Das Gewitter

»Chloe, siehst du nicht voll Grausen
Dort die Donnerwolken ziehn?
Hörst du nicht die Winde brausen?
Laß, Geliebte, laß uns fliehn.
Wo das breite Dach der Buchen
Eine Zuflucht uns verspricht,
[292]
Eile sie mit mir zu suchen!« –
Chloe schwieg und eilte nicht.
Eine Hirtin, die die Liebe,
Sich und ihren Schäfer kennt,
Gerne treu der Tugend bliebe
Und doch heimlich für ihn brennt,
Siehet überall Gefahren,
Trauet nie des Schäfers Wort.
Wenn hier Blitze schrecklich waren,
War es ihr Alexis dort.
Aber schwarz und schwärzer immer
Zieht das Wetter sich herauf.
Alles ist ein falber Schimmer,
Lange Donner folgen drauf.
Zweifelnd noch in dem Entschluße
Geht sie, bleibt sie wieder stehn:
Furcht heißt sie mit einem Fuße,
Liebe mit dem andern gehn.
Jetzo schon auf halbem Wege
Hält sie plötzlich wieder ein.
Regen, Sturm und Donnerschläge
Treiben sie zuletzt hinein.
Lachend sieht sie Amor eilen
Und sein Blick begleitet sie.
[293]
Man entgeht des Blitzes Pfeilen,
Aber Amors Pfeilen nie.
Endlich bei des Mondes Scheine
Kehrte mit verstörtem Blick,
Chloe langsam aus dem Haine
An Alexis Arm zurück.
Nachtigallen sangen Lieder,
Duftend lag die Flur umher,
Ruhig war der Himmel wieder,
Nur ihr Herz war es nicht mehr.

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TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Das Gewitter. Das Gewitter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3B90-6