Fünfter Teil

[275][277]

Subskriptionsanzeige

Einige Leser, die ein gutes Gedächtnis haben, erinnern sich vielleicht noch des Wandsbecker Boten. Ich habe von seinen Sämtlichen Werken anno 1783 denvierten Teil herausgegeben, und bin willens wieder einen herauszugeben. Freilich, wenn man den öffentlichen Gerüchten trauen darf, sind der Nacht und Nebel, darin unsereiner sich sonst mit durchgeschlichen hat, seitdem hinweg und vertrieben, und es ist heller lichter Tag, so daß die Eule leicht unter die Krähen fallen könnte, und 'n Laie sich eigentlich wohl hüten sollte, das fünfte Rad am Wagen zu machen. Aber, bei der Schriftstellerei hüte sich einer für das erstemal. Wer einmal geschrieben hat, kann hernach schwerlich schweigen; das »Küchlein im Ei« rührt sich immer, pickt, und will heraus. Und was die Lichthelle anlangt, da hört man ja von der lauter Rühmliches, so daß man sich unmöglich vor ihr fürchten kann. Ich zwar glaube, daß hell und gut zweierlei sind, daß die Wurzel vor der Frucht sein müsse, und daß es besser sei, im Dunkeln Gutes tun, als bei Tage Böses. Wenn sie das aber anders wissen, und eins, wie sie sagen, aus dem andern folgt; desto besser, und was denn für Sorge?

Ich will also, wie gesagt, den fünften Teil herausgeben. Kupfer verspreche ich diesmal nicht, ob sie gleich in meinem Büchlein eine Hauptsache sind; übrigens wird, an Papier und andern Inhalt, dieser Teil circa sein wie die vorigen. Zu Johannis, oder vielleicht noch vorher, soll er fertig werden, und 1/2 Tlr. hiesiges Geld, oder 14 gr., Louisdor à 5 Tlr., kosten.Will jemand so gut sein und Subskription oder Pränumeration annehmen, und Anfang März, wie sonsten, an den »Homme de lettres Matthias Claudius à Wandsbeck« einschicken; so ist er sehr gebeten. Gradezu und unbesehends mag ich niemand darum angehen; und so kann ich nicht sagen, wer hie oder da annehmen wird. In Japan nimmt der Hofmarschall Albiboghoi an.


Wandsbeck, den 15. Dez. 1789

Asmus.


(Siehe die Hamburger Zeitungen vom 18. und 19. Dezember 1789.)
[277]

Vorrede

Das »Große Hallelujah« pag. 291 habe ich für die Musik gemacht; und von der allein kann es seinen Wert erhalten, wenn es an den rechten Mann kommt.

Die »Apologie des Sokrates« ist aus dem Griechischen übersetzt. Da man itzo nicht überall solche Reden führen hört, als Sokrates hier führt; so habe ich es für nötig und nützlich gehalten, auch sie meines Orts in Andenken zu bringen. Zugleich soll diese Übersetzung ein Opfer sein, das ich demütig den Manibus dieses Menschen bringe. Für die welche es nicht wissen muß ich noch aus meinem Lexikon eine Sitte beim Gericht zu Athen anführen. »Wenn ein auf den Tod Angeklagter von dem Gericht, das aus fünf – bis sechshundert Personen bestand, des Todes schuldig erkannt war; so konnte er sich selbst eine Strafe zuerkennen, Gefangenschaft, Verbannung oder eine Geldstrafe.« »Und denn deliberierte das Gericht wieder: ob diese Strafe angenommen werden oder es bei der Todesstrafe bleiben solle.« Auf das erste bezieht sich der zweite Absatz der Apologie, und auf das andre der dritte. Ich hatte den Sokrates allgemein und von so vielen rühmen und preisen hören. Aber es kommt mir doch nicht vor, als wenn er ihrer Meinung wäre; wohl aber, daß die Apologie überhaupt nicht am unrechten Ort stehe.

Pag. 342 ist das Lied, mit dem die Wandsbecker ihren Kronprinzen im Jahr 1787 hier bewillkommen und ehren wollten; und sie haben mich gebeten, es als ein Denkmal der Liebe und Treue, nur unter meinem Namen, mit einzurücken.

Die »Zwei Rezensionen in Sachen etc.« sind schon einmal öffentlich gedruckt und gedrückt worden. Ich habe sie hier wieder drucken, und bin auch erbötig sie wieder drücken zu lassen.

Die »Weihnachtkantilene« hat der Hr. C.M. Reichardt 1784 in Musik gesetzt, und einen Klavierauszug davon herausgegeben.

Der Brief pag. 367 ist an Andres.

Und damit wäre denn mein V. Teil fertig. Und wenn er den Herren Subskribenten und andern Lesern so gut wäre, als ich wollte daß er ihnen sein möchte; so wäre mir's lieb. Lob verlange ich nicht, und verdiene auch nicht. Denn das Beste darin gehört andern Leuten.

[278]

Die Mutter am Grabe

Wenn man ihn auf immer hier begrübe,
Und es wäre nun um ihn geschehn;
Wenn er ewig in dem Grabe bliebe,
Und ich sollte ihn nicht wiedersehn,
Müßte ohne Hoffnung von dem Grabe gehn – – –
Unser Vater, o du Gott der Liebe!
Laß ihn wieder auferstehn.

Der Vater

Er ist nicht auf immer hier begraben,
Es ist nicht um ihn geschehn!
Armes Heimchen, du darfst Hoffnung haben,
Wirst gewiß ihn wiedersehn,
Und kannst fröhlich von dem Grabe gehn.
Denn die Gabe aller Gaben
Stirbt nicht, und muß auferstehn.

Über die Unsterblichkeit der Seele

I

Wenn die Seele des Menschen unsterblich ist, Sire; so muß es davon Beweise geben, die keinen Zweifel übriglassen. Ich kann nur vor der Tür der Wahrheit fegen.

Die Natur hier bei uns auf Erden ist in beständiger Bewegung, und ihre Gebärde ist heute nicht wie gestern und ehegestern. Alles wandelt und wogt. Doch die verschiedenen Spezies in allen 3 Reichen bleiben unbeweglich, und stehen wie Fixsterne in diesem wogenden Meer. Ulysses' und Tobias' Hündlein wedelten schon mit dem Schwanze; der Kürbis rankte schon vor Ninive, und das Gold ist und bleibt 19mal schwerer als das Wasser. Weil die Natur, wie man spricht, keinen Sprung tut, so muß sie freilich durch allerhand Verwandlungen zum Ziel gehen, und läßt, auf dem Wege dahin, verschiedene Gestalten sehen; aber wenn die Spezies, die sie im Sinne hat, vollendet ist, so geht sie nicht weiter. Sich selbst gelassen geht sie nicht darüber hinaus, [279] und bleibt, wenn sie nicht gestört wird, nicht diesseits stehen. Ist die Spezies vollendet, so macht sie Feierabend, und sorgt nur für ihre Erhaltung; und wenn sie die Individua derselben nicht erhalten kann, so substituiert sie, auf die wundervolle Art und Weise, immer andre Individua, um so der Spezies eine Art von Ewigkeit zu verschaffen.

Es gibt zwar berühmte Gelehrte, die anders meinen und der Natur einen andern Plan ausgedacht haben. Ihnen sind die Spezies nur Ruhepunkte und Stufen, wo die Natur sich, sozusagen, besinnt und ausruht, um von da weiter, und immer vom Geringern zum Bessern und Vollkommnern vorwärts zu gehen; so daß z.E. aus einer Auster ein Krokodil, aus einer Mücke ein Kolibri etc., und aus den vollkommensten Tieren endlich gar Mensch und Engel werden könnten.

Diese Meinung ist artig genug erfunden; nur das erste und Hauptsächlichste dagegen ist, daß sie nicht wahr ist. Aus den Hühnereiern kommen nimmer Fasanen, sondern immer wieder Hühner hervor. Das ist die Beobachtung neuer und alter Zeiten, und die Chineser 49 beweisen grade aus dieser Einrichtung das Dasein eines unendlichen Verstandes. Auch Noah muß die alte Meinung gehabt haben; er hätte sonst viel Mühe und Raum sparen können.

Die Natur schreitet so wenig von einer Spezies zu einer andern und vollkommnern fort, daß sie auch, wie gesagt, dieselbe Spezies nicht ändert und vollkommner macht. Die aufeinander folgenden Individua derselben sind und bleiben sich gleich, an Gestalt, Proportion, Talent und allen Eigenschaften und Neigungen, Sitten und Weisen. Die Herbstspinne spann schon bei den Römern ihr Gewebe in der wundersamen mathematischen Form mit Peripherien, Radien und Centro, und Aelianus bemerkt schon, daß sie bei diesem Kunstwerk den Euklides nicht nötig habe; er erzählt weiter von ihr, sie sitze in dem Centro ihres Gewebes und laure dem Raub auf, grade wie wir sie nach tausend und mehr Jahren noch sitzen sehen. Die wunderliche Sitte des Kuckucks ist bekannt, er legt nämlich sein Ei in das Nest eines andern Vogels und fliegt denn davon, und läßt den andern Vogel sein Ei ausbrüten [280] und den jungen Kuckuck großfüttern; dies ist aber nicht etwa eine Erfindung der spätern Jahrhunderte unter den Kuckucks, sondern sie haben es schon immer so gemacht, wie eben der Aelianus erzählt. Die Krähen hassen schon die Eule im Plinius, und kreischen schon das Regenwetter her im Virgil; die Schwalben kommen schon im Homer zu den Menschen ins Haus; die Ameise ist schon fleißig im Sirach, und der Pfau trägt noch die funkelnden Edelgesteine 50, damit ihn die Juno zu des uralten Inachus Zeiten aufstaffierte. So ist es immer gewesen und so wird es bleiben, und sicherlich war, in der langen Reihe von Elefanten, die von Anfang bis zum Ende durch die Natur hintereinander hergehen, der, der mit dem Rücken am Chaos steht, wie der, der seinen Rüssel in die Trümmer des Jüngsten Tages ausstrecken wird.

Sonach wären die Spezies vielmehr als Modelle anzusehen, die der Natur im Anfang von höherer Hand aufgegeben sind, sie unverändert durchzuführen. Sie läßt es auch an ihr nicht fehlen, und exekutiert diese Modelle immerhin mit dem größten Fleiß und der größten Genauigkeit. Ja, sie ist auf die unverletzte Erhaltung derselben so eifersüchtig, daß sie den Versuchen sie zu ändern und zu wirren ihren Segen versagt; denn es ist bekannt, daß die Maulesel und überhaupt alle Bastarde nicht weiter generieren können.

Wenn die Resultate von den verschiedenen Bewegungen der gebärenden Natur immer einerlei und dieselben sind; so sind es natürlich die Bewegungen selbst auch. Und, mit einem Wort, in der ganzen Natur, so herrlich und so bewundernswürdig ihre Operationen sind, ist alles unbeweglich und niet – und nagelfest. Alles in ihr ist einem Gesetz der Notwendigkeit unterworfen, davon sie nicht abgeht und ohne eine fremde Hand nicht abgehen kann.

Der Mensch allein macht eine Ausnahme. Der istbeweglich! Und das gestehen ihm auch die zu, die eben nicht geneigt sind, ihn unsterblich sein zu lassen. Es fällt niemand ein, von der Aufklärung der Walfische etc. zu sprechen; aber sie sprechen alle von »Erziehung des Menschengeschlechts« von seinermoralischen Bildung und Veredelung, von finstern und erleuchteten Jahrhunderten usw. Und ob sie wohl, über diese Beweglichkeit und Bewegung, über diese Veredelung und Erleuchtung, nicht alle[281] recht und einerlei berichtet zu sein scheinen; so ist doch über die Sache selbst nur eine Stimme. Nun ein Teil vom Menschen gehört mit zu der Natur, und insoweit folgt er ihren Gesetzen. Es muß denn also in ihm zugleich noch etwas anders sein als in der ganzen Natur.

Schon auswendig übt der Mensch eine Art von Herrschaft über die Natur aus, und er scheint auch vor allen sichtbaren Geschöpfen dazu berufen zu sein. Er läßt nichts unversucht, so klein er ist, und ihm nichts unmöglich. Er umschiffet die ganze Welt, mißt Himmel und Erde, bändigt alle Tiere und Pflanzen, Feld und Wald, Berg und Tal, Bach und Strom, und die Wogen des Meeres. Er macht in verschiedenen Operationen, z.E. den Einimpfungen und andern, die Natur mehr tun, als sie allein kann und allein je getan hätte, und disponiert also über ihr Gesetz. Es ist denn nicht allein etwas anders im Menschen als sonst in der ganzen Natur, sondern dies anders ist auch mehr als die Natur, und über dieselbe.

Wenn wir nun sichtbarlich keine Erfahrung von Tod und Sterben haben, als in und an der Natur; so ist wenigstens seine Sterblichkeit durch nichts erwiesen. Und wir, die wir ihn unsterblich glauben, haben den Beweis seiner Unsterblichkeit nicht zu führen, sondern die andre Partei muß beweisen, daß er sterblich sei.

II

Das wäre aber im Grunde wenig, und nur im Zeremoniell gewonnen; und wem daran noch gelegen ist, der hat Zeit bis es ihm näher kommt, und er den Kopf, der Sache wegen, krank und bekümmert stützen lernt.

Indes so ganz allein liegt, was bisher gewonnen ist, nicht im Zeremoniell.

Der Tod wird zwar als ein Knochenmann gemalt, aber er ist eigentlich kein Mann; sondern was wir Tod und Sterben in der Natur nennen, ist ein Effekt, eine Erscheinung, die, an dem Dinge das stirbt, durch andre Naturkräfte hervorgebracht wird. Soweit also der Mensch der Natur angehört, kann er freilich durch die Kräfte der Natur sterben, und sie läßt sich auch ihr Recht nicht nehmen. Aber das etwas anders im Menschen wie sollte das durch die Kräfte der Natur sterben können? Es ist ja über die Natur, und etwas anders.

[282] Wir erfahren auch, auf mancherlei Weise, daß sie darauf keine unmittelbare Würkung habe. Finsternis und Licht, Kälte und Wärme, Stille und Sturm, Regen und Sonnenschein und andre ihre Kräfte, würken zwar mächtiglich auf unsre Sinne und Empfindung, aber auf das andre Etwas nicht unmittelbar. Wir können, ceteris paribus, im Dunkeln so gut denken als bei Licht, und einige Leute machen die Augen zu, wenn sie nachdenken wollen; im Regen so gut als bei Sonnenschein; wir können im Winter so gerecht sein als im Sommer, im Sturm das Gute so liebhaben als bei stillem Wetter. Wenn also die Natur keine Würkung auf uns hat – denn das andre Etwas sind eigentlichwir, und das übrige von uns ist nur unser Gehäuse – wenn sie also keine unmittelbare Würkung auf uns hat; so haben wir von ihr nichts zu fürchten.

Doch der Mensch ist noch auf eine andre und nähere Art, in und durch seinen Körper, mit der Natur verbunden, und dadurch ihren übrigen Kräften mittelbar ausgesetzt. Und hier liegt der Sphinx! – und hier ist eigentlich die Arena für die Kämpfer um seine Unsterblichkeit.

III

Wir können zwar mit unsern Gedanken vom Nord – bis an den Südpol und bis an das äußerste Meer fliegen, aber das fühlen wir doch, daß die Quelle unsrer Gedanken in unserm Kopf ist; wir können zwar unsre Liebe bis an der Welt Ende und bis über die Sterne hin ausströmen, aber das fühlen wir doch, daß die Quelle unsrer Liebe in unserm Herzen ist. Also in unserm Körper sind wir mehr und anders, als an irgendeinem andern Ort. Wir müßten denn in uns hineinblicken, um der Heimlichkeiten etwas gewahr zu werden.

Wie es aber überhaupt beim Sehen sonderlich aufs Auge und den Seher ankömmt, und ein jedweder nicht nur seinen eignen Regenbogen sondern auch seine eigne Sonne und seinen eignen Mond sieht; so geht es auch hier, und geübte Seher sprechen von ganz andern Dingen, als die wir ungeübte sehen können. Zwar kann auch wohl in einzelnen Fällen ein anders zu sehen sein; das aber sind einzelne Fälle, und ist für sich.

Was gewöhnlich zu sehen ist, und was auch ein jedweder sehen kann, ist: daß wir in unserm Inwendigen aus zwei Kräften bestehen die uneins sind, und sich einander bestreiten – die eine [283] hoher Natur, die von Unsterblichkeit und dem Unendlichen, von einer höchsten Vollkommenheit, Weisheit, Güte, Gerechtigkeit, Ideen und Ahndungen hat, und Lust hat nach dieser Regel einherzugehen, die aufwärts strebt,Wahrheit sucht, und alles ergründen will – aberunter dem Einfluß einer andern die sie überall hindert und ihr überall im Wege ist, die ihr Licht und Luft dunkelt und färbt, die ungestüm und unbändig ist, sich nicht sagen läßt, und auf dem Bauche kriechen und Staub essen will.

Der Funke wird von der Asche gedrückt! DerMond ist im Schatten der Erde!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und sie stehen und schreien und klappen in den Kessel ihrer Philosophie und Moral, um ihm aus der Not zu helfen; indes er, nach ganz andern Gesetzen, bleibt oder herausgeht.

IV

Sire, wenn es nie keine tugendhafte Menschen gegeben hätte, ich wäre erlegen und hätte verzweifelt, bei der Übergewalt des Erdschattens in unsern Herzen. – Aber diese große Menschen haben mich gelehrt, daß die menschliche Seele unsterblich sei, und unüberwindlich wenn sie es sein will und nur den Mut hat sich ihrer edlen Haut zu wehren.

Und diese ihre Unsterblichkeit kommt uns nun überall entgegen, und an allen Ecken wo wir nur den Zipfel aufheben und sie berühren.

Sie hat einen innerlichen Trieb, ein angebornes Verlangen unsterblich zu sein. Dies Verlangen äußert sich freilich selten auf eine reine Art, und die Unsterblichkeit, nach der wir Menschen streben, ist die meiste Zeit sehr sterblich. Das aber ist nur ein Irrtum in der Anwendung, und das Verlangen ist nichtsdestoweniger da.

Allemal wo wir einen angebornen Trieb finden der nach einer Sache treibt, finden wir auch eine konveniente Disposition und Übereinstimmung zwischen beiden, so daß der Trieb befriedigt werden, oder eine Vereinigung geschehen kann. Wie könnte die Natur auch so irren, und Triebe zu unmöglichen und wiedersprechenden Dingen geben? Aber die Vereinigung kann nicht allein geschehen, sondern sie soll nach der Natur der Sachen auch geschehen, und würde geschehen, wenn ihr kein Hindernis [284] im Wege wäre; und der Trieb ist im Grunde nichts anders als die Empfindung dieses Verhältnisses bei den Dingen die Empfindung haben, und das Verhältnis selbst bei denen die sie nicht haben.

Im Mittelpunkt der Erde z.E. haben die Körper keine Schwere; wenn ich aber eine Kugel an einem Faden aufhänge, auf die Hand oder auf sonst etwas lege, so drückt sie in grader Linie gegen den Mittelpunkt der Erde, denn sie wird gehindert dahin zu kommen. Ein Gewächs, eine Pflanze, die in freier Luft steht, wächst und steht aufrecht; stelle ich sie aber ins Zimmer, daß also die Einflüsse der Luft und Sonne gehindert werden, sie, wie es sein sollte, von oben frei zu treffen, so beugt sie sich gegen das Fenster. Wenn ein Fisch im Wasser ist, so hat er kein Verlangen nach dem Wasser, sondern läßt sich's wohl darin sein; wirft man ihn aber aufs Land, so fühlt er daß er nicht ist wo er seiner Natur nach sein sollte, und springt und zappelt.

Wenn also wir Menschen ein angebornes Verlangen nach Unsterblichkeit haben; so ist klar, daßwir, in unsrer itzigen Lage, nicht sind wo wir sein sollten. Wir zappeln auf dem Trocknen, und es muß irgendwo ein Ozean für uns sein.

V

Und dies setzt denn die Idee: von Unsterblichkeit und einem unendlichen Wesen etc., die in uns ist, vollends außer Zweifel. Der Mensch hat offenbar diese Idee, denn alle Völker sprechen von einem Gott! Und woher hat er sie? – Die ganze Natur mit allem was in ihr ist kann sie ihm nicht geben.

Man sagt zwar, der Mensch habe sich aus den tausend endlichen Halmen eine unendliche Garbe zusammengebunden, er steige auf den Begriffen endlicher Dinge, wie auf einer Leiter, zu dem Begriff des Unendlichen hinauf etc. Aber erstlich ist das gewiß, daß sich aus endlichen Halmen kein unendliches Ganze machen läßt, und was die Leiter anlangt, die, wie sie hier steht, ziemlich kurz und unsicher ist, so muß einer vorher schon wissen wo er hinsteigen will ehe er die Leiter ansetzt. Man zerstückele einmal den Äquator in 1000000 Teile, und gebe sie jemand hin der nie von einem Zirkel gesehen oder gehört hat, ob er wohl eine Peripherie daraus zusammenbringen sollte. Und das Gleichnis hinkt gewaltig.

Alle Bilder, die in die Sinne fallen und so in den Menschen [285] kommen, können ihm jene Idee nicht geben; denn was einer nicht hat kann er auch nicht geben.

Aber, am Ende finden doch die Menschen Gott aus der Natur; die Philosophen beweisen ihn daraus, und andre Leute sehen die Sonne und Himmel und Erde an, und denken: das muß ein großer Herr sein der sie gemacht hat. Es muß also die Idee des Unendlichen durch das Endliche doch veranlaßt werden können.

Allerdings, Sire, allerdings kann der endliche sichtbare Vorhang die Menschen an einen unsichtbaren unendlichen, der hinter ihm steht, erinnern, und gewißlich ist er dazu niedergelassen, und gebe Gott, daß er für keinen Menschen umsonst niedergelassen sei. Aber darum bleibt es ewig wahr, daß die endlichen Dinge diese Idee nicht geben können.

Wenn das Bild eines Baums, eines Jägers, und andre Bilder der äußern Natur ins Wasser fallen, so veranlassen sie darin kein Bewußtsein; wenn aber dieselben Bilder in das Auge einer Ente die auf dem Wasser sitzt oder andern Tiers fallen, so veranlassen sie ein Bewußtsein dieser Bilder. Warum? – Das Tier hatte schon die Fähigkeit, und sie wird durch die Bilder nur bewegt und modifiziert. Die äußre Natur veranlaßt bei den Tieren die Idee des Unsterblichen des Unendlichen nicht etc. aber beim Menschen tut sie es. Also –

Es hat neulich ein sehr scharfsinniger Philosoph 51 gezeigt, wie nur das Bedingte eigentlich demonstriert werden könne, und wie: das Unbedingte demonstrieren wollen, gradesoviel sei, als die Perle erst ins Wasser hineinwerfen, um sie dann wieder herauszufischen; und er sagt sehr recht, »daß das Unbedingte auf keine andre Weise von uns angenommen werden könnte, als es uns gegeben ist, nämlich als Tatsache – es ist.«

Ich frage nun, wie ist es uns als Tatsache gegeben? – Entweder das Unbedingte muß es unsrer Seele selbst geben, oder sie muß die Idee in sich haben. In beiden Fällen steht es um ihre Unsterblichkeit sehr wohl. Ich will aus Bescheidenheit nur den letzten Fall annehmen.

Die Idee von Unsterblichkeit und dem Unendlichen etc. ist also inwendig im Menschen, und die sinnliche Welt, die sie ihm nicht geben konnte, kann sie ihm auch nicht nehmen; und da diese Idee in ihm von den Eindrücken der sinnlichen Welt nicht abhängt, so würde sie in ihm sein, wenn keine sinnliche Welt[286] wäre, so wie sie in ihm sein könnte, ehe eine sinnliche Welt ward, und wenn keine mehr sein wird, usw.

Fangen Ew. Majestät nicht an, Land zu sehen, oder vielmehr das Land aus dem Gesicht zu verlieren und der offenen See gewahr zu werden?

Eine gleiche Bewandtnis hat es mit den andern Ideen: von einer höchsten Vollkommenheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Güte. Alle diese Ideen, die im Grunde in eins zusammenfließen, können dem Menschen durch die Eindrücke der sinnlichen Natur nicht gegeben worden sein, und doch sind sie in ihm, und schlummern mehr oder weniger.

Wenn ein Weizenkorn, das zu Wurzel, Fasern, Halm, Blatt, Ähre etc. den Keim in seinem Wesen hat, wenn das Bewußtsein hätte, würde es denn nicht von Wurzel, Fasern, Halm, Blatt, Ähre etc. träumen, und sich aller dieser Dinge bewußt sein, nämlich des das in ihm ist und aus ihm werden kann?

Wenn also der Mensch Ideen und Ahndungen hat von Unsterblichkeit, Unendlichkeit, höchster Weisheit, Gerechtigkeit, Güte; muß denn nicht der Keim zu dem allen in seinem Wesen sein? –

VI

Ein Wesen das den Keim der Unsterblichkeit in sich hat, kann nicht sterben. Ob wir nun gleich diesen Keim nicht sehen, so können wir doch, da wir seine Wahrzeichen so offenbar im Menschen finden, an seinem Dasein nicht zweifeln. Auch er ist nicht unwahrscheinlicher als der im Weizenkorn, und liegt nicht mehr im Dunkeln. Aber bei dem Weizenkorn haben wir die Erfahrung und das Faktum. Wenn damit gebührlich prozediert wird, so wird Wurzel, Halm, Ähre und alles was in ihm ist, würklich sichtbar und kommt zum Vorschein. Wenn wir auch solche Erfahrungen in ihrer Art hätten!

Ew. Majestät werden einsehen, wovon hier die Rede ist, und daß das nicht mehr vor der Tür sein würde. –

Doch es gibt auch vor der Tür noch Erfahrungen, die, ihres Orts, die Möglichkeit der Sache und ihre ersten Anfänge zeigen, und die drinnen alles vermuten lassen.

Erstlich haben wir die Erfahrung, daß dieser Keim durch die ärgste Mißhandlung im Menschen nicht kann vernichtet werden. Es ist freilich wahr, er kann in ihm, durch die entgegengesetzte [287] Kraft, nicht allein geschändet, entstellt und verungestaltet, sondern auch in seiner Tätigkeit so ganz und gar gehemmet und unter die Füße getreten werden, daß auch keine Spur von seiner Herrlichkeit übrigbleibt, und man sagt mit Recht von einem Menschen, der sich seiner Sinnlichkeit und allen ihren Lüsten und Bewegungen ohne Scheu und Scham hingibt, daß er sei wie ein Vieh und ohne Gott. Aber vernichtet ist der Keim darum in ihm nicht. Denn die allerverworfensten Menschen sind oft wieder zur Besinnung gekommen, und Nebukadnezar »der sieben Zeiten Gras aß wie Ochsen, dessen Leib unter dem Tau des Himmels gelegen und naß geworden war, bis sein Haar wuchs so groß als Adlersfedern, und seine Nägel wie Vogelsklauen wurden, hob seine Augen wieder auf gen Himmel und kam zur Vernunft, und lobte den Höchsten«.

Und auf der andern Seite haben wir die Erfahrung, daß durch eine beßre Behandlung dieser edle Keimmehr zum Vorschein kommt und seine Wahrzeichensichtbarer werden. Und diese merkwürdige Erfahrung haben wir an den Tugendhaften, deren es freilich nicht viele, aber doch zu verschiedenen Zeiten hie und da einzelne gegeben hat.

Diese Menschen fühlten auch, wenn sie ihre Augen auf gen Himmel heben wollten, daß der edle in ihnen beherrscht werde und der unedle herrsche, und hätten die Sache gerne nicht abgesprochen sondern abgeändert. Da es nun nicht in ihrer Gewalt war, gradezu den edlen auf den Thron zu setzen, so taten sie »was in unsrer Gewalt ist« und kämpften ritterlich, den unedlen herunterzubringen. Sie verschmähten eine vergängliche Glückseligkeit, wandten ihr den Rücken und wollten sie nicht, und gingen so mit verbissenen Lippen und unverrücktem Ernst dem unvergänglichen Gut nach, ohne sich umzusehen, und ohne sich durch den Spott und die Weisheit der Spielleute irremachen zu lassen – und der Erfolg war frappant.

Konfuzius z.E., der unter diesen großen und ernsthaften Bemühungen grau geworden ist, und das Resultat davon, von zehn zu zehn Jahren, natürlich und umständlich erzählet, sagt im vierten Jahrzehn, daß schon in diesem Periodus seine Geisteskraft behende und sehr durchdringend 52, und sein Herz sehr verändert und voll guter Gesinnungen gewesen sei, und fährt dann fort: »Endlich als ich 70 Jahr alt war, hatten die lang fortgesetzte [288] Betrachtung und Selbstüberwindung das in mir ausgerichtet, daß ich gradehin tat, was mein Herz begehrte, und doch tat ich nie nichts wider die Regel des Guten und des Gerechten welcher meine sinnliche Begierde itzo ohne Widerstreben und Unmut gehorchte.« 53

Man stelle nun einen solchen Menschen und einen gewöhnlichen nebeneinander, und sehe den Unterschied. Den einen treiben und reißen seine Lüste und Begierden hin, wo er nicht hin will, und zu tun was nicht taugt; er hat nimmer Ruhe und keinen Frieden, und ist wie die Woge des Meers die in jedem Augenblick eine andre Gestalt hat und in allen GestaltenWasser ist – und der andre ist immer was er sein will, immer derselbe Freud – und Friedenvolle, und sein Herz ist einem Tempel zu vergleichen, darin eine unsichtbare Gottheit wohnt und wo die heilige Stille durch keinen Laut unterbrochen wird, als der für die Wahrheit schallt und zum Lobe der Götter.

Es ist gleich auf den ersten Anblick um und in solchen tugendhaften Menschen etwas Großes und Ewiges; sie fühlen sich unsterblich an. Aber sie sind es auch.

Wenn die Zeit nichts ist als die Folge und der Wechsel verschiedener Dinge, so sind sie schon darum weniger zeitlich. Doch es muß etwas würklich und in sich Ewiges und Unsterbliches in ihnen sein; denn die Kraft, die in andern Menschen so allgewaltig und unwiderstehlich herrscht und so viel Unglück und Böses anrichtet, ist in ihnen gebändigt und liegt zu ihren Füßen. Und was anders als das Ewige und Unsterbliche kann das Zeitliche bändigen und bezwingen?

Wie sollte auch ein solcher sterben, und wodurch? – Diese Welt und Erde hat keine Gewalt mehr über ihn, ist für ihn als wäre sie nicht; und sie sollte ihn noch vernichten können? Er hat sie vernichtet! Und steht auf ihrem Nacken als ein Sieger!. und blickt frei nach dem Himmel empor.

Und dieser Himmel ist ihm nicht so weit weg und ferne, als andern Menschen.

[289] Eine sinnliche Bewegung durch die andre überwinden heißt nur: ein Laster gegen ein anderes verwechseln. Es muß denn bei dem Tugendhaften anders gestaltet sein. Zwar sein Herz ist tief, und es kostet viel ihm auf den Grund zu kommen. Das aber läßt sich bei einigem Nachsinnen absehen, daß seine Bewegungsgründe nicht in dieser Welt zu Hause sein können, daß er nach Gesetzen handelt, die aus einer andern Ordnung und unveränderlich sind. Diese Gesetze sind notwendig für uns andre Menschen auch da. Aber wir hören und sehen sie nicht, oder sehen sie höchstens als sähen wir sie nicht; der Tugendhafte aber höret ihre Stimme, und hält sich an den er nicht siehet als sähe er ihn. Er ist also in Verbindung mit der unsichtbaren Welt. Der Himmel neiget sich zu dem edlen Sieger herab, und die Bahn zum Unendlichen fängt für ihn an zu brechen. –

Und so gerieren sich auch dergleichen Menschen. So lebte Sokrates. Die unsichtbare Stimme, die er hörte, war ihm Mark und Bein. Darnach handelte er, und nicht Freund noch Feind, nicht Gefängnis noch Prytaneum, kein Rat von »dreißig Tyrannen«, und kein Senat von Hunderten, nicht ganz Griechenland noch die ganze Welt konnten dagegen etwas.

Und so starb er. Sein Giftbecher, als er hereingebracht ward, setzte alles in Tränen was um ihn war; selbst der Henker weinte; Phädon verhüllte sich in seinen Mantel; und Apollodor heulte laut aus. – Er allein ist ruhig, und sonnet sich bis an den letzten Atemzug in den Sonnenstrahlen der Wahrheit und einer bessern Welt. – – – Es ist nicht, als sähe man einen Menschen sterben; man glaubt einen Unsterblichen zu sehen, einen Freund und Vertrauten des Himmels und der Götter, der zu den Wohnungen des Friedes heimkehret, und nur an der Schwelle den Staub abschüttelt, der sich auf ihn gesetzt hatte.

VII

Es ist denn nichts Geringes, daß wir unsre Gedanken bis zu dem »höchsten Gut« erheben können, daß die Idee des »Unendlichen« in unserm Herzen ist und daran haften kann; wenn wir nur an höhere Wege und Mittel glauben könnten.

Es sind denn im Menschen die Ruinen eines großen heiligen Wesens; und es gibt ein Glück für ihn, das der Rost und die Motten nicht fressen, und das die Welt mit aller ihrer Herrlichkeit nicht geben und mit all ihrem Trotz nicht nehmen kann.


[290] Sire, wir sind unsterblich!

– – Ich stehe hier mit Stolz neben Dir, daß wir Brüder und gleich sind! Aber ich sehe desto demütiger Deine Krone an, da Dich Gott über so große Wesen gesetzt hat, natürlich nicht sie zu mißhandeln und zu quälen, sondern sie zu lieben, und für ihre kleine und große Glückseligkeit zu sorgen.


Ew. Majestät

untertäniger Matthias Claudius

Das große Halleluja
Erster Teil
Accompagnement

Vor allem das entstand,
In der Ewigkeiten Stille
»War ein unendlicher Verstand«
»War ein unendlicher Wille«
Ein heilig Wesen, das sich selbst gebar
Und sein wird, was es ist und war;
Das lautre Gut, die Liebe, das Leben,
Mit Friede und Seligkeit umgeben;
Der Erst und Letzte, wunderbar und groß;
Und alles alles alles tief in seinem Schoß;
Das Wesen aller Wesen, Wahrheit, Gott!
Sein Name heißt: Jehova Zebaoth.
– Er duldet nicht das Böse und den Tod –
Halleluja! Er sprach: es werde!
Da wurden Himmel und Erde.

Chöre

»Halleluja, Halleluja!«


Des hohen Himmels Heere,
Die schönen Sterne weit und breit
Verkünden seine Ehre,
Und seine Herrlichkeit.
Er gängelt sie an einer Schnur,
Und nennet sie alle mit Namen,
Und weidet sie wie Lämmer auf der Flur.
Der große Hirte! Amen.

[291] Chöre

»Halleluja, Halleluja!«


Und die Sonne – schaut dies Wunder an!
Wie ein Held läuft sie ihren Weg behende,
Und frohlocket, daß sie ohne Ende
Wohltun und erfreuen kann;
Segnet alles Wesen durch ihr Licht,
Segnet, und ermüdet nicht;
Sie ist ein Born dem nie gebricht,
Ein unverbrennlich Öl und brennt zu Seinem Ruhm
Wie eine Lampe vor dem Heiligtum,
Und treibt hinweg die Finsternis mit ihren Weh und Schmerzen
An ihr wird sonderlich der Herr erkannt.
Der Himmel um und um ist Sein Gewand,
Und sie der Stern auf Seinem Vaterherzen!

Chöre

»Halleluja, Halleluja!«


Der Mond am Himmel in der Nacht
Ist auch ein freundlich Zeichen Seiner Macht.
Wenn etwa wir die Stimme der Sterne
Nicht hörten in der großen Ferne,
Hat er, damit es uns nicht fehle,
In seiner sanften stillen Pracht
Sich nah an uns herangemacht;
Daß er uns traulich in der Nacht
Ins Ohr von Ihm erzähle.

Chöre

»Halleluja, Halleluja!«


Und in der Mitte dieser Herrlichkeiten,
Die keine Grenze grenzt, kein Maß und Ziel beengt,
Wo Tag und Nacht von allen Seiten
Sein Segen sich herunterdrängt,
Hat Er die Erde aufgehängt:
Den Menschen eine Wohnung zu bereiten.

[292] Wechselgesang

1
»Da hängt sie, hold und wundervoll
In ihrem Blumenkleide!
Wie eine Braut geschmücket wohl,
Und voll gedrückt, gerüttelt voll
Von Speise und von Freude.«
2
»Und auf dem Himmelstuhl sitzt Er,
Der Geber aller Gaben!
Hat Seinen Fuß auf Land und Meer,
Und siehet väterlich umher:
Ob wir auch Mangel haben.«

Choral

Sollt ich meinem Gott nicht singen?
Sollt ich ihm nicht dankbar sein?
Denn ich seh in allen Dingen
Wie so gut er's mit mir mein'.
Ist doch nichts als lauter Lieben
Was sein treues Herze regt,
Das ohn Ende hebt und trägt
Die in seinem Dienst sich üben!
Alles Ding währt seine Zeit;
Gottes Lieb in Ewigkeit!

Grave

Er ist sehr freundlich!

Chor

»Jauchzet dem Herrn alle Welt, singet, rühmet, lobet!
(einzelne Stimmen im Chor) (vollstimmig)
Himmel und Erde, Lobet den Herrn!
Du, Sonne und Mond, Lobet den Herrn!
Ihr Sterne am Himmel, Lobet den Herrn!
Ihr Täler und blumichten Hügel, Lobet den Herrn!
Du Schreckhorn 54 und du
Wetterhorn 55 Lobet den Herrn!
Erde und die darauf wohnen, Lobet den Herrn!
Meer und was darinnen ist, Lobet den Herrn!

[293] (alle Stimmen und Chöre) Alles was Odem hat lobe den Herrn, Halleluja!«

Choral (tritt ein)

Herr Gott, dich loben wir!

Herr Gott, wir danken dir!

Amen.

Gespräche, die Freiheit betreffend

Και ετι καϑ' ύπερβολην όδον ύμιν δεικνυμι.

Erstes Gespräch

B.: Ich habe das große Los in London gewonnen, weißt du schon?

A.: Das ganz große, oder das zweite?

B.: Das erste für diesmal; reine 20000 Pfund.

A.: Das wollten die andern auch gewinnen, und haben alle nicht können.

B.: Und ist nichts leichter als das.

A.: Und was willst du nun mit dem Gelde machen?

B.: Es wieder ausgeben; was sonst?

A.: Und wo denn?

B.: Vermutlich, wo ich es gewonnen habe. Ich werde auf den Flügeln der freien Sterlinge wohl schwerlich in einen Käficht fliegen.

A.: Nun, es wird ja außer England noch Länder geben die keine Käfichte sind.

B.: Es gibt deren freilich nach oben offen; aber mit irgendeiner Seite hängt's. In England ist es nach oben und nach allen Seiten offen.

A.: Mit den 20000 etwa, aber auch ohne?

B.: Auch ohne, und grade in England auch ohne. Da ist die Freiheit, wie der Himmel, über den Bettler Tom so hoch und blau gewölbt als über den Lord Hastings. – Und meinst du, daß ich das Freiheit nenne, was für Guinees gekauft wird, und für Guinees feil ist?

A.: Du bist ein Freiheitsfreund! Und scheinst dabei ein dankbar Gemüt zu haben. Ich will sagen, wenn der Sterlingregen dich z.E., von Bern aus, naß gemacht hätte; so würde etwa [294] die Schweiz mehr in Betrachtung kommen. Und unbesehends sollte man auch denken, daß dein »Gewölbe« in diesem Zauberlande wenn nicht so blau doch so hoch als in England gewölbt sein müsse, wenn sie nicht mit dem Kopf anstoßen sollen, denn der Fußboden ist hier viel höher. Aber was nennst du denn eigentlich Freiheit?

B.: Was alle Menschen so nennen; wenn mir niemand zu befehlen hat, wo ich tun kann was ich will.

A.: Also wo du falsche Wechsel machen kannst?

B.: Das will ich nicht.

A.: Freilich! Aber wenn du es wolltest, könntest du es denn in England?

B.: Beileibe nicht.

A.: So kannst du also in England nicht tun was du willst?

B.: Es versteht sich ja von selbst, daß ich nichts wollen muß, was die Gesetze verboten haben.

A.: Was verbieten denn die Gesetze in England, das Böse oder das Gute?

B.: Nun – freilich – das Böse.

A.: Du hättest denn in England die Freiheit: das Gute zu tun. Die Freiheit aber, sollte ich denken, hättest du in andern Ländern auch.

B.: Das wohl. Aber in England hat mir niemand zu befehlen als die Gesetze; kein König, kein Minister, kein Hofrat, kein Superndent, kein Konzertmeister, kein Korporal, kein Revisor, kein Küster, kein gnädiger Herr und keine gnädige Frau.

A.: Ich gestehe dir gerne, wo die alle befehlen, daß da der dritte Mann genug zu gehorchen habe, und sonderlich wenn sie nicht alle nach einer Richtung befehlen sollten.

B.: Wie wäre das möglich? Sind sie nicht Menschen, und gibt es Menschen die immer nach einer Richtung wollen? Ebendeswegen sind ja Gesetze erfunden worden, und ebendeswegen ist es ja um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so große und herrliche Sache.

A.: Allerdings; in Ermangelung eines Bessern allerdings.

B.: Wie in Ermangelung eines Bessern?

A.: Die besten Gesetze können sich ja nicht selbst administrieren, sondern müssen wieder von Menschen administriert werden; und ein Mann, der immer sicher und unverrückt das Rechte wollte, ist ein Gesetz das sich selbst administriert.

[295] B.: Ich will aber nicht für mich wollen lassen; ich will selbst opfern.

A.: Gehorsam ist besser als Opfer. Nicht: Korban, lieber B.! Und wenn du selbst opfern willst, so müssen doch die andern alle auch dasselbe Recht haben. Und bei den vielen Opferern fallen mir die vielen Befehler wieder ein.

B.: Wir opfern alle nach einer Richtung.

A.: Aber du meinst ja selbst, daß das nicht möglich ist, daß Menschen nicht nach einer Richtung wollen können; daß ebendeswegen Gesetze erfunden worden, und daß es ebendeswegen um die Willkür eine so schreckliche und um Gesetze eine so herrliche Sache ist.

B.: Ich sage dir ja, daß ich das Gute tun will, aber nicht wenn und weil es andre wollen, sondern ich will es wollen, und ich will es tun weil ich es will.

A.: Das klingt edel! lieber B., und du junger mutiger Mann glaubst würklich die Arme nach der Juno auszustrecken; und doch könnte es wohl eine Wolke sein, die dich täuscht. Du sollst das Gute freilich wollen, und ich fodre kein Nicht – Wollen, sondern ein Nicht – Wollen. Sieh, wem das Gute selbst am Herzen liegt, der ist zufrieden wenn es nur geschieht, wenn es seinen Gang geht; und er geht gerne hinteroder nebenher. Wer es aber führen will, sieh, der will nur auf dem Bock sitzen; und wenn er das nicht soll, so läßt er den Wagen stehen und geht davon. Wie es ein sokratisches Nicht – Wissen gibt, so gibt es auch ein sokratisches Nicht – Wollen, und das ist die Juno selbst; und das Gegenteil davon ist dasselbe Ding, das in einem zu viel befehlen und in dem andern nicht genug gehorchen will, und grade das Ding, was die Willkür so schrecklich macht.

B.: Ich stehe für alles, wenn sie alle nur das Gute wollen.

A.: Meinetwegen. Ja, wenn sie wüßten was gut ist! – Aber wie sollen sie das erfahren, denn ein jeder hat seine Vernunft und seine Meinung?

B.: – Freilich, Gottes Wille müßte die Regel sein.

A.: Also unter Gottes Willen willst du doch stehen, und seine Anordnung lässest du gelten?

B.: Wie kannst du daran zweifeln? Es kann ja nicht anders als Unglück bringen, wenn einer davon abgeht.

A.: Das glaube ich auch; und ich verteidige den einen nicht der abgeht. Er tut sehr übel, er sei wer er wolle. Aber denn muß sich der zweite desto fester anhalten.

[296] B.: Aber, verdient das der erste der abgeht?

A.: Der abgeht nicht; aber der, von dessen Willen er abgeht, der verdient es; und der zweite selbst. Denn wenn der zweite auch abgeht, so gehen zwei ab, und so muß, nach deiner eignen Aussage, das Unglück größer werden. Auch hat, lieber B., dasFest-Anhalten größere Folgen, als allgemein geglaubt wird.

B.: Nun kurzum, ich gehe nach England; und zieh mit, du sollst auch England sehn, und die St. – Pauls – Kirche.

Und grade diese soll dich unter andern lehren, was Freiheit und Gesetze für Würkung haben. Diese St. – Pauls – Kirche hat hier ein Privatmann bloß aus seinem Herzen gebaut.

A.: Hierzulande kann man bloß aus dem Herzen nicht bauen.

B.: Verstehe doch, was ich sage.

A.: Dasmal verstehe ich, und ich habe großen Respekt für den Erbauer der St. – Pauls – Kirche. Übrigens hat Francke in Halle auch aus seinem Herzen gebaut, und Bork in Kopenhagen, und hundert andre an hundert andern Orten.

B.: Wohl! Aber Freiheit ist doch ein Wecker am Herzen, und ohne sie schläft der menschliche Wille ein wie eine alte Frau am Spinnrocken. Und ich suche ein Land, wo ich das Gute frei und lustig wollen kann und wo mich nichts hindert es zu tun.

A.: Lieber B., sage doch an, wenn du funden hast. Das Land suche ich auch.

B.: Nun, wie gesagt, so ziehe mit.

A.: Bauen denn z.E. alle Engländer St. – Pauls – Kirchen?

B.: Alle – St. – Pauls – Kirchen? – Du scheinst nicht zu wissen, was das ist eine St. – Pauls – Kirche. Sie ist nicht so in Taschenformat, wie die Kirchlein, die bei euch als Exklamationszeichen hinter dem elenden Dorfe stehen.

A.: Verstehe doch, was ich frage. Tun denn alle Engländer Gutes? Oder noch besser, die Despoten in der Welt, tun die und haben die von jeher lauter Gutes getan?

B.: Nicht lauter Gutes!

A.: Aber warum nicht? Sie sind doch nicht allein über anderer Menschen Willkür und allen äußerlichen Zwang, sondern auch über die Gesetze, und also nach deiner Meinung noch freier als die Engländer.

[297] B.: Sie müssen denn das Gute nicht mögen; müssen es im Grunde nicht wollen.

A.: Sie haben sich doch von jeher mit dem Schein des Guten zu decken und zu zieren gesucht. Und ist es nicht ein offenbarer Widerspruch: das Gute einsehen und nicht wollen? Auch wollen es alle Menschen im Grunde.

B.: Es scheint mir auch so. Aber, wenn sie es wollten, und sie nichts hindert; so würden sie es ja auch tun.

A.: Das denke ich auch. Es muß sie also etwas hindern.

B.: Du sagst ja den Augenblick, daß sie über andrer Menschen Willkür sind, und über allen äußerlichen Zwang?

A.: Also, andrer Menschen Willkür und äußerlicher Zwang hindert sie nicht.

B.: Und über die Gesetze?

A.: Also, die Gesetze hindern sie nicht.

B.: Aber, was bleibt denn übrig, was wären denn noch für Hindernisse?

A.: Die Frage ist sehr natürlich. Indes, sie mag beantwortet werden oder nicht; das ist und bleibt fest, daß Hindernisse da sein müssen. Und zwar scheinen diese Hindernisse die eigentlichen Hindernisse des Guten zu sein, weil sie das Gute würklich hindern.

B.: Ich kann mit keinem Feind fechten, der hinter dem Berge steht und den ich nicht sehe. Und, was mein Auge nicht sieht, das kränkt auch mein Herz nicht. Kurz, deine unbekannte Hindernisse wollen mir nicht ein.

A.: Sie wollen dir nicht ein, sagst du? Wie, wenn sie in dir wären, und dein schönes Herz würklich kränkten! –

Zweites Gespräch

B.: Da hab ich eben ein Paar alte treffliche Köpfe gesehn, den ewigen Lacher und den ewigen Weiner. Wer von beiden ist wohl der Klügste gewesen?

A.: Ich denke, sie wären beide gleich klug gewesen, und ihr Weinen und Lachen habe einerlei großen Sinn, nur daß Heraklit den bessern Ausdruck gewählt hat.

B.: Und ich denke, sie hätten beide keinen guten gewählt, und keiner von ihnen sei klug gewesen. Aber sage doch an, ich höre gern andre Meinung.

A.: Du weißt, was man in der Welt Glück und Unglück nennt; [298] und wie nahe sich das gewöhnlich die Menschen nehmen, wie sie weinen oder lachen, eins ums andre, nach dem die Luft von der oder von der Seite geht. Demokrit wollte zu verstehen geben: daß es für den Menschen der Mühe nicht lohne, dieses Unglücks wegen zu weinen! und Heraklit: dieses Glücks wegen zu lachen! Und, so lachte der eine, und der andre weinte, immer.

B.: Und warum ziehst du den Ausdruck des Heraklits vor?

A.: Weil es mir, wenn nicht wahrer, doch menschlicher dünkt: über das Glück dieser Welt zu weinen als über ihr Unglück zu lachen, und weil es mir auch wider den Wohlstand scheint, in einer Welt wie diese immer zu lachen.

B.: Am Ende konnte auch Heraklit eher fertig werden.

A.: Meinst du? – Aber davon ist hier die Rede nicht, und darum lachten und weinten unsre Virtuosen nicht. Sondern sie scheinen über die Natur des Menschen besser berichtet gewesen zu sein, und daß er, wenn er seinen Vorteil versteht, gedeckt sein könne, und weder zu lachen noch zu weinen habe.

B.: Warum aber täten denn die Menschen beides so eifrig? – Doch, wo sind wir gestern stehengeblieben?

A.: Nicht so gar weit von hier.

B.: Ich besinne mich, du hinter dem Berge bei deinen unbekannten Hindernissen.

A.: Ganz recht! Und du wolltest gestern mit deinen Augen sehen.

B.: Und das will ich heute auch noch.

A.: Und hast darin nicht unrecht; denn es hat von jeher wenigstens ebensoviel Schaden getan, daß die Menschen zu wenig als daß sie zu viel haben sehen wollen.

B.: Kann man denn auch zu viel sehen wollen, und wie kann das schädlich sein?

A.: Es gibt gewisse Dinge für einen gewissen Sinn, und einen gewissen Sinn für gewisse Dinge. So siehst du z.E. körperliche Gestalten, riechst Gerüche, hörst Schall und Laut, usw. Wer nun mit einem Sinn aus der korrespondierenden Klasse herausgeht und damit Dinge sehen – will die zu einer andern Klasse gehören, der will zu viel sehen, und da kann nichts Kluges herauskommen. Als wenn du z.E. mit deinen zwei blauen Augen die Elemente und geistliche Sachen sehen wolltest; so wolltest du zu viel sehen, und wäre ebenso widersinnig als wenn du den Geruch einer Nelke hören, und die[299] Morgenröte riechen wolltest, würde auch ebensoviel daraus werden.

B.: Das will ich nicht. Aber überzeugt will ich sein, ehe ich glaube. Und ich wünsche, daß die Wahrheit weiß sei; wenn sie aber schwarz ist, lasse ich sie mir nicht weiß machen.

A.: Bravo! Wer sie erst weiß machen will, in dessen Händen muß sie noch nicht weiß sein. Und, beiläufig hier gesagt, diese Weißmacher tun der Wahrheit einen schlechten Dienst, und ihrenthalben wird der Name Gottes gelästert unter den Heiden. Denn die Heiden distinguieren nicht immer, und wenn sie sehen, daß sie dem Sach – Walter überlegen sind; so bilden sie sich ein, sie wären es auch der Sache.

B.: Aber, du wolltest mir die unbekannten Hindernisse des Guten zeigen.

A.: Zeigen? Gehe du selbst hin, sie zu sehen.

Doch, vorher sage mir: wo, glaubst du, daß alles Gute und Wahre herkomme?

B.: Von Gott und keinem andern.

A.: Und Gott ist doch mehr, als alles was von ihm herkommt?

B.: Natürlich.

A.: Wenn es also Wesen gibt, die, ihrer Natur nach, ihre Befriedigung nur in der Wahrheit und dem Guten finden können, die können sie nirgend so vollkommen finden als in Gott?

B.: Nirgend.

A.: Sie werden also nichts so sehr suchen, als Gott?

B.: Nichts.

A.: Und nichts so unverrückt und über alles lieben?

B.: Nichts.

A.: – Bartolo! und lieben wir Gott so?

B.: – Nicht immer.

A.: Sage: nimmer. Denn der Unterschied ist nur der, daß wir in gewissen Augenblicken etwas weniger weit vom Ziel entfernt bleiben. Nun, Gott ist in allen Augenblicken gleich liebenswürdig, wie die Sonne in allen Augenblicken die Sonne ist, und ihre Strahlen immer mit gleicher Herrlichkeit und Fülle um sich breitet.

B.: Und äußerer Zwang kann es hier nicht sein, was uns hindert.

A.: Nein, gottlob nicht! Dafür ist gesorgt. In Hauptsachen kann er nichts; und es gibt einen Weg: nicht ihn von uns, sondern uns von ihm loszumachen, und ihm glühende Kohlen [300] auf sein Haupt zu streuen! Und dahin wollte ich vorhin schon.

B.: Nun ich bitte dich, so sage doch was ist das was uns hindert?

A.: Das weißt du so gut als ich. Was ist das, was unsern Augen das unendliche und wahre Gut immer gleichsam verbirgt und bedeckt, und, wenn wir es auch betrachten und lieben wollen, sich immer dazwischenstellt? – Nicht wahr, das Endliche, dasUnwahre, das Nichtgute. Dinge, die unsrer Liebe nicht wert sind, die wir verachten, und uns ihrer nicht selten vor andern Leuten schämen; und an die wir doch wider unsern Willen hangen und halten, oder vielmehr die uns halten und uns unglücklich machen.

B.: Unglücklich machen, sagst du?

A.: Ja wohl unglücklich machen! Denn, was flösse aus dieser Quelle nicht her! Alles, groß und klein, was die Menschen hier plagt, Eitelkeit und Laune, Herrschsucht und Trotz, Geiz und Wollust, und alle Schande und Laster etc. was ist es anders, als Anhänglichkeit an Dinge die nichts können und nichts sind, und die Menschen doch vom Bessern abhalten.

B.: Was aber kann der Mensch dazu? Darf auch der Topf zum Töpfer sprechen: Warum hast du mich so gemacht?

A.: Höre, ein Topf hält solange er kann; und denn bricht er. Und wenn er von was wüßte, so würde er von dieser seiner brechlichen Topf – Natur wissen und von weiter nichts. Aber wenn wir das Böse tun, so wissen wir dabei vom Guten, und wollen es.

B.: Was willst du damit sagen?

A.: Daß wir nicht ungeratene Töpfe sind. Sondern der ungeratene Sohn paßt besser, der das verlassene volle Haus des Vaters in Gedanken hat, und Treber mit den Säuen essen muß.

B.: Du machst mich aufmerksam. Aber, noch einmal, ich bin doch nicht gefragt: ob ich, noch auf welche Art, ich existieren wollte. Wie mich die Welle des Unendlichen ans Ufer herangeworfen hat, so habe ich heran müssen, um mich da eine Zeitlang herumzutreiben.

A.: Ich weiß das nicht, ich verstehe das nicht. Aber, Verlangen nach dem Guten und Widerstreben gegen das Gute in einem und demselben Dinge, setzt eine Unordnung voraus, und die kann nicht von Gott sein.

B.: Von wem haben wir denn unser Wesen?

[301] A.: Das haben wir von Gott. Aber, was unserm Wesen zuwider ist, das können wir nicht von Gott haben.

B.: Und also meinst du, diese Anhänglichkeit gehörte nicht zu unserm Wesen?

A.: Das ist die Meinung aller Völker und Menschen; wenigstens handeln sie so und haben immer so gehandelt, als wenn sie diese Meinung hätten.

Warum forscht und frägt man bei moralischen Handlungen nach den Bewegursachen, und bestimmt darnach ihren Wert und Unwert? – Heißt das nicht, annehmen, daß der Mensch z.E. eine gute Handlung oft aus schlechten Ursachen tue, daß aber diese schlechte Ursachen auch fehlen können, und der Mensch allein aus dem Guten handeln kann? – Und warum wäre ein Mensch, der so handelt, von jedermann geliebt und geachtet? – Warum spricht man von »überlegt und unüberlegt handeln«, und was tut der Mensch, wenn er überlegt, anders: als schlechtere Ursachen die ihm zunächst liegen aus dem Wege räumen und niederhauen, damit ihm die bessern zu Gesicht kommen? – So predigen ja auch wider diese Anhänglichkeit, alle Jahrhunderte hindurch, Weise und Unweise, Priester und Philosophen, und die ganze Welt ist mit Einrichtungen, Tempeln, Pagoden und Moscheen bedeckt. Ob sie nun zwar nicht immer alle wissen was sie wollen, und nicht immer viel dabei herausgekommen ist; so supponiert das alles doch offen bar den Glauben, daß etwas herauskommen könne, und daß damit nichts Kleines gewonnen sei. – Und wie könnten Menschen anders scheinen wollen, als sie sind; wie könnten sie Furcht haben, sich grade ins Angesicht sehen zu lassen, wenn die Lineamente desselben zu ihrem Wesen gehörten? Schämt sich auch ein Tiger seiner Zähne, und ein Adler seiner Klauen?

Lieber B., die Menschen tragen Ketten, und sind Sklaven; aber sie sind nicht geboren es zu sein, und haben die Hoffnung nicht verloren wieder frei zu werden. Und, wenn schon auf die Unterdrückung einer Anhänglichkeit ein so wohltuendes Bewußtsein folgt; was meinst du, was der Friede sein müsse, von dem man in jenem Bewußtsein nur den ersten Anbiß hat, wenn nämlich nicht mehr vonUnterdrücken die Rede ist, sondern wenn die Ketten würklich abgenommen werden! – Und da kommt das rechte England zum Vorschein, und die rechte St. – Pauls – Kirche.

[302] Aber lebe wohl, wir kommen hier auf heiligen Grund und Boden.

Zugabe

B.: Lieber A., ich muß es dir sagen: ich denke wie du, und habe mich nur verstellt und dich hintergangen, damit ich deine Meinung desto besser herausholte.

A.: Daß du mir überlegen bist, habe ich wohl immer gemerkt; aber daß du mich hintergangen hast, nicht. Indes schadet's nicht und es ist mir nicht leid, denn ich weiß daß ich nichts Unrechtes predige.

B.: Deine Meinung ist denn: daß man der Wahrheit nur dadurch näher komme, daß man sich von dem Unwahren losmacht? – Und einem von beiden kann man nur nachtrachten?

A.: Allerdings.

B.: Das Finden der Wahrheit wäre also auf die Weise, wie soll ich sagen, mehr ein Wegräumen eines πρωτον ψευδος mehr eine Veränderung, als eine Entdeckung etc.

A.: Allerdings.

B.: Aber, so wird es doch nicht allgemein angesehen?

A.: Dafür kann ich nicht. Denen es Ernst gewesen ist, die haben es so angesehen, sie mochten übrigens noch so verschieden sein.

B.: Zum Exempel?

A.: Zum Exempel: Johann Huß und Spinoza.

B.: Die sind mir eben recht. Denn nach Mendelssohn war Spinoza gewiß. –

A.: Nach? – Willst du mich wieder hintergehen?

B.: Er hat doch nicht so wider die Wahrheit angestoßen, als dieser?

A.: Er segelte so tief nicht, daß er anstoßen konnte. Wenn aber Spinoza mit seinem Kopf und mit seinem Ernst anstieß; so lerne daraus: daß es nicht leicht sei, die Wahrheit zu finden. Spinoza sagt aber so:

»Nachdem die Erfahrung mich gelehret hat, daß alles, wovon im Leben gewöhnlich die Rede ist, leer und eitel sei; da ich einsahe, daß alles, wofür und was ich fürchtete, weder Gutes noch Böses in sich habe, als insoweit das Gemüt davon in Bewegung gesetzt wurde; so beschloß ich endlich, zu forschen: ob es etwas gebe, das ein wahrhaftiges Gut sei, und [303] das sich mitteile, und von dem, wenn ich allem übrigen entsagte, das Gemüt allein reaktioniert würde; ja, ob es etwas gäbe, dadurch ich, wenn ich es fände und mir verschaffte, eine immerwährende und höchste Freude in Ewigkeit genösse. Ich sage: daß ich endlich beschloß; denn beim ersten Anblick schien es mir ungeraten, um eine damals ungewisse Sache eine gewisse verlieren zu wollen. Ich sahe nämlich die Vorteile die Ehre und Reichtümer bringen, und daß ich diese nicht weiter suchen müßte, wenn ich mit Ernst einer andern neuen Sache nachtrachten wollte; und es leuchtete mir ein: daß, wenn die höchste Glückseligkeit in diesen Dingen etwa bestehen sollte, ich solcher Glückseligkeit entbehren müsse; bestehe sie aber nicht darin, und ich trachtete nur ihnen nach, so würde ich denn auch der höchsten Glückseligkeit entbehren. Ich sann also in mir nach, ob es nicht möglich sein sollte zu meinem neuen Werk, oder wenigstens zur Gewißheit darüber zu gelangen, ohne daß meine bisherige Lebensordnung und Weise verändert würde. Das aber habe ich oft umsonst versucht. Denn wovon im Leben gewöhnlich die Rede ist, und was bei den Menschen, nach ihren Werken zu urteilen, als das höchste Gut geachtet wird, läuft auf diese drei Stücke hinaus, nämlich: Reichtum, Ehre, und Wollust. Durch diese drei Dinge wird aber das Gemüt so zerstreuet, daß es auf keine Weise an ein anderes Gut denken kann. – Da ich also einsahe, daß alles dieses so sehr im Wege sei, einem neuen Vornehmen nachzugehen, ja daß es damit in einem solchen Widerspruch stehe, daß ich notwendig von einem von beiden abstehen müsse; so mußte ich entscheiden, welches von beiden mir nützlicher wäre. – Ich habe nicht ohne Ursache die Worte gebraucht: wenn ich nur ernsthaft bedenken könnte. Denn ob ich gleich dies alles im Gemüt ganz klar einsahe; so konnte ich doch deswegen nicht allen Geiz, Wollust und Ehrsucht ablegen, 56 etc.«

B.: Das ist merkwürdig.
A.: Und sonderlich von jemand, der kein Jude sein wollte. Genes. 12. 1.

Der Priester Huß sagt so:

»Ich sage es frei vor Gott und seinem Gesalbten – so daß ich von Jugend an bis auf diesen Tag gleichsam zwischen Tür [304] und Angel gestanden bin, und gezweifelt habe was ich erwählen sollte. Ob ich preisen sollte was alle preisen, raten was sie alle raten, entschuldigen was sie alle entschuldigen, die Schrift glossieren wie dermalen fast alle große berühmte und mit dem Schein der Heiligkeit und Weisheit angezogene Männer sie glossieren, oder ob ich jene unfruchtbare Werke der Finsternis mannlich anklagen und bestrafen sollte. Ob ich mit dem großen Haufen ein gemächliches Leben führen und nach Ehren und Pfründen streben, oder außer dem Lager herausgehen, der lautern heiligen evangelischen Wahrheit anhangen und die Armut und Schmach Jesu Christi tragen solle. Ich sage es frei, daß ich zwischen Tür und Angel gestanden, und gezweifelt habe. Darum habe ich zu Gott, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, treulich gebetet. Meine Bibel habe ich über mich in den Händen gegen ihn aufgehaben, und mit Mund und Herz ge rufen: O Gott mein Herr, und Meister meines Lebens usw.«

B.: Oh, laß mich mehr von dem Huß hören.

A.: Was willst du von ihm hören? – Da er Lehrer einer geoffenbarten Religion war; so dünkte er sich nicht selbst klug, und glaubte an eine größere Weisheit, die dem Menschen anderswoher kommen muß. »Die Heilige Schrift«, sagte er, »ist durch den Heiligen Geist den Männern Gottes eingegeben; ebenderselbige Geist muß sie auch erklären und aufschließen. Wer aus dem Geist geboren worden, der ist versetzet aus dem Tode dieser Welt und des Fleisches in ein neues geistliches göttliches und himmlisches Leben, welches verborgen ist in Gott etc.«

Er hielt fest an die Bibel, und scheute sich nicht, und schämte sich nicht, zu lehren was darin steht. »Christus«, sagte er, »ist das Zentrum der Theologie; wer diesen kennt, den halte man für einen Gottesgelehrten.«

Dabei führte er ein exemplarisches Leben, und Freund und Feind wußten nichts als Gutes von ihm zu sagen, so daß sich auch die ganze Universität zu Prag seiner gegen das Concilium annahm.

B.: Wie hat er sich bei der Exekution betragen?

A.: Sehr gut. Einigen Briefen, die er aus dem Gefängnis an seine Freunde schrieb, sieht man's an, daß er, mit Ehren, wohl wieder los gewesen wäre, auch nicht alle Hoffnung dazu aufgegeben hatte. Als das aber nicht sein konnte, betrug er sich, [305] zwar nicht wie Martyrer die den Himmel offen sehen, aber als ein treuer Freund und Anhänger der Wahrheit, mit großer Gelassenheit und Fassung. Und mich dünkt, dies sei schwerer als jenes.

B.: Erzähle doch sein Ende, ich bitte dich darum.

A.: Das wollte ich gerne tun. Aber, wir rechnen ihn zu uns, und – ich erzählte lieber wenn ihm großmütig begegnet wäre. – Doch was kannst du dazu einige hundert Jahre nachher. Die Guten von euch haben von jeher die Prozedur des Concilii zu Konstanz nicht gebilliget, und wir haben an allen Seiten zu vergeben und zu vergessen.

Ich will also erzählen, wie es erzählt wird.

Sigismund war unruhig ihn verbrennen zu lassen, und ließ mit ihm über einen Widerruf handeln; er aber wollte sich zu nichts verstehen. Da schickte der Kaiser noch den Tag vor der Exekution, oder den 5. Julius 1415, 4 Bischöfe und die 2 böhmischen Barons von Chlum und Duba zu ihm. Huß ward vor den Kerker zu ihnen herausgeführt, und sein treuer Freund der edle Chlum sagte zu ihm: »Lieber frommer Herr Magister, wir ungelehrte Laien können Euch in dieser so wichtigen Sache nicht wohl raten. Sehet derhalben selber zu, ob Ihr Euch der Mißhandlungen, die Euch vom Concilio zugemessen werden, in Eurem Gewissen schuldig befindet. Seid Ihr schuldig; so schämt Euch ja nicht Eure Meinung zu verlassen, und einer bessern Raum zu geben. Gibt Euch aber Euer Gewissen Zeugnis, daß Ihr unschuldig seid; so tut ja nicht wider Euer Gewissen. Ich will Euch auch keine Ursache oder Anlaß dazu geben. Denn Ihr sollt nicht lügen vor dem Angesicht Gottes, sondern vielmehr beständig bleiben bis in den Tod, bei der Wahrheit die Ihr erkannt habt.« Diese Anrede seines treuen Freundes brach ihm das Herz. Er antwortete unter einem Strom von Tränen: »Gott ist mein Zeuge, daß ich gerne weichen und widerrufen will, wenn ich etwas Unrechtes und mit der Heiligen Schrift und Kirchenmeinung nicht Übereinstimmendes gelehrt oder geschrieben habe. Ich begehre nichts mehr, als daß ich aus göttlicher Schrift gründlicher und eines Bessern möge unterwiesen werden. Wenn sie das tun, bin ich bereit, alsobald zu widerrufen.«

Den folgenden Tag frühe versammlete sich das ganze Konzilium in der Domkirche. Der Kaiser erschien mit den Reichsfürsten und der ganzen Ritterschaft, und setzte sich auf seinen [306] Stuhl unter einer goldenen Krone: an der einen Seite stand Kurpfalz mit dem Reichapfel, Burggraf Friederich von Nürnberg mit dem Schwert an der andern; und, neben den Kardinälen, Erz- und Bischöfen, Prälaten, Mönchen, Doktoren etc., war eine unzählige Menge Volks beisammen. Der Erzbischof von Gnesen, Nikolaus, hielt die Messe, und nach vollendeten Amt ward Huß, der aus seinem Gefängnis im Minoritenkloster geholt war und bis dahin draußen im Vorhof hatte warten müssen, vor diese große Kirchenversammlung hereingeführt. Man stellte ihn auf einen etwas erhabnen Ort, damit er von jedermann könnte gesehen werden. Hierauf las der Bischof von Konkordien das zuvor vom Concilio abgefaßte Dekret ab: daß niemand in der Session durch Mürmeln oder ander Getöse mit Händen oder Füßen, auch nicht Disputieren, Verteidigen etc. die Redenden stören sollte; und darauf stieg der Bischof von London auf die Kanzel, und hielt eine lateinische Rede über Röm. VI, 6, und forderte darin zugleich den Kaiser auf: die Ketzereien zu zerstören und sonderlich den hier stehenden verstockten Ketzer etc. Huß lag indes auf seinen Knien, und befahl sich Gott zum Sterben. Darauf wurden von dem Bischof von Konkordien die aus Hußens Schriften ausgezogene s.g. Ketzersätze vorgelesen. Huß wollte antworten; der Kardinal Emmerich hieß ihn aber schweigen. Huß wollte wieder reden; und man gebot den Schergen und Soldaten, ihn nicht reden zu lassen. Da hob er seine beiden Hände gen Himmel und sagte: »Ich bitte Euch, um des allmächtigen Gottes willen, Ihr wollet doch unbeschwert meine Antwort anhören, daß ich mich doch nur bei denen die umherstehen entschuldigen, und ihnen den Argwohn wegen meiner vermeinten Irrtümer benehmen möge.« Und als es ihm abgeschlagen ward, fiel er mit gen Himmel gerichteten Augen und Händen auf die Erde nieder.

Darnach las der Bischof von Konkordien die endliche Sentenz ab: »daß erstlich Hußens Schriften sollten verbrannt, und er, als ein öffentlicher schädlicher Ketzer und böser halsstarriger Mensch, seines priesterl. Standes schmählich sollte entsetzet und gänzlich degradiert und entweihet werden.« Der Ausspruch wurde sogleich vollzogen und mit der Degradation der Anfang gemacht.

Der Bischof von Mailand, mit 6 andern Bischöfen, führten [307] Hußen zu einem Tisch, darauf Meßgewand und andre priesterliche Kleider lagen und kleideten ihn an, und als er angekleidet war, in vollem priesterlichen Schmuck und mit dem Kelch in der Hand, vermahnten ihn die Bischöfe noch einmal: er solle nicht halsstarrig bleiben, sein Leben und Ehre bedenken und von seiner Meinung abstehen. Huß sprach darauf vom Gerüst herab zu dem Volk mit großer Bewegung:

»Diese Herren Bischöfe vermahnen mich, ich solle vor euch allen bekennen daß ich geirret habe. Wenn es nun eine solche Sache wäre, daß sie mit eines Menschen Schmach geschehen könnte, möchten sie mich leicht bereden. Nun aber stehe ich vor dem Angesicht meines Gottes, daß ich ihnen nicht willfahren kann, ich wollte denn mein eigen Gewissen verletzen und meinen Herrn im Himmel schmähen und lästern. – Sollte ich die, die ich unterwiesen und gelehret habe, itzo durch ein böses Exempel betrüben und irremachen? – Ich will's nicht tun.«

»Steig herab vom Gerüst«, riefen nun die Bischöfe; und als er herabgestiegen war, fingen sie an, ihn zu entweihen. Der Bischof von Mailand und der von Bisont traten herzu, und nahmen ihm den Kelch mit den Worten ab: »O du – da nehmen wir den Kelch von dir, in welchem das Blut J.C. zur Erlösung geopfert wird; du bist sein nicht wert.« Huß antwortete getrost und laut dagegen: »Ich aber habe meine Hoffnung und Vertrauen gesetzt auf Gott den allmächtigen Vater und meinen Herrn und Heiland Jesum Christum, um welches Namens willen ich diese Schmach leide, und glaube gewiß und beständig, daß er den Kelch des Heils nimmermehr von mir nehmen werde, sondern daß ich denselben mit seiner Hülfe noch heute in seinem Reich trinken werde.« Hierauf traten die andern Bischöfe herzu, und nahmen jeder ein besonderes Stück der priesterl. Kleidung mit obigem Fluch. Als sie mit den Kleidern fertig waren, sollte ihm die Krone, oder geschorne Platte auf dem Haupte, zerstöret werden; es entstand aber ein Streit: ob mit einem Messer oder einer Schere. Huß sahe dabei den Kaiser an, und sagte: »Es ist doch sonderbar; hart und grausam sind sie alle, aber über die Art und Weise sind sie nicht einig.« Endlich und als er völlig entweiht war, setzte man ihm eine fast ellenhohe Papierkrone auf, mit gemalten Teufeln, u. der Umschrift etc. etc. Erzketzer. Und nun wandten sich die Bischöfe an den [308] Kaiser, und sagten: »Das H. Konzilium zu Konstanz überantwortet itzo Johann Hußen, der in der Kirche Gottes kein Amt noch Verwaltung mehr hat, der weltlichen Gewalt und Gericht.«

Der Kaiser stand auf und nahm den ihm übergebenen Huß an, und sprach zum Pfalzgrafen Ludwig: »Dieweil wir, lieber Oheim und Fürst, das weltliche Schwert führen die Übel zu strafen; so nehmt hin diesen Johann Huß, und laßt ihm in unserm Namen tun was einem Ketzer gebühret.« Dieser legte seinen fürstl. Ornat ab, nahm Hußen und füh- rete ihm dem Vogt von Konstanz zu, und sprach zu ihm: »Auf unsers gnädigsten Herrn des Römischen Kaisers Urteil und unsern sonderlichen Befehl, nehmet diesen Magister Huß hin und verbrennet ihn als einen Ketzer.« Der Vogt übergab ihn dem Nachrichter und seinen Knechten, und befahl ausdrücklich: daß sie ihm seine Kleider nicht ausziehen, noch ihm Gürtel, Säckel, Geld, Messer oder was er bei sich trüge, abnehmen, sondern ihn samt allem was er an sich habe verbrennen sollten. Und so ward er hingeführt.

Als er auf dem Gerichtsplatz ankam, kniete er nieder und betete. Von solchem Gebet ließ ihn der Pfalzgraf durch die Henker aufnehmen, und dreimal um den Holzstoß herumführen. Er nahm darauf von seinen Hütern Abschied, und nun griffen die Henker zu, und banden ihn an einen Pfahl mit fünf Stricken, über den Füßen, unter den Knieen, über den Knieen, mitten um den Leib, und unter den Armen, und mit einer Kette um den Hals. Hiebei fiel ihm die Papierkrone ab auf die Erde, und er sahe hin nach ihr und lächelte. Der Henker setzte sie ihm aber bald wieder auf, und legte rund um ihn, bis an seinen Mund, Reißig und Stroh, und die bekannte Sancta-Simplicitas-Frau raffte mit zusammen, und legte mit an. Ehe das Feuer angezündet ward, ritte der Pfalzgraf Ludwig und der Reichsmarschall von Pappenheim noch einmai an ihn heran, und ermahnten ihn: er wolle noch itzo sein Heil bedenken und seine Irrtümer widerrufen. Da fing Huß mit lauter Stimme aus dem Holzhaufen an: »Ich rufe Gott zum Zeugen, daß ich das, was sie mir durch falsche Zeugen aufgebürdet, nicht gelehret oder geschrieben habe; sondern ich habe alle meine Predigten Lehren und Schriften dahin gerichtet, daß ich die Menschen möchte von Sünden abwenden und Gott in sein Reich führen. Die Wahrheiten, [309] die ich gelehret, geprediget, geschrieben und ausgebreitet habe, als die mit Gottes Wort übereinkommen, will ich halten und mit meinem Tode versiegeln.«

Sie schlugen darauf in die Hände, und ritten davon.

Als der Henker das Feuer anzündete, sang Huß ein Stück aus dem Nikänischen Glaubensbekenntnis, und, da die Lohe gegen ihn schlug, betete er laut: »Christe, du Lamm Gottes, erbarme dich mein!« und noch einmal: »Christe, du Lamm Gottes, erbarme dich mein!« Und als er zum drittenmal anfangen wollte, trieb der Wind den Rauch und die Flamme ihm grade ins Gesicht, und nahm ihm die Sprache. Er bewegte noch die Lippen und den Kopf einige Minuten, und – war tot.


Friede sei mit deiner Seele, du treuer frommer Priester! Du vertrautest der Wahrheit. Und hast du sie hier nicht erkannt; so wirst du sie nun erkannt haben, und nun erkennen. Denn du suchtest sie, und nicht das Deine.

Eine Korrespondenz mit mir selbst

Lieber Freund,

Ich habe etwas das ich Ihm in den Schoß schütten muß, weil ich's sonst nirgend zu lassen weiß.

Sieht Er, wenn ich die Welt und das Leben, wie es darin geführt wird, ansehe; so gehen mir alle Kinder und sonderlich meine eigne, die da hinein und da durch sollen, im Kopf herum, und ich möchte siewohl gegen das Verderben einbalsamieren und feuerfest machen können. Wahrlich die Leute haben nicht unrecht, die darüber in Ernst nachsinnen und in sich zu Rat gehen.

Er wird sagen, daß, dem Vernehmen nach, heutzutage darüber ja genug geschrieben werde; und darin hat Er auch nicht unrecht. Aber sieht Er, Schreiben ist Schreiben. Wer handeln will und kann, der hat, wenige Ausnahmen abgerechnet, nicht Zeit noch Lust zu schreiben. Und wenn die Sachen so recht in die Feder treten, so pflegen sie aus dem Menschen heraus zu sein. Und der dagegen meint, wenn sie auf dem Papier stehen, so hätte er sie.

Auch kann auf dem Papier dies und das aussehen als wenn's [310] was wäre, und ist doch nur ein gewöhnlich Backwerk. Laß Er sich davon ein Exempel erzählen. Ich schenkte, wie Er weiß, der seligen Gertrud zur Hochzeit das Schwedische Koch- und Haushaltungsbuch von der Christina Warg. Einmal, als wir zusammen bei ihr waren, holte sie das Buch her und las daraus vor, unter andern, pagina mihi 383, ein Rezept zu Luftmunken. Er kann denken, was die Luftmunken bei uns allen für Sensation machten! und wie wir die Ohren spitzten! die Gertrud selbst nicht ausgenommen, die doch in dergleichen Dingen sehr bewandert war. Ja, sie hatte ihre Nücken die selige Frau, das ist nicht zu leugnen; aber gutes Backwerk konnte sie machen. Und wie man sich nicht schwer zu einer Generosität entschließt die in unser Talent einschlägt, so versprach sie, auf der Stelle und mit dem Buch in der Hand, uns den Abend noch mit dem neuen Gebacknen zu regalieren. Mir ist in meinem Leben kein Nachmittag so lang geworden, als der. Wir standen auf und setzten uns nieder, und machten allerlei Erfindung, die Zeit zu vertreiben; aber sie wollte sich nicht vertreiben lassen, und blieb wie angenagelt immer auf demselben Fleck. Endlich mußte sie doch weichen, und es ward würklich Abend, der Tisch gedeckt, und – die Luftmunken wurden aufgetragen! Und siehe da, es war ein ganz bekanntes Ding, das die Gertrud unter dem Namen Schneeballen hundertmal gemacht, und wir hundertmal bei ihr gegessen hatten.

Sieht Er, so kann das auf dem Papier triegen. Darum kann, versteht Er wohl von selbst, viel Gescheutes und Nützliches geschrieben werden und geschrieben sein. Meine Skrupel gehen nur wider das Schreiben und den Schreibegeist überhaupt, und Er wird finden daß viel Wahres darin ist.

Nun sage Er mir Seine Meinung von der verbesserten Erziehung, und von einer guten. Ich kann nichts anders aussinnen, als daß man selbst sein muß, was man die Kinder machen will. Sage Er mir was Bessers. Weiß Gott, ich will mir einen Finger abhauen, wenn Er mir was Probates sagen kann.


Sein Diener etc.

Asmus.


N.S. Ich kann Ihm in andern Stücken wieder dienen, wenn Er z.E. etwas von dem verbesserten Kalender wissen will. Denn das versteh ich aus dem Grunde: wie da nämlich die Sonne Fehler über Fehler gemacht, und ganze Stunden und Tage von abhänden hat kommen lassen, ohne daß es ein Mensch gemerkt[311] hatte, bis endlich der Papst Gregorius XIII. Nachricht davon erhalten, und, mit Hülfe der höchsten Reichsgerichte, alles wieder hineingeschaltet, und die Ordnung hergestellet hat.

ut supra.

Antwort

Lieber Freund,

Er hat sich nicht an den unrechten Schoß gewandt; ich stütze meinen Kopf seit einiger Zeit auch nicht umsonst. Übrigens hau Er ja den Finger nicht ab, denn ich kann Ihm nicht mehr sagen, als was Er weiß.

Grade das vom verbesserten Kalender versteh ich auch. Aber Er hat hier in petto behalten, oder Er versteht die Sache doch nicht recht aus dem Grunde wie Er sagt. Denn der Papst Gregorius XIII. hat die Ordnung weder allein noch ganz wiederhergestellt. Sieht Er, es war ein alter Schaden, und der Kardinal Julius Cäsar etc. hat schon geschaltet, und wir und unsre Kinder müssen immer noch schalten, und können es doch nicht einmal in Ordnung halten. Und in Rußland, wo die höchsten Reichsgerichte nichts zu befehlen haben, sind die von abhänden gekommnen Tage noch immer nicht wieder herbeigeschafft, deswegen auch die Russen niemals so viel schreiben können, als wir.

Ja wohl konnte die selige Gertrud gutes Backwerk machen, und ich habe ihr das Kochbuch auch geschenkt, und der Nachmittag ist mir auch lang geworden, und der Schreibegeist mir ebenso verdächtig als Ihm.

Überhaupt ist alles, was Er sagt, als wenn es mir aus dem Herzen gestohlen wäre. Ich habe auch, wenn man andre gut machen will, keinen andern Rat, als daß man erst selbst gut sei.

Und, wenn man weiß was das kostet, und denn die Welt und das Leben das darin geführt wird, wo die Kinder hinein und durch sollen, dazunimmt; so ergibt sich, was das Gegengewicht sein müsse. Wahrhaftig, kleine luftige Künste wollen's nicht tun. Auch wo ich Effekt gesehen habe, da liegt Religion zum Grunde, die alte nämlich, und so wird Er es auch finden. Leb Er wohl.

Sein Diener etc. Asmus. [312]

Schreiben des Kaisers von J-p-n an
einen gewissen –

Lieber Sieur,

Ich höre, daß es mit den »Goldbarren genug zu Hause« nicht allerdings seine Richtigkeit hat, und schicke Ihm hier, was ich Ihm zugedacht hatte. Nehm Er's ohne Umstände an, und schäm Er sich Seiner Gesundheit nicht, ich bitte Ihn darum.

Was macht Er sonst, und liegt Er noch den Studien ob? Schreib Er mir doch, was Er macht, und ob Er auch gestorben ist.

Hier hat sich, seit Er hier war, die Sache mit den Studien und der Aufklärung etwas verändert, und ich bin itzo den Europäern ziemlich auf den Hacken. |

Seit 7 Jahren sind in den kleinen Städten Gymnasiums, und in Yedo ist eine Universität, dahin jeder seinen Sohn schicken kann, und wer kein Geld hat, für den mache ich es mit den Her- ren Professoren gut. Das Räsonieren und Disputieren geht auch schon gut vonstatten, und das mit dem Journal- und Büchermachen, und den Illuminierklubs. Unsre Gelehrte haben würklich verschiedene recht nützliche und artige Einrichtungen und Erfindungen gemacht, und ich bin itzo noch einmal so lieb Kaiser als vorher.

Nur der Teil von meinen Untertanen, an den dies gelangt, ist mir immer doch gar zu klein und unbeträchtlich; und, was die Hauptsache ist, so weiß nun zwar dieser Teil viele Sachen, die er vorher nicht wußte, sonst aber ist er eher schlimmer als besser geworden. Ich möchte gern eine Aufklärung haben, da-durch Vater und Sohn, Mann und Frau, Herr und Knechte etc. für sich selbst und für einander, treuer und braver, und alle meine Untertanen beßre Untertanen und ich ein beßrer Regent würden. Und ich bin sehr begierig zu erfahren, wie weit die europäischen Aufklärer es in diesem Stück gebracht haben. Und wie sie das anfangen etc.


N.S. Soeben höre, daß ein europäischer Klub in Botany-Bay angekommen ist.

Die Apologie des Sokrates

Ich weiß nicht, ihr Männer von Athen, was meine Ankläger auf euch für einen Eindruck gemacht haben; ich aber bin beinahe durch sie über mich selbst irregemacht worden, so künstlich und schön haben sie gesprochen, ob sie gleich, so zu reden, nicht ein wahres Wort gesagt haben. Eins hab ich, von dem vielen, darin [313] sie euch fälschlich berichtet haben, sonderlich und am meisten bewundern müssen, das nämlich: daß sie euch heißen auf eurer Hut sein, um nicht von mir, als einem gewaltigen Redner, hintergangen zu werden. So etwas sagen zu dürfen, da sie doch auf der Stelle von mir, durch die Tat, werden widerlegt werden, denn ich bin wie ihr sehen sollet auf keine Weise ein gewaltiger Redner, das scheint mir ihre unverschämteste Unverschämtheit zu sein – sie möchten denn etwa denjenigen einen gewaltigen Redner nennen, der die Wahrheit sagt; wenn sie das meinen, so muß ich selbst sagen, daß ich ein Redner bin, nur nicht nach ihrem Sinn. Sie also, wie gesagt, haben nichts Wahres gesaget; mich aber sollt ihr in allen Stücken und auf alle Weise die Wahrheit sagen hören. Aber, beim Jupiter! ihr Männer von Athen, nicht in zierlicher und geblümter Rede, wie sie sprechen; sondern gradehin und wie mir die Worte in den Mund kommen. Recht soll das, hoff ich, sein was ich sage, und mehr erwarte keiner unter euch von mir. Denn, ihr Männer, es schickt sich für mein Alter nicht, daß ich wie ein Knabe vor euch auftrete der mit Worten spielt. Ich ersuche also und bitte es mir aus von euch, daß ihr euch, wenn ihr mich hier, in meiner Verteidigung, ebenso sprechen hört, als ich auf dem Markt bei den Wechselbänken, wo viele von euch zugehöret haben, und anderswo zu sprechen pflegte, daß ihr euch das nicht wollet wundern und irremachen lassen. Denn, ihr könnt mir glauben, ob ich gleich über 70 Jahr alt bin; so trete ich doch itzo zum erstenmal vor Gericht auf, und ich bin in Wahrheit fremd in der hier gebräuchlichen Sprache. Wie ihr nun, wenn ich würklich ein Fremder wäre, es mir vergeben würdet, wenn ich in der Sprache und nach der Art und Weise redete, darin ich erzogen wäre; so bitte ich euch auch nun, und mich dünkt ich bitte nichts Unbilliges: mir die Art und Weise, wie ich rede, hingehen zu lassen – vielleicht gibt's eine die schlechter ist, vielleicht auch eine die besser ist – das aber, was ich sage, nicht hingehen zu lassen, sondern fleißig und scharf zu erwägen, ob es nämlich recht ist oder nicht. Denn grade darin besteht die Pflicht des Richters; so wie die Parteien die ihrige getan haben, wenn sie die Wahrheit sagen. Zuerst aber, ihr Athenienser, muß ich mich gegen die Beschuldigungen verteidigen derer ich zu erst fälschlich bin angeklagt worden und gegen die ersten Ankläger, und denn gegen die darauf folgende Beschuldigungen und gegen die letzten Ankläger. Denn ich habe viele Ankläger, die mich schon seit lange und von vielen Jahren her, ohne allen Grund,[314] bei euch angeklagt haben; und die fürchte ich mehr als den Anytum und seinen Anhang, obgleich auch diese wohl zu fürchten sind. Aber, ihr Männer, jene sind es noch mehr, die vielen von euch von Jugend auf immer allerhand unwahre Dinge von mir vorerzählt und weisgemacht haben: Z.E. »daß ein gewisser Sokrates sei, ein weiser Mann, der den Dingen die im Himmel und unter der Erde sind nachtrachte, und aus Schwarz Weiß mache«. Welche eine solche Sage von mir ausgebracht haben, ihr Männer von Athen, die sind für mich sehr gefährliche Ankläger. Denn wer das hört, der denkt gleich: daß Leute, die sich mit solchen Dingen abgeben, an keine Götter glauben; hernach sind dieser Ankläger viele, und die da schon eine geraume Zeit vor euch angeklagt haben und dazu in einem Alter darin ihr am meisten aufgelegt waret zu glauben weil einige von euch grade noch Kinder und junge Leute waren, und die da offenbar, da niemand war der mich verteidigte, einen tumultuarischen Prozeß geführt haben; das allerschlimmste aber ist, daß ich ihre Namen nicht weiß und angeben kann, wenn nicht etwa einer davon ein Komödienschreiber ist. Wie viele also ihrer aus Neid und Verleumdung euch überredet haben, und alle, die, von andern überredet, wieder andre überredet haben, diese alle sind gar ungelegene und unbequeme Widersacher; denn ich kann nicht einen von ihnen hier stellen um ihn zu widerlegen, sondern ich bin genötiget zu verteidigen, wo niemand ist der angreift, und anzugreifen, wo niemand ist der sich verteidiget.

Ihr sehet denn also selbst, daß, wie ich sage, meine Ankläger von zweierlei Art sind: einige die mich itzo angeklagt, und andre welche es, wie gesagt, schon lange getan haben; und ihr werdet natürlich finden, daß ich mich zuerst gegen diese verteidige; denn sie haben mich bei euch am ersten angeklagt, und viel ärger als die letzten. Es muß denn also verteidigt sein, ihr Männer von Athen, und versucht werden: euch ein Vorurteil, das ihr während einer langen Zeit habt, in einer so sehr kurzen Zeit zu benehmen. Und ich wünschte, wenn es euch und mir besser ist, daß es sich so wollte tun lassen, und daß meine Verteidigung noch zu etwas mehr dienen möchte. Ich weiß aber, daß dies große Schwierigkeiten habe; auch ist es mir nicht allerdings unbewußt: wovon hier die Rede ist. Aber, auch das gehe, wie es Gott gefällig ist; ich muß dem Gesetz gehorchen und mich verteidigen. Ich will also bis zu dem Ursprung der Anklage zurückgehen, daraus mein böser Leumund entstanden ist, auf den sich Melitus [315] verlassen, und diese seine gerichtliche Klage wider mich angebracht hat.

Wie lautet denn eigentlich die Verleumdung der Verleumder, denn wir müssen sie ordentlich in Form bringen, wie ein Kläger seine geschworne Anklage?

»Sokrates ist ein böser Frevler, denn er trachtet den Dingen nach die im Himmel und unter der Erde sind, und macht aus Schwarz Weiß, und gibt in solchen Sachen Unterricht.« Das ist sie ohngefähr; und etwas Ähnliches habt ihr selbst in des Aristophanes Komödie gesehen, wo ein gewisser Sokrates aufgeführt wird sagend: daß er durch die Luft gen Himmel steige, und mehr andre dergleichen wunderliche Sachen, davon ich weder viel noch wenig verstehe.

Und ich sage dies nicht, um eine solche Wissenschaft, wenn jemand sich auf dergleichen versteht, zu verachten, und einen Prozeß weniger mit dem Melitus zu haben; sondern ich verstehe würklich von solchen Sachen nichts. Und zwar berufe ich mich, auf viele von euch, als Zeugen, und bitte euch, daß ihr euch untereinander befragen und besprechen wollet, so viele eurer mir jemals zugehört haben, und derer sind nicht wenige von euch; befragt euch denn untereinander; ob einer von euch mich jemals von dergleichen Sachen hat reden hören es sei wenig oder viel. Und sehet daraus, was es mit diesen und andern Dingen, die der große Haufe von mir sagt, für eine Bewandtnis habe; denn davon ist ebensowenig etwas wahr; so auch, wenn einer oder der andre von euch etwa hat sagen hören, daß ich würklich andre unterrichte und Geld damit verdiene, auch das ist nicht wahr. Zwar dünkt es mich keine üble Sache zu sein, wenn jemand imstande ist die Menschen zu unterrichten, wie Gorgias der Leontiner, und Prodikus der Keer, und Hippias der Eleer. Denn ein jeder von diesen ist imstande, in jeder Stadt dahin sie kommen, von den jungen Leuten, die doch den Umgang ihrer eignen Mitbürger umsonst haben können, welche sie wollen zu bewegen, daß sie diesen Umgang aufgeben, und sich an sie halten und dafür bezahlen und noch Dank obendrein wissen. Es ist auch noch ein andrer Mann ein Parier hier, ein Weiser; von dem habe ich gehört, daß er sich hier aufhalte. Denn ich traf von ohngefähr jemanden, der freigebiger gegen die Gelehrten ist als alle andre, den Kallias des Hipponikus Sohn, und fragte ihn, denn er hat zween Söhne; »Kallias«, sagte ich, »wenn deine Söhne Füllen oder Kälber wären, was für einen Lehrmeister wolltest du denn [316] für sie annehmen, der sie abrichtete, wie Füllen und Kälber abgerichtet werden müssen.« »Ja«, sagte er, »irgendeinen Bereiter oder Landmann.« »Nun sie aber Menschen sind, was willst du nun für einen Lehrmeister für sie annehmen? Wer ist der menschlichen und bürgerlichen Pflichten erfahren? Denn, da du Söhne hast, wirst du dich vermutlich darum bekümmert haben? Ist«, sagte ich, »so einer hier oder nicht?« »Allerdings«, antwortete er. »Wie heißt er«, sagte ich, »was ist er für ein Landsmann, und was nimmt er?« »Euenus«, antwortete er, »o Sokrates, ein Parier, fünfhundert Drachmen.« Und ich habe den Euenus seliggepriesen, wenn er diese Kunst, wie er sie in Wahrheit innehätte, auch so treu und mit Fleiß lehrte; ich würde mir auch selbst nicht wenig damit dünken und groß damit tun, wenn ich dergleichen verstünde; aber ich versteh es nicht, ihr Männer von Athen. Vielleicht möchte aber einer antworten: Aber Sokrates, was ist denn eigentlich dein Tun und Treiben? Woher sind solche Gerüchte von dir entstanden? Hättest du nie mehr und weniger getan als was andre tun, so wäre so viel Gerede und Gerücht nicht geworden; du mußt also etwas von dem Gewöhnlichen Abweichendes und Verschiedenes getan haben; sage uns also was das ist, damit wir nicht auch von dir mit ungewaschenen Händen urteilen. Wer so spricht, scheint mir vernünftig zu sprechen, und ich will versuchen, ob ich euch begreiflich machen kann was das ist, das mir den Namen und das Gerede gemacht hat. Höret denn! Vielleicht wird das, was ich sage, einigen unter euch wie Scherz vorkommen; wißt aber, daß ich euch die lautre Wahrheit sage. Ich also, ihr Männer von Athen, habe diesen Namen durch nichts anders als durch eine gewisse Weisheit erhalten. Durch was für eine Weisheit? Durch eine, die vermutlich menschliche Weisheit ist; denn ich scheine würklich mit dieser begabt zu sein. Die Weisheit aber, damit jene, von denen ich bisher geredet habe, etwa begabt sind, muß eine über- und unmenschliche sein, oder ich weiß nicht was ich sie nennen soll; denn ich bin dieser Weisheit nicht erfahren, und wer da sagt, daß ich ihrer erfahren sei, der sagt die Unwahrheit und will mich verleumden. Und werdet nicht ungehalten auf mich, ihr Männer von Athen, wenn ich euch etwas großzusprechen scheine. Denn ich gebe nicht, als mein Wort, was ich sage; sondern ich will einen Sager anführen, und den werdet ihr gelten lassen. Der Zeuge nämlich dieser meiner Weisheit, ob und was sie auch sein mag, ist der Gott zu Delphi. Ihr kennt den Chärephon; er war mein Freund von Kindesbeinen [317] an, und der Freund von vielen unter euch; er hat die bekannte Flucht mitgemacht, und kam mit euch zurück; ihr wißt, was er für ein Mann war, und wie er trieb und durchsetzte, was er sich vornahm. Einmal nun, als er nach Delphi kam, wagte er: Folgendes den Gott zu fragen; aber, wie ich sage, ihr müßt nicht unwillig werden, ihr Männer; er fragte also: ob irgend jemand weiser sei, als ich. Die Göttin gab die Antwort: daß niemand weiser sei; und dies kann sein Bruder, der hier gegenwärtig ist, euch bezeugen, da er selbst nicht mehr lebt. Seht nun, wozu ich euch dies alles sage; ich will euch nämlich zeigen, woher mein Leumund gekommen ist.

Als ich dies hörte, dachte ich in meinem Herzen darüber nach: Was sagt der Gott? Und was will er damit zu verstehen geben? Denn ich bin mir weder vieler noch weniger Weisheit bewußt. Was meint er denn, wenn er sagt: daß ich der Weiseste sei? Lügen tut er nicht; denn das steht ihm nicht an.

Ich war lange Zeit ungewiß, was er meine. Hernach bin ich endlich auf folgenden Weg gekommen, seine Meinung herauszubringen. Ich ging nämlich zu einem von den angesehenen Gelehrten, um hier, wenn irgendwo, den Götterspruch zu widerlegen, und dem Orakel augenscheinlich zu zeigen, daß dieser weiser sei als ich, und du hast doch gesagt: daß ich es sei. Da ich nun diesen Mann scharf ins Auge faßte, mit Namen darf ich nichts nennen, aber er war der Staatsmänner einer, da ich ihn also ins Auge faßte, fing mir folgendes Licht an aufzugehen, ihr Männer von Athen. In der Unterredung also die ich mit ihm hatte schien mir dieser Mann vielen andern Menschen und sonderlich sich selbst weise zu scheinen, es aber nicht zu sein. Und hernach versuchte ich es ihm zu zeigen: daß er zwar glaube weise zu sein, es aber nicht sei; dadurch aber machte ich ihn und viele von denen, die gegenwärtig waren, böse.

Beim Weggehen nun dachte ich bei mir selbst: du bist weiser als dieser Mensch. Denn es hat das Ansehen, daß keiner von uns beiden weiß, weder was schön noch was gut ist; dieser aber meint etwas zu wissen da er doch nichts weiß; ich aber, so wie ich nicht weiß, so meine ich auch nicht. Ich scheine also in einer Kleinigkeit weiser als er zu sein, darin nämlich; daß ich das, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube. Von hier ging ich zu einem andern von denen, die noch mehr angesehen waren, als dieser; und ich habe immer dasselbe wieder gefunden, und habe auch ihn und viele andere böse gemacht. Nach diesem und von [318] nun an ging ich, freilich mit dem Bewußtsein und mit Betrübnis und Furcht: daß ich mich verhaßt mache; zu gleicher Zeit aber schien es mir, daß man das was von Gott kömmt über alles andre achten müsse, und wer den Götterspruch verstehen lernen will, gehen müsse, bei allen die sich etwas zu wissen dünken. Und auf Glauben, ihr Männer von Athen! denn ich muß vor euch die Wahrheit sagen, ich habe es in der Tat gefunden wie folget: diejenigen, die ihrer Weisheit wegen am hochberühmtesten sind und einen großen Namen haben, sind mir als die allerarmseligsten vorgekommen, nach der Weisung des Gottes zu Delphi angesehen; andre aber, die weit geringer geachtet werden, viel aufgelegter zum Klugwerden. Doch ich muß euch mein ganzes Tun und Treiben erzählen, und was ich alles versucht und unternommen habe, damit mir das Orakel unwidersprechlich gewiß werden möchte.

Von den Staatskundigen ging ich zu den Poeten, sowohl den Tragödien- als Dithyrambendichtern und den andern, auf daß hier meine geringere Weisheit an Tag komme, und ich gleichsam auf der Tat ertappt werden möchte. Ich sprach also mit ihnen über solche von ihren Gedichten darein sie mir am meisten Sinn schienen gelegt zu haben, und fragte sie was dies und das bedeute, damit ich zugleich etwas von ihnen lernen möchte. Aber ich schäme mich, euch zu sagen, ihr Männer, wie es doch würklich wahr ist. Gleichwohl muß es heraus. Und mit einem Wort, alle Anwesende sprachen beinahe von dem, was sie gemacht hatten, besser als sie selbst. Ich sahe also auch wieder bei den Poeten an dieser kleinen Probe, daß sie, was sie gedichtet, nicht aus Eingebung der Weisheit gedichtet hätten, sondern aus einer natürlichen Eingebung, und in einer Art von Begeisterung wie die Prophezeier und Weissager. Denn diese sagen auch viele und schöne Sachen, verstehen aber nichts von dem was sie sagen. So ohn-gefähr, und so etwas scheinen mir auch: diese Begeisterung und die begeisterten Poeten zu sein. Zugleich merkte ich auch: daß sie, ihrer Dichterei wegen, glaubten, auch in andern Dingen sehr weise Männer zu sein, was sie aber nicht waren. Ich ging also auch von hier weg, und glaubte: aus dem nämlichen Grunde, wie vorhin bei den Staatsleuten, auch ihnen überlegen zu sein. Zum Beschluß ging ich nun zu den Künstlern; denn ich war mir bewußt, daß ich nichts wisse, sozusagen; ich wußte aber gewiß, daß ich hier Leute finden würde, die viele und nützliche Sachen wüßten. Und darin betrog ich mich auch nicht; sie wußten würklich [319] Sachen die ich nicht wußte, und waren in diesem Stück weiser als ich. Aber, ihr Männer von Athen, eben den Fehler, den die Poeten hatten, schienen mir diese guten Künstler auch zu haben. Weil sie in ihrer Kunst Meister waren; so meinte ein jeder: er verstehe auch andere Dinge, große und kleine, meisterlich. Und dieser ihr Mißgriff machte jene Weisheit wieder zunicht, so daß, wenn ich mir selbst, im Namen des Orakels, die Frage vorlegte, was ich am liebsten wollte: so bleiben wie ich bin, und weder ihre Weisheit noch ihren Unverstand haben, oder beides haben wie sie sie haben: ich mir und dem Orakel antworten würde, daß es für mich viel besser sei: so zu bleiben wie ich bin. Durch diese Untersuchungen nun, ihr Männer von Athen, habe ich mir viele und sehr heftige und bittere Feindschaften zugezogen, und daraus sind mir denn die mancherlei Verleumdungen entstanden, und auch der Name eines Weisen beigelegt worden; denn überall glauben die Leute die umherstehen und zuhören: ich müsse in den Sachen, darin ich einen andern seiner Unwissenheit überführe, weise sein. Ich aber glaube: Gott sei in der Tat und in der Wahrheit weise, und sage in diesem Orakel: daß die menschliche Weisheit wenig oder nichts wert sei; und er scheint bloß den Sokrates zu nennen und meinen Namen zu brauchen, um an mir ein Exempel zu geben, als wollte er sagen:

»Der, ihr Menschen, ist der Weiseste unter euch, der da, wie Sokrates erkennet, daß er zur Weisheit wahrhaftig untüchtig, und ganz und gar nichts sei.«

Dies nun suche ich, bisher und noch, zu erforschen und zu erkunden nach dem Willen Gottes, und gehe bei Einheimischen und Fremden wo ich von jemand höre der weise sein soll; und wenn er mir denn nicht so dünkt, so komme ich dem Gott zu Hülfe, und zeige ihm daß er es nicht ist.

Und wegen dieser Angelegenheit habe ich nicht Zeit gehabt, weder in Stadt- noch in meinen häuslichen Geschäften irgend etwas von Bedeutung zu schaffen, sondern ich bin, dieses Gottesdienstes wegen, in großer Armut allenthalben.

Dazu kommt noch, daß die jungen Leute, die mir nachgehen, die nichts zu versäumen haben, reicher Leute Kinder, aus freien Stücken, daß die ihre Lust daran haben, wenn sie sehen, daß Leute ihres Irrtums überführt werden. Und sie ahmen mir auch vielfältig nach, und versuchen es selbst: andern an den Puls zu fühlen; und ich will glauben, daß sie denn genug und satt Menschen finden, die etwas zu wissen meinen aber wenig oder nichts [320] wissen. Diese nun, die von ihnen so behandelt worden sind, die werden ihnen nicht böse, sondern mir, und sprechen denn: es sei ein gewisser Sokrates, ein sehr gefährlicher Mann, und Jugendverderber. Und wenn denn jemand sie frägt: was ich tue und was ich lehre; so können sie zwar nichts sagen, denn sie wissen nichts. Damit sie aber sich nicht bloßgeben, so sagen sie: was man gegen alle Philosophen zu sagen pflegt, nämlich: daß er dem was im Himmel und unter der Erde ist nachtrachte, keine Götter glaube, und aus Schwarz Weiß mache. Denn die Wahrheit wollen sie wohl nicht sagen, daß sie nämlich der Welt offenbar werden, als Leute die etwas zu wissen vorgeben aber nichts wissen. Diese Leute nun, die ehrgeizig, heftig und ihrer viele sind, und die ihr Wort fein und listig zu machen wissen, das sind die Leute, die mich, weiland und nun, bei euch schwarz gemacht und in übeln Ruf gebracht haben. Aus diesen ist nun Melitus gegen mich hervorgetreten und Anytus und Lykon; Melitus mir feind: von wegen der Poeten, Anytus: von wegen der Künstler und Staatsleute, und Lykon: von wegen der Redner. – So daß ich mich also, wie ich gleich anfangs gesagt habe, wundern würde, wenn ich imstande wäre, euch dieses Vorurteil, daran so lange und von so vielen gearbeitet worden ist, in einer so kurzen Zeit zu benehmen.

Da habt ihr nun die Sache, so wie sie ist, ihr Männer von Athen; ich habe euch nichts verhehlt weder viel noch wenig, und kein Blatt vor den Mund genommen. Und ich weiß auch, daß ich hier böse Leute gemacht habe. Das aber ist grade ein Beweis, daß ich die Wahrheit sage, und daß mein böser Ruf das ist, was, und daß er so entstanden ist, wie ich sage. Und ihr mögt es nun itzo oder ein andermal untersuchen, so werdet ihr es immer so und nicht anders finden. Und damit sei denn meine Verteidigung an euch gegen das, des meine ersten Ankläger mich angeklagt haben, beschlossen.

Was den Melitum, den guten, den Patrioten, wie man sagt, und die andern anlangt, da will ich nun versuchen, meine Verteidigung zu machen. Erst aber wollen wir, wie bei den andern Anklägern, so hier, die geschworne Anklage hören. Sie lautet so: »Sokrates«, sagen sie, »ist ein böser Frevler, denn er verdirbt die jungen Leute, und er glaubt nicht die Götter, welche die Stadt glaubt, sondern andre neue dämonische Dinge.« Das nun ist die Beschuldigung. Wir müssen sie Stück für Stück beherzigen. Sie sagen also, daß ich ein böser Frevler sei weil ich die jungen Leute verderbe. [321] Ich aber, ihr Männer von Athen, sage: daß Melitus ein böser Frevler sei weil er mit ernsthaften Sachen Scherz treibt, Leute ohne Ursache vor Gericht zieht, und die Miene macht als wenn ihm an Dingen sehr gelegen wäre, darum er sich doch nie bekümmert hat. Daß aber dem so sei, will ich euch nun darzutun suchen. Sage mir denn also, Melitus, ist es nicht deine allerangelegentlichste Sorge: daß die jungen Leute recht und vollkommen gut werden?


M.: Ja.

S.: Wohlan, so sage denn diesen Männern hier, wer sie gut macht. Denn offenbar mußt du es wissen, es ist deine allerangelegentlichste Sorge. Da du nun den, der sie wie du sagst verdirbt, ausgefunden hast und mich hieher vor Gericht ziehest und anklagest; so nenne nun auch den der sie gut macht, und zeige dem Gericht an, wer er ist. – Siehst du, Melitus, du schweigest, und weißt nicht was du antworten sollst. Scheint dir das nicht übel zu stehen, und ein hinlänglicher Beweis von dem zu sein was ich sage, nämlich daß du dich um die jungen Leute nie bekümmert hast? Sage, du guter Melitus, wer bessert sie?

M.: Die Gesetze.

S.: Aber das frage ich nicht, Lieber, sondern welcher Mensch, der denn freilich diese Gesetze vorher wissen muß?

M.: Diese Richter hier, Sokrates.

S.: Was sagst du, Melitus? Sie könnten die jungen Leute erziehen und besser machen?

M.: Allerdings.

S.: Alle denn, oder nur einige von ihnen, andre aber nicht?

M.: Alle.

S.: Gut gesprochen, bei der Juno! Du beschenkst uns ja mit einem reichen Segen von ersprießlichen Männern. Aber die Zuhörer hier, machen auch die sie besser oder nicht?

M.: Auch die.

S.: Und die Ratmänner?

M.: Auch die Ratmänner.

S.: Aber, Melitus, die in den Volksversammlungen versammleten Bürger, die verderben die jungen Leute, oder machen auch die alle sie besser?

M.: Auch sie alle.

S.: Also, alle Athenienser, bis auf mich, machen sie gut, und ich allein verderbe sie. Sagst du nicht das?

[322] M.: Allerdings, sag ich das.

S.: Du machest ja einen rechten Ausbund aus mir. Aber, antworte doch. Scheint dir das bei den Pferden ebenso zu sein, daß nämlich alle Menschen die sind die sie besser machen, und daß ein einziger ist der sie verdirbt? Oder hat nicht grade das Gegenteil statt, daß nämlich ein einziger ist der es versteht sie besser zu machen, oder einige wenige Bereiter, und die andern alle, die mit Pferden umgehen und hantieren, sie verderben? Ist es nicht so, Melitus, bei den Pferden, und bei allen andern Tieren? Es verhält sich würklich so, du und Anytus mögt es sagen oder nicht sagen. Die jungen Leute wären denn vor allen Tieren sehr glücklich, wenn nur ein einziger sie verdirbt, die andern aber sie gut machen. Aber, Melitus, du hast mein ich genug verraten, daß du an die jungen Leute nie gedacht hast; und zeigst offenbar deine Unbesonnenheit, da du nicht einmal auf das, weswegen du mich hier vor Gericht ziehst, gesonnen hast. Sage uns aber noch Melitus, wo ist es besser wohnen, unter guten Bürgern oder unter bösen? – Nun so antworte doch, ich frage dich ja nichts Schweres. Sollten nicht die Bösen denen, die ihnen beständig nahe und um sie sind, immer etwas Böses tun, die Guten aber etwas Gutes?

M.: Freilich.

S.: Sollte wohl jemand sein, der von denen die mit ihm umgehen lieber unglücklich als glücklich gemacht sein will? Antworte, du Guter. Auch das Gesetz befiehlt zu antworten. Sollte es einen geben, der unglücklich gemacht sein will?

M.: Nein, gewiß nicht.

S.: Noch eins. Du ziehst mich hier vor Gericht als der ich die jungen Leute verderbe und sie böser mache, wie soll ich das tun: vorsätzlich, oder unvorsätzlich?

M.: Vorsätzlich.

S.: Wie, du wärest in deinen jungen Jahren so viel klüger als ich in meinen alten, daß du einsiehest, die Bösen tun denen die mit ihnen umgehen Böses, und die Guten Gutes; ich aber wäre so sinnlos und sollte nicht begreifen, wenn ich von denen die um mich sind schlimmer mache, daß sie mir denn in Zukunft selbst schaden können; ich begriffe von der Gefahr und von dem allen so wenig, daß ich ein so großes Übel, wie du sagst, vorsätzlich täte? Des, Melitus, überredest du mich nicht, und auch wohl keinen andern Menschen. Entweder [323] ich verderbe gar nicht, oder ich verderbe unvorsätzlich. So daß du auf beide Fälle lügst. Denn wenn ich unvorsätzlich verderbe; so ist es nicht Sitte, dergleichen unvorsätzliche Vergehungen ins Gericht zu bringen, sondern man nimmt einen solchen Menschen unter vier Augen und belehrt und ermahnt ihn eines Bessern; denn natürlich, wenn ich eines Bessern belehrt werde, so werde ich nicht mehr tun was ich unvorsätzlich tue; aber du bist mir aus dem Wege gegangen, und hast mich nicht belehren wollen, ziehst mich aber hierher, wo nur die hingehören, die einer Bestrafung, nicht aber die einer Belehrung bedürfen. Doch, ihr Männer von Athen, es ist schon erwiesen, was ich sagte, nämlich daß sich Melitus hierum weder wenig noch viel bekümmert habe.

Sage nun aber auch, Melitus, wodurch du meinst daß ich die jungen Leute verderbe? Nach deinem Klaglibell, lehre ich, die Götter nicht glauben welche die Stadt glaubt, sondern andre neue dämonische Dinge. Sagst du nun nicht das: daß ich durch solche Lehre verderbe?

M.: Allerdings sage ich das.

S.: Aber, bei den nämlichen Göttern selbst wovon hier die Rede ist, Melitus, erkläre dich mir und diesen Männern etwas deutlicher, denn ich verstehe nicht recht, ob du sagest: daß ich doch an irgend Götter glauben lehre, und sie auch selbst glaube, und also nicht ganz und gar ein Atheist bin. Ist das mein Frevel? Oder: daß ich nicht an die Götter der Stadt, sondern an andre glauben lehre. Und mein Frevel ist, daß ich andre lehre? Oder sagst du endlich: daß ich überall an keine Götter glaube, und so auch lehre?

M.: Ja das sage ich, daß du überall an keine Götter glaubest.

S.: O du unbegreiflicher Melitus, warum sagst du denn das? Also ich halte weder die Sonne noch den Mond für Götter wie andere Menschen?

M.: Beim Jupiter nicht, ihr Männer und Richter! Er sagt: daß die Sonne ein Stein und der Mond eine Erde sei.

S.: Lieber Melitus, du scheinst den Anaxagoras anzuklagen. Und beschimpfest also diese Männer, da du sie so unbelesen glaubst als wüßten sie nicht, daß dergleichen in des Anaxagoras von Klazomene Schriften auf allen Seiten zu lesen ist. Und dergleichen Dinge sollten die jungen Leute von mir lernen, da es ihnen freistehet: sie sich für einige Drachmen [324] wenn's hoch kommt aus der Komödie zu holen und den Sokrares auszulachen, wenn er solche Dinge, die überdem so abgeschmackt sind, für seine Erfindung ausgeben wollte. Aber beim Jupiter, ist das würklich so dein Ernst, daß ich gar keinen Gott glaube?

M.: Nein, beim Jupiter, gar keinen.

S.: Du verdienst keinen Glauben, Melitus, und in diesem Stück, wie ich dich ansehe, bei dir selbst nicht. Ihr Männer von Athen, es kommt mir vor, daß dieser Mann uns nur zum besten und seine Anklage bloß aus Frevel und Knabenmutwillen angebracht habe. Es sieht gradeso aus, als habe er ein Rätsel aufgeben und versuchen wollen: ob Sokrates, der Weise, es wohl merken sollte, daß er meiner spottet und offenbare Widersprüche sagt; oder: ob er ihn und die andern Zuhörer richtig bei der Nase führen werde. Denn er scheint mir in seiner Klage sich selbst grade so arg zu widersprechen, als wenn er sagte: Sokrates frevelt, indem er keine Götter glaubt und doch Götter glaubt; das heißt aber Scherz treiben. Seht ihr nun mit zu, ihr Männer, wie und warum er mir das zu sagen scheint. Antworte uns denn Melitus; und ihr! vergesset nicht, wie ich euch gleich anfangs gebeten habe, mir zu erlauben, daß ich den Beweis in meiner gewöhnlichen Manier gebe. Ist wohl irgendein Mensch der da glaubet, daß es menschliche Dinge gebe aber keine Menschen? Laßt ihn antworten, ihr Männer, und nicht immer andre Dinge kramen. Ist jemand, der pferdische Dinge glaubt, aber keine Pferde? Oder der keine flötenspielerische Dinge glaube, aber doch Flötenspieler? – Es ist kein solcher, du lieber Mann! Wenn du nicht antworten willst, so sage ich es dir und den andern die hier sind. Das aber beantworte du noch: Ist jemand der da glaubt: daß es dämonische Dinge, aber nicht glaubt: daß es Dämonen gebe?

M.: – Nein.

S.: Wie du so ungern darangehst, daß auch, auf Befehl des Gerichts, kaum ein Wort heraus will! Sagst du nicht: ich glaube und lehre dämonische Dinge, sie mögen nun neu oder alt sein? Dämonische Dinge also glaube ich, nach deiner eignen Angabe, und du hast es sogar in deinem Klaglibell beschworen. Wenn ich aber dämonische Dinge glaube; so muß ich doch wohl notwendig auch Dämonen glauben! Ist das nicht wahr? – Das also ist wahr; denn weil du nicht antwortest, [325] so nehme ich an daß du es zugibst. Nun die Dämonen werden für Götter, oder für Söhne der Götter gehalten. Gibst du das zu, oder nicht?

M.: Freilich.

S.: Wenn ich also, wie du sagst, Dämonen glaube, und Dämonen Götter sind; so wäre das ja was ich behaupte, nämlich daß du Possen und Scherz treibest, und vorgibst: ich glaube keine Götter und glaube doch auch wieder Götter, weil ich Dämonen glaube. Sind aber Dämonen natürliche mit Nymphen oder andern erzeugte Söhne der Götter, wie sie denn dafür ausgegeben werden, welcher Mensch könnte denn glauben, daß es Söhne der Götter gäbe aber keine Götter! Das wäre ebenso widersinnig, als wenn jemand glaubte, daß es Söhne der Pferde und Esel gäbe, nämlich Maulesel, aber nicht glaubte, daß es Pferde und Esel gäbe. Du hast also dein Klaglibell aufgesetzt, Melitus, entweder: um den obbenannten Versuch mit uns zu machen, oder aber: weil es dir an einem würklichen Vergehen fehlte des du mich hättest anklagen können. Denn es ist gar keine Prozedur, irgendeinem Menschen wenn er nicht ganz von allen Verstand verlassen ist überreden zu wollen: daß derselbe Mann Dämonen und Götter glaube und wieder Dämonen und Götter und göttliche Menschen nicht glaube. Doch, ihr Männer von Athen, daß ich kein böser Frevler bin, nach dem Klaglibell des Melitus, scheint mir keine Sache zu sein die erst weitläuftig verteidigt werden müßte, sondern es ist an diesem genug. Was ich aber vorhin gesagt habe, daß nämlich viel und vieler Unwillen gegen mich ist, das wißt ihr wohl, daß es wahr ist. Und das ist es auch was mich zugrunde richten wird, wenn mich etwas zugrunde richtet; nicht Melitus noch Anytus, sondern die Verleumdung und der Neid des großen Haufens. Was schon so viele andre und gute Männer zugrunde gerichtet hat, das wird auch künftig zugrunde richten, und es wäre sonderbar, wenn es bei mir feiern sollte.

Es möchte aber jemand von euch sagen: Schämst du dich aber nicht, Sokrates, daß du ein Geschäft getrieben hast, das dir nun vielleicht dein Leben kosten wird? Wer nun so sagt, dem will ich ein wahres Wort dagegen sagen. Du sprichst nicht wohl, Mensch, wer du auch bist, wenn du meinst daß ein Mann, an dem nur ein Haar gut ist, Gefahr und Leben [326] oder Tod in Anschlag bringen, und daß er nicht darauf allein sehen müsse, wenn er handelt: ob er recht handle oder unrecht, wie ein guter oder wie ein schlechter Mann. Nach deiner Philosophie wären ja die Halbgötter Narren, so viel ihrer vor Troja gefallen sind, und unter andern der Thetis Sohn, der die Gefahr, gegen Schande und Makel, so gering achtete, daß, als ihm, auf dem Wege den Hektor umzubringen, seine Mutter, die doch eine Göttin war, Folgendes ungefähr sagte: »Wenn du den Tod deines Freundes Patroklus rächest und den Hektor umbringst, so mußt du selbst sterben, denn du und Hektor gehen miteinander«; daß er, da er das gehört hatte, gleichwohl Tod und Gefahr sein ließ, und viel mehr fürchtete, mit Schande zu leben und die ihm lieb waren nicht zu rächen. Er antwortete alsobald: »Mag ich sterben, wenn ich diesen Bösewicht bezahle; daß ich nur nicht hier zum Gelächter und als ein Taugenichts bei den hohlen Schiffen sitze.« Scheint's dir, daß er auf Tod und Gefahr sonderlich gesehen habe? – Und so ist auch die Sache in Wahrheit, ihr Männer von Athen! Wo sich einer nach seiner besten Überzeugung hinstellt, oder wo er von seinen Vorgesetzten hingestellt wird, da muß er, meines Bedünkens, bleiben und aushalten, die Schande fürchten und außerdem nichts weder Tod noch sonst etwas. Ich hätte sonst sonderbar gehandelt, ihr Männer von Athen, als ich, in Potidäa, in Amphipolis und Delium, da stehen blieb, wo die Vorgesetzten, die ihr mir vorgesetzt hattet, mich hinstellten. – Ich blieb damals stehen, wie ein jeder anderer auch, und lief die Gefahr getötet zu werden.

Und nun Gott, wie ich glaube und überzeugt bin, mich hingestellt hat: als ein Weisheitliebhaber zu leben und mich selbst und andre zu forschen und zu prüfen, nun wollte ich weichen und aus Furcht des Todes oder sonst einiges Dinges meinen Platz verlassen? – Denn wäre ich niederträchtig, und einer könnte mich mit Wahrheit und mit Recht vor Gericht anklagen: daß ich nicht an Götter glaube, weil ich dem Orakel nicht gehorsam bin, und weil ich den Tod fürchte und mich also weise dünke da ich es doch nicht bin. Denn, ihr Männer, den Tod fürchten ist nichts anders, als sich weise dünken da man es nicht ist; nichts anders: als das zu wissen glauben was man nicht weiß. Niemand kennt den Tod, und niemand weiß, ob er nicht vielleicht das größte [327] Gut für den Menschen ist; und sie fürchten ihn, als wenn sie gewiß wüßten, daß er das größte Übel sei. Ist denn das nicht jener Unverstand, der schändlichste von allen, der nämlich: zu wissen glauben was man nicht weiß. Ich aber, ihr Männer, bin in diesem Punkt auch hier von den meisten Menschen verschieden; und wenn ich sagte, daß ich darin weiser bin als ein andrer, so ist das hier: daß ich, so wie ich »das nach dem Tode« nicht hinlänglich weiß, es auch nicht glaube zu wissen. Aber dem Bessern, Gott oder Mensch, nicht gebührlich begegnen und ihn nicht hören, daß das böse und schändlich ist, das weiß ich. Ich werde also, für das Böse von dem ich weiß daß es böse ist, das, von dem ich nicht weiß ob es nicht vielleicht gut sein kann, in keine Wege fürchten noch fliehen. So daß, wenn ihr mich nun entließet und dem Anytus nicht Gehör gäbet, der da gesagt hat: entweder ihr hättet mich gar nicht vor Gericht ziehen müssen, oder nun ihr es einmal getan habt, müßtet ihr mich auch töten, weil sonst wenn ich davonkomme eure Söhne der Lehre des Sokrates nachlaufen und alle ganz und gar würden verdorben werden, ich sage wenn ihr mich entlassen wolltet und zu mir sprächet: Sokrates, wir geben dem Anytus nicht Gehör, sondern wir entlassen dich, doch auf die Bedingung, daß du dich mit jener Prüfung und dem Weisheitliebhaben nicht weiter befassest; wirst du aber wieder darauf ertappt, so sollst du sterben. Wenn ihr nun das tätet, so würde ich euch sagen: Ihr Männer von Athen, ich ehre und liebe euch, gehorche aber Gott mehr als euch, und solange noch der Odem und das Leben in mir sind, werde ich nicht aufhören mich mit der Weisheit zu beschäftigen und euch zu vermahnen und zurechtzuweisen, und, wo ich einen von euch treffe, ihm zu sagen, wie ich bisher getan habe: Du guter Mensch, du bist aus Athen, aus der Stadt die wegen ihrer Weisheit und Stärke unter allen Städten am größten und berühmtesten ist, und du schämst dich nicht, nach Reichtum, Ehre und Ansehen zu streben, als wenn sie dein größtes Gut wären; um Verständigkeit aber und Wahrheit und wie deine Seele gebessert werden möge, kümmerst und sorgest du nicht. Und wenn denn einer von euch dagegen anspräche und sagte: er sorge darum; so würde ich ihn nicht gleich fahrenlassen, noch fortgehen, sondern ich würde ihn fragen und forschen und zu sich selbst bringen. Und, wenn er mir nicht schiene Tugend [328] würklich zu besitzen, sie aber auszuhängen; so würde ich ihn schelten, daß er die höchsten Dinge am geringsten und die geringsten am höchsten achtet. Das würde ich tun, an jung und alt, wo ich sie träfe, und Fremden und Einheimischen; den Einheimischen aber, da ihr mir näher verwandt seid, am meisten. Denn das befiehlt Gott, wißt ihr wohl! – und ich glaube, daß euch keine größere Wohltat je in der Stadt geworden ist, als mein Gehorsam gegen Gott. Denn ich tue nichts anders, als daß ich herumgehe und euch, Junge und Alte, bitte und rate: nicht zuerst für den Leib und für Reichtum, noch für sonst irgend etwas so sehr zu sorgen, als für die Seele daß die vollkommen werde; euch sagend: daß Tugend nicht aus Reichtum komme, sondern der Reichtum, und alles was die Menschen als Menschen und als Bürger glücklich machen kann, aus der Tugend.

Wenn ich nun damit, daß ich dies sage, die jungen Leute verderbe; so müßte denn dies schädlich und verderblich sein. Spricht aber jemand, daß ich etwas anders als dies sage, der sagt nichts. Weiter sage ich, ihr Männer von Athen, gebt dem Anytus Gehör oder nicht, sprecht mich los oder nicht; ich werde nie etwas anders tun, auch nicht wenn ich mehr als einmal sterben müßte. Werdet nicht ungehalten, ihr Männer von Athen, sondern erfüllet meine Bitte; ich habe euch gebeten: über das, was ich sage, nicht ungehalten zu werden, sondern anzuhören. Und zwar werdet ihr, meines Bedünkens, beim Anhören selbst gewinnen. Denn ich habe euch noch einige andre Dinge zu sagen, die euch noch empfindlicher machen könnten. Aber werdet nicht empfindlich. Denn ihr wisset wohl, wenn ihr mich ums Leben bringet, so wie ich bin und mich beschrieben habe; so schadet ihr mir nicht mehr, als euch selbst. Mir wird nichts schaden, nicht Melitus noch Anytus. Sie können es nicht. Denn es ist nicht nach Gottes Ordnung, daß der bessere Mann von dem schlechteren beschädiget werde. Er kann ihn wohl um sein Leben, oder aus dem Lande, oder in Schmach und Unehre bringen; und dies alles hält er vielleicht, und mancher andrer mit ihm, für ein großes Unglück; ich halte es nicht dafür, sondern ich halte das für ein viel größeres: wenn jemand, wie dieser hier tut, darauf ausgeht, einem Manne ungerechterweise den Tod zu bereiten. Wenn ich mich also verteidige, ihr Männer von Athen, so geschieht das ganz und gar nicht um meinetwillen, wie mancher [329] wohl denken mag, sondern um euretwillen; damit ihr euch, durch ein Urteil wider mich, an der Gabe nicht versündiget, die euch Gott gegeben hat. Denn ihr werdet, wenn ihr mich ums Leben bringt, wahrlich nicht leicht so einen wieder finden, der, so lächerlich es klingen mag, der Stadt von Gott gesetzt ist, als wenn sie ein Roß wäre, das groß und von guter Rasse aber seines vielen Fleisches wegen etwas träge ist und durch Sporn und Peitsche angetrieben sein will. Zu einem solchen Treiber scheint Gott mich bei der Stadt hingestellt zu haben, der ich, einen jeden von euch zu ermuntern, zu ermahnen und zu bestrafen, nicht ruhe, und den ganzen Tag und allenthalben die Peitsche um den Kopf gehen lasse. So einer nun, ihr Männer, kömmt euch so leicht nicht wieder. Darum, wenn ihr meinen Rat hören wollt, so geht säuberlich mit mir um. Vielleicht aber werdet ihr im ersten Unwillen, wie Schläfernde die geweckt werden, über mich herfahren und mich aufs Wort des Anytus kurz und gut ums Leben bringen. So müsset ihr denn eure übrige Lebenszeit fortschläfern, wenn Gott nicht für euch sorgen und euch nicht etwa einen andern schicken sollte.

Daß ich aber würklich so einer bin, der von Gott der Stadt gegeben ist, das könnt ihr daran erkennen. Denn scheint das menschlich, daß ich alles was mich selbst betrifft hintansetze und meine häusliche Angelegenheiten vernachlässigt werden lasse, nun so viele Jahre schon; das eure aber immer treibe, indem ich, auf meine eigne Hand, zu einem jedweden gegangen bin und ihn wie einen Vater oder ältern Bruder zur Tugend ermahnet habe. Und hätte ich hievon noch einigen Nutzen gehabt, oder hätte mir meine Ermahnungen bezahlen lassen; so hätten sie doch etwas zu sagen. Nun seht ihr aber: meine Ankläger, die in allen übrigen Stücken so unverschämt anklagen, haben doch nicht so überunverschämt sein können einen Zeugen zu bringen, daß ich jemals einige Bezahlung weder genommen noch verlangt hätte. Ich aber bringe, meine ich, einen gültigen Zeugen: daß ich die Wahrheit sage, meine Armut nämlich.

Vielleicht möchte aber jemand denken, es sei sonderbar, daß ich Privatleuten solchergestalt rate und es mir dabei so sauer werden lasse, und doch nicht das Herz habe: öffentlich und in eurer Versammlung aufzutreten und der Stadt zu raten. Die Ursache von dem nun ist: jenes Göttliche und [330] Dämonische – jene Stimme die sich mir bisweilen hören läßt, von der ich euch mehrmalen und verschiedentlich gesprochen habe, welcher auch Melitus in seinem Klaglibell Erwähnung getan und darüber gespottet hat.

Mir ist es von Jugend auf geschehen, daß sich mir eine gewisse Stimme hat hören lassen; und, wenn sie sich hören läßt, so hält sie mich immer ab von dem was ich tun will, sie treibt aber niemals an. Das ist es, was mich hindert, mich mit Staatsangelegenheiten zu befassen, und es scheint sehr gut zu sein, daß ich gehindert worden bin. Denn ihr wißt wohl, ihr Männer von Athen, daß, wenn ich mich vor langer Zeit mit Staatssachen befaßt hätte, ich vor langer Zeit schon verloren gewesen wäre. Ich hätte also euch nicht genützt, und mir selbst auch nicht. Und zürnet nicht, wenn ich die Wahrheit sage. Kein Mensch kann gut fahren, weder unter euch noch in irgendeinem zahlreichen Kollegio, der aufrichtig sich widersetzt und verhindern will: daß nicht viele Ungerechtigkeiten und Unregelmäßigkeiten im Staat geschehen; sondern, wer in Wahrheit für die Gerechtigkeit streitet, der muß notwendig ein Privatmann bleiben und nicht öffentlich auftreten, wenn er anders einige Zeitlang sich erhalten will.

Ich will euch darüber große Beweise beibringen, nicht Worte, sondern, worauf ihr seht! Fakta.

Höret also was mir begegnet ist, damit ihr wisset, wie ich niemanden nicht leicht nachgebe, den Tod über die Gebühr fürchtend; aber, wie ich auch, weil ich nicht nachgebe, bald darauf gegangen wäre. Ich muß euch an unangenehme Sachen, und gerichtliche Symptomen erinnern; aber sie sind wahr. Ich habe nie in der Stadt irgendein Amt verwaltet; aber Ratmann bin ich gewesen. Und es traf sich, daß unsre Antiochiszunft grade an der Regierung war, als ihr beschlossen hattet: die zehn Schiffkapitäne, welche die in der Seeschlacht Geblichene nicht hatten begraben lassen, alle miteinander zu verdammen; widergesetzlich, wie es in der Folge euch allen gedünkt hat. Damals war ich der einzige unter den Prytanen der sich dagegensetzte, daß von euch nicht wider die Gesetze gehandelt würde, und ich stimmte für das Gegenteil. Und obgleich die Advokaten schon bereitstanden mich anzugeben und vors Gericht zu ziehen, und ihr es zu befördern suchtet, und die Stimme laut erhobet; [331] so hielt ich doch dafür, daß ich, mit dem Gesetz und der Gerechtigkeit auf meiner Seite, lieber alles wagen müßte, als, aus Furcht der Bande und des Todes, mit euch eine Ungerechtigkeit beschließen. Und dies geschahe, als die Stadt. noch demokratisch war. Hernach ward die Oligarchie eingeführt, und die dreißig Tyrannen ließen mich, nebst vier an dern, in die Archivkammer rufen, und befahlen uns: den Salaminer Leon von Salamis herzuholen, daß er getötet würde. Sie gaben vielen andern noch eben dergleichen Befehle, um auf die Art desto mehrere in die Ungerechtigkeiten zu verwickeln. Damals habe ich, nicht mit Worten sondern mit der Tat, gezeigt, daß ich mir aus dem Tod nicht: das! mache, wenn ich mich so alltäglich ausdrücken darf, daß ich mir aber daraus: nichts Ungerechtes und Unredliches zu tun, sehr viel mache. Denn mich hat jene Regierung, so scharf sie auch war, nicht erschreckt, daß ich etwas Ungerechtes ausgerichtet hätte. Sondern, als wir aus der Archivkammer herauskamen, gingen die andern viere nach Salamis und holten den Leon, ich aber ging meinen Gang nach Hause. Und vielleicht hätte es mir das Leben gekostet, wenn jene Regierung nicht bald darauf wäre abgeschafft worden. Und dies alles können euch viele Leute bezeugen. Meint ihr nun noch, daß ich meine Jahre so hoch gebracht hätte, wenn ich in öffentliche Ämter getreten, und, als ein guter Mann, meine Schuldigkeit getan, der gerechten Sache beigestanden, und dies, wie von Rechts wegen, jeder andern Betrachtung vorgezogen hätte? Daran fehlt viel, ihr Männer von Athen, und ebensowenig irgendein andrer Mensch. Nun aber habe ich in meinem ganzen Leben, wenn ich öffentlich gehandelt habe, mich als ein solcher betragen; und ebenso in meinem Privatleben, denn ich habe niemals jemand etwas nachgesehen das wider die Gerechtigkeit war, weder einem andern, noch einem von denen, die meine Verleumder für meine Schüler ausgeben. Ich aber bin eigentlich nie irgendeines Menschen Lehrmeister gewesen. Hatte aber jemand Lust, das zu hören, was ich sage und wie ich mich mit mir selbst nehme; dem habe ich es nie gewehrt, er mochte jung oder alt sein. Auch habe ich nicht für Geld geredet, und ohne Geld geschwiegen; sondern Reichen und Armen, die mich fragen wollten, bin ich zu Diensten gestanden einem wie dem andern, und sie haben, wenn einer gewollt hat, auf [332] das was ich sagte, auch wieder antworten können. Es möchte also einer von diesen besser geworden sein oder nicht besser; so hätte ich es mit Recht nicht zu verantworten, denn ich habe niemand versprochen, etwas zu lehren und habe auch nichts gelehrt. Und wenn einer sagt, daß er von mir unter vier Augen etwas gelernt oder gehört habe, was alle andre nicht gehört haben, der, wißt ihr wohl, sagt nicht die Wahrheit. Warum aber einige immer gerne mit und bei mir gewesen sind, das habt ihr gehört, ihr Männer von Athen. Ich habe euch alles nach der Wahrheit berichtet, nämlich daß sie ihre Lust daran haben, zuzuhören, wenn Leute, die sich für weise halten und es nicht sind, zurechtgewiesen werden. Es ist auch nicht unangenehm. Mir aber ist, wie ich sage, dieses zu tun von Gott befohlen worden, durch Orakel und Träume und auf alle andere Art, wie die göttliche Antwort jemals dem Menschen etwas zu tun befohlen hat.

Das nun, ihr Männer von Athen, ist nicht allein wahr, sondern auch klar am Tage. Denn verdürbe ich junge Leute und hätte junge Leute verdorben; so würden einige von ihnen, die älter geworden und einsähen daß ich ihnen in der Jugend bösen Rat gegeben hätte, nun entweder selbst auftreten und klagen und mich gestraft haben wollen, oder, wenn sie nicht selbst wollten, so würden doch von den Ihrigen, Väter, Brüder, oder andre Anverwandte, wenn ihre Angehörige durch mich irgend zum Bösen verleitet worden wären, so würden die mir das gedenken und auf meine Bestrafung dringen. Es sind ihrer, wie ich sehe, gar viele dahier gegenwärtig: erstlich Krito hier, mein Alter- und Zunftgenoß, des Kritobulus Vater; hernach Lysanias aus Sphettus, dieses Äschines Vater; ferner Antiphon aus Cephiusia, des Epigenes Vater. Es sind noch andre hier, deren Brüder zu meinen Freunden gehört haben, als Nikostratus des Zotides Sohn und des Theodotus Bruder, und Theodotus ist tot daß er also bei diesem für mich nicht bitten kann; und hier Parolus, des Demodokus Sohn, von dem Theages ein Bruder war; – wie auch Adimantus, Aristons Sohn, dessen Bruder dieser Plato hier ist; und Äantidorus von dem Apollodorus ein Bruder ist. Ich könnte euch noch andre viele nennen, von denen Melitus einen vor allen andern, als Zeugen für sich, hätte anführen müssen. Und wenn er es damals etwa vergessen hat, so führe er nun einen an; ich erlaube [333] es ihm, und er spreche wenn er einen solchen hat. Aber, gerade das Gegenteil, ihr Athenienser. Ihr werdet alle diese Männer bereit finden, mir beizustehen, der ich ihre Angehörigen verdorben, der ich ihnen Böses getan habe, wie Melitus und Anytus sagen. Die Verdorbenen, selbst, hätten vielleicht noch Ursache mir beizustehen; die nicht Verdorbenen aber, die Angehörige von diesen und schon Männer von Jahren sind, was haben die anders für Ursache mir beizustehen, als Recht und Gerechtigkeit; weil sie nämlich überzeugt sind, daß Melitus lügt, ich aber die Wahrheit sage? Mag es denn, ihr Männer! Was ich also etwa zur Verteidigung vorzubringen hätte, das wäre denn dies und dergleichen mehr.

Vielleicht aber möchte einer oder der andre von euch ärgerlich werden, wenn er an sich selbst zurückdenkt, wie nämlich er, auch in einer viel weniger mißlichen Lage vor den Richtern mit vielen Tränen gebeten und geflehet hat und um desto besser Mitleiden zu erregen seine Kinder und andre Hausgenossen und viele Freunde hat auftreten lassen; ich aber nichts dergleichen tue, da ich doch hier, wie ich selbst glaube, in der allergrößten Gefahr schwebe.

Vielleicht, sage ich, möchte jemand, wenn er das bedenkt, mir aufsässiger sein, darüber aufgebracht werden und so im Unwillen seine Stimme geben. Wenn nun das bei einem oder dem andern der Fall wäre, ich will es nicht glauben, aber wenn es wäre; so scheint es mir nicht uneben gesprochen wenn ich zu ihm spräche: Auch ich, Lieber, habe Angehörige, und, wie Homer sagt: »Ich bin auch nicht von Holz und Stein hergekommen, sondern von Menschen.« Also, ihr Männer von Athen, ich habe auch Angehörige, und drei Söhne, einer schon ein Jüngling und zwei noch Kinder; aber doch lasse ich's wohl bleiben, einen von ihnen hier auftreten zu lassen und euch um Lossprechung zu bitten. Warum aber will ich so etwas nicht tun? Nicht aus Trotz, ihr Athenienser, noch aus Verachtung gegen euch – ob ich aber vor dem Tod bange bin, das ist eine andre Frage. Um meiner und eurer und der ganzen Stadt Ehre willen halte ich es für mich nicht schicklich dergleichen zu tun, da ich in den Jahren bin, und einen solchen Namen habe gleichviel mit Recht oder Unrecht.

Es ist doch einmal allgemein angenommen, daß Sokrates, sei es auf welche Art es wolle, vor vielen Menschen etwas [334] voraushabe. Wenn nun die unter euch, die dafür angesehen sind daß sie etwas voraushaben an Weisheit, Tapferkeit oder irgendeiner andern Tugend: ich sage, es würde sehr schimpflich sein, wenn die sich so betragen wollten, als ich verschiedentlich einige, da sie gerichtet werden sollten, gesehen habe – die wurden zwar für etwas angesehen; gebärdeten sich aber sehr wunderlich als glaubten sie: daß sie, wenn sie sterben sollten etwas ganz Entsetzliches leiden würden, und als würden sie unsterblich sein wenn ihr ihnen das Leben nicht nähmet. Diese scheinen mir der Stadt eine Unehre zu machen, so daß auch von den Auswärtigen mancher auf die Gedanken kommen könnte: als hätten die Vorzüglichsten und Trefflichsten unter den Atheniensern, welche ihre eigne Mitbürger zu den Regierungsgeschäften und andern Ehrenstellen auswählen, als hätten die vor Weibern nichts voraus. Dergleichen nun, ihr Männer von Athen, schickt sich für euch, die nur irgendwas sein wollen, nicht zu tun, noch es, wenn wir es tun, zu leiden; sondern grade darin setzt eure Ehre, daß ihr den, der solche weinerliche Komödien aufführt und die Stadt lächerlich macht, viel mehr verurteilt, als einen der sich ruhig beträgt. Aber, diese Ehre und Unehre abgerechnet, scheint es mir unrecht: sowohl daß man den Richter bittet, als auch: daß der losgesprochen wird der ihn bittet. Man soll ihn unterrichten und überzeugen. Denn er sitzt nicht da, daß er die Gerechtigkeit verschenke, sondern daß er urteile was gerecht ist. Und er hat geschworen: nicht nach Gunst zu handeln wo und wie es ihm gut dünkt, sondern nach den Gesetzen zu sprechen. Wir also müssen euch nicht angewöhnen meineidig zu werden, und ihr müßt euch dergleichen nicht angewöhnen lassen. Wir würden sonst an beiden Seiten unsre Religion schlecht bedenken. Verlanget denn also nicht, ihr Männer von Athen, daß ich vor euch das tue, was ich weder für schicklich, noch für gerecht, noch für religiös halte; und um so weniger, beim Jupiter, da ich grade von diesem Melitus hier der Irreligiosität angeklagt werde. Denn wenn ich euch, als geschworne Leute, bereden oder durch Bitten übernehmen wollte; so würde ich ja offenbar euch glauben lehren, daß keine Götter sind, und würde, grade in meiner Verteidigung, mich selbst anklagen: daß ich keine Götter glaube. Aber die Sache verhält sich ganz anders. Denn, ihr Männer von Athen, ich glaube Götter, wie keiner von [335] denen die mich anklagen; und euch geb ich es anheim, und Gott, über mich ein Urteil zu sprechen wie es für mich am besten sein wird, und für euch.


Daß ich, ihr Athenienser, über das was eben geschehen ist: da ihr mich nämlich verdammet habt, daß ich darüber nicht unwillig bin, dazu tragen manche andre Dinge bei. Auch ist dies Geschehene mir nicht unerwartet geschehen; ich wundere mich vielmehr über das Verhältnis der beiderseitigen Stimmen. Denn ich hätte nicht gedacht, daß eine so kleine Überzahl, sondern daß eine große, entscheiden würde. So aber hat es das Ansehen: ich wäre entronnen, wenn nur drei Stimmen anders gefallen wären. Dem Melitus bin ich, wie es mir scheint, auch itzo entronnen; und nicht allein entronnen, sondern es ist ganz offenbar, daß er, wenn Anytus und Lykon nicht auch aufgestanden wären mich anzuklagen, nicht den fünften Teil der Stimmen gehabt hätte, und also 1000 Drachmen Strafe hätte bezahlen müssen. Dieser Mann erkennt mich also des Todes wert! Mag er. Ich aber, welcher Strafe soll ich mich nun vor euch wert erkennen? Natürlich wohl der verdienten. Was denn für einer? Was habe ich verdient zu leiden oder zu leisten, daß ich auf eine vernünftige Art in der Welt tätig gewesen bin; daß ich mich um Gelderwerb und Haushaltung, um Militär-und bürgerliche und andre Ehrenstellen und Ämter und um Händel- und Parteimachen in der Stadt nicht bekümmert und mich würklich zu gut gehalten habe, auf diese Art Dank zu verdienen; daß ich also da, wo ich mit meiner Mühe weder euch noch mir selbst nützlich sein konnte, nicht hingegangen bin; daß ich aber grade dahin überall wo ich, nach meinen Gedanken, die größte von allen Wohltaten an den Mann bringen konnte, daß ich dahin gegangen bin und einem jeden von euch geraten habe: nicht am meisten und zuerst für das Seine zu sorgen, sondern zuerst für sich zu sorgen daß er nämlich vollgut und verständig sei; nicht eher für die Wälle als für die Stadt, und so in allen übrigen Dingen zu sorgen – was habe ich nun damit daß ich das getan habe verdient zu leiden? Etwas Gutes, ihr Männer von Athen, wenn ihr anders wahrhaftig nach Würden erkennet, und zwar so etwas Gutes das sich für mich paßt. Was paßt sich denn für einen Mann, der arm ist und betriebsam und der, zu dem Vermahnungsgeschäft an euch, Freiheit von andern Geschäften braucht? Es paßt sich nichts in der Welt so gut, ihr Athenienser, [336] als daß ein solcher Mann auf dem Prytaneo auf Unkosten des Staats unterhalten werde; und viel mehr er, als einer von euch der in dem Olympischen Pferde- und zwei- und vierspännigen Wagenrennen gesiegt hat. Denn dieser macht nur: daß ihr glaubt, glücklich zu sein; ich aber: daß ihr es seid; er bedarf des Unterhalts nicht, ich aber bedarf sein. Wenn ich mich also nach Recht und Billigkeit einer Strafe wert erkennen soll; so erkenne ich mich dieser wert: nämlich der freien Unterhaltung auf dem Prytaneo. Vielleicht aber scheine ich euch hierin ebenso halsstarrig und trotzig zu sprechen, als vorhin, wo ich vom Mitleiderregen und Flehen sprach. Es ist aber nicht das, ihr Männer von Athen, sondern es ist vielmehr so etwas. Ich bin mir bewußt, daß es mein Vorsatz ist: keinem Menschen Unrecht zu tun; überreden kann ich euch aber des nicht, denn die Zeit darin wir miteinander sprechen ist kurz. Wenn es bei euch, wie bei andern Menschen, Sitte wäre: über eine Lebenssache nicht einen einzigen sondern mehrere Tage zu richten; so würdet ihr vielleicht überredet werden. So aber ist es nicht wohl möglich, in weniger Zeit große Verleumdungen zu tilgen. Da ich also überzeugt bin, daß ich niemanden Unrecht tun will; so werde ich um so weniger mir selbst Unrecht tun, und selber gegen mich selbst sagen daß ich etwas Böses verdient habe, und mir eigenhändig dergleichen zuerkennen. Ich sollte, aus Furcht und daß mir das widerfahre, dessen Melitus mich wert erkennet und von dem ich sage daß ich nicht weiß ob es etwas Gutes oder etwas Böses sei, ich sollte dafür etwas wählen, von dem ich gewiß weiß daß es böse ist, und mich dessen wert erkennen? Etwa der Gefangenschaft? Und was soll ich im Kerker leben, unter der Gewalt der Eilf Männer aus der keine Erlösung ist? Oder etwa einer Geldstrafe, und gefangen sitzen bis ich bezahle? Das würde für mich grade das Vorige sein; denn ich habe kein Geld, daß ich bezahlen kann. Doch ich kann mir das Exilium zuerkennen, und vielleicht träfe ich denn euren Sinn. Aber ich müßte mit einer großen Liebe zum Leben besessen sein, ihr Athenienser, wenn sie mir den Kopf so verrücken könnte, daß ich dächte: Ihr, die ihr meine Mitbürger seid, ihr hättet meinen Umgang und meine Reden nicht tragen können, sondern sie wären euch so zur Last und unleidlich geworden, daß ihr nun sucht sie euch vom Halse zu schaffen; andre aber würden sie leicht tragen. Das ist weit gefehlt, ihr Männer von Athen. Es würde denn ein schönes Leben für mich sein: in meinen Jahren auszuziehen, und mich aus einer Stadt in die andre [337] zu treiben und treiben zu lassen. Denn ich weiß, wo ich hinkomme, da werden die jungen Leute mir zuhören, wie hier. Will ich sie nun nicht zuhören lassen, so werden sie den Alten vorschwatzen und selbst mich fortschaffen; lasse ich sie aber zuhören, so werden es ihre Väter und Angehörige um ihretwillen tun.

Vielleicht möchte aber jemand sagen: Sokrates, kannst du denn nicht hingehen und schweigen und die Hände in den Schoß legen? Es ist nichts in der Welt so schwer, als euch hier zur Überzeugung zu bringen. Denn, wenn ich sage: daß dies Ungehorsam gegen Gott ist, und daß es deswegen unmöglich ist, die Hände in den Schoß zu legen; so haltet ihr das für Ironie und glaubet mir nicht. Sage ich aber: daß es das größte Gut für den Menschen ist, jeden Tag seines Lebens von Tugend und den andern Dingen zu sprechen, darüber ihr mich habt sprechen, und mich mich selbst und andre forschen und prüfen hören – denn ein Leben, wo man nicht immer die Hand ans Herz legt, ist nicht Leben für den Menschen – wenn ich das sage; so werdet ihr mir noch weniger glauben. Die Sache verhält sich zwar so wie ich sage, ihr Männer; aber die Überzeugung ist nicht leicht. Und außerdem bin ich nicht gewohnt, mich eines Übels wert zu schätzen. Wenn ich Geld hätte; so hätte ich mir eine Geldstrafe zuerkannt so groß man sie verlangt hätte, denn das würde mir nichts geschadet haben. Nun aber kann ich das nicht, denn ich habe keines. Ihr möchtet denn mit einer vorliebnehmen wollen, die ich bezahlen könnte. Vielleicht könnte ich euch etwa eine Mine Silber bezahlen. Zu so viel erkenne ich mich denn. Dieser Plato hier aber, ihr Männer von Athen, und Kriton und Kritobulus und Apollodor heißen mich: dreißig Minen sagen, und daß sie dafür als Bürgen angesehen sein wollen. Ich erkenne mich also dazu; und sie werden euch für das Geld unverwerfliche Bürgen sein.


Es ist nicht um einer langen Zeit willen, ihr Athenienser, daß ihr bei denen, die der Stadt gerne übel reden, die Schuld werdet haben und euch werdet nachsagen lassen müssen: daß ihr den Sokrates, einen weisen Mann, umgebracht habet. Denn wenn ich es auch nicht bin, so werden doch die Leute, die euch lästern wollen, mich einen weisen Mann nennen. Hättet ihr nur noch wenige Zeit und Geduld gehabt; so wäre es euch von selbst gekommen, daß ich nämlich gestorben wäre. Denn ihr seht es mir an, daß ich im Leben schon ziemlich vorwärts, und dem Tode nahe bin.[338] Dies sage ich aber, nicht zu euch allen, sondern zu denen die mich zum Tode verdammt haben. Und ich sage auch das zu diesen nämlichen: Ihr denkt vielleicht, ihr Männer von Athen, daß ich verloren habe, weil es mir an den Worten gefehlt hat, dadurch ich euch gewiß auf meine Seite gebracht hätte, wenn ich geglaubt hätte, daß man alles tun und sagen müsse um nur der Anklage zu entrinnen. Darin habt ihr aber sehr unrecht. Ich habe zwar freilich verloren, weil es mir gefehlt hat: aber nicht an Worten, sondern an Frechheit und Unverschämtheit, und daran daß ich euch das nicht habe vorreden wollen was ihr am liebsten hört, daß ich nicht habe jammern und wehklagen, und andre Sachen mehr tun und sagen wollen die meiner, nach meiner Meinung, unwürdig sind, und dergleichen ihr von andern zu hören gewohnt seid. Aber ich habe als ich anfing ebensowenig geglaubt: daß man, der Gefahr wegen, etwas Niederträchtiges tun müsse; als es mir in diesem Augenblick leid ist: daß ich mich, auf meine Art, verteidiget habe. Ich will viel lieber bei dieser Art sich zu verteidigen sterben, als bei jener leben. Denn weder vor Gericht noch im Kriege, muß, weder ich, noch irgendein andrer, alles tun, was er kann, damit er nur dem Tode entrinne. In Schlachten zeigt es sich ja vielfältig, daß einer dem Tode leicht entrinnen kann, wenn er die Waffen von sich wirft und die Verfolgenden um Gnade fleht. Und so gibt es in den verschiednen Gefahren mehr als eine Art dem Tode zu entrinnen, wenn einer sich erlauben will alles zu tun und zu sagen. Wahrlich, ihr Männer von Athen, dem Tode zu entrinnen! das ist nicht schwer; aber der Schande zu entrinnen! das ist viel schwerer; denn sie läuft schneller, als der Tod. Ich nun, der ich langsam und alt bin, ich bin von dem Langsamern ertappt worden; meine Ankläger aber, die noch rüstig und schnell sind, von dem Schnellern, der Schande. Und ich gehe nun hin: einer Todsache von euch schuldig erkannt; diese aber: von der Wahrheit schuldig erkannt des Frevels und der Ungerechtigkeit. Ich bin mit dem Urteil friedlich, und sie auch. Das hat aber vielleicht auch so sein sollen, und nach meiner Meinung ist es nicht übel abgemessen. Nun habe ich noch Lust, euch zu weissagen, euch die ihr mich verdammet habt. Und ich bin auch itzo an dem Punkt, wo die Menschen gut zu weissagen pflegen, wenn sie nämlich kurz vor dem Tode sind. Ich sage also, ihr Männer, wenn ihr mich nun töten lasset; so wird Strafe euch stracks nach meinem Tode kommen, und eine viel härtere, beim Jupiter, als ihr in mir aus dem Wege räumt. Denn dies dahier [339] habt ihr getan, in der Meinung: dadurch von Vorwurf und Tadel über euer Leben befreit zu werden. Das wird aber für euch ganz anders ausfallen, sage ich. Es werden der Tadler und Richter mehrere aufstehen, die ich itzo davon abgehalten habe, freilich hinter dem Rücken eurer Einsicht. Und sie werden desto härter sein, je neuer sie sind; und ihr werdet viel mehr Ärger haben. Denn, wenn ihr meint, daß ihr nur Leute töten dürft, um jemanden über euer ungerechtes Verfahren das Maul zu stopfen; so irrt ihr euch gewaltig. Diese Art: der Vorwürfe los zu werden, ist weder möglich noch gut; das aber ist die beste und die leichteste Art: nicht andre zu hindern, sondern zu schaffen daß man brav und untadelig sei. Das also weissage ich euch die mich verdammt haben, und scheide damit von euch. Mit denen aber, die mich losgesprochen haben, möchte ich über diesen Vorgang noch gerne reden, bis die Richter vollends fertig sind, und ich hingehe wo ich nicht wieder herkomme. Bleibet also die wenige Zeit hier noch bei mir, ihr Athenienser, denn warum sollten wir nicht miteinander reden, solange es erlaubt ist. Euch, als meinen Freunden, will ich anzeigen: was mir begegnet ist und was das bedeutet. Denn, ihr Rechtsprecher und Richter: euch kann ich mit Recht Richter nennen: mir ist etwas ganz Außerordentliches begegnet. Meine vertraute wahrsagende dämonische Stimme ließ sich mir sonst, in aller Zeit vorher, oft und immer hören, und war mir auch in Kleinigkeiten entgegen, wenn ich etwas tun wollte das mir nicht gut war. Und nun ist mir widerfahren was ihr vor Augen seht und was mancher wohl für das allergrößte Unglück ansehen könnte; und mir ist weder heute früh als ich aus dem Hause ging das Zeichen Gottes entgegen gewesen, noch als ich hier ins Richthaus heraufging, noch bei irgendeinem Wort in meiner Rede. Und, da es mich sonst bei andern Gelegenheiten oft mitten im Sprechen zurückgehalten hat; so ist es mir bei diesem Handel ganz und gar nicht, weder in Werken noch in Worten, entgegen gewesen. Was ich nun glaube daß davon Ursache ist will ich euch sagen. Es scheint mir, daß das, was mir widerfahren ist, etwas Gutes gewesen sei; und wir urteilen sicherlich nicht recht, so viel unser das Sterben für etwas Böses halten. Ich fuße nicht wenig auf diesen Wink; denn ganz gewiß würde mir das gewohnte Zeichen entgegen gewesen sein, wenn ich nicht etwas das gut war hätte tun wollen. Wir können es uns aber auch so zu Gemüt führen, wie viele Hoffnung da ist, daß Sterben etwas Gutes sei. Denn eins von beiden muß der Tod sein: entweder er[340] muß wie ein Nichts sein, und der Gestorbene keine Empfindung weiter von irgend etwas haben; oder er muß ein Ortwechseln sein, und eine Versetzung der Seele aus diesem in einen andern Ort. Ist er nun »keine Empfindung weiter« sondern gleichsam ein Schlaf, denn oft weiß auch ein Schlafender von keinem Traum nichts; so wäre der Tod ein überschwenglicher Gewinn. Denn ich glaube würklich, wenn einer eine solche Nacht nimmt, darin er so fest geschlafen daß er auch von keinem Traum gewußt hat, und alle andre Nächte und Tage seines Lebens mit dieser Nacht vergleicht, und denn aufrichtig sagen sollte: wie viele Tage und Nächte er in seinem Leben besser und angenehmer zugebracht habe als diese Nacht, ich sage: ich glaube würklich, daß nicht bloß ein Privatmann sondern der größte König diese gegen die andern Tage und Nächte leicht würde zählen können. Wenn also der Tod so etwas ist, so nenne ich ihn einen Gewinn: und alle Zeit vor uns scheint auf die Weise nur eine lange Nacht zu sein. Wenn aber der Tod eine Auswanderung ist, aus diesem nach einem andern Ort, und es ist wahr, was gesagt wird: daß alle, die gestorben sind, sich dort befinden; welche Glückseligkeit könnte größer sein als diese, ihr Richter. Denn wenn ein Abgeschiedener, für die sogenannten Richter die er hier verlassen hat, die wahrhaftigen Richter wiederfindet, die dort richten sollen, den Minos und Rhadamantus und Äakus und Triptolemus und die andern Halbgötter, so viele ihrer in ihrem Leben gerecht gewesen sind; wäre diese Auswanderung so übel? Was würde mancher von euch nicht darum geben, wenn er mit Orpheus, und mit Musäus, und mit Hesiodus, und mit Homer sprechen und umgehen könnte. Ich, wahrlich, will mehr als einmal sterben, wenn das wahr ist. Mir, für mein Teil, wäre das ein gar herrliches und erwünschtes Leben, wenn ich mit dem Palamedes, und dem Ajax Telamon und wenn sonst einer von den Alten durch ungerechtes Urteil sein Leben verloren hat, an einen Ort zusammenkäme. Mein Schicksal mit dem ihrigen zu vergleichen, müßte schon sehr angenehm sein. Aber die Hauptsache wäre immer: die dort, wie die hier, zu forschen und zu prüfen, wer von ihnen weise ist, und wer es sich dünkt aber nicht ist. Was würde nicht mancher darum geben, ihr Richter, den großen Belagerer von Troja näher zu verkundschaften, oder den Ulysses, oder Sisyphus oder andre Tausende, möchte man sagen, Männer und Weiber, mit denen zu sprechen und umzugehen und sich zu befragen das größte Glück von der Welt wäre. Und um des willen bringen die dort nicht [341] ums Leben; denn wie die dort überhaupt viel glücklicher sind, als die hier, so auch darin daß sie für die Zukunft unsterblich sind wenn nämlich was gesagt wird wahr ist. So müßt ihr denn allen guten Mut zum Tode haben, ihr Männer und Richter, und dies eine haltet fest und ungezweifelt im Herzen: daß dem guten Mann kein Böses begegnet weder im Leben noch im Tode; die Augen der Götter stehen unverwandt über ihn und seine Schicksale offen. Auch mir ist dies dahier nicht von ohngefähr widerfahren, sondern ich weiß gewiß, daß: itzo zu sterben und von dem Joch erlöst zu werden, besser für mich gewesen ist; deswegen hat mich auch das Zeichen in keinem Stück abgehalten, und ich habe mit meinen Verurteilern und Anklägern nicht groß zu zürnen. Zwar sie haben in der Absicht mich nicht verurteilt und angeklagt; sondern sie gedachten mir zu schaden, und verdienen deswegen allerdings getadelt zu werden. Das nur bitte ich sie noch: wenn meine Söhne heranwachsen und sie euch, nach Reichtum oder sonst etwas, mehr als nach Tugend zu streben scheinen; so züchtiget sie und tut ihnen wehe wie ich euch wehe getan habe; und wenn sie sich dünken etwas zu sein da sie nichts sind, scheltet sie, wie ich euch gescholten habe, daß sie nicht sorgen warum man sorgen muß, und daß sie etwas zu sein glauber da sie nichts wert sind. Wenn ihr das tut, so werdet ihr tun was recht ist an mir und an meinen Kindern auch. Aber es ist Zeit von hier zu gehen, ich zu sterben und ihr zu leben; wer von uns zum Bessern kommt, das weiß niemand als Gott allein.

Wir Wandsbecker an den Kronprinzen

den 10. Julius 1787


Mit Freuden, unsern Brüdern gleich,
Empfangen wir Dich hier;
Dich lieben viel' in Deinem Reich,
Doch keiner mehr als wir.
Bis uns willkommen inniglich!
Wir kommen, klein und groß,
Und schließen einen Kreis um Dich,
Und lassen Dich nicht los;
[342]
Und stehn mit treuer Lieb umher,
Wir alle, Mann für Mann,
Und wünschen unsre Herzen leer
Für Dich, und sehn Dich an ...
Ach, diese Welt hat viel Gefahr;
Du lieber Königssohn!
Nicht alles drin ist gut und wahr,
Und fliegt wie Rauch davon.
Nicht was der Mensch meint oder tut
Hat Sicherheit und Lohn.
Und Gott allein macht groß und gut;
Du lieber Königssohn!
Der segne Dich! Dich segne Gott!
Der wolle mit Dir sein! ...
Er mache Deine Wangen rot,
Und Deine Seele rein;
Er nehme Dich auf seinen Schoß,
Er geb ins Herz Dir ein ...
Und lasse Dich wahrhaftig groß,
Wahrhaftig glücklich sein! –
Mit Freuden, unsern Brüdern gleich,
Empfangen wir Dich hier;
Dich lieben viel' in Deinem Reich,
Doch keiner mehr als wir.

Eine Korrespondenz
zwischen mir und meinem Vetter

Hochgelahrter

Hochzuehrender Herr Vetter,

Es wird dem Herrn Vetter bekannt sein, daß in den neuen Zeiten die alten Kirchenlieder verändert werden. Nun bin ich überzeugt, daß die Obrigkeit für die Untertanen nicht leicht besser sorgen, und ihnen nicht leicht etwas Bessers geben kann als ein gutes Gesangbuch. Denn über kräftige Kirchenlieder geht nichts; es ist 'n Segen darin, und sie sind in Wahrheit Flügel, darauf man sich in die Höhe heben und eine Zeitlang über dem [343] Jammertal schweben kann. Auch mögen wohl viele Lieder nicht so sein, als sie sein sollten etc. das ist alles wahr. Aber ich weiß nicht, ob's an dem Verbessern oder an den Verbesserern liegt; genug, ich kann mir nicht helfen, daß es mich um einige alte Lieder nicht dauren und leid sein sollte. Das Kleid macht, dünkt mich, den Mann nicht; und wenn der Mann gut ist, so ist alles gut. Ob da ein Knopf unrecht sitzt, oder eine Naht schief genäht ist, darauf kommt am Ende wenig an; und wer sieht darnach? Man ist einmal daran gewöhnt, und oft steckt's grade darin und muß so sein.

So ein: »Befiehl du deine Wege« z.E., das man in der Jugend, in Fällen wo es nicht so war wie's sein sollte, oft und andächtig mit der Mutter gesungen hat, ist wie ein alter Freund im Hause dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Rat und Trost sucht. Wenn man den nun, anders montiert, und im modernen Rock wiedersieht; so traut man ihm nicht, und man ist nicht sicher: ob der alte Freund noch darin ist – und ich sehne mich denn immer nach dem falschen Knopf und der schiefen Naht.

Und da pfleg ich wohl bisweilen in der Kirche, wenn die Gemeine nach der Verordnung singt, stillzuschweigen, und im Herzen die alte Weise zu halten; und da wollte ich nun gerne von dem Herrn Vetter wissen und vernehmen: »ob das auch gegen den Respekt ist den ich der Obrigkeit schuldig bin, und ob ich das mit gutem Gewissen tun kann; samt, wenn ich ganz allein und für mich bin: ob ich denn nur rein heraussingen darf?«

Ich hasse allen Ungehorsam von Herzen, so viel Aufhebens auch von einigen davon gemacht wird. Der ich die Ehre habe mit besondern Estim zu verharren

Hochgelahrter
Hochzuehrender Herr Vetter,

Dero

ergebenster Diener Asmus.

Antwort

Die öffentliche Ordnung müßt Ihr nicht stören, Vetter; im Herzen könnt Ihr singen wie Ihr wollt. Denn übers Herz hat die Obrigkeit nichts zu befehlen. Und die Grad-Nähter noch weniger.

Sein Diener etc. [344]

Der Bauer, nach geendigtem Prozeß

Gottlob, daß ich ein Bauer bin;
Und nicht ein Advokat,
Der alle Tage seinen Sinn
Auf Zank und Streiten hat.
Und wenn er noch so ehrlich ist,
Wie sie nicht alle sind;
Fahr ich doch lieber meinen M ...
In Regen und in Wind.
Denn davon wächst die Saat herfür,
Ohn Hülfe des Gerichts;
Aus nichts wird etwas denn bei mir,
Bei ihm aus etwas nichts.
Gottlob, daß ich ein Bauer bin;
Und nicht ein Advokat!
Und fahr ich wieder zu ihm hin;
So breche mir das Rad!

Urians Reise um die Welt,

mit Anmerkungen


Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er was verzählen;
Drum nahm ich meinen Stock und Hut,
Und tät das Reisen wählen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Zuerst ging's an den Nordpol hin;
Da war es kalt, bei Ehre!.
Da dacht ich denn in meinem Sinn,
Daß es hier besser wäre.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
[345]
In Grönland freuten sie sich sehr,
Mich ihres Orts zu sehen,
Und setzten mir den Trankrug her;
Ich ließ ihn aber stehen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Die Eskimo sind wild und groß,
Zu allem Guten träge;
Da schalt ich einen einen Kloß,
Und kriegte viele Schläge.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Nun war ich in Amerika;
Da sagt ich zu mir: Lieber!
Nordwestpassage ist doch da;
Mach dich einmal darüber!

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Flugs ich an Bord und aus ins Meer,
Den Tubus festgebunden,
Und suchte sie die Kreuz und Quer,
Und hab sie nicht gefunden.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Von hier ging ich nach Mexiko;
Ist weiter als nach Bremen,
Da, dacht ich, liegt das Gold wie Stroh;
Du sollst 'n Sackvoll nehmen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Allein, allein, allein, allein,
Wie kann ein Mensch sich trügen!
[346]
Ich fand da nichts als Sand und Stein,
Und ließ den Sack da liegen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Drauf kauft ich etwas kalte Kost,
Und Kieler Sprott und Kuchen,
Und setzte mich auf Extrapost,
Land Asia zu besuchen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Der Mogul ist ein großer Mann,
Und gnädig über Maßen,
Und klug; er war itzt eben dran,
'n Zahn ausziehn zu lassen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Hm! dacht ich, der hat Zähnepein,
Bei aller Größ und Gaben! –
Was hilft's denn auch noch: Mogul sein?
Die kann man so wohl haben.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Ich gab dem Wirt mein Ehrenwort,
Ihn nächstens zu bezahlen;
Und damit reist ich weiter fort
Nach China und Bengalen.

Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Nach Java und nach Otaheit,
Und Afrika nicht minder;
Und sah bei der Gelegenheit
Viel Städt und Menschenkinder;

[347] Tutti

Da hat Er gar nicht übel dran getan;
Verzähl Er doch weiter Herr Urian!
Und fand es überall wie hier,
Fand überall 'n Sparren,
Die Menschen gradeso wie wir,
Und ebensolche Narren.

Tutti

Da hat Er übel übel dran getan;
Verzähl Er nicht weiter Herr Urian!

Zwei Rezensionen etc. in Sachen der Herren Lessing, M. Mendelssohn, und Jacobi

Mollibit aversos Penates

farre pio et saliente mica.


Ille ego qui quondam gracili modulatus avena

– – – at nunc horrentia Martis.


1786

Über die Lehre des Spinoza,

in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn Breslau, bei Gottlieb Löwe. 1785. 14 Bogen in 8°


Die philosophischen Systeme, die von ihren Verfassern für andre erfunden, und als Feigenblätter oder des Zanks und der Schau wegen aufgestellt werden, gehen vernünftige Leute eigentlich gar nicht an. Die Philosophen aber, die nach Licht und Wahrheit forschten für eignes Bedürfnis und um sich den Stein der Unwahrheit der sie drückte vom Herzen zu schaffen, gehen andre Menschen eigentlich und sehr nahe an. Auch wo sie irrten und verunglückten, irrten und verunglückten sie auf dem Bette der Ehren. Denn, wenn du den Trieb zu Wahrheit und dem Guten im Menschen nicht ehren willst; was hat er denn noch das du ehren mögest? Nur, es ist gewöhnlich über den Fund solcher Philosophen nicht leicht zu entscheiden. Da sie ihr System nicht in der Eile zusammenschlagen, sondern mühsam und langsam mehr ausbrüten, als machen; so wird für ihre wahre Meinung [348] ein ähnlicher Brütsinn erfodert, und wer sie aus Bruckers Choralbuch oder à livre ouvert spielen will, der läuft Gefahr fehlzugreifen. Daher kömmt es denn auch, daß es z.E. selbst Theologen gegeben, die des Spinoza Lehre für eine Stütze der Religion angesehen haben; indes andre Leute darüber aufschreien und wundern, daß Spinoza ein Spinozist gewesen.

Der verstorbene Lessing wunderte sich seines Orts nicht darüber; wie aus der angezeigten Schrift mit mehrern zu ersehen ist. Der Verfasser derselben, Hr. GR. Jacobi in Düsseldorf, hatte nämlich mit ihm als er noch lebte ein Gespräch über Spinoza, darin er sich gerade für den Spinozismus äußerte. Hr. Moses Mendelssohn hörte von solcher Äußerung als er eben an sein Werk: »Über Lessings Charakter und Schriften« Hand anlegen wollte, und wünschte das Nähere darüber zu erfahren. Hr. J. teilte ihm das Gespräch mit; und so kam es zwischen ihnen zu Briefen etc. etc. Anfangs entriert Hr. M. in die Bekanntmachung dieser Lessingschen Liebschaft, nach dem – magis amica veritas; in der Folge aber scheint er seines Freundes schonen zu wollen. Und so hielt Hr. J. nötig und nützlich das Gespräch samt den Briefen und dem ganzen Handel bekanntzumachen, und hat wahrscheinlich darin am wenigsten H. Lessings Sinn verfehlt, dessen Sache es nicht war, geschont zu werden. Viele Leute sind sehr sicher, keine Spinozisten zu werden, für andre liegt's nicht so weit aus dem Wege ...

Alle Menschen haben eine Ahndung und Idee der Wahrheit in sich; in einigen aber rührt sich der heilige Trieb zu Erkenntnis lebendiger. Doch hat der Mensch, und das fühlte Spinoza sehr wohl, kein πονδτω, bis er das Unendliche und sein Verhältnis mit dem Endlichen erkennet. Da aber hängt die Decke, die sich nicht weg demonstrieren läßt. – – – – Wenn einer indes die Wahrheit um ihrer selbst willen suchte, und sie so nicht fand; so ist das Unglück genug für ihn, ohne daß wir ihn noch höhnen dürfen. Doch können wir an seinem Exempel lernen.

Außer dem Gespräch und dem interessanten Pro und Contra zwischen zwei scharfsichtigen Männern, die beide den Spinoza studiert hatten, findet der Leser noch von Hr. J. in den Briefen an Hrn. M. manche feine Anmerkung für, über und wider den Spinoza, und eine zwiefache Darstellung seiner Lehre.

Eine paradoxe Parallele und ein Kompliment über einen Rückzug unter die Fahne des Glaubens, von dem der berühmte Hr. M. nichts wissen will sondern nur bloße Vernunftgründe zur Überzeugung [349] zulassen, veranlaßt S. 162 Erörterungen, die da hinausgehen: daß Überzeugung aus Vernunftgründen nur eine Gewißheit aus der zweiten Hand sei; und daß, wenn der Prophet nicht zum Berge will, der Berg zum Propheten komme. Und von hier an verläßt Hr. J. den Spinoza, um zu einem größern Thema zu kommen, nämlich zu der Frage: von den Wegen zu Erkenntnis und Überzeugung, darüber die authentische Weisung viel Widerspruch gefunden hat. Und über diese Frage bringt er bis zu Ende des Buchs verschiedene nicht gemeine Betrachtungen bei als die Früchte seines Forschens nach Wahrheit, voll Kopf und Herz, so daß beide Parteien wo nicht das eine lieben doch den andern achten werden.

Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings

Ein Anhang zu Herrn Jacobi Briefwechsel über die Lehre des Spinoza. Berlin, 1786. Bei Christian Friedrich Voß und Sohn.


Die Antwort auf vorangezeigte Schrift. Herr Mendelssohn ist unwillig, daß Hr. J. das Gespräch mit L. und die Korrespondenz mit Ihm samt dem ganzen Handel bekanntgemacht hat, und seinen Freund Lessing bei der Nachwelt verunglimpft. Er sieht das Betragen des Hrn. J. gegen L. und gegen Ihn von allen Seiten an, und findet an allen Seiten Schwürigkeiten und Widersprüche und Knoten etc. Er weiß nur einen einzigen Weg sie »natürlich und dem Charakter der interessierten Personen angemessen« aufzulösen, und sagt: »Herr Jacobi gehe darauf aus, alle Spekulanten zu bekehren; er habe auch seine Kur an Lessing probieren wollen, und da sie ihm da nicht geglückt sei, habe er doch geglaubt, das Exempel L. allen andern Klüglingen zur erbaulichen Warnung aufstellen zu müssen; und in ebenderselben guten ehrlichen Absicht habe sich Hr. J. denn auch an Ihn, M., gemacht usw.«

Durch diese Auflösung, dadurch Hr. M. sich aushilft, rettet er nun seinen Freund L. Denn der witterte J. Absicht, und spielte daher vollkommen den aufmerksamen Schüler, sagt Hr. M., und darum gebärdete er sich denn in dem Gespräch so wie er sich gebärdet hat, sagt Hr. M.; und wie er sonst sich nicht würde gebärdet haben, sagt Hr. M.

Nachdem er auch den ganzen Handel zwischen Ihm, und J. von Anfang an erzählt hat, ruft er S. 79 die unparteiischen Leser [350] auf, zwischen L. und Ihm und J. zu richten, und namentlich: »ob Hr. J. zu der schmählichen Besorgnis berechtigt gewesen die er S. CLXXVI zu erkennen gibt, und was für Recht er gehabt, mit einer Privatkorrespondenz hervorzueilen ohne diejenigen darum zu befragen, die Anteil daran hatten?«


Es gibt der Streitigkeiten in der gelehrten Welt viele, und die unparteiischen Leser haben wohl was anders zu tun als einen jeden Aufruf anzunehmen, und ihre Zeit mit urteilen zwischen Gelehrten und Gelehrten zu verzehren. Indes Hr. M. und Hr. J. verdienen wohl eine Ausnahme. Sie sind als Männer von hellem Kopf und edlem Herzen bekannt, die wechselsweise Achtung füreinander hatten, und die nicht aus Renommisterei sondern zufälligerweise aneinandergeraten sind. Auch ist die Frage zu der dieser Streit hinleiten sollte für jedermann wichtig, und dermalen in einer Art von Bewegung; daß also ein Dritter seine einfältige Meinung wohl auch dazu tun kann.

Dazu rumort es und rumort von Schwärmerei, blendenden Irrtümern und Unsinn etc., welches Leute die es nicht besser wissen für Ernst nehmen könnten; und die elektrische Materie scheint sich in dem einen Apparatus, der ohnehin der brillanteste ist, zu häufen, und der Versuch einer harmlosen Ableitung nicht übel angebracht zu sein, um das Gleichgewicht der Materie wiederherstellen zu helfen. Am Ende hat man bis daher so viele Stimmen für H.M. gehört, daß es auch lustig sein wird, einmal eine andre zu hören, und wäre es auch nur bloß der Abwechselung wegen.

Hr. M. ist, seitdem er diesen Anhang geschrieben hat, leider! gestorben. Das aber schadet hier nicht. Ihm muß nun Unparteilichkeit desto lieber sein, und ein würklich unparteiischer Leser fürchtet die Toten sowenig als die Lebendigen. Ich indes will mich für nichts ausgeben, auch nicht für unparteiisch. Doch hoffe ich, die Leser dieses, die J. und M. Schrift, denn daraus gehe ich allein zu Werk, gelesen und dabei eine gesunde Konstitution haben, sollen meistenteils finden: daß sie ebendas, was sie lesen werden, selbst denken, und daß ich es ihnen nur aufgeschrieben habe. Und, wo sie es nicht finden, da lasse ich ihnen ihre Meinung, denn ich will nicht streiten.


Also Hr. M. saget, daß »Hr. J. seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing, den Herausgeber der Fragmente, den Verfasser [351] des Nathan, den großen bewunderten Verteidiger des Theismus und der Vernunftreligion, bei der Nachwelt als Spinozisten, Atheisten, und Gotteslästerer anklage«. S. 3.

Wäre es nicht in Sachen seines Freundes, so würde man sagen müssen, Hr. M. habe sich zu stark ausgedrückt. Verschiedene Rezensenten in dieser Angelegenheit, auch unser Unparteiischer à costi und sein Kollege, haben gesagt, daß Hr. J. aus Äußerungen L. habe schließen wollen: L. sei ein Spinozist gewesen; da in Hr. J. Büchlein nicht geschlossen sondern dasGespräch als das Corpus delicti selbst hingelegt ist, damit ein jeder sein Visum repertum selbst darüber nehmen könne. Hr. M. ist auch zu billig, das Gespräch ganz vorbeizugehen; und sein Visum repertum ist eben die angeführte Sage: »daß Hr. J. seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing« etc. etc. Wie gesagt, wäre es nicht in Sachen seines Freundes, so würde man sagen müssen: Er habe geschlossen, und sich zu stark ausgedrückt.

Aber hätte Hr. J. das Gespräch nicht lieber verschweigen sollen, und soll man die Toten nicht ruhen lassen? – Je nun, zum Zeitvertreib oder noch zu etwas Ärgerm soll man freilich in Gräbern nicht stören. Wenn aber die Toten den Lebendigen noch zu etwas nutz sein können; wer wollte denn so gradezu behaupten, daß man sie dazu nicht brauchen dürfe? – Seziert man doch! – Ich zwar, für meine Person, will lieber nicht seziert sein; ich gestehe meine Schwachheit, ich will verwesen und nicht seziert sein. Die Vernunft hat ja aber solche Schwachheit abgetan, und seziert, und ist für die Sektion, die dem Toten nicht schadet und den Lebendigen nützet. Was im Physischen und also im Geringern wahr ist und gilt, warum soll das im Größern nicht auch wahr sein und gelten? – Ich weiß also unsern lieben Lessing, nach seinen und seiner Freunde eignen Grundsätzen, nicht zu retten, wenn ihn jemand zum Besten des Publici brauchen kann. Auch hat ja der Herausgeber der Fragmente selbst in Gräbern gestört.

Aber, in Ernst, wie kann Hr. M. es so ungerecht gegen L. finden, daß Hr. J. das Gespräch und denBriefwechsel bekanntmacht? Er sagt ja selbst an mehrern Orten, und S. 79 mit großen Buchstaben: daß er im II. Teil der Morgenstunden von dem Briefwechsel Gebrauch machen will. Er hat ja selbst über L. an J. geschrieben: »Auch unsers besten Freundes Name soll bei der Nachwelt nicht mehr und nicht weniger glänzen, als er es verdient. Überall Wahrheit; mit ihr gewinnt die gute Sache immer.« S. VI. [352] Wenn nun Gebrauch von dem Briefwechsel gemacht werden sollte; so war doch überall mehr Wahrheit, wenn das Gespräch selbst mitgeteilt ward. Also die Bekanntwerdung des Gesprächs kann es wohl nicht sein, was Hr. M. unwillig machte.

Es ließe sich auch, wenn hier überhaupt etwas zu gewinnen und verlieren ist, noch fragen: ob L. durch diese Bekanntwerdung verliere oder gewinne? Ich urteile nach dem Eindruck, den ich davon habe. Es ist wahr, ein Ding, das ihm in dem Gespräch entfährt, hat mich für ihn sehr verdrossen; auch glaube ich, mit Hr. M., daß der Vorteil im Räsonnement auf J. Seite falle. Sonst aber vermisse ich, im Gespräch, in ihm, Lessingen und die trefflichen Blitze die man an ihm gewohnt ist keinesweges, daß er also an dieser Seite gewonnen hat; und an Seiten der Religion hatte er bei mir nichts mehr zu verlieren. Denn ob, mit L. in seiner Parabel zu reden, alles Licht durch die Seitenfenster einfalle, oder ob auch einiges von oben einfallen könne: die Frage teilt die Anhänger der Religion in zwei Klassen die wesentlich verschieden sind. Alles übrige gibt nur Nuancen von mehr und weniger; und die sogenannte Vernunftreligion, die den zerbrochenen Wasserkrug mit den Scherben selbst wieder flicken und herstellen will, ist etwa im Decoro, aber im eigentlichen Resultat wenig von der verschieden, die gar nicht flickt sondern die Scherben liegenläßt, wie sie liegen. Doch dies beiseite.


Also die Bekanntwerdung des Gesprächs konnte H.M. nicht unwillig machen; oder er mußte seine erste Meinung schon geändert haben, und nun nicht mehr, wie vorhin, seinen Freund der Wahrheit sondern die Wahrheit seinem Freunde aufopfern wollen. Das zwar kann ihm niemand wehren, und es ließe sich auch vielleicht noch entschuldigen; aber es läßt sich doch auch entschuldigen, wenn ein anderer das nicht will.

Das, S. 29; und 20 daß L., Mendelssohns vertrautester liebster Freund, mit dem er so lange Freund gewesen und sich so oft ergossen hatte, und um alle dessen Geheimnisse er zu wissen glaubte, daß der einem andern Mann, den er nur einigemal gesehen, offenherzig von einem Geheimnis spricht, von dem er mit ihm nie gesprochen hatte; und noch sogar gegen diesen sich äußert, daß er es aus Nachsicht nicht habe tun wollen; dies und dies hauptsächlich scheint Hr. M. wehe getan zu haben. Ich trete hier an seine Stelle, gedenke mit jenem Oberschenken an meine Sünde, und gestehe aufrichtig: es hätte mir auch wehe getan. [353] Es gibt eine Eifersucht in der Freundschaft; und die Selbstsucht sitzt gemeinhin bei uns Menschen tiefer als die Philosophie.

Wenn also nun Hr. M. einen Plan machte, sich und seinen Freund zu retten, und dieser Plan durch Hr. J. Schrift vereitelt ward, und die Sache ins Publikum kam; so läßt es sich begreifen, daß Hr. M. unwillig werden konnte.

Warum war denn aber auch Hr. J. mit der Bekanntmachung so vorschnell? Er hatte ja Hr. M. Versprechen in Händen: daß dieser im I. Teil der Morgenstunden des Briefwechsels noch nicht erwähnen wollte, wie er auch nicht getan hat; sondern daß er nur bloß den Statum controversiae festsetzen wollte, und was hatte J. für Ursache zu glauben, M. würde es zu seinem Nachteil tun?

Ich nicht, und gewiß wenige in Deutschland werden Hr. M. die Schadenfreude zutrauen, daß er unbeleidigt jemanden ein Bein unterschlagen könnte um sich an seinem Fall zu belustigen. Aber auf der andern Seite mußte sein Benehmen Hr. J. doch würklich sonderbar bedünken. J. und L. sprechen 1780 in Wolfenbüttel miteinander wider und für den Spinozismus; J. teilt Hr. M. in Berlin, der von L. Gesinnungen über diesen Punkt näher unterrichtet sein will, das Gespräch mit; – und nun will Hr. M. 1785 in einem I. Teil von Morgenstunden die Sache von dem Pantheismus ins reine bringen und den Spinozismus läutern, um in dem II. Teil dem Publico und Jacobi 1790 in Berlin zu sagen, was Lessing und er 1780 in Wolfenbüttel gemeint haben.

Auch war J., sagt er, an der Sache gelegen darüber gestritten war, und er mochte vielleicht zu den Läuterungen, nach einigen Proben aus dieser Schule wo das Korn sehr gelitten hat, kein sonderliches Vertrauen haben, und die Sache lieber ungeläutert und wie sie war behalten wollen. Ferner hatte er gegen L. und gegen M. den Spinoza verfechtet als den Meister in Demonstration, um hernach zu dem Satz zu kommen: daß alle Demonstration nicht ausreiche; und Hr. M. verstand ihn immer schief oder gar nicht etc. Wie hätte er, bei dem allen und bei dem was hernach noch kommen wird, die Besorgnis nicht haben sollen, daß Hr. M., der seinen ersten Entschluß; den Namen seines Freundes bei der Nachwelt nicht mehr als er es verdient glänzen zu lassen, aus Freundschaft schon geändert hatte; daß er vielleicht auch aus Freundschaft seinen Freund L. mit dem geläuterten Spinozismus vollends ins reine bringen, und Hr. J. seiner eignen Läuterung überlassen könnte?

[354] Die Erfahrung hat ja auch bewiesen, daß diese Besorgnis wenigstens für die erste Hälfte nicht ohne Grund gewesen. Denn in dem I.T. der Morgenstunden ist zwar des Briefwechsels nicht erwähnt, aber doch offenbar alles so angelegt, und eingeleitet, daß L. in dem II. Teil gerettet werden sollte; und man braucht mehr als einen Zipfel von Hr. M. Mantel der Freundschaft für L., um alle Stellen zuzudecken, die für seinen Nebenbuhler bei Herrn Lessing mißlich gedeutet werden könnten, wenn man das wollte.

Als nun, bei so bewandten Umständen, Hr. J. seine Gegenmine springen ließ, und jene Anlage demolierte, greift Hr. M., um sich und seinen Freund zu retten, zu einem sehr desperaten Mittel, und sagt: L. habe J. in dem Gespräch zum besten gehabt. – Man sieht nicht gleich, ob die Feinde oder Freunde des Hrn. L. mehr Ursache haben mit dieser Ehrenrettung friedlich zu sein; denn er kommt hier so ziemlich aus dem Regen in die Traufe. Aber Feinde und Freunde, die das Gespräch selbst gelesen haben, werden das Bonmot des Hr. M. ein wenig unphilosophisch finden. Wahrlich, wenn J. auch die Absicht gehabt hätte, L. und M. unter die Füße zu treten, und auf ihre Unkosten unedel in den Wald zu rufen; so hätte M. doch nicht edler geantwortet. Doch ihm war sein Plan verrückt, und das verdroß ihn; und wir wissen alle, was man im Verdruß nicht sagen und tun kann, das einen hernach wieder gereut!

Man kann auch Herrn J. von Empfindlichsein nicht freisprechen; denn offenbar war er's. S. CLXXVI etc. Seinen ersten Briefen sieht man's an, wie ihm die Bekanntschaft mit Hr. M. sehr willkommen war. Er teilte ihm das Gespräch mit, und, in Mspt., einen Auffsatz nach dem andern zur Belehrung und zur Prüfung; gibt ihm völlige Freiheit, CXVI, von seinen Briefen beliebigen Gebrauch zu machen usw. – und tat vielleicht zu viel. Als nun Hr. M. diese Bereitwilligkeit und dies Vertrauen nicht erwiderte; als ihm in Hr. J. Aufsätzen nichts einleuchtet, und das Licht immer mehr ausgeht, je mehr der es anblasen will etc.; er auch endlich sein Werk, wider getanes Versprechen, CXV, Jacobi in Handschrift nicht sehen lassen kann, S. 77, sondern gradezu drucken läßt; und also zu verstehen gibt, daß er für sich allein agieren wolle und J. nicht weiter brauche; so war die Empfindung bei Hr. J. sehr natürlich, daß er Hr. M. auch nicht weiter brauche.

Und er fing auch an, für sich allein zu agieren, freilich ohne [355] alle Bedenklichkeiten und Rücksichten, aber auch ohne alle Hypothesen und stracks vor sich hin.

Und dieser Schritt, oder die Bekanntmachung derBriefe über den Spinoza, hat, wie der Hr. Professor Engel in dem Vorbericht sagt, den nächsten Anlaß zu Hrn. M. Tode gegeben; und das tut mir sehr leid, und wird gewiß mehrern leid tun. Indes Hr. M. hatte diese Bekanntwerdung des Gesprächs in seiner Gewalt, wenn er Vertrauen mit Vertrauen erwidert hätte. Auch wollte er selbst das Gespräch nicht unterdrückt haben, »indem es nötig und nützlich sei, die Liebhaber der Spekulation treulich und durch eklatante Beispiele zu warnen etc.« S. XLIX. Und, S. L, schreibt Hr. M. denn weiter mit eigner Hand:

»Es mögen alsdenn die Unphilosophen sich darüber freuen oder betrüben. Wir bleiben unbekümmert.«

Und nun ist jemand, sei es auf welche Art es wolle, darüber so wenig unbekümmert geblieben, daß es seinen Tod veranlasset hat. – Und doch soll er, nach dem Vorbericht, ein »wahrer praktischer Weise« gewesen sein! – Ich will den Jemand als Menschen, und Hrn. P. Engel als Freund, gerne entschuldigen; aber die »Weisheit« will mir nicht zu Sinne, und ich kann sie so wohlfeil nicht lassen. Mir kommt es vor, als ob hier alles tout comme chez nous wäre. Und die Weisheit ist nicht chez nous, und ist eine große Kluft zwischen ihr und uns befestiget.

Doch Hr. M. wäre vielleicht ohne die Briefe gestorben; ich hoffe das für alle Interessenten, und fahre getrost fort.


Was nun die Hauptsache oder die Förderung der Wahrheit, und sonderlich die Frage, dazu dieser Streit gut sein sollte, anlangt; da ist bis dato alles, wie gewöhnlich, in Statu quo geblieben. Man hat zwar Gerüchte und Nachrichten gehabt: von einem großen Siege den die Vernunft bei dieser Gelegenheit über die Schwärmerei erfochten haben sollte; sie waren aber nicht von sicherer Hand. Es ist in der Tat ein sonderlich Ding um das Siegsgeschrei der Parteien, und die Menschen verraten sich selbst. Wenn sie, wie sie alle sagen, würklich für die Wahrheit föchten; so müßten sie gleich laut schreien, der Sieg möchte fallen an welche Seite er wollte, und eigentlich sollten allemal beide Parteien das Te Deum gemeinschaftlich singen. Überhaupt ist der Mutwillen und die unholde Begegnung, die sich die Schriftsteller in diesen Jahren öffentlich gegeneinander erlauben, keine große [356] Erfindung, und macht ihnen nicht gar viele Ehre. Wenigstens sollten Gelehrte sich doch als Leute von guten Sitten betragen; die schiefen und krummen Urteile sind nicht immer in ihrer Macht, weil sie auch urteilen, was sie nicht verstehen. Man sollte freilich fast sagen, es wäre auch besser, wenn sie mit solchen Urteilen zu Hause blieben; aber sie haben nicht immer Zeit sich vorher au fait zu setzen, und finden doch so immer noch ihre Leser und Freunde. Auch können sie nur ihresgleichen schaden, der Sache selbst nicht. Denn die Fische im Wasser bleiben unbekümmert, ob sie von den Alten in Cetaceos, Cartilagineos und Spinosos abgeteilt werden; oder von Linnaeus in Apodes, Abdominales, Jugulares und Thoracicos; zu welcher letzten Ordnung bei ihm der Knorrhahn (Cottus) mitgehört.

Wie gesagt, die Sachen sind bis dato in Statu quo geblieben; man möchte denn sagen, daß M. »über die Spekulation« bekehrt worden sei, und er also in seiner Hypothese: von Hrn. J. Absicht, geweissaget habe. Er geht zwar die Betrachtungen S. CLXII: über unmittelbare Gewißheit, über den Weg der Demonstration und seinen Ausgang in Fatalismus etc., die doch einer nähern Prüfung wohl wert waren, und sich in der Tat auch so nicht abspeisen lassen; Hr. M. geht zwar in seinem Anhang, S. 84–87, diese Betrachtungen kurz und schnöde vorbei; es finden sich aber in ebendem Anhang und in den Morgenstunden Stellen, die keinen Zweifel übriglassen.

Die Leser sollen selbst urteilen.

Hr. Jacobi sagt, S. CLXII:

»Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt sein, anders als durch etwas das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Überzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus der zweiten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Ähnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiß sind. Die Überzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen sein usw.«

Und Hr. Mendelssohn sagt, S. 30 und 33:

»Zwar bin ich ein großer Verehrer der Demonstrationen in der Metaphysik, und fest überzeugt, daß die Hauptwahrheiten [357] der natürlichen Religion so apodiktisch erweislich sind, als irgendein Satz in der Größenlehre. Gleichwohl aber hängt selbst meine Überzeugung von Religionswahrheiten nicht so schlechterdings von metaphysischen Argumentationen ab, daß sie mit denselben stehen und fallen müßte. Man kann mir wider meine Argumente Zweifel erregen, mir in denselben Schlußfehler zeigen, und meine Überzeugung bleibt dennoch unerschütterlich. – Meiner Spekulation weise ich bloß das Geschäfte an, die Ansprüche des gesunden Menschenverstandes zu berichtigen, und so viel möglich, in Vernunfterkenntnis zu verwandeln. Solange sie beide, gesunde Vernunft und Spekulation, noch in gutem Vernehmen sind, so folge ich ihnen, wohin sie mich leiten. Sobald sie sich entzweien: so suche ich mich zu orientieren, und sie beide, wo möglich, auf den Punkt zurückzuführen, von welchem wir ausgegangen sind, usw.«

Worte tun nichts zur Sache, sagt man; und um wieviel ist denn, in der Sache, das, was Hr. M. sagt, von dem verschieden, was Hr. J. sagt? – Hr. M. gibt ja offenbar eine Erkenntnis und Überzeugung zu, die nicht von Vernunftgründen abhängt, und die sicherer ist als jene! Er braucht ja die Spekulation bloß: eine Erkenntnis, die er schon hat, zu modifizieren. Und welcher vernünftige Mensch hat diesen und dergleichen Gebrauch der Spekulation je bestritten; und wen gehen die schwachen Brüder an, deren es in allen Fächern gibet? – – Herr Mendelssohn nimmt ja offenbar eine Kraft im Menschen an, die sich orientiert und die in Zwist geratene Spekulation oder Demonstration oder Argumentation, denn das ist hier alles eins, zurückführt; und also über die Argumentation ist! Wenn also die Kraft über die Argumentation ist, und die Argumentation führen muß; so kann ja die Argumentation sie nicht führen. Das ist doch klar! Es muß also, gar keiner, oder ein anderer Weg als die Argumentation sein, diese Kraft in Tätigkeit und Besserung zu bringen!

Und wenn ein jeder Weg, der nicht Argumentation ist, Schwärmerei heißen soll; so hätte die Schwärmerei nicht allein gesiegt, sondern Hr. M. hätte selbst das Gewehr gestreckt, und wäre zum Feind übergegangen! –

Doch wer wollte so etwas behaupten? – Das ließe ja, als wenn man glaubte, daß die Wahrheit durch Hr. M. gewinnen oder verlieren könnte. Und das glaube ich nicht. Nicht durch ihn, noch durch Leute die tiefsinniger sind, als er war. Ich [358] denke, die Wahrheit muß durch alle Menschen nicht gewinnen können, aber ein jeder Mensch durch die Wahrheit. Und wer anders glaubt, der muß mit wenig zufrieden sein.

Nicht doch, Hr. M. ist nicht übergegangen. Er hatte bloß die Ahndung der Wahrheit; wie Hr. J., und du, und ich, und alle Menschen haben, sie mögen es gestehen wollen oder nicht, und mögen sein wer sie wollen, Philosophen und Nichtphilosophen, Vernunftpriester und Gottesleugner, Schwärmer und Demonstranten, Bürger und Bauern.

Diese Ahndung ist freilich das Zeichen unsrer Größe; aber mit ihr sind wir noch nicht groß; doch in der Potenz es zu werden, und zwar alle, weil wir gleicher Natur und in gleichem Fall sind, auf einem Wege.

Und da dünkt mich, sollten wir nicht, ein jeder das Seine noch Ärgernis und Parteien suchen; sondern alle, als Freunde, einfältiglich den einen Weg hingehen, und nicht eher weise sein bis wir es wären.

Und dies bringt mich zu dem Glaubensbekenntnis, das Hr. M. S. 85 ablegt. »Ich kehre«, sagt er, »zum Glauben meiner Väter zurück, welcher, nach der ersten ursprünglichen Bedeutung des Worts, nicht in Glauben an Lehre und Meinung, sondern in Vertrauen und Zuversicht auf die Eigenschaften Gottes bestehet. Ich setze das volle uneingeschränkte Vertrauen in die Allmacht Gottes, daß sie dem Menschen die Kräfte habe verleihen können, die Wahrheiten, auf welche sich seine Glückseligkeit gründet, zu erkennen, und hege die kindliche Zuversicht zu seiner Allbarmherzigkeit, daß sie mir diese Kräfte habe verleihen wollen. Von diesem unwankenden Glauben gestärkt, suche ich Belehrung und Überzeugung, wo ich sie finde.«

Dies Bekenntnis des Hrn. M., das übrigens sowenig jüdisch als christlich ist, möchte gelten, solange die Allmacht und Allbarmherzigkeit Gottes allein und ungehindert würken. Aber die Traditionen seiner weisen nichtspekulativen Väter lehren ja, daß dies der Fall mit dem Menschen nicht lange gewesen sei. Und Hr. M. selbst sagt, daß er sich orientieren muß.

Die Sonne und die Sterne wissen ihren Weg, und gehen ihn Jahrtausende, ohne je zu irren, und des Orientierens zu bedürfen; und es ist, nach der Analogie, und nach der Herrlichkeit Gottes, zu glauben: daß auch die höhern Wesen in ihrer Art eben also geschaffen worden, solange nämlich Gott allein die Hand im Spiel hat, und nicht sie selbst. Wenn das denn aber der [359] Fall bei uns wäre; so müßte unser Glaubensbekenntnis wohl etwas anders lauten, wenn es wahr sein sollte.

Hr. M. setzt nach obigen seinem Glaubensbekenntnis hinzu: daß er Belehrung und Überzeugung glaube gefunden zu haben; schickt auch den Geist Lessings »in die Arme der Männer zurück, die, so wie er, den Weg der Demonstration gegangen sind«, und glaubt ihn da gar nicht übel aufgehoben. S. 87.

Wer Belehrung und Überzeugung hat, der kann von Belehrung und Überzeugung urteilen; die andern sollen schweigen. Das aber muß ich doch sagen, und ich sage es mit Wahrheit: daß ich, nach allen Äußerungen des Hrn. M., ihm seine Belehrung und seine Überzeugung nicht mißgönne. – – Auf keinen Fall. – – Auch nicht wenn sie auf dem einen Wege gefunden wäre. Denn da wird wohl Platz für uns beide sein; und auch für Lessing.

Und ich habe Lessing auch gekannt. Ich will nicht sagen, daß er mein Freund gewesen sei; aber ich war der seine. Und ob ich gleich sein Credo nicht annehmen kann; so halte ich doch seinen Kopf hoch. Hrn. Mendelssohns Bekanntschaft ist mir nicht beschieden gewesen. Aber ich habe ihn als einen hellen forschenden Mann mit vielen andern geachtet; und als Juden habe ich, wie man sagt, ein tendre für ihn, um seiner großen Väter, und um meiner Religion willen.

Der eine liegt zu Braunschweig im Grabe, und der andre zu Berlin – –


Molliter ossa cubent!


Wandsbeck 1786, im Hornung.

Asmus.

Der glückliche Bauer

Vivat der Bauer, vivat hoch!
Ihr seht es mir nicht an;
Ich habe nichts, und bin wohl doch
Ein großer reicher Mann.
Frühmorgens, wenn der Tau noch fällt,
Geh ich, vergnügt im Sinn,
Gleich mit dem Nebel 'naus aufs Feld
Und pflüge durch ihn hin;
[360]
Und sehe, wie er wogt und zieht
Rund um mich nah und fern,
Und sing dazu mein Morgenlied,
Und denk an Gott den Herrn;
Die Krähen warten schon auf mich,
Und folgen mir getreu,
Und alle Vögel regen sich,
Und tun den ersten Schrei;
Indessen steigt die Sonn herauf
Und scheinet hell daher –
Ist so was auch für Geld zu kauf,
Und hat der König mehr?
Und, wenn die junge Saat aufgeht;
Wenn sie nun Ähren schießt;
Wenn so ein Feld in Hocken steht;
Wenn Gras gemähet ist etc.
O wer das nicht gesehen hat,
Der hat des nicht Verstand.
Man trifft Gott gleichsam auf der Tat –
Mit Segen in der Hand;
Und sieht's vor Augen: wie er frisch
Die volle Hand ausstreckt,
Und wie er seinen großen Tisch
Für alle Wesen deckt.
Er deckt ihn freilich, Er allein!
Doch hilft der Mensch, und soll
Arbeiten und nicht müßig sein.
Und das bekömmt ihm wohl.
Denn, nach dem Sprichwort, Müßiggang
Ist ein beschwerlich Ding,
Und schier des Teufels Ruhebank
Für vornehm und gering.
Mir macht der Böse keine Not;
Ich dresch ihn schief und krumm,
[361]
Und pflüg und hau und grab ihn tot,
Und mäh ihn um und um.
Und wird's mir auch bisweilen schwer;
Mag's doch! Was schadet das?
Ein guter Schlaf stellt alles her,
Und morgen bin ich baß;
Und fange wieder fröhlich an
Für Frau und Kind. Für sie,
Solang ich mich noch rühren kann,
Verdrießt mich keine Müh.
Ich habe viel, das mein gehört,
Viel Gutes hin und her. –
Du droben! hast es mir beschert;
Beschere mir noch mehr.
Gib, daß mein Sohn dir auch vertrau,
Weil du so gnädig bist;
Lieb ihn, und gib ihm eine Frau
Wie seine Mutter ist.

Eine Parabel

Es war eine Zeit, wo die Menschen sich mit dem, was die Natur brachte, behelfen, und von Eicheln und andrer harter und schlechter Kost leben mußten. Da kam ein Mann, mit Namen Osiris, von ferne her und sprach zu ihnen: Es gibt eine bessere Kost für den Menschen, und eine Kunst sie immer reichlich zu schaffen; und ich komme, euch das Geheimnis zu lehren. Und er lehrete sie das Geheimnis, und richtete einen Acker vor ihren Augen zu, und sagte: »Seht,das müßt ihr tun! Und das übrige tun die Einflüsse des Himmels!« Die Saat ging auf und wuchs und brachte Frucht, und die Menschen waren des sehr verwundert und erfreuet, und baueten den Acker fleißig und mit großem Nutzen. In der Folge fanden einige von ihnen den Bau zu simpel, und sie mochten die Beschwerlichkeiten der freien Luft und Jahrzeiten nicht ertragen. »Kommt«, sprachen sie, »laßt uns den Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und[362] Mauern einfassen und ein Gewölbe darüber machen, und denn da drunter mit Anstand und mit aller Bequemlichkeit den Ackerbau treiben; die Einflüsse des Himmels werden so nötig nicht sein, und überdem sieht sie kein Mensch.« »Aber«, sagten andere, »Osiris ließ den Himmel offen, und sagte: ›Das müßt ihr tun! Und das übrige tun die Einflüsse des Himmels!‹« »Das tat er nur«, antworteten sie, »den Ackerbau in Gang zu bringen; auch kann man noch den Himmel an dem Gewölbe malen.« Sie faßten darauf ihren Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern ein, machten ein Gewölbe darüber und malten den Himmel daran. – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie bauten, und pflügten, und düngten, und ackerten hin und her – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie ackerten hin und her.

Und viele von denen, die umherstanden und ihnen zusahen, spotteten über sie! Und am Ende auch über den Osiris und sein Geheimnis.

Weihnacht-Kantilene
Coro

Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.

Rezitativ

Maria war zu Bethlehem,
Wo sie sich schätzen lassen wollte;
Da kam die Zeit daß sie gebären sollte,
Und sie gebar ihn –
Und als sie ihn geboren hatte
Und sah den Knaben, nackt und bloß;
Fühlt sie sich selig, fühlt sich groß,
Und nahm voll Demut ihn auf ihren Schoß,
Und freuet sich in ihrem Herzen sein,
Berührt den Knaben zart und klein
Mit Zittern und mit Benedein,
Und wickelt ihn in Windeln ein ...
Und bettete ihn sanft in eine Krippe hin.
Sonst war kein Raum für ihn.
[363]

Choral

Den aller Weltkreis nie beschloß,
Der liegt in Marien Schoß.
Er ist ein Kindlein worden klein,
Der alle Ding erhält allein. Kyrieleis!

Grave

Vor Gott geht's göttlich her,
Und nicht nach Stand und Würden.
Herodem läßt er leer
Mit seinem ganzen Heer;
Und Hirten auf dem Felde bei den Hürden
Erwählet er.

Rezitativ

Sie saßen da und hüteten im Dunkeln ihrer Herde
Mit unbefangnem frommen Sinn;
Da stand vor ihnen, an der Erde,
Ein Engel Gottes ... und trat zu ihnen hin,
Und sie umleuchtete des Herren Klarheit,
Und er sagte ihnen die Wahrheit.

Choral

Kyrie – – Eleison!

Rezitativ

Und eilend auf sie standen
Gen Bethlehem zu gehn;
Und kamen hin und fanden,
Ohn weiters zu verstehn,
Mirjam und Joseph beide,
Und in der Krippen lag, zu ihrer großen Freude,
In seinem Windelkleide
Auf Grummet von der Weide
Der Knabe wunderschön.

Coro 1

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Coro 2

Und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns.

[364] Choral

Ein Kindelein so löbelich
Ist uns geboren heute,
Von einer Jungfrau säuberlich,
Zu Trost uns armen Leuten.
Wär uns das Kindlein nicht geborn,
So wärn wir allzumal verlorn,
Das Heil ist unser aller.

Coro

Das Heil ist unser aller.

Rezitativ

Die Väter hoffeten auf ihn mit Tränen und mit Flehn,
Und sehnten sich, den Tag des Herrn zu sehn;
Und sahn ihn nicht.
Was Gott bereitete,
Und von der Welt her heimlich und verborgen war,
Ward in der Zeiten Fülle offenbar.
»Und in der Krippen lag, zu ihrer großen Freude,
In seinem Windelkleide
Auf Grummet von der Weide
Der Knabe wunderschön.«

Coro

Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet.

Rezitativ

Die Weisen fielen vor ihm nieder,
Und gaben ihre Schätze gern;
Und gaben Weihrauch, Gold und Myrrhen.
Sie sahen seinen Stern,
Und kannten ihren Heiland, ihren Herrn,
Und ließen sich das Heu und Stroh nicht irren.

Choral

Er ist auf Erden kommen arm,
Daß er unser sich erbarm,
Und in dem Himmel mache reich,
Und seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis!

[365] Affettuoso

Da liegt und schlummert er,
Die Äuglein zugetan!
– O du Barmherziger! –
Komm alles um ihn her,
Und dien und bet ihn an.

Choral

Willkommen in dem Jammertal,
O bis willkommen tausendmal,
Bis tausendmal gesegnet!
Du teures, liebes, holdes Kind,
Es weht bei uns ein kalter Wind,
Und schneiet hier und regnet.
Wir gingen trostlos und verzagt,
Im fremden Lande viel geplagt,
Gefangen alle auf den Tod;
Da kömmst du zu uns in der Not,
Zu bringen uns
Heim zu des Vaters Haus und Herd ...
Wir sind's nicht wert, wir sind's nicht wert.

Eine Stimme

Holdseliger, gebenedeiter Knabe!
Ich bet von Herzen an.
Du weißt, daß ich nichts habe,
Und dir nichts geben kann.
– Ich bet von Herzen an.

Zwo Stimmen

Ich danke dir auf meinen Knien,
Gebenedeiter Knabe!
Und will, solang ich bin und dieses Leben habe,
Dir danken, Herr! Und wenn ich nicht mehr bin,
Dankt dir, will's Gott! mein Schatten noch im Grabe.

Ein Chor Kinder

Wir wollen seine Krippe schmücken
Und bei ihm bleiben die ganze Nacht,
Die Hände ihm küssen und drücken;
Denn er hat uns so oft was gebracht.

[366] Ein Chor Väter und Mütter

Und wir mit euch sie schmücken
Und mit euch Tag und Nacht,
Die Hände ihm küssen und drücken;
Er hat uns selig gemacht!

Tutti

Du bist würdig zu nehmen Lob und Preis und Dank und Kraft und Macht und Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Dem Menschen dünkt es wunderbar,
Und mag es nicht verstehn;
Doch ist's wahrhaftig wahr!
Und selig sind die Augen, die ihn sehn.

Brief an Andres

Guten Tag, lieber Andres, und fröhliche Ostern.

Es ist mir sehr lieb, daß Du mich über Johannes den Täufer zu Hülfe rufst. Nicht zwar, weil ich eben sonderlich helfen kann; sondern weil ich so gerne von ihm spreche und sprechen höre.

Du schreibst, daß er Dir so groß vorkömmt, und Du kannst Dir doch nicht recht sagen warum. Das ist recht gut. Andres. Man weiß oft grade denn am meisten, wenn man nicht recht sagen kann warum.

Daß nun Johannes der Täufer uns groß vorkömmt, ist kein Wunder. Seine ganze Geschichte von der Stunde des Räucherns an, bis an das »Haupt auf einer Schüssel« ist sehr sonderbar; und es ist uns im Sinn, was von sicherer Hand von ihm gesagt ist. Und die Stelle sonderlich, wo er steht, trägt zu seiner Glorie bei. Denn je mehr Zusammenhang mit Christus und je näher um und an Ihn, desto größer. Nun hängen freilich alle wahre Weise und Männer Gottes seit der Welt Anfang mit Christus zusammen, wie die Ströme und Flüsse mit dem Meer. Petrus und Paulus sagen das mit klaren Worten, und die große Unterredung auf dem heiligen Berge »über den Ausgang zu Jerusalem« gibt es wohl zu verstehen. Aber Johannes der Täufer steht in der sichtbaren Welt zunächst und unmittelbar vor Ihm, und [367] zieht also natürlich zunächst den Blick auf sich. Also groß vorkommen muß er. Die Außen- und Um-Werke, wenn ich so sagen darf, fallen sehr in die Augen. Seine innerliche eigne Größe aber fällt nicht sehr in die Augen, und deswegen will es mit dem Warum nicht fort. Sie ist aber darum nicht weniger groß.

Schon das mit dem König Herodes, daß er den nicht sich selbst von dem nahen Heil ausschließen und verkommen lassen wollte und lieber seinen Hals daranwagte, schon das spricht für ihn. Es ist eine leichte und schlechte Kunst, Andres, den Königen und Fürsten zu trotzen, und ihrem verkehrten Willen, wenn sie einen haben, einen andern verkehrten Willen entgegenzusetzen. Aber, wenn ein Mann, der sichbesserer Dinge und des göttlichen Willens bewußt ist, wenn der nicht das Seine sondern das des Königs sucht, und ihn auf seinem Thron und mitten unter seinen Gewaltigen straft und schilt wenn er so unglücklich ist Übels zu tun – das ist ein ander Ding.

Du weißt, was Johannes der Täufer für Vorteil davon gehabt, und wie er sich des nicht gewegert hat. Dies nun aber will ich ihm so hoch nicht anrechnen. Ich kann es nicht so groß und schwer finden, daß er, und alle die Leute, die das Glück gehabt habenChristus näher zu kennen, daß die sich für Ihn haben köpfen und sengen und brennen lassen können. Das könnte man für Ihn wohl hinterm Berge tun, und wenn man nur die Evangelisten gelesen hat. Aber, daß Johannes der Täufer auf ebnem Wege so treu sein; daß er so durch die Menschen hingehen und sich nichts als die gute Sache treiben lassen; daß er die Wahrheit immer so über alles achten und so fest im Auge behalten; daß er so demütig sein und unter allen Umständen bleiben konnte etc.; kurz, daß er soklein war, und daß die menschliche Natur sich in ihm gar nicht rührte – das ist schwer! Andres. Das ist groß!

Und von dieser Seite kann man die Gestalt Johannes des Täufers nicht lange und andächtig genug ansehen, in allem was die Schrift von ihm sagt.

Er sollte vor dem Herrn hergehen, daß er seinen Weg bereite. Mehr sollte, und mehr konnte er freilich nicht. Wer Sonnenstrahlen machen will, der ist ein Quacksalber und kennt weder sich noch die Sonne; wer aber die Berge und Hügel, die ihr im Wege stehen, abträgt und erniedrigt, der treibt ein wahres Werk und ein sehr großes. Aber er faßt auch ein heißes Eisen an, denn er wird Vater und Mutter und seine eigne Hausgenossen wider sich erregen, wenn er Gott zum Freunde haben will. [368] Es ist kein Heil außer dem Heil, und die Götzenbilder müssen umgestoßen und weggetan werden. Andres, schlage an Dein Herz! Da steckt das Geheimnis, und da muß das nichts ist etwas werden, und zunichte werden wasetwas ist. Denn die Wahrheit hat alles, und es fehlt ihr nichts als eine Herberge, als Platz und Raum für ihre Herrlichkeit.

Aber wir wollten die Gestalt des Vorgängers derWahrheit ansehen.

Als die Nachricht von ihm, als dem Boten des Heils, aus der Wüsten nach Jerusalem und der Gegend umher gelangte; gingen sie hinaus: brillante Dinge und einen Mann in weichen Kleidern zu sehen. Du kannst denken, daß Johannes wohl gewußt habe, wie sie ihn erwarteten und lieber gehabt hätten – Aber er stand da in seinem Rock von Kamelhaaren undpredigte Buße.

Das Volk war in dem Wahn und dachten alle in ihren Herzen von Johannes ob er vielleicht Christus wäre; er war würklich Elias, und wohl mehr als ein Prophet. Und als die Deputierte von Jerusalem, Priester und Leviten, zu ihm kamen und ihn fragten: ›Wer bist du?‹ – bekannte und leugnete er nicht, und er bekannte: ›Ich bin nicht Christus.‹ ›Bist du Elias?‹ – Und er sprach: ›Ich bin's nicht.‹ ›Bist du ein Prophet?‹ – Und er antwortete: ›Nein.‹ etc.

Die Stadt Jerusalem ging zu ihm hinaus, und das ganze jüdische Land und alle Länder am Jordan, und ließen sich täufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden. Und nun kamen vollends die Lichter und Angesehene im Volk, viele Pharisäer und Sadduzäer, öffentlich dazu. – »Und als er sie kommen sah, sprach er zu ihnen: ›Ihr Ottergezüchte, wer hat denn euch geweiset, daß ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Sehet zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße.‹« etc.

Die um ihn standen, sahen ihn an und hielten ihn für einen Mann vom Himmel der alles wisse und in Händen habe; hielten seine Predigt für lauter himmlische Gesichte und Offenbarung, und seine Taufe für eine Geistes- und Wundertaufe. – Und er sagte: »Ein Mensch kann nichts nehmen es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Wer vom Himmel kommt, der ist über alle. Ich taufe mit Wasser; aber nach mir kömmt einer, der wird euch mit Feuer und dem Heiligen Geist taufen, des ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse.«

Lebe wohl, Du lieber Andres etc.

[369]

Von und Mit

dem ungenannten Verfasser der:

»Bemerkungen«

über

des H.O.C.R.u.G.S. Callisen Versuch

den Wert der Aufklärung unsrer Zeit betreffend.

Discite justitiam moniti et non temnere divos.

Von und Mit

Nro. 1

Nro. I

Es sind vor einiger Zeit auf 66 Seiten in klein8vo, ohne Namen des Verfassers und Druckers, herausgekommen: »Bemerkungen über des Herrn Oberkonsistorialrats und Generalsuperintendenten, Johann Leonhard Callisen, Versuch über den Wert der Aufklärung unserer Zeit. Sirach Kap. V. V. 14 und 15. 1795.«

In dieser Schrift kommt p. 32 folgende Stelle vor: »Mein Feind ist nur der, und mein erklärter Feind, der mir auf meinem Wege durchs Leben die Fackel ausblasen will, die mir leuchtet, oder andern den Wink gibt, ich sei ein Mordbrenner*.«

Und darunter steht eine mich betreffende Note, wie folget:


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint in einem Anfall von Furcht über das Lektüren unserer Zeit (wie er sich ungemein naiv ausdrückt) entstanden zu sein, und gibt sehr verständliche Winke.

Man hat Herrn Cl. zu scharf beurteilt. Einige meinten, der alte Wandsbecker Bote, müsse, da er seit einiger Zeit ein höchst langweiliger Gesellschafter sei, nun allein wandern und habe selbst Langeweile. Er gebe das Botengehen an, und das sei ein löblicher Entschluß. Aber aus Verdruß wolle er nun, durch einen losgelassenen Bären, die Landstraßen unsicher machen, und das sei nicht fein. –

Aber warum diese Anwendung? Herr Cl. dichtete janur eine Fabel. Das Wahre an der Sache, das Blatt aus der Chronik der Quadrupeden, [370] worauf das Faktum mit historischer Genauigkeit erzählt wird, ist ihm so gut wie mir bekannt.

Einem alten genialischen Pavian, der durch seine Schnurren Hof und Land eine Zeitlang mit ziemlichem Glücke belustiget hatte, tat es wehe zu bemerken, daß sein altes Publikum des erzwungenen Hokuspokus müde, Geschmack an ernsthaften Gegenständen gewinne. Er wollte es auch hierin versuchen; aber sein Ernst war, als er sich zum Disputieren anschickte, noch ungenießbarer, als seine vorherigen Puerilitäten, und das mitleidige Achselzucken des ganzen Tierreichs, zeigte es ihm genugsam an, daß er nun zum Stillschweigen verdammt sei.

Drob ergrimmete der Pavian, und trug nun schamlos in einer Reichszeitung auf einen Zensor Brummelbär an, der dem ungebührlichen Räsonieren Einhalt tun, und seine, des Pavians, Späße wo möglich in Aufnahme bringen möge. Die Sache kam bei Hofe zur Sprache. Ein alter weiser Elefant – sein Name wird noch lange mit Ehrfurcht in unsern Chroniken genannt werden – hatte den edlen Mut, diesem Antrage, der vom ganzen Affengeschlechte – auch die Tiger stimmten dafür – unterstützt wurde, mit Eifer zu widersprechen. Er setzte das Unkluge der vorgefallenen Maßregel mit so vielen und starken Gründen auseinander, daß der Löwe ein für allemal beschloß – er wird sich wohl dabei befinden – die possierlichen Einfälle und die hämischen Winke eines erbitterten Pavians für das zu halten, was sie sind, für verächtliche Possen.«


Über Urbanität habe ich mich nicht zu beschweren.

Es mag wohl sein, daß ich seit einiger Zeit ein langweiliger Gesellschafter bin. Ich bin niemals ein sonderlicher Gesellschafter gewesen, habe auch andre Mängel und Fehler mehr als mir lieb ist. Aber, was geht das den Ungenannten und das Publikum an? Und was kann ihn berechtigen, vor aller Welt, von den Mängeln oder Nichtmängeln eines andern Rede zu führen?

Und nun weiter – bis zum Ende derNote! – – – – –

Ich weiß nicht, diesen Mann beleidigt zu haben. Und so habe ich mich, einer solchen Beleidigung von ihm, nicht erwehren können; muß ihm auch ferner die Freiheit lassen, dergleichen Noten zu schreiben. Und, ich will sie auch, die Wahrheit zu sagen, wenn eins von beiden sein muß, lieber lesen.

In den Bemerkungen selbst wird gezeigt und gesagt: daß der Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat »ohne alle Sachkenntnis zusammengeraffte Rhapsodien, so zum besten gegeben, daß ein Meisterstück gänzlicher Verwirrung aller Begriffe daraus geworden ist«; daß »er eine vollkommene Unwissenheit in den ersten Regeln der deutschen Sprache und eine völlige Unbekanntschaft [371] mit allem was Stil heißt, verrät«; daß sein »Werk eins der ersten Produkte« der »Büchermaschine jenes Laputaners« zu sein scheine (p. 3 und 4); daß er »weder ein geübter noch ungeübter Philosoph« sei, man auch bei ihm »von Scharfsinn keine Spur« antreffe (p. 64); daß ihm »das Recht Bücklinge zu machen und zu kriechen herzlich gerne überlassen bleiben« solle (p. 61); daß er nicht »Schulmeister in einem kleinen Heidedorfe« sei, sondern »Gelehrter, der erste Geistliche einer ganzen Provinz, Examinator der theologischen Jugend« und »Oberkon-sistorialrat« und »entsetzliche Blößen« gebe (p. 24); daß »derjenige sich schämen müsse – der sich nicht entblödet, ein Amt anzunehmen, wovon ihn der Mangel an Denkvermögen und Kenntnis ganz und gar ausschließt« (p. 47); daß »nur engbrüstige Verteidiger des Bisherigen, jeden Schritt vorwärts fürchten, weil es ihnen an Mut und Kraft gebricht nachzueilen«; daß »viele gewiß nur darum ihrem alten Köhlerglauben so zugetan sind, weil sie in ihm ein treffliches Mittel finden, ihre Unwissenheit und ihren gänzlichen Mangel an den gelehrten Kenntnissen zu verbergen, die die gegenwärtige Weise die Theologie zu studieren und zu behandeln, erfordert« (p. 55); daß »er von Vernunft ganz und gar keine Begriffe habe« (p. 56); und so weiter.

Wenn die Gelehrten in der Achtung des Publikums verlieren; so sind sie doch würklich nicht alle unschuldig daran. Was kann das Publikum von den Gelehrten erwarten, wenn sie sich so ungelehrt betragen, und so alle gute Sitte und Weise beiseite setzen.

Ihm, unserm ungenannten Bemerker, gilt alles gleich. Er sieht keine Person an, und mißhandelt denGeistlichen wie den Weltlichen.

Es hat freilich mit solchem Mißhandeln, vornehmlich wenn es in diesem Gusto ist, so gar viel nicht auf sich, und man findet sich endlich darüber zurecht. Aber es ist doch nicht angenehm, so öffentlich im Angesicht des Publici gemißhandelt zu werden.

Etwas, scheint es, ist man seinem guten Namen doch schuldig; und einige Rechte hat die Galle auch in der Welt.

Es ist wohl recht gut, mit dem Schweigen und Vergeben und Vergessen. Das Beste ist und bleibt es, auch in Kleinigkeiten; sonderlich wenn einer es fröhlich tun kann. Denn einen fröhlichen Geber und Vergeber hat Gott lieb.

Nur, wie alles seine Zeit hat; so hat auch alles seinen Ort. Wo der Unfug bis auf einen gewissen Grad gestiegen ist, da hat [372] Schweigen und Vergeben und Vergessen seine Bedeutung verloren. Und, wenn einer auf dem Krautmarkt großmütig sein will; so lachen die andern nur, und bessern sich nicht.

Der Geistliche hat, soviel ich weiß, nicht geantwortet. Das mußte er auch nicht. Das schickt sich besser für den Weltlichen.

From the rude SEA'S enrag'd and foamy mouth did I redeem. Doch der Weltliche, der so schon seit geraumer Zeit seekrank ist und festes Land sucht, würde sich wohl auch am Ende stillschweigend ans Ufer geflüchtet, und Boot und Autorfähnlein den Wellen und Wogen des Gelehrten-Mählstroms und -strudels überlassen haben, wenn's weiter nichts wäre als das.

Aber, der Würkungskreis des Biedermannes hängt von dem öffentlichen Zutrauen ab; wie der Ungenannte (p. 59) sehr schön zu sagen weiß.

Es kann nützlich sein, den Schriftsteller, der sich solche Ungezogenheiten gegen ehrliche Leute erlauben darf, und der sich berufen und tüchtig glaubt, über den »ersten Geistlichen einer ganzen Provinz« so herzufallen, etwas näher kennenzulernen.

Auch kann es nicht schaden, daß er bei dieser Gelegenheit sehe, daß es, auch unter den Ghibellinis, noch Leute gibt, die anderer Meinung sind, und sich ihn und den neuen theologischen Kühreihn nicht sonderlich irren lassen.

Es geschiehet endlich kein Unrecht, wenn Gleiches mit Gleichem vergolten wird; und es ist nicht unbillig, daß jemand, der sich, so ganz und gar nicht, selbst an die Stelle des andern stellen will, von dem andern einmal dahin gestellet werde.


Der Ungenannte wird also erlauben, daß der »alte genialische –«, der ihm nichts getan hatte und der lieber in Ruhe und für sich geblieben wäre, ihm ein weniges Gesellschaft leiste, und (in seiner, des Ungenannten, Mundart gesprochen) noch einmal Hof und Land belustige.

Es könnte wohl sein, daß er ihm, auch diesmal, ein höchst langweiliger Gesellschafter wäre. Aber, das muß er ihm vergeben; wenn nur die Leser keine Langeweile haben.


Ich will zuerst meine eigene Angelegenheiten mit dem Ungenannten abmachen, weil sie die kleinsten sind.

Da meint er nun p. 32: daß ich ihm sein Licht ausblasen will. – Nicht doch! Warum sollte ich ihm sein Licht ausblasen wollen? [373] Das Stümpchen werde ich ihm ja gönnen. Aber, ist es denn so flugs und leicht ausgeblasen? Der Eigner scheint ihm auch fast wenig zu trauen. Eine Weile will sich das Flämmchen wohl halten. Indes, wenn er, der Ungenannte, das Blasen nicht haben will, so muß ich es lassen. Ihm aber soll es unbenommen sein. Er mag blasen, soviel er will. Ich verlasse mich auf mein Licht.


Blow winds, and crack your cheeks; rage blow!
– – – – – – – – – – – – – – –
I tax not you, you elements, with unkindness,
I never gave you kingdom, call'd you children,
You owe me no submission. Then let fall
Your horrible pleasure; here I stand your slave,
A poor, infirm, weak, and despis'd old man!
sagte der König Lear des Nachts im Sturm.

Ebendaselbst (p. 32)*.


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel (nämlich den Brummelbären) einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint usw.«


Der Brummelbär! Der Brummelbär! – Der ist an vielem Unglück schuld.


– μυρι' Αχαιοις αλγε' εϑηκε –


Es ist aber auch ein wunderlicher Bär. Er soll in den Honigbaum rücken; und rückt da schamlos in die Hamburger Neue Zeitung ein, und alarmiert das ganze Land, der Maße: daß die junge Mannschaft überall hat auf die Beine kommen und schultern müssen, um die Landstraßen zu decken, und dem Ungeheuer entgegenzugehen – unter Vortretung eines alten weisen Elefanten!

Ich bedaure natürlich den Vorgang gar sehr, und alle die Sorge und Mühe. – Aber, was kann denn ich dazu? – Der Ungenannte sagt ja selbst (p. 34); daß die Fabel eine »verächtliche Posse« sei. – So sind ich und der Bär ja unschuldig, daß sich der Phalanx in Bewegung gesetzt hat. Und mein unmaßgeblicher Rat wäre, daß er wieder abschulterte, und die ausgerückte Mannschaft, mitsamt dem Elefanten, wiedereinrückte.

Aber, das einmal beiseite. Gesetzt: der Brummelbär hätte mehr als eine Posse sein sollen. Gesetzt: ich hätte meine Meinung sagen wollen. Darf ich denn das nicht so gut, als ein [374] andrer? – Es könnte ja gar sein, daß ich auch einige Gründe anzuführen hätte. Doch die Gründe itzo für sich. Der Ungenannte sagt seine Meinung. – Darf ich denn nicht so gut meine Meinung sagen, als er seine Meinung sagt? – Pagina 32 eifert er exemplarisch gegen Wut und fieberhafte Bewegungen, und ist so vernünftig, daß er, mit einer Stelle aus dem Plutarch, ausdrücklich den »Weg breit und offen« bestellt, wenn »jemand anderer Meinung ist«. – Nun bin ich anderer Meinung. Und er gerät in ein so vehementes Bouillonnement, daß »verächtliche Possen«, »hämische Winke«, »Affengeschlechte«, »Puerilitäten«, »Tiger«, »Hokuspokus«, »Pavian«, »Schnurren« und andere Unreinigkeiten aus dem Grunde heraufkochen, und in seinem Vernunft-Kessel oben treiben.

Das ist eine schöne Vernunft! – Und dabei doziert sie immerfort: daß alle Menschen gleiche Rechte haben.


O mulier formosa SUPERNE.


Und diese Stroh-Witwe, die ihrem eignen Hause so schlecht vorsteht, will die Gemeine Gottes versorgen, und dem Generalsuperintendenten über die Theologie, und Hof und Land über den Generalsuperintendenten zurechtweisen.

Nro. 2

Es ist meine Meinung hier nicht, eine Verteidigung des Generalsuperintendenten zu führen. Seine Absicht allein verteidigt ihn, und braucht meiner Verteidigung nicht. Ich habe es bloß mit dem Ungenannten zu tun, und will bloß seine, des Ungenannten, Denkart, Kenntnisse und Einsichten, oder seine Gelehrsamkeit und seine Weisheit vor Gesicht ziehen und offenlegen, damit jedermann dem Ritter unter Helm und Küraß sehen könne. Doch kann der Fall wohl eintreten, daß ich den Generalsuperintendenten verteidigen muß, weil eines ohne das andre nicht geschehen kann; und da werde ich ihn freilich verteidigen, und er wird nicht übelnehmen, daß ich es da eigenmächtig und ohne seine Erlaubnis tue.

Ich mache den Anfang mit der Sprache, die dem Ungenannten ungemein am Herzen liegt.

[375] Mancher würde bei einer Schrift, die nicht eigentlich an ihn noch an das große Publikum sondern nur an einen bestimmten kleineren Zirkel gerichtet ist, die nach Anzeige des Verfassers unter mancherlei Abhaltungen und Geschäften, die endlich nicht zur Parade sondern um der Sache und um einer sehr guten Sache willen geschrieben worden – – mancher würde sich bei einer solchen Schrift über Stil und Sprache und über mehr als das gar hinweggesetzt, oder sich doch auf Lindigkeit und Nachsicht eingelassen haben. Aber auf so etwas läßt sich der Ungenannte nicht ein. Er sieht nichts nach; er ist hart und orthodox, und baut und bessert per fas und nefas, allüberall an Perioden, (pag. 4, 5, 12, 18, 21, 35), auch an einzelnen Worten (pag. 9, 39, 49, 61) ja sogar an einzelnen Buchstaben (p. 31, 35), mit einer Behendigkeit und Agilität, als wenn er von irgendeiner della Crusca dazu erbeten, oder von Obrigkeits wegen eigends dazu bestellt wäre.

Ich will mit ihm so hart und orthodox nicht sein. Ich will ihm seine: alte Aufklärung, statt: Aufklärung (pag. 55); sein: Herr C., statt: Herrn C. (p. 56 unten); sein: eine löblicher Entschluß, statt: ein löblicher Entschluß (pag. 33); sein: ephemirisches Spiel, statt: ephemerisches (pag. 29); sein: Bewußsein, statt: Bewußtsein (pag. 59); sein: mit zween Predigern, statt: zweenen, nach Gottsched, und besser: zwei oder zweien nach Adelung (p. 39); sein: den, statt: denn (p. 37); sein: könnet, statt: könnte (pag. 22); sein:unter der lebt, statt: unter der er lebt (pag. 61); seine: vorgefallene Maßregel, statt: vorgeschlagene Maßregel (p. 34) etc.; auch daß er (pag. 32) in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel hat einrücken lassen, da man die Fabeln eigentlich in die Hamburger Neue Zeitung einrücken läßt – das alles und mehr dazu will ich ihm als Druckfehler und Nachlässigkeiten, die er besser weiß und wenn er Zeit und Lust gehabt hätte geändert haben würde, hingehen lassen, und darum nicht glauben, und noch viel weniger sagen, daß ich die Sprache mehr verstehe als er.

Und ich denke fast, er hätte ebensogut getan, wenn er es auch so gemacht hätte.

Überhaupt denke ich, er hätte ebensogut getan, wenn er den Mann, der, nach Pagina 9, »als Privatmann sehr nützlich sein und viele Achtung verdienen kann« etc., lieber hätte gehen lassen. Man soll doch das Nützliche nicht stören. Auch ist es eine schöne und freie Kunst, die beleidigte Ehre eines unbescholtenen [376] Nachbars zu retten; und die andre Kunst ist doch nicht so schön und nicht so frei etc.

Wenn indes jemand auf solche Kleinigkeiten nicht sehen kann, und den Gang der Wahrheit im ganzen zu versehen hat; wenn er sich der »gegenwärtigen Generation« annehmen, und gegen die Schriftsteller »die, gleich Kobolden, immer dreister werden je stiller und dunkler es um sie her wird« (p. 8), nun einmal ausrücken und zu Felde ziehen muß;


Zaccaria venne con ducento eletti
Parte asini con fren, parte cavalli.

Nun, so soll er wenigstens den Zeug dazu haben, und nicht unwissender sein, als der den er der Unwissenheit zeihen will.

Wer je einmal in seinem Leben in Ernst an den bewußten Balken Hand gelegt hat, der weiß wohl, daß denn die Lust: an dem Splitter im fremden Auge zu hantieren, ziemlich zu vergehen pflegt, und daß ein solcher den ersten Stein nur langsam aufhebt. Ich will von dem Ungenannten das Beste hoffen; aber mir ahndet, bei seiner großen Behendigkeit und Agilität, nicht viel Gutes.

P. 10. »Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesem Abschnitte« (nämlich über den Wert der philosophischen Aufklärung unsrer Zeit) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Philosophie ereignet, eine Vergleichung des neuern philosophischen Systems mit den älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder der andern zu erwarten. Von allen dem aber nicht ein Wort.«

Wie sollte es nun wohl in diesem Punkt mit dem Ungenannten stehen? –

Ich reite ihm auf seinem eigenen Pferde entgegen.

»Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesen Bemerkungen« (darin der Ungenannte zwar nur hauptsächlich über die Politik Auskunft geben will, aber doch gelegentlich die Theologie mitnimmt, und, in verschiedenen Lektionen, p. 15, 18, 19, 20, 22, 23, 45, 55, 65, 66 den dem Bisherigen noch anhangenden Generalsuperintendenten eines Bessern belehren will) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Theologie ereignet, eine Vergleichung des neuen theologischen Systems mit dem älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder des andern zu erwarten. Von dem allen aber nicht ein Wort.«

Doch nein, das grade nicht. Worte wohl. Aber, obgleich er, [377] der Ungenannte, »nur wenig Allgemeines sagen will« (p. 21), doch auf allen 66 Seiten keine einzige besondre Spur von theologischer Lehre, außer Pagina 56: »daß der gelehrte Eckermann die Distinktion zwischen Lehrform und Lehre bekanntlich recht ins Licht gesetzt hat«.

Im Vorbeigehn muß ich bei dieser einzigen Spur, für den sprachkritischen Ungenannten, bemerken: daß das Wörtlein recht hier zwar nicht eigentlich un-recht, aber doch auch nicht eigentlich recht gesetzt sei; weil es hier, so gesetzt, eine unangenehme Zweideutigkeit erregen und auf die Gedanken bringen kann – entweder: daß andre Theologen die besagte Distinktion un-recht ins Licht gesetzt haben, der Herr Doktor und Professor Eckermann aber recht; oder: daß dieser gelehrte Mann diese Distinktion recht ins Licht, andre Distinktionen aber unrecht hineingesetzt habe, welches der Ungenannte doch gewiß nicht hat sagen wollen.

Weil denn er, der Ungenannte, in dem Felde dertheologischen Gelehrsamkeit nicht anzutreffen gewesen ist; so will ich ihn nun in dem Felde der philosophischen aufsuchen, und hier werde ich ihn vermutlich auch antreffen. Denn, da er selbst, Pagina 8, zwar nicht sehr bescheiden aber doch sehr artig und ominös, zu verstehen gibt, daß »die Stimme der Vernunft sich durch ihn hören läßt«; so wird er doch neugierig gewesen sein zu wissen: durch wen sie sich, vor ihm, hat hören lassen. Er wird, sage ich, doch neugierig gewesen sein, und näher und umständlich verkundschaftet haben: über was die Vernunft sich, in der langen Strecke vom Aristoteles bis an ihn, hauptsächlich und nebensächlich habe hören lassen, und wer, sonst und zu der und jener Zeit, ihr besondrer Freund und Liebling gewesen, und wie und warum er es gewesen, usw.

Er, der Ungenannte, kann freilich seine Ursachen haben, warum er mit einer solchen eingezogenen nähern Kundschaft zurückhält; aber wirklich hält er sehr damit zurück. Sogar hat er auf seinen 66 Seiten sich nichts entgehen lassen, daraus der Leser mit Gewißheit wissen könne, daß er nur den berühmtesten unter den neuen Philosophen, den itzo alle Welt liest, gelesen habe. Er spricht zwar (pag. 58) von »Fortschritten der kritischen Philosophie«, aber nur sehr ins große Blaue. Er spricht zwar (pag. 2, 7, 36, 37) von reiner Philosophie, reinen Begriffen, reinen Grundsätzen; aber an allen den Orten ist gerade die Kantische Reinheit nicht gemeint.

[378] Er nennt allerdings den Kant, und hin und wieder verschiedene alte Philosophen; zählt auch Pagina 51, auf einem Blatte, neun neuere Philosophen auf.

Aber, wie das denn so ist, wenn jemand große Männer nennt. Man hört wohl, daß er sie nennt; aber man weiß darum noch nicht, ob er sie auch kennt. Indes darf und muß man nicht impoli sein. Und in solchen Fällen bleibt nichts übrig um zur Gewißheit zu kommen, als daß man dem Zähler und dem Nenner, bei jedwedem Wort das er vorbringt, auf Augen und Mienen Achtung gebe, sein Portamento di voce zu Rate ziehe, und ihm in allen seinen Bewegungen zur Seite bleibe, wie einst Lord Anson dem spanischen Registerschiffe.

Doch der Ungenannte läßt es zu dergleichen feinen und mühsamen Prozeduren nicht kommen. Er weiß dem Leser das Ding leichter zu machen, und ihn kurz und gut und auf einmal au fait und außer allen Zweifel zu setzen.

Der Generalsuperintendent Callisen sagt in seinem Versuch Pagina CCXXII: »Ob wir moralisch frei sind und werden können ist eine schwere Frage, die ich mir nicht beantworten zu können zutraue.«

Und der Ungenannte fügt (p. 8, 9) über diese Äußerung hinzu: »Herr C. setzt sich gegen alle Verantwortung und Vorwürfe auf eine Art in Sicherheit –die, wir hoffen es zur Ehre der Menschheitselbst diejenigen, die sich in Ansehung seiner übrigen Behauptungen mit ihm in Reihe und Glied stellen, nicht öffentlich zu wählen das Herz haben möchten.«

Si tacuisses, philosophus mansisses.

Es ist nämlich bekannt, und jedweder, der sich in der Philosophie nur einigermaßen umgesehen hat, weiß es: daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, solange die Philosophie in der Welt ist, die große Streitfrage gewesen; daß sie schon zwischen den Stoikern und Epikureern sehr lebhaft betrieben worden, und seitdem nie ganz wieder geruhet hat; daß sie zwar um die mittlere Zeit mit der Philosophie ein wenig eingeschlafen, aber auch mit der Philosophie gleich wieder erwacht und unter den Scholastikern schon wieder in volle Bewegung gekommen, und seitdem in voller Bewegung geblieben ist; daß sie sonderlich, seit der letzten Hälfte des vorigen und in unser Jahrhundert hinein, sehr lebendig und interessant geworden, und zwischen und von Männern, wie Spinoza, Leibniz, Collins, Hobbes, Clarke, Bayle, Hume, verhandelt worden, und ferner und fernerhin[379] zwischen und von einer Schar berühmter Leute, die ich nicht alle kennen und nennen kann, Reimarus, Cruse, Daries, Bonnet, Garve, Hommel, Feder, Tetens, Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi; daß Kirche und Schule daran teilgenommen, der griechische und lateinische Stuhl sich darüber gestritten, und Augustinus und Pelagianer, Thomisten und Scotisten, Remonstranten und Kontra-Remonstranten, Luther und Calvinus damit zusammenhangen; daß die moralische Freiheit nicht grade von schwachen und gemeinen Köpfen angefochten und geleugnet worden; daß sie sogar, im ganzen, stattlicher und siegreicher bestritten als verteidigt worden, und nach der Philosophie auch besser und füglicher bestritten als verteidigt werden kann, weil die Verteidiger das Principium rationis sufficientis, gegen sich haben, und sie, wenn sie dies Principium halten wollen, eigentlich nicht anfangen können, und, wenn sie es fallenlassen, gleich am Ende sind; daß Kant einen neuen Weg gegangen ist, die Dornen dieser Alternative zu umgehen; kurz, daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, die große Frage, und der große schwere und schwierige Knoten ist, daran die Vernunft schon mehrere Jahrtausende gekäut, und die größten und scharfsinnigsten Köpfe aller Zeiten und Völker ihre Kräfte, für und wider, versucht haben. – Und der Ungenannte – will sich totlachen, daß ein bescheidener Mann sich nicht zutraut diese Frage beantworten zu können.

So also sieht es mit der theologischen und philosophischen Gelehrsamkeit des Ungenannten aus.

In der Politik ist er etwas besser beschlagen, und was in diesem Fach allgemein gäng und gäbe ist, das scheint er zu wissen, und auch zu halten versteht sich; doch läßt er sich, auch ein paarmal, fast noch etwas billiger aus, als man gewohnt ist. Aber von der politischen so wie von der theologischen und philosophischen Weisheit hernach.

Das wäre denn einstweilen etwas weniges von den Mängeln des Ungenannten; zu sagen, von den Mängeln die ihrem Subjekt inhärent sind.

Was nun die kurrenten Fehler anlangt; da hat der Ungenannte eine gedoppelte Methode. Wenn er seinem Widersacher einen gewissen Fehler vorwirft; so hat er selbst diesen Fehler entweder schon gemacht, oder er macht ihn bald nachher. Bisweilen macht er sie auch vorher und nachher, doch das nur selten.

Von allen Gattungen eine Probe.

[380]

Nro. 3

Pagina 61:

»S. 239 zeigt Herr Callisen sich wieder von einer ihm zu oft eigenen, wirklich sehr unangenehmen Seite: d.h. er schimpft unbestimmt, er wirft einen Prügel ins Publikum unbesorgt, wen er trifft.

›Wenn so viele unbesonnene Schriftsteller unserer Tage erst einen Bückling für die Regierung machen, in deren Gewalt sie sich befinden, indem sie viel zu feige sind, ihre Meinung gradeheraus zu bekennen etc.‹

Herr C. nenne diese Schriftsteller.«

Diese letzte Forderung ist etwas unbescheiden von jemand, der sich selbst nicht genannt hat; so wie überhaupt dieser ganze Vorwurf einem solchen Schriftsteller sonderbar kleidet. Denn, wer mit Prügeln umgeht, die nicht sagen wo sie herkommen, der sollte es mit Prügeln, die nicht sagen wo sie hin wollen, doch wohl so genau nicht nehmen. Aber, kurz und gut, der Mann, der sich hier, Pagina 61, so sehr über das Prügelwerfen und unbestimmte Schimpfen beschweret, hatte schon (Pagina 7) die folgende Stelle zu Papier gebracht.

»Es ist nur gar zu wahr, daß vorzüglich seit einiger Zeit, mehrere Herren ihren Lehrstuhl in einem theolo gisch-philosophischen Helldunkel aufschlagen; Menschen, die mit Hülfe einer selbstgeschaffenen Religionsphilosophie, und einer aszetischen Salbaderei, alle reinen Begriffe verwirren, vernünftiges Christentum, christliche Freiheit, christliche Aufklärung stets im Munde führen, und dennoch immer, positive Religion und Vernunft, Christus und Aufklärung (S. IV), neue und alte Wahrheit (S. I) einander entgegenstellen, von Volksbändigen durch positive Religion sprechen (XVII), dem Joche unbilliger christlicher Herren das Wort reden: (S. 260) kurz – denn was heißt das wohl anders? – die gefährlichsten Advokaten der beiden Hauptfeinde der Menschheit, des Despotismus und des Aberglaubens werden.

Diese Skribenten haben ihr eigenes Publikum, wie ein jeder es weiß, der sich nur um den Gang des menschlichen Geistes bekümmert. Ihre Werke werden gelesen, mehrmals aufgelegt, und beweisen schon dadurch, daß ihre Verfasser mit Unrecht über [381] die Fortschritte der neuern Aufklärung so heftige Klage führen. Haben sie überdem, vermöge ihres Standpunktes in der Gesellschaft, einen weitern Wirkungskreis und sichern Einfluß; so weiß man wohl, was blindes Vorurteil, Heuchelei und Hoffnung auf Beförderung vermögen, um ihren Grundsätzen demütige Anhänger zu verschaffen.

Das Häuflein dieser Schriftsteller wird, gleich den Kobolden, immer dreister, je stiller, je finsterer es um sie her wird. Die Stimme der Vernunft muß sich doch zuweilen hören lassen, um sie zu verscheuchen. Wenn sie nichts mehr fürchten, so wagen sie alles. Sie halten etc.«

Der Prügel ist doch lang genug! – Und ich habe noch die untere Spitze, zu einem anderweitigen Gebrauch, abgebrochen.

Doch der Ungenannte möchte vielleicht einwenden und sagen: der Generalsuperintendent sei freilich kein Häuflein Schriftsteller, und dürfe, da die ganze Schrift gegen ihn gerichtet sei, hier freilich nicht eigentlich mitgezählt werden; aber doch habe er, der Ungenannte, ihn hier angeführt, und also könne er doch nicht angesehen werden als ganz und gar unbesorgt wen sein Prügel treffe.

Gut das; ich will dem Ungenannten kein Unrecht tun, und führe also einen andern Prügel an, den er höheren Orts und ohne alle Anführung geworfen hat; indem er, Pagina 20, bei Gelegenheit der Stiftung und Verbreitung religiöser Sekten und Meinungen, versichert: »daß es noch fast nie den Herrschern der Menschen eingefallen, dieselben zum vernünftigen Denken anzuführen, und ihre Geisteskräfte zu entwickeln; daß sie wohl aber oft selbst durch gewaltsame Mittel sich bemüht, sie davon zurückzuhalten, und dem Fortschreiten der menschlichen Erkenntnis Hindernisse in den Weg zu legen.«

Der Ungenannte nenne diese Herrscher. –

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du bist, der da richtet: denn, worinnen du einen andern richtest, verdammest du dich selbst; sintemal du ebendasselbige tust, das du richtest.

Das wäre denn die Probe von der Gattung: schon gemacht.

Für die Gattung: bald nachher, folgendes.

Pagina 45 schuldiget der Ungenannte seinen Widersacher, daß er »Gegenstände der Untersuchung selbst, die Gesinnungen, Überzeugungen und theoretischen Äußerungen eines Staatsbürgers vor sein Forum ziehe und mit Sünde und Schande brandmarke«, [382] und daß »ein jeder, wes Standes und Würden er sein mag, sich dieser Dominikaner-Intoleranz schämen sollte«.

Dies geschieht, wie gesagt, Pagina 45; und zwei Seiten weiter, nämlich P. 47, hat er selbst, der Ungenannte, sein Brandmarksgeräte schon glühend, und dreierlei Delinquenten, die mit »Schande und Sünde« gestempelt werden, vor sich stehen; und vergißt sich in seiner Intoleranz so weit, daß er anfängt, die Frage: ob ein Staatsbürger ein ihm angetragenes Amt annehmen oder nicht annehmen soll, vor sein Forum zu ziehen.

Endlich, die Probe von der dritten Gattung liefert der Ungenannte Pagina 27 etc.

Der Generalsuperintendent tut einmal, was alle Welt tut, und, oft, richtiger getan ist; das heißt, er braucht einmal Uns und Wir, statt mir und ich. Und der Ungenannte Pagina 27:

»So nachsichtig man auch sein mag, so kann man doch nicht umhin, diese Anmaßung zu arg zu finden. Wer sind die Uns und Wir, die sich unterstehen, dem Menschen Gesetze vorzuschreiben?«

Und bei einem ähnlichen Anlaß Pagina 60:

»Sagen Sie doch, ums Himmels willen, wer sind die Uns?

Hiebei fällt mir eine Anekdote ein, die meine Leser mir, in Parenthesi zu erzählen, erlauben werden. – – – Als ich noch in Sekunda war, ließ ich mir auch einmal beigehen, wir und uns, statt ich, in meinen Ausarbeitungen zu gebrauchen. Da schrieb mein seliger Konrektor auf den Rand: Mein Sohn, solange Er noch nicht imstande ist, für eine Person hinreichend zu leisten, so setze Er lieber ich, und füge Er zuweilen ganz bescheidentlich hinzu, meine Wenigkeit.«

Ich bitte meine Leser um Verzeihung, daß ich ihnen solche platte Plattitüden vorsetze. Ich gäbe den Ungenannten freilich lieber mit einem αττικον βλεπος επι του προσωπου wie Aristophanes sagt. Aber ich kann ihn nicht anders geben, als er sich selbst gibt.

Doch zu unsrer Probe. Das Allerwenigste wäre doch wohl gewesen, daß der Ungenannte sich auf seinen paar Blättern, vor und nach solchem Commerage, selbst kein Wir und Uns hätte zuschulden kommen lassen. Aber, wer lügen will, sagt man, muß ein gutes Gedächtnis haben. Pag. 27 steht die erste Rüge deswir und uns, und pag. 8, und also vorher, »hoffen wir schon zur Ehre der Menschheit«; und pag. 43, und also nachher, wir't er schon wieder, und fodert pag. 53 »den Generalsuperintendenten [383] auf, uns einen Sterblichen zu nennen, der so rasend gewesen wäre«. – Und das wäre denn zusammen vorher undnachher, und so an alle drei Gattungen erprobt und ins reine gebracht.

Pagina 10 wirft der Ungenannte dem Generalsuperintendenten Inkonsequenz vor, »daß er auf der einen Seite versichere, daß die Sache Christi nun einmal nicht verlorengehen könne«; und gleich auf der folgenden Seite klage etc. Und er, der Ungenannte, versichert und klagt, hofft und fürchtet für sein Steckenpferdchen, auf einer und derselben Seite, und ineinem Otem. Nämlich pag. 8 »halten die Schriftsteller« (zu sagen: »die Koboldschriftsteller, die immer dreister werden etc.) den Gang des menschlichen Geistes im ganzen nicht auf«; dafür ist ihm, dem Ungenannten, gar nicht bange, und darüber ist er ganz ruhig. Aber, doch könnten von den »Gliedern der gegenwärtigen Generation« wohl einige Not leiden, und ist er ihretwegen doch nicht ganz außer Sorgen, will deswegen auch lieber ein übriges tun, und »ihnen unermüdet laut zurufen etc.« – In Parenthesi und unter uns gesagt, ist dies das dritte Mal, daß ich diese nämliche Stelle produziere. Und eben das ist so angenehm und bequem bei den Stellen dieser Schrift, daß man sie zu allerlei Absicht und immer wieder und wieder brauchen kann.

Ein paar Exempel mehr von der Inkonsequenz des Ungenannten können nicht schaden.

Pag. 3 beschuldiget er, wie schon in No. 1 angeführt worden ist, seinen Widersacher einer »vollkommenen Unwissenheit in den ersten Regeln der deutschen Sprache, und einer völligen Unbekanntschaft mit allem was Stil heißt«, pag. 9 »eines gänzlichen Unvermögens seine Begriffe erträglich auszudrücken«; und p. 21 muß er ihm das Zeugnis geben, daß er den zweiten Abschnitt (von p. LXXXIV bis CCII und also 2/5 des ganzen Buchs) »mit etwas mehrerem Fleiß in Absicht auf die Sprache ausgearbeitet habe«.

Pag. 38 doziert der Ungenannte, »daß ein Geistlicher die strengste Verpflichtung habe, richtige Begriffe über die bürgerlichen Verhältnisse des Menschen, nach seinen besten Einsichten, zu verbreiten«. Und doch wird der Generalsuperintendent, als er diese strengste Verpflichtung erfüllt, von ihm so angefahren. Doch hier ließe sich die Konsequenz des Ungenannten noch wohl zur Not retten. Er konnte nämlich hoffen, die Geistlichen würden seine Meinung zu treffen wissen, und der Generalsuperintendent hatte die Ehre, sie nicht zu treffen. Aber der Ungenannte [384] hatte doch ausdrücklich gesagt: daß die Geistlichen es nach ihren besten Einsichten tun sollen, und nicht nach den Einsichten des Ungenannten.

Auf diese Inkonsequenzen nun noch einige Merkwürdigkeiten, die vielleicht zu den Konsequenzen gerechnet werden könnten.

Der Generalsuperintendent fodert am Ende seines »Versuchs: die holsteinische Geistlichkeit bei itziger Gärung der Meinungen etc. zur Beförderung der wahren Aufklärung eines tätigen Christentums und der Ruhe in unserm Vaterlande zu vereinigen«, die Prediger noch einmal brüderlich auf, und sagt unter andern, sehr brav: »Wir sind überzeugt, daß das keine wahre Aufklärung sei, wenn die Vernunft sich über die Offenbarung erhebt, keine wahre Aufklärung, wenn man die Bibel so verdreht, daß wir nicht mehr eine höhere Belehrung, die göttliche Natur unsers Herrn, und die Wirkung seines Verdienstes und seines Geistes darin finden können; keine wahre Aufklärung, wenn man die Begriffe von Menschenrechten, von Freiheit und Gleichheit so sehr übertreibt, und vor bisherige bürgerliche Einrichtungen keine Achtung mehr haben will. Und das muß zur Sprache gebracht werden, wenn wir nichts mehr können, um uns dem Strome herrschender Vorurteile zu widersetzen, so müssen wir wenigstens warnen, und nicht mit der Schande leben, aus Furcht vor menschlichen Urteilen geschwiegen zu haben.«

Dem Dinge traut der Ungenannte nicht, und wendet sich deswegen, pag. 46 in einer eignen Rede, auch an die Prediger, um sie für die »vernünftigen Einsichten« zu gewinnen, segnet sie auch, weil es doch, nach pag. 23, »für Gott und die Religion in unsern Zeiten nichts mehr zu streiten und zu kämpfen gibt«, vorläufig zum Märtyrertode für diese Einsichten ein. – Und in der Tat mag er zu einem solchen Geschäft nicht ganz unfähig sein. Denn, nach einem pag. 30 über den ferner zu erwartenden Gang der Sache gegebenen ominösen Wink zu urteilen, scheint er würklich so bei seiner Göttin zu stehen, wie weiland bei der Königin Candace der Mann aus Mohrenland, der ein Kämmerer und Gewaltiger und über alle ihre Schatzkammern war.

Pag. 12 spricht er von einem Galimathias seines Widersachers, und liefert pag. 22 eins von seiner eignen Arbeit, das gar nicht übel geraten ist.

Pag. 46 und 47 kommt gar eine Prophezeiung vor: »von einem rächenden Genius der wahrhaftig bald kommen wird.« Sie steht im 2. Teil der Einsegnungsrede, nachdem im 1. Teil dieser Rede [385] die Güte versucht ist – ut quae amore flecti non posset hominum audacia terrore sisteretur.

Ich setze die eignen Worte der Prophezeiung her, welches bei solchen Sachen immer das sicherste und beste ist.

»Aber, meine Herren, würden Sie wirklich aus Trägheit, Feigheit oder Eigennutz verstummen, welches Sie nicht werden; wäre es möglich, daß Sie selbst Freude an der Dämmerung fänden, die Sie aufzuklären berufen sind, oder daß Sie gar vorsätzlich die Finsternis eindringen ließen; so sein Sie überzeugt, es kommt wahrhaftig bald ein rächender Genius – fürchten Sie seine Ankunft –! der mit verheerender Fackel die Finsternis erleuchten wird, die Sie so schön mit dem Lichte der Vernunft hätten aufhellen können. Dann ist es zu spät. In welchen Winkel wollten Sie auswandern? Der Genius beleuchtet dann über den ganzen Erdkreis Ihren Verrat an der Menschheit, Ihre Schande und Ihre Verzweiflung.«

Höchstwahrscheinlich wird dieser Genius, wenn er kommt, sich nicht bloß auf die Prediger einschränken, sondern wird ganz gewiß auch die Laien beleuchten. Ich mache ihm deswegen beizeiten mein Kompliment, mit dem Ersuchen: wenn er mit den Herren Predigern fertig ist und die Reihe nun an die Laien kommt, so viel sich will tun lassen, säuberlich mit uns zu fahren, und über unsern Verrat und unsre Schande gefälligst ein Auge zuzudrücken etc.

Aber der Kurzweil möchte am Ende langweilig werden, und die Galle fängt auch an mir auszugehen. Ich will mich denn für noch einige andre Merkwürdigkeiten kurz fassen.

Der Ungenannte:


  • – »kann und wird den Generalsuperintendenten nicht schonen« ... p. 25
  • – »sieht sich genötigt die alte Aufklärung einmal förmlich anzugreifen« ... p. 54
  • – nimmt sich heraus über Dichtung zu urteilen ... p. 32
  • – statuiert: »daß ein Geistlicher zum Räsonieren bestimmt ist« ... p. 38
  • – »hätte einen Folianten schreiben müssen« ... p. 10
  • – »sollte fast die Lust verlieren mit einem Manne vernünftig zu sprechen« ... p. 56
  • – ist »vor einiger Zeit mit zween Predigern in einer Gesellschaft gewesen« ... p. 39
  • – »kann sich etwas nicht versagen« ... p. 10
  • [386] – »will mit Ihnen aufrichtig sein« ... P. 64
  • – »glaubt, ja« ... P. 6
  • – und »denkt, nein« ... p. 7
  • – »weiß nicht was er – denken soll« usw .... p. 13

Aber, wird der Leser sagen, der Ungenannte treibt ja vieles auf seinen 66 Seiten.

Ja wohl treibt er vieles.

Wenn nun aber gefragt wird: warum, wie, und wozu er das alles treibt, so sind die Meinungen darüber verschieden, nämlich seine, des Ungenannten, eigene Meinungen.

P. 9 scheint er es auf die Prediger und Kandidaten, die Generalsuperintendenten werden wollen, angesehen zu haben; p. 10 ist es ihm wieder um eine gewisse Überzeugung bei dem Leser zu tun. Aber p. 24 kommt der Fuchs allererst recht zum Loche heraus, wie folget:

»Ich werde nicht umsonst zuweilen so warm mit Ihnen« (nämlich mit dem Generalsuperintendenten) »es ist die Ehre unserer Regierung, die Ehre eines ganzen venerabeln Standes, die Ehre des Vaterlandes, die mein Blut in Wallung bringt.«

»Es ist die Ehre eines ganzen venerabeln Standes!« – Der Ungenannte will also dem Generalsuperintendenten die Ehre nehmen um den Predigern Ehre zu geben. Ist es doch der leibhafte Schuster, der das Leder stiehlt um die Schuhe zu verschenken. Die Herren Prediger werden sich einer solchen Generosität wohl höflich bedanken, und dem Ungenannten seine Ehre und Schuhe zurückgeben.

»Es ist die Ehre unserer Regierung« – die nämlich den Generalsuperintendenten gesetzt hat. –

Noch nicht alles. »Es ist die Ehre des Vaterlandes!« – Das heiß ich einen holsteinischen Patrioten, der sich gewaschen hat, und gewaschen ist.


Demptus per vim mentis gratissimus error.


Und nun zu ernsthafteren Dingen.
[387]

Nro. 4

Bekanntlich ist die Religion immer und überall als höherer Abkunft angesehen worden. Bei allen alten Völkern, von denen wir Nachrichten haben, selbst die amerikanischen die vielleicht mehrere Jahrtausende von der übrigen Welt getrennt gewesen sind nicht ausgenommen, waren die ersten Stifter der Religion Götter, Halbgötter, Söhne der Sonne, Götter die Menschen oder Menschen die Götter geworden waren etc. Und, wenn bisweilen in der Geschichte eines Volks ein Zeitgenosse in bekannter Gestalt als Religionsschöpfer dasteht, wie z.E. Konfuzius bei den Chinesern, oder Zoroaster bei den Persern; so ist der nurHersteller, und es ist schon ein Fohi und Hom gewesen. Der Ursprung ist immer höher hinauf, und verhüllt; und in der Religion selbst ist, im Grunde, unter mancherlei und verschiedenen Namen, mehr oder minder verstellt – Unus in orbe vultus.

Überall: ein erstes gutes Wesen; überall: ein böses Wesen, bei den Indianern Ruthren, bei den Persern Ahriman, bei den Ägyptern Typhon, bei den Kelten, Goten etc. Surtur, Skrymer etc.; überall: Theophanie, Opfer, Sühnung, Reinigung; überall: Leben, Tod und neues Leben, oder Herstellung; überall: Unsterblichkeit, übermenschliche Kraft und Weisheit etc.; auch, außer dem Gott Schöpfer, noch ein Gott Helfer, Mittler und Pfleger, in Indien Wischnu, in Persien Ormuzd, auf Ceylon Bobou, bei den alten nordischen Völkern Thor etc.

Bolingbroke erklärt dies letztere, und den, überall sichtbaren, Tritheisme, wie er's nennt, sehr künstlich; aber der Unus in orbe vultus scheint viel natürlicher auf eine und die nämliche erste Quelle hinzudeuten; und, was Lukan von den Römern sagt:


Nos in templa tuam Romana accepimus Isim –
et quem tu plangens hominem testaris Osirim

mag so ziemlich allgemein der Fall gewesen sein, woraus sich denn zugleich der varius in orbe vultus, und daß er im Absteigen immer mehr varius angetroffen wird, sehr wohl begreifen ließe, usw.

Über dies merkwürdige historische Faktum spricht der Generalsuperintendent weitläuftig, und sucht es, natürlich, zum Vorteil der Existenz einer geoffenbarten Religion zu benutzen; kann es aber dem Ungenannten gar nicht recht machen. Mag er sich [388] hin und wieder zu nachlässig auslassen, und mißverstanden und gemißdeutet werden können; die Hauptsache ist und bleibt wahr, und läßt sich nicht wegexklamieren. Pag. 13 ruft der Ungenannte dem Generalsuperintendenten zu: »das ist ein Bekenntnis aber kein Beweis.« Aber darum liefert er selbst nicht viel Beweis und wenig Bekenntnis, sondern umgekehrt wenig Beweis und viel Bekenntnis und Exklamation. Zum Exempel, der Generalsuperintendent sagt: »So wie ein Volk sich einigermaßen über die Wildheit erhebt, so finden wir bei demselben Stimmen der Gottheit, heilige Örter, Opfer, Wunder, Weissagungen, heilige Bücher, überall außerordentliche Gesandte, überall Bemühungen, Vorschriften, Gott zu versöhnen. Fast jede Religion hat ihren Messias.« Und der Ungenannte exklamiert (p. 17): »Ist es möglich, daß das ein christlicher Geistlicher geschrieben haben kann? und noch dazu ein Mann, den eine aufgeklärte Regierung, aus der gesamten Geistlichkeit einer ganzen Provinz auswählte, und zum Vorgesetzten der übrigen machte?«

Was soll man dazu sagen? – Was anders, als der Ungenannte hat die Intercetta etc. die Halde, dieKämpfer, die Hyde etc. die Zendavestas, die Baghatgetas, die Eddas usw. nicht gelesen.

Weiter meint der Generalsuperintendent: weil Moses und Mahomed etc. wenn sie im Namen des Herrn redeten und von Gottes wegen Befehle brachten, immer mehr Eindruck gemacht haben als die bloße Spekulation und die Sonne in aller ihrer Pracht; weil eine bloße Vernunftreligion nirgends, und geoffenbarte, wahr oder falsch, überall angetroffen wird etc.; so sei positive Religion ein Bedürfnis des menschlichen Geschlechts usw.

Das ist wieder nicht getroffen; das Ding muß anders erklärt werden, und »der Generalsuperintendent (p. 19) könnte etwa sagen: Das durch das Anschauen der Natur und der Schöpfung in dem Menschen natürlich erregte Verlangen nach der Erkenntnis der Ursache derselben, könne ihn sehr leicht irreführen; es habe, wie die Erfahrung lehre, nie an Intriganten und Bösewichtern gefehlt, die sich seiner Schwachheit zunutze gemacht, und es sei selbst oft groben und unwissenden Betrügern geglückt, die noch unwissendere Menge, durch Vorspiegelungen und Erfindungen zu täuschen, und zu ihren ehrsüchtigen oder fanatischen Absichten zu mißbrauchen. Er könnte zeigen, wie ihnen ihr Betrug sehr erleichtert sei, wenn sie frech genug gewesen, das höchste Wesen selbst mit ins Spiel zu ziehen« (wie zum Exempel der Ungenannte den rächenden Genius mit hineingezogen hat) [389] »und das Volk glauben zu machen, daß dieses sie unmittelbarer Unterredungen würdige. – Am allerwenigsten müßte er in dieser anscheinenden Geneigtheit sich hintergehen zu lassen, einen geheimen Wink der Natur sehen, die Menschen immer in der Finsternis zu erhalten; ja ihnen wohl gar gradezu die Fähigkeit absprechen, je durch das Licht der Vernunft erleuchtet werden zu können, und sie auf ewige Zeiten der Führung des Aberglaubens der Bosheit und der Unvernunft übergeben.«

Diese Art sich auszudrücken, und, ohne weiteres, zu erklären, ist etwas stark, in einem Lande, wo eine geoffenbarte Religion besteht und obrigkeitlich geschützt und gehandhabt wird. Übrigens kann man dem Ungenannten sein Bekenntnis von Betrug und Täuschung gerne zugeben.

Es ist leider mehr als zu wahr, daß die gutmütige Unwissenheit oft betrogen, und gemißbraucht worden ist. Aber, was beweisen alle diese Betrügereien und eine Welt voll Betrüger gegen die Existenz eines ehrlichen Mannes? Sie beweisen vielmehr für ihn, und daß, weil diese Religion-Mongers das höchste Wesenfälschlich hineingezogen, sich unmittelbarer Unterredungen fälschlich gerühmt haben, und die falsche Münze die echte voraussetzt; daß, sage ich, denn einmal einer oder mehrere gewesen, die solcher Unterredungen in Wahrheit gewürdiget worden und das höchste Wesen in Wahrheit hineingezogen haben.

Pag. 22 läßt sich der Ungenannte in eine Art von Räsonnement ein, und scheint seiner Sache sehr gewiß zu sein, wenigstens sich siegreich zu dünken, wie folget: »Ich bin nur ein Laie, indes will ich's versuchen den Herrn Generalsuperintendent C. über diese Gegenstände zu beruhigen. Lieber Herr Generalsuperintendent, glauben Sie mir, es ist hier nichts zu besorgen. Ist die Bibel würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, die Menschen durch dieses Buch zu seiner Erkenntnis und ihrer Glückseligkeit zu führen; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihr etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nur einen Gedanken darin zu verändern. Das Wesen, welches sie, Ihrer Überzeugung nach, dem menschlichen Geschlechte durch eine Reihe von Wundern mitteilte, wird auch, wenn es nötig sein sollte, durch ähnliche Wunder, sie für alle künftige Generationen, in der nämlichen Gestalt, wie sie zuerst aus seiner Hand ging, zu erhalten wissen: und diese seine Vorsorge wird sich selbst über die Abschreiber und Setzer in den Offizinen erstrecken. Kein Exeget, von welcher[390] Sekte er sei, wird imstande sein, einen andern Sinn hineinzuerklären etc. etc.«

Ich fahre ohne weitere Umstände fort. »Ist das Auge würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, daß der Mensch mit diesem Organ sehen soll; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihm etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nureinen humorem darin zu verändern. Das Wesen, welches dem Menschen das Auge mitteilte, wird es auch zu erhalten wissen; und diese seine Vorsorge wird sich selbst über grobes und kleines Geschütz, über Hammer und Nägel und Nagel und alle spitze und scharfe Sachen in der Welt erstrecken, und kein Mensch, von welcher Sekte und Nation er sei, wird imstande sein, ein Auge auszuschießen, oder auszuhämmern, auszukratzen oder auszustechen, auszusengen oder auszubrennen« usw.

Dies nun nennt der Ungenannte, wie gesagt: den Generalsuperintendenten über »seine Besorgnis für das der Bibel und Christusreligion drohende Schicksal beruhigen«; und es fällt in die Augen, daß, wenn diese Methode probat ist, niemand weiter um Beruhigung verlegen sein dürfe.

Die Leser sehen aus diesen Proben, was es mit den philosophischen und theologischen Einsichten des Ungenannten für eine Bewandtnis habe. Das wenige, was er vorbringt, will einen bedünken, hätte man schon gelesen, aber stärker und besser gesagt.

Nur gleich eine Kleinigkeit p. 42: »Ich mag diese Benennung« (Prediger) »lieber als Geistliche, die man a potiori doch ebensogut Körperliche nennen könnte.«

Wie anders sagt Tindal das? – tho' our Divines now very well know how to distinguish between a bodily Spirit and a spirituel Body.

Es geht dem Ungenannten, wie es allen geht, die ihr Terrain nicht kennen. Sie fürchten zu viel zu tun, und tun zu wenig; und fürchten zu wenig zu tun, und tun zu viel. Ich will sehen, ob ich ihm etwas zurecht helfen kann.

So ehrt er p. 64 zwar, wie er sagt, die christliche Religion, ist aber doch skrupulös, wie die Leser aus dem in No. 3 angeführten langen Probestück gesehen haben, positive Religion ohne Vernunft, Christus ohne Aufklärung, zu lassen; will immer der Philosophie und den »Philosophen des Altertums« das Wort reden; den Religionsbegriffen (p. 15) der Ägypter, Griechen und Römer nichts vergeben usw. Das nun hat er aber grade [391] nicht nötig, und braucht so ängstlich nicht zu sein. Denn Morgan sagt gradezu: »He (Christus) did not, like the Heathen Philosophers, content himself with speculations and dry Reasonings about Virtue and true Religion – And here I dare put the Authority of Christ – against Moses, Confucius, Zoroaster, Mahomet, or any other Prophet or great Man etc.« Und dieser Morgan ist ein Autor, den unsre antireligiosen Fragmentisten sehr wohl kennen und gekannt haben, und aus dem der Ungenannte, wenn er gegen die Religion zu Felde ziehen will, sich anders equipieren kann als er equipiert ist.

So glaubt er ferner, die Mystik und die Mystiker immer bitter anfeinden und verachten zu müssen. Ich habe nun zwar das Vertrauen zu ihm, daß er in Zukunft eine Art jovialischer Mystiker, die er bei dieser Gelegenheit kennengelernt hat, ausnehmen werde. Aber, er braucht es sich überhaupt gegen Mystik und asketische Salbaderei, wie er sich ausdrückt, so nahe nicht zu nehmen. Denn die Helden und Heerführer unter den Vernunftreligiosen anfeinden und verachten sie nicht, und waren zum Teil selbst Mystiker und Asketen. Mylord Shaftesbury z.E. mochte Mystik wohl, und er anerkennt im Menschen die defects of passion, die meannesses and imperfections, which as good Men, we endeavour all we can to be superior to, and which, we find, we every day conquer as we grow better. Tindal führt unter andern aus dem Doktor Scott folgende Stelle an: »The best thing we can receive from God is himself, and himself we do receive in our strict compliance with the eternal Laws of goodness; which Laws being transcrib'd from the nature of God from his eternal righteousness and Goodness, we do, by obeying them, derive God's Nature into our own etc.« und setzt hinzu: »which, certainly, must make us necessarily happy«, und nennt den Doktor Scott an excellent author. Und Morgan erlaubt sich sogar ein langes brünstiges Gebet um Weisheit, und sagt dazu: »But a student in this Philosophy ought to abstract his Thoughts, as much as he can, from the deceiving Colourings, and outward gaudy Appearances of Wealth and Power, Lust and Appetite, Ambition and Sensuality; he must withdraw himself, upon all proper Occasions, from the Noise, Hurry, and Bustle of the World about him, and retire into the silent Solitude of his own Mind etc.«

Und so weiter.

Pag. 24 frägt der Ungenannte: »Was soll das Ausland von der [392] holsteinischen Geistlichkeit urteilen, wenn das Haupt etc.« Als ob die holsteinische Geistlichkeit für das Ausland da wäre. Ich dächte, sie hat es mit dem Inlande zu tun, und könne, wenn sie das gehörig besorgt, um das Ausland sehr unbekümmert sein.

Auf der letzten Seite, pag. 66, will er sich von »höhern unsichtbaren Kräften« nicht abhängig glauben, und, wer sich davon abhängig glaubt, der soll zu Dr. Willis schicken. – Erstlich, sind wir von höhern unsichtbaren Kräften doch wohl abhängig, wir mögen es glauben oder nicht. Und so viel sieht der Ungenannte bis weiter auch ein: daß es viel besser und honetter ist, sich von höhern unsichtbaren Kräften abhängig zu glauben und abhängig zu sein, als von niedrigen sichtbaren.

Aber es ist noch mehr wahr, als das. Der Menschist nicht allein von höhern unsichtbaren Kräften physisch abhängig, sondern er soll auch moralisch von ihnen abhängig sein und von ihnen allein; und hier liegt beides der Maßstab und das Wahrzeichen seiner Größe, seiner Freiheit, und seines wahrhaftigen Glücks. Kant sagt, in der »Kritik der reinen Vernunft«: der Philosoph habe sich bisher um die Gegen stände der Philosophie gedreht; und er versuche, wie Kopernikus, ein anders, und lasse die Gegenstände sich um den Philosophen drehen. Es gibt eine noch schönere Art ein anders zu versuchen, und das ist das, wovon hier die Rede ist.

Der Mensch, seiner eigentlichen Natur nach, kann sich mit Ehren um nichts als um höhere unsichtbare Kräfte drehen, und alles übrige muß sich um ihn drehen, d.i. mit andern Worten: muß von ihm abhängig sein. Sonst ist er unter sich selbst, und ist krank.

Nro. 5

Welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam des Knechte seid ihr, sagt Paulus; Ουδεις ελευϑερος έαυτου μη κρατων, sagt Pythagoras beim Stobäus. Usw.

Dieser fremde Einfluß auf den Willen des Menschen von Dingen die tief unter ihm und sein nicht wert sind, dies »radikale Böse in der menschlichen Natur«, diese Abhängigkeit und Knechtschaft, dieserMechanismus in einem Wesen das die Freiheit von fern reucht und zur Herrschaft wiehert, dieser Flecken [393] in der Sonne, diese Kette um die Flügel des Engels – ist die große Angelegenheit des ganzen Geschlechts, und das Crève-cœur jedes rechtlichen Mannes. Und: die Aussicht und Hoffnung, dieser schmählichen Kette los; das Mittel, recht frei zu werden – ist das Größte und Höchste unter dem Himmel das in des Menschen Verstand, ist das Fröhlichste und Seligste das in sein Herz kommen kann, nach welcher Seligkeit auch gesuchet und geforschet haben die Propheten und alle wahre Weisen von der Welt her.

Und dies Mittel ist das ursprüngliche und eigentliche Geheimnis der Religion. – Nicht Zweckvorstellung – nicht Gottesverehrung, die findet sich dann von selbst und will nicht ausbleiben.

Von diesem Geheimnis nun weiß die bloße Vernunft nicht, und kann es nicht begreifen.

»Die Religion innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft, vorgestellt von Immanuel Kant.« S. 49. »Wie es nun möglich sei, daß ein natürlicherweise böser Mensch sich selbst zum guten Menschen mache, das übersteigt alle unsre Begriffe«.

S. 7. »Der erste subjektive Grund der Annehmung moralischer Maximen ist unerforschlich.«

S. 61. »Die Tiefe des Herzens (der subjektive erste Grund seiner Maximen) ist ihm selbst unerforschlich.«

»Kritik der Praktischen Vernunft etc.« S. 128. »Wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne, das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem, und mit dem einerlei, wie ein freier Wille möglich sei.« Usw.

Was die menschliche Vernunft hier selbst von sich und ihrer Unzulänglichkeit und Unwissenheit gesteht, das bestätigt und beweist sie auch durch die Art und Weise, wie sie Besserung bewürken will, und durch die Mittel die sie dazu vorschlägt, als die zwar, an sich, sehr respektabel und nützlich, und, in Ermangelung eines Bessern, sehr annehmlich und dankenswert, aber nur Palliative sind, und kein Rat.

Wenn Kant. Z.E., der vor andern mit Scharfsinn feiner Gewandtheit und oft Erhabenheit über die moralische Angelegenheiten spricht, wenn der den Leser (Pr. V. 154) »mit der Pflicht, die nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in sich faßt, sondern Unterwerfung verlangt und bloß ein Gesetz aufstellt – vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie [394] gleich im geheim ihm entgegenwürken«, und mit der »Heiligkeit, Größe und Majestät des moralischen Gesetzes«, bekannt gemacht; wenn er ihn (R. 38) vom »Herausbringen des faulen Flecks unserer Gattung, der den Keim des Guten hindert, sich, wie er sonst wohl tun würde, zu entwickeln«, und davon (Pr. V. 144 etc.) daß »der Mensch sich ohne alles Interesse bloß durchs Gesetz«, »nicht allein dem Gesetz gemäß sondern um des Gesetzes willen«, »bestimme etc.«, unterhalten und belehrt hat, und der warm und auf Rat und Weg und Mittel zu so großen herrlichen Dingen lüstern gewordene Leser nun Herz und Ohren offenhält; so ist die Rede: von »Maximen« und »Aufnehmen des moralischen Gesetzes in seine Maximen«; von »Umkehren des obersten Grundes böser Maximen durch eine einzige unwandelbare Entschließung« (R. 54 etc.); von »Regemachen des Gefühls der Erhabenheit seiner moralischen Bestimmung« (59); von »Darstellung der Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit, als Beispiel der Nachfolge für jedermann« (112) usw. So »gibt es« (R. 115) »schlechterdings kein Heil für die Menschen als in innigster Aufnehmung echter sittlicher Grundsätze in ihre Gesinnung«; so ist (P.V. 139) »Achtung fürs moralische Gesetz die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder« etc. Summa: du sollst keine andre Götter haben neben dem moralischen Gesetz; sollst das moralische Gesetz über alle Dinge fürchten lieben und vertrauen.

Ja, das wußten wir lange. Das hat uns Moses schon vor drei- bis viertausend Jahren gesagt. Aber:


Vom Fleisch will nicht heraus der Geist,
Vom G'setz erfodert allermeist.

Was den Maximen unmöglich ist, sintemal sie durch das Fleisch geschwächt werden, das war's was wir wissen wollten, und das ist's was die bloße Vernunft uns nicht sagt, und nicht sagen kann, weil sie es nicht weiß.

Wenn's hoch kommt, so sieht sie, nach der Bibel, noch wohl ein, wovon eigentlich die Rede ist und was dazu erfodert wird; so weiß sie noch: daß (R. 53) »Tugend nach und nach und durch allmähliche Reformen seines Verhaltens erworben werden könne«; daß aber das (R. 54) »daß jemand nicht bloß ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter Mensch werde, welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner andern Triebfeder weiter bedarf als dieser Vorstellung der Pflicht selbst«: daß das »nicht durch allmähliche Reform, solange die Grundlage der Maximen [395] unlauter bleibt, bewürkt werden kann, sondern durch eine Revolution in der Gesinnung im Menschen (einen Übergang zur Maxime der Heiligkeit derselben) bewürkt werden« muß, und daß »er ein neuer Mensch nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung und Änderung des Herzens werden kann«.

Das ist aber auch das letzte was sie weiß, und gleichsam der Grenzhügel, von dem sie, wie Moses, ins Gelobte Land hineinsieht. Aber selbst kann sie nicht hinein.

Statt nun, daß sie hier demütig stehenbleiben, und ihre Stirn auf die Erde legen sollte, fängt sie an zu klügeln und allerhand Bedenklichkeiten, Einwendungen und Zweifel zu machen, und meint am Ende, da sie nicht hinein kann, daß gar kein Weg hineingehe.

There was never yet fair woman but she made mouths in a glass.

Das sollte sie aber nicht tun, ihrer eignen Ehre wegen. Denn, wenn sie einmal selbst gestanden hat, daß sie, von der Möglichkeit eines freien Willens und dem Wege dazu, nichts verstehe und sagen könne, so sollte sie auch davon nichts verstehen und sagen wollen. Auch ist es gar zu klar, was es mit diesen Zweifeln und Einwendungen auf sich haben könne, und wie gleichgültig es für die Religion und für denGlauben an sie sei, ob sie gemacht oder nicht gemacht, beantwortet oder nicht beantwortet werden.

Man sollte doch fast denken, daß etwas, das der Philosoph nicht weiß, darum noch gewußt werden könne. »Every reader«, sagt Hume, »may not trust so far to his own penetration as to conclude, because an argument escapes his enquiry, that therefore it does not really exist.« Und hier ist der Fall noch etwas anders, als zwischen reader und reader.

Die Vernunft kann über die Neben- und Außenwerke der Religion, über religiöse After- und Truggemächte etc. urteilen, recht oder unrecht; sie kann Menschen, die es nicht besser wissen, durch Einwendungen und Zweifel und, durch ein Schattenspiel der Religion an ihrer Wand, irremachen; aber die Religion selbst, ihr Wesen und Geheimnis kann sie nicht treffen.

Das liegt ja nicht innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft, und bleibt, bei allem was diese sagen und tun kann, unverletzt und unbewegt liegen wie Myrons Kuh, oder, besser, wie die Sonne hinter der Wolke, die durch die gegen sie abgeschossene [396] Pfeile nicht beleidigt wird, und großmütig fortfährt auf den Schützen zu scheinen.

O du großmütige Sonne hinter der Wolke – duscheinest im Verborgenen. Der Mensch siehet dich nicht, und kennet dich nicht. Aber die Sage von dir ist je und je unter den Menschen gewesen; und aller Menschen Herz begehret dein, und sehnet sich nach dir. –

»Der Instinkt«, sagt Kant (R. 20), »ist ein gefühltes Bedürfnis etwas zu tun oder zu genießen, wovon man noch keinen Begriff hat.« – Der Instinkt ist denn selbst zugleich ein Beweis, daß es einen solchen Genuß gibt. Es muß also doch wohl für den Instinkt der besseren Natur, für den alleredelsten Instinkt, auch einen Genuß geben, gesetzt auch daß nicht alle Menschen einen Begriff davon hätten, oder zu einem Begriff darüber kämen. –

Die sichtbare Welt ist der Spiegel, darin wir die unsichtbare Welt sehen sollen. Nun finden und sehen wir, daß Gott für alle Keime der körperlichen Natur gesorgt, und zu ihrer Entwickelung Veranstaltungen gemacht hat. – Und er hätte den Keim, der ihm vor allen der liebste, der ihm nahe verwandt und seines Geschlechts ist, den Keim zum Guten der in des Menschen Brust wohnt, vergessen und Waise gelassen? –

Ist eine neue Schöpfung unmöglicher als die erste, die wir doch nicht leugnen können? –

Wohl ist diese »neue Schöpfung«, diese »Herzensänderung«, diese »Revolution in den Gesinnungen im Menschen«, dieser »Übergang zur Heiligkeit derselben«, diese »Wiedergeburt«, diese Auferstehung eines neuen Lebens aus dem Tode – etwas Übergroßes, ϑαυμαστον τι Aber:


περι ϑεων μηδεν ϑαυμαστον απιστει μηδε περι
ϑειων δογματων

sagten die Pythagoreer.

»Wenn von den Göttern und göttlicher Lehre die Rede ist, soll dir, wie übergroß es auch laute, nichts zu groß und unglaublich dünken.«

Denn, wie der Himmel über die Erde, sind ihre Gedanken, und ihre Fülle ist wie die Fülle des Meers. Tritt ans Ufer und siehe hin auf seine Höhe – Das Wasser wird ihm nicht fehlen, wenn deine Rosse trinken.

Es ist zugleich hieraus klar, wie wenig die Leute ihre Sache und ihren Vorteil kennen, die ihre Religion von allem Geheimnisvollen [397] freien und reinigen wollen. Freilich »alles, auch das Erhabenste, verkleinert sich unter den Händen der Menschen«, und so wollte das Geheimnis der Religion unter ihren Händen auch wohl verkleinert und vergrößert, verstümmelt, verstellt und verkannt, und der Herkules viel oft an Händen und Füßen gelähmt und untüchtig gemacht werden, Schlangen zu erdrücken und bis ans Ende der Welt zu gehen. Indes ist die Wahrheit immer gerne verdeckt und im Dunkel gewesen – ac si, wie Baco sagt, divina Majestas innoxio illo et benevolo puerorum ludo delectaretur, qui ideo se abscondunt ut inveniantur – und, wenn in einer Religion überhauptWahrheit wohnt; so wohnt sie in ihren verhüllten Punkten und Rätseln. Wenn also die Menschen ohne Unterschied aufräumen, applanieren oder über Bord werfen, anstatt daß sie suchen sollten, durch innerliche Tätigkeit durch Hungern und Dürsten nach derWahrheit und durch Geduld in guten Werken und Gesinnungen, aufzulösen; so handeln sie nicht klug, und wider sich selbst.

Ebenso unklug ist es auch, wenn einige Künstler ihre Religion verbessern wollen. Die Wahrheit bedarf keiner Verbesserung.

Wie gesagt, die Neben- und Außenwerke oder wenn es Religionen gibt die nur Außenwerk sind, das kann die Vernunft wohl verbessern; aber weiter nicht. Wie soll sie verbessern, wovon sie nicht weiß und was sie nicht begreift? Religion ist nicht Ideenkrämerei, sondern Sache, eine Kraft Gottes selig zu machen die sie ergreifen können. Moral führt freilich zur Religion, aber kurz und gut, wie Armut und Bedürfnis vor die Tür des reichen Mannes führt. – Sokrates sagt beim Plato: es sei nicht leicht zu erklären, wie die Menschen gut würden. Doch vermute er: daß die guten Menschen auf ebendie Art würden, wie die göttlichen Seher, nämlich ουτεω φυσει ουτε τεχνη αλλ' επιπνοια εκ των ϑεων. Man könnte dies auch umkehren, und sagen: die Menschen würden Seher, auf ebendie Art, wie sie gut werden. Die verschiedenen Kräfte, in einem Wesen wie ein Geist ist, hangen zusammen und machen Eins, und keine kann berührt und verändert werden ohne die andre. Wie influiert nicht schon der Wille des Menschen, nach den kleinen alltäglichen Verschiedenheiten und Nuancen, auf seinen Verstand? Es ist also abzusehen, daß eine Revolution in den Gesinnungen der Menschen nicht möglich sei, ohne eine Revolution in seinen denkenden Kräften, und daß, wenn jene zur Heiligkeit übergehen, diese [398] nicht zurückbleiben können. Von einer solchen etwanigen Veränderung scheint zu einigen alten Philosophen ein halbes Wort gekommen zu sein. Sie sprechen von einer trockenen Seele, von einem trockenen Licht, das nämlich von dem feuchten Nebel und den Dünsten des heterogenen Einflusses befreiet und gereinigt worden, und sprechen von dieser Verbesserung in einem solchen Ton, daß niemand die Logik und derlei Mittel in Verdacht haben kann, als ob die daran schuld gewesen wären oder jemals sein könnten.

Kurz, die Wahrheit verbessert. Und wer sie hat, des ganzes Geschäft ist, sie zu nutzen, und sie heiligzuhalten und für ihre Erhaltung zu sorgen.

So machte es auch Äneas. Als die Trojaner ihre eigne Mauern eingerissen, und selbst die Griechen hereingeführt hatten, und die ganze Stadt in Flammen stand, sagte er zum Anchises:


Tu genitor, cape SACRA manu, patriosque PENATES.

Me, bello e tanto digressum et caede recenti,

Attrectare nefas; donec me flumine vivo

Abluero.

Und trug so die Heiligtümer in den Händen des Vaters auf dem Rücken aus dem Feuer heraus nach dem alten Tempel und Zypressenbaum vor der Stadt, dahin er seine Genossen beschieden hatte.

Nro. 6

Nro. 6.

Ich komme zurück zu dem Ungenannten, und der versichert denn pag. 8 seine Leser: »daß das Reich der Mystik, des Aberglaubens und des theologischen Machiavellism in seinen Grundfesten erschüttert sei«.

Es ist nicht unsre Schuld, daß er, über das Reichder Mystik und was er des Aberglaubens nennt, nicht besser unterrichtet ist.

Das Reich der Mystik ist nicht so leicht erschüttert, als er meint. Und wenn es würklich erschüttert wäre; so sollte es nicht erschüttert sein, weil die Mystik ohne Geräusch zu allen Zeiten viel Gutes gewürkt hat, nicht allein in ihrem Reich sondern auch außer demselben.

Planck, den der Ungenannte immer als einen billigen und kompetenten Richter in diesen Sachen kann gelten lassen, wenn [399] er gleich kein Mystiker ist, äußert sich darüber so, in seiner bekannten Geschichte der Entstehung des protestantischen Lehrbegriffs S. 22 in der Anmerkung:

»Das wieder aufgehende Licht der Wissenschaften, welches in Deutschland Religionsverbeßrer weckte, bildete in Italien Deisten. Niemals lebten dort so viel schändliche Männer beisammen, als seit der Eroberung Konstantinopels bis zu dem Anbruch der Reformation, und hätte nicht die platonische Philosophie und daher entspringende Mystik den Strom ein wenig gehemmt, so würde in diesem Zeitalter der Pomponaze und der Aretine, der gröbste Sittenverfall Folge der wissenschaftlichen Aufklärung geworden sein.«

Und Spittler in seiner Kirchengeschichte, so wenig er auch sonst für mystische Begriffe ist, legt gleichwohl S. 327 das folgende Zeugnis über die Mystik ab: »Doch fand sich gerad in dem Zeitalter, wo das Verderben in Theologie und Religion aufs Höchste gestiegen zu sein schien, fast noch reichlicher als vorher manches Gute das demselben entgegenwürkte. DieMystik bekam große Schriftsteller – hie und da stunden Eiferer für das praktische Christentum auf, die, selbst wenn sie auch so viele Fehler begingen als Hieronymus Savonarola, doch in der Sphäre, in der sie sich befanden, viel Gutes wirkten.« Er sagt gleichwohl, S. 389, daß »wie die Mystik in den finstern scholastischen Perioden des mittlern Zeitalters zuletzt noch einziges Labsal einer nach Religion durstenden Seele wurde, so nun« (nämlich in den Zeiten der Konkordien–Formel) »der ähnliche Fall bei ähnlichen Zeiten sei«, und »daß Arndts Schriften noch gegenwärtig mit vielem Segen gelesen werden«.

Über eines solchen Reichs Erschütterung sollte der Ungenannte doch wohl eigentlich nicht so jubeln, wenn sie würklich geschehen wäre. Aber es hat damit, wie gesagt, gute Wege. Und auch darüber mag der Doktor Planck ihn zurechtweisen, wie folget:

»Zwar bildete sie (nämlich die mystische Theologie) sich immer, wie jede Wahrheit, nach der individuellen Vorstellungsart ihrer Anhänger, wurde von einigen weitergetrieben und von anderen gemildert, litt jetzt Abfälle und erhielt zu einer andern Zeit Zusätze; aber ihre wesentlichen Grundsätze blieben immer einerlei, und hatten auch auf den Geist ihrer Anhänger immer die nämliche Wirkung. Sie schien sie zwar äußerlich meistens in dem Zustand einer untätigen, stillen, ganz in sich gekehrten Betrachtung zu erhalten, in welchem sich ihre Seelenkräfte, die auf [400] einen einzigen Punkt gerichtet wurden, ohne Zweck abzunutzen schienen: aber sie beschäftigte innerlich ihre ganze Tätigkeit unter dem unaufhörlichsten und schwersten Kampf gegen Versuchungen, welche sie vielleicht selbst veranlaßte, oder mit denen sie, welches ebendie Wirkung hatte, ihre Einbildungskraft schreckte; sie unterhielt immer ein Feuer in ihrer Seele, das freilich Schwärmerei war, aber sie nährte zu gleicher Zeit ihren Geist mit Vorstellungen, welche seine höchste Erwartungen rege machten; sie erhöhte und veredelte alle ihre Empfindungen; und gab ihnen die Stärke, welche sie nicht nur überhaupt fähig machte, die schwersten Tugenden auszuüben, sondern, was noch mehr war, sie auch fähig machte, unbeachtet von einem menschlichen Auge, und ungesehen von einem Zeugen, diese Tugenden auszuüben.

Diese Theologie, hatte sich Jahrhunderte hindurch, beinahe ganz unverändert erhalten, in den Klöstern, welche in Deutschlands nördlichsten Gegenden lagen, wie unter Afrikas heißem Himmel in den ersten Einsiedlerwohnungen Ägyptens, zum unwidersprechlichsten Beweis, daß sie nicht systematische Dogmatik, sondern in einem gewissen bestimmten Zustand der menschlichen Seele, der sich unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleichbleibt, gleichsam natürlich war.«

Dieser »gewisse bestimmte Zustand der menschlichen Seele, darin die mystische Theologie gleichsam natürlich war, und der sich unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleichbleibt« ist nun keinesweges zufällig oder imaginär, sondern der menschlichen Seele wesentlich und natürlich wenn sie anfängt des Mißverhältnisses zwischen ihrer innerlichen Würdigkeit und ihrer äußerlichen Verfassung innezuwerden, wenn ihr über die Leidigkeit ihrer ersten Tröster die Augen offen gehen und es ihr um ihre Veredelung und Genesung Ernst wird. Und ebendarum bleibt sich dieser Zustand der menschlichen Seele unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleich, wie sich die ersten Bewegungen der vegetabilischen Entwickelung immer und allenthalben gleich bleiben, und ein Weib, das gebären soll, in jedem Jahrhundert und unter jedem Himmelsstrich, sich krümmt

und nach Hülfe ruft.

»Ich will dir viel Schmerzen schaffen wenn du schwanger bist; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären« etc.

Es wäre bequem, wenn sie den armen Weibern eine Methode, das Kind leicht und lustig zu gebären oder von andern für sich gebären zu lassen, erfinden könnten.

[401] Aber, sie haben sich bisher vergebens geschmeichelt. Und verständige Leute sind immer der Meinung gewesen, daß man sich dem Gange der Natur schlecht und recht unterwerfen müsse, wenn man nicht Fausse–Couches machen will.

Die Leute, die sich und andere so flugs weise lesen und schreiben können und so gar leicht zur Aufklärung zu kommen wissen, die haben von Glück zu sagen. Plato, ob ihn gleich der Ungenannte mehrmals als seinen Mitphilosophen nennt, war dieser Meinung ganz und gar nicht. Er läßt den Sokrates oft von Schwierigkeiten auf dem Wege zur Weisheit sprechen, und er selbst sagt unter andern in seinen Briefen, nach Schlossers Übersetzung:

»Diejenigen, die nicht mit ganzer Seele von der Philosophie durchglühet sind, sondern welchen nur einige Ideen die Oberfläche gefärbt haben, wie die Sonne die Körper bräunt die ihr ausgesetzt sind, wenn die hören, wieviel sie zu lernen haben, wie viele Arbeit ihnen bevorsteht, wie sehr sie, um auf dem Weg, den sie wandeln wollen, fortzukommen, jeden körperlichen Genuß beschränken müssen, die fühlen denn bald, daß ihnen das viel zu schwer ist, und ziehen die Hand zurück von einer Last, die ihre Kräfte so weit übersteigt.«

Und Luther, dessen Reformation der Ungenannte, pag. 31, in Schutz nimmt, ist auch zu seiner Aufklärung nicht so leicht gekommen. Es wird dem Ungenannten vielleicht interessant sein, etwas umständlicher zu erfahren, was Luther, den er einen Verteidiger der Wahrheit nennt, nach Aussage der Beikommenden hauptsächlich verteidigt habe, und wie er sich dazu genommen. Er hatte den Aristoteles und die berühmtesten Scholastiker fleißig studiert, konnte aber, was er suchte, in ihnen nicht finden, und ging ins Kloster. »Es war«, erzählt Planck weiter, »weder Säure einer strengen Gemütsart, noch jugendliche Schwärmerei einer erhitzten Phantasie, welche Luthern zu dem Entschluß bewogen hatte, sich in dem Augustinerkloster zu Erfurt aufnehmen zu lassen. – Aber in dieser Seele war tiefes Gefühl für Religion, und zarte Empfindung ihres Werts und ihrer Notwendigkeit so fest eingewurzelt, daß sie selbst durch das Studium der Scholastik nicht abgestumpft werden konnte. Es war schon dem Jüngling über alles wichtig, in der Sache seiner Seligkeit gewiß zu sein, und dies war der Beweggrund, welcher ihn von jeher aufforderte, Wahrheit überall zu suchen, wo er sie nur vermuten [402] konnte, aber dies war auch der Grund, der ihm jede Wahrheit, welche er gefunden zu haben glaubte, so teuer, der ihm jede Überzeugung so wert, und ihn selbst fähig machte, alles daranzuwagen und zu dulden, denn jede Wahrheit war für ihn nicht ein eingebildeter Gewinn, wie sie es sonst für den Forscher ist, der nur Befriedigung seiner Wißbegierde oder irgendeinen andern kleinen Beweggrund zum Zweck hat. Man sahe es an dem feierlichen Ernst, mit dem er immer von Glaubenslehren sprach, daß es ihm unmöglich war, sie bloß als Gegenstände einer müßigen gelehrten Untersuchung oder einer gelehrten Streitigkeit zu betrachten, sondern daß er sie immer nach ihrer Beziehung auf das praktische Christentum zu betrachten, und nach ihrem Einfluß auf das Herz und die Beruhigung des Menschen zu schätzen gewohnt war. – Da er (Staupitz), als Generalvicarius des Augustinerordens in Deutschland nach Erfurt kam, um den Zustand des Klosters daselbst zu untersuchen, so war es nicht möglich, daß Luther seiner Aufmerksamkeit lange entgehen konnte, da er so viel Besonderes an sich hatte, das ihn von den übrigen unterschied. Ein niedergeschlagenes Auge, ein trauriger Gang, ein Blick, der dem erfahrnen Beobachter eine von innerem Kampf zerrissene, aber immer noch zum Widerstand entschlossene Seele unverkennbar verriet, feierlicher und trüber Ernst im ganzen Anstand zeichneten den jungen Mönch vor allen andern aus, und Staupitz, der aus Erfahrung wußte, was diese Zeichen an einem Menschen von Luthers Bildung und Fähigkeiten zu bedeuten hatten, konnte leicht daraus den Schluß machen, was im Innersten seiner Seele vorgehen müsse. – Luther hatte ihm die Ursache seines Ernstes und seiner Traurigkeit entdeckt, die vorzüglich durch geistliche Anfechtungen, und beständig anhaltende Versuchungen zu Gedanken, vor denen sein Herz zurückbebte, und durch die schreckenvollen Vorstellungen veranlaßt wurde, mit denen sich seine rege Einbildungskraft immer beschäftigte; und Staupitz freute sich, in der zarten Empfindung dieser edlen Seele, welche selbst vor dem Schatten des Bösen erschrak, in der Bereitwilligkeit, mit der sie sich dem schwersten aller Kämpfe dem Kampf gegen sich selbst unterzog, in der Treue, mit der sie selbst eine noch nicht aufgeklärte Überzeugung unter den erschwerendsten Umständen bewahrte, und in dem brennenden Durst, mit dem sie nach Aufklärung und Beruhigung schmachtete, itzt im voraus den künftigen Eifer des befestigten Mannes für die Wahrheit, welche ihn über kurz oder lang gewiß beruhigen [403] mußte, die feste Entschlossenheit, mit welcher er denn alles ihr aufopfern, und die Märtyrerstandhaftigkeit, mit welcher er sie einst bekennen würde, zu erblicken. Er sprach mit ihm in dem Ton eines Vaters, der es ganz aus eigner Erfahrung weiß, was er dem jungern Sohn raten muß; er zeigte ihm die Versuchungen und die Kämpfe, unter denen seine Seele beinahe erlag, von einer Seite, von welcher sie ihm höchst aufmunternd und höchst wohltätig erscheinen mußten: er lehrte ihn den großen Grundsatz, daß diese innere Bewegungen der Seele nicht nur ihre Fähigkeiten immer in Übung erhalten, sondern sie eben dadurch erhöhen etc. Man weiß zwar nicht eigentlich, worin die Zweifel und die Anfechtungen bestanden haben, welche Luthern so schwere Kämpfe kosteten, aber – ohne Zweifel hatte sich jene durch das Verlangen, seiner Seligkeit gewiß zu sein, verursachte Unruhe seines Geistes, welche Luthern in ein Kloster trieb, nach seinem Eintritt darin nicht so bald gestillt, als er vielleicht gehofft haben mochte. Sie verfolgte ihn selbst in die einsame Stille seiner Zelle, und wurde noch lästiger unter dem äußern Druck einer strengen Klosterzucht, und bei dem Gebrauch aller jener harten Mittel, durch welche sie seiner Erwartung nach hätte gehoben werden sollen. Er empfand zu lebhaft, als daß er es vor sich selbst hätte verbergen können, daß die unbarmherzigsten Büßungen, daß die pünktlichste äußere Beobachtung aller Regeln seines Ordens, daß die treueste Übung in demjenigen was man damals gute Werke nannte, ihn im Grunde nicht besser, also auch der Gnade Gottes nicht würdiger machen, ihm wenigstens diese Gnade nicht so gewiß versichern könne, daß er sich mit beruhigender Zuversicht darauf verlassen dürfte. Es ahndete seine Seele, daß es einen andern Grund unsrer Beruhigung geben müsse, als das Selbstbewußtsein eigener Güte und eigener Gerechtigkeit – aber bis er diesen andern Grund fand, bis sich die trübe Vorstellung seines Geistes davon nach und nach aufhellte, mußte er unaufhörlich von Zweifeln verfolgt werden, welche alle Kräfte seiner Seele zu erschöpfen drohten. – Daß er lange die ganze Bitterkeit dieses Zustandes empfinden mußte, erhellt vorzüglich aus der ungestümen Freude, mit der sich sein Geist, von den Fesseln der Vorurteile befreit, dem Licht entgegendrängte, das in der Folge ihm aufging, der Überzeugung entgegendrängte, daß freie Gnade Gottes und nicht unsre Werke, daß Christi Verdienst und nicht das unsrige, der Grund unserer Seligkeit und unsrer Beruhigung sei, aus dem dankbaren Enthusiasmus, mit [404] welchem er diese große Wahrheit ergriff, und ihr nicht nur Aufklärung aller seiner Begriffe, nicht nur Auflösung aller seiner Zweifel, sondern die ganze Ruhe seines gegenwärtigen Lebens, und alle Freuden des künftigen schuldig zu sein bekannte, etc.«

Es ist merkwürdig, daß zu dieser unsrer Zeit grade das Gegenteil verteidigt wird und Aufklärung und Wahrheit heißt, und daß itzo alles schier umgekehrt ist. Bei Luthern ging die Vernunft von sich selbst aus, um etwas Höheres zu haben; itzo wirft sie das Höhere weg, um zu sich selbst zu kommen. Damals war die Religion über die Vernunft, itzo ist die Vernunft über die Religion, und kann gar selbst Religion schaffen.

Daß die Vernunft auf dergleichen Vermutungen geraten kann, ist wohl zu begreifen und zu erklären. Sie ist sich nämlich ihres Adels bewußt, sieht auch vor Augen, was sie in ihrem Gebiete getan hat und tun kann, und hat denn grade nicht Zeit und Lust an sich zu verzweifeln. Der Adler, dem die Flügel gebunden sind, kann zwar eigentlich nur an der Erde hin flattern; aber er fühlt doch in sich die Kraft und den Beruf, durch alle Himmel zu fliegen.

Daß aber diese Vermutung sollte wahr gemacht werden, daß die bloße Vernunft sich und andre sollte frei machen, oder Religion schaffen können; das ist nicht wohl zu erklären und zu begreifen.

Mag die Vernunft hin und wieder ein neues Licht aufgesteckt haben; der Grund muß da sehr dunkel sein, wo dergleichen Lichter so viel Aufsehen machen und so sehr in die Augen fallen. Mag sie Vorschritte gemacht und Feld gewonnen haben, so viel sie will; alle ihre Schritte und selbst ihre schönsten Siege und Eroberungen sind grade Beweise der Unwissenheit und Abhängigkeit chez soi, und machen, wie Blitze, die Finsternis sichtbar, darin sie sich eigentlich befindet.

– The observation of human blindness and weakness is the result of all philosophy, sagt Hume.

Zu deutsch: »Das Gewahrwerden der menschlichen Blindheit und Schwachheit ist das Resultat aller Philosophie.« Dies Resultat nun kann doch, selbst, dieReligion nicht wohl sein, von der sie reden. Und schwerlich kann sie auch bloß daraus oder damit gemacht werden.

Wer die Vernunft kennt, verachtet sie nicht. Sie ist ein Strahl Gottes, und nur das radikale Böse hat ihr die himmelblauen Augen verderbt. Aber, es schwebt noch um den blinden Tiresias [405] etwas Großes und Ahndungsvolles; und sie hat, wie der König Lear, auch wenn sie irreredet, noch die Königsmiene und einen Glanz an der Stirne.

Wir sind vom königlichen Geschlecht, und wir können und sollen Könige werden. Nur, sie wollen uns weismachen, wir wären schon was wir sein sollen, und wären es durch Talisman' und Formeln geworden. Und das ist lächerlich, und nicht wahr, und nicht ehrlich.

Was soll uns leidiger Trost und Großtun, wenn man darbt und vor Hunger nicht schlafen kann.


– of comfort no man speak:
Let's talk of graves, of worms, and epitaphs –
For heav'ns sake let us sit upon the ground,
And tell sad stories of the death of kings: –
Cover your heads, and mock not flesh and blood
With solemn rev'rence: throw away respect,
Tradition, form, and ceremonious duty,
For you have but mistook me all this while:
I live on bread like you, feel want like you,
Taste grief, need friends, like you: subjected thus,
How can you say to me, I am a KING?

Das einzige, was übrigbleibt, ist Herstellung durch eine höhere Hand. Die, oder gar keine. Denn die bloße Vernunft ist die bloße Vernunft. Sie weiß nicht mehr als sie weiß, und kann nicht mehr als sie kann; und sie soll sich mehr wissen machen als sie weiß, und soll sich mehr können machen als sie kann. Die Blindheit soll Gesicht und die Schwäche Stärke machen, und das ist gleich so närrisch und unmöglich, als daß einer sich selbst soll über den Kopf springen können.

Voilà, sagt der alte naive und verständige Skeptiker Montaigne zu dem Spruch des Seneca: »daß, nämlich, der Mensch eine res contempta sei nisi supra humana se erexerit«.

Voilà, sagt er, un bon mot, et un util désir: mais pareillement absurde. Car de faire la poignée plus grande que le poing, la brassée plus grande que le bras, et d'espérer enjamber plus que de l'estendue de nos jambes; cela est impossible et monstrueux: ny que l'homme se monte au dessus de soy et de l'humanité: car il ne peut voir que de ses yeux, ny saisir que de ses prises. Il s'eslevera si Dieu luy preste extraordinairement la main: Il s'eslevera abandonnant et renonçant à ses propres moyens, et se laissant hausser et souslever par les moyens purement [406] célestes. C'est à nostre foy Chrestienne, non à sa Vertu Stoique, de prétendre à cette divine et miraculeuse métamorphose.

Diese »moyens purement célestes«, die dem Tugendhaften in dem schwersten und edelsten Kampfe unsichtbar zur Seite stehen, und ihm, wenn er treu kämpft, in der letzten heißesten Stunde erscheinen und lohnen wollen, sind, an und in sich, so etwas Erhabenes, Heiliges und Teures, daß man denken sollte: die bloße Sage davon würde, wie ein in der Nacht aufgehendes erfreulich Gestirn, alle gutgesinnte Menschen erregen und sammlen, sich, unter seinem Schein, einander die Hände zu geben und sich einan der Mut zu machen. Streben nach der Herrschaft des Geistes, Verleugnung, Kampf gegen sich selbst, Tugend etc. ist doch zu allen Zeiten und bei allen Völkern als die wahrhaftige Größe des Menschen angesehen und geachtet worden. – Und sie, in ihrer Unwissenheit und Unsicherheit, trüben und dunkeln dies milde wohltätige Gestirn, das allein vielleicht manchen edlen Kämpfer nur noch unverzagt und aufrecht erhalten konnte, durch ihre blöden Zweifel, und sind so vielleicht schuld, daß er, nahe am Ziel, umwendet, und die Hände sinken läßt. Aber, wer des schuld ist, er sei wer er wolle und heiße Heinz oder Kunz, der soll wissen, daß er nicht wohlgetan, und sich an der Seele seines Bruders vergriffen habe.

Es schickt sich schlecht für vernünftige Leute, in Dingen von solchem Einfluß und Belang leichtsinnig zu fahren, und es wäre wohl gescheuter, daß man, anstatt über die »moyens purement célestes« mit eiteln Meinungen zu faseln, daß man statt dessen, durch Ernst und Ausdauern im Kampf gegen das Böse außer und in uns, über ihre Existenz oder Nichtexistenz zur Gewißheit zu kommen suchte.

Zum Beschluß noch von den politischen Einsichten des Ungenannten.

Er ist bekanntlich ein Freund und Anhänger derneuen politischen Lehre. Und warum sollte er das nicht sein, wenn er nur die Gabe hätte die Geister zu unterscheiden. Was in der neuen Politik wahr und für den Menschen nützlich ist, wer wollte dem nicht anhängen? Und wer – hat dem nicht lange angehangen; denn, wahrlich, manchem älteren Schriftsteller, unter andern nur dem Verfasser des bekannten Schulbuchs »Télémaque« würde und müßte, wenn er itziger Zeit noch lebte, einfallen zu sagen, was Erasmus seinerzeit von Luthers neuer Lehre sagte: mihi videor omnia docuisse quae Lutherus, sed non tam atrociter.

[407] Es ist schon oben von dem Ungenannten gesagt, daß er in der Politik sich ein paarmal billiger ausdrücke als man durchgängig gewohnt ist. Es kann vielleicht sein, daß er selbst mehrmal billiger wäre, und daß die Welle, Schein und Neuheit ihn nur hinreißen, nicht recht zu bedenken was er saget und was er setzet. Aber bedacht hat er es oft nicht recht, und außerhalb einer wüsten Insel möchte seine Politik nicht wohl dienen. Ein paar Proben mögen die Leser selbst urteilen lassen.

Pag. 45. »Kennst du ein Individuum, welches sich gegen die Gesetze des Landes auflehnt, d.h. unruhig ist; gib es bei der Obrigkeit an, es muß gestraft werden.«

Ja, ja, Herr Amtmann, ja. Recht so!

»Kennst du jemand, der die Regierungsform und die Gesetze des Landes freimütig beurteilt, und dennoch überall ein gehorsamer Untertan des Gesetzes ist, weil seine Überzeugung ihm heißt, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen, ehre diesen und lerne von ihm Bescheidenheit.«

Nein, nein, nicht recht so!

Denn erstlich, wenn auch von dem freimütigen Beurteiler selbst würklich Bescheidenheit zu lernen wäre; so möchte sie von allen denen, die seine freimütige Beurteilung der Regierungsform und der Gesetze des Landes lesen und hören, nicht zu lernen sein. Auch da, zweitens, was einem recht allen recht, und was einem frei allen frei sein müßte; und da ein jedweder Untertan, so viel ihrer sind, seine eigne Art die Dinge anzusehen hat; so möchte es mit den freimütigen Beurteilungen der Regierungsform und der Gesetze des Landes am Ende etwas bunt werden, und möchte niemand übrigbleiben, der von den schönen Exempeln der Bescheidenheit lernen und profitieren könnte.

Etwas unerwartet ist es ferner an sich schon, daß, wenn der »Beurteiler die Regierungsform und die Gesetze des Landes freimütig beurteilt hat und dennoch überall ein gehorsamer Untertan des Gesetzes ist«, daß ihm das so hoch und als eine Bescheidenheit angerechnet wird. Aber vollends weiß man sich in diese Bescheidenheit und in die ganze Sache nicht zu finden, wenn man den Grund hört, warum der Beurteiler ein gehorsamer Untertan ist, nämlich »weil seine Überzeugung ihm heißt, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen«. Wie edel! Wie schön! Wenn also die Majorität die Gesetze knickt oder umstößt; was denn? – – Es möchte doch wohl für den Staat kein rechter Verlaß auf solche Bescheidenheit und Gehorsam sein, und es möchte [408] doch, besser und sicherer, beim alten bleiben, daß nämlich der Untertan kurz und gut gehorsam sei, weil er Untertan ist und Gehorsam schuldig ist.

Überhaupt sind die Gesetze da, befolgt und nicht, beurteilt zu werden; und der Sinn zu gehorchen ist, ceteris paribus, ein weit weiserer und edlerer Sinn als der Sinn zu waagschalen, wenn einer auch Recht dazu hat. Es mag wohl Regierungen gegeben haben oder noch geben, wo Mißtrauen am Ende nicht unnatürlich ist. Wenn aber eine Regierung das Gute will, und davon Beweise gibt und gegeben hat; so ist nichts so natürlich als Dankbarkeit, Vertrauen und Liebe. Und, wenn du würklich einen guten Rat zu geben weißt; so ist der Weg offen. Und wem es nur um die Sache zu tun ist, der geht den kürzesten Weg, und, ohne Not, nicht den längern, sonderlich wenn der längere, außer dem daß er der längere ist, noch andre Unbequemlichkeiten hat.

Wie nicht alles was gesagt wird wahr ist, so kann nicht alles was wahr ist gesagt werden.

Quaedam inter se tatentur Theologi quae non vulgo expediat efferri.

Sokrates dünkte sich unwissend, und war weise. Wer sich, im Kleinen wie im Großen, lässet dünken, er wisse etwas, der weiß noch nicht wie er wissen soll.

Wären alle Schriftsteller gute Bäume, da wollten wir laufen ihre Früchte zu sammlen; und sie schütteln, wenn sie keine abgeworfen hätten; aber –

Wenn es nur halb wahr ist, was S. 29 für eine »große Wahrheit!« ausgegeben wird: que c'est la plume qui gouverne les états; so kann denen die gouverniert werden sollen, nicht wohl zumut sein, wenn sie an alle Hände denken, die eine plume halten können, und diesen Szepter zwischen ihren Fingern wissen.

S. 43. »Wie will Herr Callisen würklich allen dänischen Bürgern glauben machen, daß es Sünde sei, in Dänemark von den Vorzügen einer republikanischen Verfassung innerlich überzeugt zu sein?«

S. 63. »Man kann ein großer dänischer Patriot sein, und doch den Bestand der französischen Republik hoffen und wünschen etc.«

Man mag innerlich überzeugt sein, wovon; man mag hoffen und wünschen, was man will; dawider hat kein Mensch etwas, und soll kein Mensch etwas haben. Nur, wie sie in Frankreich keine Dachprediger und keine Dachpredigten vom Königtum wollen, weil sie keinen König wollen; so wollen wir in Dänemark[409] keine Dachprediger und keine Dachpredigten vom Republikanismus, weil wir keine Republique wollen, und uns das »Märchen: vom ewigen Frieden und den gebratenen Tauben« noch zur Zeit nicht einleuchten will.

S. 35 usf. setzt der Ungenannte, was ein Geistlicher eigentlich alles zu tun hat. »Er soll sich nicht allein nicht wider die schöne Sache der Freiheit und Aufklärung, nein er soll sich auch offen für sie erklären.« »Er ist berufen, die Dämmerung aufzuklären etc. Er soll die Finsternis schön mit dem Lichte der Vernunft aufhellen etc.« – S. 38. »Zuerst freilich soll er die moralische Freiheit und Aufklärung befördern – dann aber hat er allerdings auch die strenge Verpflichtung, richtige Begriffe über die bürgerlichen Verhältnisse des Menschen zu verbreiten. Der Geistliche ist kein Soldat der nicht räsonieren darf; grade dazu ist er bestimmt.«

Ei ja freilich, warum sollte ein Geistlicher, wenn er grade nichts Besseres zu tun hat, nicht einmal über die verschiedene Regierungsformen sprechen können? Er kann auch wohl einmal, wenn er's versteht, über die verschiedene Bauart der Bürger- und Bauerhäuser sprechen. Den so großen gewaltigen Nutzen sieht man freilich nicht ein. Wenn er auf der einen Seite einzelnen Bürgern und Bauern, die sich ein neues Haus bauen können und wollen, dadurch nützlich werden kann; so kann er dagegen vielen, die das nicht können, ihr Haus verleiden. Die Hauptsache ist doch, daß der Bürger und der Bauer, in dem Hause das er hat, vergnügt und glücklich sei, und das kann er in seinem Hause sehr sein, ohne zu wissen, ob, und ohne daß es nach dieser oder jener Art gebaut ist. Mit der Doktrin über die verschiedene Regierungsformen hat es gleiche Bewandtnis, nur daß hier der Geistliche bloß verleiden kann, denn gewiß wird er auf keine neue Bauten denken sollen.

Wie gesagt, der Geistliche kann gern einmal räsonieren über die Dinge dieser Welt; aber bestimmt ist er nicht dazu. Dazu ist der Philosoph bestimmt, und der Geistliche hat ganz und gar ein anderes Geschäft.

Alle Gesetze sind für Kranke; sie können nicht gut machen, sondern nur das Böse im Zaum halten; und alle Regierungsformen und überhaupt alle Formen sind Einschränkungen des Lebens. Der Philosoph hat es bloß mit den Gesetzen und Einschränkungen zu tun, und wo das Leben anfängt da hat seine Kunst ein Ende, denn seine ganze Kunst besteht im Zergliedern und Wiederzusammensetzen, und das Leben läßt sich nicht [410] zergliedern und zusammensetzen; der Geistliche fängt beim Leben an, und hat es nicht mit den Gesetzen, sondern mit der Ursache der Gesetze oder mit der Krankheit, zu tun. Der Philosoph sinnt, den Menschen die Gesetze und Einschränkungen füglich anzufügen, um dem Ausbruch des Bösen zu wehren und ein künstliches äußerliches Gute zuwege zu bringen; der Geistliche soll durch ein innerliches Gute dem Bösen ein Ende und alle Gesetze und Einschränkungen unnötig und überflüssig machen. Der Philosoph braucht Tod und Mechanismus, sein Α und Ω um, wenn er kann, daraus das Leben zu demonstrieren und zu erklären; der Geistliche soll das Leben brauchen, um über den Mechanismus zu triumphieren und den Tod abzuschütteln. Er soll dem Menschen sagen und predigen, daß es Gesetze und Formen, Oben und Unten, Herr und Knecht, Regent und Untertan, geben muß, und daß es ihm gebühre alle Gerechtigkeit zu erfüllen; daß aber er, der Mensch, Herr oder Knecht, Untertan oder König, einen Geist in sich habe, der nicht für äußre Form und vergänglich Ding gemacht ist, und daß er größer sein könne, als alles was ihn umgibt, und es dazu Mittel und Weg gebe, die aber für eitle Neugierde und Eigenwillen nicht feil sind.

Dazu ist der Geistliche eigentlich bestimmt; das soll er verstehen und treiben; und nichts Kleines an sich kommen lassen, noch Menschen zu Gefallen reden.

Wenn also der Geistliche seinen Beruf kennt; so wird er zwar nicht anstehen, dem andern mit Ehrerbietigkeit zuvorzukommen, und die Philosophen für das halten und achten was sie sind; aber er wird sich auch nichts vergeben, und, zur Steuer der Wahrheit, mit aller Demut und Bescheidenheit wissen und sagen, daß zwischen den Philosophen und Christus kein Vergleich stattfinde, und daß die größten und berühmtesten unter ihnen nicht wert sind seinem Vorläufer, dem Wasser-Mann Johannes, die Schuhriemen aufzulösen.


Daran mag es denn Von und Mit dem Ungenannten genug sein, und ich scheide nun in Friede von ihm. Ich habe ihm für seine Unart, neben dem was geschehen mußte, das Beste was ich weiß gesagt, und die »Überzeugung, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen« hat mich nicht dazu getrieben. Er mag darüber nachdenken, und sehen, da er die Wahrheit doch nicht hat umstoßen können, ob er sie vielleicht nützen kann.

[411][413]

Notes
Entstanden zwischen 1783 und 1790. Erstdruck der Sammlung: [1790] »beym Verfasser, und in Comißion bey Carl Ernst Bohn in Hamburg«.
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TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Fünfter Teil. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5402-D