Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin
Ein Spiegel wundersamer Liebesabenteuer der denkwürdigsten Personen unserer Zeit, in Wien, Mailand, Rom, Neapel, Madrid, Lissabon, Paris, London, Petersburg und Berlin
Zum Ergötzen aller Freunden reizender Theaterdamen aufgestellt

Erster Theil

Vorrede
Vorrede.

Ich liebe die Vorreden, weil ich die Nachreden immer fürchte, die in diesem Werke vielleicht einen reichen Stoff finden werden.

Was in Rosa's geheimen Memoiren erzählt wird, mag wohl geschehen seyn, und ich habe nicht die mindeste Ursache, daran zu zweifeln; aberwann, wo und von welchen Personen dieß Alles gethan wurde, ist eine Gewissensfrage, die das Geheimniß des Beichtsiegels für sich hat, das ich niemals verletzen würde.

Wohl wissend, daß es nicht an Grüblern fehlen werde, welche die handelnden Personen mit vermeintlichem Scharfblicke in ihrer Umgebung suchen, hab' ich bei jeder Thatsache, die mir auch nur der entferntesten persönlichen Deutung fähig schien, [6] die Gestalt der Personen so geschildert, daß diese jeder andern Person mehr gleichen, als sich selbst.

Diese Vorschrift beschränkt sich nicht blos auf die Hauptstadt, in deren Nähe ich diese Vorrede so eben niederschreibe, sondern auch auf Wien, Mailand, Rom, Neapel, Madrid, Lissabon, Paris, London, Petersburg undBerlin, aus welchen ich die interessantesten Notizen mit wahrhaft polizeilich-genauer Personalbeschreibung der Betheiligten erhalten habe.

Margaretha von Valois, Königin von Navarra, Schwester Franz I. und Tochter Carls von Orleans, Herzogs von Angoulème und Luisens v. Savoyen, geboren 1492, sohin gerade dreihundert Jahre früher, als ich, hat das bekannte Werk geschrieben: »Heptaméron, ou les Nouvelles de la Reine de Navarre,« Erzählungen im Geschmacke des Boccaz, deren Freiheit mit der damaligen Sitte übereinstimmte, und keineswegs zu falschen Schlüssen auf den Charakter der Verfasserin verleiten darf.

Da nun die Freiheit im Vortrage, nach der [6] Meinung der besten Weltkenner, auch mit der gegenwärtigen Sitte übereinstimmt, so hoffe ich um so mehr eine eben so schonende Beurtheilung meines Charakters, als ich bei weitem ängstlicher als die schreibende Königin, bemüht war, nirgend den Anstand zu verletzen. Dieses Zeugniß werden mir auch die Leser meines jüngsten Werkes: »Die Verschwörung in München,« nicht versagen können.

Schauspieler, Sänger, Tänzer undRecensenten, die Quadratur des Zirkels, in welchem sich die Bühnenwelt dreht, werden die Wahrheit der Scenen aus ihrem Leben nicht verkennen, die ichal fresco gemalt habe, und mir darum nicht zürnen; die Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen aber bitte ich ausdrücklich um Vergebung, wenn ich etwa im Feuer der Erzählung die Gardinen ihrer Ruhebettchen zu weit gelüstet habe; aber da sie öffentliche Personen sind, dieauf der Bühne bei ganz geöffnetem Vorhange das Publikum zu ergötzen pflegen, so möchte es wohl verzeihlich seyn, wenn ich erzähle, wie sie zu Hause bei ganz geschlossenen Vorhängen spielen, indem ich diese kaum [7] zur Hälfte öffne; denn von so schönen Augen wünsche ich nicht als ein Verräther betrachtet zu werden, der fähig seyn könnte, des Lasters der Undankbarkeit sich schuldig zu machen.


Geschrieben auf der Insel Wörth im Würmsee,

den 1. Januar 1829.


Der Verfasser. [8]

Sagen
Sagen.

»Selbst der heilige Augustin glaubt, daß die Vielweiberei dem Naturrechte nicht zuwider sey,« sprach der Assessor Wiese mit einem triumphirenden Seitenblicke auf seine bereits ziemlich ältelnde Ehehälfte, – »daher kann ich es auch den großen Herren, die Geld und Gut im Ueberflusse besitzen, eben nicht verargen, wenn sie sich als gute Christen an den heiligen Kirchenvater, an das Naturrecht, und an hübsche Mädchen halten; ist nun vollends einer unter ihnen so glücklich, die himmlische Sängerin Rosa sein heimliches Liebchen nennen zu dürfen, so möchte ich doch den Mann kennen, der den ersten Stein gegen ihn aufhöbe!«

»Gerade umgekehrt sollte der Ausspruch des heiligen Augustin lauten,« – erwiederte die vor einer großen Theegesellschaft durch diese Aeußerung einer scheinbaren Unzufriedenheit oder Ungenügsamkeit ihres Gatten gereitzte Frau Assessorin; »denn die Erfahrung lehret, daß die Vielmännerei mehr als die Vielweiberei von der Natur begünstiget werde, und schon Rousseau hat bemerkt: eine Frau halte die Wage zwischen [10] zwei Männern. Was den Mann betrifft, sagt ein persischer Schriftsteller, so lebt er leichter mit zwei weiblichen Tigern, als mit zwei Frauen, daher haben auch fast alle Perser nureine Frau, ob es ihnen gleich erlaubt ist, mehrere zu haben.«

Dabei blinzelte sie innerlich vergnügt mit ihren kleinen grauen Augen auf den Schreiber ihres Gatten, der markvoll wie eine jugendlich kräftige Eiche ihr eben die Zuckerdose bot.

»Erlaubt! Frau Assessorin, erlaubt!« – nahm der Findelhausverwalter Greif das Wort, – »in diesem Wort liegt auch schon die Erklärung des Umstandes, daß fast alle Perser nur eine Frau nehmen; denn nicht das Erlaubte, sondern das Verbotene locket. Geschähe nur immer, was erlaubt ist, so könnte ich kein Findelhausverwalter seyn.«

»Ein richtiger Schluß,« versetzte der PrivatdocentSchreier; »um aber wieder auf den Ausspruch des heiligen Augustin zurückzukommen, den der belesene Herr Assessor Wiese citirt hat, so muß ich im Namen aller liebenswürdigen Frauen und Fräulein, welche diese hochverehrliche Gesellschaft mit ihrer Gegenwart schmücken, eben gegen jene Worte des alten Kirchenvaters eine feierliche Verwahrung einlegen, damit ja kein wankelmüthiger Ehegatte, durch die Heiligkeit der Quelle getäuscht, vom rechten Wege der ehelichen Pflicht abzuweichen wage.«

[10] »Thun Sie das, thun Sie as, werthester Herr Schreier!« riefen alle Damen zugleich aus und hingen mit behaglichen Blicken an seinem Munde, aus welchem nun Wasser auf ihre Mühlen fließen sollte.

Dieser aber leerte zuvor noch ein Glas Rum erster Qualität aus Batavia, um seine Rednergabe zu entflammen und sprach:

»Die Frage, ob jemals ein heiliger Augustin gelebt habe oder nicht, will ich hier gar nicht berühren, sondern mich nur auf jene Worte beschränken, sie mögen nun von ihm gesprochen, oder ihm nur in den Mund gelegt worden seyn.«

»Vor Allem muß ich Sie bitten, zu bemerken, daß es heißt: Der heilige Augustin glaubt; – er sagt es also nicht mit Bestimmtheit, er weißes nicht; glauben heißt etwas für wahr halten, es sey, daß man sichere Gründe dazu habe, oder nicht. Ein heiliger Schriftsteller, der Verfasser des Briefes an die Hebräer, – Kap. XI. V. 5. – hat gesagt: ›Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht dessen, was man hoffet und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet.‹ Da nun hier von keiner religiösen Ueberzeugung, welche vorzugsweise Glaube genannt wird, zunächst die Rede ist, so will ich auch diese Stelle der heiligen Schrift nicht näher beleuchten, sondern es bloß bei dem Dafürhalten des heiligen Augustinus bewenden lassen.«

[11] »Wenn's der verdammte Wortfuchser nur gleich ganz bewenden ließe!« brummte ein Jägeroffizier in den schwarzbraunen Schnurrbart und rückte ungeduldig seinen Stuhl.

»Ferner,« – fuhr der Privatdocent fort, – »spricht der heilige Augustin von der Vielweiberei, und will damit den Zustand bezeichnen, da ein Mann mehrere Weiber auf gesetzlichem Wege hat, keineswegs aber unter diesem Ansdrucke Beischläferinnen verstanden wissen, die ohne Beobachtung gewisser Formen gewählt und entfernt werden. Da nun bei uns Christen die Vielweiberei nicht nur nicht erlaubt, sondern ausdrücklich verboten ist, so kann er auch unmöglich auf eine Anwendung seines Ausspruches auf unsere Zeiten, Länder und Sitten gerechnet haben, und unsere untreuen Ehemänner können mit einer solchen Schlußfolge sich nicht verantworten.«

»Weiter sagt der heilige Augustin: die Vielweiberei sey dem Naturrechte nicht zuwider. Nun aber gilt bei uns nicht das Naturrecht, sondern daspositive Recht, daher ist auch diese Berufung unzuläßig. Endlich –«

»Gott Lob!« seufzte ein dicker Materialist, das heißt: kein Anhänger der Stofflehre, welcher das Daseyn der Seelen und Geister leugnet, und sie für eine blos körperliche Kraft hält, sondern ein wackerer Spezerei-, oder [12] Gewürzhändler, die man an einigen Orten mit jenem verfänglichen Namen bezeichnet.

»Endlich bitte ich den Ausdruck: ›nicht zuwider,‹ wohl in's Auge zu fassen, worin der Begriff einer wesentlichen Nothwendigkeit, einer Bedingung des Naturrechtes durchaus nicht zu finden ist, ja selbst das Erlaubte dieser Sache noch dahingestellt zu seyn scheint.«

»Aus diesen Gründen erhellet die Unhaltbarkeit und das Unanwendbare der obigen Worte des heiligen Augustins für alle Christen, selbst wenn sie in eine Lage kämen, wo das Naturrecht in Wirkung träte, so wie für alle Nichtchristen, die unter einem positiven Gesetze leben, wenn dieses die Vielweiberei nicht ausdrücklich erlaubt.«

»Ich schmeichle mir, durch diesen Aufschluß allen lüsternen Gatten eine scheinbare Autorität entzogen zu haben, auf welche sie sich in ihren Sünden berufen hätten, und dafür von jeder anwesenden Dame einen Kuß der Erkenntlichkeit verdient zu haben.«

Sprach's und wollte sein langnasiges Antlitz den zarten Lippen eines holden Fräuleins an seiner Seite nähern, als die Frau Assessorin Wiese sogleich mit der Bemerkung dagegen protestirte, daß er auf diese Art zur Zahl jener Prediger gehören würde, welche zu sagen pflegen: »Haltet euch an meine Worte, aber nicht an meine Werke!«

[13] »Wie so?« fragte der Privatdocent, und war einfältig genug, auf halbem Wege wieder umzukehren, indeß das Fräulein unbemerkt den Stuhl verließ, und sich unter die Menge an der offenen Saalthüre des ländlichen Gasthofes an der Heerstraße mischte, welche sehnsuchtsvoll in die Ferne schaute, ob keine Staubwolke die Ankunft der unsterblichen SängerinRosa verkünde.

»Weil das Austheilen von Küssen an die anwesenden Damen als ein erster Schritt zur Vielweiberei und als eine Versinnlichung derselben zu betrachten wäre,« antwortete die Frau Assessorin.

»Wie sieht denn diese himmlische Rosa aus, wie man sie immer zu nennen beliebt« fragte ein dickköpfiger Rittergutsbesitzer und legte sich bequem in den Stuhl zurück, daß die Rücklehne krachte, um die Antwort in ruhiger Empfänglichkeit aufzuhören.

»Ich kenne sie genau«, – versetzte ein redseliger Buchhandlungscommis, der kürzlich auf der Leipzigermesse war, – »ich habe sie in Leipzig singen hören.«

»Ey, was Sie sagen! Sang Sie schön, die Rosa?«

»Verstehen Sie englisch?«

»Nein!«

»O das ist Schade! Sie sang so englisch, daß ich es nur auf englisch beschreiben kann.«

»Sang sie hoch?«

[14] »O ja, aber doch nicht so hoch wie auf dem Münster in Straßburg, wo sie ein Loblied auf die Straßburgergänseleberpasteten so rührend sang, daß die Wehmuthsthränen der Gesellschaft, die sie begleitete, in ihre Schuhe floßen, wodurch sie sich einen Catarrh zuzog, der sie verhinderte, am nämlichen Abende in drei Opern aufzutreten.«

»Das ist ja erschrecklich!«

»Ja natürlich, deßwegen erzählt ich's auch!«

»Man sagt ja, sie soll sehr schön seyn?«

»Ein wahrer Engel; wenn sie statt der HaareFedern hätte, würde man bald die Flügel nicht vermissen. Es ist nicht möglich, ihren Reizen zu widerstehen, vor einem einzigen Strahle ihrer Augen schmelzen tausend Herzen, ja selbst alles edle Metall in den Taschen der Männer, – Gold und Silber, – Dukaten und Thaler so zusammen, daß auch nicht einmal mehr die Asche davon zurückbleibt.«

»Unglaublich!«

»Auf Ehre, Sie können sich darauf verlassen.«

»Die Triller sagt man, soll sie ja ganz vorzüglich schlagen.«

»Unvergleichlich! Man verkauft jetzt von ihr selbst erfundene Rosatrillergucker, statt der bisherigen gemeinen Operngucker, durch welche man ihre Triller von den Lippen emporsteigen, die Luft durchkräuseln und zuletzt zwischen den Soffiten verschwinden sieht.«

[15] »Das übersteigt allen menschlichen Verstand!«

»Ganz gewiß, und deßwegen werden Sie es auch nie begreifen, bis Sie sich mit Ihren eigenen Augen davon überzeugt haben.«

»Könnten Sie mir denn keinen solchen Rosatrillergucker verschaffen? Ich bezahle Ihnen den doppelten Preis dafür.«

»Warum nicht! Das Stück kostet 10 Louisd'or.«

»Eine Spottgeld für eine so herrliche Erfindung! Wann bekomm ich ihn?«

»Heute noch, und zwar vor der Oper, damit Sie sich gleich von der Wirkung desselben überzeugen können!«

»Charmant! Sie sind mein Freund! Kellner! Champagner her! Sie müssen mit mir trinken.«

»Ich weiß diese hohe Auszeichnung zu würdigen!«

»Im Vertrauen, mein werther Freund, was ist denn so Ihre Beschäftigung, Ihre Nahrungsquelle?«

»Ich habe die Geisteswerke aller Schriftsteller und Dichter von ganz Europa unter meinen Händen; es hängt von mir ab, welche Stelle ich jedem von ihnen anweisen will!«

»Ein erhabener Beruf! Da Sie ein so großer Gelehrter sind, so könnten Sie wohl auch als Erzieher adeliger Knaben wirken?«

»Als Hofmeister meinen Sie?«

»Ja!«

[16] »Allerdings, aber diesen im gewöhnlichen Leben sehr untergeordneten Beruf würde ich nur unter den vortheilhaftesten Bedingungen annehmen.«

»Ich biete Ihnen jährlich 800 Thaler, freie Wohnung, meine Tafel und ein Reitpferd zu Ihrer Verfügung. Sind Sie damit zufrieden?«

»Da Sie selbst ein sehr verständiger und gebildeter Mann sind, – ja!«

»Also eingeschlagen! Nach den ersten drei Rollen der Rosa fahren Sie mit mir auf meine Güter.«

»Sehr wohl, ich werde meine Angelegenheiten unverzüglich in Ordnung bringen!«

»Nun möchte ich denn doch auch wissen, was denn mit den Trillern der Rosa geschieht, die in den Soffiten verschwinden.«

»Darüber kann ich Ihnen den besten Aufschluß geben,« – nahm der Jägeroffizier das Wort, der hinter den Stühlen der beiden Sprechenden die Dummheit des Rittergutsbesitzers und die Aufschneidereien des Buchhandlungscommis mit anhörte, – »inParis fanden die Lampenanzünder nach den Opern, worin Rosa auftrat, eine Menge Triller in den Kronleuchtern des Theaters, und ein erfinderischer Juwelier kam auf den Einfall, sie zu Busennadeln und Fingerringen, in Gold gefaßt und mit Brillanten besetzt, zu verarbeiten. Ungeachtet ihres sehr [17] hohen Preises gingen sie so reißend ab, daß am Tage ihrer Abfahrt ein reicher Lord an dem Schlage ihres Wagens knieend um einen Triller bat, weil keiner mehr aufzutreiben war, und er mit einer solchen Seltenheit dem musikalischen Conservatorium in London ein Geschenk machen wollte. Gerührt von dem Flehen des Lords und von seinem Anerbieten von hundert Pfund Sterling schlug sie ihm einen der größten und prachtvollsten Triller zum Wagenfenster hinaus, der jemals die Welt entzückte.«

»Wunderbar!«

»Wären Sie, wie ich, Zeuge der außerordentlichen Huldigungen gewesen, die man diesem Engel brachte, Sie würden an Verwunderungen erstickt seyn. Ihre Strumpfbänder wurden täglich mit einer goldenen Scheere an offener Tafel in zahllose kleine Stückchen zerschnitten, und diese für bedeutende Summen versteigert, um von ihren vornehmen Anbetern in brillanten Herzchen auf der bloßen Brust getragen zu werden. Der Champagner wurde aus den Schuhen getrunken, die sie eben trug, und hätte sie jedem, der sie um eine Locke bat, auch nur den tausendsten Theil eines Haares gegeben, so wäre sie schon längstam ganzen Leibe kahl.«

»Entsetzlich! Erlauben Sie ein Wort ins Ohr? Wie sieht's denn mit ihren Liebschaften aus? Läßt sich etwas machen?«

»Um sich vor dem Andrange der zahllosen Liebhaber [18] Ruhe zu verschaffen, die den Palast, welchen sie bewohnte, in Schaaren förmlich belagerten, schrieb sie mit eigener Hand den Preis ihrer Gunstbezeigungen nieder und ließ diesen Tarif der Liebe an die Pforte anschlagen. Nach Inhalt desselben kostete ein gewöhnlicher Kuß auf den Mund 1000 Franken, auf die Augen 500 Franken, auf jeden andern Theil des Gesichtes 300 Franken, ein Handkuß l00 Franken, ein Kuß auf irgend einen andern Theil des Leibes unterlag einer besondern geheimen Preisbestimmung je nach dem Werthe und der Wichtigkeit des gewählten Theiles. Die unbeschränkte Miethe des Ganzen betrug für jede Stunde 20,000 Franken. Am Schlusse dieses seltsamen Tarifes las man folgende, für die Franzosen äußerst schmeichelhafte Entschuldigung:

›Da alle Franzosen in angeborener Liebenswürdigkeit miteinander wetteifern, so würde ich fürchten, sie zu beleidigen, wenn ich Einzelnen unter ihnen ausLiebe den Vorzug geben wollte, und alle zu lieben, wie sehr ich dieß auch wünsche, liegt außer dem Umfange meiner Natur. Ich betrachte mich demnach, von den unverdienten aber auch unvergeßlichen Huldigungen der Blüthe dieser großen Nation dazu verleitet, als eine Seltenheit, die, wie jeder Brillant- Solitär, oder wie eine romantische Villa, einem Miether oder Käufer zu Gebote steht, und schmeichle mir, auf diesem Wege alle Interessen ausgleichen zu können.‹«

[19] »Ein verfluchter Einfall!«

»Aber sehr einträglich.«

»Das läßt sich denken!«

»Durch Gesang und Liebe hat sie sich ein außerordentlich großes Vermögen erworben.«

»Von mir bekommt sie, außer dem Eintrittspreise für einen Sperrsitz nichts; diese Person ist mir zu theuer«.

»Mir auch.«

Plötzlich erhob sich am äußersten Ende der Landstraße eine große Staubwolke, die immer näher heranwirbelte. Reiter waren es, gegen sechzig Studenten von der Hochschule, eine Musengarde der zehnten Muse, wie Rosa häufig genannt wurde. Diese Herren, keine geringeren Tyrannen ihrer ausgehungerten Klepper, als die Pflanzer in Amerika gegen ihre Sclaven, erschienen größtentheils in phantastischer Tracht, die kaum den Welttheil, vielweniger das Land ihrer Geburt errathen ließ. Mit verhängten Zügeln sprengten sie durch den Park heran, als ob das wilde Heer im Anzuge sey; alle Gäste stürzten aus dem wirthlichen Försterhause, um etwas von Rosa zu hören.

»In einer halben Stunde muß sie hier seyn,« – rief der Vorderste, – »wir verließen sie auf der letzten Poststation, da sie eben die Pferde wechselte.«

»Wein heraus, Rum heraus!« schrien die durstigen Altbursche, und der Chor der Brüder stimmte brüllend ein.

[20] In langen Zügen goßen Sie die geistige Labung in die dürren Kehlen, ohne Gläser zu bedürfen, und schleuderten dann die Flaschen mit einem jubelnden: »Vivat Rosa!« gegen die Bäume, daß die Scherben wie Spreu im Winde umherstoben.

»Hol mich der Teufel,« – fing einer zu fluchen an, dem der Rum in den Kopf stieg, indem er ein kleines weißes Hündchen aus seinem Busen zog, – »ich lasse die kleine Bestie morgen rosenroth färben, weilRosa sie geküßt hat!«

Während die Gäste mit ungestümer Neugier die Angekommenen mit Fragen über die große Sängerin unaufhörlich bestürmten, kam schon Rosa's Kourier auf schaumbedecktem Rosse an, und bald darauf sah man einen Reisewagen am äußersten Saume der langen Parkstraße einlenken, dem in einem kurzen Zwischenraume ein zweiter, mit sechs Postpferden bespannt, folgte.

Sie kommt! Sie kommt!

»Bursche fertig!« schrie der Zugführer, »sie kommt! sie kommt!« und alle Anwesenden riefen einstimmig: »sie kommt! sie kommt!«

Im ersten Wagen saßen ihr Cassier, ihr Kammerdiener und zwei Kammermädchen. Dieser Wagen fuhr vorüber, ohne anzuhalten.

[21] In einem geöffneten, prächtigen Landauerwagen erschien nun die erste Sängerin ihrer Zeit, die Krone der schönen Mädchen, Rosa, und wurde von einem dreimaligen donnernden Lebehoch begrüßt. Sie schlug sogleich den kostbarsten Reiseschleier zurück, den je eine regierende Königin getragen hat, und dankte mit bezaubernder Huld, indem sie ihr Engelantlitz wohl öfter als zwanzigmal neigte. Zu ihrer Linken saß ihre alte Tante, wahrscheinlich nur Titulartante, und zwei sehr schöne Gesellschaftsfräulein nahmen die Plätze gegenüber ein. Auf beiden Seiten des Wagens ritten als Ehrenwache die Söhne aus den adeligen Familien der Hauptstadt, Cavallerie-Offiziere und einige Dichter, die auf den Miethpferden eben so schlecht wie auf dem Pegasus saßen. Der Vorstand der ersten Stadtbühne an der Spitze des gesammten männlichen Personals der Künstler, drängte sich mit Mühe durch die gaffende Menge, trat an den Schlag des Wagens, verneigte sich dreimal, und sprach: »Verehrungswürdige große Künstlerin! Als der Vorstand der ersten Bühne dieser Hauptstadt beeile ich mich, umgeben von allen ausübenden Künstlern, Sie nach dem hohen Range Ihres bisher unerreichten Talentes in dem Augenblicke mit der Versicherung unserer unbegränzten Verehrung und Bewunderung würdig zu begrüßen, wo Sie, bedeckt mit den ewig grünenden Lorbeeren der Kunst, gepflückt in den ersten Hauptstädten der civilisirten Welt, eine Stadt mit Ihrer Gegenwart beehren wollen, welche[22] von allen Kennern als die Wiege der Wissenschaften und schönen Künste gepriesen wird. Möge der Himmel es gnädig fügen, daß Ihnen die Huldigungen aller Herzen, die Ihnen sehnsuchtsvoll entgegen schlagen, gefallen, und Sie auf lange, vielleicht auf immer an uns binden, wenn es Sterblichen vergönnt ist, die zehnte Muse und vierte Grazie, und doch im Doppelchore die erste, in ihrer Mitte zu behalten!«

Rosa lächelte mild, wie ein Morgenstrahl der Frühlingssonne, der durch die Purpursäume zarter Wolken bricht, und sprach melodisch, wie Raphael der Erzengel, als ihn Gott zu den ersten Menschen im Paradiese sendete:

»Zu tief bewegt bin ich von der hohen Ehre dieses Empfanges, als daß es mir möglich wäre, in würdigen Worten die reiche Fülle meines innigsten Dankes zu erschöpfen. Möge es meinem guten Willen gelingen, Ihren allzugütigen Erwartungen zu entsprechen, und die schmeichelhafte Auszeichnung zu verdienen, womit Sie mich auf eine ewig unvergeßliche Weise überrascht haben. – Ich bitte um Champagner!«

Dutzendweise stürzten die Herren, während das Vivatrufen gar kein Ende nahm, in das Gastzimmer, um Champagner zu holen, und ein flotter Bursche ritt zu gleichem Zwecke mitten in den Salon hinein.

Dem stämmigen Rittergutsbesitzer gelang es, [23] die Braut heimzuführen, nämlich der Erste zu seyn, der den gewünschten Champagner der himmlischen Rosa kredenzte.

Mit unaussprechlichem Liebreize erhob sich die große Künstlerin im Wagen, und rief: »Auf das Wohl der Hauptstadt, die mich gastlich aufnimmt, auf das Wohl Aller, die mich umgeben, denn ich trage Sie Alle als Freunde ewig in meinem Herzen!«

Nach diesen Worten, welchen ein Jubelsturm folgte, stürzte sie das Glas aus, bis auf die Nagelprobe, und gab es dem Rittergutsbesitzer zurück, der es, als habe er eine Krone erhalten, mit seltsamer Hast in die Seitentasche seines Oberrockes steckte, und die Flasche gleichfalls zu einem Kabinetsstücke bestimmt, krampfhaft mit beiden Händen faßte. »Nach der Oper,« – fuhr Rosa fort, – »hoffe ich die Ehre zu haben, Sie, werthester Herr Vorstand der er sten Stadtbühne, nebst dem ganzen Theaterpersonal, Herren und Damen, an meiner Abendtafel zu bewirthen; auch bitte ich, sämmtliche Dichter und Recensenten in meinem Namen dazu einzuladen!«

So angenehme Eröffnungen können niemals die rechte Wirkung verfehlen. Die Tafelgenossen schwenkten ihre Hüte und brachten ihr ein Lebehoch, im süßen Vorgefühle der irdischen Freuden dieses Abendes, und das reitende wilde Heer brüllte den Baß dazu.

Noch einmal verneigte sich Rosa freundlich grüßend [24] nach allen Seiten, und wollte eben das Zeichen zur Abfahrt geben, als der Rittergutsbesitzer so kühn war, sie um die Bewilligung eines Besuches am folgenden Morgen zu bitten; Rosa gewährte nicht nur seine Bitte, sondern lud ihn auch zur Abendtafel, worüber er von unendlicher Wonne förmlich erstarrte, so daß die Flasche seinen Händen entsank, und in zahllosen Scherben die Straße bedeckte. Als wären sie kostbare Juwelen, stürzte sich die Menge darauf hin, um sich in diese eingebildete Beute zu theilen, wobei mancher Finger bluten mußte, während der Wagen, eingehüllt in eine Staubwolke, und umschwärmt von den huldigenden Reitern, den Triumphen der Kunst entgegenrollte.

Rosa's Portrait
Rosa's Portrait.

Rosa zählte noch nicht achtzehn Frühlinge ihres Lebens, und hatte doch schon seit zwei Jahren Deutschland, Italien, Frankreich und England zu den Füßen ihrer Schönheit und ihres Talentes gesehen. Die ersten Geister ihres Jahrhunderts zogen an ihrem Siegeswagen; Dichter, Maler, Bildhauer und Tonsetzer wetteiferten sie zu verherrlichen. Eine Sündfluth von Sonetten brach über alle Zeitschriften herein, und die eifrigsten politischen Kannegießer [25] überschlugen die wichtigsten Artikel ihres Geschmackes, um die Kritiken der Gesangesleistungen Rosa's zu lesen.

In Busennadeln, in Ringen, auf Pfeifenköpfen und Tassen von Porzellan, auf Hals- und Taschentüchern, auf Dosen, auf den Arbeitskästchen der Damen, in Almanachen mit Goldschnitten, vor allen Bilderkramläden u.s.w. war Rosa's Bild zu finden, gemalt, in Kupfer gestochen, auf Stein gezeichnet, illuminirt, in Schattenrissen, auch als Büste aus cararischem Marmor in Lebensgröße auf den Mahagonyschränken der Vermöglichen, oder aus Gußeisen im verjüngten Maßstabe für Jedermann. Wer nur im Mindesten Anspruch auf Kunstsinn machen wollte, mußte im Besitze dieses Bildes seyn; das wunderschöne Mädchen, die wundervolle Sängerin, hatte alle Sinne verwirrt, alle Herzen bezaubert.

Ein junger, angehender Verleger kam auf den glücklichen Einfall, ein Buch herauszugeben unter dem Titel: »Rosa's Triumphe.« Er sammelte Alles, was seit Rosa's erstem Auftreten in der Kunstwelt in allen Zeitschriften des In- und Auslandes über sie erschienen war; eine Skizze ihres Lebens, ihrer Herkunft, der ersten jugendlichen Aeußerungen ihres großen Talentes, des Ganges der ferneren Ausbildung, ihrer Gewohnheiten und Neigungen, u.s.w. schloß sich unmittelbar an die Vorrede über den gegenwärtigen Stand der Gesangeskunst in Deutschland; [26] dann folgten sämmtliche bisher erschienenen kritischen Beurtheilungen ihrer Rollen, worin sie aufgetreten war, und endlich die vorzüglichsten Gedichte, womit ihr die Dichter gehuldiget hatten; die Erzeugnisse der Dichterlinge mußten nothwendigerweise von dieser Sammlung ausgeschlossen bleiben, sollte sie nicht zu einem Foliobande anschwellen.

Von diesem Werke, das einem allgemein gefühlten Bedürfnisse entgegen kam, wurden ungeachtet zweier Nachdrücke, von literarischen Schnapphähnen versucht, in fünf Monaten 16000 Exemplare verkauft Die Hauptzierde dieses Werkes war ein höchst gelungenes Bild Rosa's als Muse des Gesanges. Der große Gewinn, welchen dieses Werk dem Verleger brachte, der für die Zusammenstellung selbst nur ein sehr geringes Honorar bezahlte, erregte in manchen von diesen Herren den bittersten Neid, zugleich aber auch den Wunsch, durch ein interessantes Gegenstück einen ähnlichen Fischzug Petri auf dem stürmischen Meere des Buchhandels zu machen, das alle andern Meere an der Menge und Stärke der Rückströmungen übertrifft.

Innerhalb vier Wochen erschien also ein elegant gedrucktes Büchlein in Duodez, unter dem lockenden Titel: »Rosa's Gardinenseufzer,« – mit einem hübschen Kupfer und einer niedlichen Vignette.

Das Kupfer stellte ein elegantes Bett vor, dessen Gardinen so weit geschlossen waren, daß man nur vier Füße [27] gewahrte, wovon zwei auf den Fersen, und zwei auf den Spitzen der Zehen ruhten. Die Vignette zeigte eine vom Winde entblätterte Rose, und jedes der vielen in der Luft umherflatternden Blätter den Namen eines beglückten Anbeters, wenigstens der öffentlichen Meinung nach. Wer den Geschmack der Weltkinder auch nur beiläufig kennt, wird es mir auf's Wort glauben, daß die Pressen Tag und Nacht ächzen mußten, um die Nachfrage befriedigen zu können, besonders weil die Polizeibehörden, ohne Subscribenten, Pränumeranten, Zahler oder Borger zu sein, dennoch die stärksten Abnehmer waren. Um diese unwillkommene Klasse von Lesern zu entfernen, ließ der Verleger einen andern Titel zum Werke drucken: »Die Wege des Fleisches, ein Erbauungsbuch für alle Stände,« – und nun ging das Büchlein wieder reißend ab, ohne in der Benennung der Wahrheit etwas zu vergeben, und ohne die Aufmerksamkeit der Wächter für öffentliche Sittlichkeit zu reizen.

Natürlich fand dieser Verleger noch besser seine Rechnung bei diesem Unternehmen, als der erste; die scandaleusen Histörchen; welche in diesem Büchlein ohne alle Schonung der Namen aufgetischt waren, ergötzten nicht bloß die Mittelsorte der gewöhnlichen Leser, sondern selbst in den vornehmen Salons, worin Müßiggang und Klatschsucht im thätigsten Einklange wirken, machte man sich ein besonderes Vergnügen, ein wichtiges Geschäft daraus, Rosas Abentheuer zu besprechen, und die Damen überboten sich einander [28] in der Geschicklichkeit, die Scenen noch deutlicher auszumalen, und mit drastischen Zusätzen ihrer eigenen Erfindungskraft zu bereichern.

Tausende in der Hauptstadt, die nun Zeugen werden sollten von Rosa's Triumphen, hatten dieß Büchlein gelesen; der Fürst, die Hofherren und Hofdamen, der ganze Adel, die Offiziere, die Beamten, die leselustige Bürgerklasse, und fast in jeder Bedientenstube, auf den Tischen der lüsternen Kammermädchen, u.s.w. warenRosa's Gardinenseufzer zu finden, obgleich sie noch Keiner von allen Genannten gehört hatte. Man kann sich denken, mit welcher gespannten Neugier die ganze Hauptstadt der längst ersehnten Ankunft der großen Künstlerin entgegen sah, von der sie so viel gehört und gelesen.

Die Dichter hatten bereits Huldigungssonette vorräthig, die Recensenten bogenlange Kritiken über Rollen in Stücken, in welchen Rosa wie sie vorläufig vermutheten, auf der ersten Stadtbühne vielleicht auftreten würde. Die lüsternen Herrchen, alt und jung, zählten ihre Dukaten, wie einst König David seine Soldaten, was ihm, wie wir aus dem alten Testamente wissen, nicht gut anschlug, und bauten Luftschlösser auf Geld und gute Worte, verführt von dem bereits erwähnten Tarif der Liebe, welcher am Schlusse von Rosa's Gardinenseufzern mit einer annähernden Berechnung seines zweijährigen Ertrages, der auf 237,452 fl. [29] 45 kr. veranschlagt war, den würdigen Schlußstein des Ganzen bildete.

Rechnungsverständige mögen es zwar auffallend finden, daß dieser Ertrag nicht aus einer runden Summe bestehe, da doch der Tarif für die Gunstbezeugungen nur Ansätze in runden Summen enthalte, wie wir schon früher gelesen haben; allein der boshafte Verfasser hatte bei der Berechnung die zufälligen Auslagen für Briefe, die Trinkgelder für überbrachte Summen, die Provision für Wechsel, die sie vor der Verfallzeit verkaufte, und den Verlust bei nicht vollwichtigen Goldstücken mit so gewissenhafter Genauigkeit in Abzug gebracht, daß man sich versucht fühlte, auf die Wahrheit seiner Angaben zu schwören; denn gerade durch das bestimmteste Detail läßt sich der Uneingeweihte in die Ränke der Verläumdung am leichtesten bethören.

Der hohen Preise wegen stand Mancher zwischen seinen Wünschen und seinen Dukaten wie Herkules am Scheidewege; er machte sich von derWaare ganz außerordentliche Begriffe, weil derPreis dafür zu solchen Erwartungen berechtigte, wie es im gewöhnlichen Verkehre zu gehen pflegt, wo man gleichfalls in den meisten Fällen von der Höhe des Preises auf die Güte der Waare schließt, obgleich so manche Täuschung geeignet wäre, das Aufgeben einer solchen Ansicht zu erleichtern. Die Franzosen besitzen ein Sprichwort, welches das ökonomische Deutschland mit den Worten frei übersetzt hat: »In der Nacht sind alle Kühe schwarz[30] Diesen Spruch steckte nun dieser und jener in den Mund, gleichsam als einen Talisman gegen die peinliche Lust, an den Zauberköder dieser neuen Armide zu beißen.

Man konnte mit aller Gewißheit prophezeihen, daß jeder Herkules und jeder Scheideweg wie Nebelgebilde vor den Strahlen des nahenden Gestirnes verschwinden würde, da schon der Ruf allein vonRosa's Schönheit hinreichend war, zu so großen Opfern geneigt zu machen, wie der Tarif sie als Bedingung feststellte; denn die Wirklichkeit übertraf selbst die kühnste Phantasie.

Rosa besaß von den dreimal neun Reizen, welche ein spanischer Dichter zur weiblichen Schönheit für erforderlich hält, sechs und zwanzig, und die wahren Kenner unter meinen verehrten Lesern werden sich an meinen Geschmack anschließen, wenn ich ihnen gestehe, daß blaue Augen zu schwarzen Haaren mich reizender dünken, als schwarze Augen zu schwarzen Haaren.

Jener spanische Dichter will nämlich an einer schönen Dame folgende 27 Schönheiten finden:

drei weiße: die Haut, die Zähne und die Hände;
drei schwarze: die Augen, die Augenwimpern und die Augenbraunen;
drei rothe: die Lippen, die Wangen und die Nägel;
drei lange: den Leib, die Haare und die Hände;
drei kurze: die Zähne, die Ohren und die Beine;
[31] drei große: den Busen, die Stirne und den Raum zwischen den beiden Augenbraunen;
drei schmale: die Taille, die Hände und die Füße;
drei dicke: die Arme, die Schenkel und das Dickbein;
drei dünne: die Finger, die Haare und die Lippen.

Alle diese Reize vereinte Rosa in dem schönsten Ebenmaße, mit Ausnahme der Farbe der Augen, ein Umstand; den ich gerade für die Krone ihrer übrigen Reize halte.

Seidenweiche Haare, mit dem Glanzgefieder des Raben wetteifernd, floßen in üppiger Fülle den Rücken hinunter; auf dem schlanken, zarten Halse, dessen blendende Weiße den Schwanenflaum beschämte, ruhte das Engelsköpfchen, das wunderschöne Antlitz mit dem feinen griechischen Profile; Amoretten wiegten sich in den Grübchen der rosenumhauchten Wangen, und die zauberischen Lippen schienen aus dem letzten Kusse gebildet zu sein, welchen Venus von dem Munde des Adonis sog, bevor ihm der vom eifersüchtigen Mars entsendete wilde Eber die tödtliche Hüftwunde schlug. Mit dem matten Schimmer der Perlen kann ich Rosa's Zähne nicht vergleichen, welche wie weiße Rosen im Morgenthaue zwischen den von Frühstrahlen der Sonne gerötheten Hecken, funkelten.

Wie soll ich nun Rosa's Busen schildern, wenn schon ihre Zähne mich um Worte verlegen machten?

Um nicht aus Schwäche des Pinsels hinter der Wahrheit [32] zu bleiben, muß ich gleichwohl mit fremden Federn mich schmücken.

Marino sagt im 8ten Gesange des Adone, der den Titel: »i trastulli,« führt, von der Liebesgöttin in der 78ten Stanze:


»Vedeansi accese entro la guancie belle

Dolci fiamme di rose e di rubini,

E nel ben sen per entro un mar di latte

Tremolando nutar due poma intatte.« 1


Mit Recht mögen sich Viele wundern, daß ich als ein armer Dichter verborgene Schönheiten zu schildern wage, deren Anschauung nach Rosa's Tarif der Liebe nur dem Golde vergönnt war. Obgleich ich nun geradezu mit einer Berufung auf die freilich nicht sehr glaubwürdige Angabe des Büchleins: »Rosa's Gardinenseufzer« das aufgeschlagen vor mir liegt, und woraus ich gelegenheitlich einige Mittheilungen mir erlauben werde, antworten könnte, so will ich doch auch meinen Lesern und Leserinnen die Gewissensfrage ans Herz legen: »ob es denn so ganz undenkbar sey, daß ein Dichter und zugleich weit verzweigter Recensent bisweilen allerlei Reize von Bühnenengeln wenigstens beschauen dürfe, deren Enthüllung andern Menschenkindern [33] nur in dem Falle gestattet ist, wenn ihre Finger vergoldet sind? Näher kann ich mich nicht ausdrücken, weil ich es für eine Sünde halte, aus der Schule zu schwatzen.«

Nicht minder kühn als jener Jüngling zu Sais, dessen That Schiller warnend besang, fühlte ich wohl den Muth in mir, nun auch den Schleier vom Heiligthume zu reißen, an dem die Schwingen der Phantasie mich jetzt vorübertragen. Doch ferne sey es von mir, mit roher Hand der Ahnung vorzugreifen, und an das himmlische Asyl der Liebe ein irdisches Winkelmaaß zu legen; Phantasiearme mögen Salomons hohes Lied als Leitfaden nachlesen.

Rosa's Füßchen hielten die Mitte zwischen den kleinsten Pariser- und Chinesen-Damenfüßen; die seinen zierlichen Waden schienen die beiden untersten Stufen einer Jakobsleiter zu sein, die zum Himmel führet; ihre ganze Gestalt glich der Venus zu Knidus, jenem unsterblichen Meisterstücke des Praxiteles, der in der 104ten Olympiade mit seinem Ruhme ganz Griechenland erfüllte.

Die höchste aller Schönheiten Rosa's, so wie aller Damen, die Augen, hab' ich dem letzten Pinselstriche an meinem Portraite der gefeierten Sängerin vorbehalten. Als Gott den ersten Menschen gemacht hatte, hauchte er ihm eine unsterbliche Seele ein; da schlug er die Augen auf, und darum glaube ich, daß die Seele in den Augen thront.

[34] So viel ich noch aus der Jugendzeit meines verwahrloßten Studiums der Botanik mich erinnere, von welcher ich nur jene Blumen kennen lernen wollte, womit die Dichter ihre Schöpfungen schmücken, haben wir in Deutschland 16 verschiedene Arten vonVergißmeinnicht.

Denken Sie sich nun in Rosa's blauen Augen die wechselnde Anmuth der 16 einzelnen Arten in einen Strahlenpunkt verschmolzen, und diese beiden Gestirne am Himmel der Liebe, vonPetrarca an seiner Laura einst unerreichbar besungen, von dem bezaubernden Liebreize eines überaus gebildeten Geistes beseelt, so werden Sie leicht begreifen, daß sie überall Siegerin seyn mußte, wohin ihre magischen Blicke drangen.

Bevor ich nun die Heldin dieses Werkes selbstthätig in die Lesewelt einführe, muß ich nun auch noch ihr Inneres berühren, das heißt, um nicht von Uebelwollenden mißverstanden zu werden, ihrenCharakter, ihr Gemüth. Zu diesem Zwecke muß ich die Geduld meiner verehrten Leser und Leserinnen noch auf einige Augenblicke in Anspruch nehmen, mit dem Versprechen einer spätern, gewiß genügenden Vergütung dieses freundlichen Opfers.

Fußnoten

1 »Man sah auf den schönen Wangen süße Flammen von Rosen und Rubinen glühen, und im Busen, in eine Milchmeere, zwei unberührte Aepfel zitternd schwimmen.«

Rosa's Herkunft und Erziehung
[35] Rosa's Herkunft und Erziehung.

An den rebenumgürteten Gestaden des gewaltigen Rheinstromes, dieses uralten Zeugen deutscher Redlichkeit, zwischen Venedig und Hamburg, lebte in einem unbedeutenden Städtchen ein Cantor mit Weib und Kindern, der sich vom Ertrage seines Amtes und einiger Unterrichtsstunden im Singen und Clavierspielen lange Zeit fast kümmerlich nährte.

Dieser Mann hatte in seiner Jugend Gelegenheit, mit einem römischen Prälaten ganz Italien zu durchreisen, und in den berühmtesten Städten längere Zeit zu verweilen. Dort entwickelten sich seine großen Talente für Musik und Gesang, und die Gönnerschaft jenes vornehmen Geistlichen verhalf ihm zur unentgeldlichen Ausbildung durch die größten Meister der damaligen Zeit.

Die unwiderstehliche Sehnsucht nach seinem Vaterlande führte ihn nach Deutschland zurück.

Vergebens hatte man ihm in verschiedenen Städten Italiens sehr einträgliche und ehrenvolle Posten angeboten; er zog es vor, lieber auf deutschem Grund und Boden einem ungewissen Schicksale entgegen zu gehen, wie es denn eine ausgemachte Sache ist, daß nicht leicht ein Volk so sehr an der väterlichen Scholle klebe, als das deutsche, obgleich es eben so richtig ist, daß in keinem Lande der Eingeborene verhältnißmäßig so wenig gelte, als gerade in [36] Deutschland, das lange genug die eigenen Zeisige darben ließ, um aufdringliche Kuckucke des Auslandes zu füttern.

Das alte Sprichwort vom Propheten, der in seinem Vaterlande nicht geachtet werde, bewährte sich auch bald nach der Heimkehr des jungen Mannes in seiner Vaterstadt.

Wagner, – so hieß er junge Mann, – betrat seine Geburtsstadt mit der festen Ueberzeugung, daß ihm die Cantorstelle gar nicht entgehen könne, da er seiner großen Ueberlegenheit in allen Anforderungen dieses Amtes sich sehr wohl bewußt war.

Der alte Cantor lag auf dem Siechbette, und ein junger Mensch, der sich um die Hand seiner Tochter beworben hatte, vertrat seine Stelle, ohne den mitwirkende Musikfreunden des Städtchens und der ganzen Gemeinde entsprechen zu können. Allein am Sitze der Regierung lebte ein leiblicher Bruder des alten Cantors, der durch Geldvorschüsse sich verschiedene einflußreiche Personen verbindlich zu machen wußte, und daher kam es, daß die löbliche Regierung zu verfügen beliebte: der junge Mensch sollte des alten Cantors Stellvertreter, und nach dessen Tode der Nachfolger und zugleich Eidam des Verlebten werden.

Vergebens stellte Wagner unterthänigst vor, daß er ein Landeskind und in diesem Städtchen geboren sey, während der Andere dem Auslande angehöre; vergebens berief er sich auf höhere Kenntnisse, und bat um eine parteilose [37] Prüfung durch Sachverständige, oder wenigstens um die Erlaubniß, seine Fertigkeit im Orgelspiele zeigen zu dürfen, wär's auch nur ein einziges Mal; die Entschließung lautete: »daß man es bei der bereits getroffenen Fürsorge bewenden, jedoch bei einer andern schicklichen Gelegenheit auf die unterthänigste Bitte des Wagner nach Zeit und Umständen den möglichsten Bedacht nehmen lassen wolle.«

Mit schmerzlichen Thränen des gekränkten Selbstgefühles las Wagner diese Abwesung in einer verborgenen Ecke des Bürgermeisterhauses, wo er sie geholt hatte, als er die Frau Bürgermeisterin plötzlich jämmerlich wehklagen hörte.

Schreiber und Mägde flogen sogleich als dienstbare Geister herbei, auch zwei Rathsherren mit ihrem Ehegemahle, die eben eine vorbereitende vertrauliche Unterredung gepflogen hatten, um sich nach der Ursache des Hülferufens der Frau Bürgermeisterin zu erkundigen.

Joli, das Schooßhündchen der gebietenden Frau Bürgermeisterin, lag in Zuckungen auf dem Boden, verdrehte die Aeuglein, und streckte seine vier Füßchen wie Hasenläufe von sich.

Niemand wußte zu helfen, und den beiden Rathsherrn fiel, wie fast immer, kein guter Rath ein.

Zum Glücke ging eben der Thierarzt auf der Straße vorüber, der sogleich als Retter in der Noth in das Haus des Jammers gerufen wurde. Dieser aber schüttelte bedenklich [38] den Kopf und äußerte, »daß hier keine Hülfe mehr zu hoffen, vielmehr das leidende Hündchen je eher je lieber aus der Welt zu schaffen sey, da dieser Zustand sehr leicht in die Hundswuth übergehen könne.«

Er entfernte sich mit der Zusicherung, sogleich den Wasenmeister zu senden.

Bei diesem Todesurtheil fiel die Frau Bürgermeisterin dem eben eintretenden Wagner ohnmächtig in die Arme, der sie sanft auf ein nahestehendes Ruhebett legte, und zur Kur des Hündchens schritt, die er in mancherlei Art von Geistlichen in Italien erlernt hatte, welche sich oft mit einer Menge solcher Lieblinge zu umgeben pflegen.

Sogleich goß er einen großen Krug Wasser über den vierfüßigen Patienten, wodurch er bald wieder auf die Füße kam, und vollendete noch an demselben Morgen durch den Gebrauch einiger Hausmittel die Heilung.

Die Frau Bürgermeisterin fiel ihm aus Dankbarkeit um den Hals, nannte ihn ihren Lebensretter, und bat ihn um eine Veranlassung, ihm ihre unbegrenzte Ergebenheit beweisen zu können.

Wagner machte sie mit seiner vereitelten Hoffnung bekannt, ohne zu wissen, daß sie die Haupttriebfeder der erwähnten Regierungsentschließung gewesen war.

Allein die Wonne über die Rettung des Liebchens änderte gänzlich ihre frühern Ansichten in dieser Sache; sie schob jedoch alle Schuld auf ihren Mann, dem sie wegen [39] Verkennung und Hintansetzung eines jungen Mannes von so ausgezeichneten Talenten derb den Text zu lesen gelobte.

Wagner benützte diese glückliche Stimmung, und bat sie um ihre allvermögende Fürsprache bei ihrem Herrn Gemahle, daß er sich häuslich niederlassen, und mit Riekchen, einer armen Gärtnerstochter, die er schon seit vielen Jahren liebte, vermählen dürfe, indem er durch Privatunterricht in der Musik und im Singen, so wie durch Notenschreiben seinen Nahrungsstand hinlänglich zu begründen hoffe.

Sie versprach ihm nicht nur, diese Erlaubniß zu erwirken, sondern auch für den ersten Zugang von Unterrichtszöglingen zu sorgen, und ihm zur Aufmunterung anderer Eltern ihre eigenen drei Kinder anzuvertrauen.

Wer war froher als Wagner, der sogleich seinem lieben Riekchen die erfreuliche Nachricht brachte, daß ein sterbendes Hündchen, Namens Jali, der Gründer ihres Lebensglückes sey!

In vier Wochen waren sie Mann und Frau.

Anfangs hing freilich, wie man zu sagen pflegt, der Himmel voller Geigen; denn das neuvermählte Pärchen war genügsam, und konnte es auch seyn, weil es wenige Bedürfnisse hatte. Riekchens Vater ließ einen kleinen Anbau an sein Häuschen machen, wo dann der Schwiegersohn und die Tochter in bester Eintracht lebten; Wagners Eltern waren schon vor seiner Reise nach Italien gestorben.

[40] So verflossen vier Jahre; schon umgaukelten drei Kinder den noch so jungen Vater, der nun oft bis tief in die Nacht hinein den Schreibtisch nicht verlassen durfte, um nur den nöthigsten Unterhalt für seine Lieben zu gewinnen.

Meistens saß dann Riekchen an ihres Mannes Seite, und spann oder strickte, oder beschäftigte sich auf eine andere Art, bis ihr vor Müdigkeit das schöne Köpfchen auf den Mutterbusen sank. Dann mußteWagner noch gar oft bitten, und ihr die Sorge für ihre Gesundheit als eine heilige Familienpflicht darstellen, bis er sie bewog, sich schlafen zu legen.

Als aber der alte Gärtner starb, und die Gläubiger Häuschen und Garten mitleidlos an sich zogen, mußten Wagner, seine Frau und Kinder, und die alte, erwerbsunfähige Mutter Riekchens, die kleine Besitzung mit Thränen in den Augen verlassen, und eine andere Wohnung miethen.

Der Erlös aus dem Verkaufe der Gartenfrüchte wurde gar bald schmerzlich vermißt, dagegen der Miethzins nur mit der größten Anstrengung errungen, die zuletzt den armen Wagner auf das Krankenbett warf.

Das häusliche Elend stieg nun von Tag zu Tag; die Zöglinge blieben aus, nahmen auch zum Theil bei dem neuen Cantor Unterricht, weil ihre Eltern sich bei den hohen Gönnern desselben in Gunst setzen wollten. Die milden Spenden der Frau Bürgermeisterin, welche sich Anfangs [41] des kranken dürftigen Wagner erbarmte, kamen immer seltener, und blieben endlich ganz aus.

Am Vorabende des heiligen Christtages, da ein wildes Schneegestöber an die kleinen Fenster der armseligen Wohnung schlug, in welcher kein Fünkchen Feuer die eisige Kälte milderte, fragten die lieben Kleinen unaufhörlich: »ob denn das Christkindlein heute gar nichts bringen werde?«

Riekchens Thränen fielen in ihren Schooß, während sie die Kinder entkleidete, und jedes mit einem Stückchen Brod in das Bett brachte, damit sie nicht frieren sollten. Die Mutter schlief schon;Wagner seufzte, und sprach: »Zürne mir nicht, liebes Weib! ob der Armuth, die du jetzt mit mir theilen mußt; mit Gottes Hülfe wird es schon besser gehen, wenn ich wieder gesund bin, und seine Huld wird deine Thränen trocknen!«

Nun konnte Riekchen den innern Schmerz nicht mehr beherrschen; laut schluchzend sank sie an seine Brust, mit den Worten: »Dir und den Kindern gelten meine Thränen, nicht mir!«

»Hörst Du nichts?« fragte nach einer Pause tiefer Rührung Wagner; »war mir's doch, als habe ein Reiter an der Thüre gehalten! Richtig, jetzt sprengt er wieder fort. Sieh doch, Riekchen, wer es war!«

Riekchen öffnete die Hausthüre und fand vor derselben einen Korb, den sie sogleich verwundert auf das Bett des kranken Mannes stellte, und öffnete.

[42] Mitten unter spitzenverbrämten Windeln lag in eine kostbare Pelzdecke gehüllt ein wunderschönes Kindlein, ein Mädchen, das lächelnd die Augen zuRiekchen aufschlug.

Man kann sich das Erstaunen der beiden Leutchen denken, als sie den kleinen unerwarteten Gast in ihrer dürftigen Behausung erblickten.

Bei dem Durchsuchen d. Korbes fand sich ein parfümirtes Briefchen mit der Aufschrift:


An Herrn Wagner,

Musik- und Gesanglehrer in M**


»Mein Herr!


Sie sind mir als ein wackerer Mann empfohlen, der mit einer braven Frau und guten Kindern, selbst in der Dürftigkeit ein glückliches Leben führt. Ihrer Erziehung vertraue ich meine Rosa an, von der ich durch Verhältnisse mich trennen muß. Die beiliegende Summe wird hinreichend seyn, für die nächsten Bedürfnisse des Kindes zu sorgen; monatlich empfangen Sie drei Louisd'or, bis die Zeit der hohen Ausbildung heranrückt, wornach die Vergütung mit der Mühe steigen wird. Sollte das Kind Talent zur Musik besitzen, so werden Sie es zu einer Sängerin bilden. Vielleicht erhalten Sie Jahre lang keinen Brief mehr von mir, eine Folge besonderer Umstände, doch für [43] die richtige Bezahlung ist bereits Sorge getragen. Uebrigens zähle ich ganz auf Ihre Verschwiegenheit.


P.G.«


Die Summe, wovon der Brief sprach, war jedoch nicht zu finden, wie denn weder eine Münze, ein goldenes Kreuz, noch sonst etwas von edlen Metallen auf den Stand des Kindes schließen ließ, während andererseits die feine Bekleidung mit den auserlesensten Spitzen keine gemeine Abkunft bezeichnete. Wagner und seine Frau waren bald einig, den Findling zu behalten, obgleich er in ihrer gegenwärtigen mißlichen Lage eine neue Bürde auflud.

Riekchen gesellte ihrem eigenen Säugling noch die kleine Rosa bei, und ließ sie an ihrem schwanenweißen Busen sich erwärmen.

Der Morgen kam. Feierliches Glockengeläute rief die Gläubigen zur Kirche Riekchen wollte eben aus dem Hause zum Bürgermeister gehen, um dieses Ereigniß anzuzeigen, als der Briefträger, in diesem Augenblicke ein Bote des Himmels, ein Päckchen Geld überbrachte. Der Musikalienhändler zu R** schickte die Schreibgebühren für gelieferte Notenabschriften und ein nicht unbedeutendes Honorar für die vom Wagner herausgegebene neue Klavierschule mit der Meldung, daß ein Kammerdiener des Fürsten nach der häuslichen Lage des Verfassers im Namen Seiner Durchlaucht sich erkundigt, und höchst dessen Zufriedenheit mit dem Werke ausgedrückt habe.

[44] Nun kehrte Frohsinn in die Herzen der Bekümmerten zurück und trug viel zu Wagners baldiger Wiedergenesung bei. Allein es verging ein Monat nach dem andern, und das versprochene Monatgeld für die kleine Rosa kam nicht an. Sie liebten die Kleine nun schon wie ihr eigenes Kind, und machten auf eine Bezahlung gar keine Rechnung mehr.

Unvermuthet kam der Fürst in den Spätstunden eines herbstlichen Sonnabends in M** an, da er eben in der Gegend jagte, stieg im Posthause ab, und ließ sich Wagners Wohnung von ferne weisen.

Unerkannt sprach er mit diesem, und gab sich für einen Musikliebhaber aus der Hauptstadt aus, der zum Vergnügen eine Ferienreise mache und die Gelegenheit seines Uebernachtens im Städtchen benützen wollte, die persönliche Bekanntschaft eines so vorzüglichen Klavierlehrers anzuknüpfen.

Die unerkünstelte Artigkeit der beiden Leutchen, das gesunde, muntere Aussehen der Kinder und die große Reinlichkeit in der dürftigen Wohnung gefielen dem Fürsten.

Wagner hatte noch einen Vorrath von hundert Exemplaren der von ihm herausgegebenen Klavierschule, welche er als einen Theil des Honorars veräußern durfte. Der Fürst bestellte sie, mit dem Bemerken, daß er seinen Bedienten schicken werde, sie zu holen, und zugleich eine solche Menge von Notenabschriften, daß Wagner auf ein [45] volles Jahr beschäftigt wurde. Die bestellten Exemplare bezahlte er sogleich in Dukaten.

Zufällig trug Riekchen die kleine Rosa durch das Zimmer.

Kaum erblickte sie der Fürst, als seine Miene hohes Erstaunen verrieth. Von der geheimnißvollen Ankunft dieses Kindes in Wagners Hause unterrichtet, erklärte derselbe, die Verpflichtung der unbekannten Eltern selbst übernehmen zu wollen, und zu gleich seine Beistimmung zur Ausbildung der kleinenRosa für den Gesang, im Falle sie hiezu Talente besitzen würde, mit dem Versprechen, nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt die treffende Summe für die verflossene Zeit sogleich zu übersenden.

Wagner und seine Frau wußten nicht, ob sie wachten oder träumten, so sehr hatte die Freude über diesen plötzlichen Glückswechsel sie ergriffen; denn nun waren sie nicht nur gegen Mangel geschützt, sondern selbst in einer Wohlhabenheit, die längst schon ihr genügsamer Sinn als das höchste Ziel ihrer Wünsche ersehnte. Sie versicherten den Fremden ihres innigsten Dankes, als er nach einer vollen Stunde von ihnen schied.

Noch an demselben Abende brachte der Rathhausdiener einen schriftlichen Auftrag des Herrn Bürgermeisters, folgenden Inhalts:


»Auf ausdrücklichen höchsten Befehl Seiner Durchlaucht des Fürsten, welcher heute die Stadt mit Seiner Anwesenheit [46] zu beglücken gnädigst geruhte, wird dem hiesigen Musiklehrer Wagner hiemit aufgetragen, morgen bei dem Hochamte, dem Seine Durchlaucht beiwohnen werden, auf der Orgel zu spielen; wornach sich derselbe zu achten hat.«


Der Bürgermeister.


Das Räthsel des fremden Besuchs war nun gelöset; von der großen Ehre desselben fühlten sich Wagner und Riekchen freudig durchdrungen, und nur des Fürsten auffallende Theilnahme anRosa's Geschicke blieb ihnen vorläufig unerklärbar, obgleich sie geneigt waren, zu vermuthen, daß er vielleicht selbst der Vater dieses Kindes seyn könne.

Diese Vermuthung stützte sich jedoch auf keine Thatsache; denn der Fürst, ein hübscher Mann von fünf und vierzig Jahren, lebte mit seiner Gemahlin in der glücklichsten Ehe, so daß selbst die alten Hofdamen nicht einen Schatten ehelicher Untreue zu erspähen vermochten, so viele Mühe sie sich auch gaben, und bekanntlich haben hierin diese alten gelbenPergamenteinbände aus Amors Ehestandsbibliothek eine um so größere Gewandtheit, je öfter sie selbst in ihrer Jugend von Liebhabern verbotener Lektüre aufgeschlagen wurden. –

Der Fürst widmete sich mit ganzer Seele den Regierungsgeschäften, deren regelmäßige Besorgung ihm die heiligste Pflicht eines Regenten schien. Die Erziehung seines Erbprinzen, eines Knaben von acht Jahren, und der Erbprinzessin, [47] eines liebenswürdigen Wesens von drei Jahren, lag ihm zunächst am Herzen. An manchen Höfen hält man die Erziehung eines Prinzen in diesem Alter für eine sehr einfache Aufgabe, welche durch die Erlernung der französischen Sprache und durch einen oberflächlichen, wissenschaftlichen Unterricht gelöset werde; unser Fürst verband jedoch mit diesem Worte einen weit umfassenderen Begriff, und glaubte, daß die Erziehung ein weiteres Feld, und auch die fortschreitende Ausbildung aller geistigen Kräfte in sich begreife, welche durch keine Volljährigkeit, und überhaupt durch keine Zahl von Ihren begränzt werde, und daß ein muthmaßlicher Regierungsnachfolger sich glücklich preisen müsse, den wohlgemeinten weisen Rath eines liebevollen Vaters so lange als möglich benützen zu können. Nach diesen Ansichten war der Erziehungsplan berechnet. Musik und Jagd füllten desFürsten Mußestunden aus; oft dirigirte er selbst sein Kammerorchester, wenn ein Kabinetsconcert vor einer kleinen, aber auserlesenen Gesellschaft gegeben wurde.

Die Jagd durfte seine Unterthanen weder quälen noch beschädigen. Jeder Schaden, der ungeachtet der größten Vorsicht zugeführt wurde, mußte auf der Stelle vergütet werden.

Der Fürst war nicht nur gerecht ohne Ansehen der Person, sondern auch billig; daher kam es, daß er nicht bloß wohlerworbene Rechte, sondern selbst bestehende Verhältnisse nicht verletzte; wenn sie, ohne aus Unfug entstanden [48] zu seyn, oder dahin auszuarten, auf die Schonung der Huld vertrauten.

Dafür belohnte ihn auch die allgemeine, herzliche Liebe seines ganzen Volkes, die sich mehr in stillen Segnungen als in Adressenphrasen und Klinggedichten zu erkennen gab.

Wagner wurde dem Fürsten vom Bürgermeister vor dem Hochamte vorgestellt, und von Seiner Durchlaucht mit dem größten Wohlwollen aufgenommen.

An diesem Morgen feierte der lang verkannte und so ungerecht zurückgesetzte Wagner über alle seine Neider und Feinde den entschiedensten Triumph der Kunst durch sein herrliches Orgelspiel. DerFürst verwendete, vom Oratorium aus, keinen Augenblick die Augen von der Emporkirche, und versicherte seine Umgebung, daß er selbst auf seinen weiten Reisen nie einen so trefflichen Organisten gehört habe, und daß es ihm sehr auffallend sey, unter den Vorschlägen zur Besetzung erledigter Cantorsstellen niemals Wagners Namen gelesen zu haben.

Nach dem Hochamte überhäufte der Fürst denselben mit Lobsprüchen in Gegenwart aller obrigkeitlichen Vorstände des Städtchens, und versprach, indem er in den Wagen stieg, unverzüglich für ihn zu sorgen.

Die Hauptstadt lag nur vier Poststunden von dem Städtchen entfernt; am andern Morgen hielt schon ein Kammerreiter Seiner Durchlaucht vor Wagners Wohnung, [49] und überbrachte ihm ein in den gnädigsten Ausdrücken verfaßtes Patent als erster Hoforganist an der Residenzkirche mit einem lebenslänglichen, anständigen Gehalte.

Nun war sein Glück gemacht. Er bezog bald darauf eine freie Wohnung in der fürstlichen Residenz, und gründete dort eine Singschule, aus welcher im Laufe der Jahre unsere Rosa als eine der ersten Sängerinnen ihres Jahrhunderts hervorging. Sie galt immer fürWagners Tochter, und war ein Wunder von Schönheit und Herzensgüte.

Da die Periode des Wechselns der Stimme glücklich vorüberging, hielt es Wagner für nöthig, zur Vollendung der Kunstausbildung sie in die Heimath des Gesanges, nach Italien, zu senden.

Der Fürst billigte diesen Vorschlag, und Rosa reisete mit ihren Pflegeältern, reichlich mit Geld versehen, nach Mailand, wo noch der berühmte Kapellmeister lebte, dessen Zögling einst Wagner gewesen war. In diesem Hause, unter der mütterlichen Aufsicht seiner tugendhaften Gattin, blieb Rosa nach einem schmerzlichen Abschiede von Wagner und Riekchen, die an den Hof zurückkehrten. Nach drei Monaten eines sorgfältigen Unterrichts tratRosa als Rosine im Barbier von Sevilla von Rossini auf dem großen Theater von Mai land auf.

Diese Oper wurde damals in Mailand gerade zum [50] erstenmale gegeben, und Rosa wirkte durch Gestalt, Stimme und Spiel solche Wunder, daß die Oper neun und dreißigmal nach einander bei verdoppelten Eintrittspreisen und gedrängt vollem Hause zur Darstellung kam. Rossini, welcher in den ersten drei Abenden selbst das Orchester dirigirte, war so außer sich vor Entzücken, daß er einmal bald den Takt verloren hätte; er war es, der sie damals zuerst als die Muse des Gesanges begrüßte.

Um meine Leser nicht mit einer ausführlichen Aufzählung von Rosa's glänzenden Siegen auf dem Felde der Kunst zu ermüden, muß ich mir erlauben, sie auf das Büchlein: »Rosa's Triumphe,« hinzuweisen, worin sie die befriedigendste Darstellung finden werden.

Hätte es jene zahllosen Sonette geregnet, die auf sie gedichtet, geschrieben und gedruckt wurden, so würden wohl die Flüsse Tessino und Adda, zwischen welchen Mailand auf einer schönen Ebene liegt, aus ihren Ufern getreten seyn. Man muß die Wahnsinnsstufe italienischer Begeisterung für die Gesangeskunst kennen, um einen solchen Vergleich wenigstens nicht für eine lächerliche Uebertreibung zu halten. In kurzer Zeit trafen von den Hauptstädten von Europa die lockendsten Einladungen zu Gastrollen, oder zu lebenslänglichen Anstellungen unter den vortheilhaftesten Bedingungen ein, die man ihr gänzlich freistellte. Der Ruf ihres Ruhmes war bereits in alle Länder gedrungen.

[51] In Begleitung einer alten Schwester des Kapellmeisters, die ihr als Duenna oder Keuschheitswächterin beigegeben war, ging Rosa zuerst nach Neapel, wiederholte dort die Triumphe von Mailand, und schlug die Hand eines Herzogs aus, »um nicht,« wie sie in der schriftlichen Rückäußerung sagte, »nach den Flitterwochen in das Conservatorio in Mailand zurückkehren zu müssen.«

Sie verstand unter dem Conservatorio eine dort bestehende milde Stiftung für unglücklich verheirathete Frauen, eine Anstalt, deren Nachahmung wohl in allen Ländern eben so nothwendig als nützlich wäre.

Von Neapel ging Rosa nach Paris, wo die lästige Duenna schon in der ersten Woche ihrer Ankunft daselbst, in Folge eines Entzündungsfiebers, die ewige Reise antrat.

Die Verlassene, von Prinzen vom Geblüte und von den ersten Reichsmarschällen, so wie von Millionären aus dem Bürgerstande umschwärmt, wählte sich bald eine freundlichere Umgebung, dieselbe, womit wir sie in die Hauptstadt des Fürsten zurückkehren sahen, nachdem sie noch London, wo der König sie an der Hand zur Tafel führte, und Berlin und Wien besucht, und mit den Wundern ihrer Kunst und Reize bezaubert hatte.

Ihre Abentheuer in diesen vier Städten, mit einigen Zugaben aus Mailand und Neapel, Madrid und Lissabon, hoffe ich im Gange der Erzählung meinen verehrlichen [52] Lesern und schönen Leserinnen noch ausführlich mittheilen zu können, wobei ich auch das Büchlein: »Rosa's Gardinenseufzer,« benützen werde, jedoch ohne die boshaften Verläumdungen, von welchen es strotzet, im mindesten zu berücksichtigen.

Indem ich dieser langen aber nothwendigen Abschweifung wegen demüthig um Verzeihung bitte, schwing' ich mich wieder auf den Pegasus, und treibe das feurige Flügelroß zur Eile, um unsere schöneRosa noch vor den Thoren der Hauptstadt einzuholen, die zum festlichen Empfange der großen Sängerin in voller Bewegung war.

Rosa's neue Triumphe
Rosa's neue Triumphe.

Unter diesem Titel könnte ich füglich eine Fortsetzung jenes früher genannten, so einträglichen Büchleins herausgeben, wenn ich es nicht vorzöge, meinen eigenen Weg zu wandeln, und die Memoiren der schönen Rosa der Lesewelt in ungetrennter Vollständigkeit mitzutheilen.

In einem Salon des ersten Gasthofes der Hauptstadt, worin Rosa abstieg, wurde sie von sämmtlichen festlich gekleideten Damen des Schauspieles, dann der deutschen und italienischen Oper empfangen.

Rosa fühlte sich von dieser großen Aufmerksamkeit [53] überrascht und gerührt, und dankte auf die verbindlichste Weise, mit der Bitte, sie bei der Abendtafel mit ihrer Gegenwart zu beehren. Sie benahm sich dabei so ungezwungen, so ganz natürlich, lehnte verdientes Lob und Schmeicheleien so bescheiden ab, indem sie ja doch nur der Natur diese Gabe des Gesanges verdanke, daß selbst mißgünstige Herzen, die Groll und Neid im Innern brachten, mit so außerordentlichen Vorzügen ausgesöhnt wurden, und wenigstens nicht als Feindinnen schieden, wenn sie auch nicht gleich auf der Stelle die Höhe der Freundschaft zu erreichen vermochten.

Der Fürst ließ sie durch einen Kammerherrn bewill, kommen, eine Auszeichnung, die wohl selten einer Künstlerin begegnen mag.

Auch Rosa's Pflegeeltern, Wagner undRiekchen besuchten sie. Rosa zerfloß in Thränen an ihrem Halse; noch wußte sie nicht, daß sie ein Findling und das Kind unbekannter Eltern sey. Doch dieser Umstand, hätte sie ihn auch gekannt, würde ihren Empfindungen keine andere Richtung gegeben haben; ihr Herz war zu edelmüthig, um den Ausdruck der Dankbarkeit vom Spiele des Zufalls bestimmen zu lassen.

Mit unnennbarer Freude vernahm sie das ungestörte Wohlergehen ihrer Pflegeeltern, und erkundigte sich nach ihrem lieben Bruder Fritz, der oft mit ihr auf dem [54] Chore gesungen hatte, und nach ihren beiden Schwestern Antonie und Klara.

Die beiden Mädchen waren glücklich vermählt, an wackere, vermögliche Männer; Fritz galt bei der deutschen Oper für den besten Tenor, und bei den Damen für den schönsten Jüngling in der ganzen Stadt. Er befand sich bei dem männlichen Personen, an dessen Spitze der Vorstand des Theaters sie vor wenigen Stunden vor dem Försterhause empfangen hatte, wußte aber aus Schüchternheit ihrem Blicke sich zu entziehen. Heute Abend sollte er die Rolle des Grafen, ihres Liebhabers, spielen.

Wagner hielt es für unpassend, der Rosa noch länger das Geheimniß ihrer Abkunft zu verhehlen; diese unerwartete Eröffnung machte einen tiefen Eindruck auf sie.

»Wahrscheinlich werde ich meine Eltern wohl nie mehr kennen lernen,« – seufzte sie, – »o so bleibt doch ihr meine Eltern, wie ihr es bisher wart; meine kindliche Liebe soll euch stets beweisen, daß ich es wenigstens würdig war, eure rechte Tochter zu seyn!«

Kaum waren Wagner und Riekchen fort, als Rosa folgenden Brief an den Bürgermeister zu M** schrieb:


[55] Herr Bürgermeister!


»In der Anlage übersende ich Ihnen ein Geschenk für das dortige Findelhaus von 3000 Gulden in holländischen Dukaten als einen Beitrag zur Verpflegung der Kinder, welchen dieses traurige Loos beschieden ist, und bitte Sie, meiner besondern Hochachtung versichert zu seyn.

Rosa


Nachschrift.


»Ich zähle auf Ihre Verschwiegenheit.«


Rosa fertigte sogleich eine Staffette mit diesem Geschenke ab; der Bürgermeister fühlte sich durch diese Zuschrift der berühmtesten Sängerin so geehrt, und durch das bedeutende Geschenk für die kark dotirte Anstalt so erfreut, daß er diese Neuigkeit wenigstens seiner Ehehälfte mittheilen mußte, was wohl eben so viel hieß, als eine Einrückung in ein öffentliches Blatt, denn die Frau Bürgermeisterin war das noch ungedruckte lebendige Manuscript aller Ortsneuigkeiten, und so war denn der Eilbote sogleich die erste Person, welche die Sache erfahren mußte, um so mehr, da seine unverzügliche Rückkehr in die Hauptstadt zur schnellen Verbreitung der Neuigkeit daselbst das Meiste beitragen konnte, während der Herr Gemahl die Empfangsbestätigung in Gegenwart von zwei eiligst herbeigerufenen Rathsherrn niederschrieb.

Dieser edle Zug ihres Herzens ist zwar der erste,[56] der uns in Rosa's Geschichte begegnet, aber bei weitem nicht der letzte, wir werden noch öfter manche schöne Proben ihres tieffühlenden Gemüths bewundern, die vielleicht das ihr angeschuldigte überspannte Streben nach Reichthum auf eine schickliche Weise rechtfertigen dürften.

Rosa fuhr in die Residenz, um sich der fürstlichen Familie vorstellen zu lassen. Sie trug ein einfaches, obgleich der Würde des Augenblickes genügendes Gewand, das sie dem Flitterstaate von Paris vorzog, um durch diese Bescheidenheit das Herz der Fürstin zu gewinnen, die vielleicht, von den Gerüchten ihrer Eitelkeit verleitet, eine Putznärrin erwartete, gleich jenen Theaterprinzessinnen, die bei solchen Gelegenheiten mit allen ihren Prunksachen sich behängen, wie eine bunte Trödelbude.

Am Hofe hatten Rosa's Gardinenseufzer die Meinung begünstiget, sie werde die guten Lehren, die fromme Erziehung im Hause ihrer Pflegeeltern im Strudel der großen Welt vergessen, und einem unsittlichen Modeleben gefröhnt haben, sohin als eine Opernnymphe in die deutsche Heimath zurückkehren, die mit den Parisertoilettekünsten die Schmach des Verfalles ihrer jugendlichen Reize übertünchen müsse.

Um so größer war das Erstaunen des fürstlichen Paares, als das vollkommene Bild der schönsten Jungfrau in der schwellenden Blüthe des Lebens vor ihnen stand. Unentweihte Unschuld lächelte aus den ätherklaren seelenvollen [57] Augen, und keine lüsterne Lippe schien noch den zarten Schmelz ihrer Rosenwangen geschwächt zu haben.

Der Fürst küßte sie auf die Stirne, die Fürstin und die Erbprinzessin auf die Wangen, eine Auszeichnung, die weniger der Künstlerin, als dem Mädchen selbst galt, welche der Fürst in Folge der für ihre Erziehung verwendeten Summen als sein Pflegekind betrachten konnte.

Rosa mußte eine flüchtige Skizze ihres Lebens in den fremden Ländern entwerfen, und that dieß mit aller Bescheidenheit. Sie verhehlte auch nicht die Verunglimpfungen ihrer Ehre, und bedauerte nur, mit Thränen in den Augen, daß selbst die gewissenhafteste Sorge für die unverletzte Bewahrung ihres guten Rufes nicht vermocht habe, sie vor den schnöden Angriffen der Verläumdung zu schützen.

Der Fürst tröstete sie mit der Bemerkung, daß die reine Tugend ein Demantschild des Himmels sey, auf dessen Fläche alle Pfeile der Mißgunst machtlos abgleiten.

Mit der Versicherung der vollen fürstlichen Gnade wurde Rosa entlassen, und als sie zuletzt der Erbprinzessin die Hand küßte, flüsterte ihr diese leise zu: »Rosa, ich bitte dich um Deine Freundschaft!«

Der Erbprinz war nicht am Hofe anwesend. Er lebte auf seinem Jagdschlosse, einige Meilen von der Residenz, in ländlicher Einsamkeit den Musen, und folgte mit geistvollem Blicke dem Gange der Staatsregierung, [58] um dereinst als ein geübter Steuermann das Ruder ergreifen zu können, wenn nach dem Laufe der Natur ihn die Gesetze des Reiches zum Herrschen rufen sollten.

Manche Mißbräuche in der Verwaltung, dem alternden Fürsten von eigennützigen Ministern und schlauen Höflingen verhehlt, drückten das Land; er hielt es für eine heilige Pflicht, dem Vater die Augen zu öffnen, jedoch mit jener zarten Schonung, die er als Erbprinz und Sohn dem Fürsten undVater schuldig war. Da dieser jedoch nur mehr mit den Augen seiner ersten Hof- und Staatsbeamten sah, so war sein erhabenes Streben, für das Beste des Volkes zu wirken, eine vergebliche. Mühe; der Fürst verschwieg den Ministern die Schritte des Sohnes zu ihrer Entfernung nicht, und der Bund der Schuldigen hielt es für dringend, durch einen entscheidenden Schlag den Erbprinzen vom Fürsten und den Sohn vom Herzendes Vaters, wo möglich auf immer, zu trennen.

Die Ränke dieser Menschen waren um einen passenden Plan nicht verlegen; die Intrigue sollte jedoch ihren Erfindern den Schein der treuesten, um die Ehre des Fürsten, und um das Wohl der Unterthanen pflichtmäßig besorgte Diener bewahren.

Sie stellten also in einer ausführlichen Denkschrift dem Fürsten die Nothwendigkeit der Vermählung des Erbprinzen mit der *** Prinzessin vor, gegen welche dieser schon in früherer Zeit eine unüberwindliche Abneigung geäußert [59] hatte. Politische Combinationen waren das Steckenpferd des Fürsten, daher wurde vorzüglich diese schwache Seite hervorgehoben, und mit der freudigen Aussicht auf eine künftige Erbverbrüderung geliebkoset.

Der Erbprinz Eduard hatte seinen Geschmack noch nicht geändert, und erklärte geradezu, daß er die Nothwendigkeit keineswegs einsehe, ein Staatsopfer für chimärische Entwürfe zu werden. Diese schriftliche Erklärung an seinen Vater war der düstere Rahmen eines schreienden Gemäldes von der Art und Weise, wie das Vertrauen der Fürsten von seinen ersten Dienern gemißbraucht werde.

Anstatt nun im Stillen nach Erforschung der Wahrheit der Anschuldigungspunkte zu streben, oder diese eigene Bemerkungen aufzustellen, übergab er den Ministern diese furchtbare Anklage in der Urschrift zur strengsten Verantwortung.

Diese ließen sich von den dienstwilligen Vorständen der treffenden Stellen Berichte erstatten, wie sie nöthig waren, stellten sie in einer Hauptverantwortung künstlich zusammen, beriefen sich auf die bewährte Treue einer vieljährigen Dienstzeit, und schlossen endlich mit der gleißnerischen Ausbeugung: »daß sie weit entfernt seyen, diese Anklage für eine unbefangene Ueberzeugung des Erbprinzen zu halten, sondern vielmehr für eine von der italienischen Sängerin Chiaretti angesponnene Intrigue, um die Vermählung desselben durch den Zwist des Fürstenhauses zu vereiteln.«

[60] Der Fürst gab nun den scheinbar Gerechtfertigten eine öffentliche Genugthuung, indem er jedem eine Ordensrangerhöhung verlieh, dem Erbprinzen aber bedeuten ließ, sich ferner nicht mehr in die Staatsgeschäfte zu mischen, und die Residenz nur mit der Erklärung seines Entschlußes zur Vermählung mit der *** Prinzessin wieder zu besuchen.

Gerne hätten die Minister auch an der Chiaretti sich gerächt, und sie unter irgend einem Vorwande vom Erbprinzen getrennt, dessen Geliebte, oder wie es hieß, auf die linke Hand Getraute, sie seit mehreren Jahren war; sie besaß jedoch das Indigenat, und konnte ohne auffallende Verletzung der bestehenden Verordnungen nicht beunruhigt werden. In jedem Falle mußten es ganz ungewöhnliche Eigenschaften seyn, die einen Prinzen eine so lange Zeit hindurch zu fesseln vermochten.

Um 6 Uhr sollte das Theater beginnen, und seit 3 Uhr waren die Eingänge schon förmlich belagert. Jedermann wünschte die große Sängerin zu hören, welche von Kennern an Wohllaut der Stimme und Kunst des Vortrages, hoch über die vielgepriesene Catalani gestellt wurde, obgleich diese zu jener Zeit noch von der Glorie ihres Weltruhmes umstrahlet war. Der ganze Hof war anwesend im festlich beleuchteten Hause. In allen Logen prangten geschmückte Damen, denen die ersten Hof- und Staatsbeamten sorgfältig die Cour machten. Fragte nun eine von diesen geputzten Drahtpuppen ihren Nachbar: »Haben Sie [61] das Mädchen, die Rosa, schon gesehen? Wie sieht sie aus? Ist sie hübsch?« so konnte der Unbefangene sich an der ausweichenden gespreizten Antwort herzlich ergötzen. Außer dem Kammerherrn, durch den der Fürst sie hatte begrüßen lassen, konnte noch keiner von diesen vornehmen Herrn sich rühmen, sie gesehen zu haben. Wer die Natur des weiblichen Geschlechtes kennt, wird wissen, daß die Damen durch nichts so sehr mißgestimmt werden, als durch das Lob einer weiblichen Schönheit außer ihnen. Alle andern verdienstlichen Seeleneigenschaften vergönnen sie ihren Mitschwestern lieber, als körperliche Reize, und selbst dieAlten geben die Behauptung des Alleinbesitzes derselben nicht auf, und sollten sie auch zu ihrer eigenen größten Beschämung dadurch an einen Bankerott erinnern, der allenfalls aus einem Alleinhandel in der Jugend entstanden war.

Rosa hatte zur ersten Rolle die Rosine im Barbier von Sevilla gewählt, worin sie in Mailand zum erstenmale auf der Bühne erschienen war.

Unter den komischen Opern mögen wenige sein, die einer Künstlerin eine so glänzende Rolle bieten, als diese; die Sängerin und Schauspielerin kann als Rosine den ganzen Reichthum des Gesanges, der Mimik, des Spiels entwickeln, und mit diesen Vorzügen eines glänzenden Sieges gewiß seyn.

Die Stille einer Ahnengruft herrschte im vollen Hause, [62] als der Moment erschien, wo sie aus der Seitenthüre treten sollte; es war, als hörte man, ob des zurückgehaltenen Athems, die Pulse der gepreßten Herzen schlagen. Die Thüre ging auf; Rosa schwebte in einem zephyrleichten Pariserkostüme, nach dem neuesten Geschmacke, schön wie eine Huldgöttin, über die Bühne, und sogleich brach der Sturm des Jubels los, womit das begeisterte Haus den ersten Anblick der Hochgepriesenen feierte.

Die Kunstgärten der Hauptstadt hatten ihre köstlichsten Schätze gespendet zu den zahllosen Kränzen, die aus der Höhe und Tiefe zu Rosa's niedlichen Füßchen flogen, mit weißen Atlasbändern durchflochten, auf welchen südlich glühende Sonette gedruckt zu lesen waren. Um sie an Italiens eigenthümliche Sitte zu erinnern, regnete es aus den Logen das feinste Confekt auf die Bühne.

Obgleich an so stürmische Ehrenbezeugungen längst schon gewöhnt, fühlte sich Rosa doch von diesem schmeichelhaften Empfange so erschüttert, daß ihren zauberischen Augen die Perlen der Rührung entquollen.

Der Fürst theilte die allgemeine Begeisterung auf eine selbstthätige Weise, und es vergingen wohl zehn Minuten, bis Rosa, mitten im Jubel, die nöthige Fassung zum Vortrage der großen Arie gewann.

Der Gedanke, nun im lieben Vaterlande, in der Hauptstadt eines Fürsten, der mit väterlicher Güte für ihre Erziehung [63] und Kunstbildung gesorgt hatte, öffentliche Beweise von der Größe eines Talentes geben zu können, das man bisher nur aus den Correspondenznachrichten der besten Zeitschriften des Auslandes kannte, und in der Idee bewunderte, verlieh ihrem Gesange eine höhere Weibe, eine wundersame Vollendung, die alle ihre Siegesfeste der Vergangenheit übertraf.

Der nie ruhende Beifall unterbrach die Darstellung so oft, daß die Oper um eine volle Stunde später als gewöhnlich endete.

Fünfmal wurde sie während des Spieles gerufen, wiederholte mit der größten Bereitwilligkeit jede Nummer, und erschien noch einmal am Schlusse vor dem von einer dithyrambischen Wuth ergriffenen Publikum.

Kränze und Confekte flogen wieder, wie am Anfange; es schien, als wünsche sie ihren Dank in Worten auszudrücken; doch, anstatt zu sprechen, wendete sie ihr Antlitz, wie eine Himmelssonne, gegen die Loge des Fürsten, und sang, nach einer dreimaligen, tiefen Verneigung, mit ihrer Nachtigallenkehle das herzerhebende Volkslied:


»Heil unserm Fürsten, Heil! etc.«


in welches das Orchester einfiel, und das ganze Haus mit unendlichem Jubel einstimmte.

Auf dem Grabmale des berühmten OptikersFraunhofer, – auf dem Friedhofe zu München, – dessen allzufrüher Tod für die Kunst ein beklagenswerther Verlust [64] ist, liest man die treffenden Worte: »Approximavit sidera.« 1

An diesem Abende konnte man von Rosa füglich sagen: »Approximavit sideribus.« 2

Nun wurde sie noch einmal gerufen, und dankte mit den Worten:


»Ich danke Ihnen um so herzlicher für Ihren ausgezeichneten Beifall, als ich ihn für ein vollgültiges Zeugniß erachte, daß ich durch redliche Benützung der reichen Spenden unsers großmüthigen Für sten, des Wohlwollens meiner geliebten Pflegestadt mich nicht unwürdig bewährt habe.«


Diese Worte kamen aus einem bescheidenen und dankbaren Herzen, und fanden auch jene glänzende Anerkennung, die sie so sehr verdienten. Zwischen zwei Reihen von mehr als hundert brennenden Fackeln, die von kunstbegeisterten Jünglingen getragen wurden, fuhr Rosa langsam in den Gasthof zur festlichen Abendtafel zurück.

Fußnoten

1 »Er hat uns die Gestirne näher gebracht.«

2 »Sie hat uns den Sternen genähert.«

Das Nachtmahl des Ruhms und - der Liebe
[65] Das Nachtmahl des Ruhms und – der Liebe.

Kurz vor dem Beginnen der Oper war in demselben Gasthofe, welchen Rosa bewohnte, der *** Gesandte, Graf L****, abgestiegen, den sie auf ihrer Kunstreise von Berlin nach Wien in Karlsbad kennen gelernt hatte.

Von dem Wunsche beseelet, jene Hoffnungen mit einem glücklichen Erfolge gekrönt zu sehen, die er an dem genannten böhmischen Stapelplatze verschwiegener Genüsse im Sommer des vorigen Jahres gewagt hatte, besuchte er Rosa noch während der Darstellung auf der Bühne, und bat um die hohe Gunst, an diesem Abende ihr Gast seyn zu dürfen.

Mit welchen Augen der arme Fritz diesen Coulissenbesuch betrachtete, der als Theatergraf den wirklichen Grafen auf eine vertrauliche Weise mit Rosa sprechen, ja sogar ihr in die Ohren flüstern sah, mag sich jeder unglückliche Liebhaber gleichwohl selbst denken, und den widerlichen Anblick mit den grellsten Farben der Eifersucht ausmalen.

Die kühne Zudringlichkeit des Gesandten darf übrigens die Leser nicht befremden. Er kam gerade vonParis, wo eben eine französische Uebersetzung von Rosa's Gardinenseufzern Furor machte die mit auserlesenen neuen Abenteuern die Klatschsucht reichlich fütterte. Der berüchtigte [66] Tarif der Liebe war ihm bekannt; er glaubte also mit Recht, aller unnöthigen Zartheit und girrenden Bewerbung gänzlich überhoben, und nur auf die Bezeichnung der Tarifsnummer angewiesen zu seyn, wornach er seine Wünsche erfüllet wissen wolle.

»Darf ich um eine Stunde bitten?« fragte derGesandte.

»Welche ist Ihnen gefällig?« erwiederte Rosa die Frage mit der größten Unbefangenheit.

»Vor Mitternacht wird es wohl nicht füglich seyn können; ich dächte also von 2 bis 3 Uhr nach Mitternacht.«

»Einverstanden! der Preis ist Ihnen bekannt?«

»Ja; wäre nicht eine Minderung zu vermitteln?«

»Sie scherzen, Herr Graf, Sie werden doch um den Preis nicht markten wollen!«

Der Inspizient gab das Zeichen, und Rosa verließ den Käufer.

An der langen, hufeisenförmigen Tafel saßen de geladenen Herren und Damen, und ließen sich's weidlich schmecken. Rosa blieb nicht auf ihrem Stuhle, sondern ging die Reihen entlang, mit Jedem und Jeder freundliche Worte wechselnd.

Sie hatte ihren Platz am untern Ende der Tafel, zwischen ihren beiden Gesellschaftsfräulein gewählt, welche sie umgaben, wie Trabanten eine Sonne.

Eine rauschende Tafelmusik im nahen, hellbeleuchteten [67] Tanzsalon verbreitete die heiterste Stimmung, und wenn bisweilen ein lockender Walzer ertönte, schlich manches Pärchen von der Tafel weg, um die Wonne zu genießen, Arm in Arm, Herz an Herz, dahin zu schweben, und in seligen Träumen sich zu wiegen.

Der Walzer ist ein verruchter Tanz, und mit Recht nennen ihn die strengen Moralisten sündhaft. Die Gewohnheit macht leider gegen Manches blind, was selbst Blinde schon in der Erzählung finden könnten. Walzen heißt der Sinnlichkeit vorsätzlich alle Thore und Thüren öffnen, und wer ein liebes Weibchen oder hübsches Töchterlein mit Andern walzen läßt, dem legt der Teufel in kurzer Zeit ein Ei in die Wirthschaft.

Erforschen Sie einmal aufrichtig ihr Gewissen, meine verehrten Leser, was Sie denn im Alter von 20 bis 30 Jahren gefühlt haben, oder noch fühlen, wenn eine üppige Schöne in Ihren Armen durch den weiten Raum des Saales walzte, wenn ihre Augen eine gesteigerte Gluth sprühten, der lilienweise Busen wie eine Springfluth wogte, und das gejagte Blut durch alle Adern tobte?

Die Weiber fühlen auch, und wohl nicht minder tief und heftig, als die Männer, und sind ihre Leidenschaften bis zu Wünschen gediehen, so bedarf es nur einer Gelegenheit, sie erfüllen zu können, und wer sucht, der findet. Hierin nämlich in der Ausmittlung einer Gelegenheit, sind die Weiber ganz besonders sinnreich, und uns [68] Männern bei weitem überlegen, die wir uns oft in den meisten Fällen gar nicht zu helfen wissen. Der weiblichen Schlauheit in Liebes-Intriguen verdanken wir die geistvollsten galanten Novellen der Italiener und Spanier, die denn doch immer die Meister in der Liebe bleiben, was man auch von den Franzosen in diesem Punkte rühmen mag.

Sie wissen nun, daß die walzenden Damen eben solche Gedanken unter ihren verführerischen Locken brüten, als Sie, meine verehrten Leser, und Ihre Gedanken will ich aus Diskretion nicht an das Licht der Oeffentlichkeit ziehen, obwohl ich es könnte, denn Ihre Gedanken werden auf ein Haar den meinigen gleichen. Folgen Sie also meinem wohlgemeinten Rathe, meine Herren, und lassen Sie Ihre Frauen nie walzen, und Ihre Töchter nur mit den Bräutigamen derselben, wenn diese schwach genug sind, nicht nach Ihrer klügern Vorsicht zu handeln.

Da sitzt oft so ein alter, gichtbrüchiger, oder ein junger, bequemer Ehegemahl in einem Seitenzimmer des Tanzsaales am Schachbrette, und gibt seinem Gegner triumphirend ein Matt, während indeß, durch eine wundersame Sympathie, zwischen seiner tanzenden Gattin oder Tochter und ihrem Tänzer ein ähnliches Spiel, mit gleichem Ausgange, verabredet, oder auf einem schicklichen Spielplatze bereits gespielt wird.

Wohl kann ich es mir nicht verhehlen, daß ich durch [69] den guten Rath des Walzerverbotes alle liebenswürdigen Tänzerinnen mir zu Feindinnen gemacht habe; allein der Wahrheit wegen will ich gerne leiden, ohne deßwegen der schönen Hoffnung zu entsagen, die Zürnenden durch meine übrigen guten Eigenschaften wieder vollkommen zu versöhnen. Ich habe ja nur von der gefährlichen Natur der Walzer gesprochen, unter welchen übrigens die sogenanntenSehnsuchts- und qualifizirten Schwindsuchtswalzer den mißvergnügten Ehemännern als ein lustiges Hausmittel gegen weibliche Tyrannei sehr zu empfehlen sind, obgleich ich jeden Ballbesuch an und für sich mit den wichtigsten Gründen hätte mißrathen können, doch der Baum fällt nicht aufeinen Streich!

Der gefürchtetste unter den Recensenten der Hauptstadt, Namens Hetzer, nahte sich der FestgeberinRosa, als sie eben auf einem Balkone sinnend in die lichte Sternennacht hinausschaute, und überreichte ihr ein Taschenbuch mit den Worten: »Schöne Rosa, die Verhältnisse unserer Bühne sind Ihnen gänzlich unbekannt. Sie kennen eben so wenig den Charakter des Vorstandes der Bühne, als der Künstler und Künstlerinnen, in deren Umgebung Sie vielleicht längere Zeit wirken werden. Es kann Ihnen daher eine Enthüllung aller dieser Geheimnisse, der reinsten Wahrheit getreu, nur sehr angenehm seyn. In diesem Taschenbuche finden Sie eine Denkschrift, die Ihnen über das Verborgenste den befriedigendsten Aufschluß gibt; ich habe sie verfaßt, um Ihnen [70] damit einen kleinen Beweis meiner Theilnahme und Verehrung zu geben, und auf eigene, vieljährige Beobachtungen und Erfahrungen, so wie auf erwieseneThatsachen gestützt. Ihr Charakter ist mir Bürge genug, daß eine Bitte um Diskretion wohl überflüssig seyn dürfte.«

Rosa nahm mit dem lebhaftesten Danke das Taschenbuch, versicherte ihn ihrer vollen Erkenntlichkeit, und verschloß es sogleich in eine Schatulle, um in den nächsten Morgenstunden sich mit dem Inhalte desselben vertraut zu machen.

Ueberraschung
Ueberraschung.

Plötzlich rauschten die Flügel der Mittelthüre des Speisesaales auf, und sechs männliche und sechs weibliche Genien, in ihrer Mitte vier Mohren, die einen großen Korb, in der Form eines geschlossenen Bienenkorbes trugen, traten in den Saal, und führten vor Rosa einen Huldigungstanz nach dem Takte ihrer Handtrommeln aus, accompagnirt von den Rohrpfeifen der Mohren.

Diese berührten, nach dem Schlusse des Tanzes, den Boden mit ihren Stirnen, gleichsam als Sklaven, während die Genien den Korb öffneten, und aus diesem ein für Rosa bestimmtes Prachtgeschenk nahmen, bestehend aus [71] einem großen Käfige, geflochten aus Draht vom feinsten, gediegenen Golde, der kostbare Kerker einer Nachtigall, die sich schüchtern und geblendet von dem Glanze zahlloser Wachskerzen, in eine Ecke duckte. Oben auf dem breiten, flachen Ringe, der zur Handhabe dient, standen aus farbigen Edelsteinen gebildet die Worte:


»Du beschämst sie!«


Selbst in der an täglich neuen Erfindungen so überaus sinnreichen Stadt Paris, war keiner von ihren begeisterten Anbetern auf eine so originelle Huldigung verfallen, wovon Rosa, obgleich durch Vergötterungen aller Art schon längst verwöhnt, dennoch auf eine sehr angenehme Weise überrascht wurde. Sie entließ die Genien und Mohren, welche den Zeig- und Mittelfinger auf die Lippen legten, wenn man sie um den Namen ihres Gebieters fragte, reichlich beschenkt, und empfing nun die Lobpreisungen der beschauenden Gäste mit innerlichem Wohlbehagen.

Vergebens zerbrach sie sich den Kopf, wer wohl der galante Sender dieses prächtigen Geschenkes seyn könne. Nur der Fürst, meinte sie, könne ihr diesen großen Beweis seiner Huld vorbereitet haben, denn der Käfig konnte nicht im nächsten Kaufmannsgewölbe auf gut Glück einen Käufer erwartet haben; gegen diese Vermuthung sprach der überaus hohe Werth desselben, und die geringe Wahrscheinlichkeit eines Absatzes.

Niemand war dieses prächtige Geschenk weniger angenehm, [72] als dem Gesandten, der wie ein Geier sein schönes Lämmchen umkreisete, fürchtend, es möchte der unbekannte Geber ihm noch die sichere Beute entreißen.

Sein eifersüchtig spähendes Auge entdeckte auf dem Pförtlein des Käfiges die Worte eingegraben:


»Ewig Die Unübertrefflich Anmuthsvolle Reizende Dame!«


Den inneren Aerger bekämpfend, wies er Rosa diese Worte mit der Betheuerung, daß sie ihm aus dem Herzen geschrieben seyen.

»Liebchen, die Stunde naht,« – flüsterte er ihr bald darauf zu, – »wie kannst Du auf eine schickliche Weise Dich aus der Gesellschaft entfernen?«

»Nichts leichter als dieß,« erwiederte Rosa; »die Idee ist uns schon von den Genien und Mohren gegeben worden, wir dürfen sie also nur benützen. Veranstalten Sie schnell eine Maskerade; der Vorstand der Bühne wird der Gesellschaft gerne auf einige Stündchen die Plünderung seiner Garderobe erlauben; sprechen sie mit ihm. In meinem Kabinete hab' ich eine Auswahl von Kostümen. Ich will als Ninette in der diebischen Elster erscheinen; man sagt, dieses Kostüm kleide mich allerliebst. Einige Minuten treib ich im Gewühle mich herum; lassen Sie mich nicht aus den Augen; hinter den Sitzen der Musiker führt eine Tapetenthüre in den Korridor, und von dort auf mein Zimmer. [73] Wir werden belauscht werden; ich empfehle Ihnen das strengste Schweigen! Nun schnell an's Werk!«

»Göttin!« rief der Gesandte halblaut, und flog zum Vorstande der Bühne.

Dieser wollte das Vergnügen der Gesellschaft nicht stören, und hoffte durch seine Bereitwilligkeit sichRosa verbindlich zu machen, indem er zur Erhöhung der gesellschaftlichen Unterhaltung beitrug. DerGesandte spendete Geld mit vollen Händen an die Garderobediener des Theaters, und so war in einer halben Stunde bereits eine gewaltige Ladung vollständiger Anzüge im Gasthofe. Die Damen erhielten zur Umkleidung ein eigenes Zimmer, und benützten es sogleich zur Vermummung, wovon man sich einen köstlichen Spaß versprach.

Rosa sah als Ninette so wunderschön aus, daß sie sogleich von Jedermann erkannt wurde; denn es war nicht wohl möglich, daß irgend eine Dame mit dieser holdseligen Gestalt wetteifern konnte. Sie mengte sich in das Gewühl, und ergötzte sich nicht wenig an den Anstrengungen der galanten Herren, ihr die auserlesensten Schmeicheleien zu sagen. DerGesandte trollte ihr als Doktor Bartolo in einiger Entfernung nach.

Der Gott Saturn kam ihr mit der Sense, den Flügeln und dem Stundenglase in der Hand entgegen.

»Du bist ein trauriger Mahner an die Vergänglichkeit [74] der irdischen Güter,« sprach ihn Rosa an: »bringe mir ja keine böse Stunde!«

»Hüte Dich nur vor der zweiten Stunde nach Mitternacht!« erwiederte eine dumpfe Stimme. Rosa verbarg mühsam ihre Bestürzung unter einem erkünstelten Lachen, und wandte sich ab von der unheimlichen Gestalt.

Da faßte sie plötzlich ein reich gekleideter Don Juan rückwärts um die Mitte des Leibes, neigte sich über ihre Schulter und trällerte die Melodie des Liedchens aus Mozarts Don Juan: »Findest Du ein Mädchen auf offener Straße« etc. im sonoren Bariton.

»Um Verzeihung,« versetzte Rosa scherzend, »ich bin kein Mädchen auf offener Straße, sondern auf dem Balle; Sie müssen also schon so gefällig sein, sich ein anderes Liedchen oder ein anderes Mädchen zu wählen!« Mit diesen Worten entschlüpfte sie dem kühnen Mädchenjäger.

In diesem Augenblicke schlug es 2 Uhr auf der unter der Orchestergallerie angebrachten Uhr.

»Zeit ist's!« flüsterte ihr der Gesandte zu.

»Folgen Sie mir!« war Rosa's Antwort.

Rosa wendete sich auf Umwegen zur Tapetenthüre, und riß sie hastig auf; da stand drohend der alteSaturn vor ihr.

»Geh nicht!« rief er ihr feierlich zu, und schritt an der Schweigenden vorüber in den Saal.

[75] Rosa ging aber doch, und gleich darauf der Gesandte als Doktor Bartolo.

Wehmüthig lehnte sich Saturn an eine nahe Marmorsäule des Saales, und seufzte: »Arme Rosa, wie tief bist Du gefallen!«

»Du irrst Dich, Gott der Zeit!« lispelte eine süße Stimme, und eine weiche Hand ruhte vertraulich auf seiner Schulter.

Rosa war's, die eben wieder die Tapetenthüre schloß, den mürrischen Saturn und den lebenslustigen Don Juan bei den Armen faßte, und mit Beiden auf einem Erkertische unter allerlei neckenden Plaudereien warme Limonade trank.

Die Geheimnisse des Taschenbuches
Die Geheimnisse des Taschenbuches.

Zur Zeit, da Hetzer der Rosa seine Denkschrift über die innern Verhältnisse des Theaters der Hauptstadt übergab, hatte ich noch nicht das Vergnügen, mit Rosa persönlich bekannt zu seyn. Daß eine solche Denkschrift unter Gutgesinnten im Umlaufe sey, und den Wunsch zu einer dringend nöthigen Reform immer allgemeiner mache, las ich in Journalen, und hörte ich von jedem Bühnenfreunde. Der NameHetzer kam mir so bekannt vor, als hätte ich [76] ihn schon vor vielen, vielen Jahren häufig ausgesprochen, und nur im bunten Wechsel der Ereignisse des Lebens in den Hintergrund gestellt. Nun fand ich in meinem Tagebuche, daß wir Beide zur Zeit unserer Vorbereitungsstudien die spanische und englische Sprache miteinander erlernt hatten, erneuerte durch einen Brief unsere Jugendfreundschaft, und bat ihn um eine Abschrift jener Denkschrift unter Zusicherung der unbedingtesten Diskretion.

Acht Tage darauf erhielt ich durch die Post, was ich wünschte. Im Begleitungsbriefe drückte Hetzer seine herzliche Freude darüber aus, daß ich seiner mich noch erinnere, und erlaubte mir, im Falle ich nach meiner Aeußerung Mittheilungen aus Rosa's Memoiren schreiben sollte, von seiner Denkschrift nach Belieben Gebrauch zu machen.

Damals war Hetzer einer der ausgezeichnetsten Assistenten an dem allgemeinen Krankenhause der Hauptstadt, konnte jedoch durchaus nicht zum praktischen Arzte vorrücken, weil er sich durch offene Wahrheitsliebe in seinem literarischen Wirken, durch schneidende Rügen bestehender Mißbräuche, als Korrespondent der besten Zeitschriften des In- und Auslandes, mächtige Feinde zugezogen hatte.

Hetzer besaß noch einiges Privatvermögen, den Rest dessen, was er aus dem Studienleben gerettet hatte, und beschloß, damit eine Reise über Wien nach Italien, zur ferneren Ausbildung, zu machen. Er führte diesen Entschluß aus, als eben die öffentlichen Zeitungen den nachher [77] so berühmten Kongreß von Verona besprachen, und kam in der Nähe dieser Stadt an, als gerade die Landstraßen durch das Herbeiströmen von Neugierigen eine seltene Lebhaftigkeit gewannen.

Eines Mittags saß er eben bei einem frugalen Mahle in einer einsamen Bergschenke, einige Meilen von Verona, als ein prächtiger Reisewagen vor der Thüre hielt, aus welchem zwei Bediente eine ältliche, aber noch hübsche Dame hoben, und in die Schenke trugen. Weinend folgten zwei Kammerfrauen. Die Dame war erkrankt, und unfähig, weiter gebracht zu werden.

Mit den im Wagen vorräthigen, mit Eiderdunen gefüllten Kissen, wurde sogleich ein bequemes Lager für die Dame in der Schlafkammer der Wirthin bereitet; doch nun fehlte die Hauptsache: ärztliche Hülfe, und daß diese dringend sey, bezeugte die schmerzerpreßte Klage der Kranken, welche, wie ihre Umgebung, französisch sprach.

Hetzer gab sich als einen deutschen Arzt zu erkennen, und bot der Dame seine Hülfe an, die auch mit dem größten Danke angenommen wurde. Während er dem Bedienten auftrug, mit einem Recepte schnell in die Stadt zu sprengen, und die Arznei in einer Apotheke zu holen, ließ er der Dame tüchtig zur Ader, indem er gleich einsah, daß eine heftige Gedärmentzündung im Anzuge sey, und bereitete ihr aus seiner kleinen Reiseapotheke ein schmerzstillendes Mittel, worauf die Dame in einen tiefen Schlaf sank, aus [78] dem sie erst in den frühesten Stunden des nächsten Morgens, im frohen Vorgefühle naher Genesung, erwachte. In fünf Tagen war sie vollkommen hergestellt, und konnte ihre Reise nach Verona fortsetzen. Diese Dame war die Gemahlin des Obersthofmeisters Seiner Majestät des Kaisers Alexander.

Sie lud den Retter ihres Lebens ein, sie in ihrem Wagen nach Verona zu begleiten, und in ihrem Pallaste zu wohnen, so lange es ihm gefällig sey.

Hetzer nahm natürlich diesen Antrag an, als eine günstige Gelegenheit, den Grund zu seinem künftigen Glücke zu legen. Ein Geschenk von hundert Dukaten lehnte er jedoch standhaft ab, indem diese Krankheit, obgleich eine der gefährlichsten, die man kenne, dennoch durch die einfacheste Behandlung im glücklichen Falle so leicht zu haben sey, daß gewiß auch jeder andere Arzt sie gerettet haben würde.

Durch diese Bescheidenheit unterschied sich Hetzer sehr zu seinen Gunsten von jenen Aerzten, die einer Dame gegenüber ohne Zweifel von den Vortheilen der Charlatanerie den bestmöglichsten Gebrauch gemacht hätten; die hochherzige Dame wußte diesen edlen Zug seines Charakters zu schätzen, und zog von ihrer eigenen Hand einen kostbaren Brillantring, welchen Hetzer als ein Andenken der Dankbarkeit annehmen mußte.

Bald darauf kam der Kaiser Alexander in Verona an, und dort stellte der Obersthofmeister den Hetzer [79] Seiner Majestät vor. Der Kaiser empfing ihn sehr huldvoll, und ernannte ihn, da er sich bereit erklärte, in seine Dienste zu treten, zum Hofarzte.

Der jüngste Brief meines Freundes Hetzer, der in diesem Augenblicke vor mir aufgeschlagen liegt, meldet mir, daß ihn der Kaiser Nikolaus bei den vorgenommenen Beförderungen nach dem Falle vonVarna, zum General-Lazareth-Inspektionsrathe am Bord des Linienschiffs Paris befördert habe.

Bevor ich zur Denkschrift Hetzers übergehe, aus welcher ich nur das Interessanteste mitzutheilen gedenke, um den Gang der Geschichte nicht allzulang zu unterbrechen, muß ich noch eines geschichtlich-merkwürdigen Umstandes Erwähnung thun.

Ganz Europa staunte über den unvermuthet schnellen Tod des Kaisers Alexander zu Taganrog, einer festen Stadt der russischen Statthalterschaft Jekaterinoslawl am asow'schen Meere, und besonders über die um so mehr unglaubliche Weigerung des Kaisers, Arznei zu nehmen, wovon die Genesung abhing, als er doch das Leben so sehr liebte, und die Pflicht der Selbsterhaltung zum Besten eines gewaltigen Reiches ihm den Gebrauch der rettenden Mittel dringend gebot.

Hetzer war damals dem Leibarzte des Kaisers, Sir James Wylie, Baronet und geheimer Rath, beigegeben, sohin Augenzeuge des ganzen Krankheitsverlaufes. [80] Meine Frage hiewegen beantwortete mir Hetzer einen Monat nach Alexanders Tode aus St. Petersburg: »der Kaiser habe an einer gänzlichen Verstimmung des Nervensystems gelitten, wodurch auf dieselbe Weise der Abscheu vor jener Arznei in ihm erregt worden sey, wie bei der Wasserscheue das Entsetzen schon vor dem Anblicke des Wassers.«

Die Denkschrift
Die Denkschrift.

»Ich war Zeuge Ihres Heranblühens, schöne, verehrungswürdige Rosa! und freue mich gewiß so herzlich als irgend einer, daß Sie uns mit den goldenen Früchten jener hoffnungsvollen Blüthe der Kunst beglücken. Der aufrichtige Wunsch, Ihnen das Leben und Wirken in Ihrer neuen Umgebung so angenehm als möglich zu machen, hat mich veranlaßt, ein Gemälde derselben zu entwerfen, welches Ihnen zum Warnungsspiegel dienen soll. Eine Dame von Ihrem Geiste bedarf nur der leisesten Andeutung eines Charakterbildes, um mit raschem Blicke das Ganze zu durchschauen. Was ich Ihnen sage, ist reine Wahrheit; ich sehe keinen Grund ein, warum ichlügen sollte; in keiner Beziehung wüßte ich irgend einen Vortheil daraus zu [81] ziehen. Zur bequemern Uebersicht, führe ich die Personen, wie Bilder in einem chinesischen Schattenspiele, an Ihren schönen Augen vorüber, doch nicht eben so flüchtig, damit sie nicht ohne bleibenden Eindruck auf Ihr Gedächtniß entschwinden. Lassen Sie also Ihre Anbeter noch einige Zeit kniend schmachten, und opfern Sie meinem guten Willen ein halbes Stündchen von Ihrer kostbaren Zeit.«

Der Vorstand
Der Vorstand.

Nirgends hat der Neid ein freieres Feld, seine spitzigen Zähne in das Fleisch des guten Rufes zu schlagen, als wo ihm die Oeffentlichkeit des Wirkens wahre und vermeinte Blößen gibt, doch ist auch gerade sie das ächte Criterium, die Redlichkeit und das gediegene Wissen von der hochmüthigen Leerheit kenntnißloser Emporkömmlinge mit gerechter Würdigung zu unterscheiden.

Natürlich muß also der Vorstand einer Bühne, dessen Wirken Jedermann beurtheilen zu können sich anmaßt, fortwährend das Ziel schonungsloser Rügen seyn.

Dabei darf aber der Tadel nicht vergessen, zu erwägen, welche Eigenschaften für den Vorstand einer namhaften Bühne unerläßlich sind, wenn er als ein ächter Steuermann des dramatischen Schiffes gelten will.

[82] Ihm müssen die alte und neue Literatur der schönen Wissenschaften des In- und Auslandes mit allen Hülfswissenschaften woht bekannt seyn; die vaterländische Sprache muß in ihrer Reinheit den Mann von Bildung bezeichnen, der keiner Provinz angehört; die Originale Frankreichs, Italiens und Englands muß sich seine ausgebreitete Sprachkenntniß aufschließen; Besuche der ersten Bühnen von Europa müssen die Theorie und Uebung seines Leitsystems möglichst vervollkommnet, Reisen und Verkehr mit den höhern Ständen ihm die Weltformen erworben haben, ohne welche nur Einseitigkeit gedenkbar ist, und nur der Mangel jenes einnehmenden Tones sich aufdringt der als Form des überlegenen Wissens jene wahre Energie des Befehlens erzeugt, die durch barsches Ranggewicht sich niemals ersetzen läßt.

Uebrigens muß ihm Begünstigung inländischer Talente die heiligste Pflicht seyn, deren Nichtbeachtung oder schnöde Hintansetzung bald zu einer geistigen Nationalschuld anwüchse, die kaum ein Jahrhundert späteren Pflichtgefühles zu tilgen vermöchte.

Diese Andeutungen begründen vielleicht den ächten Maßstab für gerechte Beurtheilung des Werthes Einzelner, welche Kunst oder Gunst an das Steuer gestellt hat.

Dieser Stoff ist so reichhaltig, daß ich wohl noch tiefer in seine Schachten dringen könnte; ich möchte jedoch, wie ein Gestirn in der Ekliptik, gar keineBreite haben; verhütet [83] gleichwohl meine Bescheidenheit, mich als Sonne hinzustellen, die nie eine Breite hat, so will ich doch verdienen, unter die Planeten gezählt zu werden, die nur eine sehr geringe haben.

Ihr Vorstand, holde Rosa! besitzt auch nicht eine einzige von den aufgezählten Eigenschaften zur würdigen Erfüllung seines Berufes.

Von gemeinen Handwerksleuten geboren, genoß er in seiner Jugend nicht jene sorgfältige Erziehung, welche zur Zeit des öffentlichen Wirkens ihre schönsten Früchte trägt, und von ausgezeichneten Talenten oder genialen Köpfen, die sich aus der Dunkelheit ihrer Geburt selbstthätig emporheben, durch einen eigenthümlichen Takt des Schicklichen, und durch die fortwährende Beobachtung Anderer ersetzt wird.

Mit Recht würde man an mir die Kleinlichkeit tadeln, diesen Herrn an seine bürgerliche Abkunft zu erinnern, wenn er sich nicht eine so ängstliche Mühe gäbe, sie stündlich öfter zu verläugnen, als Petrus einst seinen Herrn und Meister; dieses Bedauern seines Herkommens treibt er so weit, daß er durch die gemeine Volksmundart eines angränzenden Landes, die er affektirt, selbst diejenigen täuschen möchte, welche ihn doch in seinem ersten Knabenalter so oft vor dem väterlichen Backofen schalten und walten sahen.

Ungeachtet dieser Charakterschwächen könnte er indeß [84] doch ein erträglicher Bühnenvorstand seyn, wenn er die dazu nöthigen Kenntnisse besäße; allein davon ist keine Spur vorhanden. Nicht einmal mit der französischen Sprache ist er vertraut, die selbst ein ordentlicher Souffleur nicht entbehren kann.

Wie ein edler Römer zu Cäsars Zeiten sich in seine Toga hüllte, wenn er das mächtige Capitol hinanstieg, so hüllte sich dieser Herr in die Schürze einer alten lüsternen Dame und ließ sich in dieser Vermummung auf den Theaterdirektionsstuhl nieder.

Der Nachweis seiner Vorstudien beschränkte sich auf die Leitung eines ganz kleinen Provinzialgesellschaftstheaters und auf die Lektüre von Sulzers Theorie der schönen Künste. Wer möchte hier nicht ausrufen: »Wahrlich, die Wege des Herrn sind wunderbar!«

Da häufig der Fall eintritt, daß ausländische Künstler und Künstlerinnen ankommen, um Gastrollen auf dem italienischen Theater zu spielen oder in Komödien aufzutreten; so hat er, gleich der hohen Pforte, einen eigenen Dragoman, – einen Dolmetscher, – angestellt, der den Vermittler zwischen Seiner Hoheit, dem deutschen Bühnensultane und den undeutschen Besuchen machen muß.

Die Natur hat ihn etwas stiefmütterlich behandelt, dessen ungeachtet ist es drollig zu sehen, wie er sich in dem Wahne aufbläht, ein Eroberer von Damenherzen zu seyn. Wahr ist es, daß er einigen alten Frauen die [85] Cour macht, worunter seine Gönnerin an der Spitze paradirt, gleich einem unfruchtbaren Acker, der seit einem halben Jahrhunderte brach liegt; aber der alternde Junggeselle wird bei den jungen altklugen Damen doch immer nur für einen eitlen Gecken gehalten. Man erzählt sich von diesem Herrn drei sinnreiche Wünsche, welche er an einem Morgen in drei galanten Visiten geäußert haben soll.

Eine von diesen Damen genoß von ihrer Wohnung aus eine entzückende Aussicht in das Gebirge und rühmte in seiner Gegenwart das Angenehme dieses Anblickes.

»O,« – seufzte er, – »wär' ich doch auch einer von diesen Bergen, oder gleich das ganze Gebirge, so wär' ich doch so glücklich, von Ihren schönen Augen täglich betrachtet zu werden.«

Die zweite Dame hatte eben eine Stecknadel fallen lassen und bückte sich, sie aufzuheben. Anstatt ihr zuvorzukommen, seufzte er wieder: »Ach, wär' ich doch eine Stecknadel und fiele auf den Boden, so könnte ich doch auch so glücklich seyn, von ihnen aufgehoben zu werden!«

Die dritte Dame fütterte vor ihrem Fenster eine Menge Sperlinge, die dadurch so vertraut mit ihrer Pflegemutter wurden, daß sie ihr die Körner aus der hohlen Hand pickten.

Abermals seufzte der alte galante Herr: »Ach, warum [86] bin ich kein Spatz, Sie würden mich dann mit Ihren eigenen Händen füttern!«

Wären diese drei Wünsche von mir erfunden, so müßte sie Jedermann fade nennen; allein ich versichere Sie, daß er sie wirklich gethan hat.

Wer erinnert sich hier nicht jener drei Wünsche, die einst eine wohlthätige Fee einem armen Fischer und seinem Weibe frei stellte? Da er eines Abends die hellfunkelnde Glut auf dem Heerde schürte, wünschte er unwillkürlich ein Paar Würste, die er köstlich braten wollte, und flugs flogen sie aus dem Schornsteine. Entrüstet über diesen thörichten Wunsch wünschte nun die Fischerin diese Würste an seine Nasenspitze, und gewahrte zu ihrem Entsetzen, daß auch sie einen Wunsch vergeudet habe. Nun blieb noch ein einziger Wunsch übrig, und wollte sie nicht lebenslang einen Mann mit einem Paar Würste an der Nase haben, so mußte sie den letzten Wunsch zur Entfernung dieses Uebelstandes verwenden, was sie auch that.

Sie wissen nun, meine holde Rosa! wie Sie diesen Patron zu behandeln haben.

Der Jud, - gut und in der Wuth
[87] Der Jud, – gut und in der Wuth.

Der erste Liebhaber an dieser Bühne ist ein gebornerJude; ob aus dem Stamme Simeon oder Isaschar, darüber schweiget die Stammtafel. Da er zur christlichen Kirche übertrat, erhielt er den NamenFranz, früher hieß er Jacob.

Jacob, schon im Mutterleibe uneinig mit seinem erstgeborenen Zwillingsbruder Esau, hielt bei dessen Geburt die Ferse desselben, daher sein NameJacob, das heißt: Fersenhalter, der dem andern ein Bein unterschlägt.

Weil nun Fränzchen, das kleine dürre Kerlchen mit den gespreizten Beinchen, dem geleckten Gesichtchen und den lebhaften orientalischen Augen, kein größeres Vergnügen kennt, als Anderen ein Bein zu unterschlagen, die mit und neben ihm auf der nämlichen Bühne wirken, so hätte er den angeborenen, so gut bezeichnenden Namen Jacob behalten sollen, anstatt ihn mit der Schneidernadel abzulegen, welche der tragische Dolch seiner Kindheit war.

Dieses Fränzchen hat viel gelesen und besitzt natürlichen Verstand, kann auch unbedenklich zu den Besten in seinem Fache gezählt werden. Er überschreitet aber dieses Fach gar zu oft, und zeichnet sich ganz besonders als Intriguant, aber hinter den Coulissen, aus.

[88] Seine wahnsinnige Ruhmsucht hat ihn schon in die größten Verlegenheiten gestürzt. Nicht zufrieden, daß seine Gönner unter den Critikern ihm den verdienten Beifall bei jeder Gelegenheit spendeten, wurde er selbst Recensent für eine Zeitschrift der Hauptstadt, zerrte seine Collegen in den Staub der Geringschätzung, und schlug sich das Weihrauchfaß mit eigenen Händen nach jeder Rolle in das Gesicht.

Gewöhnlich las man Urtheile, die er noch während der Darstellung hinter den Coulissen fällte, wenige Tage darauf in der Zeitschrift, bisweilen wörtlich, wie er sie gesprochen hatte, und dennoch war er frech genug, jede Theilnahme oder Mitwissenschaft abzulehnen.

Er machte auch Gedichte auf sich selbst, besang seinen eigenen Ruhm in zusammengenähten Versen und ließ angeblich erhaltene Geschenke von anonymen Verehrern seiner unerreichbaren Kunst dem Publikum durch den Druck bekannt machen, ohne daran zu denken, daß man die Personen und die Kaufläden kannte, in welchen jene Personen diese ausgeposaunten Geschenke kaufen mußten.

Fränzchen lebte einige Jahre auf freundschaftlichem Fuße mit einem gewissen Kritiker Ernst; so lange dieser Fränzchen allein in seinen Recensionen pries, war das Jüdlein gut; bekam aber auch noch ein anderer Schauspieler den gebührenden Antheil an dem gespendeten Lobe, so gerieth es inWuth.

[89] Sie würden sich, schöne Rosa! eben so sehr unterhalten als ärgern über die Unverschämtheit in den Selbstrecensionen dieses Jüdleins, wenn ich Ihnen einige Proben davon vorlegen wollte. Der folgende Brief wird Ihnen einen genügenden Aufschluß über seine Denkart in dieser Beziehung geben, und Sie dürfen sich darauf verlassen, daß er wörtlich so lautet, wie ich ihn hier mittheile, wozu mich der vom Jüdlein späterhin so tief beleidigte Ernst ausdrücklich ermächtigte.


*den – 18


»Lieber Freund!«


»Wenn Sie die Schlagfeder Ihrer Witzmaschine über mein langes Verstummen noch nicht berührt haben, so wecken Sie sie nun auch nicht mehr und sparen jeden Funken auf bessere Gelegenheit, an der es bei uns in ** ja nie fehlt. Sie sehen, ich erfülle mein Versprechen, wenn auch spät – ich erfüll' es doch! Das ist nicht von allen Leuten zu rühmen, z.B. von den großen Mächten der Bretterbühne und von denen der Weltbühne! – Halt, den Finger auf den Mund! Ich bin im Lande der Inquisition! Jeder Stein des schönen, ja schönsten Stadtpflasters, welches ich noch je sah, ist ein verkleideter, hart strafender Polizeispion! Also weg von allen Scenen der Gefahr, und hin in den freundlichen Bilderkreis meiner mimischen Gestaltungen im friedlichen * Theater.

[90] Ueber meine ersten Darstellungen, *, *, *, *, *, *, werden Sie zweifelsohne durch *** informirt worden seyn, und mithin wissen, weich' einen harten Kampf ich hier zu kämpfen hatte, und wie ehrenvoll ich ihn bestand. Jene feindliche Partei, die schon vor meiner Ankunft gerüstet war, und in der * auftauchte, ward gar bald zum Schweigen gebracht und total auf's Haupt geschlagen. Mit jeder Stelle wuchs die Größe und Reinheit des Beifalles, sowohl bei meinen Abgängen, als dem jedesmaligen Vorruf nach geendigter Darstellung.

Der * und * befestigten eigentlich meinen Kredit und erregten schon enthusiastische Beifallsstürme.

Demohnerachtet 1 aber war's noch immer nicht der ächte **er Beifall, der einem bacchanalischen Jubel gleicht und unbeschreiblich ist. Diese mir neue Erscheinung überraschte mich erst vorgestern, als am *ten, in der ***in. Wiewohl das Stück selber, wie bekannt, hier nie Kredit hatte, so war doch Alles längst auf meine vielbesprochene Darstellung des **o gespannt und das Haus gedrängt voll (wie es in allen meinen tragischen Leistungen bisher der Fall war). Mit meinem Erscheinen im 2ten Akte brach der Sturm los und steigerte sich nach jeder Rede in einem Maße, das alle Gränzen überschritt. Die erste Wuth machte sich endlich am Schlusse des 2ten Aktes durch [91] einen unaufhörlichen Aplaus 2 und stürmischen Vorruf Luft!

Nun begann der Hauptakt **o's, der dritte.

Abermahliger 3 Empfang bei meinem Erscheinen. Auf die erste Rede: ›Der Haß in mir? Wenn Feuer Frost gebiert,‹ u.s.w. ein Klatschplatzregen. Der darauf folgende bekannte Kapital-Fluch, welcher sonst nie gesagt werden durfte, mir aber zu sagen bewilligt ward, brachte ein förmliches Erstarren undEntsetzen unter die Versammlung, welche mit aufgerissenem Munde und Auge diesen ungewohnten Donner erschrocken hörte und ihn zuletzt mit einem Beifallsdonner übertönte.

Der nun eintretende Wechsel der Gefühle, die tiefe Empfindung und sanftere Leidenschaft, welche in den schönen Stellen von Bekämpfung und Aufopferung so poetisch vom Dichter geschildert ist, das herrliche Bild: ›vom Diamant und Rubin,‹ rissen alle Herzen in einem Grade hin, daß das laute Entzücken des Publikums minutenlange Pausen in meine Reden brachte.

Und kurz, den glänzensten 4 Sieg und den größten Triumpf 5, welchen außer Madame * als **a und ** als [92] *r, noch kein Gastspieler seither wieder errungen, errang ich an diesem Abend, der sich mit dem allgemeinen Jubelruf: ›**o **n!‹ am Schlusse auf die feierlichste Weise endigte.

Das Stück selber gefiel auch bei weitem mehr als sonst, wozu wohl die neue vortreffliche Besetzung des ** durch **, und *** durch Demoiselle ** das Meiste beigetragen haben mag. Heute ist die Wiederholung der Vorstellung.

Der ** und die *** (die besonderen Antheil an meinen Vorstellungen zu nehmen scheint) und der gesammte Hof war auch dießmal, wie bei allen meinen Rollen, gegenwärtig und aplaudirten 6 mir bei meinem Erscheinen und Herausrufen huldvollst entgegen.

Die Wahrheit alles dessen, was ich Ihnen hier in Kürze berichte, wird sich Ende dieser Woche in der **-Zeitung und dem **r gedruckt bestättigen, 7 indem die Redakteurs dieser Blätter zu mir auf die Bühne kamen und mich mit Lob überschütteten 8.

Sie können daher, theurer Freund, ohne Anstand und auf mein Wort, diesen Brief vorläufig und schleunigst, als [93] den Brief eines Dritten 9, und zwar eines Mitarbeiters 10 der genannten Blätter, der ** einverleiben, mit der Bemerkung: daß nächstens eine umfassendere und genauere Beleuchtung meiner Darstellungen im Allgemeinen, besonders aber des **o, erfolgen werde, wodurch zugleich das erkaufte und bestochene Urtheil in der ***- Zeitung über meine ersteren Rollen gehörig beleuchtet und erwiesen werden wird, daß dieses nur durch jene Oppositions-Partei geschmiedet wurde, die im Theater aus dem Felde geschlagen wurde, und nun ihr Quartier auf dem Papiernenfelde 11 einer hier ganz kreditlosen Zeitung aufschlug.

Herrn H – th***, dem ich mich schönstens empfehle, geben Sie diesen Brief zur Durchsicht und bitten Sie ihn in meinem Namen, demselben die Aufnahme in der obenerwähnten Art in der ** so schnell als möglich zu gestatten, indem ich bis höchstens zum – ten dieß in ** eintreffen muß. Die Rezensionen, die in der **- Zeitung und im **r nächstens erscheinen werden, werde ich ihm dann augenblicklich zur Aufnahme zusenden, damit sie sämmtlich noch vor meiner Ankunft in der ** erscheinen können. 12«


Nun folgt der Schluß des Briefes ohne Bezug auf das Interesse des Ganzen.

[94] Sonderbar, daß Fränzchen, der den Applaus so nöthig hat, wie Gewerbsleute die Mannsnahrung, nicht einmal dieß Wort richtig zu schreiben weiß, und immer Aplaus statt Applaus, aplaudiren statt applaudiren schreibt!

Aus dem Inhalte dieses Briefes werden Sie, verehrungswürdige Rosa die Ruhmsucht dieses Men schen nicht verkennen, und eben so wenig seine Gewandtheit, durch Correspondenzkniffe hinter dem Mäntelchen zu spielen. Hätte er diese kleinlichen Mittel nur zur Selbstlobpreisung angewendet, so würde man sich begnügt haben, über seine Eitelkeit zu spotten; allein da er die Mitspielenden in demselben Maße heruntersetzte, als er sich hinaushob, so mußte früher oder später der Entdeckungsfall für ihn mit den unangenehmsten Folgen verbunden seyn.

Ernst fühlte, daß der Hochmuth des Jüdleins von Tag zu Tag immer unerträglicher werde, und alsFränzchen zuletzt sogar in Vorwürfe und Spötteleien über wohlverdientes Lob der übrigen Herren und Damen ausartete, da zog sich Ernst ganz von ihm zurück, ohne ihn übrigens in der Spende des gebührenden Lobes zu verkürzen. Doch diese Neutralität wurde von Fränzchen, zu seinem Unheile, nicht lange respectirt, wozu ein sonderbarer Fall die Veranlassung gab.

Der kleine Bühnenheld gab Gastrollen in einer nordischen Seestadt.

Bald darauf erschien in einem hiesigen Blatte, und[95] zwar in demselben, worin die von ihm so leidenschaftlich verfaßten Theaterkritiken eine willige Aufnahme fanden, ein überschüttendes Lob seiner Darstellungen, unverkennbar sein eigenes Machwerk, ein treuer Spiegel seiner Unverschämtheit, aber an geblich von einem Engländer, einem enthusiastischen Verehrer seiner alles übertreffenden Kunst, der, nach versämter Abfahrt des Dampfbootes, von Copenhagen herübergeschwommen sey, nur um den größten dramatischen Künstler aller Zeiten und Länder noch am ersten Abende bewundern zu können, ohne auch nur die Kleider zu wechseln.

Die gränzenlose Frechheit dieser Münchhausischen Lüge mußte selbst die Geduld eines Lammes erschöpfen, und jeden Verehrer wahrer Verdienste empören.

Bald nach Fränzchens Rückkehr erschien in einer auswärtigen, sehr geschätzten Zeitschrift, deren Correspondent Ernst war, die Anzeige von der glücklichen Heimfahrt des großen Künstlerchens mit den gespreizten Beinchen, nebst beigefügter Bemerkung, daß der Engländer von der Seestadt auch auf der Landstraße bis in die Hauptstadt, ja selbst bis zur Theaterkasse geschwommen wäre, wenn ihn nicht ein Gehirnkrampf zurückgehalten hätte.

Gleich einer giftgeschwollenen Kröte oder gleich einem wahnsinnigen Maikäfer, wie ein anderer Kritiker das Jüdlein so treffend nannte, stürzte sich nun das erboste Kerlchen in der Verblendung seiner Wuth auf den Schreibtisch [96] hin und schmierte mit zappelnden Fingerchen folgendes Briefchen an Ernst zu sammen, das ich hier gleichfalls nicht blos wörtlich, sondern auch buchstäblich mittheile:


»Mein Herr!«


»Wenn ich so entarteter Natur wäre, wie Sie, und nicht mehr Gedächtniß für frühere Verhältnisse hätte, als Sie, so würde ich schonungslos handeln, wie Sie, ohne eine Rede zu verlieren an Sie.

So bin ich, Gottlob! 13 nicht Sie, und thue daher anders gegen Sie.

Hören Sie denn, wie.

Wofern es Ihnen fürder noch belieben sollte, Ihre feile Feder, in Bosheit und freche Unart getaucht, an mir zu kitzeln, sey's in der **-Zeitung, oder **-Zeitschrift, so machen Sie sich auf eine BeleuchtungIhres Selbstes und Ihrer Berichte gefaßt, die gewiß jede Redaktion erhellen, und eine feste Verschanzung gegen Ihre vergifteten Lieferungen werden wird.

Sie können dieß rächerische Werkzeug fertig und gerüstet bei mir finden. Es liegt stündlich zum Abfeuern 14 [97] bereit. Der Weg zu Ihnen steht ihm in allen hiesigen und auswärtigen Blättern 15 offen.

Dafür bürgt Ihnen


– * n.«


** den 5t April 18 –


Selbst dieser Brief, den Ernst als einen Ausbruch momentanen Wahnsinnes betrachtete, war noch nicht vermögend, ihn zur offenen Fehde zu treiben; er rächte sich auch nicht in seinen Correspondenzartikeln in auswärtigen Blättern, so leicht dieß auch gewesen wäre, sondern beschränkte sich darauf, seinen Namen in keinem Blatte mehr zu nennen, als sey er für die Welt des Lebens und der Kunst bereits verschollen.

Aber gerade dieses für alle Literatur- und Kunstfreunde unerklärbare Verschwinden des Namens unsers Jüdleins aus den besten Zeitschriften des Auslandes, war für ihn eine weit peinlichere Züchtigung als die leidenschaftlichste Anfeindung, die er benützt hatte, um sich als ein schuldloses Opfer planmäßiger Intriguen hinzustellen.

Da erschien eines Tages in einem unbedeutenden Lokalblatte ein anonymer heftiger Angriff gegen ihn, für dessen Urheber Fränzchen den Ernst hielt, und sogleich einen sehr ehrenrührigen Bannstrahl öffentlich gegen ihn schleuderte.

[98] Eine fernere Schonung wäre nun in der That unverzeihlich, ja sogar für Ernst verdächtigend gewesen. Da er eben damals die Redaktion der Zeitschrift: »Die Morgenröthe,« – übernahm, so fehlte es ihm nicht an Macht und Raum, das boshafte Kerlchen in seiner ganzen Charakterblöße mit so drastischen Federhieben hinzustellen, aß er zur Zielscheibe des allgemeinen Gelächters wurde. So sagte er unter anderem einmal von ihm: »er sey geeigneter, den Degenknopf des großen Gustav Adolph, oder denHandschuhdaumen des Otto von Wittelsbach, als einen Heldenjüngling in der Tragödie zu spielen.«

Ernst schlug seinen Gegner siegreich aus dem Felde, und brachte ihn endlich ganz zum Schweigen.

Vor Kurzem wurde auf einer ansehnlichen auswärtige Bühne eine Stelle erlediget, die unser Fränzchen entweder wirklich wünschte, oder doch als eine Veranlassung willkommen hieß, an die Theaterverwaltung höhere Forderungen zu versuchen. Flugs setzte er in das Blatt, dessen Kritikenlieferant er seit mehreren Jahren ist, daß er einen ehrenvollen Ruf auf die an jener Bühne erledigte Stelle erhalten habe, berührte auch zugleich den großen Verlust, welchen die hiesige Theaterverwaltung und das Publikum, dessen Liebling er sey, dadurch zu tragen hätten.

Wieder unter dem Mäntelchen spielend, tröstete er in einem andern Lokalblatte: »daß man Hoffnung habe, den großen Künstler zu behalten, indem die Theaterverwaltung [99] auf seine billigen Wünsche und Ansprüche eingehen werde,« – widersprach aber gleich darauf in einem andern Blatte diese Angabe als übereilt und irrig, mit der Bemerkung, »daß leider keine Aussicht mehr vorhanden sey, ihn ferner in unserer Mitte zu bewundern, und daß die Gefahr, ihn zu verlieren, sich nicht mehr verhehlen lasse.« –

Aufgebracht über die doppelzüngige Compromittirung seiner Zeitschrift, in welcher er die eigenhändige Tröstung des Publikums aus Fränzchens selbstsüchtiger Feder, lediglich aus Gefälligkeit, aufgenommen hatte, entdeckte der Redakteur diese frechen Umtriebe Fränzchens, der mit dem Publikum gleichsam Comödie spielte, öffentlich, und auf eine durch seine Collegen deputationsweise eingelegte Beschwerde sah sich die Langmuth der Theaterverwaltung gezwungen, gegen den vieljährigen kleinen armen Sünder ernstlich einzuschreiten, und ihm vorläufig die Toga des Regisseuramtes auszuziehen.

Auf diesem etwas fatalen Wendepunkte seines Geschickes werden Sie, holde Rosa! diesen winzigen, halbverrückten dramatischen Narziß antreffen, und nach meinen durchaus wahren Notitzen über ihn Ihre zweckdienlichen Maßregeln gegen seine nie schlummernden Ränke zu wählen wissen.

Fußnoten

1 Soll heißen: »Dessenungeachtet«.

2 Applaus.

3 Abermaliger.

4 Glänzendsten.

5 Triumph.

6 Applaudirten.

7 Bestätigen.

8 Da haben die Redakteurs durch das Schütten den Spritzenmännern des Theaters in das Handwerk gepfuscht.

9 Hier pfeift der Vogel sein altes Lied.

10 Ja wohl!

11 Papierenen Felde.

12 Natürlich, des Empfanges wegen!

13 Hier meint das Jüdlein wahrscheinlich den Gott Abraham's, Isaac's und Jakob's.

14 Also auch ein Feuerwerker! Ey, wie geschickt!

15 Eine ausgebreitete Correspondenz! Wie bequem für den Schmied seines eigenen Lobes!

Demoiselle Trommler
[100] Demoiselle Trommler,

eine Schwäbin von Geburt, zählt sich zu den gelehrten Damen, ordnet Liederkränze an, wobei aber nicht gesungen, sondern nur gelesen wird. Gewöhnlich liest sie ihre eigenen poetischen Kinder der jüngsten Laune vor; die Pausen, welche auf den Applaus verwendet werden, sind schon immer zum voraus bestimmt. Einige Dichter und Recensenten, die ihren zweimal angebrühten Thee trinken, machen ihr den Hof. Als noch die Zeitschrift: »die Morgenröthe,« unter ihrem Einflusse von ihrem Anbeter, dem berüchtigten Schreidichaus, redigirt wurde, den der geniale Theodor Hell in Dresden in seinem trefflich bearbeiteten Lustspiele: »dieBenefice-Vorstellung,« zur allgemeinen Belustigung auf die Bühne brachte, wurden diese Abendsitzungen auch zu förmlichen Berathungen über die vorgelegten Kritiken benützt, wobei Demoiselle Trommler ausschließend die entscheidende Stimme hatte. Die Unbefangenheit ihrer Urtheile bedarf wohl keiner nähern Erläuterung. Wie gerne hätte sie oft auch eine andere verdienstvolle Künstlerin loben lassen, allein den von ihren dienstwilligen Anbetern aufgespeicherten Vorrath von Lobpreisungen verschlang ihre eigene Unersättlichkeit, als wäre sie, bildlich zu sprechen, eine von den sieben magern und hungerigen Kühen des ägyptischen Traumes gewesen.

[101] Mit Aenderung eines einzigen Wortes könnte diese Schauspielerin den bekannten Ausspruch der Maria Stuart auf sich anwenden:


»Das Aergste weiß von mir die Welt, und ich

Kann sagen, ich bin schlechter als mein Ruf.«


Im Grunde kann die böse Welt die Moralität ihres häuslichen Lebens nicht mit großer Bestimmtheit anfeinden.

Man erzählt sich zwar, daß man eines Morgens einen rüstigen Dragoner-Wachtmeister todt in ihrem jungfräulichen Bette gefunden habe; allein nach eigenem Geständnisse ihres ehrsamen Kammermädchens sey dieser gute junge Mann und Kriegsheld, in Folge vorausgegangener Erschöpfung, im keuschen Bette der Dienerin aus dem irdischen in das ewige Leben auf einem Wonnemeere hinübergeschwommen, und nur deßwegen von der Gebieterin in das eigene Bett gebracht worden, um mit ihren übrigen Tugenden auch das Verdienst einer barmherzigen Schwester zu verbinden.

Dagegen ist sie rücksichtlich der Beurtheilung ihrer Kunstdarstellungen von etwas massivem Benehmen. Ihre Ohrenbläserinnen und Zuträgerinnen sind an allen vier Enden des Parterre vertheilt, um die zufälligen Aeußerungen der Zuschauer über ihr Spiel oder über ihre Person sorgfältig aufzutischen, und bei den abendlichen Klatschvereinen zu hinterbringen. Wehe dann denjenigen, die nur im Mindesten ihre Empfindlichkeit reizten!

[102] Eine Frau von Stande erlaubte sich im Sommer des vorigen Jahres im Parterre zu ihrer Nachbarin zu sagen: »Ich finde, daß Demoiselle Trommler sehr hübsch gewachsen ist, nur Schade, daß sie einen sokleinen Kopf hat.« Am darauf folgenden Nachmittage bringt die großäugige Adjutantin der DemoiselleTrommler einen Brief von dieser an die Schwelle der Wohnung jener Frau, gibt ihn schnell ab, und fliegt über die Treppe hinab, vermuthlich im Vorgefühle, etwas später noch schneller hinunterbefördert zu werden.

Dieser Brief lautet buchstäblich so:


Madame!


»Ich habe in Erfahrung gebracht, daß es Ihnen in der Vorstellung *** ** *** gefallen hat, übermich, meinen Charakter und meine Denk- und Handlungs-Weise auf das empörendste loszuziehen, und dieß zwar so laut, daß mehrere Personen in ihrer Nähe, die Ihrer Versicherung zum Trotz, daß alle Welt mich hasse, mich gerade recht sehr achten, über Ihr ungesittetes Betragen den höchsten Unwillen empfanden, und es für nöthig hielten, mich von der Sache in Kenntniß zu setzen.

Da ich mir nun bewußt bin, von Ihnen keineswegs gekannt zu seyn, und zugleich Sie nie in meinem Leben beleidigt habe, so muß ich Ihr ganzes Benehmen einzig als das einer Kalumiantin betrachten.

[103] Höchstgleichgültig ist mir, was Sie über die Kunsthöhe, auf der ich allenfalls stehen könnte, oder auf welcher mich das Publikum Deutschlands glaubt, für Ansichten haben, hierüber ist jeder Verständige oder Nichtverständige berechtigt, nach Vermögen zu urtheilen; meine Ehre als Dame 1 aber ist mir höchst bedeutend, und ich erkläre Ihnen hiemit deßfalls, daß wenn mir je wieder ähnliche Aeußerungen zu Ohren kommen, wie diejenigen, welche Sie sich im Theater über mich erlaubten, ich Sie von Zeugen unterstützt bei Gericht als boshafte Verläumderin belangen werde. –


** den 27. Juni 18 –


Caroline Trommler,
Schauspielerin.«

Auf diesen närrischen Brief, an dem ich nichts änderte, als die fehlerhaften Unterscheidungszeichen, antwortete der Gatte der Empfängerin, ein sehr geschätzter Arzt im höhern Staatsdienste:


[104] Mademoiselle!


Da meine Frau nicht weiß, welcher Stiel 2 gegen eine Theaterdame von Ihrem Schlage gebraucht werden muß, so kann ich Ihnen nur die Verlegenheit derselben, eine passende Antwort zu finden, bestätigen, und den schleunigen Gebrauch des Brausepulvers:


Rec. Natr. carbon. sicc.

Acid. tartar. āā gr. XV.

M. f. Q disp. tal. dos. VII.
D. S.

in eine Tasse geschüttet, mit Wasser während desAufbrausens zu nehmen, – als ein niederschlagendes Mittel gegen gereizten Zustand, dringend empfehlen.


** den 27. Juni 18


***


Demoiselle Trommler soll, nach Aussage ihrer eigenen Adjutantin an einem dritten Orte Thränen der Wuth über das Brausepulver vergossen haben.

Ich habe Ihnen nur die Klippen auf dem hiesigen Bühnenmeere zeigen wollen, damit Sie dieselben ohne eine unangenehme Erfahrung kennen lernen; die übrigen Herren [105] und Damen sind Mittelgut, heute so, morgen anders, lebendige Mäntel, die sich selbst nach dem Winde hängen.

Bei der italienischen Oper werden Sie, mit Ausnahme der ersten Partieen, nur Talente vom dritten und vierten Range finden. Ihr ganzes Intriguiren beschränkt sich auf Geldunterstützungen, die sie sich aus der Schatulle der Fürstin so oft als möglich unter allerlei Vorspiegelungen erbetteln. Die Meisten unter ihnen sind aus der gemeinsten Volksklasse, von der italienischen Natur mit einer erträglichen Stimme beschenkt, und in Folge ihrer angebornen Rührigkeit für die Bühne abgerichtet.

Als Juwel unter dieser Spreu nenne ich Ihnen


Demoiselle Chiaretti,


ein Mädchen von 20 Jahren, voll südlicher Glut, von hübschen Formen, die erste Liebhaberin in der Oper und im Kabinete des Erbprinzen. Sie ist sehr gebildet, und nicht nur mit den ersten Dichtern ihres Vaterlandes, sondern auch Frankreichs und Englands vertraut. Vor zwei Monaten las der Erbprinz noch Tasso's nächtliche Klagen der Liebe mit ihr; hätte es Tasso gemacht wie der Erbprinz, der die Nächte nicht zu Klagen verwendet, so wären wir um dieses Meisterwerk ärmer. –

Sie hat ein gutes Herz, aber ihre Eifersucht ist gränzenlos; hüten Sie sich in diesem Punkte wohl; ich möchte [106] das Aeußerste befürchten. Der Erbprinz ist von ihr eingeschüchtert; wäre Chiaretti nicht, so würde er schon längst unter den fürstlichen Jungfrauen Deutschlands gewählt, und sein Vaterland über die Thronfolge beruhiget haben.

Die Minister fürchten und hassen sie, als Gegnerin ihrer Plane, und sie haßt die Minister, ohne sie zu fürchten. Sie weiß recht wohl, daß diese Tag und Nacht darauf sinnen, sie vom Herzen des Erbprinzen zu reißen, und diesen dann durch eine Vermählung zu zerstreuen. Ein so wichtiges Hoffest bringt Orden, Dosen mit Brillanten besetzt, Lehen, große Gratifikationen, Rangerhöhungen, u. dgl., und alle diese schöne Aussichten werden durch die Künste der schlauen Italienerin immer weiter hinausgerückt, Unter diesen Herren ist Graf von Spindel, der älteste Minister, Chiaretti's erbittertster Feind. Gleich einem Minengräber, einem Feinde gegenüber, legt er seine Sprenggruben so tief, still und unbemerkt an, daß derjenige, dem sein Angriff gilt, nicht früher eine Ahnung seines Geschickes erhält, als bis er schon in der Luft fliegt.

Da Chiaretti's Feinde öffentlich den Bogen nicht allzustark spannen dürfen, um den Erbprin zen nicht aufs Aeußerste zu treiben, in welchem Falle der Fürst demnach die Minister aufopfern müßte, so suchen sie beiden Liebenden auf allen Seiten Fallen zu legen, um sie unter sich zu entzweien. Bisher waren auch diese Mittel vergebens. [107] Graf von Spindel weiß jede Gelegenheit zu benutzen; ich bin überzeugt, daß er auch Sie, schöne Rosa! unbemerkt in sein Interesse ziehen wird; denn eine so überlegene Nebenbuhlerin konnte er bis jetzt der hübschen Chiaretti nicht gegenüber stellen. Gedenken Sie meiner freundlichen Warnung!

Fußnoten

1 Pallast- oder Schlüsseldame? A1

2 Ein witziger Schreibfehler!

A1 Als ich in einer berühmten Officin in Norddeutschland diente, war sie dem Publikum der Stadt als Schlüsseleldame, sehr bekannt.

Die Zeitschriften der Hauptstadt
Die Zeitschriften der Hauptstadt.

Wenn ich Ihnen die Nothwendigkeit bezeuge, mit dem Geiste der Zeitschriften der Hauptstadt, die Sie jetzt mit Ihrer Gegenwart schmücken, sich vertraut zu machen, so müssen Sie die Bedeutung des Wortes »Geist« nur in der angenommenen Redensart suchen; denn Sie werden schwerlich einen Geist darin finden, der sich auch nur mit dem Geiste einerRumflasche vergleichen ließe.

Der alte Köhlerglaube, daß der Herausgeber einer Zeitschrift ein vielseitig literarisch-gebildeter Mann seyn müsse, hat uns viele Jahre lang diesen geistigen Genuß verkümmert. Nicht als ob es uns an Männern gefehlt hätte, welche diese Vorbedingung zu erfüllen im Stande waren, sondern nur ihre Beurtheilung des lesenden Publikums schien auf irrige Ansichten basirt; sie wähnten, die geringe [108] Theilnahme werde kaum die Kosten decken. Diese Besorgniß lähmte ihren guten Willen.

Die große Lehrmeisterin der Menschen, die Erfahrung, hat jedoch im Laufe von einigen Jahren die Ueberzeugung allgemein gemacht, daß der Redakteur eines hiesigen Unterhaltungsblattes nicht gelehrter zu seyn brauche, als ein Gelehrter aus den Zeiten Kaiser Karls des Großen, daß erträglich Lesen, zur Noth Schreiben, etwas Rechnen und gewaltig Schimpfen die vier Elemente seiner literarischen Natur vollständig bilden.

Wie viel geschieht in B**, D**, W*, ja sogar in dem kleinen St* für die schöne Literatur! Wie viele Zeitschriften wandeln dort ruhig und unruhig nebeneinander, und ziehen hin in alle Welt, das Evangelium des Schönen zu predigen! Jede dieser Zeitschriften sucht die Gediegenheit des Inhaltes der andern zu überflügeln, bezahlt für Originalerzählungen einen bedeutenden Ehrensold an talentvolle Mitarbeiter, und strebet, den Geschmack der Lesewelt zu veredeln. Geist und Thätigkeit müssen natürlich treu zusammenwirken, solche Erfolge zu erzielen.

Wie viel einfacher geschieht dieß Alles bei uns, wo die Unterhaltungsblätter aus der Presse fallen, wie die Herbstblätter von den Bäumen, wo Niemand für seine Mitwirkung bezahlt wird, (vermuthlich weil sie auch nichts werth sind), als der Buchdrucker, und gar oft auch dieser nicht, und wo die Hauptschüssel in der Regel ein zusammengestohlenes [109] Ragout mit langer Brühe bietet, welches an der geistigen Tafel das tägliche Rindfleisch der leiblichen Mahlzeit repräsentirt!

Der Mensch hat bekanntlich von Haus aus nur wenige Bedürfnisse; solche genügsame Menschen bilden das Publikum unserer Unterhaltungsblätter, und haben aus Gewohnheit diese Rumfordersuppe der Literatur, ihrer Wohlfeilheit wegen, so liebgewonnen, daß selbst manche vornehme Familien auf den Tischen ihres Gesindes davon nippen.

Als der große Gladiator auf der papiernen Arena der Zeitschriften, Müllner, irgendwo sagte: »Lernen kann der Mensch alles, aber vergessen nicht eine Sylbe,« – dachte er sicher nicht an unsere Unterhaltungsblätter; in diesen und von diesen ist nichts zu lernen, darum kann freilich auch nicht eine Sylbe ihres Inhaltes vergessen werden.

»Laßt die Todten ruhen!« sagt Raupach, und so will ich auch die Gebeine der in hiesiger Hauptstadt erschlagenen Zeitschriften nicht mehr in ihrer Ruhe stören, von denen eine unter den rauhen unbehülflichen Händen eines Abentheurers ihr zartes Leben aushauchte, der auf ferner Flucht gerne auf unsere Erinnerung an ihn verzichtete, nun aber durch die unbezwingliche Sehnsucht einer hiesigen Gerichtsbehörde nach seiner werthen Person, in öffentlichen Blättern erst kürzlich zur Ueberzeugung geführt wurde, daß [110] eine gewisse Art von Thätigkeit hinreiche, die Fortdauer des Andenkens zu verbürgen.

Der Inhalt dieser Unterhaltungsblätter ist, wenn auch nicht immer gestohlen, doch gewöhnlichentlehnt, ein gewaltsames Anlehen ohne Rückzahlung! Sie sorgen, daß Laternen entstehen, wo sie noch fehlen, daß Schutthaufen entfernt werden, wo sie nicht seyn sollen, klagen über Brodpreise und Fleischtaxen, u.s.w., und sichern so ihr Publikum vor körperlichen Unfällen, damit es desto ungestörter seine geistige Veredlung anderswo suchen könne. Das anständigste unter diesen Blättern, – Pomona, – ist zugleich das Aussträgalgericht der kritischen Dramaturgie, dessen Präsident lange Zeit ein Comödiant war, bis ihn die Doggen der Opposition wegbissen.

Mit schlecht verhehlter Bangigkeit pocht das Herz des Theatervolkes jederzeit dem Erscheinen eines kritischen Machtspruches entgegen; die Herren und Damen der hiesigen Bühne haben ihre eigenen Ritter, die auf diesen Turnierplätzen der Kritik eine Feder für sie brechen müssen, und dafür mit Wein, gebratenen Hühnern, schmachtenden Blicken oder andernNaturalien bezahlt werden. Fremde Künstler pflegen das Bittere eines solchen Spruches noch vor dem Drucke durch eine Mischung von Wein und Gold chemisch in Zuckerstoff zu verwandeln, gleichwie man den virginischen Blättern den herben Geschmack durch eine künstliche Lauge zu benehmen pflegt. Indem ich der Zeitschrift: [111] »die Morgenröthe,« Erwähnung mache, überläuft mich ein unheimlicher Schauder.

Betrachte ich eine Zeitschrift in ihrem Entstehen als eine jugendliche Braut, und ihren ersten Redakteur als ihren Gatten, so muß ich bekennen, daß wohl wenige Zeitschriften so vornehme Ehen schließen.

Ihr Gemahl trug sie anfangs auf den Händen, gerade wie in einer wirklichen Ehe, welche die Liebe geschlossen hat, da sie aber seinen Erwartungen nicht entsprach, so ließ er sich von Tisch und Bett von ihr scheiden. Seitdem lebte die verlassene Dido von den Spenden guter Freunde, und die Erzählung ihrer unglaublichen Fata würde wohl mehrere Foliobände füllen. Sie glich einer Carta bianca für Jedermann, um eine andere noch mehr versinnlichende Vergleichung zu ersparen.

Literarische Freibeuter von allen Farben trieben ihr gräuliches Spiel mit der Verstoßenen, und brachten sie durch den furchtbarsten Wechsel der Gegensätze, durch Heiß und Kalt, durch Frömmigkeit und Teufelei, durch Originalität und Nachdruck, in einen Zustand des unheilbaren Starrkrampfes, so, daß sie weder leben noch sterben zu können schien.

Den letzten galvanischen Versuch, diese Scheinleiche wieder zu beleben, machte mein Freund Ernst mit zermalmendem Witze und göttlicher Grobheit gerüstet; dann griffen einige Ausländer nach dieser vergriffenen Dame, verließen [112] sie aber schon nach wenigen Tagen, und nun wurde sie durch einen Zauberschlag in eine Cisterne der Congreganisten verwandelt, in welche diese ihre wässerigen Mittelalterthümeleien gießen. Von dieser pauvre honteuse haben Sie gar nichts zu fürchten!

Trösten Sie sich, schöne Rosa! die Denkschrift geht zu Ende; ich schließe mit einem umgekehrten Sprichworte.

Im gewöhnlichen Leben sagt man: »Das Beste kommt zuletzt,« – ich aber bringe dasSchlechteste zuletzt,


die Recensenten.


Sie sind hier, wie in allen Bühnenstädten höhern Ranges, größtentheils halbgebildete, dünkelhafte, leidenschaftliche, eigennützige, feile Sudler, die um einen Händedruck, um eine Flasche Wein oder um ein Mittagsmahl schreiben, was Sie nur verlangen, und vollends vor dem Golde, ja selbst vor dem Silber, sogleich die Feder strecken. Einige unter ihnen sind zwar unbefangen, und brüsten sich mit ihrer Wahrheitsliebe; allein sie möchten gerne der Katze den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen; die Erträglichsten sind noch die Enthusiasten, junge angehende Theaterbesucher, eigentlich noch Farbenreiber der Kritik, die nicht ohne Schreibtalente sind, und auch schon gerne ein Wort mitsprechen wollen.

[113] Diese Herrchen schweben mit ihren Lobpreisungen stets wenigstens auf einer Höhe von 12000 Fuß über der Meeresfläche; wenn sie den Faden verlieren, womit sie die Lobsprüche zusammennähen, so drechseln sie Sonette aus ihren in den höhern Regionen zu Eis gewordenen Gefühlen, daß die Leser unwillkührlich an den Duft einer Tasse Vanille-Eis erinnert werden. Durch die Einladung zur Tafel können Sie die kritischen Federn aller Recensenten an Ihr Interesse fesseln; ich bemerke Ihnen dieß nur, damit Sie den Charakter dieser Herren kennen lernen, nicht als einen guten Rath, den Sie befolgen sollen, da dieß ganz überflüssig wäre. Welche Feder vermöchte die Begeisterung des Publikums wegzuläugnen, so oft es von Ihrem Gesange entzückt wird!


Als Zugabe noch einige Worte über dasPublikum,


das, wie überall, ein vielköpfiges Ungeheuer ist, wovon die meisten Köpfe der Gewalt des Augenblickes folgen, ohne ihre Ansichten durch haltbare Gründe rechtfertigen zu können. Vollendete Kenner gibt es nur wenige unter ihnen, und diese Wenigen scheuen eine öffentliche Thätigkeit, und die verrufene Würde eines Theaterkritikers. Nur selten erscheint bisweilen ein gediegener Aufsatz in dieser Beziehung, wie ein helleuchtendes Meteor am dramaturgischen Himmel, zur Beruhigung derjenigen, welche den Nachflug aus der Lessing'schen Schule bereits als ausgestorben, und den [114] gänzlichen Verfall des guten Geschmackes in der Kritik, beklagen.

Wenn es nun den Orpheus, diesem würdigen Sohne der Muse Kalliope und des tragischen Stromgottes Oeagrus, nach Andern des Apoll, gelang, durch seinen süßen Gesang und seine siebensaitige Leyer, Felsen und Bäume an seine Schritte zu fesseln, die wildesten Thiere der Bergwälder zu bezähmen, und Ungewitter und Meerstürme zu bändigen, so müssen Ihre Triumphe, holde Rosa, als Muse des Gesanges, noch weit herrlicher seyn; möchten Sie nur nicht wegen Ihrer Sprödigkeit, wie Orpheus von den ciconischen Weibern wegen seines Uebermaßes ehelicher Zärtlichkeit, von Ihren zahllosen Anbetern im Wahnsinne der Liebe zerrissen werden! –

In den Morgenstunden, welche auf die angenehme Ballnacht folgten, las Rosa mit Aufmerksamkeit und Wohlgefallen Hetzers Denkschrift, die ihr on wesentlichem Nutzen seyn konnte. Gleich darauf schrieb sie an ihn ein zartes parfümirtes Damenbriefchen folgenden Inhaltes:


»Mein Herr!


Indem ich Ihnen für die gefällige Mittheilung Ihrer Denkschrift herzlich danke, wodurch Sie mir zugleich einen Beweis Ihres schätzbaren Vertrauens gegeben haben, bitte ich Sie, die anliegende Busennadel als ein geringes Zeichen meiner Hochachtung zu tragen.«


** den – 18 –

Rosa.


[115] Diese Busennadel bestand aus einem Smaragdsolitär von seltener Größe und Reinheit, mit fünf und zwanzig schönen Brillanten garnirt, mit einer goldenen Krone in der Form einer Rose.

Hetzer war ganz entzückt von diesem wahrhaft fürstlichen Andenken, nicht des innern Werthes, sondern der lieblichen Geberin wegen.

Er dankte noch am nämlichen Morgen in einem zartsinnigen Sonette, und besuchte die vorzüglichen öffentlichen Orte, um mit dieser viel beneideten Auszeichnung zu prangen, und seine zahlreichen Neider zu ärgern.

Beschauend wandelte Rosa durch den Vorsaal, in welchem die zum Theile sehr werthvollen Geschenke der reichen Theaterfreunde der Hauptstadt aufgestellt waren, die schon mit Anbruch des Tages in den Gasthof kamen und ergötzte sich an freudigen Aeußerungen ihrer beiden hübschen Kammermädchen,Fanny und Betty, die sich über alle diese herrlichen Sachen nicht genug wundern konnten.

Kostbare Shawl's, Seidenstoffe aus Lyon, Hals-und Ohrengehänge und Armbänder von Edelsteinen und Perlen, buntfarbige Teppiche von der feinsten Wolle, ein vollständiger Geschirraufsatz aus Paris mit vortrefflicher Malerei, Trinkgefässe von Bergkrystall, und eine Menge anderer niedlicher Kleinigkeiten, die ich in unserer lieben deutschen Muttersprache kaum zu nennen wüßte, bedeckten die lange Tafel. Unscheinbar zwischen zwei zierlich gearbeiteten, reich vergoldeten, [116] siebenarmigen Leuchtern von massivem Silber, lag auf einem gewöhnlichen kleinen Porzellanteller eine große wälsche Nuß, deren beide Hälften ein goldener Reif verband. Rosa öffnete sie, und fand ein Herzchen darin, aus zwei großen Diamantflächen gebildet, und in diesem Herzchen ein Papierchen in der Größe eines Hellers, worauf mit schwarzer Tusche die fünf Worte geschrieben standen: »Ich bitte um zwei Stunden!«

»Fürwahr,« lächelte Rosa »der ist mein freigebigster und zugleich eigennützigster Anbeter;Fanny, wenn Nachfrage nach der Zeit geschieht, so sprich: ›von neun Uhr bis eilf Uhr,‹ da ich heute frühzeitig die Nachtruhe zu suchen gedenke; der Ball liegt noch schwer in meinen Gliedern.«

In diesem Augenblicke meldete der Kammerdiener den Cabinetsminister Grafen von Spindel, der um die Ehre einer Unterredung bitte.

Während Rosa dem Kammerdiener die Entschuldigung übertrug, daß sie noch im Morgenkleide sey, sohin einen so vornehmen Besuch nicht anständig empfangen könne, trat der Minister bereits in das Gemach.

Die Schlange im Paradiese
[117] Die Schlange im Paradiese.

»Ohne Umstände, – bat der Eintretende, – ohne Umstände, wenn ich bitten darf; betrachten Sie mich als Ihren besten Freund!«

»Sie übernehmen sohin selbst die Entschuldigung einer Unschicklichkeit, die ich nicht zu verantworten gewagt hätte. Welchem Zufalle verdanke ich die hohe Ehre Ihres Besuches?«

Nichts von Dank, und nichts von hoher Ehre, schöne Rosa! der Zufall aber hat allerdings einigen Antheil an meinem frühen Besuche; ich würde sonst eine für Sie bequemere Zeit dazu mir erbeten haben. Dem Gesandten, Grafen L**, begegnete ich eben, als ich aus dem Kabinete des Fürsten kam. Er machte mir eine so lockende Schilderung von dem kleinen Maskenballe, der gestern hier so unvermuthet gehalten wurde, und auf dem er sich, wie er mir ausführlich erzählte, so göttlich unterhielt. –

Hier faßte sie der Schlaue fest in's Auge, und sein stechender Blick wurde durch ein höhnisches Zucken der Oberlippe nur noch widriger; allein Rosa schaute ihm ohne die mindeste Verlegenheit mit der Unschuldsmiene eines Engels unbefangen in das dürre Inquisitorgesicht, das nun aus Aerger über den verfehlten Eindruck, über das Ausbleiben [118] des erwarteten Erröthens, in eine nichtssagende Starrheit der Züge zurückfiel.

»– Daß ich dem Verlangen nicht widerstehen konnte, mich sogleich persönlich nach Ihrem Befinden zu erkundigen, und um Ihre Freundschaft zu bitten.«

»Ich danke Ihnen herzlich für diese Auszeichnung, Herr Graf! Sie kommen eben recht, um die feinsinnigen Beweise der Anerkennung meines geringen Talentes zu beschauen, womit mich das Wohlwollen hiesiger Kunstfreunde beehrt hat.«

Auf einen Wink Rosa's entfernten sich die beiden Mädchen, und brachten bald darauf ein elegantes Frühstück, wozu Rosa den Grafen einlud, der mit den ausgesuchtesten Schmeicheleien an ihrer Seite Platz nahm.

Sie waren nun allein.

»Warum sind Sie denn in einem Gasthof abgestiegen, liebenswürdige Rosa, und nicht in einer Privatwohnung? Es stand Ihnen mein Hôtel offen, und Sie haben in jedem Augenblicke darüber zu verfügen?«

»Sehr verbunden, Herr Graf! allein man wohnt nirgend bequemer, als in einem wohleingerichteten Gasthofe, wo die Dienerschaft jedem Winke des Gastes lauscht, und jede Gefälligkeit taxirt ist. Da lebt jeder ungestört nach seiner Weise, und ist durch keine Schicklichkeit verpflichtet, sich nach fremden Launen zu richten. Nur ein eigenes Haus würde ich dem Gasthofleben vorziehen, und will heute [119] noch meinen Pflegevater Walter bitten, mir in der Nähe der Stadt ein romantisches Landhaus zu wählen, das ich zu kaufen, und nach meinem etwas sonderlichen Geschmacke einzurichten gedenke.«

»Sie werden also unsere Stadt mit Ihrer Gegenwart dauernd beglücken?«

»Wenn mich das Theater anständig verwenden will, ja!«

»Daran möchte wohl nicht zu zweifeln seyn, wenn der Vorstand desselben die öffentliche Stimme des Publikums berücksichtiget, die sich gestern mit unbegränzter Begeisterung für Sie entschieden hat. Sie haben hier höchstens eine einzige Gegnerin, dieChiaretti!«

»Ich habe von ihr sprechen hören, sie soll eine ausgezeichnete Künstlerin seyn.«

»Nun ja, sie singt charmant, wenigstens findet man dieß so, oder glaubt es zu finden, weil man sie gewohnt ist. Ein großer Theil des Beifalles, den ihr das Publikum spendet, ist auch auf Rechnung der Anhänger des Erbprinzen zu setzen, die ihr oft Kränze auf die Bühne werfen, nur um den Fürsten zu ärgern.«

»Wie so?«

»Der Fürst ist mit dem Erbprinzen etwas gespannt, weil dieser alle Vorschläge zu einer vortheilhaften Vermählung von sich weiset. Ich habe schon alles Mögliche gethan, den Fürsten von dem Vorsatze, den Erbprizen zu verheirathen,[120] vorläufig ganz abzubringen, indem dieser noch jung genug ist, als daß es nöthig wäre, eine so wichtige Sache zu übereilen. Man verbreitet zwar das Gerücht, aus Liebe zur Chiaretti entstehe des Erbprinzen Widerwille gegen eine Vermählung, allein dieß ist ein leeres Geschwätz. Ich bin der Vertraute des Erbprinzen, kenne seine Gesinnungen genau, und kann Sie versichern, daß er die Chiaretti niemals weniger geliebt habe, als gerade jetzt.« –

»Nach Allem, was ich bisher von diesem Verhältnisse gehört habe, möchte ich beinahe an der Richtigkeit Ihrer Ansicht zweifeln, wenn Sie mir keine Beweise dafür aufstellen können.« – »Mir fehlt es nicht an Beweisen, die selbst Ihren letzten Zweifel zu besiegen vermögen. Erlauben Sie mir zu diesem Zwecke eine Frage, die Sie mir jedoch aufrichtig beantworten müssen. Von wem erhielten Sie den goldenen Käfig mit der Nachtigall?«

»Auf meine Ehre, ich weiß es nicht!«

»Er ist vom Erbprinzen!«

»Unmöglich, der Erbprinz kennt mich gar nicht!«

»Da irren Sie sich sehr! Er sah Sie in Paris im zweiten Akte des Othello als Desdemona, war Zeuge des rasenden Beifalles, den Sie erhielten, und würde Ihnen noch an demselben Abende auf der Bühne seine Liebe bekannt haben, wäre nicht schon vor dem Eingange des Theaters der Reisewagen des französischen Gesandten am [121] hiesigen Hofe bereit gestanden, in dessen Gesellschaft er die Rückreise in die Heimath antreten wollte.«

»Sonderbar!«

»Lesen Sie doch gefälligst die Worte auf dem Thürchen des Käfiges!«

»Ewig Die Unübertrefflich Anmuthvolle Reizende Dame!«

»Finden Sie in diesen Worten den Geber nicht?«

»Vergebens strenge ich meine Augen an, ich sehe nichts und gewahre keine Lösung des Räthsels!«

»So lesen Sie nur die Anfangsbuchstaben dieser sechs Worte zusammen; welches Wort kommt dann zum Vorschein?«

»Bei Gott! Eduard!«

»Da haben Sie nun mein unzweifelhaftes Beglaubigungsschreiben als Abgesandter und Vertrauter desErbprinzen; ja ich gestehe Ihnen, schöneRosa! daß mich nur die innigste Freundschaft, die ich für den edlen Prinzen fühle, bewegen konnte, den Werber für ihn zu machen, während ich diese Rolle so gerne für mich selbst übernähme. Sie sind eine Dame von Welt, Sie kennen den guten Ton in den vornehmen Salons, wozu also Umwege von meiner Seite? Zudem werden Ihnen gewisse Notizen über Ihr Privatleben, die den Eingeweihten nicht blos durch den Druck bekannt sind, wie heute Graf L**** triumphirend versicherte, die Ueberzeugung erleichtern, daß man [122] unter solchen Umständen schon mit einiger Offenheit sprechen dürfe; kurz, der Erbprinz wünscht sehnlich eine vertraute Zusammenkunft mit Ihnen, wobei Ihr Benehmen über die Dauer seiner Neigung entscheiden soll. Der Prinz kennt Ihre Ansichten über die Liebe; er ist zu delikat, um den Punkt der Taxe persönlich erörtern zu wollen, und hat mich daher ersucht, Ihnen die bestimmten 20,000 Franken in Napoleons für die Seligkeitsstunde zu bezahlen, die Sie ihm, wie er hoffe, zu bewilligen geneigt seyn möchten.« Bei diesen Worten legte er die Rollen mit Gold auf den Tisch und küßte zärtlich ihre seidenweiche Hand, die innere Lust ob des vermeinten Gelingens seiner fein gesponnenen Intrigue mühsam verhehlend.

»Es wäre albern von mir,« erwiederte Rosa, die an die Warnung in Hetzers Denkschrift dachte, und alle Ursache hatte, den Grafen für die versuchende Schlange im Paradiese zu halten, »wenn ich vor Ihnen die keusche Lukretia spielen wollte, nachdem ich doch aus meinem Leben gegen Niemand ein Geheimniß mache der sich mit dem nöthigen Golde an mich wendet. Soll ich die Blüthe meiner Jugend in den Umarmungen eines schmachtenden Geliebten verwelken sehen, der vielleicht in kurzer Zeit meiner Liebe spotten und sein Herz einer Andern schenken könnte? Dieß würde mich höchst elend machen und einst den Rückblick auf die jugendlichen Festtage meines Daseyns verbittern. Auf dem Wege aber, den ich mir gewählt [123] habe, gelange ich zur Macht, dennGeld ist Macht, und darf nicht fürchten, die Sclavin eines wankelmüthigen Herzens zu werden. Ich nehme Ihren Antrag an, den Sie mir im Namen desErbprinzen so eben gemacht haben.«

»Recht so, lieber Engel! recht so! Was kümmern Sie die engherzigen Träume von weiblicher Sittsamkeit, von mädchenhafter Schüchternheit; von keuschen Gesinnungen! Tausend Weiber und Mädchen plaudern davon, und sündigen im Stillen; diese Alle sind elende Heuchlerinnen, die mit einem tugendverbrämten Mantel die Lumpen ihres Gewissens verhüllen möchten; Sie aber, holde Rosa! Sie handeln nach Grundsätzen, gleich viel, nach welchen, genug, daß Sie ihnen treu bleiben, denn eben darin liegt Charaktergröße!«

»Verworfener Sünder,« dachte Rosa, ohne in ihrer Miene die tiefe Verachtung zu verrathen, die sie nach die er Aeußerung des Grafen gegen ihn fühlte, »der die nackte Sünde noch über die verhüllte erheben will, obgleich jene durch das böse Beispiel, wodurch sie ansteckend wird, nur um so strafbarer erscheint, und der in treuer Befolgung von Grundsätzen, gleichviel von welchen, Charaktergröße zu achten vorgibt. Nein, Rosa! so tief bist du nicht gefallen, und der vornehme Kuppler, der mich einen lieben Engel nennt und dennoch in diesem grundlosen [124] Schlamme gänzlicher Verderbtheit sucht, soll seinen alle Sittlichkeit verhöhnenden Frevel theuer büßen.«

»Warum so in Gedanken, schönes Kind?« fragte der Graf, indem er, ohne die mindeste Ahnung ihres Gedankenspieles, in den himmlischen Zügen des leuchtenden Antlitzes forschte.

»Wegen des Ortes der Zusammenkunft bin ich noch sehr in Verlegenheit, Herr Graf; ohne Zweifel wird jeder Schritt des Erbprinzen von derChiaretti bewacht, und könnte er auch diese eifersüchtige Dame täuschen, so möchte er vielleicht den gewandteren Spähern des fürstlichen Kabinetes nicht entgehen. Sie werden das Unangenehme meiner Lage nicht verkennen, dem ich durch eine zufällige Entdeckung dieses hohen Besuches ausgesetzt wäre. Ihr weiser Rath ist mir sohin sehr nöthig.«

»So eng umgarnt ist der Erbprinz nicht, daß er furchten müßte, verrathen zu werden, indeß billige ich selbst Ihre Vorsicht und habe für diesen Fall bereits ein ganz verlässiges Haus zu meiner Verfügung, das in einem verborgenen Winkel der Vorstadt in Bezug auf Sicherheit und Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Wenn es Ihnen um 1 Uhr nach Mitternacht gefällig wäre.« –

»Ja, Herr Graf! wir wollen diese Stunde wählen.«

»Gut! Haben Sie also die Güte, Schlag 1 Uhr am Portale der Margarethenkirche in der Vorstadt sich einzufinden, [125] jedoch zur Vermeidung alles Aufsehens ohne Begleitung. Wenn Sie es wünschen, kann Ihr Kammerdiener am andern Ende der Straße sich versteckt halten; der Erbprinz wird vermummt sich dem Portale nähern, und Ihnen, ohne ein Wort zu sprechen, den Arm bieten; folgen Sie ihm getrost; in wenigen Augenblicken sind Sie dann an Ort und Stelle.«

»Einverstanden!«

»Nun habe ich noch eine Bitte! Der Erbprinz möchte vielleicht seinem Glücke nicht glauben, wenn ich es ihm verkünde. Geben Sie mir nur eine einzige Zeile zu seiner Beruhigung mit, wodurch ich zugleich den Vollzug der aufgetragenen Werbung nachweisen kann.«

»Was soll ich schreiben?«

Nur die wenigen Worte: »Mit Sehnsucht erwartet Sie Rosa!«

Rosa überlegte einen Augenblick, was sie thun sollte, und – schrieb.

»Jetzt habe ich sie in meinem Garne,« dachte derGraf und rieb sich schadenfroh die Hände, »denErbprinzen, Chiaretti und Rosa, und dieser seine Streich soll meine Macht und meinen Einfluß auf den Fürsten stärker als je befestigen.« Bald darauf empfahl sich der Graf dem fortdauernden Wohlwollen Rosa's, und stieg triumphirend in seinen Wagen.

Die Macht des Weines
[126] Die Macht des Weines.

In der Weinkneipe zum: »Jonas im Wallfischbauche,« saßen gegen 11 Uhr Mittags sieben flotte Bacchusbrüder und labten ihre Kehlen mit ächtem Rebensafte. Dieses Gasthaus konnte nur in so ferne Gasthaus genannt werden, weil beständig Gäste aus-und eingingen; außerdem hatte es nicht die mindeste Spur davon, sondern glich vielmehr einem verpfuschten Abdrucke des Bremer-Rathskellers, den mein verewigter Freund Wilhelm Hauff durch seine kühnen Phantasien verherrlichet hat.

Die Kneipe lag so tief in der Erde, daß sie das Tageslicht von vier kleinen vergitterten Fenstern erhielt, deren Gesimse in gleicher Richtung mit der vorüberführenden Straße liefen. Das Ganze bildete eine kreuzförmig gewölbte Halle, die in der Mitte auf einer gewaltigen Säule ruhte.

Mit dickem Leder überzogene Bänke waren rings umher an den rauchgeschwärzten Wänden vor steinernen Tischen angebracht, auf welchen oft die verderblichen Würfel klapperten.

In allen Straßen der Hauptstadt dieses weinreichen Landes befanden sich die elegantesten Gasthöfe; keiner unter ihnen konnte sich aber eines so zahlreichen Besuches rühmen, als diese von allen anderen Weinwirthen verwünschte Kneipe, dessen Inhaber eine Gewissenssache daraus machte, seinen Gästen, im eigentlichen Sinne des Wortes, [127] nur reinen Wein einzuschenken, was bekanntlich überall eine höchst seltene Wirthssitte ist.

Da der Wirth zufällig Wallfisch hieß, so tauften lustige Vögel, die in den Morgenstunden hier ganz ungestört ihre Grillen vertranken, die Kneipe: »zumJonnas im Wallfischbauche,« weil es schon Manchem davon begegnete, mehr als drei Tage nacheinander darin verlebt zu haben, wenn die Börse des Gastes oder die Kreide des Wirthes bei guter Laune war.

Die dicke Frau Wallfisch war eben so eitel auf ihre Kochkunst, als der Herr Gemahl auf seine ächten Weine, und lieferte eine Auswahl von Speisen, wie sie eben die Jahreszeit brachte, in kleinen Portionen und zu sehr billigen Preisen.

In dieses Walhalla der Weintrinker stiegen täglich, besonders Morgens, Leute aus allen Ständen hinab; unglückliche Ehemänner, Liebhaber, deren Liebchen spröde oder untreu waren, abgewiesene oder auf die Zukunft vertröstete Staatsdienstadspiranten, Prozeßkrämer, Trödler in anständiger Kleidung, die Uhren, Ringe, Bilder u. dgl. auf Fristenzahlung verhandelten, bedrängte Bürger, welche die halbe Stadt um ein Darlehen von einigen hundert Gulden vergebens durchliefen, und nun im Weine Stärkung und Trost suchten, Wiedergenesende, die Marktörtchen zu einem Gläschen Nierensteiner verzehrten, und [128] schlaue Freibeuter des Augenblickes, welche sich unberufen in jedes Verhältniß zu mischen pflegen, woraus sie irgend einen Vortheil für sich selbst zu schöpfen hoffen.

Zu des Herrn Wallfisches täglichen und angenehmsten Gästen gehörte auch ein kleines, wohlbeleibtes Männchen mit einem antiken Kopfe, ein gewaltiger Redner, zugleich auch ein feiner und höchst gewandter Intriguant, und, wie das Sprichwort von einem solchen sagt: »mit allen Hunden gehetzt.« Seinem Scharfblicke entging nichts; er war mit Jedermann freundlich, ja selbst vertraulich, um Vertrauen zu gewinnen, erkundigte sich sorgfältig, oft mit einer unbegreiflichen Zärtlichkeit, nach der Ursache des Kummers irgend eines Gastes, der, den Kopf in die Hand legend, wortlos vor sich hinstarrte, wenn er ihn auch zum erstenmale in seinem Leben sah. Durch dieses Mittel kam er in Verbindungen und wurde in Verhältnisse eingeweiht, die ihm sonst wohl immer fremd geblieben wären. Gelang es ihm, zu erfahren, wo es fehle, so bot er sich zum Rathgeber, zur Schlichtung der Sache an, und brachte durch seine Ueberredungsgabe, die Alles im Rosenlichte hinzustellen wußte, oft anscheinend unmögliche Dinge glücklich zu Stande. So Mancher, der hoffnungslos die Treppe hinunter stieg und schon den Schuldthurm vor Augen hatte, erhielt noch vor dem Abende durch die Vermittlung des Herrn Schlichter das gewünschte Kapital! Daß er dann [129] sich selbst nicht dabei vergaß, läßt sich denken, ohne es zu verargen; dem Empfänger war ja doch aus dringenden Nöthen geholfen.

Herr Schlichter aß und trank, was gut und theuer war, brachte oft Freunde mit, die er frei hielt, bezahlte alles baar, ergötzte die Anwesenden mit allerlei geheimen Stadtgeschichten, und war sohin nicht bloß vom Wirthe, und von den Gästen geachtet, sondern auch das Orakel im Wallfischbauche, das von allen Bedrängten, wie der Dreifuß zu Delphos besucht wurde. Verhinderte ihn irgend ein dringendes Geschäft, zur rechten Zeit zu erscheinen, so glaubte Jeder, es fehle etwas, und blickte unruhig nach der Treppenthüre, bis er endlich die Thüre aufriß, und sogleich mit einem einstimmigen: »Guten Morgen, Herr Schlichter! Nun das ist schön, daß Sie noch gekommen sind!« – empfangen wurde.

Sein erster Gang war dann zur Küche: »Was gibt's zu essen?« War dieß in Ordnung, so trocknete er sich den Schweiß von der Stirne, klagte über die zahllosen Gänge, die er in wichtigen Angelegenheiten, seit dem frühen Morgen schon wieder habe machen müssen, um sie, wie er zu sagen pflegte, durchzudrücken, (durchzusetzen,) sprach von diesem oder jenem hohen Staatsbeamten, dessen Einladung zum Frühstücke er ausgeschlagen habe, nahm endlich Platz, und hörte die Vorträge der Rath- und Hülfebedürftigen an, welchen er bestimmte Viertelstunden anwies,[130] um die Antwort in seiner Wohnung abzuholen. So amtirte er, wie ein englischer Friedensrichter.Schlichter war unter den sieben Herrn, die bei dem traulichen Weingelage sich des schönen Daseyns freuten; Hetzer, den wir schon kennen, mitRosa's schönem Geschenke prangend, zwei Schauspieler, ein Sänger, ein Tänzer, und der Damenfriseur des Theaters, waren die übrigen sechs des auserlesenen Vereines, welcher die bekanntesten Herrn und Damen durch die Hechel zog.

Wir wollen die Unterhaltung dieses lustigen Siebengestirnes im Wallfischbauche belauschen; vielleicht hören wir Dinge, die uns sonst wahrscheinlich immer verborgen blieben.

Friseur. He, Herr Wallfisch, spritzen Sie mir noch einen Spitz! 1

Erster Schauspieler. Der Windbeutel reißt heute wieder einen schlechten Witz!

Zweiter Schauspieler. Und Du reimest so hübsch, was mich sehr wundert, da Du sonst immerungereimt sprichst.

Friseur. Bravo! »Danke schönstens!« Bitte diese göttliche Antwort auf meine Rechnung zu stellen!

Erster Schauspieler. Thu's nicht, Herr Bruder, [131] es ging Dir sonst, wie dem Wirthe; ihr Beide würdet vor dem jüngsten Tage nicht bezahlt.

Friseur. Das ist Verläumdung! Herr Wallfisch, können Sie mit gutem Gewissen behaupten, daß ich jemals für den Wein, den ich bei Ihnen trinke, auch nur einen Groschen bezahlt habe?

Wallfisch. (lachend) Nein, gewiß nicht!

Friseur. Nun, da haben Sie's, meine Herren! Wenn ich hier im Wallfischbauche nichts bezahle, so wird dieß noch weniger am jüngsten Tage der Fall seyn; für einen so schlechten Christen dürfen Sie mich nicht halten, der im Stande wäre, das allgemeine Weltgericht durch die Berichtigung einer alten Weinschuld zu entheiligen.

(Allgemeines Gelächter.)

Wallfisch. Mir wär's auch lieber, ich würde schon in diesem irdischen Jammerthale bezahlt.

Sänger. Ey wie poetisch! Lesen Sie Romane, Herr Wallfisch?

Wallfisch. Bisweilen!

Friseur. Nur Geduld, ich werde bald Geld haben, wie Heu.

Tänzer. Hätt' ich so viel Geld, wie unser Vorstand Heu im Kopfe, so würde ich mir den Johannesberg kaufen, und Euch ein ganzes Jahr lang weinfrei halten!

Erster Schauspieler. Bst!

[132] Hetzer. In vino veritas! 2

Tänzer. Was heißt das?

Schlichter. Der Wein schließt das Herz auf!

Sänger. Ja wohl!

Friseur. Scherz bei Seite! der Gesandte Graf L****, hat mich bei der großen Sängerin Rosa alsLeibfriseur empfohlen. –

Schlichter. Kopffriseur wollen Sie sagen!

Friseur. Meinetwegen, – und da denk' ich manches Stück Geld zu verdienen.

Tänzer. Sie soll ja erst gestern von dem Grafen L****, den Sie eben nannten, für eine einzige Stunde 200,000 Franken erhalten haben.

Sänger. Das ist nicht wahr! Es waren nur 20,000 Franken wie mir die Chiaretti heute auf der Probe sagte, die es vom Grafen L**** selbst gehört hat.

Hetzer. Ein sauberer Herr, dieser Graf L****, will ihm gelegenheitlich eines auf sein Plappermaul versetzen, sey's auch nur mit der Feder!

Schlichter. Das wäre unbillig; bezahlte Liebe hat keinen Anspruch auf Discretion.

Tänzer. Hier bleibt doch gar nichts verschwiegen!

Friseur. Da haben Sie ganz recht. Vor drei Tagen wurde ein Ehemann geprügelt, weil er bei seiner Frau [133] schlief, und am Morgen darauf wußte es schon die ganze Stadt.

Sänger. Unmöglich!

Erster Schauspieler. Das ist doch unerhört!

Tänzer. Dieß Geschichtchen wär' so etwas für den Redakteur der Flugschrift: »die Glocke der Hölle,« der ließe es gleich drucken!

Zweiter Schauspieler. Soll's wirklich wahr seyn?

Friseur. Wörtlich wahr, auf meine Ehre!

Hetzer. Erzählen Sie uns doch diesen Spaß!

Friseur. Ich weiß noch ein zweites, weit pikanteres! allein ich habe ausgetrunken, und meine vornehmen Kunden werden mich schon mit der größten Ungeduld erwarten.

Sänger. (Singt das Lied aus der Schweizerfamilie: »Laß sie fließen, die Thränen der Wonne,« etc. parodirend.)


»Laß sie warten, die vornehmen Kunden,

Uns ergötzet der perlende Wein,

Froh genießt diese seligen Stunden,

Leider kann es nicht immer so seyn!


(Alle: Bravo! Bravo!)«


Schlichter. Herr Wallfisch, geschwind noch sieben Bouteillen Laubenheimer, Eilfer! hier ist das Geld; auf [134] jeden Mann ein gläserner Vogel! Freund und Friseur, erzählen Sie uns Ihre zwei Geschichten!

Herr Wallfisch brachte den Wein, und füllte die Gläser; Schlichter's Wohlseyn wurde in einem dreimaligen Toaste ausgebracht, und der Friseur begann, indem er das halbvolle Glas nachsinnend mit seiner Rechten langsam hin und her wiegte, daß die Perlen sich an die Ränder schmiegten.

»Sie kennen ohne Zweifel den liebenswürdigen und lebenslustigen Prinzen S*, der vor einigen Monaten unsere Residenzstadt zu seinem Aufenthalte auf längere Zeit gewählt hat, weil ihm, wie verlauten will, die ewigen Zänkereien und Moralsprüche seines alten mürrischen Oheims, des regierenden Fürsten, zuletzt gänzlich unerträglich wurden.

In den Feldzügen von 1809 gegen Oestreich, 1812 gegen Rußland, und in den Befreiungsschlachten gegen Frankreich, hatte der ritterliche Prinz sich rühmlich ausgezeichnet; anstatt nun auf seinen Lorbeeren auszuruhen, eröffnete er auf seine eigene Rechnung, nach alter Prinzensitte, einen, wenn auch nicht ganz friedlichen, doch gewiß unblutigen Feldzug gegen die – Damen. Da dieser schöne Feind sich bekanntlich nach der Niederlage wieder aufrichtet, so ist an eine gänzliche Vernichtung desselben eben so wenig zu denken, als an einen ewigen [135] Frieden, der auch zwischen den großen Mächten nur ein menschenfreundlicher Traum bleibt.

Ein junger, reicher und schöner Prinz nimmt diese lebendigen Festungen weit schneller ein, als die gemeinen Krieger in Amors Heere; sie ergeben sich lieber an vornehme Belagerer, gleich den mächtigen Paladinen im Kriegsgefolge Carls des Großen, die sich, wie die alten Heldenromane berichten, eher dem Tode weihten, als ihre Schwerter einem unebenbürtigen Gegner auslieferten.

Unter den vielen Herzen, welche der Prinz wie Leibzigerlerchen aufspießte, befand sich auch das junge reizende Weibchen des Advokaten W*, dem es noch in seinem vierundfünfzigsten Jahre einfiel, in den uralten Orden der Hörnerträger zu treten.

Der Prinz hatte noch gegründete Ansprüche auf herrliche Besitzungen in Böhmen von großmütterlicher Sei und übertrug nun die Durchführung dieser Ansprüche diesem Advokaten, welchen die ganze Stadt als den geschicktesten aber geizigsten unter seinen Collegen kennt.

Im Hause desselben sah nun der Prinz das hübsche Weibchen, und verliebte sich auf der Stelle. Während der durch die Complimente des vornehmen Klienten ganz entzückte Aktenwurm in die rückwärts liegende Kanzlei ging, um eine Vollmacht zu diktiren, ergriff der Prinz diese Gelegenheit, der schönen Frau eine brillante Liebes erklärung zu machen, die auch ganz nach Wunsch aufgenommen [136] wurde. Als aber der Prinz um eine vertrauliche Zusammenkunft und zwar so schleunig als möglich, bat, eröffnete sie ihm mit Bedauern, daß dieß schlechterdings unmöglich sey, indem ihr Mann vom Morgen bis in die Nacht nicht von ihrer Seite gehe, und im Falle eine Commission ihn etwa in den Gerichtshof rufe, sie der strengsten Aufsicht eines alten Schreibers übergebe, der jeder Art von Bestechung unzugänglich sey, übrigens dürfe sie, ohne Begleitung ihres Mannes, die Schwelle des Hauses niemals verlassen. Sie rathe ihm also, wenn er ihren Besitz eines Geldopfers würdig halte, ihren Mann ohne alle Umstände zu fragen, wie viel er in dem Falle fordern würde, wenn ihm jemand den Antrag machte, seine Frau auf bestimmte Zeit abzutreten. Dieß sey das einfachste Mittel, ihn schnell zum gewünschten Ziele zu führen.

Wie der Rath, so die That!

Der Prinz stellte sich, als wisse die Frau noch nichts von seiner Liebe, und bot dem Advokaten, der auf die Hauptbedingung des ausschließlichen Abtretens vorläufig auf drei Monate gegen eine bedeutende Summe neben Festsetzung eines Reukaufes bereitwillig einging, seine berühmte Ueberredungskunst nun bei der eigenen Ehehälfte zu bewähren.

In Gemäßheit der geschehenen Verabredung geberdete sich das schlaue Weibchen wie rasend über einen so niedere trächtigen, ehrlosen Antrag, sprach von Scheidung, von [137] dem Beistande der Gerichte, von einem Fußfalle bei der Fürstin, u. s.w. und rief Gott zum Zeugen ihrer bisher unverletzten Treue an.

Der Prinz war über diese augenblickliche Verstellung, und über die Kunst derselben, welche dieNatur noch zu übertreffen schien, so erstaunt, daß er Anfangs wirklich glaubte, sie habe nur eine Gelegenheit gesucht, ihm auf eine recht auffallende Weise das Ungeziemende seines Antrags bemerklich zu machen; als aber der geizige Herr Gemahl die Schleußen seiner Beredtsamkeit aufthat, und mit einer Sündfluth von Gegengründen die Widerstrebende überschwemmte, da flossen die klarsten Thränen aus den holden Augen, und rollten in den Schwanenbusen hinunter, um dem Herzen den baldigen Einzug des neuen geliebten Gebieters zu verkünden, der nicht minder bemüht war oder wenigstens schien, die trostlos Scheinende zu beruhigen, und seinen Wünschen geneigt zu machen. Den vereinigten Talenten des Ehegatten und des Liebhabers gelang es endlich, eine Verständigung herbeizuführen, die sogleich in einen schriftlichen Vertrag verwandelt wurde, den die drei betheiligten Personen eigenhändig unterzeichneten, von welchen jede ein Exemplar erhielt. Im Artikel III. dieses Vertrages machte sich der Advokat ausdrücklich verbindlich, dem Nutznießungsrechte bei seiner Gattin, während der ausgesprochenen Zeit von drei Monaten, gänzlich zu entsagen, ja dem Prinzen sogar das Recht einzuräumen, [138] ihn wie einen Ehrenräuber zu behandeln, im Falle er ihn auf frischer That ertappen sollte. Der Prinz bezahlte die Pachtsumme baar in Dukaten, der Handel war geschlossen, und alle Theile hatten volle Ursache, damit zufrieden zu seyn.

Sechs Wochen mochte dieses Verhältniß friedlich gedauert haben, als der Prinz seinem Liebchen eines Morgens in einem Bilette meldete, daß ihn derFürst so eben zur Jagd eingeladen habe, wodurch er verhindert sey, sie vor 4 Uhr Nachmittags besuchen zu können.

Der Advokat hatte an demselben Morgen von einem Weinwirthe für die glückliche Durchführung eines sehr zweifelhaften Rechtsstreites neben der Baarzahlung der Deserviten auch einen Korb voll des besten Rheinweines erhalten, dreizehn Flaschen. Als ein alter Feind aller ungeraden Zahlen, und besonders der fatalen Zahl 13, beschloß er, die überzählige ausnahmsweise selbst auszustechen, und lud seine Ehehälfte dazu ein.

Daß die Verhältnisse den Menschen bestimmen, ist eine bekannte Sache, die sich nun auch an dem Advokaten bewährte. War's nun Aufregung des Weines, oder eine augenblickliche Laune, die durch das Berbot gereizt wurde, oder eine erhöhte Meinung von der Liebenswürdigkeit seiner Frau, die selbst ein Prinz begehrungswerth fand, genug, der gute Mann strauchelte, und fiel über den Artikel III. des bestehenden Vertrages.

Wie nun der Gott sey bei uns mit den Menschen[139] manchmal sein Spiel treibt, so mußte der Fürst mitten auf dem Wege in den Jagdpark umwenden, weil ihn ein plötzlicher Frost anfiel. Mit der Jagd war's also aus, und der Prinz stand vor dem sündhaften Paare, wie ein flammender Cherub vor den ersten Menschen nach dem Aepfelfraße. Ergrimmt über diese frevelhafte Verletzung des Vertrages, prügelte er den Ehrenräuber in Folge der Ermächtigung des Artikels III. auf der Stelle dergestalt durch, daß an einen Rückfall innerhalb des noch übrigen Vertragstermines, selbst bei der Vorspann von zwölf Flaschen Wein, nicht mehr zu denken war.

Das schlaue Weibchen ging frei durch, weil es im Momente der Ueberraschung die Ueberwältigte zu pielen mußte, die vielmehr Bedauern und Hülfe, als Vorwürfe und Strafe zu verdienen schien.«

Der Friseur schwieg, und empfing von allen Seiten Zeichen des Beifalls für das artige Histörchen, und den für einen Friseur wirklich unerwartet guten Vortrag.

Diese überflüssige Bemerkung Schlichter's in einem Augenblicke, wo die Zuhörer nur den Erzähler als Erzähler, und nicht in seiner Nebenbedeutung als Friseur beurtheilen mußten, reizte diesen zur Gegenäußerung: »daß die französische Revolution aus manchem Vicomte und Marquis einen Friseur gemacht habe, ohne daß die Frisirten deßwegen über dessen höhere Bildung sich verwundert hätten; er für seine Person danke übrigens dem [140] Herrn Schlichter für die schmeichelhafte Ansicht, da sie ihn an die Versäumniß seiner Morgenbesuche erinnere, die er nun sogleich zu machen gedenke.«

Sprach's, und erhob sich zürnenden Antlitzes von der ledernen Bank, wie ein homerischer Held im Lager vor Troja, statt des ehernen Schildes den Kamm- und Scheerenbeutel mit langen knochigen Fingern ergreifend, und das noch bepapierte Lockenhaupt unmuthig schüttelnd, daß es rauschte, wie eine von Dorfjungen geplünderte Haselnußstaude.

Die andern hohen Mächte bei diesem Weingelage,Hetzer, die beiden Schauspieler, der Sänger und der Tänzer, boten sogleich ihre Vermittlung an, die nun auch ohne weiters zu Stande kam, daSchlichter statt einige Festungen, die er im Besitzfalle als Bürgschaft seiner friedfertigen Gesinnungen hätte ausliefern müssen, noch einige Flaschen Wein lieferte, womit nun die zweite Erzählung desFriseurs flott gemacht wurde.

»Es mögen nun sieben oder acht Monate seyn, daß ein wunderschönes Fräulein, welches in einem adeligen Erziehungsinstitute wie eine Treibhauspflanze für die große Welt gebildet wurde, einen sehr alten aber äußerst reichen Baron heirathen sollte, der vier Meilen von hier auf seinen Gütern lebte.

Erwarten Sie hier keine aufgewärmte Predigt gegen die Erziehung in Instituten, besonders der weiblichen adeligen [141] Jugend; es gibt gewisse Uebelstände im Staatsleben, die allen Anklagen der Vernunft trotzen, wie die Pyramiden Aegyptens allen Stürmen. Kinder, die nicht im elterlichen Hause erzogen werden, vergessen ihre Eltern in solchem Grade, daß sie dieselben zuletzt nur noch als Verwandte betrachten.«

Cölestine hatte alle Ursache, ihre Eltern nicht einmal als Verwandte, sondern als Feinde anzusehen, da sie das arme Kind aus Habsucht einem alten Manne hingeben wollten, der seinen welken Leib an der Vestaflamme der Jugend und Schönheit zu erwärmen wünschte. Der Handel wurde also geschlossen, und Cölestine durch einen Brief aus dem elterlichen Hause in Kenntniß gesetzt, daß am nächsten Montage der Bräutigam erscheinen werde, um sie auf sein Stammschloß zu führen, wo die Trauung geschehen solle; eine Modehändlerin sey bereits angewiesen, reichlich für ihre Toilette zu sorgen.

Das holde Opferlämmchen liebte aber einen Lieutenant, den sie vor ihrem Eintritte in das Institut an der Schloßwache hatte kennen lernen, als sie eines Sonntagmorgens nach der Mode der schönen Welt die Hofkirche besuchte.

Ich muß hier, so schwer es mir fällt, und so wenig ich mich dadurch den Damen zu empfehlen hoffen darf, allen Ehemännern und Liebhabern, deren Gattinnen und Liebchen aus übergroßer Andacht gar zu häufig die Kirchen besuchen, ein gerechtes Mißtrauen und eine sehr nöthige Vorsicht [142] wohlmeinend anrathen, indem diese geweihten Orte häufig zu Liebesintriguen benützt werden.

Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. In den katholischen Kirchen sieht man gewöhnlich an den Gittern der Seitenaltäre geschriebene Gebete angeheftet, worin der Heilige, dem ein solcher Altar geweiht ist, um seinen besondern Schutz angefleht wird.

Nun hatte ich ein Liebchen, das mir Liebe heuchelte, und einen Andern begünstigte. Dieses Mädchen hieß Klara, und betete an jedem Abende in der Dreifaltigkeitskirche am Altare der heiligen Klara, ihrer Schutzpatronin, sobald es zu dunkeln begann, mit einer Innigkeit, welche für alle in der Nähe befindlichen Beter und Beterinnen höchst erbaulich war.

Mein Klärchen fand nun unter diesen vielen Gebeten immer ein offenes Liebesbriefchen von meinem Nebenbuhler, das sie zu sich steckte, und am andern Abend durch eine Antwort ersetzte. Um vor zufälliger Entdeckung sicher zu seyn, war zwischen Beiden eine geheime, aber sehr einfache Schrift verabredet; sie rückten nämlich um einen Buchstaben voran. Statt a nahmen sie b, statt b wählten sie c, u.s.f.Liebe schrieben sie zum Beispiele so: Mkfcf. Wer den Schlüssel nicht hatte, und die Dechiffrirkunst nicht verstand, konnte kein Wort lesen.

Die alte Magd des Küsters, Gertraud, eine alte Betschwester, die vor vielen Jahren im Hause meiner Eltern [143] gedient hatte, durchlas an einem gelegenen Tage, wo die Kirche gesperrt war, um die Böden und Stühle zu reinigen, die meisten Gebete, und stieß auch auf einen solchen Brief Klärchens an ihrenHeinrich.

Da sie durchaus nicht begriff, warum sie denn diesen Brief nicht lesen könne, so brachte sie ihn zufällig mir. Ich erkannte sogleich die Züge von Klärchens Hand, kam hinter das ganze Geheimniß, und gab der Treulosen den Abschied, in dankbarer Rückerinnerung jede gemeine Rache verschmähend.

So viel als Beleg zu meiner Warnung!

Im Institute sollte jeder Brief durch die Hand der Vorsteherin an seine Bestimmung gehen. Jedermann wird es aber einleuchtend finden, daß es unbillig sey, diese Anordnung auch auf Liebesbriefchen auszudehnen, deren Inhalt gewöhnlich durchaus für kein fünftes Ohr paßt. Und doch war es hier so; es versteht sich aber von selbst, daß keines von diesen eingepferchten Lämmchen diese Zwischenpost zur Expedition der geheimen Herzensdepeschen wählte. Brüder, Schwestern, gutmüthige Tanten, und dergleichen, wurden in solche Geheimnisse eingeweiht, und ließen sich nach Umständen als Amors Großbotschafter verwenden.

Cölestine fand jedoch mit Hülfe des Lieutenants einen weit verlässigeren Canal, der ihr nicht minder ersprießlich war, als den Bewohnern von London der Weg [144] unter der Themse, und dieß war der alteHausmeister, der früher noch als Feldwebel mit dem Lieutenant bei der nämlichen Compagnie gedient hatte.

Nicht im mindesten aus Eigennutz, sondern aus vieljähriger dankbarer Anhänglichkeit, handelte der alte Knasterbart geben die ausdrückliche Bestimmung seiner Instruktion, und der Briefwechsel nahm regelmäßig seinen Lauf.

Auf die eilige Meldung Cölestinens von der nahen Trauung erhielt sie zur Antwort: »frohen Muthes mit dem alten Baron abzureisen, für das Uebrige wolle er schon sorgen.«

Am bestimmten Tage erschien der Bräutigam mit seiner Schwester, einem alten Drachen jungfräulichen Standes, die er als Ehrendame der Braut auf dem Heimwege mit sich schleppte. Nach einem nichts weniger als schweren Abschiede, und nach gegebenem Versprechen der Eltern, am nächsten Morgen auf dem Stammschlosse zur feierlichen Trauung einzutreffen, fuhren jene mit Cölestine fort, und hielten auf halbem Wege in einem Wirthshause an der Landstraße an, um dort Mittag zu machen, und neben den köstlichen Forellen, die in der Nähe gefangen wurden, jene herrliche Aussicht in das nahe Gebirg zu genießen, wodurch diese Schenke der Lieblingsaufenthalt der Einwohner unserer Hauptstadt geworden ist.

Auf einer kleinen Anhöhe im Garten, der die Rückseite [145] der Schenke bildete, wurde in einer Jasminlaube das Mittagmahl eingenommen. Nach dem Tische schmauchte der alte Herr sein Pfeifchen Knaster, ließ seinen ledernen Polster aus dem Wagen holen, und »streckte die Glieder, und legte sich nieder.«

Cölestine strengte ihre Augen wie ein Telegraphendirektor an, um auf der nahen Heerstraße den Retter in der Noth kommen zu sehen; er kam nicht, und das Herzwasser trat wie dichter Thau ihr in die Augen.

Sie stieg nun langsam zu den Blumenbeeten hinab, zu den prunkenden Tulpen, und zu den lieblich duftenden Jonquillen mit den binsenförmigen Blättern. Unter den zwölf vorzüglicheren Gattungen dieser Blume liebte sie besonders die Jonquille de Lorraine unie, die Lothringische vereinigte Jonquille, mit ihren sechs schönen lichtgelben Blättern, wovon eines das andere trägt, daher man sieUnie, oder die vereinigte nennt.

»Wär' ich doch auch vereinigt mit ihm, wie gern trüg ich den Namen: Unie, – seufzte Cölestine, pflückte ein unscheinbares Blümchen, und entblätterte es, indem sie im Stillen sagte: Er kommt nicht! Er kommt! Er kommt nicht!«

Das letzte Blättchen krönte ihre Erwartung: »Er kommt!« und getröstet hüpfte sie nun durch alle Hecken, daß der Drache mit der weiten bauschigen Seidenstoffrobe ihr keuchend nachrauschen mußte.

[146] Allein es wurde Abend, und er war noch nicht da. Der Baron hatte schon die Zeche bezahlt, und Cölestinen bereits den Arm gereicht, um sie zum Wagen zu führen, vor dem die Pferde ungeduldig stampften, als in der Ferne das Rasseln einer Calesche gehört wurde, die auch gleich darauf um die Waldesecke die Richtung nach der Schenke nahm.

»Wir wollen doch sehen, wer heute noch so große Eile hat,« sprach der Baron, und zog den rechten Fuß wieder zurück, den er schon zum Einsteigen an gesetzt hatte.

Seine Neugierde blieb auch nicht lange unbefriediget.

Die Calesche hielt, und ein junger Mann in einem dunkelgrünen Oberrocke sprang heraus, und half einer in einen großen Reisemantel gehüllten Dame mit großer Ehrerbietung aus dem Wagen.

Der Fremde ging sogleich zu dem Baron hin, der eben abzufahren dachte, und fragte ihn sehr höflich: »Sind Sie der Herr Baron von Sp*?«

»Ja! Was steht Ihnen zu Diensten?«

Der Fremde trat einige Schritte näher und flüsterte leise: »Erschrecken Sie nicht, und machen Sie so wenig Aufsehen als möglich, Sie sind mein Gefangener!«

Der Baron. (Bestürzt, doch leise). Ihr Gefangener? Wer sind Sie? Wo ist der Verhaftbefehl?

Der Fremde. Ich bin ein Agent der geheimen Polizei, [147] und bedarf sohin keines bestimmten Verhaftbefehls; in jedem Falle wäre die Zeit dazu unter den vorliegenden Umständen zu kurz gewesen.

Der Baron, Aber der Grund meiner Verhaftung wird Ihnen doch bekannt seyn?

Der Fremde. Dem Polizeiministerium ist von anonymer Hand ein Brief zugestellt worden, den Sie an einen Offizier in der Hauptstadt geschrieben haben, worin Sie einige demagogische Entwürfe vertheidigen, und deren Ausführung sehr dringend anempfehlen.

Der Baron. O wenn es sonst nichts ist, so war es wirklich nicht der Mühe werth, daß Sie mir nachsetzten. Das Ganze ist nur eine philosophische Erörterung, die ich meinem alten Freunde, dem pensionirten Oberstwachtmeister Zaun zur Prüfung mittheilte.

Der Fremde. Desto besser für Sie. Inzwischen muß ich mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben; Seine Excellenz der Herr Polizeiminister wollen Sie heute noch persönlich verhören. Sie werden also die Güte haben, mir nebst Ihrem Fräulein Schwester unverzüglich zu folgen.

Der Baron. (Aufgebracht.) Herr, wo denken Sie hin? Was hat meine Schwester mit meiner Correspondenz zu schaffen? Und soll ich meine Braut zur Gesellschaftsdame eines Gefangenen machen, oder allein hier in dieser Schenke zurücklassen.

[148] Der Fremde. Keines von beiden. Seine Excellenz haben diesen Fall in ihrer ministeriellen Weisheit vorhergesehen, und diese Dame, eine Nichte Seiner Excellenz, eine geborne Freyin von Treu, ersucht, bei der gnädigen Braut einige Stunden gefälligst zu verweilen, bis Sie wieder den Rückweg antreten können.

Durch diese Vermittlung beruhiget, ergab sich derBaron, der sich in der Eigenschaft eines Staatsgefangenen zu gefallen schien, in sein Schicksal, und fuhr mit dem Fremden und seiner Schwester, nachdem er der Braut versprochen hatte, noch vor Mitternacht wieder in der Schenke einzutreffen, nach der Hauptstadt zurück; die beiden Damen begaben sich in das schönste Zimmer des oberen Stockwerkes.

Hier warf die Freyin von Treu den Reisemantel weit von sich, stürzte zu Cölestinens Füßen, und rief zärtlich aus: »Geliebte Cölestine, kennst du deinen Lieutenant nicht mehr?«

Er war's; sein junges Gesichtchen wie Milch und Blut machte es ihm leicht, als Dame das geübteste Auge' zu täuschen. Man kann sich das Glück der Liebenden denken, die seit Jahren zum erstenmale so allein waren! Nach zahllosen Küssen erzählte der Lieutenant ganz kurz, daß die Arretirung des Barons nur eine mit seinem Freunde verabredete List sey. Dieser habe nämlich vor einigen Tagen bei dem pensionirten Oberstwachtmeister Zaun einen Brief [149] des Barons gelesen, worin ein Artikel einer französischen liberalen Zeitung übersetzt war, dessen PrüfungZaun besorgen sollte. Als nun der Lieutenant seinem Freunde die bevorstehende Abreise Cölestinens klagte, machte dieser ihm jenen Vorschlag, der auch glücklich ausgeführt wurde.

Was war aber jetzt zu thun? »Eine Entführung konnte nicht in ihrem Plane liegen, da sie Beide kein hinreichendes Vermögen hatten, um gänzlich unabhängig zu leben, auch galt dem Lieutenant seine Ehre mehr als Alles; dem Baron die Täuschung entdecken, blieb in jedem Falle ein sehr gewagtes Spiel; entweder er verzieh, oder er verzieh nicht. Verzieh er, so mußte er mindestens, seiner Ehre wegen, der Verbindung mit Cölestinen entsagen: verzieh er nicht, so wurde die Sache anhängig; beide Freunde konnten auf Cassation und Festungsstrafe eine bestimmte Rechnung machen, in jedem Falle war Cölestine der übelsten Nachrede ausgesetzt, und für den Lieutenant verloren.«

Nach eben so rascher als sorgfältiger Erwägung dieser Umstände beschlossen die Liebenden, blosHauptprobe von der auf morgen festgesetzten Hochzeitfeier zu halten, damit Cölestine durch kein unbehülfliches Benehmen auf diesem wichtigen Gange den Spötteleien der eingeladenen Landdamen irgend eine Blöße gebe, eine löbliche Vorsicht, die gewiß kein Unbefangener verargen wird, wenn er bedenken will, daß selbst Napoleon, der Sage nach, von dem berühmten Talma auf große öffentliche Staatsrollen [150] sich jederzeit vorbereiten ließ. Obgleich nun der Lieutenant bei weitem kein Talma war, so konnte er doch Cölestinen, als erster Liebhaber eines Gesellschaftstheaters, über Haltung und Bewegung wenn auch keinen erschöpfenden, wenigstens einen befriedigenden Unterricht ertheilen. Unbegreiflich blieb es ihm aber doch, daß Cölestine, die er als ein sehr talentvolles Mädchen kannte, gerade diese Lehren so schwer begriff, und er würde sie schwerlich so oft wiederholt haben, hätte er nicht gerne aus übergroßer Liebe dem Glücke seiner Geliebten die eigene Geduld zum Opfer gebracht. –

Der Freund des Lieutenants brachte um 1 Uhr nach Mitternacht den alten Baron zurück. Der Polizeiminister hatte ihm durch den angeblichen Agenten eröffnen lassen: »daß er von seiner Unschuld vollkommen überzeugt sey, und sich beeilen wolle, den Fürsten davon in Kenntniß zu setzen, damit Seine Durchlaucht die Vertretung der Ehre des Herrn Barons an der fürstlichen Tafel zu übernehmen geruhen mögen.«

Der Baron war über den glücklichen Ausgang der Sache so erfreut, daß er seinem Begleiter die eigene goldene Dose, und der Gesellschaftsdame seiner Braut einen Brillantring, den er am kleinen Finger der linken Hand trug, zum Andenken gab. Eine freundliche Einladung zum Hochzeitfeste mußte natürlich abgelehnt werden. Der Wagen des Barons rollte mitCölestinen und dem Drachen [151] dem Stammschlosse zu. Im Dunkel der Nacht mag das arme Kind wohl viele tausend Abschiedsthränen heimlich in das Taschentuch geweint haben.

Am andern Tage war die feierliche Trauung in der Schloßkapelle, und Mittags ein Mahl von mehr als 200 Gedecken. Ich übergehe die Trauungsrede des Herrn Pfarrers, die so kläglich war, daß es gar nicht zu verwundern gewesen wäre, wenn er allen anwesenden Unvermählten die Heirathslust auf immer verleidet, und alle Eheleute zur Scheidung getrieben hätte; ich schweige von der geputzten Schuljugend, an der man zwar die Jugend, aber nichts von derSchule gewahrte; ich wiederhole die Trinksprüche und Lebereime nicht, welche die ledernen Krautjunker bei der Tafel loslegten; ich schildere nicht, wieWalter Scott, den alterthümlichen Speisesaal, und die Anzüge der Gäste; ich zähle nicht die Walzer, Menuette und Dreher des Balles, und schweige von den Verwirrungen der benebelten Herren und Damen, welche bei so vielen sich durchkreuzenden Gemächern unvermeidlich waren; ich folge auch nicht dem Brautpaare an Hymens Opferaltar, obgleich ich Dinge davon berichten könnte, von welchen sich, wieHamlet sagt, unsere Philosophie nichts träumen läßt, aber das kann und darf ich nicht verschweigen, daß Cölestine am zweihundert und achtzigsten Tage nach der Arretirung des alten Barons einen holden Knaben gebar, dem nichts als die Uniform fehlte, um ein Lieutenant im verjüngten [152] Maaßstabe zu seyn. Die Vaterfreude, vielleicht auch die Verwunderung über dieses Spiel der Natur, tödtete den altenBaron auf der Stelle, als ihm die Hebamme den auf seinen Stamm gepfropften Sprößling glückwünschend präsentirte, und als Cölestine aus den Wochen und aus der Trauer kam, erhielt sie den Herzallerliebsten zum Gemahle, und es fand sich, daß der kleineGottfried, obgleich sein Vater starb, doch nie eine vaterlose Waise war. –

Hier endete der Friseur, stürzte das letzte Glas hinunter, und sprang unter allgemeinem Gelächter und rauschendem Beifalle, aus dem Wallfischbauche hinaus, um seine fluchenden Kunden mit den Lügen des Tages zu beschwichtigen.

Um die böse Sieben vollzählig zu erhalten, klirrte jetzt Jost, ein junger Stallknecht des Erbprinzen, mit seinen langen Sporen zur Thüre herein. Er war bekannt als Liebling des Erbprinzen, und über diese Gunst gab es verschiedene Meinungen und Auslegungen im Publikum, das von jedem Verhältnisse gerne immer das schlimmste urtheilet. So viel war gewiß, daß Jost ein bildschöner Jüngling genannt werden konnte, aus dem vielleicht mancher einflußreiche Papa für sein heirathslustiges Töchterchen einen Bräutigam geschnitzelt hätte, wäre die vernachlässigte Bildung in den Knabenjahren nicht ein unüberwindliches Hinderniß gewesen.

[153] Jost galt aber auch für einen Schlaukopf, und sein Herr benützte ihn oft zu Aufträgen, wozu Grütze im Kopfe nöthig war. Diesem Vertrauen entsprach er besonders, als die Gräfin von Spindel ein Jahr früher alle ihre Netze ausspannte, den Erbprinzen zu fangen, der eine so leichte Eroberung verschmähte; dieses aufdringliche Zuvorkommen war ihm verhaßt.

Jost mußte die Verhandlung mündlich leiten, und trug um so lieber dazu bei, die Hoffnungen der Gräfin zu vereiteln, als er selbst ein Auge auf sie geworfen hatte. Nun ist es zwar eben nichts so gar Erstaunliches, daß eine Gräfin sich von einem Stallknechte lieben läßt; allein nicht leicht wird sich eine Dame entschließen können, einen fürstlichen Korb ohne weiteres mit den zärtlichen Tröstungen eines Roßdieners zu füllen. Er mußte sohin sein täppisch-voreiliges Wesen mit einer derben Maulschelle büßen, die ihm selbst nach dem Verlaufe von vier Jahreszeiten noch wurmte.

Die Anwesenden merkten sogleich, daß ein ganz besonderer Umstand den Jost hierher führen müsse, da er weder zu den gewöhnlichen noch zu den seltenen Gästen gehörte; ihm stand ja der Keller desErbprinzen offen.

Schlichter saß auf glühenden Kohlen; er hätte gar zu gerne gewußt, was im Hintergrunde liege. Sein gewöhnliches Mittel, den Leuten mit Wein den Mund zu öffnen, wollte er auch heute versuchen; alleinJost lehnte [154] es ab, und versicherte, daß er nüchtern bleiben müsse, und daher nur auf eine Flasche Champagner sich beschränken wolle.

Eben rief Schlichter dem Wirthe, als Jost ihm zuvorkam, und dem erstaunten Wallfische vier blanke Dukaten in die Rippen drückte, worauf sogleich drei Flaschen von diesem hochgepriesenen Dichterweine erschienen.

Jost hatte noch nicht die Hälfte einer Flasche ausgetrunken, als er schon redselig wurde. Hetzer wies ihm die von Rosa erhaltene Busennadel; zufällig traf dieß den andern bei der schwachen Seite; er zeigte also dem Hetzer ein Blatt Papier, worauf die Worte standen:


»Mit Sehnsucht erwartet Sie

Rosa


Dabei war Jost so pfiffig, die Miene anzunehmen, als sey er der Glückliche, dem diese süßen Worte galten; der gewandte Hetzer ließ sich aber nicht täuschen, und indem er sich stellte, als glaube er dieser Versicherung, wußte er ihn so künstlich in Widersprüche zu verwickeln, daß er zuletzt gestand, wie sich die Sache verhielt.

Es versteht sich von selbst, daß Beide im Hintergrunde des Wallfischbauches mit einander sprachen, worüber die Andern von der Trinkgesellschaft gewaltig stutzten.

Jost erzählte nun, daß der Minister Graf von Spindel ihn so eben habe rufen lassen, und beauftragt, [155] die von Rosa geschriebenen Worte demErbprinzen mit der Meldung heimlich zu geben: daß er diese Einladung unmittelbar aus Rosa's Hand empfangen; zugleich solle er ihm den Ort, die Stunde, und die übrigen verabredeten Maßregeln der Zusammenkunft ausführlich und genau bezeichnen.

»Hat er dich gut bezahlt?« fragte ihn Hetzer, und machte absichtlich von dem vertraulichen Du ihrer Knabenzeit Gebrauch, um den Schein eines wohlmeinenden Freundes zu behaupten.

»Zehn Dukaten!« antwortete Jost.

»Und du willst jetzt dem Erbprinzen dieses Papier wirklich zustellen? Du weißt doch, daß der Minister kein Freund des Erbprinzen ist; vielleicht ist das Ganze nur eine neue Falle, die er ihm legen will. Kommt nun das Spektakel an den Tag, so wird es dir schlecht gehen; du wirst nicht nur deinen guten Posten verlieren, sondern auch ohne allen Zweifel auf der Festung den Karren schieben. Auf den Minister darfst du dich gar nicht verlassen; ist sein Plan einmal ausgeführt, glücklich oder unglücklich, so kümmert er sich wenig darum, welches Loos dich erwartet. Ich wollte dir schon einen bessern Rath ertheilen!«

»Den bessern ziehe ich vor!«

»So speise heute mit mir im goldenen Schwane; dort wollen wir das Weitere verabreden!«

[156] »Mit Vergnügen! Um welche Stunde?«

»Schlag 1 Uhr!«

»Gut! Ich werde mich pünktlich einfinden!«

Schlichter war höchst unmuthig, daß ihm diese ganze Unterredung entgangen war, ohne sich's jedoch merken zu lassen. Der Mittag nahte sich;Hetzer und Jost schlichen sich ohne alles Aufsehen fort, während die Andern eben über zwei neue Eroberungen einer listigen Tänzerin lebhaft stritten.

Fußnoten

1 3/8 Maß.

2 »Im Wein ist Wahrheit.«

Des Recensenten Traum
Des Recensenten Traum.

Hetzer eilte in den Gasthof, um sich mit Rosa über jene Angelegenheit zu benehmen, wovon ihnJost so eben in Kenntniß gesetzt hatte. Rosa's Verfahren war ihm nur in dem Falle erklärbar, wenn sie den Inhalt seiner Denkschrift noch nicht kannte; aller Vermuthung nach mußte sie aber dieselbe bereits gelesen haben, wie hätte sie ihm sonst danken und ein so ausgezeichnetes Geschenk senden können? Freilich mag es wohl oft der Fall seyn, daß allerhöchste Personen für überschickte Werke Dankschreiben und goldene Dosen übermachen, ohne sich zuvor um den Inhalt und Werth solcher Werke persönlich zu bekümmern, obgleich seit einiger Zeit solche Ehrengeschenke an Gelehrte, Schriftsteller, [157] Dichter, Tonsetzer u.s.w. aus der Mode zu kommen scheinen; aber ihnen stehen doch Männer zur Seite, die den Beruf und mitunter auch die Fähigkeit zur Prüfung haben, auf deren Urtheil sie dann die Beschlüsse ihrer Huld gründen; da jedoch die Denkschrift Hetzers als ein Geheimniß, ausschließlich für Rosa bestimmt, zu betrachten war, so konnte er sich nicht überreden, daßRosa's in der That brillante Antwort die Frucht eines fremden Urtheiles seyn könne. Seine Verstimmung ob dieser Ungewißheit verlor sich zum Theil, als er an einer Straßenecke einen Zettel angeschlagen sah, auf welchem mit überaus großen Buchstaben folgende Anzeige gedruckt stand:


Koncert-Anzeige.


»Herr Paganini wird auf seiner Durchreise nach Paris heute die Ehre haben, sich in selbstcomponirten Bravour-Variationen auf der Violine hören zu lassen, mit dem Bemerken, daß die Muse des Gesanges, Signora Rosa, sein Koncert durch ihre Mitwirkung verherrlichen werde.«


Schon lange hatte sich Hetzer nach dem Hochgenusse gesehnet, den ersten Violinspieler auf der Welt selbst zu hören, und nun war dieser schöne Augenblick so unvermuthet erschienen, der eine noch höhere Weihe durch Rosa erhalten sollte.

Kaum seinen Augen trauend, stand er vor der gedruckten [158] Anzeige, als enthalte sie die Nachricht, daß er das erste Loos in der Frankfurter Lotterie gewonnen habe.

»Gratulire!« rief eine Stimme hinter ihm, und eine Hand klopfte ihm auf die Schulter.

»Wozu?« fragte Hetzer sich umwendend.

Es war ein täglicher Tischgenosse von ihm, der in einer kritischen Zeitschrift: »die Wespe,« so eben eine Parodie von dem bekannten Traume in Wal lensteins Tod gelesen hatte, von Hetzer zur Züchtigung eines leidenschaftlichen Recensenten gedichtet, der vor wenigen Tagen einen der ersten Tragöden Deutschlands über seine Darstellung des Wallenstein in genanntem Stücke auf eine böswillige Weise durchhechelte.

Hetzer mußte herzlich über den allgemeinen Beifall lachen, womit seine Parodie verschlungen wurde, wie ihn dieser Herr im Vorbeigehen versicherte, und verdoppelte nun seine Schritte, um in einer so wichtigen Sache keinen Augenblick zu versäumen. In der Ueberzeugung, den geehrten Lesern eine Unterhaltung zu verschaffen, bin ich so frei, diese Parodie, da jene Zeitschrift wohl schon längst vergriffen seyn mag, hier einzuschalten. Sie führt die Aufschrift:

»Des Recensenten Traum
»Es gibt im finstern Recensentenleben
Auch Augenblicke, wo sie dümmer sind
[159]
Als sonst, und wo der Kritiker die Frage
An's Schicksal stellen darf ›wer ist doch wohl
Bornirter noch und alberner, als ich?‹
Solch' ein Moment war's, als ich in der Nacht,
Die auf den Tod des Wallenstein erfolgte,
Gedankenvoll auf meinem Strohstuhl sitzend,
Hinaus in's Dunkle sah. Nur spärlich glomm,
Wie mein Verstandeslicht, die düst're Lampe;
Des Biergeist's dumpfes Dröhnen in dem Kopf,
Der Mäuse ängstlich Suchen nach der Nahrung,
Die sie bei mir nicht fanden, – unterbrachen
Die Stille, die einförmig um mich lag.
Mein ganzes Leben ging, vergangenes
Und künftiges, in diesem Augenblicke
An meinem inneren Gesicht vorüber.
Da sagt' ich also zu mir selbst: ›So oft
Schon hast du einen derben Bock geschossen,
Noth that's; denn leben will der Mensch und essen,
Und Bockfleisch ist doch besser noch als keines.
Novellen schrieb ich, wasserreich und mager,
Um selbst nicht ewig Wasser nur zu trinken.
Die Sünd' ist abgebüßt, die Recensenten
Bezahlten besser mich als mein Verleger.
So hab' ich mancherlei und viel versucht
Im Feld' der Poesie; doch mager war
Der Lohn; d'rum hab' ich mich auf's Recensiren
Verlegt, und fand auch glücklich einen Mann,
Der mich dafür bezahlt, doch fürcht' ich fast,
Durch meine ewige Begehrlichkeit
Zu frühe seine Großmuth zu ermüden.
Weil nun das Sprichwort sagt: es bringt sich Hans
Mit Dummheit fort, so möcht' ich wissen doch,
[160]
Wer wohl der Dummste ist der Recensenten,
Um seiner genialen Spur zu folgen?
Der soll mir's sagen, dem will ich vertrauen,
Der an dem nächsten Morgen mir zuerst
Entgegenkommt mit einem Liebeszeichen.‹
Und dieses bei mir denkend, schlief ich fester,
Als selbst die Leser meiner Werke ein.
Und in das Schauspielhaus ward ich geführt
Im Geist; groß war der Drang; von Rippenstößen,
Sollt' man wohl glauben, blieb der Geist verschont,
Doch die Substanz des meinen ist so grob,
Und – mag sich's widersprechen – roh geformt,
Daß sein Erscheinen schon zu Rippenstößen
Stets invitirt. Der Vorhang flog hinauf,
Und Schillers Wallenstein bewegte sich
Als herrlich großes Bild vor meinem Blicke.
Die Kunst rang mit Natur, Natur mit Kunst,
Wer siegte, wußte Niemand zu entscheiden.
Das soll ja doch, ich hab's einmal gelesen,
Denn mir kommt Kluges niemals in den Sinn,
Der Hochgenüsse größter seyn. ›Das mußt Du,‹
So sprach ich zu mir selbst, ›doch wohl auch loben!‹
Jetzt schwirrte in der schönen Traumesscene
Ein gift'ger Pfeil, von eines Dämons Hand
Entsendet, durch die Luft, traf mein Gehirn;
Zerrüttet ward mir alle Urtheilsgabe,
Ich sank hinab zum Troß der rohen Schimpfer,
Und um mich bellend lag ich auf dem Boden.
Hinweg, gleichgültig, wandte sich von mir
Ein jedes klar gesund verständig Wesen.
Da faßte plötzlich hülfreich mich ein Arm
Mit derber Kraft, und schnell erwacht' ich;
[161]
Tag war es, und der Redakteur stand vor mir;
›Ich bitte,‹ sprach er, ›reit' doch heute nicht,
Wenn du den Wallenstein willst recensiren,
Den Esel, wie du pflegst; besteige lieber
Den Pegasus, und schwinge dich hinauf
Zu jener höhern Sphäre, die den Standpunkt
Zum reinen Urtheil über Künste gibt;
Thu' mir's zu Lieb, sonst wirst du ausgelacht!‹
›Nein‹ sprach ich, ›reite du den Pegasus,
Ich bleibe schon bei meinem alten Esel!‹
Schnell schwang ich mich hinauf und kritisirte,
Und Schaam und Neue fühlt' ich niemals wieder.«

Nach der Unterredung mit Hetzer, die länger als eine halbe Stunde dauerte, bestellte Rosa augenblicklich vier Postpferde an ihren Reisewagen, und flog bald darauf mit jenem, der an ihrer Seite Platz nahm, zum Thore hinaus.

Die heimlichen Kabinetchen
[162] Die heimlichen Kabinetchen.

Inzwischen eilte der Herr Kabinetsminister Graf von Spindel zu Fuße, in einen ganz einfachen Oberrock gekleidet, auf Seitenwegen in die Vorstadt, in das Haus, welches, wie er zu Rosa gesagt hatte, zu seiner Verfügung war.

Das Haus gehörte der alten Wittwe eines gräflichen Castellans, welche von der Begünstigung heimlicher Zusammenkünfte lebte. Diese Gemächer schnöder Lüste waren jedoch tief unter jener auserlesenen Eleganz, welche in Paris, London und Berlin gefunden wird. Bekanntlich herrscht in diesen Städten hierin eine fürstliche Pracht; die Portraite der Priesterinnen der Venus zieren über den Gesimsen der Thüren ihrer Kabinete die Corridore, welche Nachts mit Crystalllüstern beleuchtet sind, und auf ovalen Porzellantäfelchen stehen die Preise der vermiethbaren Schönheiten. Musik und Gesang beleben die innere Räume, in welchen festlich geschmückte Damen die Eintretenden mit dem feinsten Anstande empfangen. Wem eine mehr oder minder frivole Unterhaltung schon genüget, kann, ohne eine Zudringlichkeit befürchten zu dürfen, gegen Bezahlung des Preises, was jedoch auf eine schonende Weise geschehen muß, das Kabinet wieder verlassen, sobald es ihm beliebt. Kein zweideutiges Wort entschlüpft den Lippen dieser Mädchen, wenn nicht der Ton dazu angegeben wird; sie wissen [163] auch ohne nähere Vertraulichkeit die Stunde des Besuches durch ein bezauberndes Plaudern auszufüllen. Viele machen sich das Vergnügen, mit einem oder zwei dieser Mädchen, wozu allenfalls noch ein Freund geladen wird, ein Mittag- oder Abendmahl einzunehmen, welches keine herzogliche Tafel an Trefflichkeit überbieten könnte. Wer noch mehr wünscht, wenn der spanische Nachtischwein in den Adern glüht, wird alle seine Erwartungen übertroffen finden.

Hier aber, in der Behausung der alten Sibille war außer bürgerlicher Reinlichkeit nichts von höherem Geschmacke zu finden.

Sie saß, als der Minister eintrat, auf ihrem gewohnten Platze neben dem Ofen, in einem alterthümlichen Lehnstuhle, in einem einfachen Hauskleide, auf dem Kopfe eine weiße Nachthaube, nach Art der Mannheimer Weiber aus den niedern Ständen, mit einer alltäglichen Falbel als Randbesetzung; zu ihren Füßen saßen vier Katzen. Rings um sie her standen Kochtöpfe mit Fleisch und Gemüse, welche auf ihren Befehl die alte Cäcilie, ihre getreue Magd und Kupplerin, im Ofen ordnen mußte. Sibille gab nämlich vielen Gesellen, die in vorstädtischen Gewerben dienten, gegen eine mäßige Vergütung die Mittagskost, nicht so fast des kleinen Gewinnes wegen, als um Besuche anderer Art durch diesen Vorwand beschönigen zu können.

Sibille zählte bereits 72 Jahre und konnte in Folge eines vernachlässigten Fußübels das Haus nicht mehr verlassen; [164] aber außerdem war sie noch sehr rüstig, groß, und, wie mit Grund zu vermuthen war, einst wohl gewachsen. Ihre Augen und Ohren hatten an jugendlicher Schärfe nichts verloren. Neben dem Ertrage ihrer heimlichen Kabinetchen wucherte sie auch noch mit ganz kleinen Sümmchen; die sie einigen Lustdirnen zu 60 und 100 Prozenten auf wenige Tage vorstreckte, wenn sie eben nicht bei Geld waren, und doch eine Spazierfahrt auf Spekulation zu machen wünschten. In ihrer Wohnung durfte sich jedoch kein solches Mädchen aufhalten; Zusammenkünfte geschahen nur auf Bestellung, und wer sich nicht selbst mit Waare versehen konnte, für den oder die übernahm sie unter Beistand ihrer getreuen Cäcilie die Spedition. Denn nicht nur galante Herren, sondern auch lüsterne Damen, worunter gewöhnlich ganz entblätterte und verwelkte alte Rosen waren, fanden hier die Erfüllung ihrer Wünsche, wenn die Wogen der großen Welt sie längst schon auf eine Sandbank geworfen hatten. Arbeitsscheuen liederlichen jungen Menschen, die man ihrer bösen Streiche wegen nirgends duldete, und zu keinem Geschäfte verwenden konnte, gelang es oft auf diesem Wege, entweder lange Zeit ein sorgenfreies, wohl auch durch einen unbegreiflichen Aufwand verschönertes Leben zu führen, oder selbst durch eine Heirath die Verdienste ihrer Verirrungen zu krönen.

Sibille besaß ein genaues Verzeichniß aller Herren und Damen der Stadt, ledig oder verheirathet, welche [165] entweder als Käufer und Käuferinnen zu ihr kamen, oder über welche sie als Waare verfügen konnte. Die Personalbeschreibung war darin sehr ausführlich. Dieses Verzeichniß bekamen jedoch nur ihre vertrautesten und freigebigsten Kunden zur Einsicht und Auswahl, die übrigen mußten sich mit Lieferungen begnügen, wenn sie auch nur beiläufig ihren Wünschen entsprachen. Zu dieser möglichsten Vorsicht fand sich Sibille durch mehrfache Wiederholung des höchst unangenehmen Ereignisses gezwungen, daß ihr manche Herren und Damen falsche Namen für das Verzeichniß angaben, und auf diese Weise mancher Mann mit seiner Frau, mancher Liebhaber mit seinem Liebchen an dieser verdächtigen Stätte zusammentraf, ohne sich erwartet zu haben. Dadurch wurde manche Ehe getrennt, manche Heirath zerschlagen; dennoch fuhren sie dabei besser, als wenn sie fortwährend die Opfer einer verbrecherischen Täuschung geblieben wären.

»Was verschafft mir die hohe Gnade, Eure Excellenz in meinem Hause zu verehren?« begann die alteSibille, und drückte ihre beiden nackten, dürren, bräunlichen Arme, wie zum Raube verlängert, auf die Lehnen ihres Stuhles, als ob sie sich vom Sitze erheben wollte. Der Minister kannte ihre Gewohnheiten schon, und bat sie, ihrer Bequemlichkeit nichts zu vergeben.

»Meine liebe Frau Sibille,« – fing er an, – »ich muß Sie bitten, für einen meiner vertrautesten Freunde [166] der ein Mädchen aus einer sehr vornehmen Familie liebt, heute Nacht um 1 Uhr das Zimmer Nro. 5. bereit zu halten, an welches ein ganz kleines Kabinetchen stößt. In diesem wünsche ich unbemerkt, aberbemerkend, bis zum Fortgehen des Pärchens mit einem andern Freunde zu verweilen. Daß wir beide keine Störung verursachen, dafür bürgt Ihnen mein Wort. Besorgen Sie alles auf's Beste; ich werde, um keinen Verdacht zu erregen, mit meinem Freunde um eine Stunde früher kommen. Wir Beide haben dabei keine andere Absicht, als uns zu überzeugen, ob uns denn unser Freund, rücksichtlich des Namens seiner Geliebten, nicht getäuscht habe, und es liegt uns sehr viel daran, jeden Zweifel an der Glaubwürdigkeit desselben zu heben.«

»Allen Respekt vor dem Antrage Eurer Excellenz, aber meine Kunden müssen bei mir alle Vortheile der Heimlichkeit finden; es wäre gegen alle meine Grundsätze, sie fremder Belauschung bloszustellen; selbst Eure Excellenz würden alles Vertrauen zu mir verlieren; denn was gäbe Versicherung, daß ich einem ähnlichen Antrage gegen Eure Excellenz nicht gleichfalls Folge leisten dürfte? Nein, dieß kann ich nicht bewilligen; ich bin eine rechtschaffene Frau, welcher die Ehre ihres Hauses über Alles geht.«

»Bravo, Frau Sibille, bravo! Sie bestätigen durch diese edlen Grundsätze nur die beste Meinung, die ich von jeher von Ihrem Charakter gefaßt habe; aber es gibt gar [167] keine Regel, ohne Ausnahme, und beiwem, außer mir, könnten Sie mit besserem Grunde eine solche Ausnahme machen?«

Bei diesen Worten ließ er ein Dutzend Dukaten in die Tasche ihrer Schürze rollen, und gleich einem sumsenden Knabenkreisel, der augenblicklich verstummet, wenn man ihn am Stiele faßt, verfiel der Frau Sibille die Sprache, und der Handel war geschlossen.

Nach einigen nöthigen Verabredungen verließ derMinister das Haus der alten Sibille, und ging eben an Rosa's Gasthofe vorüber, als diese aus einem Gallawagen des Erbprinzen stieg.

»Triumph!« dachte er sich, – »der Vogel ist schon im Garne; jetzt schnell zum Fürsten!«

Die Audienz
Die Audienz.

»Eure Durchlaucht, – begann der Kabinetsminister, – haben seit vielen Jahren meine zwar geringen aber gewiß wohlgemeinten Dienste stets der huldreichesten Anerkennung gewürdiget, und auf eine ausgezeichnete Weise zu belohnen geruht. Nie hab' ich selbst einen besondern Werth auf diese Dienste gelegt, da sie eigentlich nur immer als nothwendige Folgen des Pflichtgefühles [168] zu betrachten sind, und schon aus dem Diensteide hervorgehen. Allein heute ist es mir gelungen, einen wichtigen Plan der bestimmten Ausführung zu nähern, dessen Kühnheit durch die Beruhigung Eurer Durchlaucht, und durch das Heil des Vaterlandes gerechtfertiget ist.«

»Sie spannen meine Neugierde, lieber Graf! –« erwiederte der Fürst; – »worin besteht dieser Plan?«

»Da ich überall Vertraute und dienstbare Geister habe, um sie nach Umständen zum Besten des höchsten Herrendienstes zu verwenden, so fehlen sie mir auch nicht in der nächsten Umgebung des Erbprinzen. Nun erfuhr ich heute, als noch kaum der Tag graute, daß der Erbprinz gestern in der Nacht der Maske des Don Juan der aus dem Stegreife durch die Sängerin Rosa veranstalteten Vermummung Theil genommen, und nach seiner Rückkehr auf das Jagdschloß mit der größten Begeisterung über ihre Schönheit sich geäußert habe.«

Neugierig, ob der *** Gesandte Graf L*** etwas hiervon wisse, da er ebenfalls auf dem Balle vonRosa war, lud ich mich heute bei ihm zum Frühstücke ein. Es sind schon einige Jahre verflossen, seitdem der Graf den Erbprinzen nicht mehr sah, daher auch ein persönliches Erkennen nicht wohl zu vermuthen war. Nach seiner Aeußerung hatte er nur, mitten im Gedränge, eine Maske zur andern sagen hören: »Siehst du, das ist der Erbprinz!«

[169] Wie hätte sich aber der Graf auch näher überzeugen können, ob der Erbprinz wirklich gegenwärtig gewesen, da er jene Worte in demselben Augenblicke vernahm, als er der schönen Rosa in ihr Kabinet folgte, um dort für den Miethpreis von 20,000 Franken entschädigt zu werden, den er nach dem bekannten Tarife der Liebe bezahlte, welchenEure Durchlaucht in dem berüchtigten Buche: »Rosa's Gardinenseufzer,« gelesen haben.

»Nicht möglich, Graf, nicht möglich!«

»Auf meine Ehre, und bei der Ungnade Eurer Durchlaucht, es ist reine Wahrheit, was ich sage; der Gesandte erklärte mir geradezu, keinen Grund zum schonenden Schweigen zu haben, wie es in Verhältnissen dieser Art unter andern Umständen ein Ehrenpunkt sey, da Rosa nur als eine Ver käuferin zu betrachten sey, und jedem Käufer frei stehe, von dem Handel zu sprechen, den er geschlossen habe.«

»Ihr Wort in Ehren, Graf, aber ich kann mich nicht überreden, daß Rosa einer solchen Verworfenheit fähig sey. So offene, klare, seelenvolle Augen, ein so unentweihtes Antlitz dienen keinem schuldbewußten Gewissen, und wohl kann man von ihr sagen, daß, wenn nicht alle Sterne lügen, das Ganze nur Verläumdung sey.«

»Auf diese Ansicht Eurer Durchlaucht war ich gefaßt, und habe sie zur Grundlage meines Verfahrens [170] gewählt. Eure Durchlaucht sollen sich heute noch persönlich überzeugen.

Kaum hatte ich das Haus des Gesandten verlassen, als ich aus dem von Eurer Durchlaucht mir anvertrauten Dispositionsfonde 20,000 Franken bei einem Bankier in Gold umsetzen ließ, und mit dieser Summe zu Rosa fuhr. Ich gab vor, vom Erbprinzen beauftragt zu seyn, ihr seine Liebe und seine Bitte um eine Stunde vertraulicher Zusammenkunft zu gestehen. Zugleich legte ich ihr diese Summe hin, welche sie auch ohne die mindeste Ablehnung nahm, nachdem ich ihr zuvor statt des Creditives einen dem Anscheine nach entschiedenen Beweis meiner Sendung von Seite des Erbprinzen gegeben hatte.«

»Welchen Beweis?«

Sobald ich sichere Nachricht erhielt, daß Rosa hierher kommen würde, ließ ich in Wien einen großen Käfig machen, geflochten aus Draht vom feinsten gediegenen Golde; in diesen Käfig that ich eine Nachtigall; oben auf dem breiten flachen Ringe, der zur Handhabe dient, standen aus farbigen Edelsteinen gebildet die Worte: »Du beschämst sie!«

»Sehr feinsinnig! Sehr galant!«

»Auf dem Pförtlein des Käfiges waren die Worte eingegraben:

Ewig Die Unübertrefflich Anmuthvolle Reizende Dame!«

[171] Die Anfangsbuchstaben dieser sechs Worte bilden den Namen: »Eduard!« Rosa las zwar dieWorte, kannte aber dieses verborgene Namenspiel nicht. Indem ich sie darauf aufmerksam machte, schien sie jeden Zweifel an der Wahrheit meiner Worte aufzugeben.

Eure Durchlaucht werden hieraus zu ersehen geruhen, daß ich seit langer Zeit Tag und Nacht auf ein verläßiges Mittel gesonnen habe, den Erbprinzen von der Chiaretti zu trennen. Mein Plan ist nun so tief angelegt, daß ihn kein Sturm erschüttern, kein Zufall vereiteln kann.

»Und doch scheint mir der Plan erst zur Hälfte ausgeführt. Wenn Rosa nun auch glaubt, der Erb prinz liebe sie, so weiß doch dieser nichts davon.«

»Dafür hab' ich bereits gesorgt. Ich bat Rosa, auf ein Blatt Papier die Worte zu schreiben:


›Mit Sehnsucht erwartet Sie

Rosa,‹ –


um mich bei dem Erbprinzen über den glücklichen Erfolg der Sendung ausweisen zu können. Sie schrieb diese Worte, und mein Vertrauter wird sie dem Erbprinzen, mit der Angabe des unmittelbaren Empfanges von Rosa, bereits zugestellt haben, nur besorge ich, dieses Papier möge nur allzuschnell günstige Wirkung thun, weil ich so eben Rosa an dem Thore ihres Gasthofes aus einem Gallawagen des Erbprinzen steigen sah.«

[172] »Dieß finde ich sehr auffallend! Was wird Chiaretti dazu sagen?«

»Ich vermuthe, der Erbprinz wollte gerade durch ein so offenes Benehmen den Argwohn derChiaretti täuschen, und sie sicher machen, um später desto ungestörter zu seyn. Mag es nun Uebereilung der Leidenschaft, oder wirklich Berechnung seyn, so werde ich Chiaretti für meine Ansicht der Sache zu gewinnen, und zur persönlichen Mitwirkung zu bereden suchen. Ort und Zeit der Zusammenkunft hab' ich mit Rosa bereits verabredet; nun muß ich Eure Durchlaucht bitten, vermummt mit mir und Chiaretti in einem Seitenkabinetchen Zeuge der Zusammenkunft zu seyn, außerdem mußte ich im Falle eines Bruches zwischen dem Erbprinzen und Chiaretti, der gekränkten Ehre Ihres fürstlichen Sohnes geopfert werden.«

»Ihre Besorgniß finde ich zwar nicht ungegründet, allein den Vorschlag in Bezug auf meine Person bedenklich. Es scheint mit meiner Würde mir unverträglich, den Spion in einem verdächtigen Hause zu machen, und wer bürgt mir dafür, daß ich unerkannt bleibe, besonders wenn die Chiaretti in dem nämlichen Kabinete, und vielleicht auch in Begleitung, sich befindet?«

»Eure Durchlaucht dürfen nur gnädigst erlauben, daß ich gegen Höchstdieselben wie gegen meinen Kammerdiener [173] mich benehme, so wird Niemand auf den Gedanken kommen, daß Eure Durchlaucht –«

»Nun gut, ich willige in Alles, weil es einen großen Zweck zu erreichen gilt. Wenn nur die Chiaretti in ihrer italienischen Eifersucht durch ein auffallendes Benehmen nicht das Ganze verdirbt!«

»Hierüber können Eure Durchlaucht ganz außer Sorgen seyn; ich werde schon die nöthigen Vorsichtsmaßregeln dagegen anwenden. Darf ich alsoEure Durchlaucht am Eingange der Vorstadt, an der Pappelbrücke, mit dem Schlage der Mitternachtstunde erwarten?«

»Ja! Noch einmal empfehle ich Ihnen bei meiner fürstlichen Ungnade, die dem Mißlingen des Planes folgen müßte, die höchste Vorsicht! Auf Wiedersehen, mein lieber Graf!«

Voll Freude, den schwierigsten Theil seines kühnen Planes, die Mitwirkung des Fürsten betreffend, so unerwartet schnell und glücklich vollzogen zu haben, wollte er eben seinen Wagen vorfahren lassen, um die Chiaretti auf dem Jagdschlosse zu besuchen, als er sie auf dem Balkone ihres Hôtels in der Neptunsstraße im eifrigsten Gespräche mit Paganini erblickte, den sie als Landsmann und Gast in ihr Haus aufgenommen hatte.

Der Zufall schien heute den Herrn Minister ganz besonders zu begünstigen. Er ließ sich augenblicklich melden, und wurde von der feinen Italienerin sogleich vorgelassen. [174] Uebrigens kam ihr dieser Besuch nicht so unerwartet, als man nach der Lage der Verhältnisse zu vermuthen berechtiget wäre, da man in den höhern Ständen die persönliche Feindschaft unter den geschmeidigsten Formen zu verbergen weiß.

Die wälsche Maitresse
Die wälsche Maitresse.

Chiaretti empfing den Minister mit dem Anstande einer regierenden Fürstin, und mit der Liebenswürdigkeit einer hochgebildeten Dame.

Paganini hatte sich entfernt.

»Mein lieber Herr Graf,« – begann Chiaretti mit einem bezaubernden Lächeln ihres schönen Mundes, und mit einem so freundlichen Blicke, als stände ein geliebter Bruder vor ihr, – »was wollen Sie wetten, daß ich den Grund Ihres Besuches kenne?«

Der listige Diplomat, der, gleich den Matadors seines Faches, schon lange nicht mehr erröthen, nicht mehr erbleichen konnte, gerieth durch diese unvermuthete Frage dennoch in einige Verlegenheit, und mußte sich durch die galante Wendung helfen:

»Wohl möglich, daß eine so geistvolle und reizende [175] Dame, vor deren Anmuth sich alle Herzen beugen, auch meine kleinen Geheimnisse durchschaut, die im Grunde zu einfach sind, um sie mit übergroßer Sorgfalt verbergen zu müssen.«

»Aber« –

»Aber Sie möchten sich vielleicht dennoch irren, schöne Chiaretti!«

»Ich gestehe Ihnen, Herr Graf, daß ich, als Sie mir gemeldet wurden, vermuthete, Ihre Frau Gemahlin habe Sie wegen Veranstaltung einer musikalischen Abendunterhaltung bei der Baronin D* zu mir gesendet, die wir kürzlich bei dieser verabredeten.«

Der Minister athmete leichter, als er nichts von Verrath merkte, und fuhr fort:

»Sie haben eine allzu gute Meinung von meiner Frau! Glauben Sie denn, daß meine Frau mich mit einer Botschaft zu einer so wunderschönen Zauberin beauftragen würde, in deren magischer Nähe Jederverloren ist, ohne zugewinnen, bis aufEinen? Nein, nein, sie kennt mein Herz, das gern den Grazien huldiget und denkt: wer sich in die Gefahr begibt, kommt darin um. Sind Sie nicht meiner Meinung?«

»Sie sind so galant, wie ein Kammerjunker auf Freiersfüßen. Das ist eine für die Damen sehr gefährliche Eigenschaft.«

»Es ist nur die Sprache meines Herzens, die fast[176] wie eine Liebeserklärung lautet; doch nicht dieLiebe ist es, die mich zu Ihnen führen darf, sondern nur wahre Freundschaft, innige Theilnahme an Ihrem Schicksale.«

»Erklären Sie sich näher, Herr Graf! Ich vermuthe eine interessante Eröffnung!«

»Ganz richtig, darf ich mich aber auf Ihr Schweigen verlassen?«

»Unbedingt!«

»Gestehen Sie mir's, Chiaretti! lieben Sie denErbprinzen aufrichtig?«

»Welche Frage?«

»Sie ist nothwendig!«

»Ja!«

»Glauben Sie, daß er Ihre Liebe durch treue Gegenliebe erwiedert und somit verdient?«

»Vollkommen!«

»Was würden Sie thun, wenn Sie mit Ihren eigenen Augen von seiner Untreue sich überzeugen könnten?«

»Ihn verachten und vorlassen!«

»Haben Sie den Muth, sich diese Ueberzeugung zu verschaffen, wenn Ihnen dazu eine gefahrlose, bequeme Gelegenheit geboten wird?«

»Ich würde Alles dafür hingeben, was ich besitze.«

[177] »Sie stehen in Gefahr, den Prinzen zu verlieren.«

»Wodurch?«

»Durch eine Nebenbuhlerin von Bedeutung.«

»Ihr Name?«

»Rosa!«

»Nicht möglich!«

»Warum nicht? Sie ist schön, sehr schön, das muß selbst ihr ärgster Feind gestehen; und wäre sie auch minder liebenswürdig, so bliebe die Besorgniß darum nicht minder nöthig; denn es gibt Beispiele, daß die Unbeständigkeit in der Liebe nicht immer durch eine bessere Wahl gerechtfertiget wird. Glauben Sie meinen Worten, Rosa hat den Erbprinzen gefesselt, und noch in der kommenden Nacht wird das Fest der Eroberung gefeiert werden. Er scheint auch gar kein Geheimniß mehr daraus zu machen, sonst hätte er nicht die neue Geliebte zu Jedermanns Erstaunen in seinem eigenen Gallawagen fahren lassen.«

»Ich erstarre! Um Gotteswillen, Herr Graf, träumen Sie, oder sprechen Sie Wahrheit? Der Erbprinz liebt Rosa?«

»An dieser Wahrheit können Sie leider nicht mehr zweifeln; wünschen Sie aber, sich persönlich zu überzeugen, so folgen Sie mir heute um Mitternacht, wenn Sie Muth haben. –«

»Muth? Chiaretti Muth? In die Hölle stiege ich hinunter, wenn es der Liebe gilt! Aber wehe dem [178] Verräther und der Buhlerin, wenn mein letzter Zweifel schwindet!«

»Nur keine Uebereilung, Signora! Ich erwarte Sie also an der Pappelbrücke mit dem Schlage der Mitternachtstunde. Wer wird Sie geleiten, da die Vorsicht mir dieses Vergnügen mißräth?«

»Mein alter bewährter Kammerdiener!«

»Beobachten Sie nur die strengste Vermummung!«

»Daran soll's nicht fehlen. Doch erzählen Sie mir jetzt, wo und wie die Liebe des Erbprinzen zur Rosa begonnen habe.«

Der Minister gab nun vor, daß ihm von einem Vertrauten das kostbare Geschenk des Erbprinzen, der goldene Käfig, verrathen worden sey und erst heute habe er aus derselben Quelle die Neuigkeit von dem Liebesantrage des Prinzen, und von der freudigen Einwilligung Rosa's geschöpft; übrigens werde diese Nacht die Wahrheit seiner Worte heller beleuchten, als der helleste Tag.

»Ich bewundere Ihren Scharfsinn, Herr Graf,« nahm Chiaretti das Wort, – »womit Sie dieser Intrigue auf die Spur kamen, deren Fäden Sie jetzt in Ihrer Hand halten. Sie erreichen dadurch drei wichtige Zwecke: Rache an dem Erbprinzen, meine Trennung von ihm, und im Hintergrunde eine Vermählung, jene Vortheile ungerechnet, welche Sie durch die Dankbarkeit und Gunst des Fürsten zu erringen hoffen dürfen.«

[179] Bei diesen mit der heftigsten Leidenschaft gesprochenen Worten, ging Chiaretti hastig und mit großen Schritten im Zimmer hin und wieder.

»Sie verkennen mich noch immer, Signora,« – versetzte der Minister, und suchte seinem listigen Gesichte den Ausdruck der Freundschaft und des Wohlwollens aufzudringen, – »Sie halten mich für Ihren Feind, und dennoch ist vielleicht Niemand ein aufrichtigerer Freund von Ihnen, als gerade ich. Hätte ich die Ueberzeugung von des Erbprinzen Liebe und Treue zu Ihnen, wie von seiner Untreue, so wäre ich klug genug, einzusehen, daßwahre Liebe durch Hindernisse nur erstarkt, und würde daher keine vergeblichen Versuche machen; allein der Prinz verdient Sie nicht, eben weil er untreu ist, und beunruhigt doch durch seine Weigerung, sich zu vermählen, seine durchlauchtigsten Eltern und das ganze Land. Sie scheinen mir zu edeldenkend, Signora, um einem andern als einem freien Manne Ihre Liebe zu schenken, sonst würden Sie längst schon Ihren Einfluß dazu benützt haben, den Prinzen zu einer Ehe zu bereden, welche Ihre Macht über sein Herz nicht schmälern, und doch den Vater mit seinem Sohne aussöhnen würde. Uebrigens liegt es in Ihrer unbeschränkten Wahl, ob Sie auch nach der persönlichen Ueberzeugung von der Untreue desErbprinzen mit einem getheilten Herzen sich begnügen wollen, oder nicht.«

[180] »Gott sey mein Zeuge, – rief Chiaretti mit flammenden Blicken, indem sie einen Dolch aus ihrem Busen riß, und drohend schwang, – daß ich eher diesen Stahl bis an das Heft in mein verrathenes Herz stoßen, als die Schmach einer so schändlichen Untreue ertragen könnte!«

Vergebens suchte der Minister die wüthende Italienerin zu besänftigen; nur mit großer Mühe brachte er sie zu dem Versprechen, bei dem nächtlichen Abentheuer jedes Aufsehen zu vermeiden.

Mit dem befriedigenden Bewußtseyn, das künstlich gewebte Garn nun so gestellt zu haben, daß kein edles Wild mehr zu entrinnen vermöge, schied er vonChiaretti, um sich an der reichbesetzten Tafel zum kühnen Unternehmen zu stärken.

Klatschereien
Klatschereien.

Rosa und Paganini waren zur rechten Zeit angekommen, um einige pikante Histörchen, womit man sich eben in allen Gesellschaften unterhielt, in den Hintergrund zu drängen, und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da ich nun die volle Wahrheit dieser Tagesneuigkeiten persönlich verbürgen kann, so will ich auch meine verehrten Leser und Leserinnen einige Augenblicke damit [181] unterhalten, bis wir die zur Lösung des Knotens bestimmten Hauptpersonen in Paganini's Koncerte versammelt finden werden, wenn die Tafelfreuden verklungen sind.

Ein junger Baron von altem Adel und großem Reichthume, der vor Kurzem erst die Universität verlassen hatte, und nun bei einem Landescollegium in der Hauptstadt als Accessist für den Staatsdienst sich vorbereitete, sehnte sich nach einer Liebschaft, um die Einförmigkeit des noch ungewohnten Philisterlebens mit kleinen Abentheuern auszuschmücken.

In seinen Verhältnissen fiel es ihm nicht schwer, in dem Hause des Herrn von E**, eines wackern Edelmannes von sehr beschränkten Mitteln, dem in seiner Dürftigkeit die Erinnerung an achtzehn Ahnen mehr lästig als angenehm seyn konnte, Zutritt zu erhalten, und schon nach wenigen Wochen entspann sich eine zärtliche Liebe zwischen dem jungen Barone und der schönen, frommen, mit Talenten reich begabten, sehr fleißigen Tochter des Herrn von E**.

Der Baron wußte recht wohl, daß seine stolzen Eltern in diese Verbindung niemals einwilligen würden, sondern vielmehr die Absicht hatten, ihn durch die Vermählung mit einem Töchterchen aus einer mächtigen gräflichen Familie, in vornehme Verbindungen und dadurch nach und nach zu hohen Staatsstellen zu bringen. Allein was kümmert sich ein verliebter Jüngling um elterliche [182] Pläne? Er zählte 21 Jahre, war sohin nach den Landesgesetzen mündig, und konnte demnach ein rechtsgültiges Eheversprechen ausstellen, womit er auch seine geliebte Elise an ihrem Geburtstage überraschte, mit der Zusicherung des wirklichen feierlichen Vollzuges, sobald er durch die erste Anstellung, sey's auch vorläufig nur als Regierungsrath, selbstständig sein würde.

Ein Eheversprechen ist bekanntlich ein Schlaftrunk für die weibliche Tugend, besonders wenn ihn die Liebe in einer goldenen Tasse reicht. Ein unbewachter Augenblick gab dem Baron die allzufrühe Hoffnung, nach Umlauf von 9 Monden ein Wiegenlied singen zu dürfen.

Man würde sehr irren, wenn man aus diesem Umstande ein vorschnelles Urtheil über Elisens Tugend fällen, und den Stab über sie brechen wollte; die argloseste Unschuld wird am leichtesten verführt, und ein in Liebeshändeln gewandtes Mädchen, das sich auf Berechnung versteht, wird höchst selten die heimlichen Stunden mit dem Loose Elisens büßen. Die Eltern der Liebenden durften vor der Hand nichts davon erfahren; auch hier hieß es: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Der Baron hoffte, im schlimmsten Falle ihre Entbindung vor Jedermann geheim halten zu können, da es ja auch kürzlich einer Sängerin gelungen war, ein holdes Knäbchen in die Welt zu setzen, ohne daß außer ihr, dem Vater und der verpflichteten Hebamme, auch nur ein einziger Mensch Gewißheit [183] erhalten konnte. Unter dem Vorwande eines Halspolypen hütete diese Sängerin im Hause ihrer eigenen Eltern, die selbst die Wahrheit nicht wußten, das Zimmer. Der Fürst, welcher sich gerne von dem Grunde oder Ungrunde des umlaufenden Gerüchtes ihrer Schwangerschaft überzeugt hätte, ließ von allen Polizeibehörden und Pfarrämtern, 6 Meilen in der Runde, Auszüge aus den Bevölkerungslisten und Taufbüchern über die seit zwei Jahren getauften, ehelichen und unehelichen Kinder, einsenden, jedoch ohne dadurch auch nur die geringste Spur von dieser Entbindung zu finden. Der Baron, ein vertrauter Freund von dem Vater des Kindes der Sängerin, beschloß sohin ein ähnliches Verfahren mit Elisen, was auch um so leichter geschehen konnte, als sie nicht, gleich einer Sängerin der Bühne, vom Publikum vermißt und beargwöhnt wurde.

Aber nun nahte sich der Versucher. Der jungeBaron sollte eine so nahe Verwandte heirathen, daß eine päpstliche Dispense nöthig würde, dagegen aber sogleich Vicepräsident des Landescollegiums werden.

Ehrsucht und Eitelkeit siegten über die Liebe um so leichter, als die neue Braut gleichfalls hübsch, jung, und überdieß aus einer der reichsten und mächtigsten Familien war. Sein vertrautester Freund, eben derselbe, der mit jener Sängerin angebunden hatte, mußte den Vermittler zwischen ihm, Elisen, und deren Vater machen, der jedoch [184] von der Schwangerschaft nichts erfuhr. Diese Niederträchtigkeit wirkte so nachtheilig auf das arme Mädchen, daß es eine Fehlgeburt machte, und mehr als vier Wochen das Bett hüten mußte. Für die Summe von 30,000 fl. wurde der Baron aller Verbindlichkeit überhoben, und Elise, die im Grunde an einem solchen Manne nichts verlor, vergaß ihn auch bald so sehr, daß auch der letzte Funke von Liebe für ihn in ihrem Herzen erlosch.

Theils um sich zu zerstreuen und in der Ferne das mahnende Gewissen zu beruhigen, theils auch um die neue Braut von der Ungeduld seiner Liebe zu überzeugen, als suche er das letzte Hinderniß ihrer ewigen Verbindung durch persönlichen Betrieb so schleunig als möglich aus dem Wege zu räumen, trat der jungeBaron selbst eine Reise nach Rom an, um die vatikanische Gewalt »zu binden und zu lösen,« für sein Gesuch günstig zu stimmen.

Was auch die gesunde Vernunft gegen Dispensen mit Recht einwenden mag, so bleibt doch so viel gewiß, daß es eine große Wohlthat und Bequemlichkeit für eine zartfühlende Seele ist, die Gewissensruhe durch Entrichtung einer bestimmten Taxe sich erkaufen zu können, und somit Verbotenes inErlaubtes zu verwandeln, wie ein Taschenspieler die Treffdame in die Coeurdame.

Leichter wird man die Sterne des Himmels als jene Geldsummen zusammenrechnen, welche Rom bei Gelegenheit [185] der Ehedispensen eingezogen hat. Es ist weltbekannt, daß vor einem halben Jahrhunderte die Gräfin Josepha von Wellsperg, geborne Gräfin von Starhemberg, als sie den Bruder ihres verstorbenen Gatten wegen Familienangelegenheiten heirathen wollte, 27,000 fl. habe bezahlen müssen, ungeachtet daß sie aus der ersten Ehe keine Kinder erzeugt hatte. 1

Was müssen erst Dispensen der Fürsten undKönige eingetragen haben?

Damit die Römer Gelegenheit bekämen, täglich und stündlich zu dispensiren, führten sie durch die Taufe und Firmung (was doch diesen Leuten alles ein fiel!) ganz neue Verwandtschaften ein, die sie parentela spiritualis (geistige Verwandtschaft) nannten.

So räthselhaft immer diese sakramentalischen Verwandtschaften sind, mußte man doch von Rom davon dispensirt werden, sonst hätte sich der Mann sammt seinem Weibe eine schwere Verantwortung zugezogen.

Vor dem Kirchenrathe zu Trient waren 7 bis 9 Grade dieser geistigen Verwandtschaft, so, daß fast keine Familie ohne päpstliche Dispens zusammen heirathen konnte. Der Taufpathe und seine Frau waren mit den Eltern des getauften [186] oder gefirmten Kindes, mit dem Kinde und den Kindeskindern, und Kindeskinderkindern versippschaftet. Diese Verwandtschaft hat über 600 Jahre gedauert.

Nehmen wir an, daß jährlich in der ganzen Welt nur 10,000 Christen von einer dieser Verwandschaften sich haben disspensiren lassen, und rechnen wie eine Dispens nur zu 12 Dukaten, so betrug der Erlös aus dieser Kirchenzeremonie in dem Zeitraume von 600 Jahren die Summe von zweihundert acht und achtzig Millionen Gulden!

Die Dispens wurde gegeben und bezahlt, und derBaron eilte auf den Flügeln der Ehrsucht zurück, um sich an der Hand der Glückbringerin auf den Präsidentenstuhl gemächlich niederzulassen.

Ein unglücklicher Zufall fügte es aber inzwischen ganz anders. Der Bediente von Elisens Vater vertraute die Liebschaft des Barons mit der Tochter seines Gebieters, als ihm an einem Feiertage ein Räuschchen die Zunge lösete, seiner Geliebten, einem pfiffigen Mädchen, das ehemals im Hause der neuen Braut gedient, und einer zweideutigen Aufführung wegen, indem es dem Töchterchen die zärtlichen Briefchen besorgte, den Abschied erhalten hatte. Bald war nun die Braut von Allem, außer der Schwangerschaft, unterrichtet, und da sie den Baron nicht liebte, sondern nur in Folge des elterlichen Willens heirathen sollte, so fand dieser bei seiner Zurückkunft statt [187] des Vicepräsidentendekretes einen förmlichen Absagebrief nebst Entscheidungsgründen, die der erste Gerichtshof nicht bündiger hätte geben können.

Um nun wenigstens die 30,000 fl. aus dem Schiffbruche der Spekulation zu retten, suchte er auf dem Wege der Vermittlung mit Elisen sich wieder auf den alten Fuß zu setzen, erhielt aber von ihr folgendes Briefchen:


»Mein Herr Baron!


Ich bin mit dem Loskaufe, den Sie so wohlüberlegt mit mir geschlossen haben, so zufrieden, daß ich einen Antrag anderer Art gar nicht mehr annehmbar finden kann. Um Ihnen weitere Schritte in dieser Sache zu ersparen, füge ich Ihnen die Neuigkeit bei, daß ich in vier Wochen dem von Seiner Durchlaucht vor zwei Stunden zum Vicepräsidenten des Landescollegiums ernannten jungen Grafen von G** meine Hand am Altare reichen werde.


Mit der größten Hochachtung unterzeichnet


Elise.«


Diese Nachricht war ein Donnerschlag für denBaron, der Geld, Braut und Würde zugleich verlor; er dachte jedoch zu edel, um seinem Nebenbuhler durch die Entdeckung der näheren Umstände seiner früheren Liebschaft mit Elisen die Aussicht auf eheliches Glück und häuslichen Frieden zu trüben.

[188] Wie sehr erstaunte er aber, als ihm am Vermählungstage der neue Vicepräsident schrieb:


»Mein Herr Baron!


Da meine geliebte Braut, die vor mir kein Geheimniß hat, als meine Gattin keiner fremden Sicherung ihrer unabhängigen Existenz mehr bedarf, so habe ich die Ehre, Ihnen im Anschlusse drei Wechsel, jeden zu 10,000 fl., zahlbar nach Sicht, gegen gefällige Empfangsbestätigung zu übersenden.

Genehmigen Sie die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung.


Graf von G**«


Für so groß man auch die Freude des Barons halten mag, wieder in den Besitz einer so bedeutenden Summe gekommen zu seyn, so war doch sein Schmerz über den Verlust eines so ehrlichen Mädchens, das dem gräflichen Freier die Geheimnisse des früheren Verhältnisses aufrichtig enthüllt haben mußte, und unfähig war, ihn zu täuschen, bei weitem größer, und er mußte zur Gemüthszerstreuung eine weite Reise durch Frankreich und England antreten, während die Neuvermählten ein glückliches Leben führten, die noch zur Stunde ein eheliches Musterpaar in der Hauptstadt sind.

Dieses Ereigniß hat in der That ein tragisches Interesse und eine Art von dramatischer Gerechtigkeit, die[189] sich nicht blos durch die glückliche VersorgungElisens, sondern hauptsächlich durch den auffallenden Umstand kund gibt, daß ihr Gatte gerade mit jener Staatswürde bekleidet erscheint, die dem Geliebten mehr galt, als die Geliebte selbst, und welche der Grund war, aus welchem er sie verlassen hatte.

Nicht minder erfreuend wird ein sittlich gutes Herz die seltene Offenheit Elisens finden, die freiwillig dem neuen Freier Verhältnisse entdeckte, welche sonst wahrscheinlich niemals an das Licht der Sonne gekommen wären, und die Rückgabe der Loskaufsumme spricht für das zarte Ehrgefühl des Grafen, der dadurch die ganze Vergangenheit gleichsam in ewige Vergessenheit begrub.

Wie ganz anders muß die Denkart eines gewissen Hofbeamten beurtheilt werden, dessen Frau mit einem Hofmusikus vertrauten Umgang pflog. Er wußte es und vermochte nicht, diesem Liebeshandel ein Ende zu machen. Nicht die Untreue seiner Gattin schmerzte ihn, sondern nur der geringe Stand und das geringe Einkommen des vermögenlosen Galans.

Da nun weder Bitten, noch Ermahnungen, noch Drohungen etwas fruchteten, so machte er endlich dem Fürsten einen Fußfall, stellte ihm sein häusliches Mißgeschick vor, und bat um gnädigste Abhülfe durch ein fürstliches Machtgebot. »Gebrauchen Sie Ihr gutes Hausrecht,« sagte der Fürst, »und schaffen Sie sich den Menschen [190] vom Halse.« »Ich habe mein Möglichstes gethan,« versetzte der Kläger, »aber es hilft nichts; sie läßt durchaus nicht von ihm!« »Aber warum beklagen Sie sich denn jetzt auf einmal, und warum thaten Sie dieß nicht schon zur Zeit, da Ihre Frau die erklärte Mätresse des Prinzen H*** war?«

»Verzeihen Euer Durchlaucht ein Hofmusikus beschimpft mein Haus, bei dem Prinzen war's ein ganz anderer Fall; da hatte ich doch Ehre davon!«

Der Fürst tröstete ihn lächelnd und ging in sein Kabinet.

Was sagen meine verehrten Leser und Leserinnen zu diesen Begriffen eines Ehemannes von der Ehre seines Hauses? Auch dieses Geschichtchen istwörtlich wahr und könnte von einer Menge vornehmer Zeugen bestätiget werden. Es giebt wohl viele solche Herren, die jedoch die tiefeste Verachtung verdienen, welchem Stande sie auch immer angehören mögen.

Das dritter und letzte Histörchen, welches ich gleichfalls als Zwischengericht auftische, ist an sich von sehr munterer Natur und gewiß sehr ergötzlich; es hat sich in einem sehr vornehmen Hause ereignet, und die Scheidung einer liebenswürdigen jungen Frau von ihrem schon betagten Manne veranlaßt. Möchten doch Alle, die sich in den Ehestand verirren, den Unterschied der Jahre sorgsam [191] beherzigen und nicht durch eine Ueberschätzung der noch rüstig scheinenden Kräfte zu einer in Bezug auf das Alter ungleichen Wahl sich verleiten lassen!

Ein bejahrter Handelsherr, Namens Holzer, der sich durch glückliche Spekulationen mit Staatspapieren ein sehr bedeutendes Vermögen erworben hatte, kam auf den Einfall, sich den Adel zu kaufen, das heißt: gegen Bezahlung der festgesetzten Summe sich die Erhebung in den Adelstand zu verschaffen.

So schätzenswerth der Adel als eine fortgeerbte Erinnerung an verdienstvolle Ahnen, oder als eine vaterländische Belohnung ausgezeichneter Thaten erscheint, so ganz entwürdiget in der öffentlichen Meinung muß er durch diese Preisbestimmung werden, die ihn zu einer Waare erniedriget. Mag man auch immerhin einwenden, daß neben dem Vermögen auch der Nachweis von Verdiensten um das Vaterland gefordert werde, so entgegne ich, daß Verdienste, die erst nachgewiesen werden müssen, mir nicht groß genug scheinen, um von selbst zu leuchten, und daß bisher das sogenannte Herkommen bei Adelskäufen schon mit einem Leumund sich begnügt habe, gegen welchen nichts Nachtheiliges vorliegt. Wenn die altadeligen vonFugger sich erinnern, daß die Gründer ihres adeligen Standes Bürger und Weber waren, so fügt die Geschichte ihre wesentlichen Verdienste als große Handelsherren hinzu, deren Namen in [192] allen Ländern, selbst in fernen Welttheilen hochgeachtet waren; wenn aber eine ganz gewöhnliche Spekulation in Papieren über Nacht dem Glücklichen eine halbe Million in den Schooß wirft, oder wenn ein Christ oder Jude in Kriegszeiten durch den Handel mit Ochsen ein ungeheures Vermögen sich erwirbt, und man sieht nun solche Herren für Geld in den erblichen Adelstand erhoben und nebst allen ihren Nachkommen mit bevorzugten Standesrechten begabt, während die Adelsvorzüge manches Verdienstordens von einem damit geschmückten ausgezeichneten Staatsmanne nur auf Lebensdauer einem Nachfolger in der Familie übertragen werden können, so müssen die Begriffe vom Adel und dessen Würde nothwendigerweise eine sehr mißliche Richtung nehmen.

Ich kehre zu meiner Erzählung zurück.

Herr Holzer hieß nun Herr von Holzer, machte ein Haus, lud Gäste zur Tafel, hielt Equipage, und miethete eine ganze Loge im Theater.

Gar bald wurde er jedoch dieses einsamen Lebens überdrüßig; es fehlte im Hause die ordnende Seele. Er dachte sich:


»– – – – – – – es fehlt
Die Eine nur, die mir das Haus regiere,
Die mit des Weibes zartem Ordnungsgeist,
Das rasche Leben still und einfach richte.
Die Eine fehlet mir.«

[193] Unter dem raschen Leben, womit Rudolph inKörner's Banditenbraut sein wildes Jägerleben bezeichnete, konnte Holzer freilich nur den raschen Heimflug seines Lebensrestes verstehen.

Ein schönes, junges, adeliges Fräulein belebte bald als Frau von Holzer die Einförmigkeit des Junggesellenlebens; die Gesellschaften wurden größer, glänzender und jünger; denn der Magnet der Schönheit verläugnet seine Wirkung nicht.

Herr von Holzer schien es nie gewußt oder schon vergessen zu haben, daß alte Uhren undjunge Frauen oft aufgezogen werden müssen, um sich darauf verlassen zu können; dieses Geschäft übernahm mit wahrem Vergnügen ein junger Portraitmaler, der die schöne Frau vor ihrer Vermählung im Brautkleide in Lebensgröße so vortrefflich gemalt hatte, daß selbst der strengste Kenner, und nicht bloß die Braut, seinen kräftigen Pinsel überaus lobte. In kurzer Zeit wurde Karl der unentbehrliche Hausfreund, der an jedem Abende, an dem keine Gesellschaft gebeten war, mit dem alten Herrn am Schachbrette saß, während Antonie neben ihm auf dem Sopha strickte und Liebesblicke wechselte. Eines Abends verließ der Herr Gemahl auf einige Augenblicke das Zimmer, kehrte aber sogleich um, weil im Vorgemache zufällig kein Licht sich befand; da war's ihm, als ob er Küsse habe rauschen hören. Als ein alter Fuchs schwieg er dazu still und sann über [194] ein passendes Mittel nach, sich Ueberzeugung zu verschaffen.

Das Kleeblatt saß eben wieder ganz vergnügt beisammen, als der alte Herr gegen 9 Uhr Abends den Bedienten Johann, der den Dienst im Vorgemache hatte, in das Haus eines gefährlich kranken Freundes schickte, um sich im Namen des Herrn von Holzer nach seinem Befinden zu erkundigen.

Karl bot dem alten Herrn mit dem Springer der Königin ein bedenkliches Schach dem Könige. »Das ist ein verdammter Zug,« – äußerte dieser, »bei dem man sich wohl zusammennehmen darf. Ich finde, daß das Licht nicht hell genug ist.« Indem er mit der Lichtscheere diesem Uebelstande abhelfen wollte, löschte er das Licht aus.

»Ey was treibst du denn, liebes Männchen?« sprach die junge Frau; »gib mir den Leuchter, ich will geschwind Licht im Vorzimmer machen, da zu allem Unglücke gerade jetzt der Johann nicht zu Hause seyn muß.«

»Laß es gut seyn, kleines Plappermäulchen,« versetzte der alte Herr, indem er ihr einen sanften Schlag auf den niedlichen Mund gab, »ich will schon selbst für das Licht sorgen, da ich näher bei der Thüre bin, als du!«

Er trug also den Leuchter in's Vorgemach und schien sich ziemlich lange mit dem großen Schöpfungsworte: »Es werde Licht!« zu beschäftigen. Endlich brachte er das Licht [195] und entschuldigte sein langes Verweilen mit dem Aufsuchen des wahrscheinlich von Johann verlegten Stahles.

Plötzlich rief die junge Frau ganz laut: »Mein Gott, Ihr Mund ist ja ganz schwarz!« und blickte dabei voll Verwunderung den Maler, ihren Geliebten, an.

»Wahrscheinlich hast du dieß schon im Dunkeln bemerkt, und den Herrn Maler mit deinem Munde abwischen wollen,« – nahm der Herr Gemahl das Wort, – »sonst könnte ich nicht begreifen, wie auch du so schwarz geworden bist, mein liebes treues Weibchen! Sieh' nur einmal in den Spiegel!«

Mit diesen Worten führte er sie vor den Ankleidespiegel und hielt das Licht.

Schaam und Angst trieben der jungen Frau das Blut in's Gesicht; sie zitterte am ganzen Leibe, unfähig, auch nur ein einziges Wort zu ihrer Entschuldigung zu finden.

Der ungalante Galan, anstatt durch sein Verweilen den häuslichen Sturm des Augenblickes zu beschwören und seinem Liebchen als treuer Schirmvogt zur Seite zu stehen, machte sich während der Spiegelscene aus dem Staube.

Der listige Fuchs hatte sich, bevor er, anscheinend zufällig, das Licht auslöschte, die rechte hohle Hand mit Frankfurterschwärze gefärbt und damit, durch den sanften Schlag auf das Mäulchen des Weibchens, jene künstliche [196] Falle gelegt, in welche der lose Verräther Amor die beiden Liebenden glücklich zu locken wußte.

Kaum sah sich der alte Herr mit seiner jungen Frau allein unter vier Augen, als er, – ein abgesagter Feind der schwarzen Farbe, die an den Tod erinnere, – der schwarzen Lippen und Wangen seiner treuen Ehehälfte mit einem Gemisch von brauner undblauer Farbe überstrich, wozu er sich eines sehr einfachen und wohlfeilen Hausmittels bediente, das, obgleich es auch die Königin Elisabeth von England einst bei dem Grafen Essex anwendete, dennoch ganz geeignet war, seine bürgerliche Abkunft charakteristisch zu bezeichnen.

Die Folge davon war, daß noch in der nämlichen Nacht das Weibchen den Schutz des Gerichtes anflehte, in das Haus ihrer Eltern zurückkehrte, und nun Kraft des Gesetzes eine reiche Alimentation mit dem jungen Maler verzehret, mit welchem sie, zur Erinnerung an jenes Farbenspiel, bisweilen Göthe's Farbenlehre durchblättert.

Bei der Einwirkung der Gerichte konnten die näheren Umstände dieses in der That originellen Streiches nicht lange verborgen bleiben, und dienten lange Zeit den Klatschzirkeln als eine pikante Würze; die jungen Herren nannten von da an den Herrn von Holzer, freilich nur hinter seinem Rücken, nie mehr anders, als den Herrn Färbemeister.

Fußnoten

1 P. Chrysologus Greimbl, des hl. Ordens der Diener unser lieben Frauen p. t. SS. Theologiae lector, hat sie zu Innsbruck im I. 1759 in dieschmerzhafte Bruderschaft eingeschrieben.

Paganini's Concert
[197] Paganini's Concert.

Der Ruf von Paganini's Künstlerruhm war durch alle civilisirten Länder der Erde gedrungen; alle Kenner kamen in der Meinung überein, daß er der größte Violinspieler nicht nur unter den Lebenden, sondern selbst unter jenen sey, deren Ruhm uns die Geschichte ausgezeichneter Künstler auf diesem Instrumente aufbewahrt hat, wohin ich Tartini zähle, einen der größten italienischen Violinspieler in der Mitte des 18ten Jahrhunderts, ein Meister in der Composition, wie im Spiele, der gefeierte Lehrer Aller, welche in jener Zeit die Musik gründlich üben wollten, der die so sehr berühmte, nach seiner Meinung ihm vom Teufel unmittelbar eingegebene Teufelssonate schrieb, vorzüglich seinen Zeitgenossen merkwürdig durch die unheimliche Entstehung, durch die frappanten Gänge, Dissonanzen und Passagen.

Tartini bildete einen nicht minder großen Schüler, den Pietro Nardini, geboren zu Livorno im Jahre 1725, gestorben zu Florenz den 7ten Mai 1796, als erster Violinist der Capelle des Großherzogs von Toscana. Er glänzte vorzüglich im Vortrage des Adagio, worin man oft mehr Gesang als ein Instrument zu hören glaubte. Damals legten es die ausübenden Tonkünstler in ihren öffentlichen Vorträgen nicht darauf an, durch tändelnde Volksmelodien um den lauten Beifall der Mehrheit zu buhlen, oder durch [198] grelle Sprünge zu blenden; der Ton und ein graziöserVortrag schienen würdigere Beweise ihrer Kunst zu seyn.

Darum konnte auch der Präsident Dupaty in seinen lesenswerthen Briefen über Italien über Nardini's Spiel mit der ihm eigenthümlichen Begeisterung äußern:

Ce violon est une voix, ou en a une. Il a touché des fibres de mon oreille, qui n'avoient jamais frémi. Avec quelle tenuité Nardini divise l'air! avec quel art, en un mot, il traivaille et épure le son. 1 (lettre 29.)

Hoch über diesen Beiden steht Paganini, der nach den enthusiastischen mündlichen und Zeitungsberichten von Ohrenzeugen, die glänzendsten Vorzüge seiner einzelnen Kunstvorfahren und Zeitgenossen in sich vereiniget, und alle Erwartung in so hohem Grade übertrifft, daß es der Sprache an erschöpfender Bezeichnung seines Ruhmes gebricht.

Man erzählt, er habe sich einst in Neapel im Schuldthurme befanden, und hier Variationen auf derG Saite seiner Violine mit so hinreißender Bravour gespielt, daß die entzückten Lazzaroni das Gefängniß stürmten, und den großen Meister mit Gewalt befreiten.

[199] Wohl kann man hier sagen: »se non è vero, è ben trovato«, 2 da dieser Zug die Kunsthöhe Paganini's und die musikalische Natur seiner Landsleute so treffend bezeichnet.

Die halbe Stadt wollte Paganini hören; an der Kasse des Konzertsaales, wo eine doppelte Wache Ordnung zu erhalten suchte, war ein furchtbares Gedränge, und alle Augenblicke vernahm man einen Angstschrei aus weiblichen Kehlen, wenn der Busen oder die Rippen zarter Frauenzimmer von den Eindringenden zu sehr gepreßt wurden.

Endlich erschien der Hof, und das Konzert wurde mit der rauschenden Ouvertüre aus der diebischen Elster von Rossini eröffnet, und vom Orchester mit der größten Präcision ausgeführt.Eduard, im Stillen noch immer die Gefährtin seiner Jugend, Rosa, herzlich liebend, trug eine brillante Arie aus der Zauberflöte mit hoher Auszeichnung vor, ein junger Zögling des Kapellmeisters Hummel ein Clavierconzert, und nun sollte Paganini erscheinen.

Die Konzertzettel rauschten in tausend Händen; ein dumpfes Murmeln wogte durch den weiten Saal; die Zuhörer auf der Gallerie legten sich sturzdräuend über die Brüstung hinaus. Dann trat eine lautlose Stille ein.

[200] Ein kleiner hagerer Mann, ganz schwarz gekleidet, mit langen schwarzen Haaren, großen dunklen Augen, gebogener Nase und hervorragenden Backenknochen, fast unheimlich wie ein Gespenst anzuschauen, eine unscheinbare Geige unter dem linken Arme, schritt rasch aus einer Seitenthüre des Orchesters, – Paganini war's, und plötzlich brach der Sturm des jubelnden Empfanges los, der sich dreimal wiederholte, und nur dann erst endete, als der Conzertmeister das Zeichen gab. Das erste Solo spielte der Künstler so schlicht und einfach, daß mancher Accessist im Hoforchester sich schon im Stillen für einen größeren Violinisten halten mochte, als den gefeierten Meister. Dann aber entwickelte er ein Spiel, von dem weder irgend ein Mitglied des Orchesters, noch einer aus den Zuhörern, bis zur Stunde auch nur eine Ahnung in seinem Innern getragen hatte.

Wer nun an die gewöhnliche Sitte der reisenden Tonkünstler dachte, die ganze Größe ihrer Kunst erst im Schlußstücke leuchten zu lassen, konnte sich nun vollends nicht vorstellen, wie dieß dem Paganini nach einem solchen Spiele noch möglich seyn würde. Den Beifall zu schildern, welchen der Meister fand, möchte wohl eine vergebliche Mühe seyn; ich gehe also zur zweiten Abtheilung des Konzertes über, die mit einem Flötenkoncertino begann, woraufRosa die äußerst liebliche Arie aus Cenerentola (Aschenbrödel): »C'era un Rè etc.« mit einer Herrlichkeit sang, welche das ganze [201] Haus begeisterte, und mit einem Beifallssturme gekrönt wurde, wie er vorher dem Paganini gespendet ward.

Aus diesem Meere von Beifalle tauchte nun, wie ein finsterer Geist, Paganini auf, um seine berühmten Bravour-Variationen zu spielen.

Hatte schon Anfangs sein südlicher Citronenteint den innern Ernst des Gemüthes verkündet, so schien dieß jetzt in einem weit höhern Grade der Fall zu seyn. Was er zuerst spielte, konnte ein anderer von den größten Zeitgenossen seiner Kunst zur Roth allenfalls versuchen; doch jetzt wollte er in seinen Bravour-Variationen als König der Violinisten im Krönungsornate den Thron besteigen, um den unendlichen Abstand zwischen dem gekrönten Haupte und den ersten Machthabern über jeden Zweifel zu erheben; denn was er jetzt spielte, und wie er es spielte, war jener Flamme zu vergleichen, die einstPrometheus dem ewigen Jupiter stahl, kein Erzeugniß der irdischen Natur!

Von großen Schwierigkeiten konnte hier keine Rede seyn, weil er Schwierigkeiten gar nicht kannte. Von der weichen Klage bis zum Siegesjubel des Herzens, von der herrlichsten, schöpferischen Phantasie bis zu den Gaukelgebilden phantastischer Launen, wußte er tausendfältigen Zwischenstufen in unbeschreiblichen, nie gehörten Tönen auszudrücken, und Freude, Schmerz, Lachen und Weinen aus den Herzen und Augen der von seelenvollen und wunderbaren Klängen überströmten Zuhörer, bis zum Fieberwahne [202] hervorzuzaubern. Bald schien seine Geige eine Flöte, bald eine Aeolsharfe, bald die silberhelle Stimme einer jungen Nonne, und bisweilen glaubte man zwei, bald drei, bald vier Violinspieler zugleich zu hören, was auch die Augen dagegen einwenden mochten, und als nun das Entzücken die höchste Stufe erreicht hatte, schloß er mit brillanten Variationen auf der einzigen G Saite, und dennoch wähnte man, daß acht Saiten ihre himmlischen Töne bei der blitzschnellen Berührung seines Wunderbogens aushauchten.

Mit dem letzten Tone verschwand Paganini, wurde jedoch sogleich mit rasendem Geschrei gerufen, und erschien dankend, die holde Rosa an der Hand, welche im schwarzsammtnen Gewande im Wiederstrahle eines Diadems und Gürtels von kostbaren Juwelen, die würdige Königin dieses Königes der Violinisten zu seyn schien.

Kenner behaupten, der Ton seiner Violine sey im Allgemeinen zu schwach, in Folge der schwachen Besaitung, ohne welche er alle diese Wunderdinge nicht hervorbringen könnte.

Die Jagd von Mehül schloß diesen genußreichesten Abend, den die Freunde der Musik in der Hauptstadt seit vielen Jahren erlebt hatten.

Fußnoten

1 »Diese Violine ist eine Stimme, oder hat eine. Sie hat Fibern meines Ohres berührt, die niemals gezittert haben. Mit welcher Zartheit theilt Nardini die Luft, mit welcher Kunst! Mit einem Worte, er arbeitet und läutert den Ton« etc. (29ster Brief.)

2 »Wenn auch nicht wahr, doch gut ersonnen.«

Die Bekehrung
[203] Die Bekehrung.

Es war neun Uhr vorüber, als Rosa im Gasthofe aus dem Wagen stieg, und von ihrer Dienerschaft vernahm, daß der uns wohlbekannte Rittergutsbesitzer bereits seit einer halben Stunde im Audienzsalon sie erwarte, und auf Befragen erklärt habe, er könne die Ursache seines späten Besuches nur der holden Gebieterin selbst anvertrauen.

Rosa trat in vollem Glanze in den Salon. Mancherlei freudige Gefühle gossen die Glorie der reinsten Heiterkeit über ihr Madonnenantlitz aus; sie war in diesem Augenblicke liebenswürdiger als jemals.

Der Rittergutsbesitzer, ein Mann von vierzig Jahren, hübsch gebaut, von einnehmenden Zügen, reinlich doch nicht nach der neuesten Mode gekleidet, wodurch der Bewohner der Provinz sich verrieth, ließ sich mit altherkömmlicher Galanterie auf ein Knie vor ihr nieder, und sprach mit unverkennbar schüchternem Tone:

»Holder Engel, haben Sie unter den erhaltenen Geschenken nicht auch ein aus zwei großen Diamantflächen gebildetes Herzchen gefunden, und darin ein Papierchen in der Größe eines Hellers, worauf mit schwarzer Tusche die fünf Worte geschrieben standen: ›Ich bitte um zwei Stunden?‹«

»Sie also waren der Sender dieses schönen Geschenkes? [204] Ich danke Ihnen dafür mit dem einzigen Wunsche, daß Ihr eigenes Herz nicht von jenem harten Stoffe seyn möge, wie das gesendete!«

»Gewiß nicht, liebenswürdige Rosa! gewiß nicht dafür bürgt Ihnen ja meine Bitte!«

»Also ist's Ihnen wirklich Ernst mit dieser Bitte?«

»Sie können noch zweifeln? Bei Gott, um Ihren Besitz gäbe ich freudig mein Leben hin!«

»Stehen Sie auf, mein Herr, und folgen Sie inzwischen meiner Betty in das Gemach, welches ich zu solchen Zusammenkünften bestimmt habe. Sie werden es freilich sehr einfach, und nicht dem hohen Eintrittspreise angemessen finden; allein Sie werden mich entschuldigen, da ich erst seit gestern in diesem Gasthofe mich befinde, und nur in meinem eigenen Hause, das ich nächstens zu beziehen gedenke, und worin kein Wechsel der Miethe mich stören kann, zu bedeutenden Auslagen für diesen Zweck mich entschließen kann; zu Ihrem Troste verspreche ich Ihnen jedoch, Sie für den Mangel der äußern Ausstattung durch mein Benehmen gewiß vollkommen zu entschädigen. In einigen Minuten bin ich wieder bei Ihnen!«

Rosa schellte zweimal; Betty trat im niedlichsten Anzuge in den Salon, und leuchtete mit einem großen silbernen Armleuchter dem Ritterguts besitzer voran in das geheime Kabinet der Liebe, das sie sogleich wieder verließ.

[205] Die Wände dieses Kabinets waren mit rosafarbenem Seidenstoffe ausgeschlagen; den Boden deckte ein einfacher, dunkelgrüner Teppich; vom Plafond hingen an Metallketten drei lazurblaue, drei milchweiße und drei purpurrothe Astrallampen herab, die ihr sonnenhelles aber mildes Licht auf ein langes und breites Ruhebett von schwarzem Sammt hinstrahlten, auf dessen tiefdunklem Grunde das Inkarnat jugendlicher Leiber in blendender Lebensfrische zu locken verhieß.

Mitten im Kabinete stand ein gewaltiger Blumentisch, dessen exotische Gewächse überaus liebliche und doch nicht betäubende Düfte hauchten, und aus dem Schooße derselben stieg ein lustiger Springquell empor, dessen flüssige Säule mit den drei Farben der Lampen ein gaukelndes Spiel trieb; den Kamin zierte eine zärtliche Liebesgruppe aus cararischem Marmor, und nach jeder Viertelstunde ertönten die süßschmachtenden Melodien einer verborgenen Flötenuhr. Der breite Rücken eines aus Bronce gegossenen, sich bückenden Faunes diente als Seitentischchen.

Rosa's Entschuldigung war nicht ohne Grund; denn alles, was der Rittergutsbesitzer hier sah, war nur der Schatten eines Schattens im Vergleiche mit jenem Liebestempel, den sie in Paris dem schelmischen Gotte Amor geweiht hatte, und wovon in: »Rosa's Gardinenseufzer,« eine Schilderung zu finden ist, welche die kühnste Phantasie übersteigt, und die ich meinen verehrten Leser [206] und Leserinnen gelegenheitlich mitzutheilen gedenke; das berühmte Bett der Himmelswonnen des Dr. Graham in London war seiner Zeit nur eine harte Ofenbank dagegen.

Ihm schien jedoch diese Ausschmückung schon etwas Ausserordentliches und Wunderbares. Neugierig besah er Alles in der Nähe, roch an den Blumen, strich mit der Hand dem Faune über den Rücken, hielt einen Finger über den Springquell, lachte herzlich über die steinerne Liebesgruppe, schaukelte sich auf den kräftigen Stahlfedern des Ruhebettes, die ihn stets emporhoben, wie fest er auch seine Füße gegen den Boden stemmte, und glaubte vor Sehnsucht nachRosa fast vergehen zu müssen.

Endlich hörte er Tritte; die Thüre öffnete sich, und zwischen den zwei schönen Mädchen, Fanny undBetty, ähnlich zwei freundlichen, reizenden Grazien, trat Rosa in das Gemach, doch nicht wie eineVenus, in durchsichtigen Flor gekleidet, sondern angethan mit einem weiten, faltigen Vestagewande von blendend weißem Linnen, das sie vom Halse bis zur Ferse verhüllte, und ihre zauberischen Formen nur errathen, aber nicht schauen ließ.

Die Mädchen entfernten sich.

»Liebenswürdige Rosa,« – begann der Rittergutsbesitzer, und lag schon wieder auf einem Knie, – »verzögern Sie nicht länger mein Glück; Sie haben mir die Stunden von 9 bis 11 Uhr bewilliget, und jede verlorene [207] Minute ist ein verlorenes Paradies. Hier ist die Summe von 40,000 Franken in holländischen Dukaten; man hat mir gesagt, es sey Ihnen in dieser Beziehung jede Ziererei ganz fremd, sonst würde ich eine schicklichere Weise gewählt haben, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeugen.«

»Nehmen Sie an meiner Seite Platz, – mein Herr,« – versetzte Rosa, – »und schenken Sie mir einige Augenblicke ein geneigtes Gehör.«

Beide setzten sich auf das Ruhebette; der Anbeter legte die Goldrollen auf des Faunes Rücken.

»Bei dem gütigen Empfange,« – fuhr Rosa fort, – »womit mich gestern die kunstsinnigen Bewohner der Hauptstadt so angenehm und so ehrenvoll überraschten, hab' ich mit wahrem Vergnügen bemerkt, daß Sie, mein Herr, enthusiastisch für mich eingenommen sind.«

»Bei Gott, das ist wahr!«

»Diese Ihre theilnehmenden Gesinnungen verdienen meine volle Anerkennung, die ich Ihnen nur durch redliche Offenheit zu bethätigen vermag. Allein Offenheit gegen Offenheit! Ich bitte um Ihr Ehrenwort, daß Sie mir jene Fragen, die ich jetzt an Sie zu stellen für nöthig finde, mit reiner Wahrheit beantworten wollen!«

»So sonderbar mir auch diese Einleitung, und jenem Benehmen, das Sie mir als entschädigend andeuteten, entgegengesetzt scheinet, so gebe ich Ihnen dennoch mein heiliges Ehrenwort, wofür Sie es verlangt haben.«

[208] »Sind Sie verheirathet? – Sie stocken? Finden Sie diese Frage so schwer zu beantworten? – Sind Sie verheirathet?«

»Ja!«

»Glücklich?«

»Gott weiß es, recht glücklich!«

»Haben Sie auch Kinder?«

»Vier holde Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen!«

»Wie groß ist Ihr reines Vermögen?«

»160,000 Franken!«

»Mein Herr! Sie sind verheirathet, glücklich verheirathet, Sie lieben und werden geliebt, Sie haben theure Kinder, sind also auch ein glücklicher Vater, und wollen dennoch für den flüchtigen Genuß von zwei Stunden den vierten Theil Ihres Vermögens, bedenken Sie, den vierten Theil, hingeben, und Ihrer lieben Frau, Ihren guten Kindern, und dem Betriebe ihrer Besitzungen entziehen? Ist es möglich, ich frage Sie als Ihre beste Freundin, ist es möglich, daß Sie ein solches Verfahren vor Gott, Ihre Gewissen, und Ihrer guten Familie verantworten können?«

Der Rittergutsbesitzer war über diese Anrede ganz verblüfft; er wußte nicht, ob er wache oder träume; diese Gesinnungen hatte er von einer Rosa nicht erwartet, deren Gunstbezeugungen durch eigene Taxen bestimmt waren.

[209] Nur mit großer Mühe vermochte er sich zu sammeln, und sprach: »Entweder Sie scherzen, schöne Rosa, oder es ist Ihr voller Ernst. Im erstern Falle trüben Sie meine Hoffnung, im zweiten Falle rauben Sie mir sie ganz, und eben so unvermuthet als schmerzlich. Im Zweifel über Ihre wirkliche Gesinnung genüge ich der Pflicht, über mein Benehmen mich zu entschuldigen. Der Gesandte Graf L**** hat mich gelernt, das Beglücken zu verschweigen; mehr bedarf es wohl nicht zu meiner Rechtfertigung. Hat mich sein Wort getäuscht, so bitte ich um Vergebung.«

»Was Ihnen auch der Gesandte rücksichtlich einer vertrauten Zusammenkunft mit mir gesagt haben mag, so kann ich bei meiner Ehre versichern, daß er weder die Wahrheit noch eine Lüge gesagt hat; so räthselhaft dieß auch scheinen mag, so ist es dennoch so, und nicht anders. Er besitzt ein unermeßliches Vermögen, das selbst seine zahllosen Ausschweifungen nicht erschöpfen können, und ich würde bei meinen Grundsätzen unklug handeln, einen Antheil daran auszuschlagen, der sonst auf eine andere Weise vergeudet würde. Sie aber, mein Herr, verzeihen Sie mir meine Offenheit, Sie sind von einer leidenschaftlichen Liebe zu mir förmlich verblendet, und wollen die Gegenliebe mit einem Opfer erkaufen, mit einem Aufwande, der ausser allem Verhältnisse mit Ihrem Vermögen steht. Gegenliebe kann nie erkauft werden, und der Genuß ohne [210] Liebe wird Ihnen um so weniger genügen, als Sie mich wahrhaft zu lieben scheinen, und nur den rechten Weg zu meinem Herzen verfehlt haben. Nicht wahr, Sie lieben mich?«

»Gewiß, so wahr mir Gott helfe!«

»Könnten Sie mir eine Bitte wohl versagen?«

»Keine, und sollte die Gewährung mein Leben kosten!«

»Nun so bitte ich Sie, Ihr Gold wieder zu nehmen, und mein Freund zu bleiben. Sie zaudern? Liegt Ihnen so wenig an meiner Freundschaft?«

»Alles, alles! Aber wie schwer ist die Aufgabe, von der Liebe zur Freundschaft überzugehen!«

»Keine Rose ohne Dorn, kein Sieg ohne Streit! Um so herrlicher ist der Triumph Ihres Bewußtseyns, und Sie kehren dann mit reinem Gemüthe, mit unverletzter Pflicht in den Schooß Ihrer liebenswürdigen Familie zurück, und kein Scorpion wird fort und fort an Ihrem Herzen nagen, wenn die Reue nicht einkehret in Ihre schuldlose Seele. Noch einmal bitte ich Sie, Sie gaben mir Ihr Wort, – nehmen Sie das Gold zurück!«

Der Rittergutsbesitzer nahm es mit feuchten Augen, und rief mit gerührtem Herzen aus: »Wahrlich, so viel Tugend wäre wohl eines bessern Rufes werth!«

»Wohl mag es sich fügen, daß die Zukunft noch diesen schönen Wunsch erfüllet; bis dahin genügt es mir, wenn so achtungswürdige Männer, wie Sie, mein Freund, mich [211] nicht ganz verkennen. Das Herzchen von Diamant, das Sie mir sendeten, behalte ich, wenn Sie es erlauben, als ein Andenken von Ihnen; es wird mich stets erinnern, daß mein neuer Freund kein so hartes Herz, aber doch ein so reines besitzt, wie Diamant. Nehmen Sie nun als ein kleines Gegengeschenk, dessen Werth für Sie jedoch nur darin liegen kann, daß es von mir kommt, mein Portrait, und gedenken Sie manchmal meiner und dieser Stunde, wenn Sie ferne von mir, und doch meinem Herzen nahe sind. Sie müssen bei meinem Abendmahle mein Gast seyn; Fanny undBetty sollen uns ein Stündchen Gesellschaft leisten, und mit Musik und Gesang uns ergötzen. So lange Sie hier sich aufhalten, mein Freund, liegt täglich ein Gedeck für Sie auf meiner Tafel.«

Während Rosa dieß sprach, überreichte sie demRittergutsbesitzer, der in Freudenthränen zu ihren Füßen lag, ihr reich mit Edelsteinen garnirtes Portrait, und wandelte am Arme des Glücklichen zur reichbesetzten Tafel.

Unter Rosa's zahllosen und kostbaren Juwelen strahlet wohl keines himmlisch-reiner, als dieser edle Zug aus ihrem Leben!

Der Augenschein
[212] Der Augenschein.

Mitternacht war vorüber. Ein lauer Westwind trieb sein Spiel mit den rostgehemmten Wetterhähnen der Margarethenkirche in der Vorstadt, unter deren Portale Rosa stand, in einen großen Carbonarimantel gehüllt, aus welchem nur die Augen hervorblitzten, so tief hatte sie den Männerhut in die Stirne gedrückt. Einzelne schwere Regentropfen schlugen an die schlanken gothischen Fenster der Kirche, über deren alterthümliche Glasmalereien, biblische Geschichten versinnlichend, bisweilen ein aufzuckender Strahl der verlöschenden Lampe vor dem Hauptaltare unheimlich hinstrich.

Im Frauenleben gibt es auffallende Widersprüche, die sich jedoch leicht lösen lassen, wenn man auf ihre Quelle zurückschaut. Selbst den Muthigsten unter ihnen graut es schon vor dem Gedanken, um Mitternacht an einer alten, einsamen Kirche zu stehen; fordert aber die Liebe diesen Gang, so wandelt sich die Furcht in Muth. Die Glut der Liebe kann zur Glorie um das Haupt eines Engels, wie zur Höllenflamme werden. Was scheut die Liebe? Weder Kummer und Elend, weder Schmerzen und Tod, weder Himmel noch Hölle!

Ich kannte einen jungen, schönen, kühnen Jäger, der eines der schönsten Landmädchen seiner Gegend liebte, und eben so feurig geliebt wurde. Die MutterBrigittens [213] war schon gestorben, da sie noch ein Kind war; der strenge Stiefvater hatte ein wachsames Auge auf sie. Da fügte es sich, daß nach ländlicher Sitte die Gebeine der Mutter aus dem Grabe genommen, gebleicht, und in das sogenannte Beinhaus neben dem Dorfkirchlein gelegt wurden, wohin ein viertelstundlanger Weg durch ein dichtes Gehölz führte.

Von dieser Zeit an wurde die sonst so muntereBrigitte ganz tiefsinnig und schwermüthig, und gestand auf die dringende Frage des Stiefvaters nach der Ursache dieser plötzlichen Gemüthsverstimmung: ihre selige Mutter sey ihr im Traume schon dreimal erschienen, und hätte sie weinend gebeten, an jedem Samstage in der Woche, als an ihrem Sterbetage im Gebeinhause vor den dort an die Wand gemalten armen Seelen im Fegefeuer, einsam und andächtig einen Rosenkranz zu beten, für das Heil ihrer Seele.

Der Stiefvater sprach darüber mit dem Herrn Pfarrer, einem alten ehemaligen Franziskaner, der ihm als Gewissensrath auftrug, seine Tochter ja nicht von diesem frommen Werke abzuhalten.

Brigitte machte diesen Gang richtig an jedem Sonnabend nach dem Gebetläuten, ganz allein, traf auch Niemand dort, da es allgemein hieß, daß nach dem Gebetläuten der Geist eines alten Küsters dort spucke, der vor fünfzig Jahren im Gebeinhause sein Weib ermordet und an der Mordstätte verscharrt habe.

Nicht Wind und Schnee, nicht Sturm und Kälte, nicht [214] das furchtbarste Gewitter unterbrachen diese frommen Wanderungen; diese galten aber nicht dem Andenken der seligen Mutter, welche Brigitte in einem rührenden Gebete unter heißen Thränen um Vergebung dieser Täuschung, und um ihren Segen aus der Ewigkeit für die Wahl ihres Herzens bat, sondern dem geliebten Jäger Anton, den sie gerade zu jener Zeit auf einer Kirchweihe kennen lernte, und mit welchem sie die wochentlichen Zusammenkünfte an diesem Orte unter der Vermittlung des listigen Einfalles verabredete, da Beide durchaus keine Hoffnung hatten, sich auf eine andere Weise sehen, sprechen und lieben zu können, indem der Stiefvater, der ganz andere Pläne im Kopfe trug, eine förmliche Bekanntschaft mit dem armen Jäger Anton niemals gebilliget hätte.

An diesem grausen, unbelauschten Orte, mitten unter den mondlichtbleichen Schädeln und Gebeinen längst schon im Herrn entschlafener Dorfbewohner, dem Gerippe der eigenen Mutter gegenüber, überließ sich die liebetrunkene Brigitte den innigen Umarmungen ihres Anton, bis das Sprichwort sich geltend machte: »Man trägt den Krug so lang zum Brunnen, bis er bricht!«

Als aber das knappe Miederchen zu enge, und das bunte Schürzchen zu kurz wurde, da weinte sich das Liebchen freilich die Augen wund, und erkannte Gottes strafenden Fingerzeig. Anton sprach von einer Flucht in die Schweiz, Brigitte, die gehört hatte, daß die Schweizer [215] nur reichen Flüchtlingen eine Freistätte gewähren, dachte auf einen ewigen Schlaf im Strombette; da endete plötzlich ein unvermutheter Schlagfluß das Leben des Stiefvaters, und die Leiden der Liebenden; als einzige Erbin des ganzen großen Anwesens gab sie bald ihrem Anton Herz und Hand und versöhnte durch diesen Schritt Gott und die Kirche mit dem argen Frevel im Gebeinhause. –

Als es 1 Uhr schlug, stand plötzlich, wie aus einem Grabe auftauchend, der Erbprinz, in seinen Reitermantel gehüllt, einen spanischen aufgekrempten Hut mit einer langen Schwungfeder auf dem Haupte, vor der erschreckten Rosa, reichte ihr nach einer stummen Verbeugung den Arm, und schritt langsam und vorsichtig umherschauend, an ihrer Seite dem verrufenen Hause zu.

Der Plan gelingt!

Der alten Kupplerin Sibille getreue Magd Cäcilie hatte inzwischen sowohl in dem für den Erbprinzen und Rosa bestimmten Zimmer als auch im anstoßenden Lauschkabinetchen, worin bereits der Fürst und sein Minister Graf von Spindel sich befanden, alles auf's Beste geordnet. Der Fürst blieb in seiner Vermummung als ein Diener des Ministers unerkannt.

[216] Eine einzige Schirmlampe beleuchtete spärlich einen mit Erfrischungen aller Art reich besetzten Tisch, als der Erbprinz mit Rosa leise in das Gemach trat.

»Mein Gott, – flüsterte Rosa ängstlich, – wohin hat mich meine leichtsinnige Liebe geführt; o meinPrinz, welche Meinung werden Sie von meinem Charakter fassen?« »Stille, Liebchen, flüsterte eben so leise der Erbprinz, – man könnte horchen, und wie leicht wären wir dann verrathen!«

Während Rosa seufzend auf dem einladenden Ruhebette Platz nahm, setzte sich der Erbprinz an die Tafel, verzehrte gemüthlich ein gebratenes Huhn, und leerte mit raschen Zügen eine Flasche Champagner.

»Wie ist es möglich, mein Prinz, daß Sie im Augenblicke, den ich so sehr ersehnte, wie Sie, noch an etwas anders denken können?« – fragte kaum hörbarRosa, mit der Betonung eines verletzten Gefühles.

Statt der Entschuldigung schlich der Erbprinz auf den Zehen, nur um kein Geräusch zu machen, auf das Lager zu, sank an ihren vollen, üppig-schwellenden Busen, und umschlang sie mit seinen kräftigen Armen, daß bald ihr Athem in tiefes, süßes Stöhnen sich verwandelte. Kaum vermochte mehr der Minister durch den Rath: »die Vollendung der That klüglich zu erwarten,« – den entrüsteten Fürsten und Vater vom raschen Eintritte abzuhalten; und als die Liebenden eben zu einer Wiederholung zu schreiten [217] schienen, ergriff er den Armleuchter mit sechs brennenden Wachskerzen, riß rasch die Thüre auf, trat mit dem Minister in das Gemach vor das Ruhebette hin, noch ehe die Liebenden aus ihrer innigen Umschlingung sich er, heben konnten, und rief ihnen mit donnernder Stimme zu: »Entarteter Sohn, wie kannst du das fürstliche Haupt deines Vaters und Herrn mit solcher Schande bedecken!« –

Der Minister stand hohnlächelnd, wie ein siegender Teufel, im Hintergrunde. Da stürzte der – der Erbprinz? O nein, der schöne Stallknecht desErbprinzen, – Jost, – zu des Fürsten Füssen, um Gnade flehend, und mit einem lauten Schrei stürzte ohnmächtig auf das Lager zurück die eben sich aufraffende – Rosa? O nein, sondern die Frau Kabinetsministerin, Gräfin von Spindel!

Jost sprang rasch zur Thüre hinaus, und warf die ängstlich herbeieilende Cäcilie über den Haufen; der Fürst aber mit durchbohrendem Blicke, sagte zu dem vor Entsetzen erstarrten Minister, der regungslos wie eine Bildsäule in einer Ecke lehnte: »Es war von Ihnen ganz überflüssig, Ihren Fürsten zum Zeugen Ihrer häuslichen Schande zu machen. Wir sehen uns nie wieder! Gute Nacht!«

Und somit verließ der Fürst, im höchsten Grade aufgebracht, das Gemach und das Haus.

Die Lösung des Räthsels
[218] Die Lösung des Räthsels.

Vergebens durchspähe ich die Geschichte aller Zeiten, um irgendwo eine so klägliche Lage zu finden wie jene war, worin sich der sehr gewandte Diplomat, Kabinetsminister und Graf, in dieser schrecklichen Nacht befand. Auch seine Frau Gemahlin, die stolze Frau Gräfin, die ihr Näschen immer so hoch trug, und die Hofdamen geringeren Standes nur halber Blicke, und flüchtig hingeworfener Worte würdigte, war nun auf eine furchtbare Weise gedemüthiget, und Beide durften sich für todt halten, obgleich sie noch nicht gestorben waren. Der Minister gewann zuerst wieder Fassung, und wankte die Treppe hinab, durch die lange Vorstadt in sein Hotel, wo er sich, halb entkleidet, erschöpft, und wie vernichtet auf sein Bett warf.

Allein eine weit schmerzlichere Qual, als derFürst vermuthete, nagte am Herzen des Ministers; er wußte, daß im entgegengesetzten Lauschkabinetchen Chiaretti mit ihrem Kammerdiener die ganze Scene mitangesehen, aber er wußte nicht, daß dieser vermeintliche Kammerdiener der Erbprinz selbst war, und daß sich noch eine dritte Person dabei befand, – Rosa!

Die ganze Ueberlistung des schlauen Mini sters, der andern eine Grube bauen wollte, in die er selbst fiel, war das Werk von fünf Verschworenen:Rosa, Chiaretti, der Erbprinz, Hetzer und Jost.

Kaum hatte sich nämlich der Minister nach seinem Antrage, welchen er, wie wir wissen, derRosa rücksichtlich einer Zusammenkunft mit demErbprinzen machte, entfernt, als Hetzer gerade recht aus dem Wallfischbauche ankam, um Rosa in dem Entschlusse zu bestärken, bei Chiaretti, die sich noch auf dem Jagdschlosse befand, mit ihm vorzufahren, und Alles zu entdecken.

[219] Chiaretti stellte beide dem Erbprinzen vor, der über das Lügengewebe des Ministers eben so erstaunt als entrüstet war. Es wurde eine förmliche Berathung gehalten, und in Folge derselben der Vorschlag Hetzers angenommen, nicht blos auf die empfindlichste Weise an dem Minister sich zu rächen, sondern ihn auch, wo möglich durch Compromittirung des Fürsten ganz zu stürzen, dessen Unterredung mit jenem dem Erbprinzen von einem Lauscher unter den Kammerdienern sogleich verrathen wurde, der weislich überlegte, daß man dem Sohne eines regierenden alten Herrn schon bei Zeiten gefällig sich bezeigen müsse.

Hetzer übernahm es, den Jost bei der Mittagstafel im goldenen Schwane gehörig zu bearbeiten und ihm die zugetheilte Rolle einzustudieren, ein Geschäft, bei welchem der Geist des edlen Rebensaftes das Meiste that. Die Erinnerung an die von der FrauMinisterin empfangene derbe Maulschelle war hinreichend, ihn für die Rache zu stimmen, besonders für eine Art von Rache, welche zugleich dem Rächer süße Früchte zu tragen verhieß.

Nun galt es, die Frau Ministerin in die Falle zu locken. Auch dazu erbot sich Hetzer, theils aus Anhänglichkeit an den Erbprinzen und aus Verehrung für Rosa, theils aus Theilnahme an dem allgemeinen Hasse gegen den Minister, theils auch aus einem heimlichen Grolle gegen die Ministerin, durch deren Intrigue der verdienstlose, unwissende Sohn ihrer Kammerfrau bei Besetzung einer Stelle ihm vorgezogen wurde. Er ließ sich bei ihr melden, und machte ihr einen förmlichen Antrag zur Zusammenkunft mit dem Erbprinzen in dessen Namen, unter dem Vorwande, von demselben nur unter der Bedingung, daß er diesen Auftrag glücklich und nach dem Wunsche des Prinzen vollziehe, ein zweijähriges Reisestipendium nach Frankreich und Italien erhalten zu haben. Alte Liebe rostet [220] nicht: sie willigte ein! Der ganze Plan war demnach so angelegt, daß der Erbprinz im Falle des Mißlingens Alles desavouiren konnte; zur Freude aller Betheiligten gelang er jedoch! Der Tag brach an, und Niemand, außer den Eingeweihten, wußte etwas von den Geheimnissen der vergangenen Nacht.

Chiaretti hatte ihren italienischen Charakter, sich in der ausgesuchtesten Rache zu sättigen, nicht verläugnet; sie war, nach der Entfernung des Ministers aus dem verrufenen Hause, in das Gemach getreten, der Ministerin theilnehmend ihren möglichsten Beistand bei dem unvermutheten Uebelbefinden anbietend; diese verhaßte Erscheinung warf die Schuldbewußte, nun auch von ihrer ärgsten Feindin Verhöhnte, in eine tiefe Ohnmacht zurück.

Um zehn Uhr Morgens erschien ein außerordentliches Regierungsblatt mit folgender höchster Entschließung:


»Wir haben Uns allergnädigst bewogen gefunden, Unserm Kabinets-Minister Graf von Spin del, in Erwägung seiner zerrütteten Gesundheit, die Entlassung aus Unsern Diensten, und die Erlaubniß zu ertheilen, sich auf unbestimmte Zeit auf seine Güter zu begeben.«


Der Faktor der Druckerei, eine Kreatur des gestürzten Ministers, von einem Gefühle der Dankbarkeit ergriffen, die sonst Wesen dieser Art nach dem Falle ihrer Beschützer ganz fremd ist, setzte ihn eine Stunde vor der Bekanntmachung von seinem Schicksale in Kenntniß, worauf er sogleich alles Gold, Staatspapiere und Juwelen zu sich steckte, und mit seiner jüngsten Tochter, die ihm das liebste Kind war, mit Kourierpferden die Hauptstadt verließ, in welcher bei dem Erscheinen des Regierungsblattes der allgemeine Jubel losbrach. Sein längeres Verweilen würde ihn ohne Zweifel thätlichen Mißhandlungen bloßgestellt haben, in so hohem Grade war er verhaßt.

[221] Niemand beklagte seinen Sturz; selbst diejenigen, die durch ihn Aemter und Würden erhalten hatten, wünschten sich heimlich Glück, ihn entfernt zu sehen, weil die Dankbarkeit gemeinen Seelen eine Last ist, deren sie sich gerne sobald als möglich überhoben wissen.

Die Frau Ministerin begab sich auf ein fernes Landgut ihres Vaters, wo sie nach neun Monden einen kräftigen Jungen gebar, der keine Spur von des rechtmäßigen Vaters adeliger Habichtnase trug, sondern mitten im Gesichte ein Stülpnäschen, wie der Stallknecht Jost; dieser vom Schicksale eingeschobene Umstand that jedoch dem gräflichen Geblüte des neuen Ankömmlings nicht den mindesten Eintrag,quia pater est, quem nuptiae demonstrant 1, sagen die Juristen, und diese Rechtsregel gibt genügenden Aufschluß, woher es komme, daß manche Kinder mancher hochadeligen Familien Postillionsgesichter haben, ohne auch nur durch einen einzigen Zug an die erlauchten Ahnen zu erinnern. – Die meisten Herrn Justiz- und Administrativbeamten, im Range unter dem Rathe, Kaufleute, Bürger, und die zahlreiche Zunft der Tagediebe und Schwindler, die im Grund von Nichts, oder vielmehr von Allem leben, indem ihr Nahrungsstand alle Arten von Prellereien umschließt, stürzten in die Kaffee- und Weinhäuser, und besonders ging es im Wallfischbauche zu, wie, nach einem alten Sprüchworte, im ewigen Leben.

Der edle Knallwein – Champagner – floß da in Strömen; alle Gäste überließen sich den Jubelgefühlen ihrer Herzen über den Sturz des verhaßten Ministers. Die Pfropfe knallten unablässig; man glaubte mitten unter Plänklern bei einem Vorpostengefechte zu seyn.

Wie ein zweiter Saturn, der nach der Mythe seine eigenen [222] Kinder verschlang, saß der kleine dickeSchlichter an der vordern Ecke des großen Tisches, und goß das Blut des Kindes von Epernay 2 in seinen Mund, wie durch einen Trichter in ein zweites Faß.

Neue Freundschaftsbündnisse wurden beweinet, das heißt: mit dem edelsten Weine besiegelt, alter Groll mit altem Weine weggeschwemmt.

Mit Tagesanbruch schon zum Bereiter desErbprinzen befördert, plauderte Jost in seiner neuen Uniform bereits die ganze Geschichte aus, dessen Mühewaltung bei diesem Handel vielfach beneidet wurde. Mit Erlaubniß des Fürsten sendetRosa die vom Minister erhaltenen 20,000 Franken dem städtischen Armenfonde.

Abends gab die Theaterdirektion, die sonst immer Gelegenheitsstücke wählte, welche zur Veranlassung paßten, wie eine Faust auf ein Auge, glücklicherweise, wie eine blinde Henne ein Ei findet, das bekannte Stück: »Der Tag der Erlösung

Bei dem Erscheinen des Fürsten und derfürstlichen Familie brach der laute Jubel aus, der sich nach verzehnfachte, als bald darauf auch der Erbprinz, zum Zeichen der Aussöhnung mit seinem Vater, in die Loge trat. Rosa, Chiaretti, Paganini und Hetzer befanden sich in einer Loge des zweiten Ranges.

Das Orchester mußte am Anfange und am Ende des Stückes die Nationalhymne anstimmen:


»Heil unserm Fürsten, Heil!« etc.


in welche das ganze Parterre mit allen Logen einfiel.

Nach dem Theater brachten die Studenten der Hochschule dem Fürsten in seiner Residenz einen glänzenden Fackelzug von mehr als fünfhundert Fackeln, und zahllose

[223] Lebehoch, ein dreimaliges Lebehoch erscholl auf ihrem Rückzuge vor dem Gasthofe der Rosa, deren kluges Benehmen diese Auszeichnung wohl verdiente und vor dem Hotel der Chiaretti.

Die ganze Hauptstadt war wie durch einen Zauberschlag freiwillig reich beleuchtet, und Gesang und Tanz belebten die öffentlichen Orte, in welchen auf die Sieger in dieser wundersamen Intrigue stürmische Toaste ausgebracht wurden.

Es gibt Menschen, die auf hoher Stufe wirken, oder im Dunkel ihres Standes dahin wandeln, welche die öffentliche Meinung längst schon gerichtet hat, bevor sie die Macht des Gesetzes, oder die Ungnade ihrer Gebieter erreicht. In diese Klasse gehört der MinisterGraf von Spindel, den nicht die vereinte Bemühung seiner mächtigen Feinde, sondern, als er es am wenigsten vermuthete, nur die überwiegende List von zwei Damen stürzen konnte, die er in seinem Eigendünkel blos als lenkbare, leicht zu täuschende Werkzeuge seiner bösen Absicht betrachtete.

Rosa hatte an einem einzigen Tage einen verirrten Familienvater zu seinen Pflichten zurückgeführt, einen verhaßten Minister, den bösen Rathgeber des Fürsten und zugleich den Unterdrücker des Volkes, gestürzt; mit welchen seligen Empfindungen wird sie ihr himmlisches Köpfchen auf den weichen Pfühl gelegt haben! O hätte ich an ihrer Seite diese Empfindungen mit ihr theilen dürfen!

Wer unter meinen verehrten Lesern ein Mann ist, und nicht denselben Wunsch im Herzen trägt, werfe den ersten Stein auf mich –!


Ende des ersten Bandes.

Fußnoten

1 »Weil Vater ist, wen die Ehe als solchen bezeichnet.«

2 Champagner.

Zweiter Theil

Lohn des Sieges
[5] Lohn des Sieges.

Uralt und weltbekannt ist die Fabel vom sterbenden Löwen und vom Esel, der sich noch durch einige Hufeschläge zu rächen suchte, eine Fabel, die im menschlichen Leben beinahe täglich in Erfüllung geht. Ist der Sturz eines Mächtigen entschieden, dann schreien jene feigen Seelen am heftigsten, und schleudern ihre Bannflüche gegen ihn, die zuvor wie blattbauchige Insekten am tiefsten vor ihm zu kriegen pflegten. Gerade so ging's dem Cabinetsminister,Grafen von Spindel, als sein Fall officiell bekannt gemacht wurde. Obgleich er selbst eben so wenig ein Löwe, als sein ärgster Feind ein Esel war, so trafen doch alle übrigen Umstände jener Fabel vollkommen ein.

Die öffentliche Meinung hatte sich durch die freiwillige Beleuchtung der Stadt bereits augenblicklich ausgesprochen; alle Herzen schwammen in einem Meere von Wonne, als wären sie von einem unerträglichen Joche der Tyrannei befreit worden. Und so war es auch. Die ganze Nation sah mit gespannter Erwartung einer ständischen Verfassung nach den Bestimmungen der Wiener Kongreß-Akte entgegen; [5] Jedermann wußte, daß der Cabinetsminister die einzige Ursache des vergeblichen Wartens sei, indem er durch alle ersinnlichen Umtriebe die Lösung des fürstlichen Wortes zu verzögern suchte. Er wußte wohl, daß seine Talente nicht geeignet waren, die Feuerprobe ständischer Oeffentlichkeit zu bestehen; er war kein Redner, und hätte er sich auch gegen jede Verantwortlichkeit über seine frühere Verwaltung durch eine Klausel in der Verfassungs-Urkunde schützen können, so wäre doch die gebieterische Nothwendigkeit geblieben, für die Zukunft den spekulativen Bereicherungsplänen zu entsagen. Bald nahmen die Bläter der Hauptstadt einen unabhängigen Ton an und äußerten sich freimüthig, mehr oder minder schonend, über das heillose Verwaltungssystem des gestürzten Ministers, und schon nach 14 Tagen tauchten von allen Seiten zahlreiche Broschüren auf, welche sein öffentliches und häusliches Leben rücksichtlos der strengsten Kritik unterzogen.

Der Fürst hemmte auf keine Weise den lauten Schrei der allgemeinen Entrüstung. Mochte auch so Manches gänzlich unwahr, übertrieben, oder durch irgend eine persönliche Aufreizung entstellt seyn, was bei solchen Anlässen nie zu vermeiden ist, so vernahm doch der Fürst auch so manche wahre und warnende Stimme, so manche, ihm bisher durchaus fremde, gegründete Rüge bestehender Mißbräuche, daß sein wohlwollendes Herz und sein gesunder Verstand zur schleunigsten Abhülfe sich gerne verbanden.

[6] Rosa durfte sich als das vom Himmel ausersehene Werkzeug zur kaum geträumten Umgestaltung aller dieser Verhältnisse betrachten; es war ursprünglich von keiner Staats-Intrigue die Rede, zu derem künstlichem Gewebe sie die ersten Fäden geschlungen hätte; sie erschien nicht als das Haupt einer Partei, sondern als Widersacherin eines ränkesüchtigen Hofmanns, der sie als Mittel zum eigenen Zwecke, zur Befriedigung unedler Rache mißbrauchen wollte und nun seinen Fehlgriff mit dem Sturze von seiner politischen Höhe büßen mußte.

Die fremden Gesandten in der Hauptstadt sendeten auf der Stelle Kouriere an ihre Regierungen mit dieser großen Neuigkeit, welche wichtige Folgen verhieß, und bezeichneten in ihren Depeschen ohne weiteres die Sängerin Rosa als das mächtige Wesen, dem dieses unmöglich scheinende Unternehmen gelungen sey, gleichsam als wäre sie von ihrer Kunstreise in fremden Ländern ausdrücklich zu diesem Zwecke zurückgekehrt. Den eigentlichen Hergang der ganzen. Sache wußte jedoch, außer den unmittelbar Betheiligten, noch Niemand, und diese hatten sich wechselseitig das strengste Schweigen gelobt. Was Jost ausplauderte, betraf nur die Thatsache der Entscheidung; den innern Zusammenhang kannte er nicht.

Rosa gefiel sich in der großen politischen Rolle, die sie nun vor aller Welt zu spielen schien. Es liegt in dem Bewußtseyn persönlicher Wichtigkeit im Verhältnisse zur [7] Außenwelt ein ganz eigener Zauber, welchem selbst Männer von entschiedenem Charakter selten widerstehen können; einer Dame dürfte es also um so weniger zu verargen seyn, wenn sie einer so großen Lockung unterliegt.

Der Fürst benahm sich gegen Rosa mit der größten Auszeichnung; sie wurde häufig zur Kabinetstafel gezogen, wobei die fürstliche Familie, mit Ausnahme des Erbprinzen, zugegen war, der aus Rücksichten der Liebe nicht erschien, da seineChiaretti von der Einladung ausgeschlossen blieb, während doch die Sängerin Rosa an der Tafel saß, und, die Mandoline im Arm, Arien aus den beliebtesten Opern sang. Daß sie am Tische, und nicht in einiger Entfernung davon, an der gewöhnlichen Stelle der Sänger, Sängerinnen und Musiker spielte und sang, wurde ihr von alt adeligen Herrn und Damen, die manchmal Einladungen in diese Familienkreise erhielten, als eine unerhörte Ehre erstaunlich hoch angerechnet.

Eines Morgens überbrachte ihr der Vorstand der Hofbühne das Dekret als erste Sängerin der Bühne mit einem lebenslänglichen Gehalte von 6000 Thalern, und als sie vor dem Fürsten erschien, um ihm für diese Anstellung zu danken, überraschte sie der selbe mit einem zweiten Dekrete, als erste Hof- und Kammersängerin mit einem lebenslänglichen Gehalte von 4000 Thalern, die auf die fürstliche Schatulle angewiesen waren. Die ausdrückliche [8] Bewilligung eines jährlichen Urlaubes von vier Monaten zu Kunstreisen krönte diese hohe fürstliche Gnade.

Verfall des deutschen Theaters
Verfall des deutschen Theaters.

So innig auch die Freundschaft zwischen Rosa undChiaretti zu seyn schien, so waren doch diese Auszeichnungen und Geldvortheile hinreichend, das leidenschaftliche Herz der Chiaretti mit Mißgunst zu erfüllen. Anstatt nur den Eingebungen der Dankbarkeit für die Rettung ihres Liebesverhältnisses mit dem Erbprinzen, durch Rosa's Offenheit, sich zu überlassen, konnte sie, ungeachtet ihrer studirten Verschwiegenheit, die innere Aufreitzung nicht verhehlen, wenn sie mit dem Geliebten allein war. Längst schon hatte sie eine Gehaltszulage vergebens nachgesucht, und nun erschien eine Nebenbuhlerin im Gebiete der Kunst, welche nicht blos als Sängerin unendlich hoch über ihr stand, sondern auch, ohne nur einen leisen Wunsch äußern zu dürfen, einen doppelten Gehalt erhielt, womit man in einem ökonomischen Staate zwei Minister hätte bezahlen können.

Die Klagen über allzugroße Besoldungen der ausübenden Künstler und Künstlerinnen bei einer Bühne, oft außer allem Verhältnisse mit dem Einkommen der Richter [9] und anderer Staatsbeamten, die mindestens den dritten Theil ihres Lebens und häufig ihr elterliches Vermögen den Vorbereitungsstudien des mühsam errungenen Amtes opfern mußten, stützen sich nur bei solchen Theaterverwaltungen auf einen guten Grund, welche der Zuschüsse aus der Staatskasse bedürfen, um sich aufrecht halten zu können; dagegen wäre eine Rüge dieser Art bei Bühnen, die nur durch ihre eigne Kraft bestehen, nicht an ihrer rechten Stelle; mit Recht werden ausgezeichnete Mitglieder derselben, die das Publikum anziehen, und dadurch die Kasse füllen, nach dem Maße dieses unverkennbaren Vortheiles, so sehr als möglich begünstiget.

Nach dieser Ansicht muß auch eine bezügliche Aeußerung des berühmten Malers, Kupferstechers und Satyrikers, Salvator Rosa, geboren 1615 zu Renella im Königreiche Neapel, in einer seiner bittersten Satyren, beurtheilt werden:


»Virtude oggi nemmeno ha tanto paglia

Per gettarsi a giacere, e a borsa sciolta

Spende l'oro dei ne turba raglia.« 1


Weit bedenklicher, als die großen Geldbezüge großer Bühnentalente, muß der Verfall des deutschen Theaters erscheinen, der zur Zeit, daRosa's Triumphe begannen, bereits unaufhaltsam voranschritt. Nur spärlich [10] waren Künstler und Künstlerinnen noch auf einzelnen guten Bühnen zu finden, welche von reiner Liebe zur Kunst beseelet, diesen Beruf wählten; bei den Meisten unter den Uebrigen konnte jeder andere Beweggrund, als jene Liebe zur Kunst, mit größerer Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden. Arbeitscheue Schreiber, entlassene Studenten, herrenlose Bediente, Friseure, Barbiere, ungerathene Söhne aus allen Ständen u.s.w., gefallene Mädchen, deren Leichtsinn größer war, als dieReue, ohne Aussicht auf das hohe Glück, einen Mann zu bekommen; Romanenheldinnen mit unzuläßigen Liebhabern, dem elterlichen Hause entflohen; verzärtelte Töchterchen, die lieber die Ahnfrau deklamirten, als ein Paar Strümpfe strickten, die am Küchenfeuer Kopfschmerzen bekamen, wenn sie eine Suppe kochten, und wegen catarrhalischer Anfälle weder den Boden fegen, noch waschen, noch bügeln wollten, – solche Leute wehte der Zufall zusammen, und bevölkerte mit ihnen wandernde Theater, bei welchen dann die Liebhaber und Liebhaberinnen häufiger und einträglicher außer, als auf der Bühne beschäftiget wurden.

Alles wiederholt sich nur auf der Welt; es giebt nichts Neues unter dem Monde. Zu den Zeiten der Römer mögen ähnliche Umstände das Poppäische Gesetz herbeigeführt haben, nach welchem an einer Schauspielerin das Verbrechen der Schändung nicht konnte begangen werden; wir wissen aus demSachsenspiegel, (1. Buch. Art. 37.) [11] daß in den meisten Staaten unter der Regierung des KaisersKarl V. die Bühnenglieder durch förmliche Gesetze für ehrlos und anrüchig erklärt wurden, ohne deßwegen ihre Erbschaft zu verschmähen, welche nach ihrem Tode der Obrigkeit heimfiel, auch erinnern wir uns noch recht wohl jener Zeit; da selbst die Leichname solcher Personen nicht in eine geweihte Erde durften gelegt werden.

Diese Uebertreibung mußte zwar der fortschreitenden Aufklärung weichen, aber nur um dem Gegensatze der: Geringschätzung, um derUeberschätzung Platz zu machen.

Vorzügliche Talente bei diesen wandernden Banden, wie man sie noch jetzt zu nennen pflegt, wurden bemerkt, und für die guten stehenden Bühnen gewonnen, wo treffliche Vorbilder ihre Fortschritte erleichterten, leiteten, und beschleunigten. Das wüste Leben wurde nicht mehr öffentlich fortgeführt; der Schleier des Anstandes verhüllte die freien Sitten, und die Menge begnügte sich mit dem Scheine der Ehrbarkeit.

Das Theater wurde in Haupt- und Handelsstädten das Lieblingsvergnügen der gebildeten Welt; die Höfe nahmen sich seiner Pflege an, und wetteiferten miteinander um den Preis des Vorzuges. Nichts wurde gespart, um einen Verein der ausgezeichnetsten Talente für das Schauspiel und die Oper zu bilden; würdige Tempel der Kunst erhoben sich, die man mit einer Pracht und Sorgfalt [12] ausschmückte, als wären sie, wie bei den Griechen und Römern, zu einem Theile des Gottesdienstes bestimmt; es schien als ob die Menschen auf der Welt nichts Höheres, als den Besuch des Theaters, zu erkennen vermöchten. Personen von hohem Range buhlten hinter den Coulissen um das Glück, einer Schauspielerin oder Sängerin tausend Schmeicheleien sagen, und die kunstgeweihte Hand küssen zu dürfen. Sie erhielten Ehrenplätze an den Festtafeln der Großen, und vielleicht nicht blos an den Tafeln; in den Schooß dieser Damen drang nicht nur Jupiters goldener Regen, sondern auch so manches Geschenk an irdischem Golde und Juwelen, während die Wittwe des ersten Dichters von Deutschland eine Collekte veranstalten mußte, um nicht zu darben, während ein berühmter Tonsetzer, aus Mangel an Holz, jene Bravourarie im ärmlichen Bette componiren mußte, womit die glückliche Sängerin sich Tausende ersang.

Correspondenzen über Bühnenleistungen wurden stehende Modeartikel in den öffentlichen Zeitschriften, selbst von Theatern des dritten und vierten Ranges, und hungerige Recensenten schrieben mit einem Feuereifer über manche ausgeführte Rolle oder gesungene Arie, wie von einer wichtigen Staatsumwälzung, daß man vermeinte, der Status quo von Europa werde auf den Brettern der deutschen Theater entschieden.

Jede Kunst fordert mehr oder minder mühsame Vorstudien; [13] wer ein Instrument spielen lernen will, muß sich mit der Bedeutung der Noten vertraut machen, und vor Allem seine Uebung vorerst auf die Tonleiter beschränken. Wer dieser gründlichen Bildung voraneilen, und das Einstudiren einzelner Musikstücke vorziehen wollte, würde wohl für immer ein Stümper bleiben.

Jede Sängerin, wenn sie diesen Namen verdienen will, muß aus einem gründlichen Unterrichte hervorgehen; daher wurden eigne Singschulen für nöthig erachtet.

Warum besitzen wir nicht auch eigene Theaterschulen, worin brauchbare Bühnenglieder gründlichen Unterricht erhalten, in einer Kunst, die zu den schwierigsten gehört, weil sie alle Eigenschaften des innern und äußern Menschen umfaßt? Anstatt auf dieser ernsten Bahn, von natürlicher Anlage begünstiget die bei keiner Wahl eines Berufes fehlen darf, langsam nach Vollkommenheit zu streben, wird eine ganz verkehrte eingeschlagen. Das gezierte Püppchen wird bei irgend einem anerkannten vorzüglichen Talente der Bühne förmlich in die Lehre gegeben, welche in dem sogenannten Einstudiren irgend einer wo möglich sehr bedeutenden Antrittsrolle besteht. Jeder Schritt; jede Stellung, jede Bewegung, jeder Blick der Augen, jedes Wort der Lippen, wird dem Neulingevorgemacht, und dieß so oft wiederholt, bis der Theateraffe das Ganze am Schnürchen hat, wie ein Canarienvogel das tausendmal vorgepfiffene Stückchen.

[14] Nach einigen Proben wagt nun das liebe Aeffchen den ersten theatralischen Versuch; die unausbleibliche Unbehülflichkeit wird als eine verzeihliche Schüchternheit entschuldiget; die Leibgarde der Anhänger zieht mit der schweren Artillerie des donnernden Beifalles in das Parterre; das Aeffchen, ein unverkennbarer Abdruck des Lehrers oder der Lehrerin, wird gerufen, danket gerührt, wischt sich einige Scheinthränen aus den Augen, wird dafür mit wiederholtem Beifalle überschüttet, dessen Echo in den nächsten Tagen in den öffentlichen Blättern wiederhallet, und tritt mit dem Wahne hinter die Coulissen, den Besten der Bühne gleich zu seyn. Dann wird kritisirt, intriguirt, geliebelt, und an keine wissenschaftliche Ausbildung mehr gedacht; daher kommt es, daß unter zwanzig solchen Treibhauspflanzen kaum eine die Mittelmäßigkeit überschreitet, und daß bei diesem Unwesen, sollte ihm nicht bald und kräftig gesteuert werden, der rasche Verfall des deutschen Theater durch den Mangel eine systematisch gebildeten Nachfluges keinem Zweifel mehr unterliegen könne.

Dis scheinbare Geistesarmuth der deutschen Theaterdichter, die selten mehr eine dauernde Waare aus deutschem Urstoffe liefern, besonders im Lustspiele, ist gleichfalls ein Uebelstand, der alle Aufmerksamkeit verdient.

Es wäre lächerlich, zu behaupten; die deutsche Dichterkraft [15] sey erschöpft, und darum zeugungsunfähig, oder sie bringe nur Eintagsfliegen hervor; allein welcher Dichter möchte einer zweifelhaften Ehre wegen sein Talent der Bühne weihen, wenn er mit ungleich größerem Vortheile ein anderes Fach, z.B. das Fach der historischen Romane, wählen kann? Der thörichte Wahn im Staatsleben: daß man einer von den höheren Staatsbeamten seyn müsse, um etwas dem Staate Nützliches ersinnen und vorschlagen zu können, hat sich auch auf die Bühnenverwaltungen ausgedehnt, welche nur die eingesendeten Manuscripte der eben herrschenden Dichter einer besondern Aufmerksamkeit würdigen, und sie nach einem Grundsatze des Seerechts: »die Flagge deckt die Waare,« – so schleunig als möglich zur Aufführung zu bringen, wobei sich's dann häufig zeigt, daß große Namen keineswegs die kleinen Werke vor dem Falle schützen können.

Kommen aber die Manuscripte von unberühmten, oder etwa gar von nie genannten Dichtern, so werden sie von thätigen und geschäftskundigen Direktionen beinahe mit umgehender Post unter irgend einem annehmlichen Grunde, z.B. der vorliegenden vielen, schon seit langer Zeit eingesendeten Manuscripte, oder der Unmöglichkeit einen vollkommen entsprechenden Personalbesetzung u.s.w. dem Verfasser auf seine Kosten, zurückgeschickt, und die herbe Pille der Rücksendung mit dem Direktionshonig der Anerkennung des schönen Talentes versüßt. Nicht thätige [16] und geschäftskundige Direktionen legen solche Manuscripte ungelesen in einen Winkel, geben mondenlang, und oft Jahrelang auf dringende Nachfragen gar keine Antwort und lassen auf diese Art den Dichter in einer um so peinlicheren Ungewißheit, als er vielleicht gerade durch die Aufnahme und den Erfolg des ersten Stückes zu rühmlichen Fortschritten begeistert zu werden hoffte. Viel einnehmen und wenig wagen ist das ökonomische Losungswort dieser Direktionen, welche nicht zu wissen scheinen, daß die glücklichen Erfolge großer Unternehmungen nicht durch kleinliche Mittel erzielet werden.

Es ist daher ganz natürlich, daß selbst bessere Dichter die Bearbeitung der ausgezeichneten französischen Lustspiele, deren Ruf bereits entschieden ist, den mühsamen Selbsterzeugnissen in diesem Fache vorziehen, um so mehr, als sie durch diesen Handel mit fremden Fabrikaten der Kunst mindestens eben so viel gewinnen, als mit den eigenen Erzeugnissen; aber zu bedauern ist es, daß dadurch das Feld der ächten deutschen Dichterkraft, in ihrer Anwendung auf die Schöpfung von guten Beispielen, brach liegen bleibt, ohne zu bedenken, daß eine lange Zeit nicht geübtes Talent in schleuniger Erschlaffung zu Grunde geht.

Die werthvollen deutschen Tragödien und bürgerlichen Trauerspiele sind keine Kinder der neuesten Zeitlang genug ließ sich ein verderbter Geschmack mit grausen [17] Spektakelstücken füttern, dessen Helden auf den Rabenstein, aber nicht auf die Bühne gehören; in der wahren Tragödie muß der Held im Kampfe mit dem Schicksale, nicht unter der Last seiner gräulichen Verbrechen erliegen, die er aus freier Wahl und mit Besonnenheit verübte. Blitz, Donner, Sturmgeheul, Gift und Dolch, Geister, Leichen, Teufelsbeschwörungen, u.s.w. sind die Bestandtheile des Kittes, womit die modernen Trauerspiele kümmerlich zusammengeleimt werden. Wo ist da jene erhabene Einfachheit des griechischen Trauerspieles, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt?

Die Sturm- und Drangperiode der deutschen Literatur im Allgemeinen, und der dramatischen Poesie insbesondere, hatte kaum ausgetobt, und ein edlerer Geschmack eine freundliche Aufnahme gefunden, als die Unnatur der französischen Melodrame von den Pariserbühnen und aus der Provinz, Mord und Tod, die Verhandlungen der Assisen und die Geschwornengerichte auf die deutschen Theater verpflanzte, und die zarten Keime des Besseren im Werden erstickte. Noch immer gähnet uns dieser dramatische Abgrund an, und vergebens harrt die Muse des kühnen Jüngers, der, gleich jenem hochherzigen Römer, welcher mit seinem Leibe und Leben den verderblichen Pfuhl schloß, ihn mit Meisterwerken, mit poetischen Granitblöcken überwölbet.

Die Oper besteht aus ganz andern Elementen, und [18] die deutschen Tonsetzer: zahlreicher als in einer frühern Periode, weichen den ausländischen nicht. Aber doch ist es zu beklagen, daß so viele Jahre hindurch der Flügelschlag des tonreichen Schwanes von Pesaro die deutschen Ohren von den unsterblichen vaterländischen Klängen abwendete, und zur Vorliebe für wälsches Kosen und Tändeln verlockte; Rossini war der Gott der Musik; die Texte seiner zahlreichen Opern wurden in Wiener Uebersetzungsfabriken erbärmlich verdeutscht, und der wohlklingende Tenor der kräftigen deutschen Brust mußte zu den Verschnörkelungen der Kastratenfistel hinaufgeschraubt werden. Webers Freischütz brachte uns zuerst wieder zur Besinnung, und lehrte uns die ewigen Schätze deutscher Kunst ehren und lieben.

Die Charaktertänze der Alten suchen wir vergebens in den kostbaren Balleten unserer Zeit; auf den Spitzen der Zehen zu tanzen, oder in Pirouetten auf einem Fuße wie ein gejagter Kreisel sich zu drehen, darin besteht die ganze Kunst asthmatischer Tänzer und entmarkter Tänzerinnen, die mit hochroth getünchten Wangen den Zuschauern holdselig entgegenlächeln, und gleich darauf hinter den Coulissen halbohnmächtig der Dienerschaft in die Arme fallen. Immer und immer leiht die Liebe ihren Namen, und dieses abgedroschene Kapitel wird mit hohler Einförmigkeit bis zum Eckel wiederholt. Schwerter- und Schleiertänze, Märsche, Gruppen mit Pyramidalerhöhungen, erscheinen als verschönernde Zugabe, und bengalisches [19] Feuer bezeichnet den Werth des Ganzen; »mehr Rauch als Feuer!«

An dem Anblicke der rechtwinkeligen Dreiecke der hochgeschürzten Tänzerinnen im Pirouettenkreisel, mögen sich Gymnasialschüler und alte Wüstlinge ergötzen, jene mit wissenloser Neugierde, diese mit seufzervollen Erinnerungen an eine nie wiederkehrende Zeit, die blöden Augen mit Doppelbrillen und darauf gestellten achromatischen Opernguckern bewaffnend, doch den gebildeten Mann von geläutertem Geschmacke werden solche Gliederverdrehungen und Gaukeleien niemals ansprechen, noch weniger fesseln.

Die von dem Ballete sehr verschiedenen, eigentlichen Pantomimen, wenn sie originelle Intriguen geistvoll behandeln, erregen Interesse, unterhalten durch den Wechsel der Erscheinungen, und gestalten ein Ganzes, ohne durch die Einförmigkeit der Ballete zu ermüden, und durch unnatürlichen Gebrauch der Glieder züchtige Augen anzuwidern. Damit will ich keineswegs die Pariser Streckordonnanz vertheidigen, welche die allzukurzen Röckchen der niedlichen Tänzerinnen verlängert, und dadurch den Wunsch angeregt hat, sich außerhalb der Bühne von der Nothwendigkeit und dem Zwecke dieser Jesuitenmaßregel mit eigenen Augen gemächlicher zu überzeugen.

Die Verwöhnung des Publikums von Seite der Bühnenverwaltungen ist nicht minder ein beklagenswerther Uebelstand, und eine wichtige Mitursache des Verfalls [20] des deutschen Theaters. DieseVerwöhnung war die Folge des Abweichens von der Bahn des Einfachen, und besteht in überspannten Genüssen, die meisten mit dem größten Aufwande verbunden sind.

Ich kenne eine Bühne, die durch die Darstellung von Prachtopern und Prachtballeten in Deutschland einen außerordentlichen Ruf verschuldete, das heißt: durch Schulden erwarb. Da jedoch nichts vergänglicher und begehrlicher ist, als dieSchaulust, und nur immer in neuen Opfern Befriedigung findet, so scheint es sehr begreiflich, warum Bühnen, welche dieser falschen Spekulation sich hingaben, früher oder später gänzlich zu Grunde gingen, und wäre die Bühne, die ich meine, nichtverbrannt, so hätte sie der Vorstand zuletzt noch in's Pfandhaus schicken müssen.

Gleich der erschöpften Wollust, die in der Unnatur neue Reizmittel suchen muß, nahmen die Bühnen zum Ungewöhnlichen ihre Zuflucht: Bestien wurden zu Kollegen der Schauspielkünstler erhoben. Hunde, Katzen, Leoparden, Tiger, Löwen, Elephanten, Drachen, Schlangen, Eber, u.s.w. erhieltenRollen, und lieferte die Natur die gelehrigen Ungeheuer nicht, deren man bedurfte, so ließen sichKünstler, nach vollendetem Studium der thierischen Eigenthümlichkeiten, in Bestienbälge einnähen, an Ketten auf die Bühne schleppen, vom Beifall heulenden Janhagel hervorrufen, und dankten sodann für [21] diese Auszeichnung, treu ihrer Rolle, durch Zähnefletschen! Schändliche Entwürdigung der Kunst, gräßliche Verhöhnung des Schöpfers, der die Menschen nach seinem Ebenbilde schuf!

An die Vollendung dieses schmählichen Bildes des deutschen Theaters legen die Recensenten die letzte Hand. Die Mehrzahl derselben, die immer nur in kreditlosen Blättern spuken, besteht aus schreibsüchtigen Wichten, die dem Publikum gerne ihre verschrobenen Ansichten von der Kunst aufdringen möchten, oder ihre besondern Gründe haben, Bühnenglieder beständig in Schutz zu nehmen, und mit Lobhudeleien zu ersticken, oder verächtlich in den Staub zu treten, je nachdem sie der einen oder andern Partei angehören, und im Solde derselben stehen. Da ist auch nicht von einer einzigen jener Vorkenntnisse die Rede, welche den gebildeten, wissenschaftlichen Mann bezeichnen, und dem Kritiker unentbehrlich sind; ihr ganzes Wissen beschränkt sich auf die Aeußerung: »es gefällt mir!« oder: »es gefällt mir nicht!« und die Verhältnisse, welche ihre Federn beherrschen, bestimmen, ob sie posaunen oder pfeifen sollen.

Diese Herren haben im Grunde auch gar nicht nöthig, das Theater zu besuchen; sie können ihre Kritiken längstens in einer Stunde nach dem Anschlage der Theaterzettel an dir Straßenecken, in die Druckerei senden, die Namen der Spielenden genügen ihnen schon. Einzelne Wohlunterrichtete, welche durch ausführliche, mit Verstand, Einsicht [22] und Besonnenheit geschriebene Kritiken, frei von aller persönlichen Gehäßigkeit, nützen wollen, verfehlen ihren Zweck durch den Eigendünkel der Spielenden, die sich über jede Belehrung erhaben wähnen, und durch das gerechte Mißtrauen der Lesewelt, die sehr wohl weiß, auf welche Art die Theaterrecensionen geschmiedet werden. Wirkunglos, und gelähmt von allen Seiten geht die Kritik, einst, und ihrer Bestimmung nachauch jetzt noch der mächtigste Hebel der Fortbildung in Wissenschaften und Künsten, in der allgemeinen Verschlechterung unter.

Diese Darstellung der Gebrechen des deutschen Theaters, und dessen dadurch unausbleiblichen und zum Theile bereits eingetretenen Verfalles, dürfte zur Begründung der Ueberzeugung hinreichen, daß mit Umsicht, Thätigkeit und Eintracht dem verheerenden Uebel ein Damm gesetzt werden müsse.

Nun entsteht die Frage, auf welche Weise dieser Bau zu führen sey?

Unstreitig sollen die Bühnenverwaltungen den Grundstein legen. Jede von den sechs vorzüglichsten derselben in Deutschland dürfte nur jährlich hundert Dukaten für das beste Lustspiel, eben so viel für das beste Trauerspiel und eben so viel für die beste Oper bestimmen, und die gekrönten Preisstücke wechselseitig austauschen; auf diese Art bekäme jede Bühne jährlich 18 auserlesene Stücke für die Summe von 1650 Gulden, sohin jedes Einzelne [23] für den äußerst geringen Preis von 91 Gulden 40 Kreuzer. Im zweiten oder längstens im dritten Jahre wäre eine Auswahl hergestellt, welche alle gehaltlosen Lückenbüßer überflüßig machen würde.

An diesen ersten Schritt zu einer eben so nothwendigen als nützlichen Reform, müßte sich die Errichtung wohlgeordneter Theaterschulen anschließen, worin talentvolle Zöglinge aus den Angemeldeten gewählet, und systematisch unterrichtet würden. Den theoretischen Theil des Unterrichts könnte ein geprüfter Lehrer der Aesthetik, den praktischen Theil der vorzüglichste Künstler, und für weibliche Zöglinge die vorzüglichste Künstlerin der Anstalt, gegen ein angemessenes Honorar besorgen. Jährliche Prüfungen bei offenen Thüren müßten über die Befähigung zu Proben- und dann zu Antrittsrollen entscheiden. Es versteht sich dabei von selbst, daß die Singschule als eine Abtheilung der Theaterschule zu betrachten und ein Sangtalent der Ausbildung in der Theaterschule nicht überhoben wäre.

Strenge Satzungen, rücksichtlos durchgeführt, würden das Personal mit dem Geiste der Ordnung und Eintracht beseelen; da jedoch Strafgesetze allein nie ihren Zweck vollkommen erreichen, wenn anderseits für besondere Auszeichnung keine Belohnungen festgesetzt sind, so sollten auch diese stufenweise, von einfachen Belohnungen bis zuGratificationen für außerordentliche Leistungen, den Fleiß und Eifer des Dienstpersonals steigern.

[24] Das Leere, Flache, Gaukelhafte müßte aus denBalleten verschwinden, und ein geläuterter Geschmack den Grazien huldigen. Das tolle Drehen auf einem Fuße, wodurch nichts ausgedrückt wird, als eine Fertigkeit der Gelenke und des körperlichen Gleichgewichtes, werde in die altfranzösischen Gärten verbannt, wo Harlekine, Zwerge und andere fratzenhafte Figuren, auf den Wassersäulen der Springbrunnen zum Ergötzen der Kinder in ewigem Wirbel sich umdrehen.

Die finstere Höhle der Recensenten zu reinigen, wäre ein Herkules nöthig wie jener, der den Stall des Augias reinigte. Ich weiß jedoch ein einfacheres Mittel um die guten von den schlechten, wie Spreu von den Körnern zu scheiden: die Redaktionen der öffentlichen Blätter dürfen sich nur über die Bestimmung verständigen, daß jeder Recensent gehalten seyn solle, die von ihm verfaßten Kritiken mit seinemstaatsbürgerlichen Namen, nicht mit einem gewählten romantischen Namen, zu unterzeichnen; die Wahrheit soll hell leuchten, wie die Sonne am Himmel, und der Lüge die Maske abgerissen werden, damit sie in ihrer Nacktheit der allgemeinen Verachtung überlassen bleibe.

Nach diesen Grundzügen ließe sich der Entwurf zu einer wohlthätigen, und wie gesagt dringend nöthigen Umgestaltung des deutschen Theaters bearbeiten, so lang es noch Tag ist; denn wahrlich ich sage euch, daß in wenigen [25] Jahren der beste Wille zu spät sich entschließen würde, den unaufhaltbaren Sturz dieser dramatischen Lavine zu verhindern!

Fußnoten

1 Während man öffentliche Sänger mit Reichthümern verschwenderisch überschüttet, vermag das Genie kaum ein und Stroh zu erwerben, um darauf zu ruhen. G.L.

Die unerwartete Eroberung
Die unerwartete Eroberung.

Rosa war von nun an der Abgott der Hauptstadt, der angebetete Liebling des Publikums. So oft sie auf der Bühne erschien, wurde sie wie eine Königin empfangen. Ihr ganzes Benehmen rechtfertigte diesen Enthusiasm der Liebe; sie war mit Anstand freundlich, mit Jedermann höflich, gegen die übrigen Theaterdamen zuvorkommend artig, und eine seltene Wohlthäterin der Armen, die sie wie eine Mutter verehrten.

Durch die Vermittlung ihres Pflegevaters Wagner kaufte sie das prächtigste Landhaus in der Umgebung, das einem reichen Banquier gehörte, und ganz zu den romantischen Ideen zu passen schien, welche sie in ihrem schönen Köpfchen trug. DerFürst gab seinem Hofbau-Intendanten den Auftrag, die Aenderungen in der ganzen Anlage genau nachRosa's Wünschen zu besorgen.

Am Ende der äußersten Vorstadt, in einem mit hohen Eichenpfählen dicht und fest umgürteten Parke, lag dieses [26] schöne, im italienischen Style erbaute Landhaus. In der Mitte des Parkes überraschte den Lustwandler ein niedlicher, künstlicher See, tief genug, um sein Durchschreiten zu verhindern, und von solchem Umfange, daß ein Belauschen der Worte und Thaten auf dem Ruhesitze vor dem Schweizerhäuschen, im Schooße eines kleinen Eilandes mitten auf dem See, vom Ufer aus nicht zu befürchten war.

Das Landhaus wurde sehr elegant und im neuesten Geschmacke eingerichtet, aber ohne übermäßigen Aufwand; das Schweizerhäuschen auf der Rosainsel, wie Rosa selbst dieß Eiland taufte, ganz einfach, der Wirklichkeit getreu. Von Reben umrankt stand es im Schatten von Flieder, Geisblatt und Jasmin; auf dem Giebeldache schnäbelten Turteltäubchen; Lämmchen, von blendend weißem Vließe mit rosenfarbenen Schleifen geschmückt, hüpften kosend und neckend durch das hohe Gras; ein auserlesener Blumenflor auf der Mittagsseite, von einem leichten Broncegitter umschlossen, erfüllte die ganze Luft mit köstlichen, balsamischen Düften.

Außerdem waren allerlei Neckereien auf dieser Insel angebracht.

Ungefähr zweihundert Schritte vom Schweizerhäuschen entfernt, traf man mitten im dunkelsten Gebüsche eine einsame Höhle, in welcher unmittelbar innerhalb des Einganges eine büssende Magdalena, – eine treffliche Schnitzarbeit, – hingestreckt auf ein hartes Lager, den Kommenden [27] empfing, indem sie, zu dessen höchstem Erstaunen, sich seufzend erhob; allein bei dem vorletzten Schritte des Neugierigen, der die Höhle zu betreten wünschte, schlossen Felsen plötzlich und so genau den Eingang, daß auch nicht die mindeste Spur mehr davon zu sehen war. Im Hintergrunde dieser Höhle führte ein enges Pförtchen zu einem traulichen Kabinetchen, das durch eine buntfarbige Glasdecke Licht und Luft erhielt, und durch geheime Wege mit den unterirdischen Räumen des Schweizerhäuschens in Verbindung stand.

Dicht am Rande der Bucht, in welcher eine zierliche Gondel vor Anker lag, erhob sich ein moosbedeckter, halbverfallener, ganz unscheinbarer Holzstoß, der jedoch künstlich geordnet war, und geräumig genug, in seinem Innern Jemand zu verbergen; der aus dem Schweizerhäuschen unbemerkt durch einen Pfad im Schooße der Erde sich entfernen, und aus einem Seitenpförtchen des Holzstoßes tretend, die Gondel besteigen wollte.

Wer in die Geheimnisse dieser unterirdischen Wege nicht eingeweiht war, konnte sie nicht betreten; denn schon bei dem ersten Schritte rauschten von allen Seiten Wasserschleußen auf, und überschwemmten die Felsengänge bis zur Decke.

Antonio, ein entsprungener Klosterbruder aus dem Kirchenstaate, der auf seiner Durchreise nach Rußland der [28] Rosa den Plan hiezu vorgelegt hatte, war der Baumeister auf diesem Eilande.

Rosa, in dem reizenden Costüm als Emmeline in der Schweizerfamilie, verlebte hier die schönen Sommertage mit ihrem ganzen Gefolge, welches dann stets in Schweizertracht gekleidet war. Gewöhnlich gab sie die Mittagstafel im großen Salon des Landhauses, und nahm dann den Kaffee mit allen ihren Gästen auf der Rosainsel, wo sie in der heitersten Stimmung bezaubernde Lieder sang.

Alles was sich zum guten Tone zählen konnte, versammelte sich auf Rosa's Landgute, oder auf derRosainsel, aus welcher mit Beihülfe der Hofmusiker häufig kleine Concerte im Freien veranstaltet wurden. Selbst der Fürst beehrte diesen romantischen Aufenthalt oft mit seinen Besuchen.

Die Fürstin litt seit Jahren an einem chronischen Brustübel, und durfte deßwegen ihre Zimmer nicht verlassen, dagegen fehlte die ErbprinzessinEleonore fast niemals, ein äußerst liebenswürdiges Wesen, ungefähr ein oder zwei Jahre alter alsRosa, welche sie in hohem Grade lieb gewonnen. Der Erbprinz hatte die Rosa ausdrücklich um Erlaubniß gebeten, sie in ihrer neuen Besitzung besuchen zu dürfen, war aber im Laufe einiger Monate nicht ein einziges Mal erschienen. Vermuthlich war Chiaretti die geheime Anstifterin des Nichterscheinens, welche diese [29] Folgen ihrer Mitwirkung zum Sturze des Kabinetsministers nicht geahnet haben mochte; denn so lange er noch am Hofe Alles in Allem war, durfte sie bei dem tiefgewurzelten Hasse des Erbprinzen gegen ihn gewiß seyn, daß er alle noch so sinnreichen Ränke vergebens vergeuden werde, sie zu trennen, und den Prinzen durch eine Heirath mit dem Vater auszusöhnen.

Mit dem Sturze des mächtigen Intriguanten fiel jedoch die unnatürliche Scheidewand zwischen Vater und Sohn; dieser näherte sich jenem; manches Mißverständniß wurde glücklich gelöset, und die beiden Herzen, welche so lange Zeit die süßen Regungen wechselseitiger Liebe hatten entbehren müssen, wurden weicher und nachgiebiger.

Der Fürst erneuerte seinen Wunsch einer baldigen Vermählung seines geliebten Sohnes mit irgend einer liebenswürdigen Prinzessin von einem der ersten Höfe Europa's; er bat ihn, eingedenk zu seyn seiner heiligen Pflichten des Thronerben, und die Erblichkeit der Thronfolge des Hauses nicht der Möglichkeit auszusetzen, nach dem Grundgesetze des Reiches auf einen erbverbrüderten Staat, nach dem Aussterben des männlichen Stammes, übertragen zu werden.

»Chiaretti,« – fuhr der Fürst fort, – »soll durch diesen von der Nothwendigkeit gebotenen Schritt nichts verlieren. Ich will ihr aus meiner Kabinetskasse eine glänzende Leibrente anweisen, wenn sie es vorzieht, nach Italien [30] zurückzukehren; unvermählt kann sie dann schicklicher Weise nicht mehr in meinem Staate sich aufhalten, wenn du Deine Hand einer Prinzessin gereicht hast. Ich bin bereit, sie zur Baronin zu ernennen, ihr zwei schöne Rittergüter zu schenken, und diese Doppelgunst an die Bedingung der Wahl eines Gatten unter meinen Edelleuten zu binden.«

»Eure Verbindung blieb bisher ohne Kinder; dieser Umstand wäre hinreichend, das ganze Verhältniß auf eine einfache Weise aufzuheben, allein ein Fürst muß immer fürstlich handeln, und ich achte die Geliebte meines geliebten Sohnes zu sehr, um sie von meiner fürstlichen Gunst auszuschließen. Es ist nun an dir, die Chiaretti von der Nothwendigkeit dieses Schrittes zu überzeugen, der durch die Entfernung eures gemeinsamen Gegners die Natur einer feindseligen Maßregel verloren hat. Liebt sie dich wahrhaft, so wird sie dir mit Selbstbeherrschung dieses Opfer bringen, da es dein Glück und das Wohl des Landes bezweckt; bringt sie es nicht, so ist sie erhabener Gesinnungen, und eben deßwegen auch deiner Liebe nicht würdig. Säume nicht länger, mein theurer Sohn, doch wie du auch handeln mögest, vergiß nicht, daß du ein Fürstensohn, und als solcher dein ganzes Leben dem Vaterlande vor allen Andern vorzugsweise zu weihen schuldig bist.«

Weder kindliche Liebe, noch die Beredsamkeit des fürstlichen Vaters, noch die nahe Hoffnung, eine liebenswürdige [31] Prinzessin zur Gemahlin zu erhalten, noch die ferne Aussicht auf die Thronfolge, noch eine sich selbst opfernde Liebe zum Vaterlande, bewogen den Erbprinzen zur feierlichen Zusage einer baldigen Trennung von Chiaretti; ein geheimer Plan, tief in seinem Herzen keimend und wurzelnd, beflügelte diesen Entschluß: Chiaretti mit Rosa zu vertauschen, für welche er eine glühendere Liebe fühlte, als jemals für Chiaretti, selbst in der ersten Liebe goldnen Zeit.

Rosa hatte den Erbprinzen in der ersten Unterredung, die ihr Chiaretti selbst verschafft hatte, als es sich um den Sturz des Kabinetsministers handelte, so bezaubert, daß er beschloß, sie um jeden Preis zu besitzen, und von diesem Augenblicke an seine frühere Liebe stündlich erkalten fühlte. Der plauderhafte Gesandte, Graf L****; hatte ihm zwar den Sieg für 20,000 Franken und die unnennbaren Wonnen dieser Stunde anvertraut; allein der Erbprinz, der als Don Juan der Vermummung im Gasthofe sich anschloß, und nicht einen Augenblick vonRosa's Seite wich, hielt damals die Erzählung dieses Abentheuers für prahlendes Geschwätz, und wagte deßwegen keinen ähnlichen Antrag.

Mehr noch als dieses vorübergehende Zusammentreffen auf den Erbprinzen, hatte Rosa's beinahe tägliche Anwesenheit bei der Kabinetstafel auf den Fürsten selbst Eindruck gemacht.

Wenn er diesem weiblichen Engel gegenüber saß, und [32] in die großen blauen Augen schaute, aus denen das sonnenhelle Licht der unentweihten Unschuld strahlte; wenn er die wundersamen Töne ihrer seraphischen Stimme vernahm, die gleich einer Perlenfluth aus ihrer Nachtigallenkehle hervorrauschten; wenn er die klugen und herzlichen Worte, womit sie über die wichtigsten Verhältnisse des Lebens sprach, als einen hohen Beweis vielseitiger Bildung und gereifter Beurtheilung erwog, wurde er gar oft nachsinnend und in sich gekehrt, und mancher leise Seufzer stahl sich aus seinem gepreßten Herzen, welcher der männerkundigen Rosa nicht entging.

Der Fürst zählte nun bald 46 Jahre, ein männlich kräftiges Alter, wo nicht jugendliche Ausschweifungen den Leib noch vor der vollendeten Ausbildung entmarkt haben; dieß war bei dem Fürsten nicht der Fall. Sein Vater, Ernst und Milde paarend, hatte die Neigungen des Sohnes schon als Knabe nach löblichen Zielen geleitet; Studien und körperliche Uebungen beschäftigten den Knaben und Jüngling den ganzen Tag hindurch, und ein sehr gebildeter, feinsinniger Hofmeister von tadellosen Sitten, von Pedanterie und Zügellosigkeit gleich weit entfernt, wich nie von seiner Seite.

Ein Jahr nach der Volljährigkeit, mit 19 Jahren, führte er die Erstgeborne eines großen regierenden Hauses zum Altare. Politische Berechnung brachte diese Verbindung [33] zu Stande; beide Herzen waren sich fremd. Dieser Fall tritt bei Fürsten fast immer ein, und um so gewisser, je größer ihre Macht ist, unstreitig ein großes Opfer, das sie der Herrschaft bringen müssen.

Dem Geringsten im Lande steht es frei, eine Lebensgefährtin nach seinem Wunsche zu wählen, eines der heiligsten Vorrechte des freien Menschen, während der Höchste im Lande, der darum der Freiste scheinen dürfte, den Erfolg der bezüglichen Erwägung des Staatsrathes willenlos erwarten muß.

Bisweilen geschieht es wohl, daß zwei solche Herzen sich verstehen, und wechselseitig liebgewinnen, weil eine vortreffliche Erziehung alle edlen Eigenschaften der Seele ausbildet und pfleget, die einen unwiderstehlichen Einfluß ausüben.

Die Prinzessinnen wissen es von früher Jugend an, daß sie zu Opferlämmchen der Politik bestimmt sind, und daß ihre Ehen nicht im Himmel, sondern im geheimen Kabinette der Väter beschlossen werden. Vorzüge des Gemüthes, des Wissens und des Körpers sind daher die einzigen Mittel, ihre Bräutigame in Liebhaber zu verwandeln, und ihre Gatten an das durch den Segen der Kirche geweihte Bett zu fesseln, was nach den Flitterwochen, wenn auch Amor in höchst seltenen Fällen und aus besonderer Huld sie damit begünstiget, freilich nur den wenigsten gelingen möchte, da die Versuchung so stark ist, [34] und das Fleisch so schwach, und der Wille mit den Leidenschaften unter einer Decke spielt.

Und dennoch ist ein Fürst noch immer zu preisen, dem die Braut ein freies Herz in die Hofburg bringt. Dieß war bei Mathilden nicht der Fall, als sie dem Fürsten ihre Hand reichen mußte. Gute Freunde sagten sich einander in die Ohren, sie habe mit einem Kronbeamten am Hofe ihres Vaters in einem etwas bedenklichen Verhältnisse gestanden, und ihre Vermählung sey zur rechten Zeit gekommen.

Was sie nun eigentlich mit der »rechten Zeit« – andeuten wollten, darüber konnte ich niemals eine genügende Erklärung erhalten.

Anfangs flossen freilich Mathildens Thränen reichlich, bis nach und nach unter den rauschenden Hoffesten die süßen Erinnerungen an die nahe Vergangenheit in die Schatten des schweigenden Herzens sich zurückzogen, und dort von ihr, gleich mahnenden Trauerblumen, mit dem Schmerze der Entsagung genährt wurden.

Die Zeit ist zugleich Arzt und Arznei; sie ist der größte Oberwundarzt der Seelen auf der Erde, denn sie heilt alle Wunden, und um so schneller, je tiefer sie geschlagen wurden.

Die Wahrheit dieser Behauptung bewährte sich auch an Mathilden. Der eheliche Segen dehnte bald ihren Leib aus, und sie gebar einen holden Prinzen, – [35] Eduard, – welcher nach der einstimmigen Meinung aller Aehnlichkeits-Verständigen am Hofe, dem – Urgroßvater des Fürsten am meisten glich. So sonderbar es auch scheinen mag, daß die feinen Hofnasen keine nähere Aehnlichkeit aufzuspüren vermochten, so war doch Mathilde schon mit dieser zufrieden.

Sie lebte von nun an ausschließlich der Pflege ihres Kindes, und erschien nur an Gallatagen öffentlich, wenn sie es des Anstandes wegen durchaus nicht vermeiden konnte.

Bald bekam das Knäblein ein Schwesterchen, dessen Geburt die Veranlassung zu dem bereits erwähnten Brustübel der fürstlichen Mutter gab, deren freie Wahl eines einsamen Lebens dadurch zur Nothwendigkeit wurde. Der Zustand der erlauchten Frau war so bedenklich, daß die Aerzte dem Fürsten auf unbestimmte Zeit den Genuß der ehelichen Freuden gänzlich untersagten.

Ein solcher Umstand kann am Hofe nicht lange verborgen bleiben. Die intriguantesten Damen spannten alle ihre Netze aus, ihn zu fangen, und dann mittelbar zu herrschen; denn gerade um diese Zeit bestieg er den durch den Tod seines Vaters erledigten Thron. Allein ihre Mühe war vergebens. Der Fürst schien von dieser Seite unzugänglich, und füllte seine einsamen Stunden mit den wichtigsten Regierungsgeschäften aus. Täglich besuchte er jedoch das von seinem Großvater gegründete adelige Damenstift, [36] dessen Vorsteherin eine junge wunderschöne Gräfin aus einem der ältesten Geschlechter des Reiches war. Die müßige Neugierde hielt es bald für entschieden, daß er in dieser klösterlichen Einsamkeit keine einsamen Stunden verlebe.

Nach dieser kleinen Abweichung kehre ich zum Gange der Geschichte zurück.

Ueberall wurden große Anstalten getroffen, das bevorstehende Geburtsfest des Fürsten auf eine würdige Weise zu feiern. Dieser erhielt Kunde von Vorkehrungen zu einer prachtvollen Beleuchtung der Hauptstadt, zu einem großen Feuerwerke, und zu einem auserlesenen Festballe auf dem Rathhause. Der Fürst erließ daher an den Magistrat eine Entschließung zur Eröffnung an die sämmtlichen Einwohner der Hauptstadt, worin er seine Dankbarkeit für die großen Beweise ihrer Liebe, Treue und Anhänglichkeit mit dem Wunsche ausdrückte, daß sie statt der vorhabenden glänzenden Huldigung, einen Theil der hiezu bestimmten Ausgabe zur Gründung einer wohlthätigen Stiftung für Leidende aus ihrer Mitte verwenden möchten, indem sie auf keine werthvollere Weise die innigsten Wünsche seines väterlichen Herzens erfüllen könnten.

Am Vorabende dieses Festtages bewirthete Rosa im Parke ihres Landhauses 500 Arme der Hauptstadt unter freiem Himmel, und beschenkte sie noch überdieß mit Geld. Wie einst die heilige Elisabeth, Landgräfin von [37] Thüringen, wandelte sie im einfachen Hauskleide unter den dankgerührten Armen umher, und sprach Worte der sanften Tröstung. Sie sah nicht wie eine erhabene Wohlthäterin vornehm auf diese geringen Gäste herab, und that nicht, als lege sie irgend einen besondern Werth auf diese Handlung der Mildthätigkeit; sondern ihre Benehmen war von der Art, daß man sie für eine alte Bekannte dieser armen Leute hätte halten mögen. Die beiden Gesellschaftsfräulein, und die beiden Kammermädchen, Fanny und Betty, waren nicht minder thätig in freundlicher Bedienung. Nur als die offene Tafel zu Ende ging, entfernte sich Rosa, um nicht Zeuge des lauten Ausbruches von Dankgefühlen seyn zu dürfen.

Alle Augen hingen an dem Engel Rosa; ihre heimliche Entfernung blieb nicht unbemerkt, und kaum hatte sie in ihrer Gondel die Hälfte des See's bis zur Rosainsel zurückgelegt, als schon das ganze Ufer von den armen Gästen wimmelte, die theils knieend, theils mit zum Himmel gehobenen Händen ihren innigsten Dank stammelten; viele unter ihnen schluchzten und weinten. Ein ehrwürdiger Greis wankte hervor aus der Menge und trat an den äußersten Rand des Ufers. Von hohem Alter gebeugt war sein Nacken; ein lauer West fächelte durch seine ehrwürdigen silberweißen Locken, und Thränen rollten über seine bräunlichen, gramgefurchten Wangen. Es schien als wolle er im Namen der Uebrigen sprechen; allein die Rührung [38] brach seine Stimme. »Gott segne dich, ewig, ewig!« dieß war Alles, was er mit Anstrengung zu sagen vermochte. Dann sank er auf die Kniee, und flehte in stummer Wehmuth den Segen Gottes auf seine Wohlthäterin herab, während durch die Wipfel der düstern Föhren die Abendsonne ihre goldnen Strahlen verklärend über sein Antlitz goß.

Unter allen irdischen Wonnen, die eine heilige Vorahnung himmlischer Genüsse gewähren, ist nach meinem Dafürhalten die Mildthätigkeit gegen Arme die höchste.

In die Gemächer des Jammers, in die Behausungen des bleichen Grames hinabzusteigen und dort die Thränen des Elends zu stillen, und dadurch jenen Unglücklichen, die an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln, den tröstenden Glauben an eine allwaltende Vorsehung wieder zu schenken, scheint mir ein göttlicher Beruf, und vermöchte ich jemals die Könige und Gewalthaber der Erde, und die Reichen, die im Ueberfluße schwelgen, zu beneiden, so geschäh' es wohl nur, weil sie vor Andern auserlesen scheinen, die erhabene, rein menschliche Pflicht der Wohlthätigkeit üben zu können. Jede Dankesthräne der Armuth wiegt den glänzendsten Edelstein in einer Kaiserkrone auf!

Rosa schwenkte dankend ihr weißes Taschentuch, während die Zeugen der innigsten Rührung aus ihren sternklaren Augen thauten. Noch einmal ertönte vom Ufer her [39] das laute Jubelgeschrei der heimkehrenden Gäste, als Rosa landete, und mit Betty undFanny, welche die Gondel lenkten, durch das Seitenpförtchen des künstlichen Holzstoffes verschwand.

Tief bewegt und sinnend saß Rosa auf dem Sopha von geflochtenem Stroh; die Doppelflügel der Glasthüre, welche zum Blumenflor führte, waren offen, und ein Meer von süßen Wohlgerüchen wogte in unsichtbaren luftigen Wellen durch das Gemach.

Mitten unter den zahllosen Blumen rauschte eine siebensäulige Springquelle empor, auf deren Spitzen goldene und silberne Spielkugeln, von dem Scheidelichte der Sonne überblitzt, auf und nieder gaukelten.

»Wie ihr so freundlich mir entgegen lächelt, o farbenreiche, lieblich duftende, wundersam geformte Kinder der Mutter Natur! Ihr freuet euch schweigend eurer bunten Prachtgewänder, und denket nicht an die Vergänglichkeit dieser dauerlosen Reize! Gleich einer Schaar fröhlicher Kinder, die auf dem grünen Rasen spielend sich ergötzen, bis die Nacht anbricht, und die Mutter sie zur Heimkehr mahnet, so weidet ihr eure unsichtbaren Augen wechselseitig an den prunkenden Farben, und athmet im hingebenden Austausche die balsamischen Düfte, bis ein Hauch des rauhen Nordwindes, – für euch die ernste Stimme der Mutter Natur, die zur ewigen Heimkehr ruft, – eure zarten Leiber knickt, daß die Frührothstrahlen des Morgens[40] nur mehr die verwelkten Glieder beleuchten. Schön war euer Leben, obgleich so schnell gebrochen; ihr Glücklichen, ihr wurdet ja geliebt so lang ihr lebtet, und euer frühes Hinscheiden bedauert. Ach, so glücklich, wie ihr, bin ich nicht; ich werde nicht geliebt, kein gleichgestimmtes Herz schlägt mir entgegen; ich steh allein da auf der Welt! Weh mir! Wenn ich einst von dieser Erde scheide, wird die Sängerin bedauert und vermißt, aber Rosa, die armeRosa, von keiner liebenden Seele beweint werden!«

Leise stöhnend legte sie ihr schönes Köpfchen in die rechte Hand, und stützte den Arm auf die Rücklehne des Sitzes; dann ergriff sie ihre Mandoline, die an einem breiten blauen Seidenbande an der Klinke der Flügelthüre hing, entlockte ihr einige schwärmerische Accorde, und sang in zauberischen Tönen:


»Mit stiller Sehnsucht denk ich dein,
Wenn kaum das junge Licht
Mit Morgengruß, mit goldnem Schein,
In meine Kammer bricht.
Wenn ich der Schäfchen kleine Zahl
Wohl auf den Hügel führ',
Schau' ich verweint hinab in's Thal, –
Ach wär' ich doch bei dir!
Und wende mich dem Walde zu,
Die Schäfchen folgen nach;
Doch nirgends, nirgends find' ich Ruh,
Der Kummer hält mich wach.
[41]
Oft ruft's am See, kehr' ich voll Schmerz
In öder Nacht nach Haus:
›Lösch deine Flammen, armes Herz,
In meinen Wellen aus!‹« –

Die Mandoline entglitt Rosa's Händen, und ihren Augen ein Sprühregen heißer Sehnsuchtthränen.

»Das wolle Gott verhüten!« rief eine Stimme hinter ihr, und eine unbekannte Hand ruhte sanft auf ihrer Schulter. In wehmüthigen Träumen gestört, sprangRosa auf; der Fürst stand vor ihr.

»Welcher sonderbaren Fügung verdanke ich das hohe Glück, Eure Durchlaucht in meiner einsamen Hütte zu verehren?« nahm Rosa das Wort, indem sie durch ein leises Lächeln, wie wenn der klare Mond durch dünne Wolkensäume bricht, den Schein der innern Heiterkeit zu retten suchte.

Der Fürst faßte ihre Hand, und zog sie sanft neben sich auf das Sopha hin.

»Ich war ein unbemerkter Augenzeuge Ihrer christlichen Barmherzigkeit, holde Rosa,« – begann derFürst, – »obgleich sie für mich, wie es scheint, ein Geheimniß bleiben sollte. Auf keine mir angenehmere Weise hätten Sie den Vorabend des Festes feiern können, das mir dadurch theurer als jemals geworden ist. Sie haben mir einen unvergeßlichen Beweis Ihrer hochherzigen Gesinnungen gegeben, [42] und Ihre Schuld ist es, daß meine frühere Hochachtung in eine innige Neigung sich verwandelt hat.«

»Eure Durchlaucht –«

»Unterbrechen Sie mich nicht, liebe Rosa; die Minuten des glücklichen Zufalls auf der Welt sind den Menschen spärlich zugemessen; sie müssen rasch ergriffen oder für immer aufgegeben werden. Oeffnen Sie mir Ihr Herz, Rosa! betrachten Sie mich als Ihren besten Freund; wem galt das sehnsuchtathmende Lied, das Sie sangen, wem die schmerzliche Klage Ihres Kummers? Lieben Sie? Ich mag nicht fragen:ob glücklich oder unglücklich, denn wie könnte ein Engel des Himmels, wie Sie, unglücklich lieben!«

»Die innige Theilnahme Eurer Durchlaucht kann nur durch die reinste Wahrheit verdient werden: mein Lied galt Keinem, der mich liebt, oder der jemals mich um Gegenliebe bat; mein beklommenes Herz fühlt eine innere Leere, und sehnte sich unter den Segnungen der Dankbarkeit nach der Wonne der Liebe; mein Lied galt einem Traumbilde meiner Phantasie, das ich mit Gesang und Thränen verklären wollte.«

»Arme Rosa, wenn Sie, die Göttin der Liebe selbst, nach Liebe sich sehnen, welche Hoffnung bleibt mir, der ich wahrlich kein Schooßkind des Glückes in der Liebe bin!«

»Wie? Eure Durchlaucht sollten nicht glücklich seyn? Nicht möglich! Eine so schöne, hochgebildete Gemahlin, ein edler Sohn, eine liebenswürdige Tochter, vereinigen sich, [43] das Leben Eurer Durchlaucht mit Paradieses-Blumen zu schmücken, und Sie sind so ungerecht, über die Mißgunst des Schicksals zu klagen?«

»Der Schein trügt, – liebe Rosa, und auf fürstlichen Höhen am meisten; ich bin nicht glücklich und war es nie. Das körperliche Uebel, woran meineMathilde leidet, hat einen gefährlichen Grad erreicht; es ist wenig Hoffnung auf Genesung übrig, und somit scheint sie einer frühen Auflösung entgegen zu siechen. Das Schlimmste an dieser Krankheit ist jedoch der widrige Einfluß auf die Gemüthsstimmung: sie ist seit einiger Zeit äußerst reizbar, und ganz besonders zur Eifersucht geneigt, was früherhin, besonders im Anfange unserer Ehe, nicht der Fall war, wo eine ruhige Freundschaft und ein ungestörtes Vertrauen unser häusliches Stillleben begründete. Das Bewußtseyn, nicht mehr mein Weib im süßesten Sinne des Wortes seyn zu können und zu dürfen, quält sie stündlich mit finsterm Argwohne. Auf diese Art muß ich in der Einsamkeit meiner fürstlichen Gemächer ärmer leben, als der Geringste meiner Unterthanen, der ein liebendes Wesen an sein volles Herz drückt. Der schwere Kummer, den mein Sohn durch sein Verhältniß mit der lüsternen Italienerin, und durch seine Abneigung gegen eine ebenbürtige Heirath mir bereitet, ist Ihnen ohne Zweifel schon bekannt, da die Hauptstadt und das ganze Land davon spricht. Können Sie mir unter diesen Umständen das offene Geständniß [44] verargen, daß mein Herz nach Liebe, nach der Liebe einer edelgesinnten, schönen Seele sich sehne?«

»Gewiß nicht, Eure Durchlaucht, und um so weniger, als Ihre Wahl unter den ausgezeichneten Schönheiten des Hofes den Geist und Geschmack des Wählenden rechtfertigen wird.«

»Sie irren zum Theil, holde Rosa; denn nicht aus dem Damenkranze meines Hofes hab' ich die köstliche Blume auserlesen, welche den Rest meines Daseyns verschönern könnte, nein, sondern – sie steht in voller Lebensblüthe vor mir!«

»Eure Durchlaucht belieben zu scherzen, denn –«

»Nein, theure Rosa, ich scherze nicht, und in keinem Augenblicke meines freudelosen Lebens war ich mehr zum Ernste gestimmt, als gerade in diesem.Rosa, ich liebe dich! O wende dich nicht hocherröthend ab, auch das Herz hat seine Rechte! Mag die Verläumdung ihr verzehrendes Gift über deine lilienreine Seele ausgießen, mein guter Glaube kann mich nicht täuschen. Wohl ist es wahr:


›Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen,
Und das Erhabne in den Staub zu ziehen,‹ –

doch du bist der klare Stern meines Lebens, zu dessen Himmelshöhe die feige Kunst der ränkevollen Hölle nicht hinaufreicht.«

»Eure Durchlaucht überraschen und beschämen mich! Was soll ich armes Mädchen auf solche Huld erwiedern?«

[45] »Sprich: ›Ich liebe dich!‹ und das Glück meines ganzen Lebens ist vollendet. Nicht blos als meineFreundin wünsch' ich dich zu achten, sondern auch als meine Geliebte anzubeten. Verfüge über meine Schätze; mein Eigenthum ist dann auch das deinige. Du bist zu verständig, um in Staatsgeschäften Einfluß zu wünschen; was kümmert sich die Liebe um öffentliche Angelegenheiten, und würde ich nicht eben deine Liebe durch den Verlust deiner Achtung auf das Spiel setzen, wenn ich durch den Antrag oder die Duldung eines solchen Einflußes in deinen Augen fähig erschiene, die heiligen Pflichten des Regenten den Gefühlen meines Herzens zum Opfer zu bringen?«

»Bei Gott, nie wohl sprach ein liebender Fürst mitten der Glut süßer Gefühle unabhängiger seinen erhabenen Charakter aus!«

»Damit du aber nicht wähnest, Geliebte, daß eine vorübergehende Leidenschaft meine Sinne gefesselt habe, so nimm hier mein fürstliches Wort in einer eigenhändig geschriebenen, mit meinem geheimen Kabinetssiegel bekräftigten Urkunde zum Unterpfande meiner dauernden Liebe hin, welche dir die feierliche Verheißung ertheilt, daß ich nach dem Hinscheiden meiner Gemahlin dich zur Herzogin von Wallenberg öffentlich erheben, und mit dir auf die linke Hand mich werde trauen lassen. Genügen dir diese Beweise einer wahrhaften, dauernden Liebe, so sprich [46] mit dem beseligenden ›Ja‹ die ganze Seligkeit meiner Zukunft aus!«

»Eure Durchlaucht erschweren mir wider Willen durch die Großmuth Ihrer Gesinnungen die Antwort; ›nein‹ vermag mein Herz nicht zu sprechen, das von der innigsten Verehrung Eurer Durchlaucht erfüllt ist, und spräch' ich ›ja,‹ so könnten Eure Durchlaucht mit großem Rechte vermuthen, daß die verheißene Würde einer Herzogin und das Versprechen der Trauung auf die linke Hand mich so schnell dazu bestimmt hätten. Ein Liebesbund, der mit einer lockenden Aussicht in die Ferne geschlossen wird, gleicht einem Handel, bei welchem die Baarzahlung der Zukunft übertragen bliebe. Nach meinem ›Ja‹ hätte ich diese Urkunde mit Freuden hingenommen und hinnehmen dürfen, ohne den Schein des Eigennutzes zu verschulden, wiewohl als etwas Unwesentliches für ein liebendes Herz. Mir genügt die Liebe allein, und indem ich sohin Eure Durchlaucht bitte, die Urkunde im verborgensten Schreine Ihres Kabinets zu verschließen, bis sie im Laufe der Zeit die nöthige Reise, und durch mein Benehmen die vollkommene Rechtfertigung erhalten hat, gestehe ich, daß –«

»O sprich mein Urtheil aus, liebe Rosa!«

»– daß Ihre Liebe mich glücklich macht!«

»Rosa, du öffnest mir die Thore des Himmels schon auf Erden!« rief der Fürst laut aus, sank auf ein Knie, und küßte ihre schöne Hand.

[47] »Stehen Sie auf, mein theurer Fürst, wir könnten überrascht werden! Horch! Hören Sie nicht Fußtritte unter uns?«

»Nein. Wer soll's denn seyn?«

»Stille, sonst sind wir verrathen!«

An der Seitenwand unter dem Spiegel befand sich ein Bacchuskopf von Bronce mit gähnendem Munde, eine akustische Vorrichtung. Hielt man das Ohr an diesen offenen Mund, so vernahm man das leiseste Wort, die geringste Bewegung, ja fast das Athmen in den unterirdischen Gängen, die zur Höhle der büssenden Magdalena und zum künstlichen Holzstoffe führten. Rosa horchte.

»Himmel! der Klosterbruder Antonio schleicht lauernd heran! Er darf Eure Durchlaucht hier nicht treffen, und ein Ausweg, dem er als Baumeister dieser Anlage nicht auf die Spur käme, ist nicht vorhanden. Er fliehe, wenn's noch möglich ist oder sterbe!«

So sprach Rosa, und rasch, ehe der Fürst es verhindern konnte, zog sie an zwei Metallringen, zwischen welchen der Bacchuskopf an der Wand befestigt war, und alsogleich rauschte das Wasser durch die hermetisch schließenden Lucken der gewölbten Gänge, und deutlich hörte man, wie Antonio eiligen Laufes fluchend davon rannte. Rosa klingelte;Fanny und Betty erschienen, ganz bestürzt ob des unheimlichen Getöses unter ihren Füßen.

[48] »Führet Seine Durchlaucht unverzüglich durch den Gang rechts nach dem Holzstoffe, und auf der Gondel an's Ufer; Eure Durchlaucht belieben meinen Mantel von schwarzem Damentuche mit der Kapuze umzuwerfen, damit Niemand, am wenigsten Antonio, Sie erkenne!«

»Rosa, liebe Rosa, ich sehne mich sehr nach der Weihestunde unserer Liebe; wann wird sie schlagen?«

»Um Mitternacht, während des Balles, den ich morgen in meinem Landhause veranstalte,« lispelteRosa, und drückte dem Fürsten leise die Hand, der mit unaussprechlichem Entzücken den beiden Führerinnen folgte.

Eine Viertelstunde verging, während welcherRosa bald gedankenvoll vor sich hinstarrte, bald in großer Bewegung durch das Zimmer schritt.

Der Vorabend eines wichtigen Zeitabschnittes ihres Lebens war nun angebrochen; sie mußte sich auf Ereignisse gefaßt machen, die außer aller Berechnung lagen. Der Fürst hatte ihr seine glühende Liebe bekannt, und um Gegenliebe gebeten. Weit entfernt, den berüchtigten Gardinenseufzern zu glauben, und das Geständniß seiner Gefühle auf den Antrag der Zahlung des tarifmäßigen Preises zu beschränken, war er edel genug, das Beste von ihr zu denken, und sie mit der Aussicht auf die herzogliche Würde; ja selbst auf eine Ehe zur linken Hand zu beehren.

Ob unsere deutsche Nachtigall, die den edlen Lord [49] ausschlug, und in Paris über einen symbolischen Pfirsichkern fiel, ohne die Jungfrauschaft zu brechen, auch ein solches Anerbieten ausgeschlagen hätte, wollen wir aus Mangel näherer Anhaltspunkte dahin gestellt seyn lassen; so viel ist aber gewiß, daß Glückssterne dieser Art nicht täglich leuchten, oder mit den Perioden der Mondesveränderungen regelmäßig erscheinen, sohin jeder oder jede eilen müsse, mit ihren Strahlen sich zu schmücken.

Welches Mädchen würde, wie ein weiblicher Herkules am Scheidewege, in der Wahl zwischen dem Stande einer Sängerin und einer Herzogin schwanken?

Freilich kann mir ein zartes Gewissen einwenden: »die Wahl wäre nicht schwierig, aber die Bedingung ist schwer; der Fürst ist vermählt, und erwartet doch die Gegenliebe einesWeibes! Die Geliebte kann erst Herzogin und desFürsten Linksgetraute werden, wenn dieRechtsgetraute aufgehört hat zu leben: Alleinwann dieß geschieht, ist eine gar bedenkliche Frage, indem es dem Schicksale schon oft gefiel, in dieser Beziehung mit den Wartenden allerlei Kurzweil zu treiben, und verschiedene Querstriche durch die Rechnung ohne Wirth zu machen.«

Diese Einwendung hat viel Praktisches; aber so wie wir an jedem Dinge wenigstens zwei Seiten bemerken, so ist es auch bei diesem Verhältnisse der Fall. Wer nach etwas Großem, Ungewöhnlichem strebet, muß mit ganz andern Mitteln auf ganz andern Bahnen wandeln, als einer, [50] der in stiller Genügsamkeit seines Daseyns sich freuet; er muß wagen, um zu ge winnen. Der Unternehmungsgeist hat aber auch geraden Anspruch, auf eine Weise beurtheilt zu werden, die mit der alltäglichen Tadelsucht durchaus nichts gemein hat.

Rosa besaß einen seltenen Verstand, und wußte die Gründe für und gegen ihre Wahl eben so rasch als klug zu erwägen; sie hatte für den Fürsten entschieden, war jedoch edelmüthig, oder wenigstens fein genug, die Urkunde abzulehnen; schwerlich hätte eine Andere ein so wichtiges Dokument aus der Hand gegeben, sie aber durchschaute den Fürsten, und wußte wohl, daß dieser Schein von Uneigennützigkeit ihn nur um so mehr fesseln müsse. Sie dachte ferner: »stirbt die Fürstin nicht, wozu die Urkunde? Stirbt sie, so wird der Fürst die Verheißung der Urkunde dennoch erfüllen, sowohl weil er sich selbst dazu verbindlich machte, als auch um mein durch die Ablehnung bewiesenes Vertrauen zu rechtfertigen; hätte er aber diese Urkunde auch nicht ausgestellt, so würde mein Benehmen hinreichend seyn, ihn zu diesem Schritte zu bewegen, ja, ich wollte es sogar dahin bringen, daß er mich dringend um meine Einwilligung bitten müßte.«

Dieß Alles bei sich erwägend, bückte sich Rosa, um ihr Taschentuch aufzuheben, als sie plötzlich zwei Füße gewahrte. Mit einem Schrei sprang sie zurück, und vom Wasser triefend, zornfunkelnden Auges, stand Antonio [51] vor ihr, der über das Broncegitter des Blumenflors gestiegen, und geradezu in das Zimmer getreten war.

»Wer hat Euch hier den Eintritt erlaubt?« fragteRosa, und ihre Stimme schien zu beben.

»Ich mir selbst. Wer aber gab Euch das Recht, mich wie eine Feldmaus ersäufen zu wollen? Was hab' ich Euch Böses gethan, daß Ihr die Wirkung meiner Erfindung mit mörderischer Absicht gegen mich selbst anwendet? War's die Furcht, in den Armen des Fürsten von mir entdeckt zu werden? Seyd ohne Sorgen; ich achte Euern Beruf, und werde Euch in der Ausübung desselben nicht stören, doch müßt Ihr schon so gefällig seyn, mir aus besondern Rücksichten unentgeldlich, und zwar jetzt gleich, zu gewähren, was die reichen Narren mit ihrem Gelde bezahlen.«

»Es scheint, Ihr macht sehr zur Unzeit Spaß, oder Ihr seyd ganz von Sinnen. Ich habe Euch für den Bau dieser Anlagen bezahlt, und somit ist jedes Verhältniß zwischen uns Beiden abgethan. Ihr habt kein Recht, nach Belieben diese Insel zu besuchen, oder die unterirdischen Gänge zu betreten, oder meine Handlungen zu belauschen, oder Euch unangemeldet in meine Nähe zu drängen. Was Ihr da vom Fürsten fabelt, ist leeres Geschwätz, Eure schimpflichen Aeußerungen sind übrigens ganz geeignet, den Schutz der Gesetze anzusprechen; verlaßt Euch darauf, daß ich diesen Schritt nicht verzögern werde, jetzt aber entfernt Euch auf der Stelle aus meinen Augen, und laßt Euch[52] nie wieder in meinem Landhause oder auf meiner Insel sehen!«

»Vor mir braucht Ihr die Heuchlerin nicht zu spielen, denn ich kenne Euch. Ich habe keine Zeit zu verlieren, darum hört: Chiaretti gab mir bereits, was Ihr mit einfältiger Sprödigkeit verweigert, jedoch gegen einen furchtbaren Eid, den ich schwören mußte: Euch zu vergiften, oder auf eine andere Weise aus der Welt zu schaffen.«

»Heiliger Gott!«

»Ein und dasselbe Vaterland vereiniget mich undChiaretti; dieß ist schon ein großer Vorsprung, den sie vor Euch hat; dazu kommt, daß sie mich in einer Götterstunde bezauberte; welsches Blut mischt sich mit welschem doch ganz anders, als mit deutschem, und solche Freuden, wie sie mir bereitete, blühen dem Erbprinzen wahrlich nicht! Ich mag nicht undankbar seyn!«

»Wie? Ihr erfrecht Euch, eine solche Sprache zu führen, mir gegenüber? Ich habe die Chiaretti nie beleidiget, im Gegentheile, ich habe ihr große Beweise meiner Achtung gegeben, die sie wohl mit Recht zu ewigem Danke verpflichten sollten. Sie hat nicht den mindesten Grund, mir auch nur zu zürnen, viel weniger meinen Tod zu wollen. Packt Euch zur Thüre hinaus, erbärmlicher Lügner und hütet Euch vor solchen Reden, damit Ihr nicht nöthig habt, im Kerker schweigen zu lernen.«

[53] »Oh! sachte, sachte, Rosa! Sprecht nicht von Kerkern, worein Ihr die Leute wollet werfen lassen, bevor Euch nicht, als der fürstlichen Maitresse, die Vollmacht dazu ausgestattet ist; spart bis dahin Eure lächerlichen Drohungen, und beehrt mich mit einer bestimmten Antwort, ob Ihr, was ich verlangt, zu thun entschlossen seyd, ob nicht, und zwar sogleich; denn ich kenne Eure Ränke, Zeit gewonnen, Alles gewonnen! Gebt mir die Oberherrschaft über Euern schönen Leib eine Stunde lang. Freilich kann ich Euch, nicht 20,000 Franken dafür bezahlen, wie der reiche Narr, der Gesandte; aber 20,000 Tropfen vonChiaretti's Blut will ich Euch statt des Miethpreises bringen; seyd Ihr jedoch blutscheu, so gibt's andere Mittel. Sie ist eine welsche Dame, daher will ich ihr, zur Erinnerung an ihr Vaterland, den Schwanenhals umdrehen, wie einer welschen Henne, oder ich schlage Euch zwanzig Vergiftungsarten vor, worunter Ihr nur wählen dürft. Nun, sind wir Handels einig, oder soll's Euch an den Kragen gehen?«

»Entsetzliches Ungeheuer, fort aus meinen Augen!«

»Wohlan, ich gehe jetzt, und hoffe, Ihr werdet den Vorschlag früher noch beschlafen, als der Fürst Euch. Drei Tage gebe ich Euch Bedenkzeit; ist diese Frist vorüber, so werde ich in diesem Zimmer die Antwort von Euch holen, ohne mich von Eurer Umgebung oder Gesellschaft im Geringsten stören zu lassen, sey's auch wer immer, den Ihr vielleicht zu Eurem Schutze hieher bescheiden möchtet. Uebrigens[54] muß ich Euch den Umstand bemerken, daß dieses Schweizerhäuschen nicht viel fester stehe, als ein Kartenhäuschen, und daß es eines einzigen Druckes meiner Hand bedürfte, das ganze Dach einzustürzen, und Euch und jene, die gerne ihre Hand nach mir ausstrecken möchten, unter dem Gebälke und Schuttwerke zu begraben, so zwar, daß kein Hahn mehr nach Euch krähen würde. Erscheint Ihr aber nach drei Tagennicht an diesem Orte, so seyd Ihr meiner Rache verfallen, die Euch erreichen wird, wo Ihr's am wenigsten vermuthet. Wie gesagt, gebt Euch ja keine Mühe, die Polizei meiner Verhaftung wegen in ihrem ewigen Mittagsschläfchen zu stören. Wer mit dem Teufel auf so gutem Fuße steht, wie ich, kümmert sich den Teufel um die Polizei!«

Sprach's, und versank vor Rosa's Augen, höhnisch lachend, und spurlos schloß sich über ihm der Boden. Erschöpft von diesem wilden Auftritte, und geängstiget von den schrecklichen Drohungen des Klosterbruders, glitt Rosa ohnmächtig an der Wand nieder. In diesem Zustande trafen sie die beiden Mädchen, und trugen sie auf einem zusammengelegten Shawl in die Gondel. Die gewöhnlichen Mittel gegen leichte Ohnmachten waren hinreichend, sie wieder in's Leben zu rufen, als sie auf ihrem weichen Lager im Landhause die sorgfältigste Pflege erhielt.

Die Nacht brach an. Im Hause herrschte die größte Thätigkeit, da Rosa beschlossen hatte, am nächsten Abend [55] zur Feier des fürstlichen Geburtsfestes einen der glänzendsten Bälle zu geben, der jemals die Zungen der Klatschsüchtigen mochte beschäftigt haben.

Das Geheimniß
Das Geheimniß.

Eden ertheilte Rosa zu diesem Zwecke die nöthigen Befehle, als der Kammerdiener eintrat, und meldete: die. Prinzessin Eleonora halte mit ihrerObersthofmeisterin vor dem Portale des Landhauses, und wünschte sich nach Rosa's Befinden persönlich zu erkundigen, wenn es ohne Störung geschehen könne.

Die Prinzessin kehrte eben vom Jagdschlosse ihres Bruders, des Erbprinzen, zurück, den sie mit einem Besuche überrascht hatte.

Rosa und Eleonora waren bereits vertraute Freundinnen, und die Prinzessin in so hohem Grade für Rosa eingenommen, daß sie unter vier Augen, oder auch in Gegenwart der Obersthofmeisterin, welche mit Leib und Seele den leisesten Wunsch der Gebieterin erfüllte, das vertrauliche»Du« gebrauchten.

Ihre ganze Fassung mußte Rosa zusammenraffen, um den eben so ehrenvollen als angenehmen Besuch auch nur mit einiger Ruhe empfangen zu können.

[56] Eben wollte sie, nach dem Abgange des Kammerdieners, das Lager verlassen, als die Prinzessin mit der Obersthofmeisterin in das Zimmer trat, und Rosa's Bewegung bemerkend, dieser zu rief: »Bleib nur liegen, liebe Rosa, bleib nur liegen! Mit der größten Bestürzung hab' ich deine plötzliche Unpäßlichkeit vernommen. Wodurch hast du sie dir denn zugezogen? Wahrscheinlich durch eine Erkältung, als du deine viele Gäste im Parke bedientest und dann mit erhitztem Körper über den kühlen See fuhrest. Hüte dich ja recht sehr vor einem Rückfalle; wenn du stürbest, möchte ich nicht mehr leben!«

Diesen herzlichen Worten folgte ein Strom von Thränen, indem sie ihr schönes bleiches Köpfchen in die Seidendecke drückte. Sie saß am untern Ende des Bettes.

Erschrocken erhob sich Rosa, faßte ihre Hand, und bedeckte sie mit Küssen.

»Warum weinst du so heftig, geliebte Eleonora? Du siehst, daß meine Unpäßlichkeit vorübergehend und ohne alle Bedeutung ist. Wie kann nun eine so trübe Ahnung dein Herz ergreifen? Ich kenne dich; etwas ganz Anderes quält dein zartes Gemüth, und die Innigkeit deiner Freundschaft täuscht dich, es mit dem Grame ob meines Unfalles zu verwechseln.«

Die Prinzessin schluchzte heftiger, als zuvor, und preßte Rosa's Hand an ihre Lippen, ohne den Blick gegen sie aufzuschlagen.

[57] »Nicht wahr, gute Eleonora, irgend ein wichtiges Geheimniß liegt dir auf dem Herzen?« fuhrRosa fort, und ihr fragendes Auge traf die Obersthofmeisterin, die ängstlich nickte, und seufzend auf den nächsten Stuhl sich niederließ, um ein plötzliches Zittern zu verbergen.

»Ist etwa der Fürst oder die Fürstin plötzlich krank geworden, oder der Erbprinz? Sprich um Gotteswillen, liebe Eleonora, ich kann die Höllenqual der Ungewißheit nicht ertragen! Sey's auch das Aergste, was dir begegnen konnte, so wird sich doch ein Ausweg finden lassen.«

Eleonora erhob sich, trocknete ihre Thränen, faßte Rosa's beide Hände fest, wie einen Doppelanker im Sturme, und begann mit halblauter Stimme zu erzählen:

»Du weißt, daß der einzige Sohn des regierendenHerzogs von M*, Prinz Paul, durch den Geschäftsträger seines Vaters am hiesigen Hofe, ungefähr vor einem halben Jahre sich vorläufig erkundigen ließ, ob mein Vater wohl geneigt sey, ihm meine Hand zu bewilligen. Da mein Vater damals hoffte, durch eine politisch-wichtigere Verbindung ungleich größere Vortheile zu erreichen, so wurde eine höflich ablehnende Antwort gegeben, jedoch auf Privatwege, nicht im offiziellen Gange der Geschäfte. Um jedoch den Schein einer persönlichen Abneigung zu vermeiden, ernannte mein Vater den Prinzen in einem äußerst huldvollen, eigenhändigen Schreiben, zum Obersten [58] und Inhaber des zweiten leichten Jägerregimentes zu Pferd, und zugleich zum Großkreuz unsers ersten Hausordens. Diese Würden entschädigten den Prinzen Paul keineswegs für die Versagung meiner Hand, da er mich herzlich liebte, und mir schon im Sommer des vorigen Jahres in Carlsbad, wo ich ihn zum erstenmale sah, die heilige Versicherung gegeben hatte, keine andere unter den FürstentöchternDeutschlands an den Altar zu führen, als mich.«

»Indeß ergriff er doch mit Vergnügen diese ehrenvolle Veranlassung, persönlich an unsern Hof zu kommen, um sich für die empfangene Auszeichnung zu bedanken, und seinem Regimente vorgestellt zu werden.«

»Dem Prinzen zu Ehren wurde eine große Heerschau veranstaltet, die von der heitersten Witterung begünstiget wurde. Meine Mutter und ich standen auf dem Balkone des Sommerpallastes, von den dienstthuenden Hofdamen und Kammerherren umgeben, um den erhabenen Anblick dieser kriegerischen Scene zu genießen.«

»Wie pochte mir das Herz, als der Parademarsch der Trommeln die Ankunft des Geliebten verkündete, der zwischen meinem Vater und Bruder, in der Obersten-Uniform des ihm verliehenen Regimentes, angethan mit dem Großkreuze unsers ersten Hausordens in Brillanten, und mit jenen hellfunkelnden Orden, womit ihn die alliirten Mächte für seine Heldenthaten im Befreiungskriege geschmückt [59] hatten, die lange Fronte der Regimenter auf einem prächtigen andalusischen Rosse hinunterritt, die ihn mit einer rauschenden Fanfare begrüßten.«

»Eben als der Prinz, unserm Balkone gegenüber, mit der blitzenden Degenklinge salutirte, wurde der brausende Andalusier, der stolz und schäumend in die Zügel biß, durch den Glanz des Stahles scheu, und stieg plötzlich, fast senkrecht in die Höhe.«

»Ein leiser Angstschrei erstarb mir auf den Lippen; doch mit der ruhigen Gewandtheit eines vollendeten Reiters bändigte der Prinz sein feuriges Roß, und hielt weiter unterhalb an sein Regiment, das in mancher Schlacht Zeuge seiner Tapferkeit gewesen war, und ihn nun mit einem dreimaligen donnernden Lebehoch empfing, nachdem ihn der Fürst in seiner neuen Eigenschaft vorgestellt hatte, eine für das Regiment höchst ehrenvolle Rede, deren Schluß mit wiederholtem Jubel aufgenommen wurde.«

»Vom Feldwebel abwärts bewilligte der Prinz eine ganze Monatsgage, eine seltene Freigebigkeit, die jedoch im Verhältnisse zu dem ungeheuern Privatvermögen seines Vaters kein besonderer Aufwand zu nennen war; das Offizierkorps wurde zu einem festlichen Balle geladen.«

»Als ihn wenige Stunden vor der Heerschau mein Vater der Mutter und mir vorgestellt hatte, benahm er sich gegen mich mit der feinsten Galanterie, jedoch ohne auch [60] nur eine Spur von Herzlichkeit zu zeigen. Dieß kränkte mich sehr, und hätte mich beinahe weinen gemacht.«

»Wie ganz anders war jedoch sein Benehmen auf dem Festballe, woran meine ganze Familie Theil nahm! Ohne den Lauschern durch die leiseste Veränderung der männlichernsten Züge seines Antlitzes, so oft er mit mir sprach, eine Blöße zu geben, oder seine inneren Gefühle zu verrathen, wiederholte der Prinz seine früheren Verheißungen und Gelübde auf die feierlichste Weise, und bat mich dringend, bis zu einer glücklicheren Wendung der Umstände fortwährend mit mir Briefe wechseln zu dürfen.«

»Ich kenne die Absichten Ihres Vaters sehr wohl, die er mit Ihnen hat,« sagte er zu mir im Vertrauen; »es scheint, als habe er vergessen, daß er selbst das Opfer der Kabinetspolitik werden mußte, und als trage er kein Bedenken, seinem geliebten Kinde ein eben so trauriges Schicksal zu bereiten, das auf einem weiblichen Wesen immer schmerzlicher lastet, als auf einem Manne. Doch nur Geduld, mein Engel! es wird und muß sich ändern!«

»Diese Tröstungen beruhigten mein liebendes Herz; denn ich liebte ihn wirklich mehr als mich selbst; er war ja meine erste Liebe!«

»Diese würdige Dame, die Obersthofmeisterin, fühlte Mitleid mit meiner Lage, und erlaubte die Zusendung seiner Briefe unter der Adresse, so wie die Aufschrift der [61] meinigen an einen Agenten des Prinzen gerichtet war, wodurch jedes Aufsehen vermieden wurde.«

»Der Prinz und mein Bruder schlossen eine innige Freundschaft; er entdeckte diesem seine Liebe zu mir, und erhielt die Zusage der kräftigsten Unterstützung von seiner Seite.«

»Von der Ungeduld der Liebe gequält, kam der Prinz vor vierzehn Tagen ganz unerwartet, und im strengsten Incognito auf dem Jagdschlosse meines Bruders an.«

»In derselben Nacht noch ritt mein Bruder in die Stadt, und sprach mich heimlich in den Gemächern der Obersthofmeisterin, wo er mir diese überraschende Neuigkeit mittheilte. ›Morgen früh,‹ – sagte er, ›werde ich dir eine Einladung zur Mittagstafel schicken; ich hoffe, daß du mich mit der Obersthofmeisterin besuchen wirst; ich kann nicht gutstehen, ob nicht dein rasender Liebhaber tolle Streiche beginge, wenn du nicht kämest!‹«

»Ganz entzückt fiel ich ihm um den Hals, und bedeckte ihn mit Küssen,« »Die will ich ihm alle bringen,« sagte er scherzend, »und dabei betheuern, du habest sie mir ausdrücklich zu diesem Zwecke gegeben!«

»Vom Schlafen war nun natürlich keine Rede mehr; ich lachte und weinte, wie's nun eben kam, hüpfte im Zimmer umher und sang, oder klimperte einen Augenblick auf dem Klavier, fand es verstimmt, und griff nach einem Buche, um zu lesen, aber sonderbar, so oft ich die zweite [62] Seite eines Blattes gelesen hatte, wußte ich schon nicht mehr den Inhalt der ersten.«

»Die Obersthofmeisterin ermahnte mich, die süße Zeit des Schlafens doch nicht zu versäumen; was kümmerte mich der Schlaf! Als sie aber sagte: ›denken Sie an mich, morgen haben Sie bleiche Wangen, und müssen sich dann roth schminken; was würde wohl der Prinz, der überall die Natur vorzieht, zu der Kunst auf Ihren Wangen sagen?‹ – da ging ich aus Eitelkeit in mich, und legte mich wieder in mein Bettchen. Aber ich konnte doch nicht schlafen. Nun betete ich. Wenn ich zu der Stelle kam: ›gieb uns unser tägliches Brod!‹ sprach ich immer: ›gieb mir meinen lieben Paul!‹«

»Endlich schlief ich doch ein, und fand im Schlafe die ganze Unruhe des Wachens wieder. Träume von Verlobungen und Trauungen kreuzten sich im buntesten Gewühle, und eine Art von Sehnsucht bestürmte meine Sinne, an die ich wachend nicht ohne Erröthen denken konnte.«

»Liebe Rosa, vor dir habe ich kein Geheimniß mehr von nun an, und ich bedaure, daß es nicht immer so war; Manches wäre vielleicht ganz anders; auch diese edle Dame hier, meine zweite Mutter, oder vielmehr meine wahre Mutter, verdient mein volles Vertrauen; darum will ich auch nicht das Mindeste, nicht den leisesten Gedanken meiner Seele, vor Euch Beiden verhehlen, damit [63] es euch klar werde, wie das geschehen konnte, was geschah.«

»Mir träumte, Paul führe mich nach der Trauung in der Schloßkapelle in das Brautgemach. Dort entkleidete er mich ganz, und trug mich auf seinen Händen, während seine Lippen mich überall mit Küssen überströmten, auf das reichgeschmückte Brautlager, das rings umher von dem Lichte zahlloser Wachskerzen überstrahlet war.«

»Plötzlich stand er auf einer mit schwarzem Sammt bedeckten Estrade gewandlos vor mir, wie der vatikanische Apoll im Antikenkabinete; sein schöner Leib war weißer und blendender, als cararischer Marmor, und seine goldenen Locken leuchteten wie Sternenlicht. In seiner Linken trug er eine überaus prächtige Lyra, deren funkelnden Saiten er liebliche, nie gehörte Töne entlockte, die alle meine Nerven mit einem unaussprechlich süßem Schauer durchbebten.«

»Nun sang er mit melodischer Stimme ein schmachtendes, und, – mit Erröthen sag' ich es, – ein wollüstiges Lied, dessen Worte die Seligkeit der ersten Brautnacht mit den üppigsten Farben malten. Und als er die steigende Glut in meinen Augen gewahrte, die in Liebesthau aufgelöset meinen ganzen Leib in unnennbare Wonne zu durchrieseln schien, da stieg er langsam von der Estrade herab; die Lyra verschwand, und als seine Arme meinen Nacken umfingen, erwachte ich, und schlug die Augen auf. [64] O hätte ich sie damals wieder geschlossen, und auf ewig geschlossen!«

»Ich war erschöpft, als ich mein Lager verließ, und mich ankleiden ließ. So oft ich auf der Straße Pferdetrab vernahm, sprang ich ans Fenster. Endlich sprengte ein Adjutant meines Bruders mit verhängten Zügeln heran, stieg vor dem Portale der Residenz vom Pferde, und überbrachte mir ein Briefchen von meinem Bruder, worin er den Wunsch äußerte, mich mit der Frau Obersthofmeisterin an der Mittagstafel auf seinem Jagdschlosse zu sehen.«

»Sogleich eilte ich mit der Einladung zu meinem Vater, der mir die Erlaubniß zu diesem Besuche gab, weil er in der brüderlichen Liebe die Aussicht auf eine Annäherung zwischen Vater und Sohn in Betreff einer standesmäßigen Vermählung zu sehen glaubte, obschon meine Mutter dagegen war, die Bedenken trug, ihre Tochter, selbst unter dem Schutze und Schirme der würdigen Frau Obersthofmeisterin, an eine Tafel zu senden, welche durch die Gegenwart einer Maitresse befleckt wurde.«

»Wenige Minuten darnach fuhren wir Beide schon zum Thore hinaus. Mein Bruder ritt uns bis zur Hälfte des Weges in einfachen Civilkleidern entgegen, und schilderte mir die Sehnsucht des Geliebten, mich zu sehen.«

»Bald waren wir an Ort und Stelle; ich flog die Treppe hinauf voran, eilte in das Kabinet meines Bruders [65] und lag in Paul's Armen. Bald unterbrach der Eintritt der Nachfolgenden unsere zärtliche Umarmung.«

»Der erste Kammerdiener meines Bruders, und zugleich Vertrauter desselben in allen Verhältnissen, welche das Schweigen nöthig machen, bediente uns bei der Tafel; Chiaretti benahm sich sehr anständig, und ergötzte uns durch manches schöne Lied, das sie zur Guitarre sang. Ich studirte ihre Züge, und fand in ihrem Auge etwas Lüsternes, Aufforderndes, was mir gerade in diesem Augenblicke, da sie meinem Geliebten gegenüber saß, nicht an der rechten Stelle schien.«

»Die Eifersucht wurde in mir rege; im Aerger trank ich hastig fünf bis sechs Gläser Champagner, um den vom Bruder und Paul ausgebrachten Toast's Bescheid zu thun, wodurch mein Blut in die heftigste Wallung gerieth. Der Traum der vergangenen Nacht gaukelte noch einmal in süßer Erinnerung vorüber.«

»Wir saßen beim köstlichen Nachtische, und ich hatte schon manches Gläschen ächten Tokajers hinunter geschlürft, als ein Adjutant des Kriegsministers gemeldet wurde.«

»Mein Bruder ist General-Inspektor der Armee; er steht daher mit dem Kriegsministerium in beständigem Geschäftsverkehre.«

»Ich muß mich nun schon ein Stündchen von Euch trennen,« sprach er; »die Chiaretti wird wieder ihre [66] gewöhnliche Siesta halten; inzwischen könnt ihr Drei den neu erbauten linken Flügel meines Jagdschlosses nebst der kleinen darin befindlichen Gemäldegallerie beschauen; hernach wollen wir einen kleinen Spaziergang in den Fasanenpark machen.«

»Mein Bruder entfernte sich mit Chiaretti, und wir drei tranken noch den Nektar von Ungarn.«

»Im kosenden Gespräche bemerkten wir nicht, daß die Obersthofmeisterin eingeschlummert war; vergebens suchten wir sie zu wecken. ›Laß die gute Dame ruhen,‹ sagte Paul; ›wir wollen den Nebenbau besehen; bis wir zurückkommen, schläft sie gewiß noch recht gut!‹«

»Wer war froher als ich, ungestört, vom Arme des Geliebten umschlungen, die einsamen Gemächer betreten, und dort das süße Gift der Liebe von seinen schönen Lippen saugen zu können!«

»Vergebens würdest du mich nach der innern Einrichtung dieser Prachtgemächer fragen; ich habe Alles gesehen, und kann mich an nichts erinnern. Zuletzt, so viel weiß ich noch, verweilte ich lange vor dem Bilde der Diana im Bade, wie sie eben überrascht wird. Mit der Miene und dem Tone eines Kenners machte mich Paul auf die Schönheit der Zeichnung, und besonders auf das Ebenmaß der Glieder aufmerksam. Während er so sprach, schien ich seinen Worten die größte Theilnahme zu schenken, verwandte aber kein Auge von einem reizenden Ganymed neben an, [67] der eben dem ihn liebkosenden Jupiter die nektargefüllte Schale reicht. Das Ebenmaß dieser Glieder war mir beachtenswerther und lockender, und erinnerte mich an Paul's schöne Gestalt im Traume.«

»An die Gemäldegallerie stoßt ein Salon, an dessen Ende ein eben erst vollendeter, einfacher Thronhimmel steht. Wir betrachteten die geschmackvolle und wahrhaft künstliche Drapirung desselben in der Nähe, und fanden, daß hinter ihm ein schmaler Gang war, worin man vorläufig die Kissen zu den rings um an den Wänden des Salons bereits angebrachten Divansgestelle gelegt hatte.«

»Durch diesen Gang schreitend, bemerkten wir eine verschlossene Tapetenthüre, deren obere Hälfte mit durchbrochen gestickten Goldblumen geziert war, so daß wir durch die Oeffnungen derselben in das anstoßende Gemach schauen konnten, ohne von dort aus gesehen zu werden, weil ein dunkler Hintergrund die Umrisse unserer Leiber jedem Blicke verbarg.«

»Eben wollte ich über dieses klug ersonnene Lauschmittel dem Geliebten meine Verwunderung mittheilen, als ich im Zimmer, wohin der Blick durch diese Tapetenthür führte, Chiaretti auf einem geschmackvollen italienischen Ruhebette sanft schlummernd liegen sah.«

»Sommer- und Weinesglut hatten beinahe jede Umhüllung von ihr abgestreift. Ein dünnes Hemdchen, vom Zufalle der wechselnden Bewegung im Schlafe hoch über [68] das linke Knie hinaufgeschürzt, während das rechte noch einen Theil der auf den Boden gefallenen Seidendecke festhielt, wich dem kräftig wogenden Busen, der fessellos sich nach Kühlung sehnte; die beiden Hände kreuzten sich über der reichen Lockenfülle des Hauptes.«

»Anstatt mit der zarten Scham einer Jungfrau von diesem Anblicke mich abzuwenden, schien ich dieses reizende Bild mit meinen Augen verschlingen zu wollen, und bemerkte mit heimlicher Lust, daß auch Paul lüstern dabei verweilte. Nach der Eingebung: der mir sonst eigenthümlichen Eifersucht hätte ich ihn von dieser Scene entfernen sollen; allein es gewährte mir einen wundersamen Genuß und eine geheime Hoffnung, seine Sinne zu entflammen.«

»Paul umschlang mich leise von rückwärts, und küßte meinen Hals, wodurch eine Empfindung in mir erregt wurde, als ob ein elektrischer Strahl mein innerstes Leben durchzuckte.«

»Oberhalb des Ruhebettes der Chiaretti war eine große Nische angebracht, worin die mediceische Venus aus Marmor in Lebensgröße stand, ein Meisterwerk von Canova's berühmten Schüler.«

»Plötzlich drehte sich die Nische geräuschlos auf ihrer verborgenen Are um, und auf dem Piedestale der verschwundenen Venus stand – der KlosterbruderAntonio, im Ordenskleide der Jesuiten.«

[69] »Heiliger Gott, Antonio!« rief Rosa mit Entsetzen aus, und hüllte ihr Antlitz in die Decke.

»Warum erschreckst du so?« fragte Eleonora mit theilnehmender Besorgniß.

»Du sollst Alles erfahren, liebe Eleonore,« erwiederte Rosa; »ende zuvor deine Erzählung, deren nächste Scene ich bereits errathe.«

»Chiaretti!« rief der häßliche Mönch mit seinem erdfahlen Gesichte, mit den kleinen stechenden Augen unter buschigen Augenbraunen, mit der verschmitzten Habichtnase. Dreimal wiederholte er diesen Ruf mit stets verstärkter Stimme, und es däuchte mir, als ob er des Schlafes wegen zürne, denn bei jeder Wiederholung wurde der Zuruf lauter und drohender. Chiaretti fuhr aus dem Schlafe auf.

»Du bist's, Antonio!« sagte sie, und ein wildes Lächeln fuhr über ihre Lippen.

»Nun, hast du den Antrag überlegt? bist du entschlossen?« fragte Antonio.

»Vollkommen!«

»Gift oder Dolch?«

»Gift!«

»Gut! Wann erhalte ich die bedungene Vorausbezahlung?«

»Jetzt, wenn du willst!«

»Sehr verbunden! Gute Nacht, Rosa!«

[70] Bei diesem Worte, bei dem Laute deines Namens, war mir's, als würde ich plötzlich nüchtern, und als wollte mir das Blut in den Adern erstarren. Paul flüsterte mir zu: »Soll ich die Thüre aufsprengen, und den Schandbuben mit meinen Händen erwürgen?«

»Um Gotteswillen, nein,« entgegnete ich leise, »es käme nichts Gutes dabei heraus!«

Antonio forderte von Chiaretti die vertragsmäßige gänzliche Enthüllung, und die Schamlose gewährte, was er verlangte. Ich konnte keinen Schritt rückwärts thun, ohne uns der Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung auszusetzen, und mußte sohin wider Willen Zeuge der Untreue einer undankbaren Buhlerin seyn.

»Antonio schwelgte in ihren Reizen; Chiaretti's dumpfes Stöhnen verdrängte das frühere Entsetzen aus meiner Einbildungskraft, und erfüllte sie mit den trunkenen Bildern des Genußes.

Als Antonio in der beweglichen Nische wieder verschwand, und Chiaretti, in einen leichten Mantel gehüllt, in ihr Nebenzimmer eilte, wahrscheinlich um sich anzukleiden, sank ich, vom Uebergewichte erschöpft, auf die Divanskissen hin, meiner Sinne nicht mehr mächtig, und erwachte in einem Meere nie gefühlter Wonnen, die ich mit dem kostbaren Schatze meiner Jungfräulichkeit bezahlte, und mit einer unheilbaren Hoffnung büßen muß, denn wisse,Rosa, – ich bin schwanger!«

[71] Ein Strom der bittersten Thränen verschlangEleonorens letzte Worte, doch klangen sie noch deutlich genug, um Rosa zur möglichsten Tröstung ihrer geliebten Freundin in dieser schrecklichen Lage aufzufordern.

»Ich weiß wohl,« begann die Obersthofmeisterin, während heiße Thränen beinahe ihre Stimme erstickten, »daß ich meine heilige Pflicht verletzt habe, für die Prinzessin zu wachen. Daß der Schlaf mich überwältigte, mag verzeihlich sein, weil eine Frau von siebzig Jahren die Hinfälligkeit des Alters fühlen und tragen muß; aber gerne würde ich jede Strafe dulden, selbst mein Leben für meine geliebte Eleonora opfern, wenn es mir nur gelänge, sie jeder Unannehmlichkeit, jeder schlimmen Folge zu überheben. Du arges Kind du, warum hast du mich aber auch schlafen lassen, und bist allein mit ihm fortgegangen? das war nicht recht, das hättest du nicht thun sollen! Nimm's nicht übel, Kind! daß ich jetzt Du sage; lieb ich dich doch wie eine Mutter, und ist doch der Augenblick nicht so hoffestlich, daß die Etiquette noch viel bedeuten könnte. Rosa, Sie sind ein kluges Mädchen; rathen und helfen Sie uns in dieser kritischen Lage!«

Rosa mochte vielleicht schon bei dem Eintritte der Prinzessin, oder im Beginnen ihres Vortrages, das Ende des Liedes errathen haben; denn bereits war ein Plänchen in ihrem Köpfchen geschmiedet, dessen Gelingen ihr nicht im mindesten zweifelhaft schien.

[72] »Vor Allem, liebe Eleonora,« nahm Rosa das Wort, »sage mir, wie du mit deinem Geliebten stehst?«

»Er bat mich auf den Knieen um Vergebung, und schwur bei seiner Ehre, mich nie zu verlassen; sollte ich die Frucht dieser Umarmung unter meinem Herzen tragen, so möchte ich ihn ja augenblicklich davon in Kenntniß setzen; er sey bereit, in diesem Falle Alles zu thun, was ich nur immer von ihm fordern würde, übrigens wolle er keinen Augenblick säumen, mit der bereits erhaltenen Zustimmung seines Vaters durch den König von ** um meine Hand werben zu lassen, der ihm aus persönlichem Wohlwollen die Erfüllung dieser Bitte nicht versagen werde. Wie hätte ich ihm meine herzliche Verzeihung verweigern können, um welche er mich so rührend bat, da ich ihn doch wahrlich selbst auf das Aeußerste getrieben habe, und sohin mehr die Verführerin als die Verführte bin?«

»Hast du deinem Bruder nichts entdeckt?«

»Nichts!«

»Das war klug. Er hätte das Benehmen des Prinzen, der aus einem Uebermaße von Liebe deine Schwäche mißbrauchte, anstatt die Ehre deines fürstlichen Stammes zu schonen, mindestens mißbilligen müssen. Er soll so wenig etwas von deinem Falle erfahren, als dein Vater oder deine Mutter, oder irgend eine Seele in der ganzen Stadt!«

»Gott gebe es!«

[73] »Zeige immer eine heitere Laune, das ist die Hauptsache, und die beste Täuschung Anderer in eigenen Unfällen, Bitte heute bei der Abendtafel, oder morgen früh, deinen Vater um die Bewilligung, bei mir singen lernen zu dürfen; sey überzeugt, daß er dir diese Bitte nicht versagen werde. Dieser Schritt ist zur Ausführung meines Planes wesentlich nöthig. Sey übrigens ganz ruhig; deine Rettung liegt klar vor meinen Augen, dir wird geholfen werden. Ich hoffe, du wirst morgen den Festball auf meinem Landhause durch deine Gegenwart verschönern.«

Nach zahllosen Küssen schied die Prinzessin mit der Obersthofmeisterin, gestärkt durch die empfangene Tröstung, und kehrte in die Residenz zurück.

Gerade recht
Gerade recht.

So sehr auch Rosa nach den Mühen des Tages der stärkenden Umarmungen des Schlafes bedurfte, so wenig war auf die Willfährigkeit des mohnbekränzten Morpheus, wie es schien, zu zählen.

Die Lage der Prinzessin war von solcher Art, daß eine vermittelnde Einschreitung sich als höchst dringend zeigte. Nach der Liebeserklärung des Fürsten würde dieser [74] der Rosa die Einwilligung in die Vermählung des Prinzen Paul mit Eleonora gewiß nicht versagt haben. Hätte auch wohl der Fürst Rosa's Bitten widerstehen können, versüßt durch die kosenden Worte: »Geliebter, deine gute schöne Eleonora liebt den Prinzen Paul gerade so gränzenlos, wie deine Rosa dich; wär's nicht schrecklich, wenn unsere Liebe hoffnungslos bleiben müßte, und da sie durch Gewährung uns beglückt, wär's nicht hart, ja wohl unmenschlich, dem theuern Kinde ein ähnliches Glück zu verweigern?«

Diese Vermittlung würde ohne Zweifel den Sieg über die Kabinetspolitik des Fürsten errungen haben. Allein die Veränderung der Umstände litt kein Zögern mehr; unmöglich konnte man die Vermählung ohne Rücksicht auf die herkömmlichen Förmlichkeiten des Anwerbens und der Verlobung beschleunigen; diese Eile hätte den Lästerzungen der alten hirschledernen Hofdamen einen willkommenen Stoff geboten, die Theezirkel mit schmähsüchtigen Klatschereien zu beleben, die Nasen und Näschen zu rümpfen, die Achseln zu zucken, und nach der Entbindung die Saat-und Erntezeit nach der krebsartigen Rückzählung zu vergleichen. Nach der von den Gerichtshöfen geltenden Meinung der Aerzte tritt die Geburt des Kindes gegen das Ende des 9ten und zu Anfang des l0ten Monats, 40 Wochen oder 280 Tage, von der Empfängniß an gerechnet, nachdem sich der Leib gesenkt hat, ein.

[75] Diese Bemerkung für Herren und Damen beifügend, welche vom Schicksale mit Kindereien heimgesucht werden, überlasse ich Allen, die sich gerne mit Rechnen beschäftigen, die leichte Mühe, das zarte Alter der unausgetragenen und demnach vollkommen reifen Frühgeburt zu bestimmen, im Falle Rosa diese schale Ausflucht gewählt hätte, womit Frauen in Abwesenheit ihrer Gatten, wenn sie nach sechs bis acht Wochen wiederkehren, oder jene Mädchen ihre unbegreifliche Fruchtbarkeit beschönigen, welche unter mehrern beglückten Liebhabern den Wohlhabendsten zum zahlenden Papa erkiesen.

An komischen Auftritten fehlt es bei solchen Umtrieben nie.

So erinnere ich mich z.B. noch recht gut an eine lustige Scene aus der Ferienzeit meiner Jugend, auf dem Schlosse eines sehr vermöglichen Edelmannes, bei dem ich jährlich zur Herbstzeit als Jagdgast willkommen war. Dieser hatte noch in seinem hohen Alter den allzuspäten Einfall, in die Einförmigkeit seines ländlichen Stilllebens den Wechsel häuslicher Scenen des Ehestandes zu bringen. Er heirathete die einzige Tochter seines Verwalters, und kümmerte sich wenig um den Rostflecken, der dadurch in den Stahlspiegel des hochadeligen Wappens kam, war doch die Auserwählte ein hübsches, fleißiges, tugendhaftes Mädchen; dessen Köstlichstes der sorgsame Vater bis zum Altare glücklich bewacht hatte.

[76] In dem Schlosse des alten Herrn lebte ein junger Offizier von. 24 Jahren der im ersten Feldzuge für ein lahmes Bein einen Orden zur Belohnung seines Muthes auf der Brust trug, und nun hier, fern vom Geräusche der Welt, seine Pension verzehrte. Im Fache des Landschaftszeichnens besaß er gründliche Kenntnisse und eine große Kunstfertigkeit, und verlebte so, im Zimmer oder auf der Jagd, wie es nun eben kam, sehr fröhliche Tage.

Zur größten Freude des alten Herrn blühten dem neuen und dennoch alten Ehemanne die schönsten Aussichten auf Vaterfreuden.

Der Alte mit seinem Hausfreund war eben auf der Jagd bei einem etwas ferne wohnenden Grenznachbar, hatte jedoch die Weisung zurückgelassen, daß man im Falle unvermutheter Entbindung sogleich die Hebamme aus dem nächsten Städtchen holen, und die bereits bezeichneten Grundeigenthümer aus der Umgegend zum Kindtaufschmause laden sollte, als dieser Fall wirklich plötzlich eintrat.

Auf diese junge Frau konnte man jenes Räthsel anwenden, das zu den schönsten zu zählen ist, deren Lösung jemals einen sinnreichen Kopf beschäftiget hat: »Was bleibt übrig, wenn Seele und Leib sich trennen?«

»Eine Wöchnerin!«

Seit vier Stunden war die Geburt vorüber; ein hübscher Knabe schrie in's Leben hinein, der bereits gebadet, in Spitzen gewindelt und mit einem zierlichen Häubchen [77] bekleidet war, als der alte Herr und sein junger Freund, durch reitende Boten aufgesucht und von dem neuen Ankömmlinge in Kenntniß gesetzt, in einer mit zwei raschen Siebenbürgern bespannten Jagdkalesche in den Hofraum des Schlosses fuhren, in dessen Saale schon die geladenen Gäste sich befanden.

Kaum waren beide eingetreten, als die Hebamme, nach einem festen routinirten Blicke auf sie, das Kindlein auf beide Hände nahm, sich langsam dem Hausfreunde nahte, und mit einem ehrerbietigen Bücklinge, jedoch mit lauter Stimme sprach: »Ich gratulire Euer Gnaden von Herzen zu diesem schönen Prinzen; er ist Ihnen ganz aus dem Gesichte geschnitten!«

Der Hausfreund lächelte wohlgefällig, küßte das Kind mit wahrer Liebe, und reichte es dann dem Herrn, der es mit Thränen der väterlichen Rührung an sein Herz drückte.

Der Fehlwunsch der Hebamme ergötzte die Meisten unter den sogenannten Gebornen, als wären nach ihrer Meinung Menschen aus bürgerlichem Stande gleichsam gar nicht geboren, und ein allgemeines Kichern ging bald in schadenfrohes, halb lautes Lachen über; die adeligen Schmarotzer, welchen die Mißheirath des alten Herrn ein Dorn im Auge war, obgleich sie die gutbesetzte Tafel desselben nicht verschmähten, triumphirten innerlich über diese Demüthigung; der Alte ließ sich aber nicht irre machen in seinen Liebkosungen, gab der Hebamme das Kind zurück, und [78] sprach zu den versammelten Gästen: »Hochansehnliche Gäste! von väterlichen Gefühlen überrascht, vergaß ich, Ihnen hier in der Person meines Herzens- und Hausfreundes einen braven Officier vorzustellen, der in meinem Schlosse wohnt, an meinem Tische ißt, den ganzen Tag hindurch meiner lieben Frau die Cour macht, und in ihrem Zimmer schläft, wenn meine Glas- und Eisenöfen mich auf einige Tage entfernt halten, der von ihr in meiner Gegenwart geküßt wird.« –

Die Gäste konnten nur mit Mühe ein lautes Gelächter über die aufrichtige Beichte des alten Hahnrei's unterdrücken; sie stießen sich bei jedem Worte, das er sprach, mit den Elenbogen, und traten sich auf die Füsse, daß Mancher und Manche ob der unsanften Berührung der Leichdorne grimmig die Augen verdrehte. »– Kurz, –« fuhr der alte Herr fort, »er ist ihr Bruder!« Dieß war auch wirklich der Fall. Man denke sich aber die Verlegenheit des alten Herrn, des jungen Officiers und der Hebamme, wenn's nicht so gewesen wäre! Und wie häufig ist dieß nicht so!

Nun änderte sich freilich die ganze Scene, und sämmtliche Gesichter der Gäste zerrannen in ein Gemisch von Beschämung, Aerger und scheinbarer Theilnahme, einem Haufen Tragantschleimfiguren ähnlich, auf welche heißes Wasser geschüttet wurde.

Etwas erträglich Kluges kann der Mensch durch bedächtiges [79] Nachdenken, und durch eine prüfende Abwägung aller Verhältnisse ersinnen, aber allesGeniale ist eine höhere Eingebung, ein Geschenk der Götter, womit sie nur ihre Lieblinge beglücken. Vergebens würde man sich den Kopfzerbrechen, um zwischen den Scherben dieser Wiege des Geistes nach Bruchstücken der Genialität zu wühlen, wie Alterthumsfreunde in Römerhügeln nach Kochtöpfen aus Cäsars Hofküche; denn alles Geniale ist untheilbares himmlisches Licht!

Ein Strahl dieses Lichtes blitzte durch Rosa 's Engelköpfchen, als der *** Gesandte, Graf L**** gemeldet wurde.

Der erste Vater
Der erste Vater.

»Ich bitte tausendmal um Vergebung, schöne Rosa, daß ich gleichsam als ein nächtlicher Ruhestörer vor Ihnen erscheine; allein ich konnte einer unbezwinglichen Sehnsucht nicht widerstehen, meine Augen wieder einmal in den Strahlen Ihrer göttlichen Schönheit zu baden!«

»Wie galant! Welcher Weinsorte bin ich den Dank für Ihre poetischen Lobsprüche schuldig?«

»Das ist hart, Rosa! So grausam sollen Sie der Gefühle meines Herzens nicht spotten, die mich zu Ihren Füssen führen!«

[80] »Sie mögen wohl meine Aeußerung hart finden, bedenken aber nicht, daß Sie dieselbe verschuldet haben.«

»Wie so?«

»Warum vernachlässigen Sie mich ganz? Bei welchen Damen schwärmen Sie denn herum? Glauben Sie denn, Ihre Person sey mir gleichgültig, und nur Ihr Gold angenehm? Sie sind wahrhaftig die Thränen nicht werth, die ich in einsamen Stunden über Ihr liebloses Benehmen vergossen habe. Wozu Verstellung? Ich gestehe es Ihnen offen, daß Sie der erste Mann sind, der mir wahre Liebe einflößte. Wie kann ich aber auch Gegenliebe von Ihnen erwarten, da Sie mit einer schlimmen Meinung von wir scheiden mußten, mit der Meinung, daß bezahlte Liebkosungen alle weitern Verbindlichkeiten aufheben, und überdieß keineswegs geneigt sind, eine Achtung vor dem Charakter der Geldempfängerin zu begründen. Aber Ihr Männer seyd nun einmal so; Ihr urtheilt nur nach dem Scheine, und


was man scheint,
Hat Jedermann zum Richter, was man ist –
Hat keinen.«

»Als ich Sie zum erstenmale sah, liebte ich Sie. Ich hätte damals sehr gewünscht, Ihre Neigung nach und nach, wie der Keim zur Knospe, die Knospe zur Blüthe, und die Blüthe zur köstlichen Frucht führt, zur Liebe reifen zu sehen; [81] die Verbindung wäre dadurch dauernd geworden. Da Sie aber nach dem Scheine von mir urtheilten, wozu Sie durch meinen Ruf sich berechtiget hielten, so wählten Sie den einfachen Weg, die Festung durch Gold zu gewinnen. Ich ergab mich, weil ich schwach war, und ich war schwach, weil ich Sie liebte. Wäre ich in meiner Liebe irgend einer Berechnung fähig, so würden Sie ohne Zweifel noch so entfernt vom Ziele stehen, wie zur Zeit, da Sie mich zum erstenmale sahen. In meiner freien Wahl lag der Versuch, ob mein Gesandter und Graf wohl in so hohem Grade verliebt seyn könne, einer Sängerin die Hand am Altare zu reichen. Wer weiß, was geschehen wäre! Nun können Sie, Herr Graf, allerdings denken: ›wenn Rosa mich liebte, warum nahm sie das Gold? Bezahlte Liebe ist keine!‹ Sie scheinen recht zu haben; allein Sie kannten mich, wieder nur durch den Ruf, alseigennützig. Daß meine Liebe zu Ihnen mich über alle Schranken des Anstandes hinwegreißen könne, das mochten Sie wohl, ungeachtet Ihrer großen Eitelkeit, nicht so unbedingt erwartet haben, und ich scheute mich, Ihnen dieses Geständniß sogleich zu machen, weil ich dann das Schicksal aller Dinge getheilt hätte, die mühelos und ohne Schwierigkeiten errungen werden: nur vorübergehend anzuziehen. Ich nahm also das Gold gerade deßwegen, um nicht eigennützig zu scheinen; denn hätte ich esnicht genommen, so würden Sie, nach meinem Rufe urtheilend, [82] den listigen Beweggrund vermuthet haben: Sie durch diese Nichtannahme zu weit größern Opfern zu verpflichten. Ich schien eigennützig, um nicht habsüchtig zu scheinen. Was sagen Sie nun, mein lieber Graf, zu, dieser ganz offenherzigen Erklärung?«

»Himmlische, unnennbar liebenswürdige Rosa, deine süßen zauberischen Worte öffnen mir ein Paradies der seligsten Liebe; ich gehöre nicht mehr den Menschen an, ich bin einer von jenen Halbgöttern, welche die fabelhafte Urzeit Griechenlands geschmückt haben! dieß alles verdank' ich dem Bekenntnisse einer schönen Seele, Deiner Seele! O verzeih mir, daß ich so sehr dich verkannte; ich will meinen Fehler wieder auf eine Weise gut machen, welche dir eine glänzende Genugthuung verschaffen soll! die feste Ueberzeugung, daß ich nur immer meines Reichthumes und Ranges wegen von den Damen geliebt wurde, hat mein Herz mit einer Geringschätzung gegen das weibliche Geschlecht erfüllt, die mich sogar oft zu Uebertretungen der Pflicht des Schweigens verleitete. Ich kannte die wahre Liebe nicht; nun kenne ich sie, nun sehe ich den Wahn in seiner vollen Blöße, von dem mein Urtheil befangen war. Mein eigenes Glück zu gründen, und aus Nothwendigkeit, für die Kränkung deiner Ehre und deines guten Rufes die Genugthuung zu verschaffen, entsage ich allen jenen lächerlichen Bedenklichkeiten meiner Geburt, meines Ranges, meiner dienstlichen Beziehungen. Rosa, ich biete dir meine Hand [83] an! Unverzüglich will ich meinem Herrn und Gebieter die Wahl meines Herzens eröffnen; er wird seine Einwilligung nicht versagen. Sollten aber feindselige Einwirkungen am Hofe meine schöne Hoffnung vereiteln, so nehme ich augenblicklich meinen Abschied, und ziehe mit dir auf meine Güter. Was frag ich nach den Würden der Erde, da dein Besitz mein Himmel ist!«

»Daß doch die Männer gleich oben hinaus wollen, wenn ein Paar freundliche Worte von erträglichen Lippen tönen, oder zwei schmachtende Augen aus einem hübschen Lärvchen hervorblitzen! Wer sprach denn vom Heirathen, lieber Graf? Gott bewahre mich vor dem goldenen Eheringe, der das erste Glied einer goldenen Kette bildet, die zuletzt sich in eine eiserne verwandeln kann! Lieben will ich aus ganzem Herzen und eben so geliebt werden, mehr nicht. Bewährt sich unsere Liebe im Laufe der Zeit als eine dauernde, so möge der Priester den Segen der Kirche über den Bund der Herzen aussprechen, früher nicht; denn ich meinte dann gleich, ich müßte Sie lieben. Die Liebe ist dasFreieste auf der Welt, und duldet keinenZwang. Wie lange unsere Liebe dauern würde, wer von uns beiden kann dieß auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen? Die Dauer der Liebe hängt so wenig von uns ab, als die Dauer des Lebens. Nein, nein, unsere Herzen sollen frei bleiben, und in beglückender Freiheit lieben!«

[84] »Deine Ansichten sind frei von Eigennutz, liebeRosa; aber was verstehst du unter der beglückenden Freiheit der Herzen? doch nicht die Freiheit, dich den wechselnden Gelüsten überlassen zu dürfen, weil dann kein Band dich bindet?«

»O nein! die Treue ist zwischen zwei Liebendennothwendig, darum fehlt sie auch nie, wo wahreLiebe ist; die Treue muß ein ganz freier Act des Herzens seyn; wer sie für ein Opfer hält, das er bringt, liebt schon nicht mehr. In diesem Falle muß ein offenes Geständniß erfolgen; nur kein Verhältniß fortgeführt, in welches sich Heuchele zu mischen beginnt. Sehen Sie, Herr Graf, hier bietet die Freiheit ihren wohlthätigen Schutz. Liebende, durch keine heiligen Bande gefesselt, mögen sich trennen, wenn der Einklang der Herzen in Mißtöne übergeht; was bleibt aber Vermählten übrig in derselben Lage? Bei diesen wäre der Treubruch auch ein Ehebruch. Sich scheiden lassen ist gar ein mißliches Ding; die Geschiedenen theilen doch nur immer die Ruinen eines zertrümmerten Lebens. Und wenn sie sich aus besondern Familienrücksichten nicht scheiden lassen, oder wenn z.B. der Gatte in die Scheidung nicht einwilliget, und die Gründe des klagenden Theiles vom Gerichte nicht für hinreichend erkannt werden, eine gesetzliche Scheidung herbeizuführen, wie beklagenswerth kann sich das Loos einer Gattin gestalten! Giebt es für das zartfühlende Herz eines Weibes etwas Schrecklicheres, [85] als die sogenannte eheliche Pflicht, wenn die Liebe nicht mehr die Ehe versüßt? Der Mann wird nicht wohl veranlaßt werden, die Vernachlässigung bis zur Weigerung zu treiben; dieß kann dasWeib nicht; es muß gar oft den zarten Leib dem Sinnenrausche eines rohen Mannes überlassen. Schändliche Entweihung, frevelhafte Verhöhnung der heiligsten Bestimmung des Menschen, und der ewigen Gesetze der Natur! In die Hölle stürz' ich mich nicht; frei will ich leben, frei will ich lieben!«

Karl Moor sagte: »Ich trage eine Armee in meiner Faust!«

Rosa konnte eben so wohl sagen: »Ich trage einen Himmel in meinem Auge!«

Als sie ihre Ansichten von Liebe, Ehr und Treue gebeichtet hatte, ergriff sie des Grafen Hand, drückte sie mit der größten Innigkeit, und öffnete die strahlenden Thore ihrer wunderschönen Augen so schmachtend, daß der entzückte Graf bis in den neunten Himmel hinein zu schauen wähnte.

Er bat, und bat immer rührender, je mehr Rosa ihr Uebelbefinden vorschützte, bis er die Erlaubniß erhielt, an ihrem Bette soupiren zu dürfen.

»Der Mensch lebt nicht blos vom Brode,« dachte sich der Graf, als er gegessen hatte, und bot seine ganze diplomatische [86] Ueberredungsgabe auf, die holde Rosa zur festlichen Weihe des Bundes zu bewegen.

»Nach dem Geständnisse, das ich Ihnen so eben gemacht habe,« erwiederte Rosa, »kann ich wohl nicht die Spröde spielen, aber es geht auch nicht so gerade zu, wie Sie sich's einbilden. Die Wände haben Ohren, die Schränke Augen; ich werde von allen Seiten belauscht. Unser Verhältniß, da es nun ein dauerndes, jedes andere ausschließendes werden soll, muß in ein undringliches Dunkel gehüllt werden. Ich rechne dabei vorzüglich auf Ihre diplomatische Selbstbeherrschung. Verlassen Sie jetzt mein Landhaus in Ihrem Wagen, um den Schein und denAnstand zu retten. In einer Stunde kehren Sie vermummt zurück. An dem kleinen Pförtlein unterhalb des ersten großen Parkgatters erwartet Sie meine treue Betty.« Pochen Sie dreimal leise. Betty wird rufen: »Liebe!« Sie antworten: »undTreue!« Dieß ist die Losung. »Das Mädchen führt Sie dann in mein Gemach. Vermeiden Sie jedoch alles Sprechen; denn leider bin ich von einem Verräther bedroht, der mein Verderben will, und mich überall verfolgt. Doch davon zu einer andern Zeit. Auf baldiges Wiedersehen!«

Während der Graf zum Schloßthore hinausrollte, ertheilte Rosa noch einige Aufträge, und gab derBetty die verabredete Losung. Bald darauf wurde Alles still. Pünktlich nach einer Stunde pochte der Glückliche, von [87] den Augen bis zur Ferse vermummt, dreimal an das Pförtlein.

»Liebe!« lispelte Betty.

»Und Treue!« erwiederte leise der Pocher.

Das Pförtlein that sich auf und zu, und Betty geleitete den Ankömmling über verborgene Treppen zu ihrer Gebieterin, die ihn an der Schwelle des lichtlosen Gemaches empfing, und wiederholt bat, ja nichts zu sprechen. Nach einer seligen halben Stunde ersuchte ihn Rosa, sich schnell zu entfernen, indem ein Geräusch im Nebenzimmer die Vermuthung in ihr errege, daß eines von ihren Gesellschaftsfräulein erwacht sey, und vielleicht eintreten könne, nach ihrem Befinden sich zu erkundigen.

Betty führte ihn auf dem nämlichen Wege zurück.

Kaum hatte sie das Pförtlein hinter ihm geschlossen, als sie mehrere Männerstimmen vernahm. Sie horchte, ohne die ihr unbekannte Sprache zu verstehen. Ohne sich zu regen, kniete sie vor dem schützenden Pförtlein, das Ohr am Schlüsselloche. Sie wagte es nicht, sich zu entfernen, aus Furcht, die Räuber, wofür sie die Männer hielt, zu einem gewaltsamen Einbruche zu reizen, im Falle sie ihre Tritte hören, oder mit Hülfe von Stelzen, oder auf den Schultern der Kameraden, über die Mauer sehen würden.

Einige Minuten lang herrschte das Schweigen der Nacht. Plötzlich näherte sich Jemand hastig von Außen, und pochte dreimal.

[88] Eine steigende Angst schnürte der sonst so lebhaften Betty die Kehle zu. Wie ein Blitz durchzuckte sie der Gedanke: »Sollte etwa das verabredete Zeichen von jenen verdächtigen Männern belauscht worden seyn? Sollten sie nun etwa einen Einbruch wagen, und ich, das Pförtlein öffnend, erdolcht oder erwürgt werden?« Da pochte es wieder dreimal, und eine Stimme rief: »Ist denn Niemand da, mir die Thüre zu öffnen? Liebe und Treue!«

Von Betty's Herzen fiel eine schwere Last. Sie erkannte den Grafen an der Stimme und schloß hurtig auf.

»Verzeihen Eure Excellenz, daß ich so lange zögerte, die Thüre zu öffnen,« entschuldigte sich Betty, »wie hätte ich auch nur denken können, daß Sie noch einmal zurückkehren würden!«

»Zurückkehren?«

»Nun ja, Sie sind ja erst vor wenigen Augenblicken fortgegangen!«

»Ich? Da irrst du dich sehr! Ein verdammter Streich hat mich verhindert, zur rechten Zeit zu kommen. Ich war nicht da; sprich also, wer ist fortgegangen? Ich ahne einen niederträchtigen Schurkenstreich. Auf der Stelle sag mir, wer statt meiner hier war!«

»Wenn nicht Eure Excellenz es waren, der fortging, so wars der Gärtner Christian, den der Koch zum Fischmeister nach Auling schickte, um Fische zum morgigen Festabende zu bestellen. Er ist gar ein fleißiger junger Mensch, [89] der zu solchen fernen Gängen lieber die Stunden der Nacht wählt, und den Schlaf opfert, als daß er am Tage seine Geschäfte im Garten versäumte. Ich muß Eurer Excellenz gestehen, daß wir uns beide recht sehr lieben. Wenn Sie doch Fürsprache bei Rosa für uns einlegen wollten, so könnte bald ein Pärchen aus uns werden!«

»Ich werde nicht vergessen. Hat mich denn Niemand an dieser Thüre erwartet?«

»Fanny, so viel ich weiß, erhielt den Auftrag dazu. Ich ging später als gewöhnlich zu Bette. Am Fenster stehend sah ich einen Mann durch das Pförtlein aus dem Garten treten, doch Fanny nirgends. Darum dachte ich: das muß mein Christian gewesen seyn, der fortging, renne schnell die Treppe hinab, durch den Garten, hierher, um ihm zu rufen, und gute Nacht nebst einigen stärkenden Küssen mit auf den Weg zu geben. Eben wollte ich die Thüre öffnen, als ich vor derselben rauhe Männerstimmen in einer mir gänzlich fremden Sprache vernehme. Ich verhielt mich ganz ruhig; mir war um mein Leben bange. Nun kamen Eure Excellenz, und befreiten mich von meiner Angst. Das ist die ganze Geschichte.«

»Nun begreife ich Alles. Führe mich nur schnell zu deiner Gebieterin.«

Betty ließ den Grafen in einem Vorgemache stehen, und eilte in Rosa's Kabinet, um sie von dem Vorfalle schleunig in Kenntniß zu setzen.

[90] Wer sollte nicht die Geistesgegenwart der holdenBetty bewundern, die sich durch einen erdichteten Liebesroman so schnell aus der Verlegenheit zu ziehen wußte! Nach des Grafen Aeußerung sah sie sogleich ein, daß hier von einer lustigen Verwechslung die Rede war. Wohl wissend, daß ein offenes Geständniß dem Interesse Rosa's schaden mußte, bewährte sie durch ihre Besonnenheit, wie sehr sie in der Schule ihrer Gebieterin an zweckmäßigem Benehmen in kritischen Umständen gewonnen habe.

Rosa war nicht minder bestürzt; Betty's Nachricht erschien unbedeutend im Vergleiche mit dem, was sie selbst schon wußte. In dem Augenblicke, als sie den Grafen in den. Hintergrund ihres Kabinetes führte, fühlte sie, seine Hand ergreifend, daß es – der Graf nicht war. Diese rauhe derbe Hand gehörte nicht einem Gesandten an, dem schon eine Schreibfeder das schwerste Werkzeug dünkte, sondern einem versuchten Arbeiter. Sich losreißen und um Hülfe schreien wäre in jedem Falle ein großes Wagestück gewesen; denn eine furchtbare Ahnung: daß der stumme Nachtwandler kein Anderer als der entsprungene Mönch, der Baumeister Antonio sey, – stieg in ihrer Seele auf. Wer bürgt für ihr Leben bei dem ersten Hülferufe! Antonio kannte geheime Ausgänge, die ihn jeder Verfolgung entzogen hätten. Der schönen Rosa blieb keine Wahl; sie mußte sich in die Umstände fügen.

Während Antonio den Mantel von sich warf, lag [91] Rosa bereits auf ihrem Ruhebette. Der schweigende Gast leerte den Nektarbecher der Götter in vollen Zügen. –

Ueber die Möglichkeit dieser Verwechslung nachsinnend, nachdem die im Vorgemache harrendeBetty den feindlichen Bettfreund fortgeführt hatte, lag Rosa auf einem Divan im Gesellschaftssalon, als die ergebene Dienerin die vermeintliche Neuigkeit meldete. Schon war Rosa's Köpfchen mit dem nöthigen Ausschluße gerüstet, als der Graf in ihr Gemach trat.

»Lieber Graf,« rief sie ihm mit einer so ruhigen Miene zu, als sey gar nichts vorgefallen, »ich bedaure recht von Herzen, daß ich Sie so lange vor dem Pförtlein stehen ließ. Meine Fanny erwartete Sie pünktlich zur verabredeten Stunde daselbst; allein die Furcht trieb das alberne Mädchen von dem angewiesenen Posten, indem vor der Thüre allerlei unverständliche Männerstimmen sich hören ließen. Sie vermuthete Räuber in der Nähe. Obgleich ich ihre Besorgniß nicht theilen konnte, so hielt ich es doch für klüger, alles Aufsehen zu vermeiden, und die Schildwache bis zu einer schicklicheren Zeit zurückzuziehen. Meiner verliebten Betty verdanke ich nun den späten, aber mir sehr lieben Besuch, auf den ich bereits mit manchem bittern Seufzer verzichtet hatte.«

»Ich selbst gab schon alle Hoffnung auf, dich heute noch zu umarmen. Höre nur, welch ein fatales Abentheuer mir begegnete. Ich war zur rechten Zeit schon in [92] der Nähe deines Landhauses, und bog eben um das nördliche Ende der Parkmauer, als ich plötzlich von hinten ergriffen, und zu Boden gerissen wurde, noch ehe ich im Stande war, aus dem dicht schließenden Carbonarimantel mich zur Vertheidigung loszuwickeln. Ich erwartete den Raub meiner Uhr und meiner Börse; die Angreifer begnügten sich aber, mir die Füße zu knebeln, und mit augenblicklichem Tode zu drohen, im Falle ich nur den mindesten Laut versuchen wollte. Wenn mich meine Augen nicht täuschten, denn es war sehr dunkel, und außer den Umrissen nichts zu erkennen, bestand das feindliche Heer aus sieben Kerlen. Eilig schleppten sie mich in ein hoch wogendes Aehrenfeld. Einer von ihnen, dem gebietenden Tone nach zu urtheilen ihr Anführer, befahl ihnen in der wahrhaft kauderwälschen Sprache der gemeinen Bewohner des sogenannten italienischen Tyrols, mich eine Stunde lang zu bewachen, und dann ihm zur bezeichneten Stelle zu folgen. Er entfernte sich hierauf hastigen Schrittes. Stumm und unbeweglich umgaben mich meine Wächter; bisweilen schlug einer von ihnen Feuer, um Tabak zu rauchen. Die sprühenden Funken beleuchteten einen Augenblick verkappte Köpfe, wie sie einst die Diener der heiligen Vehme zu tragen pflegten. Nach einer halben Stunde dröhnte Pferdetrab von der nahen Landstraße. Die Räuber flohen, und zwar in der Richtung ihres Anführers. Rasch zog ich meinen Dolch, den treuen Begleiter auf nächtlichen [93] Gängen, durchschnitt die Bande an meinen Füssen, und umging auf der entgegengesetzten Seite den Park, dicht an der Mauer; dieß ist der Grund meines verspäteten Kommens Wie aber wahre Liebe durch jedes Hinderniß nur an höherer Glut gewinnen kann, so fühl' ich jetzt eine so innige Sehnsucht nach deiner süßen Umarmung, daß ich für jede versäumte Minute meiner Seligkeit dich vor Amors Richterstuhle verantwortlich mache.«

Rosa drückte ein lebhaftes Bedauern dieses Unfalles aus, und bekräftigte des Grafen Vermuthung eines vorgehabten Einbruches der Räuber, um ihm jeden andern Argwohn zu benehmen, der ihren Plan durchkreuzt hätte. Der Graf wünschte ein strenges Verschweigen dieses Abentheuers, um den verdächtigen Ruf eines nächtlichen Wandlers auf schlüpfrigen Pfaden zu vermeiden, und Rosa gewann durch die Erfüllung dieses Wunsches mehr, als der Graf.

Die unvermuthete Nachtscene hatte dem Grafen Appetit gemacht. Er speiste ein gebratenes Feldhuhn, und trank eine Flasche alten spanischen Wein dazu; dann sehnte er sich nach der verheißenen Weihe des neuen Bundes, und wußte Rosa mit so rührenden Bitten zu bestürmen, daß sie ihre Zustimmung nicht versagen konnte. Sie führte ihn an der Hand in das geheimnißvolle Gemach, das kurz zuvor der verruchte Mönch mit seinen wilden Lüsten entweiht hatte, warf den seidenen Hausmantel von sich, und legte [94] sich dann auf das schwellende Lager, einer Venus gleich, die auf Rosen schlummert. Eben als der Graf begann, im entzückenden Anschauen dieser himmlischen Gestalt zu schwelgen, zog Rosa an einem breiten, goldgestickten Sammtbande, und ein künstlicher Mond an der Decke trat hinter einen wolkenförmigen Schirm zurück, und tiefe Nacht umfing die beiden Liebenden.

Rosa lag noch leise schlummernd auf dem Lager der Liebe, während der Graf schon wieder vor dem Nachttischchen auf dem Divan saß, und eine Herzstärkung unter den lockenden Gerichten wählte.

Als er eben am fleißigsten nagte und die edle Rebenglut mit behaglichem Geräusche hinunterschlürfte, schien Rosa aus ihrem Schlummer zu erwachen.

»Auf dein Wohl und unsere Liebe,« rief derGraf, und stürzte ein Glas Capwein hinunter. »Doch warum nimmst du nicht Platz an meiner Seite, schläfriges Engelchen?«

»Ich fühle einen leisen, schleichenden Frost in mir,« erwiederte Rosa mit etwas matter Stimme, »ein leichtes Spannen in den Lenden, und eine Schwere in meinen Gliedern, wie wenn ich einen weiten Weg zu Fuß gemacht hätte. Es ist mir ungefähr so zu Muthe, wie wenn ein heftiger Kopfcatarrh im Anzuge wäre, eine unbehagliche Empfindung, die ich mit einem Fieber vergleichen möchte, [95] das nicht auszubrechen vermag. Zürnen Sie nicht, mein lieber Graf, daß ich das Bett nicht mehr verlasse; es wird wohl das Beste seyn, was ich unter diesen Umständen thun kann.«

»Lieber, herziger, schuldloser Engel,« schrie derGraf, indem er ganz entzückt aufsprang, und vor sie hinkniete, ihre rechte Hand mit tausend Küssen bedeckend, »du machst mich zum glücklichsten Manne auf der Welt durch dein Uebelbefinden; denn nach den Empfindungen zu urtheilen, die du mir so eben gestehest, zweifle ich keinen Augenblick mehr an deinem Mutterstande!«

»Gerechter Himmel, das wolle Gott verhüten,« riefRosa aus, die Hände ringend! »ich könnte weder das schmerzliche Bewußtseyn dieses Fehltrittes, noch das kränkende Gespött meiner Feinde und Feindinnen ertragen. Alle Blätter Deutschlands, die ihre Leser mit klatschsüchtigen Neuigkeiten unterhalten, würden mein Unglück wie einen glücklichen Fund ausposaunen, und mit dem höllischen Erfindungstalente der Bosheit ausschmücken. Wie bald würde zu dem Lügenbuche: ›Rosa's Gardinenseuzer,‹ ein Seitenstück geschrieben und gedruckt werden: ›Rosa's Wehen,‹ und eine Sündfluth von spitzigen Epigrammen, besonders in den französischen Zeitschriften, über mich hereinbrechen! Nein, diesen schrecklichen Schlag des Schicksals ertrüg ich nicht; die Verläumdung konnte ich bisher [96] verachten, aber die Stimme der Wahrheit würde mich vernichten.«

»Wozu alle diese schwarzen Bilder deiner reizbaren Phantasie, liebe Rosa? Solltest du Mutter werden, so wirst du es nur als meine Gattin werden; in diesem Falle würde und müßte ich schon meiner eigenen Ehre wegen darauf dringen, daß du mir deine Hand reichtest; dann sind gewiß alle deine Besorgnisse entfernt.«

»Nimmermehr, Herr Graf, werde ich jemals mich entschließen, Ihnen meine Hand zu reichen. Ihr Stand und der meinige passen nicht zusammen. EinemLord wird ein solcher toller Streich wohl verziehen, weil er in den Augen der Welt nun einmal das Vorrecht hat, auffallende Schritte machen zu dürfen; aber einem *** Grafen und Gesandten würde eine solche Wahl nie gebilliget, mindestens nie verziehen werden. Ihrem Anerbieten, in den Privatstand zurückzutreten, und mit mir auf Ihren Gütern zu leben, kann ich nie beistimmen, weil ich es für ein großes Unrecht hielte, Ihr Vaterland der wichtigen Dienste eines ausgezeichneten Mannes zu berauben. Meine Liebe soll den Geliebten entflammen, höher zu streben, nicht aber nöthigen, von seiner Höhe herabzusteigen. Dieser Gedanke würde mir die ganze Heiterkeit meines Gemüthes rauben. Darum, mein lieber Graf, überlassen Sie mir die Sorge, ein Auskunftsmittel aufzufinden, im Falle wir in unserer Meinung [97] uns nicht getäuscht haben. Und nun scheiden Sie mit Gott, damit Sie morgen mit frischer Kraft auf dem Festballe erscheinen können. Die Morgendämmerung kann nicht mehr ferne seyn; sie soll den Geliebten nicht mehr im Kabinete des Liebchens überraschen. Auf Wiedersehen! Keinen Kuß, lieber Graf, ja keinen Kuß, er würde mir nur den Abschied verbittern! Gute Nacht!«

Der Graf entfernte sich, dem Anscheine nach höchst vergnügt, und trällerte auf dem Heimwege allerlei Melodien zu Wiegenliedern. Inzwischen war es ihm nicht im Mindesten Ernst mit seinem Heirathsantrage; er wollte sich nur auf eine schickliche Weise aus dem Handel ziehen. Darum entwarf er den Plan am *** Hofe eine Abweisung vorzubereiten, im FalleRosa späterhin durch irgend einen Wechsel ihrer Gesinnung sich veranlaßt fände, von seinem Heirathsantrage Gebrauch zu machen. Auf diese Art hätte er seinen guten Willen zur Lösung des gegebenen Wortes bethätiget, und dennoch den Kopf glücklich aus der fatalen Ehestandsschlinge einer berüchtigten Sängerin gezogen.

Der zweite Vater
[98] Der zweite Vater.

Rosa verließ, gegen ihre Gewohnheit, vor 10 Uhr Morgens ihr Bettchen nicht. Ein Heer von Gedanken durchkreuzte das schöne schlaue Köpfchen. Der weiche Pfuhl war das Hauptquartier, von wo die Befehle an die männlichen und weiblichen Adjutanten zu den Vorrichtungen des Festballes ausgingen, der äußerst brillant zu werden versprach. Der Fürst war so artig, der Rosa sechs Hofköche zu ihrer Verfügung zu senden.

Eben wollte sie aufstehen, als Fanny eintrat.

»Was bringst du mir, Fanny?«

»Einen Brief!«

»Von wem?«

»Das weiß ich nicht. Er war mit dieser seidenen Schnur an der Klinke deines Kabinetes befestiget, als ich ihn vorübergehend gewahrte.«

»Sonderbar! Laß doch einmal sehen, was er enthält!« Rosa öffnete den Brief, und ein handbreites Stück von einem seinen Hemde von Fadenbatist fiel auf den Boden. Fanny hob es auf, und überreichte es ihrer Gebieterin, die kaum bemerkt hatte, daß es ein Stück von einem ihrer eigenen Hemden sey, indem eine gestickte Lyra mit dem Buchstaben R statt der Saiten keinen Zweifel gestattete, als sie in ein lautes herzliches Gelächter ausbrach.

[99] Im Briefe las sie:


»Holde spröde Rosa!


Ich habe über deine Sprödigkeit gesiegt, ohne daß du deinen Feind kanntest; das Zeichen des Sieges lege ich hiemit, gleich einer erbeuteten Fahne, zu deinen Füssen. Die Welt lügt nicht, wenn sie sagt, der Himmel liege in deinem Schooße. Den Vorschlag von gestern, den ich dir im Schweizerhäuschen machte, nehme ich jedoch deßwegen nicht zurück; denn was ich heute erhielt, galt nicht mir, sondern einem Andern, deinem saubern Grafen. Mir bleibt daher mein Anspruch auf eine volle Stunde deines Besitzes unverkürzt, und ist morgen die Bedenkzeit von drei Tagen verflossen, so öffnet sich mir dein Schooß, oder dir dein Grab. In jedem Falle wirst du dich jetzt leichter entschließen, da der erste Schritt nun einmal gethan ist. Für diese Erleichterung deiner Wahl zähle ich noch auf deine besondere Erkenntlichkeit, die du mit einem erhöhten Feuer der Umarmung bezahlen kannst. Der Chiaretti bin ich ohnehin schon satt, und es wird mir doppelt angenehm seyn, wenn du durch deine Liebe mich verpflichtest, sie sobald als möglich aus der Welt zu schaffen. Ich gelobe dir, heute den Ball und deine geheimen Freuden nicht zu stören, hoffe jedoch, daß du morgen für die meinigen sorgen werdest. Auf Wiedersehen.


Antonio.«


[100] Rosa zwang sich, zu lächeln, obgleich dieser Brief eines verwegenen Bösewichts geeignet war, ganz andere Gefühle in ihr zu erregen. Sie verschloß das verrätherische Bruch- oder vielmehr Schnittstück ihres Hemdes in der Schatulle und steckte das Briefchen selbst in ihren Busen, um es nöthigen Falls gleich bei der Hand zu haben, fest entschlossen, diesen in gewisser Hinsicht gefährlichsten ihrer Liebhaber auf eine seine Art für immer sich vom Halse zu schaffen.

Da der Fürst öffentlich am Hofe erklärt hatte, den Festball Rosa's durch seine Gegenwart zu beehren, so buhlte der ganze Adel um die Einladung dazu.

Rosa lud nicht nur diesen ein, sondern auch Dichter und Künstler, ohne Unterschied des Faches, dem Letztere angehörten, so wie auch Beamte und wackere Bürger; sie sah nicht auf den Stand und Rang, sondern auf persönliche Bildung.

Auch der Erbprinz erschien, und die Prinzessin Eleonore, welche ihre ganze Zukunft Rosa's kluger Verfügung anvertraut. Daß Chiaretti nicht fehlte, versteht sich von selbst, einmal als erklärte Geliebte des Erbprinzen, und dann als Künstlerin. Rosa hatte ein kleines Concert vor der Abendmahlzeit veranstaltet, worin auch Paganini ihr die Gefälligkeit erwies, sich vor einer auserlesenen Gesellschaft hören zu lassen. »Alle Kunstverständigen,« schrieb ein Ohrenzeuge an seinen Freund, »stimmten[101] darüber ein, daß wenn auch in diesem unvergleichlichen Geigenspiele Manches blos auf den überraschenden Effekt für Ohr und Auge berechnet sey, doch die eigentliche Virtuosität des Meisters in der stupenden Fertigkeit und Vereinigung des bis jetzt unvereinbar gehaltenen, im Flageolet, Staccato und Glissato, so wie im Alleinspiele der G Saite allen Glauben übersteige, und das Gebiet des Instrumentes selbst auf eine solche Weise erweitere, daß damit, da ja die großen Violinspieler nicht wohl zurückbleiben können, eine neue Epoche für dieses Saitenspiel beginnen müsse.«

Die Abendtafel war fürstlich; Rosa machte die Honneurs mit bezaubernder Anmuth, und erntete an jedem Tische zahllose Lobeserhebungen, die sie in der That auch verdiente. Uebrigens wäre sie nicht minder gefeiert worden, hätten alle diese Vorzüge sie auch nicht geschmückt; denn man braucht nur sehr reich zu seyn, um von tausend Zungen gepriesen zu werden. Und dann erst der Besitzer von einer Million, oder von mehreren, der darf vollends fast Alles thun, was er nur will! Minister, Staatsräthe, Präsidenten, Hofgerichtsräthe, Stadtrichter, Polizeiinspektoren u.s.w. sitzen an der Tafel eines solchen hochmüthigen Nabobs, der gewöhnlich ein Jude ist; jeder Löffel voll Suppe, jedes Glas Wein begründet eine kleine Verbindlichkeit. Nöthigen Falls wird dann in besondern Angelegenheiten durch die Finger gesehen, sey's auch ohne Verletzung [102] der Amtspflicht, was sich durch eine weitausgedehnte Nachsicht recht leicht machen läßt. Allein diese Nachsicht wird nicht Jedem zu Theil, und eben dadurch zu einer Begünstigung, zu einer Ungleichheit. Welche Aussichten hat ein Mann, der mit einem solchen Nabob unglücklicherweise in Prozeß geräth, an dessen Tafel die meisten Richter am höchsten Tribunale schwelgen, von welchen das Urtheil in letzter Instanz gesprochen wird? Meines Erachtens sollten alle Staatsbeamten, deren Amtsberuf eine entschiedeneUnabhängigkeit fordert, Einladungen dieser Art geradezu ablehnen, um selbst den Schein des Gegentheils zu verhüten, der in den Augen der Welt doch immer nur für Wirklichkeit gilt.

Mir sind zwei grelle Beispiele von dem Uebermuthe jüdischer Nabobs bekannt, die ich hier ganz kurz einschalten will.

Der Eine, welcher seine Millionen durch ungeheure Prozente zusammengescharret hatte, die er dem Staate in Kriegszeiten für vorgestreckte Capitalien abnöthigte, ließ sich vom gemeinsten Geldstolze zu erbärmlichen Prahlereien verblenden. Täglich waren Gäste geladen, fast immer vornehme, wie sichs von selbst versteht.

Unter diesen befand sich auch eines Tages ein gar stattlicher Officier von hohem Range, zugleich ein Edelmann von so ausgezeichneter Geburt, daß er Wenige seines Gleichen zählte.

[103] Der Nabob aus Israel hatte die elende Gewohnheit, bei jedem vorzüglichen Gerichte, das auf die Tafel kam, oder bei jeder Flasche feinern Weines, auf die Vorzüglichkeit desselben aufmerksam zu machen, den dafür bezahlten Preis zu nennen, und beizufügen: »doch was macht das? Ich kann's ja thun, ich hab's ja!«

Zufällig wurde von der Jagd gesprochen. Der Nabob nannte ein Jagdrevier, die er zu pachten gedenke, und zwar die nämliche, welche der Officier, ein gar eifriger und hochgebildeter Jäger, für sich zu pachten wünschte. Er verhehlte dem Nabob diesen Wunsch nicht, und äußerte, daß er keine Summe scheuen wolle, um bei der Versteigerung das Meistgebot zu thun. Dieß war gerade Wasser auf des Nabobs Mühle, der nun schon bei allen Propheten betheuerte, den letzten Thaler daranzusetzen, um das Revier ihm abzudrücken. Diese Aeußerung begleitete er mit einer platten Hinweisung auf seine Goldkisten, deren Macht Alles zu bezwingen im Stande sey, und der Uebermuth, den er zur Schau trug, war so empörend, daß der Offizier, zornentbrannt, ihn bald zum Fenster hinauswerfen, bald mit blankem Säbel in Stücke hauen wollte. Nur mit den sanftesten Worten vermochten die übrigen Gäste den wüthenden Ajar zu beruhigen, der auf der Stelle den jüdischen Pallast verließ, und nie wieder betrat.

Das zweite Beispiel von jüdischem Uebermuthe ist ganz neu. Ein ganz gemeiner Jude, der als Knecht Ochsen vor [104] sich her getrieben hatte, kam durch Zeit und Umstände zu einem Vermögen von mehreren Millionen.

Einem solchen Menschen muß dann natürlich allerlei tolles Zeug in den Kopf kommen. Es fiel ihm daher noch in seinem hohen Alter, bereits mit einem Fuß im Grabe stehend, ein, mit einem Christenmädchen in seinem Hause einen Liebeshandel anzuspinnen, wahrscheinlich weil er aus König Davids Memoiren wußte, daß die Anschmiegung junger gesunder Mädchen frisches Leben gebe.

Diese Neigung blieb aber nicht ohne Folgen. Weil er sich aber vor dem Stadtgerede fürchtete, so machte er seinem eigenen Schwiegersohne die Zumuthung, gegen eine gewisse Entschädigung vor der Welt die Vaterschaft zu übernehmen.

Natürlich lehnte der Schwiegersohn diesen Antrag ab, da er seine Frau zu innig liebte, um sie auf eine solche Art zu kränken, und bloszustellen, wärs auch nur des Scheins wegen gewesen.

Was thut nun der erzürnte Nabob? Gleich einem Patriarchen aus dem alten Testamente wollte er seine Tochter aus eigener Machtvollkommenheit von ihrem Manne trennen, und da sie sich dazu nicht verstand, behandelte er sie so hart, daß sie in die Hauptstadt eines benachbarten Landes, in das Haus ihrer Schwiegereltern sich flüchtete.

Die Gerichte schwiegen zu dieser häuslichen Tirannei, [105] doch mit Recht, wie es scheint; denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Die heiterste Laune herrschte an der Tafel, und beseelte alle Gäste. Besonders vergnügt schien der Gesandte, im Nachgefühle der genossenen Nachtwonne, und nicht minder der Fürst im Vorgefühle der verheißenen.

Als der Thee servirt wurde, gab Rosa derChiaretti ein Zeichen mit den Augen, ihr in eine Fenstervertiefung zu folgen.

»Liebe Freundin,« begann sie, »Sie kennen meine Offenheit seit dem Vorfalle mit dem Minister. Etwas Aehnliches zwingt mich, Ihnen jetzt eine eben nicht sehr angenehme Eröffnung zu machen.«

»Was Sie da sagen, theure Rosa, befremdet mich sehr. Fahren Sie fort, wenn ich bitten darf!«

»Kennen Sie einen gewissen Antonio, früherhin Mönch in einem italienischen Kloster, der als Baumeister längere Zeit von mir verwendet wurde?«

Chiaretti schien bestürzt, und verhehlte mit Mühe ihre Verlegenheit. Sie faßte sich so gut als möglich, und erwiederte:

»Ja!«

»Genau?«

»Der Erbprinz zog ihn bisweilen zur Tafel, als[106] er den Neubau des Jagdschlosses leitete; dort lernte ich ihn kennen.«

»Sie umgehen meine Frage, liebe Chiaretti, ob Sie ihn genau kennen, und doch ist die aufrichtige Beantwortung derselben wesentlich nothwendig. Ich ehre Ihr Schweigen, und weiß es zu deuten. Allein da auch ich in diesem Verhältnisse eine bedeutende Rolle spiele, so muß ich leider den Schleier lüften, womit Sie die geheimen Gefühle Ihres Herzens zu verhüllen suchen, ohne jedoch zur Verrätherin zu werden. Ich kann dabei nur bedauern, daß Sie so wenig Vertrauen in mich setzen. Ohne Zweifel ist Ihnen die Handschrift Antonio's bekannt?«

»Ja, sehr wohl!«

»So lesen Sie gefälligst diese Stelle eines Briefes, den ich heute erhielt.«

Nun ließ Rosa die Chiaretti die Worte im Briefe lesen: »Der Chiaretti bin ich ohnehin schon satt, und es wird mir doppelt angenehm seyn, wenn du durch deine Liebe mich verpflichtest, sie sobald als möglich aus der Welt zu schaffen.«

Rosa hatte sich verrechnet. Chiaretti heuchelte eine eichte Bestürzung, und äußerte: »es sey bei den Männern Sitte, mit frühern Siegen lügenhaft zu prahlen, wenn sie einem neuen Triumph entgegengehen, der Zweck heilige in ihren Augen die Mittel. Hier spreche offenbar verschmähte [107] Liebe, und da sie dafür halte, daß ihr Tod weder der Rosa noch demAntonio goldene Früchte bringe, indem sie weder jener im Wege stehe, noch diesen beglücken wolle und dürfe, so lege sie auf das drohende Anerbieten des Mönches nicht den mindesten Werth.«

Auf diese Antwort durchschaute Rosa klar die ganze Intrigue; sie wußte ja durch die ErzählungEleonorens, wie Chiaretti mit Antonio stand. Die wälsche Buhlerin mochte wohl den Mönch beauftragt haben, Rosa zu verderben, doch ihr Haß gegen diese war sicher nicht bis zu der Ermächtigung Antonio's gestiegen, auf dem schlüpfrigen Pfade von Rosa's Reizen zu dem finstern Ziele zu wandeln.

Rosa zweifelte nicht, daß sie einen Funken in die Pulvertonne geworfen habe; allein ob Chiaretti nicht schlau genug seyn werde, die Wuth getäuschter Buhlschaft vorläufig zu verbergen, bis Antonio den Racheplan vollzogen, dieß war eine andere Frage, welche Rosa mit dem Vorsatze des Zuvorkommens sich beantwortete.

»Sie haben recht, liebe Chiaretti,« erwiederteRosa, »die Männer sind eben nicht allzu gewissenhaft in der Wahl ihrer Mittel; ich begreife auch gar nicht, wie Antonio mir den Antrag machen konnte, eine so werthe Freundin, die in keiner Beziehung meine Interessen durchkreuzt, mir auf eine mörderische Art opfern zu wollen. Ich muß wirklich glauben, daß dieser Mensch verrückt sey. Wir [108] wollen den ganzen Vorfall verschweigen, liebe Chiaretti; sind Sie damit einverstanden?«

»Vollkommen!«

»Gut, so lassen Sie uns zu den Gästen zurückkehren!«

Beide küßten sich herzlich, und gingen Arm in Arm auf ihre Plätze. Bald darauf nahte sie sich dem Stuhle des Fürsten.

»Wenn es dir Ernst ist, mich zu beglücken,« flüsterte ihr dieser zu, »so führe jetzt diesen seligen Augenblick herbei, während die Gesellschaft sich vor dem Beginne des Balles zerstreuet.«

»Eure Durchlaucht dürfen nur mit der PrinzessinEleonora nach der Insel fahren, wo ich ein Feuerwerk angeordnet habe. In solcher Begleitung wird Niemand Verdacht schöpfen.«

»Das glaub' ich wohl; aber sie wird uns an Ort und Stelle stören.«

»Verlassen sich Eure Durchlaucht nur auf mich.«

Der Fürst äußerte nun laut den Wunsch, unter dem sternhellen Abendhimmel auf der Spiegelbahn des See's frische Luft zu athmen.

Rosa ordnete sogleich die Fahrt an, und bat die Gäste, bis zu ihrer Rückkunft über Alles zu gebieten; sie entferne sich nur, um eine neue Unterhaltung vorzubereiten.

Das reich geschmückte, mit buntfarbigen chinesischen [109] Laternen beleuchtete Boot bestiegen nun: derFürst, Eleonore, ein junger verliebter Kammerherr, Rosa, Fanny und Betty. Zweimal umruderten sie die Insel, bevor sie landeten.

»Wie schaffen wir uns denn nun den Kammerherrn vom Halse,« fragte der Fürst.

»Er soll der Prinzessin Gesellschaft leisten, so lange wir uns entfernen,« erwiederte Rosa.

»Gut!« der Fürst gab dem Kammerherrn den Auftrag hiezu. Während der Fürst eine Feuerwerk-Pyramide betrachtete, bat der Kammerherr: »HoldeRosa, wenn nur Sie wollten, so könnt' ich jetzt recht glücklich seyn. Betty ist mir gut, sie gäbe mir ein Rendezvous in der Grotte der büßenden Magdalena, wenn ich nur nicht durch den Dienst bei der Prinzessin verhindert wäre.«

»Gerne trag' ich zu Ihren Freuden bei. Entfernen Sie sich mit Betty, sobald ich mit dem Fürsten undFanny das Zimmer verlassen habe. Bei der Prinzessin will ich es schon verantworten; aber hüten Sie sich wohl, durch Ausplaudern Ihres schnellen Glücks die Entdeckung der Dienstesnachlässigkeit, und damit die fürstliche Ungnade zu verschulden.«

»Gewiß nicht!«

Rosa bat ihre Freundin Eleonora, sich ja nicht darüber zu beklagen, wenn sie allenfalls eine halbe Stunde [110] allein bleiben müßte, indem es die Umstände nicht anders zuließen. Sie verstand zum Theil diesen Wink, und ergriff eine Mandoline, um zu spielen und zu singen, während sich ihr Vater mit Rosa und Fanny entfernte, und gleich darauf der Kammerherr mit Betty verschwand.

Der Fürst trat an Rosa's Arme in das der Liebe geweihte Kabinet. Fanny mußte im Vorraume gegen Ueberraschung wachen.

Der Boden und die Wände schienen lebendige Blumenbeete zu seyn, welche die Luft mit einem tausendfältigen Geruche würzten. Die Decke bestand aus einem tiefblauen Himmelsdome mit leuchtenden Gestirnen geschmückt. Ein seiner Thau fiel von oben herab, von Wein und Wasser, worin der beste sicilische Safran aufgeweicht war, und dieser Crocuswein wurde durch ein in den Mauern verstecktes Druckwerk emporgeleitet, um von da aus durch Röhren mit ganz kleinen Oeffnungen im ganzen Kabinete Kühlung zu spenden. Rings umher in eigenen Nischen standen üppige Gestalten aus der griechischen Götterlehre, theils allein, theils in geselliger Verbindung, welche in der matten Beleuchtung des künstlichen Nachthimmels, je nach der zugetheilten Stellung, die lieblich duftende Mischung verspritzten, wodurch alle Sinne in eine fieberhafte Spannung geriethen.

Der Fürst schwamm in einem endlos scheinenden Lusttaumel. Als er sich vom Lager erhob, um mitRosa zur [111] harrenden Prinzessin zurückzukehren, lag jene mit bleichen Wangen, geschlossenen Augen, und glühenden Lippen vor ihm.

»Ich kann unmöglich aufstehen,« lispelte sie mit flötenweicher Stimme; »ein sonderbarer Frost überfällt mich, und eine Art von Uebelseyn, wie ich es früherhin niemals gefühlt habe; ein kalter Schweiß scheint auf meinem ganzen Leibe zu liegen. Mein Gott, ich werde doch nicht krank werden?«

»Sey unbekümmert, Geliebte,« erwiederte derFürst, »wenn mich nicht alle Zeichen trügen, so verheißen deine Empfindungen mir die schöne Frucht einer glücklichen Saat!«

»Gebe Gott, daß diese süße Hoffnung mich nicht täusche, und unser Glück und Liebe werden dauern, so lange wir leben! An deinem Herzen, holde Rosa, will ich fortan ausruhen von meinen Regierungssorgen, und die ganze Seligkeit des Bewußtseyns erfüllter Pflichten für mein Volk genießen. Doch jetzt komm, liebes Kind! erhebe dich, damit wir früh genug in den Ballsaal zurückkommen, bevor die Glossen über unsere Entfernung in Klatschsucht ausarten.«

In diesem Augenblicke trat Fanny ein, und gab das verabredete Zeichen, daß der Kammerherr und Betty sich bereits wieder bei der Prinzessin befänden.

Der Kammerherr nahte sich ehrerbietig der[112] Prinzessin, und wollte eben seine Entschuldigungen auskramen, als sie ihm schnell, jedoch mit wohlwollendem Tone in das Wort fiel: »Ich bin Ihnen sehr verbunden,« sprach sie, »daß Sie meinen Wunsch, allein zu seyn, den ich Ihnen durch Rosa eröffnen ließ, so bereitwillig erfüllt, und dabei selbst die fürstliche Gnade meines Vaters auf das Spiel gesetzt haben, Sie wagten dabei so viel, daß ich mit wahrem Vergnügen die nächste Gelegenheit, die Sie mir bezeichnen wollen, ergreifen werde, Ihnen durch meine Fürsprache auf irgend eine Weise nützlich zu seyn. Keine Ablehnung, keine Ablehnung. Je seltener heut zu Tage, besonders an Höfen, so treue Dienste gefunden werden, desto mehr ist es Pflicht, sie nach Möglichkeit auszuzeichnen und zu belohnen.«

Der Kammerherr war über diesen Empfang ganz verblüfft, er hatte Nachsicht, aber kein Lob erwartet, und bewunderte im Stillen die Gewandtheit der Alles vermittelnden Rosa, die durch wenige Worte schon während des Landens die Prinzessin von der Nothwendigkeit überzeugt hatte, denKammerherrn auf eine schickliche und für ihn angenehme Weise zu beschäftigen, um inzwischen den Fürsten für ihren Plan zu gewinnen.

Während die Prinzessin allein war, überließ sie sich den düstern Empfindungen wehmüthiger Sehnsucht. Ihr Herz war zu eng für so viel Liebe; hätte sie die Legende [113] der Heiligen gekannt, so würde sie wohl den heiligen Philipp Nerius beneidet haben, dem der Herr zwei Rippen einbrach und aus dem Leib nahm, damit sein Herz zum Lieben mehr Raum habe, 1 der die fleischlichen Versuchungen mit seinen Händen vertrieb, 2 und die Teufel mit dem Zurufe: »Wer da?« 3

Die Prinzessin phantasirte auf der Mandoline. Früher war der Kammerherr jederzeit ganz selig, wenn er den Götterarm mit den Rosenfingern, die in den Saiten wühlten, bewundern konnte, oder wenn es ihm dabei vergönnt war, in die schönen, zährenfeuchten Augen zu schauen; in diesem Augenblicke schienen ihm alle Empfindungen nur Träume. Nicht die Reize Betty's hatten ihn gegen die blendende Schönheit der Prinzessin blind gemacht, sondern diese Gleichgültigkeit war nur eine natürliche Folge[114] der befriedigten Sinnlichkeit; denn mit dem Rausche der Sinne verschwindet der Zauber der Phantasie, welche selbst das Gewöhnliche noch zu verklären vermag. Auf jede Entspannung, – um nicht zu sagen Abspannung, – folgt Ruhe, und die Ruhe überlegt, betrachtet, mißt, vergleicht. Darum tritt der Verstand bei dem Manne in dem Maße hervor, als die sinnliche Natur in ihrer Kraftäußerung abnimmt.

Man denke sich einen galanten jungen Mann in einem Zirkel schöner Damen. Er wird gewiß jeder etwas Verbindliches sagen und Liebesblicke zuwerfen, die deutlicher sprechen, als Liebesbriefe. Die ganze Macht seiner Liebenswürdigkeit wird er aufbieten, so viele Herzen als möglich zu erobern.

Nun wollen wir als ausführbar zugeben, daß dieser junge Mann sich mit jener von diesen Damen, welche ihm am meisten gefällt, augenblicklich entfernen, und die letzte Regung seiner sinnlichen Natur in einem Meere unnennbarer Wonne ersäufen könne. Lassen wir nun diesen jungen Mann sogleich wieder in die nämliche Gesellschaft zurückkehren. Glauben Sie, er werde sich gerade so benehmen, wie zuvor? Gewiß nicht; er wird so artig seyn, wie vorher, aber nicht so liebevoll; der Nervenäther, der vor der Umarmung die höhere Erregung und den Schwung der Einbildungskraft begründete, ist nun verraucht, und vergebens [115] würde die Verstellung es versuchen, durch Kunst die Wahrheit zu ersetzen.

Diese natürliche Erscheinung führt mich auf meine alte Behauptung zurück: », daß das Menschenherz glücklicher sich fühle im Streben nach dem Besitze, als im Besitze selbst.«

Eben traten der Fürst, Rosa und Fanny in das Gemach, als die Prinzessin das schwärmerische Lied der Hedwig in Körners Banditenbraut sang:


»Worte such' ich mir vergebens
In des Herzens vollem Drang;
Jede Seligkeit des Lebens
Hat nicht Worte, nur Gesang.
Nur in Tönen kann ich's zeigen,
Nur dem Liede sey's vertraut;
Was die Lippen dir verschweigen,
Meine Thräne sagt es laut.
Und von zauberischen Wehen
Fühl' ich meine Brust bewegt,
Der allein kann mich verstehen,
Der mein Glück im Herzen trägt!«

»Sie haben eine herrliche Stimme, durchlauchtige Prinzessin,« begann Rosa; »es wäre wirklich sehr zu beklagen, wenn ein so ausgezeichnetes Talent nicht vollkommen ausgebildet würde.«

[116] »Sie beurtheilen meine unbedeutende Anlage mit großer Güte,« erwiderte die Prinzessin; »ich hätte auch in hohem Grade Lust, eine vollkommene Sängerin zu werden, wenn mein lieber Vater nichts dagegen einwenden würde.«

»Meine Einwilligung geb ich dir mit Vergnügen,« versetzte der Fürst, »wenn Rosa deine Lehrerin werden mag; du mußt aber dann deiner großen Meisterin auf alle Weise Ehre machen.«

Rosa schätzte sich, wie man leicht einsehen wird, höchst geehrt von diesem schmeichelhaften Zutrauen, und die Prinzessin gelobte einen unermüdlichen Fleiß.

Der Feuerwerker mit seinen Gehülfen war bereits auf der Insel angekommen; der Fürst drang nun auf schnelle Rückfahrt.

Fußnoten

1 Tanto cor ejus aestuabat amore, ut cum intra fines suos contineri non posset, illius sinum confractis atque elatis duabus costulis mirabiliter Dominus ampliaverit. (Brev. rom. ad diem 26. May.)

2 Solitus solo manuum contractu impuris tentationibus esse remedio. (Bulla canoniz. S. Philippi Nerii; Bullar. T.V.P.V. pag. 217.)

3 Cum proferret verba: Quis est hic? daemones ad vocem perterriti sese in fugam visi sunt conjicere. (Coc. cit. pag. 126 col.?)

Das nothwendige Unglück
Das nothwendige Unglück.

Alle Gäste empfingen das Boot mit einem dreifachen jubelnden Lebehoch am Ufer; die Musiker spielten einen Triumphmarsch; Pechkränze loderten auf eisernen Rosten in Zwischenräumen und bildeten einen rothen Flammengürtel des See's.

Auf der Insel wurde ein prächtiges Feuerwerk abgebrannt, [117] die Namenszüge des Fürsten und seiner ganzen Familie leuchteten im buntesten Farbenspiele. Das colossale Nationalwappen im Brillantfeuer schloß dieß glänzende Schauspiel.

Die Tanzlustigen sehnten sich nun nach den Ballfreuden; Alle folgten nach dem Takte des Marsches dem Fürsten und der Prinzessin in den Ballsaal. Auf dem Wege dahin erhielt diese von Rosa noch manche Unterweisung, wie sie ihre wichtige Rolle in der großen Intrigue zu spielen habe, die nun immer mehr und enger geschürzt, und zuletzt glücklich gelöset werden sollte.

Der alte Geheimerath von Wurz, Leibarzt desFürsten, zog Rosa in eine Ecke.

»Engel,« begann er, »ich muß dich besitzen, um jeden Preis, und würde dir selbst meine Hand bieten, wenn ich nicht schon verheirathet wäre. Verlange, was du nur immer willst, ich gewähre dirs; nur versage mir eine heimliche Zusammenkunft nicht, womit du, – ich sage dir's, ohne dich kränken zu wollen, doch so manchen Andern beglückt hast. Ich lasse dich nicht mehr los, bis du mir gleich auf der Stelle den Preis deiner Gunst bestimmst. Du weißt, ich bin, Gott sey Dank, sehr reich, und habe keine Kinder. Fordere also, und gewähre mir endlich, um was ich schon so oft dich gebeten habe!«

Der alte Sünder kam unserer Rosa gerade zur rechten Zeit in den Wurf.

[118] »Ich habe schon einmal die Ehre gehabt, Herr Geheimerath,« antwortete sogleich Rosa, »Ihnen zu bemerken, daß liebenswürdige Männer keines Geldes bedürfen, um meine Gunst zu gewinnen. Daß Sie zu diesen gezählt zu werden verdienen; sehen Sie selbst so gut ein wie ich. Ein munterer Fünfziger, wie Sie, hat noch immer ein volles Recht auf die Gegenliebe schöner Damen! kannte ich doch einen verheirathetenSechs und Sechziger, dem ein liebenswürdiges pfiffiges Mädchen von 22 Jahren Vaterfreuden bereitete, wie eifrig er auch gegen diese ehrenvolle Zumuthung protestirte, und sogar mit der Unfähigkeit seines Alters sich aus der Schlinge ziehen wollte; das Gericht bestätigte ihn aber in der aufgedrungenen Würde als Vater eines natürlichen Sohnes, dessen rundes, gesundes Köpfchen dem seinigen gerade so ähnlich war, wie eine Melone einer gedörrten Zwetschge. Bin ich heute nicht recht muthwillig?«

»O ja, mein Herzchen, so viel ich merke, allerdings. Aber den Preis, den Preis möcht' ich wissen, mein Schätzchen, mein Engelchen!«

»So hören Sie! Die Prinzessin Eleonora hat von ihrem Vater, dem Fürsten, die Erlaubniß erhalten, bei und von mir singen zu lernen. So wie die Prinzessin mich selbst mit besonderer Gewogenheit beglückt, so hat sie auch eine vorzügliche Vorliebe für den Aufenthalt auf meinem Landhause, und auf der Insel, von der wir so eben [119] zurückkommen. Nun könnte sie zwar geradezu den Wunsch äußern, mit ihrer Obersthofmeisterin, so lang es ihr beliebe, hier zu wohnen; allein die Rücksichten der Etiquette möchten der Erfüllung dieses Wunsches entgegenstehen. Eine solche Bitte, oder ein solcher Wunsch muß also gleich von vorne herein mit solcher Umsicht gethan werden, daß keine Abweisung als wahrscheinlich zu befürchten ist. Dieß sey nun Ihr Werk. Benützen Sie die nächste Gelegenheit, sobald die Prinzessin über ein Uebelbefinden klagt, zu rathen, und darauf zu dringen, daß sie auf unbestimmte Zeit mein Landhaus beziehe, indem die Luft hier derPrinzessin am zuträglichsten und eine gründliche Befestigung ihrer Gesundheit nur an diesem Orte, nur in dieser Umgebung zu hoffen sey; wollte man Ihrem Rathe nicht folgen, so müßten Sie sich gegen jede Verantwortlichkeit verwahren, die aus einem entgegengesetzten Verfahren entspringen würde.«

»Sobald nun der Fürst seine Einwilligung gegeben hat, woran nicht zu zweifeln ist, so kröne ich Ihren Wunsch. Nun kennen Sie den Preis meiner Gunst!«

»Nichts leichter, mein Engelchen, nichts leichter; ey da sind wir ja schon Handels einig. Sag du nur derPrinzessin, sie möge über eine Drüsenanschwellung des Unterleibes sich beklagen; diese Krankheit ist eine von denjenigen, welche der Einwirkung einer gefunden Luft zur glücklichen [120] Heilung bedürfen. Das Uebrige wird sich dann schon finden!«

Die Anschwellung hatte sich schon gefunden, es war sohin nur noch die Klage nöthig, und dazu fand sich bald eine schickliche Gelegenheit.

Die Prinzessin trat eben aus dem Speisesaal in den Ballsaal, als sie, ohne Zweifel vorsätzlich, ausglitt, und auf das rechte Knie fiel.

Natürlich eilte man sogleich herbei, um ihr wieder auf die Beine zu helfen, und zwar mit so dienstfertiger Hast, daß einige andere umgeworfen wurden. AufRosa gestützt, wankte sie am Arme ihres Vaters in eines der prächtig meublirten Gemächer des Landhauses, worin sie keine von den Bequemlichkeiten der Residenz vermißte.

»Der Herr Leibarzt soll kommen!« rief der Kam merherr der Dienerschaft zu, und Alle stürzten in den Speisesaal, in der geheimen Ahnung, ja ich möchte sagen: in der offenen Gewißheit, ihn dort zu finden.

So war es auch.

Der Herr Geheimerath saß noch fest vor einem mit den feinsten Trüffeln gefüllten Fasane, dem Anscheine nach mit der vergleichenden Anatomie beschäftiget; denn er zerlegte diesen edlen Vogel mit der Gewandtheit und Genauigkeit eines Bruchoperateurs, dessen Hand durch die Breite eines Haares in der Führung des Messers über Leben oder Tod entscheidet.

[121] »Nun da haben wir's ja, das ist's ja, was ich sage,« versetzte der Geheimerath und Leibarzt, der durchaus nicht unrecht haben wollte, und sich über den Widerspruch des Kammerporteurs ärgerte, – »dieser Fall ist schon eine Folge der Schwäche des Unterleibes, welche durch die Drüsenanschwellung veranlaßt wurde.«

Während dieser Reden und Gegenreden suchte der edle Tafelheld die letzten Reste des Fasans in den Abgrund seines lüsternen Magens zu versenken, vermittelst der geöffneten Schleusen einer Flasche des köstlichen strohgelben Weines, genannt Eremitage.

»Rathen Sie, helfen Sie,« rief der Fürst dem eine tretenden Leibarzte entgegen.

Der Heilkünstler verlangte den verletzten Theil zu sehen, und die Patientin mußte, ungeachtet ihres Sträubens, gehorchen. Schüchtern und erröthend zog sie das Ballkleid, das zarte Unterröckchen und das Hemdchen über das rechte Knie hinauf, und eines der schönsten Füßchen, das jemals die Natur gedrechselt hat, lag vor seinen Augen.

O Aerzte und Wundärzte, ihr glücklichsten Wesen unter den Männern, ihr seyd die Beichtväter des Leibes, welchen nicht der kleinste Umstand darf verhehlet werden! Vor euern Augen müssen alle Verhüllungen weichen, jungfräuliches Erröthen und keusche Scham selbst das letzte Asyl im geheimsten Heiligthume räumen! Ein Anblick, wornach [122] selbst glücklich Liebende jahrelang mit unermüdlicher Bewerbung ringen, den zahllosen Thränen und die rührendsten Bitten, und die heiligsten Schwüre oft vergebens zu verdienen suchen, kostet euch nur die höflichen Worte: »Wollen Sie mir gefälligst – dieß oder jenes – sehen lassen!«

Mit einem Anfluge teuflischen Triumphes übet jeder Arzt dieses alte Zunftrecht bei einer jungen hübschen Patientin aus, und bringt dadurch hundert Anbeter zur Verzweiflung, die auf andern Wegen fruchtlos nach demselben Ziele streben.

Auch der Herr Leibarzt vergaß nicht, von seiner Autorität Gebrauch zu machen.

Sanft befühlte er die kaum merkliche Schwellung des Knies, äußerte aber die Vermuthung, daß sie ohne Zweifel schenkelaufwärts fortlaufe, und erlaubte sich eine Fortsetzung der Betastung bis auf die Hälfte des Weges.

»Nun, was halten Sie von der Sache?«' fragte derFürst; »was mag den Fall meiner Tochter veranlaßt haben?«

»Nach den Zeichen der Verletzung zu urtheilen,« erwiederte der Leibarzt, »sind die Prinzessin über eine Meerrettigwurzel gefallen; von einer Gefahr ist hier nicht die Rede, doch müssen Ueberschläge von gekochten Kräutern fleißig gebraucht, und alle Bewegungen durchaus vermieden werden. – Darf ich um die Erlaubniß bitten, [123] den Unterleib anzufühlen? Ziehen Sie nur das Unterröckchen weg, und lassen Sie blos das Hemd darauf liegen! So ist's recht! da haben wir's ja, es trifft ein, was ich gleich anfangs gesagt habe! die Prinzessin leiden an einer Drüsenanschwellung des Unterleibes! das ist ein fatales, langweiliges Uebel!«

»Aber mein Gott, wie kommt denn meine Tochter zu diesem Uebel?« rief der Fürst aus.

»Auf eine sehr einfache Weise, durch Mangel an Bewegung, und besonders durch die eingesperrte schlechte Hof- und Residenzlust!«

»Was gedenken Sie dagegen anzuwenden?«

»Die Prinzessin müssen auf unbestimmte Zeit gleich wohl den Freuden des Hofes entsagen, und im Genuße der schönen Natur frische Lebenskraft suchen. Zu diesem Zwecke weiß ich keinen passenderen Aufenthalt vorzuschlagen, als dieses Landhaus. Die Luft ist hier rein und wahrhaft balsamisch; die Lage der Besitzung schützt gegen die bösen Nord- und Westwinde; Eure Durchlaucht können die Prinzessin zu jeder Stunde besuchen, ohne sich den Regierungsgeschäften zu entziehen. Alle Umstände vereinigen sich, die Wahl dieses Aufenthaltes jeder andern vorzuziehen. Daß aber dieses Kurmittel das einzige und dringend-nöthige für die Prinzessin sey, um gründlich hergestellt zu werden, dieß erkläre ich bei meiner wichtigen Pflicht als Leibarzt Eurer Durchlaucht, und verwahre mich feierlich [124] und ausdrücklich gegen jede Verantwortlichkeit, die aus einem entgegengesetzten Verfahren mir aufgebürdet werden möchte.«

Der Fürst schien über diesen Vorschlag nachzudenken, während der Leibarzt das Recept zu den Umschlägen schrieb.

»Was meinst du, Rosa?« fragte er leise.

»Eure Durchlaucht sollten sogleich Ihre Einwilligung geben, indem Sie auf diese Art eine schickliche Gelegenheit fänden, mich täglich zu besuchen, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen. Es ist Raum genug in meinem Hause, um sowohl die Prinzessin als deren Obersthofmeisterin, welche der Etiquette gemäß sie umgeben muß, anständig zu beherbergen. Die Einwilligung Eurer Durchlaucht würde ich überdieß als einen ausgezeichneten Beweis von Liebe und Vertrauen zu verehren wissen!«

»Wohlan, mein lieber Wurz, ich nehme Ihren Rath an; meine Tochter bleibt von heute an mit derObersthofmeisterin auf diesem Landhause, so lange Sie es für nöthig finden. Ich werde Sorge tragen, daß morgen für die beiden Gäste aus der Residenz die gewohnten Bequemlichkeiten der Garderobe herbeigeschafft werden. Mein lieber Kammerherr, eröffnen Sie den Gästen meinen Wunsch, daß der Ball nicht unterbrochen werde. Ich will in wenigen Augenblicken selbst wieder daran Theil nehmen.«

Der Fürst glaubte dem Zufalle das Glück zu verdanken, [125] seine Rosa täglich ungestört, und ohne Aufsehen sprechen zu können, weil Jedermann glauben werde, daß sein Besuch der Tochter gelte.

Die Prinzessin war nach Rosa's Plane, den ich bald näher entwickeln werde, gerettet.

Rosa's Plan schien über alle Schwierigkeiten gesiegt zu haben. Sie hielt nun alle Fäden in ihrer Hand.

Der Sohn Aeskulaps, der Leibarzt, war in Gott vergnügt, erstens wegen der wonnigen Betastungen eines schönen fürstlichen Damenleibes, und zweitens wegen der seligen Verheißung Rosa's, deren Bedingung er so schnell erfüllt hatte; der süße Lohn konnte ihm nicht entgehen.

Vier Personen standen sohin nun an der Schwelle ihres Glückes.

Die Gäste zögerten noch immer, sich so unbefangen wie vorher den Freuden des Balles hinzugeben. Um neues Leben in die Gesellschaft zu bringen, erschien der Fürst wieder im Ballsaale, beruhigte die Fragenden über das Befinden der Prinzessin und verbreitete durch eigenen Frohsinn wieder allgemeine Heiterkeit.

Rosa's Dienerschaft gab sich alle erdenkliche Mühe, die Meerrettigwurzel zu finden, über welche die Prinzessin gefallen war, allein vergebens. Der getäfelte Boden konnte sie nicht verschlungen haben; wahrscheinlich hatte sie der fahrlässige Diener, dem sie entfallen seyn mochte, im [126] Gedränge schnell zur Seite gebracht, damit sie nicht als ein Beweis gegen ihn diene, oder ein geheimer Verehrer derPrinzessin sie in die Tasche gesteckt, um sie als ein durch die Knieberührung der schönen Eleonora zur Reliquie geweihtes Kabinetsstück aufzubewahren. Jede von diesen Meinungen fand ihre Ahänger, die Behauptung des Leibarztes aber in jedem Falle vollen Glauben, weil ja auch bei der Leichenbeschau gewaltsam Ermordeter die Aerzte glaubwürdig die Natur des Mordwerkzeuges bestimmen können.

Freilich ist dieser Vergleich weit hergeholt, allein man kann nicht jeden in der Nähe haben.

Am Knie der Prinzessin hätte ein anderer als der Leibarzt vielleicht nicht einmal mit einem Pflanzenstaubfäden-Vergrößerungsglase eine Anschwellung, viel weniger eine Wunde gefunden, deren Form geeignet gewesen wäre, einen Schluß auf die objektive Veranlassung auch nur beiläufig zu unterstützen. Auch war die Prinzessin nach der Behauptung des Leibarztes über die Meerrettigwurzel, keineswegs aber auf dieselbe gefallen; in diesem Falle hätte man die Meinung des gelehrten Herrn doch einigermassen rechtfertigen können. Bei dem anerkannten Mangel desselben an parodirendem Witze ist auch nicht wohl zu vermuthen, daß er sich derMeerrettigwurzel, unter geheimem Vorbehalte figürlicher oder symbolischer Deutung, bedient habe; es scheint also, nach reiflicher Erwägung [127] aller obwaltenden Umstände, daß Herr vonWurz der Namensähnlichkeit wegen die leibärztliche Weisheit mit einer Zuthat von persönlicher Eitelkeit würzen wollte. Die schönen Damen, welche die von mir gebrauchten ausländischen Worte in dieser Kniegeschichte nicht verstehen, belieben sich gefälligst persönlich oder in vertraulichen Briefchen an mich, oder an ihre sprachkundigen Anbeter um nähere Aufklärung zu wenden.

Rosa bat ihren Freund Hetzer, der gleichfalls zum Balle geladen war, sie am nächsten Tage um 10 Uhr Morgens zu besuchen, da sie etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen habe.

Erst um zwei Uhr nach Mitternacht entfernte sich der Fürst, und eine Stunde später war das Landhaus leer von Gästen.

Verrathen, aber nicht errathen
Verrathen, aber nicht errathen.

Neben dem Bette der Prinzessin saß Rosa, und wollte eben beginnen, das Räthsel ihres Planes zu lösen, als Fanny in das Gemach mit der Frage trat, ob die Gebieterin nicht geschellt habe, diese Frage jedoch nur als Vorwand benützte, ihr, ohne daß es diePrinzessin bemerken konnte, einen erhaltenen Brief zu zeigen.

[128] Rosa verstand sie, und trug ihr auf, nachzusehen, ob die Frau Obersthofmeisterin mit ihrem Nachtgewande schon in Ordnung sey, um der Prinzessin noch ein halbes Stündchen Gesellschaft leisten zu können.

In diesem Augenblicke trippelte auch schon diese alte Hofschlafhaube zur Thüre herein, angethan mit einem weiten, faltenreichen, mit Bändern und Schleifen reich gezierten Nachtkleid, um als Ehrendame und Keuschheitswächterin der Prinzessin ihr wichtiges Amt anzutreten. Sie gehörte ohnehin nicht zu den Wohlbeleibten, und war nun seit der Kunde von dem gelöseten Jungferngürtel und herannahenden Mutterstande ihrer fürstlichen Pflegbefohlenen, vollends abgemagert; denn sie selbst hatte ja durch ihre unzeitige Schlafsucht das Gedeihen des Samens jener verhängnißvollen Meerrettigwurzel begünstiget, wel che den Fall der Prinzessin herbeiführen mußte.

Sollte dieser Fall vom Hofe entdeckt werden, so war mindestens ihre gänzliche Ungnade, wo nicht gar eine peinliche Untersuchung die unausbleibliche Folge. Rosa's Genie schien noch der einzige Rettungsanker in diesem drohenden Sturme zu seyn; von dem erfinderischen Geiste derselben hoffte diepflichtverschlafene, übrigens äußerst gutmüthige Obersthofmeisterin einen glücklichen Ausgang der fatalen Angelegenheit, und die Fortdauer ihrer irdischen Seligkeit: auch fernerhin ungestört die Hofluft einathmen [129] zu dürfen, welche ihrem Daseyn so unentbehrlich war, wie einem Fische das Wasser. Darum benahm sie sich auch gegenRosa so vertrauend, hingebend, demüthig und fast zerknirscht, daß sie keine Spur einer Standesverschiedenheit auch nur in der leisesten Beziehung anzudeuten wagte.

Rosa benützte das Eintreten der Ehrendame, um im Vorgemache von der Fanny den Brief zu empfangen, der also lautete:


»Mein Liebchen!


Ein unvermuthetes, dringendes Geschäft verhindert mich, morgen die Erfüllung deines Versprechens zu genießen. Sehr klug war es von dir, den *** Gesandten auf die Möglichkeit deiner Schwangerschaft vorzubereiten; möge er immerhin der zahlende Vater jenes Kindes seyn, dessen wirklicher ich selbst zu seyn mir nach der Glut der Umarmung schmeicheln darf, womit du mich beglückt hast, in der Meinung, den Gesandten in deine Arme zu schließen. Daß du die Summe, welche er dir für diesen Fall bezahlen wird, redlich mit mir theilen mußt, versteht sich von selbst; denn mir hast du deinen gesegneten Leib zu verdanken, und jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth. Das Geschäft, so mich morgen von dir entfernt, besteht in einer unverschieblichen Reise; noch weiß ich den Tag meiner Rückkunft nicht, den ich dir schriftlich mit der Stunde melden werde, in welcher ich deine Umarmung und meinen [130] Geldantheil in Empfang nehmen will. Bis dahin lebe wohl, und löse nicht durch muthwilligen Widerstand oder durch thörichten Trotz meine Zunge. Dein


Antonio


Rosa wußte nach Durchlesung dieses Briefes nicht, ob sie mehr über die Unverschämtheit dieses Mönches sich ärgern, oder über seine Kenntniß ihres Planes mit dem Gesandten sich wundern, oder über den Umstand sich freuen sollte, daß er von ihrem Verhältnisse mit dem Fürsten, und von der veränderten Lage der Prinzessin nichts zu wissen schien. Seine Habsucht, dachte sie, würde ihn zu ausdrücklichen Forderungen hingerissen haben, wenn er hievon auch nur eine Spur gehabt hätte.

Der Operationsplan
Der Operationsplan.

»Liebe Rosa,« begann die Prinzessin, als jene zurückkam, »du würdest mich und die Obersthofmeisterin durch Mittheilung des Planes, wornach du in meiner Angelegenheit zu verfahren gedenkest, in hohem Grade beruhigen, wenn du keine besonders wichtigen Gründe hast, ihn zu verschweigen.«

»Keineswegs,« erwiederte Rosa, »mein Plan ist für [131] dich und diese hochverehrliche Dame kein Geheimniß. Du bleibst bei mir bis zu deiner Entbindung und noch zwei Monate darnach, um alles Aufsehen zu vermeiden, stets unter dem Vorwande der nöthigen Herstellung deiner Gesundheit. Meine Betty ist die Tochter einer Hebamme, und mit den Geschäftsverrichtungen ihrer Mutter vollkommen vertraut. Wir bedürfen sohin keiner fremden Hülfe, die uns verrathen könnte; wir brauchen Niemand in das Geheimniß einzuweihen. Sobald das Kind geboren ist, setzt sich meine treue Betty damit in den Wagen, und bringt es in eine Meierei an der Gränze, zu redlichen Landleuten, denen nöthigenfalls ein kleiner Roman aufgetischt wird. Nach reichlicher Vergütung für die kurze Zeit der Verpflegung wandert das liebe Kindlein wieder in mein Landhaus zurück, als das Vermächtniß einer unbemittelten Frau aus meiner Verwandtschaft, die es in ihrem Testamente meiner Liebe und Theilnahme empfahl. Du besuchst dann täglich mich und dein liebes Kind, verweilest während des Frühlings und Sommers auf meinem Landhause und genießest die Wonnen einer glücklichen Mutter, ohne den mindesten Verdacht zu erregen. Ich schmeichle mir, die Gewogenheit deines Vaters in einem hohen Grade zu besitzen. Sie soll mir dazu dienen, ihn für deine Vermählung mit dem Prinzen Paul zu stimmen, sobald du nach der Entbindung dich vollkommen erholt, und die jungfräuliche Lebenskraft am Busen der schönen Natur wieder gefunden [132] hast. Bis dahin verlasse ich die Bühne, schenke mein Landhaus meinem Pflegevater Wagner, ziehe mit euerm Kinde zu Euch, reiche dem Geliebten, den meine Lippe dir bis jetzt verschwieg, obwohl er tief in meinem Herzen thronet, meine Hand am Altare, und führe an Eurer Seite, im Genuße meines großen Vermögens ein unabhängiges Götterleben. Dieser Plan, wenn du ihn, geliebteEleonore, vollkommen billigest, will ich in den Frühstunden des kommenden Tages ausführlich niederschreiben, und durch meinen vertrauten FreundHetzer dem Prinzen Paul zur Kenntniß und Billigung übersenden. Bist du nun mit mir zufrieden?«

»Vollkommen, vollkommen,« rief Eleonora ganz entzückt aus, und bedeckte ihre liebe Rosa mit zahllosen schwesterlichen Küssen. Selbst die altadelige Obersthofmeisterin vergaß sich in dem süßen Gefühle ihrer zweifellosen Hofluftrettung so sehr, daß sie die bürgerliche Rosa aufrichtig an ihr Herz drückte.

Eleonora war von wonnigen Erinnerungen an ihren geliebten Paul, von den Blutwallungen feuriger Weine und rascher Tänze, so wie von den reizenden Aussichten in eine lockende Zukunft in Pauls Armen, zu sehr aufgeregt, um allein schlafen zu können, sie wünschte ihre zartesten und heimlichsten Empfindungen einem gleichgestimmten Wesen in herzlichen Umarmungen mittheilen zu können. DieObersthofmeisterin wurde in ihr Bett geschickt, und [133] Rosa, nachdem sie vor Eleonorens Augen die letzte leichte Hülle abgelegt hatte, mußte das Lager ihrer Busenfreundin für diese Nacht theilen.

Unzählbare Küsse rauschten; sie hielten sich wie im Liebestaumel umschlungen, in wechselseitiger Lobpreisung der seltensten Formen wunderschöner Weiblichkeit wetteifernd. Beide Mädchen überließen sich dem schmeichelnden Wahne, in den Armen der Auserlesenen ihrer Herzen zu liegen, und den süßen Träumereien und neckenden Einfällen einer fessellosen Phantasie. Oft nannten beide die Namen ihrer Angebeteten, während sie Eleonore oder Rosa sagen wollten; wie wenig hätte für eine von Beiden aus den Händen der allbeglückenden Natur hingereicht, um Beide zu den seligsten Menschen umzuwandeln, die jemals ein keusches Ehebett redlich und liebevoll getheilt haben!

Am andern Tage, Morgens zehn Uhr, verließHetzer, zur allgemeinen Verwunderung seiner Bekannten, welche sich über die Ursache gewaltig die Köpfe zerbrachen, in einem bequemen Reisewagen mit Courierpferden die Hauptstadt, fuhr zum entgegengesetzten Thore seines Reisezieles hinaus, und schlug erst auf halbem Wege der ersten Poststation die nöthige Richtung ein.

Schlichter als Schriftsteller
[134] Schlichter als Schriftsteller.

Die ganze Stadt betrauerte den Unfall der Prinzessin Eleonora, die ihrer Herzensgüte wegen allgemein beliebt war. Die Hofzeitung beruhigte das Publikum durch ein offizielles Bulletin des Leibarztes, worin die Meerrettigwurzel als Veranlassung angeklagt wurde.

Niemand glaubte sich bei dieser Angelegenheit betheiligter, als Schlichter, den die innere Unruhe der Neugierde nun täglich morgens öfter als viermal in den Wallfischbauch trieb, um vom Wirthe selbst, oder von den zufällig anwesenden Gästen etwas Näheres zu erfahren, mit einem Worte, um hinter das Geheimniß zu kommen, welches sein geübtes Intriguen-Näschen in dieser Sache schon bei der ersten Nachricht gewittert hatte.

Unter den Anwesenden befand sich auch ein gewisser Herr Schab, ein wackerer Bürger der Hauptstadt, übrigens ein gebildeter, jovialer Mann von einnehmenden Zügen, dem plötzlich ein lustiger Streich in den Sinn kam.

Schlichter wendete sich auch an ihn, da sie im Wallfischbauche fast täglich Morgens um eilf Uhr bei einem Glase Wein, mitunter auch bei mehreren, zugleich sich einfanden. Schab äußerte, wenn er ein Schriftsteller wäre, wie Schlichter, und sogar den Pegasus bestiege, wie dieser, so würde er diese Gelegenheit benützen, um eine [135] Meerrettigwurzel auf Stein zeichnen, und darunter ein selbstgedichtetes Trauersonnett nebst einer geschichtlichen Darstellung des bedauernswürdigen Unfalles derPrinzessin setzen zu lassen; eine ausführliche Beschreibung des glänzenden Balles und prächtigen Feuerwerkes auf Rosa's Landhause würde ihm als Einleitung einen herrlichen Stoff geben, sein Talent als Schriftsteller und Dichter im schönsten Lichte leuchten zu lassen; Schlichter sollte sodann einige Exemplare auf weißem Atlas für die höchsten Herrschaften abdrucken lassen, und mit eigenen Zuschriften an dieselben senden. Gerne erbiete er sich, das für die Prinzessin bestimmte Exemplar durch Rosa's Kammerdiener, der bei ihm einkaufe, sicher bestellen zu lassen.

Obgleich Schlichter nicht gewohnt war, eine fremde Ansicht für besser zu halten, als seine eigene, so mußte er doch diesem guten Rathe des HerrnSchab volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daher er denn auch, in der Freude seines Herzens, sogleich, nach dem technischen Ausdrucke der Weintrinker, knallen ließ.

Mit diesem Worte wird nämlich der süße Ton des Pfropfes einer Champagnerflasche bezeichnet, welcher entsteht, wenn der Pfropf im Kampfe der eindringenden Luft mit dem nach Außen strebenden Geiste des köstlichen Rebensaftes in die Luft gesprengt wird. Während der Champagner in den langhälsigen Gläsern schäumte und perlte, wurde der Plan näher besprochen; und plötzlich verschwand Herr[136] Schlichter, von der ihm angebornen innern Unruhe getrieben, die eine kaum gedachte Sache auch schon ausgeführt zu sehen wünschte.

Man trägt den Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht
Man trägt den Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht.

Unter den Gästen auf dem Balle war vielleicht nicht ein Einziger, der so wenig Unterhaltung zu finden schien, als der Erbprinz. Wegen der Anwesenheit des Fürsten mußte er schicklicherweise jede vertrauliche Annäherung an Chiaretti zu vermeiden suchen, und um es mit dieser eifersüchtigen Italienerin nicht zu verderben, selbst jeder Ballgalanterie gegen Rosa entsagen. Beschränkt auf unbedeutende Gespräche mit einigen durchaus nicht gefährlichen Damen, mußte der Erbprinz sich bald von einer Langeweile gequält fühlen, die ihn eben so ungewohnt als widrig däuchte. Von einem reichen Grafen, der drei Meilen von dem Jagdschlosse des Erbprinzen ein prächtiges Landgut bewohnte, auf morgen zur Jagd geladen, fand er es der nöthigen Nachtruhe wegen für zweckmäßig, vor Mitternacht nach Hause zu fahren, was auch ganz unbemerkt geschah. Um jedoch das Vergnügen der Chiaretti nicht zu stören, flüsterte er dieser, ohne das mindeste Aufsehen zu erregen, [137] den plötzlich gefaßten Entschluß zu, den Grafen noch vor Sonnenaufgang zu überraschen, sohin unmittelbar von Rosa's Landhause dahin zu fahren.

Chiaretti hatte um so weniger etwas dagegen einzuwenden, als sie ohnehin unter den schönen Gardeoffizieren das Auge des Herrn scheute, und noch überdieß ein ergötzliches Plänchen im Kopfe trug.

Heimfahrend fiel es dem Erbprinzen ein, mit der angeblichen Ueberraschung des Grafen gleichwohl die Chiaretti zu beglücken, wozu er durch die feurigen Weine Rosa's, denen er weidlich zugesprochen hatte, sich ganz besonders gestimmt fühlte.

Uebrigens kann ich meinen reizenden Leserinnen im Vertrauen gestehen, daß er weit lieber sein Bett mit der wunderschönen Rosa getheilt hätte, und daß er unterwegs allerlei Pläne entwarf, zu diesem wonnereichen Ziele zu gelangen. Dieser Wille ohneThat war ein moralischer Treubruch, gleichwie der Ehemann oder die Ehefrau, in der ehelichen Umarmung an eine Andere, oder an einen Andern denkend, einen moralischen Ehebruch begehen, und bisweilen Kinder erzeugen, die dem Manne oder Weibe, woran sie mit geistiger Hingebung dachten, sprechend ähnlich sehen.

Sehr verdächtig bleibt es zwar immer, wenn ein in diesem Phantasiespiele erzeugtes Kind einem Manne gleicht, von dem der Ehemann weiß, daß er seiner Frau nicht [138] gleichgültig ist; aber eine wahre Bosheit der Natur scheint es, wenn ein solches Kind einem Weibe oder Mädchen ähnlich sieht, dem der Herr Gemahl gewogen ist; denn die Natur wird dadurch nicht blos die Verrätherin des Geheimnisses, sondern überbürdet sogar der rechtmäßigen Ehefrau die schmerzliche Pflicht, ein Kind zu bringen, das einer Nebenbuhlerin zugedacht war.

Diese Art des Ehebruches mag wohl am häufigsten vorkommen, da sie am leichtesten geschehen kann, und doch ist sie vor Gott nicht minder sträflich, als der leibliche Ehebruch, weil Gott den Willen richtet, nicht die That. In jedem Falle verdient dieser Gegenstand von allen meinen verehrten Lesern und schönen Leserinnen reiflich erwogen zu werden.

Eine Viertelstunde vor dem Jagdschlosse, wo die schöne Allee von Kastanienbäumen begann, ließ derErbprinz den Wagen nach dem Hause des Försters fahren, das eine halbe Stunde weit seitwärts am Ende des Parkes lag; bis dahin wollte der Erbprinz im Geleite der Frühstrahlen der Morgensonne zu Fuße gehen, jetzt aber gänzlich unbemerkt in das Schloß kommen. Dieß gelang ihm auch vollkommen; die Hunde auf dem Schloßhofe erkannten ihren Herrn, und schwiegen. Durch die Orangerie kam er auf einer schmalen, geheimen Treppe in sein Schlafgemach, entkleidete sich, ohne Licht zu machen, schob die Kleider unter die Bettstelle, und setzte sich, in seinen Pelzrock gehüllt, [139] in einen Lehnstuhl, über die Ereignisse dieses Tages nachsinnend.

Schon schlossen sich seine müden Augen, schon wollte der Schlaf ihn mit den geheimen Fäden des Traumes umspinnen, als das Heranrollen eines Wagens im Schloßhofe ihn ermahnte, wach zu bleiben.Chiaretti war's, die es nach der Entfernung desErbprinzen nicht mehr für angenehm oder schicklich gehalten zu haben schien, länger zu verweilen.

Der Erbprinz erwartete, daß sie aus alter Gewohnheit in sein Zimmer kommen, und sich überzeugen werde, ob er anwesend sey, oder nicht. Denn immer pflegte sie vor dem Schlafengehen, wenn er auch nicht ihr Verweilen wünschte, einen Blick auf sein Bett zu werfen, und wenn er noch wachte, eine gute Nacht zu geben.

Dießmal wollte er sie in ihrem Bette überraschen, und sich daher ihren Blicken entziehen. Zu diesem Zwecke wählte er den welschen Kamin, der zu beiden Seiten so geräumige Vertiefungen hatte, daß er sich leicht verbergen konnte. Bald darauf trat Chiaretti rasch in das Zimmer, blickte umher, einen Armleuchter in der Hand tragend, und entfernte sich hastig. Sie war bereits im Nachtkleide.

Eben wollte der Erbprinz, seine quälende Haft verlassend, in das Zimmer der Chiaretti treten, als er eine männliche Stimme vernahm, die ihm bekannt dünkte.

[140] Antonio war's.

»Nicht wahr, Geliebter,« – bewillkommte ihnChiaretti, »so früh hättest du mich nicht erwartet? Ja, ich habe mich sehr nach dir gesehnt; mein Gebieter hatte den klugen Einfall, eine halbe Stunde vor mir auf das Landgut des Grafen A** zu fahren, der ihn auf morgen zur Jagd lud. Wie er diesen überraschte, so überrasch' ich nun dich. Hab ich's so recht gemacht?«

»Vollkommen, mein lieber Engel! Mitternacht ist aber schon vorüber, und ich sehne mich so sehr nach deiner Umarmung; eile doch, daß wir bald das Lager der Liebe miteinander theilen.«

»Närrchen, wähnst Du, ich sehne mich weniger nach deiner Kraft, die ich gar oft schon mit der Schwäche des Erbprinzen zu vertauschen wünschte.«

»Welcher Lebensgenuß blieb' mir übrig, wenn du mir nicht Ersatz für jene Entbehrungen bötest?«

So sprachen sie noch einige Zeit, und legten sich darauf nieder. Auf einem Tische vor dem BetteChiaretti's stand ächter Tokajer.

Küsse begannen die Liebeskämpfe, und lösten sich bald in ein mattes Stöhnen auf.

Wer vermochte die Empfindungen des betrogenenErbprinzen zu schildern? Rasch riß er die geladenen Doppelpistolen [141] von der Wand, fest entschlossen, die Elenden mitten in ihrem Sinnentaumel zu tödten. Doch ein edleres Gefühl siegte über die wilde Leidenschaft. Leise öffnete er die Thüre, trat in das von einer Astrallampe beleuchtete Gemach, und nahte sich dem Lager der Verbrecherin.

»Chiaretti!« stöhnte er, und kaum vermochte er dieß Wort der krampfhaft gepreßten Brust zu entreißen.

Beide fuhren aus ihrem Taumel auf; Chiaretti sank bei seinem Anblicke ohnmächtig auf die Kissen zurück.

»Kleidet euch an, und reiset,« rief ihnen der Erbprinz zu, »in einer halben Stunde verlaßt Ihr mein Schloß, und das Land in acht und vierzig Stunden bei Vermeidung meines fürstlichen Zornes. Keine Entschuldigung, ich will nichts hören: wo die Augen sehen, hat die Zunge ihre Kraft verloren! Schnell voran, am Reisewagen solls nicht fehlen!«

Er klingelte.

Ein Kammerdiener erschien.

»Meinen vierspännigen Reisewagen vorgefahren!«

Kaum hatten sich Antonio und Chiaretti angekleidet, als auch schon gemeldet wurde, daß der Wagen bereits bespannt sey.

»In dieser Schatulle findet Ihr Gold, so viel Ihr bedürft, um zwei Jahre lang sorglos zu leben. FürChiaretti setze ich nach dieser Zeit einen lebenslänglichen Jahresgehalt [142] von 1000 Gulden aus, den sie im Auslande verzehren kann, wo sie will, und auf Wechsel erheben, die auf mich ausgestellt sind. Glückliche Reise!«

Chiaretti wollte ihm zu Füssen fallen, und um Verzeihung flehen; der Erbprinz duldete Beides nicht. In der Eile raffte sie aus ihrem Schranke an Kleidungsstücken und erhaltenen Geschenken zusammen, so viel als möglich, schnürte einen Bündel, und schritt an der Seite Antonio's weinend dem Wagen zu.

»Ohne Aufenthalt bis in's Ausland!« rief der Erbprinz vom Fenster aus dem Kutscher zu, und der Wagen rollte dahin mit einem Mädchen, welches so lange schon die Wonne des Erbprinzen gewesen war, erkauft mit der Liebe seines Vaters, mit dem häuslichen Frieden einer glücklichen Ehe. Dieß Alles war nun dahin! Allein nur dieses männlich-rasche Verfahren konnte ihn von der falschen Italienerin auf immer trennen; jedes Zögern würde der Verführerin neue Mittel gegeben haben, über die Nachgiebigkeit des schwachen Geliebten zu triumphiren.

Antonio reisete an demselben Tage, und in der nämlichen Stunde ab, die er dazu bestimmt hatte: allein er mußte wider seinen Willen einen ganz andern Weg einschlagen, als den gewünschten.

Der gestürzte Minister Graf von Spindel hatte ihn dringend zu einem Besuche eingeladen, angeblich um Sachen von der größten Wichtigkeit mit ihm zu berathen.

[143] Da ein Kammerdiener des Erbprinzen im Wagen war, und zwei wohlbewaffnete Jäger auf dem Bocke saßen, so durfte Antonio vor der Hand an kein Entrinnen denken.

Allerdings stand es ihm frei, nach Ueberschreitung der Gränze auf irgend einem andern Punkte sich wieder in das Land hereinzuschleichen, und auf des Ministers Gütern verborgen zu halten; dabei ging jedoch gerade die beste Zeit verloren; unerwartete Zwischenfälle konnten Manches ändern, und vielleicht seine Mitwirkung entbehrlich machen. Alle andern Beweggründe in seinem Innern überwog jedoch die heiße Sehnsucht, sich an dem Erbprinzen und an Rosa zu rächen, von welcher sowohl Antonio als auch Chiaretti ihr geheimes Verhältniß verrathen wähnten. In diesem Wahne bestärkte ihn besonders Chiaretti, die ihm den Auftritt mitRosa auf dem Balle, wegen des von Antonio an diese geschriebenen Briefes erzählte, wobei sie ihm zugleich über den schändlichen Mordantrag die größten Vorwürfe in der absichtlich gewählten, für jeden Nichtitaliener gänzlich unverständlichen Volksmundart machte, um ihre Verhältnisse dem Kammerdiener nicht zu verrathen, im Falle er, vermöge der gewöhnlichen Sprachkenntnisse in diesem Stande, die Mundart der gebildeten Italiener verstehen sollte.

»Närrchen,« erwiederte Antonio, »wie hätte ich besser ihre Denkweise erforschen können! daß sie einwilligte wird dir die Heuchlerin klüglich verschwiegen haben!«

[144] »In deinen Liebesantrag?«

»Zuerst in Chiaretti's Mord, und dann zur Belohnung in den Liebesantrag. Der schlaue Antonio ließ sich aber nicht fangen. Ich bestand zuerst auf meinem Lohne, da ein Mord doch weit wichtiger sey, als die Umarmung eines Mädchens. Im Falle ihrer Einwilligung hätte ich die Buhlscene so anzulegen gesucht, daß du mit Allen, denen du eine Theilnahme an deinem Triumphe vergönnt haben würdest, durch eine nur mir bekannte verborgene Thüre in dem Augenblicke eingetreten wärest, wo Rosa's Entschuldigung: daß sie mich nur prüfen wollte, in jedem Sinne des Wortes zu spät, der Beweis meiner unverletzten Treue aber noch früh genug gekommen wäre.«

»Deine Pfaffenränke siegen für dießmal über Weiberlist; nimm dich aber in Acht! Man trägt den Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht! Erst heute haben wir die Wahrheit dieses Spruches erfahren müssen!«

Antonio gelobte ihr ewige Treue; an Betheuerungen und Schwüren fehlt es bekanntlich den Männern nie, so wenig, als den Weibern und Mädchen an Krokodillthränen, und auf diese Weise betrügen sie einander, so gut sie können.

Der Wagen hielt bei jeder Station nur so lange, bis[145] die Pferde gewechselt waren, dann ging's wieder im schärfsten Trab dahin. Der Kammerdiener bot ihnen eine Rebhühnerpastete und einige Flaschen Wein, woran sie großes Behagen fanden.

Eben begann die Sonne ihr goldenes Strahlenhaupt zu neigen, und die Schatten der Wanderer und Bäume wurden immer länger, als der Wagen durch einen Hohlweg bergan fuhr.

Ganz oben bildete die Seite der Straße einen ziemlichen Abhang, und die rechte führte durch dichtes Haselgebüsch fast senkrecht in einen Abgrund, dessen Boden ein tiefes stehendes Wasser war.

Ein heftiger Sturm hatte in der vergangenen Nacht die beiden Geländer weggerissen, welche von dieser drohenden Stelle jede Gefahr entfernt hielten.

Der Kammerdiener und die beiden Jäger begaben sich auf die linke Seite des Wagens, um ihn mit ihren Schultern zu stützen, damit er nicht umfalle; auchAntonio bot seine Mithülfe an, die jedoch abgelehnt wurde, wahrscheinlich weil man dem Vogel nicht traute.

»Chiaretti, das ist ein herrlicher Augenblick zur Flucht,« rief er ihr zu; »ich gehe auf die Güter des Ministers, wovon das Stammschloß, welches er bewohnt, kaum eine Meile von hier in einem Walde liegt. Folg mir, sobald es dir möglich ist, oder sende mir wenigstens Nachricht, wo du verweilest, und wie es dir ergeht.«

[146] Nach einem raschen Kusse wollte Antonio den Schlag zur rechten Hand öffnen, und hinausspringen, als er zu seinem Entsetzen bemerkte, daß dieß ohne den hiezu bestimmten Schlüssel nicht möglich sey.

Schnell entschlossen, ließ er das Fenster des Schlages herab, schwang sich mit dem Oberleibe auf die Decke des Wagens, um die untere Hälfte des Körpers durch das Fenster zu ziehen, und sprang so rückwärts auf die Straße, glitt jedoch aus, und fiel der Länge nach hin.

Das Geräusch des Falles schreckte die auf der linken Seite den Wagen Stützenden aus ihrer Anstrengung auf. Alle drei durften nicht zugleich ihre Posten verlassen, außerdem sie den Umsturz des Wagens nur um so mehr beschleuniget hätten. Während der Kammerdiener laut schrie: »Schießt den Hund nieder, wenn er nicht hält!« verdoppelte der eine Jäger seine Kraft, und der andere riß mit einem Tritte auf das vordere linke Wagenrad eine Pistole aus der Seitentasche des Bocksitzes, rief dem Antonio, der sich eben aufraffte, ein donnerndes: »Halt!« zu, und sendete dem verwegenen Flüchtlinge eine Kugel in's Gebüsch nach, die dicht an seinem Ohre vorbeipfiff.

Unser Dichterfürst Göthe hat auch schon die Kugeln pfeifen hören, und beschreibt den Ton dieser Kerlchen in dem Werke: »Aus meinem Leben; zweiter Abtheilung fünfter Theil, Seite 109, wo er sagt: ›Der Ton ist wundersam genug, als wär' er zusammengesetzt aus dem Brummen [147] des Kreisels, dem Butteln des Wassers und dem Pfeifen eines Vogels.‹«

Der Jäger sprang ihm nach, doch gleich darauf hörte man Antonio's durchdringenden Schrei »Jesus, Maria und Joseph!« und wenige Sekunden darnach den dumpfen Wiederhall eines Sturzes in das Wasser aus der Tiefe. »Was giebt's? Wo ist er?« fragte der Kammerdiener den allein zurückkehrenden Jäger.

»Gut aufgehoben da unten im Abgrunde!« antwortete dieser ganz kurzweg, und stieg mit seinem Kameraden wieder auf den Bock, weil der Wagen gleichfalls an der gefährlichen Stelle vorüber war.

Als der Kammerdiener an Chiaretti's Seite Platz nehmen wollte, fand er sie in tiefer Ohnmacht, und hielt es in dieser Lage, aus alter Erfahrung, für's Beste, sie durch angreifende Mittel so schnell als möglich zu beleben.

Der dritte Vater
Der dritte Vater.

Eine Stunde nach Antonio's und Chiaretti's Abreise saß auch der Erbprinz schon im Wagen, wohnte der Jagd bei seinem Nachbar bei, wo er aus ungewöhnlicher [148] Zerstreuung fast immer fehlte, und überraschte Rosa bei der Mittagstafel als Gast.

»Nicht wahr, liebe Rosa,« sprach er eintretend und mit ritterlicher Galanterie das niedliche Händchen küssend, »nicht wahr, ich bin ein zudringlicher Gast, der nach kurzem Abschiede schon wieder erscheint? Ich habe die Speisen bei der Abendmahlzeit gestern so trefflich gefunden, daß ich heute Lust fühle, den Rest davon zu verzehren!«

Rosa benahm sich bei dieser Unterredung mit so viel Geist und Anmuth, daß der Erbprinz vor Entzücken über ihre Liebenswürdigkeit ganz außer sich war. Er nahm keinen Anstand, ihr die Treulosigkeit der Chiaretti, und ihre Verweisung nebst Antonio ausführlich zu erzählen.

Rosa hätte ihm einen Beitrag, ein Gegenstück von Chiaretti's Untreue liefern können, wäre es ihr vergönnt gewesen, auf die Augenzeugen sich berufen zu dürfen.

Der Erbprinz schloß seine Erzählung mit einer förmlichen Liebeserklärung, und mit dem Geständnisse, daß seine Liebe zu Chiaretti an dem Tage erloschen sey, da er Rosa zum erstenmale gesehen und gesprochen habe; jetzt sey er frei von allen andern Banden, könne ihr ein gutes, treues Herz anbieten, und sey bereit, was sie nur immer wünsche, zu thun, jede ihrer Forderungen unverzüglich zu erfüllen, wenn sie ihn nur mit ihrer Gegenliebe beglücken wolle.

[149] Von der Heftigkeit der innern Gefühle hingerissen, stürzte er sogar vor Rosa nieder, umklammerte flehend ihre Kniee, und betheuerte bei Allem, was ihm heilig sey, nicht eher aufzustehen, bis sie ihn erhört habe.

Rosa schien einen Augenblick nachzusinnen, dann sprach sie mit liebreizendem Lächeln: »Wohlan, ich erfülle Ihre Wünsche, jedoch nur unter einer einzigen Bedingung!«

»Und welche ist diese?«

»Daß Sie zuvor den theuersten Wunsch Ihres Vaters und des ganzen Vaterlandes zu erfüllen geloben; Ihre Vermählung mit irgend einer schönen und tugendhaften Prinzessin!«

»Fordere Alles, nur dieß nicht! Ich scheue den Ehestand! er ist das Grab der wahren Liebe, und im glücklichsten Falle die Wiege der Freundschaft.«

»Vergessen Sie nicht, daß Sie höhere Pflichten haben, als ein Privatmann; Sie müssen Ihre persönlichen Ansichten dem Heile des Vaterlandes opfern!«

»Nun wohl, Rosa, ich gebe dir mein Wort, daß ich mich vermählen will. Das ›wann‹ steht aber bei mir.«

»Nein, mein lieber Prinz; ein Jahr ist die längste Frist.«

»Lange genug, um ein Meer von Seligkeiten auszutrinken! Hier mein Wort und meine Hand darauf!«

[150] »Ueberlassen Sie es mir, Ihren Vater von diesem für das ganze Land höchst erfreulichen Ereignisse in Kenntniß zu setzen!«

»Recht gerne, mein schöner Engel, doch verzögere nun auch nicht länger mehr mein langersehntes Glück, da ich so folgsam mich gezeiget habe!«

Ein halbes Stündchen darnach lag der Erbprinz im Schooße des vermeintlichen Himmels.

Als die rosigen Thore desselben sich wieder geschlossen hatten, spielte Rosa die nämliche Rolle, wie bei den Umarmungen des Gesandten und des Fürsten und der Erbprinz war darüber so erfreut, daß er sein Wort wegen einer Vermählung mit einer Prinzessin sogleich zurücknehmen wollte, um sich mit Rosa auf die linke Hand trauen zu lassen, ein Antrag, den diese mit allem Ernste ablehnte.

»Wie sollte es mir aber möglich seyn, deiner Liebe zu entsagen, wenn ich durch das Band der Ehe von dir getrennt bin? Nein, dieß kann ich nicht thun, am wenigsten, wenn ich ein Kind deiner Liebe an mein vä terlich-fühlendes Herz drücken werde!«

»Sorgen Sie nicht, was künftig seyn werde, so lange Sie sich gegenwärtig glücklich fühlen. Wählen Sie die künftige Gefährtin Ihres Lebens nach den Forderungen Ihres Verstandes und zartfühlenden Herzens. Finden Sie dann in ihr das höchste Glück Ihres Daseyns, so [151] werden Sie von selbst die ungenügende Wonne eines getheilten Herzens nicht mehr wünschen, wo nicht, so werden Ihnen meine Arme immer offen stehen.«

Die doppelte Ueberraschung
Die doppelte Ueberraschung.

Vierzehn Tage flossen ruhig hin.

Hetzer war heimgekehrt. Der Prinz Paul hatte ihn mit großer Auszeichnung aufgenommen, und mit einem kostbaren Brillantringe beschenkt. In einem langen Briefe an Rosa billigte er Alles, was sie derPrinzessin wegen bisher gethan habe, rühmte die seltene Feinheit ihres Verstandes, und bat sie, ihren großen Einfluß zur Vermittlung in seiner Herzensangelegenheit zu benützen. Ein Schmuck von ausgezeichneter Pracht unterstützte seine Bitte.

An die Prinzessin schrieb er, was nur immer eine wahnsinnige Liebe zu sagen vermag, empfahl ihr Geduld, Ausdauer, sorgfältige Pflege ihrer Gesundheit, und schwor bei dem Heile seiner Seele, eher zu sterben, als einer Andern seine Hand zu reichen, ja nicht einmal eine Andere zu berühren.

Den ersten Theil des Schwures werden alle meine [152] Leser, die den Ehrenpunkt darin nicht verkennen, mit mir für aufrichtig halten, der zweite Theil aber, das Nichtberühren einer Andern, hat einen so verzweifelten Anstrich, daß auch wir billig zweifeln müssen, ob er auch nur vierundzwanzig Stunden lang gehalten wurde.

Im Falle nun wir recht haben, würde wohl der Prinz dagegen unrecht haben, wenn er von der Entschuldigung einer gewissen jungen schönen Dame Gebrauch machen wollte, welche auf die Frage ihrer vertrauten Freundin: »ob sie denn keinen innern Vorwurf fühle, so oft sie mit eben jenem Munde, der ihrem Gemahle am Altare ewige Treue gelobte, ihren Geliebten küsse?« – mit der heitern Miene der Unbefangenheit antwortete: »Es war eine vorlaute Anmassung des Mundes, einem andern Theile meines Leibes eine Verbindlichkeit aufzulegen, wozu er dessen Zustimmung nicht vorher erholt hatte. Nach der Meinung der berühmtesten Naturphilosophen hat kein Theil des Leibes einen Vorzug vor dem andern; keiner kann und darf sich zum Vormunde des andern aufdringen, weil jeder für seinen Wirkungskreis gleich wichtig ist; darum müßte, nach dem fernern Dafürhalten aller Rechtsgelehrten, mein Gemahl, sollte er sich durch mein Verhalten beschädiget finden, von meinem Munde, der sich diese Eigenmächtigkeit erlaubte, und doch im Treubruche mit dem Beispiele vorangeht, den angeblich gebührenden Schadenersatz verlangen.

[153] Schlichter hatte inzwischen nach dem Rathe seines Freundes Schab eine Broschüre in den Druck gegeben, unter dem Titel: ›Geschichte des unglücklichen Falles der durchlauchtigsten Prinzessin Eleonora über eine Meerrettigwur zel auf dem Balle bei der Hoftheater- und Kammersängerin Rosa, nebst einer getreuen Abbildung dieser Meerrettigwurzel, nach der Natur gezeichnet.‹«

Wie hier etwas nach der Natur gezeichnet werden konnte, was in der Natur nicht, sondern nur imGehirne des Leibarztes existirte, möchte wohl Manchem ein Räthsel scheinen, der die Unverschämtheit der Bücherspekulanten nicht näher kennt.

Die Bilderspekulanten treiben es noch ärger. Sie liefern Phantasieportraite berühmter oder berüchtigter Männer aus eigener Fabrike, welche dem Originale so ähnlich sehen, wie eine Meergrundel einem Sonnenadler.

In Madrid und andern Städten Spaniens sieht man häufig an den Kirchthüren Zettel angeschlagen, auf welchen die Worte zu lesen sind: Heute wird eine Seele aus dem Fegfeuer erlöst!

Da dieß eine reine Glaubenssache ist, Niemanden schadet, und dennoch andächtige Gesinnungen erreget, so hab' ich nichts dagegen einzuwenden. Aber dabei bleibt es in diesem Lande nicht immer, wie meine verehrten Leser sogleich vernehmen werden.

In der Stadt Toledo befindet sich eine kleine Kirche, [154] Namens San-Gines. Eine kleine Treppe führt in dieser zum obern Theile des Gebäudes, wo man seitwärts, in einer Vertiefung in der Mauer, einen Kasten von weißem Blech erblickt. In diesem Kasten ruht eine Seele, welche weder in das Fegfeuer noch in den Himmel kommen konnte; der Geistliche wollte sie daher auch nicht in der Kirche dulden, und wies ihr diesen Raum in der Mauer an. Täglich werden Gebete zu ihrem Heile gesprochen, und man ist allgemein überzeugt, daß sie nach 20 Jahren so glücklich seyn werde, Eintritt in das Fegfeuer zu erhalten. Auch dieß geht noch an; aber daß sich Jemand gefunden hat, der ein Abbild dieser Seele zeichnete, und einem Gebete zur Erlösung derselben vordruckte, das ist ein denkwürdiges Unternehmen.

Schlichter sendete elegant gebundene Exemplare dieser Broschüre an den ganzen Hof, an den Adel, an die hohen Staatsbeamten, an die fremden Diplomaten, und wohlhabendsten Bürger; die Exemplare an Rosa besorgte, seinem Versprechen gemäß, Herr Schab.

Bald darauf erhielt Schlichter eine Schachtel mit einem Briefe: es hieß, ein, Herr in einem blauen Oberrocke habe sie gebracht.

Hastig öffnete Schlichter den Brief und las:


[155] »Euer Wohlgeboren!«


»Die durchlauchtigste Prinzessin Eleonora dankt für die durch Ihr Werk über Höchstderen Unfall bewiesene, ausgezeichnete Theilnahme, und bittet Sie, die mitfolgende Veranlassung desselben als ein geringes Zeichen der Anerkennung an Ihrer Uhrkette zu tragen, und zwar zum fortwährenden Andenken an die Huld der Prinzessin. Mit der größten Hochachtung unterzeichnet


Ihre
ergebene Dienerin
Rosa

Diese Veranlassung war – eine der größten Meerrettigwurzeln, die man weit und breit finden konnte, in Crizot gefaßt, dem Golde täuschend ähnlich, mit einem Ringe versehen, um sie an die Uhrkette befestigen zu können.

Schlichter hielt diese Meerrettigwurzel für den neuesten Pariser Berlokengeschmack, und hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Bestimmung der Geberin zu vollziehen, indem er sie an seine Uhrkette hing. DaSchlichter ein kurzer, rund gebundener Mann war, so reichte dieses moderne Anhängsel bis auf sein rechtes Knie hinab, und berührte, im schnellen Gange des stets Geschäftigen, gar oft auch, und zwar ziemlich unsanft, sein linkes Knie. Die Erinnerung an die Geberin versüßte ihm jedoch diese kleine Unbequemlichkeit, und da Jedermann über diese sonderbare[156] Gabe seine Verwunderung ausdrückte, so war er den ganzen Tag über in den meisten Kaffee- und Weinhäusern zu finden, um das Vergnügen zu haben, sich an dem Staunen der Beschauer zu ergötzen.

Wie sehr ärgerte sich aber der glücklicheSchlichter, als er einige Tage darauf von derObersthofmeisterin der Prinzessin ein sehr verbindliches Danksagungsschreiben nebst einer goldenen Uhr empfing, indem es ihm nun klar wurde, wie sehr man ihn mystifizirt hatte.

Daß sein Wallfischbauchgenoß Schab der Urheber dieses Spaßes sey, daran zweifelte er keinen Augenblick, und beschloß ihn mit gleicher Münze zu bezahlen.

Er schickte daher den Bedienten eines guten Freundes, einen verschmitzten Burschen, zu allen Gärtnern, wie man dort die Gemüsehändler nennt, die in der Hauptstadt, und im Umkreise von einer Stunde zu finden waren, und ließ bei denselben ihren ganzen Vorrath von Meerrettigwurzeln für den Herrn Schab mit dem Auftrage bestellen, am nächsten Tage Morgens acht Uhr mit der bestellten Waare vor der Wohnung des Schab zu erscheinen.

Schon um sieben Uhr Morgens saß Schlichterin einem Kaffeehause gegenüber am Fenster, schmauchte mit schadenfroher Gemüthlichkeit sein Pfeifchen, und sah die Meerettigwurzellieferauten, Männer, Weiber und Kinder, mit Körben, Kisten, Fässern und Säcken, im großen Zuge die lange Straße herankommen.

[157] Niemand kam aus Schab's Hause, der die Vorräthe verlangte; mit dem Schlage acht Uhr trat also einer der Entschlossensten in Schab's Wohnung, und meldete ihm die Ankunft seiner Bestellungen.

Schab sprang mit gleichen Füßen aus dem Bette, und an's Fenster, gegen welches schon alle Nasenspitzen der unten Harrenden gerichtet waren; als er aber den Freund Schlichter gegenüber so herzlich lachen sah, daß ihm der Kaffee, welchen er eben trank, in braunen Thränen aus den Augen floß, so wußte er gleich, wem er diesen Schabernack zu verdanken habe.

Es waren der Gemüsehändler zu viele, um sie durch Entdeckung des Possens, oder durch eine geringe Vergütung beschwichtigen zu können; auch wäre dadurch Schlichters Plan vollkommen gelungen.

Ohne seine innere Empfindung zu verrathen, handelte Schab um den genauesten Preis, und kaufte sämmtliche Vorräthe zum großen Erstaunen des Herrn Schlichter, der gar zu gerne Streit gesehen hätte, um zum Schlichten desselben herbeigerufen zu werden.

Da nun weit und breit kein Meerrettig mehr zu haben war, so reizte gerade dieser Umstand den Appetit darnach, und die Nachfrage wurde augenblicklich so groß, daß Schab alle seine Vorräthe mit bedeutendem Gewinn wieder absetzte.

Schlichter hatte sich also zum Vortheile seines Freundes [158] an diesem gerächt, und blieb dennoch selbst im Nachtheile; denn Jedermann sprach von der sonderbaren Meerrettigwurzel an seiner Uhrkette, und er durfte zu seinem größten Leidwesen weder den ächten Brief noch die erhaltene goldene Uhr vorzeigen, ohne selbst zu verrathen, daß er früherhin getäuscht worden sey.

Der Vertrag mit den drei Vätern
Der Vertrag mit den drei Vätern.

Beinahe zwei Monate waren bereits mit unbemerkter Eile vorübergegangen, und die Drüsenanschwellung am Leibe der Prinzessin Eleonora nahm mit jeder Woche zu, anstatt ab, während am Knie keine Spur einer Beschädigung durch die Meerrettigwurzel mehr zu erblicken war, deren Nachwehen sich vielmehr aufwärts gezogen zu haben schienen. Beide Freundinnen ließen sich ganz gleiche Hauskleider machen, welche von einer Hüfte zur andern einen Faltengürtel bildeten, um durch gleichen Umfang des Leibes kein Aufsehen zu erregen.

»Wie steht es nun mit uns beiden?« fragte eines Abends der Gesandte, als er mit Rosa vertraulich auf einem Divan saß, und das Anschwellen ihres Leibes für zweifellose Schwangerschaft hielt.

[159] »Wollen Sie mich etwa heirathen?« erwiederteRosa hastig.

»Liebes Kind, dieß kann ich aus tausend Ursachen nicht, die ich dir theils schon erzählt, theils auch verschwiegen habe. Doch eine Entschädigung will ich dir geben, unter der Bedingung, daß ich weder als Vater vor einer weltlichen oder geistlichen Behörde genannt, noch jemals nachträglich zur Erfüllung irgend einer fernern Verbindlichkeit angehalten werde.«

»Wie viel?«

»Zweimalhunderttausend Franken!«

»Topp! es gilt! in das Taufregister des Pfarramtes wird nur der Name der Mutter und des Kindes gesetzt, wenn dieses außerehelich erzeugt wurde; Niemand frägt in diesem Falle nach dem Namen des Vaters; Sie sind vor Entdeckung sicher.«

Der Loskauf war geschlossen, und der Gesandte stellte vier Wechsel aus, jeden zu 50000 Franken, zahlbar nach Sicht. Da ihm jedoch Rosa bemerkte, daß die Einkassirung so bedeutender Summen, im Falle sie von ihr geschähe, zu allerlei Nachspürungen und widrigen Gerüchten Anlaß geben könnte, so erbot sich der Gesandte, ihr au porteur lautende Staatspapiere dafür einzuhändigen, was er auch am folgenden Tage that.

Der Fürst schwamm in einem Meere von Wonne, als ihm Rosa die Gewißheit gab, Vater zu werden; daß [160] er Großvater genannt sey, wußte er freilich nicht. Vergebens bot er ihr Gold in Fülle, Juwelen, die kostbarsten Shawls und Kleinodien der seltensten Art an, sie schlug jedes Geschenk aus, und betheuerte, daß die Annahme eines solchen sie in die Klasse der gewöhnlichen Mätressen setzen, und mit Gleichgültigkeit gegen ihn anstatt mit erhöhter Liebe erfüllen müßte.

»Nun, so äußere irgend einen Wunsch, dessen Erfüllung dir angenehm wäre; ich verbürge dir die unbedingte Gewährung bei meinem fürstlichen Worte!«

»Wohlan, ich nehme Euer Durchlaucht bei dem gegebenen Worte. Die Prinzessin Eleonora, welche mich mit ihrem Vertrauen beehret, hat mir gestanden, daß sie den Prinzen Paul liebe, und von ihm innig geliebt werde, und daß sie kein größeres Glück auf Erden kenne, als seine Gattin zu werden. Nur die Zustimmung Eurer Durchlaucht fehlt noch; diese ist es nun, um welche ich bitte.«

»Ich kann sie nicht geben; politische Rücksichten hindern mich!«

»Von Politik versteh' ich nichts, aber so viel weiß ich, daß die Prinzessin Eleonora durch die Hätte Eurer Durchlaucht eine Beute des Grames aus unglücklicher Liebe, und somit ein frühes Opfer des Todes werden wird.«

»Das wolle Gott verhüten!«

[161] »Und nächst Gott Eure Durchlaucht! Wie groß wird Ihre Vaterfreude seyn, wenn Sie in Ihrer erlauchten Familie an ein und demselben Tage eine Doppelhochzeit feiern werden?«

»Wie so?«

»Der Erbprinz und Eleonora!«

»Bei jenem hab' ich schon alle Hoffnung aufgegeben; Chiaretti ist zwar verreiset; aber wenn sie zurückkehrt, fängt der Handel wieder von vorne an.«

»Chiaretti wird wohl nicht mehr zurück kommen, so viel ich vernommen habe.«

»Nicht?«

»Nein.«

»Weißt du dieß gewiß? Sie hat doch nur eine Reise in Familienangelegenheiten angetreten!«

»So sagt man, doch zweifle ich, daß sie jemals in ihre bisherigen Verhältnisse zurücktreten werde. DerErbprinz hat sich bei seinem jüngsten Besuche, womit er mich beehrte, sogar geneigt geäußert, ernstlich an eine eheliche Verbindung zu denken, und es wäre mir in der That nicht sehr bange, seinen Willen zur That zu bestimmen.«

»Rosa, wenn dieß in deiner Macht stände, wenn du mir als Vermittlerin entgegen trätest, so würde ich augenblicklich in Eleonorens Verbindung mit dem Prinzen Paul einwilligen!«

[162] »So ist denn das Doppelglück ihres Hauses entschieden; der Erbprinz hat mich wirklich bevollmächtiget, Eurer Durchlaucht seinen festen Entschluß hiewegen zu eröffnen, und da auf diese Weise nun auch die Erfüllung des höchsten Wunsches derPrinzessin Eleonora keinem Anstande mehr unterliegt, so darf ich diesen Tag als einen solchen in meinem Tagebuche bezeichnen, der durch die Beglückung theuerer Wesen zu den Festtagen meines Lebens gehört.«

Von diesem Augenblicke an war Rosa nicht mehr blos die Geliebte des Fürsten, sondern seine Göttin, sein Orakel, und nichts geschah, ohne daß er zuvor ihre Meinung erholte.

Eleonorens Seligkeit zu schildern, möchte wohl eine schwere Aufgabe sein! Nun stand sie dem Ziele ihrer schönsten Wünsche so nahe! Augenblicklich schrieb sie ihrem geliebten Paul den günstigen Stand der Verhältnisse, und daß seine Bewerbung die erfreulichste Aufnahme finden werde. Paul säumte auch nicht, sogleich die nöthige Einleitung zu treffen.

Der Erbprinz trat eine sehr ausgedehnte Reise an, besuchte die vorzüglichsten Höfe und fand an einem derselben eine achtzehnjährige, wunderschöne Prinzessin, die mit den Grazien an Anmuth, und mit Engeln an Tugenden wetteiferte.

Die Werbung nahm bald ihren förmlichen Gang;[163] Rosa wußte es so zu lenken, daß der Fürst die Doppelvermählung auf einen Tag festsetzte, der gerade zwei Monate nach Eleonorens Entbindung anbrach.

Inzwischen machte es ein gewaltiges Aufsehen, daß Rosa schon seit mehreren Monaten weder auf der Bühne aufgetreten, noch in der fürstlichen Kapelle erschienen war. Diese Ferien schienen vom Fürsten stillschweigend genehmiget zu seyn. Dem gewöhnlichen Argwohne gemäß muß eine Bühnenkünstlerin, welche einige Zeit hindurch nicht vor dem Theaterpublikum erscheint, schwanger seyn, und die liebe Fama weiß dann immerhin gleich eine Menge Väter zu nennen. So hieß es denn auch, Rosa sey die erklärte Geliebte des Fürsten, sey von ihm schwanger, und der Fürst lasse die Prinzessin Eleonora nur deßwegen unter dem Vorwande bei ihr wohnen, um im Gesange Unterricht zu nehmen, damit vor der Welt ein annehmbarer Entschuldigungsgrund für Rosas Benehmen bestehe.

Wer diesem Gerüchte am wenigsten Glauben schenkte, war der Gesandte.

»Wär's wirklich so,« dachte er sich, »so würde sie, sey's auch nur, um den Ruf des Fürsten zu schonen, ja selbst mit Zustimmung desselben, mich als Vater vorgeschoben, und mein Anerbieten, ihr meine Hand zu reichen, mit Vergnügen angenommen haben.«

Der Ankauf einer so außerordentlich großen Summe in Staatspapieren schien ein Grund mehr für die Glaubwürdigkeit [164] des Gerüchtes; durch einem unbedeutenden Zufall ward es nämlich bekannt, daß diese Staatspapiere in Rosa's Hände kamen.

Fragte Jemand in den Salons der Großen, worin die Klatschereien in eine Art von System, durch Geschmack versüßt, gebracht werden, den Gesandten vertraulich in einer Ecke: »Nun, was sagen Sie zu dem Verhältnisse des Fürsten mit der SängerinRosa? Glauben Sie daran? Soll sie wirklich von ihm schwanger seyn?« so zuckte er gewöhnlich die Achseln, mit einer Miene, die mehr Glauben als Unglauben zu verrathen schien, und erwiederte: »Außer den beiden Hauptpersonen kann eine dritte in solchen Angelegenheiten selten etwas Verlässiges wissen, es sey denn unmittelbar aus dem Munde der Betheiligten; und wer möchte selbst in diesem Falle die Wahrheit der Mittheilung verbürgen?«

Obgleich Rosa bei dem Theater, bei der Hofkapelle and am Hofe selbst sehr viele Feinde hatte, so wagte es dennoch Niemand, die Fürstin von diesen Gerüchten in Kenntniß zu setzen. Ihre fürstliche Ehre hätte in jedem Falle eine Einschreitung auf irgend eine Weise nöthig gemacht, und wenigstens wäre Rosa's Entfernung aus der Hauptstadt veranlaßt geworden. Selbst der Fürst, um keinen Verdacht zu geben, würde nichts dagegen eingewendet und die Geliebte gleichwohl der Gemahlin aufgeopfert haben; ein Fürst ist ja in seinem häuslichen Leben [165] der öffentlichen Meinung höhere Rücksichten schuldig, als irgend ein Privatmann. Es waren jedoch so donnerschwere Stoffe über Rosa's Haupte aufgehäuft, daß die furchtbare Entladung eines Hochgewitters selbst von unserer Rosa nicht mehr bezweifelt wurde; von welcher Seite es aber losbrechen werde, konnte sie nicht voraussagen, weil politische Gewitter nicht gleich den natürlichen, in schwarzen, drohenden Wolkenmassen am Horizonte sich aufthürmen, für Jedermann sichtbar.

Die Hauptarmee von Rosa's Feinden ließ das Vorpostengefecht durch den Vorstand des Theaters eröffnen, der in seinem dummen Eigendünkel sich in einer großen Gesellschaft kurz zuvor laut geäußert hatte: »er wolle dieser hochmüthigen Bretterdame schon noch zeigen, wer zu befehlen habe, und wer gehorchen müsse.« Dieser rednerische Uebergriff seiner Ansicht von Amtswürde floß jedoch aus einer trockenen Quelle, aus einem Korbe nämlich, den sie ihm auf einige verwegene Anträge gereicht hatte.

Rosa konnte nämlich von jener Zeit an nicht mehr auftreten, als die fortgeschrittene Schwangerschaft der Prinzessin jenen Umfang sich eigen machte, der keinen Zweifel über die veränderten Verhältnisse übrig ließ, damit die drei Väter in ihrem Glauben ja nicht irre würden.

Der Leibarzt hatte daher der Rosa das nöthige ärztliche Attest ausgestellt, und darin ein erdichtetes Uebel unter einem barbarischen, halb lateinischen, halb griechischen [166] Titel aufgeführt, dessen gründliche Heilung den ununterbrochenen Genuß der Landluft, und das Enthalten vom anstrengenden Singen erforderlich mache. Er selbst wußte übrigens mehr nicht, als daß Rosa die Prinzessin nicht zu verlassen wünsche, fühlte sich aber durch die Gewissenhaftigkeit Rosa's, womit sie für die Erfüllung ihres ihm gegebenen Versprechens sorgte, zu allen Gegengefälligkeiten verpflichtet. –

Der Herr Theatervorstand setzte sich in den hohlen Kopf, worin es auch bequemen Raum fand, – daß dieses Attest nun einmal nicht genügen sollte.

Bekanntlich werden nur die Herrn und Damen an Hofbühnen abwechselnd von spielhindernden Krankheiten und Unpäßlichkeiten befallen, welche lebenslänglich angestellt sind, und den Verlust ihrer dienstlichen Vortheile nie zu befürchten haben; ankleinen Theatern, deren Unternehmer durch das Personal vom Publikum leben müssen, dürfen sie gar nicht krank werden, ja nicht einmal kränklich, wie der genannte Herr Theatervorstand die Unpäßlichen lange Zeit auf den Zetteln nennen ließ. Da er nun einmal im Zuge war, boshaft zu seyn, so schrieb er unserer Rosa: aß dieses ärztliche Attest nicht hinreiche, die Theaterdirektion über die Wirklichkeit ihres Krankseyns zu beruhigen, und er sich sohin verpflichtet finde, den Theaterarzt zur persönlichen Untersuchung abzuordnen.

[167] Rosa schrieb ihm sogleich zurück: »Verschonen Sie gefälligst den Theaterarzt mit einem Besuche auf meinem Landhause, indem ich es für weit einfacher halte, wenn Sie die Verfügung treffen wollen, daß mein Gehalt als Sängerin sowohl auf der Hofbühne als in der fürstlichen Kapelle, bis zu meinem Wiederauftreten eingezogen werde.«

Eine solche Antwort hatte diese lebendige Parodie eines Theatervorstandes nicht erwartet, und beschäftigte sich drei Tage lang mit dem Nachsinnen über die weiters zu ergreifende Maßregel, als eine papierne Kabinetsnase, das heißt: eine Kabinets-Entschließung des Fürsten ihm sein instruktionswidriges Verfahren rügte.

In seiner gereizten Dummheit rannte der alberne Mensch zur alten Hofdame, durch deren Schürzengunst er auf diesem Posten stand, klagte über desFürsten ungerechte Kränkung seiner dienstlichen Ehre, und bat um eine Audienz bei der Fürstin, die er auch erhielt. Vom Eifer des Vortrages hingerissen, erzählte er alle Gerüchte, die in der ganzen Stadt über das ausschweifende Leben Rosa's und über ihr Verhältniß mit dem Fürsten für baare Münze galten. Die kluge Fürstin hörte ihn schweigend und lächelnd an, wohl wissend, daß die rechte Zeit zum Handeln noch nicht gekommen sey.

Wie gewonnen, so zerronnen
[168] Wie gewonnen, so zerronnen.

In stiller Zurückgezogenheit lebten die beiden Freundinnen, die Prinzessin Eleonora undRosa, auf dem schönen Landhause, von wenigen Besuchen gestört.

Der Fürst verlebte seine freien Stunden in ihrer Mitte. Endlich erschien der Tag, wo die Frucht ihre Hülle sprengt, und ein Knäblein erblickte das Licht der Welt, um nach vierzehn Stunden die Augen auf ewig wieder zu schließen, nachdem es der Fürst als vermeintlicher Vater viele tausendmal geküßt hatte. Die Dienste einer Hebamme wurden von Fanny und Betty mit dem besten Erfolge geleistet.

Rosa lag im Wochenbette wie eine erbleichende Rose, durch die Hülfe der Schminke; der Fürst war unmittelbar nach der Geburt, die ihm sogleich angezeigt werden mußte, der glücklichste Mann von der Welt; er bedeckte Rosa und das Kind mit zahllosen Küssen, und eben so heftig war sein Schmerz, als sein Liebling vom kurzen Daseyn schied. Die Prinzessin fügte sich leicht in diesen Verlust, da sie sehr wohl einsah, daß sie dieses Kind niemals als ihr rechtmäßiges würde betrachten und behandeln dürfen, Mit Einwilligung des Fürsten wurde es im Blumenbeete auf der Rosainsel ohne Priestersegen begraben. Nach sechs Wochen begab sich der Fürst, um sich zu zerstreuen, nach [169] Carlsbad, und diePrinzessin wieder an den Hof; der Fürst aber übertrug seiner Gemahlin, für die kurze Zeit seiner Abwesenheit, die Leitung aller Regierungsangelegenheiten.

Der Sturm bricht los
Der Sturm bricht los.

»Wer an den Galgen gehört, ersäuft nicht!« lautet ein altes, gutes, deutsches Sprichwort, das auch bei Antonio keine Ausnahme machte. Als er aus dem Reisewagen entsprang, und in den Abgrund stürzte, fiel er, ohne an eine vorragende Klippe zu streifen, senkrecht in das Wasserbeet der Tiefe hinunter.

Im Kloster hatte er schon als Chorknabe Gelegenheit gefunden, sich in der, bereits im Hause seiner Eltern, – Fischerleute – erlernten Schwimmkunst immer mehr zu üben, und bekanntlich macht die Uebung den Meister. Er gewann daher bald wieder das Ufer, trocknete seine Kleider an einem Meiler, übernachtete bei dem Köhler, und wanderte mit Tagesanbruch auf das Stammschloß des Exministers Grafen von Spindel, der ihn mit der größten Herzlichkeit aufnahm, als er von einem Racheplan hörte, der unfehlbar gelingen müsse.

Unter dem Vorwande, diesen nach allen Seiten zu[170] überlegen, schloß sich die Frau Gräfin jederzeit mit Antonio in ihr Kabinet ein, so oft ihr Gemahl auf die Jagd ging, wahrscheinlich um durch fortgesetztes Ueberlegen für das lange Entbehren dieser geistigen Beschäftigung sich schadlos zu halten.

Aber diese Herrlichkeit dauerte nur wenige Tage, da eines Abends Signora Chiaretti in dem Wagen eines Landpfarrers wohlbehalten ankam. Vom Kammerdiener des Erbprinzen über die Grenze des Reiches gewiesen, überschritt sie dieselbe eine Stunde seitwärts, und traf den alten Herrn Pfarrer eben auf dem Felde unter seinen Arbeitsleuten. In ihrem Kleiderpäckchen hatte sie gar klüglich ihr Gold versteckt, um es wo möglich bei der nächsten Gelegenheit auf eine sinnige Weise zu vermehren. Dieß gelang ihr nun auch bei dem alten Herrn Pfarrer, der einem aufgetischten Mährchen von gewaltsamer Entführung und gelungener Flucht gutmüthig Glauben schenkte, sie einlud, einige Tage auf seinem Pfarrhofe der nöthigen Ruhe zu pflegen, und sie endlich für die praktische Beantwortung einiger erheblicher Zweifel über den wesentlichen Unterschied zwischen dem Cölibate und Nichtcölibate, der ihm bei seiner kürzlich gestorbenen steinalten Köchin, nie recht klar werden wollte, reichlich beschenkte, und in seinem eigenen Wagen nach dem Stammschlosse des Grafen vonSpindel fahren ließ.

Wer erinnert sich hier nicht an Hetzers Denkschrift, [171] die er unserer Rosa übergab, und worin er viel zu günstig von dem Charakter dieser listigen Italienerin urtheilte? Allein welcher Mann vermag sich einer erschöpfenden, durch nichts zu täuschenden Kenntniß der Weiberherzen zu rühmen? Sie verläugnen zwar nie ihre innerste Natur, wissen sich aber nach den Umständen zu richten, und beobachten das bekannte eilfte Gebot mit aller Strenge, welches lautet: »Laß dich bei Uebertretung der zehn andern nicht ertappen!«

Auf des Exministers Stammschlosse hätten die Bewohner nun füglich ein Lustspiel von Kotzebue aufführen können: »Das getheilte Herz, oder: die respektable Gesellschaft

Antonio theilte nämlich sein Herz zwischen der Gräfin und Chiaretti; er wollte keine von Beiden schmachten lassen, da die besondern Vorzüge jeder Einzelnen die möglichste Berücksichtigung verdienten. Anfangs versuchte Antonio die Macht des Geheimnisses, und erklärte jeder unter vier Augen, sie sey die Auserkorene, und er fühle nichts für die Andere; Beide aber waren so diskret, das Harte einer solchen Ausschließung nicht zu billigen, wollten auch durch ein blindes Vertrauen auf Antonio's Versicherungen, diesem nicht den Triumph vergönnen, Beide getäuscht zu haben. Sie willigten also in die Theilung, und wußten sich so durch Eintracht und Zusammenwirken die geheimen Wonnen ungewöhnlich zu versüßen.

[172] Die Pausen zwischen Genuß und Ruhe wurden benützt, dem Exminister reichhaltigen Stoff zur Anklageakte zu liefern, die er gegen Rosa schmiedete. Durch dieses verläumderische Machwerk hoffte der gefallene Günstling sich wenigstens zu rächen, wenn es ihm auch nicht gelingen sollte, wieder einen politischen Einfluß zu gewinnen. Um Rosa zu verderben, die er für die Veranlasserin seines Sturzes hielt, opferte er den häuslichen Frieden der fürstlichen Familie auf.

Am Hofe regte sich noch gemeines Dienstgezücht, durch die Verwendung des früherhin allesvermögenden Kabinetsministers untergebracht, dem sein Gold die Lügenzunge löste; was noch fehlte, ergänztenAntonio und Chiaretti, unterstützt von dem Grimme der so furchtbar getäuschten Gräfin, die an der Wiege ihres bausbackigen Stallbübchens stündlich an den erlittenen Schimpf erinnert wurde.

Endlich ward die von diesen vier Personen unterzeichnete Schandbill an die Fürstin abgesendet.

Der wichtigste Klagepunkt bezeichnete Rosa nicht blos als eine im höchsten Grade unsittliche Person, sondern beschuldigte sie sogar geradezu eines sträflichen Umganges mit dem Fürsten und demErbprinzen zugleich. Die Unterzeichneten erboten sich übrigens, ihre Aussagen mit einem feierlichen Eide zu bekräftigen, und erhielten schon [173] nach zehn Tagen die Weisung, zu einer bestimmten Frist am fürstlichen Hoflager einzutreffen, wo sie das Weitere erfahren würden.

Rosa's Talisman gegen den Sturm
Rosa's Talisman gegen den Sturm.

Jede hohe Dame hat eine Vertraute für ihre kleinen Angelegenheiten; dieß war auch der Fall bei derFürstin; welche jener diese wichtige Zuschrift zur Durchsicht und Meinungsäußerung gab.

Die Dame konnte als eine vernünftige Frau nichts Besseres rathen, als in einer Sache mit der größten Vorsicht zu verfahren, in welche der fürstliche Gemahl und der Erbprinz verwickelt zu seyn schienen, und stimmte in dieser Meinung mit der eigenen Ansicht der Fürstin vollkommen überein, welche beschloß, durch einen öffentlichen Akt entweder derRosa Gelegenheit zu geben, ihre Schuldlosigkeit an diesen schweren Anklagen zu beweisen, oder sie gleichwohl den Folgen ihrer Fehltritte bloszustellen, ohne jedoch in beiden Fällen von den betheiligten Hauptpersonen eine öffentliche Erwähnung zu machen.

Die Obersthofmeisterin der Prinzessin Eleonore war eine Herzensfreundin der Vertrauten der Fürstin, [174] daher sie denn auch schon in der nächsten Stunde von der ganzen Lage der Dinge volle Kenntniß erhielt, und natürlich nicht säumte, unsere Rosa sogleich davon in Kenntniß zu setzen.

Rosa merkte gleich den Zusammenhang der Sache, und erkannte die finstere Quelle, aus welcher diese Anschuldigungen flossen.

Auf der Stelle reichte sie ihr Entlassungsgesuch ein, und bat um Pässe zu einer sehr großen Kunstreise. In kurzer Zeit empfing sie eine Zuschrift von dem Vorstande der Hofbühne, der ihr die bewilligte Entlassung im Namen der Fürstin mit dem Bedeuten eröffnete, daß sie hinsichtlich des Passes am nächsten Tage Morgens eilf Uhr im Audienzsaale Ihrer Durchlaucht den weitern Bescheid erhalten werde.

Die Eile, womit man die Entlassung ausfertigte, mußte unsere Rosa im gerechten Gefühle ihres Werthes als Künstlerin tief kränken, und sie beschloß nun fest, in die weite Welt zu reisen. Daher gab sie ihrer Dienerschaft den gemessenen Auftrag, Alles zur Abreise auf morgen bereit zu halten. Ihre Pflegeeltern, Wagner und sein Riekchen, bat sie, während ihrer Abwesenheit ihr Landhaus zu beziehen, und so gut als möglich dafür zu sorgen, daß alle ihre Anlagen im besten Stande bleiben, indem sie nach dieser letzten Kunstreise auf dieser heimathlichen Stätte ihr Leben zu beschließen gedenke.

[175] Im Audienzsaale der Fürstin war am andern Morgen ein reges Leben. Der Vorstand der Hofbühne stand um 10 3/4 Uhr bereits mit den Herren und Damen aus der Kunstwelt auf der linken Seite, auf der rechten befanden sich die Vorstände von Hofstellen, mehrere Kammerherren und Damen.

Bald darauf trat Rosa ein, ganz einfach, weiß gekleidet, auf dem Haupte einen Kranz von weißen Rosen tragend. Mit sichtbar erzwungener Artigkeit nahten sich ihr einige Hofherren, doch schien die Menge jede Annäherung zu scheuen.

Mit dem Schlage eilf Uhr öffneten sich die Flügelthüren des Kabinets der Fürstin, aus welchem sie, von dem kleinen Dienste umgeben, in die Mitte der Versammelten trat, und auf einem erhöhten Stuhle Platz nahm. Sie heftete einen langen, forschenden Blick auf Rosa.

»Ich habe Sie rufen lassen,« begann sie endlich, »um Ihre Verantwortung über verschiedene gegen Sie erhobene Anklagen zu vernehmen, die Sie in diesem Schreiben finden werden.«

Ein Kammerherr übergab Rosa die Klageschrift, welche sie mit der größten Ruhe des Gemüthes las, und mit den Worten zurückgab: »Darf ich Eure Durchlaucht bitten, mir meine Ankläger gegenüber zu stellen?«

Die Fürstin gab ein Zeichen mit der Hand, und zur [176] allgemeinen Verwunderung traten aus einer Seitenthüre ein: der Exminister und seine Frau, Antonio und Chiaretti.

»Diese also sind meine Ankläger?« fragte Rosa mit einem mitleidigen Lächeln, das an Verachtung streifte.

»Ja,« erwiederte die Fürstin; »was haben Sie dagegen zu erinnern?«

»Ich habe nur eine einzige Bitte, die mich aller weitern Verantwortung überheben soll. Darf ich Eure Durchlaucht um die höchste Gnade bitten, mich nur zwei Minuten lang mit einer geheimen Audienz zu beglücken?«

Die Fürstin gewährte ihr diese Bitte, erhob sich vom Stuhle, ging in ihr Cabinet, und winkte ihr, zu folgen.

Alle Anwesenden waren in der gespanntesten Erwartung.

Nach drei Minuten trat die Fürstin wieder aus ihrem Kabinete, Rosa an ihrer Hand führend.

»Blei meinem fürstlichen Worte,« sprach sie, »erkläre ich hiermit, daß dieses liebenswürdige Mädchen so rein ist wie der reinste Diamant. Mit diesem Kusse besiegle ich mein wohlgeprüftes Zeugniß!«

Die Fürstin drückte einen Kuß voll Innigkeit au Rosa's Stirne.

[177] In den Mienen der Anwesenden wechselten die verschiedenartigsten Empfindungen: Theilnahme, Beschämung, Aerger über den fehlgeschlagenen Plan, und über die getäuschte Erwartung scandalöser Auftritte.

»Zum voraus von Ihrer Unschuld überzeugt,«fuhr die Fürstin fort, »liebe Rosa, wollte ich, daß Ihre Rechtfertigung eben so glänzend, als unerhört die Vermessenheit der Anklage seyn solle. Ich werde diesen Vorfall meinem hohen Gemahle und Herrn unverzüglich berichten, und seine Befehle zur weitern Einschreitung mir erbitten. Bis dahin mögen die Verläumder in strengster, abgesonderter Haft ihrer wohlverschuldeten Strafe entgegen sehen.«

Sie wurden von der Leibwache, ungeachtet Rosa für sie um Gnade bat, sogleich abgeführt.

Die Fürstin versuchte alle Mittel der Ueberredung, um Rosa von dem Entschlusse abzubringen, die fürstlichen Dienste zu verlassen; sie bequemte sich sogar zu bitten in Gegenwart so vieler Zeugen, jedoch vergebens.

»So sehr ich auch die große Huld Eurer Durchlaucht verehre,« – versetzte Rosa, »so muß ich doch um die Erlaubniß bitten, von der Entlassung, womit ich wahrscheinlich durch die freundschaftliche Verwendung des Herrn Vorstandes der Hofbühne so ungewöhnlich schnell überrascht wurde, Gebrauch machen zu dürfen. Tausend Andere würden an der Stelle Eurer Durchlaucht, so grellen Anklagen [178] gegenüber, mich bei weitem nicht so schonend behandelt haben, und dennoch kann ich das schmerzliche Bewußtseyn nicht verhehlen, daß Eure Durchlaucht auch nur die Möglichkeit denken konnten, mich schuldig zu finden. Die gegen mich thätige Cabale würde nicht aufhören, an meinem Verderben zu arbeiten, wenn ich in meiner bisherigen Stellung bliebe, und wie wenig gehört dazu, den Untergang eines Menschen herbeizuführen, wenn die Ueberzahl der Bösen alle ihre Mittel zu einem so fluchwürdigen Zwecke in Bewegung setzet! Wer sich in die Gefahr begiebt, kommt darin um; ich will ihr ausweichen, und im tröstenden Gefühle meiner anerkannten Unschuld, im Geleite der beglückenden Huld Eurer Durchlaucht, meine Kunstreise antreten, und nach Beendigung derselben, mit Höchst Ihrer Erlaubniß, auf meinem Landhause in der Nähe der Hauptstadt mein Leben beschließen, ferne von dienstlichen Verpflichtungen, die den Frieden meines Gemüthes zu gefährden vermöchten«.

»Für diesen Fall, den ich voraussah,« erwiederte die Fürstin, »empfangen Sie mit meinem Glückwunsche diese Empfehlungsbriefe an die verwandten Höfe, welche Ihnen überall die beste Aufnahme verschaffen werden. Als einen Beweis meiner fürstlichen Gnade und Gewogenheit hänge ich diese goldene Kette mit dem Kreuze von Diamanten um Ihren Nacken, die bisher den meinigen schmückte. Um Ihnen aber auch noch eine öffentliche Genugthuung für ehrenrührige [179] Gerüchte zu geben, werde ich Sie in meinem eigenen Wagen bis zur nächsten Poststation begleiten.«

Nach diesen wahrhaft fürstlichen Worten umarmte sie unsere Rosa, die vom innigsten Danke gerührt, weinend zu ihren Füßen sank.

In langen Reihen oder dichten Gruppen bedeckten Arme von beiden Geschlechtern, Greise, erwerbunfähige Männer und Weiber mit vielen Kindern an der Hand oder auf den Armen, den großen freien Platz vor der fürstlichen Residenz, und die schöne lange Straße bis zum Thore hinab, um ihrer mütterlichen Wohlthäterin das letzte Lebewohl zu sagen. Mit tiefer Bekümmerniß hatten sie die plötzlichen Reiseanstalten gesehen, und die schmerzliche Kunde vernommen, daß sie auf unbestimmte Zeit aus ihrer Mitte scheiden werde.

Den herzlichsten Antheil an der Scheiterung dieser Intrigue, an dem glänzenden Triumphe Rosa's, nahm gewiß die Prinzessin Eleonore, die ihr die Rettung ihrer Ehre und die süße Hoffnung einer nahen Verbindung mit ihrem Geliebten, dem PrinzenPaul, verdankte.

Zwischen der Fürstin und der PrinzessinEleonore schritt Rosa die Treppe hinab; hinter ihnen gingen die dienstthuenden Kammerherren in Galla, und die Pallastdamen. Der fürstliche Wagen mit sechs Pferden bespannt, hielt schon am Fuße der Treppe mit offenem Schlage, von [180] Mohren, Jägern und reich bordirten Lackeien umgeben weiter rückwärts Rosa's Reisegefolge neben drei Wägen: den ersten derselben bestiegen ihre Pflegeältern, Wagner und sein Riekchen, um Rosa das Geleit zu geben. Zu demselben Zwecke standen mehr als dreißig Wägen hintereinander, und die zahllosen Verehrer der schönen Sängerin unter den Offizieren und Hochschülern hatten sich bereits zu einer berittenen Ehrengarde geschaart.

Sobald Rosa, die in ihrem einfachen Kleide einem Engel der Unschuld glich, einem jener Himmelsgebilde, die wir in den frommen Träumen unserer Kindheit nicht selten sahen, vom Volke erblickt wurde, brachen die Armen händeringend in ein lautes Wehklagen aus, das tief durch jedes fühlende Herz schnitt.

»Weinet nicht, meine lieben Kinder,« tröstete sieRosa, »ich verlasse euch nur auf kurze Zeit, und während meiner Abwesenheit wird meine liebe Pflegemutter fortfahren, die kleinen Unterstützungen zu spenden, die ihr auf eine so dankbare Weise zu vergelten sucht!«

Mit lautem Freudenrufe drängten sich nun die Getrösteten heran, um Rosa's Hand, oder wenigstens den Saum ihres Kleides zu küssen; die kleinen Kinder, auf den Armen der Mütter, streckten hold lächelnd die zarten Händchen gegen Rosa aus, wie dankend oder bittend, und das gepreßte Herz dieses edelmüthigen Mädchens löste sich in Thränen der Rührung auf, die über ihre Wangen perlten, [181] wie der feinste Morgenthau über die neugebornen Blätter einer vom Zephyrhauche aufgeküßten Rosenknospe.

Bleich und regungslos, wie ein Standbild von cararischem Marmor, unfähig, den unendlichen Schmerz der Trennung auch nur durch eine einzige Thräne zu mildern, lehnte Fritz Wagner, der Jugendgespiele und Liebling Rosa's, an einem riesigen Candelaber von schwarzem Gußeisen, deren einige die Seitenwände der Haupttreppe schmückten. Vergebens raffte er seine ganze Mannheit zusammen, um von ihr Abschied zu nehmen; es war ihm unmöglich. Er liebte sie mit dem ganzen Wahnsinn jugendlicher Begeisterung; sein Herz glaubte nicht an die zahllosen, schmähsüchtigen Gerüchte, womit man die Reinheit ihres Wandels zu verdächtigen bemüht war. Rosa liebte ihn nicht minder; doch sie wollte seinen innersten Charakter genau kennen lernen, bevor sie ihm ihre Gegenliebe gestand.

»Vergiß mich nicht, lieber Fritz,« rief sie ihm mit der ihr eigenthümlichen, unaussprechlichen Grazie zu, »so wie ich deiner stets in Liebe gedenken werde. Vielleicht sehen wir uns bald wieder, und dann gewiß auf eine sehr lange Zeit. Leb' recht wohl!« So sprechend schritt sie an ihm vorüber; Fritz aber, seiner Gefühle nimmer mächtig, in heiße Thränen ausbrechend, drängte sich hastig durch das hemmende Gewühl, und ließ an unbelauschter Stätte dem schwerverhaltenen Strome freien Lauf.

[182] Am Schlage des Wagens schlang Eleonore noch einmal ihre Arme um Rosa's blendend weißen Nacken, und schien sich von der vertrautesten Freundin ihres Herzens gar nicht trennen zu wollen. Endlich nahm diese Platz an der Seite der Fürstin, grüßte überaus freundlich mit den Augen und Händen die gerührte Menge, und fort flog der Wagen, wie von des Sonnengottes flüchtigen Rossen gezogen; ihm nach der endlose Zug von Wagen und Reitern, wie der lange Schweif eines leuchtenden Kometen.

Spät in der Nacht kamen Rosa's Pflegeältern in das Landhaus zurück, das sie bis zu ihrer Heimkehr bewohnen sollten, und brachten noch tausend Grüße von Rosa an den lieben Fritz mit. Dieser hörte nicht auf zu fragen, bis er von seinen Eltern überRosa's Gesinnungen gegen ihn vollkommen im Reinen war. Er war nun fest überzeugt, daß sie ihn liebe, und aus Schüchternheit da Geständniß ihrer Liebe nicht gewagt habe, und obwohl er alle Arten von Verläumdungen ihres Rufes genau kannte, so siegte doch sein Herz über die Macht der argen Welt. Fest entschlossen, sein ganzes Daseyn an Rosa's Schicksal zu knüpfen, bat er schon am nächsten Morgen, obgleich er bei der fürstlichen Hofbühne eine lebenslängliche, sehr vortheilhafte Anstellung hatte, am seine Entlassung, und acht Tage darauf bestieg er freudigen Muthes den Eilwagen, um seiner Geliebten nach Berlin zu folgen.

Der Querstrich
[183] Der Querstrich.

Vor vielen Wochen schon hatte ich den ersten Theil meiner »Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin« meinem sehr verehrten Freunde, dem Herrn Buchhändler Franckh in Stuttgart im Manuscripte, seinem Wunsche als Verleger gemäß, mit dem Ersuchen übersendet, mir gefälligst zu eröffnen, welchen Umfang das ganze Wert erhalten solle, da ich in Bezug auf die von Rosa angetretene Reise mit den interessantesten Notizen von meinen an allen Orten und Enden der Welt zerstreuten literarischen Freunden überrascht worden sey.

Ich schmeichelte mir, daß mein Herr Verleger auf diese lockende Nachricht wenigstens 3 bis 4 Theile des Werkes wünschen, und mit seiner gewohnten pünktlichen Liberalität reichlich honoriren würde, legte auch schon das Papier zurecht, um so mit Lust und Liebe den Faden der Erzählung fortzuspinnen, als ich folgende, gänzlich unerwartete Rückäußerung von ihm erhielt:


Mein verehrtester Freund!


Der erste Theil Ihrer Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin entspricht meiner Erwartung vollkommen, und ich würde Sie ersuchen, dieses [184] interessante Werk nicht blos auf 3 bis 4, sondern auf 5 bis 6 Theile auszudehnen, wenn ich nicht inzwischen auf eine eben so glückliche als vortheilhafte Weise das Verlagsrecht von Rosa's Gardinenseufzern an mich gebracht hätte. Im Anschlusse übersende ich Ihnen ein Exemplar davon, mit dem Wunsche, daß Sie mit Benützung Ihrer reichhaltigen Quellen eine neue, vermehrte Ausgabe dieses höchst selten gewordenen Buches veranstalten, und die Memoiren selbst nur auf zwei Bände beschränken möchten.

Die geneigten Leser mögen mir also meine abgedrungene Kürze aus diesem Grunde verzeihen, und sich durch die Lektüre der neuen Ausgabe vonRosa's Gardinenseufzern, welche demnächst erscheinen wird, nach Belieben entschädigen.

Berlin
Berlin.

Es gibt wohl schwerlich ein angenehmeres Leben unter der Sonne, als das Leben einer großen Sängerin auf Reisen, besonders wenn mit diesem seltenen Geschenke der Natur die Schönheit des Körpers verbunden ist. Gold und Ehre geleiten sie aus einem Kunsttempel in den andern; ihr Ruhm wiederhallet in den öffentlichen Zeitschriften in [185] Prosa und in Versen, und fühlet sie von einem Pfeile Amors sich auch nur geritzt, so reicht ein einziger Blick, ein leichtes Nicken des holden Köpfchens hin, um hunderte von den ersten Wundärzten der Liebe zu ihren Füßen zu sehen. Da nun überdies eine wahre Künstlerin nicht altert, gleich den Schuhen der Kinder Israels in der Wüste, so wird diesen Bühnenengeln auch weit länger, und oft bis an das Ende ihres kunstreichen Lebens gehuldiget, als den alltäglichen Weltdamen, welche blühen, Früchte tragen, und zuletzt ungepriesen in den Schooß der Erde zurückkehren, aus der sie geformt wurden.

Freilich beruht Alles auf Täuschung und auf der Macht des Herkommens bei diesen Ansichten von dem Werthe der Bühnenkünstler, und es stünde übel mit diesen, wenn der Methodist Wertworth mit seiner Meinung die Welt bekehren könnte: »daß ein Schauspielhaus ein Ort sey, wo Satan alle Abend so viele Seelen für vier Silberlinge haben könne, daß es ihn gereue, den Judas einst mit dreißig bestochen zu haben.«

»Die Zeit heilt Alles,« sagt ein altes Sprichwort, und da ich Sprichwörter gar sehr in Ehren halte, wie meine schöne Leserinnen oft schon bemerkt haben, so muß ich auch gestehen, daß dieß aus dem guten Grunde der Erfahrung geschieht.

Die Menschen nehmen dieses Sprichwort wie einen köstlichen Balsam gegen Seelenwunden hin, und scheinen [186] gar keine Ahnung von der gräßlichen Wahrheit zu haben, die hinter diesen schmeichlerischen Worten verborgen ist. Die Zeit heilt freilich Alles, aber wie! Die Heilung ist ungefähr dieselbe, wie die Entfernung von Kopfschmerzen durch die Enthauptung. Wenn zwei Wesen sich unendlich lieben, und durch die Liebe fast in Eins verschmelzen, und das Eine stirbt, oder wird durch äußere Gewalt von dem Andern getrennt, oder durch List oder Macht der Verführung zur Untreue verleitet, so heilt die gutmüthige Zeit, diese barmherzige Schwester der Ewigkeit, zwar den Schmerz der Vernichtung auch, der die Seele zur Verzweiflung bringt, doch nur indem sie das Herz zuvor in tausend Stücke zerreißt, um sie mit der kühlenden Salbe der Hoffnung, oder mit der Wermuthsalbe der Trostlosigkeit pfuschermäßig zu überkleistern.

Die Zeit heilte die vorübergehende innere Aufregung Rosa's gar bald. So manche schöne Erinnerung stärkte ihre Seele mit süßen Hoffnungen einer glücklichen Zukunft, glücklich durch wahre Liebe.Fritz, der Gespiele ihrer Jugend, war der Engel ihrer Träume, die Quelle ihrer Sehnsucht. In ihren Mantel gehüllt lag sie im Fond des Wagens, daß von dem himmlischen Antlitze nur noch die zwei leuchtende Sterne zwischen den wallenden Locken hervorblitzten, wie die Venus am sommerlichen Abendhimmel zwischen lichtumsäumten Gewölke.

Der Ruf ihres leichtsinnigen Wandels hatte den schuldlosen, [187] schüchternen Jüngling seit ihrer Heimkehr immer von ihr entfernt gehalten, und auch ihr Leben auf dem Landhause bot dem unbefangenen Beobachter so viele Blößen, daß Fritz im täglichen Kampfe mit den Wechselgefühlen der Hoffnung und Entsagung beinahe zu erliegen fürchtete.

Diejenigen kennen die Natur der Liebe gar nicht, welche behaupten, es sey hinreichend, von dem zweideutigen Charakter irgend eines Wesens, das man liebe, überzeugt zu seyn, um nach dem Gebote der Vernunft dieser Liebe zu entsagen. Dieß ist einer der größten Fehlschüsse, die jemals gemacht wurden, wie das eigene Beispiel dieser sogenannten Vernunftmenschen täglich zeigt, welche von der Brandung der Leidenschaft eben so stürmisch ergriffen werden, als die vermeintlichen Vernunftlosen. Der erfahrene Weltmensch wird wohl in kurzer Zeit wissen, was er von den Sitten seines geliebten Gegenstandes zu halten habe: seine Vernunft wird ihm unaufhörlich zurufen: »entsage einer so unwürdigen Liebe!« vergebens; die Liebe ist so stark, daß sie die Vernunft der sieben Weisen Griechenlands mit den zartesten Damenarmen erdrücken könnte.

»Unserm Fritz, der gar keine Neigung hatte, den achten Weisen zu spielen, war also mit der Vernunft auch nicht viel geholfen. Er sagte wohl manchmal zu sich selbst: Vergiß Rosa; sie weiß ja ohnehin nicht, daß du sie liebst; suche ein hübsches frommes unbescholtenes Mädchen, und sey glücklich mit ihr; führe sine Jungfrau zum Altare, die [188] größte Bürgschaft einer glücklichen Ehe; Milton, der unsterbliche Dichter des verlorenen Paradieses, hatte auch den Grundsatz, nie eine andere als eine Jungfrau zu heirathen, und hielt dreimal Wort; die Welt wird mit Fingern auf dich weisen, wenn du die berühmte – Sängerin heimführest als dein eheliches Weib, das den Werth der eigenen körperlichen Reize nach dem berüchtigten Tarife der Liebe zu schätzen vermag. Sey ein Mann und entsag' ihr!« Er hatte aber gut reden, es blieb deßwegen doch immer beim Alten, und sein Herz flüsterte ihm Tag und Nacht zu:


»Die ist es, oder Keine sonst auf Erden!«


Eines Mittages stand Rosa am Fenster ihres Zimmers im ersten Gasthofe zu W**, während die Wirthin mit geläufiger Zunge die Annehmlichkeiten des kleinen Städtchens pries, und die Vorzüge ihres Gasthofes bis zum Himmel erhob. Dabei vergaß sie auch ihre eigene Person nicht, und rühmte ihre Frömmigkeit, eheliche Treue, Mutterliebe, Verträglichkeit, Kochkunst, Hauswirthschaftskenntniß, und noch eine Menge anderer trefflicher Eigenschaften, Erschöpfend den ganzen Umfang des Selbstlobes, gleich den Schriftstellern, welche die für die Oeffentlichkeit bestimmten Ankündigungen ihrer Werke im größten Posaunenformat der klassischen Vollendung ihren Verlegern übersenden, ging die plaudernde Frau Wirthin auf die Schattenseite des [189] häuslichen Lebens im Städtchen über, und rupfte allen Weibern und namentlich, durch die Erzählungen ihrer unerlaubten, geheimen Verbindungen, wo möglich das letzte gute Haar aus.

Rosa schien ihr nur ein geneigtes Gehör zu schenken, in der That aber dachte sie in diesem Augenblicke nur an ihren Fritz. Plötzlich bemerkte sie am offenen Fenster des durch eine schmale Straße vom Gasthofe getrennten, gegenüberstehenden Hauses, eine Frau von ungefähr 30 Jahren, mit einer sehr einnehmenden Gesichtsbildung, und fragte die Wirthin, wer diese Frau sey.

»Mein Gott,« – erwiederte die Wirthin eilig, – »das ist die schon seit zwölf Jahren geschiedene Frau eines herzoglichen Unterbeamten! Warum sie von ihrem Manne geschieden ist, das will ich Ihnen gleich sagen. Im Kriege von 1806, wo die Franzosen die Preußen so gar entsetzlich schlugen, und ihnen ein Capital von Hieben aufzählten, welches die braven Preußen 1813 und 1815 wahrhaft mit Wucherzinsen wieder redlich zurückbezahlten, war unser Städtchen mit Franzosen ganz überschwemmt, die sich in ihren Forderungen sehr ungestüm benahmen, und gar nicht selten die gewaltsamsten Eingriffe in die Gardinenrechte der armen Ehemänner erlaubten. Sie waren auch gar nicht heikel in der Wahl, und die Alten so wenig sicher, als die Jungen. Darum suchte auch jeder sorgsame Gatte seine theure Ehehälfte so gut als möglich in Sicherheit [190] zu bringen. Ein herzoglicher Unterbeamter, der Mann eben dieser damals vielleicht 18 bis 20 Jahre alten Frau, ging mit ihr, seinem Kinde und einer Magd zu einem Lampenputzer in der Vorstadt, um in der unscheinbaren, fast ganz in der Erde liegenden Behausung desselben, sich und die Seinigen der Aufmerksamkeit zudringlicher Feinde zu entziehen.«

Diese Hoffnung täuschte bald, denn eine Stunde nach ihrer Ankunft in des Lampenputzers Spelunke, schlugen schon mehrere Franzosen an die verschlossene Hausthüre, und begehrten mit drohender Stimme Einlaß. Die Frau und die Magd krochen unter das Bett, das Kind versteckte sich in demselben. Die eintretenden Franzosen wurden von Unterbeamten und Lampenputzern mit verstelltem Jammer über ihre Dürftigkeit empfangen, und entfernten sich sogleich wieder, mit dem Versprechen einer baldigen Rückkehr. Sie hielten auch richtig Wort, und brachten einen lebendigen Ziegenbock mit, dessen Bereitung nach den Vorschriften einer delikaten Küche sie verlangten, mit dem Bemerken, daß sie nach einer Stunde zu speisen wünschten.

Während die Anwesenden über die zweckmäßigste Todesart des Bockes berathschlagten, wählte er den besseren Theil, und sprang zum Fenster hinaus. Die Franzosen lachten, als sie kamen, herzlich über den klugen Einfall des Küchenopfers, und über die Todesangst seiner Wächter, holten auch sogleich Braten, Wein und Käse.

[191] Der Unterbeamte, der Lampenputzer und die Franzosen ließen sich's weidlich schmecken, als diese plötzlich behaupten, die Andern hätten den Bock vorsätzlich entspringen lassen, oder versteckt, und dem Kinde den Kopf abzuschneiden drohten, wenn sie ihn nicht herbeischafften.

Bei dieser lebhaften Bewegung trat einer der Franzosen auf den Fuß der Frau Unterbeamtin, den sie gerade in diesem Augenblicke wegen krampfhafter Anfälle ausgestreckt hatte; nun wurden Beide bei den Füßen hervorgezogen. Die Franzosen ergötzten sich auf alle Art mit ihnen, wie sie denn in diesem Punkte, wie bekannt, ganz verfluchte Teufelskerle sind, wobei dem armen Manne gar nicht wohl zu Muthe war. Er rief seiner Frau heftig zu: »Liebe Frau, sträube dich doch, so viel du kannst,« – worauf sie aber, um ihn zu beruhigen, erwiederte: »Lieber Mann, hier hilft kein Sträuben, es ist am Besten, ich halte mich ruhig!« Allein sie hielt sich nicht ruhig; denn obgleich sie kein verständliches Wort sprach, so gab sie doch Töne von sich, die den Mann fast zur Verzweiflung brachten. Er wendete sich also mit dem nämlichen Rathe an die Magd, welche ihm zur Antwort gab: »Wofür halten Sie mich denn? Glauben Sie, ich diene Ihrer Frau Gemahlin nur im Glücke? Nein, ich will auch im Mißgeschicke nicht von ihrer Seite weichen, und will nicht, daß es mir besser gehe, als der Frau Beamtin; ich will ebenfalls mein Schicksal mit Geduld ertragen, denn ich fürchte mich zu sehr vor ihren Säbeln.«

[192] »Um sich vor den allenfallsigen Folgen der französischen Annäherung zu bewahren, berührte der Unterbeamte von diesem Augenblicke an seine Frau nicht mehr, die nach neun Monaten von einem muntern kleinen Franzosen entbunden wurde, von dem es mich nur wunderte, daß er nicht schon in der Wiege französisch plauderte. Die Scheidung blieb nicht lange aus. Ja, wenn mein Alter ehemals so eifersüchtig gewesen wäre, wie oft hätte er sich müssen scheiden lassen, und was wäre aus unserer schönen Wirthschaft, aus unserem ersten Gasthofe der Stadt geworden!«

So endete die tugendhafte Wirthin ihre Erzählung, und Rosa bestieg wieder ihren Reisewagen, der sie am nächsten Mittage in das Weltberühmte Berlin trug, dessen kunstsinnige Bewohner Pökelfleisch und Erbsen zum vorzüglichsten Lieblingsgerichte gewählt haben, Theeabguß mit Butterbrödchen für etwas Delikates halten, die besten Weine mit Zucker versetzen, und sogar den Salat seiner legitimen Rechte berauben, indem sie ihn mit Zucker oder Syrup zubereiten.

Schon als Rosa durch das Brandenburger Thor fuhr, fühlte sie sich unwohl, und dennoch nahm sie noch zwei Stunden lang die Besuche der Zeitungsredakteure und Recensenten an, ein Volk, das sich im Grunde, mit geringer Ausnahme, überall gleicht. Sie suchen mittelbar oder unmittelbar mit ankommenden Theatergästen bekannt zu werden, [193] um sie durch ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung so oder so geschmeidig zu machen; sind aber die AnkömmlingeDamen, dann ziehen sie schon die unmittelbare Berührung vor.

Unter den Theaterrecensenten, die dutzendweise über die Treppe des ersten Gasthofes heraufpolterten, war auch einer der Lords vom Mühlendamme, wie man spaßhaft die Kommis in den Krambuden betitelt, die sich unter einer langen Colonnade befinden. Da Theaterrecensenten, wie sie größtentheils sind, nicht wie sie seyn sollen, weiter nichts zu verstehen brauchen, als zuloben oder zu schimpfen, so wird sich Niemand wundern, wenn auch Ladendiener alsKunstrichter figuriren. Rosa ließ Jeden einzeln vor; viele davon erneuerten nur die frühere Bekanntschaft; da jedoch diese Federhelden wie Giftpilze sich vermehren, so gab es darunter auch eine Menge neuer Gesichter.

Der Lord vom Mühlendamme war einer von diesen. Er überhäufte Rosa mit den auserlesensten Artigkeiten, und überreichte ihr, als er sich empfahl, einen Brief, mit der verbindlichen Bitte, den guten Rath nicht zu verschmähen, den er enthalte.

Kaum hatte der Krambudenlord das Zimmer verlassen, als sie der Neugierde nicht widerstehen konnte, und ihn erbrach. Zu ihrem größten Erstaunen las sie folgendes:


[194] »Schöner Engel!«


»Ich liebe den geraden Weg, doch mehr denschriftlichen als mündlichen. Wenn ich auch nicht so glücklich war, Ihre Gardinenseufzer zu hören, so hab' ich sie doch gelesen, und dabei den Wunsch gefühlt, eben so glücklich zu seyn, als jene Herren, ohne mit ihnen die Thorheit des unmäßigen Geldaufwandes zu theilen. Eine Hand wäscht die andere, und ich würde gerne die Ihrige waschen, durch eine unbedingte Lobpreisung Ihres Gastspieles, wenn Sie mich zuvor mit Ihrer Huld beglücken möchten, deren Werth nach meiner Ansicht gerade darin läge, daß sie nichts kosten dürfte. Bestimmen Sie also gefälligst den Ort und die Stunde. Weit entfernt, wie andere Recensenten, mich mitGold bestechen zu lassen, begnüge ich bescheiden mich mit Naturalien. Sollten Sie aber diesen Vorschlag nicht annehmen, so rechnen Sie darauf, daß ich meine Feder in Gift, ja in Blausäure tauchen werde, um kein gutes Haar an Ihrer Person und an Ihrem Gastspiele zu lassen. Bis zur Entscheidung


Ihr


Nachschrift. ganz ergebener
Morgen früh um 8 Uhr wird Ralf.«

die Antwort abgeholt.


[195] Die Unverschämtheit dieses Menschen überstieg alle Vorstellung; Rosa wußte nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte. Er war von ausgezeichneter Häßlichkeit, und schon ein tüchtiger Fünfziger. Nach eingezogener Erkundigung paradirte er schon im Kriege von 1806 als Nationalgardist in Berlin, und mochte als solcher damals wohl oft das Spottgedicht: die Berlinade, – gehört haben; welche lautet:


»Heute bin ich Herr Gardist,
Morgen karr' ich wieder Mist;
Heute trag' ich Stock und Degen,
Morgen muß ich Gassen fegen,
In Berlin, in Berlin,
Wo wir auf die Wache ziehn.« u.s.w.

Was konnte Rosa auf diesen Brief antwortenSchweigen wäre nicht ohne Gefahr geblieben, eben so wenig als Verzögern; man weiß, wie weit die gereizte Nache eines Recensenten zu gehen vermag. Sie hätte wohl auch den klugen Ausweg ergreifen können, dessen sich einst der berühmte Eßlair in Berlin bediente, als er wenige Minuten vor dem Beginne eines Gastspieles von einem sichern O.I., wie man späterhin soll erfahren haben, einen Brief erhielt, der ihn mit einer vernichtenden Kritik bedrohte, im Falle er sich nicht mit einer gewissen Summe in blanken Friedrichsd'or loskaufen würde.Eßlair las nämlich diesen Brief vor dem Anfange des Stückes dem Publikum öffentlich vor, wodurch die ganze Intrigue scheiterte. [196] Der Inhalt des anRosa geschriebenen Briefes war jedoch von so delikater Natur, daß sie ihn nicht wohl öffentlich mittheilen konnte, ohne ein großes Scandal zu wagen Sie zog daher eine vertröstende Antwort vor, und ließ ihm durch Fanny eröffnen: sie willige gerne in sein Begehren, dessen etwas drohende Form auf Rechnung seiner feurigen Liebe gestellt werden müsse, jedoch erst nach acht Tagen, da sie gegenwärtig so unwohl sich befinde, daß sie sich genöthigt sehe, sich der Kur eines Arztes zu unterziehen.

Ein anderer als dieser Krambudenlord hätte diese Kur so bedenklich gefunden, daß ihm alle fernere Lust vergangen wäre; nicht so dieser alte Mädchenjäger, der mit dem erhaltenen Termine vollkommen zufrieden war.

Rosa befahl ihrem Kammerdiener, für einen geschickten Arzt zu sorgen, um einer schweren Krankheit vorzubeugen, die sonst ohne Zweifel sich entwickeln würde.

Der Kammerdiener erkundigte sich im Gasthofe nach einem Arzte vom ersten Range, und man nannte ihn den bekannten jüdischen Arzt Dr. B*, der damals in Berlin ein außerordentliches Aufsehen machte. Er hatte auch noch zwei andere, ganz eigene Titel: »der Türke,« weil er so üppig wie ein Morgenländer lebte, und ein kleines Serail von wunderschönen Mädchen hielt, dessen Thüre von zwei großen englischen Doggen bewacht wurde, die gleich dem Cerberus jedem Spekulanten auf Amors Kabinetspapiere[197] den Eingang verwehrten, – und: »der Rosenkönig,« weil alle Zonen der Erde die auserlesensten Rosen spenden mußten, um seine Liebhaberei in diesem Punkte zu befriedigen.

B* erschien in größter Eile, und erklärte Rosa's Uebelbefinden aus einer leichten Erkältung auf der Reise, die sich bis zum nächsten Morgen durch den Gebrauch einer ganz einfachen Arzenei vollkommen heben werde. Er hatte Rosa bei Gelegenheit ihres frühern Aufenthaltes in Berlin nicht gesehen, weil ihn gerade damals ganz besondere, auf den Staatspapierhandel einflußreiche Verhältnisse in Wien zurückhielten. Der Jude verläugnet sich nie; er muß spekuliren, sey's nun im Kleinen oder Großen; daher konnte auch Dr. B* neben seiner ärztlichen Praxis dem Handel nicht entsagen, machte jedoch späterhin, in Folge einer überspannten Gewinnsucht, Bankrott. –

Eine ganze Stunde lang saß er an Rosa's Bette, von ihrem Anblicke bezaubert, und gerne hätte er sein ganzes Serail zum Fenster hinausgeworfen, oder in Säcke gesteckt und ersäuft, für den Preis ihrer beglückenden Liebe. Wohl wissend, daß es keine Antwort gebe ohne Frage, spielte er auf Rosa's galante Abentheuer in andern Hauptstädten an, und bat sie, ohne Rückhalt zu bestimmen, was sie für ihre thätige Neigung verlange. Rosa versicherte ihn lächelnd, daß er diese Frage nach ihrer Genesung mit größerem Erfolge stellen würde.

[198] Berauscht vom Vorgefühle seines schönen Sieges, verließ er sie, und Rosa sank bald darauf in die Arme eines erquickenden Schlafes.

Als sie am andern Morgen, neu gestärkt und vollkommen wohl, erwachte, standen Betty undFanny vor ihr, den Kammerdienst zu besorgen, geheimnißvoll lächelnd.

»Was habt ihr nun wieder, ihr närrischen Mädchen? Da steckt sicher wieder eine Schelmerei im Hintergrunde!«

Rosa in ihrem gewöhnlichen Morgenkleide, ein Mantel von himmelblauem Sammet mit Zobelpelz verbrämt, trat in das größete Vorgemach ihres Schlafkabinetes, und stand plötzlich in einem süß duftenden Haine der auserlesensten englischen Rosenbäume, die in schimmernden Gefässen hier mit unzähligen Rosen prangten. Dieser Anblick überraschte sie in hohem Grade; die Idee hiezu konnte nur aus der feinsinnigsten Galanterie entsprungen seyn. Mitten in diesem Rosenhaine frühstückte nun die Königin der Rosen,Rosa, umgeben von ihren Gesellschaftsdamen, und von den zwei vertrauten Dienerinnen, Betty undFanny. Von diesen erfuhr sie, daß Dr. B* der galante Zauberer dieses Rosenreiches, mitten in der Nacht gewesen sey.

Noch am Morgen dieses Tages genoß Rosa die Ehre, vor dem Könige und den Prinzen des Hauses zu singen, und für ihr ausgezeichnetes Talent den schmeichelhaftesten Beifall zu ärnten.

[199] Der alte Kammerherr Graf S**, einer der sinnigsten Lebemenschen des Berlinerhofes und zugleich so ungeheuer reich, daß die Erben des kinderlosen Junggesellen noch öfter die noch wenigen Tage seines Daseyns zählten, als er selbst seine Friedrichsd'or, hatte kaum die schöne Sängerin erblickt, als er sich auch schon so grenzenlos in sie verliebte, daß er sogleich beschloß, sie um jeden Preis zu besitzen.

Als er sie aus dem Kabinete des Königes zum Wagen geleitete, bat er sie um eine Stunde nach dem Preise des von ihr festgesetzten Tarifes. Diese anmaßende Kürze des alten Wollüstlings kränkte Rosa, daher sie ganz kurz antwortete: »In Berlin verdoppeln Künstlerinnen ihre Preise!« Der alte Graf, obschon in Fällen, wo es galt, menschenfreundlich zu handeln, sehr geizig, schloß gleich den Handel auf das Doppelte ab. Rosa bewilligte ihm die zweite Stunde nach dem Ende der Oper: »Elisabeth« von Rossini, worin sie am Abende auftreten wollte, weil der alte Graf meinte, eine Künstlerin könne nur dann den neunten Himmel gewähren, wenn sie eben von den Triumphen einer Prachtrolle siegestrunken zurückkehre, und ihre feinsten Nerven noch in fieberhafter Bewegung seyen.

Man sieht, daß der alte Herr das Lehrgeld der Liebe nicht umsonst bezahlte, freilich kein großes Compliment für seinen Verstand, weil man ja doch Amors Schliche lernbegieriger studirt, als die Pandekten.

[200] Er unterhielt, wie Jedermann in ganz Berlin wußte, eine junge hübsche Tänzerin, – Bärbchen hieß sie, mit großen Kosten, und sie unterhielt dagegen schöne Gardeoffiziere mit natürlichen Talenten. Der witzige Einfall von einem dieser Herren, als ihmBärbchen ein so eben vom Grafen erhaltenes, prächtiges Kleid zeigte: »Nun, Bärbchen, wirst Du es Deinem Nährvater hoch aufnehmen?« konnte für eine Parodie der Wirklichkeit gelten; denn was würde der Pfeil auf dem Bogen nützen, dessen Sehne der Schütze nicht zu spannen vermöchte?

In dem Augenblicke, als Rosa dem alten Grafen die gewünschte Stunde bewilligte, ließ er sich im Corridor auf ein Knie vor ihr nieder, und küßte zärtlich ihre Hand. Der verdammte Zufall fügte es, daß zu gleicher Zeit ein Küchenjunge mit seiner weißen Schlafhaube und Schürze, einen großen Bratenwender in seiner Hand, den er schwang wie Rolands Schwert, aus einem schmalen Seitengange trat, und somit Augenzeuge dieses Auftrittes wurde. Dieser Junge war der einzige leibliche Sohn jener Wittwe, bei welcherBärbchen wohnte, und durch die Gefälligkeiten der hübschen Tänzerin in das Hofküchenreich befördert worden. Natürlich mußte er also seiner tanzenden Gönnerin sich sehr ergeben zeigen, und lief spornstreichs mit dieser Nachricht zu ihr. Sie lag noch in den Federn. Der goldlockige Junge von 14 bis 15 Jahren mußte sich auf ihr Bett setzen, und genauen Bericht erstatten. Sie schien nicht heiter gestimmt, [201] weil ein Freund, der sie eben verlassen, sie mit dem, was er ihr zu sagen hatte, nicht befriedigte. Daß der alte Graf vor Rosa kniete, war ihr ganz gleichgültig; aber sie kannte den alten Lüstling, der keine Summe scheute, wenn er nur seinen Lüsten genügen konnte.Gold sollte ihr nicht entgehen, seine Titularliebe vergönnte sie jeder Andern.

In ihrem Unwillen wühlte sie in seinen Locken, kniff ihn derb in die vollen Wangen, und trieb alle ordentlichen Possen und Neckereien. Zuletzt preßte sie einen so kräftigen Kuß auf seinen Mund, daß ihm die Lippen bluteten, und die Spuren ihrer kleinen Perlenzähne trugen; als aber der arme Junge den Kuß erwiedern wollte, jagte sie ihn im schneeblanken Hemdchen mit Fußstößen zur Thüre hinaus.

Zu seinem Unglücke trat bald darauf der alte Graf zum Morgenbesuche ein. Er nahm ganz unbefangen neben ihrem Bette Platz, und Bärbchen schien das heiterste Mädchen von der Welt. »Gutes Kind, laß Dir einen herzlichen Kuß geben,« – sprach der Alte im Laufe des Gespräches, erhob sich mit einiger Mühe, und neigte sich über das liebliche Köpfchen der Kleinen hin, die holdlächelnd ihre Arme öffnete. Allein statt ihn zu umarmen, riß sie die Perrücke von seinem Kahlkopfe, und schlug sie ihm mit unausweichbarer Gewandtheit so lange um den Mund, als sie sich nur rühren konnte, während sie ihn zugleich mit [202] einer Fluth der auserlesensten Schimpfworte überströmte, Gleich einer Wildkatze, die im, Walde von einem Baumaste auf ein argloses Reh herabstürzt und die scharfen Klauen in seinen Nacken schlägt, so war sie aus dem Bette gesprungen, um ihn von Zimmer zu Zimmer zu verfolgen, Wie oft ein Wanderer in den Frühlichtstrahlen durch einzelne Nebellücken in anmuthige Fernen schaut, so ergötzte sich der Alte an der wechselnden, Drapirung von Bärbchens Hemdchen, sey's nun Zufall oder Kunst, oder eine berechnete Combination beider gewesen, und vergaß darüber die Thätlichkeiten des wüthenden Mädchens.

Athemlos warf er sich in einen Armstuhl und begehrte zu capituliren. Mit dreyßig Friedrichsd'or war der Friede hergestellt, und kaum fühlte Bärbchen das Gold im zarten Händchen, als sich plötzlich die Wildkatze in ein Turteltäubchen verwandelte.

Ohne meine verehrten Leser und Leserinnen mit den Verrichtungen der Turteltäubchen zu langweilen, will ich nur erwähnen, daß zwei Stunden nach der Anführung der Elisabeth, worin ein rasender Beifall jede Gesangesnummer Rosa's krönte, der alte Graf für seine 40,000 Franken eine pfennigvergeltliche Waare erhielt, und ganz vergnügt sich nach Hause trollte.

Inzwischen war Dr. B. auf den Einfall gekommen; unter der Hand als bereits geschehen zu erzählen und erzählen zu lassen, was jedoch nur erst ein angedeutetes Versprechen [203] schien, um Rosa der Frucht einer allenfalls reuigen Sinnesänderung zu berauben. Diese erfuhr des Doktors Benehmen und sann auf Rache.

Auch Ralf hatte unter Bekannten und Unbekannten Abschriften seines an Rosa geschriebenen Briefes vorgelegt und mit dem Erfolge seiner Drohungen schon zum voraus geprahlt; dieß that er zuerst bei dem Hoftraiteur Jagor, wo sich einige FreundeRosa's befanden, und diese wählte sie nun zur Ausführung ihres Planes.

Endlich mußte auch noch der alte Graf in's Garn gehen, dessen Geiz in der vollen Nüchternheit des nächsten Morgens die große Kaufsumme, oder vielmehr Miethsumme einer unwesentlichen Realität schmerzlich vermißte. Um seinem Aerger Luft zu machen, erzählte er in den ersten Familien des preußischen Adels der Hauptstadt sein theures Abentheuer. Rosa erfuhr auch diese Verrätherei, lächelte, und schrieb ihn zu den Auserlesenen, über welchen bereits die Rache an einem Seidenfaden hing.

Die dritte Rolle war vorüber; Tausende standen auf dem großen Platze vor dem schönen Theater, die sie bei dem Austritte aus dem Kunsttempel mit einem unbeschreiblichen Jubelrufe empfingen. Zahllose Fackeln flammten; Enthusiasten wollten die Pferde ausspannen, und fühlten ein Etwas in sich, was sie würdig machte, die Stelle derselben zu ersetzen. Mit Mühe konnte Rosa dieß abwenden.

[204] Vor und nach Mitternacht ertönten die herrlichsten Ständchen vor ihren Fenstern.

Am andern Morgen schickte Rosa Einladungskarten an alle ihre guten Freunde zu einem ländlichen Abschiedsmahle auf einem hübschen Landhause an der Spree, wohin ihre Reiseequipage bereits vorausgegangen war, weil sie unmittelbar nach dem Mahle abreisen wollte. Zu diesem Zwecke hatte sie auch bereits ihre Abschiedsvisiten gemacht, und dieses Landhaus nur für diesen einzigen Tag gemiethet, um ihre Pläne auszuführen.

Tag und Nacht waren Arbeiter beschäftiget, die Zimmer geschmackvoll einzurichten; das Geld des alten Herrn Grafen litt schon eine glänzende Verwendung. Dicht am Ende des Gebäudes wurde ein Pavillon aus Holz errichtet, dessen Wände im Erdgeschoße aus Segeltuch gemacht waren. Die ganze Gesellschaft speiste an diesem herrlichen Sommernachmittage im Freien. Unter den Gästen befanden sich auch Ralf, der eigens auf diesen Tag vertröstet war, Dr. B*, und der alte Kammerherr, Graf S*, der seine 40,000 Franken noch nicht vergessen hatte. Die Gesellschaft war äußerst fröhlich; es wurde keine andere Weinsorte getrunken, als Champagner, so wie auch Rosa gewohnt war, nie ein anderes Getränk zu nehmen. Daß es darum nicht an benebelten Köpfen fehlte, läßt sich denken.

So wie es nun gewiß ist, daß bei Trinkgelagen Glückliche und Unglückliche weit mehr trinken, als solche, die weder [205] zu jenen noch zu diesen gehören, so guckten auch die drei Anbeter Rosa's so tief in das langhalsige Glas voll des perlenden Nektars, daß sie sich zuletzt kaum mehr zu fassen wußten, um ihre Liebesleiden in allen Formen klagten. Da sprach sie zu jedem einzeln und ganz vertraut, daß sie sich heimlich entfernen, und im Pavillon eine Stunde ruhen wolle; wenn es ihm angenehm wäre, so könnte er sie dort ungestört besuchen; in einem Nebenzimmer, woFanny ihn erwarte, dürfe er nur seine Kleider ablegen, um es sich bei ihr dann so bequem als möglich machen zu können.

Die drei Liebhaber waren außer sich vor Entzücken, und hätten sich wahrscheinlich in ihrem Weintaumel gleich auf der Stelle entkleidet, wenn ihnenRosa nicht ausdrücklich die größte Selbstbeherrschung aufgetragen hätte. Es fehlte ihnen die Kunst jenes unheimlichen Trinkers im Bremer Rathskeller, vom seligen Hauff so genial geschildert, der unter seiner Mütze einen Hahn hatte, durch dessen Umdrehung er den Geist des Weines, so oft es ihm beliebte, entladen konnte, wodurch er auch dem weit und breit berühmten Säufer Ohnegrund überlegen war.

Rosa verschwand, und bald auch, nach der zugetheilten Erbfolge, der Kammerherr, der in seinem Leichtsinne die Mißhandlungen Bärbchens längst schon wieder vergessen hatte.

Fanny half den alten Herrn in einem ganz kleinen Vorgemache des ersehnten Paradieses entkleiden, und führte [206] ihn dann bis zur Schwelle desselben, in dessen Hintergrunde, von oben magisch beleuchtet, ein wunderschönes Frauenbild lag, dem Anscheine nach nur von einem feinen, durchsichtigen Schleier verhüllt. Gleich einem Seefahrer, der auf dem Verdecke wegen der schaukelnden Bewegung des Schiffes mit ausgespreitzten Beinen lustwandelt, um nicht umzufallen, trippelte der alte Herr, mit einem Meerstürme des Weines im Kopfe, auf die lockende Huldgöttin zu, als plötzlich der Boden unter ihm wich, und er in eine große, mit lauwarmem Wasser gefüllte Braukufe hinabstürzte. Ralf und D. B* hatten unmittelbar darauf das nämliche Schicksal, so, daß alle drei Hechte zu gleicher Zeit im ungewohnten Elemente um Hülfe kreischend plätscherten, und wahrscheinlich untergegangen wären, hätte nicht ein über die Kufe ausgespanntes Fischnetz ihr gänzliches Versinken verhindert. Zu gleicher Zeit fielen die Segeltuchwände auf ein verabredetes Zeichen, wie in Ottokars Glück und Ende von Grillparzer, und ein tosendes Gelächter empfing die Wiedertäufer der Liebe, die sich in wetteifernder Hast in das Haus flüchteten, und erst im Dunkel der Mitternacht nach Berlin zurückkehrten.

Rosa fand volle Genugthuung im Anblicke dieses komischen Auftrittes, und während ihre drei feuchten Anbeter durch ein Seitenpförtlein in's Haus flüchteten, fuhr sie durch das rückwärts liegende Gartenthor auf der Straße nach Petersburg davon.

[207] Am andern Morgen wußte schon die ganze Stadt dir Geschichte von den drei Wasserratten. Die Satyre fand hier den trefflichsten Stoff, und wurde thätig in Carricaturen und Spottgedichten. Alle drei hatten viele Feinde, denen die Gelegenheit zur Rache sehr erwünscht kam. Einer von diesen schrieb eine akademische Abhandlung über die Natur von drei im Wasser der Spree gefundenen Fischen, und schloß nach einem Aufwande von gelehrten Citaten, daß sie zu einer ganz neuen, bisher noch unbekannten Klasse von Stockfischen gehören, deren Fleisch jedoch eben so wenig genießbar sey, als ihr Gehirn.

Ein Anderer schrieb ein Gedicht in Blumauers Manier: der Sultan als Wiedertäufer, eine Anspielung auf das Serail des Dr. B*, und ein Dritter die glückliche Rettung eines unglücklichen Kunstrichters, der dem Wasser seiner Recensionen immer entgangen war, und beinahe im geistesverwandten Wasser der Wirklichkeit sein schmähsüchtiges Leben verloren hätte.

Ueber alle diese Erscheinungen lachte ganz Berlin noch herzlich, als unsere Rosa bereits angekommen war in dem prächtigen

Petersburg
Petersburg,

das sich durch eine eigenthümliche Seltenheit, nämlich durch einziges, aber collossales Stadtthor ohne Mauern, vor den meisten, und vielleicht vor allen Städten auf der Erde [208] auszeichnet. Rosa war früherhin niemals in Petersburg gewesen; so viel Schönes sie auch schon auf ihren weiten Reisen gesehen hatte, so fand doch ihr Auge schon bei der Einfahrt den reichsten Stoff zur Bewunderung. Ich lassePetersburg gewiß gerne Gerechtigkeit wiederfahren, erstens: weil die Russen die natürlichen Feinde der Türken sind, und ich die Türken hasse, wie den Teufel; zweitens: weil mir Kaiser Alexander höchstseligen Andenkens im Jahre 1820 durch die Gesandtschaft in München für ein übersendetes, technologisches Werk, einen kostbaren Brillantring, bestehend aus 60 Brillanten, die in drei, durch Goldperlen getrennten Reihen einen großen Solitär umgeben, mittelst einer sehr ehrenvollen Zuschrift einhändigen ließ, und drittens: weil die russische Regierung, von der man nur sagt, sie schreite mit ihren Maßregeln zur Civilisation voran, talentvolle, in Wissenschaften und Künsten wohlerfahrene Männer sucht, glänzend belohnt, befördert, bei jeder Gelegenheit auszeichnet, während in andern Staaten, welche die höchste Stufe der geistigen Ausbildung erreicht zu haben wähnen, gar viele geistvolle junge Männer unbeachtet bleiben, wenn auch ihre Werke längst schon selbst den unbedingten Beifall der Gegner errungen haben; – allein eine von den Sehenswürdigkeiten Petersburgs hat mich stets mit einigem Grolle erfüllt: die Thurmspitze an dem Admiralitätsgebäude, [209] das auf einer prächtigen Insel liegt, welche von der Newa undFontanka, einem Arme von jener, umgeben wird. Die Vergoldung dieser Thurmspitze kostete nämlich 60,000 Dukaten, und dieser Aufwand schmerzt mich, so oft ich berechne, welche Annehmlichkeiten des Lebens diese Summe mir verschaffen könnte. Wollte ich dem Flügelrosse der Phantasie die Zügel lassen, so wäre mir's etwas Leichtes, die verehrten Leser und schönen Leserinnen in meine eigene bedauernde Stimmung zu versetzen, indem ich denselben mit den lockendsten Farben die Rentengenüsse dieses Capitals schildern würde. Für jene gäbe es schöne Mädchen, hübsche Pferde, alte Weine, treffliche Jagdhunde, wohlbesetzte Tafeln; für diese: moderne Equipagen, die neuesten Parisermoden, Juwelen in den Ohren, am Halse, an den Fingern, Logen im Hofrange des Theaters, Anbeter in Menge; wer sollte bei so reizenden Aussichten nicht darüber betrübt seyn, daß jene ungeheure Summe nicht bloß, im wörtlichen Sinne des Ausdruckes, auf die Spitzege stellt wurde, nämlich auf die Thurmspitze, sondern auch der Lebenslust der ganzen Welt entzogen!

Wer allerlei scandalöse Geschichten von Petersburg kennen lernen will, der beliebe nur die Beschreibung dieser nordischen Hauptstadt zu lesen, welche von dem bekannten Herrn Dr. Christian Müller vor nicht langer Zeit erschienen ist. Solche Mittheilungen pflegt man nur über Hauptstädte zu machen, in welche die Verfasser niemals [210] wieder zurückzukehren gedenken. Herr Dr. Müller wurde späterhin Kabinetssekretär des Prinzen Eugen, Herzogs von Leuchtenberg, vormaligen Vicekönigs von Italien, hatte als solcher unstreitig die angenehmste dienstliche Stellung in ganz Baiern, und fand sich dennoch bewogen, wahrscheinlich, weil's ihm gar zu gut ging, sie mit dem Modeberufe eines Philhellenen zu vertauschen, holte sich in Griechenland eine Tracht Prügel ab, wie er der deutschen Lesewelt in einem eigenen Werke erzählte, und kam rein ausgeplündert wieder auf der heimathlichen Erde an. Gegenwärtig befindet sich dieser talentvolle und hübsche Mann in der sogenannten freien Schweiz, ich glaube inLausanne, wo er mit seiner Gattin ein weibliches Erziehungsinstitut zu errichten bemüht ist.

Der Ton in den höheren Ständen ist in Petersburg vielleicht der feinste unter allen Hauptstädten, selbst Paris nicht ausgenommen; gegen die geringeren Volksklassen wird aber ein ganz anderer gehandhabt, wahrscheinlich weil auch die Bildung derselben noch zu weit zurück ist, um eines besseren würdig zu seyn. Der Luxus und die Genußsucht der Großen übersteigt dort allen Glauben. Von nordischer Wildheit durchglüht, kennt man in den Lüsten nur den Zweck, ohne sich um die Prüfung der Mittel lange zu bekümmern, die dahin führen. Befehlen oder bezahlen sind die beiden Pole, um deren Axe sich ihre Genüsse drehen. Daß es, wie in allen Verhältnissen, so [211] auch hier, Ausnahmen, und zwar sehr lobenswerthe, gebe, brauch' ich wohl nicht zu bemerken.

Rosa war in Petersburg eine neue, bezaubernde Erscheinung. Die kaiserliche Familie zeichnete sie durch die huldvollste Aufnahme aus, und sie genoß die Ehre, zweimal an der Kabinetstafel der Kaiserin-Mutter zu Czarskoe-Selo zu speisen, nach dem Urtheile der Kenner eines der prächtigsten Lustschlösser in der Welt, mit einem wahren Zaubergarten, worin die kostbarsten Früchte aller Zonen der Erde zu allen Jahreszeiten gefunden werden. Jedesmal war der Kaiser Alexander mit der Kaiserin, seiner Gemahlin, dabei anwesend, und erklärte mit unbedingter Bewunderung, eine so große Sängerin nie noch gehört zu haben. Er war von ihrem Gesange und ihren Reizen so entzückt, daß er sie während ihres Aufenthaltes täglich Abends besuchte, eine volle Stunde bei ihr blieb, und von ihren innern Vorzügen eben so ergriffen wurde, wie von ihren äussern. Die Reichsten aus dem Adel von Moskau waren nach Petersburg gekommen, um das neue Weltwunder, unsere Rosa, zu sehen und zu hören, und Alle verloren die Köpfe, oder sie wurden ihnen wenigstens tüchtig verrückt. Daß die Frauen solcher Männer, die sie aus Gefälligkeit, schuldigem Gehorsame oder aus Pantoffelfurcht mit sich nahmen, sich noch mehr darüber ärgerten, als jene Frauen, welche aus untrennbarer Liebe die [212] wahren Ehehälften ihrer Gattin blieben, läßt sich wohl denken.

Auch in Petersburg trat Rosa nur in drei Rollen auf, um ihre Heimkehr nicht zu lange zu verzögern; denn ach, unter den zahllosen Verehrern ihrer Schönheit vermißte ihr liebendes Herz dennoch immer den heißgeliebten Fritz; er oder keiner, dachte sie sich oft in einsamen Stunden.

Die Eintrittskarten in das Theater erhielten, so oftRosa sang, einen förmlichen Cours, wie Staatspapiere, der schon am Morgen in den vornehmsten Salons, gleichsam auf der Börse der Kunst, notirt wurde.

Liebesbriefchen mit zärtlichen Anträgen regnete es von allen Seiten; Geschenke von sehr großem Werthe wurden stündlich gebracht; und Rosa benützte alle freien Abendstunden, ihren Anbetern Gelegenheit zu verschaffen, in den Tarifspreisen einander zu überbieten.

Eines Abends ließ sie eben alle Vorbereitungen zum Empfange vorgemerkter Besuche treffen, als ihr ein Dienstmädchen gemeldet wurde, das aus Auftrag der Dienstherrschaft dringend mit ihr zu sprechen wünsche.

»Was verlangst Du, mein liebes Kind?« fragteRosa, als sie mit dem Mädchen allein war.

»Ich bin die Fürstin N***,« begann das vermeintliche Dienstmädchen, indem sie einen ganz gewöhnlichen Shawl lüftete, »womit sie ihr seelenvolles Gesicht, ihre blassen Wangen, ihre goldenen Locken verhüllt hatte, [213] allein das unglücklichste Wesen in ganz Petersburg. Sie allein, große Künstlerin, Sie allein sind im Stande, das Glück meiner Zukunft zu begründen.« Thränen schlossen ihr nun die bebenden Lippen, und wie abgespannt sank sie in einen Armstuhl.

»Sie scheinen mir sehr bewegt, theure Fürstin,« versetzte Rosa, tief gerührt von dem sichtbaren Schmerze der schönen Fremden; »vertrauen Sie mir Ihre Lage ohne Rückhalt, und seyen Sie überzeugt, daß ich alles thun werde, was Sie zu beruhigen vermag.«

Die Fürstin schöpfte mit krampfhafter Anstrengung Athem, seufzte tief und schwer, und begann:

»Ich bin der letzte Zweig einer der ältesten und berühmtesten Familien des russischen Reiches; zwei Millionen Silberrubeln waren meine Aussteuer, als ich den Fürsten N*** heirathete, dessen Schmeicheleien, wie ich jetzt recht wohl einsehe, meinemGelde, nicht mir galten. Zu spät erfuhr ich, welch ein Verschwender er sey, und daß seine zahllosen Liebschaften den größten Theil seines Vermögens verzehrt hätten. Am Trauungstage vermißte ich an seinem Halse das Commandeurkreuz eines kaiserlichen Hausordens in Brillanten von ausserordentlichem Werthe, und erfuhr von einem seiner Diener, den er eines geringen Versehens wegen aus dem Dienste jagte, daß er es am Vorabende dieses Tages verpfändet hatte, um die Gunstbezeugungen einer verbuhlten Tänzerin bezahlen zu können. Eben wollten[214] wir Nachts, als die gewöhnlichen Feste vorüber waren, zum erstenmale das eheliche Bett theilen, als ich ihn über dieses treulose Benehmen mit den sanftesten Worten und den innigsten Bitten zur Rede stellte. Anstatt Güte mit Güte zu erwiedern, entflammte wilder Zorn sein ganzes Wesen; er stieß mich mit geballter Faust auf den schwellenden Busen, unter dessen unberührten Frühlingsknospen ein reines, jungfräuliches Herz ihm liebevoll entgegen schlug. Ein halbes Jahr sind wir nun vermählt, aber ich bin noch –Jungfrau. Sie staunen? Ja wohl ist es ein gar seltener Fall, daß eine Frau zugleich Jungfrau ist, und gewiß sind viel öfter Jungfrauen keineJungfrauen mehr, wenn sie auch noch keineFrauen sind. Ich weiß es aus sicherer Quelle, daß er seiner Ausschweifungen müde ist, und nicht ungerne in meine Arme zurückkehren würde, hielte ihn nicht falsche Schaam zurück. Zu genau kenne ich seinen Charakter, um hoffen zu dürfen, durch Entgegenkommen diesen Schritt ihm zu erleichtern; im Gegentheile, ich würde mir vielmehr alle fernere Hoffnung dadurch vereiteln. Sie allein, theures, edles Mädchen, Sie allein könnten diesen höchsten Wunsch meines Herzens erfüllen!«

»Sprechen Sie, liebenswürdige Fürstin, was kann ich für Sie thun, wie vermag ich zu Ihrem Glücke beizutragen?«

»Das Weib eines Stallknechtes meines Gatten verletzte [215] sich vor einigen Tagen durch einen heftigen Fall in der Nähe meiner Wohnung so heftig an der linken Brust und an der Stirne, daß sie besinnungslos auf der Straße liegen blieb. Ich ließ sie in mein Hotel bringen, durch den Wundarzt auf meinem eigenen Bette verbinden, sorgfältig pflegen, und heute Morgens in meiner Sänfte, reichlich beschenkt, nach Hause tragen. Bald darauf kommt ihr Mann zu mir, dankt unter Thränen für alles seinem Weibe erwiesene Gute, und gesteht mir, daß er von seinem Herrn beauftragt sey, diesen Brief der Sängerin Rosa zu überbringen.«

Die Fürstin zog hier einen Brief aus ihrem Busen.

»Ich habe ihn nicht erbrochen, weil ich voll Vertrauen auf Ihr theilnehmendes Herz von einer persönlichen Zusammenkunft mit Ihnen, ein besseren Erfolg erwartete. Lesen Sie, liebe Rosa!«

Rosa las:


Engel des Paradieses!


»Fordere Alles, was ich besitze, für eine Nacht in Deinen Armen! Ich scheide dann als Bettler von Dir, und bleibe doch ein König, ein Gott! Sehnsuchtvoll harre ich Deiner Antwort; möge sie mir die Aussicht in den Himmel öffnen!«


Fürst N***.


[216] Die Fürstin weinte, Rosa lächelte.
»Darf ich antworten, wie es Ihren Wünschen entspricht?« fragte diese.
Die Fürstin nickte mit ihrem bleichen Gesichtchen; sie konnte vor innerm Schmerze nicht sprechen.
Rosa schrieb:
»Um 9 Uhr Abends erwartet Sie

Rosa.«


»Was soll ich jetzt thun?«

»Lassen Sie diese Antwort durch den Ueberbringer jenes Briefchens dem Fürsten einhändigen; Sie selbst, holde Fürstin, müssen die Güte haben, schon um 8 Uhr Abends wieder bei mir zu seyn, wo ich Ihnen das Nähere des Planes mittheilen werde. Zum Gelingen desselben ist es durchaus nöthig, daß Sie ihn als Theilnehmerin nicht früher erfahren, damit das Geheimniß innerhalb der Wände meiner Wohnung unverletzt bewahret werde; nicht als ob ich an Ihrer Verschwiegenheit zweifelte, aber mir fehlt alles Selbstvertrauen, sobald ich auch nur die Möglichkeit denken kann, daß ein Dritter von einem Plane wissen könne, in den ich ihn nicht eingeweiht habe.«

Ein jugendlicher Hoffnungsstrahl leuchtete in die Herzensnacht der schönen Fürstin, und ziemlich getröstet schied sie nach einer herzlichen Umarmung von Rosa.

Mit dem Schlage 8 Uhr war sie wieder da, und batRosa, um Mittheilung ihres Planes.

[217] »Mein Plan ist sehr einfach,« versetzte diese; »ich erfülle seine Wünsche, aber nur unter der Bedingung, daß er für immer wieder zu Ihnen zurückkehre. Ist's so recht?«

Die Fürstin wurde ganz bleich, und zitterte, ohne ein Wort zu sprechen.

»Ey, ich merke wohl, daß ich nicht genau genug mich ausgedrückt habe,« fuhr Rosa lächelnd fort, »ich wollte nur sagen, seine Wünsche sollten erfüllt werden unter der genannten Bedingung, aber nur –durch Sie.«

»Durch mich?« fragte die Fürstin ganz erstaunt; »wie so?«

»Im letzten Momente tauschen wir die Rollen.«

»Mein Gott, wenn er aber die Täuschung zu früh entdecken würde! ich wäre verloren!«

»Darüber seyen Sie nur ganz ausser Sorgen!«

Bald darauf wurde der Fürst gemeldet.

Rosa empfing ihn mit der ihr eigenthümlichen Liebenswürdigkeit.

»Engel des Himmels, Sie haben mir Hoffnung gegeben!« begann der Verliebte, ihr Sammthändchen küssend.

»In meiner Antwort?«

»Ja!«

»So muß mein Briefchen verwechselt worden seyn; denn ich habe Ihnen nur geschrieben, daß ich Sie erwarte, nicht aber, daß ich gesonnen sey, Ihre Wünsche zu erfüllen.«

[218] »Nun ja, ich habe eben das Erwarten im schönsten Sinne gedeutet.«

»Vielleicht verständigen wir uns noch über Ihren Lieblingssinn dieses Wortes, wenn ich mich näher er kläre. Ich bin eine Jungfrau, so rein, als käme ich eben aus dem Schooße meiner Mutter! Sie staunen? Sie sind verlegen? Ja, so geht's, wenn man nach demScheine urtheilt! Dieser Umstand ist allerdings wichtig genug, mich zu einem entsprechenden Vorschlage zu bestimmen. Der Ruf Ihrer Liebenswürdigkeit hat mich mit dem Vorsatze vertraut gemacht, Ihnen das höchste Gut meines Lebens zu opfern, jedoch nicht für einen geringern Preis, als für den Preis – Ihrer Hand. Ich weiß zwar, daß Sie vermählt sind, doch, so viel mir bekannt ist, nicht glücklich; um so weniger wird es Ihnen schwer fallen, sich scheiden, und nach den nöthigen Vorkehrungen mit mir trauen zu lassen. Sind Sie mit diesem Vorschlage zufrieden, so unterzeichnen Sie zuvor dieses Dokument, worin Sie Ihr Ehrenwort geben, mich zu heirathen, wenn Sie die Behauptung meiner Jungfräulichkeit bestätiget finden.«

»Die Feder her, allmächtige Venus! Ich kaufe den Himmel um einen leichten Preis; denn ich hätte eben so freudig mit meinem Herzblute dem Teufel meine Seele verhandelt, um Dich fabelhaftes Weltwunder der Jungfräulichkeit in meine Arme zu schließen!«

Mit vor Wonne bebender Hand unterzeichnete der[219] Fürst das Dokument, und ein zärtlicher Kuß, welcher der lauschenden Fürstin durch alle Nerven drang, besiegelte den neuen Bund.

Ein köstliches Abendessen, mit den auserlesensten feinen Weinen, stärkte und beseelte den fürstlichen Pilger in Amors Reiche zur nahen Irrfahrt.

Rosa bot ihre ganze Liebenswürdigkeit auf, um ihm den Kopf zu verrücken, und dieß gelang ihr so vortrefflich, daß er in seiner Begeisterung fast beständig zu ihren Füßen lag, und mit dichterischen Worten die Seligkeit seines künftigen häuslichen Lebens schilderte. Als er nun auch die Hoffnung auf Vaterfreuden mit Thränen innerer Rührung in den Augen ausdrückte, da erkannte Rosa, daß sein Herz nichtverdorben, sondern nur verirrt sey.

Dem unaufhörlichen Flehen des. Fürsten, seine Seligkeit nicht länger zu verzögern, endlich nachgebend, ergriff sie die Hand des Liebetrunkenen, und führte ihn, huldvoll lächelnd, in ihr Zauberkabinet der Liebe, das nie heller beleuchtet war, als eine Jasminlaube vom Lichte des Neumondes.

Rosa legte nun ihren polnischen Hausmantel ab, und stand im niedlichsten Nachtkleide vor dem Entzückten, der sich kaum zu fassen wußte.

»Ich erwarte Sie, lieber Fürst,« flüsterte sie ihm leise zu, und der Fürst umschlang sie kräftig mit seinem rechten Arme, und geleitete sie zum Lager, unter dessen künstlich [220] gestickte Seidendecke sie verschämt schlüpfte, indem: sie einen Schleier über ihr Antlitz zog.

In liebender Ungeduld schien der Fürst beinahe die Kunst des eigenen Entkleidens vergessen zu haben, denn oft zog er ein Kleidungsstück wieder an, das er eben abgelegt hatte.

Endlich schloß der Glückliche die harrende Jungfrau in seine Arme, und in diesem Augenblicke spielte eine Flötenuhr die süße Melodie von Hölty's schönem Liede:


Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet,
Die seinen Lebenstraum begrüßt,
Wenn Arm um Arm, und Geist um Geist sich windet,
Und Seel' in Seele sich ergießt!

Schon rötheten sich die zarten Säume des Morgenhimmels, von den Frühlichtstrahlen vergoldet, als der im Leben schon höchstselige Fürst in den Armen der Jungfrau von gestern erwachte. Er verjüngte sogleich die himmlischen Erinnerungen, die in süße Träume ihn gewiegt hatten, und rief bei dem letzten, entscheidenden Flammenkusse aus: »Nie will ich mehr von Dir mich trennen, Engel meines Lebens! Du sollst mein geliebtes Weib seyn! Dieß schwör' ich Dir nicht nur bei meiner fürstlichen Ehre, sondern selbst bei Gott, so wahr er mir helfe und sein heiliges Evangelium!«

»Amen! Gott segne Euch!« lispelte eine Stimme,[221] und ein lichtspendender Adler schwebte aus der leise sich öffnenden Decke über das Wonnelager der Liebe herab, und beleuchtete die herrliche Scene. Denn wie ein versöhnender Seraph stand Rosa holdlächelnd vor dem Fürsten, der – in den Armen seiner verstoßenen Gattin lag.

Sein dankbares Gemüth war unfähig, über diese Täuschung zu zürnen, welche auch in der That seine ganze Zukunft in einen Freudenhimmel verwandelte. Er schloß sein wiedergefundenes Weib nach dieser ersten Brautnacht mit gleichem Feuer, als obRosa ihn beglücke, in seine Arme, und gelobte, diese als Zeuge anrufend, ewige Liebe und Treue. Er hat Wort gehalten, ein höchst seltener Fall bei Männern, die, wenn sie Treue versprochen, nicht gerne Sklaven ihrer Worte seyn, von einer ewigen Treue aber vollends gar nichts wissen wollen. Der kaiserliche Hof war eben so erstaunt über diese Bekehrung des schwelgerischen Fürsten, als der ganze hohe Adel, und der Fürst nahm keinen Anstand, Rosa als die glückliche Friedensstifterin zu nennen, jedoch ohne die Art der Vermittlung zu bezeichnen.

Dadurch erhielt Rosa einen moralisch-guten Ruf, den nur jene reichen Schwelger nicht begreifen konnten, die gerade in diesen Tagen, und vielleicht selbst in dieser Versöhnungsnacht Wonnestündchen zu den theuern Preisen des Tarifes der Liebe genossen hatten.

[222] Die Kaiserin-Mutter umarmte sie vor ihren Schlüsseldamen, und schenkte ihr ein äußerst kostbares Kreuz von Brillanten; die Fürstin überraschte sie mit einem prächtigen Diademe, das 3000 Louisd'or kostete, und so empfing sie von allen Seiten Huldigungen und Geschenke, und verließ endlich, unter tausend Segnungen und Thränen des fürstlichen Paares, die schöne Hauptstadt Rußlands, um frühere Lorbeern zu erneuern in dem weltberühmten

London
London,

unter dessen Merkwürdigkeiten mir auch besonders auffiel, daß darin jährlich nur für Milch zum täglichen Gebrauche, sieben Millionen, zweimalhundert fünfzigtausend Gulden bezahlt werden. Zur Hälfte kann man diese Stadt sohin schon mit jenem glücklichen Judenreiche vergleichen, worin Milch und Honig floß, und denHonigfluß finden wir durch andere persönliche Eigenschaften ersetzt, welche den einstimmigen Beifall aller rechtgläubigen Juden verdienen.

Rosa zog die Reise zu Lande dem unsichern Elemente dem Meere, vor. Da ihr nichts von Bedeutung auf der raschen Fahrt begegnete, so treffen wir sie im Hafen von Calais wieder, wie sie eben mit ihren niedlichen Füßchen das Schiff zur Ueberfahrt nach Dovers besteigt. Vom Bord aus sah sie neuerdings die weißlichen Küsten und die Uferklippen von Kent, von welchen England den Namen Albion [223] erhalten hat. Vom Winde begünstiget, betrat sie schon nach wenigen Stunden den Boden des freien Englands, wo man wegen einiger Gulden Schulden einige Jahre lang eingesperrt werden kann. Von Dover aus erreichte sie in einer Tagreise, über Canterbury und Dartford, das nebelumhüllte London. Rosa brachte Empfehlungsbriefe aus Petersburg mit, von so hoher Wichtigkeit, daß sich Ihre Herrlichkeiten um die Ehre stritten, sie in ihre Hôtels aufnehmen zu dürfen. Sie zog Chiswick, das Landgut des geistreichen Canning, zum Absteigquartier den glänzenden Palästen der H. v. C., v. Y., v. R., v. W., vor, die alle um diese Auszeichnung gebuhlt hatten.Rosa schien ihnen wo möglich noch schöner, als bei ihrem früheren kurzen Aufenthalte, und in der That war auch die Form ihres Körpers aus dem Kindlichen und Mädchenhaften mehr in das Jungfräuliche hinübergeschritten. Der H. v. W. stellte sie dem Könige vor, der sie wieder mit der ihm eigenthümlichen Galanterie empfing. Sie sang vor Sr. Majestät und dem ganzen Hofe, und bei dieser Gelegenheit war es, wo ihr zwei Herzoginnen abwechselnd den Shawl hielten, bis es der großen Künstlerin gefiel, ihn wieder anzulegen, eine Huldigung, worüber sich Lady Morgan in ihrem Reiseberichte gewaltig ärgert, wo sie von dem Unterschiede in der Stellung von Schauspielerinnen oder Sängerinnen in großen Zirkeln spricht, rücksichtlich des Herkömmlichen in Paris und London.

[224] »Nie können Frauenzimmer,« sagt diese männliche Dame, »die sich einmal als Schauspielerinnen oder Sängerinnen auf den Brettern gezeigt haben, bei den Damen vom Stande Zutritt erhalten (in Frankreich, namentlich in Paris), ausgenommen in ihrer Berufsfähigkeit, wenn sie an einem bestimmten Abende verpflichtet und bezahlt werden, eine Scene zu geben, oder in einem Privatkonzerte eine Bravourarie zu singen. Die prima donna der Oper kann nie die prima donna einer Privatgesellschaft seyn. Die wohlbekannte Anekdote von einigen englischen Herzoginnen, welche der zuletzt herrschenden Gottheit der Londoner Oper den Shawl hielten, bis es ihr gefiel, ihn anzulegen, erregte in einer Versammlung französischer Damen, wo sie in meiner Gegenwart erzählt wurde, ausnehmende Belustigung. – Die nachbildenden Talente besitzen in Frankreich keinen falschen Werth, sie stehen nicht über, sondern unter dem Originalgenie. Während in den englischen Zirkeln ein beliebter Schauspieler oder Sänger mit größerer Auszeichnung aufgenommen werden würde, als ein Otway oder Cimarosa, nehmen in Frankreich der Verfasser und der Componist in der öffentlichen Achtung und Privatgesellschaft eine Stelle ein, welche die Schauspieler und Sänger nie zu erlangen hoffen können. O! es ist drückend für die Gefühle des hochsinnigen und empfindenden Genie's, so in mißfälliger Dunkelheit seinen kärglichen [225] Lohn zu erhalten, und von den Zeitgenossen vernachläßiget, nur für jenen künftigen Tag zu leben, der zu spät erscheinen wird, um das angenehme Gefühl zu erwecken, das aus dem Bewußtseyn des mit Erfolg gekrönten Verdienstes hervorgeht, während die nachbildenden Talente, die Daseyn und Stoff von ihm entliehen, gefeiert und verschwenderisch bezahlt werden. Einige der besten Dichter Englands kämpfen in diesem Augenblicke nur um das Nothwendigste, fern von jenen Kreisen, welche ihre Talente aufzuklären und zu vergnügen berechnet waren, während italienische Sänger neulich in ihr Vaterland zurückkehrten, um Fürstenthümer zu kaufen, und englische Schauspieler, durch Uebermaaß an schnell erlangtem Reichthum, den sie nicht würdig anzuwenden versteh'n, zu den größten Ausschweifungen verleitet werden. In diesen Fällen wissen sie gewiß die Sachen in Frankreich besser einzurichten.« – Die aristokratische Lady Morgan hat zum Theil Recht, wenn sie darüber klagt, daß die ausübenden Talente ein angenehmeres Daseyn haben, als die erfindenden, daß aber ihr adeliger Hochmuth sich beleidigt fühlt, in vornehmen Salons Theaterdamen zu treffen, ist sehr lächerlich, und die Folge einer ganz einseitigen Erziehung, welche solche befangene Ansichten begünstigte. DieLady Morgan hat sich nicht selbst zur Lady gemacht, sondern der Zufall; sie hätte eben so gut die Tochter eines Nachtwächters werden können; wie erbärmlich ist also das Prunken [226] mit den Gaben des Zufalls, wie einfältig das Ausschließen von Kunsttalenten aus den vornehmen Zirkeln, deren gespreizte Drahtpuppen dennoch dereinst nichts anders seyn werden, als, wie die Grabschrift des berühmten Generals Tilly lautet: Putredo et esca vormium. (Moder und Würmerfraß).

In vier Opern erndtete Rosa einen ungeheuern Beifall und Guineen ohne Ende, die noch einen außerordentlichen Zufluß durch erneuerte und neue Bekanntschaften verliebter Lords erhielten. Unter diesen erlaubte sich ein gewisser Graf E**, ein alter, einflußreicher Herr, einen ächt englischen Streich. Mehrere Tage nacheinander hatte er frohe Stündchen inRosa's geheimem Kabinete verlebt, und immer das Doppelte der Preise des Tarifes der Liebe bezahlt. Plötzlich ging ihm das Geld aus; einige Wechsel von Bedeutung trafen nicht ein, Schulden machen wollte er nicht, und auch nicht die täglichen Besuche beiRosa aufgeben. Was that er nun? In der Garderobe seiner Frau befanden sich zwei noch ganz ungebrauchte, ächt persische Shawls, aus dem Vließe der Ziegen aus Tibet, wovon jeder 15,000 Thaler gekostet hatte. Diese zwei prächtigen Shawls, so zart und fein, daß sie durch einen goldenen Fingerring sich ziehen ließen, brachte er seiner holden Rosa, und handelte mit ihr statt baaren Geldes. Sie wurden einig, undRosa behielt das leicht Erworbene. Am dritten Tage nach diesem Handel gab sie ein großes Mittagsmahl, an welchem die [227] ersten Notabilitäten London's Theil nahmen. Graf E** war durch den Dienst am Hofe verhindert, weil am Abende dieses Tages die Verlobung der Prinzessin Charlotte mit demPrinzen Leopold von Sachsen-Coburg gefeiert werden sollte.

Wer hätte damals an ein so schnelles und schmerzliches Ende dieser liebenswürdigen Prinzessin gedacht! W.A. Gerle in seinem Werke: »Großbritannien und Irland,« nach Depping, aus dem Französischen, sagt: daß die öffentliche Stimme behaupte, eine schlecht berechnete Behandlung der Arzte und der Mangel nöthiger Vorsichtsmaßregeln habe zu diesem Unglücke beigetragen. Ein schrecklicher Gedanke! Der Tod dieser liebenswürdigen Thronerbin von England war also keine unbedingte Naturnothwendigkeit, an welcher die Kunst ärztlicher Umsicht scheiterte, sondern ein beklagenswerthes Ereigniß, ähnlich der Wegnahme eines schlecht vertheidigten Platzes, dessen Befehlshaber vor Gericht gestellt zu werden pflegen.

Das Schloß Claremont, jenseits des Parkes von Richmond, steht nun traurig und verlassen, seitdem diese Königsperle in der Krone von England in den Staub zerfiel. Man sieht dort noch eine Hütte, welche die junge Prinzessin nach ihrer eigenen Idee für ein alte Magd einrichten ließ, die den verschiedenen, aufeinander folgenden Gebietern von Claremont gedient hatte.

Die alte Gräfin E** wollte nun bei dieser feierlichen [228] Gelegenheit der Verlobung einen von ihren prächtigen Shawls, umhängen, um alle Hofdamen dadurch in Verzweiflung zu bringen. Die Kammerdienerin wird nach der Garderobe geschickt, – die Shawls waren ausgeflogen. Nun ging's los! Da kam der Herr Graf E** in großer Galla zur Thüre heein, und empfing sogleich den ersten Ausbruch ihrer Wuth.

»Nur ruhig, mein liebes Kind,« tröstete er sie, »ich vergaß Dir zu sagen, daß die H.v.W. mich gestern bitten ließ, diese Shawls ihr zur Einsicht zu senden. Es ist in der That unartig von der Lady, daß sie nicht an das Zurückstellen denkt, und ich werde mir sogleich die Freiheit nehmen, sie daran erinnern zu lassen.«

Nun entfernte er sich aus dem Zimmer, und trug seinem vertrauten Kammerdiener auf, sogleich zurRosa zu gehen, und ihr mitten in der Gesellschaft, von der sie umgeben seyn möchte, ganz laut zu sagen: »Graf E** lasse sie um gefällige Rücksendung der beiden Shawls bitten, die er ihr auf Verlangen zur Einsicht geschickt habe.«

Der gewandte Botschafter hielt sich genau an die Worte seines Gebieters, als er Rosa eben an der reichbesetzten Tafel traf, wozu sie die ausgezeichnetsten Männer und Frauen geladen hatte, unter welchen sich Canning, Landsdown, Lord Holland, Brougham, Sir Francis Burdett u. A. befanden.

Rosa erröthete über diesen unverschämten Antrag um [229] so mehr, als sie vor wenig Augenblicken die anwesenden Damen durch das Vorzeigen dieser Shawls, als erhaltener Geschenke, ganz entsetzlich geärgert hatte. Das Naserümpfen und Hohnlächeln dieser englischen dürren Schlangen schnitt ihr durch die Seele.

Eanning nahm für sie das Wort: »Ich kenne diesen alten Pantoffellord sehr wohl, der die City pflastern könnte, wenn jeder seiner dummen Streiche ein Stein wäre. Sicher ist ihm wieder sein alter Hausdrache auf den Nacken gestiegen, und da weiß nun Se. Herrlichkeit in der Klemme kein anderes Rettungsmittel.«

Die Aergste unter den Damen machte ihrer Bosheit mit honigsüßen Worten Luft, und sprach: »Die schöne Rosa sagte uns ganz bestimmt, die beiden Shawls seyen Geschenke; verhält es sich so, woran ich nicht zweifle, so handelt Lord E** niederträchtig, und es wäre sehr zu wünschen, daß Rosa ihr Eigenthumsrecht vor Rücksendung der Shawls nachweisen möge. Die allgemeine Verachtung werden wir dann ausschließend der wortbrüchigen Herrlichkeit zuwenden.«

Das Wort: »ausschließend« jagte unsererRosa das Blut in die Wangen; ihre gewöhnliche Gemüthsruhe wich von ihr, und alle Umstände vereinigten sich, sie zu einer durchgreifenden Rechtfertigung zu bestimmen. Der Kammerdiener harrte im Vorgemache.

»Ich werde sogleich die Ehre haben, meine Damen,« [230] sprach Rosa mit strafenden Blicken, »Ihnen mein Eigenthumsrecht klar zu beweisen, und mit diesem Beweise die Artigkeit zu verbinden, den Wunsch Sr. Herrlichkeit zu erfüllen.«

Fanny empfing Rosa's Befehle.

Auf einem Nebentische wurde sechsfaches Packpapier ausgebreitet, auf welches Fanny die beiden Shawls legte, dann brachte Betty auf einer silbernen Schaufel zwei kleine glühende Kohlen, welcheRosa in die Mitte der beiden Shawls, gleichsam wie feurige Schildwachen postirte.

Die Damen stießen bei diesem Anblicke einen Schrei des Entsetzens aus.

Dann rollte Rosa das Packet dicht zusammen, ließ es mit Bändern fest schnüren, und übergab es dem Kammerdiener des Grafen E** mit den Worten: »Empfehlen Sie mich dem Herrn Grafen, und sagen Sie ihm, daß er in dieser Sendung den warmen Antheil nicht verkennen möge, den ich an der Erfüllung seiner Wünsche nehme.«

Mühsam hielten die Anwesenden ein schallendes Gelächter zurück, bis der Kammerdiener den Salon verlassen hatte; dann aber brach es wie ein Sturm los, und Rosa wurde mit Lobsprüchen über ihre sinnige Rache überhäuft. Am glücklichsten fühlten sich die Damen, weil nun durch die Vernichtung der beiden Shawls, der mögliche Aerger für immer verhütet war, sie jemals auf den Schultern einer beneidenswerthen Nebenbuhlerin prangen zu sehen.

[231] Die schönen Leserinnen mögen sich gefälligst die Empfindungen der Gräfin E** näher ausmalen, als der Herr Gemahl das Packet aufrollte, aus dessen Mitte sogleich eine Rauchsäule aufwirbelte. Sie hatte seit vielen Wochen das Gerücht von der Ankunft dieser beiden Shawls verbreiten lassen; alle Hofdamen starben vor Neid schon bei dem bloßen Vorherwissen eines so hohen Triumphes einer ihrer großen Reichthümer wegen ohnehin verhaßten Dame.

Welchen Spöttereien war sie nun ausgesetzt! Allein dabei blieb's nicht! Graf E**, obgleich ein großer Rechtsgelehrter, konnte die Frau Gemahlin doch nicht recht überzeugen, daß dieses Unheil ein natürliches Ereigniß sey; zum Glücke durfte er's auch nur bei dem einfachen Versuche bewenden lassen, denn die alte Koquette zankte nicht lange. Das furchtbare Schicksal brach ihr das Herz; sie fiel von einer Ohnmacht in die andere, und nach der letzten in die Gruft ihrer Ahnen. Der alte Herr war über diesen unverhofften Verlust seiner Frau gerade so traurig, als es die Schicklichkeit erforderte, und der Wunsch zuließ, seine geliebteEmmy zu heirathen, eine geheime Maitresse, die früherhin eine Figurantin bei dem Ballete war, und den alten Sünder durch allerlei Figuren geködert hatte. Ein Jahr darauf stand diese berüchtigte Dirne als Lady E** am Ziele ihrer kühnsten Erwartung.

Rosa fand nach diesem Vorfalle kein Vergnügen mehr in London, Entschließen und Reisen war bei ihr immer [232] Sache des Augenblickes, und innerhalb 36 Stunden war sie bereits auf französischem Boden, um so schnell als möglich nach der wahren Hauptstadt der Welt, in Bezug auf Lebensgenuß, zu kommen, – nach

Paris

Der erste Eindruck bleibt doch immer der stärkste. Die Wahrheit dieses Satzes finden Helden, Künstler und Jungfrauen bestätiget, jene vor der Welt, diese bei Veränderung ihres Standes. Der gefeierten Rosa ging's auch nicht besser. Sie wurde zwar von den Kunstenthusiasten wie eine Königin empfangen; allein welche große Sängerin, oder welche Sängerin, die groß zu seyn wähnet, begnüget sich mit königlichen Huldigungen! Jede Begeisterung ist ein aufgereitzter Zustand, ein Rausch, der nothwendig eine Abspannung nach sich zieht, die bei jeder Wiederholung die Erregbarkeit mindert.

Rosa traf Rossini in Paris, und trat in sechs Prachtrollen auf. Rossini dirigirte das Orchester. Unstreitig gewinnt die Oper eines großen Compositeurs, wenn er die Darstellung selbst leitet. Nur wer ein Wert geschaffen hat, kennt alle Nüancen desselben, und weiß sie zur rechten Zeit und an der rechten Stelle geltend zu machen. Der Erfolg war über allen Ausdruck brillant. An dem Schauspiele fandRosa wenig Geschmack und die Ansicht der LadyMorgan bestätiget, welche darüber äußert: »Die[233] Diction der französischen Acteurs ist gleich dem Rhythmus der Sprache, gänzlich ohne Nachdruck. Sie haben keine besondern Töne für Gefühl und Leidenschaft; ihre Scala hat, wie die chinesische Musik, weder scharf noch matt. Eine Art singender Nasentöne, mit einem schnellen Murmeln erhöhter Stimme abwechselnd, umschließt den ganzen Umfang ihres Ausdrucks. Ihr Trauerspiel scheint sowohl in Composition als Vortrag den ganzen Mangel ihrer Sprache zu offenbaren, und zu beweisen, daß sie nicht die Sprache der Poesie und der Musik ist.«

Rosa erneuerte hier die frühern Bekanntschaften, und knüpfte neue an. Alte Ludwigsritter aus der vorrevolutionären Zeit, weiland Napoleon'sche Reichsmarschälle, Pairs und Deputirte, reiche Banquiers und deren Söhne, schlichte Bürger mit einigen Tonnen Goldes Vermögen, Leute aus allen Ständen fanden sich ein, die Rosa's Tarif der Liebe auswendig lernten, um in der Wahl nicht zu irren. Dabei miedRosa auch jede Unterscheidung der politischen Farben; ob der Zahlende auf der linken oder rechten Seite, im rechten oder linken Centrum in der Deputirtenkammer, oder ob er gar nicht sitze, darnach fragte sie nicht, sondern sie zählte nur. Diese Goldernten setzte sie in Wechsel um, die sie nach Hause schickte, um vor jeder Beraubung sicher zu seyn.

Einladungen zu Lustpartien in die Umgebungen nahmen kein Ende, und sie war oft in peinlicher Verlegenheit, [234] welcher sie den Vorzug geben sollte. Immer aber mußten ihre beiden Gesellschaftsfräulein sie begleiten, und auch nicht einen Augenblick von ihrer Seite gehen.

Manche Herren gaben sich oft alle erdenkliche Mühe, auf irgend einem einsamen Landhause, wie z.B. in dem öden Versailles, Rosa durch allerlei listige Versuche von ihren Gefährtinnen zu trennen; vergebens! Bisweilen erlaubte sich schon einer oder der andere, ihr sehr spitzig zu bemerken, daß sie nach ihrer nichtsweniger als verheimlichten Lebensweise eben nicht nöthig hätte, so auffallend die Spröde zu spielen, worauf sie dann immer zu erwiedern pflegte: »unter allen Verhältnissen müsse man stets zuerst das Schickliche bedenken, und diese Wahrheit dürfte wohl einem galanten Franzosen vor allen andern einleuchten.« Damit beruhigten sich die Ungeduldigen.

Eines Morgens fuhr Rosa mit einem altgläubigen Bourbon, Kammerherr des Königs, nach SchloßVincennes, zu dessen Castellan Ludwig XI. seinen Barbier, Olivier, der Teufel benannt, gemacht hattet. Unter der Regierung dieses Königes wurden zuerst Staatsgefangene in die Kerker vonVincennes gebracht. Es ist merkwürdig, daß dieser Ludwig, eines der größten je lebenden Ungeheuer, zuerst den Titel: »Allerchristlichster König,« annahm, und Majestät genannt ward, »peu connu jusqu' alors,« – sagt Hainault.

Nicht ohne schmerzliche Thränen betrat der Kammerherr [235] die Schwelle dieses Schlosses; es hatte ja ein edler Sprosse des ihm so theuern bourbon'schen Stammes, der liebenswürdige Herzog von Enghien, innerhalb dieser Mauern sein junges Leben durch einen gewaltsamen Tod verloren.

»Zur Rechten des engen Vorplatzes,« schriebRosa damals an die Prinzessin Eleonore, –, »zeigte man uns das kleine Zimmer, welches der Herzog von Enghien während seines kurzen traurigen Aufenthaltes in der Veste bewohnte. Zur Linken bot ein größeres Gemacht, worin seine schnelle Verurtheilung Statt gefunden, einen höchst düstern und ergreifenden Anblick dar. Das Tageslicht war gänzlich ausgeschlossen, und das Zimmer wie für ein Leichenbegängnißgemach eingerichtet, une chapelle expiatoire; es ward Tag und Nacht von einer Lampe erhellt, die von der Mitte der Decke herabhing. Die Wände waren mit weißem, schwarz eingefaßtem Tuche behangen; eine niedere Ottomane von demselben Stoffe befand sich längs des Bodens. In der Mitte stand ein Todtengerüst mit einem sammetnen Behange, reich mit Gold gestickt, und den Wappen und Siegeszeichen des Hauses Condé. Es bedeckte einen kleinen Sarg, der Alles enthielt, was in dem Graben von dem tapfern d'Enghien gesammelt werden konnte, – einige Gebeine. Ein Stein, auf den sein Haupt gefallen seyn soll, lag daneben.«

»Im Hintergrunde dieses traurigen Ortes hing ein[236] massives silbernes Kreuz. Zwölf ungeheure Wachskerzen, in großen silbernen Armleuchtern, brannten an jeder Seite. Zur Rechten stand ein Altar, ein Crucifix, die heiligen Gefäße, und die ganzen Geräthschaften der katholischen Ceremonien. Hier wird täglich eine Messe für die Seele des Verstorbenen gelesen. Hier hatte die Herzogin von Angoulème den vorhergegangenen Tag am Heiligthum ihrer gewohnten Andacht ihre Gebete dargebracht.«

An dem Tage aber, da Rosa diesen erinnerungsschweren Ort besuchte, kniete eine ganz verschleierte Dame auf dem Betschemmel. Der Kammerherr vermuthete, die Dame möchte wohl die Prinzessin vonRohan-Rochefort seyn, für welche der Herzog im Leben eine zärtliche Neigung fühlte, und die auch mit ihm zu Ettenheim im Badischen gelebt hatte.

Er hatte sich jedoch getäuscht, die berühmte B* war's, eine Dame von sehr hohem Stande, aber sehr leichtfertigen Gesinnungen.

Sie verließ zu gleicher Zeit mit Rosa diesen unheimlichen Ort stiller Andacht; unter den Kastanienbäumen auf dem Glacis stellte der Kammerherr, wie zufällig, Rosa der B* vor, die sie sogleich erkannte und umarmte, kurz alle möglichen Artigkeiten an sie verschwendete, als wären sie schon seit Jahren die innigsten Freundinnen gewesen. B* erschöpfte sich in Lobeserhebungen über Rosa's herrlichen Gesang, über ihr unübertreffliches Spiel, und betheuerte, [237] daß es ihr unmöglich wäre, auch nur einen ihrer Darstellungen zu versäumen.

Rosa mußte in den Wagen der B* steigen, der Kammerherr, Rosa's Begleiter, in den Wagen der Sängerin, wo auch ein mit Orden bedeckter Cavalier, der Gefährte der B*, Platz nahm.

B* schloß nun ihr ganzes Herz auf, und machteRosa mit ihren Liebschaften bekannt.

»Ich habe zwar einen hübschen, artigen jungen Mann,« – sagte sie unter Anderem, – »aber er ist erstaunlich flatterhaft, und gibt mir dadurch ein böses Beispiel. Mann und Weib haben gleiche Rechte. Die Ehe ist ein Vertrag. Bricht ihn der eine Theil, so ist der andere nicht mehr schuldig, ihn zu halten, und kann thun, was er mag. Ich gestehe Ihnen daher offen, liebe Rosa, daß ich in der Mitte vieler Anbeter mich sehr wohl befinde, einer allein ist gar zu langweilig, aber die guten Eigenschaften von vielen Einzelnen bilden zusammen ein Ganzes, das eben so ergötzt, wie ein Blumenstrauß. Uebrigens ist vorzüglich die Jugend der Maßstab meiner Wahl. Wer schon durch die Schule des Lebens gegangen ist, schmiegt sich selten mehr einer fremden Denkweise an. Gegenwärtig ist ein junger Mensch von 18 Jahren mein erster Liebhaber, ein wahrer Halbgott; er ist zwar von gemeinem Stande, Jäger bei dem Fürsten N., allein wann hat die Liebe sich jemals um denStand bekümmert? Mein Gemahl ist [238] sehr eifersüchtig; er weiß eben, daß er Veranlassung genug gibt, es mit gutem Grunde zu seyn. Ich glaube, er würde mich vergiften, wenn er meine kleine Galanterien erführe. Sie sehen, daß ich recht aufrichtig mit Ihnen bin; schenken Sie mir doch auch Ihr Vertrauen, und erzählen Sie mir, um uns die Rückfahrt zu kürzen, einige Scenen aus Ihrem Leben, das, wie allgemein verlautet, ja wie ich sogar schon gelesen habe, sehr reich an den interessantesten Abentheuern seyn soll« –

Während Rosa einige Sagen aus ihrem Leben lächelnd zum Besten gibt, erlaube ich mir einige Bemerkungen über die von B* so eben geäußerten Ansichten.

Die Ehe ist allerdings ein Vertrag, der für beide Theile, die ihn geschlossen haben, auf gleiche Weise verbindlich ist. Dieser Vertrag besteht in doppelter Beziehung, in bürgerlicher und in moralischer. Wird der bürgerliche Vertrag gebrochen, so sprechen die Richter, und dem verletzten Theile wird sein gutes Recht; wird aber der moralische Vertrag, die gelobte Treue, gebrochen, so mag der betrogene Theil, wenn er das Aufsehen nicht scheut, und übrigens die nöthigen Beweismittel bei zubringen weiß, gleichwohl Klage stellen, und Scheidung verlangen; er hat aber keineswegs das Recht, gerade so Unrecht zu begehen, wie der eheberechtigte Theil, indem eine unmoralische Handlung des einen Gatten niemals dem Andern die Befugniß einräumen kann, das Gleiche zu thun. Selbst [239] wenn Mann und Frau gesetzlich geschieden sind, so bleibt jeder Umgang auf vertrautem Fuße mit einer dritten Person unsittlich, und den bestehenden Gesetzen entgegen, es sey denn, daß eine neue Ehe könne geschlossen werden. Die leichten Grundsätze der B* gehören sohin dem modernen Tone an, können aber nie die Billigung rechtlich gesinnter und sittlich guter Menschen erhalten. –

Rosa mußte bei B* speisen, deren Gatte an diesem Tage Hofdienste hatte.

Im niedlich dekorirten Schlafkabinete lagen drei Gedecke. B*, darauf hinweisend, sagte: »für Sie, für mich, und – für meinen Emil. Sie scheinen fragen zu wollen, wer denn dieser Emil sey? Nun ja, mein lieber Jäger ist's! Ich will doch sehen, was Sie zu meinem Geschmacke sagen!«

Bald darnach ging die Thüre auf, und Emil trat herein. Er trug eine geschmackvolle Jägeruniform, die ihm auf dem schlanken Leibe wie angegossen stand. Eine Fülle der schönsten goldnen Locken floß über seinen Nacken und seine Schultern hinab, und fächelten den frischen, rosigen Wangen Kühlung zu. So schön auch seine großen blauen Augen waren, so hätte doch ein Kenner aus dem matten Glanze derselben den Geliebten der B* erkannt.

B* stellte ihren rechten Fuß auf einen reichgestickten Schemmel; Emil ließ sich auf das linke Knie nieder, und küßte dreimal die Spitze ihres Schuhes. Die Verwunderung [240] Rosa's bemerkend, flüsterte ihr B*, während Emil bescheiden in den Hintergrund trat, leise zu: »Sie sehen, daß ich ihn gut erzogen habe; er ist nicht blos mein Geliebter, sondern auch Liebessclave!« Sie winkte ihm, sich an den Tisch zu setzen, schellte ihrer vertrauten Kammerfrau, und ließ auserlesene Speisen und Weine bringen.

Emil mußte auf Verlangen der B* erzählen, wie er sie kennen gelernt, auf welche Weise sie ihn eingeweiht, und wie er sich dabei benommen habe. Der schüchterne Emil und Rosa waren in gleichgroßer Verlegenheit, und dunkle Schamröthe übergoß ihre Wangen, wie behutsam auch Emil die Worte zum Vortrage wählte. B* ergötzte sich an Emils undRosa's Mienen, und half nach, so oft jener stockte, oder nicht mehr genau sich zu erinnern wußte.

»Ist es möglich,« – dachte sich Rosa, – »daß eine Dame von so hohem Stande so tief sinken kann? Genügt ihr das Bewußtseyn ihres schuldvollen Lebens nicht, muß sie auch noch Fremde zur Zeugschaft laden? Das Aergste spricht man von mir, und wie unglücklich würde ich seyn, wenn ich auch nur in der entferntesten Beziehung dieser Messaline gliche!«

Rosa war in einer peinlichen Lage, aus der sie zum Glücke vom Zufall gerissen wurde.

Die Kammerfrau meldete einen Garde-Hauptmann,[241] einen von den vielen begünstigten Liebhabern der B*. Schon hörte man seine Tritte aus den vor dem Kabinete liegenden Zimmern; B* wollte ihren Verdacht nicht durch die Gegenwart des fürstlichen Jägers rege machen.

Emil mußte also ein ganz gewöhnliches Mittel wählen, sich unsichtbar zu machen, nämlich: unter das Bettgestell kriechen. Der Garde-Hauptmann bemerkte sogleich die drei Gedecke, und äußerte darüber sein Befremden.

»Wo ist denn der dritte Gast?« fragte er, ziemlich unruhig.

»Ist sie Ihnen denn nicht auf der Treppe begegnet, die Vicomtesse Ch***? So eben verließ sie uns.«

»Nein!«

»Nun, so haben Sie einander um einige Minuten verfehlt.«

Der Garde-Hauptmann nahm nun Emils Platz ein, betrug sich aber sehr anständig, so auch B*, die,diesem Liebhaber gegenüber, die Züchtige spielen zu wollen schien.

So mochte ungefähr eine Stunde verflossen seyn, die der neue Gast mit interessanten Klatschhistörchen wegzuplaudern wußte, als plötzlich ein Wagen vor dem Palaste hielt.

B* sprang an's Fenster. »Himmel, mein Mann kommt vom Hofe zurück! fort, um Gotteswillen fort! Er bringt mich um, wenn er Sie bei mir findet!«

[242] »Um den Ruf einer Dame zu retten, darf sich ein wackerer Offizier schon verstecken,« – erwiederte der Garde-Hauptmann, – »darum will ich mich auch sogleich unter das Bettgestell. –«

»Nur das nicht,« rief B* in höchster Verlegenheit aus, während der Andere schon Miene machte, seinen Plan auszuführen, – »mein Mann würde Sie auf der Stelle entdecken.«

Die Kammerfrau stürzte ganz bleich herein.

»So eben hörte ich, wie mein gnädigster Gebieter am Fuß der Treppe zum Haushofmeister sagte: Ist nicht so eben ein Offizier gekommen, um meiner Gemahlin einen Besuch zu machen? worauf der Gefragte erwiederte: er habe Niemand bemerkt.«

Die Kammerfrau entfernte sich, wendete aber an der halbgeöffneten Thüre noch einmal das Haupt, und flüsterte zurück: »So eben steigt er die Treppe herauf!«

Nun war die Gefahr am größten, man darf sagen: unabwendbar.

»Rosa, wissen Sie mir keine Hülfe, keinen Rath?«

Unter das Bettgestell konnte er nicht mehr sich flüchten, weil dieser Platz schon besetzt war; ein Sprung zum Fenster hinaus ging nicht an, weil die Straße unter demselben eine der besuchtesten war, die Höhe übrigens 2 Stockwerke betrug; der welsche Kamin war mit einem eisernen Gitter gesperrt, und ein zweiter Ausgang nicht vorhanden. Dem [243] Genie ist jedoch nichts unmöglich, und je größer die Schwierigkeiten scheinen, desto durchgreifender tritt es auf.

Rosa besann sich kaum drei Sekunden lang; die Geistesgegenwart muß schneller wirken, als der Blitz.

»Ziehen Sie schnell Ihren Degen, Herr Hauptmann, stürzen Sie dem Herrn des Hauses entgegen, und schreien Sie mit wüthenden Geberden: ›Wo ist der Elende? Ich durchbohre ihn!‹ Rennen Sie noch auf den Gängen umher, in die nächstgelegenen Gemächer, scheinbar alles durchstöbernd. Lassen Sie sich durch Niemand aufhalten und zur Rede stellen, sondern drängen Sie Alles zur Seite, und auf diese Art verlassen Sie das Haus. Der Gemahl wird dann glauben, Sie hätten einen Gegner aus Wuth bis in die Gemächer seines Pallastes verfolgt. Das Uebrige überlassen Sie mir. Sie aber, meine Gnädigste, fallen sogleich in Ohnmacht!«

Kaum hatte Rosa die Ordre gegeben, als sie auch schon vollzogen war. B* fiel in Gott vergnügt über diese Hülfe in der äußersten Noth in Ohmacht;Rosa beschäftigte sich, sie in's Leben zu rufen, während der erstaunte Gebieter, den ich schlechtweg Herr B* nennen will, in das Zimmer trat.

Rosa erzählte ihm nun ein recht abentheuerliches Mährchen von einer versuchten Verführung der Schwester des Emil, die dieser den Klauen des Garde-Hauptmanns [244] entrissen habe, wodurch der in seinen wollüstigen Hoffnungen Getäuschte in rasende Wuth gerathen sey.

Emil habe sich in B*'s Pallast geflüchtet, und unter dem Bettgestelle versteckt.

B* ließ Emil den unbehaglichen Schlupfwinkel verlassen.

»Ach, Dich kenne ich ja schon länger, wackerer Junge! Ich bin ja fast täglich im Hause Deines Herrn. Du gefällst mir, Du mußt in meine Dienste treten. Ich habe dieserwegen schon vor acht Tagen mit Deinem Fürsten gesprochen, der Dich mir aus Freundschaft abtritt. Du sollst der Leibpage meiner Frau werden; auf Dich kann ich mich ganz verlassen. Wer für die Ehre seiner Schwester wacht, verdient auch in andern Verhältnissen ähnlicher Art alles Vertrauen. Du kannst gleich heute Deinen Dienst antreten; ich speise ohnehin bei dem Fürsten, und werde dann die Sache in's Reine bringen.«

So plauderte er, ohne sich viel um die Gemahlin zu bekümmern, die in ihrer Scheinohnmacht kaum einen Freudenschrei über diese günstige Wendung, und besonders über den eigenen Leibpagen unterdrücken konnte.

Das Sprechen hinderte ihn nichts, Rosa mit lüsternen Augen zu betrachten, und nach den auserlesensten Lobeserhebungen ganz leise um ein Nachtstündchen bitten.

Rosa wollte ihre Freundschaft für die B* nicht bis zur Verkürzung ihres eigenen Interesses treiben, jedoch den [245] Schein dieses Edelmuths bewahren. Indem sie also mit halb abgewandtem Antlitze ein freundliches: Ja! ihm zunickte, sprach sie: »Sie theilen den allgemeinen Irrthum hinsichtlich meines Charakters. Möge Ihnen meine Versicherung des Gegentheiles genügen!«

B* verstand sie sogleich, und bat sie, ihm diesen kleinen Scherz zu verzeihen.

Endlich kam die B* zu sich, hörte mit der größten Theilnahme das aufgewärmte Mährchen, suchte die Anstellung eines Leibpagen als eine unnöthige Vermehrung des Dienstpersonals abzulehnen, gab jedoch zuletzt doch nach, und blieb noch eine Stunde mitRosa und Emil allein, als B* zur Tafel des Fürsten gefahren war.

»Nur Ihre Geistesgegenwart hat mich gerettet, – nahm B* das Wort, – empfangen Sie dafür, liebeRosa, meinen innigsten Dank, und dieses kleine Andenken.«

Hiermit überreichte sie der Rosa ein kostbares Halsgehänge von Brillanten, daß diese von der äußerst reichen B* ohne viele Umstände annahm. Bald darauf fuhr sie nach Hause.

Nach dem Theater trat der Leibpage seine Dienste bei der B* an, und Rosa gab dem Gemahle derselben Veranlassung, ihr 20,000 Franken zu bezahlen.

Sie trat noch in zwei Rollen auf, blieb dann noch einige Tage in Paris, um gegebene Verheissungen zu erfüllen, setzte die Goldernte in gute Wechsel um, die sie in die [246] Heimath schickte, und begab sich mit ihrem ganzen Gefolge und Eilpferden nach

Madrid
Madrid.

»Suivez moi, je vous ferai connaître Madrid.«

Lesage.


Ein spanischer Prediger aus dem sechzehnten Jahrhunderte sagt: »Satan habe den Sohn Gottes auf den Gipfel eines hohen Berges geführt, und ihm von dort Frankreich, Deutschland, Italien, England, kurz alle Reiche Europa's gezeigt, doch wäre Spanien glücklicherweise durch die Pyrenäen verdeckt worden, sonst hätte der Heiland wahrscheinlich der Versuchung erliegen müssen.«

In diesen Worten scheint mir ein Meer des Lobes völlig erschöpft zu seyn. Wie wenig Wahres daran sey, erinnert uns jede Zeitung, oder Spanien ist ein Vorhimmel, in welchen man Teufel gesetzt hat, um indessen in der Hölle die nöthigen Baureparaturen vornehmen zu können.

Die Mauren beteten, nachdem sie aus Spanien vertrieben waren, alle Freitage zu ihrem Propheten, daß er sie in dieß Land zurückführen möge, welches ihnen schon auf Erden gewähre, was dem Gläubigen erst im Himmel versprochen sey.

Als Rosa auf dem höchsten der Berge Guadarama's, beim Löwen Ferdinands, den Blick über die niedere Gegend [247] schweifen ließ, entdeckte sie in der weiten Ebene eine weißliche Masse. Es war Madrid, wohin man von dort aus noch zwei Tagmärsche rechnet. Von den Bergen heruntersteigend, kommt man durch eine beständige Wüste, nur von Heidekraut und dergleichen Pflanzengesindel bevölkert.

Rosa kam eben in Madrid an, als die Damen mit ihren eleganten Begleitern von der Promenade zurückkehrten, und in den Kaffeehäusern Labung suchten.

Während die Damen hier Gefrorenes oder Sorbet schlürfen, trinken die Herren eine Bouteille Bier, welche in eine Terrine gegossen wird, worein man schon vorher ein Glas gefrorner Limonade schüttete. Dieses Getränk, so sonderbar es uns auch scheinen mag, ist sehr erfrischend, und wird häufig genossen.

Die spanischen Damen gefielen der Rosa in hohem Grade; ich kenne aber auch in der That keine üppigeren Bewegungen, keine leichtere Haltung des Körpers, keine verführerischen Gestalten; ihre Füße sind so klein, daß man sie kaum bemerkt. Darum ist auch der Fußputz bei den Madrider Frauen, ohne Unterschied des Standes, stets von gesuchter Zierlichkeit und Reinlichkeit. Die Spanierinnen enthüllen ihren Fuß, und verhüllen ihren Busen, weil jener sehenswerth ist, dieser, mit seltenen Ausnahmen, nur gewinnen kann, wenn er mehr errathen als ge zeigt wird.

Rosa fühlte sich in einer neuen, ihr ganz fremden [248] Welt. Welch ein Abstand gegen das heitere Genußleben von Paris! Die Spanier sind um 500 Jahre zurück, und doch kann man aus einem Spanier nochzehen Portugiesen schneiden. Beide Völker zehren von der Erinnerung dessen, was sie vor Jahrhunderten waren, und sind, wie Frau von Staël sehr richtig bemerkte:


»– bien plus remarquables par ce qu'ils ont été, et par ce qui's pourraient être, que par ce qu'ils sont.«


Im Mittelsatze dieses Ausspruches: »daß sie etwas seyn könnten,« kann ich der geistreichen Frau nicht beistimmen. Die Aufklärung kann und wird nie in die Köpfe dieser Menschen dringen, die vom grassesten Pfaffen-Unsinn verrammelt sind.

Die schmählichste Bigotterie, wahrhaft gotteslästerliche Religionsbegriffe, woran keine Spur der christlichen Liebe unseres heiligen Erlösers zu finden ist; ein Unzahl müßiger, intriguenvoller Pfaffenwänste, die vom Marke des Landes gemästet werden, das sie planmäßig im geistigen Fortschreiten niederhalten; die Vorliebe für eine absolute Regierung; Mangel an Gewerbsfleiß aus angeborner Trägheit, grausame Gesetze und bestechliche Richter, u.s.w. sind eiserne Hemmschuhe, die jeden Aufschwung lähmen, und käme auch durch eine Fügung des Himmels einst ein König, der im Geiste der Zeit, nach dem Vorbilde der Monarchen Europa's selbstständig, und nicht am Gängelbande [249] der Apostolischen herrschen wollte, so würde er wohl bald in die Vorhalle der k. Gruft, in die Moderhalle, – et Padridero, – wandern müssen, worin die sterblichen Reste der Könige und Königinnen den ersten Verwüstungen der Fäulniß überlassen werden.

Wie viele große Männer haben den Versuch,Spanien und Portugal durch Verfassungen in die Reihe der gebildeten Völker einzuführen, mit einem schmählichen Tode gebüßt! Die weit überlegene Mehrzahl ist dort noch nicht reif, und wird es nie werden, so lange der Einfluß der Apostolischen dauert; wer aber, oder vielmehr welche Macht kann sich mit diesen unsichtbaren Gewalten messen, mit diesen Polypenköpfen, die nachwachsen, wenn sie auch abgehauen werden?

Die Erziehung ist das erste und edelste Mittel, ein großes Volk heranzubilden; dort ist sie in den Händen der fanatischen Mönche. Beide Länder leiden am politischen Magenkrebse; nur ein zweiter Luther könnte einen Umsturz des Bestehenden erzielen, der dem Schwerte der Constitutionellen nie gelingen wird. Aber auf welche Weise sollten die Lehren eines solchen Mannes Eingang finden? Dann frägt es sich auch noch, ob diese Länder so großer Anstrengungen würdig seien? Ich glaube nicht; am wenigstenPortugal; denn ein Land, in welchem sich kein entschlossener Arm hervorthut, um ein thronräuberisches Ungeheuer zu erlegen, das seine Hyänenzähne in das Fleisch der [250] Unschuldigen schlägt, um seine heiße Mordgier mit Strömen Bürgerblutes zu löschen, verdient nicht einmal genannt zu werden. Man hat dem Sultan Griechenland entrissen weil er dieEmpörer durch die Gewalt der Waffen wieder unter sein Joch beugen wollte; die christlichen Mächte sehen aber ganz ruhig zu, daß ein Wütherich die getreuen Unterthanen des legitimen usurpatorischen Monarchen täglich zu zahllosen Galgen schleppen läßt, bis zuletzt Portugal ein allgemeiner Kirchhof seyn, und Don Miguel, als gekrönter Henker und Todtengräber zugleich, auf den Gebeinen des erwürgten Vaterlandes thronen wird. –

Doch weg mit Betrachtungen, die das heitere Leben der schönen Sängerin mit allzutrüben Schatten umdüstert.

Rosa fuhr langsam durch die Straßen der Stadt, um den vollen Genuß einer seltenen, ganz neuen Anschauung zu haben. Die Form der Kirchen fiel ihr ganz besonders auf; sie haben nämlich etwas Orientalisches, und ohne die Kreuze auf ihren Spitzen würde man sie für Minarets einer asiatischen Stadt halten. Vor jeder Kirchthüre steht eine Schüssel, zur Aufnahme des Geldes bestimmt, wofür Seelenmessen für die armen Verdammten im Fegfeuer gelesen werdensollen; nachdem es aber in einigen katholischen Ländern Deutschlands an den nöthigen Priestern und Altären fehlt, um alle Messen zu lesen, die zum Heile der Gestorbenen oder zu andern frommen Zwecken[251] bestellt werden, so kann wohl Jedermann selbst berechnen, wie viel Messen in Madrid auf eine gehen. In diesen Kirchen befinden sich keine Betstühle wie bei uns. Für die Männer sind längs den Mauern Bänke angebracht, die Frauen aber bleiben auf den Knieen liegen, oder setzen sich nach Art der Morgenländer, auf den Boden, welcher mit Decken bekleidet ist.

Noch am nämlichen Abende besuchte Rosa das Theater. Es ist größer als das della Crux, und die innere Einrichtung hat etwas Gefälliges. Auf der Leinwand des Vorhanges liest man die Namen der vorzüglichsten Dichter: Lopez de Vega, der allein 2000 Theaterstücke schrieb, Cervantes und Calderon. Die Logen sind ganz einfach, grau angestrichen, und werden durch hohe Wände zu beiden Seiten völlig geschlossen. Numerirte Sitze füllen das Parket, und werden las lunettas genannt. Das Auffallendste ist eine Loge, in welche nur Frauen gehen dürfen. Sie ist der Bühne gerade gegenüber, im ersten Range. Sie ist hoch, und rings umher stehen Bänke; sie heißt derKäfig, (la cazuela). Die weißen und schwarzen Mantillas, welche man hier erblickt, die häufigen Zurufungen des: Stille! welche nach dieser Seite gesandt werden, könnten mich verleiten, zu sagen, welche Art von Vögeln in jenem Käfig zu finden sey; doch ich fürchte, mich möchte derselbe Vorwurf treffen, den ich so eben gegen die aussprach, welche den Namen[252] cazuela veranlaßten. Ich kenne auch eine Theaterloge, die man mit der eben genannten in Madrid vergleichen könnte.

Das Theater in Madrid hat ein ledernes Publikum, das an den Darstellungen keinen selbstständigen Antheil nimmt. Ein neues Stück wird weder beklatscht noch ausgepfiffen; das Parterre hält sein Urtheil zurück, und die Tagblätter sprechen nicht davon. Niemand fragt nach dem Namen des Verfassers, und man verläßt das Haus, ohne über die Vorstellung zu sprechen. Der Autor nimmt die 100 oder 150 Franken in Empfang, welche sein Werk ihm einträgt; dieß erlebt zwei oder drei Darstellungen, und wird dann vergessen. In der Hauptstadt Spaniens, dessen Gegenwart zur Vorzeit sich verhält, wie das päbstliche Rom zum altrömischen Rom, ist ein glücklicher Stiertödter einer lautern Anerkennung seiner Verdienste gewiß, als der Geist eines Schiller, oder das Genie eines Eßlair.

Die Häupter der Liberalen in Paris hatten unsererRosa Empfehlungsbriefe an ihre Freunde in Madrid mitgegeben, unter welchen sie zuerst jene an den berühmten General Riego benützte. Rosa schrieb von ihm: »Riego ist ein Mann von gewöhnlicher Größe: sein Gesicht ist schwarzbraun, seine Augen sind groß und feurig. Seine Züge haben nichts Auffallendes, seine Stirne verräth keine Gewohnheit angestrengten Denkens. Dieser Kopf kann nie großen Planen oder hochherzigen Gesinnungen zum Aufenthaltsort gedient haben, obgleich die Augen lebhaften [253] Verstand und Unternehmungsgeist verrathen. Die Furchen seiner Stirne, welche nicht das Alter grub, sind das unverkennbare Zeichen eines unruhigen, aufbrausenden Charakters.«

Rosa's Urtheil über Riego bestätiget nicht das Bild, das wir uns damals von diesem Helden des Tages gemacht haben, dem das schmähliche Loos fiel, von demselben Könige an den Galgen gebracht zu werden, der ihn ein Jahr früher vor dem versammelten Hofe an sein Herz drückte. Allein die Damen haben ganz andere Augen, womit sie die Männer ansehen, als wir Männer, wenn wir über unser Geschlecht urtheilen. Sehr naiv ist das Mißfallen Rosa's, das sie hinsichtlich der Furchen an Riego's Stirne äußert; Furchen und Runzeln, diese unausbleiblichen Gegner weiblicher Reitze sind so nahe verwandt, daß uns Rosa's Bemerkung ganz natürlich scheinen muß.

Der damals allmächtige Riego stellte Rosa dem Könige und der Königin, sowie dem Infanten Ton Carlos vor, der dieß ausdrücklich gewünscht hatte. Der König und die Königin empfingen sie mit der größten Huld. »Der König,« – sagte Rosa in einem ihrer Briefe, – »hat ein auffallendes Gesicht, welches man leicht wieder erkennen kann. Er ist ein schöner Mann, sein Auge ist sanft, und sein Lächeln voller Huld. Don Carlos hat einen ausgezeichneten Wuchs, sein Auge ist feurig, alle seine Bewegungen [254] bestimmt und ausdrucksvoll.« Don Carlos ging auch wirklich noch an dem Abende dieser Vorstellung in Rosa's Schlingen, woraus ich mir den Umstand erkläre daß sie so entschieden sagen konnte: »alle seine Bewegungen seyen bestimmt und ausdrucksvoll.« Rosa sang zuerst vor Ihren königlichen Majestäten, von welchen sie mit Lobeserhebungen und prächtigen Geschenken ausgezeichnet wurde, und trat dann sechsmal auf dem Theater auf, wo sie einen in Madrid ganz unerhörten Beifall fand. –

Unter Rosa's Anbetern befand sich auch der durch die Cortes außer Thätigkeit gesetzte Großinquisitor, der sich in den zehn Tagen ihres Aufenthaltes in Madrid an jedem Abende einfand, und in neuen Louisd'or die Taxe des Tarifes bezahlte. Er war so rasend in Rosa verliebt, daß er ihr den Antrag machte, mit ihr nach Deutschland zu reisen, bei dem Herrn Professor Krug in Leipzig Unterricht in den Grundlehren der protestantischen Religion zu nehmen, dann zu dieser Kirche überzutreten, und sie zu heirathen. Einen größern Beweis von Liebe könnte, meines Erachtens, ein Großinquisitor gewiß nicht geben.

Rosa hatte nicht die mindeste Lust, von diesem ketzerischen Antrage Gebrauch zu machen, und erwiederte vielmehr: »sie gedenke mit den gesammelten Schätzen in ihrem Vaterlande ein Kloster für Nonnen zu gründen, und als Aebtissin desselben durch einen frommen Lebenswandel die Sünden ihrer Jugend abzubüßen.« Als nun der graue [255] Sünder seine Hoffnung vereitelt sah, suchte er der Sache eine andere Wendung zu geben, erklärte seinen Antrag als eine Prüfung, rühmte ihren frommen Entschluß, und verhieß ihr Empfehlungsbriefe an den römischen Stuhl. Heimlich aber dachte er: »Schätzchen, Du sollst Madrid nie wieder verlassen!«

Sie erzählte in einer vertraulichen Stunde dem General Riego diesen Auftritt, der sie nachdrücklich warnte, sich vor diesem ränkevollen, verbuhlten rachsüchtigen Pfaffen zu hüten, der alles aufbieten werde, sie in seine Gewalt zu bekommen und dann möchte sie wohl ihr Vaterland nie wieder sehen; er würde sie in irgend ein Kloster zu Madrid, oder in der Nähe der Stadt bringen lassen, dort zu seinen und seiner Helfershelfern schändlichen Lüsten mißbrauchen, und zuletzt ohne Zweifel vergiften. Sollte sie in den Fall kommen, eine kräftige Hülfe zu bedürfen, so möge sie sich nur sogleich an ihn wenden, und er bürge ihr für die Sicherheit ihrer Person, indem sein Name allein schon hinreiche, das ganze Pfaffenthum von Spanien mit Entsetzen zu erfüllen.

»Liebe Rosa,« – fuhr er fort, – »das Gelübde der Keuschheit ist ein unnatürliches, ein Verbrechen gegen die Natur, das diese eben so bestraft wie das Uebermaß. Die Männer ziehen mit dem Priestergewande keine höhere Natur an, die sie von den irdischen Trieben des Fleisches losspricht, im Gegentheile, das Verbotene reizt nur um so [256] mehr. Die Geistlichen wissen sich auf verschiedene Weise schadlos zu halten, wollte Gott, dieß geschähe nur immer auf natürlichem Wege! Bei Euch in Deutschland herrscht noch eine strenge, bischöfliche Aufsicht, und die Geistlichen, besonders die Pfarrer auf dem Lande, die sich von den Augen der ganzen Gemeinde bewacht sehen, müssen im Verborgenen ihre Köchinnen lieben, wie die Türken ihren Wein trinken, bei uns ist es gerade umgekehrt. Nirgends wird das Konkubinat der Pfaffen offener getrieben. Es ist sogar in Gesellschaft gewöhnlich, eine Frau mit dem Namen dessen zu nennen, mit dem sie in einer solchen Verbindung lebt; z.B. Frau Priorin, Frau Canonissin, u.s.w. Der Priester Minnano lebt mit einer gewissen Paquita, die mehrere Kinder von ihm hat; der berühmte PaterCyrillo hat ein ganzes Serai, das ihm ein Abgeordneter an einem nordischen Hofe mit großen Kosten zusammengebracht hat. Selbst der Herzog von Infantado hat eine sehr schöne Konkubine,Pepa, und der Staatsbeamte Calomarde dieViotante.

In diesem erzkatholischen Lande ist die Unsittlichkeit größer, als in irgend einem andern. Wie vor der französischen Revolution die großen Herrn und mächtigen Staatsruderer ihre Maitressen einander liehen, so machen es bei uns jetzt die Pfaffen. Ueber ihre raffinirte Wollust könnte man Folianten schreiben. Der graue Lüstling, der Großinquisitor, [257] geht ihnen mit dem schlechten Beispiele voran. Das Pfaffenthum regiert Spanien, mißbraucht die Beichte der königlichen Familie, um alle Staatsgeheimnisse zu erfahren, erhält das Volk in ewiger Dummheit, und ein König, der sich dem Einflusse der Pfaffen entziehen wollte, um selbstständig zu herrschen, würde bald in die Gruft seiner Ahnen befördert werden. Das Militär hat die Verfassung eingeführt, und trägt sie auf ihren Bajonetten; aber gedenken Sie meiner Prophezeihung: dieses schöne Gebäude wird durch die Pfaffenränke untergraben werden, und zusammenstürzen, und vielleicht mich selbst mit seinen Trümmern bedecken! Noch einmal, Rosa, hüten Sie sich vor demGroßinquisitor!«

Rosa benützte Riego's Warnung, und übergab alle ihre Gelder und Pretiosen einem deutschen Stabsoffiziere, der als Courier nach Deutschland eilte, und mit Vergnügen die Besorgung derselben übernahm. Ihre Reiseequipage hatte sie in einer unbedeutenden Schenke vor der Stadt, auf der Straße nach Frankreich, untergebracht, wohin sie auch ihre Reisebegleitung, mit Ausnahme der Fanny, die sie zu ihren Abendbesuchen brauchte, beorderte.

Niemand war von dem Tage ihrer Abreise in Kenntniß gesetzt; sie vermied dieß absichtlich, um allen Intriguen vorzubeugen; der Befehl an ihr Gefolge lautete nur: in jedem Augenblicke reisefertig zu seyn.

Am Vorabende ihrer Reise kam unerwartet derGroßinquisitor, [258] mit ungewöhnlich ernstem Gesichte. Er verlangte, Fanny solle sich ins Nebenzimmer begeben, da er ihr etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Fanny trat ab.

»Liebe Rosa,« begann der Großinquisitor, »man hat bei deinem Kammerdiener ein Manuscript gefunden: Geheime Liebschaften der Königin von Spanien, Maria Ludovika, geborne Prinzessin von Parma, in spanischer Sprache. Ihr Sohn, unser allergnädigster regierender König, ist durch eine übereilte Dienstfertigkeit früher davon in Kenntniß gesetzt worden, als ich, daher es mir unmöglich ist, die Sache unter der Hand auszugleichen. Obgleich ich der Großrichter des königlichen Hauses bin, so hat mir der König doch nicht die Untersuchung dieses Frevels übertragen. Er will dich selbst verhören, und hat mir den Befehl gegeben, Dich sogleich zu ihm zu führen. Folge mir, mein Wagen steht an der Hausthüre; fürchte dich übrigens nicht; der allmächtige Großinquisitor nimmt dich in seinen Schutz!«

Rosa merkte sogleich die Falle. »In welcher Sprache ist denn dieß Manuscript geschrieben?« fragte Rosa ganz unbefangen.

»In französischer Sprache!«

»Wohl möglich, daß der Unbesonnene es in Frankreich von irgend Jemand zum Durchlesen erhielt, und nun vergaß, es zurückzustellen. Darf ich es einen Augenblick durchblättern, während ich im Schlafkabinete meine Toilette [259] mache? Denn in meinem gegenwärtigen Anzuge könnte ich in keinem Falle vor Seiner Majestät erscheinen?«

»Ich will bei deiner Toilette gegenwärtig seyn.«

»Das geb' ich zu, nur gedulden Sie sich, bis ich mit den ersten Voranstalten des Kleiderwechsels im Reinen bin; das Schickliche verletze ich nicht gerne.«

»Hat dein Kabinet keinen andern Ausgang als dielen?«

»Nein, Sie glauben, ich wolle Ihnen entfliehen? Ha! ha! ha! Wo wäre ich denn sicherer, als unter Ihrem Schutze, wo seliger, als in Ihren Armen?«

Mit diesen Worten verband sie einen Blick, der dreifaches Erz geschmolzen hätte.

Der Großinquisitor war nahe daran, vor Entzücken zu Rosa's Füssen zu sinken; allein er dachte auch für die Zukunft, und mochte wohl schon tausend Arten von Weiberränken erlebt haben. Er trat daher in Rosa's Schlafkabinet, überzeugte sich, daß keine zweite Thüre vorhanden, und daß es unmöglich sey, durch die Fenster zu entkommen, ohne vom zweiten Stockwerke auf die Köpfe seiner lauernden Gesellen hinabzuspringen.

Nun gab er ihr das Manuscript zum Durchblättern, und ging wieder in's Nebenzimmer, mit der Bitte, ihm zu rufen, wenn er erscheinen dürfe.

Eine halbe Stunde verging, Niemand rief. Da öffnete er die Thüre, und beide Vögel, Rosa undFanny, waren davon geflogen.

[260] Diese Flucht schien dem Großinquisitor ein unbegreifliches Wunder; aus den tiefsten Kerkern der Inquisition hätte er sie für möglicher gehalten. Auch das Manuscript war fort.

Wie Rosa und Fanny entflohen, werde ichvielleicht meinen Lesern am Ende dieser Memoiren erzählen, das sich jetzt mit raschen Schritten nähert.

Der Großinquisitor zog also mit langer Nase und ohne Manuscript ab; Rosa aber eilte mit Fanny sogleich zu Riego, setzte ihn von Allem in Kenntniß, und bat ihn, dafür zu sorgen, daß sie augenblicklich mit ihrem Gefolge abreisen könne, ohne von den Intriguen des Großinquisitors daran verhindert zu werden.

Als Riego das Manuscript sah, rief er aus: »Gott Lob, mein Freund Orbando ist gerettet! Dieser tapfere Offizier, mein erster Adjutant, war so unvorsichtig, dieses Werk niederzuschreiben. Ein verrätherischer Diener hat es dem Großinquisitor ausgeliefert. Vor einer Stunde wurde er auf Befehl des Königs verhaftet, und müßte ohne weiteres am Galgen sterben, wenn das Manuscript in den Händen seiner Feinde geblieben wäre. Ich werde ihn sogleich davon in Kenntniß setzen lassen, damit er Alles läugne, und die Vorlage des Manuscriptes begehre. Es ist sehr interessant; wollen Sie es vielleicht einem Schriftsteller in Ihrem deutschen Vaterlande mittheilen, so steht es zu Ihren Diensten.«

[261] Rosa, die unter ihren Verehrern eine Menge Schriftsteller und Dichter zählte, nahm es gerne, um einem ihrer besten Freunde ein willkommenes Geschenk damit zu machen. 1

Riego rieth ihr, nach diesem Vorfalle nicht mehr nach Lissabon zu reisen, wohin der allmächtige Arm des Großinquisitors reiche, sondern nach Cadix zu gehen, und sich dort nach Neapel einzuschiffen.

Den Paß visiren zu lassen, dazu war keine Zeit mehr. Die besondere Eile hätte Aussehen erregt.Riego schrieb ihr also einen offenen Vorweis: »Meine Gattin reist im Namen des Königs, mit einer geheimen Sendung beauftragt. Sie ist, bei Todesstrafe durch das Standrecht, nirgends aufzuhalten.«


Riego.


Unter diese gebietenden Worte drückte er das große Siegel des General-Commando's in Madrid, und bat Rosa, dieß Blatt eher zu vernichten, als in fremde Hände zu geben. Sie gelobte es, umarmte ihren treuen Freund Riego herzlich, der sie durch einen vertrauten Diener bis zu ihrer Reiseequipage auf Umwegen begleiten ließ, und hatte zehn Minuten darnach Madrid schon im Rücken. – Der NameRiego wurde überall gepriesen und geehrt; unaufhaltsam setzte sie ihre Reise nach Cadix fort; doch dem spanischen Boden mißtrauend, fuhr sie noch am Tage ihrer Ankunft nach Gibraltar, und nach zwei Ruhetagen schiffte sie sich auf einer englischen Fregatte nach

Fußnoten

1 Ich war der Glückliche, der es aus Rosa's Händen im Gasthofe zum goldenen Hirsch in München erhielt, als sie aus Mailand in ihre Heimath zurückkehrte. In »Amors geheimen Memoiren« werden meine verehrten Leser und liebenswürdigen Leserinnen diese interessante Mittheilung finden.

[262] Neapel

ein, wo sie glücklich landete.

Im großen Theater San Carlos, wo sie schon früher Ungeheuern Beifall gefunden hatte, war am Abende ihrer Ankunft der Herzog von C*** das einzige Gespräch aller Logen. Solche Herzoge giebt es übrigens in Neapel genug. Der große König Ludwig von Baiern sagt von ihnen in seinen geistvollen Gedichten:


»Die Dukaten 1 und Duken sind hier gewöhnliche Waare,
Aehnlich einander sind sie, beide gering nur an Werth.«

Eine Dame an Rosa's Seite erzählte ihr den Vorfall ohne die mindeste Verlegenheit.

»Dieser Herzog kommt heute Morgens unerwartet früh nach Hause. Unangemeldet tritt er in das Zimmer seiner Gemahlin, und ein Zufälliger Blick in den ihm gegenüberhängenden Spiegel zeigt ihm, wie seine Gattin, im nahegelegenen Boudoir, in den Armen seines Freundes, des Marquis St. M. ruhet. Ohne das geringste Staunen, blicken zu lasten, tritt er, laut sich räuspernd, vor den Spiegel hin, und ajustirt seine Cravatte. So wie er indessen gewahrt, daß sein Nebenbuhler aus einer andern Thüre sich fortgeschlichen hat, tritt er in's Boudoir, und Alles, was er seiner vor Schrecken fast ohnmächtigen Gattin sagt, sind die Worte:

Mais, Madame, de laisser la porte ouverte! Si quelqu'un des domestiques était entré!‹« 2

[263] Am andern Morgen erhielt Rosa eine Menge Briefe aus der Heimath, die alle nach Neapel gesendet wurden, um sie dort zu erwarten. Von ihrem lieben Fritz war leider keiner darunter. Der Erbprinz bat sie, so schleunig als möglich zurückzukehren, indem der Fürst seit seiner Rückkehr aus den Bädern an einer unheilbaren Schwermuth leide, deren Grund Niemand kenne; vielleicht möchte es ihr gelingen, sie zu heben.

Mittags 12 Uhr sang sie bei Hofe, Abends im Theater die Vestalin, wo es Lorbeerkränze regnete. Die Nacht brachte sie sehr unruhig zu, und als kaum der Morgen graute, rollte ihr Wagen in nördlicher Richtung aus Neapel.

Es mochte etwa um fünf Uhr Nachmittags seyn, als die liebe Reisende mit ihrem Gefolge durch eine enge Waldschlucht fuhr. Sie ließ die Wagen vorausfahren, und ging, in einem Buche lesend, ganz allein nach.

Plötzlich fällt ein Schuß, dann ein zweiter und dritter, und ein durchdringendes Geschrei um Hülfe schlägt an ihr Ohr. Unbewaffnet konnte sie keine Hülfe bringen; es blieb ihr also kein anderes Mittel, als sich selbst zu retten. Sie sprang daher rasch in's Gebüsch, verlor aber bei dieser schnellen Bewegung das Buch; es ist wohl auch möglich, daß es ihr in der Ueberraschung des Schreckens entfiel. Gleich darauf nahten sich rauhe Männerstimmen.

»Der Teufel soll euch holen, ihr Hunde,« schrie ihnen der Anführer zu, in welchem Rosa mit Entsetzen ihren Feind Antonio erkannte, »daß ihr den Wagen entwischen ließet. Die Rosa saß darin, von der ich euch schon so viel erzählte, das wäre so etwas für meinen Schnabel gewesen. Tausend Dukaten hätte ich euch für diesen Fang gegeben; jetzt aber sollt ihr tausend Flüche haben.«

»Was würde aber deine Gräfin dazu sagen, wenn sie von Ancona zurückkäme?« fragte einer aus der Bande. [264] »Diese verbuhlte, nimmersatte Kröte kommt nicht mehr zurück; ich habe ihr einen Uriasbrief an einen Seeräuber aus Tunis mitgegeben, der in Ancona als türkischer Kaufmann sich mit Menschenhandel beschäftigt, ich bin ebenso froh, sie vom Halse zu haben, als es ihr Mann gewesen seyn mag, als sie mit mir durchging.«

Der Zug war bereits vorüber, als Antonio's Dogge anschlug, und zum Gebüsche sprang, worinRosa lag.

»Halt, das gibt's etwas,« – rief der Gefürchtete, – und stand vor Rosa, die erbebend vor ihm stand.

»Hab' ich Dich, Elende,« – schrie Antonio zornglühend, – »Du sollst mir auf dieser Welt nichts mehr in den Weg legen. Auf, Kameraden, reißt ihr die Kleider vom Leibe, und kühlet eure Lüste an dieser Göttin des Gesanges!«

Mit rohen Händen rißen sie nach des Herrn Gebote die Kleider vom Leibe der liebenswürdigen Rosa, spottend ihrer Angst, und bald lag sie wie ein nacktes Meisterstück Canova's, mit einer Hand die Augen, mit der andern Eva's Feigenblatt ersetzend, vor den Räubern auf dem Boden.

Schon schickte sich ein häßlicher, bärtiger Kerl an, sie seinen vielseitigen Trieben zu opfern, als Antonio befahl, sie an einen sonderbar gestalteten Baum, in einer Höhe von ungefähr acht Schuhen, der die Form eines Andreaskreuzes hatte, zu binden. Es geschah. Die Bande lagerte sich um sie her, füllte die Becher, leerte sie zur Hälfte auf das Wohl des Teufels, und spritzte den Rest auf ihren Leib, so daß der rothe Wein über die blendend weißen Glieder auf die Erde träufelte.

»Der Braten scheint mir nun hinlänglich in Wein gebeizt zu sein,« – spottete Antonio, – »nehmt ihn jetzt nur herab, und speiset ihn nach Herzenslust!«

[265] Dieß war der entscheidende Augenblick, in welchem nur der Himmel retten konnte; doch nur immer auf Gott vertraut; wo die Roth am größten ist, wird auch seine Hülfe am nächsten seyn.

Zwei Escadronen neapolitanischer Jäger zu Pferde, von welchen jeder hinter sich einen Jäger zu Fuß auf dem Pferde hatte, bestimmt zur Säuberung der ganzen Provinz von dem gefährlichen Räubergesindel, sprengten plötzlich um eine Ecke. Die Räuber rafften ihre Gewehre auf, und flüchteten in die Tiefe des Waldes, die Jäger zu Fuß ihnen nach, während die Reiter nach allen Richtungen hin den Wald umzingelten. Ein wüthendes Gefecht begann; das Gewehrfeuer dauerte wohl eine Stunde lang. Nach und nach verlor es sich in die Ferne.

Da schritt ein schlanker junger Mann, den linken Arm in einer Binde, im rechten einen blutigen Säbel tragend, auf den Baum zu, auf welchem Rosa in einer schmerzhaften Stellung angebunden war, legte sich langsam auf den Rücken nieder, mit dem Kopfe gegen den Stamm des Baumes gewendet, schlug die Augen in die Höhe, und seufzte: »Allgütige Natur, laß mich in deinen schönen Himmel schauen!«

Da erblickte er Rosa, sie ihn; – laut schrie sie auf: »Heiliger Gott! mein Fritz, mein Fritz

»Rosa, meine himmlische Rosa

Ungeachtet seiner Wunde, und des unwiderstehlichen Verlangens einer ewigen Anschauung, gelang es ihm doch, Rosa loszubinden; er war bescheiden genug, den Blick von ihr abzuwenden, bis sie wieder sich angekleidet hatte.

»Auf welche wunderbare Weise hat Dich Gott mir als Rettungsengel gesendet?« fragte Rosa.

»Ich las in Lyon in den öffentlichen Blättern deine Einschiffung zu Gibraltar nach Neapel, als ich eben nach [266] Lissabon eilen wollte, um überall an Deiner Seite für Dein Wohl besorgt zu seyn. Nun eilte ich Dir entgegen. Ich komme eben auf der nächsten Station an, als deine Wagen im Galoppe vor dem Posthause erscheinen. Von Deinem Gefolge vernehme ich dein Schicksal, lasse sogleich die Sturmglocke läuten, wodurch das nahe Streifcommando herbeigerufen wird, und eile mit diesem zu Deiner Rettung herbei.«

»Mein Lebensretter, nimm mit meinem Danke auch meine Hand! Laß mich Dein glückliches Weib werden! Ich bringe Dir Schätze, wie sie keine Königstochter besitzt, und was noch mehr ist: ein reines Herz, einen unentweihten Leib!«

Ob Fritz diesen kühnen Worten glaubte, oderBeweise forderte, welche und wie sie ihm diese gab, darüber wird Rosa's Zusammenkunft mit dem Fürsten nähern Aufschluß geben.

Die Officiere des Streifcommando's erhielten vonRosa ein sehr verbindliches Denksagungsschreiben, und auch, um sich hierin vor den großen Herrn auszuzeichnen, ansehnliche Geschenke; jeder Gemeine einen holländischen Dukaten. Dafür begleiteten die dankbaren Krieger, welche das ganze Raubgesindel zusammengehauen hatten, die Rosa bis an die, noch zwei Meilen entfernte Gränze. An der Seite ihres geliebten Fritz, dem sie über ihr ganzes Leben einen vollkommen befriedigenden Aufschluß gab, fuhr sie so schnell als möglich der theuern Heimath zu.

In dem meinen Lesern bereits bekannten Wallfischbauche saßen wie gewöhnlich um 11 Uhr Mittags die Zechbrüder beisammen, denenSchlichter aus einem so eben erhaltenen Briefe von der italienischen Gränze Rosa's tragisches Ende vorlas, worüber denn die Trinkenden in große Betrübnis geriethen.

[267] Dieß Gerücht wurde durch einen Reisenden verbreitet, der von jener Poststation in Italien gerade in jenem Augenblicke abreiste, als Rosa's Reiseequipage im Galoppe ankam, und den vermeintlichen Tod der Sängerin in ihrer Herzensangst schon als entschieden betrachtete.

Um so größer war die Freude, als bald darauf derFriseur über die Treppe herunterpolterte, und aus vollem Halse schrie: »Die Rosa ist gekommen! DieRosa ist wieder da!« und dabei triumphirend den Pudermantel schwang, daß er in eine weiße Wolke eingehüllet schien.

Sogleich wurde ein dreifaches Lebehoch getrunken, und Alle stürzten dem Ausgange zu, um die Gefeierte zu sehen, und zu begrüßen.

Vor Rosa's Landhause war die ganze Straße mit jubelnden Menschen bedeckt; in ihren Zimmern wogten die Verehrer, während die Armen Gott dankten, ihre Wohlthäterin wieder zu sehen.

Der Fürst lag schwermüthig in seinem Armstuhle, als Rosa sich zu seinen Füßen warf, und ihn beschwor, den Grund seines Trübsinnes ihr nicht zu verhehlen.

»So wisse denn,« – begann der Fürst seufzend, – »daß ich vor vielen Jahren ein reizendes Mädchen liebte, das sich als Novize in dem Ursuliner-Kloster zu D.....r aufhielt. Die Aebtissin begünstigte unsere heimlichen Zusammenkünste, die jedoch ein, für mich unvergeßlich schmerzliches Ende nahmen. Meine geliebte Cordelia gebar ein Mädchen, und starb am siebenten Tage ihres kurzen Mutterstandes. Ich übergab das Kind einem vermeintlich treuen Diener, mit dem Auftrage, die Erziehung desselben zu besorgen, vor Allem aber für dessen Unterkunft in einer wackern Familie zu sorgen; sollte das Kind sterben, so dürfe er das für dasselbe bestimmte monatliche Erziehungsgeld bis [268] an sein eigenes Ende, neben der ihm selbst bewilligten Pension beziehen.«

»Nach anderthalb Jahren brachte mir dieser Diener das pfarramtliche Zeugniß, daß dieses Kind an den Masern gestorben sey.«

»Nach und nach verlor sich der Schmerz über diesen Verlust. Auf der Jagd kam ich einst in das Haus deiner Pflegeeltern, sah Dich, und war erstaunt über deine Aehnlichkeit mit meiner seligen Cordelia. In dankbarer Rückerinnerung, und gerührt von der Lage deiner Pflegeeltern, sorgte ich für Deine weitere Erziehung.«

»Vor einem halben Jahre starb jener treue Diener, und bat den Priester in der letzten Beichte: er möge mich um Verzeihung in seinem Namen bitten, indem er mich mit der Nachricht meines Kindes getäuscht habe, um die monatliche Summe, die ich bezahlte, für sich behalten zu können. Er habe das Kind dem Musiklehrer Walter gelegt, und die berühmte Sängerin Rosa sey dieses Kind.«

Rosa sank bei diesen Worten, unter einem Strome von Freudenthränen, zu des Fürsten Füßen, umklammerte sie, und rief entzückt aus: »Geliebter, theurer Vater!«

»Weh mir, daß ich Dein Vater bin, liebe Rosa! Mein Gewissen klagt mich der Blutschande an, obgleich ich unwissend dieses Verbrechen auf mich lud.«

»Nein, lieber Vater, Du bist schuldlos, denn wisse:Ich bin eine unberührte Jung frau!«

Man denke sich des Fürsten Erstaunen! Rosa wußte es so einzuleiten, daß die Fürstin mit Beiziehung sachverständiger Weiber zum zweitenmale sich davon überzeugte; denn auch damals war dießRosa's Rettungsmittel, als die Spindel'sche Cabale sie vor dem Antritte ihrer jüngsten Kunstreise verderben wollte. Natürlich erfuhr die Fürstin nichts von dem frühern Verhältnisse ihres Gemahles [269] mit Rosa, und brachte ihm diesen Schwermuth heilenden Balsam als eine ganz einfache Neuigkeit, die sich bald in der ganzen Stadt wie ein Lauffeuer verbreitete, und sowohl den Grafen L****, als auch alle Uebrigen, welche so ungeheure Summen für Täuschungen bezahlten, in Verzweiflung setzte. Sie waren jedoch so klug, eine gute Miene zum bösen Spiele zu machen, und verherrlichten bald darauf das Trauungsfest Rosa's, die ihrem lieben Fritz die Hand reichte, und diesen Tag mit großen Wohlthaten und dauernden Stiftungen feierte, mit ihrer Gegenwart. Der ganze Hof nahm daran Theil, und noch an demselben Abende erklärte der Fürst, daß die Doppelvermählung des Erbprinzen mit einer von ihm selbst gewählten, höchst liebenswürdigen Prinzessin aus dem alten Hause B**, und der Erbprinzessin Eleonore mit dem Prinzen Paul, in sechs Wochen gefeiert werden solle.

Mitternacht war längst vorüber, als Fritz mit seiner Rosa in das zauberische Kabinet trat. Er entkleidete sie. Doch wozu Oel ins Feuer gießen? Eine Phantasie, der diese drei Worte nicht genügen, wird auch mit einem ganzen Wörterbuche nicht gesättiget, Rosa legte sich nieder. Eine Minute darauf folgte Fritz, und in der zweiten Minute öffnete sich die Thüre, und herein trat eine hellleuchtende, sechsarmige Girandole in der Hand – Rosa, schritt rasch auf das Bett zu, und rief mit der äußersten Entrüstung: »Ein sauberer Bräutigam, der die Brautnacht in den Armen der Dienerin seiner Braut feiern mag! Ich muß mit Göthe sagen:


Gibt es hier im Hause solche Dirnen,
Die dem Fremden gleich zu Willen sind?«

Neben Fritz lag Fanny, jedoch im anständigen Hauskleide.

Fritz war außer sich. »Ha, schöne Zauberin, das ist [270] dein Werk! Doch länger sollen dich deine geheimen Künste nicht vor der Macht meiner Liebe schützen!«

Fanny sprang lachend hinaus, und nun schlug für Rosa die weibliche Schicksalsstunde. –


»Du bist vollkommen gerechtfertigt,« scherzte Fritz, als er um zehn Uhr Morgens sich mit Rosa zum Frühstück setzte; »aber nun sag mir auch,warum du geheime Künste angewendet hast, undwie?«

»Warum? Weil die Welt nach dem Scheine richtet, und eine Sängerin oder Schauspielerin, die von Männern Besuche annimmt, – und wie könnte man diese vermeiden, ohne sich lächerlich zu machen? – immer die Vermuthung eines vertrauten Umganges gegen sich hat. Steh ich nun einmal im falschen Lichte da, so will ich doch auch einen Nutzen davon haben, ohne diesen mit meiner Ehre zu erkaufen. Hätte ich die Anträge zurückgewiesen, so wären nur Cabalen ohne Ende gespielt worden; die studirtesten Verfolgungen und Kränkungen hätten meinen Muth durch Mangel an Erfolg zu Boden gedrückt, und ich wäre nie so weit in meiner Kunst, vorgeschritten, als es nach dem Urtheile der Kenner geschehen ist. Um aber nicht von Allen und Jeden mit Anträgen gequält zu werden, setzte ich einen bedeutenden Preis fest, und dennoch gelang es mir, ein ungeheures Vermögen zu gewinnen, das mich durch die Leichtigkeit Wohlthaten zu spenden und beglücken zu können, am Meisten erfreute.«

»Aber wie hast du es denn gemacht, deine Anbeter so förmlich zu täuschen?«

»Fanny und Betty habe ich zur Uebernahme meiner Rolle förmlich gemiethet; sie haben sich viel erworben und, können mit den Zuschüssen, die ich ihnen zu geben gedenke, noch recht artige Männer finden. Meine Gesellschaftsfräulein [271] waren jedoch stets zu ehrbar, wie ich selbst; ich habe ihnen eine reiche Aussteuer zugedacht. Alle vier, so gern ich sie in meiner Umgebung sehe, müssen in kurzer Zeit mein Haus verlassen, damit mein lieber Fritz, der ein erklärter Griechenfreund ist, zu keinen türkischen Gesinnungen verleitet werden möge.«

»Aber das Wie bist du mir noch immer schuldig, schönes Schätzchen!«

»Das Wie, liebes Fritzchen, hat mich nicht blos reich gemacht, sondern mir auch in Madrid das Leben gerettet. Nun höre und sieh! Diese –«


In diesem Augenblicke bringt der Briefträger einen Brief von meinem Herrn Verleger, dem Buchhändler Friedrich Franckh von Stuttgart. Es ist eine kurze Antwort, aber weil er mir sonst gewöhnlich gar keine schickt, so bin ich auch mit dieser zufrieden. Sie lautet:


»Euer Wohlgeboren


Hab' ich zu eröffnen, daß Sie die Erklärung vonRosa's Zauberbette erst in dem Werke: ›Rosa's Gardinenseufzer, nachgehaucht von Friedrich Wilhelm Bruckbräu,‹ das nach jenem Nachtrage unverzüglich in meinem Verlage erscheinen soll, gefälligst mittheilen wollen.

Nach diesem konstitutionellen Buchhändler-Veto bleibt mir kein anderer Ausweg offen, als meine geneigten Leser und schönen Leserinnen auf das eben genannte Werk zu vertrösten, wenn ihnen HerrSchlichter, der Alles weiß und Alles erfährt, nicht früher Aufschluß geben kann; möge ihnen vorläufig dieß zur Beruhigung dienen, daß in dieser Geschichte, mit Wieland zu sprechen: ›jeder Topf seinen Deckel gefunden habe.‹«


Ende des zweiten Bandes.

Fußnoten

1 Ein ducato neapolitano beträgt 2 Gulden rheinisch.

2 Aber, Frau! die Thüre offen zu lassen?! Wenn nun ein Bedienter hereingetreten wäre!


Notes
Erstdruck: 1924. Erschien zunächst unter dem Pseudonym Baron Belial.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Bruckbräu, Friedrich Wilhelm. Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4554-0