Zwei Seestücke

1.

Wilhelm

Getakelt lag das Schiff am Port,
Die Wimpel floßen roth im Winde.
Schwarzäugig Suschen kam an Bord:
»O sagt mir, wo ich Wilhelm finde!
Ihr weidlichen Matrosen, sagt mir wahr:
Geht Wilhelm mit in Eurer frohen Schaar?«
Wilhelm, der hoch am Maste sang,
Gewiegt von Wellen hin und wieder,
Sobald die traute Stimm ihm klang,
Sah stumm durch Seil und Stangen nieder.
Das lange Tau durchglitt ihm heiß die Hand
Und rasch erreicht er das Verdeck und stand.
So wann die Lerch im Saatfeld ruft,
Verstummt ihr Gatte schnell, der munter
Sein Frühlied singt in blauer Luft
Und schießt geschloßner Schwing hinunter.
Die holden Küss', o Wilhelm! ohne Zahl
Misgönnte Dir Kapitän und Admiral.
»O Suschen, Suschen! muß ich gehn,
Auch ferne bleibst Du mein Verlangen.
Wir trennen uns zum wiedersehn;
O trockne Dir die heißen Wangen!
Verstürm uns auch der Wind nach Ost und West,
Dir steht mein Herz ein treuer Kompass fest.
O süßes Mädchen, traue nicht
Des falschen Landvolks schnödem Worte,
[340]
Der Seemann find' ein glatt Gesicht
Für seine Lieb an jedem Orte!
Ein glatt Gesicht ist hier und allerwärts,
Doch Suschen, wo Dein gutes liebes Herz?
Ob uns Orkan und Wogen drohn,
Ob Klipp und Sandbank um uns brande,
Den Elementen biet ich Hohn
Und kehre heim vom fernsten Strande.
Und donnert auch mit Kugelsaat die Schlacht,
Mich rettet Dir der holden Liebe Macht!«
Der Schiffer ruft sein schrecklich Wort,
Der Anker steigt , die Segel schwellen.
»Ach, schluchzt er küssend, Suschen, fort!«
Und starrt ihr nach durch dunkle Wellen.
Schon kleiner wankt ihr Nachen nah am Strand
Und weiß noch weht das Tuch in Suschens Hand.

2.

Suschen

Der Ozean stieg schaurig
Vom Sturmwind aufgeschreckt.
Da seufzte Suschen traurig,
Am Felsenbach gestreckt.
[341]
Ihr Auge weithin spähend
Durchflog den Wogendrang,
Indes die Stirn ihr wehend
Die Trauerweid' umschlang.
»Das Jahr ist schon vorüber
Ach! schon neun Tage mehr!
Warum so dreist, o lieber!
Vertrautest Du dem Meer?
Laß Meer, vom Sturm gehoben,
Laß meinen Wilhelm ruhn!
Ach, hier im Busen toben
Noch wildre Stürme nun.
Was zogst Du Gold zu häufen
Zum fernen Mohrenstrand,
Wo Spezereien reifen
Und Perl und Diamant?
Der Fleiß bei sicherm Werke
Gewährt uns Ueberfluß,
Uns gäbe Mut und Stärke
Ein treuer Herzenskuss.
Wie ringt mit grausen Wettern
Dein überwogtes Schiff!
O wehe mir! nun schmettern
Es Stürm ans Felsenriff!
Jezt schwimmst Du auf der Trümmer
Durchs Weltmeer! sinkend jezt
Nennst Du mit Angstgewimmer
Dein Suschen noch zulezt.«
Sie riefs mit bangem sehnen
Vom Felsen wo sie saß,
Und weinte helle Thränen,
Ihr Busentuch ward naß.
Da trieb die Woge schäumend
Den kalten Leichnam her:
[342]
Sie starrt ihn an wie träumend,
Erblasst und sank ins Meer.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Boie, Heinrich Christian. Zwei Seestücke. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3AC9-0