[550] Helden-Gedichte

1.
Du nur im Wechsel standhafts Glücke,
Wie lange blendet uns dein Schein?
Wie lange sollen deine Tücke
Geehrt, ja angebetet, feyn?
2.
Du sähest uns, mit güd'nen Hamen,
Durch allgemeine Zauberey;
Du raubst der Tugend Würd' und Namen,
Und legest sie den Lastern bey.
3.
Ein Räuber, Blut-Hund, Uebelthäter,
Der gröste Wüterich der Welt,
Ein Mörder, Stadt- und Land-Verräther,
Wo er dein Günstling; heisst ein Held.
4.
Wer glücklich raubt, thut Wunder-Wercke.
Man heist Betriegen, Trotz, Gewalt,
Anitzo Klugheit, Großmuth, Stärcke,
Hat man nur dich zum Rückenhalt.
5.
Allein ob du und das Gerüchte
Die Krieger noch so sehr erhöhn:
Lasst uns doch, bey der Wahrheit Lichte,
Den, der nichts als ein Held, besehn.
[551] 6.
Den, sag' ich, der, aus blossem Kitzel,
Ohn' Ursach' an zu kriegen hebt,
Und, nur durch Brand und durch Scharmützel,
Nach einem grossen Namen strebt.
7.
Ich finde nichts, als Grausamkeiten,
Trotz, Hochmuth, Ungerechtigkeit,
Geitz, Bosheit, Neid (die Pest der Zeiten)
Verrätherey, Verwegenheit.
8.
Von solchen Spornen wird getrieben
Ein kriegerischer Helden-Muth.
Da schon't er denn, in Stich- und Hieben,
Nicht sein, noch minder andrer, Blut.
9.
Ja, daß im eintzelnen Gefechte
Das Morden nicht zu sparsam wär';
Dingt er viel tausend Schlachter-Knechte,
Die metzeln dann zu seiner Ehr'.
10.
Und zwar nicht Schafe, Schweine, Rinder
Zur Nahrung dem erhitzen Zahn;
Nein seines gleichen, Menschen-Kinder
Ja gar, die nie ihm Leid gethan.
[552] 11.
Aus solchem frechen Blut-Vergiessen
Soll dem nun, der nie Mörder hält,
Ein Krantz von Palm- und Lorbern spriessen?
O Zeit! o Sitten dieser Welt!
12.
Wird-wohl mit Recht erhoben,
Der Teutschland zu verheeren sucht?
Sollt' ich an Alexandern loben,
Was man am Attli verflucht?
13.
Ich sollte Morden, Würgen, Brennen,
Und Hausen, wie kein Türcke thut,
Bewundern, ja fast heilig nennen
die Hand, die roth von meinem Blut!
14.
Was ist doch eurer Großmuth Zeichen,
Ihr Helden, die ihr immer kriegt?
Zerstöhr'te Städte, tausend Leichen,
Ein Land, drauf Schutt und Asche liegt.
15.
Das Erdreich naß von Blut und Thränen,
Das Wasser durch die Gluht verseigt,
Die Luft voll Seufzen, Klag' und Stehnen,
Das Alter gantz von Leid gebeugt.
[553] 16.
Die Jugend nackt und unerzogen,
Der Eh-Mann lahm, das Weib entehrt,
Die Häuser in die Luft geflogen,
Ist das nicht Lob- und Rühmens wehrt?
17.
Sind denn die trefflichen Geschöpfe,
Die Menschen, dazu nur gemacht,
Daß um vier, fünf erhitzte Köpfe
Man sie, wie Ochsen, wieder schlach't?
18.
Erwegt, ihr Götzen dieser Erden,
Daß ihr, trotz Moloch, Blut verschlingt:
Da man, die euch geopfert werden,
Nicht jung, erwachsen, zu euch bringt.
19.
Wen schrecket nicht der Römer Freude,
Und wer verfluch't nicht ihre Lust,
Wann sich, zu ihrer Augen-Weide,
So mancher Mensch ermorden must'?
20.
Wann sie so viele würgen liessen
Bey jedem Gast- und Freuden-Mahl,
Und das das schönste Schau-Spiel hiessen,
Je grösser der Erwürgten Zahl.
[554] 21.
Ihr Bestien! Doch halt, ich schweige,
Und schelte diese Mörder nicht,
Weil, was ich hier Abscheulichs zeige,
Auch unter Christen noch geschicht.
22.
Wie? werden hier die meisten sagen:
Wer würgt itzt Menschen bloß zur Lust?
Ich spreche: Wenn Armeen schlagen,
Aus Ehrgeitz in der Helden Brust.
23.
Mein Tod ist ja nicht minder herbe,
Ob ich, wann ich doch sterben muß,
Aus Ehrgeitz oder Wollust sterbe.
Nun mach' ein jeder selbst den Schluß.
24.
Ja, wer kann noch die Plagen zählen,
So die Verwundten dann erst drückt,
Wenn man sie in den Hospitälen,
Des Morgens nach der Schlacht, erblickt.
25.
Wo man so viel zerfleischte Glieder,
So viele halbe Menschen sieht,
Wo noch im Blute hin und wieder
Manch lebend Aas sich schleppend zieht.
[555] 26.
Wie alles in der Mörder Höle
Vom warmen Menschen-Blute raucht,
Wo mancher die gequälte Seele,
In tausend Schmertzen, von sich haucht.
27.
Wo Wund-Aertzt', Hencker möcht' ich sagen,
So manchen gantz zerkerbten Leib
Durch Brand und Trepaniren plagen,
Recht als zu ihrem Zeit-Vertreib.
28.
Ja weil man sie, nach Stücken, lohnet,
So viel ein Arm, ein Aug', ein Bein:
So ist kein eintziger, der schonet;
Sie schneiden alle frisch darein.
29.
Sollt' hier ein Welt-Bezwinger sehen,
Die schönen Früchte seiner Ehr';
Ich gläub', er müst' einst in sich gehen,
Und wär' er wilder, als ein Bär.
30.
So aber mag die Welt verbrennen;
Die Erde selbst zu trümmern gehn!
Nur daß man ihn mag tapfer nennen;
Lässt es ein Held mit Lust geschehn.
[556] 31.
Allein, wer nennt Verheeren Siegen?
Wer heisset Rasen Tapferkeit!
Wer machet unter Raub und Kriegen
Nicht den geringsten Unterscheid?
32.
Verfluchte Schmeichler! eure Zungen
Sind ärger, als der Mörder Schwerdt.
So oft ihr ihre Wuth besungen,
Habt ihr, nicht sie, die Welt verheert.
33.
Ihr reitzet sie, ihr macht sie rasen;
Durch euer Loben wächst die Wuth;
Ihr giesst, wenns Feuer angeblasen,
Durch Ruhm, stets Oel in diese Gluht.
34.
Ihr Furien der Erde, dencket:
Daß eurer Natter-Zungen Gift
Die Welt in Gluht und Blut versencket,
Wenn ihr, durch Schmeicheln, Kriege stift't.
35.
Wie mancher Fürst regiert' im Frieden,
In stoltzer Ruh' und Ueberfluß,
Der itzt, weil er nicht euch vermieden,
Aus Noth ein Räuber werden muß?
[557] 36.
Der, weil der Feind, wie er geglaubet,
Sich nicht berauben lassen wollt',
Anitzt sein eigen Volck beraubet,
Zu zahlen seiner Schlachter Sold.
37.
Denn kurtz: Ein Fürst, der Kriege liebet,
Und an der Helden-Seuche liegt,
Verheert sein Land, das stets betrübet,
Arm, wenn er weicht; arm, wenn er siegt.
38.
Ach hätten wir den Witz zum Führer,
Wir fänden, und gestünden frey:
Daß auch der beste Musketirer
Ein ungeschickter König sey.

Notes
Erstdruck im ersten Teil des »Irdischen Vergnügens« 1721.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Helden-Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-443A-1