[19] Gedichte

FRIEDRICHSTRASSENDIRNEN

Sie liegen immer in den Nebengassen,
Wie Fischerschuten gleich und gleich getakelt,
Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt,
Indes sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.
Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.
Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug' spürt Tortur,
Da schießt ein Grünling vor, hängt an der Schnur,
Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,
Gespannt von Wollust wie ein Projektil!
Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,
Gleich groben Küchenfrauen ohne viel
Von Sentiment. Dann rüsten sie schon wieder
Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide
Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.

[19] [32]PROSERPINA

Einsamer Pluto trage ich im Blute
Proserpina, nackend, mit blonden Haaren.
Unauslöschbar. Ich will mich mit ihr paaren,
Die ich in allem hellen Weib vermute.
Ich bin von ihren Armen lichtgefleckt
Im Rücken! Ihre Knie sind nervös,
Die Schenkel weiß, fleischsträhnig, ein Erlös
Des weißen Tages, der die Erde deckt.
In ihrem Haar bleibt etwas vom Verwehten
Des warmen Bluts. Ich liebe den Geruch!
Und nur die Zähne haben zuviel Fades,
Wie Schulmädchen, sooft sie in den Bruch,
Den Brunnen ihres Frauenmundes treten,
Der meine Brünste tränkt – Herden des Hades.

[32] [36]DIE DIRNE

Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl
In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie einen Muskel, mager, sehnig.
Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;
Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.

[36] DIE LIEBESFRAU

– Nackt. Ich bin es nicht gewohnt.
Du wirst so groß und so weiß,
Geliebte. Glitzernd wie Mond,
Wie der Mond im Mai.
Du bist zweibrüstig,
Behaart und muskelblank.
So hüftenrüstig
Und tänzerinnenschwank.
Gib dich her! Draußen fallen
Die Regen. Die Fenster sind leer,
Verbergen uns ... – allen, allen! –
Wieviel wiegt dein Haar? Es ist sehr schwer.
– Wo sind deine Küsse? Meine Kehle ist gegallt,
Küsse du mich mit deinen Lippen!
– Frierst du? – – – Du bist so kalt
Und tot in deinen hellen Rippen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[37] [43]ERWACHSENE MÄDCHEN

Wer weiß seit Fragonard noch, was es heiße,
Zwei stracke Beine haben in dem Kleide;
Roben gefüllt von Fleisch, als ob die Seide
In jeder Falte mit dem Körper kreiße.
Aus dem Korsage fahren eure Hüften
Wie Bügeleisen in den Stoff der Röcke,
Darauf wie Bienen auf die Bienenstöcke
Unsere Blicke kriechen aus den Lüften.
Ihr jugendlichen Sonnen! Fleischern Licht!
Wir haben den Ehrgeiz der Allegorien
Und hübschen Dinge im Gedicht.
Ich will mit eurer Bettwärme Blumen ziehn!
Und einen kleinen Mond aus dem Urin,
Der sternenhell aus eurem Blute bricht!

[43] DIE SCHLAFENDE ERNA

Auf einer Ottomane aus Mohär
Liegt sie in Seidenröcken, eine Truhe
Voll Nacktheit, und ich denke voll Unruhe
An dein Geheimstes – schönes Sekretär.
Die Frauen tuen Wundervolles in die Seide.
Am Knie beginnt es. Ich will es auspellen,
Wenn Küsse summen nach hautsüßen Stellen
Im Bett, daß wir nicht schlafen können beide.
Du großes Mädchen, die noch kleinen Brüste
Schmücken dich mir. Auf den geheimen Schmuck
Hast du die linke weiße Hand gelegt;
Ich dachte: Soll die eine, die sie trägt –
Die schwarze Blume welken von dem Druck?
Und nahm die Hand weg, die ich leise küßte.

[44] SINNLICHKEIT

Unter dem Monde liegt des Parks Skelett.
Der Wind schweigt weit. Doch wenn wir Schritte tun,
Beschwatzt der Schnee an deinen Stöckelschuhn
Der winterlichen Sterne Menuett.
Und wir entkleiden uns, seufzend vor Lust,
Und leuchten auf; du stehst mit hübschen Hüften
Und hellen Knien im Schnee, dem sehr verblüfften,
Wie eine schöne Bäuerin robust.
Wir wittern und die Tiere imitierend
Fliehn wir in den Alleen mit frischen Schrein.
Um deine Flanken steigt der Schnee moussierend.
Mein Blut ist fröhlicher als Feuerschein!
So rennen wir exzentrisches Ballett
Zum Pavillon hin durch die Türe ins Bett.

[45] MEINE JÜDIN

Du junge Jüdin, braune Judith, köstliche
Frucht der Erkenntnis, weißer Blütenfall:
Aus Kleidern steigst du nackt, ein All ins All,
Mit deinen Brüsten, Mythenfrau, du östliche.
Steige vom Sockel, Venus, aus zerballter
Wäsche, Jungweib! Wie Morgensonne blitzt
Dein Bauch – und in der Schenkel Schatten sitzt
Wie Blüten saugend, fest, ein schwarzer Falter.
Und Schwarzes fällt aus den gelösten Schleifen
In den konkaven Nacken, wie Geruch.
Und die zu großen, graden Zähne blecken,
Als ob sie schon in Männerküssen stäken.
Der Blick hängt glänzend über dem Versuch,
Die Lippen über das Gebiß zu streifen.

[46] LIEBESMORGEN

Aus dem roten, roten Pfühl
Kriecht die Sonne auf die Dielen,
Und wir blinzeln nur und schielen
Nach uns, voller Lichtgefühl.
Wie die Rosa-Pelikane,
Einen hellen Fisch umkrallend,
Rissen unsere Lippen lallend
Kuß um Kuß vom weißen Zahne.
Und nun, eingerauscht ins weiche
Nachgefühl der starken Küsse,
Liegen wir wie junge Flüsse
Eng umsonnt in einem Teiche.
Und wir lächeln gleich Verzückten;
Lachen gibt der Garten wieder,
Wo die jungen Mädchen Flieder,
Volle Fäuste Flieder pflückten.

[47] MEIN FEBRUARHERZ

Als trügen Frauen in den Straußenfedern
Das junge Licht wie eine weiße Fahne,
Gehörten alle Häuser reichen Reedern
Und wären Schiffe, schwimmt um die Altane
Die blaue Luft! Oh, jetzt in einem Kahne
Auf Wassern fahren, süßen Morgennebeln
Entgegensteuern, gleich dem leisen Schwane
Die Wellen teilend mit den schwarzen Hebeln!
Geh in die Leipzigerstraße! Geh ins Freie!
Schön ist die Wollust! Gott ein guter Junge.
Die Dirnen sommern brünstiger als Haie!
Ich habe Geld! Ich bin so schön im Schwunge.
Sonette aus Sonne kitzeln mir die Zunge!
In meiner Kehle sammeln sich die Schreie!

[48] ABENDAVENUE

Die Straße ist von Klängen überstrahlt,
Bewachsen von Phantasmen des Geruches,
Und Hüften in den Hülsen blauen Tuches,
Das aller Schritt zu Reiz zermalmt und mahlt.
Die Dirnen kommen, knarrend, Wollustfuder,
Und Bürgermädchen, die mit Reizen knausern;
Jungfräulein die, und andern, die schon mausern,
Gleitet ein Scharlachlächeln in den Puder.
Teufel! Wir werden wie die Pelikane
– Wenn diese Mädchen uns mit Blicken füttern,
Gierig nach den Konturen und Profilen,
Die alle kommen, einzeln, momentane,
Und aus den fetten Rücken, aus den Müttern,
Bisweilen leise nach uns Jungen schielen.

[49] TIERGARTEN

Birken und Linden legen am Kanal
Unausgeruhtes sanft in seinen Spiegel.
Ins Nachtgewölbe rutscht der Mond, ein Igel,
Der Sterne jagt und frißt den Himmel kahl.
Mädchen sind da, und wir sind sehr vergnügt.
Ich schmeiße nach dem dicken Mond mit Steinen;
Die Betty küßt mich, und er soll nicht scheinen,
Weil Bella schweigt und naserümpfend rügt.
Die Sommerstädte liegen um den Park.
Es wird sehr hübsch! Der Süden wandert ein!
Die Sonne wächst! Wie nackte Männer stark
Schreiten die Tage, Frühjahr in den Hüften.
Die schwarzen Linden kommen überein,
Morgen zu grünen in den süßen Lüften!

[50] MÄDCHENNACHT

Der Mond ist warm, die Nacht ein Alkohol,
Der rasch erglühend mein Gehirn betrat,
Und deine Nacktheit weht wie der Passat
Trocknend ins Mark.
Du hast ein weißes Fleischkleid angezogen.
Mich hungert so – ich küsse deine Lippen.
Ich reiße dir die Brüste von den Rippen,
Wenn du nicht geil bist!
– Küsse sind Funken, elektrisches Lechzen
Kupferner Lippen, und die Körper knacken!
Mit einem Sprunge sitzt mein Kuß im Nacken
Und frißt dein Bäumen und dein erstes Ächzen.
Und als ich dir die weißen Knie und,
Dein Herz verlangend, allen Körper küßte,
Geriet mein Schröpfkopf unter deine Brüste;
Da drängte sich das Herz an meinen Mund.

[51] GUTEN TAG – HELLE EVA!

Ich wollte mit dir jungem Weibe leben
Gern wie der Sturm auf einem hellen Meer,
Daß deine Hände sich wie Möwen heben.
Wie Strudel leuchten deine Brüste sehr.
Dein Fleisch ist Schnee, und schneereich bist du wie
Russische Winter. Mondrot leuchtet, blond,
Dein Haarkorb an des Nackens Horizont –
Du nackend Weib, du weiße Therapie!
Lange behielt ich deine Witterung
Und jagte hitzig hinter Dirnenrudeln,
Lustkrank, von Qual beweht. Doch du bliebst jung.
Auf deinen Rippen kreisen weiße Strudel;
Du bist ein Weib geworden – puh – fruchtbar,
Du blanker Bauch voll Blut und krautigem Haar.

[52] FRIEDRICHSTRASSENKROKI
3 UHR 20 NACHTS

Die Friedrichstraße trägt auf Stein
Die blassen Gewässer des Lichtes.
Die Dirnen umstehn mit Hirschgeweihn
Die Circe meines Gesichtes.
Ich schaue: – Der Träume Phosphor rinnt
In zwei, vier Menschenaugen neu.
Wie eine Katze springt, gefleckt, der Wind
Zwischen des Asphalts Lichterstreu
Und trägt den fetten, weißen Rauch
Im Maul den jungen Winden ins Nest.
Er faßt die Dirnen an den Bauch
Und klemmt die dünnen Röcke fest.
– Da sind Gesichter, lachen nett,
Daß alle Zähne blecken müssen;
Die Louis zeigen ihr Skelett,
Louise läßt mich ihres küssen.

[53] ANDERE JÜDIN

I

Im Norden sind die Ebenen, da steigen
Die Ströme zitternd in das Meer,
Das sie verhüllt. Der Wind weht Wogen her.
Das Wasser schweigt, und die Sternbilder schweigen.
Du stiegst hinab mit deinem weißen, leisen
Lachen sprudelnd und deiner Brüste Schaum.
Antworte doch! Bist du noch in dem Raum,
Wo meiner Augen Vögel schreien, kreisen?
II

Der Wind ist in den Eichen,
Die sich nach Westen legen
Und diesen kleinen, bleichen
Himmel zusammenfegen;
Ich atme schlecht! Ich zucke
So an der Luft! Untätig.
Mir ist vom steten Drucke
Nicht mehr viel Ich vorrätig.

[54] [56]ADIEU MÄDCHENLACHEN!

Sie nehmen Abschied, werden nicht vergessen
Die Wege, die sie jetzt gehn – du und ich,
Zwei Lächeln nur, mit denen sich
Apokalyptische Gesichte messen.
O fälschte doch mein sicheres Gesicht!
Die Furcht läuft in die Zukunft und sieht mutig,
Da liegst du, abgeküßt und schenkelblutig:
– Mein Hirn bellt auf – brautnackt im Ampellicht.
Die Schmerzen beißen in das Hirn hinein.
Was martert, mordet nicht mein wilder Freisinn!
O meine Mutter, weißhändige Greisin,
Nimm mich zurück ins Nichtgeborensein!

[56] NACH DER NACHT

Laternen, die den Regenabend führen,
Haben die Stadt, die glänzende, verraten.
Eiweißer Eiter tropft im Lichteratem
Der Friedrichstraße, wo sich Dirnen rühren.
Die Augen kriechen aus den Faltenlidern
Und spritzen einen Blick, der dich begießt.
Sie lachen sich das Kleid vom Bauch; du siehst
Die Brüste – Krötenbäuche in den Miedern.
Du flohst, und Vögel sangen für dich junitags.
Der Morgen senkte sich in dein Gesicht.
Es schlugen Uhren an, weckten das Licht.
Doggengebell des Turmuhrstundenschlags.
Du öffnest deinen Mund, der ist lichtzahnig.
O Wanderungen im Gestein der Stadt!
O Röcheln, Schreie, seelenquälend Rad! –
Es sprudelt aus der Morgenröte sahnig.
Du schweigst. Hinter den dunklen Augen ruht
Das Hirn vom Krampf der tötenden Arsene.
Du lächelst, blickst – und da betritt die Szene
Die Sonne, jugendlich, im Wolkenhut.

[57] [76]AMOR UND MORS

Die Liebenden am Abend in Berlin!
Wir liebten junge Mädchen nach Gewicht!
Elf Dutzend Pfund! Sie radebrechten: »Nicht«,
Umarmten uns und stießen mit den Knien!
Unser Geschlecht berauscht die Jungfraun! Schrien
Nicht alle gleich? – Ach, dieser Lärmkehricht
Deflorationen ist erinnerungschlicht
Verschollen wie Quartaneronanien. –
Wir mästen unser Lachen. In den Städten,
Des Todes sehr rentablen Fleischerein,
Arbeiten Dirnen, Arzte; die entgräten
Die Luesleichen für den Schlund des Grabes,
Tod, stellst du keinen Liebesdichter ein?
Wir machen Propaganda für die Tabes.

[76] ANDERE JÜDIN

Dein Nacken sonnte meiner Arme Pflanzen,
Kann ich verstehen, daß du sie verdorrst!
Die Sonne kommt im Frühling in den Forst,
Gibst du mir Winter, diesen einen ganzen?
Der Wind ist weiß und in den Gärten grün.
Den Birken kriechen Blüten aus der Rinde. –
Bewehe mich! Laß doch in deinem Winde
Auf meinen Nervenfeldern Verse blühn!

[77] [83]DER FRAUENTOD

Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen.
Beischlaf erregt, zersetzt die Moleküle.
Ich wandre durch Provinzen der Gefühle
Der Freude ab und komme in das Grauen.
Dich, Dirne, macht die Nacktheit antlitzschön.
Heiliges Fleisch steht auf den Knien im Haar.
Ich liege bei dir, lächelnd, am Altar,
Dem Tod entrückt auf deiner Brüste Höhen.
Aber nach den Umarmungen, nach allem
Durchscheinen jedes Fleisch die hellen Knochen.
Die Muskeln schimmern am Skelett, zerfallen.
Ich sterbe. Niemand hat zu mir gesprochen.
Irrsinnig lasse ich mich sagen, lallen,
Und fühle dich vor Blut und Brüsten kochen.

[83] DER DICHTER

Die Antlitzlast auf seinen Schädelknochen,
Wie ein Museum, und die Schmerzen hängen
In großen Augen, blicklos und gebrochen,
Und in dem Mund, verzerrt von den Gesängen.
Es kommt heraus, Dunkles des Blutes, quillt.
Er wird wahnsinnig aus Liebhaberei.
Sein Mund geht lüstern auf. Er lächelt wild.
Hinter die Zähne bergend seinen Schrei.

[84] AUF DER CHAISELONGUE

Wir haben nicht der Sonne Sympathien.
Und man verspricht sich zwecklos in Gebeten.
Die Negerin, das Pferd und den Ästheten
Frißt Erde auf. Sie können nicht entfliehn.
Gott ist der Freund der Bäume und der Sterne.
Im Hochgebirge wilde Tannen schreien.
Orion hängt über dem All im Freien.
Monumental. Maßlos. In tauber Ferne.
Im Hirn Gelächter. Ich sprach: die Freiheit!! –
Das Weib ist populär. Der Koitus.
Das wadenwarme Bett. Man friert und freit. –
Gefüllt mit Zähnen ist zuletzt der Kuß. –
Komm du doch, Freund, verkürze mir die Zeit,
Mein fröhlich lärmender Revolverschuß.

[85] [94]MONOGAMIE

Fleisch. Es bewegt sich mit Blutschatten,
Und es versickert in zehn Tropfen Zehen.
Laß dich von meinen Seelenaugen sehen!
Sag etwas! Gattin, nenn mich deinen Gatten.
Die Küsse schlagen mich! Etwas Allmacht
Ist doch in den Anhäufungen von Armen.
Wie Kameraden liegen wir im warmen
Biwak der Herzen diese Fleischesnacht.
Wenn mir der Morgen in die Haare saust,
Schläfst du bei mir vom Mund bis an die Zehen.
Wir sind gottlos. Nur unser Herz verehrend.
Ein Löwenpaar, das unter Sternen haust.
Einer des andern große Stärke mehrend.
Wir sterben nicht. Das kann uns nicht geschehen.

[94] [99]FRAUEN IN DEN STRASSEN

Die Schenkelschweife an den Rippen.
Kopfhaft und wie ein Kuß gebaut,
Gleitest du dunkle Unterhaut
Seele: du Blutgestalt mit Lippen.
Der Tag voll Nase, Auge, Zopf
Hat die Magie, mich zu verwirren.
Schönheit zerreißt uns an der Stirn.
– Seele küsse mich an den Kopf!
Die Hände, deine Geberinnen,
Ein Erdlachen oder den Schrei.
Ich habe deiner Hände zwei
Verschluckt, oder du machst mich innen.

[99] FRAUENFEUER

Die Frauenfeuer, so strahlende Augen.
Das Ornament der Schädel ist symmetrisch.
Das Auge vor dem Hirn blinzelt verrätrisch:
Schön ist das Fleisch beleuchtet von den Augen.
Im Jahresdurst. Kein Schrei verläßt das Hirn.
Auf unsern Lippen stumm leuchten sie nackend.
Der Mann stürzt vorwärts mit den Armen packend.
Sein Antlitz krümmt der Schmerz in einen Stern
Aus strengem Licht. Sie aber haben Charme.
Wie Nackende das Lächeln anbehält,
So daß es ihr über die Brüste fällt.
Und folterkräftig ist die Nackte warm
Neben den armen Nackenden gestellt.
Die Fingerglut des Nackten an dem Arm.

[100] FREUNDIN HÖRERIN

Die Gegenwart der Nacht macht alles schlimmer.
Die Phantasien der Lust entlaufen schnöde,
Die Uhr schreit häßlich in der Herzeinöde,
Ins Zimmer fliegen die früheren Zimmer.
Unter die Stirne flieht die Gliederherde.
Im Mund weißkleinen Zähnelichtes schreit es,
Und Schrecken wächst im Antlitz wie ein zweites:
Ach, ach, es friert über mich hin aus Erde.
Und das Bewußtsein glaubt noch nicht einmal
Der chemischen Erlösung von dem Leide.
Das Antlitz abgestreift an eine Weide,
Mit Felderarmen liegen wir im Tal.
Ich mußte haltlos altern aus der Jugend
In dieser weißen, häuserigen Stadt.
Auf krummem Himmel frei zu stehen matt,
Den Schädel in die Martermauern fugend.
Im Himmelsgrund voll Schatten, Wind und Straße
Erscheinen wir, die sich bewegend tun.
Aus Augen fliegt über den dunklen Schuhn
Der Regenbogen durch die Antlitzmasse.
Antlitze kommen auf in dem Tierhaar,
Die Einzelaugen an die meinen spülend.
Und ein Gesicht, Auswuchs der Seele, fühlend
Einschwebte Stirn zur Stirne, scheues Paar.
Wir arbeiten. Mich freut es, dich zu sehn
Freundinnenlippenrot, anthropomorph.
Wir bauen in die Stadt uns kleines Dorf
Schädelblut-Häuser und Arme-Alleen.
Das Herz geht in den Händen hin und her.
Die Augen füllen sich an einem Strahl,
Mit Bäumebildern, Städten an dem Meer.
Der Strahl ist aus der Sonne, Tag geheißen.

[101] [103]BADENDE MÄDCHEN

Einmal gezeugt. Aus Haar und Zehenspitze
Fliegen die Rücken, Knie, Bäuche, Nacken.
Und händchengroß entfliegen rote Backen.
Der Antlitzstern zerfliegt in Handantlitze.
Zu der Figur flattern hinaus Neufrauen.
Das Licht zerstreut Bauch-Bild und Brüstefältchen.
Im Sand beisammen leuchtet Muskelwälchen,
Zopf – Zoppot, jung mit Näbeln, Kinn, mit Brauen.

[103] [109]Prosa

Mondschein

Abends; – abends lachten die Wälder. Rotes Lachen. Die jungen Bäume liebten sich. Der Osten glänzte schwarz. Der Mond schritt durch des Ostens Dunkelheit. Weit umher verlor er Licht. Die Nebel leuchteten hinter ihm.

Alle Ställe schwammen auf und das Gutshaus und der Park. Die Blumen beunruhigten sich. Des Frühlings jüngstes Gericht war da.

Die Tür des Parkes stand auf. – Wie viele es waren! Junge Stuten schritten hinein. Eine Hellbraune, zweijährig und schon erwachsen, als letzte. Die Pforte lief hinterher in das Schloß.

Die jungen Pferde waren erregt. Sie besprangen einander, sehnsüchtig, begattet zu sein. Ihre Nüstern waren Blüten, die atmeten. Aber ihre schönen Köpfe waren entstellt. Die Krankheit der Wollust, die den Schädel aufbläht und fleischig macht.

Die hellbraune Stute aus dem Tragheimer Gestüt, mit kleinen Ohren und schwarzem, geflochtenem Schweif, lag in einem Beet. Ihre Hufe waren verborgen von den Narzissen. Sie wuchs auf ihren Hüften gleich einer sitzenden Frau. Ihr brauner Hals floß in die Blumen. Ihr Gesicht war unwillig, als litte es Schmerz. Sie fühlte ihren Leib nackt. Und sie wartete. Schreilos. Wie der Wald den Sturm erwartet.

[109] [111]Der Versuch zu lieben
Eine Novelle

Wilhelm kannte das hübsche Mädchen ein paar Monate. Es erfuhr alles.

Sein Kleid war von einer Damenhand geschmückt, die Schuhe oft gewöhnlich. Es lächelte maßvoll, man konnte nicht zu schnell schreiten – aber es sagte: »Ich bin nicht grazil, ich bin fett« ...?

Sein Name war langweilig. Die Freunde hörten es Stefa Frühling nennen und nahmen Wilhelms Einfall hin; das hübsche Mädchen wurde gewöhnt, andere Worte zu hören.

Als sie spazieren gingen und Wilhelm sagte: »Ich hab dich gern, aber ich küsse die Mädchen nicht«, lächelte Stefa Frühling mit rot geöffneten Lippen, drohend: »Das sag ich meiner schönen Schwester!«

Sie gingen oft spazieren. Sie drangen unbesorgt in verlassene Gärten ein. Es war noch Winter da draußen vor der Stadt. Stefa Frühling erzählte, wovon sie nachts geträumt hatte, »vom Verreisen ans Meer«, »von einem Himmel ohne Häuser« – und wurde Schwatzliese gescholten. Alsbald schrie sie mit großer Kunst wie eine Elster, wurde gelobt und echote alle Vogelrufe nach.

Abends fror Stefa Frühling, Wilhelm trug sie in seinem Paletot. Das große Wickelkind krallte die Hände in sein Haar, eine ungesunde Zärtlichkeit.

[111] Er ging nach Hause: Sie ist nicht fett; das ist nicht präzis. Sie ist prick. Wie sie schrie, die pricke Drossel.

Stefa Frühlings Familie lud ihn ein. Während man plauderte, saßen auf dem Sofa blond und schwarzhaarig Mutter und Mädchen. »Dame und Damen- junges«, dachte Wilhelm.

Dann war der Winter zu Ende. Die Tage fielen auseinander, und Wilhelm verließ die Stadt.

Ihr braun gesiegelter Brief lag morgens zwischen dem Teeporzellan. Er gab ihn seinen Fingerspitzen zum Spielen. Das Format der Umschläge differierte, aber das graphische Bild auf den Briefen hatte photographische Ähnlichkeit. In gleichem Tempo schrieb sie ihre groben, flüchtigen Buchstaben über kleine und große Kuverts.

Im April reiste Wilhelm zurück, durch die Wälder. Die Sonne glänzte und schwankte. »Ich werde in der Stadt eine Postkarte schreiben: Ich bin hier, ich freue mich. Wir wollen spazieren gehen.«

In den Straßen fühlte er das Tupfen von Luft und Sonne in seinem Gesicht. Alles erwartete ihn hier. Alle Müdigkeiten und Ansammlungen waren fort.

Das Zimmermädchen brachte die eingegangenen Briefe. Wilhelm sah nach der Handschrift und bog einen zwischen den Fingern: er würde lächeln bei der Lektüre. Da fiel Stefa Frühlings Photographie dunkel über die roten und grünen Tropfen der Briefmarken auf den Schreibtisch.

[112] Am gleichen Nachmittag sagte Stefa Frühling: »Ich werde heiraten.«

»Natürlich«, sprach er, »wirst du das.«

»Aber ich werde mich zunächst verloben und dann diese Spaziergänge aufgeben.«

»Wenn du verlobt bist, gratuliere ich dir. Ich habe auch ein kleines Geschenk. Denke an mich, solange es vorhält.« Er hatte einen Karton Konfekt in der Tasche.

Sie sah ihn an. Die Größe seines Gefühls während der Reise machte ihn verlegen. Werde ich mich morgen grämen? dachte er. Ich liebe sie, wenn sie fort ist; wenn ich sie sehe, tue ich sonst nichts mehr.

Er sagte zögernd: »Ich habe dich nicht geküßt. Ich wußte niemals, ob wir uns liebten. Ich weiß es wie der nicht.«

»Hattest du nicht Angst, daß ich dich verlassen könnte?«

»Ja, im Grunde war ich feige.«

»Und jetzt, da ich dich allein lasse, küssest du mich jetzt?«

»Vielleicht.«

Sie redeten; sie gingen achtlos mit den Worten um; sie infizierten sich mit ihnen.

»Wenn wir uns die Hände geben, sehen wir unsere Augen später nicht mehr?«

Stefa Frühlings Stimme veränderte sich: »Ich bin doch so unschlüssig. Ich muß jetzt allein sein. Ich muß mich entschließen. Ich werde alt. Heiraten, [113] das ist wenigstens etwas Neues. Das andere wäre freilich schöner, was ich nicht bekomme. Wir kriegen es ja nicht fertig.«

»Ja«, sagte Wilhelm, »wir würden auch nicht mehr vollbringen als heiraten: Anekdoten zusammentragen, das Zufällige annehmen, weil es neu ist.«

»Wenn ich es nicht brauchte, wenn ich etwas anderes hätte; ich würde mich freuen, wenn ich nicht zu heiraten brauchte. Meine Mutter rät mir dazu. Sie hat Furcht, ich könnte wieder ausbrechen. Sie meint, wir sollen jetzt nicht zusammen sein.«

»Heirate«, sagte Wilhelm mitleidig und sah sie an und sah ihren Mund: Sehr hübsch, sehr hübsch, dachte er – – – aber was für Gefühle sonst!

Unterwegs zu den Häusern der Stadt begann er die Trennung zu erleben. Das Gesicht der Tage alterte.

Er fand in seinem Zimmer die Lampe ohne Öl. Es war niemand mehr in der Küche. Da setzte er sich an den Schreibtisch und roch an Stefa Frühlings Briefen. Die Sekunden stachen ihn. »Heute kann ich sie nicht mehr sehen!« sagte er. Es wurde Schmerz in ihm.

Er machte Spaziergänge mit seinen Freunden und spielte abends Schach. Er bat sie in halbem Scherz, ihm eines ihrer Mädchen zu überlassen: »Ich altere frauenlos. Ich bin jähzornig geworden. Suizid drängt sich auf. Ich begreife nicht, daß ich keine Frauen habe.«

[114] »Wir haben auch nur unser Auskommen, keine Rede von Ausschweifung. Uns allen fehlt das Tierherz des Zuhälters.«

»Was soll ich tun?«

»Dich um nichts kümmern. Die Frühling heiraten lassen, wen sie will. Wie wolltest du sie lieben, da es Liebe nicht gibt!«

»Ist also mein Gefühl Schwindel? Ich bringe es nie heraus.«

»Pah, möchtest du mit ihr schlafen? Du lügst, wenn du nicht geil bist!«

Das Gespräch ging weiter, doch Wilhelms Gedanken versteckten sich hier. Er verlangte Hilfe von der Skepsis gegen die Leidenschaft.

In der Nacht fand er keinen Schlaf. Sein Körper blieb heiß. Die Vorstellung seines Verlustes wurde maßlos. Trotzdem wußte er: »Ich liebe sie nicht«, und hatte Stöhnen in der Kehle.

»Die schlimmen Tage werden nicht heilen!« Er versuchte es mit Sexualität, aber die Fleischesjugend einer Kokotte erlag seinen seelischen Strapazen. Er holte sich Ekel und nervöse Tränen und saß den Rest dieser Nacht halluzinierend am Schreibtisch.

Am dritten Abend besuchte er eine Gesellschaft. Das Haus leuchtete wie ein fremder Stern.

Stefa Frühlings Mutter wurde ein wenig verstört, ein wenig böse, als sie ihn sah, sagte:

»Herr Kreißler, wir wollen uns aussprechen wie ein Mensch zum andern«, sagte: »Die Kleine ist zu [115] Hause und weint. – –« Er sagte: »Ah, das Kind einer Dame!« Zitternd. Freudeweiß. – – Er ging in der Straße. Seidener Fluß Erotik! Luft, die Frauen mit den Brüsten gepreßt hatten, fiel auf ihn. Im Café schrieb er ihr.

»Bleibe meine Freundin! Ich habe niemanden. Ich gehe zu Grunde, wenn du mich verlässest. Ich altere frauenlos. Ich kenne die Dirnen aller Stände, aber ich bin kein Tier mehr. Meine Güte wurde jähzornig nach und nach. Du hast mein Herz geboren, nun herze es – du junge Mutter!«

Sie treffen sich. Mondabends. Der Garten ist grün und die Luft hell. Wilhelm redet nicht mehr. Alles ist entstellt. Er sieht ihr Gesicht und empfindet Schweigen und Haß. Er sitzt schmerzmüde bei ihrer Angst. Er beobachtet die Mädchenangst in ihren Augen. Er spricht freundlich mit ihr und küßte sie nicht. Er genießt die Vergeltung für das, was er an drei Tagen gelitten hat. Seine Grausamkeit erfrischt ihn. Er hilft ihr nicht, sieht ohne Mitleid, daß ihre Liebkosungen täppisch und jungfräulich bleiben und bekommt einen Schluck Küsse über die Lippen. Ihr Kuß ist mager und hat den Geruch von Tränen.

Es dauert eine lange halbe Stunde, dann sagt Wilhelm: »Wir wollen gehen.«

[116]

Notes
Erstdruck: Leipzig (Wolff) 1914.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Boldt, Paul. Junge Pferde! Junge Pferde!. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3C27-C