen Spitzkanten der Gott sich aufwetzte,
Bin jetzt ein zufriedener Rollwagenlenker,
Und was das Genießen betrifft, nicht der Letzte.
Du siehst, daß ein Mädchen mich heimwärts begleitet.
Ein Knabe liegt oft neben mir auf dem Lager.
Ein indischer Koch, der die Mahlzeit bereitet,
Ist auch da und gleichfalls ein alter Wahrsager!«
Ich weiß nicht warum, doch ich muß plötzlich niesen!
Ists der, der mich derartig seelisch verschnupfte?
Ein Cymbelschlag folgt gleich aufs Niesen und diesen
Witzgruß gab ein Kobold, der blitzschnell entschlupfte.
[307]
Da kommt schon der Gott mit vollendeten Locken.
Er ist in den indischen Tropen geboren:
Oh Hellas, bald kann Dein Gefilde frohlocken:
Dein Dionys tritt aus den Sonnengoldthoren.
Er selbst hält sein sonniges Antlitz verschwiegen
Und schreitet bedeutungsreif weiter nach Westen,
Er sieht, wie die indischen Kinder sich wiegen,
Und schwelgt in der Seele bei lieblichen Festen.
Dort torkeln Besoffene mit thränenden Augen,
Ein grunddunkles Blau schaut mir traurig entgegen,
Und Kinder, die kaum noch zum Korbtragen taugen,
Verstreuen rings Tauben auf Dionysos Wegen.
Jetzt kommt auch Triptolemos heimwärts gezogen.
Das Goldkorn, der Weinbau gedeihen auf Erden.
Nun kehrt er zurück und in riesigem Bogen
Bereist er mein Land, nach den Weltkriegsbeschwerden.
Und überall wuchern und blauen die Trauben.
Der Gott zog vorüber. Nun bleib ich alleine:
Urstill wird es rings in den heiligen Lauben.
Geheimnißvoll reifen die kostbarsten Weine.
Die griechischen Trauben voll indischem Feuer,
Durchzuckern die eigenen, gluthschweren Safte,
Sie sprühen mir zu, ach, stets blauer, urtreuer,
Erfreut, daß mein Auge sich sanft an sie hefte.
Urtrunkenheit dunkelt aus perlendem Schmelze:
So glühn auch Pupillen mit gleisendem Saume,
Denn wenn ich Gesichter, ums Schlummerrad walze,
Erschau ich oft Trauben von Augen, im Traume!
[308]
Wie herrlich die Reben Geländer umlocken:
Der Zug ist bereits tief im Weinlaub verschwunden,
Das Schloßdach umglasten fast sonngoldene Flocken,
Und doch wird die Nacht noch dereinst überwunden!
Ein Lichtvogel scheint mit verkreuzten Windflügeln
Gar glücklich und still über Trauben zu brüten.
Ein Frühfrühling strotzt nun aus allen Lichthügeln,
Und rings um das Schloß tragt ein Wiesenpfuhl Blüthen!
[Mein Weib ist gesunken. Mein Weib ist gefangen]
Mein Weib ist gesunken. Mein Weib ist gefangen
Und schmachtet bewacht im Palast der Kastraten.
Mein Weib! Als Bacchantinnen Tanzlieder sangen,
Vergaß ich Dich ganz: ach, ich hab Dich verrathen!
Mein Weib, höre Weib: ach, zeig Dich noch einmal!
Du warst es bestimmt: ach, Du hast mich verspottet:
Du trugst auf der Schulter Dein untrüglich Weinmal,
Für Dich hat das Volk sich zusammengerottet.
Mein Bruder wird sicherlich alles aufbieten,
Das arme Geschöpf vor Gelüsten zu hüten!
Mein Bruder, – ich sah Dich, – Du warst mit Banditen!
Mein Bruder: Du schmücktest die Locken mit Blüthen!
Ich sah Dich bestimmt! Drin im Zug der Bacchanten!
Du nahmst Deine Larve rasch ab und Du lachtest,
Ich suchte Dich gleich unter alten Bekannten
Und kannte Dich nicht, als Du Spaßknixe machtest.
[309]
Du schrecklicher Gott, was hab ich gesehen!
Du ließest mich trunken mein Unglück vergessen,
Ich trank keinen Wein, Dein bloßes Herwehen
Berauschte mich, machte mich schönheitsbesessen.
Mein Weib eine Hure, – der Bruder Verräther!
Nein, nein, – nicht zu fassen, – nur weg! Einige Schritte!
Nur jetzt nicht dran denken: die Schande für später!
Die Schamgewalt her! Schnell: zum erdfernsten Ritte!
Mein Weib eine Hure! Ich stürze kopfüber!
Empor zwischen Ginster: das Schloß liegt schon tiefer!
Ihr Nebel steigt auf! Du Nacht werde trüber!
Doch blickt ich zurück, so sah ich blos Schiefer.
Mein Weib herzt und küßt meinen Bruder! Nein, nimmer!
Doch wie es auch sei, ich muß Euch verlassen,
Ich werde ein einsamer Felsenerklimmer,
Doch Kebsweib, mein Kebsweib, ich mag Dich nicht hassen!
Die Burg liegt dort unten, sie schlummert tief drunten,
Ich mußte mich eben vom Weibe mein trennen:
Nun ruh ich ein wenig: ich lebe nur bunten
Gluthfreuden, die tief aus der Sehnsucht erbrennen.
Kastratenpalast und Verließ geiler Weiber,
Du Festung von Persien, erfüllt mit Verratbern,
Du Babel asiatischer Haremszutreiber,
Du Erzspalt der Sünde, voll Betern, die zetern,
Du Halle, umstellt von priapischen Säulen,
Nun kenne ich Dich: ich seh Dich von oben!
Du Giftpilz der Erde, Du schlimmste der Beulen,
In Dir muß das Übel der Welt sich austoben.
[310]
Die Herrscher, die erdwärts dem Schlosse sich nähern,
Durchschaue ich jetzt mit ganz anderen Augen:
Hehr blickten sie erst aus den Seelen von Sehern,
Doch nun scheint ihr Wesen für uns schlecht zu taugen.
Ich will, daß ihr Brunstrumpf zum Gluthstumpf verrunzel!
Zu Kugeln verkrampft überglühn sie die Erde.
Erloschen ist sonst jedes Schloß und Bergfunzel,
Und weg jene herrliche Flügelgeberde.
Es sind sieben Monde wahrhaftig am Himmel,
Ich kann ihren Untergang gar nicht erwarten,
Den richtigen doch überwimmeln Gischtschimmel:
Er mag gar nicht sehn, wie Mondschemen entarten.
Der erste sank längst in den Hof des Palastes.
Ich kann ihn von oben dort unten gewahren.
Er macht mir den Eindruck ganz maaßlosen Mastes
Und stirbt nun im Harem, bei Artunzuchtpaaren.
Ganz ausgegeilt, unverschämt, schwelgt er sich fertig.
Der zweite, ein Lüstling, steht steil überm Schlosse,
Das Hofpack besorgt schon, des Einbruchs gewärtig,
Die Jugend für Orgien, zum Krönungszug Rosse.
Erscheine mir, Zervan Akeren, erscheine!
Und sprich zu mir Angromainyous der Große!
Verneine mich, Andra! Verneine! Verneine!
Und hüte die Schlange im wollüstigen Moose.
Du bist nicht der Schatten und Spötter des Lichtes,
Die Finsterniß bist Du, Du nistest im Schooße
Der Dinge, Du bist die Geburt des Gewichtes
Und willst, daß was ist, da zu sein sich erboße.
[311]
Ich sehe Dich schon und bald kann ich Dich fassen:
Erblicke ich doch rings die riesigste Stirne,
Mit tausend Pulsadern, die Ruh und Glück hassen
Und hämmern und grübeln, daß Gott drob erzürne.
Du selbst bist mit AhouraMazda verschlungen.
Ihr seid eng verkapselt. Du zwingst ihn zu werden
Und ruhst nicht, bis alle Geburt ihm entrungen:
Du engst Dich und uns aus den Daseinsbeschwerden.
Du hastest dabei, immer andres zu schaffen.
Die Eigenqual drängt sich, was war umzubauen
Und schamlos stets andres dem Gott zu entraffen,
Du willst auch das Sonnlicht fünfspaltig durchschauen.
Drum bist Du der Allgottheit schlechtes Gewissen!
Die Angst, daß das Weltall für ewig mißlungen:
Du hast das Bewußtsein Ahoura entrungen,
Und drum bleibt die Ruhe urewig verklungen.
Du bist die Zwangsreihe von allen Versuchen:
Es schämt sich der Mensch, sich im Kind fortzusetzen,
Drum fangen wir an, auf die Zeugung zu fluchen
Und ehren die Menschen, die Kampfwaffen wetzen.
Wozu denn, was ewig ist, stets jung verbessern?
Wozu was mißrathen, noch fortwiederholen!
Ich rate hingegen: greift forsch zu den Messern,
Bringt um und brennt ab und laßt ab von Idolen.
Fürwahr, ich durchblicke die Pulsaderstürme:
Ach, Angromainyous du denkst unsern Himmel,
Dein Sorgengehämmer erscheint als Gestirne,
Und nimmer genügt sich das Weltengebimmel.
[312]
Wahrhaftig der Satan ragt senkrecht zu Tage!
Unsagbar viel Häupter bedrohn mich im Kreise:
Es scheint, daß der Stadtkronen erdmächtig trage,
Die schimmern, als stäke der Mond tief im Eise.
Denn rings ist der Schweiß, um die Erdriesenstirnen,
Die kalte Gedanken durchblitzen, erfroren.
Hier seh ich, steht Babel, die Stadt wilder Dirnen,
Dort oben thront Zion, mit Thürmen und Thoren!
Genau gegenüber erkenn ich die Hallen
Des Herrscherpalastes, vor dem ich gestanden.
Ich fühle bereits, wie die Fäuste sich ballen,
Und fühle die Wuth Satans Schloß roth umbranden.
Der Teufelstopf drunten kann gar nichts mehr sagen:
Ich habe sein ganzes Geheimniß erfahren!
Es lallt seine Zunge, dann leert sich der Magen,
Ich kann nur das Harem, als Speibrei, gewahren.
Jetzt dehnt sich die Langweile weit durch die Hallen
Und tritt auch leibhaftig als Löwin zu Tage:
So schlank ist noch niemals ein Thier ausgefallen,
Es gleicht fast sein Leib einer endlosen Klage.
Ich kann meinen Ärger nicht länger bezwingen,
Ich reiß einen Pfeil aus dem Köcher und ziele.
Er trifft und ich seh ihn ins Schenkelfleisch dringen.
Die Bestie gähnt schrecklich, und Schweiß deckt die Diele.
Jetzt hebt sich das Babelhaupt läppisch nach vorne
Und schiebt unsere Perserburg ruckweis bei Seite:
Sofort speien rings ihre Weltweisheitsborne,
Und gleich merk auch ich, daß ich geistig fortschreite.
[313]
»Ein größeres Babel als das will ich schaffen,
Doch AhouraMazda durchkreuzt meine Pläne,
Ich kann kaum der Ruhe, was da ist, entraffen,
Vielleicht weil ich stets etwas anderes ersehne.«
So spricht zu mir Agromaynious der Große
Und fährt dann fort, stolz die Natur zu erklären:
»Ich wirke in jeglichem Erdbebenstoße
Und mag auch kein Gleichmaaß an Wärme gewähren.
Drum wälze ich mich, ewig sonnenscheinflüchtig,
Im Gluthbett umher, als der Sonnenbescheerer,
Doch macht mich, im Herbste, das Licht eifersüchtig,
So thürme ich Burgen aus Stürmen, und hehrer
Als Ahouras Pappeln erheben sich jene,
Dann hoch in den Äther; und alle Lichtsaaten
Entjäte ich rasch auf der Wintersfruchtlehne,
So muß Gottes Folgenwerk ewig mißrathen.
Ich habe nicht Hände, um weich zu gestalten.
Der Weltschöpfung lichtweiße Strahlenpracht haß ich.
Ich trachte das Ungethier wild zu erhalten,
Und nichts, was schwarzrassig ist, schlag und verlaß ich.
Die Fledermausflügel, die dumm meinem Leibe,
Zum Aufflug kaum taugend, zu riesig entwachsen,
Erzeugen in mir, wenn ich ruhlos verbleibe,
Das grause Bedürfniß zu zweckarmen Faxen.
Du selbst wirst, oh Mensch, durch die Angst aufgerieben:
Du fühlst oft Furchtflügel sich ohnmächtig spreizen,
Du wirst halbasthmatisch zum Fenster getrieben,
Und spürst gleich die Luft Dich zum Durchhusten reizen.
[314]
Du prallst vor den Sternen zurück, die das Grauen
Des stahlharten Tages gar bald nicht vertragen,
Du fühlst in der Brust den Furchtausbruch sich stauen,
Und Flügel aus Galle bleiweiß um Dich schlagen.
Die fallen wie windarme Segel zusammen
Und reißen Dich wirbelrasch rettungslos nieder,
Und ich will zum Selbsteinbruch alle verdammen,
Gewährt mir nicht Ahoura Handwerkerglieder.
Gerecht will die Gottheit die Menschengeschicke
Aus Ursachenarbeit behutsam entschälen,
Doch ich, der ich alle ins Angstgarn verstricke,
Laß Magier von Wiederkunftsphasen erzählen.
Ganz Babel erwartet damit fatalistisch,
In Saus und Braus, was uns die Sterne bescheeren:
Mein Wahrsagaltar ist der Weltärgernißtisch
Von Gott, dessen Wesen auch wir schließlich lehren!«
Jetzt fängt auch das Babelhaupt matt an zu schwanken,
Und machtvoll erscheint Zions Goldreifenkrone.
Den Kopf unter ihr furchen Urfurchtgedanken
Und gleich spricht der Mund mir vom Ende der Frohne:
»Jehovah, der männlichste Herr, mein Bezwinger,
Den einstmals der Bauch eines Königs geboren,
Ist nichts als ein eifriger Folgenverschlinger,
Ein Zeitgott und Einfall von logischen Thoren.
Er ist nur ein Vorbild fanatischer Streber:
Und ich, die Unmöglichkeit seiner Erscheinung,
Bin Satan, bin Schöpfung und Schicksalsverweber,
In mir keimt die Hoffnung der Folgenverneinung.
[315]
Ich fühle ein Feuer mein Inneres durchglühen:
Einst war es mir fremd, doch in Babylons Frohne
Empfand ich es hilfreich, es linderte Mühen,
Es sprühte aus Süden empor, leicht flüsternd vom Lohne
Der schrecklich geknechteten Kinder der Erde!
Das Feuer sprengt einst jede Zeitfolgenfessel:
Was Anfang, was Sterben, was Pilgerbeschwerde,
Das schmilzt bald des Weltschöpfers ehernen Sessel!
An sich ist es ewig, drum stärker als alles,
Was jemals ein Schöpfer in sich erst vollbrachte,
Es trotzt den Gesetzen des Weltwerdungsfalles,
Es ist was noch niemals zum Dasein erwachte!
Unsterblich sind Götter, aus Furcht vor dem Tode!
In mir aber keimt was einst angstlos das Sterben,
Als jeglicher Folgenschaft Urantipode,
Erdulden wird, um über Trümmer und Scherben
Der Todesnacht siegreich sein Zion zu bauen.
Iehova will selbst meinen Haß überwinden
Und fangt an, mein Wesen bereits zu durchschauen,
Und jedes Verständniß bezeugt Gleichempfinden.
Einst glühen Jehovah und Satan verschmolzen,
Im Menschengeschlecht, fest zusammen, und alles
Was weiterkeucht, klettert am sonnhohen, stolzen
Erbfolgemast dann in des Glückswiederhalles
Unendliches Reich. Und bereits werfen viele
Aus sich etwas Gutes ins Wesentlichbeste.
Die eigentlich Starken verwetten, beim Spiele
Ums Dasein, zwar manches und nur kleine Reste
[316]
Entkommen ins Sphärenthum erblicher Meinung!
Drum sind die Verbrecher bestimmt interessanter,
Und tragisch ihr Zwang äußerer Lasterverneinung!
– Probleme birgt einzig ein Satansverwandter! –
Doch kann, ohne mystische Menschenbefreiung,
Der Sonnengedanke den Zwangsraum nicht sprengen,
Es bliebe bei logischer Zahlenanreihung
Und gäbe nur riesige Lichtellenlängen.
Doch einst tritt das Ewige vor im Gemüthe!
Schon wälzt es sich selbst in das Sternegetriebe
Und furchtlos durchschaut es die keimlose Blüthe
Und fühlt sich und weiß sich vom Duft ewiger Liebe!«
[»Asketisch ist das Wesenswachsthum ohne Wüste!«]
»Asketisch ist das Wesenswachsthum ohne Wüste!«
Das höre ich synthetisch jetzt in mir erklingen
Und sehe unter mir bereits die wuchtige Satansbüste,
Mit selbsterkannten und geprägten Werdensringen.
Ein großes Schlangenhaupt wälzt sich zu meinen Füßen.
Polypenarme stürzen Bilder, die ich stets verehrte.
Lichtgötter seh ich stumm in einem Gluthpfuhl büßen:
Und gleicher Glast verschmilzt die kaum getrennten Werthe.
Natur, ich hab von Deiner guten Gluth getrunken,
Oh gieb, daß ich auch das, was da verkrampft, erfasse:
Doch nimmer sollst Du mich in Schmutz und Satanspfützen tunken,
Denn solches widerstrebt der Wallfahrt meiner Rasse.
[317]
Unsagbar ist was ich von Deiner Macht erschaute,
Denn Kraft und Kunst entstrotzen meinen vollen Zornesadern,
Du weißt was meiner Männlichkeit gelang: ich baute
Das Albschloß, ja den ganzen Ararat, aus Quadern.
Heil Ararat, Du Schlummerwort in meinen Werken!
Jetzt mögen alle Spuk und Höllenhunde kleffen:
Mein Werk, den Berg, wird sich die Menschheit lange merken:
Heil Ararat, wo sich die Rassen übertreffen!
Noch einige Blöcke will ich aneinander reimen,
Mich senkrecht übers Schlangenhaupt zu stellen,
Dabei wirkt sicherlich ein Fieber im Geheimen
Und wird mein Können plötzlich in die Wolken schnellen.
Den Wüstengeist verschütteten die Pyramiden,
Bis die Saharamannbarkeit dem Sand entragte:
Ra hat das Nilthal zwar nach der Geburt gemieden,
Doch zeugt der Ararat, daß er im Delta tagte.
Der Ararat krampft sich als Weltgrab steil zusammen:
Ein Pyramidenbau, wie keiner ihn erschaute!
Verkrüppelt auch der Mensch dabei, dem wir entstammen,
Erreicht der Geist die Pracht ererbter Mutterlaute!
Zum Ararat hinan klimmt mühsam der Iraner.
Dem Arier folgt ein andrer Arier, der verkrüppelt.
Voran steigt stets im Purpur der Geschlechtsermahner,
Wo Blutverlust, als Schmuck, das Bauernwamms betüppelt.
Die Kunst kann nur aus unserm Herzblute erfrieren.
Der Geist will seines Fatums Ararat erstiegen.
Gelingt es nicht, die Welt mit Blut zu zieren,
So wird der fertige Ararat uns unterliegen.
[318]
Hinan, hinan, Iraner, werdet nichts als Männer,
Um RaJehovah für die Rasse zu erringen!
Empor zu Gott, ihr tapfern Felsberenner,
Es gilt die Götzen in sich selber zu bezwingen.
Du Feuer aus dem Süden, glühe westwärts weiter,
Erfasse auch das Wüstenwesen der Semiten.
Herbei, herbei, ihr freien Araratbeschreiter,
Ein einziger Gott soll auf der Welt gebieten.
Auch ohne, daß die Welt verwüste und verkrampft,
Kann Metaphysischschlankes nur zur Sonne reifen:
Am Ararat wird niemand mehr die Saat zerstampfen:
Wir werden Gott auch ohne Angst begreifen.
Doch herrsche Gottesfurcht stets über Weltgeboten:
In ihr allein bewältigt Licht den Schimmel.
Vergißt Du sie, so loht aus frommen Sonnzeloten
Der Racheglast der Ararats furchtbar zum Himmel.
Die Sonnenmacht, die uns zum Licht emporgewoben,
Und, abgesteckt, in uns das Zeitliche geboren,
Den Sonnenkult will ich in uns vor allem loben,
Da er das ewige Gottgefühl im Menschengeist beschworen.
Die Wabe will ich frei und weise preisen,
Denn, selbst Urewiges, bezwingt sie alle Maaße:
Sie hilft und treibt uns weiter auf den Pilgerreisen,
Und allseits ins Unendliche führt jede Rassenstraße.
Heil Ararat, auf dem sich Ewigkeit erkannte!
Du heilige Urgeburt der Seele und des Geistes,
Selbst aus dem Schlangenhaupte schöpf ich das Verwandte
Und leiste freisynthetisch jetzt mein Meistes.
[319]
Ich fühle, wie ich mich bereits verjünge:
Das Hydrahaupt dort unten muß verrunzeln!
Ich sehe Fratzen über meine Sprünge,
Vor Spottlust, wieder grün zusammenschmunzeln.
Ein geiles Lachen seh ich sich verflachen:
Ein einzig Maul hält Satan höhnisch offen,
Die Kronen laß ich über mir erwachen:
Der Teufel hört, vereinsamt, auf zu hoffen.
Die Schlangengluth ist in mich selbst gefahren,
Und wabelos verkrümmen sich die Reste,
Nur Lurche kann ich um das Haupt gewahren,
Doch fürcht ich nichts, denn ich begriff das Beste.
Mein Geist wird jetzt die Ewigkeit erkennen!
Dazu wirst Du verschiedentlich gelangen:
Mein Triebinstinkt war das Geschlechtertrennen,
Wobei der Seele Leibesfesseln sprangen.
Ich fühle, wie ich auf mir selbst beruhe:
Die Ewigkeitsellipse kann sich schließen.
Ich weiß, daß ich nicht einen Traum verthue,
Da Zeit und Raum erst aus mir selber fließen.
Ich kann jetzt ganz Kleinasien frei gewahren.
Ein Araratserak tragt mich ins Maaßlosferne.
Ach, kam ich los: könnt ich der Zeit entfahren!
Mein Seelensprungfels schnelle mich ins All der Sterne!
Ich seh ein Riesenmeer mein Vaterland benagen,
Es scheint sich wie ein Wurm in Asien einzubeißen,
Doch wird die Fluth, als Lava, aus Vulkanen schlagen
Und nimmermehr die holde Weibeswabe heißen.
[320]
Um dieses Meer herum muß unsere Seele steuern.
Hier gilt es ja, den eigenen Geist zu spalten:
Den Feuern winkt ein Kampf mit Wasserungeheuern,
Drum mußt Du Längstzergliedertes zusammenhalten.
Die runde Raumgestaltung hab ich überwunden,
Seit ich die Flugelipse, Ewigkeit, durchschaue.
Unheimlich wirkt bereits auf mich die Flucht der Stunden,
Da ich befahl, daß jedes Zeitmaaß dumpf vergraue.
Und nun beherrsch ich beide und bestimme mächtig:
»Zu meinen Diensten sollt Ihr jetzt erscheinen!«
Und sieh, ein Riesenrumpf verkrümmt sich mitternächtig,
Und runde Rücken, Buckel wuchten aus den Steinen.
Ich höre über mir die Weltakkorde tosen:
Im Orgelton erschallt eine Planetoktave.
Ich seh den Berg sich ruckweise bemoosen,
Und merke schon: der ganze Raum dient mir als Sklave.
Die Zeit war tief in mir als Melodie gebändigt
Und fängt Vorstellung an, in Form zu kleiden:
So wird mir bald die Raumgewalt klar eingehändigt:
Ich kann bereits, was naht, als Rappen unterscheiden.
Der braust empor und bäumt sich auf! Ich wittre:
Der Hengst, der über Felsen klimmt, braucht Schwingen!
Ich fühle auch, wie ich, durch ihn berückt, erzittre,
Und wie die Sterne erst den Zeitgesang vollbringen:
Er rast, mir nah, empor: und eingefroren
Scheint mir der Weltenraum in seiner Wirbelsäule.
Der Zeitpalast verblaßt. Ich blick aus Tongoldthoren
Ins All, ins All und fühle Lautrauschgäule.
[321]
Ich fühle nun, was ich bereits erkannte:
Das Raumfreie in der Musik ist stumm das Große.
Und, daß der Rappen mich ganz maaßlos überrannte,
Vermags, daß ich, was zeitlich ist, jetzt von mir stoße.
Mit Wuth und Wucht stürzt die Musik sich auf den Rappen
Und überwältigt seine Formen wechsellüstern,
Und trotzdem kann das Roß nach Athem weiterschnappen
Und wiehert wild, beharrungsbrünstig aus den Nüstern.
Doch merke ich genau: der Strauß ist ausgerungen!
Es wollen Raum und Zeit versöhnt zusammenfallen,
Nach Freiheit schnuppert nun mein Gaul aus vollen Lungen,
Und aus den Schultern hör ich Flugakkorde schallen.
Mein Roß hat sich an Gluthmusik in Rausch getrunken.
Ich sehe seine hellen Lenden rhythmisch wild sich regen
Und braune Flecken auf dem dunkeln Grunde prunken,
Und fühle mich dabei auf meinem Gaule aufwärtsfegen.
Den Erdschlund unter mir besiegte meine Steilheit.
Ein Satanslacken kann ich noch im Schacht gewahren,
Es wirkt wie einer Dirne Grinsen, wenn die Geilheit
Sie nochmals packt, weil Fremdlinge sich mit ihr paaren.
Mein Roß jedoch wird kühn ins Raumlose emporgetragen
Und es entwischt den Schlangen, die es geil umzischen,
Als Flügel kann uns die Musik hoch überragen,
Und Schweiß scheint jeden Hautfleck wegzuwischen.
Der Raum und selbst die Zeit sind endlos überwunden.
Auf blondem Rosse konnt ich beiden stolz entjagen.
Vom Leib befreit, wird meine Seele jetzt gesunden:
Ich lasse mich vom Isabellenpferde tragen!
[322]
Das erdbefreite Sonnenhöchste glüht im Rosse,
Das durch und durch musikdurchtränkt nach oben wuchtet.
Mein Weib allein blieb unten in der dumpfen Gosse:
Entschluchzt ihr nie ein Ruf der Gluth, die sie durchschluchtet?
Mein Weib, mein Weib, ich habe Dich um Licht verlassen!
In einem Harem mußt Du jetzt in Schmach verschmachten.
Des Leibes Geilheit wird den Seelenstolz verprassen,
Du wirst im Sterngeschmeid den Geist durch Lust umnachten.
Zu Dir, zu Dir, mein Weib, will ich durch Wolken reiten,
An Deiner Freiheit ist mir alles jetzt gelegen!
Musik, versuch Dich sturmsteil auszubreiten
Und laß mein Roß durch Nacht sich weibwärts regen.
Ein Stern hat irgendwo sein ganzes Herz erschlossen,
Sein volles Sein soeben in die Welt ergossen,
Und ein Komet davon kommt auf uns zugeschossen,
Und meines Pferdes Schwingen sind beinah zerflossen.
Jetzt loht die Erdensymphonie aus meinem Rosse,
Als zwei Kometenflügel, stolz empor zum Himmel:
Ganz Asiens Prachtsynthese steigt vom Parsenschlosse
Weiß, erdbefreit und lichtbeschwingt hervor als Erdenschimmel.
Empor, empor! Es reißt im weißen Nacktkolosse
Ein Stern der Ewigkeit sich los vom Erdgewimmel:
Als Perseus stieg ich, gleich dem leichten Pfeilgeschosse,
Ertönend hoch empor zum großen Sterngebimmel!
Empor, empor! Der letzte Fels wird überwunden.
Er stürzt, von meines Hengstes hellen Wunderhufen
Zertrümmert, in die Tiefe, deren Schauderwunden
Gluthblutend jetzt um Heil und Hülfe rufen.
[323]
Ich bin nun aller dumpfen Erdenlast entbunden,
Bewältigt sind die harten Araratgratstufen,
Die Erde ist beinahe stumm in Nacht verschwunden,
Und nur die Welten funkeln, die sich selbst erschufen.
Jäh unter uns verrunzelt unsere Muttererde.
Ich merke nicht, wie ich mich jetzt beim Flug geberde,
Ich fühle nur, Musik glüht tief aus meinem Pferde,
Sodaß ich schon von seinem Schweiß berieselt werde!
Von ewigem Grundmuß wird nunmehr mein Roß beleuchtet.
Das Nebelnaß, der Schweiß, der unsern Stern befeuchtet,
Umglänzen jetzt die allerklarsten Regenbogen,
Von allen Farben scheint mein Nachtkrystall umzogen.
Die Wolken, die aus meines Rosses Nüstern keuchen,
Verwandelten sich bald in lauter laue Lenze,
Die hoch am Ararat den Gletscherfrost verscheuchen,
Und gleich am Rand des Sternes stattern Flammenkränze.
Ich weiß, daß ich in einem Weltbrillant erglänze:
Sechs Regenbogen spielen ihre Farbentänze:
Mein Freibewußtsein kennt jetzt keine Innergrenze:
Die Selbstbegreifung sprüht Kometenschwänze.
Mein Rappe braucht schon lange nimmer fortzutraben,
Er kann sich flügelleicht im jungen Sein gehaben,
Jetzt seh ich mich! – Im Sterne gleich ich einem Knaben –
Und ach, ich bin im Schacht des Ararat begraben!
Die Alexandrinische Phantasie
[Ich schwebe in des Pferdes hellem Flügelthale]
Ich schwebe in des Pferdes hellem Flügelthale,
Im Schwingenzwielichte verschiedener Symphonieen,
Empor durch Gottes hehre SternenKathedrale.
Ich lasse still das Roß die Mutterflucht vollziehen
Und lehne, selbst ein Hauch, so wie der Wind am Segel,
An meinem Pferde, um dem Lande zu entfliehen.
Wie Gluthrubine flimmern ferne Erdblutkegel,
Und Zepheus Herzgranat fängt langsam an zu nahen:
Astral erhalte ich die kalte Weltallregel.
Ganz erdenfrei erfahr ich Dinge, die geschahen,
Urausbrüche der Ewigkeit, im Rhythmus aller Zeiten,
Und geistig kann ich den Geschlechterspalt bejahen.
Doch weiß ich auch: ich muß dereinst noch erdwärtsreiten!
In der Sahara habe ich das Weib verlassen
Und wieder muß ich es auf Sonnenpfade leiten.
Zwar macht ein Wasserungeheuer mich erblassen:
Wie kann ich seine Speichelleiblichkeit durchdringen?
Unmöglich ist es mir, dem Geist, Naß anzufassen!
Mein Freiheitstag muß aber trotzdem ganz gelingen:
Ich werde ewige Lebensketten selbst erkennen
Und mich, versinnbildlicht, mit Menschlichkeit verschlingen.
Oh Zepheus, lasse mich in Deinem Kreis erbrennen,
Und selbst ein Stern, die Menschenseele klar durchschauen,
Auch Du wirst Dich von Kassiopea niemals trennen.
Es soll Dein Weib seiner Urewigkeit vertrauen:
Die Wabe hat es mehr als alle Fluth gereinigt,
Drum mag es sich auch seinen Thron erbauen.
[327]
Fünf Erzgestirne glühn in ihm, als Bild vereinigt.
Das ist ein Feuerdreieck zwischen Wasserzeichen.
Der Fluchenspuk, durch solches Edelsein gepeinigt,
Sucht nun das hehre Wunderbildniß zu erreichen
Und wälzte sich als Mittelmeer zwischen die Länder,
Um unsern Zug zur größten Schönheit einzudeichen.
Andromeda, ich löse Deine Seelenbänder!
Du mußt, was Deine Mutter stolz versprach, erst halten,
Doch zage nicht, ich nahe Dir als Wabewerkvollender.
Als AmonRa, wird Jupiter die Welt verwalten:
Die Wabe hat den selbstgeeinten Gott durchklungen,
Sein Denken muß Athena ewig jung gestalten.
Jetzt blitzt die Parthenogenese ungezwungen
Um, Jowis Stirne, aus unheimlich tiefen Runzeln!
Sein Haupt umdonnern alle Götterdämmerungen.
Auf Tümpelkaulquappen und Grottenspukrapunzeln
Kann bald Andromeda vom ewigen Throne schauen,
Der Wasserunhold stirbt, und Pan hört auf zu schmunzeln.
Mein Pegasus, ich will Dir ganz und gar vertrauen.
Mein Wesen wird die Menschheit nimmermehr verstehen,
Und allem, was mir lieb war, muß mein Stern vergrauen.
Ich bin so fern von jenem Stern, wo Winde wehen,
So weit, so weit, von allen Weltvermittlungsleiden:
Der Geist ist frei und rein von allen SchicksalsEhen!
Ich weiß, wie Sonnen ihre Nachbarkinder weiden,
Die ewig blumenhaft und kindlich Leben trinken
Und sich mit ihrem Schicksal treu und fromm bescheiden.
[328]
Oh Gott, oh Gott, oh laß mich ganz in Dir versinken,
Und zeige mir, wie Menschen Dich fortan begreifen,
Wie wird Dein ewiges Wesen sich jetzt irdisch schminken?
Mein Geist kann leibbefreit zur heiligen Wahrheit reifen:
Ich fühle, wie die Menschen immer tiefere Wabe
In sich verwenden, wenn sie westwärts weiterschweifen.
Zum Mittelsterne schwebt mein Pferd im stillen Trabe:
Dort, wo das Glück schon Selbstverständlichkeit geworden,
Steigt einst die Menschheit aus dem Araratnachtgrabe.
Ein Lichtumarmungsschein erstrahlt bereits im Norden,
Den wird dereinst die Schöpfung in ihr Wesen schließen,
Und eben kann die Wabe Asiens Strand umborden.
Die Urgluthbrandung wird sich nie ins Meer ergießen,
Die Wabewogen ballen sich verklärt zusammen,
Den Heiland hehr zu spenden, den sie hold verhießen!
Die Arier, tief geschwängert durch die Erdschachtflammen,
Verstanden hoch am Ararat die RaSemiten,
Die aus Arabiens Wabebrachland stammen.
Die Seelen konnten sich in Irans Berggebieten,
Zu einer einzigen, mit einem Gott, vereinen:
Jetzt wird ein strenger Herr auch unsern Trumpf verbieten!
Der Heiland aber wird in Jahwes Land erscheinen!
Ich fühle ihn bereits im Jungfrauschooße hüpfen,
Oh, wäre ich ein Mensch: aus Andacht möcht ich weinen!
Ein Gott erscheint, die Menschheit herrlich zu verknüpfen!
Die That an sich erschließt uns ihrem Grundgedanken:
Ein Seelenflug muß einem RuheEi entschlüpfen!
[329]
Des eingepreßten Sternes Panzerball wird schwanken,
Die Lava nun den Allerlösungsschrei versprengen,
Versöhnungsreben können bald die Welt umranken.
Der Erdkern will sich jetzt zum eigenen Sein verengen.
Ein Kindeswesen wird den Stern als Wort erfüllen,
Denn seine Gluth muß er zum Unschuldherzen drängen.
Nun mag die Wabe sich in Runzelmuskeln knüllen,
Doch wird das Kind die Augen auf zur Mutter schlagen,
So muß sein Stern sich hold der ganzen Welt enthüllen.
Er mag vielleicht bereits die Erde überragen:
Ich weiß es nicht. Doch seh ich Engel sich begrüßen
Und beim Umarmen mit den Flügeln dennoch zagen.
Sie wissen wohl: der Heiland wird für Sünder büßen.
Sie lassen sanft die Schwingen ineinander fallen
Und wollen so, verwandt, ihr Walten sich versüßen.
Ich selber fühle traut ein wahres Wabewallen:
Durchfiebert bin ich ganz von ewigen Sternemächten
Und höre Gottes Ordnung durch mein Wesen schallen.
Ich sehe klar, wie sich die Dinge selbst verflechten:
Die Trennung der Geschlechter, die ich streng vertreten,
Damit die Parsen ihre Artungsthat vollbrächten,
Giebt den vereinten Gott, zu dem wir eben beten,
Die Macht, sich dreifach, aus sich selber, zu entfalten,
Denn Jahwe spricht aus allen jungen Streitpropheten.
Den Wasserkampf hat sich die Gottheit vorbehalten,
Erst auszuringen, wenn der Allumfasser Mendes
Am Mittelmeer erscheinen kann, um sich zu spalten.
[330]
Die Menschheit spürte langst die Macht dieses Geländes,
Das um das vorgewalzte Wasser sich belebte,
Denn Gott erdachte selbst das Kap des Raffkraftendes.
Ich zittre jetzt, als ob die Erde tief erbebte.
Es ist soeben die Dreifaltigkeit entstanden:
Ich weiß nun, daß ich längst im heiligen Geiste schwebte.
Oh Gott, der Mann in uns wird dieses Meer umranden,
Am Anfangswege weiterschreitend, uns verlassen,
Das gute Feuer bald ohnmächtig branden.
Oh Gott, oh Gott, wie kann die Menschheit Dich erfassen!
Sie steht am Meer und trachtet Dich einst einzuholen,
Du aber warfst sie ab und scheinst sie, frei, zu hassen.
Oh Gott, wir alle seien Dir durch Deinen Sohn empfohlen,
So lasse uns, am Ursprungspfade, Dich erreichen,
Und zeige Dich am Meer, auf tausend Rettungsmolen!
Herr Zebaoth, Du läßt Dich nimmermehr erweichen,
Du schreitest weiter fort zum ewigen Ruhesterne,
Und gottlos muß der Mensch zu Deinen Füßen schleichen.
Du strenger Gott, Du bist den Menschen schrecklich ferne,
Und heute hilft uns noch die Gluthbrandung am Strande,
Drum hast Du uns auch Deines Sohnes wegen gerne:
Doch bald liegt dieses Land ganz wabebrach in Schande.
Woanders wird der Mensch zu tiefrem Gluthmaaß reifen,
Und Du stammst strenger dann als Ra aus Asiens Sande.
Der Leib, den unsere Seelen leidreich weiterschleifen,
Wird, abermals verflucht, der Satansmacht verfallen:
Wie bitter schwer ist es, das Alles zu begreifen!
[331]
Mein Weib, wie löse ich einst Deine Sklavenschnallen?
Du armes Wesen wirst verdammt, verkauft, verderben:
Gar furchtbar sind des Wasserdrachens Brandungskrallen.
Ich möchte gleich um Dich, Du Waberreiche, werben,
Den wahren Augenblick will ich mit Hast erhaschen,
Denn sicherlich liegt nun das Harem kürz in Scherben.
Mein eigener Flug kann mich aufeinmal überraschen:
Vom heiligen Geiste werd ich selig fortgetragen:
Das ist das Reich, in dem sich Lust und Last abwaschen.
Ich kann durch Wabe, anstatt Flammenwolken, jagen
Und scheine abermals, zu Roß, herabzufallen
Und werde plötzlich Ländergipfel überragen.
Da naht ein Stern. Sein Blau kann meinem Traum gefallen.
Wie konnte er so plötzlich goldigschön erstrahlen?
Ich grüß Dich Bruder in den heiligen Lampenhallen.
Du ziehst mich, mit Deinen Wurfspiralen:
Du zitterst, denn Du willst mich immer näher haben.
Du spaltest Dich. Dir bangt in tausend Fieberaalen.
Nun weiß ich aber auch mein eigenes Machtgehaben:
Ich schwebe in des heiligen Geistes Urhauchschwinge
Und kann die Welt mit meinem Wabeathem laben.
Damit die Menschheit wiederum zur Gottheit dringe
Und ihr Gesetz erfüllen könne, schwebt am Meere
Der Geist unserer Dreifaltigkeit, der ich entspringe:
Er überreicht uns mild und friedlich Gottes Lehre
Und kräuselt einen Taubenflügel auf den Wellen:
Nun weiß ich von dem Wunder, das ich miternähre.
[332]
Am ganzen Mittelmeere sprudeln heilige Quellen!
Es ringeln sich bereits die beiden Welttheilschwingen,
Und dort das Herz wird bald das Gottesreich erhellen!
Du Pulslicht Du, Du Pharus, laß Dir Botschaft bringen:
Ich nahe Dir als Flügelhauch des heiligen Geistes,
Nun laß uns beide, um die Gotterkenntniß ringen.
Ich falle schon! Und Du, mein Gott, verzeihst es!
Ich will das Weib für Dich, Du Sterngebieter, retten,
Vielleicht, mein Heiland, leiste ich mein Bestes, Meistes.
Die Leuchtthurmfühler fangen an, sich sanft zu glätten.
Es scheint die See gar hohe Wogen aufzugischten.
Ich höre ein Geräusch von fernen Menschenstädten:
Es ist, als ob sich Rufe in die Sänge mischten
Und meines Pferdes Flügelsymphonieen lahmten.
Es wird, als ob sie Dunkellurche schrill durchzischten.
Nun werde ich empfunden – und von unverschämten
Erdkeuchern abermals in einen Leib getrieben:
Es ist, als ob Geschreie meinen Sinn verbrämten!
Schon wieder fühle ich, sich viel um mich verschieben.
Mir scheints, daß ich Geburtsrufe ringsum vernehme.
Jetzt seh ich Schemen, die vermummt zerstieben,
Und steh darauf bewußt und fest im Stoffsysteme!
[Da rast ja ein rastloser Haufe zum Hafen]
[333]
Da rast ja ein rastloser Haufe zum Hafen.
Unsagbar viel Menschen erklimmen die Molen.
Was giebt es, daß heute die Leute nicht schlafen?
Man gafft in die Prachtnacht und freut sich am Johlen.
Das Feuer am Pharus erstrahlt majestätisch
Und sprengt Scharlachglast auf die nahen Gestalten,
Er scheint fast ein hungriger Brandopferfetisch,
Vor dem lauter Priester ein Nachtfest abhalten.
Das Ufer erklimmen rings Wuthgeiferkamme.
Und Zischgischtgebilde, die schräg niedertraufen,
Bespritzen das Zankpack der Stadthafendamme,
Doch kühlt das kaum merklich die Schaulust vom Haufen.
Das Meer aber wüthet und sprudelt gar mächtig,
Als wollten die Wogen Grundwunder entrollen.
Opalschleier hüllen den Pharus oft prächtig,
Beim Aufschäumen, ein, und sind haschrasch verschollen.
Jetzt kann ich genau ein paar Satze erfassen.
Man heult, halb zum Spaße: »Wir lassen uns taufen,
Doch laß uns, Du Heiland, kein Schauspiel verpassen,
Wir wollen dem wandernden Sterne nachlaufen.«
»Du Judengott, fremder Geheimnißaus hecker,
Verspritz, wenn Du kannst, Deine Sommernachtfunken!«
Schreit eben ein Kopte. Man wird immer kecker.
Und ganze Volksgruppen sind völlig betrunken.
»Schafft Raum!« herrscht der Hauptmann der Stadtsykophanten:
»Und laßt den Gelehrten den Vorfall erklären!«
Nun seh ich ein Männchen, als Darmspekulanten
Und Deuter von Zeichen, den Haufen belehren:
[334]
»Der Löwe hat diesmal kein Wasser gesoffen
Und litt einen Monat an schlechter Verdauung,
Erst heut fiel sein Bauchrest, drum könnt Ihr jetzt hoffen,
Es sei nun vorbei mit der Schnuppenanstauung.«
Verwundert beklatschen die Meisten den Weisen
Und wünschen sich Glück zu dem Staatsastronomen.
Nur einer ruft vorlaut: »Das mußt Du beweisen!«
Ein anderer: »Verstopfungen sind böse Omen!«
Doch gleich wird der vorwitzige Einwurf berichtigt,
Die Schreihälse werden von Wachen geknebelt,
Die Volksmenge selbst wird dadurch ganz beschwichtigt
Und droht: »Wer sich vorthut, wird niedergesäbelt!«
Jetzt drangen sich Weiber, in rothen Gewändern,
Auf einmal hervor und beginnen zu schreien:
»Matrosen aus allen menschspendenden Ländern,
Begleitet uns, laßt Euch das Heil prophezeihen!«
Ekstatisch beginnen die Weiber zu tanzen
Und, brünstig aufbrüllend, die Brust zu enthüllen.
Die Schranzen versuchen zwar rasch mit Stahllanzen
Den Ausbruch der weiblichen Mannsucht zu stillen,
Doch sind die Matrosen sammt allen Passanten,
Bereits in den bacchischen Platztanz gerissen –
Und eine kreischt: »Alle wir Heilandgesandten
Lustleiber verkünden den Christ zwischen Kiffen!«
»Halt ein!« ruf ich auf: »Du beleidigst den Vater,
Den Sohn und den heiligen Geist durch Dein Sprechen!«
Jetzt seh ich auf einmal den Weiberberather
Sich rasch durch die Schreisarabande Bahn brechen.
[335]
Da steht er: ein üppiger Jüngling, und redet,
Mit Thränen im Auge und Trauben am Haupte:
»Verwerflich ist jeder, der Christum befehdet,
Oh lobe den Gott, der mich huldvoll umlaubte.
So lasse die Gluth in das Weib überfließen,
Im Schooß Deiner Frau Deine Freude ersprießen:
Oh komme, in Christo die Ehe genießen,
Weh dem, der sich wollte der Liebe verschließen!«
Schon schluchzen und schnalzen und lachen die Leiber
Der beiden Geschlechter, vermengt, auf der Erde,
Doch habe ich selbst für den Geilheitseintreiber
Nichts übrig, als blos eine Abwehrgeberde.
Da spricht jener Jüngling verheißungsvoll weiter:
»So lasse Dich heute am Christtag bekehren,
Zu Weihnachten bleibe bei uns und sei heiter,
Du sollst Deine Seele dem Heiland bescheeren!
Es ist heut wie damals ein Glücksstern erschienen
Und freilich gar bald über uns bleich verschwunden,
Ein Gott ließ ihn leuchten, dem alle hier dienen,
Er will sich bestimmt durch ein Wunder bekunden!«
Nun wallen die Weiber in Purpurgewändern
Empor aus dem Brunstpfuhl und singen im Chore:
»Du Sieger und großer Vertreiber von Schändern
Des Tempels von Zion, eröffne die Thore
Des ewigen Reiches, voll Huld, diesen Heiden.
Und Ronach, Du Weib in Jehovah, erscheine:
Erlöse die Frauen von Unreinheitsleiden,
Damit sich einst Knodek mit Ronach vereine.
[336]
Oh Spirita Sancta, erfülle die Feiten!
Dem Jünglinge ist jetzt die Maid ebenbürtig!
Das Weib steht noch höher, – als Mutter bei weitem –
Drum sieh, schöner Fremdling, mein Peplon entgürt ich.«
Drauf werfen die Weiber den Pupur zur Erde
Und drehn sich frenetisch und kreischen unbändig:
Und andere schüren das Feuer der Herde,
Und Mädchen entjungfern sich höchsteigenhändig.
Es blenden mich derart die Fackeln und Feuer,
Daß tiefschwarzes Dunkel und furchtbares Grauen,
Als Nachthintergrund mit dem Weltungeheuer,
Der WuthUrsamajor, allein, niederschauen.
[Ich sage fanatisch: Ihr Huren und Memmen]
Ich sage fanatisch: »Ihr Huren und Memmen,
Ihr dürft die Dreieinigkeit nimmermehr nennen,
Den Fluchausspruch brauch ich in Euch nicht zu hemmen,
Ihr werdet gar bald Eure Gluthbrunst ausrennen.
Die Wabe der Gnade wird bald am Gestade,
Dort jenseits der HeiligenGeistSee entflammen,
Dann tanzt hier fürwahr keine Ronachmänade,
Denn Jahwe wird grade Altasien verdammen!«
Jetzt wirft sich mir Papias ekstatisch entgegen:
»Ich habe einst Simon den Magier gesehen,
Auch der zog mit Helena frei allerwegen,
Und nie ist den beiden ein Unheil geschehen.
[337]
Und mein Protoplastevangelium wird immer,
Solange das Weltall besteht, einzig gelten,
Erfaßt Du es nicht, nun gut, desto schlimmer
Für Dich, unsere Gegner sind hier bereits selten!«
Doch siehe, es wagt es kein Mensch mir zu nahen,
Hingegen zerfleischen sich selber die Horden,
Fürwahr, nie wars klarer, daß Wunder geschahen,
Als da und ich sage: »Gluthwogen umborden
Soeben das Ufer vom riesigen Nordmeere:
Und seht, Eure Leiber durchgischtet die Geilheit
Der prachtvollen Wabe: hier wirft alles Hehre
Aus sich einen Rauschschaum und prallt von der Steilheit
Der Wasserwand abermals einwärts ins Gluthmeer,
Der schrecklich erregten, gehetzten Volksseele:
Und bald wißt Ihr niemand, vor furchtbarer Wuth, mehr
Was gut sei zu glauben und recht zu erwählen.
Es ward einst vulkanisch der Stamm der Ägypter,
Aus Westen, herübergeschleudert: und Isis
Ward damals bereits aus der Gluth umgekippter
Felsriesen, im Krampfaugenblicke der Krisis
Und Volksgottkatharsis, sammt Chnun aufgelesen:
Doch schwand sie bald wabebang hin: selbst in Theben,
Dem Gluthursprung naher, verstand man ihr Wesen
Kaum mehr, als im Delta, nach jenem Erbeben.
Doch als Indias Wabe das Nilthal erfaßte,
Der Tag kam auch da, in sein Lichtsein zu schauen!
Da saht Ihr, daß Ra, Ptah sammt Amon erblaßte
Und suchtet aus Gluth Pyramiden zu bauen.
[338]
Der Stammartserinnerung ist Isis entfliegen,
Und wiederum ward sie in Tempeln gefeiert,
Und alle die Weiber, die tanzend sich wiegen,
Ob nackt, ob in Purpur, ob lieblich verschleiert,
Sind nichts als die Priesterschaft jener Brunstfürstin.
Ihr opfert die Griechin: die Christin hingegen,
Sucht Jesum und ruft schrill, es dürst ihn
Nach leiblicher Liebe, und will sich aufregen.
Doch das ist die Brandung unglaublicher Gluthen,
Bald wird sie sich jenseits des Meeres zerstreuen,
Das Urfeuer nimmer aus Märtyrern bluten,
Der Heiland sich drüben des Sieges erfreuen!«
»Oh sage,« fällt Papias mir rasch in die Rede:
»Hat Ino von Thalamae solches verrathen?
Ich gebe nicht viel auf ihr Tempelgerede!
Verplapperte Isis den Zweck ihrer Thaten,
Gestand Dir Vulkan seine tückischen Ränke!
Du hast wohl in Memphis im Tempel geschlafen!
Dort träumt einem oftmals, für Opfergeschenke,
Im Arme der Gottheit, von furchtbaren Strafen,
Mit denen die Nemesis jeden Feind züchtigt –
Doch glaube nicht dran, das thun dumme Theurgen,
Ich kenn einen Magierschlund, tief und berüchtigt,
Dort zeigte mir Simon sein Weib in zehn Burgen!«
Gar traurig sagt Papias jetzt weiter: »Erfahre,
Auch ich bin dereinst fromm und Bischof gewesen
Und lag für die Christen bereits auf der Bahre,
Doch konnt ich durch Simon noch einmal genesen.
[339]
Dann ward ich ganz heimlich ins Nilthal getragen
Und härte von Simon, was Christus bedeute,
Dann sing ich an, selbst meinen Geist zu befragen
Und was ich ergrübelte, glaub ich noch heute.
Es sucht sich was liebt, fest zusammen zu halten,
Doch Wachsthum zum Lichte bedingt die Askese:
Ins Dasein voll Brunst soll man frei sich einschalten,
Und nur die Enthaltsamkeit schafft die Auslese.
Doch wisse, das Feuer, das Christum erzeugte,
Strahlt heute urheiter ins Antlitz des Lichtes:
Der Fluch, der das Weib vor dem Mann herabbeugte,
Verblich mit dem Grund unseres Liebesverzichtes.
Die Kette der Liebe ist wieder geschlossen:
Das Weib kann die Gottheit im Manne berühren,
Es ist durch den Heiland zu ihm aufgeschossen
Und darf auch, aus Liebe, um Seelenlust küren.
Das Licht und die Erde sind freundlich verbunden:
Der Mann wird das Satansweib schamfrei umfangen,
Denn wahrlich, die Schlange ward ganz überwunden,
Jetzt darf jeder Engel an Jahwes Hals hangen.
Die sinnliche Liebe ist wirklich gereinigt:
Das Fleisch ist bereits von den Todten erstanden,
Denn Sünde und Tod, schon seit Adam vereinigt,
Gehn beide bereits durch die Heilkunst abhanden.
Der Gott, der im Manne die Erde beschreitet,
Hat stets durch den Sohn seine Frau angezogen,
Der Sohn ist der Phallus, und den da begleitet
Das Weib, das für ihn sich um Eden betrogen!«
[340]
»Es lebe der Phallus!« beginnen im Chore
Die Weiber zu singen: »wir sind nicht vernünftig,
Wir dienen dem Phallus, als Fallmeteore,
Es lebe der Phallus, denn er herrscht zukünftig.
Wir loben den Sohn des lebendigen Gottes,
Das Glied, das uns ganz mit dem Manne vereinigt,
Wir führen ein frommes, gottseliges, flottes
Brunstdasein, und wer uns bedroht, wird gesteinigt.
Wir feiern die Nacht, da der Heilstern erschienen,
Wir lieben die Sterne, die zitternd ersterben,
Wir gleichen den blumenumschwärmenden Bienen
Und wollen um Wollust und Schlummerwohl werben.
Wir wirbeln, dem Winde gleich, wild um uns selber,
Wir baun in die Mitte die Sehnsuchtsaltare,
Und packt uns ein Schwindel, durchzuckt uns ein gelber
Brunstfunke, damit sich die Lust offenbare,
Dann fallen wir Mädchen, wie Schnuppen, ins Dunkel
Der männlichen Seelen, und nachtschwarze Haare
Bedecken die Leiber, und Seelengefunkel
Und endloses Küssen vereinigt die Paare!«
»Ihr Weiber, Ihr Weiber!« beginn ich mit Strenge:
»Ihr dürft nicht den Heiland mit Isis verwechseln,
Aus Jesu strömt Freiheit und keine Brunstenge,
Ihr Hexen laßt nimmer ein Zapfenkreuz drechseln.
Hinweg mit den Kapseln und Abrarasgemmen.
Ihr seid nur des Bacchus verruchte Manaden.
Es ist meine Pflicht, Eure Unzucht zu hemmen,
Um nicht Christi Fluch auf uns alle zu laden.
[341]
Und Du, alter Papias, verlotterter Schwärmer,
Ich habe noch niemals bei Götzen gelungert!
Und bin doch trotz allem an Einsicht nicht armer
Als Du und wer sonst noch nach Weltweisheit hungert.
Du weißt es, der Heiland braucht keine Asketen:
Und haßt die gewaltsamen Brunsteruptionen.
Das Fleisch ist ihm gleich: der Tod kanns zertreten:
So fröhnt ihm, vermögt Ihrs, die Seele zu schonen!
Doch seid Ihr ihm ähnlich, fast brunstfrei geboren,
So wird es Euch leichter, den Geist zu ernähren,
Doch völlig für Gott und sich selber verloren,
Sind jene, die niemals die Fremde begehren.
Ihr habt nicht viel Zeit, Euch zusammen zu halten,
Ihr dürst, was Euch eigen ist, ewig durchfühlen:
Drum trachten die Jahre, das Gut zu verwalten,
Und laßt nicht die Wünsche im Wechselspiel wühlen.
Das Weib ist gerettet! Doch ernster und schwerer
Bleibt vorläufig noch seine Seelenerhaltung.
Verrucht ist der Leichtsinn: drum Weib, der Verklärer
Erwartet von Dir strenge Geist und Leibspaltung.
Vergeßt nicht, Jehovah wird immer noch strenger
Und nur durch die Liebe des Sohnes gemildert,
Ihr selbst wäret nichts, als die ersten Anfänger
Des Menschensohnreiches, und seid schon verwildert!
Ich weiß wohl: die Wabe in Euch schäumt zu kräftig
Empor, um die Gnade von Jahwe zu fassen,
Hier brandet das Feuer wahrhaftig zu heftig
Und muß, anstatt Gott zu umarmen, schal prassen!«
[342]
Jetzt scheint ein Tumult ringsumher zu entstehen.
Ich greife zum Schwert, um mich leibhaft zu wehren.
Doch mag sich der Tanz um was ganz andres drehen,
Denn alles fängt an, sich jetzt rasch umzukehren.
Ich sehe im Umkreise lichtblaue Schatten.
Dann nackte Gestalten, mit Schlangenglastfackeln.
Wa schleicht da herbei! ach, das sind Wasserratten!
Was giebts da! Der Mastenwald fängt an zu wackeln.
Jetzt faß ichs: man will uns die Christinnen rauben.
Schon hört man die Weiber und Fleischräuber kreischen.
Es mag jedermann eine Jungfrau aufklauben,
Und glaubt dreist, er darf seine Helena heischen!
Ich lasse den Menschenknäul raufen und pfauchen:
Die Wuth dieser Weiber wird sicherlich schneller
In fremden und kälteren Ländern verrauchen,
Ich bin ja doch selbst dieser These Aussteller.
So bleibe ich da und beschau mit Behagen
Das spaßhafte Schauspiel der raufenden Frauen
In tausend Bauchlagen und auch Unterlagen,
Die schnaubend mit Fäusten aufs Räuberpack hauen.
Doch fängt ihre Wuth langsam an zu verschnaufen.
Ich merke es rasch an den lüsternen Mienen.
Jetzt scheinen die lichtblauen Mäntel und Haufen
Von Leibern, wie Wellen im Spiel mit Delphinen.
Das fletscht und das schlängelt sich hin zu den Schiffen.
Und alte Mänaden, die niemand bedrohte,
Entschließen sich rasch zu Gewaltübergriffen
Und packen Epheben und stürmen die Boote.
[343]
Es treiben bereits viele Schiffe am Meere,
Und Glastkörper flimmern ringsum auf den Masten,
Noch setzt sich im Hafen kein Wächter zur Wehre,
Drum braucht auch das Räubervolk gar nicht zu hasten.
Jetzt sind wohl die Barken schon allesammt draußen.
Gar wunderbar glitzern die vielen Schiffslichter.
Ich höre auch wieder die Seebrandung rauschen,
Denn weg ist das ganze erregte Gelichter.
Doch prächtig und grell sind der Maststerne Tanze,
Ich träume mit ihnen, als ferner Beschauer,
Verdunkelt sind alle Nachtstrauße und Kränze,
Nur dort glimmt, oh Schauer, der ganze Kentauer!
Nun stürmen aufjauchzende Jünglinge wüthend,
In nilgrünen Hüllen, hinüber zur Düne:
Nur einer hat Glück, einen Schützling behütend,
Verwünscht er die Flüchtlinge, kündigt er Sühne
Und furchtbare Strafen für alle Schreckthaten
Dem Schiffervolk an, das die Frauen fortraffte.
Die anderen fangen jetzt an zu berathen,
Obs irgend was gebe, was Barken herschaffte.
Verzweifelt beginnt man auf Christum zu schimpfen
Und meint, er sei schuld, wenn das Diebsvolk verrohte,
Und würden die unzüchtigen, flüchtigen Nymphen
Nicht wieder zurückkehren, gebs Christentodte!
[344]
Ein Wunder geschieht: Haufen heidnischer Weiber
Entspringen Bordellen, Brautzimmern, Kemnaten
Und geißeln sich selbst und die bleichen Zutreiber,
Und schließlich die Gatten, zum Schluß auch Soldaten.
»O Weihnachten, Weihnachten« kreischen sie heiser:
»Dem Heilande sind wir alleine ergeben!«
Jetzt naht aus dem Tempel Serapis ein Weiser
Und sucht die Besessenheit rasch zu beheben.
Schon stürzt sich ihm Papias, verrückt fast, entgegen,
Und schreit: »Môab, Agok und Ackhap, Phalaris,
Ich traue Dir nicht, denn Du nährst Dich vom Regen,
Bekränz Dich mit Reben: an unserm Altar iß!
Nur dann kann ich glauben, was Du prophezeihtest,
Es müsse das Kreuz, unten ferne im Süden,
[Wahrscheinlich weil Du die Kabale bereitest]
Stets weniger leuchten und schließlich ermüden.«
Da lachen die Weiber im Chore und singen:
»Für uns ist der Heiland am Kreuze gestorben.
Es wird Dir kein ähnliches Wunder gelingen,
Drum wirst Du auch niemals wie Jesus umworben.
Der Heiland verzieh unsere fleischlichen Sünden,
Er liebte das Weib, das die Ehe gebrochen,
Er ließ durch sie selber sein Wirken verkünden,
Gestattete niemals, auf Keuschheit zu pochen!«
Jetzt schwingt jener Magier den Stab der Beschwörung
Und sagt: »Durch die Kraft dieser klaren Smaragde,
Erlöse ich Euch von des Juden Bethörung,
Den damals an Golgatha Todesangst packte!«
[345]
Da schreien die Weiber als wären sie eine:
»Es sagte der Heiland zum Vater gewendet:
Dein Wille geschehe, oh Herr, nicht der meine!«
Da denkt sich der Heide: Wer hat sie verblendet!
Dann ruft er: »Im Namen von Dis und Diana,
Durch Jupiter Stigius, Erhalter der Geister,
Erscheine vor mir Apollonius von Tyana,
Du Göttin der Nacht, zeige gleich meinen Meister!«
»Was rufst Du mich, Priester des Jovis Serapis?«
Durchdringt eine Stimme die zitternde Menge:
»Du halbe Gestalt, Du Vernunft nur vom Apis,
Was wärest Du ohne die Stiernabelstränge.
Du hängst ja an ihm, Du gespaltener Kentauer,
Und wagst es alleine, den Christ zu besiegen,
Ich kauerte lange, im Volk, auf der Lauer,
Man kann es bezeugen, um gleich herzufliegen!«
Kaum zeigt sich der Greis unter uns, auf dem Plane,
So kreischt auch schon Papias: »Ich weiß, prima vista,
Durch Christum und Christam, (ich spreche nicht im Wahne,)
Du bist Adonai und Merkur Trismegista.
Abraras, Kaulaka, das bist Du, das krächz ich,
Du selbst und der Priester betrügst niederträchtig,
Sechshundert ist jener und Du sechsundsechzig,
Nun, Astharoth hast Du es ab! Und nun räch Dich!«
Da singen die Weiber und treten uns näher:
»Wahrhaftig, der Heiland vollbrachte acht Wunder,
Auch heut gab er Manna für uns Manichäer,
Sein Blut wurde Gluth, und wir alle sind Zunder.
[346]
Drum soll man ihn preisen, sich stets um ihn schaaren,
Und Luzifer nimmer, noch Jupiter dienen,
Doch möchten wir gerne von Isis erfahren:
Drum sprich Apollonius, wie bist Du erschienen?«
»Das war Goëtie,« sagte nun rasch der Befragte:
»Die hilft mir aus Zeit und aus Erdkreisbezirken,
Erst kam ich aus Ländern, wo eben es tagte!«
Dann lispelt er listig: »Der Stier wird gleich wirken!«
Drauf wird er von Papias voll Wuth unterbrochen:
»Nach Mitternacht ist ein Komet wohl erschienen,
Der hat allen hier in die Augen gestochen,
Wir blickten empor mit verwunderten Mienen,
Doch wars nicht die Sonne, verächtlicher Schmäher:
Zwar wird sich gar bald unsere Weltnacht erhellen,
Dann leuchtet das Lamm, und wir treten ihm näher,
Doch Dich wird ein Engel in Satans Schlund schnellen.
Die Nacht ist wohl einmal am Tag angebrochen,
Das war, als der Heiland am Kreuze erblaßte,
Da haben die Felsen die Unthat besprochen,
Man sah, wie die Bäume ein Schüttelfrost faßte.
Man sah, wie sie plötzlich die Seele verhauchten,
Um nackt, wie das Kreuz, in das Dunkel zu ragen:
Fürwahr, die Dryaden und Faune verpfauchten,
Wahrhaftig, aus Jesu allein wird es tagen!«
Da singen die Weiber: »Für dich Hierophanten
Ists eigen, die armen Dryaden zu hassen,
Für alle, die Simon und Helena kannten,
Mags wahrhaft nicht leicht sein, Dein Wesen zu fassen.
[347]
Der Wind ist vom Himmel herniedergestiegen:
Zwei Füllhörner haben ihn ganz ausgegossen,
Man sah weiße Wolken vom Jordan aufstiegen,
Die haben den Golgotha plötzlich umschlossen.
Es schien eine Grotte das Kreuz zu umstarren,
Denn dort war die ganze Weltmystik vereinigt,
Ganz athemlos sah man das Drama beharren:
Dann plötzlich war alles im Weltall gereinigt!«
Nun ruft Apollonius: »Warum, Simoniten,
Ist Jesus allein vor den Juden erstanden?
Ich selbst spreche hier und sogleich in Gebieten,
In denen soeben zwei Erzgötter landen.
Die Füllhörner aber, die Simon gesehen,
Sind jene, die Könige häufig gewahren,
Sie können zumal in Ägypten erstehen
Und scheinen die Stadt vor Gefahr zu bewahren.
Ein solches entragte der Erde am Tage,
Da Prinz Alexander das Weltlicht erblickte,
Genau in entgegengesetzter Strandlage
Entstammte der Brand, der Diana erstickte.«
Nun sage ich selber: »Ihr seht nur das Leuchten
Der äußeren Regungen irdischen Waltens,
Doch wichtiger will es mir wahrhaftig deuchten,
Den Weltgrund des ethischen Menschenverhaltens
Genau zu durchschauen und sittlich zu streben:
Oh seht, diese Weiber, die niemand belehrte,
Verkünden den Heiland und kennen sein Leben,
Fürwahr das ist wunderbar: folgt dieser Fährte!
[348]
Die Welt muß sich selbst durch den Tod überwinden,
Der Geist wird allein ohne Ende bestehen,
Was starr bleibt, wird einstmals vollständig verschwinden,
Was wechselt, wird langsam zu Gott übergehen.
Die Pflanzen versuchen bereits auszuhauchen,
Doch kann nur die Gattung in Eden bestehen,
Die Thiere, die blos als Versuche auftauchen,
Läßt Gott in den einzelnen Menschen aufgehen.
Die alten Barbaren, bei denen die Sinne
Beinahe die ganze Gefühlswelt erwühlen,
Sind selten vortrefflich für himmlische Minne,
Drum muß sie der Trubel der Rassen durchspülen.
Nur wenig in ihnen kann Gott ganz erfassen,
Doch wird ihre Artung ihr Nachgeschlecht retten,
Jetzt will dieses Meer uns nicht weiterziehn lassen,
Drum zerren die Seelen an Fleisch und Skeletten!
Die Trennung ist längst schon in uns vorbereitet,
Doch nun will der Geist seine Raumfesseln sprengen,
Und da unser Leib nicht im Kinde fortschreitet,
So muß, was sich schuf, sich aus Zeitrhythmen engen.
Ein großer Versuch, ohne Kinder zu zeugen,
Sich selbst durchzusetzen, ist wahrlich gelungen,
Vor Christi Geburt muß die Menschheit sich beugen,
Da hat unser Meer Asiens Wüste bezwungen,
Fürwahr, was wir alle in uns hehr empfinden,
Ist heiliger Geist und wird bald herrlich siegen:
Die Dinge, die wirksam im Sinn sich verbinden,
Sind nur dazu da, vor dem Geist zu verfliegen.
[349]
Wahrhaftig, ein ehernes Muß hält das Leben,
Ja, jegliches Wesen, das nachwächst, umklammert,
Denn Reichthum und Sünde, die hart daran kleben,
Sind schlecht, daß der Geist ob der Niedertracht jammert.
Was frei schon, wie Christus, am Weltschöpfer haftet,
Das wird seinen Leib außer sich faulen sehen:
Ihr Weiber, das was Ihr dem Fleische entrafftet,
Das Wunder in Euch, wird ins Lichtreich eingehen.
Das Göttliche hielt sich in Wasser und Wabe,
Als Seele, im heiligen Geist fortzuleben.
Oh seht, seine herrlichste, himmlische Gabe,
Der Heiland, den hat uns der Geist schon gegeben.
Oh seht, dieses riesige Meer ist der Speicher
Des Geistes und Deich des Fleischpfades,
Er macht unser Dasein begeisterter, reicher
Und schwellt unsere Seelen hervor aus dem Hades.
Es kann uns wie Nebel zum Lichte erheben!
Oh hört, wie es brandet: es möchte uns taufen!
Oh hört doch: es singt uns vom ewigen Leben!
Oh seht, wie die Salzschäume laut niedertraufen.
Das Meer, dessen Wellen sich weit überlaufen,
Das rastlos, unendlich ganz Asien umbrandet,
Das aufprallt, als schrie es: wo sind denn die Haufen,
Zum Taufen, die fiebernd und satt hier gestrandet?
Das Meer da, das ward eine machtvolle Taube,
Die hat eine Jungfrau in Reinheit geschwängert:
Das Meer und die Wabe in uns sind der Glaube,
Aus dem unsere Einsicht zu Gott sich verlängert!«
[350]
»Wahrhaftig!« sagt Papias: »Das war eine wahre
Erhabene Jungfrau, die Jesum geboren.
Oh laßt, daß ich das, was ich sah, offenbare,
Oh horcht doch, wozu hätte sonst jemand Ohren!
Ich war in Bethanien: da winkte vom Himmel
Ein leiblicher Stern, den ich niemals gesehen!
Im Träume erschien mir ein herrlicher Schimmel,
Da war ich entschlossen, auf Wallfahrt zu gehen.
Ich pflegte am Wege Gespräche mit Leuten,
Die staunend die Pilger ums Wunder befrugen,
Denn Magier erschienen, das Zeichen zu deuten,
Und einige sah ich, die Weihbecken trugen.
Und als ich im Finstern, zur Stelle gewesen,
Betrat ich den Stall mit der Wanderlaterne
Und sah, wo die Jungfrau des Kindes genesen,
Ein eigenes Zwielicht und Spiel winziger Sterne.
Der Herr war verschnürt: ganz in Windeln gewickelt,
Und glich einer Mumie. Die fruchtbare Mutter
Durchschaute mich huldvoll. Wie hat das geprickelt:
Da gab ich verlegen dem Maulthiere Futter.
Die Gänsehaut hatte mich ganz überlaufen.
Ich konnte nicht länger beim Christuskind bleiben.
Es trieb mich hinaus zum gewohnten Volkshaufen:
Noch konnte ich niemand den Eindruck beschreiben.
Ich weiß ganz genau: ich gewahrte die Nase,
Die Ohren der Jungfrau, ganz frei von Gehängen:
Ihr Blick aber brachte mich so in Ekstase,
Daß edle Geschmeide ihr Traumbild umdrängen!«
[351]
»Heil Weihnachten, Weihnachten!« singen die Weiber:
»Der Heiland sei heute aus Erden gefeiert,
Gelobt seist Du Papias, Du Heilbotschaftsschreiber,
Du hast uns das Weibheitsgeheimniß entschleiert.
Das Christkind ist selbst in Ägypten gewesen,
Nur Wenige haben es damals gesehen,
Doch hab ich die Schrift eines Priesters gelesen,
Der sah die Familie am Nilstrande gehen.
Des Nachts schliefen Mutter und Kind unter Palmen.
Stets waren die Bäume von Sternen durchleuchtet.
Der Vater bedeckte das Kind sanft mit Halmen,
Sonst hätte der Thau es am Morgen befeuchtet.
Heil Weihnachten, Weihnachten, wollen wir singen,
Das Weib und das Fleisch hat der Heiland gerettet,
Wir selbst werden Gottes Befreiung vollbringen:
Er träumt noch in sämmtliche Seelen gebettet!«
Nun spricht Apollonius: »So laßt mich doch sprechen,
Zu lange schon haben die Christen gewettert,
Und wäre ich nicht da, die Gottheit zu rächen,
So hätte Euch Jupiter längst schon zerschmettert.
Ihr Weiber zumal, seid entsetzlich verblendet,
Es hat Euch kein Magier am Jordan gerettet,
Hingegen die Isis für Euch sich verwendet:
Der Staat Alexandrien hat Euch gerettet.
Kein Theraphim ist zu Euch niedergestiegen.
Der Kampf war gewaltig. Es gab viele Todte.
Kleopatra konnte die Mannheit besiegen:
Ihr nennt sie, im Volksmunde, heute die Rothe.
[352]
Zu Hathor blickt auf, zu der Todtenumworbenen!
Sie trägt auf dem Kopfe die Sonne mit Hörnern,
Das sind Lohderseelen der leiblich Verstorbenen:
Als Aour ersteht sie urewig, aus Körnern.
Ihr Ododem sprengt alle Samen und Eier.
Sie ist das Mysterium der Weltphiladelphen.
Sie spinnt Isis sinneverwirrenden Schleier
Und will jedem Rechte der Weiblichkeit helfen.
Als Arrinoë überwand sie die Feindschaft
Der beiden Geschlechter und liebt ihren Bruder:
Seitdem das Geschwisterpaar Leben vereint schafft,
Beruft es beruhigt das Weib ans Staatsruder.
Es trinkt jetzt der König die Milch seiner Schwester,
Wie diese den Samen des Bruders empfangen:
Der Nilfürsten Doppelreifkrone sitzt fester,
Seitdem auch die Weiber zur Herrschaft gelangen.
Ihr Weiber, fürwahr Euer Undank ist gräßlich!
Ihr folgt jenem Mann, der die Fleischlust anklagte,
Der selbst seine Mutter, als wär es nicht päßlich
Auch sie einzuladen, vom Festmahl wegjagte.
Bei Gott, Ihr versteht nicht den Lauf der Geschichte:
Ihr glaubt eitlen Gauklern und dreisten Aufrührern,
Doch Isis geht bald mit der Welt zu Gerichte,
Dann stürzt sie Euch, samt Euren keuschen Verführern!«
»Daduchas, Du mußt unser Unglück verhüten!«
Beschwören die Weiber den heidnischen Meister:
»Du magst gegen Priester und Aufrührer wüthen,
Doch uns zeige lieber die Macht Deiner Geister.
[353]
Es sollen die Todten Serapis auftauchen,
Den Weibern, im Krieg um die Herrschaft, zu dienen:
Wir können sie gegen die Christen gut brauchen:
Ist Jesus nicht irgendwo plötzlich erschienen?
Du Licht der Hermetik, wir wollen Dir glauben,
Doch lasse uns früher zu Weihnachten taufen,
Du darfst uns der Festtage nimmer berauben,
Man liebt es sogar, andere Namen zu kaufen!«
»So fahret denn hin, Ihr verlorenen Seelen!«
Beginn ich, gefaßt, zu der Menge zu sprechen:
»Ihr mögt Euch, der Königin gleich, Namen wählen,
Der Haremsgeist fängt wieder an auszubrechen.
Es wird Euch der Priester in gar nichts einweihen,
Da bald alle Geister Ägyptens entweichen,
Ich selbst will das Weib aus dem Kerker befreien
Und werde dereinst Euch die Manneshand reichen.
Erfahret jedoch: Gott verpönt die Kabale,
Nur unreine Geister umflattern Erdleiber,
Das Farum steht da, und die Zukunftssignale
Giebt Gott, wann er will, durch prophetische Schreiber.
Ein Brand wird das ganze Serapium wegraffen,
Denn todt ist die große Gelehrtenmethodik,
Die Menschheit ist frei und soll unbewußt schaffen.
Das Buch vom Geschicke, und seis auch noch so dick,
Als jenes der zehn grundverschiedenen Sibyllen,
Ist werth, daß die Wuthgluth von Gott es versenge.
Diktirt ist dergleichen vom garstigen Willen,
Sich selbst zu verachten und stets auf die Strenge
[354]
Der Weltallgesetze die eigenen Fehler
Und selbst unsere Schuld, da zu sein, abzuwälzen.
Ich selbst bin ein Wunder und Normenvermähler,
Doch Ihr seht Mirakel bei Magiern auf Stelzen!
Mein Tag ist ein Kunstwerk, das manches bedeutet,
Das Wissen von jenen hingegen ist Fläche,
Ein Götze, der alle fünf Jahre sich häutet,
Wo ich ganz im Gegensatz ringsum absteche.
Ich spreche ganz klar: ich bekenne die Geister
Und glaube an Gott und das ewige Leben,
Doch sage ich niemals, so ist er und heißt er,
Und will mich nur wirksam zum Ursprung erheben.
Mein Weltgesicht wird aber trotzdem ein Weiser,
Bestimmt nur symbolisch verstehen und deuten:
Fürwahr, als ein umsichtiger Zeitfelsbereiser,
Bewegt die Vernunft mich, die Glocken zu läuten.
Ich stiege auf Strahlen des Lichtergeheißes,
In mir, zu mir selber zurück oder weiter,
Denn was meine Inbrunst bewältigt, wer weiß es?
Mich selbst aber stimmt dieser Urlichttrieb heiter!«
»So trachte denn Du, die Natur nachzuahmen,
Die kann sich Gott selbst atheistisch auslegen,«
Erwidert der Magier: »Ich will nicht erlahmen
Durch Geister den christlichen Sinn auszufegen.
Ihr schreitet wohl fort: stets in Tortelquadraten
Bewegt Euer Geist sich, dem Leibe gleich, weiter,
Das kann mir zwar ganz Eure Mannheit verrathen,
Doch langweilig wird einem schließlich die Leiter.
[355]
Es drangt Euch stets, einer für alle zu handeln,
Bedenkt dieses Wort, denn auch das ist quadratisch:
Ich selbst bin genialer und will nur lustwandeln
Und diene dem Volk weder laut noch asthmatisch.
Mein Wesen ist ganz einem Kreis eingeschrieben.
Ich geh nicht bedacht, denn ich fahr durch das Leben.
Ich will nicht mein Werkzeug nach rechts und links schieben:
Ich kann mich auf Blasen ins Traumreich erheben.
Mein Wesen besiegt, wie Ihr seht, leicht die Weiber,
Die sind ja zum Rollen am besten geschaffen.
Zwar bin ich ein Gaukler, ein Kunstübertreiber,
Dafür aber will jeder Mensch mich begaffen.
Ich sang meinen Anhang an laut zu verhöhnen:
Das schadet mir nichts, denn ich kann etwas bieten:
Das Weiberpack mag sich auch daran gewöhnen:
Nun staunt, denn die Kirche geht ganz aus den Nieten!«
[Es zeigt sich jetzt Apammon selbst auf dem Platze]
Es zeigt sich jetzt Apammon selbst auf dem Platze.
Der Herr Alexandrias tragt goldene Kleider.
Es folgt ihm, zum Schutz, eine riesige Katze,
Und neben ihm schreiten die Staatshalsabschneider.
Da sagt Apollonius: »Nach Osten, von Westen,
Wie einst Alexander, der Sonne entgegen,
Ziehn weise Monarchen, dann stürmen sie Vesten:
Auch Apammon scheint solcher Sitte zu pflegen!
[356]
Er wird sich zum Sonnenthorrichtplatze wenden.
Das Od, das nach Westen drängt, wühlt er wie Krumen
In Goldwirbeln auf, und es muß ihm Glück spenden,
Und überall blühn ihm am Weg Ruhmesblumen.
Auch Cäsar war groß, als er ostwärts Krieg führte.
Sein Spießbürgerfeldzug in Gallien war peinlich.
Doch als er Kleopatra selbstherrlich kürte,
Da gabs kein Lateinerthum! Gar nichts war kleinlich!
Ich liebe die Geister der Großen auf Erden:
Ich bin blos ein guter Theurg und ich sagte,
Ich sei auch ein Magier und habe die Heerden
Sofort angezogen, denn gar niemand wagte
Der Macht Demiurgos entgegen zu treten!
Dafür aber geb ich ein Schauspiel wie keines:
Da kommt schon der Apis mit Priestern, die beten:
Nun faßt die Gewalt dieses Wesenvereines!
Der Apis besitzt abgetrennt sieben Köpfe:
Das sind jene Priester: davon drei Kastraten.
Für sich sind sie alle bescheidene Tröpfe:
Verbunden, berathen sie Apis Staatsthaten.
Wahrhaftig ein Weltmikrokosmos wie keiner
Geht eben zum Stadtheptastadion spazieren:
Auf Erden ist gar nichts geschlechtsloser, reiner,
Als hier die Vernunft von den Tempelzuchtstieren.
Es gleicht das Mysterium hermetischer Ehen
Genau dem Spektakel der Stierpriesterzwitter,
Es darf sich ein Weib wohl mit Buhlen versehen,
Doch hatte sie stets, ist sie todt, einen Ritter.
[357]
Drum Weiber herbei und vermählt Euch Soldaten,
Und Bursche, von mir knapp im Bann festgehalten,
Herbei nur, herbei, denn der Plan ist gerathen!
Rein Blut ist geflossen! Der Feind ist zerspalten!
Nun also, nur munter den Stierleib vertreten!
Ihr werdet noch Jungfrauen, gleich Bereniten:
Im Hades versteht Ihr die Anachoreten,
Und werdet wie diese recht zimperlich quieken.«
»Heil Dir Berenike, Anassa, Du Keusche!«
So höre ich Stimmen im Apiszug singen.
Dem Hymnus verschwistern sich Liebesgeräusche,
Die rings aus den Thüren und Strandbüschen dringen.
»Zur Bühne, zur Bühne, herüber zur Bühne!«
So hör ich den Magier schon wiederum zetern:
»Daß niemand sich heute zu fehlen erkühne,
Ich selber gehöre zu Hadesvertretern.
Rhaeoris und Bruchum vertauscht die Bewohner:
So wirf, MareotisSee, Aale und Fische
Hinüber ins Mittelmeer, statt monotoner
Sumpfmuscheln bekommst Du dann allerhand frische!«
Wahrhaftig, gar prachtvolle Schlangen umzischen
Die Lüfte. Zwei Füllhörner schütteln Lichtblüthen
Und Sprühbüschel nieder. Und wie sie erlischen,
Entstülpen sich glühende Überflußdüten.
Da lachen die Weiber und sagen: »Soldaten,
Der Sieg der Serapis ist wirklich vollständig,
So macht es mit uns, wie zuvor die Piraten,
Oh tragt uns nach Hause, wir freun uns unbändig!«
[358]
Da klascht Apollonius und schreit sich fast heiser:
»Herbei, geile Weiber, es warten die Buhlen
Und führen Euch heim, wie es Zeus und der Kaiser
Befehlen, wozu giebt es sonst Venusschulen.
Oh, seht nur das Schauspiel der Glanzakrobaten.
Die Schlangen Serapis umklettern Glastmasten.
Da platzen auf einmal achttausend Granaten.
Das ist ein Mirakel: was trägt diese Lasten?
Heil Apis, entführe die weibliche Seele,
Es mögen die sieben Vernunfttheile warten,
Bis jedem sich eine im Himmel vermähle,
Für jetzt scheint das Jungfernthum stark zu entarten!«
Ein prachtvolles Schaustück entzückt meine Blicke:
Auf Flammengerüsten, zur rechten und linken,
Steht beiderseits Atlas, die Welt im Genicke,
Vulkan aber scheint durch die Wabe zu hinken.
Der Zerberus will sich ins Mittelfeld stellen
Und fängt stammenschnaubend an, Brand anzufachen.
Ich höre ihn plötzlich entsetzlich laut bellen,
Und drauf, als das Echo, der Weiber Brunstlachen.
Es huschen Glastpanther im Nu von den Masten.
Panisken erklettern sie rasch wie Eichkätzchen.
Vom Himmel herab fallen blasse Glastquasten.
Und Affen am Seil machen allerhand Mätzchen.
»Fürwahr, Alexandria kann etwas bieten!«
Vernehm ich die Stimme des Magiers, noch einmal:
»Die Götter sind riesig als Wahrheit und Mythen
Und reicher ihr Festtisch, oh Jesus, als Dein Mahl!
[359]
Das Wappen der Stadt kann sich prachtvoll behaupten;
Der Adler, der helle Verstand, hält Blitzschlangen,
Die einst die Titanen dem Lichtherrscher raubten,
Jetzt wieder mit mächtigen Krallen umfangen.
Das ist unsere Sonnenvernunft, im Besitze
Des stygischen Lichtes: Gespenstergewitter
Entknistern aus jeglicher Isisfelsritze.
Uranus entzischt, unser Adlerlurchzwitter.
Der furchtbare Fluch auf das Dasein verflüchtet.
Den Werdesturzspalt kann Vulkan überwinden.
Ich selbst, der den Spuk der Hekate gezüchtet,
Kann jetzt und für immer im Delta verschwinden!«
Ganz prachtvolle, schlanke Mänadengestalten
Erhalten sich schwindelfrei über Gerüsten,
LichtIbisse schlitzen die Glanzgewandsalten,
Und Flimmermilch sprüht aus den üppigen Brüsten.
Es tragen gewandte und ganz nackte Knaben,
In Körben, rings Purpurgluthäpfel zu Frauen,
Und diese vertheilen die schaumreifen Gaben
Den Erdengestalten, die starr hinaufschauen.
Unglaubliche Vögel umflattern die Stangen,
Auf denen die gelben Gesellschaften stehen.
Sie haben Gesichter mit Fieberwahnwangen
Und scheinen sich immer mechanisch zu drehen.
Das Licht dieser wechselnden Feuerwerkszene
Verdunkelt im Hintergrund alle Sternbilder,
Nur eines besiegt auch die Flammenfontäne:
Der Herkules glüht trotz der Riesenlichtschilder!
[Beständig verfärben sich jetzt die Seiltänzer]
[360]
Beständig verfärben sich jetzt die Seiltänzer.
Nur einige Luftturner schwenken Prachtfackeln.
Wo sind die geschwänzten Ringsumsichscherwenzer?
Da fängt schon ein Flammengerüst an zu wackeln.
Die Masse um mich ist apathisch geworden.
Die Weiber allein wollen Lustlieder lallen.
Sie sind nun schon längst in die Hände von Horden
Von Schiffern, Soldaten und andern gefallen.
Die Springkinder machen dort hoch Purzelbäume,
Und blendende, lebende Schwebekulissen,
Mit Männern auf Reken, bewegen die Träume
Der Dusler, die jetzt noch den Schlummer vermissen.
Gar mancher liegt gänzlich lethargisch am Damme
Und läßt sich wahrscheinlich sobald gar nicht wecken,
Im Halbschlaf platscht einer im Brackwasserschlamme,
Und immer noch sieht man sich andere ausstrecken.
Was mag mit dem Papias, im Laufe der Dinge,
Geschehn sein? Oh seht, er ist gänzlich verwandelt!
Es ist jetzt, als ob er nun langsam verginge.
Was hat ihn gepackt, daß er einsam verhandelt?
Er selbst ist ein Strauch, dem die Seele entfahren.
Er sieht dabei geisterhaft aus: unaussprechlich
Erscheinen oft Dinge, die Augen gewahren:
Er dünkt sich dämonisch und ist nur gebrechlich.
Jetzt braucht mir vor niemandem ringsum zu bangen:
Apathisch sind alle, nur ich werde stärker.
Die Wenigsten starren empor zu den Stangen:
Dort scheint es, die Seele entsprüht ihrem Kerker.
[361]
»Die saftige Dattel!« schnalzt Papias ganz nahe,
Und schmeckt durch und durch eine Frucht auf der Zunge:
»Du stehsts, wie ich Gott in uns allen bejahe,
Denn spuck ich, befreit er sich flugs aus der Lunge.
Verdau ich, so pfaucht er aus meinen Geweiden.
Als Dattel belebt ihn mein schmeckender Gaumen.
Du glücklicher Fruchtgott, jetzt kannst Du ausscheiden,
Ich leck Dich noch auf, von dem klebrigen Daumen!«
Nun schluckt er und spuckt er und thut sehr zufrieden
Und glaubt die Weltseele am Schlund zu bekunden,
Nun ist er schon wieder, und diesmal entschieden
Vollständig, vom Schauplatz des Daseins verschwunden.
Die Menge verliert sich. Ich bleibe alleine
Und horche gespannt auf das Wuchten der Wogen.
Da nahen mir Weiber im Fackelnachtscheine,
Die habe ich unbewußt an mich gezogen.
Ich sehe und zahle. Es sind ihrer sieben.
Sie scheinen zu Christum bekehrte Jungfrauen,
Sonst waren sie, aufgezählt, niemals geblieben,
Nun suche ich sprechend ihr volles Vertrauen:
»Ihr seid wohl die einzigen Schwestern und Bräute
Der Kirche, die Jesus für würdig gehalten,
Die Macht der Magie zu entziehen, die heute
Die Christengemeinde auf einmal gespalten.
Gesteht Eure Zweifel und beichtet die Leiden,
Ich selbst habe heute aus Hochmuth gesündigt
Und kann Magiereinstuß von Brunst unterscheiden,
Zum Priesteramt hat mich der Heiland ermündigt!«
[362]
»So sei denn gegrüßt, und gelobt sei der Heiland!«
Erwidern die Weiber einstimmig: »Oh sage,
Wann kommt Jesus wieder und wann wird sein Freiland
Der Seele erscheinen, wann schwingt er die Waage!«
»Ihr Weiber denkt nicht an die Zukunft der Dinge,
Erleuchtet Euch,« Sprech ich: »Euch selbst zu erkennen!
Thut alles, daß Jesus Euch völlig durchdringe
Und trachtet schon da, Leib und Seele zu trennen.
Ihr Schwestern in Christo, oh, könnt Ihrs ertragen
Und seid Ihr für Gott, für das Weltheil erkoren?
Ich habe Euch furchtbare Dinge zu sagen,
Ihr seid vielleicht blos für die Marter geboren.
Der Heiland braucht Geister, um endlich hienieden
Der christlichen Kirche den Sieg zu erfechten:
Oh seht, erst als Märtyrer könnt Ihr in Frieden,
Wie Erzengel, freisprechen, ächten und rechten.
Die Seele muß ganz aus dem Glauben enttauchen,
Dann hat sie noch Kraft, um für Jesum zu streiten,
Ihr müßt, aus dem Marterbett, jenseits auftauchen,
Doch hier schon den Weg der Bekehrung beschreiten.
Ihr Schwestern in Jesu, unsagbare Leiden
Erwarten Euch alle: ich seh Euch zum Tode
Geführt, unter furchtbaren Qualen verscheiden:
Oh Gott, oh Gott, schone das Blut vom Synode!«
»Heil Weihnachten, Weihnachten, seelige Wonne,
Für Jesum zu sterben!« Beginnen die Frauen
Im Chore zu singen: »Oh Wonne der Nonne,
Oh Sonne der Todten, oh Bronnen der Lauen,
[363]
Oh Jesus, wir wollen für Dich alles dulden!
Oh Gott, der von uns alle Sünden genommen,
Oh sag, wieviel Todte wir alle Dir schulden,
Wir loben Dich, Gott, der im Herzen erglommen!«
Nun singe auch ich: »Heil Weihnachten, Weihnachten!
Oh Gott, wie der Leib Deines Sohnes im Schooße
Des Weibes behutsam bewahrt war, so trachten
Wir alle das Lamm sanft vor jedem Verstoße,
Vor Bangen und Sünden in uns zu behüten.
Das Blut Deines Herzens, das tief uns durchtränkte,
Die Blüthen der Unschuld, die in uns erglühten,
Die Wahrheit, oh Herr, die Dein Wesen verschenkte,
Die wird uns kein Henkersknecht jemals entreißen.
Noch starker wird einst unser Glauben im Kerker.
Wir werden Dich, selbst im Verließ, noch verheißen,
Wir werden Dich preisen: aus Thür und aus Erker
Wird, Heiland, Dein Name zum Menschen hindringen.
Und ganz eingemauert, bekehren wir Steine:
Die werden uns Antwort der Heiligen bringen,
Dann singen die Todten und wir im Vereine!«
[Es schweben jetzt in sich erhellte Engel stille]
Es schweben jetzt in sich erhellte Engel stille
Herbei, um meine Nachtvision zu klären.
Der Friede quillt aus jeder englischen Pupille,
Und Christi Schmerzen spiegeln sich in ihren Zähren.
[364]
Sie stehn, soweit die Einsicht reicht, in bleichen Reihen,
Wie Pfeiler einer Nebelkirche streng zusammen.
Die einen scheinen weiche Scheine zu beschneien,
Von andern mag das Licht vom eigenen Herzen stammen.
Die weißen Engel bringen frische Stengellilien,
Von Himmelswiesen, für die keuschen Kinderseelen,
Und singen lieblich ihre Hymne an Cäcilien,
Die andern tragen Prachtzibarien voll Juwelen.
Ein goldener Pollenstrom entflockt aus allen Kelchen,
Und aus den Erzgefäßen nebeln Glitzerthränen.
Nach welchen Dütenblüthen oder Wehmuthsquellchen
Der Schicksalsschalen darf sich bang die Seele sehnen?
Ich ahne nichts und darf kein Glück zu wissen haben,
Der Anblick solcher Pracht allein ist voll Erfahrung,
Denn was ich fühle, kann mich gleich bei Geistern laben,
Und wahrlich, wahrlich, da gebricht es nicht an Nahrung.
Hab ich die Sinne noch? Ist dies noch Lichtgeflimmer?
Ich kann noch Katharinas Marterrad gewahren!
Ihr Jungfraublut durchstrahlt mich wie Rubinenschimmer,
Und Rosenduft mag sich zugleich mir offenbaren.
Ganz als Granatenstrahlen und als Bernsteinschnüre,
Und dann als wunderbare Gluthrubinendrusen
Durchschauern mich der Heiligen Blutgeschwüre:
Die Wärme ihrer Farben drängt sich an den Busen.
Dufthauche, wie von Heliotrop und von Reseden,
Umspielen meine frischbelebten Fieberschläfen:
Die Lippen küßt ein reiner Kindermund aus Eden,
Wo wärs auf Erden, daß sich solche Reize träfen!
[365]
Ich höre nun die sieben Weiber leise singen:
»Oh sanftes Lamm, der Schwingenstier und Flügellöwe
Vermögen es, bis hin zu Deinem Licht zu dringen,
Und ich umflattre Deinen Strand wie eine Möve.
Ein inneres Bangen läßt uns nicht zu Dir gelangen:
Oh Herr, laß uns die Furcht auf Erden überwinden:
Ich möchte meine Pilgerfahrt sogleich anfangen,
Oh laß uns, Jesus, tief den Martermuth empfinden!«
Es bilden jetzt die Engel sieben Dornenkronen,
Aus goldenem Ode sind sie sonderbar geflochten,
Sie scheinen aus Zitrinen oder Kalzedonen
Mit Disteln drin, und oft mit Blutlichtdochten,
Die leise glimmen, tief und wunderbar gestaltet.
Als Meeropalhalbkugeln voller Chrysoprase,
Als Quallenhaupt, aus dem sich eigene Gluth entfaltet,
Versinnbildlicht sich mir die Marterparaphrase!
Die eine meiner lieben Glaubensfrauen
Nimmt Abschied jetzt von ihren trauten Schwestern.
Für sie fängt nun das Geisterreich an zu vergrauen.
Sie hört nicht mehr den Strom von Gottes Sternorchestern.
Schon heißt sie Katharina jetzt, die Keusche.
Sie will die Pilgerfahrt auf Erden fromm antreten.
Sie mischt sich unter Menschenbrunst und Sinnesräusche,
Doch folgt sie unten blos den großen Heilspropheten.
Jetzt höre ich die Schwestern, wieder sieben, singen,
Und sehe auch zugleich, was ich als Lied vernehme:
»Maria, laß Dir unsere Schönheitshuldigung bringen,
Wir preisen Dich in Deinem Schmerzensdiademe.
[366]
Oh Jungfrau, als Du uns den Heiland hast geboren,
Da gab der Himmel seinem Kinde Lichtgespielen,
In Bethlehem hat er die Säuglinge dazu erkoren,
Es waren jene, die Herodes Wuth verfielen.
Der Erde raschentraffte Kinderseelen mußten
Dem Mensch gewordenen Gottessohn zur Seite stehen,
Auch heute merkt man, wie sie die kaum durstbewußten
Bettbengelchen als Tandelengelein umwehen.
Zu Weihnachten umstehen sie im Purpurscheine,
Im tiefsten Innerlicht des einigen Marterblutes,
Oh Gnadenjungfrau, Dich, Du holde und Du reine:
Nun segnet uns Dein Kind, auf Deinem Schooße ruht es!
Es ist so bleich wie Du. Ihr scheint ein Mondgebilde.
Des Kindes Röthe wird vom Engelkreis vertreten.
Aus Dir, oh Mutter mit dem Kind, strahlt Silbermilde!«
Und wirklich, mein Gesicht kann, was geschieht, anbeten.
Ich singe mit: »Oh Jesuskind, Du kannst nur Güte
Aus Deiner Mutter Apfelbrust für uns eintrinken:
Oh Jesuskind, daß Dich der Herr für uns behüte!
Aus Deinen Augen seh ich bessere Welten blinken!
Maria mit der stolzen Siebenperlenkrone,
Im Schleierkleid aus keuschem Menschenherzgebeten,
Du herrschst im Mondlichthermelin am Liebesthrone,
Dein Schimmerwellenpelz verwebt sich mit Kometen!«
Jetzt tritt aus der Gemeinschaft, der ich selbst entspringe,
Und die ich rings um mich in stiller Pracht gewahre,
Ein Heiliger mit einem Amethystenringe,
Ein Bischof, auf mich zu und sagt: »Erfahre:
[367]
Ich bin das Wesen Augustini. Wisse
Von der Mission, die mir und Dir der Geist gegeben.
Ganz Afrika sammt Asien fallt ins Ungewisse:
Oh Bruder, beide müssen wir darob erbeben.
In Alexandria und in Karthago haben
Des Vaterlandes Gnadenflammen ausgeflackert:
Oh weine nur, vermögen Thränen Dich zu laben,
Bald wird der Heimathsstrand vom Antichrist beackert.
Es wird das nordische, gottlose Rom, als Festung
Der ganzen Christenheit, dereinst die Welt bezwingen,
Im Süden wüthet dann die heidnische Verpestung:
Das Kreuz muß dennoch klar zu allen Herzen dringen!«
»Ich bin ein Prinz aus Kapadozien und beweine
Die ganze Erde, die Natur, die Gott verfluchte!«
Entgegne ich: »Und nicht allein Altasiens Haine,
Es dauert mich das Weib, das Fleisch und die verruchte
Handarbeit: selbst das Tischlerbeil von Christi Vater
Wird lange noch, wie ich es weiß, verachtet bleiben:
Der Heiland war so gut, für alle Dinge bat er,
Er konnte Baal Zebub überall austreiben,
Doch seinem Vater folgend, läßt er noch entgeistert
Und heidnischunrein die Natur zurück in Sünde:
Wahrscheinlich, daß der Tod, vom Menschen einst gemeistert,
Vor Gott und ihm ein leibliches Verdienst verkünde!«
»Mein Bruder, Du und andere Helden sind berufen,
Von ihren Ungeheuern die Natur zu saubern:
Die Krumen, die sie trotz des Kreuzes jung erschufen,
Sind schuld daran und drum verflucht von Ruheräubern,
[368]
Von Geisternebeln, Albgestalten arg gepeinigt,
Und selbst besessen noch zu sein!« Entgegnet bitter
Karthagos heiliger Sohn: »auch wird der Mensch gesteinigt,
Der sich zum Licht bekennt, als Kreuz und Heilandsritter.
Du weißt, Du wirst den Wasserdrachen einst erschlagen,
Dem Ungeheuer, das den Menschheitsweg verlegte,
Sofort, kaum daß der Tag erscheint, zu nahen wagen,
Da sich Dein Wesenswerden einzig dazu regte.
Oh Bruder mein, im Geiste, siehe die Gemeinschaft
Des Christenadels, bald wirst Du ihr angehören:
Und da der Mensch sein Werk mit Geistern im Verein schafft,
So wird er schließlich jedes Götzenbild zerstören.
Dereinst vergiebt der Heiland jede Erdensünde!
Dann wird das Fleisch der Todten auferstehen.
Jetzt öffnen sich für Dich bereits die Grabesschlünde:
Das Gnadenwunder wird sogleich mit Dir geschehen!«
»Wahrhaftig, Gott mein Gott, jetzt bin ich Mensch geworden!
Aus tiefster Tiefe ist mein Leib empor gestiegen.
Mich fröstelt, Herr! Ich habe Furcht: man kann mich morden!
Man haßt mich da, oh lasse mich als Mensch entfliegen.
Jetzt bin ich nicht ein Geist, der sich mit Od behaftet,
Um plötzlich als ein Meteorstrahl zu erscheinen:
Ihr Menschen, die Ihr mich beim Sturz begafftet,
Jetzt bin ich ganz wie Ihr, so kommt Euch auszuweinen!«
Ich merke keine Heiligen, um mich, im Kreise.
Ich sehe, völlig Mensch, die Sterne rings am Himmel.
Nur Augustinus zeigt sich sonderbarerweise:
Wahrscheinlich tritt er bald ins menschliche Gewimmel.
[369]
Ich höre ihn: »Oh laß Dir, Mensch, den Schweiß abwaschen.
Du hast voll Tapferkeit fürs heilige Kreuz gestritten,
Du ließest Dich von keinem Feinde überraschen
Und hast für Jesum, schon vor ihm, gelitten.
Die Thränen, die Du weintest, sind zu Gott gestoßen.
Im Geist, mit uns vereint, wirst Du die Erde schützen.
Das sündige Weib und seinen brünstigen Fleischgenossen
Wirst Du, vor Gottes Thron, voll Güte unterstützen.
Die Freiheit aller, auch der Schwachen, sollst Du fördern,
Daß jeder, froh, dem Gottessohne Ehrfurcht zolle.
Ich übergebe Dich, zum Zweck, den Christenmördern
Und taufe Dich katholisch: Georg, Sohn der Scholle!«
[Ich bin ein Christ und schwebe auf dem Ätherpferde]
[370] Ich bin ein Christ und schwebe auf dem Ätherpferde,
Wie einst, empor in hehren Träumesweiten,
Wo es nur Geister giebt und Gottes ewige Heerde.
Ich lasse mich beim Flug von Gluthgefühlen leiten,
Denn Durchempfundenes erreicht sogleich mein Wesen,
Und sehnsuchtslos verwinde ich in mir die Zeiten.
Ich konnte meines Menschengreisenthums genesen:
Das ewige Kind, das Schicksal, das mit Helden tändelt,
Erlaubt mir jetzt, in seinem Siegelbuch zu lesen.
Ich weiß, weshalb es die Erwachsenen gängelbändelt,
Die Morgensorgerthorheit haßt wie eine Räude,
Und freue mich zu sehn, wie alles Trugglück pendelt.
Fürwahr, das Christenthum ist eine Weihnachtsfreude!
Ein ganzer Christ kann nur als Kind zu Grabe gehen,
Und schön ist blos der gläubigen Seele Traumgebäude.
Ich lasse jetzt die Zwillinge in mir entstehen.
Ich liebe diese Heiden, die die Mutter rächten:
Sie werden einst, wie alle Todten, Christum sehen.
Doch heute schon gehören sie zu jenen Mächten,
Die ewig sind und Menschenseelen gottwärts leiten;
Amphion hält die Lyra sanft in seiner Rechten,
Und Zethus scheint das Völkerschicksal zu begleiten.
Sein Spiel setzt heute noch, was rhythmisch ist, zusammen
Und baut uns Festungen, für Gott, den Herrn, zu streiten.
Jetzt sage ich, um klar zu sehn, wem wir entstammen:
Und zieht der Krebs sich noch so weit zurück am Himmel,
Durchschaue ich trotz allem seine Wesensflammen!
[371] Ganz tief am Horizonte blinkt sein Sterngewimmel.
Das sind die Mächte, die das Gute uns erhalten,
Und auch das Gegenstück zu meinem Lichtsturmschimmel.
Das Lyraspiel der Zwillinge durchpulst ihr Walten,
Und der Medusenblick ist ihre Flammenfratze,
Was soll ich Abgrundsmacht daraus entfalten?
Schon packt den Pegasus der Welten Löwentatze,
Der ewig junge Muth, die Vollblutlust zu leben:
Und bis zum Norden wallt die Tropengluth der Katze.
Mein Gott, ein Christ kann über Sterne Dich erheben,
Die Weltenflammen da sind alles kleine Geister:
Ein freier Mensch braucht nicht an ihrer Wucht zu kleben.
Durch Sterne wird man wohl ein Erdgespenstermeister,
Du kannst durch ihre Hilfe, Berge ganz entweiden,
Doch alles das bleibt widerlicher Ehrgeizkleister.
Ein voller Mann wird nimmer unter Fleischgier leiden,
Für ihn kann deshalb kaum ein Zwischenfall geschehen;
Denn einzig über Weltmacht wird ein Stern entscheiden!
Ich aber sehe Engel ohne Bahnen wehen,
Ein Licht erleuchtet sie, das ich noch nicht ergründe,
Auch das Gesetz bleibt fremd, durch das sie urbestehen.
Noch ferner blicke ich in Tiefen, Himmelschlünde:
Da glüht das Riesenbild der Jungfrau mir entgegen.
Steil vorgewälzt liegt Afrika, das Land der Sünde.
Ich sehe Felsbergkegel mir den Weg verlegen.
Der ganze Atlas halt die Jungfrau fest in Banden.
Ich weiß, noch darf die Weibesseele sich nicht regen.
[372] Den Heidenlanden kam das Gnadenlicht abhanden,
Es wird da alles mathematisch abgewogen,
Dort wird die Freiheit nimmer aus den Seelen branden!
Ihr Gott, auch unser Gott, verläßt sie hoch im Bogen,
Sie streben nordwärts, überall zu ihm zu dringen,
Doch endlich bleibt Er uns, den Näheren, gewogen.
Des Mittelmeeres Lindwurm muß mein Speer bezwingen!
Der Geist, der dieser See entweht, wird ewig bleiben,
Da wir durch ihn die Taufe und das Heil empfingen.
Das Übel aber, das sie birgt, will ich vertreiben:
Das Weib im Norden sei der Schamwabe teilhaftig,
Die mag sich Seelen, keinen Schleiern einverleiben.
Des Heidenweibes Fleisch ist reizend, reif und saftig.
Ein Nebelschleier brünstiger Gluth und innerer Reinheit
Bedeckt Dich, armes Haremsweib: doch ich entraff Dich
Den Klauen Deines Wurmes: die Geschlechtereinheit
Beginnt dazu, für sich, das größte Volk zu küren,
Die Abschließung des Weibes wird jetzt zur Gemeinheit.
Ich sehe Wege, die zurück zum Weibe führen:
Die Seele aber ist im Weib emporgestiegen:
Und diese Widersprüche wird die Menschheit spüren.
Das Recht zu lieben wird sich an die Achtung schmiegen,
Das Weib soll ehrenvoll den eigenen Mann erwählen,
Wie wird es gehn, so Grundverschiedenes abzuwiegen?
Angelika, Du Engelskind, von Gluthjuwelen,
Von brünstigen Küssen überdeckt, bedrückt, vernichtet,
Der Nonnehülle soll Dein Schleier sich vermählen:
[373] Angelika, ich habe nicht auf Dich verzichtet!
Ich komme, Weib, mein Weib, ich werde Dich befreien,
Die Schleier hebe ich, die rings das Meer verdichtet.
Ein Meer, ein salziges Meer, sammt allen Wüsteneien,
Wird meine Seele, holdes Kind, leicht überwinden,
Statt Schleiern wird die Wabe Wesen weihen.
Im Norden wird der Mann die Gottheit wiederfinden,
Des Weibes Seele eng an seinen Kraftstamm schmiegen,
Denn was die Nacht getrennt, will sich das Licht verbinden.
Es werden die Geschlechter sich nicht mehr bekriegen,
Die Scham, die tiefernährte aber wird verbleiben,
Die Wabe mag die Wangen weiter überfliegen.
Der Mensch soll sich die Weibesseele einverleiben,
Hat doch der Mann sie weich ins Weib gebettet
Und sich gefreut, zu fühlen wie die Keime treiben.
Vor Mannes Rauheit ward dadurch der Mann gerettet.
Sein Kleinod kann er jetzt vom Weib zurückempfangen:
Der Heide aber hat den Seelenschatz verwettet.
Der Menschengeist muß um das Meer herumgelangen:
Die Wabe voll im Norden aus dem Boden schlagen,
Und ich befreie dann das Weib aus seinen Spangen.
Dort wo die Wogen Sepharat und Afrika benagen,
Wo Herkules dereinst des Atlas Last getragen,
Und wo noch heute seine Säulen aufrecht ragen,
Sieh, dort will ich den Kampf mit einem Drachen wagen.
Des Südens Feuerreste werden überspringen:
Das Weib kann frei sein, und auf Erden wird es tagen.
[374] Das Menschenwerk soll dort und überall gelingen,
Die Wabe wabbert dann gar machtvoll aus dem Boden,
Den Mittag wird der Norden abermals bezwingen.
Dort wo die Wabewellen sich zusammen roden,
Beginnt man langsam schon, Angelika zu kennen,
Denn ihm Lang d'oc besingen sie die Hofrhapsoden.
Wird nicht das erste Tageslicht jetzt bald erbrennen?
Die kleinsten Sterne scheinen langsam zu ermatten.
Der Stil vergraut. Das Licht muß Einzelheiten nennen.
Wahrhaftig, ich durchschaue blasse Zwielichtschatten,
Durch die rings Prachtgestirne herrlich weiterblinken,
Und Spitzen ragen abermals aus glatten Platten.
Ich muß somit schon wiederum herniedersinken!
Das Meer ist still. Es spiegelt mir das Bild der Schlange.
Nun Muth, mein Herz, Gefahren und bewußte Thaten winken!
Der Weg bis an das Ende scheint noch immer lange!
Wie sich die See verringelt und zum Kopf vermindert:
Sag Ungethüm, wird Dir vor meinem Geiste bange?
Angelika, vermag ich Deine Pein zu lindern,
Oh, kannst Du mich im Taubenflügel fern gewahren?
Der Sieg ist meint kein Lindwurm wird den Wurfverhindern.
Der weiße Tag, der naht, kann Dich vor Leid bewahren,
Dem Geist des Heiles ist sein Wesenswerk gelungen,
Ich habe tausend Jahre tief in ihm erfahren.
Ein Wind ist auf dem Meere hurtig aufgesprungen.
Ein Flimmerpanzer überschimmert die Gestirne:
Wahrscheinlich ist ein Hauch des Geistes hingedrungen.
[375] Vom Atlas her bedroht mich manche Zornesstirne.
Ihr Kleinod will mir die Sahara vorenthalten.
Was für ein Purpur rieselt über Zinkenfirne?
Ist das die erste Morgengluth auf den Basalten!
Ist das die Wabe, die erwacht, um auf die Spitzen
Hesperias rasch zu springen: sind das Urgewalten?
Ich weiß es nicht, doch sehe ich rings Lichter blitzen
Und dann aufeinmal in der Finsterniß verschwinden,
Ich weiß: jetzt muß ich gleich das Drachenblut verspritzen.
Sieh dort die Silberschuppensee, verkrümmt, sich winden,
Zwei Sterne, die sich drinnen spiegeln, fast wie Blicke,
Mich anblinzeln und dann geblendet, schnell verschwinden.
Da steht Angelika. Ganz gelb! Eng fesseln sie die Stricke,
Mit denen sie der Wurm an blaue Nacht gebunden.
Jetzt sieh, mein Kind: oh, daß mein Anblick Dich erquicke!
Es könnte unsere Nacktheit Deine Scham verwunden,
So bleibe denn im Schatten Deiner Dattelpalme,
Versteck Dich unter dunkelblonden Fruchtrotunden.
Es seufzt das Meer. Die Welle fletscht. Die Drachenqualme
Umwallen mich. Im Walde ächzen alle Wesen.
Ein Hauch entzuckt jetzt jedem Blatte, jedem Halme.
Das ist der Kampf, zu dem der Herr mich auserlesen!
Dem Geiste stemmen Wind und Mitleid sich entgegen:
Doch nein, der Unschuld muß die Nachtnatur genesen!
Ich selbst erkämpfe sie mit meinem Urlichtdegen.
Ich zücke ihn: der Weltstaub zeigt die Flimmerschneide.
Jetzt spritzt die Drachenmilch hervor: ein Silberregen
[376] Entquillt und säuselt aus dem Lindwurmeingeweide
Und gleicht dem Naß am Stamm der abgebrochnene Feige,
Nun sieh, wie ich das Thier des Schuppengurts entkleide:
Wie Mondblech schwimmt er fort. Ich selber aber steige,
Dem Lichtspeer nach, herab und steche jetzt noch tiefer:
Das Blut huscht auf, und mit dem Drachen gehts zur Neige.
Der Lurch ist todt! Doch rinnt ihm Blut noch aus dem Kiefer.
Der Muth, das Fremde anzugehn, hat Werth! Das Siegen
An sich war leicht. Mir scheints, den halben Kampf verschlief er.
Die Scharlachlaken fangen an, rasch zu versiegen.
Die Dattelpalme hat ein Hauch der Frucht entlastet,
Und wieder kann sie, hoch im Wind, die Krone wiegen.
Angelika, mein Blick hat lang aus Scham getastet.
Wie kann ich, nackt, vor Dich, entblößte Jungfrau, treten?
Doch nein, der Wald ist rings mit Glastqualmen bequastet.
Gerüstet bin ich doch, denn Frühwinde umwehten
Mich sanft: mein Leib ist ganz mit Spiegelthau bekleidet.
Und Du, oh Weib, des Wurmes Milchperlen besäten
Die Schleier Deines Leibes, die mein Schwert entweidet,
Denn Drachenschaum begann sich Dir schlank anzupassen.
Ich sehe Dich, Du Unschuld, die ihr Lämmlein weidet,
Ich grüße Dich und werde Dich sogleich verlassen!
[377]
Roland
[Der letzte Himmelsstern beginnt sich zu ereifern]
Der letzte Himmelsstern beginnt sich zu ereifern,
Die Nacht wird sich nicht lange mehr zu weichen sträuben!
So spricht der Nachhut Hauptmann jetzt zu seinen Pfeifern:
»Drum fangt zu spielen an, den Nacktspuk zu betäuben!«
»Oh Herr!« sagt einer von den Heerzugsmusikanten:
»Ich will ein Siegerlied, die Christenhymne, spielen,
So wie es heißt, daß Heiden sich zum Heiland wandten,
Und die Moscheeen rings in unsere Hände sielen!
Der Tag, der anbricht, sieht das Maurenheer geschlagen,
Bald sinkt die bleiche Mondscheinfestung der Khalifen,
Doch gegen Mittag läßt die Nacht Gespenster ragen,
Und Träume scheu ich nicht, die ihrem Leib entschliefen!
Die Flammenhähne, die auf Allahs Häusern rauften
Und sich die Zunderfetzen aus den Krallen zerrten,
Die einen Weltentag verkündend, bleich verschnauften,
Verschafften mir den Einblick zu den Spukkonzerten.
Das Schandpack Satans sah ich prachtvoll überglastet,
Rasch über Zacken, wie im Wald die Affen, tanzen.
Von Grat zu Grat hat manches nackte Paar gehastet,
Mit Firlefanzern schlossen Weiber Fleischallianzen!«
»Das was ich sah war furchtbar,« sagt ein anderer Spieler:
»Die Dulzaina wurde viel und wild geschlagen,
Wie Waldgebraus entrauschte ihr Gesaus, doch vieler
Verhexter Menschen Stimmen schienen durchzuklagen.«
Die Eulenschreie einstiger Heidenweiser schrillten
Durch dumpfes Schweinegrunzen christlicher Vampyre,
Die Rom verstieß, und ekle Hexerwittwen drillten
Sich drinnen ein, und Kuppler bildeten Spaliere.
[381] Um Beelzebub selber wimmelten die Wichte,
Und manches Weib von Stand war da mit ihrem Schraten.
Bestimmt verlor der Leib von seinem Fleischgewichte,
Denn Diebsgesindel wirbelte zum Galgenpaten.
Agaras kam mit Chax im Priesterkleid und taufte
Die liederliche Unzuchtbrut aus seinem After,
Und als sein Segen aus den Eingeweiden schnaufte,
Da sank die Täuflingsschaar sogleich um sechzig Klafter.
Marchozias, Sabnak, Furfur, Ipes, Malphas brachten
Glasialabolas Weiber vor den weisen Kaiser,
Der sprach: »Ihr werdet nimmer lang nach Freiheit schmachten!
Mein Szepter ist der Schicksalsuhr Sekundenweiser.«
Da jauchzte Aamon und aus der Taufspukjauche
Schrie Gomory: »Was fletscht jetzt Zabans Hasenlippe?«
»Die Pest! Den Vatermord!« so unkte es: »Ich tauche
Als Kröte auf!« Und Weiber schrien: »Filippe!«
Da gab ihnen gleich Gaab eine schmutzige Kröte,
Und alle geiferten, indem sie sie zerrissen:
»So wie ich Dich, verrenktes Sumpfthier, tödte,
So thäte ich das lieber Dir, – Du Urgewissen!« –
»Hei!« ruft jetzt ein Soldat: »Die Wachtfeuer verstummen,
Die Flammenzungen fuchteln unvernehmbar weiter,
Die Geister aber wollen sich noch nicht vermummen
Und treiben dreister selbst ihr Spiel, als Besenreiter!«
Wahrhaftig über Felsenspitzen stiegen Zwitter:
So Schatten, Halbgestalten, wie aus Grau und Galle.
Ja, ja, das ist ein anderes Schlachtenungewitter:
Was jener Spuk ist, scheint mir eine Wahnsinnskralle.
[382] Verfolgt mich jetzt der große Teufelsungedanke,
Nachdem die Sorge um den Morgen mich verlassen?
Ich glaubte doch, die ungeheure Weltnachtschranke
Wird nimmermehr, in sich zerrüttet, bang erblassen!
Das Schloß, das Harem unten ließ mir keine Ruhe.
Alektryomantie zwar gab mir gute Zeichen,
Doch ich besann mich fort, wie ich es eben thue:
Nun endlich aber weiß ich, daß die Heiden weichen.
Ich habe heute Nacht auch tapfer dreingeschlagen.
Die Burg muß fallen, doch die Weiber sollen leben,
Das war mein Wunsch: und »Roland« durfte nicht verzagen,
Die Flammen sollten sich vom Mannertrakt erheben!
»Horch Roland, horch doch, höre wenn Trompeten rufen!«
Was ist denn das! Hei, nochmals wagen es die Heiden
Hervorzubrechen! Stampft sie mit den Pferdehufen!
Ich reite vor, daß alle Streiter mich beneiden.
Versinke, ekler Mohr, Dich andern schlag ich blutig!
Das blitzt nur so! Sind das da Augen oder Splitter?
Ihr Funken stiebt! So merk es, Feind: der Christ ist muchig!
Eunuchen, sterbt, es übertrumpft Euch heut ein Ritter
Erbarmungslos und toll! Wie, ist mein Schwert magnetisch?
Der Feind verdirbt, wird auch sein Heerzug langer.
Ich kneble Euch, ich stürze Euren Lasterfetisch,
Da habt Ihr es, Ihr dreisten Frankenlandbedränger!
Haut ein, auch Ihr, ich bin Euch vor um zwanzig Männer!
Ein wuchtiger Schlag! Ich bin allein: das ist nicht schade,
Denn rings ist nichts, als gottverlassene Fluchbekenner:
Mir hilft der Herr, mein Pferd selbst überkommt die Gnade!
[383] Die Flammen rascheln jetzt aus allen Mauerscharten,
Wie Blut entsichert Gluth den offenen Schmelzgeschwüren,
Auch flattern Feuerfledermäuse aller Arten,
Aus Sprühglastnestern, wo sie ihre Gluthbrut schüren.
Versinke, Burg, Du Herd der Scklechtigkeit auf Erden,
Du Festungsthurm, wo man die Weiblichkeit begraben,
Bordell, in dem die Laster sich als Herr geberden,
Du Haremswand, brich ein, ich will die Rache haben.
Du schwarzer Hund, steht noch Dein Dach, so tracht Dein Schädel!
Du Dreckbrut Du, auch Du verreckst durch Säbelhiebe!
Das trifft des Feldherrn Herz, sprecht, ist der Christ nicht edell
So merkt es denn, wie sehr ich Euer Springblut liebe.
Rings um mich her verspritzt Ihr es, Ihr hundert Hunde,
Bald werdet Ihr im Höllenloch die Houris küren!
Gar rührig fließt das Blut aus meiner Vollbrustwunde:
Das schwächt mich nicht, erst sprenge ich die Festungsthüren.
Selbst drinnen noch vertilg ich Euch, Saharakatzen,
Ich fürchte nichts, es hilft mir, schützt mich Christi Segen!
Was Roland, Roland! weg mit diesen Heidenfratzen,
Zur Kaba darf mir niemand mehr den Weg verlegen.
»Horch Roland, horch, Du selber hast Pardon versprochen,
Wirk nicht allein, Du Held, die Festung ist gefallen!«
Ich horche aus, doch höre ich das Herz nur pochen,
Dann fangen die Fanfaren an, laut zu erschallen.
Gesiegt hat Christus, unser Herr! wir danken, beten
Zu ihm, der diese Burg in unsere Hand gegeben.
Jetzt tretet ein, ihr Christenheere, mit Trompeten
Verkündet Sieg, laßt Schallkometen sich erheben.
[384] Ein schöner Tag! besetzt die Festung, die Gefangenen
Schafft fort! ich selber geh zurück ins Lager.
Das Harem laßt! Den schleier und den schamverhangenen
Beherrscherinnen einen Gruß vom Alleswager!
Ich reite fort: mein Kaiser ist bestimmt zufrieden.
Man jubelt rings. »Heil Roland!« hör ich rufen:
»Ein Heilandsstreiter, wie Du bist, lebt nicht hienieden!«
Das weiß ich wohl, ich steige noch auf Ruhmesstufen.
Doch jedem Sieger folgt ein Zwerggespenst beständig,
Die Sonne ging rasch auf: der Kleine will mich packen!
»Heil Roland, Heil!« Mein Schatten wird lebendig.
»Hoch holder Held!« Soldaten hockt er schon im Nacken!
Vor diesem Zelte wird der Kaiser mich empfangen.
Da steht er hehr: sein Spuk verrenkt sich kleinlich, spöttisch.
Ich fühle nun in mir ein stilles Seelenbangen.
Sein Schatten platzt, lieb ich den Kaiser auch abgöttisch.
Der Kaiser spricht: »Ich fühle, wie mein Herz sich weitet,
Du mußt in ihm, am Schlachtfeld, Deine Ruhstatt nehmen!«
Im Perlenteppich, den die Sonne ausgebreitet,
Verkrampfen glatte Schatten sich wie Silberschemen!
»Du hast Dich,« sagt mir Karl: »Wie Gabriel geschlagen!«
Es gleicht Dein Wesen einem vollen Sommermorgen,
In Dir ist keine Furcht, kein Tadel, kein Verzagen,
Du bist so warm und klar und ohne Wolkensorgen.
»Oh Magnus,« meine ich: »Die Mannen alle stritten
Mit Herz und Kopf, ganz Männlichkeit und Frische,
Sie sind bereit, auf allen ihren Lebensschritten,
Sich zu behaupten, fest zu stehn, als kriegerische
[385] Gesellen, überzeugt von ihrem Sein und Schaffen.
Doch ich, mein Oheim, bin blos eine Adlerfeder.
Ich kann und will mich nicht dem Schicksalshauch entraffen
Und werde nie des großen Geistes Widerreder.
Sankt Georg selber wirkt und webt in meinem Wesen:
Ich kann im Schlachtgetümmel ihn zu Pferd erkennen,
Er hat zu seinem Arm und Degen mich erlesen
Und Durendal hörte ich ihn mein Schwert benennen!«
»Du frommer Held,« sagt Ganelon: »Die Sarazenen,
Der Drache, den der Heilige durch Dich besiegte,
Beginnen sich nach Christi Leib und Blut zu sehnen,
Marsilius selber, der uns stets bekriegte,
Schickt AbdErRahman aus, den Sternpropheten,
Der ihm gerathen, sich mit Jesum zu versöhnen.
Er läßt sich taufen mit des Reiches ersten Rathen,
Und schwört, er komme bald mit seinen sieben Söhnen!
So wendet Euch an Karolus, er möge gnädig,
Wie Ihr es immer ward, den Feind verschonen.
Die holde Tochter des Khalifen ist noch ledig,
Die soll mit Roland bald in Saragossa thronen!«
»Oh Ganelon, sprich gradewegs zu Deinem Kaiser!«
Ruft Karolus und blickt voll Zorn auf den Vasallen.
Er streichelt seinen Bart und sagt dann etwas leiser:
»Allein in meine Macht ist Frankreichs Feind gefallen.
Ihr alle seid nur meiner Herrlichkeit Trabanten!
Selbst Roland muß, dem Monde gleich, sein Licht erborgen.
Von Rom, wohin sich eben diese Mohren wandten,
Empfangt sein Traum, wie alle Dunkelheit, den Morgen.
[386] Ich selber aber bin der Tag, die Macht, das Leben.
Mein Silberhaar ist Winterschnee der Pyrenäen.
Der Bart die alten Gletscher, die zu Feuerreben
Die Frische ihrer ewigen Jugend munter wehen.
Mein Haar, mein Bart, sind auch das Frühlingsurerblühen,
Die weiße Fülle, die ein fruchtbar Jahr verkündet,
Mein Wollen Flüsse, wo sich Flotten vorwärts mühen,
Und mein Gemüth das Meer, in das die Weltfluth mündet!«
Fanfaren melden jetzt die Ankunft der Gesandten,
Sie stehen mit gefangenen Heiden noch beisammen
Und alle Rassen, die sich taub zu Allah wandten,
Sind da, ob sie aus Asien oder Tanger stammen.
In Purpur nahen blasse Perser. Ihre Bärte
Sind schwarz und schwer und scheinen sie herab zu zerren.
Mit ihnen gehen gelbgekleidete Gelehrte,
Und gleich daneben splitternackte Berberherren.
Den Turban tragen auch die schlankgewachsenen Mohren.
Es strahlt ihr Augenpaar. Es glänzen ihre Zähne.
Jetzt kommen auch Mongolen aus den Festungsthoren,
Und selbst ein Blonder folgt mit einer Löwenmähne.
Gefesselt sind die meisten: wenigen kleben Flecke
Von Schmutz und Blut am Feldzugskleid, in dem man streitet.
Ob hoch, ob nieder, jeder Dickwamms, jeder Recke
Hat seinen Negerzwerg, der ihn umsonst begleitet!
Ich selber habe meinen Mantel umgeschlagen
Und mag somit jetzt dem Dreiviertelmonde gleichen.
Was kann ich thun, daß mich die Schatten nimmer plagen?
Den Mittag in der eigenen Tiefe ganz erreichen!
[387] »Gesandte des Marsilius, Eure Unterwerfung
Braucht Ihr mir nicht zu melden, kommt und steht um Schonung:
Mein Urtheil über Euch erfahrt keine Verschärfung,
Rebellen, in der Kasba nehm ich meine Wohnung!«
Das sagt der Kaiser. Und die heidnischen Gestalten
Sind wie vom Schlag gerührt und stürzen wimmernd nieder.
Doch endlich kann sich einer wieder aufrechthalten
Und spricht im Vollbesitze seiner armen Glieder:
»Oh großer Herr, das Schwert allein darf nicht befehlen.
Drei Monde nur laß uns durch Geistliche belehren,
Dann werden wir das Heil aus eigenem Drange wählen,
Das Kreuz und Dich allein in unsern Ländern ehren.
Laß Roland hier, magst Du nicht selbst in Spanien weilen,
Er kann bei uns die schönste Königstocher freien.
Getauft, kann jene dann des Landes Plagen heilen,
Wird Deine Wunderhand die weibliche einweihen!«
»Ihr Paladine, Ihr Gesandten, meine Kinder!«
Sagt Karol ernst: »Sprecht Eure Wünsche aus, ich höre!
Auch Eure Rathschläge bringt vor, ich bin kein Blinder,
Der ohne Freisicht zulaßt, daß man ihn bethöre.
Doch merkt Euch dies: was meine Lippen ausgesprochen,
Bleibt wahr und recht und einwandfrei, für Euch geheiligt!
Was rathet Ihr, soll ich ganz Spanien unterjochen?
So sprecht, Ihr seid mit Leib und Seele dran betheiligt!«
»Oh, Großer Herr, gestatte daß wir uns bewähren,«
Ruft Ganelon: »Wir fürchten nichts im eigenen Lande,
Laß uns den Bischof hier, die Heiden zu bekehren,
Verzagtheit ist des Franken allerärgste Schande.«
[388] »Nun,« flüstert Nemo, Baierns Fürst in meiner Nähe,
Daß ich es kaum vernehme, zu des Kaisers Ohren:
»Dem Roland kannst Du vollauf trauen, ich gestehe,
Dem Ganelon nicht ganz, er hat an Wucht verloren!«
Ich trete weg und höre dennoch Nemos Worte:
»Laß Roland hier zurück und kehr dem Land den Rücken,
In Deutschland gährt es abermals an manchem Orte,
Dort müßte uns vor allen noch ein Feldzug glücken,
Bevor wir vollen Frieden unserm Reich bescheeren.
Unheimlich bleibt der Rhein, Gebirge, feste Grenzen:
Die Pyrenäen stehn und werden Schutz gewähren,
Doch in Gefahr sind die Ardennenresidenzen!«
»Oh Magnus« sage ich: »So lasse mich alleine,
Gieb Deinen Segen mir, und Gott wird mich beschützen:
Ich bleibe gern in Spaniens holdem Sonnenscheine,
Blos Olivier, der Gute, soll mich unterstützen.
Dann streite ich mit Durandal, dem edlen Schwerte,
Und mit Hauteclaire steh Olivier mir stets zur Seite.
Und Marchegai sein starkes Pferd, sein Schlachtgefährte,
Befreunde sich mit Veillentif, das ich bereite.
Dann ziehen wir in den Herbst hinein! Der Reisig,
Der rings die Erde deckt, zerknickt am Wege.
Es schwitzt das Pferd, der Wind aber wird eisig,
Und immer ists, als ob ein Reh sich wo bewege.
Die gläubigen Tannen bleiben grün und überleben,
In Ihrer Unschuldwucht, den Fall des alten Laubes,
Ihr Wesen ist erstaunlich frommes Sicherheben.
Sie fühlen: Herr, Du sagst: auch Du bist gut, ich glaub es!«
[389] »Wie frei,« ruft Olivier: »Erscheint mir solch ein Leben!
Mein Kaiser, lasse uns zurück in diesen Thalern,
Der Heide wagt es nicht, sich nochmals zu erbeben,
Durch Christum heilen wir ihn bald von seinen Fehlern!«
»Mein Olivier!« so spreche ich mit Herzensfreude:
»Wir müssen dann nach Flüssen und nach Gründen spüren,
(Aus edelsten Gesteinen thürme ich Gebäude)
Um Aude, Deine Schwester, würdig heimzuführen.«
»Turbin,« sagtKarol nun: »Verschweigst Du Deine Meinung!
Du Kirchenfürst, wie glaubst Du, würde Rom jetzt rathen?
Du weißt, ich bin kein Freund von Furcht und Wunschverneinung,
Doch zaudre ich, mir ahnt von grausen Waffenthaten!«
»Mein Herr!« sagt da der Bischof frei zu seinem Kaiser:
»Vernunft und Vorgefühle muß ein Christ verneinen,
Den Krieg zu Ende führen, halte ich für weise,
Doch unnütz würden etwa tausend Mütter weinen.
Vertrauen wir dem Kreuz. Du magst die Heimath grüßen.
Ich bleibe hier und will in Frieden Heiden taufen:
Viel besser jetzt, als in der Hölle einst zu büßen,
Drum laß uns Mannen, um mit Abtrünnigen zu raufen!«
»Gestrenger Kaiser!« sagt der vornehmste Gesandte:
»Du kannst Dein Heer, wenn Du es willst, im Lande lassen,
Die Franken seien hier daheim, nicht als Verbannte,
Wir werden nimmermehr die Christenstamme hassen!
Dem Ganelon, der uns versteht, sind wir verpflichtet,
Er wird uns immer mehr mit seinem Volk verbinden.
Der Roland hat schon manchen Maurentrumpf vernichtet
Und mag die Herrschaft nun auf Männerachtung gründen«
[390] »Fürwahr, ein großer Freudentag ist angegangen,«
Ruft Olivier: »Oh großer Herr, wir stehen alle,
So laß die Hand bald die erbangte Frucht erlangen,
Doch was Du sagst, ist gut, thu, daß es uns gefalle!«
»Dem Vater wird der Abschied schwerer als den Kindern!
So bleibt denn hier!« Sagt Karol sanft: »Ich werde scheiden.
Blos Nemo soll den Schmerz der langen Trennung lindern,
Auch Ganelon kommt mit, ich mag ihn hier nicht leiden.
Nur eines haben Herz und Geist sich vorbehalten:
Ich ziehe heim, doch folgt Ihr gleich, wenn ichs bestimme!
Mein Machtentschluß ist heut zum ersten Mal gespalten:
Ich wähne Sieg und Glanz, doch seh ich auch das Schlimme!«
Oh Gott, jetzt heißt es vom geliebten Kaiser scheiden!
Ich werde ihn voll Glaubenskraft und Muth vertreten,
Oh Gott, ich kann verschiedene Stimmung unterscheiden,
So hilf mir Herr, ich flehe stets in meinen Werkgebeten.
Oh Herr, der Drache hat sechshundert giftige Zangen,
Und viele tausend, abertausend falsche Augen!
Mein Seelenblick hat meinen Feind erkannt, durchdrungen:
Er steht so grad und kann zu keiner Tugend taugen.
Mein Herr, Du wirst Dein Werk am besten schützen!
Ich fürchte wirklich nichts, auch kann ich nimmer helfen.
Der Kaiser sprach sein Wort, kein Einspruch dürfte nützen,
Nun bangt vor mir, Ihr Drachen, Teufel, Elfen!
Jetzt reicht mir Nemo scheidend seine Hand. Ich fühle
Von ganzem Herzen: »Lebe Wohl!« das ich ihm sage.
Dem Kaiser thränt das Auge, düstre Abschiedsschwüle
Bedrückt uns alle, doch ich fürchte keine Klage.
[391] Mein Olivier, auch Du bleibst stark, Du bückst Dich nieder
Und läßt vom Kaiser Dich umarmen und erheben.
Oh Ganelon, Dein Kuß ist mir, – warum! – zuwider:
Das ist in mir kein freundschaftinniges Erbeben.
Dein Reichthum ist mir fremd. Die grünen Edelsteine
Durchfrösteln mich. Opale lachen geil wie Greise.
Wie Kröten gelb und fahl sind diese falschen Scheine:
Doch das ist nichts! ich wünsch Dir eine gute Reise!
Mein Kaiser, nun empfang ich Deinen Weihesegen!
Oh weine keine Kleinodien zurück ins Innere.
Die Lippen, die sich sanft auf meine Stirne legen,
Sind schwer, weil ich mich an die Taufe jetzt erinnere.
Fürwahr, wir haben uns nun durch und durch vernommen.
So gehe, Herr. Dein Zwerggespenst wird Dich begleiten.
Das meine bleibt bei mir, es muß mir eben frommen,
Doch unsere Sehnsucht wird sich ineinander weiten!
[Es leben die Quellen, sie rascheln und rauschen]
[392]
»Es leben die Quellen, sie rascheln und rauschen,
So trinkt doch, erschöpft uns, um Menschen zu taufen,
Ihr seht uns, das Wasser, die Namen vertauschen,
Wir warten als Schnee, um als Bach fortzulaufen.
Wir gleichen als Flüsse der christlichen Lehre,
Die bald alles Schlechte der Welt überwindet,
Wir rasten erst ferne, im ewigen Meere,
In dem Gottes Himmel sein Spiegelbild findet!«
So singen die Christen und ziehen mit Zweigen
Erblühender Gluthen des Südens herüber.
Ich sehe sie rings über Felsthürme steigen
Und wünsche, ach, würde ihr Lied nimmer trüber!
Jetzt bringt Olivier aus dem Wald einen Falken
Und sagt mir: »Mein Freund, den da hab ich gefangen!«
Ich blick auf den garstigen Nachtschattenschalten,
Der knapp sich dem Mann hintenan angehangen.
Ich sage: »Mein Freund, unser Ruhm kann sich mehren,
Gar bald schickt uns Karol nach Spanien Gesandte
Und fordert, wir sollen, wie er, rasch umkehren,
Da Frankreich sich hier in ein Wirrsal verrannte!«
»Nun gut, wie es sei!« ruft nun jener recht munter:
»So wollen wir vorläufig streiten und reiten.
Und steigen wir dann in die Heimath hinunter,
So soll uns der herrlichste Weltruf begleiten!«
»Drum lassen wir,« sag ich: »Für heute das Jagen,
Es bangt mir nach wahrhaftig christlichen Thaten,
Ich kann nicht den Sabbath des Landes vertragen,
Auch wars, als ob tanzende Schatten uns nahten.
[393]
Turbin, der den Kaiser drei Meilen begleitet,
Wird bald wieder da sein und langsam beginnen
Das Maurenvolk, das jetzt dem Kreuze zuschreitet,
Mit Beispiel und Lehre dem Heil zu gewinnen!«
»Ich sandte schon Boten, die sollten Propheten
Und Priester der Stadt Saragossa mitbringen!«
Berichtet mein Freund: »Ich will wetten, die beten
Zu Sternen und Steinen und herzlosen Dingen!«
»Wir streiten für Christum, es glühn unsere Seelen.
Oh zückten sie, sprühten sie stammende Zungen!
Wir wollen die Braut unserm Heiland vermählen.
Die Braut ist die Kirche!« wird wieder gesungen.
»Nun hör, Olivier, eine seltsame Jugend
Entkleidet sich plötzlich der täglichen Träume:
Denn sieh, ich entsinne mich urkeuscher Tugend,
Ich weiß eine Mutter und Träume und Bäume!«
Erzähl ich. »Wo war das?« frägt rasch mein Genosse.
»Daheim, irgendwo in entschlummernden Zeiten:
Entnebelter Menscken, verschwommener Rosse
Entsinne ich mich, auf belichteten Weiten!«
»Es wispeln die Wipfel, es sprechen die Sprudel,
Es lispelt der Wind, wo die Lichtlerchen nisten,
Es siebst eine Ricke und sucht ihren Rudel,
Es knistern die Zweige, – es schweigen die Christen!
Aufs Blatt geht der Dammhirsch, das Rind auf die Weide,
Der Tod folgt der Sünde, der Schlechte den Sternen,
Dem Monde der Tolle, – es trotzt blos der Heide!«
So höre ich Stimmen sich singend entfernen.
[394]
»Ich selber weiß ferne und liebliche Lieder,«
Erzähle ich weiter: »die Mäher der Mutter
Berichteten ängstlich und doch immer wieder
Vom Kobold Merlin, einem Spender von Futter.«
Einst blühten die Wälder und glühten die Felder,
Ich hörte im Dickicht die Rehkitzen schmälen,
Es zirpten und quiekten die Regenanmelder,
Da wollte ich mich von den Wohnstätten stehlen.
Auf einmal erschallten im Walde Weltlaute!
Es stöhnte wie Holz und es dröhnte wie Eisen.
Unglaublich wars was da mein Auge erschaute:
Fünf Harnischreiter sah ich mich umkreisen.
Es kann nur der Satan, so schien mirs, so lärmen.
Von Teufelgepolter erzählten mir Schnitter,
Doch brauchte ich deshalb mich wenig zu härmen,
Ich wünschte, ich schlüge ihr Rüstwerk in Splitter.
Doch als mir die Reiter ganz nahe gekommen,
Da dachte ich: Ehrfurcht! Denn Engel sind jene.
Nur Gottesgesandten kann solche Pracht frommen!
Rasch kniete ich hin vor dem Tagphänomene.
Zur Huldigung konnte doch Gott selber nahen!
Da sprach gleich der schönste der glänzenden Reiter,
Zu denen, die ferner mich kaum noch recht sahen:
Das Kind ist erschrocken, drum reitet nicht weiter!
»Erschrick nicht mein Kind!« ward ich sanft angeredet,
Ich sagte darauf: »Nein, Gott bist Du, der Gute.«
»Ich bin nur ein Ritter, der Böse beredet,«
Sprach jener: »Drum sei Dir auch munter zu Muthe!«
[395]
»Ein Ritter!« Ich frug und ich dachte: »Ein Ritter!
Was ist das! Wie schön muß das sein! Herr o wär ich
Wie Ihr so ein Ritter, dann trüg ich ein Gitter:
So nehmt mich zu Euch, denn ich bin sehr gelehrig.«
Doch ward ich befragt: »Sahst Du eben fünf Reiter,
Mit drei jungen Damen?« Jetzt weiß ich die Frage,
Doch damals bedünkte mich andres gescheiter,
Ich griff und ich frug nach dem panzerbeschlage.
Die Lanze, das Schild, alles schien mir gewichtig.
Und wieder befragt, wollt ich selber nur wissen.
Das fremde Begehren, wie schien es mir nichtig,
Ich wurde fast wild, ich war ganz hingerissen.
Vom König erfuhr ich zum Schluß, der zum Ritter
Kann schlagen. Ich lief zu der Mutter, die weinte,
Als ich mich beklagte, daß sie einen Schnitter
In mir, nicht den herrlichsten Ritter vermeinte.
Sie hatte den Gatten, die Brüder verloren
Und hielt mich drum ferne von Krieg und Turnieren,
Doch da mich der Zufall zum Ritter erkoren,
So zog ich von ihr und den lieben Waldthieren.
Ich sah meine Mutter dann nimmer im Leben.
Wie sollte ich weiter mich ihrer entsinnen!
»Du sprachst mir noch nie von den Schleiergeweben,«
Sagt kurz Olivier: »Jetzt denke ans Minnen!«
[Fanfaren melden uns die Ankunft der Gesandten]
[396]
Fanfaren melden uns die Ankunft der Gesandten.
Gefangene, Geiseln, stark bewaffnete Trabanten
Von Monarchen kommen stolz aus Elephanten,
Als Vortrab weiser Staatsrepräsentanten.
Damastgewänder, Schleier, Sklavinnen und Affen,
Gestickte Seidenkissen, Wollstoffe, Eunuchen,
Geschirre, Schmuck, Kyneden, Lampen, Prachtkaraffen
Sind aufgehäuft, das Schönste sich herauszusuchen.
Ein Lastthier bringt eine Moschee mit Sternjuwelen,
Mit GoldKometen und drehbaren Planeten.
Sie hält vor uns. Und ihren innern Räthselsälen
Entsteigen sieben reichgeschmückte Weltpropheten.
Jetzt spricht der Älteste der Weisen uns zum Gruße:
»Es wollte Olivier, daß wir vor Euch erschienen,
Da nehmt was Euch gefallt von unserm Überflusse,
Und sagt nur, kann ich, AbdErRahman, sonst Euch dienen?«
»Der Kaiser mag Tribut und Abgaben empfangen!
Bist Du getauft, so magst Du unser Heer beschenken.
Mit Euren Lehren weiß ich wenig anzufangen,
Doch sprich mir, wenn Du willst, von Deinem eigenen Denken!«
Beginne ich. Worauf der Heide mir erwidert:
»Du reiner Thor, Du Sonnenheld, der sich verdunkelt,
Du hast wohl manchen tiefen Himmelswunsch befiedert,
Doch wähnst Du nicht, was als Vernunft und Einsicht funkelt!
Vom gleichen Schicksal sind wir beide hier getragen:
Es muß der Mohr den Christ, der Christ den Mohr ergänzen.
Der Kampf, mein Sohn, ist wie das Wechselspiel der Wagen,
Kein guter Tag, oh glaube dies, wird uns erglänzen.
[397]
Das was uns schlecht bedünkt, ist in Euch aufgespeichert,
Was nicht der Franke mag, in mir sieht ers vereinigt.
Der Krieg bringt Noth, doch er ist es, der uns bereichert,
Von andern will man das, wofür man oft ihn steinigt.
Doch glaubt mir, Christen, jene bleichen Weltschreckwesen,
Die oft gespensterhaft die ganze Nacht durchtanzen,
Aus beiden Lagern hat ein Zwang sie aufgelesen,
Und selbst der Tag verscheucht sie nicht aus ihren Schanzen.
Sie sind die Schuld, der dumme Haß von allen beiden,
Und drum das Unheil, das da droht, uns zu verschlingen:
Wir achten Euch als Schriftbesitzer, doch als Heiden
Verketzert Ihr uns, statt uns christlich zu bezwingen!«
»Oh sprich,« erwidre ich: »Was sind die Tanzgestalten?
Sind sie aus Fleisch gewalgt? sind sie blos böse Träume?
Entsteigen sie als Geister dunklen Felsenspalten!
Bewohnen sie der Demeter verhexte Bäume?«
»Phantome sind es, unsere böse Vorbedeutung.«
Belehrt man mich: »Nichts ist an ihnen noch leibhaftig:
Gespenster, Zeugen scheinen sie der Seelenhäutung,
Längstüberwundenes, das unser noch theilhaftig:
So wie die Starrnatur durch Wellen und durch Zacken
Sich ewig weiß, in Maaß und Einheit festzuhalten,
So muß das Geistige durch Hexen, Huckepacken
Und Buckelkobolde sich ineinander halten.
Was da noch walzt, ist unerhaschbar, qualmig, spukhaft!
Doch einstmal quirlen Menschen in dem Hexentrubel,
Und was der Unterdruck schafft, das wird dann schluckhaft,
Samt aller Würde eingeschlürft vom Höllenstrudel.«
[398]
»So haben diese Geister keinen eigenen Schatten!«
Entschlüpft es mir: »Und können deshalb überpurzeln!«
»Das da sind Schattenmassen,« heißt es: »Ohne platten
Gefolgschaftsschatten und auch ohne Sturzwuchtwurzeln.«
»Mein Herr, nach einer Musterung geilen schon die Weiber,«
(Quiekt jetzt ein Männchen zu dem Sprechenden gewendet.
Und wirklich richtig spricht der Haremspackzutreiber:
Die Nymphen wetzen sich, durch Eitelkeit verblendet.
Sie scheinen fast ob unseres Zwiegesprächs zu lachen,
Denn unnütz dünkt es sie, nicht blos an Lust zu denken,
Ein wenig ungeduldig sind auch ihre Wachen,
Und darum trachten sie den Blick aufs Fleisch zu lenken.
»Nun Roland, schenke diese Weiber den Soldaten,«
Sagt AbdErRahman schlagfertig und doch verlegen:
»Held, Dir will ich zu einer Neigungsheirath rathen,
Für Fatimê wirst Du die reinste Liebe hegen.«
»Geschlechterumgang ist mit Heidinnen verboten!«
Erwidre ich: »Und läßt sich Fatimê auch taufen,
Befreie, schütz ich sie vor ruchlosen Despoten:
Ihr JungfrauDasein wird dann rein und stolz verlaufen.
Doch eine Fränkin blos will ich als Weib erkühren,
Nicht nur weil ich mich schon verlobt habe, gelobe
Ich solchen Treusinn meinem Blute durchzuführen,
Auch sonst bestände ich die Brunstverlockungsprobe!«
»Nein Roland, Fatimê das Weib der Weiber einigt
In ihrem Leibe was die Erde Hehres spendet!«
Erwidert der Prophet: »Sie ist durch Gluth gereinigt,
Die Weisheit ihrer Haut hat Spaniens Tag vollendet.
[399]
Ich sah sie nur in einer Nacht, als sie erwachte,
Und bin auch damals blos in ihren Hof getreten,
Ein wunderbarer Sternenhimmel überdachte
Das Wesen Welt, aus dem Gebete zu ihm wehten:
Da rührte sich das Weib, der Thüre gegenüber.
Ich sah den Rumpf allein und weder Kopf noch Füße.
Ich bin kein Lüstling und kein wüster Wuthverüber
Von Wagnissen, mit denen ich die Nacht versüße.
Ich blieb gebannt dort vor der Kemenate stehen.
Die Nacktheit dieses Weiberleibes war unendlich.
Ich sah die Liebe ihrem Busen sanft entwehen:
Das Schicksal, das ihr Bauch vergrub, schien unabwendlich!
Oh hatte ich die Sohlen, das Gesicht gesehen!
Doch nein, im Sternenlichte regten sich die Glieder,
Dann blieb sie still und ließ den Schlaf mit sich geschehen:
Sie glich der Milchstraße! Ich kniete draußen nieder.«
»Fürwahr,« ruft Tip jetzt, ein Eunuch: »Das Weib ist prachtvoll!
Was ich Dir hier zur Auswahl zeige ist Gesindel,
Als Preis für Fatimê verlangt ich einen Schacht voll
Von Edelerz und glaube mir, es wär kein Schwindel.«
»So viel Dukaten, als am Himmel Sterne glänzen,«
Ruft Kip, ein anderer Kastrat: »Müßte man zahlen!
Ich durste manchesmal um sie herumscherwenzen:
Ich sah sie einst im Bad, nicht sag ichs, um zu prahlen!«
»Ihr fetten Kerle Ihr,« ruft Olivier: »erzählt was Ihr gesehen!
Sagt, Hämmlinge, wie könnte sie Euch auch gut schmecken?
Erzählt, wie sieht sie aus, vom Kopf bis zu den Zehen,
Doch dürft Ihr nicht das saftige Mittelstück verstecken.«
[400]
»O Herr,« ruft Tip sogleich: »Ihr könnt mir wirklich glauben,
Wenn auch Kastrat, besitz ich dennoch einen Kiefer,
Kann ich ein Weib auch nicht der Fleischsrische berauben,
So bin ich doch im Dienst nicht blindes Ungeziefer.«
»Und voll Ästhetik gar,« fällt Kip jetzt ein: »sind beide!
Wir Haremswachen hören Morgens keine Hähne.
Die Herrin ist der Tag! Glüht unsere Augenweide,
Auroren gleich, des Weibes Leib: gleißt die Fontäne
Im Vorhofe, so weiß ich, schlafen bald die Sterne!
Von Fatime allein mag ich den Strahl empfangen.
Die Ampel selbst erblaßt vor ihrer Nacktheit gerne.
Und aus dem Marmor träumen, glimmen Tageswangen!«
»Wie eine Tropfsteingrotte, ist die Kemenate!«
Kommt Tip dem Kip zuvor: »Aus Alabasterbrüsten,
Ergießt Frühmorgenmilch sich auf Brokatornate
Der Standeswachen, die sich ihrer Würde brüsten!«
»Jawohl!« ruft Kip: »Wie man erst früh die Meeresstürme
Der fernen Nacht erkennt, am Gang der Wogen,
Verräth der Athem Fatimês, ob ihre Träume Thürme,
Ihr Sehnsuchtsbann ein Christenherz zum Fall bewogen!«
»Durch eine Laube dringt das Licht zu ihrem Bade,«
Sagt Tip: »Ein Spitzenhemd aus zartverzackten Schatten
Umschlingt des Leibes Weichheit bis hinab zur Wade,
Die Füße aber zündeln fast aus blanken Platten.«
Und Kip fährt fort: »Der warme Himmel schaut ins Wasser,
Erst überträufelt er den Leib wie kühle Trauben,
Doch dann, ach dann, wird er ein Lachopalverprasser:
Er kann die Wanne allen Wonnestaubs berauben!«
[401]
Und Tip ergänzt: »Ich will die Flechten noch erwähnen:
Fast honigbraun umgaukeln sie den blassen Nacken,
Mit Schildpattkämmen müssen Mohrinnen sie strähnen,
Und alles Haargeschmeide rahmen Bernsteinzacken.«
[Ein Kirchenlied klingt tief, zu tief mir zum Herzen!]
Ein Kirchenlied klingt tief, zu tief mir zum Herzen!
Ein ganzer Choral wird im Walde gesungen.
Turbin wird es sein, denn es ist »Thal der Schmerzen!«
Der liebste Gesang meines Bischofs erklungen.
Es lauschen die Christen. Es horchen die Heiden.
Hat jemals ein Lied so den Menschen erschüttert!
Die Seele entschwingt sich aus irdischen Leiden,
Verachtet den Tod, der die Aasgeier füttert.
Mir ist es, als stiegen die Tannen hernieder,
So hehr und so mächtig erzittern die Stimmen!
Es ist die Passion das, das Lied aller Lieder:
Ich sehe die Strophen den Himmel erklimmen.
Ich lausche vollendeten Heimathsgeschichten:
»Es preist Dich die Schöpfung, mein Gott, den wir loben.
Der Schnee schmilzt und lichterloh grünen die Fichten,
Denn Sommer wirds oben, am Firne dort oben!
Der Himmel entwölbt sich uns höher und höher,
Und birgt er in sich unser Flehn, unser Bangen,
So wünschte mein Herz: ach, entweht er, entflöh er,
Oh könnte er, Herr, bis zu Dir hingelangen.
[402]
Betrübt sind die Engel, wir sehn ihre Thränen
Frühmorgens den Sündenpfuhl Erde benetzen.
Nur wenige sind es, die Gott tief ersehnen,
Und groß ist des Heilandes Schmerz und Entsetzen.«
Wahrhaftig, das sangen erhabene Tannen,
Sie werden jetzt bald in das Thal niedersteigen,
Dann wird sich die Christenheit heilwärrs ermannen:
Erbarmen, Ihr Tannen, umwallt uns im Reigen!
»Das Jahr ist erwachsen,« erschallt es: »im Bache
Versiegt schon das Wasser, doch oben wirds Sommer!
Der Tag sagt zur Felsöde: träum nicht, erwache!
Und alles lebt Gott zu, – der Mensch wird nicht frommer.«
Entsteigt Euren Gipfeln, Ihr christlichen Fichten,
So kommt, wie ein Pilgerzug furchtbar hernieder,
Kommt wuchtige Riesen zu nichtigen Wichten,
OH lehrt uns der Urwelt unendliche Lieder!
»Herr Zebaoth, der Du die Wälder erdachtest,
Die keusch sind, ganz unschuldsvoll, nur Gottempfinden,
Oh lasse auch uns, die Du wandelbar machtest,
In sich Dich erschauen und verwurzelt erblinden!«
So singt man und Menschen entwirbeln den Wäldern:
Wie Fallobst der Stammbäume, seh ich die Krieger,
Die morgen verhauchen, sich ringsum in Feldern
Verlieren: oh harre Wald, Wald, Zeitbesieger!
Beschwert durch den zwerghaften Hintermannsschatten,
Erleichtert durch Kränze und duftende Zweige,
Erscheinen jetzt Menschen, ringsum auf den Matten,
Es wimmelt und drängt sich auf jeglichem Steige.
[403]
Turbin wird nun sprechen und wie er muß handeln,
Dabei auch für mich etwas Schicksal enthüllen.
Ich sehe ihn dort mit der Priesterschaft wandeln,
Was will unser Kaiser, was wird sich erfüllen?
»Gelobt sei der Herr Jesus Christus!« ertönt es,
»Der Kaiser schickt allen durch mich seinen Segen!«
Ich liebe Turbin, denn sein fröhlichgetöntes
Organ hört sich an wie ein Fastenzeitregen.
Ich sehe dabei auch den Lenz rings ersprießen.
Ich fühl ein Erblühen in allen Gemüthern.
Es welkt und verdirbt keine Seele, ergießen
Sich Jesus Heilslehren aus solchen Lichthütern!
Er spricht: »Meine Kinder, viel Schlimmes erspäht ich,
Gespenster mit Buckeln und furchtbaren Bauchen!
Seitdem ich vom Kaiser zurückkehre, bei ich,
Gott möge mir helfen, den Spuk zu verscheuchen.
Ich wurde erhört und ich dankte der Fügung,
Im Augenblick, als ich die Heiden gewahrte,
Dafür, daß dem Kreuze gebührend Genügung
Ersprießt, da Gott Täuflinge rings um Euch schaarte!«
Ich sage: »Turbin, arge Schlachtgräuel nahen!
Ich freue mich schon, für den Heiland zu kämpfen.
Die Geister, für die künftige Dinge geschahen,
Versuchen im Voraus die Schrecken zu dampfen.
Sie sandten die Heiden damit Du sie taufest,
Auf daß sich die Hölle nicht allzusehr fülle:
Doch geht Christi Schiff gut und halt jedes Tau fest,
Was kümmert uns da Schlacht und Nachtsturmgebrülle!«
[404]
Nun spricht AbdErRahman: »Es hat uns der Kaiser
Drei Monde Bedenkzeit und Lernfrist beschieden.
Auch mich dünkt, es sei gar nichts besser und weiser,
Als Freundschaftsverkehr vor dem wirklichen Frieden.
Benützen wir denn diese kostbaren Tage
Und trachten wir, einig, den Spuk zu vertreiben:
Verschwindet er, glaubt mir, so wird unsere Lage
Nicht länger bedenklich und unsicher bleiben.«
Turbin spricht: »Ihr Heiden, Bedenkzeit gewährte
Der Kaiser, ich weiß es, doch einzig die Taufe
Kann helfen, den Spuk zu vertreiben: Gelehrte
Des Korans, springt zu, daß kein Schaf sich verlaufe!
Oh seht, unsere Lehre, ein Glaube der Gnade,
Verträgt keinen Aufschub und keine Bedingung.
Es mahnt uns der Heiland, durch jede Tanzschwade,
Ans Lehramt und selbst an Bekehrungserzwingung!«
Da meint AbdErRahman: »Nein Herr, denn viel besser
Als Ihr kenn ich beider Geschicke: den Sternen
Entlehn ich mein Wissen: ein Kampf bis aufs Messer
Steht eher bevor, als daß wir Psalme lernen.
Doch lese ich oben, es gebe aus Erden
Ein Ding, einen Stein, den die Engel uns ließen,
Der kann uns aus Kriegen und argen Beschwerden
Erretten und allen die Freiheit erschließen!
Die Boten der Gottheit erflogen die Reinheit
Der himmlischen Heimath, vom Licht angezogen,
Gleich wieder, denn sie sind mit ihr eine Einheit,
Doch hüten den Stein wir, bleibt Gott uns gewogen!«
[405]
Turbin ruft: »Verrucht ist das Gucken zum Himmel!
Ein trügerisch Blendwerk, der Schein nach Gesetzen
Zu leben! Die Wissenschaft kennt blos den Schimmel,
Die Krankheiten, die alle Dinge zersetzen.
Den Raum könnt Ihr messen, den Zufall erweisen,
Was Weltschranken sprengt, in Gesetzschranke drangen,
Als Sünde, ums EigenGrab, zeitzählend kreisen,
Dem Tod zu, stets Übel an Übel anhangen.
Doch leuchtet durch alles die Ewigkeit Gottes.
Die That ohne Augenblick, Reue und Taufe,
Entreißt unsere Seele dem Weltsitz des Spottes,
Der kärglichen Kenntniß der Sachen im Laufe.«
»So tauft, wer sich taufen laßt, wir ziehn von dannen!«
Sagt kurz AbdErRahman: »Wir suchten den Frieden,
Doch fanden wir alberne Wortbruchtyrannen,
Für uns sind drei Monde drei Monde hienieden!«
»Halt ein, AbdErRahman, Du fahre zur Hölle!«
Ruft nur Olivier: »Doch die andern verbleiben.
Die Weiber zumalen, denn wahrhaft sonst schwölle
Der Sündenpfuhl gar zu arg an. Euer Treiben
Im Harem ist gottlos. Unwürdig selbst Eurer!
Wir lassen nicht wieder die Weibheit entweichen.
Turbin, tauf die Frauen: ihr Heil ist uns theurer.
Wir wollen uns kennen, bevor wir sie freien.«
»Verrath, Schurkerei,« rufen allerhand Heiden:
»Ihr Christen seid Schufte! wo bleiben die Pakte?
Ihr wollt unsere Schätze! dies darf man nicht leiden!
Das sind Eure Handlungsart kurze Extrakte!«
[406]
Ich dröhne hinein: »Das Schwert wird es zeigen,
Wer hier der Verräther ist: einzig Ordalien
Entscheiden den Rechtsstandpunkt. Ihnen nur neigen
Die Christen sich immer, nicht Tanzsatanalien,
Die Ihr aus der Erde, durch Unzucht gegeistert:
Wir hassen Euch, freche und garstige Barbaren.
Wir achten Dich, Mann, der den Höllenspuk meistert:
Fahr hin, Dich mit einer Waldlarve zu paaren!
Erstick im Genusse mit Brunstsalamandern,
Doch nimmer verbiete Dus, Gott anzustehen:
Er möge heut Abends das Schlachtfeld durchwandern
Und helfen, daß Tausende zu ihm eingehen!
Ich werde für Euch, wie für mich bald verbluten.
Für Dich sei mein Schwert, das Dich umbringt, gezogen.
Wie kannst Du uns Duldung von Unzucht zumuthen,
Ist morgen doch Hoffnung aufs Heil schon verflogen.«
Ich höre ein Seufzen durchs Heidenthum fluthen.
Es klingt an mich an. Es verfolgt eine Richtung.
Ein Fluchtuten ists unter Fluchtthunichtguten,
Ihm nach aber stürzt eine Erdgeistverdichtung.
Ein furchtbarer Greis überwindet die Menge.
Den schneeweißen Bart überstimmern dicht Thränen.
Aus Wuchtaugen fuchtelt ihm List und Lichtstrenge.
Die Glieder sind klein und dabei nichts als Sehnen.
Nun ruft er: »Entsetzliches Schlachtengetümmel
Wird, ach, bald die Starken und Schwachen wegraffen!
Der Muselmann lauert, der christliche Lümmel
Durchschaut ihn und greift zu den Waffen!
[407]
So packt lieber Weiber, entführt sie den Hütern,
Zu scharf trennen Leiber die Einheit der Seele:
Drum wühlt es und glüht es in beiden Geblütern:
Das Weltschicksal heischt, daß sich Buntes vermähle.
Oh Mann und Weib, tretet Euch geistig doch näher!
So laßt nicht die Schlacht unter Männern entstammen!
Und thut mir, dem Seher, nicht immer noch weher,
Da alle doch Gott, unserm Vater entstammen!«
»Wer bist Du, wie heißt Du, wem dienst Du im Himmel!«
Frägt rasch Olivier diesen fremdartigen Alten:
»Vielleicht hintertreibst Du das Schlachtengewimmel,
Vielleicht geht es, Heiden dem Heil zu erhalten.«
»Du frägst wer ich bin? Was ich glaube und heiße!
Haha!« faucht der Greis: »Hier fällt alles zusammen!
Den Juden beschimpft mich! ich bins und verbeiße
Die Leiden, die stets meinem Glauben entstammen!«
»Du Zeuge der Wahrheit der christlichen Lehre,«
Ruft hurtig Turbin, »so lasse Dich taufen,
Denn sieh, dann gewinnst Du das Heil und auch Ehre,
Du mußt auf der Wanderfahrt endlich ausschnaufen.«
»Du lügst, denn Du irrst Dich!« erwidert der Fremde:
»Die furchtbare Wahrheit vernimm sie und bebe:
Das Weltthal durchschweif ich, sieh da, in dem Hemde
Und Leibe, durch den ich am Irdischen klebe!
Zu Gott, der Ureinheit, muß alles aufleben!
Doch wann kann das sein! da selbst ahnende Geister,
Aus Hochmuth, am Ich und der Zeitlichkeit weben.
Wann kommt der Messias, der herrlichste Meister!
[408]
Bis dann giebt es nichts, als die Rückkehr zum Leide.
Erinnerungsfrei kommt der Mensch immer wieder.
Ich selbst bin ein Geist und Ihr seht, ich verbleibe
Auf Erden und habe rein menschliche Glieder.«
»Wir haben seit Adam wahrhaftig an Gaben
Gar manche,« sagt rasch AbdErRahman: »Verwandelt,
Vielleicht auch vernichtet, wir haben zum Laben
Der Kranken verschiedene Heilkräutlein verhandelt.
Auch Du, alter Jude, bist wirklich verwittert.
Doch sag, überkamst Du von Adam die Schale,
In der noch der Saft ewigen Daseins erzittert:
Verrathe, was nimmst Du tagtäglich zum Mahle?«
»Hebräer« sagt jetzt unser Bischof: »Hebräer,
Du kommst aus dem Heidenland, dort hast Du Brüder,
So bringe die Abtrünnigen Gott wieder näher,
Die Welt ist verrucht und wird stets glaubensmüder!
Du weißt es, Du darfst noch im Irrthum beharren!
Wer blind ist, dem kann Gott das Augenlicht schenken.
Doch das da sind starrköpfige, lichtscheue Narren,
Die selbst aus der Schrift ihr Gesetz herausdenken!«
»Ich weiß nichts! Mein Fuß hat am Sinai geblutet.
Es stach mich dereinst am Hymeth eine Hummel.
Ich weiß nichts! Ich wurde vom Maelstrom umtutet,
Und bleibe nur Jude und dumm beim Weltbummel.«
So spricht nun der Alte und lacht und sagt weiter:
»Was wollt Ihr denn wissen, ihr Flachlandbeschauer,
War je Euch der Ursturm ein guter Begleiter!
Oh sprecht, ward Ihr einst Pyramidenerbauer!
[409]
Ich weiß nichts! Doch seht, das da seid Ihr gewesen!
Ich musterte damals bereits Euren Dünkel.
Ihr ward immer selbstgefällige, einfältige Wesen
Und schlüpftet auch später aus manchem Weltwinkel.
Das jüngste Gericht wird Euch endlich erleuchten.
Erst dann giebt es wirklich ein Wiedererkennen.
Dann wird Euch so mancher Bekannter bedeuchten,
Ihr werdet ihn Mutter und Kind endlos nennen.
Ihr werdet erschauen Geburten im Fleische,
Beschneidungen, Taufen und allerhand Sitten.
Ich weiß nichts! – doch eines gewahrt, was ich heische:
Oh laßt meine Meinung für jetzt unbestritten!«
Wie früher durchgellt uns ein furchtbarer Schauer.
Ein Seufzer entschleppt nun den sehenden Alten.
Es ist jetzt, als ob er im Lärm sich verkauer,
Ich sah kaum, wie Fauste sich krampfhaft aufballten!
Es spricht nun Turbin: »Heide, laß die Versuche,
Durch Spuk uns und Zauber zur Furcht zu verleiten,
Du stehst im Verrufe und Magiergeruche,
Du darfst solchen Abweg nicht länger beschreiten.«
»Was wollt Ihr?« sagt drauf AbdErRahman im Zorne:
»Bei uns giebt es nirgends im Lager Hebräer.
Als Zauberer hab ich Euch lang auf dem Korne.
Daß Ihr Hexerei treibt, liegt wahrhaftig näher.
Übt lieber Gerechtigkeit! Laßt Eure Künste,
Dann könnt Ihr Euch selbst Eure Tapferkeit schenken!
Und braucht uns auch, weder durch Kriegsfeuersbrünste,
Noch sonstwie, mit Juden und Spuk zu bedenken.«
[410]
»Fürwahr, das ist furchtbar, Ihr spottet der Christen!«
Ruft wüthend Turbin: »Der Spaß darf nicht dauern,
Ihr wollt einen Rechtsstandpunkt ruchlos erlisten,
Doch sollt Ihr vor ehrlichem Wandel erschauern.«
»Ihr Priester zieht heim!« ruf ich laut: »Geht von dannen,
Es sei Euch die Freiheit zu irren gelassen,
Doch schuldlose Wesen, so Weiber wie Mannen,
Verbleiben, damit sie die Heilkraft erfassen.«
Verrath, Schurkerei! hör ich überall kreischen.
Die Leidenschaft scheint jeder Zucht auszureißen.
Was hilft Ruheheischen: ich seh, es zerfleischen
Bereits einige Weiber die Wachen und beißen
Sich wüthend zurück einen Weg zu den Heiden.
Das da wird ein Morden und gräßliches Schlachten!
Ich kann ein Geplänkel bereits unterscheiden.
Fanfaren erschallen, die heißt es vor allem beachten!
Zwei Boten des Kaisers erscheinen und sagen:
»Hiermit sei Dir, Roland, mein Wollen beschieden:
Du sollst jede Schlacht, jeden Frieden abschlagen,
Es sei aller Zeitverlust peinlichst vermieden.
Verrath droht! Drum folge mir gleich mit dem Heere.
Und hör ich Dein Horn mich von ferneher rufen,
So weiß ich, Ihr streitet: dann wißt auch, daß Speere
Sich nähern und merkt immer klarer das Trampeln von Hufen!«
Ich rufe: »Sofort alle Heiden entlassen!
Bei furchtbarer Strafe darf niemand mehr raufen.
Der Kaiser verbietet uns, Blut zu verprassen.
Ich führe Euch heimwärts, Ihr waghalsigen Haufen!«
[Es ist mir peinlich, meinem Zwerge nachzusteigen]
[411]
»Es ist mir peinlich, meinem Zwerge nachzusteigen.
So lang er mich verfolgte, war der Spuk erträglich,
Doch so, scheint man dem Boden geradezu leibeigen:
Mit einem Zerrbild ist selbst Heldenfreiheit kläglich.«
»Fürwahr, wir sollten dort im Walde rasten!«
Erwidert Olivier: »Wir werden heute Abends kämpfen,
Es mag sich Spanien unserer ganz und gar entlasten,
Es ist, als läge die Natur ringsum in Krämpfen!«
»Auch Du, mein wackerer Freund, beginnst nun gut zu sehen.
Das freut mich,« sage ich: »Ach könnten wir schon handeln.
Fürwahr, es liegt der Wald, die stille Welt in Wehen,
Die Franken aber, seh ich fast im Thal lustwandeln.«
»Ach, hätte jeder sich ein Heidenweib genommen!«
Meint lachend Olivier: »Wie hätten sies getrieben!
In mir ist auch, was man so Liebe nennt, erglommen,
Denn hätte ich ein Liebchen, ich wäre blind geblieben.«
»Oh Herr!« ruft ein Soldat: »Wir werden überrumpelt!
Ich weiß nicht, sind es Moslems, die uns rings umzüngeln,
Ist es ein Spuk, der auf den Eigenschatten humpelt,
Vielleicht sinds Würmer, die sich über Felsen ringeln!«
»Herbei, herbei,« ertönt es schon im Frankenzuge:
»Wir sind verrathen, alle Schluchten spuken Schurken.
Ein feiger Kampe lugt aus jeder Felsenfuge!
Die Turbane entwuchern ringsumher wie Gurken!«
Ein Ordnen meines Heeres kann nicht mehr gelingen,
Drum dreingehaun und kämpfend seinen Muth erhitzen,
Das ist die einzige Art, den Sieg noch zu erringen:
Halloh, da seh ich hundert Hellebarden blitzen.
[412]
Nun hat schon Olivier schlank einen Grat erklommen.
Er ruft: »Fürwahr, wir sind von Ganelon verrathen:
Des ganzen Orients Schildersonnen sind erglommen,
Die Heiden, ihre Rosse starren in Brokaten.«
Viel Tausend Kriegstrompeten höre ich erschallen.
Die schönsten Rüstungen erglühen in der Ferne.
Ich sehe auch ein Riesenheer nach oben wallen:
Das da sind lauter Mannen aus dem Truppenkerne.
Auch Olivier sieht alle Feinde, die uns nahen.
Er ruft hinab: »Die Erde speit die Edelsteine,
Die wir erträumten, aber niemals strahlen sahen:
Die ganze Heidenschaft erprahlt im Mittagsscheine.«
Da lachen meine Franken und ich höre sagen:
»Bei Gott, für solche Beute lohnt es sich zu streiten.«
Nun rufe ich: »Ihr dürft Euch Euer Glück erjagen
Und kämpfend schon den Greisenfrieden vorbereiten.«
Es stürzt nun Olivier herab in unsere Mitte
Und ruft: »Ich habe Heiden, Heiden, rings gesehen,
Noch nie gewahrte ich so viele Fröhner böser Sitte,
Wir werden einen großen Prüfungstag bestehen.«
Da sagen meine Franken: »Es wird sich niemand schämen,
Weil er nicht bis zum Tode hat für Gott gefochten,
Viel eher werden Weib und Kind sich schrecklich grämen,
Daß wir vor unserm Feinde nicht zu fliehn vermochten!«
Doch meint nun Olivier: »Du mußt um Rettung tuten!
Oh blase doch ins Horn, der Kaiser kann uns hören!«
Drauf sage ich; »Was wagst Du da, mir zuzumuthen,
Darf ich denn meinen Ruhm, durch einen Ruck, zerstören!«
[413]
»So blase doch ins Horn, ganz nahe sind die Franken,«
Sagt wieder Olivier. »Das will ich nimmer thuen!«
Erwidre ich beherzt: »Mein Muth kennt keine Schranken:
Im eigenen Blute werden bald die Heiden ruhen.«
»Oh laß doch Olifant, Dein großes Horn ertönen,«
Sagt nochmals Olivier. »Nein, nie wird das geschehen!«
Erwidre ich voll Zorn: »Soll man mich einst verhöhnen,
Weil ich für Gott versäumt, in Gott still einzugehen?«
»Monjoie!« hör ich ringsum, den Ruf der braven Franken.
Wir kämpfen beieinander. Wir werden nicht verzagen.
Für meine Tapferkeit wird mir ganz Frankreich danken.
Da liegt schon einer. Da ein anderer erschlagen.
Soll gar mein Vaterland durch mich an Ruhm verlieren!
Und meine Mutter einst sich ihres Sohnes schämen?
Ich fürchte nichts. Mit meinen wackern Kavalieren
Bekämpf ich Allahs Herr, samt allen seinen Schemen.
Mein Olivier, Du kämpfst schon wie ein durstiger Tiger,
Du hast schon sieben Schädel mit dem Schwert zerspalten!
Du scheinst mit Hauteclaire der allerschönste Krieger:
Auch Durendal birgt wunderbare Schlachtgewalten!
Turbin ermuntert auch, zu Pferd, zu muthigem Ringen,
Beredt verspricht er die Vergebung aller Sünden.
»Monjoie und Saint Denis!« den Ruf hört man erklingen.
Oh Gott, oh laß uns hier ein Christenreich begründen!
Ich fälle Dir mit meinem Schwerte ringsum Heiden.
Du Schwarzer bist schon teufelsroth und reif zum braten!
Beschnittenes Pack, ich kann Dir Hand und Hauptbeschneiden!
Dich Alter, spieß ich auf: Dein Bauch ist feist gerathen.
[414]
Turbin hat nicht das Wort zum Herzen Dir gefunden,
Ich will mir diese Burg mit meinem Schwert auskratzen.
Vereitre Du aus Deinen eklen Schenkelwunden.
Und Du da magst aus Haß am Schlachtfeld platzen.
Im Bache staun sich lauter blutige Roßkadaver.
Fast giebt es keinen Platz mehr, Heiden zu ersaufen.
So füllt sich kaum die Bucht daheim in meinem Hâvre:
Erscheinen Frachtenflotten dort zu Weineinkäufen.
Wie herrlich wohl ich selbst als Sieger jetzt erscheine:
Es kann kein Gott aus einem Lichtmythos mir gleichen!
Ich wetze keinen Schemen über eckigschwere Steine,
Ich schleppe blos als Purpurschattenmantel Leichen!
Mein Licht empfangt selbst Olivier, dem Monde ähnlich,
Auch er ist blond und schlank und tapfer, wenn ich rase,
Nur wünscht er solche Schlachtgetümmel nicht so sehnlich,
Doch wenn er muß, beschirmt er seine feine Nase!
»Du wolltest nicht ins Schlachthorn stoßen!« Hör ich rufen:
»Ich hab Dich doch gewarnt, wir werden alle fallen!«
Ich gebe keine Antwort, nur vor Thronesstufen
Darf einst der Freunde Blut unendlich hoch aufwallen!
Die Feinde sterben hin, wie Sperlinge im Winter.
Gar mancher zeigt bereits den Arsch in Pluderhosen.
Doch Finsterniß wallt auf, ein Spuk steckt wohl dahinter:
»Du bist verwundet!« höre ich, dann Wirbeltosen.
Den Kaiser überraschen eben Mittagsschrecken.
Wie Heuschrecken umtummeln ihn jetzt Blutbachlarven.
Beim Berg Sankt Michael kann sich die See aufrecken,
Von selbst ertönen dort die Glocken und die Harfen.
[415]
»Zurück, mein Freund, Du kannst den Feind nicht schlagen!«
Durchdringt mich jetzt die Stimme von Turbin. Ich lausche
Nicht weiter drauf. Ich schau in Xanten tausend Plagen,
Dort ists, als ob der Rhein aus seinem alten Bette rausche.
»Das ist ein Rachetag!« Erschallen tapfere Stimmen.
Ich selber aber rase und kann deutlich sehen,
Wie dort im Grimme Wellen Frankreichs Strand erklimmen:
Jetzt ahnt man in Calais die Schlacht der Pyrenäen.
»Mein Roland, stoße doch ins Horn, damit ich komme!«
Das ruft mein Kaiser klar aus meiner Seele.
Ich aber weiß, ob mir sein Nahen fromme:
Ich sehe in Burgund nun Luft und Spukkrakeele.
Schon wird es finster um uns her. Die Mohren kann ich
Nur noch an ihren blanken Waffen recht erkennen,
Denn aus dem Blutbachsumpfe steigt ein Abendkranich,
Mit rothem Schopf und Krallen, die wie Lohe brennen.
Es sausen ringsum Pfeile, und es klingen unsere Lanzen.
Ich weiß, ich weiß wohl ganz genau, daß ich noch tödte,
Doch jetzt umschwingt mich eine Wucht: im Rosenkranze
Der Schlachtvision erscheint mir eine Schönheitsröthe.
»Du bist verwundet!« Sagt mir meines Freundes Stimme,
Und Silberfrische spüre ich auf meiner Stirne.
Ich blick empor: mir ists als ob die Sonne glimme:
Ich strenge mich noch an und folge forsch dem Taggestirne.
Nun wird es klar, man kämpft und stirbt! Dort bringt man Todte.
Die tapfersten Gefährten sind bereits gefallen.
Auch Olivier sieht aus, als ob sein Ende drohte.
Nun sage ich: »Ich lasse gern mein Horn erschallen!«
[416]
»Zu spät ist es! Turbin ist schon vom Roß gestiegen,
Um die Verwundeten noch eilig zu versehen!«
Sagt Olivier: »Gar manchen, die im Grase liegen,
Genügt ein Halm, um heil zu Jesum einzugehen!«
Fürwahr der Bischof schreitet zwischen tausend Leichen.
Ich selbst bedarf des Trostes und muß weiterstreiten.
Doch Olivier hält mich zurück. Ich will entweichen.
Noch kämpfe ich! Die Feinde drohn von allen Seiten.
Ein Pfeil hat Olivier beinah ins Herz getroffen.
Ich spring aufs Roß. Turbin ist da mit Seelenlabe.
Es kann nun Olivier auf Gottes Gnade hoffen,
Auch mir reicht er das Heil, bevor ich weiter trabe.
Du Strolch, Du hast vielleicht den edlen Freund verwundet,
Ich hau Dich roth und todt, noch kann ich weiterfällen!
Auch Dir sei Deine Lebensfrist kurz abgerundet:
Zur Hölle denn mit Euch satanischen Gesellen!
Ich blicke auf: Was hat sich rückwärts zugetragen?
Es stöhnt Turbin in seinem eigenen Blute.
Bei Gott, ich stoß ins Horn, das ist ein Schall voll Klagen,
Wie wird dem Kaiser jetzt und wie mir selbst zu Muthe?
Mein Gott, mein Gott, ich tödte fort: ich weiß, ich rase!
Wie kann ich mir des Abendmahles Kraft erhalten?
Mein Gott, ein anderer Hieb, es blutet meine Nase.
Ich dresche noch, doch das sind schale Flachgestalten.
[Ich reite in rother Gewandung zum Grale]
[417]
Ich reite in rother Gewandung zum Grale.
Da steht Montsauvage, aus sich selber erleuchtet.
Was glüht dort im Saale! man sitzt wohl beim Mahle.
die Bäume sind Träume, mit Perlen befeuchtet.
Ich schlage um mich her und treffe blasse Schatten,
Ich hasse Euch, Ihr leibhaftfeisten Wuchtgesellen,
Ihr schient so stark und deckt als Leichen blutige Matten,
Blos um den treuen Schatten laßt Ihr Euch nicht prellen.
Die Wahrheit erblaut schon im innigsten Wesen,
Ein irdisches Feuer beflügelt mein Dasein,
Ich kann alle Echtheit den Zweifeln entlesen:
Mein Ursprung greift rings in das zeitfreie Maaß ein!
Die Wirklichkeiten, die mich aufdringlich umschwärmen,
Zerschleiße ich mit meinem heiligen Richterschwerte,
Das heitre Blut verspritzt aus Euren Stinkgedärmen:
Ihr Menschlichkeiten habt für mich blos Satanswerthe.
Das Thal, das sich schwarz unterm Burgbau verschlucktet,
Wird böse und furchtbar genannt und gemieden.
Es hat sich am Kreuzigungstag eingebuchtet:
Es ist mein Gewissen und scheucht meinen Frieden!
Ihr halben Albgestalten, bald liegt Ihr erschlagen,
Von Gott und Roland seid Ihr Lichtkinder bezwungen.
Den Gralwächtern aber genügt es zu sagen:
Der Geist ist ins Eigenlicht selbst eingedrungen.
[418]
Hallunken sterbt: Ihr habt den Kaiser feig verrathen,
So nehmt dafür den Lohn von seinem Erzvasallen.
Oh Gott, Du berufst mich zu christlichen Thaten,
Ich rette das Schloß, das dem Zauber verfallen!
Die Sonne ist lange schon untergegangen.
Nach Châteaumerveille ist mein Freund abgezogen.
Er darf dort am Mund junger Heidinnen hangen,
Doch bleibe ich blos meinem Weibe gewogen.
Ich weilte schon da. Einst im Träume geschah es.
Ich frug nicht den König, was heilt Deine Leiden?
Ich dachte nur damals ein glanzvolles, nahes
Geschick meinem Weibe und mir zu bescheiden.
Ihr Schattenrißgestalten müßt vor mir verschwinden,
Ihr Heiden wagt es, Euch vor meinem Sinn zu mehren,
Bald seid Ihr nicht, ich will für diese Welt erblinden:
Ihr stürzt und löst Euch auf, Ihr kennt nicht Christi Lehren.
Ich harre, ich darf nicht ins Gralschloß eingehen:
Im Innersten Dunkel entflammen, erstehen
Glastherzen, die Gott für die Menschen anflehen.
Jetzt prunken und glühen die Eispyrenäen.
Ach, Blut liegt im Schnee. Alle Gletscher erglimmen.
Mein Herz, mein Gemüth, meine Liebe weilt ferne.
Der Tag ist weit fort, aber Erdgluthen klimmen
Hinan, still hinan, und ich folgte so gerne.
Das Blut hoch am Himmel, die Gluth auf dem Eise,
Erfüllen mit Wehmuth die einsamen Seelen:
[419]
Mein Weib, ach mein Weib, nun erscheine so leise,
Wie rings Gluth und Ehrfurcht vor Gottes Befehlen.
Im Glauben erglühen die eisstarren Riesen.
Ein herrliches Weib ruht, in Blutschnee gekleidet,
Im Nachtschloß und träumt von Welthutparadiesen,
Mein Weib, Du vergißt, wie auch mein Gluthherz leidet.
Entferne Dich von mir, Du grauser Schattenritter,
Dem noch ein Zwerg nachhumpelt, Sonnenunsinn Du.
Ergeben thust Du, doch ich trau Dir nicht, Trachtzwitter:
Ich bring Dick um, da liegst Du, bist vielleicht ein Hindu?
Mein Weib, sage Weib, warum muß ich Dich minnen?
Als Du mich ersahst, bist Du schamroth verschwunden.
Ich habe zur Hochzeit, ich kann mich entsinnen,
Dich rosig im Ampellicht wiedergefunden.
Auf einmal kommt ein Feind, ich hatte endlich Frieden!
Was, zweie seid Ihr? Und dazu noch Kopfputzdiebe.
Ihr Schemen bleibt von einem Christen doch verschieden,
Empfangt, was Ihr nickt stehlen könnt: zwei Frankenhiebe!
Mein Weib, ohne Dich tret ich nicht vor die Ritter
Des Grales, beim Mahle, im prachtvollen Saale.
Mein Weib, steige auf aus dem Urgluthgewitter,
Erstrahle, entwalle dem Flammenportale.
»Du fieberst Roland und nun wirst Du bald verscheiden!«
Dies höre ich und fühle eine leise Frische.
[420]
Ich blicke auf und spüre alle Tagesleiden.
Mir ists, als ob Turbin den Schweiß der Stirn abwische.
Er ist es, denn er spricht: »Wir werden beide sterben.
Wir siegten, denn die Heiden sind vor uns geflohen.
Du rastest und Du jagtest toll uns ins Verderben,
Doch jetzt will ich Dir nicht mit Höllenqualen drohen.
Du schlugst zwar eben noch zwei Franken fiebernd nieder,
Und wärest Du nicht selbst gestürzt, ich lebte nimmer.
Ich schließe Dir, mein Freund, die Sündenaugenlider.
Dein Todtschlag ist verziehn: erblicke Gnadenschimmer!«
Als Parseval kann ich zum Gralsaal gelangen.
Es stammen und leuchten die Heilssaftpokale.
Mein Weib darf mich wahrhaftig strahlend empfangen.
Mit Durandal kam ich, als Kampfpreis, zum Grale.
Nun soll dieses Schwert alle Schwachen vertheidigen.
Ich mag, um ihr Leid, alle Armen befragen.
Mein Bann trifft die Falschen und alle Meineidigen:
Kommt Knaben, ich will Euch zu Gralrittern schlagen!
[Entsetzlich! Das da sind nur Blutdurstgespenster]
Entsetzlich! Das da sind nur Blutdurstgespenster.
Sie lösen sich auf, hoch im Schlundkuppeldome.
Die Wahrheit ist da! Ein Grab gradumgrenzter
Bedürfnisse, Wecker erregter Phantome
Ist alles! Bald schließt sich mein Sonnausblickfenster,
[421]
Denn langsam erstarren die Araratgnome.
Jetzt legen die albernen Kampen die Trachten
Matt ab und sind alle fürwahr zum Erbarmen.
Kastrat, alter Magier, zum brandschatzen, schlachten
Bezahltest Du Mannen, Dein Schatz gab den Armen,
Die Dir, reicher Lacher, Dein Harem bewachten,
Für Qualen, die Nahrung. Mit Überkraftarmen,
Beschützen sie Dich, stürzten Tannen: und Reiser
Nur brachten sie heim, um sich müde zu wärmen.
Für Dich fochten Heiden. Ich selbst und ein Kaiser,
Wir standen stark ein, mit Gehirn und Gedärmen!
Jetzt stürzt Du ins Nichts, Du ein Zauberer und Weiser:
Der Tartarus klafft und besteht auf Scheinschwärmen!
Was bleibt? Hölleneinsicht! Verschweig es dem Todten:
Ein Halbalb von mir strahlt geschmackgar beim Mahle.
Wo nichts mehr zu sagen ist, wandern die Boten.
Unleiblich, erhielt ich die Gunst, beim Gemahle
Zu thronen, und blos von den innersten, rothen
Gefühlen erleuchtet, besitz ich Opale,
Rubine, Smaragde, unfaßbare Werthe.
Die Tragik ist furchtbar! Was harrt von den Hadern
Im Jammerthal aus! Was? Dort sind unversehrte
Gebilde, die aufstehn! Durchschwärmen sie Adern
Gluthflüssigen Bluts! Mit Erdleben beschwerte
Gestalten, wie Schatten und Grundungesichte,
Verschrumpfen zu Einer. Verkrüppelte Wichte:
Der Nachsteiger aller, fällt leibhaftig nieder.
Der Klumpen wird fest. Vom Bauchhauptgewichte
Aus spreizt er, entrecken sich Steh und Greifglieder.
Das Wappen Thrinakrias stürzt im Zwielichte
Des Grabschachtes ab, und nun steht er schon wieder,
Als spanischer Staatszwerg ganz stramm auf den Beinen!
[422]
Es lächelt das Männchen: am besten bewährte
Somit sich der Schatten! fast will es mir scheinen,
Als ob sich nie menschliche Schönheit aufzehrte.
Was sollte ich sonst von dem Wahrheitspuk meinen?
Mir ists, als ob etwas den Fuß mir versehrte!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[423]
Drei Ereignisse
[Es fließt der Rhône herbei, mit seinen breiten Wogen]
Es fließt der Rhône herbei, mit seinen breiten Wogen.
Fast wirbellos, ganz selbstverständlich ist sein Strom.
Von Rossen wird ein Floß den Fluß hinaufgezogen:
Mit rother Kappe kauert drauf der Mittagsgnom.
Wie herrlich flimmern doch die ungestümen Fluchen!
Ein immer anderes Ereigniß schäumt empor:
Ich höre ferne blöken: Glocken tönen: thuten:
Vor mir hier zittert silberhell ein Pappelthor.
Drei junge Mädchen sehe ich am Ufer spinnen.
Geschäftig regen sie die Hände und den Blick.
In Unschuld aber ruht die Seele: ihren Sinnen
Genügt ein Schlankheitseindruck, ohne ein Geschick.
Ihr Mädchen, freut Euch stets an schmucken Kriegsgestalten,
Doch, daß Ihr Euer Sein durchschaut, das gebt nicht zu!
Laßt Euer Jungfernthum nicht durchs Bewußtsein spalten,
Nur eine Unschuldsfrucht bringt dann das Weib zur Ruh!
Ich bin auf einen Abweg und in Traum gerathen!
Im goldenen Korn ist irgendwo ein Wind erwacht.
Die reifen Ähren glühen reife Sprühdukaten,
Denn ringsum überfunkelt sie die Mittagspracht.
In weißem Festkleids erscheinen jetzt drei Reiter.
Der Pferde Füße bleiben ganz verdeckt vom Korn.
Es sieht so aus, als wäre keiner ein Begleiter:
Drei gleiche Gottesstreiter sinds, mit Kreuz und Sporn!
Ich trüge gerne selber solche Rüstungsstücke.
Der Mantel mit dem rothen Achtzackkreuz ist schön.
Jetzt ist es Zeit, daß ich mich grüßend niederbücke,
Denn immer näher höre ich das Eisenkleidgedröhn.
[427] »Katharer sind wir!« Sagt ein Mann im Kampfgewande:
»Und Du! gieb klare Auskunft, wer Du bist!«
»Ein wandernder Scholar aus dem Barbarenlande,«
Erwidre ich: »Und auch ein nimmermüder Christ!«
»Fürwahr, auch wir sind tapfere Heilandsstreiter
Und hassen jenen Gott vom Judentestament!
Der Böse herrscht auf Erden!« Spricht der Ritter weiter:
»Und rein wird, wer das Weib und seinen Schreck nicht kennt!«
»Für die Geschlechtlichkeit ward uns der Tod zur Strafe,
Und ungeschlechtlich ist der Heiland, der nicht starb:
Ich ahne meinen Tod, wenn ich ein Weib beschlafe!«
Erwidre ich: »Und weiß, wie ich den Sarg erwarb.«
»Bist Du ein Schotte!« Frägt man mich und springt vom Rosse.
Man drückt mir fest die Hand und ist dann rasch verstimmt.
»Nein,« sage ich darauf: »Ein Allemannensprosse!«
Und sehe gleich wie jedes Auge grimmig glimmt!
»Was willst Du, schlauer Hascher aus des Kaisers Landen?«
Fragt man mich barsch: »Wir tödten Dich, wenn Du nicht sprichst!«
»Entschuldigt, Herr, ich habe nicht den Gruß verstanden,«
Erwidre ich: »Doch schlecht ists, wenn Du mich erstichst.
Die Scholle selbst hat meine Glaubensart geboren.
Die Christusstamme grünt und blüht aus jedem Blatt.
Ich bin nicht einer von den römisch trockenen Thoren,
Für die der Heiland Gott nicht überwunden hat!«
»Oh Bruder, sagst Du wahr und fromm, so sei willkommen!«
Spricht jetzt ein Tempelherr im Herzen tief erfreut:
»Die Reinheit ist durch Heilandsschuld in Dir erglommen:
Du sprichst nur aus, was Dir der Geist gebeut.«
[428] »Die Wahrheit ist die Flamme, die wir lallend ahnen,
Die unerfaßbar ewig nach Gestalt verlangt:
Sie kann uns an verwandte Reinheitsbahnen mahnen,
An Rasse,« sag ich: »oder Zucht, nach der uns bangt.«
»Das ist der Augenblick der Waldanachoreten,
Geschlechtsertödterin ist Christi Freinatur!«
Erfahre ich: »In Helden, die jetzt ernst auftreten,
Verblaßt und birst die strenge Mannkontur.«
»Das was die Erde schafft, hier ist es ausgesprochen,
Das gleiche Ziel erkührt sich das Gewühlsgefühl!«
Erwidre ich: »Es liegt dem Volke in den Knochen,
Doch weiß es nicht, womit das Blut es sauber spült!«
»Man haßt uns, weil wir Christi That aussprechen,
Denn das Verlangen aller, da ist es gethan!«
Vernehme ich: »Es will die Welt mit Rom nicht brechen,
Und Aller Urbegehren sckaumt dadurch als Wahn!«
»Ein heiliger Sinn ist jedem dummen Sträuben inne,
Durch Krieg und Trutz nur halt die Ordnung stand.«
Erwidre ich: »Der Geist, die Furcht und Christusminne,
Erglimmen in der Menschheit Angstsaharasand!«
»Doch Du tritt in den Orden ein, Du bist berufen:
Sei Bruder uns und trage unser Streitgewand!«
So sagt man mir: »Wir kennen einzig Altersstufen,
Als Greis, seist Du zum Großmeister ernannt!«
»Es kann der Mantel Euren Schatten nicht bedecken.
Auch Ihr bleibt wandelbar und heiligt eine Zucht!«
Erwidre ich: »Verrenkte Spottgeberden strecken
Sich von Euch aus, verkündet Ihr die Irrthumsflucht!«
[429] »Du darfst nicht glauben, daß wir uns des Körpers schämen,
Mit Leibeskräften führen wir den Geisterkrieg!«
Erfahre ich: »Voll Wucht ist unser Trutzbenehmen:
Sprich, trittst Du bei, sonst ringe um den Schemensieg!«
»Ich sage kurz, mein Wesen sucht nach Schaulustruhe,
Die Stille selbst birgt einen Lebenspriesterschein.«
Erwidre ich; »Ich ruhe, wenn ich stumpf mitthue;
Drum sage ich entschlossen: meine Herren, nein!«
[Der Löwe Galliens liegt am Rhônestrome in Schlummer]
Der Löwe Galliens liegt am Rhônestrome in Schlummer
Und träumt von Raubzügen, die er des Nachts vollbringt.
Bei Tag ist er ein Schnarcher, Spinner oder Brummer,
Da alles drin von Räderwerken wiederklingt.
Das ist das Stadtthor mit dem Leu und Lilienwappen!
Ein ganzer Jagdzug geht daraus mit Lärm hervor.
Die Pferde drängen sich. Die Hunde bellen, schnappen.
Der Troßvogt spaßt. Der Schloßnarr kratzt sich hinterm Ohr.
Der Jagdzug, auch der Staub, die Schatten sind vorüber.
Da steht ein Gasthaus, wie in Deutschland, knapp beim Thurm.
Ein Lümmel kriegt vom Wirthen einen Nasenstüber;
Ich kehre ein, ich fühle Dich, mein durstiger Wurm.
Ich trete lieber in das dichtgefüllte Zimmer,
Da hebt ein Schatten stets den andern Schatten auf.
Dafür giebt es Gestank! Pour moi, ist das nicht schlimmer,
Ich nehme diesmal ihn als malerisch in Kauf.
[430]
Ich rufe: »Wein her, Wirth, ich kann Euch baar bezahlen,
Denn edel bin ich, wenn auch durstig wie ein Frosch,«
Man schreit: »Tout de suite!« da sich Soldaten jetzt empfahlen:
»Monsieur le Chevalier sans tache et sans réproche!«
»Soldaten habt Ihr wohl genug in Eurem Lande!«
Beginne ich zur Wirthsfrau, die mich stink bedient.
»Ihr seid ein Deutscher wohl, und vom Gelehrtenstandel«
Erwidert sie: »Ich sahs, als Ihr im Thor erschient!«
»Ei freilich!« meine ich: »Sagt habt Ihr was dagegen!«
»Ach nein, vor kurzem war der Kaiser unser Herr.«
Spricht rasch das Weib und ruft: »Giebt es hier deutsche Degen?
So kommt doch her und laßt Geplänkel und Geplärr!«
Von einem Tische, wo ein Weib aus Streitsucht weinte,
Erhebt sich jetzt ein junger prächtiger Soldat,
Der zwar der Wirthin Frage mit dem Kopf verneinte,
Sich aber artig einen Platz bei mir erbat.
»Ich war bei Euch und habe Teufel dort gesehen!«
Beginnt er: »Sagt ob diese Hexe Euch gefallt.
Sie wird Euch ihre Brunst und Liebe eingestehen,
Sie hat sich oft zu fremdem Wandervolk gesellt!«
»Den Teufel saht Ihr! Sprecht, wie habt Ihr ihn gefunden?«
Befrage ich den Söldner lachend und erstaunt.
»Aus der Erinnerung ist mir das beinah entschwunden,
Doch ich erzähle es!« Sagt jener woblgelaunt.
»In einem Wirthshaus, irgendwo in Deutschlands Norden,
In einer großen Kaufmanns und Soldatenstadt,
Ist mir das Glück, das ich erwähnt, zu Theil geworden:
Ich weiß, wie mich das Schauspiel hergenommen hat.«
[431]
Nun weiß ich es! Betrunkene Zecher schwätzten, stritten
An einem wohlbesetzten Tisch! Ich blieb allein.
Auf einmal balgten sich, entfuhren oder ritten
Zwei Spießgesellen unter uns, zum Dach, herein.
Der Schreck war gar nicht arg. Ich lachte wie die Meisten,
Der eine war schon alt. Der andere hatte Bart.
Ich kann mich noch erinnern! Die Lumpenbrüder kreisten
Um uns herum, voll Spottlust und ganz sonder Art.
Sie sprachen viel von Liebe, mehr von guten Weinen,
Und saßen plötzlich wo am wohlbesetzten Tisch.
Sie schienen Kraft mit wahrem Anstand zu vereinen,
Und wollten sies, entzischte irgendwo ein Wisch.
Ein Höllenwein quoll aus dem Korke unserer Pfropfen.
Darob erboßte doch kein einziger Trinklochtropf.
Sie konnten rings an allen Kellerpforten klopfen,
Und oftmals sträubte sich, zum Juxe blos, ein Schopf.
Der Bartlose war Satan selbst: ich kann es schwören!
Der andere schien blos sein Kumpan und Mensch zu sein.
Die Ösen nestelten aus unsern Hosenöhren:
Aus Flaschen, Spiegeln, guckten Weiber nackt herein.
Haha, wir freuten uns, wir schwelgten fast und lachten
Und dachten uns, da giebts bald einen Sabbathtanz!
Wir thaten so, als ob wir uns daraus nichts machten.
Nur einer sprach: »Du glaubst, ich sehe nicht den Schwanz!«
Er kicherte verschmitzt mit spitzen Zwinkerblicken.
Ich hörte gut, was er da sprach von seinem Sitz:
»Du kennst die Sitten wohl, die sich für Menschen schicken,
Doch hinten hat Dein Kleid einen verflixten Schlitz.«
[432]
Und leise fuhr er fort: »Dein Schwanz ist mir wohl sichtbar!
Die Natter auf der Kellerstiege sieht man schon!
Dein Steiß ist sicherlich nicht ganz gesichtsbaar,
Doch schweige ich, giebst Du ein Weiblein mir zum Lohn!«
»Was Du da munkelst,« fahre ich dem Söldner in die Rede;
»Das Märchen ist gar alt, doch immer taucht es auf.
Liegt wo ein weiser Mann mit Pfaffen kühn in Fehde,
So heißt es gleich, daß der dem Teufel sich verkauf!«
»Wie, sagt, das glaubt Ihr nicht, braucht Ihr Erlebnißdaten?«
Vernehm ich jetzt das Wirthsweib, das im Winkel spricht.
»Wir sind zu dreien. Trau nur,« ruft es: »dem Soldaten,
Du hinkendes und hektisch bleiches Milchgesicht! «
»Ich schleife meinen Fuß aus Müdigkeit, Frau Wirthin,
Doch Ihr habt recht, denn meine Seele scheint mir lahm!«
Erwidre ich: »Laßt ab, Ihr Hexe, Ihr verwirrt ihn!«
Sagt der Soldat: »da er voll Unschuld zu uns kam!«
Es lacht das Weib und sagt: »Kommt, Satans Schwanz betasten!
Haha, mein Mondkalb, antwortet mir doch, Ihr wollt!«
Ich sehe beide an, und fühle Geilheit glasten.
Ich merke auch wie gräßlich er die Augen rollt.
Jetzt schlägt das Weib dem Mann auf Brust und Schulter
Und ruft: »Der Schurke da, der flog schon einmal mit,
Das ist ein wohlgeschulter, zur Ausfuhr eingelullter
Gesell von Beelzebub. Sprich, keck war unser Ritt!«
Der Söldner fangt jetzt an in wilder Brunst zu stöhnen
Und nickt der jungen Hexe schwül und lüstern zu.
»Das nächste Mal fährst Du mit einer andern Schönen,«
Sagt sie und lacht: »Heut Abends salbe ich die Schuh.
[433]
Eilf Brautstandhexen kommen und eilf Satansenkel,
Doch sagt, gefiel Euch nicht die Lust bei Sonnenschein?
Von Dir mag ich den Mund, bei Dir die Muskelschenkel,
Ich lechze Mensch, ganz Mensch, ja weniger zu sein!«
Bald gröhlt man vor dem Haus. »Das sind die Johanniter!«
Schreit jetzt das Weib. Doch sind wir alle rasch gefaßt.
Der Söldner hastet auf. Ich seh, den Degen zieht er.
Ich faß nach irgend was und packe einen Ast.
Gesindel das, Vertheidiger verdammter Pfaffen,
Durchzuckt es mich und schon erschlag ich einen Mann.
Da geben uns fünf andere, im Nu, zu schaffen,
Doch jeder von uns beiden tödtet, was er kann.
»Du Hund, vermaledeiter Galgenvögelröster!«
Durchloht es mich und vor mir röchelt ein Soldat.
Der andre ist nickt feig, zwei Fleischpilger erlöst er.
Weh Dir, Du Hexenschinder, der mir naht!
Ich habe ihm das Hascherhirn jäh eingehagelt.
Stürz um, Spion von Rom, verfluchte Fehlgeburt.
Ihr hättet Christum ebenso ans Kreuz genagelt,
Wie Ihr mit freien Ketzern gestern erst verfuhrt.
Auch Dich erschlag ich, dicker Führer feiler Rotten!
Du hast wohl einen Mann, für eine falsche Mark,
Bereits lebendig irgendwo, um Prägerlohn, gesotten,
Und baumeln ließst Du manchen schon für einen Quark!
Da liegen jetzt sechs Weltbürger, von uns erschlagen,
Und es beschnuppern Hunde, wie berauscht, ihr Blut.
Die Schuld von vier Mordthaten muß ich selber tragen,
Derweilen auf dem andern nur die Halblast ruht.
[434]
Wir sehen uns an: das waren eigentlich Soldaten!
Ich zucke mit der Achsel. Mein Gefährte spricht:
»Nun desto besser, keiner kann uns mehr verrathen,
Und uns verfolgt man, ganz bestimmt, für die da nicht!«
Jetzt stürzt auf einmal eine Wölfin aus dem Keller.
Juhei, die Hunde kleffen auch schon hinterher.
Das rennt und bellt: das flüchtige Thier läuft aber schneller.
Die flinkesten Köter kriegen es wohl nimmermehr.
Doch meinem Spießgesellen scheint das nicht geheuer,
Er sagt und kratzt sich gar bedenklich hinterm Ohr:
»Der Ausriß unserer Huldin kostet uns noch theuer,
Doch die Verfolgung machen uns die Hunde vor!
Doch was, das schadet nichts, wir sind zwei wackere Degen.
Halt, sag, Du bist so derb, magst Du kein Landsknecht sein!«
Doch ich erwidre, ohne kurz zu überlegen:
»Nein, nein, mein lieber Streitgenosse, nein doch, nein!«
[Es streckt der Rhône sich nach unendlich großer Ferne]
Es streckt der Rhône sich nach unendlich großer Ferne,
Und wie ein Dunstgebilde sonnt sich dort Lyon.
Mit Deinem Wasser, Glanzstrom, plaudre ich so gerne,
Hier hüpfen Zufälle den LichtscherzCotillon.
Mit Sternen überschüttet, sprühen Wellenbrüste,
Zu vielen Mittelwirbeln rhythmisch leicht heran.
Hier ist es mir, als ob ich wild aufjauchzen müßte,
So kräftig hält mich diese Lustigkeit im Bann.
[435] Da spielen Fische mit der Luft und haschen Lichter
Und zeigen muthwillig die weiße Schuppenbrust.
Da tanzen Launen, lachen Wasserschallgesichter:
Hier ist die Lust für uns zu furchtbar unbewußt.
Ach Wasser, Deine Klarheit kann ich nicht vertragen.
Du wähnst es ja, ich bin zu fragwürdig und lahm.
Du bringst mein Bild, dem Schatten gleich, in falsche Lagen:
Weiß Gott, woher mein Haß gegen Verrenkung kam!
Ich wandere weiter, weiter wie mich Träume treiben.
An meinen Wünschen hält mich was, doch keine Hand!
Allein mag ich mit meinem Wassergeist nicht bleiben,
Denn da empfind ich mich zu stark am Jenseitsrand.
Da kommen Johanniter, die will ich befragen!
Wonach? ganz gleich! wenn ich nur überhaupt befrag!
»Wollt Ihr mir keinen Weg aus dieser Schäumniß sagen?«
Frag ich verträumt: »Sie quält mich schon den ganzen Tag!«
»Was Ihr da sprecht, ist uns, verzeiht, nicht ganz verständlich.
Wir können nur Französisch und dazu Latein.
Daß wir sonst nichts gelernt, bedauern wir unendlich!«
Erwidert einer: »Doch Ihr dürft nicht böse sein.«
»Im Wald ist man bei uns so höflich blos mit Dieben,«
Erwidre ich: »Vor mir habt aber keine Angst!«
»Besorgt sind wir, doch Furcht, das wäre übertrieben!«
Gesteht man mir: »So sage denn, woran Du krankst.«
»Da Ihr mich duzt, so sprecht Ihr wohl mit meinem Schatten,
Mit meinem Kleid, und was mich sonst vor Euch beschützt!
Der Muth, der Euch entsank, kommt wieder Euch zu statten,
Doch nichts scheint rasch wie Euer Anstand abgenützt.
[436] Das Wamms, zu dem Ihr sprecht, deckt besser meine Blößen,
Ist es auch arg gestickt, als wäre ich ein Narr:
Die Seele schirmt es doch vor plumpen Mönchsverstößen!«
Sag ich: »Und giebt mirs Recht, daß ich beim Spaß beharr.«
»Ihr seid mir wohl im Land der Witzbolde geboren,
Das wissen wir nun doch, obschon wir es nicht sehn!«
Erwidert einer stink. »Ich laß Euch ungeschoren,
Mit Faust und Witz,« Sag ich: »wenn wir zusammengehn.«
»Giebt es bei Euch zu Haus auch Ketzerei und Hexen?
Erstickt man dort genau wie hier den Graus im Keim?«
Derart befragt, erwidre ich den Folterfexen:
»Es heißt, der Teufel sei im deutschen Land daheim.«
»Was Ihr da sagt, das kann ich wahrhaft gar nicht glauben,
In Spanien und in Frankreich ist es furchtbar arg!«
Erzählt man mir: »Wir sehen Hexen Kinder rauben,
Denn reines Menschenfett braucht man zum Sabbathquark.
Man nimmt auch Wolfswurz, Hexenkraut und Kot der Schwalbe,
Dazu noch Mohn und Blut von einer Fledermaus,
Das kocht man aus und walkt es dann zu einer Salbe
Und schmiert die Scham damit und fährt zum Dach hinaus!«
»Was Ihr da alles sagt, scheint mir beinah wahrscheinlich!«
Erwidre ich: »Ich habe heute viel erlebt:
Und sei ein solcher Vorgang auch im Grunde peinlich,
So möcht ich dennoch sehn, wie sich ein Mensch erhebt.«
»Das wird geschehn!« Sagt mir ein Mönch: »Bald wirst Du staunen!
In diesem Walde geht es eben schrecklich zu.
Man brüllt da, tanzt, das geht selbst über Tollhauslaunen.
Hier giebt ein Teufel tausend Weibern keine Ruh!«
[437] »Miau, Miau«! ich höre einen Chor von hundert Katzen.
»Da horcht einmal!« raunt ein Begleiter mir ins Ohr.
Und »Miau« und »Miau«: das pfauchen Weiberfratzen
Und alle kratzen sich und kriechen platt hervor.
»Im Namen der Dreifaltigkeit, Satan entweiche!«
Beschwört ein Mönch schon diese wildbesessene Schaar.
Doch nur ein einziges Weib sinkt hin wie eine Leiche,
Und bei den andern bleibt es schrecklich wie es war.
»Miau, Miau!« So miaut man schon auf manchem Bäume.
Die Weiber klettern grad wie Wildkatzen hinauf,
Doch einige stürzen ab und wälzen sich im Schaume,
Der ihr Gesicht bedeckt, und manche packts im Lauf.
Unheimlich das! da zuckt ein Weib zu unsern Füßen.
Wir heben es rasch auf und lauschen, was es lallt:
»Wir müssen hier für unsere Wüstensünden büßen,
Weil wir uns wüthend in die Fürstin eingekrallt!«
Miau, Miau! und laut miauend nahen tausend Frauen
Und reiben sich an unsern Beinen schnurrend an.
Das Weib aber stöhnt weiter: »In Bubastis Palmenauen,
Bekam ich, selbst als Katze, einen echten Mann.«
»Jetzt aber kriegst Du wohl nur einen Koch der Hölle?«
Fragt schlau ein Bruder vom lateinischen Spital.
»Ganz kalt ist er, ach, wenn sein Muskel selber schwölle
Ich zerre, wärme ihn!« Ruft sie; »Doch er bleibt schal!«
»Rasch packt sie an: sie hat den Satanspackt gestanden!«
Ruft triumphierend jetzt der Johanniter aus.
Man knebelt sie. Nun liegt sie da in Häscherbanden.
Doch das ist lange nicht das Ende des Gemiaus.
[438] »Ihr Pfaffen, wahrlich, Ihr versteht Euch auf das Heilen.«
Entfahrt es mir: »Ich sehe, daß sich keine wehrt!«
»Es werden Brüder überdies herüber eilen,«
Erfahr ich: »Alle, sind im Teufelszeug gelehrt!«
»Der Satan scheint mir eher aller Schatten!
Und diesen,« sage ich: »Den schneidet Ihr nicht los!«
»Der Schatten ist der Narr, den wir im Sarg bestatten!«
Erwidert man: »der Teufel ist ein starres Loos.«
Miau, Miau! die höchsten Bäume sind erklommen.
Und hörbar pfaucht es ringsumher: »Wir lieben Euch!«
Ich aber denke mir, bevor noch Mönche kommen,
Schlag ich mich lieber plötzlich ins Gesträuch.
»Wir fünfe sind genug, wozu noch andere Brüder,
Ich helfe,« sage ich: »beim Heilen gerne mit!
Ich fürchte nichts: und wißt, ich bin ein nimmermüder
Verfolger von Mittaustiegern beim Sabbathritt!«
Miau, Miau! noch wetzen sich die Weiber stärker.
Wenn nur die Wölfin mich, geilschnuppernd, nicht umkriecht,
Sonst sitze ich des Nachts allein im finstern Kerker,
Es scheint, daß einer schon bei mir den Satan riecht.
»Du Katze aus dem Tartarus, Dich will ich heilen!«
Mit diesen Worten werfe ich mich auf ein Weib:
»Wir binden Dick mit unzerreißbar festen Seilen,
Sogar die Seele, wisse es, ganz wie den Leib!«
»Ihr seid kein Pfaffe, ach, Ihr könnt mich ganz verstehen!«
Entlallt es jetzt dem Mund der Frau, die nimmer miaut.
»Ich darf nicht,« sage ich: »Wie Gott die Gründe sehen,
Und Du hast sündhaft Dich dem Satan anvertraut!«
[439] »Wenn Ihr vergebt, so will ich gerne alles beichten,«
Fleht jetzt das Weib. »Es sei der Seele Dein Verziehn!«
Verspricht ein Mönch. »Als wir den Sabbathberg erreichten,«
Gesteht sie ein: »Befahl man uns, vor ihm zu knien!«
»Das Himmelreich steht Deiner armen Seele offen,
Doch diesen Leib, der einmal schon den Satan barg,
Könnte der Böse doch noch zu erobern hoffen,
Drum liegst Du,« heißt es: »Dir zum Heil noch heut im Sarg.«
Fürwahr, ich bin verblüfft! die Künste dieser Brüder
Sind wirklich von ganz eigentümlich großer Art.
Ich war ganz krank, ich zuckte schon, doch so ein rüder
Machteingriff in das Übel hat mich heil bewahrt!
Miau, miau, und wieder miau! und ohne Ende
Miauen ringsum tausend Frauen frech und laut.
Ich packe eine: »Willst Du, das ich Gnade spende?
Du hast mich,« ruf ich: »Früher lüstern angeschaut!«
»Du warst doch,« schmunzelt sie: »Mein furchtbar strenger Buhle!«
»Ergreift mich!« ruf ich fast. – Ich hab es nur gedacht.
Vorbei mein Leben, ja vorbei die Heilkunstschule,
Durchzuckt es mich! – Man hat sich übers Weib gemacht!
Man fragt: »Wann hast Du Unzucht mit dem Mann getrieben?«
Nun werde ich bestimmt von Augen überwacht.
»Am Nil sind wir allein im stillen Hain geblieben!«
Ich athme auf: »Er hat,« ruft sie: »Mich umgebracht!«
Gerettet bin ich! Und es sagt auch schon ein Bruder:
»Ob dieses Weib beim Sabbath war, ist ungewiß!«
Vielleicht besucht es Nachts ein grabentfahrenes Luder,
Drum hört, beim Foltern forscht nach dem Vampyrherzbiß.
[440] Miau miau! Es wehrt sich keine Frau. Das Miauen
Und Schnurren dauert fort. Man fängt sie alle ein.
Mit tausend Brüdern füllen sich bereits die Auen:
Die dunklen Kutten nahen uns in Doppelreihn.
»Oh Jungfrau!« Singt der Chor: »Nun sende Deine Gnade!
Durchglühe, Holde, das verstockte Sünderherz.
Entzücke es zur Beichte, denn um jede Schwabe
Ist es schade, wallt aller Staub doch himmelwärts!«
»Ihr Brüder hört, ich muß Euch jetzt sofort verlassen,
Ich kann kein Zeuge solcher Sünderflüche sein!«
Enrruscht es mir, »Du darfst nicht die Verirrten hassen!«
Erwidert man: »Du sollst Dich unserer Heilkunst weihn!«
Miau, miau! so höre ich noch weiter miauen.
»Oh Jungfrau« singt man: »Mach uns durch das Feuer rein!«
»Nein!« sage ich bestimmt: »Zu furchtbar ist mein Grauen!«
Für diesmal kneife ich noch aus und rufe: »Nein!«
[Der Athem der Natur, der Wind, die Phantasie der Erde]
[441] Der Athem der Natur, der Wind, die Phantasie der Erde,
Erträumt die Götterwolken, die nach Norden wehn.
Der Wind, die Phantasie der Erde denkt sich Nebelpferde,
Und Götter sehe ich auf jedem Berge stehn!
Ich athme auf und Geister drangen sich aus meinem Herzen.
Hinweg, empor! Wer weiß, wo sich ein Wunsch erkennt!
Ich athme tief: ich sehne mich, und Weltenbilder merzen
Sich in mein Inneres ein, das seinen Gott benennt.
Natur! nur das ist Freiheit, Weltallliebe ohne Ende!
Das Dasein aber macht ein Opferleben schön!
Oh Freinatur, die Zeit gestalten unsere Werkzeugshände,
Die Welt, die Größe, selbst die Überwindungshöhn!
Ein Wald, der blüht, das Holz, das brennend, wie mit Händen, betet,
Wir alle fühlen uns nur durch das Opfer gut.
Oh Gott, oh Gott, ich Mensch habe alleine mich verspätet,
Wie oft verhielt ich meine reinste Innergluth!
Im Thale steigt der Rauch, als wie aus einer Opferschale,
So langsam und fast heilig, überm Dorf empor.
Ich weiß es wohl, die Menschen opfern selbst von Ihrem Mahle,
Da eine Gottheit sich ihr Herdfeuer erkor!
[Ich glaube fest an Gott und an die ewige Gnade!]
Ich glaube fest an Gott und an die ewige Gnade!
Jungfrau Marie, auch Dich, oh Mutter, liebt mein Herz.
Du bist in mir ein Traum und eine Wehmuthslade:
Voll Demuth lege ich vor Dich die Furcht, den Schmerz.
[442]
Jungfrau Marie, der Thau der Ähren ist Dein Schleier.
Die blonden Felder sind Dein goldenes Sonnenhaar.
Die Liebe meiner Mutter Deine Weihnachtsfeier,
Und meine Unschuld, Mutter, ist Dein Weihaltar.
Jungfrau Marie, ein Mittagsfeld ist Deine Stirne.
Dein Auge mein Verstand, der jeden Wunsch durchschaut.
Die Brauen sind ein Adler über jedem Firne:
Aus Deinem Mund erlausche ich den Mutterlaut.
Jungfrau Marie, die Bauern hier im Thal sind Schwaben.
Aus Deiner Kehle klingt ein Heimathwort so wohl.
Der Blüthenwald ist nur die frömmste unserer Gaben,
Von Deinem Halsband jedes Dorf ein Karneol.
Jungfrau Marie, der Heimath Schutz sind Deine Hände.
Dein Herz ist die Vergebung meiner schweren Schuld.
Und Deine Schultern sind des Juras steile Wände,
Denn fern von welschen Menschen fühl ich Deine Huld!
Wenn ich im Thal, zerknirscht, bald für das Übel büße
Und liebe Gott und meinen Nächsten so wie nie,
Jungfrau Marie, dann fühl ich Deine heiligen Füße.
Und grüße Dich: ich liebe Dich, Jungfrau Marie!
[Das ist mein Heimathwald. Ich liebe alle Bäume]
Das ist mein Heimathwald. Ich liebe alle Bäume.
Ich kenne diese Räume.
Sie wuchten, kuppeln ihr Geheimniß zu.
Sie sind ja alle, alle, lauter grüne Träume.
Ach, wie gerne ich da säume:
Hier lege ich mich einst zur Ruh.
[443]
Ich schlummre ein und ruhe gut unterm Hollunder.
Da schau ich tausend Wunder!
Da lieg ich ohne Rock und Schuh.
Mich decken Spitzenfarren zu. Was brauch ich Seidenplunder!
Mein Schlaf ist ein gesunder.
Ein Bachlein sprudelt mich zur Ruh.
In Frankreichs weiten Auen kannte ich gescheite Frauen.
Wird sie mein Auge nochmals schauen?
Die eine sinnt wohl, was ich thu!
Doch die ist weit von meinem Traum, ich konnt ihr nie vertrauen:
Sie hat so dunkle Brauen!
Nun mache ich die Augen zu.
[Ist das die Sonne, sind es Augen die mich wecken]
[Ist das die Sonne, sind es Augen die mich wecken?]
Ist das die Sonne, sind es Augen die mich wecken?
Ein Mensch mit rothem Bart und Haaren sieht mich an.
Ich will ihm meine Rechte gleich entgegen strecken.
Ich sage ihm: »Grüß Gott!« Das ist ein heiliger Mann!
»Willst Du in meiner Grotte ein paar Wochen wohnen?«
Sagt mir gar sanft der Mensch im Einsiedlergewand.
»Ich glaube, edler Freund, das würde sich wohl lohnen!«
Erwidre ich. Und da erfaßt er meine Hand.
»Wir sind schon da, auf hundert Schritte liegt die Klause,«
Sagt mir mein Wirth, den ich jetzt still und gut beschau.
Er ist ein Riese und bestimmt im Wald zu Hause,
Sein Antlitz ist so rauh, sein Auge himmelblau.
[444]
Es trägt mein Rothbart eine dunkelbraune Kutte.
Jetzt bleibt er stehn, bestimmt hat er sich festgeheckt.
Ja, er befreit sich schon aus einer Hagebutte
Und sagt: »Sieh, wie der Wald mich liebt und neckt!«
»Hier duftet es so gut nach allen Waldesharzen,
Und Beeren giebt es.« Sag ich: »Wie ichs nirgends sah!«
Ich seh, mein Wirth hat das Gesicht ganz voll von Warzen,
Und viele, viele Fliegenpilze wachsen da.
»Nicht wahr. Wir halten ein paar Tage recht zusammen!«
Ermuntert mich der Klausner und ich sage: »Ja!«
Ich staune: Felsen seh ich wie erstarrte Flammen.
Doch hinterm Heckendickicht lodert es beinah.
Da wohnt der Einsiedler: »Ach, das ist wirklich niedlich,
Da weiden Rehe hinter einem Bohnenzaun.«
»Nicht wahr,« sagt mir mein Mann. »hier ist es friedlich?
In dieser Grottenklause hoff ich zu ergraun.«
Da tragt jetzt eine Eberesche Prachtkorallen!
Wonach? Ja, nach Zyklamen duftet unsere Schlucht:
Bei Gott, nun fühl ich es, da kann es mir gefallen!
»Ein Eichkatzchen, ein Fuchs!« Ruf ich: »Plumps eine Frucht!«
[Mein liebes Kind, sagt mir mein weiser Held und Lehrer!]
»Mein liebes Kind,« sagt mir mein weiser Held und Lehrer!
»Ich werde Dir jetzt meine Einsicht offenbaren.
Der Schritt nach Norden wird den Menschen immer schwerer,
Und auf sein Wollustopfer stürzt der Sonnenaar!«
[445]
Verstand und Kraft, die sich im Manne furchtbar paaren,
Empfinden, ahnen Gott, der in der Seele lebt.
Den Wandel bannend, zahlen wir nach Erdenjahren,
Der Schein jedoch vermuthet was uns nie entschwebt.
Der Herrgott selber wächst mit unsern Sonnenkräften,
Und anders, ohne Unterschied, in jedem Glied!
Es ist, als ob die Völker Pilgersegel refften,
Obwohl der Odem sie, durch Gegenwinde, schied.
Die Erde, unsere Lebensgluth, was Unbegonnen,
Der Dinge Frist, das Nichts, sind voll von Deutlichkeit.
Nicht Sie sind Alle! Sprudel nie! Nur Fluch von Bronnen,
Und dem Gedanken eine holde Bräutlichkeit.
Doch Christus ist die Ruhe Gottes und der Dinge.
Er ist das ganze Ja und das bejahte Nein,
Der Ursprung, der nur kreist, daß er sich jung erringe:
Er blüht ihm Heil und überglüht der Sterne Schein!
Die Gnade ist kein Sinn, kein Sein, sondern blos Einheit.
Sie ist das Leid der Gottheit, das sich offenbart:
In unsern Seelen aber schmerzbefreite Reinheit,
Die Liebe im Geschöpf, die sich ums Urweh schaart.
»Ich selber sterbe!« hat die Gottheit ausgesprochen!
»Wir wissen es«, einst endigt unser altes Weltenleid:
Soeben stirbt ein Stern, Schmerz hat sein Herz gebrochen,
Und ewig ruft es: »Todte, ach, wie schön Ihr seid!«
Gott selbst ist eine Gluth. Die Gnade ist sein Glühen.
Der Heiland hat sie über seinen Tod verneint.
Mit der Erfüllung müssen wir uns nordwärts mühen,
»Denn dort ruht sie noch tief, versteinert, rein verneint!«
[446]
»Nicht wahr, Du Meister,« sage ich: »Der Gottheit Ende
Ist nur ein Bild, wie aller Tod und Ungeburt.
Wir wachen, wirken nicht, der Geist der Gegenstände
Tritt unter uns und heißt: ich bin, was Ihr erfuhrt!
Das Chaos giebt es nicht: es kann sich nicht gebaren!
Die Gnade ist und muß darum lebendig sein.
Gott sündigte, um uns Erlösung zu gewähren:
In Ewigkeit ist selbst der Tod von Sünde rein.«
»Mein Kind, das ist der Geist, den Christus uns versprochen!«
Erwidert mir mein sorgenloser Gottesmann:
»Er ist aus unsern Seelen herrlich ausgebrochen:
Jetzt lebt der Gott, den sich der Mensch dereinst ersann!
Bald werden wir ihm keine Tempelräume schaffen,
Auch Christus wird nicht mehr als Heilsgestalt bestehn.
Er kann sich voller Menschlichkeit dem Bild entraffen
Und urlebendig in den Weltgeist übergehn.
Der Geist in der Dreieinigkeit ist auferstanden:
Der Lebensgott und Christi Gnade sind nur Er.
Die Einheit hören wir aus unserm Herzen branden,
Durchs Anderssein ergründen wir sie nimmermehr!«
»Warum sprichst Du vom Glühen und von Gottesflammen,
Ist auch das Feuerelement blos ein Symbol!
Ein Bild scheint mir ein Keim, dem Thatsachen entstammen,
Und heute,« sag ich: »Fassen wir bereits ein Wohl.«
»Mein Kind,« spricht nun mein lieber Meister: »Jedes Gleichniß,
Das tausendfach entsteht und ewig furchtbar wiederkehrt,
Ist Wirklichkeit und nicht, was mehr ist, ein Verzeichniß
Undeutbarer Weltwahrheiten, die man verehrt.
[447]
Was Gott geschaffen hat, war kraftvoll ausgestattet:
Leibhaftig hat der Geist sich in die Nacht gesenkt,
Und jedem Weltgedanken, der das All verwaltet,
Hat seine Bildwucht erst die Lebensform geschenkt.
Denn glaube, Sonnenstrahlen sind blos Gottesarme,
Mit deren Wucht Er alles zu zermalmen droht,
Doch seine Hände sind auch weiche Luft, und warme
Leibhaftigkeiten schafft der Tag durch Selbstgebot.
Seid jeher glühte Christus in der Nacht der Erde,
Aus jeder Blüthenschönheit, die aus Liede starb.
Im Abendwind, aus jeder Dankbarkeitsgeberde
Des Baumes, der am Tag sein Feierkleid erwarb:
Aus jedem Reh, durch dessen Blick der Jäger zagte,
In allem Kindeslachen ist er hold erwacht!
Der Heiland ist der Mensch, der in der Menschheit tagte,
Und Christus hat die That der Erdmutter vollbracht.«
»Da er ein Mensch war, wollen wir die Menschen lieben
Und ihn verehren, wo man seinen Nächsten schätzt.
Es ist uns,« sage ich: »Sein Fleisch und Blut geblieben,
Der Geist hat unsere Leiblichkeiten festgesetzt.«
»Mein Kind, es naht das Ende der Gewaltaskese,
Die Keuschheit hat uns Selbstzucht hintermacht,
Es ist bestimmt, daß unser Weib des Fluchs genese:
Des Fleisches Auferstehung,« sagt er: »Sei vollbracht!
Gewahrsagt ward im Inderland von einer Nymphe:
Der Mann steige dereinst zu Gott allein bergan.
Das Weib entsinkt ihm da, im eigenen Fleisch und Schimpfe,
Doch auch der Tag erscheint, da er sie freien kann.
[448]
Es hat der Mann sich einst vom Weibe ganz geschieden,
Aus Freigeschlechtlichkeit die Welt nicht mehr gekannt!
Doch stürzte er: Und wieder wandeln wir hienieden!
Nun rächt die Erde sich: wir sind dem Weib verwandt.
Wir Menschen treten uns seit langer Zeit entgegen.
Der Mann, der jetzt die Frau über sich selber setzt,
Empfindet, daß er nach den steilen Wanderwegen,
Das Weib, das sorglos schlief, sonst nimmer würdig schätzt,
Mit ihm die Kraft des Geistes furchtlos zu erfahren:
Und glaube mir, viel Männlichkeit durchtränkt die Frau,
Sonst könnte sie die eigenen Tiefen nicht gewahren:
Nie träfe sie der Mann am Wanderwunderbau.
Kämst Du, mein Kind, nach einigen hundert Jahren wieder,
So wärest Du nicht mehr des Weibes Kavalier,
Es käme als Gefährtin freier Töchter nieder
Und hälfe dir!« Da frage ich: »Das Weib in mir!«
»Mein Kind, Du sollst nicht blos das Innigste verstehen!
Denk auch,« Erfahre ich: »was Dich am Tag erfreut!
Gefährlich ists, in Wissenswehmuth zu vergehen,
Und Pflichterfüllung, daß man Urerkennrniß scheut!«
»Von Spaniens Klippen, wo die letzten Mauren hausen.
Über Sevilla und Toledo braust ein Sturm!
Es tanzen ihn Gespenster, Hexen und Banausen,
Und siehe,« sage ich, »es zieht mich zu dem Wurm!
Es freute mich, mit einer Metze mich zu drehen,
Und im Besitz von Weibern will ich untergehn.
Im Taumel fühlt ich eisigtief die Pyrenäen:
Ganz Frankreich könnte meiner Lust nicht widerstehn!
[449]
Von tausend Teufelinnen durch die Luft getragen,
Entleerten wir uns allesamt über Toulouse!
Das wäre wildes, gottverdammtes Lusterjagen:
Nein, nein, mit keinem Weibe wandre ich zu Fuß!
In meiner Freude will ich wie die Eulen fliegen:
In einer Nacht zehntausendmal vom Riff zum Rhein.
Die Ehe hasse ich und das Zusammenliegen:
Ich will ein schöner Träumer meiner Sünde sein!«
»Es würde Dich der Sabbath ganz bestimmt anwidern,
Du nahmst,« erfahre ich, »daran noch niemals Theil.
Die Welt läßt sich nicht heilsam ineinandergliedern,
Denkt jeder nur an seine Lust und nicht ans Heil.
Die Gluth der Sinnlichkeit kann selten frei erglimmen:
In Indien und im alten Rom, da hat das Meer
Vermocht, die Rhythmen der Familie klar zu stimmen,
Doch heute ist man weibertoll und wonneleer!«
»Das nächste Mal jedoch will ich zum Sabbath reiten!
Daß ich ein Sünder bin, oh Meister, weiß ich wohl.
Doch was die Sünde ist, darüber läßt sich streiten,
Was man so nennt,« Erwidre ich: »Ist ein Symbol!
Durch jeden Schritt und Athemzug sät man Zerstörung.
Als unser Schöpfer übel that, war ich dabei.
Doch, daß ein Mord schon Sünde sei, das ist Bethörung:
Das Leben ist die Sünde, Gott haßt blos das Ei!
Aufjubeln heißt, die dumme Niedertracht vergessen.
Die zehn Gebote sind ein eitel Staatsgeschäft.
Zum Sabbath stiegen, heißt sein Ungewicht ermessen,
Und teuflisch ist man nur, weil man den Flug nachäfft.
[450]
Der Satan trachtet seinem Gott schrittweis zu gleichen.
Den dummen Teufel, der ihn nachahmt, nenne schlecht.
Der Spiegel selbst, der Neid, die Sucht, Ruhm zu erschleichen,
Und das Geschlecht ist schlecht, so lange es ein Knecht!
Ich aber trachte keine Rotznase zu zeugen.
Dem Schöpfenden sind Dienst und Zufallspiel ein Graus.
Ich will mich nicht vor Gott und seiner Prüfung beugen,
Und schaffe gut, wie das Genie, aus Gott heraus.
Mein Weib ist weich und frei. Mein Zweites ist meineidig.
Und unsere Lust gellt jungen Jubel in die Welt.
Die Luft ist gut. Kein Pfuhl ist so geschmeidig.
Sag Beelzebub, ob dieses Dreiblatt Dir gefällt!
Ein Hagelball ist unsere Sommernachtmatratze,
Die hält uns frisch, und nimmer dampft der Weiber Schweiß.
Im Winter deckt der Föhn mich zu mit meinem Schatze:
Ein Geist bin ich und liebe leichtes Traumgeschmeiß.«
»Mein Sohn, knie nieder und empfange meinen Segen!
Du reizt Dich oft zu grausen Sabbathträumen auf.
Ich weiß: Dein Sündenüberblick ist kühnverwegen
Und drum erlaubt auch Gott nicht Deinen Heilsverkauf!«
Das höre ich und fühle Hände auf dem Haupte,
Und dann: »Oh Herr, bewahr ihn vor dem Thatentschluß!
Nur Du, sein Schöpfer weißt, was ihm die Heimath raubte.
Mein Kind, nun ziehe fort, das war mein Abschiedsgruß!«
[Die Blätter lächeln, alles kichert rings vor Freude]
[451]
Die Blätter lächeln, alles kichert rings vor Freude,
Ich nenn es so, weil ich den Wald ja nicht versteh!
Natur, erklärst Du Dir mein blaues Traumgebäude?
Erkennst Du Dich in mir, Du treues, scheues Reh!
Du fliehst mich ja, Du gleichst wahrhaftig meiner Seele:
Fliegt auf, Ihr Vögel stiegt! Ich schlage auf den Strauch:
Hei, hui, davon, davon, doch stumm bleibt meine Kehle,
Dahin, ganz still dahin ist der Betrübtheit Rauch.
Ich stehe starr, im lauten Walde und alleine.
Entwurzelt sich in mir ein junger Wesenstraum!
Was ahne ich! Ich weiß nur, daß ich innig weine:
Aus Trauerkränzen überbaut sich so ein Baum!
Ihr Siegerzweige könnt Euch in den Äther strecken,
Ach, Eure urbewußte Stummheit ist zu stolz!
Ihr fühlt die Wurzeln, die Euch unbeugbar erwecken,
Ihr seid erfaßter Saft im ungebrochenen Holz.
Unscheinbar, wie aus Überdruß, tragt Ihr die Zapfen.
Die Eichel kündet Euern kleinlichen Verfall.
Bleibt wurzelstark, packt immer andere Waldstandstapfen.
Beharrt, als aller Unschuld sterbensfreier Wall.
Wie nackt und arm empfinde ich des Daseins Schande.
Wie dumm, wenn unser Wurzeln, lustbewußt, aufzuckt.
Der Tod verfolgt uns für gebrochene Stammbaumbande,
Der Urwald ist es, der um Wanderwesen spukt.
Ach Wald, mein Dasein faß ich hier als Kraftgedanken,
Beim Wandern aber rauschst Du über mir als Traum.
Ach Wald, ich weiß, daß wir die Einsicht Dir verdanken,
Mein Leib ist blos ein Schatten, und ich selbst bin Baum!
[Nur der Bach kann lachen. Nur die Nacht kann lachen]
[452]
Nur der Bach kann lachen. Nur die Nacht kann lachen.
Es ist ja bei Kindern fast immer nur Scherz.
Nur wer liebt kann aus Liebe sich wirklich was machen,
Und wer singt, dazu singt, nur der kennt den Schmerz.
Nur der Maiwind kann tanzen. Welche Maid will nicht tanzen?
Meine Maid mag nicht tanzen. Meine Maid hat kein Herz.
Nur die Luft ist oft lustig: und drum nimm deinen Ranzen
Und denke, du liebst, und dann liebt dich der Schmerz.
[Ich weiß das Lied von einem Wichte]
Ich weiß das Lied von einem Wichte,
Eine ganz einfache Geschichte:
Er war das Launenkind vom März
Und hatte wie der Mensch ein Herz.
Sein Vater war vielleicht die Kälte,
Drum kriegte er von allen Schelte;
Wenn seine Mutter Windsbraut blies,
So hieß es, daß sie ihn verstieß.
Auf einmal kamen laue Winde.
Die Spechte klopften an die Rinde.
Da hüpfte auch des Wichtes Herz,
Doch trieb mit ihm die Freude Scherz.
Er sah die Schwalben Nester bauen,
Das Frühjahrsgrün auf allen Auen,
Ganz einsam blieb nur er, der Wicht,
Und rief: Noch blüht die Linde nicht!
[453]
Es kam der Blüthentraum der Kirschen,
Im Wald das Kalben von den Hirschen.
Auf einmal schlug die Nachtigall:
Und horch, man horchte überall!
Das Wichtlein blickte hin zur Linde,
Sie rauschte kaum im leisen Winde.
Warum wohl die sein Traumbild war!
Wer weiß: sie schien ihm wunderbar.
Mit Blitz und Donner kam der Regen,
Um auch die Rosen wegzufegen.
Da fürchtete sich unser Wicht,
Es blieb sein Herz im Lenz so schlicht!
Die Mutter fiel ihm ein im Sturme.
Er blieb mit einem Regenwurme
Im Nassen oder gar versteckt.
Dann ist sein Freund, der Wurm, verreckt.
Auf einmal gab es keine Winde.
Verblüht war aber auch die Linde.
Gar blutig lachte noch der Mohn,
Da starb der Wicht an Leid und Hohn.
[Hätte ich ein Fünkchen Glück, wäre alles anders!]
Hätte ich ein Fünkchen Glück, wäre alles anders!
Wollte blauer Thauwind hold meine Segel schweelen,
Blitzte gleich durch mich der Geist eines kühnen Landers,
Und ich müßte nimmer mehr, mich ums Mehr zerquälen.
[454]
Wäre wenig anders nur: hatte ich ein Fünkchen Glück,
Träumt ich nicht voll Brunstgewalt in die nackte, kalte Nacht,
Denn ich fühlte mich im Weib, bis in meinen Grund zurück:
Würde je mein Graun getilgt, hätt ich keinen Sturm durchwacht!
Wüßte ich, warum ich fromm, daseinsscheu und seltsam bin,
Ahnte ich, weshalb um mich nirgends grünes Glück gedeiht,
Hätte dieses kleine Sein plötzlich schrecklich vielen Sinn!
Nirgends fände ich den Zweck und ich stürbe doch vor Leid.
Dennoch höre, Erde mich: ich bin auch ein Kind von Dir!
Erde, ach, ich liebe Dich. Liebe ist mein Erdensang.
Erde, liebe Deinen Sohn, wie die Pflanze, wie das Thier!
Erde, warum bin ich hier liebesarm und todtenbang?
Hätte ich ein Fünkchen Glück, hielt ich rein das Glück!
So ist oft mein Traumgesicht wild auf Lust erpicht.
Alles bleibt in mir Versuch. Nie gelingt ein Stück.
Sing ich das, so glaube ich, daß mein Herz mir bricht.
[Mein Herzog, mein Herzog, ich bin überwunden]
Mein Herzog, mein Herzog, ich bin überwunden:
Mein Herzog, mein Herzog, oh schweige, vergieb!
Du starbst doch am Kreuze, so laß mich gesunden,
Ich schüttle mich, rüttle: und Staub bleibt im Sieb!
Mein Herzog, mein Herzog, ist das Deine Gnade?
Mein Herzog, Du hast mich zu plötzlich gepackt!
Du knickst mich, ach, laß mich am Schmerzpilgerpfade:
Vor Gott und vor mir geh ich barfuß und nackt!
[455]
Mein Herzog, was that ich, was hab ich begangen?
Schon vor der Geburt, Heiland! schlugst Du mich lahm.
Du ließest mich furchtbar nah zu Dir gelangen,
Daß Schwindel, Verzweiflung bald über mich kam.
Nicht, daß ich vier Menschen, wie ich bin, getödtet,
Nicht das, großer Herzog, betrübt mich zu Tod.
Ich bin ob der Unthat urplötzlich erröthet
Und damit genügte ich Deinem Gebot!
Doch ohne die That warst Du niemals erschienen,
Ich hatte mich nimmer so furchtbar erwühlt!
Mein Herzog, ich seh Dich, nun muß ich Dir dienen:
Oh, hätte als Sklave ich nie mich gefühlt!
Die That ließ im Herzen den Urtag ergrauen:
Jetzt leuchtet in mir sanft und sonnig das Lamm.
Mein Herzog, ich mag nicht so tief hinabschauen:
Mein Herzog, Du heilst nicht, das trübt noch den Schlamm!
Mein Herzog, Du bist das Gespenst aller Gnade:
Ich hab Dich als Sünder und Schöpfer erkannt.
Nun sage mir, wie ich der Qual mich entlade:
Nur wer Dich durchschaut, sei Dir gleich, arm genannt!
Denn Reichthum, mein Herzog, ist Freiheit! kein Elend!
Und Du bringst Dich selbst in den Schöpfungen um,
Ich habe, das Heil und die Einsicht erwählend,
Mich furchtbar verflucht: Gott, oh wärest Du stumm!
Mein Herzog, mein Herzog, als Hiob erkannte,
Wie leidreich und arm Gott der Demüthige ist,
Da war es sein Herz, das zum Schöpfer sich wandte:
Oh schlage mich, Herr, der Du selbst Glück vermißt.
[456]
Mein Herzog, mein Herzog, Du triffst mich zu schrecklich!
Oh, sage warum Du in mich Dich vergrubst.
Du wußtest, ein Mord sei im Krüppel erwecklich,
Und suchtest, bis Du den Triumphschrei anhubst.
Mein Herzog, mein Herzog, Du hast mich vernichtet.
Mein Herzog, was hilft Dir ein einzelner Christ!
Jetzt triff mich: ich habe mich selber gerichtet!
Du blätterst: – wo Einsicht so tief an mir frißt!
[Nichts ist ermüdender als gut zu Mittag essen]
[457]
»Nichts ist ermüdender als gut zu Mittag essen.
Nun theure Freundin thue was mein Blut erfreut.
Du bist genügend lang gefräßig stumm gesessen,
Du weißt, daß sich mein Herz vor keinem Teufel scheut.«
Kaum sag ich das, so horcht die Buhlin auf und zwitschert;
»So lassen wir für heute den Nachmittagsspaß,
Doch wenn die Venus hoch am Osterhimmel glitzert,
So führ ich Dich zu aller Wollust grausem Übermaaß.
Die Thürme Speyers kannst Du gut von hier gewahren.
Rasch rutsch ich hin und bin zur Dämmerung wieder da.
Dann wollen wir zusammen durch den Schornstein fahren:
Nachts treibt der Satan allerhand Allotria.«
»Das ist ein Zufall!« Ruf ich: »Wahrlich eine Freude!
Ich forsche, frage rings im Elsaß und der Pfalz
Nach einer Sabbathbraut, neun Monde schon vergeude
Ich nutzlos wandernd, sprich hast Du das Satansschmalz!«
»Ich will es hurtig für die Auffahrt zubereiten.
Aus Speyer,« Hör ich: »bring ich was mir abgeht mit.
Es fehlt mir Uhublut, Fünffingerkraut und Kleinigkeiten
Wie Ratzenkoth, die nöthig sind als Salbenkitt.
Gestocktes Kinderfett liegt hier in meiner Truhe:
Du kennst die Beeren doch vom Nachtschatten genau!
Klaub sie heraus. Du bleibst allein. In aller Ruhe
Besorg das Amt: nach Sellrie halt ums Haus Umschau.«
»Ich bleibe nicht, ich will mit Dir hinein nach Speyer!«
Erwidre ich: »Mein Schatten macht mir angst und bang.
Ich fürchte mich fürwahr nicht vor der Teufelsfeier,
Doch dieser lange Albhallunke macht mich krank.«
[458]
»Ich tummle mich. Entwisch mir nicht. Ich komme wieder!«
Sagt mir das Weib: »Willst Du Prial zum Zeitvertreib!
Orolas, Char und Botis singen Wollustlieder,
Und Buar schlüpft in einen jungen Weiberleib.«
»Ich bleibe nicht, ich bleibe nicht, ich will nach Speyer!«
Erwidre ich: »Mein Schatten macht mich seelenwund.
Kein Teufel ist mein irdischer Gespenstbefreier,
Der Satansschatten da verfolgt mich wie ein Hund!«
»So laufe was Du kannst und hole was ich brauche!«
Sagt mir das Weib: »Beim Katzenstein wohnt Eligor
Mit Ix der Hexe, mit dem Fuchspelzbauche,
Die giebt Dir alles, zeigst Du diesen Zettel vor.«
»Verflucht!« ruf ich: »Du kommst nicht mit! der dumme Schatten
Begleitet mich und ist so schnell wie ich am Ort.
So hager als er ist, er kann doch nie ermatten,
Stets ist er da, bei Wollustgrauen, Scham und Mord!«
»So humple fort!« ruft nun das Weib: »ich habe Eile.
Beim Sabbath bleibt der alberne Geselle weg.
Mit Volak machst Du, bis ich elf zähl, eine Meile,
Und wenn Du wiederkommst, so hol ihn Dir im Dreck.«
»Halloh! juhei! ich tanze heut mit einem Weibe!
Ich laufe hurtig,« rufe ich: »sonst huscht ich stets
Den Bötzentanz mit einem Traum, statt einem Leibe:
Mir scheints, der Haß gegen den Schatten da verräths!«
»So lause denn,« schreit laut das Weib: »ich hole Otze,
Und mache Quark, bevor der Ostertag verglimmt.
Dann wirst Du sehn, wie ich dem Römerherrgott trotze,
Komm bald zurück, heut Abend luderst Du bestimmt!«
[Oh Dom Du! – Was ist das. Wie furchtbar! Wie entsetzlich!]
[Oh Dom Du! – Was ist das? Wie furchtbar! Wie entsetzlich!]
[459] Oh Dom Du! – Was ist das? Wie furchtbar! Wie entsetzlich!
Gespenster umwirbeln Dich schattenhaft blaß.
Sprecht, seid Ihr auch Schemen? Ihr scheint unverletzlich,
Doch selbst Eure Hagerkeit dünkt mich zu kraß!
Da sagt mir ein Bürger beinahe in Thränen:
»Ein gräßliches Unglück umnachtet die Stadt!«
Oh sieh diese Schlünde, die überall gähnen,
In die sich die Tanzschaar hier eingekerbt hat.
Heut ist es ein Jahr, seit der Wirrwarr begonnen.
Es rief eine Hexe: »Der Sabbath stockt da!«
Da hat sich der furchtbare Wuthtan; entsponnen.
»Der Rhein ist der Wall!« Schrie sie auf! Dann: »Hurrah!«
»Wahrhaftig,« erwidre ich: »Das da sind Leute!
Doch sehn sie bestimmt nicht. Ihr Blick ist zu starr.
Es sind ja beinahe nur Knochen und Häute:
Ein Schatten ist dicker als so ein Tanznarr.«
»Sieh hin, diese Leiche dort tanzt ohne Arme.
Es ist das die Tochter des Küsters vom Dom.
Der Vater beschwor sie und packte die Arme.
Ihm blieben die Arme, das Kind diesem Strom.
Noch wirbeln sie weiter. Ein Jahr ist vergangen.
Kein Bischof, kein Segensspruch bändigt die Wuth!«
Erfahr ich: »Sie haben schon gar kein Verlangen,
Dreitausend aus unserer Stadt sind es gut!«
Die Kleider sind Fetzen, das Fleisch faul wie Hadern:
Ein Gnom schleppt wohl jeglichen Todten dahin.
Ganz schwarz ist das Blut nun bestimmt in den Adern.
Man schaufelt und schabt schon in Gruben tief drin.
[460] »Das Grab, das da klafft ist nur Schatten auf Schatten.
Die stets gleichen Massen zerkratzen den Grund.
Die Schatten thun,« Sag ich: »das Amt schwerer Platten,
Und glaubt, unser Wegbruder wetzt sich oft wund!«
Der Bürger ist weg, und ich schau auf die Puppen.
Das sind trockene Mumien mit lebendem Haar.
Sie tanzen und fallen, wie zuckende Schnuppen.
Oft grinst schon ein Loch, wo die Nase einst war.
Die Flechten sind frei und bestimmt voller Läuse.
Ja Würmer zerfressen den furchtbaren Spuk.
Ein Zahnlückenmund klafft als Schneckengehäuse,
Und siehe, der thut einen grausen Schaumschluck.
»Heut muß man den Domprobst hier drinnen verscharren.
Der Tod hat ihn diesmal als ersten erlest.
Selbst heute, am Ostertag, schiebt man den Karren!«
Spricht jemand: »Denn wißt, er ist schrecklich verwest.«
»Man zieht ihn nicht, sondern man wird ihn nur tragen.
Seit Ostern starb niemand, nun ist es ein Jahr!«
Giebt jemand zur Antwort: »Doch seht, wir beklagen
Die ganze verdammte, wildtanzende Schaar.«
Wahrhaftig, da bringen acht Nonnen den Todten,
Im offenen Sarg, mit Kapuzen vermummt:
Sie kommen von oben! Acht Schattenvorboten
Sind furchtbare Phallusse! Horcht, was man summt:
»Oh Herr, gieb der Seele des Erdpilgers Frieden
Und fege, oh Feuer, was Makel ist, weg.
Es büßte die Seele schon manches hienieden,
Nun fege, oh Feuer, den letzten Schandfleck!«
[461] Jetzt tanzen die Leichen noch rascher und grauser
Und sperren dem Leichenzug, wirbelnd, den Weg.
Da ruft eine Stimmet »Der Probst war ein Knauser
Und selbst im Gebet für die Tanzmumien trag.«
Ein Pater erhebt seine Hände und bittet:
»Ihr Schatten des Vorhöllenfeuers macht Platz!«
Ganz nutzlos, der Tanz wird nun ganz ungesittet!
Es macht ein Gespenst auf den Sarg einen Satz.
Dann bricht eine Nonne ermattet zusammen.
Die armlose Leiche zeigt grad auf den Thurm,
Da heißt es: »Wir wollen uns alle verdammen,
Man lautete nicht, dafür naht nun ein Sturm!«
Entsetzlich ist jetzt der Lebendigen Erregung!
Man flucht und man betet, macht Zeichen und schreit.
Ein Dompfaff versucht eine Irrthumsauslegung,
Jetzt packt eine Leiche, die tanzt, eine Maid.
Nun endlich beginnt dumpfes Todtengelaute.
Gleich macht auch der Tanzspuk dem Leichenzug Platz.
Ganz langsam verstummt das Geheule der Leute:
Es endigt der Leichen entsetzliche Hatz.
Es dröhnt nun der Brummbaß. Es klingeln die Glöckchen.
Es legen Verreckte sich knirrschend ins Grab.
Drei todte Blondinen erheben die Räckchen
Und wirbeln dann grinsend ins Ringloch hinab.
Jetzt geht es zu Ende! Bald haben wir Frieden!
Vom Dom her ertönt schon der Todtengesang.
Da liegen sie alle, die tanzend verschieden,
Doch gräßlich erhebt sich der Leichengestank.
[462] Ein furchtbarer Rummel durchdonnert die Ruhe.
»Die Pest!« Ruft man ringsum. »Die Pest, seht die Pest!«
Ich weiß nicht, warum ich verzweifelt mitthue.
Auch ich schrei: »Die Pest, seht zu Christi Hülfsfest!«
Ich weiß nicht, was soll die Erbitterung bedeuten.
»Die Juden und Ketzer verpesten das Land,
Wir wollen die Hexen verbrennen und häuten!«
Das schreit man und kreischt man ringsum wuthentbrannt.
Es läuft schon eine Haufe zum Stadtthorgefängniß
Und fordert der Hinrichtung Zeuge zu sein.
Die Wache befindet sich erst in Bedrängniß,
Der Hauptmann jedoch kommt im Nu überein.
»Sie sollen verbrennen, wir wollen sie schinden,
Die Ketzer und Fremden verbreiten die Pest!
Verräther zertrennen, Gedärme auffinden,
Das wollen wir!« Wüthet man vor dem Arrest.
Das Volk schafft das Scheiterholz emsig zur Stelle.
Es ruft und es droht: »Gebt die Hexen heraus!
Das brennt schon!« Ruft plötzlich ein Foltergeselle.
Roth wuchtet es auf, und schon folgt der Applaus.
Ich weiß nicht warum, doch ich schrei wie besessen:
»Verurtheilt ist niemand, drum wartet noch zu!«
Es thut nichts, daß ich mich zu so was vermessen.
Man ruft nur: »Die Ketzer!« Und läßt mich in Ruh.
»Ihr Römlinge,« schrei ich: »Verdammte Verräther,
Verbrennt lieber Mönche! befreit unser Land!«
Da sagt mir ein Nachbar: »Das machen wir später:
Der Satan reicht Pfaffen und Hexen die Hand!«
[463] Ich rufe: »Ihr Schurken, Ihr grausamen Schufte!«
Da huscht schon das Feuer lebendig empor.
Mir ists, als ob jemand mich böswillig puffte,
Doch dringt sonst kein Schimpf gegen mich an mein Ohr.
Die Flamme wirft furchtbare Schnuppen von Schatten.
Die tanzen wie wahnsinnig rings um uns her.
Die Wabe pfaucht auf. Das Gericht geht von statten.
Es naht schon ein Zug. Das Gefängniß ist leer.
Erst kommen die Nonnen und singen im Chore:
»Herr Jesus verzeih Deinem sündigen Kind!
Maria, empfange im Weltthränenflore
Die Seelen, die bitter und böswillig sind!«
Die heiligen Schwestern sind wandelnde Schatten.
Die Schemen daneben hingegen sind wahr.
Es sind das da Irrwische, Augenblicksratten:
Ja, Fledermausschwärme erblick ich sogar.
Man singt: »Deine Gnade kann alles vergeben,
Auch Ketzern und Hexen, die Jesum verflucht.
Selbst wo sie vor Menschen das Haupt frech erheben,
Hast Du ihre Demuth, oh Heiland, verbucht.«
»Mama, ach Mama:« wimmern rasend die Armen.
»Mama!« nur »Mama!« brüllt die Sündopferschaar.
Die Scharfrichter halten sie stark an den Armen.
Die Flamme pafft auf, und es sträubt sich das Haar.
Es singen die schwarzen Gestalten: »Ihr Gnaden
Des Himmels ergießet Euch über die Welt,
Es brachten die Ketzer uns furchtbaren Schaden,
Der Mensch hat verziehn, will der Heiland Entgelt?«
[464] »Mama, ach Mama, lösch den Wuthsalamander,
Den rothen, den drohenden Unhold mach todt!«
Man klammert sich schreiend, ganz Angst, aneinander.
»Mama,« nur »Mama!« schluchzt der Mensch in der Noth.
Das Wort hat den Mann aus dem Weibe erhoben.
Nun stürzt uns die irdische Leiblichkeit nach.
Fast werden wir Zwitter! Die Brunstgluthen toben.
Der Geist sträubt sich auf und verdammt unsere Schmach.
Jetzt singt man: »Sie brachten den Streit und das Fieber
Und fuhren zum Sabbath! wir hatten die Pest!
Die Menschen verziehen: wir wissen, oh lieber
Herr Jesus, daß Du keinen Sünder verläßt.«
Man packt seinen Scharfrichter, halst ihn und bittet:
»Nur leben, nur leben, im dunkeln Verließ.
Die Mauer ist schwarz, jeder Ausweg verkittet,
Mama hilf, Mama, da uns Jesus verstieß!«
Jetzt steht schon, ganz schattenlos, mancher im Feuer.
Man hört fast kein Brüllen der bratenden Schaar.
Das Volk hier am Platz ward zum Wuthungeheuer.
Sogar den Mamaschrei nimmt niemand mehr wahr.
Da schrei ich: »Wir wandeln aus einem Vulkane!
Das da ist des Ararat Allflammenkranz:
Ihr opfert Zehntausend im Strafablaßwahne
Und seid nur des Urfatums blasser Abglanz.«
Es stammen die Ketzer. Es singt das Heer Christi:
»Qui Mariam absolvisti!« Und: »Mama!«
Hallt es noch laut: »Quondam mihi spem dedisti!«
Gehts weiter und Wahnschatten flattern ganz nah.
[465] Da schrei ich: »Wir nahen dem Araratkrater!
Wir wachen und wandeln durch Wabe und Glast,
Denn Gluth nährt das Drama im Alltagstheater,
Und alle hat Weinwuth und Wahnwitz erfaßt!«
Man packt mich beim Arme. Ich werde geschlagen.
Man schreit: »Diesen Fremdling zerblaut und verbrennt!«
»Ich sah ihn bei Kolmar, vor etlichen Tagen!«
Ruft jemand: »Er zeigte sein Klumpfußtalent!«
»Der Ararat spukt noch. Ihr kreuzigt Zehntausend,
Wie Gott es«, so schrei ich: »der Menschheit befahl!«
»Mama, ach Mama!« kreischt man fort, und wildbrausend
Entfachen rings Flammen unsagbare Qual.
Man fesselt mich, reißt meine Kleider in Fetzen,
»Der da hat vor Schatten, vom Sabbath her, Angst!«
Spricht jetzt jener Bürger von früher. Entsetzen
Erfaßt mich. Er lacht: »Daß Du Gnade erlangst!«
»Mama, ach Mama!« schrei ich laut mit den Schaaren
Von blassen Gestalten, die Jesus bestraft.
Man zieht und man zerrt uns an Armen und Haaren,
Ich rufe: »Wacht auf, die Ihr weltwandernd schlaft!«
Der Schatten der Obrigkeit macht lauter Possen.
Am Erdboden zeichnet er Schnurren voll Witz.
Doch mich hält der meine zurück: mit zehn Rossen
Bringt niemand mich fort, da ich schattenfest sitz.
»Bemüht Euch nicht!« ruf ich; »Mein bleischwerer Schatten
Beschützt mich: an ihm zog ich selber mich lahm!
Doch seht, meine Sühne geht trefflich von statten:
Ich lodre als Mensch, denn ich brenne vor Scham!«
[466] Ich weiß wohl: ich durfte kein Weiberfleisch kennen!
Nun werd ich davor durch den Henker geschützt!
Ich prahlte, ich wollte zum Hexenfest rennen
Und habe die Unschuld im Traum abgenützt.
»Du Zauberer!« schreit man und thut mir zu Leide,
Was nur eines Scharfrichters Rohheit vermag.
Doch ich und mein Schatten, wir halten uns beide
Mit Blutwurzeln fest, ja, ich fühl keinen Schlag.
Jetzt ruf ich aufeinmal; »Ach, laßt mich auf Erden!
Ich schlürfe die Farbe als himmlischen Kuß.
Ich lebe, begreifend, ein Künstler zu werden.
Ach, schwärzt meine Seele nicht furchtbar mit Ruß!«
»Mama, ach Mama!« So entschluchzt es Verirrten
Auf Erden, in loderndem Büßergewand.
Mir ists, als ob Schmerzfackeln nah uns umschwirrten:
Ich weiß, in ein Maaß ward das Leibleid gebannt!
»Das Erdrund war niemals so ruhig wie eben.
Es spukt nur der Berg, wenn Ihr Ketzer erwischt.
Doch bald wird das Innere der Welt selbst erbeben,
Dann werdet Ihr mild, denn der Gluthsturz erlischt.
Der Ararat aber wird Weltgericht halten.
In Euch ward die Wabe durch Selbstmarter stark.
Die furchtbar verhaltene Gluth wird Erdspalten
Weit aufreißen: Satans Welt fallt in den Sarg!«
Das rufe ich laut, und mein Schatten ermattet.
Acht Scharfrichter schaffen mich lahmen Mann fort.
Ich werde jetzt bald in der Sonne bestattet!
Ich falle ins Licht: die Erdranke verdorrt.
[467] »Oh Sonne und Erde Ihr seid unzertrennlich!
In mir, großer Lichtvater, bist Du das Weib,
Das Erdaugen liebt. Doch erkenn ich Dich männlich,
Als Theil dieser Erde und Meister im Leib.
Oh Sonne!« So bei ich: »Du scheinst nur so ferne,
Doch allgegenwärtig durchglühst Du mein Sein!
Du Erde wachst wirklich weit über die Sterne,
Du grübelst in mir Dich ins Weltall hinein!«
Mama, ich umhalse Dich wahr in den Flammen.
Macht rasch! rasch! Mama, ach Mama, welches Leid!
Wir brennen. Mein Schatten und ich sind zusammen.
Wie es wahnsinnige Schmerzstecken rings auf mich schneit!
Macht rasch! Rasch! Mama, ach Mama: wie ich rase.
Nur rasch! rasch nur, Rauch her: wischt Schmerz ab, wischt weg!
Nur rasch, ach, Brandfalter umflattern die Nase.
Nur Rauch, Rauch, ich brauche rasch Rauch im Versteck.
[Entsetzlich! das da ist die Gluth im Vulkane!]
Entsetzlich! das da ist die Gluth im Vulkane!
Ich liege im Schachte und werde verbrannt.
Wahrhaftig, dort braten die Sabbathkumpane,
Und ich bin im Tartarus tief festgebannt.
Doch bald pfauchst Du nimmer, Du letzter Titane!
Den Krater verscharrt die ringswachsende Wand.
Sofort ist im Tode das Erdleid vergessen.
Die Schmerzen der Brandwunden fasse ich kaum.
Ich hatte mich, sterbend, zu glauben vermessen,
Die Seele entfliehe als Taube dem Raum.
[468]
Doch nein, zwischen Araratfelsen und Pässen,
Gewahr ich noch immer den innersten Traum.
Ich bin noch nicht todt. Doch mein Tag ist erstorben.
Ich athme und qualme noch lustig dort fort.
Mein Leib wird von glühenden Bräuten umworben.
Der fiebernde Schmerzbaum jedoch ist verdorrt.
Die blühenden Blättergefühle verdorben:
Mein Wesen beruht nun bewußt auf dem Wort.
Entsetzlich! wir sterben und Schemen bestehen!
Was wirbelt dort grauenhaft krampfhaft ins Sein?
Ich sehe, wie Schatten sich wahnwitzig drehen
Und plötzlich dem Scheine Weltwahrheit verleihn.
Wo Helden und Ketzer im Urstaub aufgehen,
Hockt noch ihr Verfolger am Grenzmarterstein.
Sie holpern und hoppsen: und Einer packt alle.
Ein Rauchmeteor stürzt vom Gratkap herab.
Ein Mensch ists. Er trifft mich beim Falle
Ins Araratgrab. Doch scheint er mir schlapp!
Sein Wahnsinnsgelächter durchgellt die Felshalle.
Da liegt er! Mein Schatten! Er säumt mich ganz knapp.
Jetzt steht er vor mir: gar erbärmlich und hager:
Der nordische Narr, der uns nachschleicht und packt!
Er ist es! Des deutschen Gemüthes Erbplager!
Der Grübler und Nachrichter, der sich abhackt.
Er naht mir, als garstiger Kadaverbenager.
Da giebts keine Frage: er ist es kompakt!
[469]
Die Auferstehung des Fleisches
Die Apokalypse
Mein Grab ist keine Pyramide,
Mein Grab ist ein Vulkan!
Das Nordlicht strahlt aus meinem Liede,
Schon ist die Nacht mir Unterthan!
Verdrießlich wird mir dieser Friede,
Der Freiheit opfere ich den Wahn!
Die Künstlichkeit, durch die wir uns erhalten,
Den Ararat, wird meine Gluth zerspalten!
Der Adam wird zu Grab getragen,
Und übrig bleibt sein Weltinstinkt.
Der baut sich auf aus tausend Marmorsagen:
Ich selbst, ein Schatten, der zur Arbeit hinkt,
Vermag blos um den Ahnen tief zu klagen,
Da er durch mich, im Schacht, um Fassung ringt.
Das Grab, das er sich aufbaut, ist sein Glaube,
Daß ihm Vergänglichkeit sein Urbild nimmer raube!
Ich fühle, stolzer Erdenvater,
Dein Leid, das die Gesetze sprengt:
Ein Drama denkst Du im Theater,
Das tausendstufig Dich umdrängt.
Du athmest Freiheit aus dem Krater,
Der furchtbar sich zusammenengt:
Auf Deine Grabesruhe trachte zu verzichten,
Dann wird Dein Herzensstern die Welt belichten!
Ich selber bin ein Freiheitsfunke,
Das Gleichgewicht ertrag ich nicht!
Hinweg mit dem Erfahrungsprunke,
Ich leiste auf mein Grab Verzicht!
[473]
Die Gnade schäumt im Urgluthtrunke,
Als Übermaaß ins Weltgericht.
Doch das will ich mit meinem Schatten halten,
Ich träume Euch, befreite Erdgewalten!
Mein Grab ist keine Pyramide,
Mein Grab ist ein Vulkan.
Mein Hirn ist eine Funkenschmiede,
Das Wert der Umkehr sei gethan!
Kein Friede klingt aus meinem Liede,
Mein Wollen ist ein Weltorkan.
Mein Athmen schaffe klare Taggestalten,
Die kaum erschaut, den Ararat zerspalten!
[Es klimmt die Sehnsucht nach der Erdenfreude]
Es klimmt die Sehnsucht nach der Erdenfreude,
Aus meinem ganzen Wesen, hin zum Licht.
Dort wandle ich durch weite Traumgebäude,
Als ein maskirter, eigenmächtiger Wicht.
Ich führe blasse Mädchen traut zum Tanze,
Und die Verachtung der Moral ist mein Gericht!
Ich heirate in heiterem Festsaalglanze:
Erst kenne meinen Leib, dann das Gesicht.
Ich gebe mich nur halb, doch nehme ich das Ganze!
Du andere Maid, mir gut zu sein, ist Deine Pflicht.
Umarme mich beim bunten Maskenfeste!
Solang Du jenem folgst, behalt ich Dich in Sicht!
Du schönes Kind, die Liebe ist das Beste,
Das unsere Muttererde uns geschenkt,
Komm fort mit mir, sonst sind wir noch die letzten Gäste,
Komm, schlanke Maske, in mich eingehängt:
[474]
Komm aus dem Saal der Spötter und der Neider.
Sieh, wie mein Athem hin zu Deinem Munde drängt.
Wir Haben beide weiche Atlaskleider.
Aus Deinen Ärmeln schwillt das warme Fleisch.
Mein Kind, sieh her: es zittern schon die Fibern beider!
Von meiner Stirne, Mädchen, tilg den Schweiß!
Auf Deinem Busen fühl die Lippenwunde.
Wie kommt es: Deine weiße Haut ist kalt wie Eis?
Der letzte Rausch geht erst von Mund zu Munde.
Mein Kind, wie furchtbar wird Dein Unterleib!
Du hinkst! bist Du mit einem Teufel gar im Bunde?
Du bleibst im Kleid: ich bitte Dich verbleib!
Umschlinge mich! Du hast am Arm Geschwüre!
Wie Du verstumpfst? Fürwahr das ist kein Zeitvertreib!
»Du ekles Thier willst, daß ich Dich berühre?«
Ich bin verblüfft. Das Mädchen hats gesagt!
Ich weise diese Maske wüthend vor die Thüre.
»Die Öffnung ist zu klein!« Spricht nun die Magd.
Sie hat an Wucht und Krankheit zugenommen.
Ihr armer Körper ist von Fäulniß ganz benagt.
»Ich werde wohl Dein Fieber überkommen!«
Seufzt nun das Mädchen mit dem Trommelbauck.
»Nein, Scham für Dich ist Scharlach gleich, in mir erglommen!«
Kaum sag ich das, so fühl ich ihren giftigen Hauch.
Sie windet sich vor Schmerz und fletscht die Zähne,
Die ihr entfallen und dann faucht sie: »Fauler Gauch!«
Ihr Haar, das mich umschlang, sind falsche Strähne!
Nun sage ich: »Der Satan ist im Spiel:
Du hast ja eine RingelnatterRückenmähne.«
»Sei still!« spricht sie: »Du reitest einen Stiel!«
Da reiße ich die Larven wild herunter.
»Der Tod!« kreischt sie, der das Profil zerfiel.
[475]
Statt ihres Atlaskleides hält ein bunter
Bauchaussatzgürtel sie roth eingeschnürt.
Nun rufe ich: »So eine Braut stimmt einen munter!«
»Ich wurde krank, als Du mich kaum berührt!«
Giebt sie zur Antwort mir. Und ihre Füße
Sind hufbeschlagen, wies für Teufel sich gebührt.
»Entschuldige,« sag ich: »daß ich Dich begrüße.
Ich gehe fort, doch trifft Dich keine Schuld!«
»Wie!« Schreit sie; »Willst du, daß ich für Dein Lasterbüße!«
»Pfui Buhlerin!« Ruf ich, voll Ungeduld.
Da krampft sie sich an mich und schreit: »Verrather!«
Ich komm nicht fort. Und furchtbar wird nun der Tumult.
Wir werden scheinbar beide aufgeblähter.
Der Teufel weiß: war ich zuförderst krank!
Oder war sie es früher schon, und ich erst später?
Wir stehn bestimmt lang im Zusammenhang.
Wir bilden einen schrecklichen Kentauer.
Die Beine regt der nämliche Gedankengang.
Von unsern Stirnen rinnt der Schweiß der Schauer.
Sie fürchtet mein zerfressenes Gesicht:
Und ich bin ihr erschreckter Todtenkopfbeschauer.
Wir haben unser Zwitterdinggewicht
Und trampeln furchtbar auf mit unsern Hufen:
Und Finsterniß entwuchtet nun beim Tageslicht!
Wir sind zu einem Schreckgericht berufen.
Wir müssen tasten, da wir gar nichts sehn.
Doch wo wir rühren, wecken wir nur Wehmuthsrufen:
Um uns will das Gestöhne nicht vergehn.
Wir können unsern Luststug nur vermuthen.
Wir mögen uns vielleicht in Schicksalskreisen drehn!
Ach, werden wir Unseelige einst verbluten?
Wir greifen blos, um endlich still zu sein.
[476]
Wir wünschen nur, daß wir in einem Grabe ruhten,
Doch das geht furchtbar über Stock und Stein:
Wir hören unser Dunkelsein verfluchen.
Wie konnte unsere Lust uns solchen Schreck verleihn?
Ich will hier anzurennen doch versuchen:
Im Wahnweh kreischt jetzt eine Stimme auf!
Doch alles fühlt sich an, als wäre es umrindet.
Die Sinnlichkeit nimmt den Verheerungslauf,
Drum sind wir auch durch den Genuß erblindet!
Da pack ich schuldlos wieder einen grauen Knauf:
Ich fühl das Opfer, das sich ächzend windet.
Was soll ich thun! Ich rase fort und fort.
Ich weiß, daß auch das Weib das gleiche Graun empfindet.
Gott spricht aus uns bestimmt ein Richterwort!
[Durch die Vernunft mag ich das Menschenleid besiegen]
Durch die Vernunft mag ich das Menschenleid besiegen.
Es schwelgt mein ganzes Wesen im Erkenntnißraum.
Ich will die Wildnißzweige auseinander biegen,
Die tausend Zufallseinfälle beacht ich kaum.
Sie alle sind mit mir naturgetreu verbunden,
Doch nirgends saß ich ihren klaren Ausdruckssaum.
Ich schau in hellgestirnte Urvernunstrotunden.
Ich baue mir, aus tausend Träumen, Tempel auf:
Und da vernehme ich im Sange alte Kunden.
Probleme, Wahrgestalten kennt man jetzt zu Haus.
Doch die sind nichts als Spinnen menschlichen Geredes
Und ändern wirklich kaum den stillen Dingverlauf.
Jedwedes Weltsystem ist tief, doch ich befehd es,
Wenn es den Menschen nicht zur Erdbeherrschung lenkt.
Ich suche in mir selbst den Standpunkt Archimedes:
[477]
Ich sehe wie mein Lebenspendel ruhig denkt,
Und mein Vernunftbewußtsein laß ich dabei schweigen:
Und da erfaß ich, wie es vom Verstand abschwenkt:
Jeder Begriff ist meiner Wesenart leibeigen.
Er bebt, wie es mein inneres Gleichgewicht verlangt.
Doch schwingt er oft noch fort, wo Einsichten abzweigen,
Da ist es, da im Spalte, wo die Seele schwankt,
Wo ich versuchen muß, den Ursprung zu erkunden:
Um dieses Dunkel seh ich, daß sich Hoffnung rankt.
Mein machtvoller Verstand, Du magst Dich klar abrunden
Und sagen, was ich machen soll, um tief zu sein:
»Mein Bruder, aller Dienstbarkeit bist Du entbunden!«
»Nun so erforsch in Dir,« spricht er sogleich: »den Stein
Der Philosophen! den Raum und Kram mußt Du beschaffen
Und auch die Gluth Deines Gemüthes dazu leihn!«
»Was ich an eitler Habe kann zusammenraffen,«
Antworte ich: »Das alles hol ich Dir sogleich!«
Da lacht er: »Her den Tand, bald giebt es keine Pfaffen!«
»Den Ehering nimmer, da, dieser Stein ohne Vergleich!
Das alte Kruzifix noch kann ich leicht entbehren:
Hei, wie das glückt, ich schaffe frei ein deutsches Reich!«
Jetzt spricht er: »Theurer Bruder, lasse Dich belehren,
Im Kampfe gegen Rom ist das noch nicht genug,
Der Fürst wird Dir wohl einen Zuschuß nicht verwehren!«
»Da er mir Landvermeffungsarbeit übertrug,
Besitze ich aus seinem Schatz tausend Dukaten:
Befrei ich ihn damit, so ist das kein Betrug!«
Kaum sag ich das, so wird er gleich zum Advokaten:
»Gieb her, Du hast den Muth, ich den Verstand!«
Antwortet er: »Uns wird der Zukunftsstaat gerathen!«
Wie wunderbar: kaum ist das fremde Geld zur Hand,
So helfen uns schon tausend Kobolde und Gnomen,
[478]
Aus freier Warte überschau ich Ackerland!
»Ringsum bemerkt man schon die Besserungssymptome,
Du bist beliebt, treib selber jetzt die Steuern ein.
Diplome,« sagt er, »schaff in Dir wie die Phantome!«
»Nein!« schrei ich auf, »Ich wehre mich ein Schalk zu sein!«
Der Philosophendom entschwindet meinen Sinnen.
Es pendelt der Verstand, ich pack ihn: »Du bist mein!«
Er fühlt bestimmt, er kann mir nimmermehr entrinnen.
Er ruft: »Gelöst ist nun ein großes Weltproblem.
Was nur Erscheinung ist, erfaßtest Du von innen!«
Rein steht er neben mir. Ein Sternendiadem
Verweilt auf seinem Haupt, durch die Bewegungsringe,
Die ich sehe! Er ist herrlicher als ehedem.
Er spricht: »Du sahst die Last der sinnlichsten der Dinge:
Was auf der Erde feststeht, dreht mit ihr sich fort.
Was frei wird, sucht daß es die Linie sich erzwinge
Und trachtet tangential vom Erdberührungsort,
Zu dem es noch die Arschwingung mit sich getragen,
In andere Bahnen einzugehn, und zwar sofort!
Die Erde kann es dann sogleich erjagen.
Das ist, was man den Fall der Gegenstände nennt,
(Vom Pendel kannst Du immer den Beweis erfragen!«)
»Ja,« sage ich; »das kommt, weil alles vom Moment,
Da es dem Land entfallt, in seiner letzten Richtung
Zu bleiben sucht und sich vom Arumschwunge trennt!«
»Die Erde stürzt auf ihre Dinge. Die Vernichtung
Der Einzelheit,« spricht er: »ist sicherlich ihr Zweck!
Durch Unterscheidung aber schafft der Geist Erdichtung!«
Ich aber rufe: »Trotzdem rühr Dich nicht vom Fleck!«
Doch als ich zu ihm sprach, da war er mir entglitten,
Und schon gebärdet er sich überaus gewandt und keck.
Den Dom von früher seh ich Irdisches verkitten.
[479]
Die Hülfsgespenster, Nothphantome sind schon da,
Und er, der sie nicht merkt, beherrscht sie unbeschritten!
Ich seh genau: ein Glückszufall ist wieder nah.
Er wird, was sich bereitet, ganz naiv begreifen:
Brav, mein Verstand, verachte Du die Kabbalah!
Der Fürst tritt vor. Ich sehe das Verhängniß reifen.
Er zeigt ihm, von der Warte aus, was ihm gelang:
Er kann dem Prinzen einen Ring vom Finger streifen!
Ich hasse seine Habsucht, diesen niedern Hang,
Das Gold den anderen für Gedanken abzunehmen:
Doch hält sein Thatendrang mich ganz in Bann und Zwang.
Was kann ich thun? Wie soll ich seine Spannkraft lähmen?
Es winkt der Fürst: und Schmuck und Bücher schleppt man her.
Ich muß mich seiner Unverschämtheit langsam schämen.
Er blickt nur auf das Gold: mich sieht er gar nicht mehr.
Die Buchstaben beginnen hin und her zu tanzen,
Und zwar auf mir hoppst nun das winzige Wimmelheer.
Er liest im Buch. Da ordnen sich auf mir die Wanzen.
Er sieht in mich und er versteht den letzten Satz.
Ich diene ihm nur mehr zur Herstellung des Ganzen.
Antik und nackt erscheint zumeist ein Buchstabfratz.
Doch deutschen Aufputz trägt, was der Verstand erschaute,
Und unermüdlich dauert die Umkleidungshatz.
Auf einmal hör ich mir verwandte Laute.
Ja, Menschen sind es, die zum Fürsten dringend flehn,
Er möge rasch zerstören, was mein Bruder baute:
Die Steuern sind zu hoch, man muß es eingestehn!
Doch er lackt höhnisch auf und ringt mit Witz und Blitzen
Den Aufruhr nieder, und der Prinz laßt es geschehn.
Ich sehe ihn jetzt auf ein weißes Pferd aufsitzen.
Die Eheringe nimmt er noch den Leuten ab,
Die sich verzweifelt nun ihr Festgewand aufschlitzen.
[480]
Das Roß trägt einen Harnisch. Furchtbar ist sein Trab.
Der Reiter wirft rings Eisenspinnen in die Menge.
Die picken Beutel auf. Einer entrutsch ich knapp.
Ich seh das Übel, das ich als Verstand versprenge:
Mechanisch stinke Eisenfluggebilde schwirren
Ins Volk. Und ihre Rüssel von beträchtiger Lange
Durchbohren manches Herz. Und Gifthauche verwirren
Die Hirne der Verzweifelnden, die Gott verläßt.
Man hört den Reiter überall vorüberklingen.
Fürwahr, mein Bruder haust viel ärger als die Pest,
Denn er zerbricht Gewissen, anstatt Kerkerleiber!
Dem Christenthum giebt er in manchem Reich den Rest.
Er ist Tyrann und auch zugleich ein Geldeintreiber.
Polypenartig, weh, begreift er diese Welt.
Er ist Zutreiber, Pesthauch und Rezeptverschreiber:
Auf baares Geld hat er das Erdschicksal gestellt!
[Die Freiheit will ich. Und mein Wesen wird ein Bauer]
Die Freiheit will ich. Und mein Wesen wird ein Bauer.
Ich gebe es nicht aus: ich sprenge die Kultur!
Ich kämpfe wieder gegen Hitze, Fluth und Schauer:
In aller Trauer, steh mir bei, Natur!
Den Glauben laß ich mir durch keine Kirche rauben,
Denn er vertieft in mir, beim Furchen, seine Spur.
Fliegt auf, um mich, huihei, ihr meine wilden Tauben:
Schlau, steil und stracks, steigt auf, aus Eurem Nesterloch!
Dann hockt der Jäger nutzlos hinter Dornenlauben,
Ich mag Dich, Welt, nicht, doch mein Feld, das lieb ich noch!
»Heh Nachbar!« rufe ich: »Theilt Ihr mit mir den Grund?«
Der Einfall schon entfacht in beiden Zornesflammen.
»Mein Bruder!« ruft er, »uns vereint ein stummer Bund.
[481] Was Du auch brauchst, von mir sollst Dus empfangen,
Den letzten Trunk noch führe ich von Mund zu Mund!«
»Das weiß ich!« sage ich: »Doch lange kanns nicht langen.
Der Adel und die Pfaffen sind der Freiheit Tod.
Der Knecht wird schlecht bezahlt, der Landmann aufgehangen.
Ihr Überstuß, ihr Wissenskram ist unsere Noth!«
»Unsere Gesundheit,« ruft mein Nachbar: »ist ihr Grauen!
Genug der Worte: sän wir weiter Wein und Brot!«
Ich aber will bei mir die Saat der Freiheit bauen.
Mein einziger Genosse bleibt ein Dohlenschwarm.
Ich mag sein Kommen und sein Immermehrverblauen.
Gelt, Luftbettler, wir bleiben immer stark und arm.
Doch wehe jenem Fant! wir brauchen keine Steuern:
Kommt er mir nah, so fühlt er meinen Arm!
Man ruft: »Man will das bischen Leben noch vertheuern.«
Nur zu, nur zu, nur weiter auf den Ritter los!
Bald werden wir in seinem Felsenhorst einfeuern.
Man reißt ihn jetzt vom Roß. Schon kriegt er einen Stoß.
Ich höre ihn von evangelischer Freiheit quieken,
Nun stellt er sich durch seine Afterweisheit bloß.
Er fragt: »Seid Ihr lutherisch oder Katholiken?!«
»Zwischen zwei Übeln wähle ich das größere stets!«
Ruf ich: »Wir bleiben päpstlich brave Kirchenkieken!«
Nehmt schnell die Vogelscheuche meines Seleriebeets.
Ich setze sie aufs Pferd, sammt andern Kramgeräthen,
Und zünde alles an, laut unseres Felddekrets!
Die Grafenmähre gleicht jetzt einem Tagkometen.
Sie wiehert fürchterlich. Entsetzlich ist ihr Schmerz
Und gelb und blau schlägt man den Schloßpropheten.
Fürwahr, das war ein rechter derber Bauernscherz!
Doch was geschieht? Des Pferdes Flammen werden Flügel?
Das Roß steigt auf! Gar fürchterlich pocht mir das Herz!
[482] Der Tand verbrennt! tritt niemand in die Feuerbügel?
Den Aufruhr schnaubt das Roß. Und ringsum wird es Nacht.
Gar wunderbar erhebt es sich jetzt über Flur und Hügel.
Die Flamme ist in allen Herbergen erwacht.
Und zwischen Burgen zischen Blitze hin und wider.
Ja, auch im Felsschacht hat das Schlachtpferd Gluth entfacht:
Am Himmel glüht des Rachegeistes Lichtgefieder.
Nach Norden steigt es auf. Zum Richter wird der Mord.
Kommt Brüder, singen wir der Freiheit Feuerlieder.
Geprüft wird Ort für Ort. Erfüllt wird Wort für Wort:
Verbrannt die Burg der Schulden, erkannt das Urgedulden.
Es weilt des Heiles Hort, das Satansseil verdorrt.
Die Gluth der Unschuld wuchtet aus den Mulden.
Dem Krieg, der wüthen muß, entbiete ich den Gruß!
Das Blut am Himmel ist mein eigener Freiheitsgulden!
So ruft aus voller Brust: »Jamjam hiscit Flammeus!«
[483] Der Tartarus
Das wiechert und wimmelt, das schlingt Wirbelschlippse
Und sucht seine Ohnmacht in Fassung zu bringen.
Das Bild, das ich sehe, gleicht stockendem Gipse.
Was wird sich dem Staub und dem Wasser entringen!
Das da sind die Pferde der Apokalypse!
Die Dünste verklingen. Gluthschwingen zerspringen.
Das Unthier dort kenn ich: es ist meine Stute,
Die packt und zerfleischt alle Lasterbundrudel.
Sie speist sich mit faulem, verdorbenem Blute
Und sorgt, daß die Hure die Welt nicht besudel.
Ich fürchte ihr schreckliches Leid überstuthe
Mein Grab noch, als gischtbleicher Leichensturzstrudel!
Fürwahr, tausend Todte entkollern den Sargen.
Die Hufe der Stute zerknicken zu viele.
Kein Raum ist mehr rings in den Erdfriedhofbergen.
Der Tod übernimmt sich! Da springt eine Diele
Im Dome empor! Eine Zweite! Gleich Zwergen
Erstehen die Väter der Kirche! Jetzt sind wir am Ziele.
Gespenster entrecken sich schrecklich den Gräbern.
Verraucht sind der Drangsale bildliche Fluchen.
Umgeben von wirklichen Erdlichterstrebern,
Verdunstet die Stute in Eigenblutgluthen.
Luftlarven mit furchtbaren Rachedurstlebern
Vertilgen die Giftbrut in drei Urminuten.
Jetzt rennen zwei Hengste noch schneller ins Leben.
Ich sehe sie riesig viel Menschen zertreten.
Die Grüfte sind wieder so voll wie soeben,
[484]
Die Leichen jedoch, die sich ringsum verspäten,
Erbrechen die Särge, um selber, umgeben
Von Blechdeckeln, sich in ein Grab einzukneten.
Der Tod hat sich selbst voller Wuth überwunden;
Die Wucht seines Einbruchs belebt die Verreckten.
Ich sehe die Menschheit des Übels gesunden:
Gefährten des Elends, die Flecke bedeckten,
Erstehen im Grab, ohne Ausschlag und Wunden:
Da stehn sie nun frei von ererbten Defekten!
Es wüthen die schrecklichen Hengste noch immer.
Ich sehe sie Heerden ins Todtenreich treiben.
Doch gräßlicher noch sind die Gräberentklimmer,
Die Würmer und Schlaf aus den Hohlaugen reiben.
Der Ararat wankt! Grauses Sterbegewimmer
Ertönt von Entsetzten, die selbst sich entleiben.
Auch mich läßt der Schreck vor dem Ende erbleichen:
Das letzte Gericht will ich nimmer begreifen.
Vom Ararat stürzen bereits Einzelleichen,
Die ringsum die Sterbefluth hinter sich schleifen.
Oh, könnte ein Wille den Fallschwall eindeichen!
Ein Traum aber muß in sich selber ausreifen!
Das siebt durch die Zacken: das schwimmt zwischen Zinken:
Der Todesstrom stürzt von unglaublichen Höhen
Herab in den Schacht. Tausend Schaumleiber blinken.
Das sind keine Leichen. Das sind Körperböen!
Die könnten ihr Leben aus Wuthfluthen trinken,
Selbst wenn alle Wesen den Gräbern entflöhen!
Der Ararat kann seine Leichen nicht halten.
Er speit sie aus allen verrammelten Schluchten!
Es wimmelt in tausend versteckten Bergspalten
Und muß dann herab in den Dunkelschacht wuchten.
Das da sind des Weltfiebers Wahnwitzgewalten,
[485]
Die abermals unseren Wunschstern befruchten!
Das da sind Wahrschatten: das da Grabkalfakter!
Es stürzen Nationen herab in den Krater:
Der Leiberfall hat Kataraktbachkarakter.
Da zischeln Schaumlaster. Da fauchen Haßkater.
Und dort gießt es Menschen, wie menschlicher, nackter
Kein Richter sie jemals gesehn, noch ein Pater.
Der Fall von Millionen Lebendigen und Todten
Muß endlich mein furchtbares Schluchtgrab verschütten.
Ich seh, wie sich Gischtanekdoten verknoten
Und stolze Gemüther beim Absturz zerrütten.
Jetzt ists, als ob Falllustbegierden auflohten!
Hier wüthet das Drama der Burgen und Hütten.
Hernieder und immer noch tiefer hernieder,
Herab in den Erdschacht will alles leicht fallen.
Es pressen die Leiber ihr Lichtgischtgefieder
Ganz eng an die Glieder, um abwärts zu wallen.
So sacht wie ein Traum, ohne Flugschuh und Mieder,
Mag da jedes Wesen verwehen, verhallen.
Das schlägt an mein Grab an. Ein Schaumweib kommt näher.
Da stürzt eine wuchtige Leiberlawine.
Es werden mir gleich tausend Fleischaufersteher
Das Taglicht verkürzen. Schon rollt die Gardine
Ganz nahe heran, und um mich, Zwielichtseher,
Ists nunmehr gethan, wie ichs längst schon verdiene!
Was soll das! es zeigen sich vor mir jetzt Leiber!
Ich selber, ich selbst, bin vom Strom fortgerissen.
Es trägt mich ein Goldbett. Als Sturzübertreiber
Erstreben wir wieder ein hohes Gewissen!
Wir schwimmen empor unter wogende Weiber
Und werden dann frei zwischen Wahlhindernissen!
Ich fühle mich wieder ins Leben getrieben.
[486]
Es hebt mich und hilft uns das Feuer der Erde.
Ich sehe sein Gold aus den Grundschluchten sieben.
Besiegt ist der Lichtseele Kerkerbeschwerde.
Wir dürfen vor Gott unsern Leib wieder lieben.
Dem Fleisch wird vergeben, daß Weltfriede werde!
Wohl sieben Mal konnte ich lebend Leib wechseln
Und darf mich nun abermals menschlich bekleiden.
Das Feisch umgebären, statt Rechtsformeln drechseln,
Sich selbst für die Fleischfluchvertilgung entscheiden,
Der Bruch mit der Furcht vor zehn Beelzebubwechseln:
Das heißt Auferstehung aus Sterblichkeitsleiden!
Ich rolle im Golde und bin schon fast oben.
Ich kann meine Formen beinahe erfassen.
Ich höre die Nordsee den Weltberg umtoben
Und fühle die Brandung der Südgluth in Raffen,
Die hoch um den Pol ihre Freiheit geloben.
Der Geist unseres Heiles hat Leiden erlassen!
[Es naht jetzt die Aussaat des Adams der Reife]
Es naht jetzt die Aussaat des Adams der Reife.
Wir wollen nun alle den Lichttribut zollen.
Es bilden Lebendig und Todt eine Schleife,
Um nackt das Geschlecht vor dem Tag aufzurollen.
Ich weiß, daß ich frei meinem Nachtgrab entschweife.
Es trägt uns Millionen ein Erdgluthenwollen!
Das Meer, das ich sehe, ein Acker dem Geiste,
Tobt wüthend heran, um den Erdfels zu stürzen.
Mein Wesen, das lange den Gluthberg bereiste,
Fühlt plötzlich den Aufflug sich traumleicht verkürzen.
Viel tiefer im Traumkreis, treibt nunmehr das Meiste,
Und Eiswinde spüre ich Übelluft würzen.
[487]
Ich ahne mein Weib nun in geistiger Nähe.
Ich fühle: Du bleibst mir unendlich verbunden.
Im Augenblick, da ich das Grab übersehe,
Wo sämmtliche Völker ihr Wesen bekunden,
Durchbebt mich das Wissen, wie nah ich Dir stehe.
Mein bleibst Du im Geist und in Erdenluststunden.
[Der Tartarus klafft. Wir erwachen im Schachte]
Der Tartarus klafft. Wir erwachen im Schachte.
Verwolkt ist der Himmel. Die Frommheit ist todt.
Gebote, durch die uns der Tag sonnwärts brachte,
Verkümmern, verschrumpfen! Die Innengluht loht!
Das Nordlicht erscheint uns. Es stammt aus dem Schlunde.
Wir werden nicht mehr in die Höhe geführt.
Die Räthsel verschwinden. Der Mensch selbst bringt Kunden:
Es hat uns der Geist aller Gründe gekührt.
Es wird bald die Nackt aus dem Tartarus steigen,
Dem Nordmeer der Sturm aus dem Grunde entfliehen,
Das innigste Licht sich am Himmel verzweigen,
Und Jesus Geburtsstern mit Urgluth umziehen.
Schon wuchtet das Dunkel, mit Sturmwucht geträchtigt,
Am grauen, die Watten umbrausenden Meer.
Der Geist ist zum Flug über Schlünde berechtigt
Und wittert aus Menschen voll Schwebebegehr.
Es wagen schon Fledermausriesen durch Wogen
Des Windes, von westlichen Ufern, den Flug
Ins Fernengebieten. In schweifendem Bogen,
Entschmiegt sich dem Abendsaum sausend ein Zug,
[488]
Von Fliegegebilden, die Gruben geboren.
Des Tartarus Schatten sind langsam erwacht.
Sie formen sich oder sie gehen verloren.
Schon waltet auf Wollen und Wogen die Nacht.
Ich mochte den Mond ewiges Leben gebähren.
Im Seelenschein hab ich sein Walten erfaßt.
Er glich einem Auge. Durch Nebel von Zähren
Erschien er mir schimmernd. Dann ist er verblaßt.
Es dunkelt so heilig! Wir werden gesunden!
Ach Nacht meines Innern verfinstere die Welt!
Verwundert Euch, Wesen: Geburten bekunden
Die Ruhe, der jedes Gebilde entschwellt.
Eröffnet Euch, Herzen: die Seelen entfluthen!
Ein silbernes Schwärmen durchschweift meine Nacht.
Ideen, die weit in mir, unsichtbar, ruhten,
Erscheinen nun, über uns, schimmernd und sacht.
Die Nacht, ach, die Nacht wird den Tag überfliegen.
Die Nacht unserer Sehnsucht durchdunkelt die Welt.
Wir fordern Geburten. Oh Meer, tausend Wiegen
Erwühlen die Winde. Bald kommt unser Held!
[489] Auferstandene!
Die glühenden Wünsche des Südens umbranden
Das dunkelnde Nordmeer. Frenetische Frauen
Enthüllen die Brüste in Brunstsarabanden.
Die Küste umrauschen Gelüste der Auen.
Dem Grabe zu Leyden entreckt sich Johannes!
Die Weiber von mondftuthumkräuselten Ländern
Bezaubert der Thatengedanke des Mannes.
Der todte Prophet wagt es strandwärts zu schlendern.
Der Abend ist nahe. Die Wahnschatten trachten
Sich rasch noch in Stahlpanzer starr einzukrusten.
Das Schnarchen der Drachen in nachtschwarzen Schachten
Vereinzelt sich klarer: die Gluthlurche pusten.
Die Mannschaften hasten, die That zu erhaschen.
Des Weibes Vollendung beschleunigen Rhythmen
Der Nachtschlachten, die uns nun bald überraschen.
Am anderen Strande erwartet uns Whitman.
Es wird Euch, Ihr Frauen, das Dunkel umgrauen
Und langsam den Fledermauswirbel verringern.
Und dann werden Nachtfalter traumhafter Auen
Zu leise versurrenden Höhenerzwingern.
Und eiserne Meervögel schleudern sich nächtlich
Dereinst über eisüberkrustete Flächen.
Dann blickt der gebändigte Nordschein verächtlich
Auf Längen, die unseren Flugaufbruch schwächen.
[490]
Im leibhaften Dunkel verschwindeln die Wege.
In herrschenden Seelen vernebeln die Zeiten.
Es werden die Rhythmen der Innigkeit rege:
Ihr harrt und Ihr horcht auf ein nahendes Schreiten.
Es wird das geweissagte Weib, überm Eise,
Die Frauen durchdämmernd, das Weltgeschick meistern.
Ihr seht es schon oft, auf verwegener Reise,
Die Schleier der Dinge auf einmal entgeistern.
Wir fürchten uns noch vor der Nacht der Gedanken,
In der unserer Leidenschaft Urkunden bluten,
In denen wir selber Gewitter entranken,
Lebendig verschwenden und wenig vermuthen!
Ihr Frauen, in Euch wird die Träumesbraut grauen!
Die Heldin erscheint in den Seelenlichtthüren.
Und Raubvögel suchen die Nacht zu durchschauen:
Der Mann wird das Weib einst im Freiheitschein kühren.
[491] Überraschung
Durch Pinien lustwandelt der Mond, durch Glyzinien!
Ein blauendes Wasser bringt blauere Blätter.
Ein Windhauch verwiegt und verschmiegt alle Linien,
Das raschelt und scharrt wie von Rosengekletter.
Es scheint, daß der Flieder mit Blüthen sich brüste.
Er wogt seine Düfte, fast athmend, ins Freie.
Es ist, als ob alles mit Hauchen sich küßte,
Damit sich die Lust blos durch Tausche verleihe.
Auf einmal verwirrt mich die traumblaue Bleiche.
Doch sehe ich plötzlich ein Wunder erstrahlen:
Umschimmert von einem krystallklaren Teiche,
Erblassen und trinken Gestalten aus Schaalen.
Es zieht mich hinüber, wie heimwärts zu Brüdern.
Ich platsche ins Wasser. Man lacht mir entgegen.
Man schöpft meine Ringwellen, reicht sie den Müdern,
Und plötzlich beginnen sich Mädchen zu regen.
Ich schwimme so leicht, wie beflügelt, zum Eiland
Und fühle mich dann in verwandelten Landen.
Dort heißt es: Das alles versprach uns der Heiland:
Wir sind in Euch selbst, unsern Gräbern, erstanden!
Ich sehe geadeltes Bauernvolk lachen.
Und Einer sagt: siehe, es lohnt sich der Mühe!
Es freut uns, das Mutterland urbar zu machen,
Kommt, führen wir Büffel! geht, füttert die Kühe!
[492]
Ich bin doch zu Hause und glaube mich ferne.
Vielleicht in der Vorzeit. Vielleicht blos am Nile!
Dort steigt man in Berge, ich folgte so gerne,
Doch zeigt mir ein Priester gesonderte Ziele.
Er spricht: »Wir erbauten dereinst Pyramiden
Und trachteten stark, uns in Quarz zu vergraben,«
Doch dann ward ihr Wesen zum seligen Frieden,
Durch den wir uns wieder ins Dasein ergaben.
Wahrhaftig, dort steigt man für Erz in die Erde.
Auf einmal erwachen am Boden Kameele.
Nein, Erdhosen sind es mit Reckungsgeberde.
Man sprengt unterirdisch: das ist ihre Seele!
Der Nilfriede, Nilliebe wirken hienieden.
Hieratische Ruhe durchdämmert das Leben.
Es hat uns der Ausbau von Steinpyramiden
Erst spät unser Grundwurzeln wiedergegeben.
Es spielen rings Kinder auf silbernen Leiern:
Zumeist sanftgebräunte, schwarzäugige Dinger,
In leise verirdischten Mondschimmerschleiern,
Und Licht überspringt ihre spielenden Finger.
Nun darf ich die Kaiserin traumhaft gewahren.
Sie führt ihren lieblichen Sohn zu den Bauern.
Sie trägt einen Lothos verklärt durch die Schaaren
Beherzter Gemüther, die sprachlos erschauern.
Man winkt mir, dem mächtigen Weibe zu nahen.
Ich fühle, es wird mich ihr Wesen befragen.
Ich fasse den Muth, was sie meint, zu bejahen.
Da senkt sie die Blume und fängt an zu sagen:
[493]
»Das da sind die Wahrzeichen fürstlicher Güte.«
Nun frage ich, da ich geblendet bin: »Welche?«
Da sagt sie: »Das Glühwürmchen über der Blüthe,
Der blauende Thautropfen unter dem Kelche!«
Jetzt glückt noch der Fürstin das gütigste Lächeln.
Es schimmert in mich, zu den innigsten Bildern.
Schon kann seine Klarheit Gespinnste verfächeln,
Um sanft mein Erleiden durch Zartheit zu mildern.
Nun kommen die Boote allmählig nach Hause.
Es ziehn schon die Fischer rings schimmernde Netze,
Voll Beute und Tang, aus dem Wassergebrause:
Und gleich überwimmeln sich sämmtliche Plätze.
Die Weiber erscheinen mit mondbleichen Sicheln,
Die Mädchen gar häufig beladen mit Gänsen.
Man kichert im Finstern, beginnt sich zu sticheln,
Doch Bauern erhellen jetzt alles mit Sensen.
Es helfen Matrosen mit mondweißen Fischen.
Die krümmen sich zappelnd wie Sicheln zusammen
Und überall schimmern, entwischen und zischen
Gebilde, die leise und bleich sich entstammen.
Doch hocken noch stumme Gestalten am Strande.
Die wollen den Mondfisch, den Vollmondfisch, haschen!
Doch ich wandle langsam, zum Fang außer Stande,
Und weiß wohl, es wird mich noch viel überraschen.
Am Ufer der Träume erzählt mir die Seele
Das Lied meiner leidenden innersten Stimmen.
Ich will, daß der Wind alle Sehnsuchten schweele,
Damit meine Sagen ihr Tagen erklimmen.
[494]
Ägyptische Räthsel, erdämmert im Schwärmer!
Thebanische Mädchen, umzaubert uns wieder!
Ihr Starrheitssymbole, der Wind weht schon wärmer,
Drum Unterweltnumen, durchzieht unsere Lieder!
Der tropische Gluthenfluß faßt sich im Leben.
Astrale Gestalten ergreift Euch in Bäumen!
Die menschliche Seele, ein Fieberentschweben,
Entflattere, entwurzle sich ewig in Träumen.
Ihr Pflanzen im heiligen Urfriedensgarten,
Begeistert erscheinend die wirksamen Reiche!
Die Sterne und Quellenberauscher erwarten
Den Lothos der Seele im traumblauen Teiche.
Orkane am Styxe, durchwittert die Seher!
Chimären, beginnt im Gegrübel zu nisten!
Schon kommen uns zwitschernde Kindslarven näher,
Als ob rings Gespenster ihr SegelIch hißten!
Du Wesenheit spiele: erspiele Dir Bilder!
Erklimme Dir Lieder in Mondgeisterzonen!
Du Mildheit in mir, werde immer noch milder:
Entschaue Äonen, die doch blos betonen.
[495] Der Baum
Es spielt der Wind mit vielen tausend nassen Blattern,
Und alle winken immer wieder anderm Wind,
Und Waldeswalzer höre ich im Schatten schmettern.
Auch meine Weisen singen, weil sie windwild sind!
Und viele Lieder wimmeln, wie die winzigen Bienen,
Um jeden Trieb, der sich der Blumungsgluth besinnt.
Der Muth zu werben ist mir Sterblichstem erschienen:
Aus lauter Zweigen thaut mein Urerkünden aus,
Und seiner will Vernunft, wie Bienen, sich bedienen.
Es horcht der Wind. Denn um zu horchen harrt sein Lauf.
Im Baum erlauscht, als Traumhauch, er sein lautes Rauschen.
Drum lauscht: Es überbrausen Meere sich zu Haus!
Es will, als Baum, die Erde sich am Baum berauschen.
Und was im Traum geschieht, wird auch ein eigener Traum,
Denn Träume können uns sammt Träumlichem belauschen!
Verrunzle Dich in mir, Du Traum von meinem Baum!
In meiner Ruhe nisten schon die Sehnsuchtslieder,
Singt doch die Stille durch die Wurzeln bis zum Saum.
Die Wurzeln greifen fern in die Ergebung nieder!
Wie ist die Stille tief! So tief wie sie entschlief!
Doch in der Krone giebt der Baum den Norden wieder.
Er folgt dem Wind. Er wird was ihn als Baum berief.
Er stürzt die Liebe in die witternden Geschicke.
Er wirbt um sich und wirkt als Traum urbaumhaft tief.
[496]
Du Baum, ich weiß, wie ich als Dickicht mich bestricke.
Du bist von Liebe übervoll, ja liebestoll!
Du liebst, oh Baum, was ich als Du in mir erblicke.
Und »Du«, nur »Dus«, erlausch ich, wo ich rufen soll.
Das Dunkel aller Ruhe kennt das Du der Dinge!
Drum ist die Welt so holder Wonneworte voll.
Oh Sonne, horche wie ich in der Krone singe:
Der hohe Norden strotzt von mordendem Verstand,
Das Land aber hat Gold für Sternenschmetterlinge.
Ihr Dünkelwichte, Dinge im Vernunftgewand,
Es wickelt Euer Himmelswink Euch aus den Wicken.
Die Schlingen fallen ab: es nagt der Fragebrand.
Es schlagen Wagnißschlangen auf zu Weltgeschicken!
Der Urwald leuchtet in das holde Weltenwohl:
Es glaubt der Baum! Und lauter Witterwipfel nicken!
Der Baum umwurzelt seiner Ruhe Wesenspol.
Er schützt die Nester, schirmt das SchmerzensIch der Thiere,
Denn jedes Blatt ist großer Duldung Erdsymbol.
So wirkt, daß nimmer sich ein Wirkungswink verliere!
Die Thiere aber sind schon mehr als Wimmerwind.
Sie irren sich ja nicht. Sie schwirren um das Ihre.
Entwirrt Euch schier! Das Winzigste ist weltgesinnt!
Und horcht in Eurem Baum aufs Morgen freier Meere.
Du große Sonne, wie genau ein Tag verrinnt!
Der Baum ist hoch. Er füllt schon seine Wesensehre.
Und über ihm begeistert sich ein Sternenkind
Und lauscht der Leidenschaft der Werdensschwere.
[497]
Wie viele Rehe weinend schon gefallen sind!
Oh Sternenkind, bewahre ihre Seelenthräne
Und mache uns im Wandel harmlos und gelind!
Der Wesen Schüchternheit, die ich im Wechsel wähne,
War einst ein Blatt, ein Thier, das man zu Tod gehetzt:
Und alles Land entstammt als eine Wahnsinnsmähne.
Im Namen der Verzweifelten, Welt, sei entsetzt!
Birg, Erde, jeden Todesschrei in Lichtgebeten:
Im BaumesNamen, säume nicht! es glüht das »Jetzt!«
Der Erde Wahnwitz brennt durch Winde, die entwehten.
Er ist ein Urwald, der sich flammennackt beseelt.
Hier stirbt man nickt! Die Thiere schimmern in Kometen!
In Riesenschweifen werden sie hinausgeschweelt.
Sie können kalt in alten Nachten plötzlich tagen,
Denn kein Gewissen hat den Weg zu sich verfehlt.
Die Wanderschaften, die den Menschen warnend tragen,
Erfüllen alle Nordheiten mit Seelenbrunst,
Und Thiere wittern aus den jungen Glanznachtsagen.
Zu eigenen Wesenheiten reist die letzte Kunst.
Die Lebensechtheit kann sich nur ekstatisch fassen,
Dort überm Weltbrandwahnwitz dämmert stumme Gunst.
Gedanken fangen an, mit kalter Gluth zu hassen.
Der Traum vom Baum verschlingt sich in den blauen Raum.
Es singen Sternenkinder in den Flammengassen
Und nisten schuldlos in der Ruhehuld vom Baum.
[498] Dunkeldämmerung
Was sagt auf einmal warnungsblaß im Wesen:
»Oh Mensch, beherrsche Deine Überflüsse
Und glaub, daß man auf mich verzichten müsse!
Ich nenne mich: Ich bin die Welt gewesen.
Nun muß ich schreckensbleich verwesen.
Ich fühle mich, durch Eure Vollbrunstküsse:
Mein Leib sind Eure Niedertrachtsentschlüsse:
Ich würge und kann dennoch nicht genesen.
Weil grundgebrochen, wirke ich als Lüge!
Ich mag meinen Gehalt zusammenklammern
Und bin nur, wo ich Zwitterdinge füge.
Ich lauere, in Gewissensbruchentstammern,
Auf aller Wuchereien Dirnenzüge
Und werde Ich in allen Lasterkammern.«
Was warnt mich da? Was hat mich ausgesprochen?
Oh Leib, beschütze mich vor tiefsten Lüsten:
Ich bin Dir oft im Traum zu weit entkrochen!
Ich fand in mir ein Meer mit Lurchenbüsten:
Tumulte Todter waren ihre Schwänze,
Und Trüge träufelten aus ihren Brüsten.
Das war nicht ich! Das waren Schwärmertänze!
Blos meine Satanssache war im Knäule,
Und ich bin starr, daß ich am Tage glänze!
Bin ich nicht da, aus Graun vor meiner Fäule?
Mein Athmen ist ja auch ein Ahnenwalten,
Mein Gang bestimmt der Mütter Hoffnungssäule.
[499]
Ihr Freien reißt mich aus den Sturzgewalten,
Aus der Gespenstigkeit der Leidenschaften:
Wer kann allein sich in der Schwebe halten?
Ja, Kraken, die durch Trug zusammenhaften,
(Denn Falschheit muß ihr Fleisch und Mark ersetzen,)
Sind Weltgespenster, die noch nie erschlafften.
Astral läßt Du Dich wild von ihnen hetzen.
In ihrer Daseinsjauche mußt Du waten,
Bis wir uns einst aus ihrem Bann entwetzen.
Die Schemen sind! Wir zeigen es durch Thaten!
Der Ararat speit!
Die Vorsonne
Ich bin der Glaube an die Macht der Sonnen,
Und meine Inbrunst zeitigt alle Strahlen!
Ich walle aus mir selber in die Zahlen
Und halte mich von Ewigkeit umsponnen.
In mir erschöpfen nimmer sich die Bronnen.
Mein Ich entstammt ja festen Wahlen
Der Ringnatur in ihren Wandelqualen.
Drum werde ich. Doch hat mich nichts begonnen!
Ich bin! und weil ich bin, so will ich leben.
Und da ich leben will, bin ich ein Wesen:
Doch ewig nur, als wahrstes Sein und Streben!
Ich bin nur ich in meinem Micherlesen,
Und um zu werden, muß ich mir entschweben,
Denn nur aus mir beruht das Urgenesen.
[503] Die Liebe
Ich weiß: ich habe mich entzweit, verloren!
Ich bin bereits der Schöpfung Leiden inne.
Und Ich, mein anderes Ich, verlangt die Minne:
Oh Gott, warum ward ich so fromm geboren?
Ihr Zweifel, naht mir nicht, dem starken Thoren!
Ich habe ja die Liebe nicht im Sinne!
Das Licht und sein Gefühl ist eine Spinne:
Doch bin ich noch, sobald ich mich erkoren?
Ich pilgere schon durch alle Möglichkeiten!
Ja, meine Liebe thaut in meinen Fernen
Und mag, das was ich war, dort vorbereiten.
Nun strahle ich, nicht ich, aus eigenen Sternen!
Ich trachte sie in mich zurückzuleiten,
Doch muß ich da stets Weiteres erlernen.
[504] Die Leidenschaft
Oh Weiblichkeit in mir, ich liebe, liebe!
Ich halte Dich, sonst gingst Du ganz zu Grunde.
Noch lächelt meine Gottheit ja zum Bunde,
Drum liebe mich, damit ich nicht zerstiebe!
Ich weiß, wenn ich in meinem Reich verbliebe,
So triebe mich, zertheilt, die gleiche Runde,
Doch will ich Kunde von der Schöpfung Munde,
Drum Weib, erhebe Dich zum Liebesdiebe!
Wir sind die große Leidenschaft der Welten,
Denn unsere Seelen sän entstammte Sonnen,
Und unser Wollen kann schon leuchtend gelten.
Wir sind als Geist dem Eigenwunsch gesonnen.
Das Leben sinkt und steigt in Strahlenzelten
Der holden Sonnen, die sich selbst begonnen.
[505] Der Untergang
Ich zweifle: soll ich Gott für mich verlassen?
Denn ich bin Er, und Er ist Ich zugleich!
Bestimmte sich ein urverfluchtes Reich?
Oh Gott in mir, wie könnte ich Dich hassen?
Und doch, ich muß das Weib mit Kraft erfassen.
Und wehe mir, denn schon gelingt der Streich!
Wir haben uns. Wir sind. Und Er wird bleich.
Wie konnte Ich so ganz in mir erblassen!
Die Flur, ein buntes Viereck, muß ich kennen.
Wir würfeln hin und her, und nichts gelingt.
Ich kann die Dinge kaum noch selbst benennen!
Wie feindlich alles meinen Geist umringt.
Ich mag von manchem das ich bin mich trennen
Und hasse was sich leicht vom Boden ringt.
Und doch! die Schöpfung dauert fort. Wir brennen!
Wir sind Zerstörer und wir müssen sein –
So gilt es, was verschwinden soll, zu kennen!
Die Scheidung lebt. Drum stich ins Land hinein!
Wirf Pyramiden auf. Versenke Keime.
Die Wiederholung wahrt Dick vor dem Schein.
Du bist ein Ackersmann im Daseinsschleime,
Und Sternenblüthen säumen Deinen Pfad,
Sie sind der ewigen Zeichen Erdenreime.
[506]
Nun sieh den Bienenschwarm, der ihnen naht.
Erblickst Du nicht den Tanz der Goldplaneten!
Die Thiere sind der Blume nächste That.
Ihr Honigkneten ist zugleich ihr Beten.
Sie bergen, wie die Erde, holdes Gold
Und müssen Gott durch stilles Thun vertreten.
Die Liebe weilt! drum sei auch ihr gezollt.
So geh aufs Meer und trachte zu entschweben
Und wanke nicht, wenn Dick der Zorn umgrollt.
Sogar im Sterben ist Dein eigenes Leben.
Was stirbt, das wirst Du, ja Du bist der Tod
Und kannst Dich blos vollkommen Dir ergeben.
Es ist der Tod die Ewigkeit, die loht,
Das Sterben Schmerz, das Nichtsein Wonne.
Wer tödtet ist. Und Sein ist das Gebot.
Ich bin der Glaube an die Macht der Sonne.
[507] Der Lenz
Es wirft der Herr sich in das volle Leben,
Drum Gärtner in mir selber, stehe auf
Und steh der Dinge Seele sich erheben.
Der Bach beginnt den stillen Pilgerlauf
Und raunt von Riesen mit erhabenen Herzen,
Und Wolken ziehn um ihr Gebet zu Haus.
Verständniß tiefer Weihe meiner Schmerzen,
Oh, mache mich so schuldlos wie der Wind
Und laß das Unkraut mich am Feld entmerzen.
In vielen, vielen Dingen bin ich blind,
Drum streichelt mich die Lust, mit mir zu sprechen,
Noch bleibe ich ein unerfahrenes Kind.
Ich kämme wohl die Flur mit meinem Rechen.
Ich liebe alles, was der Schöpfer giebt
Und wundere mich ob unserer Gebrechen.
Oh Gott, der alle Erdendinge liebt,
Warum bist Du die That und nicht die Frage!
Ich fürchte mich, weil so viel Leid zerstiebt!
Der Sohn tritt überall voll Huld zu Tage:
Die Ölbäume bewegt ein leiser Hauch,
Und die Gestrüppe blühen schon im Haage.
Wie wundervoll ist doch ein Rosenstrauch!
Oh Herr, verkläre Dich in meiner Seele,
Oh Frühjahr in mir selber, knospe auch!
[508]
Doch blühe ich, so schmücken mich Juwele.
Die Seele ist am schönsten frischbethaut,
Und Jugend kommt auf Ewigkeitsbefehle.
Oh Heiland, Du erscheinst uns sanft und traut.
Die Eselin trägt Deine Last voll Freude,
Und alles Wartende ist Deine Braut.
Die Berge sind ein leuchtendes Gebäude,
Ein Tempel voll erstarrtem Schnee und Eis.
So ziehe hin, daß sich kein Korn vergeude.
Das Saumthier, mag Dich, über Gras und Gneis,
Empor zu jenen klaren Stirnen tragen,
Dort wartet Adam als ein bleicher Greis.
Du magst die Ansprache an Gletscher wagen,
Doch blos der Schnee, als weiblich, ist bereit,
Mit Dir vereint, sich selber zu entsagen.
Wie viel Du thust! und nichts thust Du zu leid!
[509] Die Seele
Der Geist ist Freiheit, volles Daseinswollen.
Die Seele sein Bestand unter Gesetzen,
Die unerfaßt ihre Gewalt entrollen.
Es ist das Leid des Geistes Erdentsetzen:
Der Schmerz erblaut, wo sich die Freiheitskinder
An Schranken ihrer Lieblichkeit verletzen.
Der Mensch, der Freiheit herrlichster Entbinder,
Und seine Seele, selber eine Brücke,
Betritt den Weg zum Zweifelüberwinder.
Wer ist der Mensch? Hier zeigt sich eine Lücke.
Es giebt nur Wesen. Mehr und minder freie.
Was ist die Welt? Ein Raum verwandter Stücke?
Der Geist, der sie benennt, bekräftigt dreie.
Sich selbst und das, woran er zerrt und haftet:
Als Drittes Gott, der Wunsch, daß er gedeihe.
Ihr alle, die Ihr Euch als Wesen schafftet,
Um sterblich Euer Dasein zu umsäumen,
Vergeßt nicht, daß Ihr Euch, Euch selbst entrafftet.
Man lebt, um sich aus sich emporzubäumen
Und nichts Zertrümmerbares zu verschonen:
Die Wahrheit ist in Euern Wahrheitsträumen.
Wird einst ein Freierer auf Erden wohnen?
In Euch, nicht in der Zeit ist er enthalten!
Ihr selbst bergt Gottes Insichselberthronen.
[510]
Ihr fliegt durch Euer geistbeherrschtes Walten.
Der Erzengel zertritt die Fleischgesetze.
Ihr lebt in Schranken und müßt dennoch schalten!
Der Geist verheißt die Blutbeschwörungssätze:
Ihr sollt nicht an den Zwangsinstinkten hängen,
Denn seht, Gesetze selbst sind Sinnesnetze.
Drum seid! Ihr lebt allein in Euern Sangen!
Es ist die Gottheit blos das Selbstsichwollen,
Drum kommt zu Euch in Euern Lebensgängen!
Die Sonnen, die nach Normen abwärtsrollen,
Sind sterblich und somit des Himmels Lügen:
Das Licht ist Trug und blos der Schein des Vollen.
Es ist das Gegentheil vom Grundgenügen.
Es stürzt aus sich, um Scheinheit anzuzünden,
Denn nur der Tod wird stumme Wunder fügen.
Des Todes Majestät kann Werke gründen!
Er ist das Innenthum der holden Dinge,
In ihm erscheint der Trumpf von allen Bünden.
Oh Tod, wenn ich vor Deinen Quellen singe,
So ahne ich die weihereichen Lichter,
Durch deren Huld ich mich zum Grunde schwinge.
Die Sonne ist ja Schein! Und ich, der Dichter,
Bin aller Dinge Tod! mein Grunderbeden!
Herr Zebaoth, unendlicher Vernichter,
Zermalme mich! Es soll die Freiheit leben!
[511] Der Pfad
Du sollst Dich unterwegs zur Duelle bücken,
Es wird Dich oft nach holder Labung dürsten,
Dann träume hingestreckt auf Deinen Rücken!
Die Olbäume sind gute Friedensfürsten!
In ihrem Schatten blicke auf Zypressen,
Die sind die strengsten Bäume und die dürrsten.
Willst Du wie sie für Dich die Welt vergessen!
So denke nach. Ein Baum ist ernst und heilig.
Er hat sein Wesen ewigtief ermessen.
Du glaubst an Bilder, denn Du sagst: Ach freilich!
Die Bäume, Bäche, ja Du selbst sind Zeichen,
Wer hat es nicht so wie die Wolken eilig?
Oh glaube nur: Du kannst Dich ganz erreichen!
Es ist die Welt das Wunder vieler Welten:
Nun wird sie just und hat nicht ihresgleichen!
Gewiß, die heitern Lehrer kennt man selten!
Wer weiß, wie oft zu Dir die Eichen rauschten,
Um plötzlich jetzt für Dich etwas zu gelten.
Wie viele Menschen, die den Pfad vertauschten,
Vermochten niemals Heimlichkeit zu finden!
Wer weiß, wohin sie ohne Glauben lauschten?
Ja freilich! Eben kennst Du Dein Empfinden!
Die Sonne hat mit Dir von Euch gesprochen,
Und Selbstentzücken spricht für Dich aus Linden.
[512]
Oh Herz der Sonne, alle Herzen pochen!
Wir wandern, Herz der Herzen, Dir entgegen!
Wir sind im Geist und seine Nacht ist angebrochen.
Ja freilich kommen wir, im Zukunftsregen!
Die Zeiten übergießen uns mit Pflichten:
Die Wissensspinne harrt auf allen Wegen.
Der Abend aber kann den Baum beschwichten.
Das Wunder spricht aus allen Eigendingen.
Und jedes Herz erzählt seine Geschichten.
Liegt doch die Sonne selbst in Herzensringen,
Und alle Lichter, alle Blätter beben.
Oh Nacht, Du magst die Angst zu Ruhe bringen!
Du Sonnenherz, läßt alle Pulse leben.
Dein Abendflackern zeugt in mir das Fieber.
Und auch die Kühle wird sich rasch erheben.
Schon blaut dort unten das Gefild am Tiber.
Der Abend singt, wahrscheinlich aus dem Walde.
Ich spüre sein Geschehn in jeder Fiber.
Es dampft und athmet jetzt die ganze Halde.
Die Sonne sank. Die Sterne möchten zittern,
Denn alle Seelen sagen einfach »balde!«
Oh Mensch, jetzt mußt Du Dein Ereigniß wittern:
Du hast so viel am Tagespfad erfahren!
Ob sich die Blätter Deinethalb zerknittern!
Ja freilich! Die Nacht will sich still offenbaren!
Was singt? Ein Wasserfall! Wie, eine Wespe!
Was sagt der Wald! Was huscht in meinen Haaren!
Mein panisches Geschick merkt eine Espe!
[513] Die Heerstraße
Das ist ein Wunsch und doch ein Lied vom Wahren!
Die Freiheit ist Gebot, und wenn auch ferne
Muß einst der Mensch sie leidvoll offenbaren.
Erschaut vor Euch die Zuversicht der Sterne.
Denn Nacht ist es, wenn Völker weiterschreiten;
Wir alle sind ein Stern in unserm Kerne.
Nun seht, wie sich die Fluren stumm verbreiten,
Und jeder Windhauch bringt Euch seltene Stimmen:
Es ernten Wesen wohl auf allen Seiten.
Im eigenen Heime soll man heimwärts klimmen,
In seinem Garten sich nach Eden sehnen,
Und, einsam, über jede Flucht ergrimmen.
Doch die, vor denen sich die Wege dehnen,
Weil wir uns selbst zu Plötzlichem berufen,
Erspähen unaufhörlich ferne Lehnen.
Denn wir, die wir die Welt zum Wandern schufen,
Vermuthen einen Weg hinter den Sternen
Und sinnen furchtlos über Todesstufen.
Wie gut, daß wir uns nicht im Flug entfernen,
Wir träfen nichts als Luft und Todesfröste:
Die Pilger müssen aber segeln lernen.
Wie froh ich bin, daß ich mich frei beköste,
Daß ich mit Frömmigkeit im Meere fische
Und opferstumm im Wald die Speisen röste.
[514]
Ich lobe mich, bei jedem Mahl, zu Tische.
Der Erde bin ich nahe und dem Feuer,
Damit ich Freude ins Erfahren mische.
Wie wird der Lebenswunsch doch ungeheuer,
Bedenkst Du, daß wir schaffend uns erhalten,
Denn das Gewohnteste wird stündlich neuer.
Ein Volk, das glauben kann, wird nicht veralten!
Nach Jugend hat die Ewigkeit Verlangen.
Und heiter macht allein das freie Schalten.
Auch mag uns ob der Greise nimmer bangen,
Die sind die Warnenden in unserer Mitte,
Doch wird ein Kluger nie zu sich gelangen!
Ich mag das Volk. Es wittert seine Schritte!
Es ist ein Kind und lehrt das rasche Lernen
Und weil es liebt, verliebt es sich in Sitte.
Die Völker ernten unter stillen Sternen
Und lieben ihre Priester, die sie leise
Von ihrem Leib und Leibesspuk entfernen.
Das Weltgedicht gelingt auf diese Weise,
Denn unfrei ist es, weich sich gehen lasten,
Und tiefster Freiheit gilt die Leibesreise.
Ihr sollt in Euch den Freiheitsstaat erfassen,
Denn der seid Ihr, nicht Eure Sittlichkeiten,
Die sind der Sinne blasse Hintersassen.
Vermuthet nur die heitern, alten Seiten,
Doch gegen Kommendes bleibt unbefangen,
Es mag oft Frommes Euch entgegenschreiten.
[515]
Ein jeder wird zu etwas Sein gelangen,
Denn das Gewissen kann Vernunft erzwingen,
Und plötzlich wird ihr Aufglimmen empfangen.
Erst mögen Völker ihren Ernst ersingen!
Dann dürfen sie aus Stürmen sich entfernen:
Die Freiheit strahlt aus jäherkannten Dingen:
Es ist in uns der Stern, nicht in den Sternen.
[516] Der Ausbruch
Seitdem der Reim in unser Lied geflogen,
Hat mein Gespenst den Daseinsflug erwogen.
Der Abend nahte mir, mit einem Weibe.
Ich weiß, wir haben uns nie angehört.
Es hat die Sinnlichkeit uns nicht bethört.
Wir fühlten nur den Sang der Sonnenscheibe.
Es sagte etwas über uns: verbleibe!
Die Klarheit athmete ganz ungestört,
Und jeder Wunsch hatte uns urempört,
So ferne waren wir vom eigenen Leibe.
Da rauschte unser Reimungslied gelinde.
Es lispelten zuerst die leichten Linden.
Und ein Geschehniß ward der Wind im Winde.
Es fingen Silben an, sich zu verbinden.
Wir sahn den Räthselblick von einem Kinde,
Und Rehe schienen heimlich zu verschwinden.
Die Silberpappeln sagten rasche Silben.
Ein Wunscherschauen rauschte durch die Au,
Und alles Helle mußte rings vergilben.
Der Wesensflug in uns verschwand im Blau,
In dem die Sterne ihr »Genug« erzittern,
Und Blüthen lüsterten mit Thau nach Thau.
[517]
Wer weiß nicht von verhaltenen Gewittern,
Von Liebesblitzen zwischen Leib und Leid,
Wer konnte nie sein Lied im Weibe wittern?
Ein Wachsein, waltender als alle Zeit,
Berührt mit seiner Ruhe unser Kreisen,
Und meine Sprache scheint ihm dienstbereit.
Es mag uns kaum nach Geistesreife weisen,
Es ist ja unsere holde Sonntagsrast,
Und weiß nichts mehr von Wald und Wüstenreisen.
Ja, wer am Tag sein Eigenstes erfaßt,
Der kann nicht tiefer schaun und weilen!
Der stiegt nicht. Denn das All ist ohne Last,
Und Ruhe wird ihn plötzlich übereilen.
Die Nacht eröffnet alle ihre Herzen,
Es fängt die Flur an mit dem Wind zu scherzen.
Die Heiterkeit ist ein beseeltes Wesen,
Sie reimt sich wunderbunt in uns zusammen.
Sie mag im innern Sonntage entstammen,
Und scheint uns angeboren, grunderlesen.
Sie ist in uns, schon vor uns selbst, gewesen.
Du glaubst ihr, wie Dir selber zu entstammen.
Doch braucht sie auch im Dasein ihre Ammen,
Denn stets muß sie an Erdbrüsten genesen.
Oh Jugend, Jubel holder Ewigkeiten,
Du kannst nichts jüngeres als uns erschaffen,
Wir werden ja den Leib zu Grab geleiten!
[518]
Im Menschen sollen Altersschlünde klaffen!
Die Jugend muß die Freiheit in uns weiten,
Um selbst mit uns, als Kind, sich zu erraffen.
Wie oft bin ich mein eigenes Kind gewesen!
Wie häufig ward in mir der Mensch bezwungen,
Und das verjüngt mein inneres Sonntagswesen.
Ich habe dort über dem Tod gesungen:
Denn bleiben wird von allen Rundgesängen
Was abermals zurück zum Grund gedrungen.
Es athmet ja über den Überschwängen
Der Wesensdinge, die wir stumm verstehen,
Ein furchtbar freies Übersichverhängen.
Um jene Säume graut das Grundbegehen.
Dort ist man Schöpfer und Geschöpf im Ganzen
Und nimmt seine Verbleiblichkeit zum Lehen.
Ich bin ja die Unsterblichkeit der Pflanzen.
Ich bin der Schreck vor mir, in mir und Thieren,
Und kann in Sachen mich, für uns, verschanzen.
Es wird sich nie das Ich im Thun verlieren,
Drum holen selber sich die holden Reime,
Um unvergleichlich sich, mit sich, zu zieren.
Man wird und wallt zugleich nach seinem Heime!
Das Unvergleichbare wird dort verweilen,
Und Sterblichallgemeines trächtigt Keime,
Sich andern Sonderkeiten zu ertheilen.
[519]
Der Mond, der Monde silberne Idee,
Versenkt sogar den großen Bär in Schnee.
Du weise Zuversicht in meinem Geiste,
Mit Sternenreinheit und Planetentreue,
Du Mitternacht, in der ich mich erneue,
Du weißt allein, wie weit ich für Dich reiste!
Wo immer ich um Dein Ereigniß kreiste,
Warst Du der Dinge traute Daseinsscheue,
Doch Du besorgst, daß ich der That mich freue,
Wenn eine Möglichkeit durch mich vereiste.
In Deinem Sterne werde ich nicht sterben!
Im Schimmer Deiner Fülle kann ich weilen,
Um stets um Weltverwunderung zu werben.
Ihr, meine Nachkommen, wir wollen theilen!
Ihr sollt von mir die Macht zu tagen erben,
Doch will ich selber mich in Euch ereilen.
Erblicke ich die eigenstillen Dinge,
So bin ich nimmer ein Gemüth aus Erden,
Sondern der Geist, als der ich uns durchdringe.
So bin ich alle, die noch kommen werden!
Die Dichter und Erdichteten der Tiefen:
So bin ich Pan, und auch der Schreck der Heerden.
Virgil und alle Wiesen, die ihn riefen.
Der alten Riesen Warteschlaf im Walde
Sind Silben, die den Traum zu mir umschliefen.
Nun wachen alle auf. Ich bin ihr Skalde.
Sie lauschen, lispeln kaum. Die Linden rauschen.
Man war ja langst die Langmuth aller Halde!
[520]
Ovid, Du lebst! Willst Du Dich selbst belauschen?
Ich bin es ja, und auch Dein Wiederkommen!
Du magst noch lange Räthsel flugs vertauschen.
Oh Waldesnacht, Du hältst mich arg beklommen.
Horaz ist da! Er wandelt auf den Farren.
Ich ward durch ihn den Erdfernen entnommen.
Da bin ich, Lüste, die als Wesen harren!
Ich bin es, den man zwischen Sterne bannte!
Doch welche Andacht fängt mich an zu narren!
Wahrhaftig, da am Waldesrand steht Dante.
[521]
Lieder im Seelenschein
Was
Was?
Ist es wirklich wahr,
Ruft in jeder Stimme,
Wenn sie noch so leise klingt,
Ursprungslos und wunderbar
Gott in seinem Grimme:
Wenn Dir das zu Herzen dringt,
Menschenkind, so glimme!
Was, oh was? ich horche ja!
Horche manchem Leben,
Bin dem Winde immer nah,
Winde mich zum Nichts zurück,
Selbst mich zu erheben:
Trachte, als von Gott ein Stück,
Frei vor Gott zu beben!
Stürme umarmen mich,
Halsen uns alle und rufen:
»Als mir noch Niemand glich,
Blieb ich so still in Dir;
Als wir uns schufen,
Wurden wir Wind und Thier
Und mußten verstufen«.
Böen ereignet Euch!
Höhen vernehmt Eure Höhe!
Dann heule ich Euch nach. Ich der Geist.
Dann zerre ich an jedem Gesträuch
Und wehe: wehe wenn ich entflöhe,
Dann würdet Ihr, die Ihr vereist,
Nicht wissen, daß Ihr zerreißt.
[525]
Menschen, so fasset Euch:
Lauscht in die stürmenden Stimmen:
Helft mir, begreift einen Schrei!
Die Seelen durchfegt ein Gekeuch!
Ihr löscht nicht das Gottesergrimmen:
Ach, würde ein einziger frei,
So müßten wir klimmen, erglimmen!'
Der Wirrwarr verwirbelt nicht mehr.
Wir waren vielleicht nie beisammen.
Wie schwer wird der Geist jedem Meer,
Und dem Geiste die Schöpfung wie leer!
Wir müssen uns fliehend verdammen:
Jungfräulich doch immer entstammen:
Zusammen geht alles ursprünglich einher.
[526] Vollmond
Es ist der Mond der Gott des Todes aller Wesen.
Es schleppt die Erde ihn als Leiche durch den Raum.
Wir gleichen seiner Bleichheit, wenn wir kaum verwesen,
Und großes Schweigen drängt sich um den Glaubenstraum.
Wer sah noch nie Verblichene, in Silbermilde,
Zum weißen Eiland, hoch und nordergriffen, ziehn?
Du hältst sie wohl für sichtbar eigene Schwangebilde,
Von seltenen Träumen unserer Träumlichkeit verliehn!
Doch glaubt es nur, es ist der Todten Glaubensglauben:
Der ist ihr tiefstes, eigenmenschlichstes Erschaun!
Es will ein dunkler Ruf sie ihrer selbst berauben,
Daß sie so panisch rasch im Morgengrau erthaun.
Von welcher Sehnsucht sind die Todten uns enthoben?
Im Leben, schon von aller Monde Mond bewohnt,
Beginnen wir das Ungewohnteste zu loben
Und werben überraschend klar um unsern Mond.
Es zeigt der Vollmond blos die weiße Scheidungsscheibe,
Die andere Seite hält er, als der Tod, versteckt:
Doch sichelt er dahin, erblaut auf seinem Leibe
Der Erde Lebensglanz, der sich hinüberstreckt.
Dem Monde folgen auch die großen Weltenwogen:
Mit geilem Weiberlachen stürzt die Fluth daher:
Die Wellen glucksen, hopsen kindisch ungezogen
Und sind der Tod vom Monde und die Brunst im Meer.
[527]
Ein Ölbaum steht allein im Mondenscheine.
Der frühe Thau umzittert alle Zweige.
Du glaubst, daß sich die Nacht herniederneige,
Und ihre Seele fürchtet, daß sie weine.
Die Ur und Sterbensschönheit heller Haine,
In deren Wesenswidmungen ich schweige,
Durchzittern mich, wo ich mich sinnig zeige,
Und wittern, daß ich tiefes Wünschen meine.
Ich greife in das schleiernde Geäste:
Die Tollheit ist der Baumwucht nun verbunden,
Der Schreck so herb, als ob er jetzt die Nacht durchnäßte.
Die Schönheit, die uns tödtet, herzt mich innig.
Ihr Mondlichtschleier hält mich bleich umwunden:
Du meine Braut um mich, wie bin ich minnig!
Der blaue Wahnwitz in den stillen Silberstunden
Entwägt sich unerbittlich aller Wesen Glaubenslauschen.
Wir seufzen aus: Der Glaube hat sich doch entwunden –
Und Du verträgst des Urvertrauens Unterrauschen.
Die Herzerlebnisse entsilbern rings den Auen.
Die Schleierbräute wundern sich in Nordlichthainen.
Um Dich ereignet sich ein ungeheueres Schauen,
Und alle Nordgeister versuchen zu erscheinen.
Der Takt der Herzen ist der Flügelschlag der Erde.
Es tragen sie die Leidenden durch reine Himmel:
Wie leicht die Heimath ist – das Sein ohne Geberde!
Das bloße Gute im verkindlichten Gewimmel!
[528]
Der Tod ist weiß! Er liebt die Braute und die Greise.
Der Mond ist rein! Und seine Weiße ist ein Engel.
Der Todte schweigt! Der Stumme aber kennt die Reise:
Wir horchen doch und immer sterben alle Mangel.
Verwurzle Dick, wo Du auch bist, in deinem Norden.
Der Vollmond kommt, mit Schönheit Dich zu schminken.
Er naht, er kommt zu Dir, das Sonnenbild zu morden:
Im Schlund der Wonnenwelt, in Dir, mußt Du versinken.
[529] Neumond
Die Saat der Sterne überwältigt alle Geister.
Es wagt nicht ein Komet dem Schicksal zu entschleichen,
Und auch die Erde überläßt sich ihrem Meister.
Wer ahnte jetzt den Flug der fernen Sternenleichen?
Der Mensch, ein dauernder, dort mordideeumkreister
Gedanke seiner selbst, mag nur ein Maaß erreichen.
Der Geist wird stets in seiner Dinglichkeit vereister:
Statt aus der Unausschöpflichkeit hervorzuquellen,
Versetzt er sich in sich und um sich selber kreist er.
Die Seher können Schlangenschicksale erhellen.
Der strengen Einsicht mag die Seele sich versichern.
Was stirbt versucht das Sterbenswissen festzustellen.
Auf Erden sah die Nacht sich nie in schauerlichern
Eröffnungen über das innerste Erkalten,
Doch alle Kindlichkeiten fangen an zu kichern.
Das Wasser kann am allerselbstgläubigsten walten.
Der Ozean ist frei. Und freier noch sind Quellen.
Und Seele strömt aus allen starren Ausdrucksspalten.
Jetzt werden die Gesetze urdurchschaut zerschellen!
Die Erde nimmt das Schicksal aus dem eigenen Leibe
Und überfluthet ihren Zwang mit Willenswellen.
Die Wellen aber sind ein Wink vom Weltverbleibe:
Die Weiblichkeit wird rein, und frei die Erde.
Ein Weiheschein entwallt dem leidgeheilten Weibe.
[530]
Es wünscht der Schlaf, daß, was erwacht untödtbar werde.
Das Träumen trachtet die Unsterblichkeit zu ahnen.
In beiden kreist das Ende der Geburtsbeschwerde.
Das Feuer loht, die stille Gluthnacht anzubahnen:
Die Nacht, in der die Nachte aus sich selber tagen
Und kalte Wahrheitsflammen an die Allmacht mahnen.
Der Mond ist todt! Doch kann die Erde Monde tragen.
Es folgt dem Sohn, den ihre Mitte uns gespendet,
Das Kind der Höhe, das Gedanken überragen.
Die Nacht hat sich zum klaren Eigentag gewendet.
Das Fleisch ist frei und überstirbt das Sterbenssterben.
Vom Schlafe ward dem Tod der Traum emporgesendet.
Die Starre sieht sich selbst grotesk in Gletscherscherben.
Ekstatisch liegt die Erde da, in bleichem Eise,
Und kann die Wahrheit aller Weltungen erwerben.
Die Erde weiß! Sie bleibt aus Freiheit im Geleise.
Sibiriens Hirn gebiert das stille Lichterfrieren.
Gebirge glühn und wandern plötzlich eigenerweise:
Den Himmel, den sie schafft, wird keine Welt verlieren.
Die Erde liegt vereist und ohne Eisesleben:
Sie starrt mit ihren Gletschern in die Daseinsleere.
Sie fühlt den Glauben an die stillen Sternenheere
Und lockert ihren Wirkungswunsch in Glastgeweben.
Sie hat das Steingewand mit ihrem Kern umgeben.
Aus den erstarrten Meeren strahlen Flammenmeere.
[531]
Ihr Geist ergreift die reifen Ewigkeitsverkehre
Und sucht die Stille, nur um Stille zu durchschweben.
Die Erde hat sich selbst in jedem Hauch erfahren,
Und ihre Urerleuchtung starrt in kalten Flammen,
In denen andere Sterne ihren Schwesterstern gewahren.
Unsterblich sind die Garben, die sich selbst entstammen,
Die, ohne Gleichnisse, ihr Wesen offenbaren
Und die schon waren, als die Welten sie gebaren.
Ekstatisch stammt die Erde durch die kalten Sphären.
Ihr Blut und ihre Gluth sind ohne Wunsch erfroren,
Denn sie ist rein und nichts mehr mag sie umgebären.
Der Neumond ward zwei Riesenfeuerohren,
Mit denen fremde Welten unsere Welt belauschen.
Und nicht ein Wort, das hier erstand, geht mehr verloren.
Der Neumond kann die Erde als ihr Herz berauschen,
Das tief die Gletscher sprengt und flammend sich erweitert,
Und pocht, durch das Gehör die Einsicht einzutauschen.
Kein einziger Versuch, zu sein, ist da gescheitert.
Durch Junggeburten hat der Urmond sich vernommen
Und sein Erleuchten unsere Schicksale erheitert.
Der Erde Ewigkeit ist zu sich selbst gekommen!
Sie mag verglühen, denn ihr Werdewort wird bleiben:
Ihr Fels und ihre Fluth sind eisigdick erglommen.
[532]
Ekstatisch kann die Erde Monde urwärts treiben:
Des Wortes Unaussprechlichkeiten dauern weiter:
Das Weiblichste wird sich dem Geiste einverleiben!
Die Ewigkeit ereilt sich nicht auf eigener Leiter.
Was sie gebiert, kehrt in sich ein, und anderes scheidet:
Wir sind nur einmal tausendfache Weltbeschreiter.
Der Mond, der ungeschöpft die Nachtgewalten weidet,
Der ganz der Sohn der Erde ist und durch die Seelen flimmert,
Tritt aus sich selbst, sodaß die Mutter gar nicht leidet,
Und er gebiert den Himmel, der uns tief durchschimmert.
[533]
Der flammende Lavabach
Die rothe Taube
Der Geist erglüht in unwahrscheinlich ferner Röthe:
Er deutet ewig wachsam, traumbewußt und frei:
Ich bin! Weil ich das Sterbliche im All ertödte,
So steh ich Euch im heiligen Gottergründen bei.
Der Geist befreit die wahre Menschlichkeit in allen Rassen.
In seinem Feuer wird die Seele nackt und bleich.
Die Völker, die vor tiefem Graun erblassen,
Verleiblichen bereits sein inneres Flammenreich.
Erbleiche, Mensch, erschreckt durch Deine Lüge!
Verräth man Geist und Wahrheit, werde blaß:
Erröthe, Mensch, durch Deine jähe Rüge.
Die rothe Taube ist Dein Sklavenhaß!
Die rothe Taube ist Dein Gotterlangen:
Sie steigt als Urentschluß in Dir empor.
Sie schlagt die Flügel bang zu Deinen Wangen:
Sie wärmt und röthet Dich! Sie dämmert vor!
Hast Du noch nie, voll Scheu, den Menschensohn empfangen!
War Deine Seele, Deine Weiblichkeit nicht rein?
Oh Mensch, Du weißt es nicht, was Du schon angefangen:
In uns ging oft schon Geist, in weicher Stummheit, ein!
Du kennst das große, ewigwahre Grundverstehen,
Der Dinge Ich und aller Wesen Zukunftsernst!
Was eben vorgeht, magst Du selbst mit Hohn besehen,
Doch schweigt der Irrthum, wo Du Dich von ihm entfernst.
[537]
Oh Mensch, das Falsche schmiegt sich spät in Maaße.
Doch grundhaft schlecht ist nichts, es harrt wie Du!
Es dient, was sich nur kurz berührt, zum Spaße,
Doch alles wirbt um Pyramidenruh.
Ach Mensch, die rothe Taube laßt Dich lachen!
Sie gurrt und flattert krampfhaft auf.
Doch kann ihr Wesen ganz in Dir erwachen,
Gewahrst Du den vollstreckten Zukunftslauf.
[538] Nordschein
Du Tag in mir selber, Du Thauen und Licht,
Du mildes Vertrauen im strengen Gewissen,
Du Einheit in mir und Du freies Gericht,
Du hast mich so tief aus mir selber gerissen!
Jetzt bin ich ja Dein, lodernforderndes Wort!
Du stummes Bedeuten und kindliches Staunen,
Du raunst nur: »Nicht dort!« Und bist immer dort.
Doch nein, Du bist wacher und stummer als Raunen!
Du furchtbare Größe und Einflucht im Zwist,
Ich kann Dich nicht fassen: ich muß Dir erliegen!
Du Ich in mir selber, das selbst sich vergißt,
Du bist der Zertretenen leuchtendes Siegen!
Du stürzt Dich ins Treffen, ins glaubhafte Nichts.
Du bist das Gotttrotzende Gottheitserringen.
Du bist das Erdämmern des Ursprungsgesichts:
Du warst ja noch nie, doch Du wirst uns gelingen.
[539] Das Gleichniß
Wir sind den Ursprung zu erglühn verpflichtet,
Drum hat sich mancher Schöpfungstraum bewahrt.
Der Blick, den man erstaunt ins Innere richtet,
Erschafft Vergangenheiten, die er klärt.
Doch dämmert, dämmert es, nur um zu dämmern.
Was niemand sagen kann, das bannt uns fest.
Doch wo es dämmert, mußt Du hämmern, hämmern,
Denn wehe Gott: der Welt, die Gott verläßt!
Wir müssen uns zum Ursprung hin verjüngen.
Wo Du den Ursprung wähnst, bist Du ihm nah.
Wenn wir in uns den Ursprung ganz erschwüngen,
So wäre da, was, künftig, schon geschah.
Es gilt auf seinem Werden zu beruhen,
Die Welt in sich bewußt verknüpft zu sehn.
In Bildern sagend, kühn sich wahrzuthuen:
Das Unerfaßbarste muß auferstehn!
[540] Der Entschluß
Nach meinem Anfang mag ich schaffend tasten.
Im Geist verankert kann die Welt bestehn.
In meine Seele wird sein Wesen wehn,
Gelingt es keinen Augenblick zu rasten.
Was wären Dinge, die sich nicht erfaßten,
Dort wo sie aus dem Eigenring geschehn?
Ein sterbliches, ja todtes Weiterdrehn,
Ein Schwang von Schwaden, die aus Nichts verpraßten!
Doch will das Chaos seinen Ursprung schöpfen.
Und heute stürzt bereits der Weltenguß.
Er war so falsch, daß er sich kennen muß.
Der Irrthum faßt sich schon in tausend Köpfen.
Es grinst der Trug aus lauter Urnentöpfen.
Doch Mensch zu sein, bleibt trotzdem ein Entschluß!
[541] Die Verneinung
Zu weit ist die Idee, wer könnte sie ertragen?
Was sie erfaßte, stürzt bald unter ihr zusammen!
Doch etwas kann ich fest und über Träumen sagen,
Daß wir einer Idee, die uns durchglüht, entstammen.
Zuerst ist das Gebot, die Menschen kommen später.
Dann klärt sich die Natur, warum wir leben müssen,
Doch jäh aus der Idee entstehn ihre Verräther,
Und sie erschreckt uns, einfach, unter Überflüssen.
Und doch: ich darf, ich muß vom Urgeflüster sagen.
Mit scheuen Worten mag ich mich an Klares wagen.
Es ist so klar, so klar: ach, könnt ich etwas fragen,
So dürfte ich die Antwort in die Dinge tragen,
Und aus Versuchen würden Wunderblumen schlagen.
Ich lege mich vor einem Vogel einsam auf die Lauer.
Er singt in mir: Ist es Musik? Nein, starre Dauer!
Vielleicht die Ruhe, wenn ich selber tief erschauer?
Nein, denn er fliegt und stiegt und sucht uns mild aus Trauer.
Nun schweige ich, als Dein, mein, unser Grunderschauer.
Es klingt so unverständlich, wortlos und erhaben:
»So komme doch, in mich, in uns Dich zu vergraben!
Wir sind so reich an unvergebenen Seelengaben,
Der Strom, der aufwärts wallt, mit Jugend uns zu laben:
Wir sind der Anfang, da wir keinen Anfang haben.«
Das ist ein Zauber! Doch ich bin ein Kind der Erde!
Was ich erlausche, kann ich nicht vergessen.
[542]
Ich muß es stammeln, bis ich ganz ein Dichter werde,
Und Bilder zu erleuchten, will ich mich vermessen.
Ich bin ein Jäger. Nach Einsicht lieg ich auf der Lauer.
Das was mich einholt, halte ich an seinen Flammen.
Das was mir nachhallt, rufe ich in blasser Trauer:
Ich raube was ich kann und stürze laut zusammen!
»So wisse, Mensch, im Dortseits giebt es nicht Gesetze!
An Haftbefehlen halten wir die Welt zusammen.
Durch das Bewußtsein tauchst Du selbst in Schicksalsnetze:
Entstammt, kannst Du der Wahrheit frei entstammen!«
Ich spreche nun, ich spreche fort, muß sprechen,
Denn mein Gedächtniß hämmert selber sich die Sätze.
Wie kann ich das am eigenen Gesicht verbrechen!
Ich bin ein Sklave: ferne sind die Seelenschätze.
[543] Der Wanderer
Auf, auf! Was Du erschaut, das laß mich eingestehen.
Ideen sind unendlich. Welten selbst Ideen.
Kann doch das Meer im Menschen schöpfend auferstehen,
Gelingt es seine Stille schaudernd einzusehen.
Ein Meer von Sternen, Leidenschaften und Gedanken
Vermag es Dir Bestand und Herkunft zu verdanken.
Nur beim Entschlusse still und stumm! Nur da nicht schwanken!
Dann magst Du Zielen nach, selbst ins Verderben, wanken.
Nun Erde, mußt Du selber auch zum Gleichniß dienen:
Was Deinem Kind in Leid und Finsterniß erschienen,
Das Licht, das Eigenlicht, die innern Schimmerbienen,
Die mich zerstechen, wirken auch in Deinen Mienen.
Auf! Wo der Ausbruch leicht ist, dort soll er geschehen,
Doch kann ein Dauersieg nur an dem Ort bestehen,
Wo er so schwer fallt, daß die Zweifel selbst vergehen,
Drum wird mein Traum vom Tropenmeer zum Pole wehen.
Du, Erde willst doch wieder jung und selber leuchten
Und glühst in Wäldern, die Heroen einst durchkeuchten.
In wilden Wolken magst Du Wüsten hold befeuchten
Und hoch am Pole sollst Du wie am Anfang leuchten.
Drum Wandrer, soll Dein Seelenschwarm nicht bald zerstieben,
So mußt Du einen Menschen, so wie Du bist, lieben.
Vermagst Du das und bist Du stark und treu geblieben,
Vermagst Du viel und wirst von selbst zu Gott getrieben.
[544]
Doch merke, Wandrer: aller Anfang ist die Liebe,
Drum finde und entstamme sie im Sterngetriebe!
Begeistre uns und wirb um Liebe, Liebe!
Erweckt das Licht, daß es aus allen Bergen stiebe!
Die Sinne mögen schweigen, und das Herz kann beben,
Doch der Verstand, der kalte, soll nach Liebe streben.
Ja, der Verstand, der kalte, soll jetzt Gott beleben,
Der Geist in die erkannte Welt sich frei erheben.
Auf, Wanderer! Hinweg von jedem Glück und Lohne!
Und trachte, daß die Seele tief in Schmerzen wohne!
Das Leid ist eines: groß und frei von jeder Frohne.
Dort wurde Gott, dort wird der Mensch, die Welt zum Sohne!
Verbeiße Dich in Dein Gebot, im Grau der Erde!
Verkrampfte sich Dein Schöpfer doch in Deinem Werde!
Es warf das Weib sich Dir in die Geburtsbeschwerde!
Wie, Wanderer, Du harrst! Verlangst Du Sattelpferde!
Zum Meer, zum Meer, vom Weib, von meinem Weib zu singen!
Es glaubt das Meer, des Mannes Sang wird es vollbringen.
So höre seinen Ruf in jeder Mondscheinbucht erklingen
Und aus dem Branden sich zum Blüthenschaum entschlingen.
Empor zu Schnee und Frost! unter die weißen Bienen,
Die Dein Gesicht zerstechen und dem Schöpfer dienen!
Hindurch durch Bienen, Bienen, eisige Gletschermienen:
In Dich, in Dich! Wenn Dir Dein kaltes Licht erschienen.
Sei heilig, Wanderer, ehrfurchtsvoll und unverdorben,
Wie an dem Tag, da Deine Mutter Dir gestorben.
Im Weib erhalte, was die Mutter ihm erworben,
Und durch die Unschuld schluchzen Orgeln und Thiorben.
[545]
Oh Wanderer, hör den Schwertertanz der Sphären!
Das Nordlicht ruft Dich auf. Du sollst Dich freigebaren!
Der Tag ist reif. Die Nacht durchdauern Flammenähren.
Der Schwertertanz erscheint. Der Krieg wird weiterwähren.
Ekstatische Erde, Dein flammendes Lacken,
Die Heiterkeit unserer allwissenden Greise,
Umarmt unsere Nacht, die wir furchtlos entfachen:
Erfrorenes Schwärmen nickt starr aus dem Eise.
Oh Nordlicht, die wandernden Gletscher sind Thiere,
Die Du fasziniert hast. Versuche zu Riesen
Durchblauen das Dunkel. Nun ist es, als stiere
Ein Geist durch die Stürme. Jetzt dröhnt es, als bliesen
Die Winde aus Schlünden gebändigter Bären.
Wann kann ich die Jungfrau im Eise gewahren:
Das Weib, das die Menschen voll Sehnsucht verehren?
Ich weiß, daß es stammende Gletscher gebaren!
Die Nacht wallt hinan. Es flackert ihr Lachen.
Wir wandeln im Wahne. Das Weib harrt im Sange.
Ihr Sagen, wann wird Euere Wahrheit erwachen?
Erhabenste Jungfrau, wir werben noch lange!
[546] Das Sternenkind
Der Mensch muß fliegen! der Mensch muß stiegen! verbreitet den Sturm!
Vertilgt im Herzen, vertilgt im Leibe den furchtsamen Wurm!
Ersehnt im Winde, erhofft im Winde den wehenden Geist!
Beruft im Dunkel das Kind der Sterne, das Schweben verheißt!
Erträumt Gefahren, erfiebert Schrecken, entfesselt das Leid!
Kometen helfen. Gestirne drohen. Erfaßt Euch im Streit!
Den Wurm ertödtet, den Wurm verachtet, verwundet den Wurm.
Bewacht die Warten, sie harren und warten, entwuchtet dem Thurm.
Der Tod ist machtlos! Entfliegt ihm lachend! Verbreitet den Sturm!
Der Mensch muß fliegen, den Schwindel besiegen, die Erde bekriegen!
Die See hat Wolken, die Seele ihr Wollen, der Mensch muß stiegen!
Der Strand hat Bäume, der Geist seine Träume, der Mensch wird siegen.
Das Meer hat Wellen, der Mensch seine Hellen, sich lichtwärts zu wiegen.
Der Wind hat Spiele, das Kind seine Ziele, es wittert das Fliegen.
Den Zäumen entträumt: die Räume zu säumen, entbuchtet im Sturm!
Die See hat Stürme, die Seele hat Thürme, umwittert den Thurm!
Die See kann sehen, die Seele erwählen, verwundet den Wurm!
Ich wähle die Seele, erwäge die Geister und schwebe als Traum.
Ich schaue in Herzen, berausche mich schaudernd: Ihr traut einem Baum.
Ihr grünt und erblüht, Ihr durchsprüht, überflügelt den Raum.
Es glauben die Herzen, wie glühende Kerzen. Es leuchtet der Baum!
Es beugen die Fichten die Träume der Sterne zur Erde hernieder.
In Weiblein und Wichten erwachen so gerne unwichtige Lieder.
Euch alle belichten Geschichten der Ferne, die still sind und bieder.
Wie gerne erschimmern die Sterne, wie herrlich er glüht Euer Baum.
Erblühen schürt Glühen. Und Glühen Entsprühen. Der Baum wird ein Traum.
[547] Der Traum ohne Baum ist ein Band ohne Saum. Entbrandet als Schaum!
Bewacht Eure Träume, berauscht Euch durch Träume. Es leuchtet der Thurm!
Die Lichtfichte flimmert. Die Goldwolken drohen. Es blutet der Sturm.
Es träumen die Kinder. Der Wind wird gelinder. Es zuckt schon der Wurm.
Wer Schneewehen wittert, bedenkt sich, erzittert. Es dunkelt der Thurm.
Die Jugend erstirbt nicht. Die Weite gebiert sich. Die Kindheit wird siegen!
Was naht ohne Alter? Was will, durch die Finsterniß schwirrend, sich wiegen?
Ein glastender, kalter wahrhaftiger Falter wird Fernen erstiegen.
Wer wirbelt? Was hascht sich! Wann wähnt sich ein Wagniß? Wir fliegen!
Wir fliegen? Es sterben die Sterne. Wie gerne, wie ferne! Wir fliegen.
Ein Wesen
Der Geist hat eine Eiche heute Nacht geknickt.
Ich sauste, lauschte auf. Der Riese war gefallt.
Der Hunger, samt der Brunst, hat durch den Sturm gebellt,
Und ein Gespenst urplötzlich unsichtbar genickt.
Von einer Eule ward ein Thier zu Tod gepickt,
Der Westwind wo an einer Waldeswand zerschellt,
Der Schreck befiedert übers Feld emporgeschnellt,
Das Wasser hat wie eine Schicksalsuhr getickt.
Es ist nun wo ein Ding beschlossen oder aus!
Ich starre ganz zugegen in den Geist der Welt.
Mein panisches Gehaben ist bei sich zu Haus.
[548]
Viel eher als ein Narr bin ich ein Held.
Ich brauche diesen rauschenttauchten Braus und Graus
Und bin der Saus, der kraus den Geist verzaubert hält.
Der Blinde
Wer sagt es mir, ob ich schon lange einsam harre:
Verwalte ich ein Geisterheer als blinder Greis!
Ich sehe nichts. Doch ahne ich des Daseins Starre.
Der Riesen Lockenhaar ist weiß. Ganz klares Eis.
Die Fluthen jauchzen nicht zu lauten Wunderdingen,
Denn stummgefroren wähnen sie ihr Grundgeheiß.
Die Gluthen prusten nicht aus tausend Wirtungsringen,
Die Nordlichtlandschaft überträumt den hehrsten Traum,
Und alle Dinge fangen an, ihr Lied zu singen.
Die Dinglichkeit ist todt. Das Wort erfüllt den Raum.
In meinem Wesen höre ich das Weltlicht tönen.
Es wiegt sich, stiegt und siegt des Sternes heller Schaum.
Das Wort kann aus der vollen Mutterwurzel dröhnen.
Es singt. Es klingt. Es singt sich selbst. Gebiert die Dichter.
Es wird der Geist sich wieder an das Wort gewöhnen.
Ich bin ein Mensch und fühle alle Glaubenslichter:
Wie gut sie meine helle Seele unterfluchen.
Erst fiebern sie. Dann leuchten wir und werden schlichter.
[549]
Sie können jetzt in mir das Weihesein vermuthen.
Die Sonne hat uns aufgerufen und geboren.
Doch heute sind wir frei. Die Willenslichter bluten.
Wie ist die Sonne hold! In uns hat Gold gegohren.
Sie ist die Herrin! Herren wurden ihre Kinder.
Es ist der Daseinszwang zum Geisterzweck erfroren.
Das Nordlicht ist der Dinge innerer Überwinder.
Die Welt besteht in ihrer tiefsten Majestät.
Ich höre mich und werde witternder und blinder.
Der Ursprung lebt. Hier giebt es nirgends ein »Zuspät.«
Die Gründlichkeit der Welt verschmäht die Maaße,
In denen sich der Hang zur Dinglichkeit verräth,
Der ganze Himmel glüht: die Welt ist seine Straße.
Der Schlafende
Ich harre: denn in mir wird heitere Freiheit tagen.
Es überwindet unser Schlaf den Todtentod:
Er soll den Tag durch alles Nachterwachen tragen.
Hinab in meinen Tod, Du holdes Wonnenroth.
Die volle Sonne ist die große That, zu leben:
So fühle doch, wie sorglos sie Dich noch durchloht:
Wie sich in Dir die Pulse freundlich ihr ergeben:
Der Schlummer ist die Sonne, die den Tag verheißt:
Sie weiß: nur wer sie kennt, wird sie erstreben.
[550]
Du glaubst, daß sie von Dir, dem Kind, geschieden kreist.
Du weißt von Fluthen unter goldenen Tropengluthen,
Doch fern ist bloß der Schein, und Du verwahrst den Geist:
Nicht ich, doch Du, auf dem die Wesen stets beruthen,
Bewachst das Sonnenwollen vor dem Nichts der Nacht:
Du Macht zu schlafen bist der Dauer Grundvermuthen.
Du weißt, daß ein erschauter Tag in Dir erwacht.
Die Sonne, die den Schlaf erschuf, erblickt sich wieder.
Denn Schlummerwurzeln tragen ihre Tagespracht.
Das Nordlicht bringt die Stille. Das Nordlicht senkt die Lider.
Das Nordlicht weht in Dich und überwellt Dich schon,
Denn herrlich senkt sich eine Welt in Dich hernieder.
Das Nordlicht, zweier sonngeborener Sonnen Sohn,
(Denn Schlummer und Bewußtsein haben es erschaffen,)
Setzt leuchtend Sonne, Mond und Sterne aus den Thron.
Es will in Dir, das Nordlicht Dich der Nackt entraffen.
Es sieht die Sonnen, zeigt die Sonnen, zeugt die Sonnen.
Das Nordlicht steigt, wo die Bewußtseinsschluchten klaffen.
Das Nordlicht blickt Dich an, es glimmt in Dich versponnen.
Du liebst es hold, es will in Dir beruhigt sein:
Du schläfst. Vergißt Du Dich, so hat die Gluth gewonnen:
Und bald erblaut der Tag, ganz unschuldsvoll und rein.
[551] Der Träumende
Der Laut ergraut, und jedes Ding erhält sich wieder.
Die innere Freiheit, unsere Heiterkeit, wirkt alles.
Die Erde schenkt der Dauer Diamantenlieder.
Dem Land entragt die Gluth des unversuchten Falles.
Die Seele überglüht die eigene Einverleibung.
Die Erde hat den Anspruch eines Flammenballes.
Der höchste Wunsch erfahrt die höchste Übertreibung.
Die Wesenheit gelingt: verdingte Dinge sterben.
Das Nordlicht ist der Freiheit leuchtende Umschreibung.
Es kommt der Mensch ans Licht, um Weltwuthen zu werben.
Es träumt der Mensch, um andere Träume anzutreffen:
Er soll durch Plötzlichkeit das Reifste übererben.
Die Erde kann die goldenen Träumessegel reffen.
Wir tragen sie empor: hinan, hinein in Welten
Mit stillen GluthenRuhen und KometenTreffen.
Wir sind der Geist, aus dem die Sterne sich entschwellten.
Gebähren wir die Sonne! Es beginnt zu tagen.
Die Sonne wird, wenn Sehende die Welt erhellten,
Bewußte, horcht: Ihr müßt zwölf Stunden Sonne tragen!
[552] Erwachen
Warum, oh holdes Morgengold, bist Du so blaß?
Es ist ja doch voll froher Ahnung schon der Wald.
Das Wasser, das sich nirgends wellt, erstrahlt wie starres Glas.
Doch gar nichts harrt, da alles sich zusammenballt.
Die Wiese ist voll Jubellust und Thaugeglitzer.
Aus allen Winkeln und auf allen Stengeln singt es.
Ja, selbst meine Geschwister schwätzen durchs Gezwitscher.
Und auch mein Rausch ist nur Verbrauch des Lautinstinktes.
Es schwirrt ein Lied um alle winzigen Zypressen.
Die Ölbaume stehn blaß wie schwache Kinder da.
Es hat auf jedem Blatt die Nacht ein Thauauge vergessen.
Und tief wühlt jetzt in mir der Wunsch: »Sag endlich: ja!«
Nun ja! Ich schüttle schon ein Bäumchen unter Bäumen.
Ich fühle feuchte Frische ins Geflimmer schäumen.
Der Frühe Froheit stammt und funkelt durch die Traufe.
Ich jauchze, glaube, daß ich mit den Lauten laufe.
Der Prophet
Die Sonne fühle ich mit ihrem großen Wollen:
Des Lichtes Schicksal wirkt in mir verschlossen:
Der Sonne Weltverheißung senke ich in Schollen!
[553]
Ich bin das Nordlicht, bin der Nacht entsprossen.
Ich bin der Sonne nah und kann ihr Schaffen wittern
Und bleibe stets zu Sonnenfolgschaften entschlossen.
Das Land befreit sich in Begeisterungsgewittern,
Denn jede Seele ist für sich ein Element:
Sie wälzt die Erde um und will als Stern erzittern.
Der Gluthenwunsch, der wuchtverschluchtet, hell entbrennt,
Gab uns im Kerne kühn die Schaalungsmacht zum Sterne:
Ich bin die Erde, die als Nordlicht sich erkennt!
Oh Sonne, strahle nun aus meiner Innenserne:
Empor, oh Sohn der holden Weiblichkeit der Wesen,
Entringe Dich, Du Sonnenhoheit aller Kerne!
Die Sonne wird der Gott, durch den wir bald genesen:
Ein Gott ist Wirken, Wärme, Wollen, Wonne, Sonne!
Der Sohn der Sonne hat uns zum Gefolg erlesen,
Es kennt der Norden schon die kommende Kolonne.
Der Nachdenkliche
Oh Sonne, Sonne, ich empfange rings Gedanken,
Der Sonnenwonne Jubelthat zu weihen,
In Fabeln Dir für meinen Farbentag zu danken.
Es wallt die Phantasie durch lange Raktusreihe,
Zu bleichen Weihern unter glühenden Gesträuchern,
Und drinnen schreien buntgeschäckte Papageien.
[554]
Ich wähne Menschen mit verwundernden Gebrauchen:
Die Gluthen ferner Tropen kann ich blos vermuthen.
Die Seelen kommen selbst. Nur still! Nur keine scheuchen!
Nach meinem Norden, wo einst Wesen schrecklos ruhten,
Ziehn viele wieder, wie zu fernen Nestern:
Denn alle schweben nun, die Furchtbaren, die Guten!
Die Neger, Tiger, Schlangen, die wir hart verlästern,
Beginnen tief in mir die Schöpfertraft zu wittern
Und sagen klar: die Zeit ist arg und elend schlecht das Gestern.
Die Seelen aber finden sich: sie beichten, zittern.
Die Hascher sind so unschuldsvoll wie jeden Morgen.
Die Morgen kommen! Die Sünde wird uns nicht verbittern.
Des Dichters Geist beginnt für Euch zu sorgen.
Ihr Leidenden, erscheint: Ich weiß vom Weltenwehen
Und kann den Trost den großen Norden schon erborgen.
Wir müssen morden! Dieses Muß wird Gott umflehen!
Der Opfer Blut, der Schlächter Blut darf kalt erstrahlen,
Fangt der Verstand doch an, die Dinge einzusehen.
Empfangen wir den Geist, verblassen alle Qualen.
Die armen Thiere können sich des Herrn erbarmen.
Sie nahen schon. Sie glasten unter Glanzportalen.
Der Schöpfer laßt, gerührt, sie abermals erwarmen.
Da ziehn sie fort: und unser Herrgott bleibt verlassen.
Zu einsam schaurig wäre es in seinen Armen!
Wir danken, Herr, daß wir Dein Leiden miterfassen:
Daß wir durch tausend Sonnen herzhaft an Dir hangen,
Vor Deinem Antlitz, durch das Mondlicht, kalt erblassen,
Bewußt, im Dunkel, Deinen Schlummer stumm erlangen.
[555] Der Hellseher
Durch meinen Norden tosen goldene Gespenster.
Die offene Blüthe einer Welt empfangt den Pollen
Erlöster Sterne: und in Gluthkometen glänzt er.
Das Wesen aller Wildniß will der Welt enttollen:
Ein Flammenwald entwuchtet in Gewaltgewittern:
Und holde Sternenkinder nahen unsern Schollen.
Die Seele todter Wälder wird vor Gott erzittern:
Erbebst Du nicht? Belebst Du nicht durch sie die Liede?
Vermöge Du mit tausend Blüthen Geist zu wittern!
Er weht herbei, er windet sich ins Weltgetriebe
Und wirkt, damit der Wissenskreis der Wesen
Sich bis zur Witterungsellypse hinverschiebe.
Er hat die kleinsten Daseinsrausche aufgelesen
Und giebt ihnen in Hellsehern erhabene Starke.
Der Grundbeschluß der Urgeburt heißt Traumgenesen:
Und kalte Waldgespenster ragen in die Tagewerke.
Die Berauschenden
Wir fliegen und singen im Reigen um Sieger,
Wir krönen die Götter mit goldenen Haaren
Und lieben die Löwen und lauernden Tiger.
[556]
Wir führen im Süden die rüstigen Schaaren
Begeisterter, nordlichtdurchschauerter Seelen
Zu Thaten, die Ahnungen klar offenbaren.
Wir können die jüngsten Geschlechter erwählen,
Durchwallen die Wesen, durchgolden die Mähnen,
Entsteigen der Erde, uns Gott zu vermählen
Und unter uns dunklere Völker zu wähnen.
Der Schaudernde
Zwei dunkle Sonnen, das Bewußtsein und der Schlummer,
Sind nicht mein Eigenthum, doch Pfade oder Brücken.
Die Welten fluthen an und durch: und werden stummer!
Vernehmen will ich nicht. Kein Tag soll mich berücken!
Ich muß mit meinem Gotte leiden, furchtlos leiden.
Er liebt mich! Dunkle Liebe sprüht durch mein Entzücken.
Der Schlummer heilt. Und doch, den Schlummer muß ich meiden.
Für meinen Gott, der schlummert, will ich schaffen:
Er wisse nicht, wie oft wir leiden und verscheiden.
Ruft ihn nicht auf! dem SchlafIhn schmerzhaft zu entraffen!
Was in uns schlummert ist das Beste: wird uns heilen.
Es birgt Gebirge, wo Vergessensschachte klaffen.
Er schlaft; Ihr könnt ihn noch in Hold und Grausam theilen,
An gestern glauben, ewiger Grauen Euch berauben,
Und schon in holden Morgen, die erst kommen, weilen.
An einen Gott, der heilig schlummert, kann ich glauben.
[557] Die Berauschten
Wir sind des Nachmittages warme Geisterschwärme.
Wir nisten in den Seelen, die verwundert tagen,
Und dringen ihnen Heimathlieder, Wesenswärme.
Im Leben darfst Du nicht nach Sonnenworten fragen:
Ihr sollt Euch an die Eingebung von Thaten halten,
Denn unser höchster Flügelschlag heißt Wagen, Wagen!
Die alten Wälder sangen an, in Euch zu walten:
Beim Einsturz haben sie geschluchzt und sind verschwunden.
Doch alte Majestät kann sich ins Dasein schalten.
Seid stummer als der Urwald! Laßt Euch stolz verwunden!
Die todte Wildniß birgt die hellen Elemente,
Durch die wir uns als Werthungswächter hehr bekunden:
Ein Element und kein Befehl schafft Rechtsmomente.
[558] Abend
Am Himmel blauen weither Wind und Inseln.
Die Brandung schwillt in dumpfen Brustakkorden:
Dazwischen hörst Du wirklich Stimmchen winseln:
Entwallt der Sang von großen Daseinsmorden?
Dort, durch das Dunkel, huschen nun Delphine.
Und auch die Wellen balgen sich am Strande.
Wie eigen ist doch manche Dingesmiene:
Ich fühle ja genau verborgene Bande.
Gewiß, jetzt gilt es, sich der Nackt besinnen.
Vergessen wir die lichte Innenstille.
Wir sehen rings Geheimnisse zerrinnen:
Schweigt! Was beginnt ein solcher Wellenwille?
Durch uns, verdunkelte Vernunftgeberden,
Hascht abermals so mancher Heimwehschatten.
Ja, ja, es heißt blos Auferstehn und Werden!
Ach, Dasein, willst Du immer nicht ermatten?
Das Weib an der Wellenwiege
Das tragische Schwarz aller Nacht ist erhaben.
Die Arbeit rastet aus. Die Armen darfst Du laben.
Erwartet mich: Ich bin der Wahn der Sagen
Und kann die Wahrheit und den Schlaf der Nacht ertragen.
[559]
Vernehmt: die Erde hat den Sonnensohn geboren.
Es strebt der Geist zu Gott empor. Aus goldenen Thoren
Kommt das Geschöpf erhöht zu Gott, Der es verloren.
Der Wesen Leid wurde zum Freiheitskeim erkoren.
Der tiefste Sohn, der seinen GipfelGott verschmähte,
Weil Der das ErdenLeben, das Er täglich säte,
Nach leidvollbrachtem Arbeitstage wieder mähte,
Entwandt der Rast den Schlaf, das er den Tod verspäte.
Es wuchs der Geistes Wurzelsehnsucht nach dem Süden:
Es war ihr Wunsch, daß sie die Wesungswucht entlüden!
Verkrampft, bekannte sich die Daseinslust zum Rüden,
Das Weibliche sollte die VollSonne ermüden.
Da ward von Gott, aus Ihm, das holde Wort geboren.
Im Wort hat sich der Sonne frischer Hort verloren,
Zur Sünde dann der Geist den Süden sich erkoren,
Nun tritt die Freiheit aus des Nordens goldenen Thoren.
Das Nordlicht sprießt: Das Weib empfängt die Weltkometen.
Das Nordlicht wächst: Es werden Sonnen sich verkneten.
Das Nordlicht blüht: Ein Gott begreift sich in Propheten.
Das Nordlicht siegt: Du bist! Kein Wort soll Dich vertreten.
Zurück zum Sonnengold! Das Wort begehrt den Bronnen.
Der Mund empfängt die Fluth, der Glaube tausend Sonnen.
Des Wortes Tochter, unsere Freiheit, hat gewonnen,
Nun weicht das Wort vor einem Gott in heiligen Wonnen.
Ihr seht das Wort zum vollen Element erfroren.
Es schweigt der Ruf, der Durst hat unsern Born geboren.
Vor Gott, der seinen Sohn, als Welt und Wort, verloren,
Besteht und lebt der Geist, der Gott in sich erkoren.
[560] Gestalten am Strande
Sterne tagen, um uns still vor Gott zu tragen.
Die Herzen schlagen, um den Flug von selbst zu wagen.
Die Felsen ragen und verheißen alte Sagen.
Die Wellen klagen und die raschen Böen fragen.
Was hascht der Wind! Was faßt das kalte Wasser?
Nun athme ich geschwind. Die Welt wird mir ein blasser
GedankenIneinanderklang. Der Wahn wird krasser.
Jetzt athme rasch, welturverwandter Daseinshasser!
Athem
Nur Sehnsucht sind die Augen, blos der Mund Besitz:
Nur Traumgewitter Blicke und der Tag ein Kuß:
Das Dasein ist Verwolkung, Gott allein der Blitz:
Ich selbst bin Feuer, da ich glaubhaft bleiben muß.
Begierig sind die Blicke: Mystik west im Hauch:
Und Wahrheit, Unerschautes wogt das Wort ins Lied.
Das Unerhörte scheuche fort, wie Gluth den Rauch:
Sich selber hört die Seele, die das Fremde sieht.
Hinweg vom Schaustück! Aussichtslos und ohne Gier,
Enthebe mich der Geist. Zurück zu Wind und Mund!
Mein Athem ist der Sang, der Klang der Tag in mir.
Mein Ruf ist Wucht und Sturm: ein Schlund mein dunkler Grund.
[561]
An meinem Lied, an meinem Leide will ich hangen.
Des Schmerzes Feuerlippen löschen mein Verlangen.
Ich bin so weit, ja viel zu weit, in mich gegangen.
Wind wehe mich ins Weh, wo andere Wesen bangen.
Ein lächelndes Wesen erscheint mir im Winde.
Ein Weib wird vom Sturme nach Westen getragen.
Gesicht, das ich leibhaft und wirklich empfinde,
Wie kann ich Dir nahen! Es bangt mich zu fragen!
So weht denn vorbei, holde Sehnsuchtsgebilde!
Ihr silbernen Träume entschwirrt wie Gewitter.
Ihr perlbleichen Geister verschwiegener Gefilde
Vermummt meinen Wunsch, durch ein Schneeflorgeflitter.
Ich sah ja das Lächeln. Die Nacht wurde heller.
Jetzt wandre ich heiter, noch tiefer und weiter.
Mein Sang sagt die Wahrheit, stets klarer entquell er!
Verheißenes Weib, es erschaut Dich ein Streiter!
Erleuchtete Nächte, ich liebe das Lachen,
Dem Geister und Seelen unendlich vertrauen.
Vergoldete Morgen, die Menschen entfachen,
In Euch will ich plötzlich vor Freude erthauen.
[562] Einfall
Auf einmal ward die Nacht geknickt und trüber:
Der Mond verdunkelt und dann wieder frei.
Perlmutterwolken bauten sich herüber,
Und vor dem Licht stockt eine Schäfchenreih.
Die Wiesen übersprühen grüne Käfer,
So weit sie Wiesen oder Felder sind.
Im Haage dämmern Träume müder Schäfer,
Und alle Silberbäume schmückt der Wind.
Das Meer erhellt sich selbst durch Wirbelfluthen:
Von allen Klippen träufelt fahles Licht.
Was blaß enttaucht muß Seelenschimmer bluten,
Oh seht, wie geisterhaft die See sich bricht.
Der Mond beherrscht nun wiederum die Weite.
Er lächelt nur; wer weiß, ob Du mich kennst?
Sein Lächeln bleibt das Wind und Fluthgeleite:
Die Welt ist jetzt ein riesiges Gespenst.
Der Sänger
Mein Mutterland, mit allen Deinen Fluchen,
Verlangst Du, bangst Du ja zum Mond hinan:
Unheimlichkeiten, die wir nur vermuthen,
Ereignisse, die nie ein Wunsch ersann,
[563]
Entwallen Dir aus Gründen, die einst ruhten,
Zum Stern, der abermals das Nichts begann.
Wir träumen ja hinweg nach einem Reime,
In dem das Fühlen starr und frostig sei:
Und allen festen Schlafes Ebbungsschleime
Durchblinkt des Sterbens Silberstickerei:
Wirft doch der Mond die bleichen Todeskeime,
Voll Mitleid, schon in jedes SonderEi.
Oh Erde, hin zum freundlichen Genossen
Will unbewußt das froheste Sonnenkind.
Was überraschend rasch am Tag ersprossen,
Ist innerlich doch immer mild gesinnt.
Es will ein Wort, dem todten Mond entflossen,
Zum stummen Mund zurück, dem nichts entrinnt.
Euridike
Ich weiß nicht, weshalb dieser Sänger mich preist,
Warum er mich immer noch sehnsuchtsvoll ruft?
Ich bin es doch selbst, die ihr Wesen verheißt,
Die alles was auftaucht harmonisch verstuft!
Du Orpheus, sei ewig der Strahl der Idee,
Und ich die unendliche Urmelodie,
Dein wirkliches Lied, alle Sterne, der Schnee:
Dein Leid, unser Heil, mein Weltselbst, das Nie.
[564]
Dein Ich, holder Sänger, ist immer in mir.
Oh, blick Dich nicht um, was ich war, bleibe stumm!
Doch dort, dort vor Dir, jenes furchtsame Thier,
Erbangt ja für Dich: Doch ich bin es. Warum?
Du darfst mich nicht todten! Ich steh wo Du gehst.
Ich wittre und weile, wohin Du gelangst.
Ich wandle als Schmerz, den Du heilsam verstehst:
Ich bin die Panik, aber nie feige Angst.
Ich springe in allem Vergleichbaren auf.
Ich sinke als Hast stumpf vom herbstlichen Ast,
Doch lenke ich auch Deinen leidhaften Lauf,
Bewußt nur durch Dich, Geist und Spende der Rast!
Ich ward von Gedanken in Marmor gebannt
Und harre als Stein auf den Sang, der mir naht.
Ich rufe und winke, mir selbst unbekannt,
Der Stimme, die wo mein Erschauen erbat.
Nun sind wir beisammen! Du blickst ja in mich!
Als jonische Säule erschein ich mir hold.
Dein frommes Erstaunen und Jubeln bin Ich.
Mein weibliches Nacktsein hast keusch Du gewollt.
[565] Wind zur Heimath
Die Dulderin am Brunnen:

In meinen Dulderbrunnen sinken viele Schmerzen:
Doch tief in meinem Leiden spiegeln sich die Sterne.
Die Seelen schwellen her, es ticken tausend Herzen:
Ich kenne ihre Angst und hab die Kleinen gerne.
Die Menschen sollen ihre Träume furchtbar bannen,
Die Hoffnungswolken mit Begeisterungen schwängern.
Gedankenwanderschaften ziehn im Sturm von bannen:
Ideen werden ihre Macht bei uns verlängern.
Der Regen, voll Rührseligkeiten, soll erfrieren,
Der milde Schnee dafür im Mondenschein erglänzen.
Statt Nebeln werden Eisberge herniederstieren,
Kein Blitz – das Nordlicht soll das Land bekränzen!
Polarschein tagt. Die Träume bändigt er wie Thiere.
Sakrales Dämmerlicht verwaltet unser Wollen.
Die Erde will nicht, daß sich je der Wunsch verliere:
Was sie geboren, das vergöttlichen die Schollen.
Schwärme ohne Wärme:

Hinab zum Brunnen, unsere Blauheit zu erschauen.
Statt Eisgebirgen, die vor Lichtgipfeln erschauern,
Erblicke Auen, die, uns spiegelnd, sich bethauen:
Belauern soll die Lust das Leid und nichts bedauern.
[566] Ein Schwarm voller Harm:

Die Lauheiten des Meeres schweelen, grundverbittert,
Die Seelen, wie in Nebeln, durch das Traumgetümmel.
Ihr seht, wie an der Sonne alles furchtsam zittert,
Dort oben bannt ein kaltes Leuchten Wolkenlümmel.
Ein Mann auf dem Meere:

Es schimmern blos die hellsten Sterne auf dem Meere,
Als ob der Halbmond hoch am Himmel wäre:
Die dunkle Stille aber unterbricht der Wind,
Aus Jonien weht und überweht er uns gelind.
Es tragen eines Bootes nimmermüde Schwingen
Mich leicht und schaukelsanft zu unerschauten Dingen.
Des Kahnes Gang ist bang und schwank, ja schwanenschlank,
Doch kreuz ich froh die Briese, samt dem Wogendrang.
Die hohen Segel führ ich selbst dem Wind entgegen.
Er schwängert sie voll Kraft, daß sie die Wellen fegen.
Doch blicke ich zurück, ist niemand dort im Boot,
Da hold sich, zur Begleitung, kein Wesen mir erbot.
So blick ich denn voraus, dort in den Braus der Wogen:
Was sich ereignen soll, kommt meerher angezogen.
Die Träume aber, ach, die träumen mir ja nach,
Die sind es, was ich hab, seitdem das Herz mir brach.
Die Wellen steigen auf. Sie spreizen weiße Flügel.
Sie schwingen sich empor: jetzt stiegen ganze Hügel.
Mein armer Flügelkahn, um Dich ist es gethan!
Es fletscht der Ozean. Es dunkelt der Orkan.
[567] Gemurmel um den Brunnen:

Nur Brunnen sind bewußt, denn Sprudel bleiben Jubel!
Aus Seeleneinflüssen bestehen freie Wesen.
Es wittert die Vernunft des Sturmes Wuchtgetrubel.
Ein Wunder taucht nur auf, wenn es schon urgewesen.
Der Sturm ist gut und mahnt zum Geist zurückzukehren!
Die Welt ist wild. Der Norden droht mit großen Morden.
Versenke Dich in die Ursprünglichkeit der Lehren.
Erfasse Dich: in Deinem Innern ist der Norden!
Ein Lauschender aus blauer Au:

Grauen, sammtig rauhes Grauen
Packt mich, wenn ich traurig bin.
Lauter graue Raupen stauen
Sich vom Hals bis übers Kinn.
Ach, wie schwer ich das ertrage,
Wie es mich erschaudern macht:
Raupen scheinen es am Tage,
Falter sind es bei der Nacht.
Dunkelbunter Schmetterlinge
Werde ich genau gewahr.
Ja, die innerlichsten Dinge
Schaut dann manches Augenpaar.
Tief im Flügelkreis der Falter
Blickt mich meine Trauer an,
Unserer Seele blaues Alter
Hält ein Zauber dort im Bann.
[568]
Fliegt doch fort, Ihr vielen Dinger!
Färbt Ihr Euch mit Räthseln bunt!
Meine werden schon geringer,
Abgesucht ist Euer Fund!
Flackert nicht, wie kranke Herzen,
Die der Tod nicht knicken kann,
Knüpft nicht alle meine Schmerzen
An den Samt der Flügel an.
Weggeträumt, hinweggesonnen,
Gebt mir doch am Morgen Ruh.
Ach, in Sorgen eingesponnen,
Deckt mich schon das Schaudern zu.
Doch warum die trübe Klage?
Stets bin ich mit Graun erwacht!
Raupen plagen mich am Tage,
Falter sind es bei der Nacht.
Der Schutzgeist am Brunnen:

Entführt mir nicht im Träume meine Schlummerschwärme!
Beruhigt und genügt Euch selbst, Ihr tausend Wesen!
Das Ineinanderschauern zeitigt Fieberwärme:
Die Welt wird kalt: Ihr müßt durch eigenes Licht genesen.
Die Glühwürmchen sind tief und freier als die Sterne.
Ihr Licht ist bleich. Vom Eigenschein sind sie umkleidet:
Verwandelt das Gehaben nach dem Feuerkerne:
Zieht leuchtend hin, wie Einer, der die Welt vermeidet.
[569] Der Nachtwandler:

Naht mir gar nichts auf den Spitzen,
Leise wie ein Geisterhauch?
Licht fällt durch die Mauerritzen,
Was Du fühlst ist grauer Rauch:
Jedes Ding kriegt Silberschlitzen,
Und es klingt und knistert auch.
Ja, jetzt wirst Du fortgetragen!
Thür und Fenster gehen auf.
Bleiche Thiergespenster wagen
Gleich mit Dir den Traumeslauf:
Glaubst Du Dich in einem Wagen,
Bauscht sich unter Dir ein Knauf.
Auf der Kante des Verstandes,
Über, unter der Vernunft,
Fühlst Du jedes Todtenlandes
Wunderheilige Wiederkunft,
Deinen Gang am Daseinsrande
Schützen unerfaßte Bande.
Der Dreiviertelmond ging unter:
Oder spürst Du nur kein Licht?
Doch! Ein Geisterchor wird munter,
Und Du merkst ein Teichgesicht,
Das Dir blauer, tümpelbunter,
Grün gar, ins Bewußtsein sticht.
Silbersilbig wird jetzt alles.
Hände kriegt so mancher Baum.
Des geringsten Eichenfalles
[570]
Wirkung grinst im Weltenraum:
Alles klingt zu eines Balles
Urversuchtem Rundungstraum.
Leise, denn geträumre Träume
Halten Dich zu leicht im Raum.
Eben treten Schauersäume
Blau und panisch in den Traum:
Halte Dich an Deine Bäume:
Faß Dich, denn Du fühlst Dich kaum!
Ja Dein Spuk wird torkeltrunken
Und er splittert Dich nun ab.
Tief in Dich zurückgesunken
Wird Dein Fliegenwollen schlapp,
Und Du hältst Dich kurz an Strunken ...
Ja, mein Lager ist gar knapp!
Seelen in wehender Wehmuth:

Die perlenden Seelen der sterblichen Thiere
Gefrieren wie Eisblumen still und in Frieden.
Du Leidenschaft wandelnder Wesen, erfriere!
Wir wehen ja wehmuthverwindend hienieden!
Du fieberndes Fordern und Träumen vom Norden,
Ihr Wallfahrten alle, verkrampft Euch zu Gletschern!
Es bannt Euch das Wort, das zum Weltlicht geworden!
Verkrümmt Euch zu Baren, zu Reißzähnefletschern.
Verkrustet, in uns Euern Durst zu verbergen:
Die Ruhe erklimmt ihr nur schreckhaft vereisend:
Dem Wechsel entreißt Euch in plötzlichen Bergen:
Vernebelt gespensterhaft, Welten entkreisend!
[571] Die blinde Wehmutter:

Als Greisin führe ich noch grundbewußt zum Leben.
Ich bin verwittwet, aber unverwittert, sicher!
Ich hoffe ferne Geister bald ans Licht zu heben:
Es wird der Mensch einst freier, abenteuerlicher.
Ich wurde weiß, den Sternen mag ich wohl entstammen!
Blos alte Seelen können einverleibt ergreisen.
Das Nordlicht wird die Hehrsten unter uns entstammen:
Nur um die Reinsten kann die Weltwabe vereisen.
Es fühlt der Mensch noch nicht den Weg zu meinem Wissen.
Er schweift verirdischt fort durch wilde Schwermuthstürme.
Der Urverwurzelte wird witternd fortgerissen:
Der Albbefangene erklettert Narrenthürme.
Ich aber finde langst den Pfad zur NächstenNähe:
Den Blick in Menschen kann mir nur die Nacht gewahren:
Die Räthsel, die ich bei Geburten jäh erspähe,
Beginnen langsam auch den Tagesgang zu klähren.
Die Knaben scheinen mir von Sonnenlicht umfroren,
Da ist es mir, als ob ich Wolken weltwärts leite.
So glaubt es nur: Ihr werdet goldumflort geboren,
Drum hoffe ich und stehe Müttern hold zur Seite.
Die Mädchen sind von mildem Mondenschein umzittert.
Ich sehe sie in meiner Blindheit leicht umschleiert,
Ihr Silberlicht ist spröder, tödtlicher, und splittert.
Durch ihr Erscheinen wird die Leiblichkeit gefeiert.
Ich werde weilen, um Propheten zu erkennen!
Des Geistes Kinder kann auch meine Hand blos wähnen:
[572]
Es wird so schwer, vom Mutterschlunde sie zu trennen,
Doch fühle ich Bestimmungsrisse hülfreich gähnen.
Verblüffend einfach ist das Wesen der Propheten:
Auf einmal überstrahlen sie die halbe Erde.
Die alten Pfade kannst Du plötzlich nicht betreten,
Du selbst erfaßt Dich, wie Panik im Wald die Heerde.
Du wirst die Welt. Die Herzenssterne sind erglommen.
Der tiefste Wahn gewittert. Herrlich strahlt der Norden.
Die Wege wechseln selbst. Du bist zu Dir gekommen:
Aus großen Sorgen ist ein Morgengold geworden.
Polarlicht strahlt und wallt auf allen Daseinsschachten,
Die Welt ist voll in unserer Tagesmacht enthalten:
Die Sterne, die der Pfade Richtungen bewachten,
Verdunkeln der Ekstase plötzliche Gewalten.
[573] Astraler Gesang
Der Zeichendeuter:

Ein neuer Mond ist in den Menschen aufgegangen!
Er blinkt in uns, vom Grunde nächtlicher Pupillen,
Und kühlt der Daseinsflammen nordisches Verlangen.
Der Mond der SeelenSee beschwichtigt jeden Willen!
Er ist ein Stern. In ihm bespiegeln sich die Sterne.
Und blos das Licht der Herzen kann den Schmerz der Welten stillen.
In seiner Ewigkeit versinkt der Sphären Ferne.
Der Sonnen Todessturz muß sein Bewußtsein schüren:
Denn Sterne streben sterbend zum Erkenntnißkerne.
Es scheint das All für unsern Mond den Tod zu kühren.
Er ist der Stern, um den sich alle Sonnen drehen:
Wir werden frei die Milchstraße zum Ursprung führen!
Sein Wesen ist ein helles DurchdieSeelenwehen.
Er ist! Die Sonnen, seiner Tiefe Wiederscheine,
Erhalten Macht und Größe blos von ihm zum Lehen.
Den Mond der Stille heben Seelen, im Vereine,
So heilig in die Nacht der unerkannten Sphären,
Daß Sonnen leuchten: Monde, wie bewußte Steine,
Die Welterkennmißsterne rings um sich verklären.
Chor der Gegenwartsgeister:

An unserer Gegenwart entzünden sich die Sonnen.
In ihnen dunkelt Nacht, doch wir sind ihr Ersunkeln.
Ihr Sonnen strahlt empor: die Mondsicht hat begonnen.
[574] Lied der Sternenkinder:

Der Mond geht auf! Er blickt und schimmert aus Karfunkeln.
Wir tragen seine Sichel, die uns still beleuchtet,
Empor aus Seelen, die sich wieder stumm verdunkeln.
Eine dahinwehende Seele:

Oh, wie das junge Licht mir zart und friedlich deucht.
Ein plötzlich ausleuchtender Komet:

Der Mond, der meinen bleichen Schein so hold entsponnen,
Steigt hoch empor. Er klimmt zu seinem Wahngebilde.
Schon faßt er mich. Ich bin! Nun strahlen alle Sonnen.
Das Heer der Sterne:

Des ersten Meeres Ernst besteht: die Sterne sind blos Schemen!
Es giebt der neue Mond den WerdensWirbeln ihren Kern.
Die Silberwiege, der wir unsere Kindlichkeit entnehmen,
Gewahrt uns Seelenstille, Ernst und Schmerzensgluth zum Stern.
Die sinkende Sonne:

Es träumt und schaut ein Kind aus seiner stillen Silberwiege
In Schauermöglichkeiten, die mich feierlich betäuben.
Des Kindes Wesenshöhe sagt mir, daß ich bin und stiege,
Doch weiß ich, daß sich meine Strahlen vor mir selber sträuben.
[575] Vision der Sonnen:

Die Erde strebt mit ihrer Sonne fort zum Sonnentode,
Doch schwingt sie ihren Leib um unsere Seele, die noch schläft.
Es scheint uns, daß sie alle Hoffnungen zusammenrode:
Wie herrlich wäre es, Ihr Sterne, wenn Ihr einst Euch träft!
Die Erde schweift, mit ihren beiden Monden, mit dem Todten,
Der ewig sich erfüllt und mit dem Lebenden, der glimmt,
Der durch die Sterbensschmerzen klimmt, die eben bleich verlohten,
In unsere Kernesferne, wo der Stern zum Sterben stimmt.
Die Sterne zur Linken:

Die Erde stirbt! Der Todesmond nimmt zu! Wir sind verloren!
Ein blasser Wanderkatarakt umwandet den Planeten.
Zehntausend Seelen sind erkoren. Sie schaun aus Silberthoren
Aus Gletscherriesen, die noch ungeboren sich verspäten.
Die Sterne zur Rechten:

Der Todesmond nimmt ab! Die Erde brennt! Wir sind gerettet!
Der Todesmond verschrumpft zu einem Boote für die Todten.
Die Wanderwabe wächst. Die Zacken werden überglättet.
Das Boot versinkt. Wo sind die Todten? Lauter Mondesboten!
Das Heer der Sterne:

Der junge Mond! Der junge Mond! Zur Wiege wird der Nachen.
Die Silberwiege schützen still die ewigen Nordlichtschleier.
Geschöpfe brachten ihn zur Welt. Nun werden sie erwachen.
Zur Wahrheit ward ein alter Wahn. Das Leid ist eine Feier.
[576] Die versinkende Sonne:

Die Erde trägt mit ihren beiden Monden unser Sterben
Und auch die Hoffnung aller Sonnen durch die Dunkelheiten.
Ein Sonntag wird erscheinen: alle Sonnen hehr beerben
Und in dem Nichts, das uns begreift, die Seeligkeit erweiten.
Chor der Sonnen:

Das Nord und Südlicht unserer Erde sind der Seelen Schwingen,
Doch mehr als Feuerflügel, um sich selber zu entwehen,
Verhüllungen, die fordern, in Geschöpfen zu vollbringen,
Was keine Himmel hoffen, da auch sie zu Grunde gehen.
Das Heer der Sterne:

Das Wunder, das Wunder! Die Welt verwandelt sich in Wahrheit:
Verwunden sind die Dunkelheiten, die ein Wort gebunden.
Es tagt! Ein Herz bricht auf! Uns alle überwältigt Klarheit.
Das Wunder, das Wunder! Die Dunkelheit durchgluthen Wunden.
Seelen, die sich verkörpern:

Ein Mund, ein Mund! Die Stummheit kann sich selbst aus Schmerz verwunden.
Ein Mensch, ein Mensch! Die tiefste Dunkelheit wird sich verlieben.
Ein Mann, ein Mann! Ich glaube nicht: ich trage, spende Kunden!
Der Mond, der Mond! Wir sind in uns voll Ewigkeit verblieben.
[577] Der jüngste Geist:

Die Seelen streben wie Gewitter nach dem festen Norden.
Der Streit ist schrecklich, daß wir fast die Athemtraft verlieren.
Es friert. Bejahe Dich: Du bist zur pursten Gluth geworden.
Nun sprich Dich aus: Das Wort! Es wird zur Ewigkeit erfrieren.
Mein stummgewordener Völkerstamm, geheiligt durch die Kalte,
Die gleich die Silben auf den Lippen abstarrte, jetzt schreie:
»Begeisterung!« Das ist der Blitz, der selbst für Sterne gelte!
Kristallklar wallt die Wahrheit in das Freie.
Der Chor der Sonnen:

Die Erde tragt mit ihren beiden Monden, mit dem stummen
Und mit dem mündigen, die Tragik in den Chor der Sonnen.
Du kennst sie nicht! Sie will sich ganz mit heiliger Gluth vermummen.
Denn sie vernahm in sich das Wort, das unsere Welt begonnen.
Die versinkende Sonne:

Vom Baume, wo die Sonnen blühen, ist die weiße Erde
Schon eine dunkle Frucht, aus der die Wunder wieder sprießen.
Ein Geisterstamm entragt ihr stolz, bis in sein eigenes: »Werde!«
Um sich, von uns getrennt, blos in das Wollen zu ergießen.
Der Prophet:

Vom holden Sonnenbaum, mit seinen lodernden Geboten,
Verlangt es den erblaßten Geist nach reifen Kreisgesetzen.
Die zeigt der Leib. Doch, überschaut, bekleidet er die Todten.
Und dieser Zwist gebiert im Geist geschlechtliches Entsetzen.
[578] Drum Geist, entrößle das Geschick und unser Sterben!
Es müssen Wunder stumm um Deine kalte Flamme bluten.
Dein jüngster Glaube soll um aller Wesen Demuth werben.
Die Einsicht kann die Sonne mit Umarmungen umgluthen.
Die plötzlich stehenbleibende Sonne:

Des Geistes Hilfe dringt wie warmes Blut in alle Seelen.
Wie nahe mir die Menschen sind! Sie lieben mich in Pflanzen,
In stillen Thieren, denen sie den Weg zu mir befehlen.
Ich brauche kein Gebet! Die Wesen kennen mich im Ganzen.
Chor der Propheten:

Wir sollen zu dem Bäume mit den Sonnen wiederkehren!
Er wird im Frühjahr alle Seelen in die Heimath führen.
Es hat ein Kind nach allen Demuthsweisen Urbegehren,
Schon wirft der Geist sich durch des Fleisches finstere Schauderthüren!
Es überwältigt unser Herr die klügelnden Geschöpfe:
Es wirft sein Wort uns in den Flammenwahn der Leidenschaften!
Den, der da hört, durchdröhnt der Herr, beschwört die widerspenstigen Köpfe
Und bleibt am Marterpfahle, daß er Sonnen trage, haften.
Die plötzlich zurückkehrende Sonne:

Ihr Wälder, Felder, Wehmuthsweisen, Wanderer und Waisen,
Ihr heiligt und beruft mich, durch das Wunder Eures Wesens.
Der Sonntag meiner Auferstehung muß im Blute kreisen:
Ich bin der Segen des unendlich einfachen Genesens.
[579] Ein Schwarm berauschender Gefühle:

Das Wunder! Das Wunder! Propheten wollen uns beleben.
Der Adel der Gedanken bannt den Schlaf der Patriarchen.
Durch unsern Traumestaumel können Todte sich erheben:
Der Geist entsteigt der Welt, wenn rings Kadaver schnarchen.
Der Hellseher:

Ihr freveltet gegen die Welt, jetzt schützt den Geist vor Sünde!
Die Sonne ist der hohe Schooß des goldenen Gotteskornes.
Bestimmt, daß Eure Seele in die See der Milde münde!
Der Baum ist todt! Doch lebt die Gluth der Wunde eines Dornes.
Die sinkende Sonne:

Entrage, Flammenstamm! Umarme alle Wandersonnen!
Vertilge allen Raum: bedinge uns in einem Funken!
Der Norden wahrt das Wort, denn dort hat unser Wort begonnen.
In meinem großen Wollen waltet Gott, in Sich versunken!
Erkeime, Geist. Erstrahle als das Flammenschwert der Erde!
Vernichte alle Finsternissen ihres Pilgerweges!
Ihr Freischeine, ich weiß, daß ich durch Euch vollendet werde!
Das Urlicht bannt uns fest: Der Raum umspannt es: ich zerleg es.
Der Hellseher:

Oh Seelen horcht, aus Sonnenschößen strömt das große Wollen.
Ihr sollt die stolze Adelsart in Lichtgefilde tragen.
Der hohe Norden muß vor sich das Mittagsland entrollen:
In aller Nacht wird ja der Thaten Wahrgewahrung tagen.
[580] Doch Menschen hört, Ihr seid zu der Begeisterung geboren:
Zu Euch kann jeder Volkstrost, jedes Schicksal Euch geleiten.
Erkämpft den Tag! Führt sein Gespenst hervor aus Nordlichtthoren,
Ob elend, trank, wer sähe das: der Geist wird einwärtsschreiten!
Die sinkende Sonne:

Aus meiner Seele strahle, strahle ich, daß ich einst sterbe.
Aus meiner Erde steigen Geister auf, die mich umarmen.
Ich spende, sterbe, daß die Welt die Ewigkeit erwerbe,
Er wird das stille Wort sich seiner Wanderer erbarmen!
[581] Der Magische Sang
Das ist der Sang der Nacht, in der die Sagen langsam tagen.
Der Strand, wo Traumgestalten unsere Urgewalt erleuchten,
Wo stille Lichtsicheln um zarte Tagesräthsel fragen,
Und Feuersterne ihre Irislider leicht befeuchten.
Das ist der Norden, unser heller unsichtbarer Norden,
Die Heimath, die uns unvermuthet auf den Fahrten lenkte:
Wir folgten ihm, von Meer zu Meer: beim Fordern und beim Morden.
Er hielt uns fest! So fest, daß er sich ganz in uns versenkte!
Ein Lied taucht auf! Es wird von einem Träumesmeer getragen.
Es naht uns sacht. Sein Flügelschlag vereinigt unsere Herzen.
Aus Schönheit fängt die See in meiner Seele an zu klagen.
Gefiedersegel heben sich ins Sternenheer der Schmerzen.
Das ist die Sage Hellas: ihrer Heimath urverbunden!
Sie ist ein Sang und doch nur marmorstumm geheiligt.
Sie weilt in uns, in mir vermuthet sie verschwundene Kunden:
Denn Dinge giebt es! Menschen! und Ihr seid daran betheiligt!
Es trägt das Lied den Werth der Himmelswahrzeichen im Wesen:
Der große Bär wird uns von Hellas Sagen eingehändigt:
Es blickt der Schiffer nach dem Norden, wo er einst gewesen:
Es wird der Westen blos vom Nordenkundigen gebändigt.
Der innere Norden ist die Heimath aller Wanderseelen,
Die Stille, wo sich unsere Unvergänglichteiten treffen,
Der Hort, wo, urbekannt, wir den Bewußtheiten befehlen:
Er ist in uns wenn unsere Möglichkeiten Segel reffen.
[582] Oh Heimath, ich erfülle meine Grundzufriedenheiten.
Hieratisch bleibt mir meine Wesenshöhe zugemessen.
Ich kann, als Mensch, verstandesklar um Einzelheiten streiten,
In Gott versenkt, zu Gott erhoben, jeden Zwist vergessen.
Es spricht, wer irdisch stirbt: Ich bleibe und Ihr werdet reisen!
Den Schiffer, der nach Norden blickt, durchwittern seine Todten:
So fühle, Mensch, um Deinen Grund bewußte Seelen kreisen.
Die Andern ziehn um Dich, doch wirst Du selbst zu ihrem Booten.
Die Seele, die das Gleichniß ihres Nordens voll durchschauert,
Braucht nimmer, leiblich sterbend, ihre Heimath zu erreichen:
Sie weilt in Gott gekehrt, wo sie die Welten überdauert,
Steil über ihren Menschlichkeiten, die um uns verstreichen.
Oh Gott, ich bin in Gott! Schon kann ich Gottes Welt erfassen!
Was droht mir nun! Mir bangt. In meinen Glauben dringen Flammen:
Ein rothes Nachtgespenst erscheint und dringt in mich, zu hassen.
Im Norden geht es um und scheint den Gletschern zu entstammen!
Es ruft in mir das rothe, schreckliche Gespenst im Norden:
»Es trennte sich bereits Dein Geist, als Perseus, vom Gebirge!
Er war zum reinsten Ausdruck dieses Nachtsternes geworden
Und schien berufen, daß er unsern Flug zum Herrn verbürge.
Der Ararat versank, als ausgebrannter, schmerzumstarrter Krater:
Die Erde wollte Dich, oh Geist, zu sich herniederrufen:
Da brachte sie ein Kindlein Dir zur Welt. Oh Gott und Vater,
Als Deine Demuthstiefen Deinen Sohn im Weib erschufen,
Da faßte Dich für diese Welt unendliches Erdarmen:
Und auch der Erde Geist in Dir ist wieder Mensch geworden!
Er glühte im Verderben auf, begeisterte die Armen,
Der Reichen stummer Schutz zu sein und ließ sich schuldlos morden!«
[583] »Du furchtbar großes Gluthgespenst,« erwidre ich im Geiste:
»Die Erde wurde mir im Traum zum Araratkrystalle.
Als Pyramide sah ich schon den Ball, den ich bereiste!
Zur Spitze ward der Pol! Zum Zweck, zu dem ich walle!«
»Wo bleibt« fragt mich das Glanzgespenst: »die südentführte Seele?
Die kalte Flamme haschtest Du! doch mußt Du niederwallen,
Bis Christus, als der gute Hirt, mit seiner treuen Heerde,
Zu Gottes Ruhe wiederkehrt, denn Gott erglüht in Allen!
Ich selber bannte Israel dereinst in warme Leiber.
Ich watete durch Meer und Sand und bin zum Kreuz gekommen,
Beim Grabe aber war ich schon elf Zeugen und drei Weiber
Als zwölfter sprang ich wieder ein und drang in alle Frommen.
Die Sonne ist in Nacht getaucht: ich bin der Mond, der blutet!
Der Sprachen Brandung lausche ich im Meer um meine Dauer!
Ich fühle unsere SeelenSee, die brausend zu mir fluthet.
Entstammend ist mein Ruf. Um Euch erglüht in mir die Trauer!«
»Du wunderbares Blutgespenst, mich lüstert nach Geschicken!
Geschicke giebt es, Seelen hört,« entfahrt es mir: »Geschicke!
Du Bettelvolk, Du hehrer Herr, Ihr sollt Euch hell erblicken,
Erstiegt Euch selbst! So tief, daß Euch der Lebensquell erquicke!
Geschicke fesseln an die Welt, drum muß man sie verwunden!
Geschicke habt Ihr und Ihr dürft Geschicke kühn vernichten.
Verwundet Euer Fluchgespinnst: Aus Wunden fluthen Kunden.
Verwundert Euch: Das Gluthgespenst! Es ruft, Ihr wollt Euch richten.
Mein großes Volk, mein hehrer Herr, entwindet Euch Geschicken!
Geschicke habt Ihr: dankt Euch selbst! Ihr seid zum Krieg berufen.
Geschicke weiten sich, vergehn! Ihr seht Gespenster nicken!
Noch ferner wehen tiefere, die einst das Schicksal schufen.
[584] Verwundet Euer Weltgeflecht! Die Kunden werden munden!
Das Blutgespenst umdämmert Euch, Ihr könnt den Kampf verlängern.
Aus jedem Mund entträufeln jetzt dem jungen Monde Kunden.
Durch alle Wunden laßt Euch tief mit Göttlichkeiten schwängern.«
[Der Norden fordert Opfer! Drohend scheuchen Sturmesrufe]
Der Norden fordert Opfer! Drohend scheuchen Sturmesrufe
Die Geister, die das Licht erringen wollen, in die Wirre:
Wir kommen doch! Vereinzelte! Ich klimme: eine Stufe!
Mein letzter Freund! Du gehst vorbei! Zurück zu Dir! Ich irre!
Die Wallfahrt wird des Abendlandes Adelung erlangen!
Solange wir im Kampfe fallen kann sich Macht gestalten.
Die Wanderer, die ihre Nacht im Wahrheitsbann durchdrangen,
Erwarben bald kristallklar des Erhabenen Walten.
Das Wort erstarrt! Der es empfing, ist einmal nur gekommen!
Wir ziehn ihm nach. Ich sinke hin. Wir sind im Sturm verloren.
Doch vor! Noch vor! Es ist der Norden schon dereinst erglommen:
Die Wallfahrt winkt! Der Adel bleibt. Ein Pilger wird erkoren.
Oh hoher Norden, oh gelobtes Land in Wind und Winter,
Vor Deinen Gletschern stehe ich, erwühle meine Wüstenstürme.
Darf ich zu Dir, in die Gespensterkalte! Starrgesinnter
Begeisterer der Welt, ich kam, daß mich Gewißheit schirme!
Das Wissen beißt sich ein in jede Seele, die sich weitet:
Das Wissen wähle ich, das die Gefriergipfel begeistert.
Des Lichtes Sinn umschlingt das Eis, zu dem mich Liebe leitet.
Wer weiß, ob die Idee die Welt der eigenen Wahl einst meistert!
Es steigen goldene Wolken auf. Die Nacht will Feuer spenden.
Du schwarzes Nichts, in Dich will meine Seele sich versenken:
[585] Mein Missen schlingt sich ein, die Nacht wird es zu Wissen wenden!
Ich bringe Durst: was Du erfuhrst, wirst Du mir ruhmvoll schenken!
Das Ungeborene, das Rom der Sonne ausgebreitet,
Damit es Samen spendend seinen Ruhm vollende,
Beruft mich in das Nichts! Ist Nacht, die meinen Tag durchschreitet,
Und kennt nicht mehr die Welt, wenn ich mich zu mir selber wende.
Es fühlt die Liebe über allem Dunkeln tiefstes Dunkel.
Wo jeder Wunsch verweht, kann sich der Winter offenbaren.
Dann wird es dunkel, dunkel, nichts als Ruhe, kein Gefunkel.
Wer weiß, geliebtes Wesen, wann und wo wir einsam waren!
Oh Gott, vertiefe mich, wo ich in Dir noch ungeboren!
Ich leuchte ja und brauche Dunkel, mich bewußt zu fühlen.
Durch goldene Himmel sinke ich zu schwarzen Wolkenthoren.
Wo ist das Licht! Ich bin das Nichts, um Herrlichkeit zu kühlen!
Der Geist
[Das leiderlöste, fieberfreie Weltenfeuer]
Das leiderlöste, fieberfreie Weltenfeuer,
Die Ewigkeit, die wir durch Flammenkronen fassen,
Durchstrahlt die Nacht als nordeneigener Glanzverstreuer.
Ich wähne seine Sichtbarkeit in blonden Rassen:
Oh Feuer, das die Seele und den Leib erhellte,
Wo Du den Geist durchglühst, da muß der Tag erblassen!
Du goldenes Ruhebett im Raum der Todeskälte,
Schlag auf die Prachtgardine aus vereisten Gluthen
Und zeige uns den Wahrheitskranz am Jenseitszelte.
Du laßt uns eine Himmelshierarchie vermuthen.
Wir Menschen trachten sie auf Erden nachzuahmen,
Doch läßt die Eigenniedertracht uns dran verbluten.
Das Ordnungswollen schürt den Brand von Königsdramen:
Die Hoheit der Gedrückten fordert freie Staaten:
Durch Gottes Zucht und Liebe darf kein Haß erlahmen!
Doch reisen in der Seele hold des Sohnes Saaten:
Die kalte Gluth des Weines hat uns jung verbunden,
Zufriedene Ewigkeit entflammt die LammAgnaten.
Die Gluth in uns verführt, das Fremde zu erkunden:
Das Muttermeer will alle Geisterschaft entrollen,
Wir sollen fern der Sonnenwunden frei gesunden.
Das Meer empfängt und klärt die Gluth der Schollen:
Der Geist, der Weltideen durch uns selbst bethätigt,
Bewegt dabei der Wogen volles Wolkenwollen.
Du Glanzschrift, die um beide Pole Gott bestättigt,
Wann kommt der Tag, da Du die Innennacht erleuchtest!
Mein Lamm, wann sind die Sucht und Fluchwölfe gesättigt?
[589]
Doch Geist, da Du die Purpuradler nicht verscheuchtest,
Und weil die SeelenSee das Eroige uns blos spiegelt,
Bin ich ein Sklave, den Du, Gnadenhauch, befeuchtest!
Solang die Welle ihre Schwester aus dem Grunde wiegelt,
Und noch Geburt und Tod die Leiblichkeit begrenzen,
Hat unser Urgefühl kein Räthselbuch entsiegelt!
Ich sehne mich nach ewig jungen SeelenLenzen,
Und wo ich einem Sonnenwunsche frei entsage,
Fühl ich in mir die gute Muttergluth erglänzen.
Die Sonne ist die Antwort auf die Doppelfrage:
Was ist die Ewigkeit? Und was erhält die Maaße!
Die Waage aller Bildung tritt aus uns zu Tage.
Das Licht der Sonne schafft sich jede Lebensstraße:
Den Wechsel sollen wir mit heiliger Zucht ertragen,
Doch heitere Mittagsnachsicht treibt uns bald zum Spaße.
Und kann die Sonne fast die Dauer überragen,
Und so das Licht, das uns entschlummert, hier vertreten,
Glimmt hinter Arbeitstagen auch der Ernst der Sagen!
Die Sonne widerspricht dem Zwang sich zu verkneten.
Ihr Licht umarmt die Gluth, die sich durchs Dasein windet:
Die Ewigkeit erdämmert in den Polkometen.
Die Sonne schafft den Pfad, auf dem man Gnade findet.
Da man das Urlicht, nach erfüllten Sonnenpflichten,
Als die allgegenwärtige Liebesmacht empfindet.
Die Zeit ist Selbstverständlichkeit von Lichtgerichten,
Die, weiter sich vertiefend, sich auch selbst vernichten,
Und Schönheit ists, ein Ziel in Fliehendes zu dichten!
[590]
Du Gluth, die es vermag, den Urdurst zu beschwichten,
Du bist das Wort, aus dem der Schöpfungstag entstanden:
Und auch der Rechtspruch, um die Weltzwiste zu schlichten.
Du bist das Freiwort, nicht die That, in Kraftmaaßbanden!
Ihr Flammen beider Pole seid die Erdgeistschwingen,
Die Lebensfieber, die im Friedensjenseits branden.
Ihr Weltbrandadler, laßt uns Adel frei erringen:
Ihr sagt: es mag der Mensch die Folgenangst verachten,
Wodurch im Überschwang die Nothketten zerspringen.
Begrüßt die Glaubensgluthen, die in uns erwachten,
Denn unsere Reinheit kann der Zwang nicht mehr begreifen
Und auch die Dauer und den Ruhm nicht tief betrachten.
Drum macht Euch frei von allen Nutzsuchtunterschleifen:
Der Frohgang der Natur steht unter Gottes Würde,
Ihr habt im Herzen keine Weltbegrenzungsreifen.
Das Lamm gehört zu keiner Sonngefolgschaftshürde:
Die Gnade, die es ausstrahlt, kann uns stets erreichen:
Die Zukunftsfurcht an sich ist unseres Daseins Bürde!
Die Gluth in uns versucht es, Gluth Dir anzugleichen:
Um flüchtige Sonnenwünsche lege Urlichtzügel:
So wird im Geist das Reich des Scheines sacht verbleichen.
Dann spannt die Seele ihre bunten Nordlichtstügel
Schon jetzt leibhaftig auf und athmen kalte Flammen:
Bewerthe jede That durch Deines Wesens Siegel!
In Weichgefühlen darf das Wollen nicht verschlammen:
Was ewig aus Dir hallt, versuch es klar zu prägen,
Den Lauten horche, die dem Lautergeist entstammen.
[591]
In warmen Sonnenstrahlen glüht des Vaters Segen.
Im hohen Norden flackern seine Strafgewalten;
Aber der Sohn begrüßt uns schon auf trauten Erdenwegen.
Die Gluth jedoch, die wir in unserer Hut verwalten,
Der Geist, durch den die Wahrheit sich kann offenbaren,
Und Der nun herrscht, verneint der Götter Machtgestalten.
Er ist bereits ein Feind des Sichtbarwunderbaren.
Er ist ein Donnerwort: der Geist, doch nicht die Stimme!
Er zuckt als Lamm! Er kreist nicht in Prophetenaaren.
Wer fühlte nicht sein Himmelsleid im eigenen Grimme,
Den Schmerz des Weltheils, wenn wir es gefährden!
Es strahlt der Geist, daß Liebe rings erglimme!
Doch ist die Welterkenntniß Gottverflucht aus Erden.
Die Gnade aber kann selbst dem Verstand verzeihen.
Durch Urlichtmitleid wird der Stolz gerettet werden.
Die Innengluth mag unserm Leibe Huld verleihen.
Den Fruchtgenuß vergiebt die Liebe jedes Paares.
Die Pfingstflammen beginnen Fleischfreuden zu weihen.
In allen Tagesthaten stammt ein Ewigwahres.
Und wo es Gott ersehnt, dort kann es ihn erlangen:
Der Satan stahl es zwar, doch Gottes Wort gebar es!
Die Gnadenstammen seh ich allwärts prachtvoll prangen.
Der Geist hat den Naturzwist sieghaft überwunden,
In der Dreieinigkeit ruht alles Urverlangen.
Die Erde brennt aus tiefen Lebenswunden.
Polarlicht überstrahlt den Athem des Planeten.
Die Scholle kann des freien Geistes rein gesunden:
Der Mensch wird Gott und Gottessohn im Geist vertreten!
[Unheimlichkeit durchschweift die Freiheitsphären]
[592]
Unheimlichkeit durchschweift die Freiheitsphären,
Es naht den Erdenfackeln ein Komet:
Es glüht der Wein, das Gold schießt in die Ähren,
Der Himmel ist von Schnuppen übersät.
Die Seele will sich aller Angst erwehren,
Da sie der Geist in stillem Ernst umweht,
Und dennoch naht der Feind mit Geißelheeren:
Ach Mutterland, Dein Flammenkranz vergeht!
Im Herzen fühle ich das Goldgewitter.
Die eigene Schwüle macht mich blaß vor Scham.
Ein freier, doch ein fremder Sterngeistritter,
Macht meine Feuerfreude flügellahm.
Er sagt: »Die Gluth in Euch ist Tugendstitter!
Wer sich im Martertode stark benahm
Bleibt immerhin ein Thier und Urlichtzwitter,
Denn jedes Qualgelüste ist infam!«
Wahrhaftig, alle unsere Flagellanten,
Und die Asketen auch, nach Isis Brauch,
Sind gar verdächtige Heilstrabanten:
Um ihre Scheiterflammen wabbert Rauch.
Die Heiligen gar, die sich fürs Lamm entmannten,
Verschmähten ihren reinsten Leibgebrauch,
Origenes und andere Diamanten
Sind fahler als des Moses Zukunftsstrauch!
Die tiefste Wahrheit strahlt im Goldkometen,
In unserm Innern weckt er manches Wort!
Er spricht: »In allen Priestern und Propheten
Belebt sich Luzifer in einemfort.«
[593]
Die Menschen, die den Schöpfer hier vertreten,
Begehen stolz den ärgsten Seelenmord:
Allein in Hiobs Hymnen und Gebeten
Erkennt der Fromme sich als Satanshort.
Oh Herr, Dein Wesen will ich dreist durchdringen!
Oh Herr, die Arbeit habe ich verschmäht!
Ich will mit Engeln, Heiland, singen!
Wo bleibt die Demuth, die im Staub vergeht?
Dein Licht ist Liebe, wie es Menschen bringen!
Das ärgste wird von Christen ausgesät:
Blos Deiner Gnade kann das Heil gelingen,
Denn Selbstsucht schwillt in jedes Bußgebet.
Oh schlag uns, Herr, vor allen die Propheten!
Wir haben stolz das ewige Gut umfaßt.
Oh Herr, der Gotterkenntniß Prunkrateten,
Verschwende ich als bübischer Phantast!
Ich bin ein Dieb! Die Einsicht des Planeten,
Die Himmelswollust hasch ich ohne Rast:
Ich hab, vor der Geburt, den Raub vertreten:
Lichtspender, triff mich Nimmersatten Gast!
Der Feuerschweif erschüttert unsere Flamme.
Polarlichtwirbel glühn am Firmament.
Ich frage mich, sind wir vom Gnadenlamme,
In Ewigkeit, als Satansbrut getrennt!
Die Kirche, unsere milde Seelenamme,
Die seit Augustus Zweifelbeichten kennt,
Versengt der Sonnenglanz von einem Stamme,
Der ferne urlebendig heilwärts brennt.
[594]
Es sagt der Glast: »Die Wesen, die Gott schauen,
Verwirken durch ihr Wissen seine Gunst,
Doch jenen, die aus keine Hoffnung bauen,
Entschleiert erst der Tod den Daseinsdunst.
Es wandeln in den heiligen Friedensauen
Die fertigen Erschauer ihrer Kunst.
Dem Lamme muß vor allen Seelen grauen,
Die nichts bewegt als Himmelsliebesbrunst!«
Die Flamme sagt: »Der Herr ist von den Sternen
Und ihren Daseinsgütern abgekehrt:
Wer trachtet sich vom Schöpfer zu entfernen,
Hat meistens hier sein kurzes Glück vermehrt.
Wer ehrlich strebt, das Christrecht zu erlernen,
Hat oft der Erben Säckel noch entleert:
Wer praßt, fischt Geld selbst aus Zisternen,
Weil er im Gold den Sonnlichtfälscher ehrt!«
[Es flammt der Erde Wundergluthenblume]
Es flammt der Erde Wundergluthenblume,
Am Pole jetzt, in holdem Stolz empor,
Sie ist das Blut von jeder Schmerzenskrume,
Sie ist der Auferstandenen Geisterchor,
Sie öffnet ihre Engelschwingenkrone,
Den Goldkelch selbst, aus Od und Sonnenflor!
Der Goldkomet, der Pollen einer Zone
Erlöster Männlichkeit, ergießt sich jetzt,
Voll Pracht, in unserer Schollen Anemone.
[595]
Doch ist die Reinheit ewig unverletzt:
Der Blüthe Weiblichkeit bleibt unbescholten,
Nur Edellichter haben sie benetzt!
Die Auferstehung hat dem Leib gegolten.
Ein schmiegsam Weib ist unser Nachtplanet,
Doch trug er Geister, die das Urlicht wollten!
Polarlicht ist der Erde Weltgebet.
Das Leben ihr Bestand und Halt im Himmel,
Wofür sie gluthbeflügelt kreist und weht.
Ich sehe jetzt ein Meteorgewimmel.
Der Blüthe Flammensamen sprüht empor.
Der Geist verlaßt den letzten Erdenschimmel.
Die Sterne sprechen: »Seht das Flammenohr!«
Die Gluthenmuschel Gottes ruht am Busen
Der Erde und behorcht, was Gott verlor!
Doch ist des Herren Ohr der Chor der Musen,
Das Gold der Harmonie, das Gott erstrebt:
Wir lösen hier aus unsern urkonfusen
Bemühungen die Gluth, die ewig lebt:
Der Geist entreißt sich uns in Schmerzgebeten
Und ist das Nordlichtgold, das Gott umweht!
Durchkreuzt ist unsere Blüthe vom Kometen.
Der Herzog spricht; »Die Einfachen sind mein!«
Darin sind beide Welten rein vertreten!
Verzeihung zieht in alle Herzen ein.
Jetzt spricht des Heiles mildes Wesen:
»Das Wort ist überall und ewig jung!
[596]
Kann der Verstand im eigenen Herzen lesen?
Hat einst das Fleisch die Liebe hold erfaßt,
So kann der Wurm der Zeitlichkeit genesen!«
Das Licht, das vor dem Kreuze sanft erblaßt,
Das um das Friedenseiland staubt und brandet,
War Gottes Trost in Aussatz und Morast.
Ihr Menschen, die ihr Christum schlugt und bandet,
Vollzogt was Gott für seinen Sohn bestimmt,
Als er im Erdverwesungsschlamm gelandet.
Des Herren Licht hat himmelwärts geglimmt,
Denn Jesus trug die keusche Gluth von Abel,
Der Kainkrieg hat die Häscherwuth durchglimmt.
In diesen drangt die Flamme stets zum Nabel,
Sie will statt Ewigkeit das Fortbestehn
Und ewig schafft die Sünde sich ihr Babel.
Die Orgie ist ein Feuerphänomen,
In dem wir muthwillig den Geist verprassen!
Verqualmen muß dabei das Himmelslehn!
Der Kainblitz zuckt durch schwüle Pöbelmassen.
Der Süden und das Südenübel hat gesiegt!
Der Geist soll einen Lasterbrand umfassen!
Und unser Abeladel unterliegt!
[Gebären und zerschellt ins Jenseits tauchen]
Gebären und zerschellt ins Jenseits tauchen,
Das ist die Orgie, die uns wild umweht:
Das Unheil mag uns rings umhauchen
[597]
Wenn nur der Leib lebendig aufersteht.
Der Tod kann seine Schrecken nicht gebrauchen,
Da selbst die Sünde stumm vergeht:
Wir lassen uns von Morddämpfen umpfauchen,
Denn Leben schürt der schreckliche Komet.
Die Kainsschlange, die wir als Sklavin halten,
Das kalte Feuer, das uns niederschlagt,
Vermögen wir, uns dienstbar, zu verwalten,
Da es gebändigt Meer und Land durchfegt:
Vom Geist bewältigt, dürfen Nachtgewalten
Den Leib befrein, der sie im Schooße tragt!
Die Kainsflamme wird ihre Macht entfalten,
Selbst wo sie blos die Daseinsfühler regt!
Das Feuer ist in jedes Ding gefahren.
Ein Sonnengott hat sich vom Tod befreit.
Wo Berge Urwaldtage aufbewahren,
Benagt die Schlummergluthen jetzt die Zeit.
Die Drachen athmen nach Saturnusjahren.
Ein Flammenrausch vertilgt ihr Kettenleid.
Titanenbacchanalien offenbaren
Sich toll und voll Sorglosigkeit.
An Schuld und Strafe kann jetzt niemand glauben.
Der Weise thut das Gute ohne Lohn.
Man laßt sich schwer die Gotteszweifel rauben;
Dem Geiste weichen Gottvater und Sohn.
Das Wort bethätigt sich im Thal der Tauben.
Man liebt und hilft sich ohne Religion.
Ein Unschuldstraum aus Edens Traubenlauben
Ward aller Adamskinder Tagvision.
Die Schlangen zischen sich ringsum entgegen,
Daß eine stets die andere verneint:
Ach, könnten wir dem Tagwerk Richtung geben,
[598]
So sähen wir wie Dädalus erscheint,
Der Einheitswille würde Flügel weben,
Hielt er die Erdenwünsche frei in sich vereint.
Die Schwingenschmiede dürften frei entschweben
Und hätten niemals einen Sturz beweint.
»Nach Norden!« Menschen, laßt den Ruf erschallen!
Vom Osten komme einzig Gottes Wort.
Der Westen soll kein todtes Echo lallen:
Für eine Nacht blos, drangt vom Süden fort:
So wird sich ein Komet zusammen ballen:
Ich weiß nicht wo, am Pol, am reinsten Ort.
Wir alle werden stolz sein Gold durchwallen:
Es trägt uns dann des Daseins Urakkord.
[Die Erde brennt! Erloschen sind die Schlote]
Die Erde brennt! Erloschen sind die Schlote
Der Feuerschächte. Todt ist der Vulkan,
Vertilgt das Unheil, das uns dumpf bedrohte!
Die Schlünde, die der Erdball aufgethan,
Sind bis zum Weltgerichtstage geschlossen,
Dann erst beklagt er uns im Fieberwahn.
Oh Muttererde, rings von Gluthgeschossen,
Von Meteoren seh ich Dich bedroht:
Du wehrst mit Milchwolken den Himmelschloßen.
Du kühlst ihr Feuer und zerbrockst das Schrot.
Den Ozean verschwendest Du zum Schutze,
Und Jesum rührt Dein Liebesaufgebot!
[599]
Du rollst und grollst mit Deiner Wuchtkapuze!
Da stürzt der Mond in Deinen Schooß zurück.
Nun droht das Ende auch dem Erdentrutze.
Dein letzter Schrei erringt ein ewig Glück
Für alle Deine armen Leidenskinder,
Doch Du verglimmst bis aus das letzte Stück!
Nun schweigt das Wort, und wir sind Lichterfinder,
Da man jetzt Dinge schafft und übersieht:
Die Einsicht aber ist gesetzt und linder.
Der Feuerschleier, der uns mild durchzieht,
Hat keine Donnerworte mehr im Schooße,
Aus ihm taucht jeder Laut als Ordnungsglied.
Die Erde brennt. Gefeit von jedem Stoße
Der Unterwelt, der Nordlichtgold entsiebt,
Erwirbt ihr Lieblingssohn das Ewiggroße!
Oh Flamme, die uns ewiges Leben giebt,
Die Seele kann ich fleischverneinend schlürfen,
Du bist der Funke, der die Sterne liebt.
Du stiebst am Pole noch, in Schleuderwürfen,
Vom Erdenherzen in das All empor,
Doch bleib in uns, die wir der Gluth bedürfen!
Dereinst entstammt in uns das Himmelsthor.
Das Nordlicht wird am Firmament verschwinden,
Denn jedes Wesen sei ein Feuermeteor.
Dann werden wir in uns das Jenseits finden,
Da niemand aus dem Geistermeere taucht,
Polarlicht wird uns mit dem Geist verbinden.
[600]
Das Dasein ist bereits von Gott durchlaucht.
Wir kennen zwar die müde Sinnesgrenzen,
Doch sind wir noch vom Scheine grau umraucht.
Die Sonne wollen wir mit Licht bekränzen.
Wir schwören auf den scheinbar scharfen Rand,
Wo die Planeten tief im Lichtleib glänzen!
Wir sind im Sonnenschoß und Gotteshand!
Die Dinge fügen liebreich eine Kette,
Das Leben brandet schon am Friedensstrand.
Der Mensch ist eine welke Klette:
Schmarotzerroth keucht der Kaukasier hin
Und baut sich emsig gelbviolette Städte.
Doch geht sein Wille über seinen Sinn!
Der Erdermüdung weiße Friedensschwingen
Sind schon im Leben unser Lichtgewinn.
Die Arbeit muß den warmen Leib bezwingen.
In der Erschlaffung Armen ruhn wir aus:
Im Träume kann der erste Flug gelingen!
Die Seele baut sich hier ein Glastwaldhaus,
Ihr blasses, unberührtes Sehnsuchtseden:
Wenn schrecklich auch, doch fern vom Erdgebraus!
Entleibt, bemerkt der Geist des Traumes Schäden
Und führt dann Kampf um Christi Licht,
Denn Erdgespenster muß er noch befehden!
Im Wollustwahnsinn suchst Du kein Gericht.
Gereinigt wirst Du selbst vor Christum treten,
Denn Gnade strahlt in jede Zuversicht.
[601]
Die Menschen, die am Werktag lichtwärts beten,
Sehn hoch im Sonnenroth ihr Weltsymbol,
Den Sieg über die Angst der Nachtplaneten.
Der Tod ist nur die Furcht vor unserm Wohl,
Das Fleisch hat Angst sich ewig wahrzunehmen,
Doch holde Hoffnung überstrahlt den Pol.
Das Urfeuer will sich des Endes schämen
Und wirkt als Ewigkeit, die sich erweist.
Tief überwunden sind des Zweifels Schemen:
Die Welt versöhnt und übertönt der Geist!

Ende des zweiten Theiles.


Kergeoës, Frühjahr 1906. [602]

Dritter Theil. Pan - Orphisches Intermezzo

Pan
[Die Erde braust dem Sonnenlicht entgegen]
Die Erde braust dem Sonnenlicht entgegen,
Als flöge sie in des Geliebten Arm,
Sie will sich eng an seine Fülle legen,
Denn sie ergibt sich ihm bewußt und warm.
Die Schöpfergluth, die sich im All verschwendet,
Die lebenstrahlend durch das Dunkel schweift,
Wird so den Erdenkindern zugewendet,
Und unser Leben wogt dadurch und reift.
Nun beugt die Erde ihren Felsennacken
Vor Gottes Licht, zu seinem heißen Kuß,
Der Tag kann sie mit Strahlenarmen packen,
Und es durchschauert sie ein Feuerfluß.
Sie ist der Wonne inbrünstig ergeben,
Der Lebenshauch, der ihren Leib umschmiegt,
Scheint überall die Freude zu erstreben,
Denn was ans Licht kommt, wird von ihm gewiegt.
Sie kann, befruchtet durch den Sonnenwillen,
Der kühn und steil durchs ewige Dunkel drängt,
Den Durst der eigenen Sonnenkinder stillen,
Denn Lebensmilch ist Licht und Luft vermengt.
Der Sonnentag, der jede Wesensregung
Im reinen Erdenschooße zeugt und fäugt,
Entlost die Demuth aus der Urbewegung
Der treuen Erde, die vor ihm sich beugt.
Dann furcht er sie in alle Kinderseelen,
Die er aus dunklen Schlummerbanden engt,
Denn Werden heißt, den Wunsch der Form vermählen,
Und ist der Staub, der sich dem Geist verschenkt.
[3]
Der Tag, die Nacht sind beide lichtgeträchtigt,
Das junge Leben schwirrt aus jedem Schwung:
Ein Lichtgedanke, der im Schatten nächtigt,
Erkeimt bereits zum kühnen Lebenssprung.
Der Morgenkranz, den holde Jugendkraft gestaltet,
Der kindlichrein den Erdball voll umschlingt,
Der aus der Nacht sich immer neu entfaltet,
Ist ewig keusch, wenn er in Sonnenarme sinkt.
Zum Jubeln aufgelegt sind unsere Seelen
Und doch durch tiefen Friedensdrang gezäumt,
Denn aus der Nacht muß uns der Tag entschälen,
Und wir sind nichts als Traum, der leicht verschäumt.
Die Sonnenmacht, die uns emporgewunden,
Da uns der Wanderball knapp abgestreift,
Wird einzig selbstbewußt und frei empfunden:
Wir fühlen, wie sie tief ins Wesen greift!
Denn in Dich selber schlüpfst Du durch die Fügung,
Wie sich die Erde um die Sonne schwingt,
Und Sonnenwollen, ernste Selbstbegnügung,
Sind in der Weltbewegung urbedingt.
Die Erde labt uns mit dem Sonnentranke
Und schützt und bettet uns zugleich,
Sie ist der Ruhe guter Grundgedanke,
Sich selbst das Vorbild für das Sonnenreich.
[Dir Pan, herrlichem Wesen]
[4]
Dir Pan, herrlichem Wesen,
Dir Pan, Gottheit der Wälder,
Bleiben die Lebenden ewige Vermelder
Raschelnden Ruhmes im raschen Verwesen,
Rastlosen Taumels, im Drang zu genesen.
Rauschender Ursprung Du, Urquell und Mündung,
Du, aller Blutnatur Säftegeleisung,
Anhalt und Lebenszweck rhythmischer Kreisung,
Überschwall, Todessturz, Wollustentzündung,
Grundzweck gesetzlicher Zustandsbegründung,
Zeig mir die Allnatur Deiner Vereisung!
Inhalt und Lebensgrund wird jede Wendung
Heller Gestirne in ernster Vollendung:
Hier auf der Erde die Seelenbesternung
Entflammt sich am Lebenskranz irdischer Kreisung,
Doch geben Gestirne die Richtung und Weisung,
Das Urmaß erschöpft sich in keiner Entfernung!
Am Erdball entstanden wir sterblich, eklyptisch,
Wir sinken und trachten nach Lebenserklimmung,
Hier wurzelt im Grunde der Wesen Bestimmung,
Das Räthsel ist einfach, ist eirund, elyptisch!
Das Leben entsteht wie die Kraft des Passates:
Im Süden erregt und in Schranken gehalten,
Erscheint es im Glanze des Tropenornates,
Ein Hauch des Erhebens durchrauscht alle Falten
Der bunten Gewandung erstarkender Seelen.
Was kaum sich, beim Kreisen der Erde, entwunden,
Will fast noch die Bahn des Planeten erwählen,
Doch wird es von Pan gleich in Halme gebunden
Und hurtig am Erdrücken weitergetragen.
[5]
Nur Weniges kann sich ins Weite verschlagen,
Um rasch dann ins Chaos hinunterzustürzen:
Von Pan läßt sich alles fast fassen und schürzen,
Und rhythmisch gesammelt, entschlüpft es sich später,
Die Träume jedoch schwirren gleich in den Äther.
Das Weltallverlangen ist, einst zu verzittern!
So greift denn die Ruhe als Urmacht ins Leben,
Denn alles will friedlicher, leiser erbeben.
Zuerst muß der Gürtel der Tropen verwittern,
Erst dann kann das Leben, in stummen Gewittern,
Hinan zu den trägeren Polen sich heben.
Es scheint unser Trachten nordwestlich zu klimmen,
Harmonisch zu allem, was auftritt, zu stimmen.
Wir halten die Dinge, aus einem entfaltet,
Doch wirst Du aus Allem entschält und gestaltet.
Es lassen vom Weltbau und heimlichen Bösen
Sich allerlei dichte Verhüllungen lösen,
Es muß da nicht eine die andere verneinen,
Sie können in Frieden zusammen erscheinen.
Der Mensch aber darf nur fünf Pfeiler betrachten,
Doch fühlt er, es wölbt sich, was aufkommt, zusammen,
Denn Dasein ist Ursein und nimmer Entstammen!
[Nach Ruhe geht das Weltverlangen]
Nach Ruhe geht das Weltverlangen
Und alles strebt nach einem Kern,
Doch gar nichts kann ans Ziel gelangen,
Denn nirgends glänzt ein Ankunftsstern.
[6]
Der Himmelsbau ist ohne Ende,
Ganz schrankenlos und jenseitsfrei,
Wohin die Sehnsucht sich auch wende,
Umschließt sie eine Sternenreih.
Gestirne suchen ihre Mitte,
Den Todesstern im Weltenraum,
Sie ordnen danach ihre Schritte
Und sprühn dabei den Lebensschaum.
Ihr Starrsinn sucht sich zu erfüllen,
Drum wurden sie zum Schutze rund,
Sie konnten sich zusammenknüllen,
Doch bleibt noch Gluth in ihrem Schlund.
Und diese wird die Schranken brechen,
Sie reißt die Klammern jäh entzwei,
Wenn Flammen den Granit durchstechen,
Durchdonnert ihn ein Lebensschrei!
Ein Gluthstrom stürzt nach der Verwundung
Der Rippen aus dem finsteren Ball,
Denn unterwühlt ward seine Rundung
Durch seinen inneren Flammenschwall!
So wälzen ruhlos sich Gestirne
Durchs mittelose, freie All,
Und runzeln sie die Felsenstirne,
So ahnen sie den Weltverfall.
Doch weiter glaubensheiter schreiten
Die Sterne auf der Bahn des Seins,
Die Rundsucht und die Urflucht streiten
Sich ewig ums ElypsenEins!
[7]
Ein Anfang, der noch nie bestanden,
Wird immerwiederum versucht,
Nach ewigen ElypsenBanden
Strebt alles, was die Welt verbucht.
In sich verschlingt das Ei die Strahlen,
Die Ewigkeit, des Sturzes Wucht:
Es beugt sich rund zu Ursprungsqualen
Und seine Mutter ist die Flucht.
[Erscheine, Pan, tritt auf im erdbewußten Kreis]
Erscheine, Pan, tritt auf im erdbewußten Kreis,
Kein Sieg gelingt, doch nichts verschrumpft, um zu verderben!
Im eigenen Kreis gefühlt zu sein, ist das ein Preis?
Was uns entschwand, weiß neuen Anklang zu erwerben,
Was eben wirkt, um unseren Sinnen sich zu zeigen,
Erfassen wir, um es in uns dann zu verschweigen.
Und doch, oh Pan, den kurzen Einblick in Momente,
Die unverstanden, doch harmonisch, um uns zaubern,
Den faß ich auf: des Daseins ewige Tangente,
Die rings das Wirbelsein berührt, ich halt sie fest!
Du bist ein anderer stets, verschieden vor den Klaubern
Der Sonnenfrüchte, die sie gierig ausgepreßt.
Und dennoch kannst nur Du mich etwas Einsicht lehren,
Denn Du allein zeigst mir den Geist in seinem Leibe,
Nur Du vermagst ein Rundbild knapp uns zu bescheeren,
Und Deine Ganzheit schützt davor, daß man beim Fordern übertreibe!
Was tritt zu Tage? Ich weiß von nichts, das mich umlauert,
Doch trachtet, was bereits erschien, noch aufzutreten,
Es wühlt schon, wirbt, scheint seinen Aufschwung zu verspäten,
[8] Ich weiß, es schwirrt die Welt, in der mein Wesen dauert!
Mir gilt für todt, was Sinn und Wunsch in mir verschmähten,
Und was ich hasse hab ich sicherlich bereits bedauert.
Wenn ein Gedanke wo entsteht, geschieht es formlebendig,
Zum mindesten in sich begrenzt und selbstverständlich:
Verkettet sind wir mit dem All, nach Maaßen,
Die unser Grundempfinden mit der Welt verbinden.
Als jung erscheinen alle Dinge, die wir kaum vergaßen,
Bewußtsein aber heißt, für Fernes Formeln finden.
Und können wir Erscheinungen ganz knapp bemessen,
So wissen wir, wie uns in jede Gegenwart zu pressen!
Kein Mieder, keine Klammer kann als Bild genügen,
Um die verhängnißvolle Enge zu beschreiben,
In die sich stets, auf ihren vielen Wanderzügen,
Die Wesen immer wieder gegenseitig treiben.
Ja, alles was wir ahnen oder kaum erleben,
Muß scharf und straff in junge Fugen greifen,
Und alles was wir thun muß ringsum Hebel heben,
Selbst Träume thun es, die ins Garnichts schweifen.
Ach, alles, auch das Loseste, hat volle Geltung auf der Waage
Der Bilder, die vor unsern Sinnen jäh verschwinden,
Oder aufschnellend, den Weg zur Dingempfindung finden;
Ja, alles was da scheint, daß es die Nachbarschaft benage,
Die Wolken, selbst die Blitze, Nebel auf den Fluren,
Bestehn auch innerlich aus Klammern und Konturen.
Die Sonnentiefe, die wir in uns selbst empfinden,
Läßt jede Lichtfigur und manche That vergrauen,
Erlebte Dinge sehn wir blaß und bald verschwinden,
Die Zukunft aber kannst Du aus Dir selbst erbauen.
[9] Der Stern in uns will übersinnlich Gott erreichen,
Und sein Bewußtsein läßt er durch den Äther schweifen,
Die Fernen sieht er plötzlich schroff und jäh erbleichen,
Weil ihre Nähen in den Menschen übergreifen.
Wir leben in der Sonne, unsere Seele selbst ist sonnig,
Doch sieht sie vom Gestirne nur die fremde Mitte,
Was uns dann gleicht, empfinden wir als warm und wonnig,
Und lichtgelenkt, beherrscht der Geist bald seine Schritte.
Die Welt erblicken wir, dank unserer Beschränktheit,
Es könnte sich kein lückenloses Sein erfassen!
Die Würde und die Güte fühlt erst die Gekränktheit,
Und in uns selber wühlen wir nach edlen Rassen!
[Pan, Pan, so öffne Deines großen Reiches Pforten]
Pan, Pan, so öffne Deines großen Reiches Pforten,
Und was ich fühlen muß, beschwere Du mit Worten.
In Deiner Welt wird sich der Geist in Formen kleiden,
Und wer Dich kennen will, muß wirklich innig leiden!
In Deine Lebenswellen, Jubelsprudel, fällt ein Loth,
Es ist der Ruhedrang, das Urbedürfniß der Natur.
Es singt und trifft und mißt bei Dir und ist der Tod,
Denn jedes Ichbewußtsein ist schon dessen Spur!
Mit Lichtgeschlechtern, die ihr Gleichgewicht erkämpfen,
Läßt das Lebendige auf Erden sich vergleichen,
Es muß die Ruhewucht den Sonnensturm der Wesen dämpfen,
Und nur im Traum kannst Du Dein Innerthum erreichen.
Die Welt muß vollerfüllt sein und mit scharfen Klammern,
Die wir nicht sehn, erreichen sich die Zackenmassen
Der Dinge, die da allseits wechselnd, sich erfassen;
[10] Wir fühlen sie, wenn wir uns freuen oder jammern,
Doch meistens müssen sie ganz ungeahnt erbleichen,
Denn Pan kann sie für unsere Sinne nicht erreichen.
Wir dürfen den Verstand an Lichtvisionen hängen
Und trachten dann die Freiheit zu erobern,
Und wenn wir Selbstsucht mit dem Anstand schlau vermengen,
Beherrschen wir den Tag und zählen zu den Obern;
In Wirklichkeit jedoch sind wir dann Springinsfelder,
Ganz ohne edlen Ahnenernst verlorener Wälder.
Ein wahres Gleichgewicht in uns gebiert Gesittung,
Da können dem Verstande Ahnungen entwallen,
Und Pan erfaßt und bannt sie noch in Marmorhallen.
Doch bleibt der Tageshelden flüchtige Verkittung,
Ganz ohne Halt, mit unserer Allheit Daseinsketten;
Sie sind von keiner Dauerart; beinah wie Kletten
Umschlingen sie des Urgewissens Trutzbestände:
Sie trachten stets, voll Hast, ihr Einzelglück zu retten,
Denn sie sind schwach, des Lebensturmes flaches Ende.
[Oh Pan]
Oh Pan,
Ich trachte allseits Deine Gegenwart zu finden,
Doch in der Stille nur hast Du Dich wahr gezeigt,
Ich wartete und fahndete nach Dir, und Linden
Im Walde haben sich dann still im Wind geneigt.
Oh Pan,
Du scheinst im Waldesathem langsam zu verschwinden
Und zeigst Dich auch in der Geradheit, die zum Äther steigt,
Um Deine Hauptgedanken legst Du sorgsam Rinden,
Und rings verblätterst Du die Sehnsucht, die sich leicht verzweigt.
[11]
Was ist ein Blatt? Ein Wunsch, sich lange grünend zu erhalten.
Die Frucht? Ein Trumpf gegen die Feinde, die rings lauern.
Die Blüthen? Lauter Wünsche Freude zu entfalten.
Der Same? Der Verzicht, unsterblich fortzudauern.
Oh Pan,
Ich weiß, die Kerne, die sich fest zusammenknollen,
Sind Weltgesetze, die in sich den Halt gefunden,
Aus ihnen wurden stets die ewigen Dinge jung entbunden,
Denn aus Ellipsen läßt sich alles neu entrollen.
Oh Pan,
Nun sage mir, was ist der Duft, das Gold im Pollen?
Die Gluth der Erde, die sich hold zum Licht gewunden,
Die allseits trachtet, Sonnenliebe zu bekunden,
Und der Triumph ist über Noth und Tod der Schollen!
Oh Pan, ich will durch Deine Wälder streifen
Und mein Erschauen soll den Forstgott loben,
Oh zeige mir, wie Sonngedanken reifen,
Wie Lebensbäche in den Bäumen toben.
Oh, lasse mich in Deinem Kreise lesen,
Denn Du erlebst Dich selbst in Deinen Sprossen,
In Pappeln ängstigt sich beinah Dein Wesen,
Weil Du darin zu rasch emporgeschossen!
Oh Pan, beharrlich ragst Du in die Tanne,
In diesem Baum willst Du Dein Alter adeln,
Ists doch, als ob er Waldlust von sich banne,
Vor allem Nahen wehrt er sich mit Nadeln!
[12]
Es scheinen Eichen, die den Fels zerspalten,
Die Schmerzen einer Gottheit zu verbeißen,
Ja Pan, es wurzeln Deine Kampfgewalten
In Stämmen, die den Boden wild aufreißen!
Gleich einem Kinde spielst Du mit dem Winde,
Denn herzlich freut Dich ringsum alles Leben,
Oh Pan, wie linde rauschst Du in der Linde!
Du läßt ihr Laub, fast singend, sacht erbeben!
Der Bäume Einfalt scheint zu Gott zu beten,
Er möge ihre stille Unschuld schützen,
Verhecktes Waldgerank und grelle Sumpfraketen
Jedoch betrachten sich kokett in Pfützen.
Oh Pan, Du sehnst, in grünen Epheuranken,
Dich nach der Urgesammtheit aller Wesen,
Es sollen an Dir selber Stämme kranken,
In denen Du Dich einzeln ausgelesen.
Du willst in Pilzen Dich ins Leben klemmen
Und trotzt darinnen jeglicher Vernichtung,
Du treibst, als Rest, zuletzt in Scharlachschwämmen
Und preßt Dein Blut dabei zur Giftverdichtung.
[Oh Urwald, Du Sinnbild von Lebensgedanken]
Oh Urwald, Du Sinnbild von Lebensgedanken,
Leibhaftiger Inbegriff tiefer Gefühle,
Die rings sich, vom Mutterland, himmelwärts ranken,
Du seeliger Ausdruck vom Waldesgewühle,
Entwurzelter Ursprung der Thiere der Wüste,
Oh Pan, den ich fahndend als Erdgott begrüßte,
[13] Nun laß Dir für herrliche Einblicke danken!
Ich lobe die Bäume, als Gleichniß des Lebens,
Lichttrunkenen, stolzen Sichsonnwärtserhebens.
Ich ruhe auf schaukelndem Wildwaldgewinde.
Ich liebe die Wildniß, ihr Singen im Winde.
Ich hör ihre Lieder des Werdens erklingen,
Ihr Ahnungsgeflatter das Blattwerk durchdringen.
Ich lausche zuerst dem Gebraust der Blätter,
Dann scheint sich, was grünte, zu Flügeln zu paaren,
Und plötzlich gelingt schon das Freudengeschmetter,
Und überall jauchzen der Waldvögel Schaaren!
Im Urwalde regt sich bereits das Verlangen,
Das irdische Fordern, sich anzubequemen,
Durch innige Lichtrhythmen rings zu verfehmen:
Vom Erdfeuer Inhalt und Werth zu empfangen:
Um langsam den Drang, was sich bietet, zu nehmen,
Durch glimmende Seelenbeginne zu lähmen!
Im Waffer, wo Sumpfblumen wunderbar prangen,
Und Blattpflanzen, was sie verlangen, erlangen,
Wo Rohrgruppen Schlangen und Schlammmuscheln schützen
Und stumm sind, als ob sie Geburtsräthsel bergen,
Beginnen auch wirklich der Streitseele Keime.
Denn hier kann, was da ist, im Schöpfungssumpf bleiben
Und rastlos im fetten Morastschlamm und Schleime
Sich weiterverpflanzen und weiterbeleiben.
Das Schilf darf ganz schlaflos und traumlos beharren
Und braucht nicht mit Wurzeln nach Nahrung zu scharren,
Die Luft aber, die sich voll Hoffnung erweitert,
Und die sich durch Tummelwindwirbel erheitert,
Hat flatternde Blätter, auf Bäumen und Sträuchen,
Und seufzende Wesen, die Schreckbilder scheuchen,
Und schließlich den athmenden Pulsschlag erschaffen,
[14] Denn Seelen entstehen, wo Blutpausen klaffen.
Die Sehnsucht zur Sonne, durch die wir ersprossen,
Die alles in Formen, voll Schlankheit, gegossen,
Hat weiter die Seele gestählt und erzogen,
Bis endlich der Geist ihr in Freiheit entflogen!
Es hat sich der Leib, übersättigt, den Frieden
Und eigenen Willen zu Streitern beschieden:
So mußte das erste Bewußtsein erwachen,
Und Pan diesen Einfall gar herzlich belachen!
Warum aber trag ich Verlangen zu rasten,
Und nimmer die Lust, stets nach Nahrung zu tasten?
Das ist, weil die Winde der Erde erkalten,
Und nimmer den Sommer und Urwald erhalten,
Das ist, weil wir weiter die Sonne ersehnen
Und ihr unsere Lebenserzwingung entlehnen.
So sind wir dem Urwald entwachsen und haben
Mit blaffen und zarten Erinnerungsbildern
Und anderen wachenden, wachsenden Gaben
Des Geistes, sich selber sein Sehen zu schildern,
Versucht, unsere Wüste in Eden zu wandeln,
Um drinnen, vor uns, nach Gesetzen zu handeln.
Das Heldengefühl ist ein Sprosse der Wildniß,
Das Raubthier bereits dessen Gleichniß und Bildniß,
Denn schleierhaft folgte es erst dem Geruche,
Und machte sich stumpf, durch den Staub, auf die Suche,
Da mußte, (ich spreche symbolisch), das Spüren
Durch Fernen doch schließlich zu Einsichten führen.
Durch Sonnengesetze versprengt und erhalten,
Hat einst die Natur, allseits, vielfach zerspalten,
Auf einmal Bewußtsein und Sehkraft errungen,
Ihr Werk ist ihr herrlich im Raubthier gelungen,
Denn das ist genau auf die Beute gesprungen!
[Oh Natur, Du hast harmonisch]
[15]
Oh Natur, Du hast harmonisch,
Welt – und urarchitektonisch –
Vor Äonen schon beschlossen,
Daß vollendet und gegossen,
Deine Schöpferhand die Zwänge
Deines Wirkens, tief verschlänge,
Um nach ewigen Gesetzen
Das Bewußtsein festzusetzen!
Halleluja, ruf ich heute,
Denk ich an die ferne Stunde,
Da ein Raubthier seine Beute
Blutend noch, aus frischer Wunde,
Als sein Anrecht voll erkannte,
Und sich, merkend, wo sie hauste,
Wenn sein Blutdurst neu entbrannte
Und Begierde es durchbrauste,
Dann zurückkam zu der Stelle,
Um zu würgen, was es brauchte:
Denn das war die helle Quelle
Der des Menschen Geist enttauchte!
Wars ein Vogel, der aus hohen
Sonnenwarten niederschaute,
Der, um Schluchten zu bedrohen,
Freie Felsenhorste baute?
Der zuerst die Sonnentheile
Seiner klugen Seele spürte
Und den Lichtruf seiner Eile
Mit in Wolkenhöhen führte?
Oder war die Sonnenfreiheit,
(Schnelle, Höhe, Wesenstrennung,
Diese holde, goldene Dreiheit,
Urbedingung der Erkennung
[16]
Der Natur, ihrer Befehle,
Die nun klar zu uns gedrungen)
In der Wüstenräuberseele
Einer Katze so verschlungen,
Daß sie alles dies erhaltend,
Angeschmiegt ans Erdbedürfniß,
Und den Leib darnach gestaltend,
Das Bestehen im Zerwürfniß,
Wie die Sonne es geschaffen,
Doch am klarsten möglich machte?
Eingewurzelt und mit Waffen
Ausgestattet, hat die Spinne,
Der Verstand, der just erwachte,
Alle Netze seiner Sinne
Jedenfalls so zart versponnen,
Daß er seiner sich besonnen
Und im Sonnenkrieg gewonnen!
Einerlei, was angefangen!
Thatsache ist, daß wir gelangen
Hier, als Erdenüberseher,
Unserm Innerlichte näher.
Was sich keinen Wunsch gestattet
Und beharren will, ermattet,
Wälder, Fluren werden kleiner
Doch die Seele klarer, reiner.
Ja, es siegt das Allerfeinste,
Das das kosmische Verhältniß
Der Gestirne bis ins Kleinste
In sich birgt, wie ein Behältniß!
[Es hebt die Sonne uns, in Ichbewußte Kreise]
[17] Es hebt die Sonne uns, in Ichbewußte Kreise
Des Weltendaseins, wo sie voll ergänzt,
Durch Erdensinnetäuschung wunderbarerweise,
Ein Sonnenwesen sich erschuf, das engbegrenzt
Und lustberauscht, auf seiner steilen Erdenreise,
In Form besteht und das sein Glaube überglänzt!
Doch sind die Sonne und die Erde nur die Eltern,
Die aus sich selber welterheischte Wesen schaffen;
Das Land empfängt die Lichtbefruchtung in Behältern
Und schöpft dabei dem Weltallgleichgewicht Agraffen.
Und läßt der Sonnenüberschwall sich nimmer keltern,
So füllt auch er nur, sprühend, Lücken, die da klaffen:
Die Weltellipse, die sich stets zu bilden trachtet,
Trägt in sich selbst Millionen Seelen eingeschaltet;
Ein Wesen ist Bewegung, die ein Leib befrachtet,
Ein Ruck ins All, zum Dasein umgestaltet.
Jedoch bevor man unsern Thierkreis voll betrachtet,
Erscheint die Art, die sich aus seiner Ganzheit spaltet.
Die Schlange kann die Rundung fast allein vollenden
Und aus dem Grunde jeden Wechsel überdauern,
Die Natternbrut wird auch wahrhaftig nie verenden,
Sie wird sich, ewigscheu, in gleicher Form zusammenkauern,
Die Abschäume, verdichtet noch, als Gift verwenden
Und was nur ihrem Kreis entragt damit belauern.
Die Echsenart ist von der Erde fast verschwunden,
Doch lebt sie noch, in Lauf und Kriechthiere gespaltet;
Der Schleicherleib hat Tagrager aus sich entbunden,
Und was dann blieb, verschlang sich oder ist veraltet;
Nur kleine Echsen sehn wir noch in warmen Sonnenstunden
Als Reste einer Tropenwelt, die still erkaltet.
Die Jäger unserer Wälder tragen schlanke Schnelle,
Und der Ellipse Stille mit sich fort im Wesen,
[18] Denn die Natur hat sich zu neuer Lebenswelle,
Des Sprunges Höhenruck, als Anstoß, auserlesen;
Und Thiere bilden so beim Hüpfen Bogenfälle,
Aus denen andere Richtungsseelen stets genesen.
Was deshalb Hasen, dauernd, zu vollziehn beginnen,
Wird stets von Fuchs und Wolf, im Laufe, fortgetragen,
Und fängt der Aufwärtsschwung an, Geltung zu gewinnen,
So rückt im Maulwurf er in untere Lagen,
Im Bären drängt der Thierkreis wiederum nach innen
Und der kann schwer nur kriechen, klettern, aufwärtsragen!
Die Rundvernunft des nächsten Kreises ward im Wesen
Der Wüstenkatze, der ein Sonnensprung gelingt,
Voll Macht erfaßt, und schon im Lauern sind Synthesen
Der späteren Richtungen verknüpft, denn sie beschwingt
Den Satz des Thieres, das soeben still gewesen,
Und nun in halben Kurven knapp aufs Opfer springt.
In andern suchte Pan die Haltung zu erstreben.
Und diesem Trachten wurden Affen angepaßt,
Doch war noch keine Sonnenwürde zu vergeben,
Und dieser Drang erkletterte den letzten Ast;
Nun können die Makaken zwar ganz lustig leben,
Ihr Thiergedanke aber ist noch karg gefaßt:
Die Affen trägt ja nur der Anlauf zur Bewegung,
Die majestätisch, schlank, im Menschen weiterschreitet.
Ein Geher aber braucht fatal die Überlegung,
Die Ferne, die er fand, hat seinen Geist erweitet,
Und seht, das Faultier hängt nach unten, nach der Regung
Der Kreisnatur, die es vom Lichtweg abwärts leitet.
In solchem Stadium aber sind die Erdenleiden
Noch ungereimt und roh in ihrer Formzerhacktheit,
Die Wesen können, halbbewußt, sich nur beneiden.
Die Wüste herrscht in der groteskesten Verzacktheit:
[19] Statt Seelen muß der Wald die Götter rings bekleiden
Und nur vom Gurt an trotzt noch ihre Wolkennacktheit!
[Von Flimmerlüften war das Nebelmeer verschlungen]
Von Flimmerlüften war das Nebelmeer verschlungen,
Die Thäler dampften sonnvergoldet, frei,
Doch alles, was zum Sonnenglück emporgesprungen,
Trug in sich selbst ein Stück der Daseinswüstenei.
Auf hohen Gipfeln hafteten noch Wolkenmassen
Und ragten steil und schroff ins tiefe Blau empor.
Sie schienen alle Erdensehnsucht zu umfassen,
Bis ihre Hochgestalt sich schließlich auch verlor.
Der Sieg des Lichtes machte alles lebenstrunken,
Nur dort, wo noch ein Wolkensaum das Land umzog.
War manche Wildniß in ein Gletschergrab gesunken,
Das nun ein Geierschwarm, statt Wolkenflaum, umflog.
Was sonnwärts lebte, schloß, zur eigenen Bewahrung,
Die Thierkreise zu einem strengen Beutering,
Doch fehlte bald den Lichterlesensten die Nahrung,
Denn, was sich an sie schloß, blieb dürftig und gering.
Somit verreckten denn die allermeisten Wesen,
Und Licht und Erde trennte nun ein Wüstensaum,
Das Wachsthum mußte bald verschrumpfen und verwesen,
Fast astlos blieb der Mutterstamm vom Lebensbaum.
Die Sonnenrückkehrkröne aber mußte bleiben,
Denn Erdenmystik fand darinnen Unterkunft,
Es schien für seine Blüthen nur des Baumes Saft zu treiben,
Und bald entduftete die Tugend der Vernunft.
[20] Vernunft ist ein erworbenes Erbstück unserer Erde,
Das Widersprüche, ja das Licht der Nacht verknüpft,
Sie giebt uns auch das Pathos freier Herzgeberde,
Da ihr Entschluß nun mit ins Schöpfungswalten schlüpft.
Sie muß in sich die eigene Sonnenhöhe messen,
Sie ist der Erde tieferstrebtes Meisterwerk,
Sie trachtet, wirkend ihren Ursprung zu vergessen,
Und aufs Abstrakte richtet sich ihr Augenmerk,
Sie sucht den Kreis, den sie erfaßt, streng abzuschließen,
Der Menschheit Lasternachschub wird von ihr verdammt,
Und wo sie stark ist, kann sie geistig tief genießen,
Da sie asketischer Nothwendigkeit entstammt.
So ward, fast eirund, auch des Menschen Hirnverschalung,
Durch dünne Wirbel dann das Haupt vom Rumpf getrennt,
Denn nur der Urellipse Theilung und Verstrahlung,
Ergeben Weltvernunft und Sonnentemperament.
Des Menschensamen ganz verschieden rasches Schwingen
Giebt künftigen Wesen ihre sonnenfreie Art,
Es muß der Urkeim schon den Sonnenrang bedingen,
Nach dem der Pulsschlag dann den Sonnenrhythmus wahrt.
Vernünftige Erkenntniß der geschlechtlichen Erzeugung
Der Nachwüchse ward bald zum letzten Ruck,
Zur Spaltuug in Geschlechter: klare Überzeugung
Befreite erst von allen Zwitterthumes Druck.
Denn dieses scheute die Vernunft als unnatürlich,
Zumal es immer jung, als Urinstinkt, ersproß;
So blieb auch seine Grunderstickung unausführlich,
Da es stets wieder in den Menschen überfloß.
[21] Das Wechseln ward dann für die Menschen vorbehalten,
Und die Geschlechtstrennung der Wildniß größter Drang,
In Sonnenmännchen und in Erdweibchen gespalten
Erfüllt ja schon das Dasein seinen heiligen Zwang.
Nun schürt jedoch die Erde eine Einheitsflamme,
Die die Vernunft zurück in ihre Kreise weist,
Sie treibt und hält sich steil am Daseinsstamme,
Und heilt, was die Natur wild auseinanderreißt.
Im Menschengeiste lohen hehre Farrenwälder
Jetzt hoch empor, und was erstorben ist ersteht:
Das da sind Edens urversprochene Felder,
Ihr Himmel ist vom Meergewimmel übersät!
Dort oben schimmern Goldpolypen, Purpurschlangen,
Und Riesenperlen ruhn in einem Muschelhof,
Es können Dichter stets nach ihnen sicher langen
Und immer fühlt ihr Wesen, irgendwo, ein Philosoph.
Beinahe von der Eingeschlechtlichkeit gereinigt,
Da die Vernunft sie unerbittlich von sich stieß,
Bleibt doch der Mensch noch ernst mit der Natur vereinigt,
Wie sich die Schöpfung dies vom Vollgeschöpf verhieß.
[Pan]
Pan,
Was Du vom Weltall festgehalten,
Und dann in Daseinsformen zwangst,
Gabst Du, entwickelt und gespalten
In Wesen, die Du selbst durchdrangst,
Dem Licht zurück: doch die Gestalten
Der Wälder fühlen, wie Du bangst,
[22]
Ein Sonnenreich hier zu verwalten,
Und panisch heißt dann ihre Angst!
Drum hast ein Bündel Du geschaffen
Und jung vereint, was Du getheilt,
Und da gelang Dirs, zu erraffen,
Was Deinem Banne fast enteilt,
Du überwandest alles Klaffen,
Das rings sich in die Schöpfung keilt,
Du gabst dem Menschen tausend Waffen,
Und kurz, Du hast sein Leid geheilt!
Nun sieht der Mensch Dein ganzes Wesen
Und wird zum Spiegel Deiner Macht,
Du selbst, der nur bedingt gewesen,
Hast Dich, in ihm, zum Gott gemacht.
Das was der Mensch nicht aufgelesen,
Ist meistens um sein Recht gebracht,
Und was ihm schadet soll verwesen,
Da er das Werden mitbewacht!
Gottähnlich sind wir denn geworden,
Denn jeder züchtet und zerstört;
Und mag der Mensch auch plündern, morden,
Wird doch die Ordnung nicht gestört;
Es giebt im Weltall freie Orden,
In die schon die Vernunft gehört,
Und solche, wo die Wuth der Horden
Sich doch nicht gegen Gott empört!
[Die Sinne, die uns in die Höhe führen]
[23]
Die Sinne, die uns in die Höhe führen,
Durch die das Licht in unser Inneres bricht,
Durch die wir selbst die Sternenwelt berühren,
Durch die das Weltgeräusch zur Seele spricht,
Hat sich der Menschengeist berauscht erweitert,
Das Lied ist seinen Lippen bleich entschäumt,
Ein Bildertraum hat seine Welt erheitert,
Er selbst sich gegen Dünkel aufgebäumt.
Es war die Seele so von Sonngewalten
In edlem Gleichgewichte aufgethürmt,
Dann konnte sie den Leib noch umgestalten,
Und Schönheitsfreude hat sie bald durchstürmt.
Nach ihren eigenen Daseinsproportionen,
Nach Maaßen, die dem Körper Stolz verleihn,
Erschuf sie Tempel, wo Gedanken wohnen,
Und lud sich Träume in ihr Inneres ein.
Es will die Seele lauter Fesseln sprengen,
Da sie ihr Dasein selber überdacht,
So mag der Geist sich aus den Massen engen,
Denn es gelüftet ihn nach Eigenmacht.
Es fühlt die Seele, tief in sich verschluchtet,
Die Jugendsprudel, die das Leben birgt,
Und liebt darum den Fluß, der stumm befruchtet,
Und so wie sie nur werthlos Gutes wirkt.
Das was die Daseinswildniß je belebte,
Kam stets als breiter Uferstrom heran,
Und war, als es ein stilles Sein erstrebte,
Was frei die liebe Welt begreifen kann!
[24]
Ist es Erinnerung, ist es ein Hoffen,
Wenn Du in Wolken Welttragödien liest?
Steht noch ein Sonnenreich dem Menschen offen,
Ein Tag, wo jeder Strom zum Lichte fließt?
Die Götter werden zwar in uns geboren,
Doch etwas giebt es, das durch sie geschieht,
Sie werden erst als Seelenhalt erkoren,
Wenn man sie hoch über sich selber sieht!
[Als sich die Seele ihrem Körper angegossen]
Als sich die Seele ihrem Körper angegossen,
Da trieb sie Wanderlust stets tiefer in den Wald,
Denn ihrer Tage Einsamkeit hat sie verdrossen,
Und Weiterschreiten ist des Menschen Grundgewalt!
Doch hat im Weibe sich die Freude ihm erschlossen,
In ihr fand jede Sehnsucht ihren Aufenthalt,
In ihren Armen hat der Mann die Welt genossen,
Und auch der Wald hat bald von Liedern widerhallt.
Doch bleibt das Vorwärtsgehn des Herrschens Urbedingung,
Was stiegt und klettert fällt zurück zum selben Fleck,
Den Wanderer jedoch verlangts nach Weltbezwingung,
Und kühn kürzt er den Weg durch Buschwerk und Geheck.
Beim Bergersteigen träumt sein Geist von Machterringung,
Und tausend Blöcke räumt sein Fuß behende weg,
Des Meeres Anblick bringt sein ganzes Sein in Schwingung,
Und selbst den Wogen trotzt sein Wollen froh und keck.
[25] Im Wandrer ist ein anderer Welttag aufgegangen,
Es trug die Urvernunft ihn nun in ihren Kreis,
Es stoß seit langem schon ein irdisches Verlangen
Nach unserem Weltverstand in jedes Sonnenreis.
Was blüht, entblättert lieber, als am Baum zu hangen,
Denn seine Icherfüllung ist ein Lichtgeheiß,
Das ganze Leben webt und bebt aus Todesbangen
Und Sehnsucht nach dem Überwinterer im Eis.
Der Jünglingsmensch war überglücklich, als er fühlte:
Ich trage zartverknüpft das Weltall im Verstand,
Er wußte nur, wieviel sein Lichtgefühl bespülte,
Und daß er holden Sonnenstolz in sich empfand.
Und was aus seinem Innern sich zur Klarheit wühlte,
Fand stets in der Erinnerung ruhigen Bestand,
Und wenn er sich im Wald mit seinem Weibe kühlte,
Was er auch that, Erfahrung ging ihm stets zur Hand!
Am liebsten blickte seine Seele in die Ferne,
Und einer Tiefe Wiederspiel war ihm die Nacht,
Er wählte, zählte oben seine Lieblingssterne
Und hat die ruhigen zu Freunden sich gemacht.
Doch einen goldenen sah er ganz besonders gerne,
Denn stets hat der vom gleichen Fleck ihn angelacht,
Er wollte, daß sein Weib das gleiche Sehn erlerne,
Und da ist beider Treue hold und voll erwacht.
Er schwor, sein Leben wie die Sterne einzurichten:
Wie er sie wiederfand, nach langer trüber Zeit,
Wenn sich der Himmel langsam anfing aufzulichten,
So käm auch er zurück, ging er auch noch so weit.
[26] Er wollte sich mit einem Eid dazu verpflichten,
Daß er für ewig einem Weibe sich geweiht,
Und mochte, Sternen gleich, die Menge sich verdichten,
Er wußte es, er hätte sie allein gefreit!
Dann sang er auch ein Lied, voll klarem Weltempfinden,
Und das sich dennoch nach dem Traum zurückgesehnt:
»Ich werde Dich durch Sternenhilfe wiederfinden,
Wann immer Ihr mich auch im Wald verschollen wähnt.
Du kannst aus meinem Banne nimmermehr entschwinden,
Denn sieh, der Himmel, der sich über alles dehnt,
Bestimmt, daß nur für sich Erschaffene sich verbinden,
Und sieh, mit uns wurden wir beide hold belehnt.
Oh horch, wie alles stolz auf dunklen Bahnen schreitet,
Und wie das strahlt und sich an seinem Glanz erfreut!
Hoch ist die Macht, die ganze Lichtfamilien leitet,
Denn dort gehört man sich, ist man auch weit zerstreut!
Durch jene Flammen wird die Liebe rings verbreitet,
Doch auch die Treue wird uns streng gebeut,
Und wer gehorcht, folgt einem Gott, der für ihn streitet,
Selbst die Vernunft ist Demuth, die uns nie gereut!
Der Sterne stillster soll die Wege uns erhellen,
Er scheint von allen der geliebteste zu sein,
Da sich des Nachts die andern stets um ihn gesellen,
Und zwischendurch auch mancher mit noch schönerem Schein.
Selbst jene, die sich Morgens in die Tiefe schnellen,
Umschwirren noch, in weitem Kreis, das Sternelein,
Drum führ es mich in Zukunft stets zu jenen Stellen,
Wo ich Dich finden werde, heiter und allein.«
[27] Erfreut durch das Erfassen hoher Sternenwege,
Schritt nun der Mensch dem Nordstern zu in kühler Nacht:
Als ob ihm gar an unsern Sonnenräthseln läge,
Hat ihn ein Tagmarsch meistens westwärts fortgebracht.
Es war, als ob sich Neugier plötzlich in ihm rege,
Den Sonnentod zu sehn in hehrer Abendpracht:
So ging und zog er stets nordwestlich in die Schräge,
Denn das verlangte seiner Ahnung tiefste Macht.
[Als sich im Menschen jener goldenen Zeiten]
Als sich im Menschen jener goldenen Zeiten
Der Wesen Fortpflanzung langsam geklärt,
Als er erkannt, wie Menschen sich verbreiten,
Daß die Natur uns Schöpferkraft gewährt,
Bekamen Männer Lust und Muth zum Streiten,
Denn jeder faßte, daß er Macht begehrte!
Er wollte Wald und Wild und Wetter trotzen,
Und hat sich mancher Waffe schlau bemächtigt,
Die Thiere schienen thatlos zu schmarotzen,
Und blos die Menschenseele lichtberechtigt:
Und sah sie irgendwo ein Schreckbild glotzen
So war das Pan, der in den Wäldern nächtigt!
Dann drang der Mensch, mit starken Achsenhieben,
Vom Orte fort, wo er sein Beil gezimmert,
Und wo er nachts mit seinem Weib geblieben,
Hat stets ein Feuer durch den Wald geschimmert,
Und dieses hat fast jedes Thier vertrieben,
Nur wenige haben um den Herd gewimmert.
[28]
Einst wollte er die Wildniß blind zerstören
Und alle Thiere, die er antraf, tödten,
Es schien ihn Zeugungs Feuer zu bethören,
Ja, Flammen sollten seine Pfade röthen,
Die Götter seinen Menschenwillen hören,
Er hoffte, daß ihm Gluthen Mittel böten!
Ganz plötzlich wollte er den Wald entzünden,
Der östlich sich, weit über Höhen, dehnte,
Da stieg jedoch die Furcht aus Seelenschlünden
So jäh empor, daß er sich doppelt wähnte,
Er bebte schrecklich vor den künftigen Sünden
Und fühlte doch, daß er sich darnach sehnte!
Da sang der Mann dem Weib von Sonnenplänen,
Es sollte nichts von seiner Ohnmacht ahnen,
Und in dem Lied erfüllte sich das Sehnen
Nach hohen, urempfundenen Sonnenbahnen:
Das Weib jedoch wollte an ihn sich lehnen,
Um ihn zurück zum Erdenglück zu mahnen!
[Es war einmal. Der Wald war halb entblättert]
Es war einmal. Der Wald war halb entblättert,
Und Gold hat sich in alles eingewoben,
Die Vögel aber haben noch geschmettert,
Sie konnten nie genug die Sonne loben!
Es klangen ringsum Herbsthymnen der Halden,
Der Jubel, der sich frei zum Lichte schnellte,
Entrang sich auch dem Herzen eines Skalden,
Zu dem sich liedberückt ein Weib gesellte.
[29]
Er sang, was er im Wald allein erfahren,
Als er nach Beute und nach Träumen schweifte:
»Ich war so überglücklich, zu gewahren,
Wie alles urverwundert sproß und reifte.
Ich sah, wie Thiere sich ihr Weibchen suchten,
Und Eltern an den Jungen sich erfreuten,
Die sie dann wechselweise stets besuchten,
Und etwas Großes muß das wohl bedeuten!
Mein ganzer Stolz war plötzlich überwunden,
Ein Glück jedoch erschloß sich meiner Seele,
Ich habe Anderer Freuden mitempfunden
Und sah, daß ich mein Herz der Welt vermähle.
Ich liebte Vögel, die in Rinden schabten
Und Würmlein einem harten Stamm entnahmen
Und dann mit ihnen stets die Jungen labten:
Und diese Liebe konnte nicht erlahmen!
Am Boden lag ein Wurzelstrunk mit Rinde,
Ich hob ihn auf, ihn meinem Weib zu bringen,
Er glich fast einem Thier mit Schwanzgewinde
Und Flügeln, um sich lustig aufzuschwingen.
Ich habe rasch den Knopf vom vordern Knoten
Zu einer Art von Thierkopf umgestaltet,
Dann machte ich wie Krallen zu den Pfoten,
Und kurz, ich habe lauter Kunst entfaltet.
Die Arbeit ward von Vogelsang begleitet,
Und auch der Wunsch half, sie dann wegzuschenken,
Die Sehnsucht hat zum Traume sich geweitet,
Und plötzlich fing ich an, gar viel zu denken!
[30]
Auf einmal ward ich wie von Angst beschlichen,
Es schien mein Werk die Vögel anzuziehen,
Sie kamen und sind nicht von mir gewichen:
Ward meinem Wirken Zauberkraft verliehen?
Hab ich vielleicht mein Lied in Holz gesungen?
Wer weiß, ob der Gesang mein Werk beseelte!
Was für ein Wunderding ist mir gelungen,
Als ich ein Thier aus einer Wurzel schälte?
Dann trieb mich plötzlich Sehnsucht heim zum Weibe,
Die Wehmuth war mir schwer, allein zu tragen,
Doch stand noch über mir die Sonnenscheibe,
Und Sterne können blos die Pfade sagen.
Ich hörte, wie im Fieber, ringsum Lieder:
Es war, als wogte Sehnsucht durchs Gefilde,
Die Luft durchschwirrten Blüthen und Gefieder,
Und nie noch war das Licht so hold und milde.
Wie sollte ich den Wunderwald verlassen,
Ich war so ganz im Banne seiner Geister!
Wie sollt ich mich in Form und Worte fassen,
Ich war ja nimmer meines Geistes Meister!
Es schien, daß Lichter sich zu schwirren mühten,
Und daß die Wildniß neue Sehnsucht hegte,
Es war, als ob ein Wirbelwind rings Blüthen
Und Federn lustig durcheinanderfegte.
Da dacht ich mir: Ihr fahlen Flackerscheine,
Was macht Ihr da? Ihr trachtet Euch zu fassen,
Ihr lacht und Ihr liebäugelt im Vereine
Und schließlich müßt Ihr bald des Nachts erblassen.
[31]
Doch bleibt, Ihr freut mich recht, Ihr flinken Lichter,
Ihr wollt und dürft nicht jäh wie ich entweichen,
Ihr macht mich auf die Heimkehr noch erpichter,
Auch ich mag, was ich liebe, bald erreichen.
Ach, wenn Ihr mir im Wald die Richtung zeigtet,
Aus der mir Sehnsucht bang entgegenzittert,
Wenn Ihr emporstiegt und Euch dorthin neigtet,
Wo Ihr mein Weib im stillen Walde wittert!
Wie seid Ihr Sonnenblättchen doch so lose,
Oft scheint Ihr, gar erwartungsvoll, zu gleißen,
Dann wieder glaube ich, Ihr ruht im Moose,
Doch nein, Ihr wollt zu stiegen Euch befleißen!
Ich griff nach einem Licht, das gleich erzuckte,
Es war bestimmt bereits ein Thier mit Flügeln,
Ich fühlte, daß ein anderes mich beguckte,
Und meine Neugier war nicht mehr zu zügeln.
Ich streichelte, was meine Hand umfaßte,
Und fühlte schon in ihr ein warmes Wogen,
Und wie ich auf ein Gurren ringsum paßte,
Ist plötzlich eine Taube mir entflogen.
Ich sah mich um und dunkel ward die Lichtung.
Die Lichter waren fort und schon verschwunden.
Ich aber wußte ihres Fluges Richtung
Und habe, ihnen nach, mein Weib gefunden!«
[Wie oft mußte das erste Menschenpaar erstaunen!]
[32] Wie oft mußte das erste Menschenpaar erstaunen!
Es widerlegte täglich eine jüngere Gewahrung
Was sich schon mächtig eingeprägt hat als Erfahrung:
Es hatten Waldgötter wahrhaftig eigene Launen!
Es kamen Thiere, die man sonst im Herbst gesehen,
Auf einmal, rudelweise, schon zu milden Zeiten,
Und scheinbar wollten sie das Wanderpaar begleiten,
Doch zögernd nur, ganz nahe, zu den Menschen gehen.
Es waren diese Thiere früher sehr gefährlich,
Man mußte sie durch Feuer und Geschrei verscheuchen
Und hörte sie das Sturmgeheul der Nacht durchkeuchen:
Und ihre Hungerblicke funkelten begehrlich.
Nun hatten sie die Angst vor Feuer überwunden,
Denn sie beschnupperten sogar des Menschen Heerde,
Sie legten sich daneben oftmals still zur Erde
Und wedelten, um ihre Freude zu bekunden.
Der Mensch gewöhnte sich gar rasch an die Begleitung,
Zumal das Weib wollte die Thiere nimmer missen,
Und keines fürchtete sich mehr vor Hundebissen,
Ja, oftmals folgten sie, beim Jagen, ihrer Leitung.
Es fand das Paar der Thiere Spiele recht ergötzlich,
Beim Laufen sah es sie, vor Hast, sich überstürzen,
Und kurz, sie halfen düstere Wegstunden verkürzen:
So zog man weiter, bis an einem Abend plötzlich – –
Die große Wüste sich vor Menschenaugen zeigte,
Es schien die Ode rings bedeckt mit rothen Rosen,
Ein Blüthenmeer war das, wo Pollenwirbel tosen,
Das Weltende, wo sich der Himmel wirklich neigte.
[33] Es stand dort eine Goldwand, die das Land umsäumte.
Der Sonne aber griffen Landarme entgegen,
Und diese wehrte sich mit einem Strahlenregen:
Es war, als ob sich Licht gegen die Dämmerung bäumte!
Die Sonne warf noch vollen, goldenen Abendpollen,
So weit sie konnte, sterbend, in die Himmelsferne;
Und bald erkeimte der, denn schon erglimmten Sterne,
Um morgen wieder einen Sonntag aufzurollen.
Der Mensch mußte den Athem anhalten und glaubte.
Die Reise durfte er nicht einmal unterbrechen.
Das wußte er Wie gerne mochte er von Plänen sprechen!
Zumal des Weibes Angst kein Hinhalten erlaubte!
Es schmiegte sich an ihres Mannes starke Glieder,
Die Seele war geblendeter als seine Augen:
Es glaubten beide, kaum fürs neue Land zu taugen,
Und sanken müde, einen Gott im Innern, nieder!
[Ein Wildbach kam von einem fernen Gletscher]
Ein Wildbach kam von einem fernen Gletscher.
Laut jubelnd, sprang er über manche Wand.
Die Menschen lauschten auf sein Schaumgeplätscher
Und sahn, wie er im Wüstensand verschwand.
»Bevor die langen Schatten sich verbreiten,«
Begann der Mann zu seinem holden Weib:
»Ist es geboten, durch den Strom zu schreiten,
Da ich im Walde nimmer gern verbleib.«
[34]
Da warf die Frau sich selber in die Fluchen,
Wo sich ein Goldbad über sie ergoß,
Denn langsam starben schon die Abendgluthen
Und selbst ihr letztes Athemroth verstoß.
Die Braut jedoch erfreute sich am Bade,
Sie tauchte unter, schnellte rasch empor,
Wie Flechten reichte ihr das Naß zur Wade,
Um ihre Schenkel flimmerte eine Flor.
Bis ganz herab zum grünen Rande,
Wo sie in kühlen Schäumen lachend stand,
Verschwand sie halb in einem Schaumgewande,
Und jeden Reiz verwandte sie gewandt.
Der Schleier, der sie brausend hell umschmiegte,
War tief von Sprudelgluth durchbebt,
Und wie sie ihren Leib mit Anmuth wiegte,
Hat sie das Funkelspiel stets neu belebt.
Sie ließ das Gold nach ihrem Wunsche fallen,
Rubine träufelten auf ihre Hand,
Dem Manne aber hat das Bild gefallen,
Er trug den Eindruck fort ins andere Land!
Dann blieb er drüben oftmals stumm und traurig
Und sagte nie, warum er schweigsam war,
Doch innerlich ward ihm so kalt und schaurig,
Es träumte ihm von goldenem Frauenhaar.
[Die Purpursonne war schon tief hinabgesunken]
[35] Die Purpursonne war schon tief hinabgesunken,
Und dunkle Schatten schwankten nun den Fluß entlang,
Es glühten hoch die allerschönsten Himmelsfunken,
Und da begann das Weib: der Abend macht mir bang.
Mir ists, als ob ich aus dem Traumlande entflöhe,
Ich liebte es, mein trautes Glück ist dort erwacht.
Doch in der Wüste greifen Arme in die Höhe,
Als wäre noch ihr schwerstes Tagwerk nicht vollbracht!
Sie müssen wohl die holden Sterne noch entzünden,
Und ach, sie fallen übermüdet schon zurück,
Oh, würden Mond und Sterne jetzt die Nacht verkünden,
Wie freut ich mich an ihrem großen Kinderglück.
Dann nahm der Mann sein Weib am Arm und trugs hinüber,
Er watete mit festem Schritt, im raschen Fluß,
Die Schatten wurden ringsum immer trüber,
Und unwillkürlich gab sie ihm den ersten Kuß.
Es fielen nun des Weibes dunkelschwarze Haare
Dem Manne über seine Schultern weich herab,
Es wuchs der Muth, der Wanderwunsch im Paare,
Da eines stets dem Andern, was es fühlte, gab.
Als sie den Wüstenuferrand beinah erreichten,
Versank sein Fuß noch tief in Moos und Tang,
Und einige letzten Strahlen, die nun auch erbleichten,
Vergoldeten noch leicht die Spur von seinem Gang.
Am Ufer wuchsen schattenbleiche, blaue Blüthen,
Das Weib hätte sie gern, zum Schmücken, abgepflückt,
Doch wollte er, bei ihrer Ankunft, es verhüten,
Und fast behutsam hat er sich durchs Feld gedrückt.
[36] Kaum hatten sie der Wüste Blüthensaum durchschritten,
Als jedes sich, erschlafft, im Sande niederwarf,
Dann sprach der Mann: »Das Pflücken hab ich nicht gelitten,
Da niemand seinen kleinen Wünschen folgen darf!
Die Welt birgt weniger Gefahr als unser Wesen,
Drum bleiben wir vor unsern Feinden auf der Hut,
Ich weiß nicht, hättest Du die Blüthen aufgelesen,
So glaub ich, hätten wir nicht friedlich ausgeruht!
Vielleicht umhüllen diese blauen Blumen Lichter,
Die Nachts, am Moorrande, zum Flammenreigen ziehn.
Du sahst sie doch im Wald, an manchem Wassertrichter?
Sie locken, haschen sich, um plötzlich zu entfliehn!
Ach, würden sie des Nachts in Deinem Haar erglänzen,
So trieben sie mich wohl von Deinem Herzen fort,
Denn huschten, schwirrten sie um Dich, in irren Tänzen,
So lockten sie mich noch, wer weiß, an welchen Ort.
Du würdest meinen Armen immer mehr entweichen,
Du wärest meinem stärksten Wollen bald entrückt,
Mein Weib, ich könnte Dich dann nirgends mehr erreichen,
Und Du verschwändest mit dem Lichte, das Dich schmückt.
So leg Dich nun zu mir, in trauter Seelenstille,
Und warte sanft auf Deinen ersten Wüstentraum,
So schlummre denn, nach innen schaue die Pupille:
Drum gute Nacht! Dein warmes Athmen fühl ich kaum –
Den WürmchenGlanz, der Deine Haare grün besternte,
Vermiß ich leicht,– denn Sterne sind in uns erwacht –
– Ja es erkeimt, ersprießt in uns bereits die größte Ernte –
Und wir lustwandeln nun in dunkler Traumesnacht!«
[Als Morgens Mann und Weib im Wüstensand erwachten]
[37] Als Morgens Mann und Weib im Wüstensand erwachten,
Betrachteten sie rings die Welt und blieben stumm,
Das war, weil sie ihr Träumen langsam überdachten,
Dann blickten sie sich an und wieder schüchtern um.
Doch endlich sprach der Mann zu seinem theuren Weibe:
»Wir sind in dieser Wüste völlig ungewandt,
Drum merke Dir, wie ich es mit den Thieren treibe,
Und lerne selbst ihr buntes Leben hier im Sand.
Sie herrschen da und würden sich am Menschen rächen,
Versuchte ers in ihrem angestammten Reich,
Was lange schon besteht, aus Übermuth zu brechen:
Und geht es an, behandle sie stets Freunden gleich!«
Sie brachen auf! Von voller Wanderlust getrieben,
Verfolgten sie den Fluß auf seinem WüstenLauf,
Der Urwald ist im Osten weit zurückgeblieben,
Und tauchte später, in den Träumen, wieder auf.
Ja, eine innere Wildniß bäumte sich und schäumte
Im Menschen dann empor, die niemals er gekannt,
Denn wenn die Seele voll von Urverlangen träumte,
Erwuchs ein Wald in ihr, den sie sonst kaum empfand.
Es mußte tausendfach im Menschen sich verbinden,
Was einst, in seinem Walde, einzeln, aufgeragt:
Es sollte alles sich in ihm bewußt empfinden,
Was schon auf Erden sich erfaßt hat und getagt.
Als Felsenfinger Wälder immermehr umkrallten,
Ist auch der Thiere Lenzlust langsam eingeschrumpft,
Im Menschen aber ward der Sonnenflug erhalten,
Und seine Fühlung mit der Erde abgestumpft.
[38] Der Sonnenwechsel blieb ihm völlig vorbehalten,
Da ringsum die Natur erstarrte und erstarb,
Der Menschengeist sollte das Sonnenreich verwalten,
Da er die Macht dazu, von altersher, erwarb.
Denn wir sind hier das älteste Geschlecht auf Erden,
Vom Seelenurgefunkel wunderbar erhellt,
Wir änderten die Haltung, manche Trutzgeberde,
Doch hüten wir das tiefste Feuer dieser Welt.
Wir haben uns bereits der Umwelt fast entkleidet,
Und nehmen nur die Samenkräfte lichtwärts mit,
Der Urwald aber und was drinnen weiterleidet,
Macht, wenn es wechselt, höchstens einen Todesschritt.
Doch hat der Mensch die Liebeskette schroff durchbrochen?
Ist er in freie Kreise jählings aufgeschnellt?
Wird er von keinen Kletten seines Seins umkrochen?
Ob sich vom Menschen Überwundenes erhält?
Denn selbst die Sonneneigenheit der frühen Ahnen
Fiel sicherlich in einen engern Kreis zurück:
Gesittet werden, heißt sich Urwaldpfade bahnen,
Und dort empfinden wir von uns so manches Stück.
[Gar traurig zog der frühe Mann mit seinem Weibe]
Gar traurig zog der frühe Mann mit seinem Weibe,
Durch Ginster und durch Sand, im wüsten Lande ein,
Es schien zuerst, daß er die Thiere rings vertreibe,
Und ach, da fühlten beide sich so sehr allein.
[39] Sie dachten kaum ein Wanderjahr zu überleben.
Doch gab es weder ein Zurück noch eine Rast,
Die Seele will, was da auch kommt, zum Lichte streben,
Und das geschieht, wenn sie auch nichts davon erfaßt.
Als beide einst durch Sturm und Nacht dahin gezogen
Und ostwärts blickten, ob die Welt sich dort erhellt,
Ist unbemerkt ein Hund um einen Fels gebogen
Und hat sich wedelnd zu den Wanderern gesellt.
Da ist das Thier und auch der Mensch beglückt erzittert,
Ein Wesenstheil von ihm hat seine Spur erkannt,
Der Hund, sein Anhang an den Wald, hat ihn gewittert
Und ist ihm stracks durch Staub und Hitze nachgerannt.
Als bald darauf das Paar einmal im Staub geschlendert
Und stille in sich selbst und in das Licht geblickt,
Begann der Mann: »Wenn unsere Lage sich nicht ändert
Und keine WüstenGottheit Rettungsboten schickt,
So sind wir beiden Menschen sicherlich verloren,
Denn unsere Glieder sind schon schrecklich abgezehrt,
Vielleicht hat gegen uns ein Dämon sich verschworen
Der unsern Wüstenmarsch absichtlich noch erschwert!«
Drauf sprach das Weib zu ihm: »Zwar bin ich arg verdrossen,
Denn ich verdurste fast vor Hitze und vor Staub,
Auch meine Thränen habe ich umsonst vergossen,
Doch glaube ich, wir sind für Wüstenstimmen taub.
Vernahmst Du nicht das Wiehern urbekannter Thiere,
Sie hetzten öfters schon um unsern Lagerplatz:
Daß man sie nimmer aus dem Augenmerk verliere,
Und siehst Du eins, so schwing Dich drauf mit kühnem Satz!«
[40] Des Weibes Rede hat den Mann zur That begeistert,
Denn einmal sprang er wirklich auf ein schlankes Roß,
Darauf hat er ein zweites für sein Weib gemeistert,
Und so ward auch das Pferd der Menschen Marschgenoß.
Von nun an spähten beide, auf der WüstenReise,
Nach Thieren, die vielleicht ein Gott für sie bestimmt,
Da sahn sie einige, die wurden seltener Weise
Durch ihre Nähe weder ängstlich noch ergrimmt.
Die Menschen und die Thiere blieben lang verwundert,
Dann kam ein Weibchen ohne Scheu ans Weib heran,
Als nichts geschah, erschienen langsam viele hundert,
Und schließlich nahten einige dem Mann.
Das Weib entdeckte bald die vollen Ziegeneuter
Und drauf entnahm es viele Thiere ihrer Schaar,
Der Mensch jedoch wurde dadurch zum Welterbeuter
Denn auch die Wüste barg ihm ferner kaum Gefahr!
So wurden Wesen fast zu wandelnden Oasen,
In Trifften, wo sich nie ein Mensch hineingewagt,
Vermochten sie das letzte Futter abzugrasen
Und haben nie dem Menschen ihre Milch versagt.
[Die Wüste hat schließlich von Menschen gewimmelt]
Die Wüste hat schließlich von Menschen gewimmelt,
Die Wildniß sich sämmtlicher Seelen bemächtigt,
Das Licht und die Geistigkeit wurden verhimmelt,
Das Leben jedoch mit Dämonen geträchtigt.
[41]
Es mußte der Urwald sich wiedergebären,
Um Blüthen der Erdgluth dem Lichte zu spenden,
Der Mensch aber sollte der Üppigkeit wehren,
Um edel sein irdisches Werk zu vollenden.
Er suchte den Zwist der Gefühle zu fassen,
Durch Hymnen den Schwung seiner Seele zu fordern,
Er trachtete Laster und Schwächen zu hassen,
Denn tief in sich selbst traf er Blicke von Mördern!
Es mußten die Sänger am Liede erkranken,
Denn stets liegt bei Dichtungen Gram auf der Lauer,
Die Wehmuth beginnt jeden Wunsch zu umranken,
Und Lieder des Glaubens sind Lieder der Trauer.
Oh Menschheit, wie bist Du mit Räthseln geschwängert,
Du steigst, denn Du bist ja zu klimmen gezwungen,
Doch da unsere Lichtbahn sich ewig verlängert,
So blieb deine Seele von Ruhe durchdrungen.
Man geht eine Strecke und sieht seine Ziele,
Dann stirbt man und läßt seine Pfade den andern,
Denn groß ist die Tragik im Wechsel der Spiele:
Was da ist vergeht, und was nicht ist wird wandern!
Wir ordnen das Dasein nach eigenen Rhythmen,
Die Zucht ist der Geisteskraft erste Bedingung.
Es soll sich die Seele dem Innerlicht widmen,
Denn Leben ist Dauer der Triebebezwingung.
Das Licht hat uns wirkliche Höhe beschieden,
Und wird unserm Wesen sein Reichthum entzogen,
So sichert es uns einen seligen Frieden,
Um den aber wird kein Gewissen betrogen.
[42]
Versucht der Gedanke dem Leib zu enteilen,
So schmiegt sich die Seele ans Lebensbedürfniß,
Auch hier giebt es Wälder, zu holdem Verweilen,
Doch wehe, erfaßt Du dabei Dein Zerwürfniß!
Der eifernde Geist braucht den Urwald der Seelen,
Denn da kann, was ist, sich vom Schein unterscheiden,
Der Schwächling mag stets seine Sterblichkeit wählen,
Wer Ewigkeit will, sich mit Flammen bekleiden!
Wir folgen der Sonne zu höchster Bestimmung,
Sie giebt die Gesetze und übt sie mit Strenge,
Sie schenkt uns die Gunst edler Rassenerklimmung
Und lichtet der Wildniß entsetzliche Enge!
[Der Verstand ist Mann und Wüstenkönig]
Der Verstand ist Mann und Wüstenkönig
Und begreift das Leben fast im Sprung,
Irrte er beim kühnen Satz ein wenig,
Wagt er kaum noch einen andern Schwung.
Er verfolgt die tiefsten Räthsel lauernd,
Grübelt, müht und quält sich suchend ab,
Bückt sich, beugt sich nicht, und selbst erschauernd,
Bleibt, wer forschen kann, bedacht und knapp!
Des Verstandes Jagden sind verwegen
Und er sucht noch schärfer als der Aar,
Schöpfer werden oft durch ihn verlegen,
Denn sein Urtheil ist vernichtend klar.
[43]
Grausam spielt er gerne mit der Beute,
Neigt besonders stark zu Spott und List,
Und nur darum achten ihn die Leute,
Nicht, weil er den Weltenraum durchmißt!
Denkt und überlegt er lang und reiflich,
So zerstört er schließlich jeden Werth,
Mystik scheint ihm schaal und unbegreiflich,
Und der Zufall wird von ihm gelehrt.
Kunst und Glauben werden bald verschwinden,
Wo der Wüstenkönig herrscht und jagt,
Er verneint das stille Gottempfinden,
Das verklärend im Gemüthe tagt.
[Oh Weib, was mußtest Du am Wüstenweg erdulden]
Oh Weib, was mußtest Du am Wüstenweg erdulden,
Du schmiegtest Dich ans eigene räthselhafte Sein,
Gleich dunklen Winterwolken in verschlossenen Mulden,
Sank schwerer Kummer leise in Dein Wesen ein.
Du Sonnentochter bliebst den Erdenwünschen günstig,
Dein Fühlen ist verzweigt und Freuden zugeneigt,
Der Lenz, der uns durchzieht, ist immer jung und brünstig,
Und glücklich, wenn im Weib ein Urwald frisch entsteigt.
In dieser Wildniß will, was sich besaß, umfassen,
Da wirft sich Längstverschwundenes Liebesblicke zu,
Da überspringt der Frühling Zucht und Rang der Rassen,
Und was sich rasch gefällt, umschlingt sich auch im Nu.
[44]
Das Weib hat uns die Seelenweichheit hold gerettet,
Und sich, aus Sanftheit, jedem Lichtgeheiß gefügt,
Es hat die Lust mit der Enthaltung zart verkettet,
Und diesem Widerspruch, durch seine Scham, genügt.
Es trägt das Weib in sich die Seelenmacht verschlossen,
Sein Unerklärbares bewältigt kein Verstand,
Es kann ihm eine Tagesschöpfung kaum entsprossen,
Denn alles sucht im Weib den inneren Bestand.
[Ihr Seelen, haltet Euch in trauter Lust umfangen]
Ihr Seelen, haltet Euch in trauter Lust umfangen,
Was Ihr an Güte habt, das legt in Euren Kuß,
Entzündete die Keuschheit früher Eure Wangen,
So glüht auch Euer Glück nun einen Seelenguß.
Oh Weib, so nimm den Mann. Du darfst ihn ganz umschlingen,
Denn seine Wurzeln dringen schon in Deinen Schooß.
So lasse seinen Schmerz um Dich in Lust verklingen,
Und halte nur sein Glück, als Deines Kindes Loos!
Ihr Seelen schöpft nun Athem, da Ihr Leben wittert!
Oh Weib, die Fruchtbarkeit und Du, Ihr habt gesiegt:
Der Mann ist Dein, Du bist ja ganz von ihm durchzittert,
Da jeder Wunsch aus ihm in Dich hinüberfliegt.
Oh Seelen, haltet Euch in Seligkeit umfangen,
Es falle, müde, jedes Sein ins andere Sein,
Ihr müßt in Zukunft immer an einander hangen,
So schlummert nun, denn Eure Küsse schlafen ein.
[Wie still es ist. Wo sind der Seele tiefe Stürme]
[Wie still es ist. Wo sind der Seele tiefe Stürme?]
[45]
Wie still es ist. Wo sind der Seele tiefe Stürme?
Sie gleicht dem Meere, das die Fluch zur Ruhe bringt,
Es ist, als ob sie Leben, wie die See beschirme,
Sie kühlt und schützt die Lenznatur, die sie umschlingt.
Dann scheint es auch, als sei die See die Erdenseele,
Die alles mildernd ihrer Friedlichkeit entflieht,
Sie wallt empor, damit sich Liebendes vermähle,
Und aller Schreck verweht, wo sie durchs Weltthal zieht.
Oh Meer, oh Meer, so habe doch mit uns Erbarmen!
Oh sieh den Wüstenabgrund, der im Menschen gähnt,
Oh Seelenmilde, nimm uns auf mit offenen Armen,
Bestürme uns, bis unsere Seele ihren Urgrund wähnt.
Wenn wir, verborgen, uns nach stillen Fluren sehnen,
Wo sich das SonnenIch in stummer Nacht vergißt,
So flüchten die Gefühle schon, als Licht der Thränen,
In jenes andere Land, wo jedes Leid erlischt.
Oh Meer, oh Meer, Du schenkst als Wolke Dich der Wüste
Und forderst Thränen aus des Mannes Felsenbrust,
Oh Meer, als Dich der Mensch zum erstenmal begrüßte,
War seine Seele ihrer Ewigkeit bewußt!
[Des Weibes Seele ist ein tiefer Bronnen]
Des Weibes Seele ist ein tiefer Bronnen,
Der klar und rein dem Mann entgegenstrahlt,
Und wenn sich Glücksgefühle drinnen sonnen,
Erwacht des Wassers stille Schreckgewalt.
[46]
Du siehst die Freude, die das Weib uns spiegelt,
Doch nicht das eitle, lauernde Geschlecht:
Ein Wirbel wird vom Grunde aufgewiegelt,
Es schwindelt uns, wir sind zu Tod geschwächt.
Es rächen sich die weiten Urnichtstiefen,
Ihr Ekel gähnt uns aus dem Weib empor,
Die Thiergespenster, die verkettet schliefen,
Belecken sich und kriechen aus dem Venusthor.
Doch nein! Hinweg mit diesen Marterträumen,
Das ist ein Augenblick, – der Ehre Tod, –
Ein anderer genügt, um aufzuräumen,
Denn Schemen folgen jedem Kraftgebot.
Es steigt der Mann mit seinem Weib hernieder,
Sie tauchen schon ins große Seelenmeer,
Es senkt der Einzelne die keuschen Lider,
Und Urgefühle walten stumm und hehr.
Die Schöpfung zittert tief in sich zusammen,
Und Mann und Weib, ein junges Weltgewicht,
Versinken in der Nacht, der sie entstammen,
Und bringen dann für sich ein Kind ans Licht.
[Oh Mann und Weib, die Schrecken könnt Ihr überwinden]
Oh Mann und Weib, die Schrecken könnt Ihr überwinden,
Die aus dem Urwald Ihr in Euch verpflanzt:
Ihr wißt es, Seelen tausendfältig zu verbinden,
Denn Ihr begeistert Euch, wenn Ihr im Reigen tanzt.
[47] Ein Wollustwunsch scheint Eure Arme auszustrecken,
Und wo ein Finger einen anderen nur berührt,
Vermag der Tanz ein eigenes Lustgefühl zu wecken,
Das man im ganzen Leibe, wie ein Fiebern, spürt.
Gar schön habt Ihr erfaßt was Euch zum Tanz gezwungen,
Denn wenn Ihr Euch, beim Reigen, Lieblingsblumen reicht,
So ist ein wahres Lenzgefühl in Euch entsprungen:
Doch bleibt es blos ein Rausch und es entblättert leicht.
Oft will sich nur ein Übermuth aus Euch ergießen,
Doch wird ein Reigen auch zum ernsten Opfertanz,
Dann soll der Seelenrausch nur paarweis überstießen,
Denn gläubige Seelen schenken sich einander ganz.
Beim Reigen scheint die Wollust oftmals auszutoben,
Doch für das Leben trefft dann eine freie Wahl.
Ihr zeigt beim Tanz, wie Ihr Euch seelenschlank erhoben,
Und dann vergebt den eigenen Lenz mit einem Mal!
Oh Mann und Weib, habt Ihr Euch voll und ganz verstanden,
Und birgt die Seele nichts, was Ihr vor Euch versteckt,
Verknüpft sich schon das Sein dem Sein mit tausend Banden,
So falle das Gewand, das Euern Leib bedeckt.
Sind Eure Wesen voll von Sehnsucht und Verlangen,
So bleibt Ihr Euch ein ewig junges, anderes Paar,
Ein Weib kann alles, was im Gatten glüht, empfangen:
Gebt Eure Überfülle einer Kinderschaar.
Die innere Wildniß, die Euch oft als Traumbild peinigt,
Gehört Euch nicht, gebt sie der Sonnenwelt zurück:
Bemüht Euch um ein Feld und bleibt stets froh vereinigt,
So findet Ihr in Euch ein volles Erdenglück.
[48] Beackert und bewaldet rastlos, schmückt die Wüste,
Versetzt den Urwald, aus Euch selbst, in blaue Luft,
Ihr tragt ein Schöpferhaupt auf steiler Felsenbüste:
Drum weckt die Schlummerwelt in dunkler Seelengruft.
Doch herrscht dann wirklich über Wälder, Felder, Gärten,
Es werde die Natur nunmehr durch Euch beschenkt,
Befördert blos die Dinge, die sich ganz bewahrten,
Und was den Sonnenaufschwung aufhält, sei verdrängt.
[Es jubelt die Flur. Eine kühlende Briese]
Es jubelt die Flur. Eine kühlende Briese
Durchflattert das flimmernde, flatternde Haar
Vergnügter Gespielen, auf blühender Wiese:
Und plötzlich erscheint eine tanzende Schaar.
Das sind lauter jauchzende, lustige Kinder,
Doch was sie da singen verliert sich im Wind.
Das hascht sich und ruft sich, das läuft noch geschwinder,
Das wettet und weiß nicht, ob jemand gewinnt.
Es laufen die Mädchen und rascher die Knaben,
Zum Spiel hat sich bald auch Gefallen gesellt,
Das würde sich herzen und möchte sich haben,
Ob eines der Mädchen aus Übermut fällt?
Es flimmern die Wiesen. Es balgen sich Kinder.
Es wiegen sich Birken. Es lispelt der Wind.
Die Lenzlüfte werden schon blauer und linder:
Da flüchten die Paare ins Waldlabyrinth.
[49]
Dort horchen sie still aus das Flöten der Hirten,
Und allerhand Glocken durchtönen den Wald,
Dann pflücken sich Mädchen die lieblichsten Myrthen
Und schmücken damit ihre hohe Gestalt.
Die Wiesen durchrieseln laut plaudernde Bäche,
Und rings zittern Birken, vom Winde gebeugt,
Man fürchtet von mancher, die aufschnellt, sie bräche,
Doch scheinen sie wirklich zum Wiegen gezeugt.
Sie sind nur zum Spiel mit dem Winde ersprossen
Und lieben sein Wesen und heiteres Geräusch,
Es hat sich ein Laubtraum in Birken ergossen,
Drum sind sie so leicht und doch standhaft und keusch.
Vom Walde her tönen nun lustige Lieder,
Und allerhand Bäume durchschüttelt der Wind,
Der Birkenhain schmiegt sich am tiefsten hernieder,
Doch alles bleibt heiter und jedes ein Kind!
[Tief unten, im schattigen windstillen Thale]
Tief unten, im schattigen windstillen Thale,
Entstanden rings Hütten nach ländlichem Brauch,
Dort richten die Mütter soeben zum Mahle,
Denn über den Bäumen verästelt sich Rauch.
Allabendlich ruft er die Hirten hinunter,
Er giebt ja die Stunde der Ruhe bekannt!
Doch stimmt er das Bergvolk nicht immer nur munter,
Er wurde die Sorge des Dorfes benannt!
[50]
Sowie er erscheint, faßt die Hirten ein Bangen,
Zu dem sich allmählich erst Freude gesellt:
Sie denken, wie ist es zu Hause ergangen,
Wer weiß, ob sich alles wie Morgens verhält?
Oft scheint es, als balle sich Kummer zusammen,
Und später, als wäre der Dunst ein Dämon,
Bereit, unter sich, was da lebt, zu verdammen:
Und bald fürchtet mancher die eigene Vision.
Begeben sich Hirten, des Nachts erst, nach Hause,
So ängstigt sie oft schon ein rauschender Baum,
Besonders das wuchtende Buchengebrause
Vernestelt gar leicht einen schaurigen Traum.
Umstehn die Gelände phantastische Zeichen,
Wie Fragen in wechselnde Formen gebannt,
So sind das dann Ulmen, die Dunstbildern gleichen,
Sie werden stets wieder als solche erkannt!
Am liebsten erblickt man die friedliche Fichte,
Sie steht vor dem Dorfe, im einfachsten Kleid,
Dort sitzen die Obern zumeist zu Gerichte,
Drum hält sie die Arme zum Schützen bereit!
[Lichter müssen rings zersplittern]
Lichter müssen rings zersplittern,
Gold erschimmert im Geäst,
Und die Lispelblätter zittern,
Weil die Sonne uns verläßt.
[51]
Lauter dunkle Seelenfunken
Schweifen Abends durch den Wald,
Der auf einmal, freudetrunken,
Von Gesängen wiederhallt.
Ja, er hat an Duft und Pollen
Sich und Luft und Fluch betäubt,
Winde wirbeln, Blätter tollen,
Aller Samen wird zerstreut.
Wo sich nur die Zweige regen,
Huscht das goldene Licht herein,
Wo die Winde heftig fegen,
Tanzen Schein und Wiederschein.
Wo die Sonne Abschiedsküsse
Auf die grünen Lauben drückt,
Fühlt die Seele wohl, es müsse
Huld erblühn, die alles schmückt.
Sonderbar, die muntern Lichter,
Die nur Abends bunt erstehn,
Flimmern ringsum immer dichter,
Wenn die Winde selbst verwehn!
Plötzlich flackern sie wie Flügel:
Wurden sie auf einmal schwer?
Schwirren sie um hohe Hügel
Schon als Falter jetzt umher?
Da bereits das Licht im Walde
Immer mehr und mehr vergraut,
Wird es ganz bestimmt und balde
Klar sein, ob man wahr geschaut.
[52]
Hört vor allem, tausend Quellen
Sprudeln lauter schon im Wald,
Lieder, Liebe, Lerchen schnellen
Sich ins Licht, das aufwärtswallt.
Wie das zwitschert, zaubert, feiert,
Welches Wunder ist erwacht,
Welche Macht hat sich entschleiert,
Was bedeutet diese Pracht?
Goldenes Abendrothgefieder
Zeigt den Gott, der Dich erschuf,
Und Ihr holden Sonnenlieder
Weckt ihn auf, durch Euern Ruf!
Oh, Ihr hohen Schwalbenschwärme,
Fliegt Ihr mit dem Sommer fort,
Oder sucht Ihr andere Wärme,
Horcht Ihr auf ein neues Wort?
Seht, nun laufen ganze Rudel
Stummer Thiere in den Wald,
Alles schweigt, und nur ein Sprudel
Plätschert, fast mit Stimmgewalt!
[Geheimnisse in meiner Kinderseele]
Geheimnisse in meiner Kinderseele,
Erklärt Euch, denn was habe ich erfahren?
Du Ruhe, während ich mich sinnend quäle,
Ich will ein räthselloses Ich gewahren!
[53]
Ich bin mit allen Wesen tief verkettet,
Oh, hätte ich für jedes eine Spende,
Doch hab ich Rehe oft im Traum gerettet,
Denn einige lecken meine bleichen Hände.
Ein Lied, das ich bestimmt allein empfunden,
Wird von den Vögeln mir nun weggesungen,
– Ich habe etwas Ernstes überwunden –
Was hat sich aus mir selber weggerungen?
– Ich lebe doch, – da ich mich selber frage! –
Auch trag ich wirklich eines Körpers Schwere –
Nun bett ich ihn auf einem Rosenhaage:
Doch sage, Seele, was ist diese Leere?
Oh Winde, seufzt nickt! schweigt, Ihr dunklen Bäume!
Oh gebt mir keine schreckliche Erklärung!
Rauscht auseinander, grausenwahre Träume!
Erlöscht, Ihr Blüthen, fort mit jeder Ehrung!
Wozu denn auch – sie ist doch nicht gestorben –
Sie schläft, ein Theil von mir in meinen Armen:
Wie, hätte ich für sie den Sang erworben?
Nun schweigt, Ihr Lieder, habt mit mir Erbarmen!
Doch nein, das Lied wird nimmermehr verstummen,
Denn Orpheus, Euridike, sind blos Namen:
Der Wald jedoch wird es den Bäumen summen,
Denn Leid zieht weiter, ohne zu erlahmen!
Die frischen Blüthen, die am Friedhof blühen,
Der weiße Stein, der eine Gruft verrammelt,
[54]
Die Purpurwolken, die den Schlaf umglühen,
Das Wort, das kaum von den Gefühlen stammelt,
Der Schmerzen nimmerstiller Seelenfriede,
Sein Sagenkreis und Preis für das Entsagen,
Umschlingen alle sich in einem Liede,
Und eine Seele wird es ewig tragen.
Es singt das Lied die weite Lichtentfaltung,
Es ist so wahr wie Vogelsang und Liebe,
Der Trauer giebt es trostlose Gestaltung,
Dock wehe uns, wenn es uns nicht verbliebe!
Ich höre schon den Sang der Daseinsklage,
Er naht mir rings, wie sollt ich ihm entrinnen:
Er ist beinahe eine stumme Frage,
Kein Liebeslied, sondern die Noth zu Minnen!
Die Vögel, die die Jungen nimmer finden,
Des Opfers Ohnmacht vor dem Blick der Schlange,
Die Thränen, die wir innerlich verwinden,
Beleben sich in diesem OpferPilgersange.
Es ist das Lied und nicht die vielen Leiden,
Der Thräne Wärme und ihr stilles Schweigen,
Die Nähe Gottes, die wir, heiter, meiden,
Zu der wir aber, schmerzentschieden, steigen!
[Ich kann ihn schon genau im Wald vernehmen]
Ich kann ihn schon genau im Wald vernehmen,
Selbst seine Worte werde ich verstehn,
Zurück! ich muß mich vor dem Sänger schämen,
Von weiterher soll mich sein Lied umwehn:
[55]
»Oh Orpheus, Trauer trägst Du im Gemüthe,«
Eröffnet sich die Seele selbst dem Walde,
Nun lispelt es die Lippe jeder Blüthe,
Dann schweigt das Lied, und wieder singt der Skalde:
»Dahin sind meine holden Sommertage,
Verloren hab ich meine traute Braut,
Die Leier, die ich noch um Trost befrage,
Hat keinen andern als den Trauerlaut.
Oft scheint ein Kranz sich um das Leid zu winden,
Es krönt den Schmerz und läßt mich hoffnungsleer,
Ist er vielleicht ein fernes Lenzempfinden?
Doch nein, er ist nur Schaum auf offenem Meer!
Mein eigenes Weib, ich kann Dich nie vergessen,
Und ich verzweifle, ach, an meinem Lied,
Ich trachte es in mich zurückzupressen,
Da es mein Schicksal ist, das Dich verrieth!
Wenn alle Stimmen um mich her verstummen,
Zieht mich des Waldes Mystik heimlich an,
Die Bienen hör ich Ordnungssorgen summen,
Mir ists, als ob ich sie verstehen kann.
In Ihrem unverständlichen Gewirre
Erkenn ich Zeichen einer anderen Welt:
Ob ich mich auch im Todtenreich entwirre,
Das hinter Leid mein Weib mir vorenthält?
Ihr Bienen seid ein Sterngedicht der Erde,
Das sein Geheimniß dumpf vor uns umrauscht,
So lehrt mich eine ferne Lichtgebärde,
Durch die man Tag und Innensicht vertauscht.
[56]
Doch nein! Wenn fremde Götter in Euch walten,
So lehren sie mich doch mein eigenes Maaß,
Die Welten, die sich von uns ferne halten,
Erzählen lächelnd fort was ich erlas!
Doch füg ich mich nicht mehr den Lichtgesetzen,
Ich weiß, daß in der Nacht mein Weib erscheint,
Das Chaos kann den Sänger nicht entsetzen,
Denn stets hat er aus einem Schlund geweint!
Es muß der Einblick in die Welten glücken,
Wo eine Freiheit unsern Zwang verspinnt,
Es zieht die Seele über Sternenbrücken,
Wie Heimweh, in das Todeslabyrinth.
Der Erde Sehnsucht nach dem eigenen Norden,
Die unsere Wanderfänger hold belebt,
Ist nun in mir ein Pilgerlied geworden,
Das Licht und Weh in mein Geheimniß webt.
Ihr Schwalben, die Ihr stets den Heimweg findet,
Verlaßt beruhigt Euer altes Nest,
Die Liebe, die uns überall verbindet,
Ist stark und hält Euch an der Scholle fest.«
[Ach, wenn doch meine bleiche Braut noch lebte]
»Ach, wenn doch meine bleiche Braut noch lebte,
So hätte keine Ferne uns getrennt,
Wenn mir das Schicksal auch entgegenwebte,
So schützte uns das gleiche Firmament.
[57]
Nun aber schweigt sie, jenseits aller Sterne,
Ihr Schlaf macht sie für meine Rufe taub,
Ich schreie, daß ich mich vom Leid entferne:
Ach, würde ich doch endlich auch zu Staub!
Ich zähle nicht die Lichter, die uns scheiden,
Denn so viel Leiden trennen mich von ihr,
Drum will ich auch die Schmerzen nimmer meiden,
Denn jeder bringt mich leise fort von hier.
Ich fühlte doch schon einmal ihre Nähe,
Es war des Nachts, ich griff nach der Gestalt,
Da that ich ihr durch meine Wildheit wehe,
Entsetzt ist sie vor mir zurückgeprallt.
Mir aber sagte eine eigene Stimme:
Ihr Weg zu Dir ist schmerzgeburtenweit,
Sei stark, daß Deine Liebe nicht verglimme,
Und wandere fort, durch Tod und Trennungsleid!
Euch Schwalben seh ich wieder heimwärts fliegen,
Ich ahne wie Ihr Euern Weg erwägt,
Da sich die Glieder an die Seele schmiegen,
Begreif ich was Ihr flatternd überlegt.
Doch hört mich, wenn ein Brand das Dorf zerstörte,
In das Euch einst ein Treugefühl berief,
Da Euer Schwarm zu seinem Lenz gehörte,
So weint mit mir, denn meine Braut entschlief!
Auch meine Sehnsucht flattert hin und wieder,
Doch schläft kein Flügel drüber müde ein,
Die Trauer legt sich Abends nirgends nieder,
Sie läßt mich selbst im Traume nicht allein.
[58]
Ihr Schwalben könnt Euch andere Nester bauen,
Da sich um Euch kein fernes Wesen quält,
Doch ihre Seele will in meine schauen,
Da ihr mein Wesen in Elysium fehlt!«
[Zwischen lauter lauten Unken]
Zwischen lauter lauten Unken,
Boten naher Pein und Qual,
Zieht nun Orpheus urversunken,
Westwärts durch ein feuchtes Thal.
In der heitern Dämmerferne,
Wo die Waldeswehmuth schweigt,
Sieht er, wie der Kranz der Sterne
Langsam sich herniederneigt.
Ja, die Nacht wird immer dichter,
Alle Gluthen löschen aus,
Doch die holden Himmelslichter
Leuchten nun im Vaterhaus.
Orpheus ist die Nacht vertrauter
Und er deutet ihre Pracht,
Rauschen doch die Wälder lauter,
Wenn der Flüsterwind erwacht.
Sie erzählen und verschweigen,
Wenn der Zephyr sie durchweht,
Worte, die der Nacht entsteigen,
Und die Orpheus nur versteht.
[59]
Eben läßt er Blättersätze
Sackt an sich vorüberziehn,
Denn er weiß, geheime Schätze
Birgt der grüne Baldachin.
Orpheus kennt des Windes Wesen,
Wie des Waldes Lispellied,
Ist es doch am Meer gewesen,
Als er stumm die Menschen mied.
Seine Seele liebt die Stürme,
Denn auch sie will flügge sein:
Baut der Geist sich steile Thürme,
Setzt die Luft den Falk hinein.
Winde, Raubvögel ergänzen
So der Wünsche stolzes Werk,
Ja, sie finden und bekränzen
Es, wie Wolken einen Berg!
Nun wird von des Wildes Seelen
Orpheus allerhand gesagt,
Denn die künftigen Wesen quälen
Sich bereits auf einer Jagd.
Was mag plötzlich sich gestalten,
Da der Wind auf einmal sank:
Hat der Wald ihn angehalten?
Auch der Sänger athmet bang.
Doch er kann die Angst verstehen:
Jener Wind kam von der See,
Plötzlich hört er auf zu wehen,
Denn er birgt ein eigenes Weh!
[60]
Von den Wogen abgeschnitten,
Kehrte er auf einmal um!
Und jetzt knisterts unter Schritten:
Wohl ein Reh? – Nun alles stumm! –
[Orpheus zieht es nun zum Meere]
Orpheus zieht es nun zum Meere,
Das ihm dumpf entgegengähnt,
Und nach dessen dunkler Leere
Sich des Sängers Seele sehnt.
Lustig flimmern, schon die Sterne,
Denn der Tag verglomm bereits,
Und der Dichter athmet gerne
Dieser Stunde düstern Reiz.
Plötzlich schäumt noch, wie verschlagen,
Eine Woge auf den Damm,
Und die hat noch einen Kragen,
Spitzensaum und Feuerkamm.
Nun ists finster. Linde Winde
Spielen auf dem bleichen Strand,
Und ganz ähnlich einem Kinde
Formen sie den feinen Sand.
Niedlich sind die kleinen Haufen
Die da jemand aufgebaut –
Kinder wohl, die scherzend laufen,
Oder lacht der Wind so laut?
[61]
Plötzlich giebt es kleinen Ärger
Denn das bläst sich Hügel um!
Oder wird der Lufthauch kärger?
Plötzlich wird es ringsum stumm!
Orpheus tönt nun aus dem Meere
Wohl ein Mutterruf hervor,
Und es scheint ihm, es begehre
Draußen wer, was er verlor.
Arme greifen aus dem Wasser
Wahrhaft jetzt nach ihrem Wind,
Und er sieht auch, wie ein blasser
Milchgischt wie aus Brüsten rinnt.
Lauter Mutterwogen wollen
Die Erfüllung einer Pflicht,
Und die See hört er ergrollen,
Wenn ein Wunsch zusammenbricht.
Viele, viele Arme sielen
Wildverzweifelt schon zurück,
Denn die winzigen Hauche spielen
Ruhig fort und voll von Glück.
Ach, das sind die Kinderseelen,
Die sich, wie ein sanfter Wind,
Abends sacht zum Spiele stehlen,
Wenn sie schon verschieden sind.
Überall am Meeresstrande,
Wird man ihrer oft gewahr:
Frei von jedem Gängelbande,
Tummelt sich die muntere Schaar.
[62]
Orpheus weiß, von vielen Kindern
Die sich stets hinweggesehnt –
Ach, ihr Weh war nie zu lindern
Und ihr Blick hat oft gethränt.
Sie gedachten der Gespielen,
Dort am stachen Daseinsrand,
Erst als sie dem Tod verfielen,
Waren sie im Heimathland.
Kinder, die nicht ganz erwachen,
Fallen bald zurück in Schlaf,
Selten nur siehst Du sie lachen,
Und sie sind stets gut und brav.
Orpheus weiß, es ist das Leben
Durch den Lenz vom Tod getrennt,
Durch sein Traumland muß man schweben,
Bis man sich als Kind erkennt.
Seine Jugend überwinden
Wird zur ersten Schmerzenspflicht,
Einige Seelen aber finden
Diesen Weg voll Wehmuth nicht!
Orpheus selbst ist sanft geblieben
Und sein Geist spielt überm Meer:
Schmerz hat mit ihm Scherz getrieben
Und sein Lied ist regenschwer.
[Junger Mond Du gießt die Stille]
[63]
Junger Mond Du gießt die Stille
Deines Wesens auf die See,
Denn ein letzter Wellenwille
Wiegt des Meeres weiches Weh.
Wo sich Nacht und Naß umfassen,
Träufeln Thränen auf den Kuß,
Und wo Winde Spuren lassen
Schwimmt ein Schwan im Silberfluß!
Eben taucht ein solcher blasser
Vogel aus den Wogen auf;
Doch verwirbelt gleich im Wasser
Jedes Schemen Wirkungslauf!
Ja sogar ein Schwan, der blendet,
Zeigt sich jetzt fast nirgends mehr,
Und wie Öl, das Frieden spendet,
Schwimmt nun Mondlicht auf dem Meer.
Stille, kurze Stunden senken
Schwer sich über Land und See,
Orpheus aber sucht zu denken,
Denn er scheut das Traumesweh.
Ja, das ist die Zeit der Ängste,
Wenn der Alb die Schläfer quält,
Oder das Gefühl die längste
Schlummerspanne gar nicht zählt.
Aber die Gedanken kreisen
Frei, wie das der Dichter mag,
[64]
Und er findet lauter Weisen
Zu des Herzens Rhythmenschlag.
Ach, in seine Trauernetze,
Die er über Wolken sticht,
Ists, als ob ein Weib sich setze,
Und es schimmert sein Gesicht.
Euridike ist erschienen.
Weiß erstrahlt ihr Sterbekleid.
Und mit dichten Mondlichtbienen
Ist die Liebliche beschneit.
Sieh mit bleicher Trauermiene
Blickt sie auf den Wandersmann,
Und um ihre Thaugardine
Drängen Englein sich heran.
Oh, wie bluten seine Wunden
Und wie pocht sein Puls so wild!
Wie? der Traum ist schon verschwunden?
Wolken wallten vor das Bild!
Nimmer wird er sie erblicken,
Da sie weit von dannen weilt,
Und er selbst glaubt zu ersticken,
Da ihn Nebel rings ereilt.
Selbst die höchste Sternenkrone
Hüllt sich tief in Dünste ein,
Und der Wind seufzt, wie zum Hohne:
Orpheus, oh, Du bist allein!
[65]
Streckt das Meer die Nebelarme
Nach des Mondes Sichelglanz,
Wallen Nymphen mit dem Schwarme
Flügger Elfen flugs zum Tanz.
Doch die Schemen, die da schwanken,
Sind ein finsteres Spukgemisch,
Etliche von ihnen zanken
Sich bereits um einen Wisch!
Wie sie auf und nieder fliegen,
Füllt sich rings ihr Tummelplatz.
Will ein Nix ein Kebsweib kriegen,
Hascht er sichs mit einem Satz!
Jetzt erwischt des Satans Base
Rasch den drallsten Wolkengnom,
Schwubbs, da reißt die ganze Blase
Einen Papst in ihren Strom.
Alle diese Zwitterbilder,
Klepper, Hektiker aus Schaum,
Sind des Meeres tückischwilder
Ungestümer Nebeltraum.
Alles was der Mond besessen,
Seelen, Stürme, Blitz und Meer,
Kann er nimmer ganz vergessen
Und er hat danach Begehr.
Um den Durst von ihm zu laben,
Wühlt die Erde Wolken auf,
Jeder Stern verschwendet Gaben,
Hülflos oft im Weltenlauf!
[66]
Auch die Träume schwerer Nächte
Sind der Mondsucht leicht verwandt,
Und die Weiber herzen ächte
Wichte oft als Albpassant.
Flegel, die sich Träume miethen,
Kobolde und anderes Pack,
Sind verirrte Seleniten,
Meistens voll von Schabernack.
Denn es fluthen auch die Seelen
Nachts dem Monde lüstern zu,
Und Lunatiker vermählen
Sich sogar mit Hund und Kuh.
Nebel, Schrullen, Träume gleichen
Sich im tiefen Wesenskern,
Und sie mimen, necken, schleichen
Mit einander riesig gern.
Ansichten, die längst veralten,
Finden noch den letzten Halt,
In den grausen Angstgestalten,
Die ein Traum zusammenballt.
Schlüpfen sie darauf in Hüllen,
Die der Nebel ihnen leiht,
So verdüstern und erfüllen
Sie die Nacht mit Neid und Streit.
Juden, die sich überlisten,
Lumpen, Lüstlinge aus Dunst,
Diebe zwischen Silberkisten,
Wucherer in hoher Gunst,
[67]
Huren, die aus Fenstern nicken,
Alle Laster einer Stadt,
Kann man über sich erblicken,
Wenn man Orpheus Augen hat.
Jedes kleine Menschenleben
Wird im Traum ganz allgemein,
Mädchen, die bei Muttern kleben,
Streben nun zum Stelldichein.
Racker, die ein Fräulein schreckten,
Sieht jetzt, wo, ein Philosoph,
Nonnen, die den Bischof neckten,
Macht bereits ein Geck den Hof.
Traum und Träumer wechseln solche
Albscherwänzer immerfort,
Denn so abgefeimte Strolche
Bleiben nie am selben Ort.
Keine Wesen, Menschen, Thiere,
Ohne Unterschied im Rang,
Sehn jedoch im Hirnspaliere
Diesen Traumzusammenhang.
Einzig Orpheus kann begreifen,
Was sich in sich selbst verkrallt,
Und die Einsicht in ihm reifen,
Daß ein Traum aus allen wallt.
Zwischen solche Fabelfalten
Schwebst Du selbst voll Zuversicht,
Oft kannst Du Dich oben halten,
Denn dann hast Du kein Gewicht:
[68]
Aufgeregte Seelen streben,
Hilflos auf ein Meer gebracht,
Jederzeit ans Land zu schweben,
Doch sie wechseln jede Nacht.
So ein Welttraum überwindet
Dann in sich den schroffsten Spalt,
Denn in der Vision empfindet
Sich der Spuk im Hinterhalt:
Wurzeln doch in unserm Wesen
Schlundgewalten aus der See.
Was aus Muscheln sich gelesen,
Zeigt sich heute als Idee.
Wolken, Wälder, was an Thieren
Je auf Erden aufgestampft,
Wird sich nimmer ganz verlieren,
Denn es bleibt in uns verkrampft.
Durch den Hang zum Flug erwachen
Wir oft schlafend in der Luft,
Trachten wir uns loszumachen,
Hangen wir in einer Schlucht.
Jagen uns auf einmal Drachen,
Die der Kummer aufgewühlt,
Trachten Mächte zu erwachen,
Die schon manchen Tod gefühlt.
Ja, beim Seelenrundgang finden
Alle Albe jedesmal
Schläfer, die sich angstvoll winden,
Und sie steigern dann die Qual.
[69]
Jener Schlund, der in den Heerden,
Hie und da auf einmal gähnt,
Daß sie plötzlich störrisch werden,
Und man sie besessen wähnt,
Öffnet sich bei uns im Schlummer,
Öfters grundlos, wie im Schaf,
Und dann folgt zumeist ein krummer
Sturz zurück in festen Schlaf.
Das was da ist, wird zur Beute!
War der erste Weltbeschluß,
Doch die Leute leben heute
Häufig bis zum Überdruß.
Auch die Hausthiere verrecken
Gar nicht selten im Verlauf,
Doch die tiefen Todesschrecken
Tauchen noch in ihnen auf.
Selbst den Menschen halten Ketten
Oft im Traum an einem Fleck,
Und er kann sich nirgends retten,
Panisch ist auch dieser Schreck!
[Was soll mir diese Schaukelpantomine]
»Was soll mir diese Schaukelpantomine,
Was dieser Spuk in feuchten, fetten Lüften,
Er trägt, verschiedentlich, die gleiche Miene
Und lüstern schwankt er rings auf fixen Hüften:
[70]
Ich aber will, daß er mir redend diene!«
Ruft Orpheus und schon rührt es sich in Grüften.
Ganz langsam vor und hin und her geschoben,
Begrinst ihn nun der freche Troß von Schemen,
Und alle scheinen sprachlos und verlottert,
Nur ein Gespenst hält seinen Arm erhoben
Und spräche wohl, doch etwas muß es lähmen.
Doch nein, Du hörst schon, wie es Worte stottert:
Aus den Geberden und verwirrten Sätzen,
Will Orpheus einen Sinn zusammensetzen.
Der Spuk sucht Laut und Zeichen zu verbinden,
Denn kärglich sind ihm beide nur verliehen,
Doch weiß der Wanderer sich zurechtzufinden
Und athmet stark, um mit gepreßten Lippen,
Beim Horchen, länger dann nicht einzuziehen.
Nun läßt er gar den Athem völlig stocken
Und sieht, wie Wichte immer näher wippen:
Fast scheinen sie ihm eigene Odemsflocken,
Doch schimmern unter ihrem Lichtkleid Rippen.
Ganz langsam regen sie die dürftigen Münder,
Und endlich sprechen sie gemeinverständlich:
»Oh müder Orpheus, krauser Lichtverkünder,
Wir suchen Dich und lieben Dich unendlich!
Oh hör uns an, wir sind der Traum der Sünder,
Und Sünde tragt Ihr tief in den Gebeinen,
Der Körper, alles Fleisch das Euch umwandet,
War Lust, bevor Ihr Menschen Lust empfandet.
Wo Licht und Erde sich zum Kuß vereinen
Muß Leben mit dem Schreck zugleich erscheinen.
Auch uns gab Sonnensehnsucht die Beseelung,
Doch grundverschieden wurden wir auf Erden:
Was ist ein Leib, wenn nicht Geschickserwählung?
[71]
Sieh, jedes wollte still und glücklich werden;
Wir tauchten auf und lebten eine Weile:
Verreckt, erlangten wir zum alten Glücke
Stets wiederum die gleichen Körpertheile;
Auf einmal aber schlugen Donnerkeile
Der Sonne unsere Erdformen in Stücke!
Da Euch allein ein Recht nunmehr beschieden,
So mußten wir uns in die Menschheit schlängeln
Und wurden dann in ihr zu deren Mangeln,
Worauf sie unsere Trümpfe gerne mieden;
Als Laster, und als feindlich ihrem Frieden,
Verstießen sie uns gar mit jenen Engeln,
Die ihren Seelen Daseinszangen schmieden:
Wir aber zollen ihrer Lichthoffnung Verachtung
Und wünschen uns zurück in Glücksumnachtung!
Verdammt die Liebeskette zu erhalten,
Die ringsum, über alle Lasterspalten,
Instinkte mit der Geistigkeit verbindet,
Sind wir der Schwindel, den der Mensch empfindet,
Die Viper, die er auf dem Lichtweg findet,
Und das Verderben seiner Erzgestalten,
Bis wir dereinst zu vollem Schlaf erkalten!«
Und Orpheus spricht: »Kann ich Euch recht verstehen,
So seid Ihr die verpönten Erdenfreuden
Und deshalb als verächtlich anzusehen,
Denn in der Lebenswüste Lust vergeuden,
Ist wahrhaft ein entsetzliches Vergehen!«
Doch da erwidern ihm die blassen Schatten:
»Es ist für Menschen fürchterlich gefährlich
Auf ihrem Wanderpfade zu ermatten,
Wir selber wünschen: seid im Leben ehrlich,
Denn so gebührt es Erdenüberwindern,
[72]
Doch im Geheimen bleibt etwas begehrlich,
Um Eure Pein, mit unserer, zu lindern;
Auch uns sind viele Dinge unerklärlich,
Zum Beispiel, was uns stets mit Hoffnung schwängert
Und unser Wachsein ungemein verlängert;
Es kann uns doch vielleicht einmal gelingen,
Ins Leben, gruppenweise, einzudringen,
Um oben heitere Tage zu verbringen.
Wir wußten eben nicht, wohin wir wallten,
Dein Wachsein hat uns lange festgehalten,
Nun laß uns fort, wir sind Dir nicht gefährlich,
Die Macht der Träume ist auf Erden spärlich,
Dort sieh auf jene nackte Kraftgestalten,
Obzwar sie lange für verschollen galten,
Kann manche Schein und Dasein kurz vertauschen,
Um sich und Euch noch einmal zu berauschen,
Ihr habt auf Erden abermals Mänaden,
Haha, blick auf, gar feist sind ihre Waden!«
[Wahrhaftig, es wirbeln da blasse Figuren]
Wahrhaftig, es wirbeln da blasse Figuren.
Sie schwingen den Tyrsusstab, grüßen mit Bändern,
Vielleicht ihren Farben aus allerhand Ländern.
Zuerst gab es rhythmisch bewegte Konturen,
Doch konnte sich plötzlich das Schauspiel verändern,
Nun sind es Mänaden auf glühenden Fluren!
Es trachtet der Wanderer den Spuk zu belauschen,
Bis jetzt kann ihm wenig den Vorgang erklären,
Und mitten im Tanz, unter pomphaften Bauschen,
Erscheinen auf einmal auch Nachtbajaderen.
Es winkt eine Mohrin. Es lächeln Hetären.
[73] Und einige sieht er die Schleier vertauschen.
Es muß so ein Schauspiel die Sinne berauschen!
Die Blicke versprühen ein wildes Begehren
Und immer noch scheint sich der Spuk zu vermehren,
Ganz plötzlich beginnt jetzt die Keckste zu sprechen:
»Komm, Orpheus, wir wollen Dich lieben und ehren,
Du sollst Deine Wanderschaft nicht unterbrechen,
Doch laß, daß wir uns als Begleitung bewähren,
Wir kommen direkt aus dem Reiche der Todten
Und sind Euridikens empfohlene Boten!«
»Ich lasse mich gerne von jedem belehren,
Doch weit ist mein Weg und beschwerlich die Reise!«
Wirft Orpheus nun ein: »Sagt, habt Ihr Beweise?«
»Du siehst nur den Glanz, laß Dir Wahrheit bescheeren!«
Giebt wieder die gleiche zur Antwort; »Wir kehren,
Verwundert zurück, wenn uns Mütter gebären,
Wir lieben die Dichter, da sie uns erweckten,
Sie dachten zwar nur, daß sie Betbrüder neckten,
Und nicht, daß sie Kaiser und Kirche erschreckten;
Doch gleich sing es an in den Gräbern zu gähren,
Bald wußten wir, daß sich Skelette aufreckten,
Und, daß wir die Glieder ins Lichtdasein streckten.
Nun werden wir Frommen die Felder verheeren,
Der Bauer soll nimmer das Klostervolk nähren,
Und wer uns nicht dient, ist im Reiche verloren,
Wir nennen Asketen verschrobene Thoren,
Wir werden das Christenthum kurzweg verwehren
Und frei und vernünftig mit Männern verkehren!«
Nun haben die Weiber zu Ende gesprochen,
Ihr gleitender Tanz aber bleibt ununterbrochen,
Die Klugheit beginnt sie bereits zu beschweren,
Wie könnten sich auch Takt mit Staatsmacht vertragen?
[74] Wer hüpft, will erst Ruhe und Reichthum erjagen,
Dock wer schon besitzt, kann den Luftsprung entbehren.
Doch eine Bacchantin geruht noch zu sagen:
»Sprich Orpheus, gewahrst Du mich nun zur Genüge,
Ich bin eine Fürstin mit gutem Betragen
Und könnte mit jeder Monarchin verkehren,
Denn hohe Geburt ist die lustigste Lüge,
So komme zu meinen Gelehrtengelagen,
Ich will, daß sich jeder auf Erden vergnüge,
Und Mancher verdankt mir Besitzthum und Ehren,
Erfreu uns, wir möchten Dich nimmer entbehren!«
Nun mustert der Dichter die nächtliche Sippe
Und hofft aus den endlichen Abzug der Schemen:
Die schweigen beinander und pressen die Lippe,
Wahrscheinlich aus Furcht sich verkehrt zu benehmen.
Doch merkt er es deutlich, sie sind auf der Lauer
Und heucheln nur ungeschickt Tugend und Trauer.
Nun trachten sie fremde Geberden zu machen:
Vielleicht um die männliche Gier anzufachen?
Doch Orpheus versteht ihre dummen Manieren,
Es will sich die Blase verstellen und zieren,
Sie giebt nur barock und in jeder verschieden
Ein Bild der Bewegungen, wie sie hinieden
Dereinst Euridiken vereinigt beschieden!
Da donnert der Dichter: »Ich werde Euch meiden,
Fürwahr Eure Knechte sind nicht zu beneiden,
Ihr lebt als Gespenster, Ihr seid keine Frauen,
Oh, faltet sie nur, Eure schattigen Brauen,
Ich seh Euch bloß an und schon müßt Ihr vergrauen!«
Wahrhaftig, die Weiber verschwimmen voll Trauer
Und selbst ihr Beschwörer empfindet nun Schauer,
Er sieht sie in Ärgernisfurchen verrunzeln,
[75] Und dann einen Zwerg durch den Dunstschleier schmunzeln.
Das ist wohl der Stöpsel unendlicher Fugen,
Die irgendwo sonst in der Welteinheit klafften.
Es freut ihn, durch Gläser ins Leben zu lugen
Da diese ihm doch schon, von Haus aus, anhaften.
Der Dichter erkennt ihn, er ist ja der Schneider
Der eben verschwundenen Art von Mänaden,
Der fixe Verfertiger griechischer Kleider,
Und anderer exaktester Trachtmaskeraden.
Er ist zwar besonders verschrumpft und emphathisch,
Doch sind seine Augen beinahe sympatisch,
Man denke, er konnte sogar den Hellenen,
Nach kurzer Betrachtung, in Orpheus erkennen!
Nun trippelt er mit seinen winzigen Füßen
Zum Dichter heran, um ihn tief zu begrüßen,
Und spricht dann und läßt sich dabei nicht verdrießen.
Er liebt und er leckt fast den Honig der Worte,
Die jetzt seinen blutleeren Lippen entfließen;
Er bleibt aber niemals am selbigen Orte,
Er fuchtelt, als wollte er jemanden spießen.
Der Dichter, verblüfft durch das seltene Betragen,
Versucht es ein anderes Gespräch auzuschlagen,
Doch bleibt alle Güte und Mühe verloren,
Den Redner scheint nämlich trotz riesiger Ohren,
Auch Taubheit, zu anderen Gebrechen, zu plagen,
Drum kann ich nur kurz was er vorbrachte sagen.
Er schimpfte: »Ich liebe kein Kirchengebimmel,
Und hasse das stinkende Sonntagsgewimmel;
Doch forsche ich gerne; durch Moder und Schimmel,
Kann oft ein vollendeter griechischer Himmel
Dem ernsten Gelehrten ins Innere leuchten
Und selbst seine Augen mit Thränen befeuchten!«
[76] Nun fängt er auf einmal an freundlich zu kichern
Und saust wieder weiter: »Das kann ich versichern,
Obwohl ich die Freuden der Gegenwart meide,
So bin ich doch vollständig Grieche und Heide,
Auch kann ein Johannistrieb später ersprießen,
Und jetzt bin ich froh, wenn die Andern genießen!«
[Orpheus fühlt sich müde und entkräftigt]
Orpheus fühlt sich müde und entkräftigt
Und er läßt den Spuk vorüberhinken,
Da ihn eigener Sorgenkram beschäftigt:
Ja, er glaubt in Schwermuth zu versinken.
Jener Dunst, in dem der Wind erstickte,
Wird noch immer bleierner und dicker,
Und der Geister inneres Lichtgesicker,
Das vor kurzem noch durch Wolken blickte,
Hat die Finsterniß schon ganz verschleiert,
Und es wird jetzt nirgends mehr gefeiert.
Orpheus denkt, ob alle diese Vorweltschemen
Blos Gefühl sind oder Wahrerscheinung,
Und er schwankt noch immer in der Meinung,
Doch er muß sie wohl für Träume nehmen!
Plötzlich aber taucht ein Ungeheuer,
Riesig rasch und knapp, an seinen Lenden
Steil empor, und ohne sich drin umzuwenden
Merkt er innerlich beinah ein Ringgemäuer.
Was geschieht! Ist das ein Bauch mit Rippen?
Alles krümmt sich und ist wohlgegossen,
[77]
Plötzlich scheint das ganze umzukippen,
Orpheus ist im Unhold eingeschlossen.
Da die Luft sich immer noch vermindert,
Will er, angsterfaßt, um Hülfe schreien,
Doch er fühlt sich auch darin behindert,
Denn er kann die Stimme nicht befreien.
»Menschenskind, Du wirst Dich nimmer retten!«
Hört er es im Kupferkessel brummen:
»Denn ich halte Dich mit schweren Ketten!«
Fängt es wieder an herumzusummen.
Alles würgt ihn schon im Götzenbauche,
Und dazu das furchtbare Gepfauche!
Arge Athemnoth und andere Schrecken
Machen seine Lage immer trüber,
Angstgefühle gehn in Träume über,
Und im Halse bleibt die Stimme stecken.
Stirbt er endlich? denn der Spuk wird stummer!
Oder hört er Wesen, die ihn noch verhöhnen?
Nein, das alles ist sein eigenes Stöhnen.
– Und vielleicht der Klang vom Urweltkummer!
Etwas will sich ihm bestimmt berichten:
Der Koloß läßt seine Kupferschichten
Mächtig als die eigene Lunge schwingen.
Orpheus soll sein Räthsel voll durchdringen!
Ja es scheint sogar jetzt aufzudämmern,
Überall entwirbeln Schwefelflammen;
Und Zyklopen, die der Nacht entstammen,
Fangen an, im Rhythmus loszuhämmern.
[78]
Orpheus übersieht bereits die Falle:
Daß der Bauch beim Athmen nicht zerspringe,
Rollen innerhalb, auf scharfem Dralle,
Lauter dehnbarheiße Kupferringe.
Um verbrauchten Athem auszupfauchen,
Können Kiemen ihn nach außen stemmen;
Fängt darauf der Bauch an einzuhauchen,
Kann der Wind des Dichters Brust beklemmen.
Alles das begleitet lautes Poltern
Und gespensterhaftes Kettenrasseln,
Orpheus hört Gewimmer, wie beim Foltern,
Und der Flammen schrecklich starkes Prasseln.
Sicherlich ist das eine Maschine
Und zugleich ein fürchterlicher Götze,
Mumien heizen ihn, und goldene Klötze
Lodern rußend durch die Erzkamine.
Rings um Orpheus surren Firlefanzer,
Die sich brühend durch den Kessel drehen,
Und es dröhnt des Rauches Kupferpanzer,
Wenn ihn Winde auseinanderblähen.
Plötzlich hört er noch ein anderes Lärmen,
Denn es pumpert in den Blechgedärmen;
Afters scheint der Moloch aufzustöhnen,
Doch es darf kein Schmerz den Athem lähmen.
An die Leiden konnt er sich gewöhnen,
Doch den Arger mag er nicht bezähmen:
Endlich kann er Zorn in Worte fassen,
Sein Gebrüll läßt er in sich zerschellen
[79]
Und das Echo von den Kupfermassen
Nochmals einwärts durch Kanäle gellen.
So kann Ordnung ins Gepolter kommen,
Statt wie Donner sich zu überhetzen,
Theilt der Schwall sich zu konkreten Sätzen,
Die das Ohr des Dichters aufgenommen.
Der Koloß ertönt: »Oh Menschenkinder,
Jede Gottheit kriecht aus meinem Bauch,
Und die grausamste ward schließlich linder,
Denn es geht mein Angstschweiß auf in Rauch.«
Da die Sonne meinen Erzrumpf sprengte
Und der Mensch in meinen Halsring biß,
War es Zeit, daß ich mich selbst verschränkte,
Und nun heiß ich Macht der Finsterniß.
Orpheus, sieh, es sind noch meine Glieder
Im Gespenste, das ich ward, intakt,
Nur das fürchterliche Ballgefieder
Ward mir, selbst im Geiste, abgehackt!
Doch beim ersten Schritt, von mir zum Kulte
Eigener Ahnen, ging ich fast noch mit.
Wer den Geist in todten Zauber lullte,
War ein Mensch, der für das Chaos stritt.
Unsern Ursprung hab ich auch vergessen,
Selbst die Drachenbruth liegt mir zu fern,
Doch im Mammuth seine Macht ermessen,
Ist nicht schwer, und deshalb thu ichs gern.
[80]
Kriecht ein neuer Gott aus meinem Bauche,
Und es war der herrlichste darin,
Thut er es auch jetzt nach altem Brauche:
Wirklich zieht ihn eine Bäuerin.
Roth, wie jedes magere Kind, geboren,
Kriegt er eine Amme und wird fett,
Geht sein Purpur langsam dann verloren,
Drängen Könige sich ums Wochenbett.
Kommt es schließlich gar zum neuen Glauben,
So erkenn ich meiner Därme Frucht,
Der Gedanke muß im Fleisch verschnauben,
Denn es siegt auch da die Mammuthwucht.
Meine Übermacht im Sphärenstreite
Hat im ewigen Ursprung ihren Grund,
Was sich, ohne Anfang, selbst entzweite,
Hält mich offen, denn ich bin ihr Schlund.
Nacht und Ärger steigt aus meinem Trichter,
In den Dingen, die entstehen, auf:
Ich vernichte schließlich alle Lichter
Und beschränke schon den Sternenlauf.
Meine Macht kann sich geheim bekunden:
Was auf mir beruht, sucht einen Kern,
Tief in sich, zum Schutze zu umrunden:
Und dazu bin ich der Mittelstern.
Forscht nach ihm, Ihr könnt ihn nirgends finden!
Wäre er, so wäre gar nichts mehr:
Welten aber, die sich weiterwinden,
Ziehen Leidenskreise um ihn her.
[81]
Herrschte ich, so wär ich längst verschwunden,
Alles wäre eingestürzt,
Doch das Ewige hab ich nie empfunden
Und dadurch bleibt meine Macht verkürzt.
Bin ich doch die Gegenwart der Dinge,
Schlagbereit und riesenstark!
Wenn ich jetzt mich zur Erinnerung zwinge,
Bleibt mein Umblick dennoch dumpf und karg.
Nichts kann die Unendlichkeit umspannen:
Rein Gestirn, in dem mein Wesen glänzt,
Kann das AU in seine Kreise bannen:
Überall ist meine Macht begrenzt!
Was ich trachte, ist: mich selbst zu fassen,
Keinen Augenblick setze ich aus,
Auf die Kraft kann ich mich stets verlassen,
Mir gehört das ganze Weltgebraus!
Doch die Ewigkeit ist urvorhanden,
Da die Zahl der Sterne es beweist:
Könnt ich mich als Mittelstern umranden,
Hätte nichts sich zum System geschweißt.
Schwärme nie von irgend einer Größe!
Glaube dem, der alle Klumpen dreht!
Jeder Sterbensstern zerwühlt die Blöße
Seiner Nachbarwelt, die untergeht.
Haßerfüllt erweitert er die Wunde
Saugt sich Geister aus dem Schlund empor,
Neid und Schadenfreude stehn im Bunde,
Ursymbolisch, vor den Lebensthor.
[82]
Scheelsucht ist des Werdenden Erreger,
Was ersprießt, aus eigenem Grund, verrucht,
Und der ewige Ruhbedürfnißträger
Überdies zu Trächtigkeit verflucht.
Weißt Du es? Der Starrsinn ist mein Wesen,
Meine Gegenmacht die Ewigkeit,
Und durch diese Ursprungsantithesen
Wird der Raum, geschieht die Zeit!
Feuer freut und heuchelt Euch verteufelt:
Angeschmeichelt an den Geist,
Schmerzt es, wenn es einwärts träufelt,
Doch es streichelt noch, was es zerbeißt.
Ja es lodert, lacht in grellen Scheinen
Meine Höllenfreude froh hervor,
Funken gleichen hellen Edelsteinen,
Und ich stiege noch als Meteor!
Ja, ich hab das Licht erfunden,
Stürzt es doch dem Ewigen nach:
Hoffte das schon einmal zu erkunden:
Weiß noch nicht, woran es mir gebrach!
Stille Würde ist mir schon gelungen:
Wie ein Schwan durchschweif ich als Komet
Ruhemeere, die mich nie verschlungen,
Und als Wolke gleich ich dem Gebet.
Wie das Feuer hab ich Eure Freuden,
Seeligkeiten ähnlich, aufgewühlt:
Sollt sie mindestens zu Zweit vergeuden,
Da sich niemals Lust vereinzelt fühlt.
[83]
Höre noch – ich spreche gern –: durch Flammen
Schür ich zwar die ekle Lebenspest,
Doch da die Naturen mir entstammen,
Hab ich immer deren Qual entpreßt.
Ihre Martern können mich mit ihnen
Schließlich noch versöhnen und ihr Geist
Kann mir einst vielleicht noch dienen,
Da er schneller als ich selber reist.
Mensch, von Sonnengnaden ein Schmarotzer,
Der Dus grausam bis zu Dir gebracht,
Glaube mir, Du eitler Sonnenglotzer,
Du gehörst durch Deinen Darm der Nacht!
Wüstlinge, wollt Ihr Euch hier entwurzeln?
Alles überwindet einst der Tod,
Rüttelt nicht, um nicht ins Nichts zu stürzen,
Enten, Menschen, Schweine lieben Koth.
Bleibt Euch treu, es wird Euch manches schmecken!
Jagd und Hader schaffen Appetit:
Laßt Euch nicht durch Fabelstrafen schrecken,
Neid ersinnt sie, wenn er prassen sieht!
Euern Drang nach Gleichheit muß ich loben,
Wenn Ihr dies so tief wie ich versteht:
Euer Typus ist schon so verschoben,
Daß im Kind der Vater untergeht.
Ja, Ihr seid zu voll. Im Biedermanne
Wurzelt unversehens ein Genie.
Ob ich Ruthen lege, Netze spanne,
Diesen Zufall hasch ich dennoch nie!
[84]
Sich in eigenen Kindern nachbestellen,
Wär ein Dauern, wie es mir entspringt:
Nachkommen und Ahnenspuk gesellen
Sich jedoch dazu, wenn Ihr gelingt. –
Deshalb preist das Land der Pyramiden
Denn dort sah man wirklich ähnlich aus,
Die Familien waren kaum verschieden,
Gleich war alles, wie bei Maus und Laus.
Orpheus, zwecklos scheint mir Deine Reise,
Laß die Todte, die Du liebtest, ruhn:
Sag, wozu die neue Wehmuthsweise,
Und warum dem Tode Unrecht thun?
Sei beglückt, Dich einst ins Grab zu legen,
Diese Welt ist nichts als Niedertracht.
Menschen? Glieder die den Bauch verpflegen,
Mehr den Dünkel, den ich angefacht!
Habt Ihr doch die leckern Flammenwedel
Bald als Teufelsteufelei erkannt,
Angefeuert aber Eure Schädel
Dennoch immer wieder eingerannt.
Falsch sind auch die warmen Sonnenstrahlen,
Denn sie nagen Euch vom Boden los,
Arg sind ihre Lichtgefolgschaftsqualen,
Wonne birgt allein der Erdenschooß!
Laßt die Blumensflur die Sonnen loben,
Da sie ihr ein kurzes Glück verdankt,
Auch der Vogel solls, den sie erhoben,
Nimmer doch wer den Verstand erlangt!
[85]
Laßt die Sonne Euch im Schatten lungern?
Ideale, sagt ihr, giebt sie ein;
Doch es dreht sich nur um das Verhungern,
Eure Tugend heißt Genügsamsein!
Alle Spenderlohe ist verflogen;
Wenn der Mensch noch grausam weitersteigt,
Wird er doch nur unfrei aufgezogen,
Und sein Glück ist das, wozu er neigt!
Orpheus, kannst Du meine Macht verstehen?
Du, der Du mein Räthsel lang benagst,
Sage, muß ich alles eingestehen,
Weil Du es in mir zu athmen wagst?
– Wie, Du schweigst? – so muß ich weiterreden,
Wird mir doch in Dir so manches klar,
Rasch verknüpf ich die Gedankenfaden,
Reim und Rhythmus bieten sich mir dar.
Unsichtbare Daseinsketten schlingen,
Bis zur Sonne sich in Euch empor,
Denn das sind des Menschengeistes Schwingen;
Und bedingte Freiheit waltet vor.
Jene Macht, die diesseits alle Welten,
Rings am Himmel, von einander trennt,
Kann im Geisterhintergrund nicht gelten,
Wenn auch hier ihr Sieg als Licht entbrennt.
Ewig muß sie sich zur Herrschaft wühlen,
Und sie weilt, weil sie das Chaos theilt:
Doch die einverleibten Geister fühlen
Ihre Fesseln, bis der Tod sie heilt.
[86]
Mit der Sonne war dereinst die Erde
Engverbunden, bis aus einmal, jäh,
Unseres Planeten eigenes »Werde«
Sich zusammenschloß zu Lust und Weh.
Doch die Rückkehr zu der Sonne lohte
Gleich als Leben auf der Erde auf:
Und in uns verkörpert, als Gebote,
Wurde sie der Zweck und Daseinslauf!
Denke sinnlich Dich über die Zeiten,
Wenn die Erde in die Sonne fällt,
(Und Du kannst es, denn in Dir geleiten
Wünsche Dich in eine andere Welt!)
So verstehst Du auch, warum das Leben
Oft die Erde willentlich verschmäht,
Heute ist es ein geplagtes Streben,
Einstens war und wird es was besteht!
Dieses tiefe Erd und Sonnverhältniß
Wird von Mond und Sternen noch ergänzt,
Euer Wesen ist auch das Behältniß
Alles dessen, was sich mir entgrenzt.
Fängst Du an, die Geisterwelt zu wittern,
Glaubst Du gar, daß sie auf mir beruht?
Daß die Sterne nur für sie erzittern?
Gibt Dir meines Räthsels Lösung Muth?
Orpheus, wenig nur kann ich Dir sagen,
Selbst in Dir kommt mein Verstand zu kurz,
Gar nichts weiß ich von den ersten Tagen:
Glaubst du, gab es einen Ursprungssturz?
[87]
Schweigst Du, Orpheus? – Soll ich fort erwägen?
Etwas weiß ich: ich bin nicht allein!
In Gesetzen kann ich mich bewegen,
Das Gebot in Euch ist schon nicht mein!
Tausendfach kann mich der Mensch begreifen,
Doch benennt er nicht was ihm entschlüpft,
Kein Begriff besitzt genügend Schleifen,
Daß er das, was mich erfüllt, verknüpft.
Ich, das Ursprungslose, Unnennbare,
Das sich selbst in Ringgewinde warf,
Wirke ewig, bin und offenbare
Den und das, was man nicht nennen darf!
Oftmals aber glaub ich, jene Mächte
Sind blos Chaos, das mich stumpf bekämpft,
Denn es wechselt nur in sich das Schlechte,
Meine Strenge scheint durchs Nichts gedämpft!
Menschen, seid Ihr nur des Endes Boten?
Ob die Fülle meiner selbst verschäumt?
Löst der Geist die großen Ordnungsknoten,
Hat ihn Euch sich Chaos aufgebäumt?
Euer Schicksal kann nur ich errathen,
Aber was wir sind, bleibt mir versteckt,
Endlos fast vollbringt Ihr weiter Thaten,
Zwecklos auch, was Euch jedoch nicht schreckt!
Leiblich seid Ihr Menschen fast nur Schlangen,
Doch der Geist, der Euch nach oben reißt,
Möchte höher als die Nacht gelangen
Und er hat schon riesigweit gekreist!
[88]
Leben kann ich dieser Welt verheißen,
Bis die Sonnensehnsucht einst verfällt,
Und die Erde strahlend in die heißen
Mutterarme sich dann wieder schnellt.
Doch es happert schon mit Eurer Nahrung,
Immer spärlicher wird jeder Lenz,
Sittlichkeit ist drum die Grunderfahrung
Jeder späten Erdenexistenz.
Folgt der Sonne, denn Ihr werdet leben,
Wie Ihr es verlangt, weil Ihr es müßt:
Sonnenhoch wird Euch der Geist erheben,
In Euch selbst erglüht ein Lichtgerüst!
[Orpheus sieht sich um. Der Unhold ist verschwunden]
Orpheus sieht sich um. Der Unhold ist verschwunden.
Er bemerkt nun, daß er selber laut gesprochen,
Aller Lebensekel scheint ihm überwunden,
Freude ist sogar in ihm hervorgebrochen!
Doch umgeben ihn noch immer Nebelmauern
Und die sangen an, ihn stumm nun zu fixieren,
Allerhand Gestalten sieht er weithin kauern,
Und die meisten weinen, alle aber frieren!
Wie fängt da das Herz des Dichters an zu pochen!
Gleich beginnt er, großes Mitleid zu verspüren,
Und da kommen schon die Schemen angekrochen,
Um, ganz nahe, sein Gemüth noch mehr zu rühren!
[89]
Hurtig schließt der Spuk um Orpheus eine Rette,
Und das ist ein Zug von Greisen und von Vetteln,
Plötzlich grinsen zwischen ihnen auch Skelette,
Die mit ausgestreckten Armen jammernd betteln.
Die Gerippe klappern nun mit ihren Knochen,
Schmerzensschreie mischen sich ins Nachtgewimmer,
Denn es werden Beine irgendwo gebrochen,
Und noch immer wird der Stimmenwirbel schlimmer!
Gar entsetzlich ist zumal das Zähneklappern,
Auch der Dichter zittert jetzt vor Fiebergrauen
Und er stammelt: »Fangt doch endlich an zu plappern,
Da sich hinter Euren Kiefern Worte stauen!«
Da beginnt der Haufe sich erst freizulachen,
Und dann quiekt ein Stimmchen, gerade noch verständlicht
»Orpheus, endlich sollte doch Dein Geist erwachen,
Deine Eitelkeit und deine Brunst sind schändlich!
Ringe nicht nach Mitleid, spar es Dir zum Troste,
Denn wir stiegen aus den Gräbern, Dich zu warnen;
Die Mänaden, die Dein herber Trotz erboste,
Rüsten sich, um Dich bestimmt noch zu umgarnen!
Bleibe lieber gleich im bleichen Schattenreiche,
Menschen wirst Du nichts als Zank und Arger bringen,
Prügeln sie sich schließlich noch um Deine Leiche,
Heißt das wirklich nicht ihr wildes Herz bezwingen!
Weshalb sehnst Du Dich zurück zum Erdenjammer?
Furcht und Elend peinigen die falsche Menge,
Nur aus Hunger schwingt der Mensch den Eisenhammer,
Schmerzlich tönen aller Arbeit Sonnenklänge!
[90]
Dumm und nutzlos sind dort oben Eure Kämpfe,
Seid bedacht, daß das Erworbene nicht zerstiebe,
Trachtet, daß die Weisheit Eure Schmerzen dämpfe –
Doch das leisten schon, zum größten Theil, die Diebe.
Um ein Mittelmaaß von Menschen zu erhalten,
Muß ich sagen, daß ich Angst und Sorgen schätze,
Auch läßt sich der Bürger gern im Zügel halten,
Sind Verbrechen der Prätext für die Gesetze!
Um Euch vor Betrug und Spottlust zu beschützen,
Wollt Ihr Eure Seelen zäumen und verriegeln,
Doch begänne die Kultur sich abzunützen,
Würdet Ihr nicht stündlich sie dadurch besiegeln!
Wahrlich, für das Glück und etwas Zucht der Rotten
Sind die kleinlichen Alltäglichkeiten trefflich,
Doch ein guter Sonntag mit Gesang und Zoten
Bleibt für jeden Höllenspötter unnachäfflich.
Wisse, Elend und das Eigenfesselnschmieden
Sind für Euch das Einzige, nicht blos das Beste;
Denn durch Hunger und Robotten wird vermieden,
Daß der Feiertag die ganze Welt verpeste.
Orpheus, auch Du selber solltest nicht vergessen,
Daß Du nur ein Wüstenwandler bist und nimmer,
Sündhaft, nur dem Geist zu leben, Dich vermessen;
Höre unter Deinen Schritten das Gewimmer!
Das was Dein Verstand nicht wagt bei Tag zu denken,
Kannst Du wenigstens im Traume klar empfinden,
Darum lasse Dich durch unsere Einsicht lenken
Und versuche Dein Gewissen Nachts zu finden!
[91]
Weise ist, wer auf das Wünschen ganz verzichtet
Und Respekt vor allem hat, auch vor dem Bösen!
Glaub mir, was in Dir, verkindlicht und gedichtet,
Schmerzt und leidet, wird sich bald in Prosa lösen!
Orpheus, folg und hilf uns wiederzuerstehen,
Schaff in unserm Sinne oben eine Wendung;
Und wenn unsere Ersten zu Euch übergehen,
Glauben wir dann alle hier an Deine Sendung.
Bettler sind wir nicht, die auf die Kniee fallen,
Doch bevor wir ganz in Nacht und Nichts vergrauen,
Bitten wir, laß unsere Worte laut erschallen,
Daß wir, ihnen nach, uns noch am Licht erschauen.«
[Geier der Verzweiflung krallen]
Geier der Verzweiflung krallen
Plötzlich sich in Orpheus Herz,
Rücklings wird er überfallen,
Nie empfand er solchen Schmerz.
Taumelnd schließt er seine Augen,
Eine Ohnmacht schleicht heran,
Alles mag als Stütze taugen,
Wenn er nur noch greifen kann!
Bittre, ekelhafte Galle
Fühlt er nun vom Mund zum Darm
Und er glaubt auch, es durchwalle
Ihn schon plötzlich fieberwarm.
[92]
Doch er will sich nicht ergeben:
Brächte jemand einen Trunk,
Könnte er sich selbst erheben,
Schwer ist nur der Aufsprungsschwung!
Doch allein sich zu bewegen.
Geht für dieses mal nicht mehr:
Schlummer wird sich auf ihn legen
Und der Traum spukt schon umher.
In zerschlissenen Gewändern,
Sieht er manche Nachtgestalt
Mühsam durch den Nebel schlendern:
Und das lacht da, schnalzt und lallt.
Bis zum Knie in Dunst versunken,
Gehn die Meisten schrecklich schwer,
Orpheus denkt, sie sind betrunken,
Und nun schwanken sie noch mehr!
»Räusche wird es immer geben
Tollheit bleibt uns eingefleischt,
Nur ein Wahn ist unser Leben!«
Wird der Dichter angekreischt.
Dann gehts weiter: »Freches Scherzen
Giebt dem Dasein erst Gehalt,
Falten glätten, Gram entmerzen,
Gilt für jung und taugt für alt.
Klugheit führt Euch leicht zum Geize,
Denn wer nachdenkt, ist besorgt,
Darum sinnt nicht, hascht die Reize,
Die das Leben gerne borgt.
[93]
Euch den Leichtsinn zu erklären,
Fällt mir selbst im Rausche leicht,
Und durch meine flotten Lehren
Hab ich oft den Zweck erreicht.
Des Geschickes kühne Sätze
Bringen plötzlich Glück herbei:
Laß dem Geize sein Geschwätze
Und sein bleiches Einerlei.
Mit den Winden munter segeln,
Schärft und wahrt den klaren Blick,
Traue nie vernünftigen Regeln
Und verlaß Dich aufs Geschick.
Weise, ebenso wie Thoren,
Stehen fest in dieser Welt,
Wer noch taugt, geht nicht verloren,
Wie er es auch denkt und hält!
Wenig wird ein Mensch erklügeln,
Der aus Früchten Kerne schält.
Den Verstand etwas zu zügeln,
Ist noch eher was Euch fehlt.
Nein, bedenkt nicht Eure Wege
Und folgt lieber dem Gefühl,
Bleibt trotz aller Schicksalsschläge,
Gegen Rath und Warnung kühl!«
Durch ein Schauspiel voll Entsetzen
Wird nun Orpheus abgelenkt,
Mit bacchantischwilden Sätzen
Kommt ein Haufen angesprengt.
[94]
Wie im ersten Morgengrauen,
Kann er etwas schwanken sehn:
Männer mit betrunkenen Frauen
Scheinen sich um ihn zu drehn.
Hebt der Wind dieses Gesindel?
Tanzt da Dunst im Morgenlicht?
Oder faßt ihn selber Schwindel?
Orpheus weiß und sieht es nicht.
»Graust Dir noch vor unsern Räuschen?«
Wettert nun ein Weib ergrimmt:
»Künftig soll Dich nimmer täuschen
Was Dich freut und ethisch stimmt.
Sinke, bis ins Mark getroffen,
Frei von Illusionen, hin.
Höre endlich auf zu hoffen,
Krieg für echtes Elend Sinn!
Sieh, was meine Säufer sehen,
Und es trinkt hier Jedermann:
Wo sie durch das Dunkel spähen
Schleichen Ratten dumpf heran.
Menschen, die in sich zerfallen,
Sehn sich selber rings versprengt,
Mäuse, die der Nacht entwallen,
Halten sie schon eingeengt.
Allen Menschen, so wie Thieren,
Geht zum Schluß der Athem aus,
Doch was wir am Weg verlieren,
Rettet sich noch schnell als Maus.
[95]
Ratten seid Ihr, feig und kleinlich:
Alles was Ihr so verliert,
Ist Euch ekelhaft und peinlich,
Da Ihr Euch versteckt und ziert.
Eure Spuren wegzuwischen,
Seid Ihr allerdings bestrebt,
Und wenn Laster Euch entzischen,
Wird ihr Ausfallsloch verklebt.
Doch die Ratten und die Kröten
Springen fort aus Euch heraus,
Und wie wolltet Ihr sie töten?
Einst beerbt Euch Wurm und Maus!
Sprecht mir noch von Eurer Güte,
Seht den Dingen auf den Grund!
Laßt das süßliche Getüte,
Eine Maus springt aus dem Mund!
Wie, Ihr wollt das Schönste, Beste?
Glaube, daß Euch nichts gelingt,
Denn Euch bilden Lebensreste,
Die die Sonne überschminkt!
Wollt Ihr Kenntnisse erbetteln,
Wissen was Euch hier erhält?
Könnt Euch rascher nur verzetteln,
Denn was sucht und hascht, zerfällt!
Doch versteht Ihr oft, wie Spinnen
Hinter einem Hirngespinnst
Eurer Einsicht zu entrinnen,
Und nur das bringt Euch Gewinnst!
[96]
Nein, Ihr scheint mir nicht erschaffen,
Euch als Wichte anzusehn,
Trachtet Nöthiges zu erraffen,
Um noch etwas zu bestehn!
Die Natur war nicht eklektisch
Als sie Euch aus Resten schuf,
Und jetzt werdet Ihr noch hektisch,
Es gebührt Euch kein Beruf!
Orpheus, Du willst Schatten haschen,
Bist Du brünstig aufgeregt?
Mußtest früher lüstern naschen,
Nun ist alles weggefegt!
Fängt Dich Liebe an zu plagen,
Wirst Du Nachts im Bett gejuckt?
Hilft nur das: den Floh erschlagen
Und den Ärger ausgespuckt!«
[Orpheus ist vielleicht in tiefen Schlaf gesunken]
Orpheus ist vielleicht in tiefen Schlaf gesunken:
Oder haben die Gespenster sich versteckt?
Wie dem sei, betrunkene Huren und Hallunken
Haben ihn nicht mehr gepeinigt und geschreckt.
Doch die Ruhepause hat nur kurz gedauert.
Schon erwacht der Dichter, traurig und verträumt.
Er entsinnt sich nicht, was ihn zuletzt durchschauert.
Hat der Schlaf die Schemen endlich weggeräumt?
[97]
Um sich her gewahrt er noch verkappte Schatten,
Doch es theilt sie schon das erste Morgenlicht.
Will der Nebelzug ein Nachtgespenst bestatten,
Weint man oder schützt man blos sein Angesicht?
Alles ist in dieser Stunde gar so fraglich,
Nur des Wandrers Weh sieht tiefer als wie je,
Aller Geister Nähe ist ihm unbehaglich
Und im Innern peinigt ihn eine Idee!
Weshalb kann er Eurediken nimmer sehen?
Träumte ihm von ihr? Ach, wüßte er den Grund!
Mußte sie in seinen Armen sacht verwehen?
Gar nichts weiß er: doch er küßte ihren Mund!
Rings um sich erblickt er nichts als Leichenzüge,
Nebel schleppen todte Nebel durch das Thal.
Ob das Schaustück sich an seine Träume füge?
Nein, denn jetzt erfuhr er keine Abschiedsqual.
Oder doch? Er kann sich wirklich nicht entsinnen,
Hat er seine Braut nicht neben sich gefühlt?
Sah er sie in seinen Armen doch zerrinnen!
Hat des Lethe Fluth sie nicht hinweggespült?
Orpheus überwältigt nun die tiefste Trauer.
Klar ist es: er sah und herzte seine Braut.
Ja, er wollte für sein Glück Gestalt und Dauer,
Weshalb hat er sich nach Ewigem umgeschaut?
[Orpheus fühlt sich ganz verlassen]
[98]
Orpheus fühlt sich ganz verlassen,
Aber nirgend mehr allein:
Denn jetzt werden Wolkenmassen
Mit den Winden handgemein.
Schrecklich rauscht es in den Pappeln.
Streiten Störche um ein Nest?
Oder wiegen sich und zappeln
Lauter Leichen im Geäst?
Ringsum rüttelt jetzt die Briese
Träge Nebel aus dem Schlaf,
Und es zeigt sich auf der Wiese
Schon so manches Lamm und Schaf.
Die gehetzten Wolken drängen
Immer mehr zum nahen Tann,
Viele bleiben drüben hängen
Und verflüchtigen sodann.
Orpheus weiß nun noch genauer,
Wie vor ihm die Braut zerging,
Als sie beide eine Trauer
Und der gleiche Traum umfing.
Mit den Seelen und den Fluren
Träumen auch die Todten mit,
Und da folgt auch Orpheus Spuren
Euredikens leiser Schritt.
Ja, der Sänger hat die Schrecken
Unserer Unterwelt gesehn.
Um die Todte zu erwecken
Mußte er zu Geistern gehn.
[99]
Was nicht möglich zu ergrübeln,
Gab ihm unbewußten Muth:
Hinter kundenvollen Übeln,
Fand er sie in holder Hut!
Nicht allein ist sie vergangen:
Sie verschwand mit ihrer Schaar.
Erst verblaßten viele Wangen
Dann ihr Bild, zuletzt das Haar.
Um sie wiederum zu finden,
Will der Dichter noch einmal
Die Natur als Traum empfinden
Und er wittert in das Thal.
Doch die graue Dämmerstunde
Hat die Nebel fast zerstreut,
Und es wird ihm wenig Kunde,
Was die Schläfer reut und freut.
Nur im Walde hört er Klagen,
Hei, das knistert im Geäst:
Träume, die nach Beute jagen,
Sind der Schreckniß letzter Rest.
Ähnlich einem Vogelzuge,
Flattern Nebel öfters auf,
Doch der Wind würgt sie im Fluge,
Und sie lösen sich zu Hauf!
Auch der Schläfer Jagdbegehren
Hat sich vielfach jetzt entzäumt,
Und, um noch den Schreck zu mehren,
Wird von Hunden mitgeträumt.
[Orpheus will im Wald erschauern]
[100]
Orpheus will im Wald erschauern
Und noch einmal tief erbleichen,
Denn er weiß, des Morgens lauern
Fabelwesen unter Eichen.
Wenn die todten Helden wieder
In den alten Kronen rauschen,
Kann er in dem Braus der Lieder
Seine Braut vielleicht belauschen.
Denn es singen Frauenstimmen
Heldenhymnen doch am hehrsten,
Ihre Triller schwirren, klimmen
Siegreich wo der Braus am schwersten.
Sie beflügeln die Gefühle
Ihrer Recken, wenn sie streiten:
Hört man sich im Sturmgewühle,
Doch von Frauenlauten leiten!
Orpheus bleibt nun plötzlich stehen,
Und er läßt, beim Todesritte,
Nebel still vorüberwehen,
Achtet er doch jede Sitte!
Wehmuth kann ihn auch beschleichen,
Denn von todesmüden Gäulen
Stürzen schon die ersten Leichen,
Während Windgefährten heulen.
Doch im kalten Dunkel harren
Lauter Wirbelspukgestalten,
Die des grausen Amtes walten,
Reste unters Laub zu scharren.
[101]
Solche eingerollte Bäuche
Ruhen oft schon unter Blättern,
Andre huschen in Gesträuche
Und Vereinzelte entklettern!
[Orpheus wandert ohne Ziel und Richtung]
Orpheus wandert ohne Ziel und Richtung,
Plötzlich aber sieht er eine Lichtung,
Wo im Morgenrothe Wolkenleiber
Sich, wie rasch erwachte junge Weiber,
In bethauten Blüthenpfühlen regen,
Und das macht ihn traurig und verlegen.
Ach, was soll ihm alles Gluthgeschmeide,
Was der Glanzbesatz auf grüner Seide:
Blumenkissen, warme Purpurdecken,
Morgenflechten, seltene Mondlichtschnecken,
Alles das kann er so leicht vermissen,
Ja, er sieht es mit Gewissensbissen!
Längstvergessene Träume kommen wieder:
Woran mahnen ihn die holden Glieder
Dieser schönen wollustheißen Frauen,
Und was muß er jetzt in sich erschauen?
Oh, er weiß genau, vor langen Zeiten,
Bei Geburt der innern Jugendweiten,
Als er Euridiken kaum noch kannte
Und zur Liebe plötzlich sich ermannte,
Fühlte er in Fiebertraumgewittern
Eine Hand auf seiner Stirn erzittern.
Ach, er griff danach. Schon war es Morgen.
Eine Stunde überschlafener Sorgen.
[102]
Und er träumte wohl, doch gar lebendig!
Seine Blicke glühten wildgeständig,
Seine Hände fühlten einen Schatten,
Der sich wehrte, immer mehr ermatten,
Schließlich sich voll Anmuth ihm ergeben
Und die Liebe mit der Lust verweben!
Euridiken hielt er da umschlungen,
Dann verschwanden die Erinnerungen
Ferner Stunden unter andern Träumen.
Doch auf einmal sieht er sich in Räumen
Oder unter Bäumen, die er kannte,
Als er Euridiken an sich bannte!
[Wer hat Euridikens Glanz beleidigt]
Wer hat Euridikens Glanz beleidigt,
Warum graut Geträumtes auf?
Orpheus grämt sich und verteidigt
Ihre Scham beim Traumverlauf.
»Euridike, theures Wesen,«
Denkt er laut: »Sei voller Huld
Und vergieb mir was gewesen,
Oh, verzeih mir diese Schuld!
Warum hab ich nicht verdunkelt,
Was die Brunst allein gezeugt,
Oh, wie hat Dein Blick gefunkelt,
Als Du Dich zu mir gebeugt!
Doch es war das kein Erstrahlen,
Wehmuth eher noch als Lust,
[103]
Oh, mit was für tiefen Qualen,
Ruhtest Du an meiner Brust.
Tückischgrause, frühe Stunde,
Warum hast Du mich verführt,
Ach, ich gab mich einem Munde,
Der mir nimmermehr gebührt.
Flammen meiner brünstigen Küsse,
Glüht Ihr noch auf meiner Braut?
Löscht sie aus, IhrJenseitsflüsse,
Oh, wie mir vor Sünden graut.
Euridike, holdes Wesen,
Arg ist was ich da verbrach,
Deine Schönheit ist verwesen,
Keine Wallfahrt tilgt die Schmach.
Erst als Du von hier geschieden,
Wußtest Du, was ich gethan;
Doch Du schlummertest zufrieden,
Sage, sprech ich blos im Wahn?«
Jedes lebt jetzt seiner Stille.
Tiefe Ferne mahnt zu spät.
Zirpt denn nirgends eine Grille?
Alles schweigt nun zum Gebet!
[Sonne, mildes Herrscherauge]
Sonne, mildes Herrscherauge,
Meine Inbrunst wogt Dir zu,
Wenn ich stumm Dein Loderwollen sauge,
Überkommt mich sichere Ruh.
[104]
Sonne, Du vergiebst die Sünden,
Die man Widerwillens träumt,
Was Du wünschst, läßt Du verkünden
Und Du züchtigst, wenn man säumt!
Blos durch kühne Sonnenthaten
Kann ich Todten nützlich sein,
Denn wenn sie uns Nachts berathen,
Kann das Tagwerk nicht gedeihn.
Das Geträumte überwinden,
Ist was Wanderern gebührt.
Menschen, die zu wild empfinden,
Werden leicht zum Rausch verführt.
Eure üppigen Visionen,
Streut, beim Schreiten, ringum aus,
Was Ihr sät, das wird sich lohnen,
Selbst der Wahn verliert an Graus.
Schaffend könnt Ihr alles sagen,
Selbst wenn Ihr ein Laster lobt,
Kann das plötzlich Gutes tragen,
Denn noch nichts ist ausgeprobt.
Nur der Sonne kanns gelingen
Daß ich einst noch glücklich sei,
Wunder kann der Mensch vollbringen
Macht er sich von Schemen frei!
Weiß nicht, kann ich je das Weib vergessen,
Das ich einstens hold umschlang,
Nun, ich wirke unterdessen,
Das ist Orpheus Morgensang!
[Die Fluren singen ihre frischen Sonnenlieder]
[105] Die Fluren singen ihre frischen Sonnenlieder.
Die letzten Nebel legen sich, wie müde Kinder,
In tiefen Schluchten, ihren kühlen Pfühlen, nieder,
Und die Briefe weht stets wonniger und linder!
Auch Orpheus schöpft nun Muth zu neuen Wanderleiden
Und er vernimmt in sich ein eigenes Flügelschlagen.
Er weiß, es muß sich etwas Schweres jetzt entscheiden,
Und er beschließt, sein Werdeweh ans Meer zu tragen.
Ist es ein Lied, so mag es dort erst frei ertönen,
Sich, ungesehn, von allem Zwang und Brauch entkleiden,
Die eigene Gestalt durch Uferhuld verschönen,
Und beim Entstehn sich schon an eigenen Reizen weiden.
Es soll sich, als ein schlankes Weib, im Schaume baden,
Im Morgengold, am heitern Wellenspiel erfreuen,
Und dessen Übermuth und seine Salzkaskaden
An allzu offenen Gestaden niemals scheuen.
Am Strande aber steht bereits ein anderer Sänger,
Der zusieht, wie sich rings die Wellen überhetzen.
Zuerst hält Orpheus ihn für seinen Doppelgänger,
Denn oft schon sah er sich zugleich an vielen Plätzen.
Doch kann er sich gar bald vom andern unterscheiden,
Denn während jener heiter und alleine schreitet,
Wird er, der Dichter tiefer, unverwundener Leiden,
Von Tauben und von Rehen, wo er geht, begleitet.
Doch sieht er jetzt, es kreist auch über jenem Seher,
Ein Adler hoch und herrlich, ohne jemals zu erlahmen.
Wie stolz er stiegt! Er kommt der Erde nimmer näher
Und scheint beinah Planetenbahnen nachzuahmen.
[106] Von seiner Seelenhöhe selbst, beim Flug, getragen,
Läßt er uns fast sein tiefes Wesensräthsel deuten,
Doch niemand wird ihn wohl nach Sein und Herkunft fragen,
Denn es genügt, was selbstverständlich ist, den Leuten.
Das Ungefüge will, daß man es sich erkläre,
Und Du erkennst an stummer Ruhe leicht das Tiefe:
Zwar zischelt und verräth sich uns die Wuth der Meere,
Doch thuts der Sturm, und nicht die See, die lieber schliefe!
So wird auch Orpheus jetzt vom Andern angesprochen,
Wer weiß, ob seinem Wesen stark darnach verlangte,
Wahrscheinlich ist, daß ihm in langen Trauerwochen
Nach einem Wort aus fremdem Munde bangte.
Der Fremde spricht: »Allmächtig ist des Menschen Freude,
Und blos an ihr kannst Du die eigene Höhe messen,
Drum bleibe unbedacht, frohlocke und vergeude
Das innere Glück, das wir ureinzig nie vergessen.
Die Erde ist ein schönes Weib mit vollen Brüsten
Und unerschöpflich reich an Kraft und holden Reizen,
Und ihre Nacktheit kann nur Lüstlinge entrüsten,
Die ihr Vergnügen stets mit Sittsamkeiten beizen.
Das sind die Wächter alter Staaten, die zerfallen,
Die statt des Glückes nur ihr Greisenthum beschützen,
Und stets von Nächstenliebe und Gesellschaft lallen,
Als müßte jeder sich auf eine Krücke stützen.
Es zwingt Euch überhaupt ein häßliches Verhängniß!
So wie Ihr Euch über Gesetzlichkeit belehrtet,
Ward Euch die Welt zu einem gottlosen Gefängniß,
In dem Ihr Euch als Kerkermeister selbst verehrtet.
[107] Ihr trachtet nun in kluggefügte Weltgebäude
Und Zahlenkreise, was sich widerspricht, zu pressen.
Doch sage ich: Gedanken habt ihr Euch zur Freude
Und nicht, um eitle Möglichkeiten zu ermessen.
Ich hasse Euch, als ein Geschlecht voll Weiberweichheit,
Und überdies zeugt Eure Lebensweisheit Schwächung,
Der Heldensinn versinkt allmählich in der Gleichheit,
Und Niemand mehr fühlt Lust an Wort und Werthzerbrechung.
Ich war von Anfang an der Menschen Kraftverkünder,
Und jetzt bin ich die stärkste Widerspruchssynthese,
Ich liebe Eure nordlichtüberstrahlten Länder
Und hoffe, daß der Mensch durch seine Lust genese!«
[Es blickt nun der Fremdling empor zu den Bergen]
Es blickt nun der Fremdling empor zu den Bergen,
Die Wolken, wie Raubvögel, furchtbar umwittern,
Zu Schluchten, wo Dunsteulen scheu sich verbergen
Und schon vor Gewittern des Tages erzittern.
Dann sieht er zum Meere, das riesige Fäuste,
Die Blitze verkrallen, zum Himmel emporballt,
Dann schweigt er und sammelt die tiefste Gewalt
Als früge er sich, ob kein Zauber ihn täuschte.
Nun ruft er, was längst seine Seele vernommen:
»Höre denn Mensch, Pan ist erwacht!«
Dann sagt er, was nach und nach heimlich erglommen
Und was ihm unendliche Freude gemacht.
[108]
Er spricht zu den Felsen, er ruft es den Fluren,
Er sagt es der Sonne, die räthselhaft lacht,
Er meldet es Fluchen, die längst es erfuhren:
»Höre, oh Mensch, Pan ist erwacht
Die Erde verschlang zwar dereinst ihre Wildniß,
Doch steigt deren lebendes, herrliches Bildniß
Stets auf, aus den Tiefen der menschlichen Nacht.
Höre, oh Mensch, Pan ist erwacht!
Oh Dyonis, feurige, schäumende Seele,
Im Stein, unterm Wasser, auf Träumen der Flur,
Verkünde uns nun Deine Freiheitsbefehle,
Es jauchzt und es grünt Deine Frühlingsnatur!
Du herrliches Kind der gesetzlosen Weite,
Zersetze der Mächte gefügige Reih,
Durchschwärme der Welt urgeschlechtliches Ei,
Oh komme, Du Gott, der uns oft schon befreite!
Erscheine im glühenden Schweif der Kometen,
Doch tauch nicht empor als Zerbrecher der Form,
Entsteh unerklärlich, nach göttlicher Norm,
Und beuge den Starrsinn von Sonnenpropheten!
Entreiße den Menschen der Ursprungsbestimmung
Und setze das Glück für die Vorsehung ein:
Dich selbst schafft der Zufall stets wieder allein,
Drum freuen Dich Siege und trotzige Ergrimmung,
Durch Dich blos gelangt holder Leichtsinn zur Macht,
Oh höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Ich glaube an keine verderbliche Einheit,
Ich hasse die ewig sich gleichende Kraft,
Ich weiß, daß die Regel am Ende erschlafft,
[109]
Ich mag nicht des Wissens umzirkelte Kleinheit,
Ich setze mir Jupiter ganz auf den Thron
Und lebe sein Wesen, der Sitte zum Hohn,
Ich glaube an Rache, an Willkür und Macht,
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Voll Widerspruch herrschen jetzt Götter und Helden,
Da Leben allein durch die Zwietracht entsteht
Und nur durch die Stürme der Nebel verweht!
So komme denn, Hermes, Du sollst es uns melden,
Wenn Jupiter wieder von schneeigen Spitzen
Herabsteigt, wo Nymphen mit tollen Tritonen
In Grotten und heimlichen Schlupfwinkeln wohnen
Und neckisch die mahnende Gottheit bespritzen.
Schon hascht sich dort Jupiter eine der Nymphen!
Schon tragt er die Zappelnde rasch in den Wald,
Doch macht seine Allgewalt urplötzlich Halt,
Die Nymphe entwischt ihm, er sucht in den Sümpfen.
Er findet sie nickt, was wird sich erleben?
Er wüthet: oh hört, wie die Berge erbeben!
Es fühlen die Felsen des Jupiters Wuth,
Die Heerden, die lange in Schluchten geruht,
Die Hütten, die ringsum auf Abhängen kleben,
Verschüttet des Weltherrschers plötzliche Laune,
Denn niemand bemerkte die Rufe der Faune,
Die unheimlich tief in der Wildniß gelacht:
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Nun rühren sich manche verkrümmte Giganten,
Denn Jupiters Wuth hat sie plötzlich geweckt,
[110]
Sie rütteln dabei an den Andern mit Kanten,
Doch bleiben die Meisten auch weiter verreckt.
Schon hoffen die Wachen auf Sieg und auf Rache,
Sie recken sich auf und gewaltiges Gekrache
Verräth die Empörung der lauernden Riesen,
Die Zeus vom Olymp in die Tiefe gewiesen.
Es klimmen so manche aus Grimm und voll Eifer,
Die Höhen, wo Zeus sich verschanzte, hinan,
Sie schnauben beim Ansturme blutigen Geifer,
Und plötzlich verdunkelt sich Helios Gespann.
Die Erde kann allerhand Mächte entladen,
Im Meer, wo der Zug wilder Riesen verschnob,
Erwachen auf einmal die Kraterzykladen
Und mancher erblindeter Inselzyklop
Erschaut seiner Feinde zerbröckelnde Macht:
Höre drum Mensch, Pan ist erwacht!
Von Schäfchen, den winzigsten Wolken gezogen,
Kommt Juno, die eben ihr Gatte betrogen,
Von Weitem herbei, ihre Schande zu rächen:
Die Wolken, die sonst gutes Wetter versprechen,
Beginnen sich plötzlich zu Haufen zu sammeln,
Um Zeus den beschneiten Olymp zu verrammeln.
Erschreckt sieht die Göttin das Unheil, das eben
Ihr Gatte, im Zorne, dort unten bereitet,
Sie fühlt noch die Erde entsetzlich erbeben,
Und merkt, wie ein Riese die Thäler durchschreitet.
Sie ist schon mit schrecklichen Zweifeln genaht,
Nun sinnt sie auf Rache für Trug und Verrath,
Sie selber verhüllt sich aus Ärger und Scham,
Sie fühlt es, zu lange verhielt sie den Gram.
[111]
Die Dünste der sterbenden Riesen verpfauchen,
Und Juno beschließt sie, beim Bau einer Mauer
Zum Schutz ihrer Trauer, vor Zeus, zu gebrauchen.
Doch Jupiter hat diesen Anschlag gewittert:
Schon sprengt er mit Blitzen den wuchtigen Wall,
Und Wolken, wie Linnen, vom Sturme zerknittert,
Entwuchten dem Luftbau und donnern beim Fall.
Dabei aber werden die Riesen zertreten,
Die Nebel verschwinden, vom Winde zerstreut,
Die Wolken jedoch, die den Öta umwehten,
Umstarren die Urkraft, die Ruhe gebeut.
Nun haben die letzten Giganten verschnauft,
Die Stürme läßt Jupiter hurtig entwischen,
Sich selbst aber zeigt er als riesiges Haupt,
Das Blitze, wie Adern im Zorne, durchzischen.
Die Herrschaft der Stolzen ist wiedergekommen,
Die Macht der Olympier ist herrlich erglommen,
Sie zeigt ihre heitre und sonnige Pracht:
Höre drum, Mensch, Pan ist erwacht!
Es hat unsere Seele die Freiheit errungen,
Sie lebt ohne Zweifel und sucht keinen Zweck,
Es hält uns kein Wahnwitz mehr grausam umschlungen,
Der Spuk hat für uns keinen weiteren Schreck.
Es sind unsere Götter vergnügt und zufrieden,
Sie spenden wie Sterne ihr blühendes Sein,
Wir alle entfalten uns frei und verschieden,
Und können uns allerhand Gottheiten weihn.
Die Eigenart schaffe allein die Belebung:
Die Sondergestalt, die sich selber bewacht,
[112]
Behauptet ihr Dasein in dumpfer Umgebung:
Höre drum, Mensch, Pan ist erwacht.
Der Wahnwitz der Gleichheit, in der man verschwindet,
Ward einzig von Feinden des Lebens erdacht,
Das Ich ist die Kraft, die den Tod überwindet:
Höre drum, Mensch, Pan ist erwacht!«
Nachdem jener Mann diese Worte gesprochen,
Erblickt erst der Dichter sein Marmorgesicht,
Sein Herz aber fängt dabei wild an zu pochen
Und mahnt ihn an Abschied und Freundschaftverzicht.
Doch findet jetzt Keiner die richtigen Worte,
Für das was sein eigenes Inneres beschleicht,
Es wünscht sich der Fremde weit fort von dem Orte,
Da denkt Orpheus: Sprich nicht und mach es Dir leicht!
Schon wandelt er einsam hinüber zur Küste,
Dann blickt er zum Manne, der Felsen erklimmt,
Und ruft noch: »Verweile beim Meer, seine Brüste
Versprühen die Lust, die das Land übernimmt!«
Es hat noch der Wandrer die Worte vernommen,
Dort steht er und blickt auf das Wunder der See,
Es hat ihn, wie Heimweh zum Meer, überkommen
Und nun überschaut er die eigene Idee.
Er rastet versunken, auf felsigem Hange,
Doch ruft er dann plötzlich zu Orpheus hinab:
»Die Weite, nach der ich voll Inbrunst verlange,
Beherrscht meine Seele von zeitlosem Kap.
[113]
Es schlummern in mir stille Mittagsgefilde,
Es hat sie die wirkliche Sonne betäubt,
Doch lauert in uns auch das Grausame, Wilde,
Das wortlos und weiblich urewig sich sträubt.
Poseidon entrunzelt die funkelnde Stirne,
Es scheinen die Meere zum Frieden gewillt,
In mir aber glühen die Schicksalgestirne
Und nimmermehr wird ihre Sturmlust gestillt!
Es sieht meine Seele beflügelte Schimmel –
Sonst wird ihrer niemand am Meere gewahr,
Doch ich merke ringsum ihr wildes Gewimmelt
Und immer noch wächst diese witternde Schaar.
Sie dursten und schlürfen die ruhenden Fluthen:
Neptun, welche Würde und Wuth Du vermengst,
Von überall drängen sich lechzende Stuten,
Und jäh überragt sie ein brünstiger Hengst.
Schon werden die glühenden Dünen erklommen,
Dabei wird den Rossen die Nahrung verkürzt,
Doch immer noch kommt wo ein Rudel geschwommen,
Der wild sich auf allerhand Strandtümpel stürzt.
Gar hurtig vertrocknen die salzigen Pfützen,
Und wiederum pfauchen die Pferde heran:
Wo soll sich das nächtliche Wolkenvolk schützen?
Es folgt ihm doch überall Helios Gespann!
Ach Orpheus, du siehst noch den Frieden sich weiten,
Du fühlst wohl des Tages gigantischen Bau,
Und ich weiß, wie Gluthen Gewitter bereiten,
Und Spuk überrascht mich, was immer ich schau!
[114]
Ich sehe jetzt Pferdgeister Schwimmhäute spreizen,
Es rüsten sich Stierschemen eben zum Flug,
Es will die Natur an Versuchen nicht geizen,
Denn ringsum entwickelt sich irgend ein Zug.
Es können sich allerhand Thiere entpuppen,
Es werden Begriffe in Fesseln geengt,
Die flüggen Gedanken umlauern die Kuppen
Und andre verstummen, in Mulden versenkt.
Es stiegen schon Katzen mit winzigen Köpfen,
Sie langen die eine der Pfoten voraus,
Ein anderer Schwarm von bizarren Geschöpfen
Bereitet im Katzenzug Schrecken und Graus.
Ich hasse die Fratzen und Nebelgesichter
Und liebe des Blitzes zermalmenden Schlag,
Wenn plötzlich das bleiche und feige Gelichter
Dort oben sich kaum mehr zu bergen vermag.
Ich warte darauf! Bald donnert es wuchtig.
Bald blitzt es und gießt es mit Schaudergewalt.
Die Berge dort oben sind kluftig und schluchtig,
Schon hör ich, wie drinnen das Echo erschallt!«
Der Mann hat noch gar nicht zu Ende gesprochen
Und folgt schon behende dem sehenden Geist
Und unter ihm schwinden die Blöcke wie Stufen,
Er weiß, daß ein Traum ihn ins Freiheitsland weist.
Schon ahnt er Geschlechter machtheischender Ringer:
Er haßt die Ergebung und jeden Verbleib,
Er sieht sieben kommende Menschenbezwinger,
Er steigt und er fühlt nicht den eigenen Leib!
[Der Mittag strahlt in krystallener Klarheit]
[115]
Der Mittag strahlt in krystallener Klarheit,
Und Orpheus erbaut einen Sonnenaltar,
Dabei aber spricht er von Weisheit und Wahrheit,
Und aufmerksam lauscht eine friedliche Schaar.
Man wußte schon lange vom sanften Erzähler,
Vom Sänger der Milde und Huld in der Welt,
Und so hat das Volk vieler einsamer Thäler
Sich furchtlos zum freundlichen Richter gesellt.
Es bittet: »Oh gieb uns von Allerhand Kunde,
Oh sprich, sind uns Gottheiten huldvoll gesinnt,
Was ist die Geburt, was die Todeskampfstunde?
Oh sag, wer die Menschengeschicke verspinnt!«
Da lächelt der Dichter und fragt seine Hirten:
»Erzählt, warum ließt Ihr die Frauen zu Haus?
Oh, bringt sie herbei und bekränzt sie mit Myrthen
Und singt dann und windet dabei einen Strauß.
Ich bringe, um Götter mit uns zu versöhnen,
Am Sonnenaltare ein Brandopfer dar,
Doch Ihr trachtet alle das Fest zu verschönen
Und holt dann der Bräute vergnügliche Schaar.
Oh, seht dieses Gleichniß, und hört wie ichs deute,
Und habt Ihrs erfaßt, so empfangt meinen Dank:
So rein wie die Flamme ist, seien die Bräute,
Und Götter erfreue ihr aufrechter Gang.
Drum brauch ich, um Liebe und Licht zu verkünden,
Das Lächeln von Mädchen um meinen Altar,
Bevor sie die Heerdfeuer mündig entzünden,
Verneige sich hier jedes künftige Paar.
[116]
Oh bringt sie, in Farben des Lenzes gekleidet,
Aus Thälern, von Höhen, zum Lichtfeste mit!
Es hole sich jeder ein Weib, das noch weidet,
So weilt doch nicht länger, beflügelt den Schritt!
Es mögen bald allerhand Lieder erklingen,
Vereint Eure Bräute in buntem Gewand,
Und werdet Ihr dann einen Festreigen schlingen,
So jubelt, wie ringsum das blühende Land.
Erscheint, wenn Ihr heirathet, stets in Geschmeiden
Und tragt ein gefaltetes duftiges Kleid,
Doch sollen die Jungfrauen Schmuckstücke meiden,
Und einfach und weiß sei der Bräute Geleit.
Dann singt was Ihr heimlich im Walde gedichtet,
Es gleichen die Lieder, die Liebe gestehn,
Geschliffenen Steinen, die, wirksam geschichtet,
Den Gürtel der Frau, die Ihr heimführt, besän.
Doch werden die Todten zu Grabe getragen,
So singe ein dunkelgekleideter Schwarm,
Mit Harfenbegleitung, die schaurigen Sagen
Von Helden und Frauen in Trauer und Harm.
Man spiele und singe, solange man schreitet,
Und stehe dann stumm vor dem offenen Grab:
Und werden von Seufzern die Winde begleitet,
So sinke die Leiche dann langsam hinab.«
[Der Dichter hat kaum diese Worte gesprochen]
[117]
Der Dichter hat kaum diese Worte gesprochen
Und knickt schon zusammen; er weiß es bestimmt,
Er kann nicht mehr hoffen, er bleibt ganz gebrochen,
Er fühlt wie sein Leben schon langsam verglimmt.
Nun schleichen die Hirten hinweg vom Altare,
Es hat sie auf einmal ein Schaudern erfaßt,
Sie möchten, daß Orpheus sie nimmer gewahre,
Und lassen ihn einsam in seliger Rast!
Nun ziehen sie schon durch die heißen Gelände
Und reden von Opfern und häuslichem Glück,
Sie denken, sie kämen mit reichlicher Spende,
Zu Orpheus, von Bräuten begleitet, zurück.
Ein Jüngling jedoch ist von ihnen gewichen,
Er fühlt in sich selber ein eigenes Lied,
Er ist in die Nähe von Orpheus geschlichen
Und harrt dort geheim, was nun weiter geschieht.
Er fürchtet beinahe, es sei ungebührlich,
Dem seltsamen Wandrer mit Fragen zu nahn;
Den Anfang zu machen, sogar unausführlich,
Er grübelt und schweigt ohne Absicht und Plan.
So sieht er denn schweigsam ins knisternde Feuer
Und träumt mit dem Rauch, der sich ringsum verzweigt,
Er hält fein Beginnen für ganz ungeheuer,
Und ist fast zu plötzlichem Aufbruch geneigt.
Doch Orpheus empfindet dadurch seine Nähe
Und sieht ihm ins Auge und winkt ihn herbei,
Dann grüßt er ihn freundlich und sagt ihm: »Gestehe,
Mein Sohn, Deinen Schmerz und sei offen und frei!«
[118]
Da fängt denn der Jüngling an, langsam zu stammeln:
»Ich kenne kein eigenes, quälendes Leid,
Doch sag mir, wie kommts, daß sich Vögel versammeln,
Bevor es, dort oben, im Hochgebirg schneit?
Wer macht es, daß Hunde die Menschen bewachen?
Sie sehen doch fast wie die Raubthiere aus,
Die Augen allein können träumen und lachen,
Und stirbt uns ein Hund, trauert jedes zu Haus.
Oh sage, warum sich die Thiere so hassen,
Weshalb sie, im Frühling zu Paaren vereint,
Dann gleich ihre größeren Jungen verlassen,
Und weshalb kein Thier seine Eltern beweint!
Oft schein ich mir selber den Bestien zu gleichen,
Dann wiederum kann ich sie gar nicht verstehn,
Ich freue mich, wenn sie ihr Weibchen umschleichen,
Und ärgere mich, sie dann lieblos zu sehn.
Ich bin im Gebirge nicht gerne alleine,
Ich hab eine Braut unten ferne im Thal,
Bei ihr aber zieht michs zu anderm Vereine,
Und denk Dir, so ging mir es einige Mal!«
Es denkt nun Orpheus lange nach, ohne zu sprechen,
Doch endlich sagt er zu sich selbst und in den Wald,
Und auch der Jüngling hört es: »Ein Verbrechen
Am Schweigen der Natur hat einst die Welt durchgellt.
Das Blenden der Lichter, das Kreischen der Töne,
Wird jetzt wieder milder und naht seinem Tod,
[119]
Doch arg ist noch immer das Wesengestöhne,
Und Blut ist das Leben, wildstammendes Roth!«

»Die Sonne hat uns ans Licht gezogen,
– Der Geist ist längst dem Erdenbann entflogen, –
Doch wüthet in uns selbst die Sonn und Erdenfehde,
Der Friede aber bleibt nur eine leere Rede.
Es muß der Seelenabgrund immer größer klaffen
Und stete Brunnentiefen in den Menschen schaffen,
Wir sehn hinein, um wo auf einen Grund zu kommen,
Doch nichts als unser Spiegelbild kann uns erscheinen.
Weil niemand es versteht, bewirft man es mit Steinen,
Und was wir plötzlich drinnen sehn ist zwar verschwommen,
Doch können unsere eigenen Fratzen uns erfreuen,
Und Lacher brauchen sich nicht mehr vor sich zu scheuen!
Die Erde ist ein Grab, in dem wir einst versinken,
Doch die Vernichtung überlebt ein Sonnenkern,
Und wenn dereinst, (der Tag ist ungeahnt und fern)
Die Wesen in der Todeshochfluth auch ertrinken,
So wird das Tiefste seinen eigenen Fall verwinden,
Und wunderbar und unberührt,
Durch Sonnenfügung, durch den Tod geführt,
Die Erde dauernd mit dem Sonnenlicht verbinden.
Es gilt, im Sonnenflug, die Sonne zu erreichen,
Doch unsere Flügel dürfen sich nicht lange gleichen,
Denn immer höher müssen wir zum Lichte steigen
[120] Und Schwingen sind die Tugenden, die uns zu eigen.
Wer weiß, welche Gedanken sich von uns erhalten?
Was dauert überhaupt? Die ichbewußten Seelen?
Gar plötzlich kann das Sonnenmündige erkalten,
Und was wir kaum beachten sich unendlich stählen.
Ich mag das Leben wohl als Sonnenfeld verheißen.
Doch fühle ich dabei verschiedene Feuer wüthen,
Die Erde trachtet, alles fest an sich zu reißen,
Die Sonne aber immer anderes auszubrüten!
So windet sich, was wird, gar wunderbar zum Lichte,
Stets neue Räthsel recken andere Schlangenköpfe
Bei diesem Schauspiel auf, und Graun packt da die Wichte.
Was groß ist, wird zum Teufel unserer dumpfen Tröpfe.
Verstand, Vernunft, die nur die Lebenslist bedienen
Und trachten, stets in andere Formen einzuschleichen,
Beginnen schon in uns, wie Schatten zu verbleichen,
Ja sie vergehen bald, sind sie doch spät erschienen. –
Die Kraft, zu hungern, will ich höher schätzen,
Denn nur, wenn wir die Lichtaskese nicht verletzen,
Vermag die Sonne unser Wesen zu erhalten,
Und deshalb siegen Völker, die sich streng verwalten!
Blos die Geschlechter, die sich ihrer Zucht besinnen,
Vermögen es, auch Lebensrechte zu gewinnen.
Die Priester, die in sich ein Lichtgesetz erwühlen
Und alle Sünden ihres eigenen Volkes fühlen,
Beschützen ihre Heimath besser als die Helden,
Von denen Schlachtgesang und Sage melden.
Bestimmt ist es, daß Einige sich am Glück berauschen,
Doch will die Sonne ihre Lieblinge vertauschen,
Sie mag begnadete Geschlechter oft zertreten
Und sich sogar ganz andere Daseinsformen kneten.
Ihr Antlitz wird das Kommende allein bestimmen,
[121] Denn ihrem ewigen Wechsel muß sich alles fügen.
Was eben jubelt, das kann rasch, verdammt, ergrimmen;
Doch gilt auch dieses nur in großen, groben Zügen,
Denn die Beweglichkeit, die Menschen stets gestaltet,
Der Sonnenflug, der unserm Wesen eingewoben,
Erhalten uns noch dauernd, erdentrückt, erhoben:
Es schaltet eine Macht in uns, die nie sich spaltet!«
»Ach Orpheus, schrecklich dünkt mich, was Du da erschautest,
Das ist ein Dunkelschlund mit grellen Felsprofilen!
Wie kommt es, sprich, daß Du beim Schauen nicht ergrautest,
Da giftige Tropfen doch in Deine Seele fielen?!«
Beginnt der Jüngling, Orpheus in das Wort zu fallen,
Denn er begriff der Rede Sinn und muß erschaudern;
Er sah die Lebenstrauer aus den Thalern wallen
Und scheint auch jetzt mit seinen Fragen noch zu zaudern.
Doch endlich fahrt er fort: »Kaum hab ich Dich verstanden
Doch ist in mir ein bleiches Angstgefühl geblieben,
Was Du da sagtest, sprich, hast Du es je gestanden?
Ich glaube fast, Du hättest Jedermann vertrieben;
Du hast doch früher auch schon Wahrheiten gesprochen
Und täuschst mich jetzt, um meine Sehnsucht zu erproben.
Als ich heranschlich, fing mein Herz schon an zu pochen!
Doch halt ich aus, und schließlich wirst Du mich beloben;
Doch nein, erschließe alle Leiden Deiner Seele,
Es ruht ein Theil von Deinem Schmerz in Deinem Wesen,
Ja, schrei, was Dich zerfleischt, aus freier Kehle,
Und nenn uns unsere Sünde, laß daß wir genesen,
Die Welt, die Du vor meinem Sinnen furchtbar bautest,
Ist urgewaltig und mag schließlich wahr erscheinen.
Doch sprich von allem was Du unter Dir erschautest,
Denn etwas kann die Schrecklichkeit der Welt verneinen!
Ein Ding durchkreuzt vielleicht in unserer eigenen Seele
[122] Des Sonnendaseins unerbittliche Befehle.
Ach Orpheus, merkst Du es, ich spreche in Ekstase,
Noch nie entschlüpfte mir ein Satz so glatt und eilig,
Gedanken überhetzen sich, – ich glaub, ich rase, –
Mein Wesen hascht etwas, das wirklich ist und heilig,
Ich seh es anders und vermesse mich, zu richten,
Es kann die Liebe unsern Haß und Neid bezwingen.
Der Hunger lehrt uns wahrlich nicht verzichten,
Und Überflüsse lassen uns den Reigen schwingen.
Das Thier bereits hat Sinn für seine Bruch und Gattung,
Und nirgends zeigt der Mensch darin eine Verarmung,
Ein Schwelgen ist der Glaube, nicht eine Ermattung,
Des Menschen Seele öffnet sich zur Weltumarmung!«
Nun schweigt der Jüngling und er zittert vor Bewegung,
Und schluchzt danach in Orpheus Armen voller Rührung,
Der Dichter doch, erfreut durch seine Überlegung,
Erzählt ihm nun von unserer Erde Freudenschürung:

»Eingeklemmt von dieser starren Erdenkruste,
Sträubt sich noch ein sonnengleicher Erdenkern,
Und vernehmt Ihr unter Euch sein Wuthgepuste,
Ahnt Ihr, daß ein Bergerbeben nimmer fern!
Doch das ist ein Trachten nur, sich anzupassen,
Denn das Flüßige schmiegt sich an die Felsenwand,
Um vergeistigt seine Freiheit zu verprassen,
Und das ist des Erdenlebens Unterpfand.
Ja, ein Feuer steigt durch alle Erdenkinder:
In uns selber klafft ein tiefer Gluthenschlund:
Unsere Flamme macht die Daseinsangst gelinder,
Schließt das All, in Seelen, doch den Liebesbund!
[123]
Hoch im Norden ist der Erdball stiller, flacher
Und sein Inneres näher seinem Sonnenziel,
Deshalb aber zeugt des Welttags Machtentfacher
Dort ein Dasein mit verändertem Profil.
Doch der Erdenpanzer ist am pole dicker
Und dadurch das allerfeinste Feuersieb.
Hoch im Norden sieht der Mensch als Gluthgesicker,
Was bei uns ein Ahnen ist, ein Sehnsuchtstrieb.
Ja, ein Feuerbund durchglüht die Sonnenwesen:
Denn der Erde Sehnsucht, die zum Lichte glimmt,
Hilft den Menschen, die der Tag sich auserlesen,
Da das Innenlicht zu Feuerkreisen stimmt.
Ja, ein Erdwunsch trachtet Freiheit zu erreichen
Und durchschlängelt urverschieden jedes Sein,
Ähnlich stets, doch nirgends gleich, kann er entweichen
Und so prägt er Jedem seinen Rhythmus ein.
Horcht, als Glück durchschauert uns ein inneres Feuer,
Das im Menschen ewige Sternenliebe ahnt,
Und das Thun von uns wird stets zum Lustverstreuer,
Wenn es Freiheitsflammen Sonnenwege bahnt.«
Nun ergreift der Sänger seine holde Leier
Und begleitet heiter seinen Sonnensang.
Wenig nur versteht der Jüngling, aber Schleier,
Bilderflore, weckt in ihm der goldene Klang.
[Es tönt: Das ist das Lied der großen Liebe]
[124]
Es tönt: »Das ist das Lied der großen Liebe,
Die in den Seelen ewig aufersteht:
Denn alle Wesen sind die Sehnsuchtssiebe
Des Feuerwunsches, der die Flur besät.
Aus allen Blüthen lachen Erdengluthen,
Die sich den Weg zum Sonnenlicht gebahnt,
Doch ihre Lust am Licht muß rasch verbluten,
Da bald die Frucht ans Erdensein gemahnt.
Es keimt die Scham beinah in unsern Thieren,
Wo sich das Männchen seine Brut bewacht,
Die Lust zeugt nur der Drang, sich zu verlieren,
Wenn er, am freien Licht, in uns erwacht.
Drum mögen Wesen sich auch treu bewachen,
In denen Liebe frei zum Lichte lacht,
Die Weltenliebe kann erst spät erwachen,
Hat sich in uns ein Wunder hold vollbracht.
Sie muß den Weg durch alle Wesen finden,
Auf großem Umweg einen, was sich gleicht,
Die Schroffheit der Gefühle überwinden,
Bis ein Karakter zum Gemüth erweicht.
Der Vogellieder helle Freudenkette
Erzittert noch als letzter Erdensaum,
Und durch gekreuzter Rhythmen Schlangenglätte
Entschwirren Menschensprachen in den Raum.
Hört, unsere Worte sind der Freiheitssamen,
Den sich der Wind in alle Welt verweht,
Die Lust am Mutterlaut kann nie erlahmen,
Denn der ist dauernd fruchtbar, wenn beredt.
[125]
Noch stärker greif ich in die straffen Saiten,
Noch höher klingt mein heiteres Sonnenlied,
Die Töne, die das Wort hinangeleiten,
Sind Sonnenlust, die sich im Schmerz errieth.
Wenn Feuerwogen aus dem Sänger steigen,
Wird nur sein tiefster Rhythmus angeregt,
Er selber wird betäubt durch innere Reigen,
Daß ihm der Rausch den Mutterlaut verschlägt.
Doch können sich dann Stimmen voll ergießen:
Er lauscht der ganzen Seele Tongewalt,
Es will kein Baum da kurz den Tag genießen,
Es donnert dann ein ganzer Samenwald.
Die Erde sprüht die Funken ihrer Liebe
Ganz frei und voll hinaus ins ewige All,
Und festigt sich ihr inneres Felsgeschiebe,
So kräftigt sich ihr goldener Flammenschwall.
Der Feuersamen aller Nachtplaneten
Durchschwängert den chaotischdunklen Raum,
Und wenn sich Flammen fern zu Schollen kneten,
Verträumt die Welt den gleichen Liebestraum.
In jedem Samen schöpft ein Gott sich Reiche,
Um seine Liebe heilig zu erschaun,
Und Grundverschiedenes scheint das Ewiggleiche
Zu stürzen, um sich wieder aufzubaun!«
Wie nun der Leier Saiten sanft verstummen,
Bedenkt der Sänger erst was er da sprach,
Sein Wunsch folgt noch den Tönen, die versummen,
Er träumt beinah dem holden Liede nach.
[126]
Kein Jüngling, Niemand wagt es, ihn zu stören.
Doch kommt nun mancher Hirt mit seiner Braut.
Sie konnten Orpheus weither singen hören
Und haben hinter Büschen zugeschaut.
Nach alter Sitte bringt man fette Stiere
Und bittet: »Opfre sie am Sonnaltar,
Denn das sind unsere allerschönsten Thiere,
Doch bringen wir sie Göttern gerne dar!«
Das Mißverständniß ärgert zwar den Dichter,
Doch ist er mild und sagt was er gemeint.
Dazu erblickt er feindliche Gesichter,
Da ferne ein Mänadentroß erscheint.
Fürwahr, noch nie war Orpheus so versöhnlich,
Es freut ihn fast die Absicht dieser Schaar,
Er tritt zu allen hin und dankt persönlich
Für das, was aller guter Wille war.
Dann schürt er rasch das Feuer am Altare
Und spricht: »Nun ist es bald mit mir vorbei,
Drum sucht, daß jeder, was er faßt, bewahre,
Vielleicht ist das mein letzter Seelenschrei!«
[Orpheus Blicke schweifen in die Weite]
Orpheus Blicke schweifen in die Weite,
Feinde sieht er, doch er scheut sie nicht,
Hirten, weiß er, sind sein Schutzgeleite,
Und er singt, denn singen ist ihm Pflicht:
[127]
»Flammen fühl ich durch die Seele schlagen
Matte Schatten hascht des Grüblers Geist,
Tracht ich sie im Zwielicht fortzutragen,
Faß ich sie in Formeln eingeeist.
Ja, von jener Liebe will ich sprechen,
Die des Daseins Harten übertrumpft,
Aus den Felsen seh ich Leben brechen,
Alle Kanten werden abgestumpft.
Durch die Menschheit, die sich haßt und peinigt,
Glimme prustend Eure Erdengluth!
Schüret was die Seele heilt und reinigt,
Trefft die Lust, die sich im Tand verthut!
Purpurgluth, die unser Wesen schwängert,
Die vom Erdenkerne sonnwärts drängt,
Hilf am Lichtweg, der sich stets verlängert,
Freu uns, Macht, die alle Durstigen tränkt.
Milde glimmt die ewige Liebeskette
Aus der Erde in den Geist hinein,
Heiligt jeder Ehe Lagerstätte,
Segnet selbst ein Sündersein!
Ja, wir können wirklich furchtlos lieben,
Wenn wir Frieden in uns selber sehn,
Wo ein Funke scheu und treu geblieben,
Kann ein Lichtgeschlecht noch auferstehn.
Eine Macht, die will, daß man sich stähle,
Und die Gegensätze stets verschärft,
Wispelt leicht vernehmbar in der Seele:
Seht wie Ihr den Gegner niederwerft!
[128]
Doch der Geist, der weiß, daß er in Jedem
Aus der Heimath ewiger Liebe kam,
Mahnt uns sanft: Ihr sollt Euch nicht befehden,
Werdet reich an Taggewalt und Scham!
Willst den Menschen Du aus Sonnenkreisen,
Wo sein Wesensflug ihn hingesetzt,
Oder aus den reinen Taggeleisen
Niederziehn, so ist er tief entsetzt!
Hilfreich rollt ihm Feuer durch die Adern,
Und von Skrupeln rasch und fest gepackt,
Schwankt er und beginnt mit sich zu hadern,
Denn die Seele sucht den alten Takt.
Wirke, mystischgute Gluth der Erde,
Feuer, das die Seele mir erklärt,
Feige Dich in dieser holden Heerde
Als ein Friede, den sie nie versehrt.
Du entstiegst im Lande der Hebräer
Ganz allein vor Moses Angesicht,
Heute aber sehn Hyperboräer,
Jede Nacht, Dein blutigrothes Licht.
Gott verheißt Du mit Gerichtsposaunen,
Denn Du zeugst und Du bezeugst ihn stets:
Als der Zweifel Zweifelnder, die staunen,
Hast Du noch die Kraft eines Gebets!
Nordlicht, goldgewordene Glücksverheißung,
Feuerblume, Samenüberschwang,
Sichtbar tiefe Sonn und Erdverschweißung,
Wahre unsern heiligen Sonnendrang.
[129]
Warnend und verkündend sollst Du leuchten,
Heute sehn wir Dich als kaltes Licht,
Doch wo Völker je sich wild verscheuchten,
Warst Du schon der Rassen Zuversicht.
Ja, wir können Dich nun ganz erkennen,
Feuer, das sich um die Pole wellt,
Händen gleichst Du, die sich nimmer trennen,
Und auf Deinem Sieg beruht die Welt.
Lichtgewordene, freie Lebensthürme,
Fromme Sehnsucht, heiliger Eichentrotz,
Goldzelt über wimmerndem Gewürme,
Hoffnungsfieber im erstarrten Klotz,
Nord und Südlicht, großes Himmelswunder,
Gieb den Völkern, gieb den Menschen Muth,
Bleibt auf Erden nichts als Asche, Zunder,
Glühst noch Du, oh Du Erlösungsgluth.
Hramonie an sich ist schon der Same,
Der sich ewig in das Chaos schwingt,
Doch beständig ändert sich der Name
Jeder Gluth, die unsere Zucht bedingt.
Alle Völker, hier am Erdenrunde,
Stimmt bereits ein inneres Fühlen mild,
Und entflammt vom gleichen Feuersbunde,
Werden wir zum Selbstverzicht gewillt.
Unsere Erde schwängert rings den Äther
Mit dem Samen, den sie hold entschnellt:
Später, irgendwo und wann, ersteht er
Dann, als eine andere Mutterwelt.
[130]
Unsere starken Thaten übergeben
Erdenwünsche an den Raum,
Sternenstrahlen weben unser Leben,
Und wir danken ihnen durch den Traum.
Immer tiefere Gluth wird uns durchstießen,
Denn im Menschen wird die Liebe frei:
Doch wo Wesen kaum ihr Glück genießen,
Strömt die Liebe sichtbar schon herbei.
In der Höhe, wo die Menschensinne
Fassen können was sie einst umgraut,
Sehen wir den Ring der Weltenminne,
Wie er sich zur Krone überbaut.
Langsam kann sich diese Gluth verändern,
Alles wird ein flammendes Gedicht,
Denn es flackern selbst aus Tropenländern
Noch die Seelen in das Fabellicht.
Nordschein, Du lebendige Synthese
Aller Hoffnungen am Nachtplanet,
Du verheißt, daß man durch Dich genese,
Denn Du bist Erfüllung und Gebet.
Schnee und Eis wird einst das Land bedecken.
Übersprenkelt nur von blassem Glast
Werden Trümmer früher Felsenrecken
Ganz versinken unter ihrer Last.
Keine Steinlawinen werden rollen,
Nirgends Wünsche Wollenswolken blähn:
Eine Blüthe nur, doch ganz aus Pollen,
Wird dem Erdenrund entwehn!
[131]
Doppelkronen wandernder Planeten
Sagt, wann schachtelt Ihr die Erde ein?
Langsam könnt Ihr Euch schon nähertreten,
Um dereinst ein Gluthgewand zu sein.
Menschen, Euer endliches Verderben,
Gleist aus jenem Gluthenbaldachin,
Wißt, wenn jene Flammen sich verfärben,
Ist der Erde Schöpferkraft verspien.
Welches Antlitz wird sie Euch dann zeigen,
Wenn gedämpft von eigenem Wunsch nach Rast,
Ihr einst keine Wesen mehr entsteigen,
Und sogar der Gluthenglast verblaßt?
Ihrem eigenen Friedhof wird sie gleichen!
Spuk, der nackt sein kaltes Grab beschaut,
Muß sie dann als blauer Hauch umschleichen
Und erstaunen, wie er mitvergraut.
Zwischen Schnee und Eis und glatten Kieseln
Wird ein stilles, erdenblasses Licht
Auf und ab, wie ein Erinnern, rieseln:
Denn sich selbst erhält dann der Verzicht.
Doch in jenen fernen Sonnepochen
Hat ein flügges Lichtgeschlecht
Wohl des Todes Macht und Nacht gebrochen
Und empfindet dann auch folgerecht
Vor dem Sterben nimmer das Entsetzen,
Das uns heute schon beim Namen packt:
Fangt drum an, in Tafeln einzuätzen,
Wie vom Leibe sich der Geist entsackt.
[132]
Stärker muß ich in die Saiten greifen:
Lauscht dem Tönen, das Euch alles sagt,
Was Gedanken blos im Fluge streifen,
Was sich zagend nur zu Tage wagt.
Keinen Samen will ich rings verstreuen,
Was ich innerm Lächeln je entlieh,
Soll Euch alle, fragt Ihr es, erfreuen,
Glaubt: ich spende volle Harmonie!
Ja, mein Lächeln gleicht dem Glanz vom Meere,
Wenn er Wellen lustig überspringt,
Und sogar in schwüler Atmosphäre
Wild und blaßverächtlich um sich blinkt!
Einem Meere, das sich langsam kräuselt,
Wenn es Stürme tief im Busen trägt,
Und schon fiebertraumhaft bebt und säuselt,
Ähnelt auch ein Stamm, der Krieg erwägt.
Wellenschäumen mag ich Euch vergleichen:
Wißt Ihr, daß Ihr tobend mich umdrängt?
Unsere Seelensee verlangt nach Leichen,
Bald liegt Mancher schwer in ihr versenkt!
Vor dem Sturme reißen hohle Wellen
Ihre Silbermünder spöttisch auf,
Und ich hör jetzt Hohngelächter gellen,
Wogen, krümmt Euch zum Zerstörungslauf.
Laßt mein Wesen, hier in Eurer Mitte,
Nur noch einige rasche Schritte gehn,
Denn das ist noch meine letzte Bitte,
Dann will ich die Todte wiedersehn!
[133]
Meine Braut muß ich am Weg ereilen,
Denn wir sind ein unzertrennlich Paar,
Jenseits muß sie einsam weilen,
Doch ich werde sie schon blaß gewahr!
Alle Leiber werden auferstehen,
Unsere Lust sei keine Sünde mehr:
Weiber, die sich dort bacchantisch drehen,
Liebe ich bei meiner Wiederkehr.
Aus des Fleisches Sinnenlustbegehren
Hat sich Menschenliebe sanft entschält
Und den Weg zu heitern Sonnensphären
Hold, aus tiefer Innbrunst, sich gewählt.
Seht das Meer, mit seinen üppigen Brüsten,
Bald besiegt es unsere Geistesmacht:
Schiff und Schiffer wird kein Sturm entrüsten,
Furchtlos schauen wir durch Wind und Nacht.
Allen Daseins Liebeskette sprengte
Einst der Erd und Sonnengegensatz,
Und er schuf Geschlechter und versenkte
Dann in beide seinen Flammenschatz.
So entstand denn gleich zwischen dem Manne,
Der das Licht auf Erden stark vertritt,
Und dem Weibe, das noch mehr im Banne
Unserer Erde weiterzieht, ein Kitt!
Wird ein Weibchen hinterrücks genommen,
Wird die Liebe ihm noch oft zum Druck,
Doch das Weib, in dem die Brunst erglommen,
Folgt beim Herzen einem Sonnenruck.
[134]
Sinn an Sinn und Blick in Blick versunken,
Sehn sich Menschen, die sich lieben, an,
Und es jubeln, zucken Seelenfunken
Durch den Mann zum Weib, vom Weib zum Mann.
Liebe können beide sich verschenken,
Liebe ist der Flamme Daseinstausch,
Muth und Gluth, die sich verschränken,
Heiligen den Sinnenrausch.
Horcht, es steigt das Glück! Laßt es verkünden:
Fleisch und Seele sind von ihm durchdrängt,
Wo sich Gluth und Erdenmuth verbinden,
Hat der Geist sich jedem Zwist entengt.
Hört, wir Menschen sind des Glückes Träger,
Da sein Feuersieg in uns gelingt,
Ja, wir find der Freiheit beste Heger,
Da ein stiller Geist das All beschwingt.
Alle Seelen sollen lieben, lieben,
Überschwang wird sündenlos gedeihn,
Denn es steht mit Flammenschrift geschrieben:
Ewig wird allein die Liebe sein!«
Auf einmal wird Orpheus Gesang unterbrochen!
Im Walde entsteht eine eigene Bewegung,
Das Herz jedes Hirten fängt an wild zu pochen,
Was tanzt und was wogt da in wilder Erregung?
Es zucken die Pinien und schlanken Zypressen,
Es fallen rings Zapfen von Ästen herab.
[135]
Was sucht sich so wild durch die Menge zu pressen?
Was donnert? Vielleicht der Bacchantenzugtrab?
Ein Schauder umhüllt nun die ganze Umgebung,
Das Feuer am marmornen Sonnenaltare
Erstickt fast im eigenen Qualme und Rauche,
Und überall knistert jetzt morsches Geäst.
Ganz plötzlich entstand die Mänadenerhebung,
Mit wallenden Schleiern und fallendem Haare,
Erscheint diese Sippe, nach bacchischem Brauche,
Verwegen und wüthend, beim orphischen Fest.
Das eint sich im Walde zum baldigen Kampfe,
Und: »Evoë, Evoë!« schallt es im Kreise,
Es reißen sich listig die jungen Mänaden
Geschwind ihre Schleier vom üppigen Leib:
Sie trabten auf Rappen, und Rossegestampfe
Verrieth schon von weitem des Weibertrupps Reise.
Sie rasteten selten, zumeist blos zum Baden,
Für solches Geblüt giebt es keinen Verbleib,
Nun rufen sie: »Orpheus, wir schlingen die Kette
Der wirksamen Liebe, von der Du berichtet,
Vom singenden Dichter zurück bis zur Wildniß,
Die Dich, so wie uns, stumm und ewig umgiebt!«
Nun engen sie auch schon die liebliche Stätte,
Wo Orpheus den Griechen Altäre errichtet,
Von überall ein und erheben ein Bildniß
Des Gottes, der Räusche und Tanzopfer liebt.
Das tollt und das singt jetzt von Fleischauferstehung,
Das wirbt um die Hirten, verspricht ihnen Ehung,
Verheißt dabei Freuden und häusliches Glück,
Und zieht sich dann bald, ohne Nachtrab, zurück. –
Wie kommt das? Du siehst plötzlich nirgends Mänaden.
[136]
Verschlang denn die Erde die tückische Rotte?
Vorbei sind die wüthenden Waldgaloppaden
Und draußen am Meere erscheint eine Flotte.
Da singt wieder Orpheus: »Unendliche Stille,
Die Stille, die Stürme als Pause verbindet,
Umweht meine Seele, – es schweigt jeder Wille,
Ich weiß wohl, was jeder schon traurig empfindet!
Ihr Freunde dort unten auf ruhenden Booten,
Mein Schicksal verwehrt Euch, am Ufer zu landen,
Ihr seid meines Todes ganz machtlose Boten,
Ihr wogt in der Windstille flimmernden Banden.«
[Jetzt greift der Sänger wieder sinnend in die Leier]
Jetzt greift der Sänger wieder sinnend in die Leier,
Es tönt: »Die kurzen Schritte, die mir noch gegeben,
Vollende ich, fast tastend schon, bei dieser Feier,
Ihr könnt sie dann nach jeder Richtung weiterleben.
Im Erdendasein giebt es nie ein ganzes Scheitern,
Ich werdet bald, was ich in Euch nur vorentwickelt,
Noch herrlicher, als ich es ahnen kann, erweitern,
Was thut es drum, wird auch mein Leib von Euch zerstückelt!
Ich danke Euch, Ihr blinden, rasenden Mänaden,
Ihr müßt ja doch in Euch von mir etwas begraben,
Ihr werdet allen wilden Haß gar bald entladen,
Und Eure Söhne werden holde Sonnenknaben!
Was Liebe und was Haß! Ich will der Flamme Wirkung!
Ich weiß, Ihr selber müßt mich wiederum erschaffen,
[137] Bald dring ich abermals in menschliche Bezirkung:
Aus Eurem Wesen wird sich meines jung entraffen!
Im andern Leben fühlen wir die Ursachen der Dinge
Und sehnen dort uns, ihre Folgen zu erblicken,
Doch sind wir hier, so ziehn wir um uns selber Ringe,
Und Kleinlichkeiten können fast den Geist ersticken.
Es will sich die Natur mit mir nicht mehr gedulden,
Ich habe Euch, was meine Seele sah, gegeben,
Nun schein ich Euch dafür auch meinen Leib zu schulden,
Damit sich Tausende von meiner Art erheben.
Ja, wer da suchen wird, sein inneres Licht zu finden,
Der ist mein Sohn, den ich mit Euridiken zeugte:
In dem wird nie die heilige Kindlichkeit verschwinden,
Ob Kummer oder Alter ihn auch niederbeugte.
Was Ewigkeit in sich verschließt kann nie veralten,
Ein Sonnensohn im Grunde nicht zum Greise werden:
Verbrüderte Geschlechter schüren und verwalten
In sich die hehre Gluth von allen Sonnenheerden.
Der Mond war ein Versuch, die Sonne zu versöhnen,
Die Erde wollte ihn der fernen Mutter schenken,
Doch kann des Mondes Licht die Nachte wohl verschönen,
Doch nicht mit Milde Erdgeschicke lenken.
Nun will die Erde einen zweiten Mond gebären,
Doch zeugt ihr inneres Erschüttern nur Propheten,
Die ihren Völkern die Entstehungsliebe lehren
Und Urgebote menschlich unter Euch vertreten.
Im Tropenlande kommt der Erdensohn stets wieder,
Um durch den Geist die Bruchnatur zu überwinden,
[138] Die Thiere selbst verstehen seine Freiheitslieder
Und alle Überhebungen in ihm verschwinden!
An unseren Gestaden kommt er urgespalten,
Den irdischweiblicheren Theil muß ich vertreten,
Der männliche wird sich viel später erst gestalten
Und durch den Geist die Thierheiten in Euch zertreten.
Da wir uns schon, durch das Geschlecht getrennt, erheben,
So müssen wir gemartert und zerfleischt verenden,
Im Land des Bären aber wird das ewige Leben
Die Flammen seiner Gnadenpracht aus Allen spenden!«
[Nun hallt es und schallt es schon wieder im Walde]
Nun hallt es und schallt es schon wieder im Walde,
Und wiehernde Pferde erscheinen am Feld.
Bacchantische Weiber durchtollen die Halde:
Das schwirrt und das zittert, das raschelt und gellt.
Das singt und das tummelt sich hurtig und munter.
Das fühlt sich tiefinnerlich sorglos und frei,
Und sprengt über Hänge, auf Hengsten, herunter,
Und plötzlich erschallt auch, gleich dreimal, der Schrei:
»Pan«! »Pan«! »Pan«!
Wie mag sich der Tag noch am Abend erheitern?
Er ist wie von innersten Gluthen berauscht,
[139]
Es werden die Wolken wie Schaaren von Reitern,
Die langsam verbluten, vom Winde zerzaust.
Das Meer ist jetzt milchig, doch Purpurgluthadern
Durchfurchen die tückische, steigende Fluch.
Die Wellen zerschellen schon rings an den Quadern,
Und Strandpfützen funkeln wie glühendes Blut.
Hört, überall donnern jetzt mächtige Wogen,
Doch willenlos wiegen sich Möwen darauf:
Jetzt naht auch die Flotte in riesigem Bogen,
Und muntere Dephinen umziehn sie zu Hauf.
Nun sind die Mänaden schon lange entkleidet,
Sie haben sich, wie sie die Fischer nur sahn,
Sogleich an dem Anblick der Knaben geweidet,,
Und allerlei Übermuthstreiche gethan.
»Pan!«
Das hatte sich längst mit den Blicken besessen,
Von ferne schon wählte sich jeder sein Weib;
Blos Orpheus steht still unter steilen Zypressen,
Doch manche Mänade begehrt seinen Leib.
Nun ruft wohl die Schönste der nackten Gestalten:
»Oh Träumer vom schäumenden, traurigen Meer,
Ergieb Dich den stürmischen Seelengewalten:
Versinkst Du bereits, denn es wird mir so schwer?
Wir spielen und wühlen in wallenden Flechten,
Oh komm und verberge darin das Gesicht,
Empfinde die Wollust von sterblichen Nächten,
Entzünde beim Buhlen des Urschauers Licht.
[140]
Wie Fluthen sich stumm zwischen Wäldern verschluchten,
So dringe Dein Wesen in unseres ein,
Wie Fluren durch Wolken der See sich befruchten,
So wird uns Dein Athemzug Hoffnung verleihn!
Ach Orpheus, Du bist eine einsame Klippe!
Ergieb Dich dem Leben, verlang nach Genuß!
Oh trinke den Jubel von fiebernder Lippe
Und freu Dich vor allem am Wollustenschluß!
Genieße das Wiegen der fleischlichen Liebe:
Es gleicht doch der Schwall einer pulsenden Brust,
Dem windeverwehenden Wellengetriebe:
Das Weib ist die See, voller Seele und Lust!
Doch Orpheus, es machen uns Klippen verlegen,
Wie Sphinxe umfragen wir stets Deinen Fels.
Doch merke Dir, stellt sich ein Ding uns entgegen,
So spricht unser Gott: Wills nicht fort, so zerschells!«
Doch antwortet Orpheus nun streng und prophetisch:
»Für Euch ist sogar unser Taglicht verhängt,
Ihr nährt ja im Geist einen giftigen Fetisch,
Der dann über Euch tausend Schicksale lenkt.
Was sprecht Ihr vom Leben, Entschleicher der Gräber?
Ihr seid nicht das Meer, Ihr Verbreiter von Gier,
Ihr Hüllen von Magen, Gedärmen und Leber,
Der Gott, den Ihr bergt, ist ein grausames Thier.
Ihr merkt wie Bestehendes langsam verschwindet
Und seht nur was fleischliche Dinge bezirkt,
Die Formen, aus denen der Geist sich entbindet,
Und nicht, was der Widerstand ewiglich wirkt!
[141]
Die Seele der Klippe, ihr stolzes Beharren,
Verdichtet sich wieder zum Keim einer Welt,
Ihr Wesen wird ferner ein Körper umstarren,
Denn nimmer vergeht, was das Urmaaß erhält.
Ihr wollt nicht die Liebe, wie ich sie verschenke,
So zieh ich denn fort aus der irdischen Brunst,
Doch wo ich Gedanken ins Dunkel versenke,
Erzittert ein bebender Funke im Dunst.«
[Gebilde von Schleiern, Gestalten und Lichter]
Gebilde von Schleiern, Gestalten und Lichter,
Wie selten sie Dichter im Überschwang sahn,
Umwallen den Schmachter. Mänadengesichter!
Sie trachten ihm ringsum mit Vorsicht zu nahn.
»Pan!«
Der Dichter begreift nur die Reinheit des Tanzes
Und liebt seinen rhythmischentfesselten Takt,
Es freut ihn der Anblick des wallenden Glanzes,
Die tanzenden Weiber find brünstig und nackt.
Der Abendwind rauscht nun im Laub der Zypressen.
Die Sonne vollendet verzückt ihre Bahn.
Die Wesen beginnen die Pflicht zu vergessen
Und alles verstrahlt einen rosigen Wahn.
»Pan!«
Jetzt greift noch der Sänger mit Kraft in die Saiten,
Um stolz durch den Klang seinen Sang zu begleiten:
[142]
»Oh Freunde und Feinde!« ertönt es: »Ich bitte,
Vergebt mir die letzten entscheidenden Schritte,
Es hat sich die Gluth, die ich eben verschwendet,
Unfaßbar vom Lieben zum Streiten gewendet.
Schon hör ich den Kampfruf im Walde erschallen
Mänaden gewinnen und Jünglinge fallen.
Ich sehe die Leiber die Felsen erklettern
Und kühne Gestalten im Thale zerschmettern.
Verzeihung, Verzeihung, Ihr holden Genossen,
Ich habe das Blut Eurer Unschuld vergossen!
Doch seht auch die Flammen der Liebe aus allen,
Als feurigen Samen, der Erde entwallen!
Bestaunt Euren glühenden Gürtel der Zucht,
Erwühlt Eures Innenlichts ruhige Wucht!
Ich fühle die Kraft, mich in allen zu fühlen,
Es können sich Seelen voll Schauer bespülen,
Wir müssen uns freudig das Erdglück versagen,
Und Wahrheit durch muthige Thaten erwagen!
Es schwellen die Fluchen. Es strahlt unser Licht.
Es üben die Gluthen im Menschen Gericht!
Oh seht die Tragödie, nach der ich mich sehne.
Es bildet sich rings eine riesige Szene.
Die Berge, die starr in das Wolkenmeer wuchten,
Verhüllen nun langsam auch unsere Schluchten:
Das Schicksal beginnt sich bereits zu drapieren,
Es will nicht sein tiefes Geheimniß verlieren.
Die Tragik tragt nie ihre Nacktheit zur Schau,
Ihr Bildniß erscheint uns in marmornem Grau.
Die Berge beherrschen das Drama der Thaler.
Sie scheinen mir schreckliche Zukunftsverhehler,
Und hüllen sich nun in ein Dunstgewand ein,
Um wortlose Schicksalsbetrachter zu sein!«
[143]
Jetzt träumt und besinnt sich der sehende Dichter,
Dann sieht er im Dämmerschein innere Lichter:
Das Wesen der Berge, der Menschen und Dinge,
Erscheint ihm, als ob es sich innig verschlinge.
Es fühlt, seine Seele ums All sich erweitern,
Und Schreckliches kann ihn auf einmal erheitern,
Er greift jetzt noch tiefer ins Gold seiner Saiten
Und singt voller Milde: »Verschwindet, Ihr Zeiten
Entwickelter Wünsche und schneller Affekte,
Die einstens die Urgier des Chaos erweckte;
Ich furchte Euch nimmer, Ihr Dunstelephanten,
Ihr Rüsselbeschnüffler von Felsrückenkanten.
Ich trotze den Riesen und Nebelgischtbären,
Es wird sie das Licht meiner Leier verzehren.
Ihr Albatroßschaaren am blutigen Meere,
Ihr Thauwindflamingos und SchaumEiderheere,
So kommt mir doch näher! Ich will Euch belehren
Und allen die Gluth meiner Liebe gewähren!
Ihr Tigergespenster aus sumpfigen Auen,
Erscheint, denn ich will Euer Katzenfell krauen.
Delphine, durchschwimmt unsere geistigen Fluthen,
In denen Gesänge, wie Sonnen, verbluten!
Vernehmt es ihr Sperber und Schwäne, ich sterbe,
Ich sterbe, ich sterbe, ich weiß, ich verderbe!
Ihr Windwölfe heult nicht, ich athme ja schwer:
Es werfen sich Panther, zu paaren, ins Meer.
Oh Leier, mein Lied, oh beschwöre die Löwen.
Zerreißt mich nickt, weibliche Sammtleoparden:
Zurück vor dem flammenverheißenden Barden!
Mein Gott, ich vermag nun mein Lied zu gewahren,
Es glimmt und es strähnt sich zu goldenen Haaren,
Es steigt in die Mähnen von Nordlichtgeschlechtern,
[144]
Von geistigen Kempen und Wahrheitsverfechtern.
Es bleicht und es weicht schon die nächtliche Bräune,
Der Lenz meines Liedes erweckt alle Zäune.
Die grünenden Bäume beginnen zu blühen,
Und Kühnheit in Jünglingen hold zu erglühen.
Ich kann meine strahlenden Völker verkünden,
Ihr herrliches Werden im Weltschooß ergründen.
Es. steigt ja die Gluth, die das Weltall vereinigt
Und Seelen von thierischen Nachtlastern reinigt!
Ein nordlichtgestaltetes, sprühendes Leben,
Ein mündiges Volk mit beflügeltem Streben
Verleiblicht mein brünstig empfundenes Lied,
Und seht doch, schon seh ich wie alles geschieht!
Die Erde verbildlicht sich rings in Gestalten,
Die männlich ihr Wahrheitsgut sehn und verwalten.
Sie scheinen im Rahmen des Tages zu ruhn
Und schon durch ihr Dasein die Erbpflicht zu thun.
Ihr Wesen beflügelt unendliche Thaten.
Aus Allem erhebt sich ein klares Gerathen.
Die Umwelt empfängt ihre geistige Nacht:
Durch sie ist Vollendung und Dauer erwacht!«
Es sinkt nun der Dichter ekstatisch zur Erde
Und küßt sie und ruft: »Jede Wesensgebärde,
Der Weg jedes Thieres, das auflauernd geht,
Der Biß einer Schlange, wird hier zum Gebet!
Ich danke Euch Feinden des menschlichen Leibes
Und sorglosen, dämmerigen Urwaldverbleibes,
Ihr habt uns verdoppelt und höher gebracht,
An Euch aber haben wir gar nichts vollbracht!«
Nun sucht eine Geierschaar Orpheus die Leier,
Voll Gier, zu entreißen. Der Wesensbefreier
Jedoch hat sich wieder vom Boden erhoben,
[145]
Um Freunde und Feinde unsäglich zu loben:
Es schmeicheln sich Tiger nun allseits heran
Und Pfaue umschwärmen den sehenden Mann,
Nun singt er: »Es haben mich tausend Gewalten,
So Feinde, wie Freunde, im Dasein erhalten,
Und ging ich mit Euch durch den herrlichsten Wahn
So lenkten mich Böse auf fruchtbarer Bahn!«
Da tönt es im Umkreise: »Pan!«
Doch Orpheus singt weiter: »Ihr treuen Helennen,
Ihr sollt Euch das orphische Völkervolk nennen!
Doch ändert sich bald der Geschlechter Gehaben.
Mein Lied aber wird keine Zukunft begraben.
Ich sehe ihm allerhand Fremdlinge nahn.
Der orphische Sang ist ein weltweiser Schwan.«
Da tönt es im Abendwald: »Pan!«
Und Orpheus fährt fort: »Alle späteren Rassen
Beginnen von heute an Wurzel zu fassen,
Was kommen wird, stamme vom Orphischen Tage,
An dem ich zu sterben und Ich zu sein wage.
Drum müßt Ihr mich jetzt noch dem Martertod weihn,
Sonst wäret Ihr nimmer vom Vatermord rein.
Denn würde, schon morgen, von orphischen Sprossen
Das Blut meines Leibes, auf Erden, vergossen,
So wäre die Menschheit für immer verflucht,
Und ich habe Unschuld zu hegen versucht!«
[Es ist nun die Sonne gesunken]
[146]
Es ist nun die Sonne gesunken,
Das Licht in den Fluchen ertrunken.
Es rauschen der Wind und das Meer.
Das Brausen tönt doppelt und schwer.
Der Tag hat durch Übel verdrossen,
Ermüdet, sein Auge geschlossen;
Wie Wimpern zusammengepreßt,
Verschließen es Windwolken fest.
Der Abend ward gar nicht betrachtet.
Man hat nur nach Liebe geschmachtet,
Und blos durch Gefühle berauscht,
Kaum halb auf den Sänger gelauscht.
Doch geht jetzt ein mildes Verstehen,
Wie Ruhe vor großem Geschehen,
Voll Angst, durch den dunkelnden Wald:
Du lauschst, ob kein Urruf erschallt!
Der Wind springt nun lustig durch finstere Gefilde,
Und heitre Mänaden beginnen ihr Lied:
»Oh Sänger der himmlischen Liebe und Milde,
Verschenk Dich der Nacht, da die Helle verschied.
Erzähle, warum diese lustigen Winde,
Auf einmal ein panisches Klagen durchkreuzt.
Dein Lied, holder Sänger, ist sicher und linde,
Und doch hast Du oftmals aus Schwermuth geseufzt!
[147]
Es scheinen sich Winde und Lieder zu gleichen.
Sie suchen die Liebe, die allseits entrinnt.
Dein Schmachten und Singen wird gar nichts erreichen.
Oh, sei uns doch huldvoll und freundlich gesinnt.
Ach Orpheus, gedenke der einsamen Nächte!
Wie war Dir so oft vor dem Einschlafen bang!
Du hofftest, daß Schlummer Dir Glücksstunden brachte,
Bis plötzlich ein Seufzen Dein Athmen durchdrang.
Oft hatte ein Traum Deinen Odem durchdrungen,
Dann seufzte Dein Liebchen, als wär es erwacht,
Doch Du hast es hold, halb im Schlummer, umschlungen,
Und rasch Herz und Athem zu Ruhe gebracht.
Es sind unsere Lieder das Stöhnen im Walde.
Erhör uns, daß Sehnsucht uns nimmermehr täusch.
Wir schmachten, wir lieben, wir sterben so balde:
Es liebt und es leidet das ewige Geräusch!«
»– Orpheus! –«
[Es wurde Nacht. Verdeckt sind Sterne und Mond]
Es wurde Nacht. Verdeckt sind Sterne und Mond.
Die Hirten liegen um Orpheus lauschend gelagert.
Es wird alle Schroffheit ringsum schwarz betont.
Es scheinen Cypressen beinah abgemagert.
[148]
Ein Jüngling spricht: »Ach Orpheus, milder Meister,
Oh sag, wozu entschließt sich die Natur,
Wo bleibt denn jetzt der Sang der milden Geister,
Der Liederhauch, der sanft vorüberfuhr?!«
Und Orpheus sagt: »Mein Herz ist arg beklommen,
Es harrt ein Sturm im dunklen Wolkenmeer,
Es hat mein Seelensehn sein Nahn vernommen
Und um Euch alle ist mir bang und schwer.
Sahst Du am Abend nicht die Sonnenspangen?
Sie hielten Wolken wirksam eingepreßt.
Da ist die Furcht vor Sturm in mir vergangen,
Doch wehe, wenn der Tag uns gar zu jäh verläßt!«
Was glitzert jetzt auf einmal durch den Wald?
Mänaden scheinen Feuer anzufachen.
So Manche hat die Rüstung umgeschnallt
Und denkt sich wohl zum Kampf zurecht zu machen!
Jetzt hört man gruppenweise Weiber lachen.
Nun aber plötzlich gar nichts mehr im Wald.
Doch was? Nun scheint man Fackeln zu erheben!
Wer hat sie, Fäusten gleich, emporgeballt?
Mänaden oder wer? Was fängt dort an zu beben?
Ach nein, das ist noch nicht der wilde Sturm!
Es wackelt wohl schon mancher Dunkelthurm,
Und es entkriecht ihm auch sein Wolkenwurm.
Doch meistens legt sich der um Felsenkuppen,
Als wäre so ein Gipfel sein Gehäuse.
Auch hängen dort verschiedene Wolkengruppen,
Wie schlafumfangene, dunkle Fledermäuse.
Da spricht der Dichter: »Stürme, fangt doch an zu heulen!
Die Wolken, die die Hügel überdachten,
In deren Schutze stumme Riesen übernachten,
Erzittern schon und ringsum stürzen Säulen:
[149]
Entsetzlich ist es, einen Einsturz zu betrachten!
Begänne doch das Sturmeswüthen und das Schlachten!«
[Oh Nacht, oh unendliche, herrliche Nacht]
Oh Nacht, oh unendliche, herrliche Nacht,
Bald wird Dir die Menschheit Genesung verdanken!
Du fügst ja, was stürmisch vom Lichte entfacht,
Ursprünglich, lebendig, auf Erden, erwacht,
Allmächtig, allmählich, in zwingenden Schranken!
Du willst alle Stürme des Tages entladen!
Du suchst Deine Ruhe in ewigen Kreisen!
Du singst Deiner Schönheit unendliche Weisen,
Um stumm Deine stille Vollendung zu preisen!
Es dichtet der Sänger: »Ihr mögt mich zerreißen,
Es siege die seelig erhabene Nacht,
Ich habe den Menschen ein Machtwort gebracht,
Nun sollen es Andere rauschend verheißen:
Schmerzstillende Mutter, am Ende der Schlacht,
Oh Nacht, wiederringsumgestirnte Nacht,
Ich kann Dir allein mein Geheimniß beklagen,
Wer Bacchus ist, Dir, die es ahnen muß, sagen,
Denn Er ist so alt, wie Du selber, oh Nacht:
Und wo Deine Jugend im Urwalde lacht,
Ist Bacchus in Sternen und Blumen erwacht.
Er ist ja die Schönheit und Reinheit der Dinge,
Der Schmelz alles Frischen, die Würde des Alten,
Der Ewigkeit alles durchdringendes Walten:
Oh laß, daß ich Bacchus, erbleichend, besinge!
[150]
Oh Dionys, Liebe des Mannes und Weibes,
Gynandrische Sehnsucht der beiden Geschlechter,
Enthüllung der Weiche des weiblichen Leibes,
Geschickeverflechter und Freund von Gelächter,
Erfüllung der Reize erblühter Epheben,
Asketenverächter und Traumpalastwächter,
Du Wiedergeburt und Du ewiges Leben,
Oh, lasse mich jetzt durch Dein Seelenreich schweben!
Oh goldener Gott, große Sonnenerscheinung,
Du endliche Streiter und Heldenverneinung,
Du männliche Wärme, Du Erdenentspriessen,
Ich konnte Dich lange als Wandrer gemessen.
Nun schicke den Thau, Deinen himmlischen Regen!
Eröffne die Erde. Ich forsche nach Wegen
Zum Reich des Empfangens und Wonneverlangens:
Es will sich der Wandrer zu Wartenden legen!«

Ende des Intermezzos.

[151]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Däubler, Theodor. Versepos. Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe). Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe). Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6B2B-A