[84] Mancherley Vorwürfe der Sinnen

Im Garten hört' ich jüngst den süss- und scharfen Schall
Der feurig schlagenden verliebten Nachtigall.
Ich ward dadurch gerührt, gereitzt, ergetzet,
Und, durch den reinen Klang, fast aus mir selbst gesetzet.
Ich horcht' aufmercksam zu, wie lieblich, süß und hell,
Wie scharf, wie rein, wie rund, wie hohl, wie tief, wie schnell,
Sie Stimm' und Ton formirt, verändert, theilet, fügt,
Und, durch unzählige Veränd'rung, uns vergnügt.
Oft weis sie Schnarren, Flöthen, Zischen,
In unbegreiflicher Geschwindigkeit, zu mischen.
Oft fängt sie einen Ton mit hellem Flöthen an,
Fällt in ein Zwitschern, schlägt, lockt, winselt, jauchzet, stöhnt,
Und alles fast zugleich; oft bricht sie ihn, oft dehnt,
Oft drehet sie den Ton, oft wirbelt sie den Klang,
Und ändert tausendfach den fröhlichen Gesang.
Indem ich nun, bey einer dicken Hecken,
Zu Ende der bewachsenen Allee,
In dem Gehör allein fast lebend, stehe;
Erblick' ich ungefehr an einer Ecken
Ein gleichsam buntes Licht. Es legte mir,
In einer mehr als güldnen Zier,
Ja, die sich von Smaragd, Sapphier,
Und anderm Edelstein kaum unterscheidet,
Ein über-wunder-schöner Pfau,
In prächtigen Talar von güld'nem Stück gekleidet,
Der Federn bunten Glantz und Herrlichkeit zur Schau.
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Ich stutzt', und meine Seel' empfand, wie diese Pracht
Sie auch durchs Aug' empfind- und glücklich macht.
Für Anmuth halb verwirrt, fiel mir hierüber bey:
Wie doch in der Natur so mancherley
Veränderung und Pracht, an Lust und Schönheit, sey.
Man spürt es sonderlich an diesem Vögel-Paar.
Ein unsern Geist bezaubernd Singen
Lässt von der gantzen Vögel-Schaar
Der Unansehnlichste, zu uns'rer Lust, erklingen;
Und ein verdrießliches und rauh Geschrey erschallt
Aus eines Vogels Hals, der himmlisch an Gestalt
Fast mehr, als irdisch, ist. Dieß kann ein Beyspiel seyn,
Dacht' ich, daß einer alle Gaben
Nicht leichtlich soll beysammen haben.
Kaum aber hatt' ich dieß gedacht,
Als mir, in Purpur-farb'ner Pracht,
Ein frischer Rosen-Busch schnell in die Augen fiel.
Der aber ward nicht nur allein der Augen,
Er ward auch des Geruchs und meiner Nasen Ziel,
Die beyde sich daran recht zu ergetzen taugen.
Wodurch ich denn, mit Ueberzeugung, fand,
Wie eine doppelte vergnügend' Eigenschaft,
In dieser Bluhme, sich, zu uns'rer Lust, verband.
Dem Dencken gab ich ferner Raum,
Und fand von ungefehr an einem Kirschen-Baum,
Der eben, voller Frucht, in süsser Röthe glühte,
Daß er so gar
Ein Gegenwurf von allen Sinnen war.
Es dienet dem Geruch die angenehme Blühte,
Der Zunge seine Frucht, sein Schatte dem Gefühl,
Sein sanft Geräusch dem Ohr, die Farb' und Form den Augen.
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Ich ward hiedurch aufs neu' gerührt,
Und, ferner so zu dencken, angeführt:
Wer kann, des Schöpfers Huld genug zu rühmen, taugen?
Da er nicht nur in unserm Leben,
In den fünf Sinnen, uns, zu so verschied'ner Lust,
Verschied'ne Thür- und Oeffnungen gegeben;
Da er nicht nur, zur Anmuth unsrer Brust,
Solch' eine Cörper-Meng', und Millionen Sachen
Zum Gegenwurf der Sinnen wollen machen;
Da er so gar verschied'ne Cörper schafft,
Die, mit so wunderbar vereinter Kraft,
Nicht nur durch einen Sinn, uns in Vergnügen setzen;
Nein, durch verschiedene, ja gar durch all', ergetzen.
Ach, lasst uns denn hierdurch aufs neu', in seinen Wercken,
Die Proben seiner Macht und weisen Liebe mercken!
Ach, lasst zu seinen heil'gen Ehren,
Bey stets vermehrter Huld, auch unsern Danck sich mehren!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Mancherley Vorwürfe der Sinnen. Mancherley Vorwürfe der Sinnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4408-2