Die Wahnsinnige

A.

Aus elysischen Gefilden, Myrthenhainen,
Wo die abgeschiednen Geister Liebe weinen,
Von kristallnen Bächen, die der Mond beglänzt
Und ein Frühling ewig jung und lächelnd kränzt,
Will ich einsam in zerrißnen Lumpen eilen,
Meinen finstern liebeskranken Gram zu heilen.
Luna blieb am Himmel spät,
Fröhlich schwebte Mab im Tanze,
Oberon voll Majestät
[317]
Sah, wie Mars mit seiner Lanze
Die Liebesgöttin verwunden thät.
In jener Primel tief begraben
Liegt er in hellen Tropfen Thau.
Täglich soll dich meine Thräne laben,
Daß du nicht welkst, o Blümchen, auf der Au.
Denn seit Er tot ist, hab ich keine Freude mehr!
Vergißmeinnicht und Rosen will ich finden,
Ein Kränzchen meinem Freund zu binden.
Statt der Musik erschall ein Seufzen um mich her!
In einen holen Baum will ich mich niederlegen,
Dem Tode lächeln, segnen das Verderben
Und sterben.
Raben, Katzen, Fledermäuse
In der bängsten, fürchterlichsten Weise
Sollen Wald und Felsen zum Gefühl bewegen!
Uhus, Eulen
Sollen mir mein Grablied heulen!
Saht ihr ihn nicht? Wie ihm die schwarzen Augen brennen!
Mädchen, fürchtet ihre Macht!
Nehmt euer Herz in Acht!
Wie würdet, würdet ihr dem Mann entfliehen können!
Horch, horch der alte Charon!
Er will nicht länger warten!
Die Furien erheben ihre Peitschen,
Und rufen: von hinnen! von hinnen!
So kehr ich denn zurück woher ich kam.
Die Welt ist viel zu toll, nichts lindert meinen Gram.
Was soll ich länger schmachten?
Die Lieb' ist alles Elends Same,
Ist eine Seifenblas', ein Schatten und ein Name,
Den Narren bewundern und Weise verachten.
Kalt und hungrig bin ich nun –
Unter Blumen will ich ruhn,
Träumend hin auf Himmelsmatten sinken,
Götterspeise kosten, Nectar trinken
Und singen:
[318]
Wer heiter ist und froh,
Kann jeden Gram bezwingen.
Bei Waßer und auf Stroh
Bin ich in meinem Sinn
Zufriedner als die Königin,
So lang ich ohne Feßel bin!

B.

Aus elysischen Myrtenhainen,
Wo abgeschiedne Liebende weinen,
Von stillen Bächen mondbeglänzt,
Die ewig blühender Frühling kränzt,
Kommt mit Grabeslumpen umhangen,
Kommt die arme Hanne hergegangen,
Linderung wo und Ruhe zu erlangen.
Ha! wie blutig, wie düster
Der sinkende Mond da scheint!
Wie im Pappelgeflüster
Der Nachtigall Stimme weint!
Wie dort am quelligen Berge,
Wo Feuerwürmer glühn,
Die Elfen, Nixen und Zwerge
Den ringelnden Reigen ziehn!
In jener Primel Kelch begraben,
Ruht Er, gekühlt von hellem Thau. –
Täglich soll dich meine Thräne laben,
Daß du nicht welkst, o Blümchen der Au!
Denn seit man ihn begraben,
Hat Hanne keine Freude mehr.
Vergißmeinnicht und Rosen will ich finden,
Ihm einen Totenkranz zu binden,
Von meinen Thränen schwer.
Nicht Glockenklang,
Nicht Grabgesang,
Mein Seufzer nur erschall umher.
[319]
Wo ist der hole Baum im Hain?
Allein will ich mir betten, allein!
Dem Tode lächeln, segnen das Verderben –
Und sterben.
Nachtraben und Fledermäuse
In banger, gräulicher Weise,
Uhu und Eulen
Sollen mein Grablied heulen. –
Sahet ihr ihn?
Wie die schwarzen Augen ihm glühn?
O fürchtet, Mädchen, ihre Macht!
Nehmt euer Herz in Acht!
Wie würdet ihr dem Mann entfliehn? –
Horch, horch! Aus Moderduft
Der alte Charon ruft!
Mit Geißeln nahm die Erynnen
Und rufen: von hinnen, von hinnen! –
So kehr ich denn, woher ich kam.
Die Welt ist viel zu toll: nichts lindert meinen Gram.
Was sollt ich länger umsonst hier schmachten?
Die Lieb' ist alles Elends Same,
Ist Seifenblas' und Schatten und Name,
Den Narren bewundern und Weise verachten.
Kalt und hungrig bin ich nun.
Unter Blumen will ich ruhn,
Träumend auf sonnige Rasen sinken,
Ambrosia kosten und Nektar trinken
Und singen:
Wer heiter ist und froh,
Kann jeden Gram bezwingen.
Bei Waßer und auf Stroh
Bin ich in meinem Sinn
Zufriedner als die Königin,
So lang ich ohne Feßel bin.

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TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Die Wahnsinnige. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3B09-9