Die Elfenburg

Als König Arthur Engellands
Uralten Heldenruhm belebte,
Zur Zeit da oft ein Elfentanz
Den Quell im Mondenlicht umschwebte,
Erschien am Hof ein edler Knecht,
Der Ritter Edwin schlicht und recht,
Nicht unerfahren in den Waffen,
Doch zum erschrecken missgeschaffen.
Den ganzen Rücken überzwerch
Umwuchs, sich bis ans Haupt verlängend,
Ein ungeheurer Knochenberg
Und drückte vorn die Brust verengend.
Allein ob fast ihm selber graut,
So oft er in den Spiegel schaut,
Ein Herz im Busen fühlt er schlagen
Und darf um eins zu werden wagen.
Der blonden Edith hätt er gern
Sich angetragen zum Gemahle;
Doch keine Schöne sucht den Kern,
Behagt ihr nicht zuvor die Schale.
Den Junker Topas schmuck und schier
Fand er im Lustwald einst mit ihr
Gar herzensminniglich vereinet,
Und starrt am Boden wie versteinet.
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Zum wilden Forst schwärmt er allein
Voll melancholischer Gedanken,
Wo schauerlich im Mondenschein
Um ihn der Bäume Schatten wanken.
Jezt aus dem Traume schrecket ihn
Der alten Hünenburg Ruin,
Wo sich versammeln nachts um zwölfe
Kobold und Nix und Fei und Elfe.
Es sinkt der Mond, der Sturm erwacht,
Hohl seufzt der Wald und Wölfe heulen;
Die Stadt ist fern und schwarz die Nacht.
Was soll er? fortgehn oder weilen?
Ermattung bringt ihn zum Entschluß,
Mit Faßung sezt er seinen Fuß
Ins Thor der Burg und streckt die Glieder
Im morschen Rittersale nieder.
Auf durch die Hallen reißt ein Stoß
Die Riegelpforten wie zersplitternd,
Und krampfhaft zuckt der Erde Schoß,
Den weiten Felsenbau durchschütternd.
Er schaudert auf, er atmet schwer
Und sieht an Wänden rings umher
Und Kronenleuchtern wol zusammen
Dreihundert Kerzen sich entflammen.
Ein jugendliches Fraungekreisch
Hat kaum sein lauschend Ohr vernommen,
So hört er wandelndes Geräusch
Je näher ihm je lauter kommen:
Und aus dem Winkel, wo geduckt
Er unterm Mantel horcht und kuckt,
Schaut er ein bunt Gewühl von Leuten,
Die nach dem Anzug viel bedeuten.
Nie sah ein Hof so dichte Zahl
Prachtvoll geschmückter Herrn und Damen
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Im blendenden Redoutensaal,
Als hier zum Gallafeste kamen.
Duft gab das Land, Gestein das Meer,
Der Himmel hell Gefieder her,
Der Süden seidene Gewänder,
Der kalte Norden Zobelränder.
Ein königlich geschmückter ragt
An Wuchs und Anstand über alle.
Als hinzuschaun der Ritter wagt,
Ruft er mit würdevollem Schalle:
»Wer von des Staubes Söhnen hat
Sich unserm stillen Kreis genaht,
Daß er die reinen Götterdüfte
Mit niederm Seufzerhauch vergifte?«
Doch Edwin hoch an Mut und Sinn
Und keinem Zauberschein erblassend,
Tritt mannhaft vor den Herrscher hin,
In seines Werts Gefühl sich faßend:
»Gewaltiger im Geisterreich!«
Beginnt er nun, »mich führt zu Euch
Kein eitler Vorwitz, kein begehren
Die Nachtversammlung hier zu stören.
Des Herzens Gram, die Höllenpein
Ein Mädchen ungeliebt zu lieben,
Hat mich durch Nacht und Wüstenein
Gedankenlos hierher getrieben.«
»Wohlan!« versetzt der Geisterfürst,
»Getrost, wofern du schuldlos irrst.
Hier wird kein leidender gekränket,
Sobald er redet, was er denket.
Vertraue deinem Stern hinfort!
Bevor wir von einander scheiden,
Erhebt sich dir, du hast mein Wort!
Aus dunklem Gram ein Stral von Freuden.
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Der Zufall, der dich hergebracht,
Hat hohe Lust dir zugedacht.
Weil ich mit Mab der Fürstin tanze,
Nimm du die nächst' an Reiz und Glanze!«
Er sprachs und geistiges Getön
Wie sanft gerühreter Kristalle,
Ertönt in leiser Lüfte Wehn
Zu linder Aeolsharfen Halle.
Hier tanzet Oberon und Mab,
Dort Elf und Elfin auf und ab,
Und Edwin schwinget sich im Reihen
Mit Nuk, der lieblichsten der Feien.
Als man zur Gnüge nun getanzt,
Wird rasch von unsichtbaren Händen
Die volle Tafel hingepflanzt
Und drauf ein Nachtisch zum verblenden.
Geordnet ohne Schenken steht
Das wunderbare Trinkgerät,
Und gleich der bunten Seifenblase
Schwebt hin und her der Wein im Glase.
Mit Minnelied und Rundgesang
Wird zwischendurch der Wein gewürzet,
Und drauf mit manchem derben Schwank
Des Althertums die Zeit gekürzet,
Wo bald als Merkatz hüpft ein Geist,
Als Affe bald die Zähne weist,
Als Hase quikt, als Geißbock mäkert
Und gar als Kammerjunker schäkert.
Ein Kobold der als Schalk bekannt
Bei Nachtzeit faule Dirnen kneipet,
Knecht Ruprecht insgemein genannt,
Geht mit dem Aschsack um und stäupet.
Schnell faßt er Edwin nun beim Schopf
Und wirft ihn lachend über Kopf,
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Daß er im Flug zum Balken schwebet
Und ach! der Höcker fest ihm klebet.
Laut ruft er zappelnd: »Gnug gelacht!
Nun löset mich, ihr Herren Geister!
Der Kobold hat es gut gemacht,
Er schlägt den Federball als Meister.«
»Geduld! antwortet Oberon,
Ein wenig noch Geduld, mein Sohn!
Du bist nicht übel aufgehoben,
Das Ende wird den Meister loben!«
Aufschauernd stuzt der Elfen Schar,
Sie wittern schon das frische wehen
Der Morgenluft, sie hören gar
Den Hahn im fernen Dorfe krähen.
Des ersten Wirbelwinds Gesumm
Durchsaust die Hallen wiederum,
Die Thüren in den Angeln beben,
Und Mab ermahnet fortzustreben.
Im Nu entschwirrt mit hellem Geschrei
Der Unterirdischen Gefunkel.
Hin fährt des Sales Täuscherei
Und aller Kerzen Glanz im Dunkel.
Und Edwin, nun des Zaubers los,
Fällt von der Deck' auf feuchtes Mos,
Daß ihm die Zähn' im Munde klappen
Und fängt im Dunkeln an zu tappen.
Bald weniger geblendet flieht
Er aus dem graulichen Gemäuer,
Und durch bethaute Blätter glüht
Die Morgenröt' im Rosenschleier.
Er fühlt so leicht sich und gewandt,
Er tastet rückwärts mit der Hand,
Und Heil ihm, Heil! vermisst den plumpen
So grässlich aufgeballten Klumpen.
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Heim fliegt er in behendem Schritt,
An Herz und Rücken frei von Schwere.
Das Hofgesinde freut sich mit
Und staunet ob der Wundermäre.
Auch staunet Edith, ihn so schlank
Zu schaun, so edel und so frank.
Was hinterm Berge sonst gestecket,
Liegt sonnenklar und aufgedecket.
Der Junker Topas fühlt Verdruß,
Sich minder izt bemerkt zu sehen,
Und faßt den männlichen Entschluß,
Auch nach der Hünenburg zu gehen.
Nun zeigt, ihr Elfen, eure Kunst!
So denkt er. Schuf eure Gunst
Ein Engelkind aus einem Affen,
Was werdet ihr aus Topas schaffen!
Er geht zum Forst; die Nacht ist hell,
Er hört voll Angst Geheul von Wölfen,
Miaun der Katz' und Fuchsgebell
Und sieht mit graun die Burg der Elfen.
In Gottes Namen kehrt er ein,
Durchmustert lang im Mondenschein
Die Ungemächlichkeit der Trümmer
Und bettet sich im Tafelzimmer.
Auf prallem Mose lauschet er,
Ob bald das Ungethüm sich rege.
Er wirft sich hin, er wirft sich her
Und hört des Pulses laute Schläge.
Da saust der Wind, die Burg erbebt,
Da kömmt der Spuk hereingeschwebt,
Da leuchtet Kerzenglanz dem Balle
Bei sanfter Harmonien Schalle.
Voll Angstschweiß hatte Topas schon
Sich hinter den Kamin verkrochen.
[355]
Umschnüffelnd fragte Oberon:
»Ihr Geister, habt ihr nichts gerochen?
Wer von des Staubes Söhnen hat
Sich unserm stillen Kreis genaht,
Daß er die reinen Götterdüfte
Mit ängstlichem Gestöhn vergifte?«
In Demut eingeschmieget tritt
Zum Geisterkönige der Pinsel
Und lallt, genaht im Stutzerschritt,
Sein unterthäniges Gewinsel:
»Verzeiht, durchlauchte Majestät,
Daß Ihr mich armen Junker seht,
Der matt zu Eures Hofes Thoren
Nach langer Irre sich verloren!«
»Elender! rufet ernst der Elf
Mit abgewandtem Angesichte,
Du wähnest auch vor Geistern helf
Ein kleiner Kniff der Höflingswichte?
Wolan, für seinen Lug und Trug
Bestraft den feigen Gauch nach Fug!
Ihr Poltergeister mögt ihn tummeln,
Und wenn er müd ist, laßt ihn bummeln!«
Stracks nahet Tückebold im Sprung,
Der Hirten oft als Irrwisch narret,
Und schleudert ihn im Bogenschwung,
Wo Puck der Kobold seiner harret.
Hoch dreht und dreht ihn Schub auf Schub,
Und lachend ruft der Geistertrupp!
»Risch tummle dich, mein guter Junker,
Für dein hofjunkerlich Geflunker!«
Gar bunt durchwirbelt er den Raum,
Und bunter noch und immer bunter,
Im Luftrad und im Purzelbaum,
Kopfüber bald und bald kopfunter.
[356]
Zum Balken jezt in einem Ruck,
Wo Edwin klebte, schwenkt ihn Puck,
Daß wie am Rücken angepflöcket
Er alle vier herunter strecket.
Die Unterirdischen erneun
Nunmehr die Wendungen des Balles
Nach schön gemeßnen Melodein
Des anmutsvollen Zauberhalles.
Dann sitzt man am beladnen Tisch
Und lacht und schmaust und bechert frisch.
Spass machen Affen hier und Böcke,
Mehr Spass der Junker an der Decke.
Das Morgenlüftchen atmet kühl,
Fern kräht der Hahn. Nun saust die Halle.
Entflohn ist alles Nachtgewühl
Und ausgelöscht die Kerzen alle.
Vom hohen Balken sinkt herab
Auf pralles Mos der zarte Knapp,
Denn keines Zaubers Täuschung dauert,
Sobald der Morgen angeschauert.
Der arme Topas! müd und matt
Entschleicht er der verwünschten Trümmer
Und schleppt sich wiederum zur Stadt
Im angenehmen Morgenschimmer.
Doch ach! der Rücken schattet krumm!
Er kuckt und langt erschrocken um
Und sieht, da er am Quell sich spiegelt,
Sich Edwins Höker aufgehügelt.
Dies Märchen las mir, das Ihrs glaubt,
Aus einem alten Buch die Base,
Sie streichelte mein junges Haupt
Und nahm die Brille von der Nase.
»Sohn, sprach sie, denk der Elfenburg!
Wer gehen kann, der kommt wol durch,
[357]
Wer ohne Wert nach Scheine trachtet,
Wir ausgehöhnet und verachtet.«

Notes
Erstdruck in: Musenalmanach für 1796, hg. von J.H. Voß, Hamburg (Bohn).
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TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Die Elfenburg. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3BA9-0