Johann Jacob Bodmer
Critische Abhandlung
von dem Wunderbaren in der Poesie
und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen
In einer Vertheidigung des Gedichtes
Joh. Miltons von dem verlohrnen Paradiese;

Vorrede des Verfassers an die deutsche Welt

Vorrede des Verfassers an
die deutsche Welt.

Ich habe an diesen Ort die Beantwortung eines seltsamen Einwurffes wider das erhabene Gedicht Miltons versparet, der von dem Urtheil des so genannten Publici hergeholet ist. Das ist eben die moralische Person, an welche die Scribenten insgemein ihre Vorreden richten, damit sie sich die Gunst und den Beyfall derselben, als ihres Richters, erwerben, und die ich ebenfals in dieser Hoffnung mit einigen Zeilen zu unterhalten gedencke. Man hat mir eingewendet, die deutsche Nation habe in Miltons Paradiese das hohe Ergetzen nicht gefunden, welches die gerühmte Kunst des Poeten mit einer so grossen Zuversicht verheißt; dieses gebe ein starckes Vorurtheil, daß diese Kunst entweder darinnen nicht vorhanden wäre, oder die Tugenden, die man ihr zueignete, nicht an sich hätte, allermassen die Empfindungen nicht zurükebleiben könnten, wo die Ursachen und Triebräder derselben recht angebracht wären; und weil diese Kunst des Poeten das Hertz angreiffen müßte, welches bey vornehmen und gemeinen, gelehrten und unwissenden Menschen ungefehr von einer Beschaffenheit wäre, so hätte sie, wofern sie nicht betrüglich wäre, auch auf den grossen Haufen der Nation würcken und eine allgemeine Rührung der empfindlichsten Lust verursachen sollen. Dieser Einwurf hat mir Anlaß zu unterschiedlichen Betrachtungen gegeben, welche nicht nur dienen können, denselben zu beantworten, sondern mir auch die Aufmerksamkeit des Lesers für meine Schutzschrift des englischen Poeten zu erwerben. Ich mercke vor allen Dingen an, daß die deutsche Nation ihr Empfindniß und Urtheil von dem verlohrnen Paradieß noch nicht von sich gegeben hat. Dieses Gedicht ist bißdahin allzu wenigen Personen bekannt worden, als daß man diese für die Statthalter und den Mund der Nation ansehen könnte. Das Mittel ein Werk durch den Druck bekannt zu machen, ist etwas langsam, insonderheit in Deutschland, wo wir keine Hauptstadt haben, in welcher der Ausbund der Nation bey einander versammelt wäre, und in ihren Gedancken die Gedancken der gantzen Nation ausdrükete. Bey den Alten geschah dieses ungemein leichter durch ein einziges Exemplar, als iezo durch die tausendfältige Vermehrung derselben, indem gantze Gemeinden sich an einem Orte versammelten, und in einem Haufen ein Gedichte zugleich vorlesen höreten, da die Eindrücke und Würckungen desselben sich in deutlichen Kennzeichen offenbareten; statt daß solche Werke iezo in der Einsamkeit des Cabinets ohne Zeugen gelesen werden, mit leiser Stimme, und ohne Bemühung, daß ihnen durch die Aussprache die gehörige Anmuth und der rechte Nachdruck mitgetheilet werde; wenn auch gleich eine besondere Person auf eine empfindliche Weise davon gerühret worden, so fehlet es ihr an Eifer, den Eindruck, den sie in der Brust fühlet, weiterhin andern Leuten beyzubringen. Daneben muß man sich erinnern, daß sich von dem Befindniß des grossen Haufens nur auf diejenigen Stücke eines Gedichtes mit Grunde schliessen läßt, welche auf den Willen würcken und die Gemüthes-Neigungen in Bewegung setzen sollen; und nicht auch von denen, da der Verstand frey und uneingenommen bleibet, wie alle die Sachen sind, die ihren Grund in der Aehnlichkeit und dem wohleingetheilten Ebenmasse haben, also daß zu ihrer richtigen Beurtheilung ein Erkenntniß ihres Ebenmasses, nicht bloß ein menschliches Hertz, das den Affecten unterworffen ist, erfodert wird. Wie wir denn insbesondere anmercken können, daß unser Poet in seinem Gedichte die Erhabenheit viele mahle in solchen Stücken zuwegengebracht hat, in welchen keine Affecte und Leidenschaften vorkommen. Was mithin die pathetischen Stücke anbelanget, die in dem Verl. Parad. in der That den meisten Platz einnehmen, so kan ich der Kaltsinnigkeit, so man bey der deutschen Nation gegen das hohe Ergetzen derselben zu finden meinet, die Empfindlichkeit der Engelländer gegen eben dasselbe entgegensetzen; auf welche es eine durchgehende und unleugbare Würckung thut. Das Hertz, auf welches diese Würckung geschicht, ist ohne Zweifel bey den Deutschen von einer Art, wie bey den Engelländern; weil es nichtsdestoweniger jene nicht vermag einzunehmen, wenn der Aussage der Mißgünstigen Miltons Glauben zugestellet wird, so muß dieses von einer Ursache herrühren, die nicht in des Poeten Arbeit, sondern dem Zustande der deutschen Leser zu suchen ist. In Absicht auf diese könnte man nun anmerken, daß die Deutschen, die mit so vortreflichen Poeten, wie Milton ist, wenig Bekanntschaft haben, sich in so kurtzer Zeit von dem ungereimten und wunderlichen jedoch ihnen geläuftigen Ergetzen, das sie von ihren gemeinen Poeten empfangen, nicht haben entwöhnen können; sie werden in Miltons Wercke von zu vielen Schönheiten einer hohen Art, die ihnen fremd und unbekannt ist, gleichsam überfallen, und verwirret; gleichwie ein Mensch, der viele Jahre in einer finstern Höle beschlossen gelegen, wenn er einesmahls an das anmuthige Licht des Tages hervorgezogen wird, von den Schönheiten, die ihm in das Gesicht fallen, mehr geblendet als erleuchtet wird, und Zeit und Weile vonnöthen hat, dieselben von Stücke zu Stücke zu erkennen. Sie sind noch in dem Zustand, in welchem die Engelländer viele Jahre gestanden, eh ihnen geschickte Kunstrichter die Schönheiten in Miltons Gedichte nach und nach wahrzunehmen gegeben, und sie damit bekannt gemacht hatten, ungeachtet diese Nation an ihrem Saspar und andern, den Geschmack zu diesem höhern und feinern Ergetzen zu schärffen, eine Gelegenheit gehabt hatte, der unsere Nation beynahe beraubet ist. Wem diese Anmerkung für seine Hochachtung gegen dieses Volck zu nachtheilig scheinet, dem wird verhoffentlich folgende anständiger seyn, welche von der Neigung der Deutschen zu philosophischen Wissenschaften und abgezogenen Wahrheiten hergenommen ist; diese macht unsere Deutschen seit einiger Zeit so vernünftig und so schliessend, daß sie zugleich matt und troken werden; die Lustbarkeiten des Verstandes haben ihr gantzes Gemüthe eingenommen, und diese unterdrucken die Lustbarkeiten der Einbildungskraft. Damit ich dennoch das Auge auf den niedrigern und zugleich grössern Haufen richte, so gebe man, über obiges, Achtung, wie sehr es unsern Landsleuten an einem freyen Geist mangelt, der eben so nothwendig ist, wenn man ein schönes Werck empfinden, als wenn man es schreiben soll. Es fehlt ihrer Einbildungskraft an der Ruh und Stille. Sie leben in einer beständigen Reihe von ungestümen Ergetzlichkeiten oder Bemühungen, die sie beunruhigen, und ihnen keine Zeit übrig lassen. Wem dieses alles nicht anständig ist, dem will ich es nicht verargen, wenn ihm anzumercken beliebet, daß das verlohrne Paradieß nach der deutschen Uebersetzung nicht Miltons Paradieß ist. Wie von allen Uebersetzungen poetischer Wercke auf gewisse Weise wahr ist, daß sie hinter dem Originale zurüke bleiben, so kan dieses vornehmlich von Miltons Gedichte gelten, umsovielmehr, wenn wir annehmen, daß die engelländische Sprache vor den Ausdruck geschickter und geschmeidiger ist, als unsere, und daß ein grosser Theil der Schönheiten dieses Gedichtes in dem Wohlklange der Verse besteht. Alleine beydes wird widersprochen, jenes von den Deutschen und dieses von den Engelländern; und ich muß bekennen, daß mir diese leztere Anmerkung am wenigsten Gründlichkeit zu haben scheinet. Denn ich sehe in dem verlohrnen Paradiese allzu viele Schönheiten, die von dem Plan, den Erfindungen, den Charactern, den Gemüthes-Meinungen herrühren, und schon vor sich alleine, von den poetischen Farben abgesondert, ein wohlbeschaffenes Gemüthe auf das empfindlichste rühren müssen. Ich verwundere mich nicht, wenn eine Uebersetzung eines Werckes nicht gelesen wird, dessen vornehmste Schönheiten in dem Ausdrucke bestehen, wo der Wehrt der Sachen an dem Wehrt der Figuren hängt; da mag entweder der Uebersetzer seine Sprache nicht genug besitzen, oder die Sprache fehlet ihm. Aber die Erfindungen des Plans, der Materie, ihres Zusammenhanges, des historischen Characters, der Entschlüsse, müssen selbst in der ungeschicktesten Uebersetzung einigermassen hervorleuchten; diese Sachen können selbst von einem gemeinen Uebersetzer, insonderheit, wenn er in ungebundener Rede übersetzet, nicht so übel verderbet werden, daß sie einem geschickten Leser nicht in die Augen fallen, und seine Bewunderung erhalten. Es ist mir auch unverborgen, daß unsere deutschen Kunstrichter mehr an Miltons Materie u. Erfindungen auszusetzen gehabt haben, als an der Sprache der Uebersetzung. Und ich will nicht verhalten, daß dieses einem übel befestigten Geschmacke zu einem neuen Vorurtheile wider dieses Gedicht Anlaß geben könnte, wenn er daraus erkennet, daß diese kein grösseres Wohlgefallen daran finden, als der gemeine Leser, ungeachtet sie so viele mehrere Geschicklichkeiten besitzen, dessen Schönheiten einzusehen, indem ihnen nicht nur diejenigen in das Gesicht fallen, so sich den Sinnen empfindlich machen, und von der Bewegung der Affecte entspringen, sondern daneben noch alle übrigen, die ihren Grund in dem Verstande haben. Also könnte man von mir auch die Wegräumung dieses Vorurtheiles begehren, alleine ich habe keine Lust dazu, wenn ich gedencke, daß ein gleiches aus gleichmässigem Grunde von der Ilias, der Odyssea, der Eneis, dem befreyten Jerusalem, gefasset werden kan, vor welche hochgelobete Gedichte unsere Kunstrichter und Poeten selbst keine gründlichere Hochachtung an den Tag legen, als vor das verlohrne Paradieß, indem sie dieselben entweder mit einem verächtlichen Stillschweigen vorbeygehen, oder sie auf eine gantz flüchtige und seichte Weise mit halber Ueberzeugung anpreisen, zumahl da auch unsre Poeten diesen Fürsten der Poesie in ihren Nachahmungen viel geringere Modelle vorzuziehen pflegen. Derowegen kan ich dem Verdacht noch nicht Abschied geben, daß die geringe Hochachtung, in welcher Milton bey den Deutschen steht, nicht dem Mangel oder der Unzulänglichkeit der Kunst auf seiner Seiten, sondern vielmehr dem Mangel an Fähigkeit auf Seite der Leser und Kunstrichter zuzuschreiben sey; und ich bin versichert, daß die Hochachtung desselben destomehr steigen und anwachsen werde, jemehr Deutschland an geschickten Lesern und Kunstrichtern zunehmen wird. Ich hege auch die trostreiche Hoffnung bey mir selbst, daß die neue critische Dichtkunst zu diesem Ende nicht wenig beytragen werde, als in welcher der Verstand zu dieser Art Schriften eben so geschickt als gründlich zubereitet worden; also daß sie meiner Schutzschrift für das verlohrne Paradieß, mit welcher der Verfasser derselben sie auf gewisse Weise verbunden 1 hat, vor das beste Creditiv oder Beglaubungs-Schreiben dienen kan. In eben dieser Absicht habe ich des Critikverständigen Joseph Addisons Abhandlung von den Schönheiten in dem Verl. Par. hier beydrucken lassen; diese hat den Engelländern vornehmlich die Augen aufgethan, daß sie die Vortrefflichkeit derselben erkannt haben; und eben dieselbe hat nach einer gantz widerwärtigen Wurckung durch das ungemeine Lob, das sie Milton deßwegen beyleget, den Herren Magny so sehr zum Neide bewogen, daß er die verboßten Einwürffe dagegen ausgegossen hat, welche mich zu einer so ausführlichen Vertheidigung veranlasset haben.

Fußnoten

1 Sehet den siebenden Abschnitt, der von dem Wunderbaren und Wahrscheinlichen handelt, in dem letztern Artickel desselben.

Inhalt

Inhalt.
Der erste Abschnitt.

Von der Wahl der Materie aus der

unsichtbaren Welt.


Je weiter ein Werck die menschliche Fähigkeit übersteiget, je behutsamer muß man davon urtheilen. Je weiter ein Werck die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je bescheidener muß ein solcher davon urtheilen. Unermeßliche Verschiedenheit unter den Menschen in den Gemüthes-Gaben. Ausserordentliche Erhabenheit des Geistes und des Gedichtes Johann Miltons. Ursprung vieler verwegenen Urtheile, so vornehmlich über die Materie in demselben aus der unsichtbaren Welt gefället worden. Voltairens Einwürffe, daß der Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteige, und daß der Mensch geneigt sey, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Dem Menschen ist die Wissenschaft von der Natur, den Verfassungen und den Geschichten der Engel nicht gäntzlich verschlossen. Selbst die Erzehlungen von Personen, die keine Würcklichkeit haben, bemächtigen sich des Gemühtes, noch mehr aber die Begebenheiten der Engel; als nemlich solcher Wesen, welche in der Natur vorhanden sind; und deren Geschichte die Leser, für welche Milton geschrieben hat, gantz nahe angehet. Voltairens Schluß, daß es vergebliche Arbeit sey, da Milton die Character, Handlungen und Reden der Englischen Kriegs-Häupter so sorgfältig und vollständig vorgestellet hat. Der Christliche Leser hält sie vor seine Freunde, und nimmt darum an allen ihren Sachen Antheil. Zweifel, ob Milton in diesen Vorstellungen den Homer, wie Voltaire davor hält, oder die Natur selbst nachgeahmet habe. Noch ein Einwurff Voltairens, daß Miltons erwehlete Materie den Franzosen schwerlich gefallen könnte, weil sie davon öfters Gassenständgen gemachet haben. Miltons Großmuth, womit er auf die wahre Hoheit seiner Materie gesehen hat.

Der zweyte Abschnitt.

Von der Vorstellung der Engel

in sichtbarer Gestalt.


Einwurf des Herren Constantin Magni, daß geistliche Wesen nicht sollten mit Cörpern bekleidet aufgeführet werden. Recht der Poesie zu einer Art Erschaffung, da die möglichen Dinge in den Stand der Würcklichkeit gesetzet werden. Meinung einiger Weltweisen, und Lehrer, daß die Engel einen organisierten Leib haben. Exempel vornehmer Poeten, welche die Engel in sichtbaren Gestalten vorgestellet haben. Vorzug der menschlichen Gestalt, in welcher sie von Milton vorgestellet werden. Die Verkleidung der Engel in cörperliche Gestalt zieht eine gleiche Verkleidung derer Dinge mit sich, mit welchen sie umgehen. Des Hrn. Magni Einwurf dagegen, welcher alle diese Vorstellungen verwirft, wenn sie nicht hieroglyphisch und allegorisch sind. Daß die Personen und Begebenheiten in dem Epischen Gedichte poetisch-historisch seyn, und als solche alle die Eindrücke thun, die der Poet haben will. Des Hrn. Magni Klage, daß Milton sich von dem Zaum der Vernunft ledig gemachet habe. Unterschied zwischen der Poesie und der Metaphysik. Richtigkeit und Vernunftmässigkeit des poetischen Wahren in Miltons Gedicht. Widerlegung der Beschuldigung, daß dieser Poet die Gräntzen der Ehrfurcht vor heilige Materien überschritten habe.

Der dritte Abschnitt.

Von der Wahrscheinlichkeit des Characters

und der Handlungen der Engel.


Miltons Geschicklichkeit den hohen Character der Engel unter ihren sichtbaren Gestalten beyzubehalten. Eines Ungenannten Beschuldigungen, daß Milton den englischen Cörpern solche Zufälligkeiten zugeleget habe, welche mit den himmlischen Tugenden dieser vortrefflichen Geister streiten. Beweiß, daß ihre Verwundung den Begriff von ihrer unvergänglichen Natur nicht umstosse. Ihre Wunden treffen nur die Maßke, die der Poet ihnen lehnet. Ihre Unsterblichkeit rühret von dem Willen Gottes, welchen ihre Verwundung nicht aufhebet. Thorheit, den Höchsten, der die Unsterblichkeit in sich selbst hat, verwundet vorzustellen. Gewohnheit der christlichen Poeten, Gott in dem angenommenen Fleische unter Schmertzen und Wunden vorzustellen. Widerlegung der Bezüchtigung, daß Milton in der Verwundung der Engel Homer nachgeahmet habe. Vortrefflichkeit der miltonischen Engel, selbst in Ansehung des ihnen zugelegten Cörpers, vor Homers Göttern. Kleiner Unterschied zwischen Miltons Teufeln und Homers Göttern. Entschuldigung Homers betreffend die Aufführung seiner Götter. Beweiß, daß das Blut, das aus den Wunden der Engel fleußt, mit der Materie übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung der Phantasie bestehen. Widerlegung des Vorurtheiles, daß die Verwundung der Engel durch Geschoß mit ihrer Subtilheit und Behendigkeit streite. Voltairens höhnisches Urtheil von der geringen Würckung des satanischen Geschosses, die er mit dem Kegeln vergleicht. Eines Unbekannten Einwurf, daß die Hand-Arbeit der gefallenen Engel in der Verfertigung des Pulfers allzu menschlich wäre. Voltairens Vergleichung der Engel, so Berge durch die Luft schleudern, mit den Dipsoden des Rabelais. Vertheidigung der Wortspiele, die Milton dem Satan und dem Belial in den Mund leget, wider Voltaire. Einwurf wider das Gefecht im Himmel, daß den Engeln in ihrer tiefen Ruh, Seligkeit, und Unwissenheit, was Wunden wären, der Gedancke mit einander zu schlagen, nicht habe in den Sinn kommen können. Einwurf des Hrn. Magny wider den Krieg im Himmel, daß er mit der Glückseligkeit des Ortes streite, wo er geführet worden. Desselben Einwendung, daß Milton hingegen die Hölle nicht unselig genug vorgestellet habe. Rettung des Trostes, den Satan vom Schicksal herholet. Rettung der mühsamen Botschaften, so die Teufel in dem finstern Abgrunde hin und her tragen müssen. Irriger Schluß, den Magny von dem Uebergange des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See an das Gestade von festem Feuer-Land zieht, daß das eine neue Strafe sey, welche sie mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben. Wie ungeschickt derselbe eine sogenannte Seligkeit der Teufel in der Hölle daraus schleußt, weil Satan die Ohnmacht derselbigen in dem feurigen Pfule mit dem ironischen Nahmen eines Schlafes beleget hat. Seine Beschuldigung, daß Milton der Freude, der Symphonie, der Ruhe, in der Hölle einen Platz eingeräumet habe. Seine Anklage, daß die göttliche Rache den Satan nur gestreifet habe. Wie ungereimt er die Gleichheit der Hölle mit dem Himmel aus dem Golde schleußt, das zu dem höllischen eben so wohl als zu dem himmlischen Palast gebraucht worden. Seine falsche Anmerkung, daß Mammon die Neigung zu Gold und Reichtum schon in seinem himmlischen Stande der Unschuld gefühlet habe. Voltairens Beschuldigung, daß das Pandämonion ohne Nutzen, allzu kunstreich, und allzu klein gebauet worden. Wahrscheinlichkeit der Erdichtung, daß die geringern Fürsten des satanischen Heeres ihre grossen Gestalten in einen kleinern Raum zusammen gezogen haben. Falschheit der Regel des Hrn. Voltaire, daß eine Erdichtung, die in einem epischen Gedicht angebracht wird, verwerflich sey, wenn sie in einem abentheurlichen schön stehen würde. Ungereimter und schädlicher Gebrauch dieser Regel in den sogenannten Parodien. Ubereilter Schluß Magny, daß schwache und träge Engel seyn, weil es starcke und schnelle giebt. In welchem Verstand eine Verrichtung der Engel, die ihnen von dem Höchsten aufgetragen wird, könne widrig und verdrüßlich für sie geheissen werden. Magny Anklage des Ertz-Engels Vriel, und der Englischen Wache des Paradieses, daß sie sich von Satan haben hintergehen lassen. Seine Beschuldigung der himmlischen Heerscharen, daß sie über die erhaltene Zeitung von dem Falle der Menschen ihre Neugierigkeit blicken lassen. Grobe Anschwärtzungen des Poeten, daß er den Engeln die Erkänntniß des Sohnes nicht von der Zeit ihrer Erschaffung an zugeschrieben; und daß er in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen die dritte Person der Gottheit mit Stillschweigen übergangen hat.

Der vierte Abschnitt.

Von dem Zusammenhang in Miltons

Vorstellungen der Engel.


Verdächtige Merckmahle der critischen Urtheile Magny von dem verlohrnen Paradiese. Widersprüche, welche er in diesem Gedichte zu sehen meint; Daß Milton die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit zusammengereimet; Daß er die Flöten und Hautbois der gefallenen Engel nach einer Melodie gestimmet habe, welche noch nicht vorhanden gewesen war; Daß er in der Beschreibung des verdunckelten Glantzes Satans das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaret habe; Daß er den Vater bitte, einen Willen abzulegen, den er nicht gehabt, und der unveränderlich würde gewesen seyn, wenn er ihn gehabt hätte; Daß er eine Warnungs-Stimme wünschet, welche die ersten Menschen vor Satans Fallstricken bewahrete, da er doch von dem Vater gehöret hatte, daß der Mensch fallen würde. Verstossungen, die Magny sich in dem Traume der ersten Frauen, welcher von Satan in ihrer Phantasie gewürcket worden, einbildet, indem er ihr dadurch Waffen wider ihn selbst in die Hände geliffert habe. Widersprüche in den Gedancken Satans, da er in seiner aufrührischen Rede zu verstehen gebe, daß er von der Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott niemahls für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Und da er in der Anrede an seine geflohenen Heerscharen schliesse, daß sie gegen das himmlische Heer ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen dasselbe Stand gehalten hätten. Verstoß des Hrn. Magny in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, und in dem Vorgeben, daß der Poet die Engel einander an Stärcke gleichmässig gesetzet habe. Widerspruch den Voltaire zwischen dem Befehl Gottes an Michael das satanische Heer aus dem Himmel zu jagen, und dem Mangel in der Vollstreckung desselben, entdecket haben will. Unrichtiger Schluß den Magny darinnen findet, daß Gott durch die Erschaffung neuer Anbeter dem Satan das Rühmen abgeschnitten, daß er ihm Anbeter entführet habe. Vermeinter Widerspruch zwischen Satans Muthmassung, daß Gott nicht früher als nach seinem Abfall auf die Gedancken gefallen, die Welt zu erschaffen, und eben desselben Vorgeben von einem prophetischen Gerüchte, das in dem Himmel von der künftigen Erschaffung einer Welt gegangen wäre.

Der fünfte Abschnitt.

Von dem Character und den Handlungen

des Todes, der Sünde, der Geister

in dem Chaos.


Joseph Addisons Verwerffung dieser Personen, wenn sie in eine fortgesetzte Handlung verbunden werden, weil es ihnen an Glaubwürdigkeit und Möglichkeit mangle. Die Kunst, die Milton in den kleinsten Dichtungs-Arten erweiset, wo er auf das Zeugniß der Sinne und der Einbildung gebauet, hat Addison in sei nem Urtheil hiervon behutsamer machen sollen. Glaubwürdige Meinung, daß in der unsichtbaren Welt der Geister mehrere Arten seyn, als uns bekannt sind. Wie es für den Poeten genug sey, daß solche möglich seyn, wenn sie gleich nicht würcklich sind. Daß die Sünde und der Tod von dem Poeten als Geschöpfe einer Natur, wie die höllischen Geister haben, vorgestellet werden. Glaubwürdigkeit, welche sie von gewissen bekannten, und von den Heil. Scribenten erwähnten Bildern empfangen. Anmerkung, daß Belial und Beelzebub, die Addison im verlohrnen Paradiese vor höllische Personen gelten läßt, Canaanische Götzen, Schatten und gantz unwesentlich, gewesen, eh ihnen Tempel gebauet worden. Die Erhebung abgezogener Nahmen auf den Grad würcklicher Wesen kostet der Einbildung nicht mehr Müh, als die Bekleidung der geistlichen und unsichtbaren Engel mit Cörpern. Solcher Personen nur kurtz zu erwähnen, oder sie in eine ausgeführte Handlung zu verbinden, lehret den Poeten seine Haupt-Absicht, in welcher er sie aufführet. Voltairens Einwurf, daß dergleichen Personen unerträglich seyn, wenn sie nicht allegorisch sind. Anmerckung, daß sie nicht weiter allegorisch seyn müssen, als wie Nachahmungen von Charactern und Sitten. Grund der Erdichtung von Satans Zuhalten mit der Sünde. Eiteler Verdacht desselben, daß Satan darum zeugend vorgestellet worden sey, weil das Wort Sünde im englischen im weiblichen Geschlechte gebraucht werde. Bedeutung des Wortwechsels zwischen Satan und der Sünde, und der Beschlaffung der Sünde durch den Tod. Beyder Todler, Voltairens und Magny, Einwurff, daß dieses eine unnützliche Abscheulichkeit sey. Untersuchung des Verwundersamen, das Voltaire in seinem Henrich dem vierten durch die Einführung der Zweytracht, der Politick und anderer allegorischen Personen hat hervorbringen wollen. Wie weit diese an Wahrscheinlichkeit hinter Miltons allegorischen Personen zurückebleiben. Anmerckung, daß die Entfernung der Zeit und des Ortes ein grosses helfen, einer wunderbaren Geschichte die Glaubwürdigkeit zu erwerben. Vortheil den unserm Milton seine erwehlete Materie in diesem Stücke mittheilet. Daß die Kühnheit, mit welcher Milton das Nichts als Etwas vorgestellet, eben diejenige sey, nach welcher das Mögliche vor würcklich vorgebildet wird, massen das Mögliche selbst noch Nichts ist. Grade von dem Nichts zum Chaos, und von diesem zur Welt. Vorrückung, daß Milton die Erschaffung aus Nichts geleugnet habe. Wie die lebenden Wesen in dem Chaos, wo man die Natur noch nicht im Gesichte hat, wahrscheinlicher sind, als die Erdichtung der Wasser- und Lufft-Geister. Einwurf, daß die Vorstellung des Anarchen in dem Chaos mit der Herrschaft des Höchsten über alle Dinge streite. Die Erfindung des miltonischen Limbo ist eine Verspottung gewisser Träume des Ariosto, Glaubwürdigkeit, welche diese Erfindung unsers Poeten bey dem gemeinen Mann in der Römischen Kirchen in einem höhern Grade finden muß, als bey Leuten von einer andern Kirchen, derer Einbildung nicht dazu vorbereitet ist.

Der sechßte Abschnitt.

Von der Wahrscheinlichkeit des Characters

und der Handlungen der ersten

Menschen


Boßhafter Verdacht, in welchen Magny Miltons Adam zieht, als ob er in die Treue seiner Frauen einigen Zweifel gesetzet hätte. Desselben Beschuldigung, daß der erste Mensch den Begriff von der alleserfüllenden Gegenwart Gottes nicht gehabt habe. Ungeschickter Grund, den er zum Beweißthum dessen von der Operation hernimmt, mit welcher Michael dem Adam die Augen geöffnet hat. Erklärung der Erdichtung und der Würckungen dieser Operation. Daß sie nicht unanständig für den Ertz-Engel gewesen sey. Auf was vor eine Weise Adam die Augen auf das künftige geworffen habe. Einwurf des Herren Magny, daß Raphael dem Adam den Krieg im Himmel unter solchen Bildern vorgestellet habe, welche ihm gantz unbekannt gewesen wären. Weitläuftige Menge Bilder, welche Adam in dem Paradiese von den Dingen und ihren Eigenschaften, selbst von den Kunstwercken der folgenden Zeiten, mittelst der Figuren, die er vor sich fand, und mittelst Verbindungen in der Phantasie bekommen können. Begriffe von Werckzeuge, Kleidungen und Waffen, so er von den Engeln der Besatzung empfangen hat. Daß diese Begriffe eben so viel Leichtigkeit und Klarheit gehabt haben, als die Begriffe von dem Tod oder der Fortpflantzung. Reichthum der Sprache Adams an deutlichen Worten, weil er den Thieren Nahmen nach ihren absonderlichen Sitten und Eigenschaften gegeben. Verwerffung der romanhaften Ursache, welche Milton von Adams Fall angiebt; da dieser bey einem gefaßten Verstande wider seine bessere Erkänntniß den unseligen Schritt thut. Wie Dryden diese romanhafte Idee noch höher getrieben habe.

Der siebende Abschnitt.

Von Miltons Anbringung der mythologischen Geschichte und Theologie in

seinem Gedichte.


Voltairens flüchtige Verwerfung der Erwähnung der mythologischen Geschichte. Elender und ungereimter Tand in der heidnischen Theologie. Daß es einem christlichen Poeten erlaubt sey, sie für das anzuziehen, was sie ist. Daß es ihm erlaubet sey, sie selbst für Wahrheit anzuziehen, wenn er dramatische Personen redend einführet, oder wenn er ein Gedicht unter der Person eines heidnischen Poeten schreibet. Einwurf eines deutschen Kunstrichters, daß Milton sich auf heidnische Fabeln, als auf wahrhaftige Geschichten berufe. Daß Milton die Entführung der Proserpine eben so wenig vor eine wahrhafte Geschichte gegeben, als dasjenige, was er von den Pygmeen, den Aelfen, dem Leviathan und den Lapländischen Zauberinnen meldet. Wie Milton die mythologischen Fabeln angebracht, seine wunderbaren Erzehlungen wahrscheinlicher zu machen. Wie er sie anderemahl angebracht, damit er seine Kräfte gegen den Poeten des Alterthums prüffete. Wie er sie zur Verkleinerung der heidnischen Götter angeführt. Daß die Vermählung Jupiters und der Juno, welche Voltaire tadelt, nichts mehrers als eine Metapher sey. Daß die Nahmen der heidnischen Götter ohne Sünde mögen gebraucht werden, nach einer Metonymie. Daß Miltons Anruffung der Urania ein poetisches Gebethe sey; wider Magny. Anstössiges Exempel aus Sannazars Gedichte von der Niederkunft der Jungfrauen, wo mythologische Gottheiten mit Ertzvätern und göttlichen Propheten in eine Handlung verbunden werden. Opizens mythologische Abgötterey in seiner Hercynia.

Von dem Wunderbaren in der Poesie

Der erste Abschnitt
Der erste Abschnitt.
Von der Wahl der Materie aus der
unsichtbaren Welt.

Je weiter ein Werck die menschliche Fähigkeit übersteiget, je behutsamer muß man darüber urtheilen. Je weiter ein Werck die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je bescheidener muß ein solcher davon urtheilen. Unermeßliche Verschiedenheit unter den Menschen in den Gemüthes-Gaben. Ausserordentliche Erhabenheit des Geistes und des Gedichtes Johann Miltons. Ursprung vieler verwegenen Urtheile, so vornehmlich über die Materie in demselben aus der unsichtbarn Welt gefället worden. Voltairen Einwürffe, daß der Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteige, und daß der Mensch geneigt sey, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Dem Menschen ist die Wissenschaft von der Natur, den Verfassungen und den Geschichten der Engel nicht gäntzlich verschlossen. Selbst die Erzehlungen von Personen, die keine Würcklichkeit haben, bemächtigen sich des Gemühtes, noch mehr aber die Begebenheiten der Engel, [3] als nemlich solcher Wesen, welche in der Natur vorhanden sind; und deren Geschichte die Leser, für welche Milton geschrieben hat, gantz nahe angehet. Voltairen Schluß daß es vergebliche Arbeit sey, da Milton die Character, Handlungen und Reden der Englischen Kriegs-Häupter so sorgfältig und vollständig vorgestellet hat. Der Christliche Leser hält sie vor seine Freunde, und nimmt darum an allen ihren Sachen Antheil. Zweifel, ob Milton in diesen Vorstellungen den Homer, wie Voltaire davor hält, oder die Natur selbst nachgeahmet habe. Noch ein Einwurff Voltairen, daß Miltons erwehlete Materie den Franzosen schwerlich gefallen könnte, weil sie davon öfters Gassenständgen gemachet. Miltons Großmuth, womit er auf die wahre Hoheit seiner Materie gesehen hat.


Ich habe diese Arbeit unternommen, so wohl meiner Hochachtung gegen diesen erhabenen Geist ein Genügen zu thun, und auch bey andern eine gleichmässige zu erwecken, als meine Lehren von dem Verwundersamen und dessen nothwendigen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen, insonderheit in Absicht auf die unsichtbare Welt der Geister, auf eine angenehmere und lebhaftere Weise vorzutragen. Dieses vortreffliche Gedicht wird mir in der That die bequemsten Exempel lehnen, die ich bey deutschen Poeten vergebens suchen würde, meine Lehrsätze zu erklären, und die Einwürffe, die gegen diese Exempel gemachet worden, werden meinem Wercke eine neue Gestalt und Art geben, die es beleben, und zugleich in sehr absonderliche Aeste ausbreiten wird.

[4] Eh ich aber den Anfang zu dieser Arbeit mache, wünschete ich das Gemüthe meines Lesers in den gehörigen Zustand der Bedachtsamkeit und Bescheidenheit setzen zu können, womit die Erwegung solcher Arten Wercke, welche zu verfertigen unleugbar die höchste Kraft des menschlichen Geistes erfordert wird, billig sollte vorgenommen werden.

Je weiter die Verfertigung eines Werckes so wohl in Absicht auf die Materie als die Kunst, die Fähigkeit der menschlichen Natur übersteiget, je mehr Behutsamkeit und Bescheidenheit muß man in den Urtheilen darüber gebrauchen. Dieser Grundsatz bedarf keines Beweises, sondern nur einer weitern Ausführung, damit unsere Beurtheilungen in den gebührenden Schrancken bleiben. Die Wesen von einem höhern Stand und einer vornehmern Natur als die menschliche ist, würcken auf eine gantz andere Weise und nach eigenen Gesetzen; was das vor Gesetze seyn, bleibet uns gröstentheils verborgen, ausgenommen in so weit uns die Wercke selbst, die nach solchen Regeln verfertigt worden, einige dunkele Merckmahle und Spuren davon errathen lassen. Von dieser Art sind die Wercke Gottes insgesamt, unsere Kräffte fallen in der Erkänntniß derselben unendlich zu kurtz. Die heilige Schrifft selbst bezeuget von Gott, daß seine Wege nicht seyn, wie unsre Wege, und seine Gedancken nicht wie unsre Gedancken, in so weit,[5] daß ofte vor Gott lauter Thorheit sey, was nach dem Dünckel des menschlichen Sinnes die gröste Weißheit ist. Welche Vermessenheit wäre es, wann man nach dem Exempel jenes raschen Königes von Castilien den Schöpfer der Welt unterrichten wollte! Welche Unbesonnenheit, wann man die höchste Weißheit nach unsren eingeschränckten und undeutlichen Begriffen meistern wollte! Wir müssen deßwegen die göttlichen Wercke der Gerichtbarkeit des menschlichen Urtheiles entziehen, doch nicht so weit, daß wir sie von der ehrerbiethigen Betrachtung der Menschen, welche in gewissem Sinn auch eine Beurtheilung ist, ausschliessen; wann diese nur mit Verstand und reifem Nachsinnen und ohne Tadelsucht geschicht. Die Wercke des Höchsten sind alleine unsrer Betrachtung und Bewunderung, aber nicht unsrem richterlichen Ausspruch unterworffen. Eine solche vernünftige Betrachtung ist alleine beflissen die Spuhren der Kraft und Weißheit des Unendlichen in dessen Werken einzusehen, und dadurch sich selbst zu seinem Lob, als der Absicht der Erschaffung, aufzumuntern.

Eine andere Beschaffenheit scheinet es mit den Wercken der menschlichen Wissenschaft und Kunst zu haben. Diese übersteigen die menschliche Fähigkeit nicht; man muß gestehen, daß möglicher Weise ein jeder anderer Mensch in gleichmässigen Umständen eben dergleichen Werck [6] hätte verfertigen können; Woraus denn zu folgen scheinet, daß solche darum der freyen Beurtheilung der Menschen unterworfen seyn. Dieses hat auch in der That, wann es überhaupt von dem menschlichen Geschlecht gesaget wird, seine Richtigkeit, aber in besondern Fällen hat es seine gewissen Ausnahmen, und läßt sich nicht so weit erstrecken, als ob ein jedes Werck dem Urtheil eines jeden Menschen lediglich unterworffen sey. Dann wer einestheils bey sich betrachtet, wie langsam der menschliche Verstand von sich selbsten in Erlernung der Wissenschaften und der Künste, wie kurtz das menschliche Leben, anderntheils, wie beschwerlich der Weg ist, der zur Erkänntniß führet, wie weitlaüftig und mannigfaltig diese ist, der wird leicht begreiffen können, daß die Kräfte und die Dauer eines Menschen nicht zulänglich sind, mehr als einen gewissen Theil einer einzigen Kunst oder Wissenschaft in dem Grund einzusehen. Es bleibet immerfort bey dem Ausspruch Hiobs: Wir sind seit gestern und wissen nichts. Daher entstehet vornehmlich der so gar ungleiche Fortgang der Menschen in den Künsten und Wissenschaften, welcher so groß ist, daß man eben so viele verschiedene Classen der Menschen setzen könnte, nicht nur als Künste und Wissenschaften, sondern als absonderliche Theile derselben sind; da unter diesen Classen allemahl eine die andere in den Graden ihrer Kunst und Wissenschaft übertrifft, und[7] dieses öfters so mercklich daß es scheinet, als ob es unter den Menschen, ungeachtet sie sämtlich von einer Art sind, so viele Arten gebe, als viele dergleichen Classen sind. Hieraus folget, daß wir den anfangs angeführten Grundsatz nicht nur von den Wercken höherer Wesen, sondern auch von den Wercken der Menschlichen Kunst und Wissenschaft annehmen, und also geben müssen: Je weiter die Verfertigung eines Werckes die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je behutsamer und bescheidener muß er davon urtheilen. Aus dieser Ursache hat man vor einen unwidersprechlichen Satz angenommen:Quisquis in Arte sua justissimus arbiter; Der ist der beste Richter eines Werckes, der die Kunst, wie es gemachet worden, am besten innen hat; und zum Gegentheil hat man das Sprüchwort in die gemeine Rede gebracht: Ne sutor ultra crepidam. Dieses kan nicht anderst seyn, zumahl eine jede Kunst ihre eigenen und besondern Regeln hat, die man sich durch eine lange Ubung bekannt machen muß; Wie will aber einer von einem Kunst-Wercke urtheilen, wann ihm die Regeln, nach welchen es verfertigt worden, die doch der Grund und die Richtschnur des Urtheiles seyn sollen, verborgen sind? Und dieses gilt nicht nur von den Künsten sondern eben so wohl von den Wissenschaften, die eben so weitlaüftig sind und eben so viel Mühe kosten als die Künste.

[8] Eine besondere Anmerckung wird diese Materie noch mehr erläutern, und mich zugleich näher zu meinem Vorhaben führen. Man gebe auf die unermeßliche Verschiedenheit der Grade Achtung, nach welchen sich die Individua des menschlichen Geschlechtes so wohl in Ansehung des Verstandes als ihrer übrigen Gemüthes-Gaben von einander entfehrnen. Die unterste Stafel von dieser Leiter setzet die Menschen bis zu den Thieren hinunter, man wird den Unterscheid zwischen dem dümmesten Menschen, und dem schlauesten Thier sehr klein finden, von da erhebet sich die Leiter nach und nach, eine unendliche Menge Stuffen steiget über einander hinauf, biß zu derjenigen, die auf der Spitze der Leiter stehet, und mit denen Wesen, von dem höhern Rang, der auf die Menschen folget, am nächsten gräntzet. Wie es an dem untern Ende Leute von so groben Sinnen giebt, daß die Kräfte der Seele, von welchen die Würdigkeit des Menschen entstehet, davon unterdrucket werden, und sie mit dem Menschen nichts weiter als die Gestalt, alles übrige mit den Thieren gemein haben, also hat es an dem obern Ende solche Männer, welche in einem menschlichen Leib über die Natur der Menschen erhoben zu seyn scheinen.


Ein Neuton übersteigt das Ziel erschaffner Geister,

Findt die Natur im Werck und wird des Welt-Baus Meister.


[9] Diese erhabenen Menschen verhalten sich gegen den geringern und gemeinen Menschen, wie höhere Naturen gegen den irdischen; derowegen ist auch eben so grosse Behutsamkeit in der Beurtheilung ihrer Wercke zu gebrauchen, als wir gegen die Wercke und Handlungen vornehmerer Wesen schuldig sind; denn wiewohl sie eigentlich die Menschliche Natur nicht übersteigen, so übertreffen sie doch die gemeine Natur. Dergleichen ausserordentlichen Männer sind an ihren eigenen starck gezeichneten Merckmälern leicht zu erkennen, zumahl sie die gemeine Bahn verlassen, und sich von dem grossen Haufen der Menschen in ihren Gedancken, Urtheilen, Lebens-Regeln und Thaten, weit entfehrnen und absondern; insonderheit aber ist ihren Wercken das Siegel einer durchdringenden Gewalt auf die Gemüther aufgedrücket, welcher man sich nicht erwehren kan. Wenn wir dergleichen wahrnehmen, soll uns die Bescheidenheit lehren, daß wir mehr unsrem eigenen Urtheil als dieser grossen Männer mißtrauen, und lieber bey uns eine Unwissenheit der ersten Grundsätze, nach welchen sie handeln, als bey ihnen einen Fehler wider dieselben voraussetzen.

Dieses Siegel einer durchdringenden Beredtsamkeit hat das Gedicht Johann Miltons von dem Verlohrnen Paradieß. Ich meine mich keines hyperbolischen Verbrechens schuldig zu machen, wenn ich Milton in den Rang dieser sonderbaren [10] Menschen setze, welche auf der Leiter der Wesen zu oberst unter den Menschen stehen, und gleich über sich diejenigen Geister haben, die zuerst vom Cörper frey sind. Besagtes Werck zeiget einen so hohen und feuerreichen Verstand bey seinem Erfinder, daß so viele Jahrhunderte des Welt-Alters kaum zween oder drey von dieser Art hervorgebracht haben; es erzehlet uns von lauter hohen und göttlichen Dingen, welche ausser unserer Sphär liegen, und berichtet uns von den Verrichtungen, Gedancken und Sitten entweder unsichtbarer Wesen, oder gantz anderer Menschen, als die heut zu Tag lebenden sind; die Regeln, nach welchen es geschrieben worden, werden uns da zuerst in der Ausführung vorgeleget; und es gewinnt das Hertz, bevor der Verstand Zeit bekommt, sich umzusehen. Dieses sollte schon genug seyn, uns zu bedeuten, daß wir unser Urtheil von diesem erhabenen Gedicht im Zaum fasseten, daß wir mit gewisser Forcht und Mißtrauen davon urtheileten, oder vielmehr denen überliessen, davon zu urtheilen, welche sich ebenfalls von der gemeinen Lebens-Art und den Gedancken der ordentlichen Menschen, unter denen wir leben, loß gemacht, und zu der Gemüthes-Art höherer Wesen, die über dem menschlichen Geschlechte stehen, empor zu heben gewußt, welche sich in ihrem Verstand einen Plan von einer höhern Vollkommenheit machen können, als diejenige ist, welche die [11] Menschen insgemeine erreichen. Da diese Eigenschaften überaus selten gefunden werden, so ists kein Wunder, daß einige unbedachtsame und vermessene Kunst-Richter von diesem vortrefflichen Werck ungeschickt genug geurtheilet haben. Wenn ich insbesondere bedencke, wie schwer es den Franzosen vor andern Nationen fällt, sich ihrer Gewohnheiten und Lebens-Arten zu entschlagen, und in die Sitten fremder, vornehmlich alter Völcker zu schicken, so befremdet es mich destoweniger, daß diejenigen, welche von dem verlohrnen Paradieß am schlimmsten geurtheilet haben, Franzosen gewesen sind. Wie schwer muß es Leuten von dieser wohlgesitteten, zierlichen und modischen Nation ankommen, sich in die Gewohnheiten anderer Arten Geschöpfe, voraus solcher zu richten, die von der menschlichen Art so ungemein weit abweichen, als die guten und bösen Engel, die Sünde, der Tod, die Geister in dem Chaos!

In der That haben die Französischen Critici sich vor allen Dingen an den Vorstellungen der unsichtbaren Wesen in dem Miltonischen Gedichte gestossen. Dieses weitläuftige Reich von Verwundersamem erweckete bey ihnen keine Neugier es zu verkundschaften; und sie wollten lieber diese gantze grosse Ecke des poetischen Gebiethes, eine gantze Welt, wüst und ungebauet stehen lassen. Der berühmte Herr Voltaire selbst, der als ein Dichter-König vor andern eine Begierde [12] haben sollte, die Gräntzen der Poesie zu erweitern, stehet in diesen kleinmüthigen Gedancken; und wenn ihm Glauben zuzustellen, so ist dieses die gemeine Meinung der Französischen Kunst-Richter. Er schreibet in seinem Versuche von der Epischen Poesie ausdrücklich, daß die Erdichtung von dem Krieg in dem Himmel Französischen Kunst-Richtern unerträglich gewesen wäre, und eröffnet uns auch den Grund davon: »Diese Kunst-Richter, sagt er, würden sagen, weil derselbe Krieg etwas wäre, das die blosse Einbildung hervorgebracht hätte, und die menschliche Natur überstiege, hätte er nicht mehr als zwey oder drey Blätter einnehmen sollen, zwey gantze Bücher davon wären zuviel, weil wir von Natur geartet wären, die Sachen, welche nicht in die Sinne fallen, zu verwerfen.« Es ist nur ein höflicher Kunst-Streich, daß Voltaire seine Critick lieber in dem Nahmen der Französischen Kunst-Richter als seinem eigenen vorgetragen hat, und es dörffte ihm schwer worden seyn, sein Creditiv vorzuweisen, daß er von den Kunst-Richtern der Französischen Nation Befehl empfangen, dieses für sie sämtlich zu reden. Was indessen seine Beschuldigung an ihr selbst anbelanget, so finde ich darinne, wiewohl er sich nicht gar ordentlich erkläret hat, zween Gründe, die ihr die erforderliche Kraft geben sollen. Der erste ist, daß Miltons Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteiget, [13] und ein Werck der blossen Einbildung ist, der andere, daß der Mensch geneigt ist, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Wenn diese Gründe bündig wären, so würden sie nicht allein den Krieg im Himmel, den Voltaire alleine damit verwerffen will, sondern den gantzen Theil dieses Gedichtes, der ausser den Gräntzen der irdischen Welt und der menschlichen Natur lieget, und folglich alle die Rollen der himmlischen und höllischen Einwohner verurtheilen. Denn der Krieg im Himmel übersteiget die menschliche Natur in keinem höhern Grade, als Satans Musterung seiner höllischen Legionen und seine Reise durch das Chaos. Alle diese Geschichten muste Milton aus seinem Kopf hervorbringen. Derowegen muß ich desto sorgfältiger seyn, den Ungrund und die Schwäche dieser beyden Vorgebungen zu zeigen. Erstlich kan man von den Handlungen der guten und bösen Geister (von der kleinen Rolle des Todes, der Sünde, des Chaos werde ich in einem absonderlichen Abschnitt reden) nicht lediglich sagen, daß sie ein blosses Werck der Einbildung seyn, noch daß sie die menschliche Natur, durch welches Wort Voltaire die Fähigkeit des Menschen sie zu erkennen verstehet, gäntzlich übersteige. Wenn zwar diesem gleich also wäre, so wäre solches in den Rechten der Poesie gegründet, als die vornehmlich mit der Einbildungs-Kraft auf die Einbildungs-Kraft arbeitet. Es ist in der [14] That eine gewisse Schreibart, worinn der Poet die Natur fast gäntzlich aus dem Gesicht verleurt, und die Phantasie der Leser mit den Charactern und Handlungen solcher Personen unterhält, welche grossentheils kein anderes Wesen haben, als dasjenige, das er ihnen mittheilet. Dergleichen sind die weisen Frauen, die Aelfen, die Feyen, die Wasser- und Luft-Geister, die Genii, die Berg-Nymphen, die Geister der Verstorbenen. »Diese Gedichtes-Art, sagt Herr Addison, ist schwerer, als einige andere, die auf der Phantasie des Poeten beruhet, weil er da kein Muster vor sich hat, dem er folgen könnte, sondern allerdings mit seiner eigenen Erfindungs-Kraft arbeiten muß. Die Kunst kommt darauf an, daß man diese zauberischen Personen nicht wie die Leute von unserem Geschlechte reden lasse, sondern wie Wesen von einer andern Classe, welche mit andern Sachen umgehen, und nach einer andern Weise dencken.« Alleine Miltons Gedicht ist nicht in diesem Fall begriffen, die Engel sind würckliche Wesen, welche in der Natur sind, zwar über die Natur der Menschen erhaben, doch nicht so weit, daß man den erhabensten Geistern unter ihnen alle Fähigkeit absprechen könne, auf einen gewissen Grad der Wissenschaft von dem Stand der Engel zu steigen, und von ihrer Natur, Gesetzen und Verfassungen etwas zu erkennen. Die eine Helfte des Menschen [15] gräntzet, so zu sagen, an den Engel; die geistliche Natur desselben hat nicht wenig gleichartiges mit der Englischen Natur, allermassen der Psalmist bezeuget, daß Gott den Menschen nur einiger massen geringer als die Engel gemachet habe. Aus dieser Gleichheit können wir schon verschiedenes von den Tugenden der Engel herholen; wenn wir nemlich den vollkommensten Begriff, den wir uns von dem menschlichen Geist vorstellen können, noch mehr erheben, indem wir ihn von allem dem, was ihm von seinem irdischen Gefährten, dem Cörper, geringes anklebet, befreyen und reinigen; wir bekommen auf diese Weise Begriffe von ihrer Unsichtbarkeit, Unsterblichkeit, Zartheit, Behendigkeit, Scharfsinnigkeit. Weil wir aber auch wissen, daß diese Eigenschaften, ob sie gleich auf einem so hohen Grade stehen, dennoch ihr Ziel und Maß haben, wie alle Geschöpfe, zumahl die Engel solche von dem Willen und der Allmacht des Schöpfers, und nicht aus eigener Krafft haben, so werden unsere Begriffe besagter Eigenschaften dadurch eingeschräncket, und bleiben weit unter den Begriffen, die wir derselben halben von dem ersten, höchsten und selbst-beständigen Wesen haben. Noch mehr aber können wir diese Begriffe aus einander setzen und bestimmen, wenn wir die heiligen Scribenten zu Hülffe nehmen. Weil diese von verschiedenen Ordnungen, Hierarchien, Fürstenthümern und [16] Häuptern der Engel reden so schliessen wir daraus, daß auch zwischen Engel und Engel in denen Tugenden, die nicht zu ihrem Wesen gehören, Grade angetroffen werden, also daß einer mehr, ein anderer weniger Glantz, Behendigkeit Scharffsinnigkeit, Stärcke, hat. Aus denselben hohlen wir eine ziemliche Wissenschaft von den Geschichten und dem Schicksal dieser unsichtbaren und unsterblichen Geister. Ihre Nachrichten davon sind zwar kurtz, flüchtig, und ihnen gleichsam bey anderer Gelegenheit entfallen, alleine so weitschweifig sie sind, liegen doch gantz reiche und fruchtbare Begriffe darinnen. Die Tiefsinnigkeit der Ausleger hat in der That aus diesen und dergleichen Quellen so viel herausgebracht, daß die Wissenschaft von dem Wesen und Thun der Engel, wie solches von ihnen entdecket wird, ein ziemliches Systema ausmachen mögte. Und diese Wissenschaft ist mehr, als ein Werck der Einbildungs-Kraft, nicht allein sind die Personen, von denen sie uns berichtet, etwas würckliches, sondern auch der Grund dessen, was sie uns berichtet, hat seine feste Wahrheit, und schützet sich hauptsächlich mit dem glaubwürdigen Ansehen derjenigen, die es ausgesagt, und die es wissen konten; denn es ist ihnen von höhern Wesen, von Engeln und Gott selbst entdecket worden, gesetzt daß es an sich über die Gräntzen der menschlichen Wissenschaft und Erforschungs-Fähigkeit erhaben [17] wäre. Wenn jezo ein Poet weiter gehet, und diese gesammelten abgebrochenen Nachrichten mit einander vergleicht, ergäntzet, ausführet, verbindet, so ist auch dieses mehr als ein Hirngespinst und leere Einbildung, es hängt an etwas würcklichem und geschehenem, wovon wir Gewißheit haben, und weil Ordnung und Verknüpfung der Umstände darinnen ist, so ist es auch nicht Unwahrheit, es ist Möglichkeit, es ist Wahrheit nach einem gewissen Satz; und von dieser Art ist alle die Wissenschaft, um welche die Poesie sich bekümmert. Betrachten wir nach diesem Licht den Krieg im Himmel, den Voltaire als ein Exempel angeführet hat, so sagen uns die heiligen Scribenten von einem Aufstand eines Theiles der Engel, an deren Haupt sie den Engel setzen, der von dieser Auflehnung den Nahmen Satan empfangen hat. Nun führet das einzige Wort Aufstand auf die Begriffe von Mißvergnügen, Unwillen, Beleidigung, Haß, feindlichen Anschlägen, Widerstand, Tumult, Treffen, Sieg, Niederlage, Nachjagen; welches theils Ursachen, theils Folgen und Umstände eines Aufstandes sind. Ein jeder, der der Bedeutung dieses Wortes nachspüret, wird leicht auf diese Begriffe fallen, wenn er sich ein vorhergehendes, eine Mitte und ein nachfolgendes darinnen vorstellen wird. Ich muß über diesen ersten Grund des Herren Voltaire nur noch anmercken, daß er die beyden, ein [18] blosses Werck der Einbildung seyn, und, die menschliche Natur übersteigen, also zusammenfasset, daß es scheinet, er wolle im ersten den Grund des andern setzen, und zu verstehen geben, daß dasjenige, was die menschliche Natur und Fähigkeit übersteiget, nichts anders als ein Werck der Einbildung sey: Alleine weil dieses eine giftige und der gesunden Philosophie allzu widerwärtige Meinung wäre, will ich mich hüten, solche diesem scharfsinnigen und in philosophischen Wissenschaften so wohl bewanderten Critico zuzuschreiben.

Der andere Grund, warum Hr. Voltaire den Krieg im Himmel, und damit zugleich die gantze Einführung der guten und bösen Engel verwirfft, beruhet auf der Abneigung, so er den Menschen gegen alle Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zuschreibet. Diesen andern Grund verbindet derselbe um etwas plump mit dem erstern, indem er ihn als einen Grund desselben vorträgt, auf folgende Weise: Weil der Krieg im Himmel ein Werck der Einbildung ist, und die menschliche Natur übersteiget, hätte er nur etliche Blätter einnehmen sollen, weil wir von Natur die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, verwerffen. Sonst muß ich zum Behufe dieses Kunstrichters anmercken, daß er die Materien, welche die Einbildung hervorgebracht hat, nicht lediglich verwirfft, sondern nur kurtz abgebrochen haben will. In dem [19] Grund selbst, den er dafür anbringt, könte ich ihm vor allen Dingen aufheben, daß Miltons geistliche Wesen nicht von der Beschaffenheit sind, daß sie nicht in die Sinne fallen. Der Poet hat diese unsichtbare Wesen mit Cörpern und Gestalten versehen, welche in die Sinne fallen, und hat daran recht gethan, wie ich in dem nächsten Ab schnitt gegen einen andern Französischen Kunstrichter ausführlich zeigen werde. Weil Voltaire sein Auge nicht auf diese poetische Verrichtung, sondern auf die natürliche Unsichtbarkeit der Engel alleine gerichtet hat, will ich in gegenwärtiger Untersuchung auch auf dieses alleine sehen. Wenn wir die Engel gleich in diesem Gesichtes-Punct als uncörperliche, den groben Gliedmassen der Sinne sich entziehende Wesen betrachten, so werden wir gerade das Gegentheil dessen, was der Criticus vorgiebt, bey uns befinden. Es ist so ferne, daß die Vorstellung und Geschichte der Engel, welche würcklich in der Natur vorhanden sind, ob es gleich himmlische und über die irdische Naturen erhabene Wesen sind, in dem menschlichen Gemüthe Verdruß und Eckel verursache, daß selbst die Erzehlungen von erdichteten Personen, die keinen andern Platz in der Natur des würcklichen haben, als denjenigen, welchen sie von einem geschickten und Erfindungs-reichen Kopf empfangen haben, und die Beschreibungen der Gedancken, Thaten und Reden derer Nixen, Feyen, Luft- und Wasser-Geister, [20] das Gemüthe des Lesers mit einer angenehmen Art Entsetzens einnehmen, sie belustigen die Einbildungs-Krafft mit der Neuigkeit und Selzamkeit deren Personen, welche vorgestellet werden; sie unterhalten und erregen die geheimen Besorgnisse, welchen das Gemüthe des Menschen von Natur unterworffen ist. Es ergetzet uns die verschiedenen Kleidungen und Manieren fremder Nationen zu betrachten, noch mehr erfreuet es uns, und nimmt uns mit Verwunderung ein, wenn wir gleichsam in eine neue Schöpfung geführet, und uns Personen und Gebräuche anderer Geschlechter von Geschöpfen vor Augen gesteilet werden. Der Herr Voltaire sollte demnach Miltons geistlichen Stücken wenigstens diese Kraft zu bewegen, welche sie mit allen Schatten-Personen der Dichtung gemein haben, zugestanden haben. Als er selbst in dem Gedicht von Heinrich dem vierten abgezogene Eigenschaften und Zufälligkeiten vor Personen eingeführet, und in Handlungen verbunden, hat er sich nicht eben dadurch dem Leser angenehm machen wollen, oder hat er gedacht, daß dieser mehr Anmuth an dergleichen Schatten-Personen finden, und mehr Theil an ihrem Schicksal nehmen werde, als an dem stehn und fallen der himmlischen würcklichen Wesen? Und wenn er gleich vor seine Person so kaltsinnig an Einbildungs-Krafft, oder von so strenger Gemüthes-Art hat scheinen wollen, daß diese Hirn-Geburten [21] ihn nicht vermögen einzunehmen, so sollte er doch in seinem Urtheil mehr auf die allgemeine Neigung der Menschen, als auf seine eigene Achtung gegeben, insonderheit sollte er die Leser nicht aus den Augen gesetzet haben, für welche Milton sein himmlisches Gedicht geschrieben hat. Das sind Leute, welche die Engel vor etwas mehr als Geschöpfe einer müssigen Einbildungs-Kraft erkennen, welche von ihrer Würcklichkeit und dem hohen Rang, den sie unter den mannigfaltigen Reihen der Geschöpfe Gottes bekleiden, unbetrügliche Nachrichten empfangen haben, welche aus den Berichten heiliger und göttlicher Männer wissen, daß die Geschichte dieser Engel sie gantz nahe angehet, zumahl einige derselben um ihre Glückseligkeit bekümmert sind, andere hingegen auf ihren Untergang lauren; weil auch die erstern mit ihnen einerley Begierde und Eifer hegen, dem Höchsten ihre Treue und Gehorsam zu erstatten, die leztern aber sich unseliger Weise bemühen, sie von ihm abzuziehen, und in dieser verdammten Mühe würcklich nur allzuweit fortgegangen sind. Es ist nicht möglich, daß Leute, die in diesen Gedancken stehen, keine Regungen gegen die Stücke des Miltonischen Werckes, darinnen die guten und bösen Engel aufgeführet werden, bey sich empfinden können. Diese Betrachtung hätte den Herrn Voltaire vermögen sollen, sich mit dem geschwinden Schluß nicht zu übereilen, welchen [22] er die Französischen Kunstrichter, zu deren Worthalter er sich aufgeworffen hat, aus oben geseztem seichten Grund ziehen läßt, und dergestalt abfasset: »Nach diesem Grundsatz, lauten seine Worte, würden sie behaupten, daß es verlohrne und überflüssige Arbeit wäre, dem Leser alle Character der Krieges-Häupter vorzustellen, Raphael, Michael, Abdiel, Nisroc und Moloch abzuschildern, wie Homerus den Ajax, Diomedes, und Hector geschildert hat. Denn wozu dienet es, erkläret er sich ferner, daß diese Wesen so sorgfältig und vollständig abgeschildert werden, welche dem Leser so fremd und unbekannt sind, daß er an ihrem Schicksal keinen Antheil nehmen kan.« Daher scheinen ihm die langen Reden dieser chimärischen Helden, also heisset er die Engel, vor der Schlacht und mitten in dem Treffen, und ihre Kämpfe nur eine übel überlegete Nachahmung Homers. Ich muß bald der Meinung des Herren Paul Rolli beyfallen, der in seinen Anmerckungen über Voltaires Versuch von den Epischen Gedichten diesen Französischen Kunstrichter beschuldigt, daß er Miltons Leser vor lauter Indianer und Chinesen halte, welche von dem Fall der Engel nichts wissen, und Michael niemahls den Erz-Engel noch Satan den Erz-Teufel haben nennen hören; daher er meinet man könte von ihm sagen, daß er zu Tonkin daheim und einer von so vielen Tausenden [23] Chinesen wäre, die von dem Christenthum niemahls gehöret reden, geschweige daß sie die Apocalypsin oder die Weissagung Ezechiels gelesen haben. Wahrhaftig der schlechteste Christliche Leser hält die guten Engel vor seine vornehmen Freunde, und Mit-Diener des Allerhöchsten, die zwar ihn an Würdigkeit und Gaben ungemein übertreffen, jedoch zu seinem Schutz bestellet sind, hingegen siehet er die bösen Engel, als die Förderer seines Falles an, als seine Verführer, die nach seinem Verderben trachten, und ihm tausend Fallen legen, ihn zu stürtzen, damit sie ihn von dem Himmels-Wege, und der Gnade Gottes, die ihm in so weit wider geschenket worden, abführen und zu sich in die höllischen Wohnungen hinunter ziehen, daselbst ihre Qual mit ihnen zu theilen. Nun ist nichts natürlichers, als daß man um den Zustand derjenigen, die uns Nutzen bringen, oder Schaden thun können, besorgt ist, und dieses um so viel mehr, als sie mehr Willen und mehr Macht haben, uns zu helfen oder zu schaden. Alle Umstände, die uns von ihnen zu vernehmen kommen, werden von uns mit Begierde angehöret, und sind bequem auf einer Seite freudige, auf der andern furchtsame Empfindungen bey uns hervorzubringen. Es ist uns, daß wir selbst um so viel sicherer stehen, wenn wir vernehmen, daß unsre Freunde glücklich, und selig sind; und wenn wir hören, daß unsre Feinde zu boden liegen, [24] richtet es uns auf, wie wir hingegen uns bekümmern und befahren, wenn unsre Freunde Abbruch leiden, und unsre Feinde die Oberhand gewinnen. Ein Freund findet selbst in der geringsten Nachricht von seinem Freund etwas, das sein Verlangen erwecket, das ihm Furcht, Hoffnung, Trost und s.f. bringet, nur eine Handlung, nur ein Spruch, nur ein Wort, das ihm von ihm erzehlet wird, unterhält ihn in der Aufmerksamkeit, allermassen ihm seine Freundschaft des Freundes Zustand als seinen eigenen fühlen und empfinden läßt. Dieses war die Ursache daß Milton diese wahrhaften Wesen, welche dem schlechtesten Christen in so weit bekannt sind, so sorgfältig abgeschildert, und ihre Reden und Thaten so vollständig vor Augen geleget hat. Nachdem er an dem rechten Orte von der einen Freundschaft und der andern Feindschaft gegen uns so wohl als beyder Macht solche im Werck zu zeigen, hohe Proben und Würckungen vorgestellet, und uns schon dadurch theils mit Liebe, theils mit Haß gegen sie eingenommen, so konten uns die Nachrichten von ihrem Character, Sitten, Reden, Kämpfen, so umständlich sie waren, nicht anders als desto mehr einnehmen, weil sie uns um so viel weiter in ihre Bekanntschaft führen, und uns zu ermessen geben, wie viel wir von ihnen zu hoffen, oder zu fürchten haben. Aus eben dergleichen Ursache hatte Homerus seine Helden so deutlich abgeschildert, und [25] ihnen nach eines jeden Character so viele Sprüche, und Reden zugeschrieben, und wenn man sagen will, daß Milton hierinnen dem Homerus gefolget, so ist dieses an sich selbst ein Lob, wiewohl es von Voltaire vor einen Fehler angerechnet wird; allermassen Homer sich in diesem Stücke nach dem menschlichen Affecte gerichtet hat, daher noch zweifelhaftig bleibet, ob der Englische Poet hier die Natur selbst, oder das Muster derselben in dem Griechischen Poeten, der ihr gefolget, nachgeahmet habe. Gutherzige Critici werden dem erhabenen Milton ihren Danck mit ihrer Bewunderung bezeugen, daß ers so glücklich gewaget hat, die Character dieser hohen Wesen so ausführlich und in so absonderlichen Umständen aus einander zu setzen; die Leser insgemein, welche die standhaften Engel hochachten und lieben, die gefallenen aber hassen und fürchten, werden tausend Vergnügen darüber bey sich empfinden, daß der Poet alle Stärcke seines Geistes angespannet, dem Mangel der Nachrichten, so sie davon hatten, zu Hülfe zu kommen, und die Schrancken ihrer Wissenschaft in diesem Stücke weiter hinan zu setzen. Und da diese die Hoffnung der Unsterblichkeit und der ewigen Seligkeit haben, wird es ihnen überaus angenehm seyn, in den Miltonischen Vorstellungen der glückseligen Einwohner des Himmels dasjenige, was sie hoffen, vorzusehen und dadurch einigermassen vorzugeniessen. Das [26] Conterfey, das Voltaire in folgenden Zeilen von den Französischen Lesern unsers Poeten verfasset hat, zeiget keine Aehnlichkeit mit jenen erstern: »Der Franzose, sagt dieser Criticus, lachet mit einem verächtlichen Gesichte, wenn er höret, daß die Engelländer ein Episches Gedicht haben, in welchem die Materie abgehandelt wird, wie der Teufel mit Gott streitet, wie Adam und Eva aus Anstiften einer Schlange einen Apfel essen. Da diese Materie bey ihnen niemahls was mehrers hervorgebracht hat, als etliche Strophen von Liedern, oder etliche lustige Verse, in welchen Stücken diese Nation sich so berühmt gemachet hat, so können sie nicht fassen wie es möglich sey, ein Gedicht von einer Sache zu verfertigen, von welcher sie Gassenständgen machen; und man kan sagen, daß ihr Irrthum in diesem Stücke sich entschuldigen läßt, denn wenn wir betrachten, mit welcher Freyheit die wohlgezogensten Männer, so wohl von der protestierenden als von der Catholischen Kirche, ungeachtet ihrer hohen Ehrfurcht gegen die Christliche Religion, zuweilen dieses Stück der heiligen und zugleich lustigen Geschichte von dem Teufel, der Schlange, der Gebrechlichkeit unserer ersten Eltern, der Riebe Adams, und andere dergleichen Sachen in ihren Gesprächen in ein Gelächter ziehen, so müssen wir es für ein verwegenes Unternehmen vor einen Poeten ansehen, [27] der solche Materien abhandeln darf, und für etwas eine Hochachtung von uns erhalten will, welche die heiligen Scribenten mit grosser Müh von uns bekommen können.«

Der muß wahrhaftig ein niedriges und verderbtes Hertz haben, der einige Aufmercksamkeit auf eine solche Schwierigkeit machet, welche die elende Gewohnheit schaler Köpfe, so die Geschichte des Miltonischen Gedichtes zur Materie ihres Gelächters mißbrauchen, zum Grund hat! Diese Leute, die Voltaire mit dem Titel der wohlgezogensten Männer in beyden Religionen beehret, sind vielmehr der Abschaum einer Nation, und die hohe Ehrfurcht, die sie dabey gegen die Religion behalten, erfordert eine starcke Leichtgläubigkeit von uns. Es muß einer sehr unbesonnen und verkehrt seyn, wenn er für solche thörigte Leute schreiben, oder seinen Ruhm auf ihr Urtheil bauen will. Voltaire giebt durch seine Reden zu verstehen, daß ihn die Betrachtung der Schwierigkeit, die er sich von seiten dieser seichten Spötter vorgestellet hat, von der Erwehlung dieser Materie abgeschrecket hätte; aber er verräth dadurch, wie weit er an Großmüthigkeit hinter Milton zurück bleibet. Dieser sah in seiner Wahl alleine auf die Natur der Materie selbst, welche in dem höchsten Grade vortrefflich und einzeln ist; eine solche zu verwerffen, weil sie von solchen Zotenreissern mißhandelt wird, oder eine zu erwehlen, die denselben gefallen könte, [28] war er zu edelmüthig und zu gerecht. Er wußte, daß das Gespötte, das auf etwas gutes und vollkommenes fällt, dasselbe nicht verderben kan, weil es darauf nicht anklebet.

Der zweyte Abschnitt
Der zweyte Abschnitt.
Von der Vorstellung der Engel
in sichtbarer Gestalt.

Einwurf des Herren Constantin Magni, daß geistliche Wesen nicht sollten mit Cörpern bekleidet aufgeführet werden. Recht der Poesie zu einer Art Erschaffung, da die möglichen Dinge in den Stand der Würcklichkeit gesetzet werden. Meinung einiger Weltweisen, und Lehrer, daß die Engel einen organisierten Leib haben. Exempel vornehmer Poeten, die die Engel in sichtbaren Gestalten vorgestellet. Vorzug der menschlichen Gestalt, in welcher sie von Milton vorgestellet werden. Die Verkleidung der Engel in cörperliche Gestalt zieht eine gleiche Verkleidung derer Dinge mit sich, mit welchen sie umgehen. Des Hrn. Magni Einwurf dagegen, welcher alle diese Vorstellungen verwirft, wenn sie nicht hieroglyphisch und allegorisch sind. Daß die Personen und Begebenheiten in dem Epischen Gedichte poetisch-historisch seyn, und als solche alle die Eindrücke thun, die der Poet haben will. Des Hrn. Magni Klage, daß Milton sich von dem Zaum der Vernunft ledig gemachet habe. Unterscheid zwischen der Poesie und der Metaphysik. Richtigkeit und Vernunftmässigkeit des poetischen Wahren in Miltons Gedicht. Widerlegung der Beschuldigung, daß dieser Poet die Gräntzen der Ehrfurcht vor heilige Materien überschritten habe.


[29] Da ich oben dem Einwurf begegnet bin, daß die Personen und Handlungen der unsichtbaren Engel nicht in die Sinne fielen, daher der Mensch geneigt wäre, eine solche Materie kaltsinnig aufzunehmen, habe ich mit wenig Worten angemercket, daß dieser Einwurf, wenn er gleich an sich ewigen Grund hätte, dennoch auf das Verlohrne Paradieß nicht schliesse, weil Milton seine Englischen Personen mit Gestalten und Gliedmassen versehen hätte, dadurch diese unsichtbare Wesen bequem gemacht werden, die Sinne zu rühren und einzunehmen. Dieses ist eine poetische Verrichtung, zu welcher Miltons Kläger keinen Magen haben, so daß ich nothwendig von dem Recht, das die Poesie dißfalls besitzet, gründlich und umständlich handeln muß. Der Herr Constantin Magni, ein Französischer Advocat, der Miltons Verlohrnes Paradieß in einem eigenen Werckgen mit grosser Zuversicht auf seine Kräfte angegriffen hat, setzet einen vornehmen Theil seiner Beschuldigungen auf keinen andern Grund, als den Satz, daß geistliche Wesen nicht sollten mit irdischen Cörpern bekleidet eingeführet werden. Wenn diese Critik Grund hätte, so träffe sie so wohl als die schon widerlegten Beschuldigungen Miltons erstes Vorhaben und erwehlte Materie, noch ohne Absicht auf desselben Ausführung derselbigen sondern mit Absicht auf eine jede Ausführung. Es folgete, daß Milton schon gefehlet hätte, so bald [30] er das Thema seines Gedichtes von den unsichtbaren Thaten Englischer Wesen erwehlet hat, weil dieses ihn genöthigt, ihnen cörperliche Gestalten mitzutheilen. Er sagt am achtzehenden Bl. wo er Satans liegen in dem feurigen See angeführet: »Sehet hier geistliche Wesen in cörperliche Wesen verwandelt; sie haben einen Kopf, Augen, den übrigen Leib; und damit der Poet das Maß ihrer Grösse bestimmete, nimmt er seine Zuflucht zu Huben Feldes; er thut noch mehr, es scheinet, er wolle sich mit Fleiß das Recht selber nehmen, sich durch die Allegorie zu retten, so sorgfältig ist er uns zu vergewissern, daß es wahrhafte Leiber seyn, indem er sie mit denen vergleichet, welche ihrer ungeheuren Grösse wegen in den mythologischen Fabeln nahmhaft gemachet werden.«

Es ist allerdings an dem, daß Milton die Engel in cörperlichen und zwar in menschlichen Gestalten vorgestellet hat. Er hat in diesem Stück die Freyheit gebraucht, die ihm die poetische Kunst vergönnete, alldieweil sein Vorhaben nicht war, eine metaphysicalische Abhandlung von der Natur und dem Wesen dieser unsichtbaren Geister zu schreiben, sondern nur die Phantasie mit wohlerfundenen und lehrreichen Vorstellungen auf eine angenehme Weise einzunehmen. Darum hat er denen unsichtbaren Geistern sichtbare und cörperliche Gestalten mitgetheilet, ohne welche sie sonst für die Sinne und die Einbildung verschlossen [31] waren. Er that dieses mittelst einer Art Schöpfung, die der Poesie eigen ist. Denn da die Sichtbarkeit für die Natur der Engel etwas gantz fremdes ist, so ist die Operation des Poeten, der sie in sichtbare Cörper einkleidet, eben dieselbe, nach welcher Dinge, die alleine möglich sind, aus diesem Stand in den Stand der Würcklichkeit hinübergebracht werden. Das sichtbar werden der Engel ist für die Einbildung nicht ohne Wahrheit, es hat nemlich dieselbe Wahrheit, welche die möglichen Dinge haben, und diese nimmt die Phantasie statt der eigenen Wahrheit und Würcklichkeit, welche die Engel, ob sie gleich unsichtbar sind, eben so wohl haben, als die Dinge aus der sichtbaren Welt. Diese Art der Schöpfung ist das Hauptwerck der Poesie, die sich eben dadurch von den Geschichtschreibern und Naturkündigern unterscheidet, daß sie die Materie ihrer Nachahmung allezeit lieber aus der möglichen als aus der gegenwärtigen Welt nimmt. Ob uns nun gleich die Grundlehre und die Theologie zu wissen geben, daß die Engel unsichtbar und uncörperlich sind, nach der Natur, welche ihnen von dem Schöpfer in der gegenwärtigen Welt-Verfassung der würcklichen Dinge zugeeignet worden, so begreiffen wir doch daneben wohl, daß demselben frey gestanden wäre, bey andern Absichten eben diesen Engeln die Sichtbarkeit und Erscheinung in menschlichen Augen, und den Cörper zuzulegen, massen solches keinen Widerspruch [32] in sich hat, und ihn keine Noth gezwungen hat, dieselben schlechterdings vor dem menschlichen Gesicht zu verbergen, und ihnen den Cörper zu verweigern. Wer hat jemahls den Poeten gemißgönnet, daß sie die Gegenden, Flüsse und andere leblose Wesen, die zwar würcklich sind, aber von dem Schöpfer weder mit Vernunft noch mit Gedancken begabet worden, mit solchen bereichert haben? Oder daß sie Dinge, die kein eigenes Wesen haben, blosse Zufälligkeiten anderer Wesen, alles woraus irgend eine Würckung herrührte, zu Personen gemacht haben? Der Poet, der den Engeln die Sichtbarkeit und den Cörper mittheilet, thut nichts verwegeners. Es scheinet zwar daß die Engel dadurch niderer gesetzet werden, indem der Cörper etwas gröberes, beschwerlicheres und plumperes ist, als der Geist, alleine wann man betrachtet, daß der Poet alleine zu der Phantasie redet, welche sich nichts höhers als den Cörper vorstellen kan, so wird der Würde der Engel nichts benommen, da sie auf der höchsten Stafel vorgestellet wird, die jene fassen kan. Vielmehr ist die Sichtbarkeit, die ihnen von dem Cörperlichen Kleide zufällt, einigermassen ein Zusatz zu der Englischen Vollkommenheit, indem dadurch die Natur derselben in Absicht auf die Phantasie erweitert, und zu Handlungen in einer anderen Welt bequem gemachet wird. Diese Vergrösserung oder Erweiterung der Englischen Natur ist wie diejenige, so kleine und dem Auge verschlossene, oder von ihm allzuweit [33] entfernte Dinge mittelst der Vergrösserungs- und der Fern-Gläser bekommen: und wie dieses nicht mittelst einer Schärffung oder Verbesserung des Auges geschicht, sondern durch eine Vergrösserung der Sachen, und was die entfernten Sachen angehet, weil sie dieselben näher zu dem Auge herbeybringen, eben also macht der Poet die unsichtbaren Engel für das menschliche Gesicht gerecht, indem er ihnen die nöthige Ausdähnung giebt, damit sie von dem Auge wahrgenommen werden, und sie aus ihrer Entfernung näher in unsere Gegenwart zur Stelle führet. Man wird dem Poeten destoweniger verargen, daß er die Engel durch ihre sichtbare Vergestaltung unter ihre Natur gesetzet hat, wenn man bedencket, daß sie selbst nicht zu stoltz gewesen sind, würcklich irdische Leiber an sich zu nehmen.

Die sichtbare und Cörperliche Vorstellung der Engel, läßt sich nicht alleine durch die Möglichkeit und die poetische Schöpfung schützen, sondern ferner durch den Satz von ihrer Würklichkeit. Berühmte Weltweise und Lehrer sind in der Meinung gestanden, daß die Engel würcklich einen gewissermaßen organisierten Leib haben, der nach seinen Mechanischen Gesetzen würcke, und die freyen Entschlüsse der Geister, die ihn bewohnen, ohne Abbruch ihrer eigenen Gesetze vollführe. Bey den Vätern der ersten christlichen Kirche war diese Meinung allgemein, und sie hatten dieselbe von den Lehrern und Weisen der Jüdischen Nation [34] beybehalten. Diese Meinung möchte noch so irdisch seyn, so ist sie zulänglich den Poeten zu rechtfertigen, weil sie seine Erdichtung für würcklich, und was noch mehr ist, für glaubwürdig darstellet; je glaubwürdiger nemlich das Ansehen der Gottesgekehrten und Weltweisen gewesen, die derselben beygepflichtet hatten.

Wann es nothwendig wäre, unsern Poeten mit dem Exempel vornehmer Vorgänger zu schützen, könte ich gedencken, daß die berühmtesten Dichter, die das Hertz gehabt haben, die unsichtbaren und uncörperlichen Engel aufzuführen, sich kein Bedencken gemacht haben, ihnen die sichtbare Gestalt mittelst des Cörpers mitzutheillen. Die drey Gedichte des Florentinischen Poeten von der Hölle, dem Fegefeuer, und dem Paradies, die vom Anfang biß zum Ende aus der unsichtbaren Welt hergenommen sind, verkleiden alle Wesen derselben in cörperliche Gestalten. Was Tasso und Ceva aus der Welt des Unsichtbaren vorgestellet haben, jener vornehmlich in einem Concilio der bösen Geister 1, dieser in der Niederlage der Teufel im Thal Hinnon 2, ist eben so beschaffen. Tasso beschreibet seinen Satan, dem er den Mythologischen Nahmen Pluto giebt, mit folgenden Zügen:


Siede Pluton nel mezzo, e con la Destra

Sostien lo scettro ruvido e pesante;

[35]

Nè tanto scoglio in mar, nè rupe alpestra

Nè pur Calpe s'inalza, o'l magno Atlante;

Ch'anzi lui non paresse un picciol colle,

Si la gran fronte, e le gran corna estolle.


Also wendet Tasso so wohl als Milton allen Fleiß an, uns mittelst einer Außmessuug zu vergewissern, daß Satan einen wahrhafften Leib, eine Stirn, Hände, und so gar Hörner gehabt habe.

Was anbelanget, daß Milton die Engel mit Menschlicher Gestalt und Gliedmassen vorgestellet hat, so wird dieses keiner sorgfältigen Vertheidigung bey denen vonnöthen haben, die einmahl dem Poeten die Macht zugestehen, denselben eine Gestalt und Gliedmassen anzuziehen. Es ist zu diesem Ende keine bekantere, keine würdigere, keine bequemere. Es ist die einzige bekannte, welche Seelen, das ist, Geister die mit der Natur der Engel am nächsten verwandt sind, bewohnen. Dieses giebt ihnen schon eine Würdigkeit, weit mehr aber, daß die Engel und Gott selbst, wann sie sich dem Menschen haben auf Erden sichtbar zeigen wollen, eine vertrauliche Gesellschafft, wie ein Freund mit dem andern, mit ihm zu halten, ihm in keiner andern als der Menschlichen Gestalt erschienen sind.


Gott ward ein armer Mensch, des Vaters Wort und Rath

Nahm Fleisch und Blut an sich, o grosse Wunderthat!

Man sah ihn dorten gehn, wo Jordans Quelle fliesset,

Und wo der Siloah die reine Flut ergiesset.


[36] Die menschliche Gestalt ist die bequemeste für alle Arten der Bewegungen und Verrichtungen, dadurch die Veränderungen, die uns in dem Zustand der Engel kund gethan werden, am geschicktesten können vorgestellet werden. Ich stelle mir daher vor, wann die Engel den Menschen das Schauspiel von ihren Anschlägen, guten oder bösen Verrichtungen und Entschliessungen geben wollten, daß sie es auf keine andere Weise thun würden, als diejenige, nach welcher sie unser Poet in seinem Gedicht als in einer grossen Erscheinung auf Erden an den Tag gebracht hat.

Gehen wir weiter, so trägt die Verkleidung der Engel in cörperlichen Gestalten eine gleichmässige Verkleidung aller derer Dinge mit sich, mit welchen sie umgehen, ihres Ortes, ihrer Speise, ihrer Waffen. Wie wollten wir eine cörperliche Gestalt in einem geistlichen Raum begreiffen, die sich von geistlichen Speisen nähret, mit sichtbaren Gliedmassen auf unsichtbare Dinge würckt? Milton hat sich hierüber selbst erklärt. Zuerst läßt er zwar den Engel Raphael, der sich jetzo fertig hält, Adam den Krieg im Himmel zu erzehlen, mit einigem Zweifel sagen: »Wie aber wann die Erde allein der Schatten des Himmels ist, wann in beyden Dinge sind, die weit mehr Aehnlichkeit mit einander haben, als man auf Erden dencket.« Aber hernach setzet er ausdrücklich Hügel und Thäler in den Himmel: »Weder Hügel auf ihrem Wege, noch enge Thäler noch Wälder, [37] noch Ströhme trennen ihre vollkommenen Linien, denn ihr Marsch gieng hoch über dem Boden.« In dem Eingeweide des himmlischen Bodens findet er gleichmässige Dinge, wie in dem Boden der Erden erzeuget werden. »Welcher von uns, läßt er Satan anmercken, betrachtet die helle Fläche des Etherischen Bodens, worauf wir stehen, dieses Land des weiten Himmels, das mit Pflanzen, Früchten, ambrosialischen Blumen, Edelsteinen und Gold ausgezieret ist, mit so flüchtigen Augen, daß er nicht nachsinnet, woher sie tief unter dem Grund wachsen, nemlich aus einem rohen und finstern Zeuge, der mit einem geistigen und feurigen Schaum beschwängert wird.« Er giebt dem Himmel auch Abend und Morgen, und eine Ambrosialische Nacht mit Wolcken, die von dem hohen Berg Gottes ausgeduftet werden. »Es ist ein Höle in dem Berg Gottes etc. Im sechsten B. zu Anfang. Ja er sezet den Himmel nicht frey von Donner-Wettern: Wie oft, sagt Mammon im zweyten B. beliebet es dem Allmächtigen Vater des Himmels mitten in dicken und finstern Wolcken zu wohnen, und seinen Thron mit der Majestätischen Finsterniß, doch ohne Abbruch seiner Herrlichkeit, rundherum zu bedecken, dann brüllen von demselben tiefe Donner hervor, welche ihre rasende Blitze mustern, und den Himmel einer Hölle ähnlich machen.«

[38] Der Herr Magny schreibet dieses Verfahren dem Poeten für einen Fehler an, der in seinem Gedichte herrsche, und nennet es einen starcken Mißbrauch der Allegorie. »Gehören, sagt er, die Berge, Wälder, und Ströhme in den Himmel! Man wird mich niemahls überreden, daß ein himmlischer Boden sey, noch daß dieser Boden dem Boden der Erden ähnlich sey. Was will dieser weit aufgerissene Boden des Himmels sagen, unter welchem die satanischen Engel den Ursprung der Natur in seiner rohen Zeugung gesehen haben? Das ist fürwahr schlimmer, als daß man Berge, Thäler, und Flüsse darinn setzet. Heisset man dieses das Verwundersame, so muß man bekennen, daß ein solches Gedicht zu schreiben nicht viel Müh kostet, wann man sich von einer ungebundenen Einbildung führen läßt.« Und in denselben Gedancken verwirft er auch die Speise, den Tranck, die Tänze, und den Schlaf der Engel. »Wie, haben die Engel eine andere Speise, als Gott selbst? Was ist der Rubin-Nectar, der in Perlen strudelt, in Diamant und massivem Gold, die Frucht der Weinreben, die in dem Himmel wachsen? Wenn dieses alles nur eine Allegorie ist, kan man diese Figur weiter treiben, oder vielmehr, kan sie auf eine niedrigere und ärgerlichere Weise mißbrauchet werden? Sehet da in weniger als zweyen Blättern die Engel tanzen, essen und trincken, es fehlet nichts mehr, als daß Milton sie auch schlafen lasse; [39] auch dieses Vergnügen hat er uns gewähret.« Und von den Tänzen in den Empyreischen Feldern urtheilet er: »Milton verfällt von dem ungereimten ins schülerhafte, er läßt die Engel tanzen. Ich will glauben, daß es nur allegorisch gesagt ist.«

Nach dem Begriffe, den sich dieser critische Kämpfer von dem Vermögen der Poesie unsichtbare Dinge auf eine sichtbare Weise vorzustellen, gemachet hat, kan solches auf keine andere vernünftige Weise geschehen als vermittelst der Allegorie, welches Wort er in dem engesten Verstand nimmt, so fern es sagen will, daß alle die cörperliche Bilder, die von den Engeln und geistlichen Sachen gebraucht werden, irgend eine geistliche Beschaffenheit, eine Metaphysicalische, oder moralische Tugend und Eigenschaft derselben bedeuten sollen. Das Haupt, die Augen, die Füsse Satans, die Speisen, das essen, trincken, schlafen, tanzen, die Rüstungen der Engel, sollten jegliches Stück etwas aus dem geistlichen Zustand derselben in sich verborgen haben, wie in der Metapher der Bliz z.E. die Geschwindigkeit und durchbrechende Macht eines Helden, der Löw dessen Dapferkeit und s.f. andeutet, also daß wir auf diese Weise eine hieroglyphische Metaphysick von den Engeln bekommen hätten. Wie anmuthig dergleichen Arbeit, wie deutlich für den grossen Haufen, für welchen die Poesie, diese Ars popularis, gewiedmet ist, heraus kommen würde, mag der scharfsinnige Leser urtheilen. Miltons Absicht war ein Episches Gedicht [40] zu schreiben, und weil Magny die Natur eines solchen scheinet aus der Acht gelassen zu haben, oder verkehren zu wollen, ist nothwendig, daß ich den Leser ein wenig damit aufhalte, zumahlen es uns den Weg bahnet, den Vorzug des Vorhabens und Werckes unsres Poeten vor dergleichen allegorischen Metaphysick, die Magny vorschlägt, an den Tag zu legen.

Das Epische Gedicht ist ein erzehlendes, historisches Gedicht, in welchem die Begebenheiten, Character und Personen, wenn sie gleich niemahls würcklich gewesen sind, dennoch auf eine gewisse Weise von dem Poeten zur Würcklichkeit gebracht sind. Sie haben zwar das Siegel der Wahrheit nicht, es fehlet ihnen an Zeugen, die dabey gegenwärtig gewesen wären, und uns davon versicherten; Aber sie haben an dessen statt den Preiß der Wahrscheinlichkeit, weil sie in den würcklichen eingeführten Gesetzen, und dem gegenwärtigen Lauf der Natur und derer Begebenheiten, die fidem narrantis haben, gegründet sind. Episch heißt demnach so viel als poetisch-wahr, und poetisch-historisch. Was absonderlich die Handlungen und Personen Miltons aus der unsichtbaren Welt betrift, so sind sie nicht nur möglich und wahrscheinlich, sondern in ihrem Grund würcklich. Was für glaubwürdigere Zeugnisse will man für die Existenz Raphaels, Michaels, Gabriels, Satans, der Engel und der Teufel fodern, als der göttlichen Scribenten, die uns davon Nachrichten gegeben haben? Diese [41] Personen haben ihr Wesen nicht von dem Poeten auf den Grund einer oder mehrern Metaphern, die in eine Handlung ausgedähnet werden, wiewohl sie die sichtbare Gestalt und den Leib von ihm haben, da wir erkläret haben, nach was für einer poetischen Operation solches zugehe. Es sind keine Zufälligkeiten oder Eigenschaften, die andern Wesen zukommen, wovon Würckungen von der zweyten oder dritten Hand herrühren; es sind Epische, historische Personen, die in ihrem eignen Nahmen da sind, die sich selber und niemand andern vorstellen, die in ihrem eigenen Character erscheinen, als Originale, nicht als Nachbilder; die Haupt-Geschichte selbst die von ihnen erzehlet wird, ist würcklich vorgegangen, und wir haben unverwerffliche Zeugnisse davon, zum Ex. von dem Aufstand Satans und seines Anhangs, von ihrem Fall vom Himmel, und Verstossung in die Hölle; von Satans Verführung der ersten Menschen. Diesemnach hatte der Poet für nichts weiters zu sorgen, als die cörperliche Gestalten und Geschäfte seiner Englischen Personen also einzurichten, daß sie den Character und die Geschichte derselben der Phantasie als gegenwärtig und empfindlich vorstelleten, diese nimmt dieselben so wie sie ihr in dem cörperlichen und sichtbaren Kleide vor Augen gestellet erscheinen, und sucht kein tieferes Geheimniß darunter, als was sie siehet und empfindet, so wenig als sie in den Personen des Thycidides, oder des Livius etwas verborgeners suchet, als dieselben Personen selbst. Mehr hat der Poet [42] zu seinem Endzweck nicht vonnöthen, dann diese Personen, wie sie da in sichtbaren Gestalten und mit sichtbaren Sachen umgeben aufgeführet werden, thun nach dem buchstäblichen Inhalt alle die Eindrücke auf die Gemüther, welche der Poet seinen Absichten gemäß achtet. Und hier wird niemand in Abrede seyn, daß unser Poet nicht die Eindrücke nach dem gehörigen Grade zu erhöhen, oder zu mässigen gewußt, wie es die Materie und der Zustand, in welchen er das Gemüth versetzen wollte, erforderten. Wann wir die Eindrücke betrachten, welche die Mahlzeiten der Engel, ihre Tänze, ihr Schlaf selbst auf die Phantasie thun, was vor ein himmlisches Wohlleben, was vor Ausbrüche von Wonne, was vor eine selige Einigkeit, was vor eine sanfte Ruhe, und Erquickung geben sie uns zu fühlen! dann das sind die allgemeinen Begriffe von diesen Sachen, und die heiligen Scribenten haben sie auf diesen Fuß angebracht, sie reden von der Fettigkeit des Hauses Gottes, die Menschen, sagen sie, werden davon truncken, und Gott träncket sie aus dem Bache seiner Wollüste, sie verheissen den Frommen, daß sie mit Abraham, Isaac und Jacob im Reiche der Himmel zu Tische sitzen sollen, der Herr verheißt seinen Geliebten, daß er ihnen Schlaf geben wolle, und s.f. Was vor eine Macht, Stärcke und Wuth zeigen auf einer andern Seiten die Schlachten der Engel, und die ungeheuren Waffen, die sie führen? Und wie erhellen diese nicht mitten in dem Leiden dieser verzweifelten [43] Wesen, in ihrem ligen in der feurigen See, in ihrem Gang auf dem gediegenen Feuer-Land, in Satans Reise durch das Chaos, in ihrem verfluchten Concilio? Wer kan sich im Lesen der höchsten Eindrücke von Entsetzen, Abscheuen, Schrecken, Erstaunen, erwehren? Und was haben diese Eindrücke von dem grossen Exempel der getreuen und der gefallenen Engel nicht für eine Kraft auf die Hertzen, denselben Gehorsam gegen dem Herren, Verwunderung gegen dem Allmächtigen, Ehrfurcht gegen dem gerechten Richter, Liebe gegen dem Schöpfer, der Quelle alles guten, einzupflanzen? Magni selbst hat diesen Eindrücken nicht widerstehen mögen, wie er gleich im Vortrabe seiner critischen Streitschrift bekennen muß. bl. 4. »Bevor ich, sagt er, ein jedes Buch dieses Gedichtes absonderlich betrachte, will ich mit wenig Worten sagen, was vor einen Eindruck das gantze Werk das erste mahl auf mein Gemüthe gethan hat. Dieser Eindruck dienet gäntzlich zum Ruhm des Poeten, der Enthusiasmus, der darinn herrschet, entzükete mich so gewaltig, daß er alle andern Verrichtungen meiner Seelen stille stellete, ich konte nichts anders thun, als mich verwundern, und ich fieng erst bey der zweyten Ueberlesung an, die Sachen zu erwegen. Ich war zwar bey gewissen Stellen des Werckes, die von einer Natur waren daß sie nicht mit so viel Feuer abgehandelt werden konten, wie die andern, etwas kühler, aber dieser kleine Kaltsinn diente mir zur Erquickung, und [44] ich ward so schnell aus diesem Stand gesetzet, daß ich beynahe vergaß, daß ich darinn gewesen war.« Was will diese beständige Entzückung sagen, in welcher der Poet das Gemüthe des Hrn. Magny aufgehalten hat, als daß er seiner Sinne und Einbildung sich gäntzlich bemächtiget gehabt habe? Der Enthusiasmus des Poeten, seine poetischen Schildereyen, seine sichtbaren und empfindlichen Vorstellungen haben ihn aus sich selbst entrücket, sie haben alle höhern Vermögen der Seelen in ihren Verrichtungen unterbrochen, er war gezwungen sich einer beständigen Verwunderung, einer von den angenehmsten und schätzbaresten Gemüths-Bewegungen, zu überlassen. Diese entzückenden Eindrücke sind desto verwundersamer, je mehr Widerstand Magny dagegen selbst bey der ersten Ueberlesung kraft seiner ordentlichen Kaltsinnigkeit gethan hat, je mehr ihn sein Naturell, das zu abgezogenen Wahrheiten gewöhnt war, vor der Tyrannie und dem Betrug der Phantasie bewahret hat. Und hier düncket mich, daß die Erholung aus dieser Entzückung und die Wahrnehmung des langen Betruges, der mit solchem Ergetzen begleitet gewesen, bey ihm einige Gedancken, einige Vermuthungen der Kunst erwecket haben sollten, welche dieses zuwege gebracht hat. Die gute Meinung von der Stärcke seines Verstandes solte ihm gesagt haben, daß die Geschicklichkeit einen solchen zu berücken, desto grösser seyn muß, je schwerer solches zugehet; Er sollte leicht auf die Gedancken gefallen seyn, daß auf diese Weise [45] zu berücken, grosser Verstand, und grosse Einsicht in die Natur des menschlichen Gemüthes erfordert wird, und ich zweifle nicht, daß er nicht bey einem solchen Gemüthes-Stand in seiner Untersuchung die Triebräder, welche die poetische Kunst hat spielen lassen, ziemlich würde entdecket haben. Allein Magny hält nicht so viel von sich selbst, die Begierde Fehler bey dem Poeten zu finden, verbirget ihm die Schwierigkeit, die man hat seinen Verstand zu hintergehen, er giebt sich für einen blöden Kopf dar, der von hundert unrichtigen, täuschenden, übel zusammenhangenden Stücken, wo weder Maß noch Schnur regiert, übertölpelt wird. »Erst die zweyte Ueberlesung, sagt er, hat den Betrug aufgehoben, der Glantz des Gebäudes hat sich bey der Untersuchung des Gleichmasses vermindert, meine Betrachtungen sind eine Art Schöpfung gewesen, die das Chaos in Ordnung gebracht hat, es ist licht worden, ich habe gesehen wie viel unrichtiges Zeug meine ersten Begriffe übertölpelt gehabt, und ich habe geschlossen, daß ein Poet wenig Müh haben müsse, Feuer in ein Werck hineinzubringen, wann er sich von dem Zaum der Vernunft ledig macht.« Wer von dem Poeten nicht mehr fodert, als was uns seine Kunst und Lehrart verspricht, solche empfindliche und das Gemüth mit einer angenehmen Gewalt an sich reissende Eindrücke, wie Milton in seinem Werck auf die volkommenste Art erreget, der wird sich nicht entbrechen können, wahrzunehmen, daß in seinem [46] Gedicht so viel Ordnung, Zusammenhang, Richtigkeit, und Vernunft, und dieses in dem Grade herrschet, als zu seiner Absicht gehörte. Ich sehe wohl, daß Magny, vielleicht ein besserer Advocat als Criticus, in dem Poeten den Metaphysicus gesucht hat; nach welchem Gesichts-Punct er freylich viel unrichtiges in seinem Gedicht sehen mußte, wie eben so wohl geschehen würde, wann er in der Ontosophie Poesie suchen wollte. Der Poet bekümmert sich nicht um das Wahre des Verstandes; da es ihm nur um die Besiegung der Phantasie zu thun ist, hat er genug an dem Wahrscheinlichen, dieses ist Wahrheit unter vorausgesetzten Bedingungen, es ist wahres, so fern als die Sinnen und die Phantasie wahrhaft sind, es ist auf das Zeugniß derselben gebauet. Wer dem Poeten vor übel nehmen wollte, daß er darauf bauet, der mag zugleich die Natur anklagen, daß sie jene und den Verstand nicht überein gemachet hat, welches so viel gesagt ist, daß sie den Menschen nicht zu etwas mehrerem als zu einem Menschen gemachet hat. Demnach ist dieses poetische Wahre nicht ohne eine gewisse Vernunft und Ordnung; es hat für die Phantasie und die Sinne seinen zureichenden Grund, es hat keinen Widerspruch in sich, ein Stück davon gründet sich in dem andern. In diesen wird Magny keine Unrichtigkeit finden; wann er solche nach einem andern Gesichts-Punct findet, da er den Poeten als einen Metaphysicus ansiehet, und die reinen abgezogenen Wahrheiten [47] des Verstandes von ihm fodert, sind das keine Fehler eines Poeten, wiewohl es Fehler eines Metaphysici wären. Auf diese Weise wird er eine beständige Quelle zu Critiken bekommen, welche aber auf keine gründlichern Fehler fallen werden, als solche, die seine ungerechte Verwegenheit die Absichten zu verkehren, wird gebohren haben. Er kan dann die Metaphysick auch in der gemeinen Rede von uns fodern, und Unvernunft in den unschuldigsten Redens-Arten finden; zum Exempel, wann wir sagen, die Sonne gehet zu Gold, sie fällt hinter den Berg hinunter, oder in die See, der Berg trägt den Himmel, der Himmel ligt auf dem Berge. Da wird er genug zu thun bekommen, den Betrug zu zerstreuen, den falschen Glantz durch seine Erwegungen zu zerstören, dieses Chaos mittelst seiner Schöpfung in Ordnung zu richten. Es ist wahr, daß seine Phantasie dadurch manche angenehme Vorstellung verliehren wird, welcher Verlust aber einem Geist, der so viel aus den abgezogenen Wahrheiten des Verstandes machet, keinen Schmertzen bringen wird, und durch die Freude in der Phantasie seiner Nebendmenschen so viel unrichtiges entdecket zu haben, ersetzet wird. Ich förchte doch hierbey daß dieser hohe Philosophus uns auf einen gleichen Grund bald auch die Vorstellung dessen verbieten werde, was künftig oder vergangen, oder von uns entfehrnet ist, weil das künftige, bevor es würcklich ist, noch nicht wahr ist, und das vergangene, oder entfehrnte [48] nicht mehrere Wahrheit für uns hat, als etwas bloß mögliches und wahrscheinliches. In beyden kömmt es auf das Ansehen und die Aufrichtigkeit derer an, die uns davon Bericht ertheilen. Was uns anbelanget, wollen wir die Metaphysick bey den Lehrern derselben suchen, von den Poeten aber nichts mehr fodern als Poesie, wir wollen uns hier an dem Wahrscheinlichen und der Vernunft, die in dem Zusammenhang desselben lieget, begnügen, wir wollen denjenigen Empfindungen und Eindrücken, so die Schildereyen in Miltons Gedicht nach ihrem buchstäblichen Verstand machen, ohne angenommenen Kaltsinn und unzeitigen Eifer willig Platz geben, und das Ergetzen, das daher entspringt, mit Danck annehmen. Darüber wollen wir uns an tiefere, gesuchtere, verborgenere Allegorische Geheimnisse den Sinn nicht kommen lassen, und den Mangel derselben, als etwas überflüssigen und hieher nicht gehörenden ohne Reue erdulden.

Es scheinet sonst aus einer andern Stelle dieses sauersehenden Critici, daß er den Poeten vornehmlich in Absicht auf die Heiligkeit der Materie der Unvernunft beschuldigt habe, indem er sagt. »Milton überschreite mit seinem Flug der Phantasie das Ziel, das die Vernunft in der Abhandlung heiliger Materien vorschreibt.« Miltons Materie ist heilig zu nennen, weil sie von heiligen Personen handelt, göttlichen und englischen, und der erste Stof dazu zuerst von heiligen [49] Scribenten erzehlet worden. In der Abhandlung dergleichen Geschichte schreibet uns die Vernunft das Ziel vor, daß wir kein Stück und keinen Umstand in den Zusammenhang der Ausführung hineinbringen, der sich mit dem Zeugniß der H. Scribenten stosse, und daß wir den Personen keinen Gedancken zuschreiben, der wieder ihren Character laufe, und ihrer Würde zu nahe trete. Damit ist uns nicht verwehret, daß wir nicht in den abgebrochenen und kurtzbegriffenen Erzehlungen der H. Scribenten das leere und mangelnde mit solchen Umständen in den Begegnissen ersetzen und ausfüllen, welche mit dem geoffenbahreten ein Gewebe in einem ordentlichen Zusammenhang ausmachen. Das ist eine Freyheit, die in diesen Schrancken gefasset, vernünftig ist, dann wiewohl es ein Vorwitz ist, demjenigen in den Gedancken nachspüren zu wollen, und es zu ergäntzen zu suchen, was uns der Höchste nicht gut gefunden hat zu eröffnen, so ist es doch ein unschuldiger, und lehrreicher Vorwitz, der in einem Verlangen von himmlischen Dingen mehr zu wissen bestehet, und das Gemüthe schon in dieser Zeit zu dem künftigen himmlischen Leben erhebet, und näher mit den seligen Geistern bekannt macht, in derer Gesellschaft wir nach diesem vergänglichen Leben zu kommen hoffen. Nun werden wir im Verfolge sehen, mit welcher Anständigkeit Milton seine himmlischen Personen eingeführt, was für erhabene Gedancken [50] er ihnen ihrem Character gemäß zugeschrieben, und wie geschickt er ihre Handlungen aus den kurtzen Erzehlungen der H. Scribenten erweitert hat. Magny giebt uns ein paar Exempel dessen, worinn Milton die Gräntzen der Ehrfurcht gegen H. Personen überschritten habe, wann er nach oben ausgesetzten Worten fortfährt: »Er hätte sich nicht genöthiget gesehen, chimärische Personen aus Mangel würcklicher zu erschaffen; wir hätten nicht geistliche Personen einander mit Waffen anfallen sehen, welche ihrer Natur, so fremd sind.« Ihr sehet daß alles gefaßte Aergerniß unsers Tadlers auf die schon vertheidigte Sichtbarmachung der Engel hinausläuft, welche ohne ihre poetische Vercörperung, und alles dessen, womit sie umgehen, nicht kan zuwegegebracht werden, wiewohl sie aber in der That ihrer Natur etwas fremdes und von ihr entferntes ist, doch in der Kunst der Poesie genugsam, und wie es seyn soll, gegründet ist. Auch giebt uns das Exempel der H. Scribenten selbst, von denen wir Erdichtungen von Gesichtern in eben diesem Geschmack haben, zu erkennen, daß solche an sich selbst der Ehrfurcht, die wir himmlischen und geistlichen Personen schuldig sind, nicht entgegen laufen. Da werden uns nicht nur die Engel mit einer Stimme, mit Flügeln und so weiter vorgestellet, sondern der Höchste, der Untheilbare und Unbegreifliche selbst, wird uns unter irdischen und menschlichen Gestalten[51] sichtbar gemachet, da er bald mit einem Schwerdt bald mit einem gespannten Bogen, bald auf einem Thron sitzend, von welchem Blitz und Donner loßschiessen, vorgestellet wird. Also hat auch der göttliche Prophet Ezechiel in dem Gesichte von dem cherubischen Wagen gesagt, daß das Rad desselben auf der Erden gestanden, ungeachtet er die Scene daselbst in den Himmel setzet.

Fußnoten

1 In dem 4ten B. der befreyeten Stadt Jerusalem.

2 In dem lateinischen Gedichte, der Knabe Jesus genannt.

Der dritte Abschnitt
Der dritte Abschnitt.
Von der Wahrscheinlichkeit des Characters
und der Handlungen der Engel.

Miltons Geschicklichkeit den hohen Character der Engel unter ihren sichtbaren Gestalten beyzubehalten. Eines Ungenannten Beschuldigungen, daß Milton den englischen Cörpern solche Zufälligkeiten zugeleget habe, welche mit den himmlischen Tugenden dieser vortrefflichen Geister streiten. Beweiß, daß ihre Verwundung den Begriff von ihrer unvergänglichen Natur nicht umstosse. Ihre Wunden treffen nur die Maßke, die der Poet ihnen lehnet. Ihre Unsterblichkeit rühret von dem Willen Gottes, welchen ihre Verwundung nicht aufhebet. Thorheit den Höchsten, der die Unsterblichkeit in sich selbst hat, verwundet vorzustellen. Gewohnheit der christlichen Poeten, Gott in dem angenommenen Fleisch unter Schmertzen und Wunden vorzustellen. Widerlegung der Bezüchtigung, daß Milton in der Verwundung der Engel Homer nachgeahmet habe. Vortrefflichkeit der miltonischen Engel, selbst in Ansehung des [52] ihnen zugelegten Cörpers, vor Homers Göttern. Kleiner Unterscheid zwischen Miltons Teufeln und Homers Göttern. Entschuldigung Homers betreffend die Aufführung seiner Götter. Beweiß daß das Blut, das aus den Wunden der Engel fleußt, mit der Materie übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung der Phantasie bestehen. Widerlegung des Vorurtheiles, daß die Verwundung der Engel durch Geschoß mit ihrer Subtilheit und Behendigkeit streite. Voltairen höhnisches Urtheil von der geringen Würckung des satanischen Geschosses, die er mit dem Kegeln vergleicht. Eines Unbekannten Einwurf, daß die Hand-Arbeit der gefallenen Engel in der Verfertigung des Pulfers allzu menschlich wäre. Voltairen Vergleichung der Engel, so Berge durch die Luft schleudern, mit den Dipsoden des Rabelais. Vertheidigung der Wortspiele, die Milton dem Satan und Belial in den Mund leget, wider Voltaire. Einwurf wider das Gefecht im Himmel, daß den Engeln in ihrer tiefen Ruh, Seligkeit, und Unwissenheit, was Wunden wären, der Gedancke mit einander zu schlagen, nicht habe in den Sinn kommen können. Einwurf des Hrn. Magny wider den Krieg im Himmel, daß er mit der Glückseligkeit des Ortes streite, wo er geführet worden. Desselben Einwendung, daß Milton hingegen die Hölle nicht unselig genug vorgestellet habe. Rettung des Trostes, den Satan vom Schicksal herholet. Rettung der mühsamen Botschaften, so die Teufel in dem finstern Abgrund hin und her tragen müssen. Irriger Schluß, den Magny von dem Uebergang des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See an das Gestade von festem Feuer-Land zieht, daß das eine neue Strafe sey, welche sie mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben. Wie ungeschickt derselbe eine sogenannte Seligkeit der Teufel in der Hölle daraus schleußt, weil Satan die Ohnmacht derselbigen [53] in dem feurigen Pful mit dem ironischen Nahmen eines Schlafes beleget hat. Seine Beschuldigung, daß Milton der Freude, der Symphonie, der Ruhe, in der Hölle einen Platz eingeräumet habe. Seine Anklage, daß die göttliche Rache den Satan nur gestreifet habe. Wie ungereimt er die Gleichheit der Hölle mit dem Himmel aus dem Golde schleußt, das zu dem höllischen eben so wohl als zu dem himmlischen Palast gebraucht worden. Seine falsche An merkung, daß Mammon die Neigung zu Gold und Reichtum schon in seinem himmlischen Stand der Unschuld gefühlet habe. Voltairen Beschuldigung, daß das Pandämonion ohne Nutzen, allzu kunstreich, und allzu klein gebauet worden. Wahrscheinlichkeit der Erdichtung, daß die geringern Fürsten des satanischen Heeres ihre grossen Gestalten in einen kleinern Raum zusammen gezogen haben. Falschheit der Regel des Hrn. Voltaire, daß eine Erdichtung, die in einem epischen Gedicht angebracht wird, verwerflich sey, wenn sie in einem abentheurlichen schön stehen würde. Ungereimter und schädlicher Gebrauch dieser Regel in den sogenannten Parodien. Ubereilter Schluß Magny, daß schwache und träge Engel seyn, weil es starcke und schnelle giebt. In welchem Verstand eine Verrichtung der Engel, die ihnen von dem Höchsten aufgetragen wird, könne widrig und verdrüßlich für sie geheissen werden. Magny Anklage des Ertz-Engels Vriel, und der Englischen Wache des Paradieses, daß sie sich von Satan haben hintergehen lassen. Seine Beschuldigung der himmlischen Heerscharen, daß sie über die erhaltene Zeitung von dem Fall der Menschen ihre Neugierigkeit blicken lassen. Grobe Anschwärtzungen des Poeten, daß er den Engeln die Erkänntniß des Sohnes nicht von der Zeit ihrer Erschaffung an zugeschrieben; und daß er in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen die dritte Person der Gottheit mit Stillschweigen übergangen hat.


[54] Die alte Meinung, welche den Engeln einen Cörper zuschreibet, war Milton zu seinem poetischen Gebrauche desto leichter zu erlauben, weil er gewußt hat, dieselbe mit der grösten Geschicklichkeit anzuwenden, damit der vortreffliche Character, der uns von den Eigenschaften und Tugenden der Engel aus den H. Scribenten bekannt ist, nicht dadurch verletzet würde; indem er von dem Englischen Cörper alles dasjenige weggenommen, was ihm irdisches und beschwerliches und blödes anhängt, und ihm solche Vollkommenheiten zugeleget hat, welche sich vor diese unsterblichen Personen am bequemsten schicken. Die Gestalt des Cörpers, die er ihnen zuleget, ist die menschliche, welche göttliche und englische Personen vorzeiten würcklich gewürdigt haben, sich darinnen sichtbarlich zu zeigen. Er leget ihr eine Schönheit und einen Glantz bey, welche sie auf den höchsten Grad setzen, eine Grösse, die alle menschliche übertrifft, eine Stärcke, die Sterblichen nicht zukömmt, eine Jugend die nicht alt wird; eine Geschwindigkeit die mit der Schnelligkeit der Gedancken in Vergleichung kömmt; eine Kraft sich auszudehnen, und einzuziehen; die Unsterblichkeit, und die Unfähigkeit Schmertzen zu empfangen; und nachdem der Abfall die satanischen Aufrührer an ihrer vorigen Vollkommenheit übel verkürtzet hatte, setzet er doch noch in der Natur derselben einen Unterscheid, der sie weit über den [55] Menschen erhöhet, wiewohl sie Wunden empfangen, bleibet ihr etherisches Wesen nicht lange getheilet, sondern schließt sich bald wieder zu; das Blut, das aus demselben hervorsprützet, ist ein nectarischer Saft, wie himmlische Personen solchen bluten können; sie weinen Thränen, wie die Engel weinen; ihr angeschaffener Urglantz ist nicht gäntzlich vergangen, oder verdunckelt, sondern nur verdüstert. In den cörperlichen Eigenschaften des Himmels und der englischen Werckzeuge und Waffen bewerckstelliget er eben diese Erhöhung derselben über die irdischen. Der Himmel hat solche Tage, wie das grosse Jahr des Himmels hervorbringet; es wird da Morgen und Abend nur zum Wechsel, nicht zur Nothwendigkeit; die Nacht ist da nur eine Dämmerung; die Speisen überfüllen nicht; ein Rubin-Nectar sprudelt in den Bechern; der Fluß der Wonne führt einen ambrosialischen Strohm mitten durch den Himmel, über die elysischen Fluren; an demselben wächßt der unsterbliche Amaranth, und die unverwelckliche Rose; die Harnische der Engel flammen, und sie reiten auf feurigen Rössern. Allenthalben hat der Poete Sorge getragen, durch die Wörter Ambrosialisch, Etherisch, Elysisch, Nectarisch, Empyreisch, den Begriff zu etwas höhern als das irdische ist, von diesen cörperlichen Dingen zu erheben, und zu verhüten, daß sie nicht mit den gebrechlichen Cörpern der vergänglichen Sachen vermenget werden.

[56] Nichtsdestoweniger hat die Uebereilung in ihrem raschen Urtheil diese sorgfältige und weise Kunst des Poeten übersehen, und in seiner Aufführung der englischen Cörper nicht wenig ungereimtes zu finden gemeint. Ich will mit Untersuchung dieser Anklage den Anfang machen, das Vorhaben des Poeten die Wercke, Thaten und Leidenschaften, der Engel vor Augen zu stellen, in seiner Ausführung zu vertheidigen; und wie mit dieser Anklage mehr andere, so die Seligkeit, die Wissenschaft, die Scharfsinnigkeit und andere moralischen Tugenden der Engel berühren, übereinfallen, oder sonst von den Criticis damit verknüpfet worden, will ich nach Anleitung derselben zu andern Beschuldigungen fortgehen, und überall beflissen seyn zu zeigen, daß die Gedancken, Entschlüsse, und das gantze Betragen der englischen Personen Miltons so wohl stückweise vor sich selbst und einzeln, als in ihrem Zusammenhang unter einander betrachtet, mit denen Lehren und Nachrichten, welche der menschliche Verstand mit Hülfe der Heiligen Scribenten, von der Natur, der Verfassung und der Geschichte der Engel haben kan, in gehöriger Wahrscheinlichkeit zusammenstimmen. In den vorhergehenden Abschnitten hatte ich alleine die Wahl des Vorhabens an ihm selbst gerechtfertigt, die Ausführung desselben hat erst der Critick einen rechten Tummel-Platz eröffnet, wohin wir ihr unerschrocken nachfolgen, und [57] untersuchen wollen, was ihre Stärcke oder Behendigkeit gegen die kluge Kunst des Poeten vermöge.

Einer von Miltons Richtern, der seinen Nahmen hier nicht will geoffenbahret wissen, hat seine Beschuldigungen der cörperlichen Gestalten und Eigenschaften, die der Poet seinen Engeln zuschreibet, in folgenden Zeilen an mich geschrieben: »Es ist nicht genung, daß die Ausdrücke eines Poeten von den Leuten ohne Mühe können verstanden werden, die Bilder, mit welchen die Poesie unsere Einbildung einnehmen will, müssen überdieß mit der Vernunft übereinstimmen; nun kan ich nicht finden, wie sich dieses in allen Erfindungen des Engelländischen Poeten eräuge; denn ob wir wohl gewohnet sind, uns die Engel unter menschlichen Figuren vorzustellen, so stellen wir sie uns doch nicht so vor, als ob sie uns in allen menschlichen Eigenschaften gleich wären. Wir stellen sie uns vor, als solche, die eine Gestalt haben, so der menschlichen ähnlich ist, aber einen unverweßlichen, feinern und luftigern Leib. Derowegen muß man gestehen, daß das Blut oder der Nectargleiche Saft, der aus ihren Wunden fleußt, was es vor einer seyn mag, weder mit dem Begriffe von ihrer unvergänglichen Natur übereinkommt, noch mit der Materie, von welcher sie nach der Vorstellung unsrer Einbildung bestehen. [58] Wann man hier auf nichts anders, als auf die Eigenschaften eines Cörpers zu sehen hätte, so könnte Gott selbst, der von den Propheten in menschlicher Gestalt beschrieben worden ist, ohne Uebelstand verwundet, und blutrünstig vorgestellet werden; wie ungereimt aber dieses herauskäme, mag jedermann vor sich urtheilen. Der Poet hat vielleicht Homer nachahmen wollen, welcher dichtet, daß Mars von Diomedes verwundet worden; aber er machet sich mit ihm lächerlich, statt daß ihn desselben Exempel entschuldigen könnte. Weiter ist die Thorheit unglaublich, da die gefallenen Engel Geschoß, das unserm gleich ist, wider die getreuen brauchen wollen, welche wegen ihrer feinen Cörper und natürlichen Hurtigkeit keinen Schaden davon empfangen konten. Mithin sind die Heiligen Engel eben so alber, daß sie wider die andern Berge werfen, welche sie doch aus erzehlten Ursachen nicht verwunden konten. Es ist niemand, ich will nicht sagen, unter den Gelehrten, sondern unter dem gemeinen Volck, der mit der Vorstellung eines englischen Leibes, nicht den Begriff einer Behendigkeit und feinen Zartheit verknüpfe, welche mit den Püffen der geschleuderten Berge allerdings streiten, zumahl diese sich nicht anderst als feste und dicke Cörper begreiffen lassen.« Der ungenannte Urheber dieser Einwürffe zeiget darinn sein reiferes Urtheil indem er für bekannt annimmt, was wir in [59] dem vorhergehenden Abschnitt uns genöthiget gesehen, wieder den Herren Magny sorgfältig zu beweisen, nemlich daß dem Poeten erlaubet sey, die Engel, diese unsichtbaren Geister, in cörperliche Gestalten einzukleiden, damit er dieselben der Phantasie auf eine sichtbare Weise vorstelle. Die Bedingung, mit welcher er ihm besagtes Recht zutheilet, nemlich, daß dem Cörper der ihm geliehen wird, keine Eigenschaft zugeschrieben werde, welche mit der Unsterblichkeit, der Zartheit, der Behändigkeit, oder einer andern englischen Kraft und Vermögen streitet, ist ebenfals gantz nothwendig und vernünftig. Ich bin es zufrieden und fodere es selbst daß unser Poet nach dieser Grund-Regel gerichtet werde. Dieser neue Gegener führt erstlich die Verwundung der Engel an, und vermeint daß solche ihrer unvergänglichen Natur zuwider laufe. Wann er hier nicht aus der Acht gelassen hätte, was er selber eingeräumet hat, daß die Gestalten, unter welchen die Engel vorgestellet werden, nur poetische Verkleidungen sind, so hätte er leicht gesehen daß es mit diesen Verletzungen der Engel eine gantz andere Bewandniß hat, als mit den Verwundungen der Menschen; Bey den Menschen macht der Cörper einen wesentlichen Theil aus, er ist nicht eine blosse ihnen gelehnte Maßke, hingegen ist der Cörper, der den Engeln von dem Poeten zugetheilet wird, nur etwas fremdes und entlehntes; daher gehen die Verletzungen dieser leztern nicht auf etwas wesentliches, [60] wie die Verletzungen der Menschen, nichts wird bey ihnen getroffen, als die poetische Larve, unter welcher diese unsichtbaren Geister der Phantasie zu sehen gegeben werden. Also streitet die Verwundung derselben keinesweges mit dem Begriffe von ihrer unvergänglichen Natur, welche durch die Verwundung nichts leidet. Daneben hat der Poet sich sehr wohl in Acht zu nehmen gewußt, daß er dieser Maßke nichts zuschriebe, was den Begriff von der Unverweßlichkeit und Unsterblichkeit der Engel zerstören oder vermindern könte. Er behält zwar in seiner Vorstellung des englischen für die Phantasie zugerichteten Cörpers den Begriff des zusammengesetzten und theilbaren, aus welchem die Vorstellung der Verletzung fleußt, aber er weiß die Verwundung mit der Unsterblichkeit zu reimen, indem er die verletzten Theile des etherischen Cörpers nicht lange getheilet bleiben, sondern kraft ihrer Unsterblichkeit bald und von sich selbst wieder zuheilen läßt. Was vor einen deutlichern Vorzug konte er diesem englischen Cörper vor unserm menschlichen zulegen, als mit folgenden Zeilen im sechsten b. »Geister, in welchen ein jeder Theil durchgehends Leben führt, und lebet, nicht wie in den gebrechlichen Menschen nur das Eingeweide, das Hertz oder Haupt, die Leber oder die Nieren, können nicht sterben, sie werden dann gänzlich zernichtet; sie empfangen auch keine tödtlichen Wunden in ihr flüssiges Gewebe, so wenig [61] als die blühende Luft verwundet werden kan. Ihr Leben ist lauter Hertz, lauter Haupt, lauter Ohren, lauter Sinnen, lauter Verstand.« Wann wir ferner betrachten, daß die Unsterblichkeit keine innerliche Kraft ihres eigenen Wesens ist, sondern daß ihnen allein der Wille des Allmächtigen davor gut ist, so werden wir noch besser begreiffen, daß ihre Verwundung wohl damit bestehen kan, weil solche den Willen Gottes ihrer Unsterblichkeit halber nicht aufhebet, welches der Poet uns damit geschickt zu verstehen gegeben hat, indem er sagt, daß sie von ihrer Verletzung keinen Schmertzen empfinden, so daß sie nichts mehrers zu sagen hat, als eine kleine Ungelegenheit; gestalt diese Unfähigkeit Schmertzen zu empfinden ebenfalls von dem Willen des Höchsten herrühret, daher die gefallenen Engel dießfals eine unselige Veränderung verspürten, sobald Gott diesen Willen nach ihrem Abfall zurücke nahm, da sie alsobald dem Schmertzen unterwürffig wurden. Hieraus erlernen wir zugleich, warum es nicht nur etwas übelstehendes, sondern der höchste Grad der Thorheit und Gottesvergessenheit wäre, wann ein Poet Gott blutrünstig und verwundet vorstellen wollte; dann er hat die Unsterblichkeit von sich selbst, aus eigener Kraft, und nicht von dem Willen jemandes, er ist unveränderlich, Anfälle und Zufälle vermögen nichts wider ihn; seine Natur ist über die vollkommenste Natur der Engel unendlich [62] erhaben. Nun hat die Poesie kein Recht die Natur der Dinge, auch der geringsten nicht geschweige der vornehmsten, zu verkehren. Nichtsdestoweniger, wann Gott selbst in einem christlichen Gedicht eingeführet wird, wie er in dem Fleisch, das ist, in der Natur des Menschen auf Erden erschienen ist, so kommt es den christlichen Lesern nach den Geheimniß-Lehren ihrer Religion gantz geläufig vor, daß er in dieser angenommenen zerbrechlichen Natur, in dieser unterthänigen und knechtischen Gestalt Schmertzen gelitten, Wunden empfangen, Blut vergossen hat: Zumahl sie diesen Begriff nicht weiter als auf das angenommene Fleisch erstrecken, und damit den Begriff von den unsterblichen und unverletzlichen Rechten der Gottheit keinesweges verringern. Wer ärgert sich, wann zum Exempel Heinsius in dem Lobgesange Jesu Christi die κοινωνίας ἰδιομάτων in solchen Redens-Arten ausgedrücket hat:


Judea gantz verstockt, blutgierig, blind ohn Ende,

Ermordet ihn noch selbst, legt selbst an ihn die Hände,

Geht wider alles Recht, durchbohrt mit eigner Hand

Der von dem Himmel war, zu ihnen hergesandt;

Der mit der gantzen Last des Vaters Ungenaden

Und unsrer bösen That am Holtze hangt beladen,

Gepreßt, verspeit, gedrückt, veracht, geschmäht, in Spott,

Verlassen in der Welt, und wegen ihr von Gott.

Diß alles was hier ist, sieht seinen Schöpfer hangen,

Die Himmelweite Luft, doch klein ihn zu umfangen,

So jetzt wird mit Gewalt; (o Leid, o grosse Noth!)

Gezwungen, anzusehn ihr's eignen Vaters Tod.


[63] Hieraus mag man urtheilen mit was vor Unbilligkeit der ungenannte Gegener unsern Poeten verunglimpfen will, als ob er in der Verwundung der Engel den griechischen Dichter nachahmen wollen. Der mythologische Abgott, von welchem Homer schreibt, daß ihm ein griechischer Held eine Wunde beygebracht habe, stehet mit dem gantzen Haufen der heidnischen Götter, nach dem besten Begriff seiner Anbeter selbst, weit unter dem Character der miltonischen Engel, dieser Diener und Knechte des höchsten Gottes; das Heidenthum hat die Cörper seiner Abgötter von den gebrechlichen Eigenschaften des menschlichen Leibes bey weitem nicht so verständig gereinigt, als Milton mit den englischen Cörpern gethan hat. Ihr Leib ist die Sterblichkeit ausgenommen im übrigen grobirdisch. Und wann wir uns erinnern daß die heidnischen Poeten sich kein Bedencken gemachet haben, dieselben auch dem Schmertzen zu unterwerffen, wie denn der von Diomeden verwundete Mars seinen empfundenen Schmertzen durch sein gräßliches Geschrey genug verrathen hat, so werden wir nicht nur gestehen müssen, daß Miltons selige Engel diese falschen Götter an unsterblichen Eigenschaften übertreffen, sondern daß seine Teufel selbst auf dem Grad der Hoheit und Macht stehen, worauf die heidnischen Priester und Poeten ihre Götter gesetzet hatten. Diese hatten alle Affecte, Leidenschaften und Schwachheiten der Menschen an sich, [64] und ob sie schon unsterblich waren, verwahrete sie die Unsterblichkeit nicht vor Schmertzen, nur ist zwischen ihnen und Miltons gefallenen Engeln der Unterscheid, daß dieser Poet den Schmertzen sich bey den Teufeln würcklich hat einstellen lassen, und zwar ohne aufhören, wiewohl in gewissen Graden; da hingegen die heidnischen Götter nur für eine kurtze Zeit und in weit geringern Graden Schmertzen empfanden. Auf diese Weise hat Milton sich vor dem Tadel bewahret, welchen Saint-Evremond dem Homer und andern alten Poeten angeworffen hat, wann er im vierten Th. bl. 341. saget: »Mich nimmt sehr wunder, daß die alten Dichter sich so sorgfältig um die Wahrscheinlichkeit in den Handlungen der Menschen bekümmert, und hingegen in den Handlungen der Götter dißfals so wenig Sorgfalt erzeiget haben. Selbst diejenigen, welche von ihrer Natur am weisesten geschrieben, haben nichtsdestoweniger von ihrem Betragen recht loses Zeug geschrieben. In den Lehr-Sätzen von ihrem Wesen und Eigenschaften machen sie selbige unsterblich, unendlich, allmächtig, allweise, allgütig, aber so bald sie dieselben in einer Handlung aufführen, so ist keine Schwachheit, der man sie nicht unterwerffe, keine Thorheit, noch Boßheit, die man sie nicht verrichten lasse.« Doch muß ich zur Entschuldigung dieser Poeten anmercken, daß sie vor den gemeinen Haufen [65] der Menschen geschrieben haben, welche mit dergleichen Gedancken von den Göttern eingenommen gewesen waren; der Spruch Epicurs, den derselbe Saint-Evremond bey diesem Anlaß anbringet, impium esse non eum, qui multitudinis Deos tollit, sed eum qui multitudinis opiniones Diis adhibet, hat nur in dem Fall seinen guten Grund, wann man die Poeten als Lehrer der Religion ansiehet, nicht aber, wann sie die Fabeln der Religion nur zu Materialien und Exempeln ihrer Absicht gemäß gebrauchet haben, und auch in jenem Fall trifft sie so wohl die Priester und die Obrigkeiten, welche dieselben Fabeln angenommen und beschützet haben, als die Poeten.

Eben so wenig als die Unsterblichkeit, verwahrete die Subtilheit und Behendigkeit die englischen Cörper vor Wunden und vor Schmertzen. Mein Gegener ärgert sich an dem Nectargleichen Saft, der aus den Wunden der Engel fliesset. Er meint daß solcher mit der Materie nicht übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung unsrer Phantasie bestehen. Alleine wie er recht hat, wann er überhaupt den englischen Leib als subtiler, reiner und luftiger betrachtet, so irret er hingegen, wenn er nicht alle Theile, Gefässe, und kleinste Substanz, woraus die englischen Cörper bestehen, vor eben so fein in ihrer Art ansiehet; dann sobald man die Materie der englischen Cörper vor Materie nimmt, die mit der menschlichen Materie eine Aehnlichkeit hat, [66] so kan die Phantasie nicht anderst, als die kleinsten Theile und Gefässe derselben sich in denselben von einerley Verhältniß mit den Theilen und Gefässen des menschlichen Leibes vorstellen, wiewohl von einer subtilern Art, welche der Poet durch das Wort Etherisch andeutet, und also läßt er in diesen Gefässen ohne Ungereimtheit einen Saft fliessen, wie in den Adern des menschlichen Leibes Blut rinnet; damit er doch dessen subtilere Art anzeigete, hieß ers einen Nectargleichen Saft. Aus diesem Irrthum entspringet ferner das Aergerniß meines Gegeners, daß die Engel einander mit Geschoß, und Gewehr, das unserm gleich ist, zu verletzen gemeinet haben, zumahl dieses sich mit ihren subtilen Cörpern und ihrer natürlichen Behendigkeit nicht reimen lasse, sowenig als die geschleuderten Berge. Die Vorstellung ist falsch, daß das himmlische Gewehr unserm irdischen gleich sey. Gleichwie wir einmahl den englischen Leib vor lustiger, und subtiler begriffen haben, als den menschlichen, also müssen wir diese Subtilheit in den Werckzeugen, Rüstungen, Waffen, Bergen, Flüssen, und überhaupt in allen Gegenständen des Himmels ebenfalls begreiffen, nemlich in ihrer Art, und nach einem gewissen Verhältniß und Fortgang, wie das Verhältniß und der Fortgang in den irdischen Cörpern auch ihrer Art gemäß bestehet. Es ist gar nicht ungereimt, daß etherische Cörper mit etherischen Waffen auf einander [67] loßgehen, dergleichen Gewehr war dergleichen Natur gemäß. Wird der englische Cörper subtiler gesetzet, als der menschliche, so wird zugleich dem Schwerdt, das ihn verletzen soll, eine grössere Subtilheit, als ein stählines Schwerdt hat, zugeeignet, und wie das stähline Schwerdt gegen dem menschlichen Leib, also das etherische gegen dem himmlischen in ein gewisses Ebenmaß gesetzet. Auf gleiche Weise wird die Festigkeit und Dichtigkeit der geschleuderten Berge vor Etherisch genommen, und hat mit dem etherischen Cörper ein gewisses Verhältniß, wie die irdischen Berge mit dem menschlichen Cörper. Was insbesondere die Behendigkeit der englischen Cörper anbelanget, so will ich nur vorstellen, daß sie eben so geschwind waren, einen Streich, Stoß, oder Wurff anzubringen, als einem auszuweichen.

Auch der Herr Voltaire hat wider das satanische Geschoß einige widrige Urtheile gefället, welche er mit einer höhnischen Art vorgetragen hat. »Die Artillerie Satans, sagt er, ist desto abgeschmackter, weil sie keinen Nutzen hatte, zumahl sie den Feind nicht verletzen sondern alleine von der Stelle heben konnte. Wahrhaftig das ist so viel als kegeln, und die Sachen, die auf Erden so groß und erschrecklich sind, werden in dem Himmel sehr klein und sehr verächtlich.« Ich bekenne daß diese verkehrte Vorstellung sie lächerlich machet, wenn ein solches [68] kindisches Bild von einem niedrigen Spiele auf die schwere Niederlage der Engel zugeeignet wird: Aber dieses ist Voltairen und nicht Miltons Werck. Denn was hat die Ueberwerffung cörperlicher Sachen, wie hier die Engel sind, an sich selbst verächtliches in sich, und wer hat jemahls einem Helden, den eine Stuck-Kugel zu Boden geschlagen, solches verwiesen? Wenn Homerus den Fall des von Ajax erlegten Simoisius mit dem Fall eines Pappel-Baumes und den ausgestrecket ligenden Sarpedon mit einem Eichbaume vergleichet, so findet niemand was lächerliches darinn, weil die natürliche Art des fallens und ligens dadurch geschickt vorgestellet ist; hätte er das Gleichniß-Bild von einem umgeworffenen Kegel genommen, so hätte die Niedrigkeit desselben die Beschreibung lächerlich gemachet, denn man hätte die Aehnlichkeit nicht im fallen alleine gesuchet, sondern auf das Spiel erstrecket. Uebrigens thut die Artillerie dem aufrührischen Heer auch einigen zwar sehr geringen Nutzen, da sie ihre Feinde alleine von der Stelle hebet, und einige Ungelegenheit und Unordnung bey ihnen verursacht, mithin aber hat sie einen desto grössern Nutzen für den Poeten, indem sie überaus bequem ist die gestählte Kraft der englischen Cörper in das rechte Licht zu setzen. Was die grausamen Würckungen des Geschützes unnütze machet, dienet ihre Erhabenheit zu zeigen; das einzige, was der Gewalt an ihnen [69] auszuüben übrig geblieben war, ist, daß sie konten von der Stelle gehoben wer den; und Cörpern ist nichts natürlichers als die Veränderung der Stelle. Aergeret sich Voltaire an der Niedrigkeit der Stellung im fallen und ligen, und soll sein Gleichniß die Schwachheit der fallenden Engel anzeigen, so muß er sich bedeuten lassen, daß einen Fall alleine die Ohnmacht, die damit verknüpfet ist, niedrig machet; bey den fallenden Engeln aber fand sich keine Ohnmacht. Wann wir auch betrachten, daß die guten Engel ihre Unfähigkeit mit Schmertzen überfallen zu werden, nicht von ihrer eigenen Natur sondern von dem Willen des Höchsten gehabt, so werden wir uns nicht wundern, daß die Würckungen der Artillerie auf sie nicht grösser gewesen sind; und dieses wird diesem Geschoß an seiner erschrecklichen Macht nichts nehmen, wiewohl es der Hoffnung seiner Erfinder kein Genügen gethan hat. Was vor einen höhern Begriff von der Wundfreyen Kraft der seligen Engel hätte uns der Poet machen können, als durch die Erdichtung, daß die erschreckliche Macht des Geschosses, auf welches die Erfinder dessen in ihren Gedancken eine so grosse Hoffnung gesetzet hatten, nichts wider sie vermocht hat? Das ist der Begriff, den der Poet dadurch hervorbringen wollen, und in der That hervorbringet, alleine Voltaire hat die Sache über die Achsel im halben Licht angesehen.

[70] Ich erinnere mich noch einer Critick, die über die Erfindung des Geschosses, insonderheit des Pulvers, die Milton dem Ertz-Teufel zuschreibet, gemachet worden; man hat die Handarbeit der gefallenen Engel vor allzu menschlich angesehen, da sie in den Abgründen des Himmels Ertz gruben, Schwefel und Salpeter mit subtiler Kunst durch einander mengeten, und nachdem sie solche gebacken, gedörret, und zu einem Körnlein gerieben, sie auf einen Haufen schütteten. Man hat bey der Englischen Erfindungs-Kraft und Geschicklichkeit zu tausend Künsten etwas scharfsinnigers, neures und unbekannteres gesucht, als eine solche menschliche Manier das Pulver zu verarbeiten anzeiget, welche von der geringern List der Menschen würcklich erfunden worden und täglich gebrauchet wird. Dieses befindet sich ausser dem Gedicht Miltons in der That also, aber nach der Erdichtung desselben sind die bösen Geister die Erfinder und ersten Arbeiter des Pulvers, die Menschen aber nur die Nachahmer dieser Erfindung, welche derowegen mehr verdienet, satanisch und teufelisch, als menschlich geheissen zu werden. Nach diesem Lichte solte der Criticus die Pulver-Verarbeitung der abtrünnigen Engel angesehen, und seinen Geist nach der Erdichtung des Poeten bequemet haben. Solches solte ihm auch nicht schwer angekommen seyn, nachdem es eine sehr gemeine Rede ist, daß der Teufel den Menschen das Schiessen [71] gelernet habe, welche uns zu erkennen giebt, daß man die Erfindung des Pulvers ins gemeine für etwas ansiehet, das dem Character dieses bösen Geistes nicht unanständig ist. Auf diese Weise hat es auch Opitz gefasset, wenn er sich nach poetischer Art ausdrücket:


– – – – – – – – – Alecto aus der Höllen

Hat, glaub ich, selber erst geblasen in die Glut,

Da als der böse Mensch das Ertz in heisse Flut

Gezwungen und den Zeug des Todes hat gegossen.


Vesuvius.


Von dem Grade der Scharfsinnigkeit, der zu einer solchen Erfindung gehörete, bitte ich Voltairen nicht zu urtheilen, eh er sich das Exempel des Erfinders der Neuen Welt wohl vorgestellet hat; solchen, welche sie vor ihrer Erfindung vor unmöglich würden angesehen haben, dauchte sie am allerleichtesten zu erfinden, nachdem sie einmahl war erfunden worden. Was vor erhabene Gedancken auch Menschen selbst von dieser erstern Erfindung aus ihren erschrecklichen Würckungen fassen, welchen sie noch unbekannt und verborgen ist, werden ihm die Einwohner derselben neugefundenen Welt sagen können; Opitz erkläret uns ihr Urtheil in dem Lob des Krieges-Gottes v. 782 – – 785.


Die Stücke gaben Blitz, die Schiffe speyten Feuer,

Das blaue Saltz erschrack, das arme Volck lief fort,

Und glaubte daß die Schar der Götter um den Port

Sich sämtlich liesse sehn. – – – – – – – – – – – –


[72] Die von den streitenden Engeln durch die Luft des Himmels loßgeschleuderten Berge hat Voltaire ebenfals mit einer ungeschickten Vergleichung angegriffen. Er sagt, »die mit Bergen bewafneten Engel glichen allzusehr den Dipsoden des Rabelais, welche mit Harnischen von Klippen sechs Schuh dick wären angethan gewesen.« Hier verräth sich des Censors Untreue ersten Anblicks, indem Milton seinen Engeln die Klippen nicht vor Harnische anziehet, sondern von ihnen vor Waffen gebrauchen läßt; Uebrigens hat niemand lächerlich gefunden, daß die himmelstürmenden Giganten den Berg Pelion auf den Ossa getragen haben, und Longinus hat eben dieses bewundert, wann er in der achten Abtheilung wider Cecilius anmercket, daß es grosse und erhabene Stellen giebt, welche doch nicht von Neigungen und Aufwallungen des Hertzens reden. »Von dieser Art, sagt er, ist, was Homerus mit so grosser Kühnheit von den Aloiden sagt; sie droheten den unsterblichen Göttern, daß sie Krieg in dem Himmel anrichten wolten, daher sie sich unterstuhnden den Berg Ossa auf den Olympus zu tragen, und den Pelion auf den Ossa mit allen seinen Bäumen, damit sie den Himmel erstiegen; was folget, sagt Longinus, ist noch stärcker: Sie hätten auch ihr Vorhaben vollführt.« Die unglaubliche Stärcke der Aloiden hat keinen andern Grund, als daß sie Söhne des Titans und der Erden, vermeinter [73] Götter, gewesen; wie viel wahrscheinlicher werden die Berge von den Engeln geschleudert, von welchen wir wissen, daß der Allmächtige eine übermenschliche Stärcke in sie geleget hat?

Ich kan hier nicht ungeantet vorbeygehen, daß Voltaire sich selbst dergleichen lächerliche Gleichnisse über Miltons Vorstellungen erlaubet hat, hingegen aber auf die Wortspiele scharf anziehet, welche Milton dem Satan und Belial in ihren höhnischen Reden über die ersten Würckungen ihres Geschosses gestattet hat: »Ich übergehe mit Stillschweigen, sagt er, die schülerischen und unzeitigen Schertzreden Miltons.« Der Leser mag selbst urtheilen, ob Voltairen abentheurliche Gleichniß-Bilder oder des Teufels auf Schrauben gestelleten Worte von besserm Schrot und Korn seyn, und welchem von beyden dergleichen anständiger seyn; ohne Zweifel dem Vater der Lügen, dem Geist dessen Verstand im Grund verderbt ist, dessen Gedancken und Worte alle lauter Betrug, Irrthum und falscher Schein sind. Was für einen nachdrücklichern Stich konte der Poet denjenigen geben, welche Lust an dergleichen falschen Schertzreden haben, als da er den Ertz-Teufel zum Erfinder derselben gemachet hat? Was betrifft, daß sie unzeitig wären, so sage ich, daß der schmäligste Weg einen zu tractieren das Gelächter und Gespötte ist, weil solches die stärckeste Verachtung zu erkennen giebt, und[74] diese wird dem Geist, den der Stoltz von Gott abfällig gemachet hat, billig in den Mund geleget.

Was ich oben zur Erklärung des Begriffes von der Verwundung der Engel und dessen Uebereinkunft mit dem Begriffe von ihrer Unsterblichkeit, Zartheit und Behendigkeit, vorgebracht habe, giebet uns richtig den Begriff von ihrem Gefechte. Denn das ist nichts anders als das Bestreben einander auf die Weise zu verletzen, wie es nach einer poetischen Vorstellung der Phantasie bey unsterblichen Cörpern angehet, und bey einigen zwar nur einige Ungelegenheit verursacht, bey andern aber mit Schmertzen begleitet ist, doch bey allen der Unsterblichkeit unnachtheilig ist; welcher Unterscheid von ihrem ungleichen Stand und Verhalten gegen ihren Schöpfer entstehet. Da fraget sich aber, ob ihnen ein solches Bestreben zuzuschreiben nicht mit dem Begriff von ihrer Seligkeit, und dem unverletzlichen Frieden des Himmels streite. Man könte gedencken, weil die englischen Cörper zwar nach ihrer Art können verletzet werden, doch in der tiefen Ruh des seligen Himmels keine Erfahrung von würcklichen Verletzungen oder Wunden, wenigst solchen, die mit Schmertzen begleitet gewesen wären, bekommen haben, so habe es ihnen nicht in die Gedancken kommen können, mit einander zu schlagen. Wir antworten hierauf, daß die guten Engel von ihrer Glückseligkeit mitten in derselben den Begriff haben, daß sie eine Gutthat des [75] Höchsten und nicht eine wesentliche Eigenschaft ihrer Natur sey, also daß sie derselben könten beraubet werden. Daher entstuhnd nun schon ein Begriff von Uebel bey ihnen, als einer Abwesenheit und Beraubung des Guten, das sie befassen, ungeachtet sie keine Erfahrung von dieser Beraubung hatten. In der That ist das Gut nur ein Gut in Absicht auf das Uebel oder dessen Abwesenheit. Demnach fasseten die guten Engel den Krieg als ein Mittel die abgefallenen ihrer Glückseligkeit zu berauben, wenn sie dieselben aus dem Besitz der glückseligen Wohnungen vertrieben. Ihr Herr hatte sie befehligt, daß sie selbige in den Ort der Qual hinausjagen sollten. Dieses Wort Qual erweckete bey ihnen den Begriff von der Beraubung der Seligkeit, wie die Androhung des Todes, die dem Ersten Menschen gethan ward, bey ihm mitten in dem Genuß des Paradieses und in der vollkommenen Unwissenheit, was böse sey, den Begriff von Uebel, als von einer Beraubung oder wenigst einem Abbruch seiner würcklichen Glückseligkeit gebähren mußte. Also giengen die getreuen Engel erstlich mit diesen Gedancken, die verworffenen an ihrer Glückseligkeit zu verkürtzen, zu Feld. Bey den gefallenen Engeln hatte die Unfähigkeit mit schmertzhaften Wunden verletzet zu werden, gleich nach ihrem Aufstand aufgehöret, also daß sie den Schmertzen und das Uebel aus eigener Erfahrung kenneten. Und die aufrichtigen verbesserten [76] ihren unvollkommenen Begriff davon mit dieser fremden Erfahrung. Ich füge hinzu, daß der Begriff von dem Krieg im Himmel aus Satans Aufstand daselbst hervorfliesset, ein Aufstand setzet Feindschaft und dieser Vorsatz zu verletzen voraus; der Aufstand, der eine geoffenbahrete Geschicht ist, hat alle die Schwierigkeiten in sich, welche man über den Vorsatz der Engel eine Schlacht mit einander anzutreten, vorbringen kan. Woher haben die satanischen Aufrührer den Begriff gehabt, oder was für ein Begriff ist es gewesen, ihrem Schöpfer, ihrem Wohlthäter, dem Allmächtigen und ewigen König, den Dienst aufzukündigen, und ein absonderliches Reich in seinem Himmel neben seinem Reich aufzurichten?

Der Herr Magny hat seine Einwürffe wider diesen Krieg der Engel vornehmlich auf die Betrachtung des Ortes, wo er geführet worden, gebauet, der Poet selbst hatte ihm Anlaß dazu gegeben, da er im siebenten B. gedencket, »daß Adam voll Verwunderung und Nachsinnens geblieben, als er so hohe und seltsame Dinge vernommen, welche seine Gedancken so wenig zu fassen wußten, als Krieg im Himmel, so nahe bey dem Frieden und der Ruhe Gottes, Krieg, der mit einer solchen Verwirrung geführet wird.« Alleine er läßt auch Adam sich selber antworten: »Da aber das böse fähret dieser fort, bald wieder auf diejenigen, [77] von welchen es entsprungen war, als eine Flut zurück wallet, weil unmöglich ist, daß es sich unter die Seligkeit mischen könne.« Daher gab Adam dem Zweifel bald Abscheid. Magny ist nicht so leicht zufrieden, er sagt: »Was Milton hier Adam nachbringen läßt, löset die Schwierigkeit nicht auf, das ist nicht Logicalisch; das Uebel, das auf diejenigen, von welchen es entsprungen ist, zurück wallet, beweiset uns zwar die Verstossung der Engel, aber es läßt uns nicht erkennen, wie diese Feindschaft und der Krieg, die Milton ein so weites Feld eröffnet haben, mitten in dem Sitz der Seligkeit haben herrschen können.« Er füget die höhnischen Worte hinzu: »Man fodert von einem solchen Poeten zuviel, wenn man haben will, daß er ein vollkommener Dialecticus sey, allzu grosse Sorgfalt in diesem Stücke würde das Gedicht frostig machen.« Uneingenommene Critici, welche auf die Absicht der Poesie, nemlich die Aufweckung der Phantasie und die Erregung der Affecte Acht gegeben, haben den Poeten im rechten Ernst eingeräumt, daß sie statt mathematischer Beweise solche anbringen dörffen, die nur einige Grade der Wahrscheinlichkeit haben; alleine ohne daß wir uns hier dieser Begünstigung behelffen wollen, werden wir mehr Bündigkeit in Miltons Auflösung des Zweifels Adams antreffen, als Magny darinn angetroffen hat, wenn wir den Einwurff nach des Poeten Meinung [78] und Absicht betrachten werden. Derselbe entstuhnd von der Betrachtung des Widerstandes, den die abtrünnigen Engel mit solcher Gewalt gethan hatten, daß sie in dem Wohnplatz der Seligkeit selbst eine grausame Verwirrung angestellet haben. Dieses verursachte bey dem ersten Menschen einige Gedancken, welche ihm ersten Anblickes die Gewalt und den Muthwillen derselben vor etwas nachtheilig für die Obermacht des Höchsten und die unzerstörbare Ruhe der guten Engel vorstelleten. In diesem Zweifel bestehet also der Einwurff. Denselben löset dann der Poet durch eine reifere Betrachtung auf, welche bey Adam plötzlich auf jene folgete, wie bald die Scena sich geändert, wie leicht und völlig Gott das Unwesen gedämpfet, wie die Heiligen Engel von dem Uebel nicht den geringsten Anstoß empfangen, wie der Himmel durch die gäntzliche Ausreutung des satanischen Heeres vollkommen gereiniget worden. Die nachfolgenden Gedancken verjagten die vorhergehenden wieder, als sie kaum entstanden waren, inmassen sie deutlich zeigen, daß der Höchste die kriegerischen Unternehmungen der bösen Engel nur geduldet, und seine Macht eine kurze Zeit lang zurückegehalten, oder verheelet habe. Unser Crititicus treibet den Einwurff weiter, als Adam, oder Milton gethan haben, er fängt ihn da an, wo Adam seinen beantwortet hatte; warum die Feindschaft und der Krieg im Himmel obgleich nur [79] eine Zeit lang, Platz gefunden habe. Hierauf schicket sich in der That die Auflösung nicht, die Milton dem Adam in den Mund leget, und mußte sich nicht schicken, weil er ihm nicht dieses hat in Bedencken ziehen lassen. Mithin hat der Poet die Ursache dessen, worauf Magny Frage beruhet, an einem andern Ort angezeiget, da er den Höchsten selbst in seiner Anrede an den Messias, den er wider das abtrünnige Heer aussendet, sagen laßt: »Zween Tage sind vergangen, der dritte ist dein, für dich habe ich ihn bestimmet, und dem Unwesen in so weit den Lauf gelassen, damit der Ruhm diesen grossen Krieg geendigt zu haben, dein sey, sintemahl ihn niemand, als nur du allein endigen kan.« Wem dieses nicht genug ist, für den will ich noch hinzufügen, daß der Abfall nicht nur in Gedancken oder Worten bestehen, sondern in würckliche Thaten ausbrechen mußte, damit der Character der bösen Engel in seiner abscheulichen Grösse vorgestellet würde. Er mußte sich nicht nur in seinem Anfang sondern auch in der Fortsetzung zeigen, sonst wären die Teufel besser gemachet worden, als sie sind, ein geschwinderes Nachgeben, eine kürtzere Wuth hätte ihren wahren Character geschwächt, und von einiger Reue Anzeige gegeben, daß sie der Verstossung nicht würdig genung zu seyn geschienen hätten. Diesemnach konte der Ort, wo diese bösen und feindseligen Bestrebungen vorgenommen worden, kein anderer seyn, als [80] derjenige, wo der Abfall sich zuerst entsponnen, und in den Gemüthern Satans und seiner Gesellen schon Feindschaft und Krieg gewürcket hatte, eh solche noch öffentlich ausgebrochen waren, welches Magny eben so wohl befremden könte als der Ausbruch selbst; daher ich noch zwo Anmerckungen hier beyfügen will, die erste, daß in den göttlichen Gesichtern, die dem Heiligen Johann geoffenbahret worden, die Scena des Streites, den der Drache und seine Engel mit dem Ertz-Engel Michael und dessen Engeln führet, in dem Himmel gesetzet wird, welches eben die Stelle ist, die Milton auf den Einfall geführet hat, den Krieg der guten Engel mit den bösen vorzustellen; Zumahl er an demselben Orte fand, daß der Drache mit seinem Schwantz den dritten Theil der Sternen des Himmels nach sich gezogen habe, welches einige Ausleger von dem Abfall Satans und seiner Legionen verstanden haben. Die andere Anmerkung ist, daß die Seligkeit an keinen Platz gebunden ist, massen sie in dem Gemüthe bestehet. Die guten Engel haben ihre nicht von der Anmuth und dem Reichthum des Himmels, sondern von ihrem Gehorsam und Standhaftigkeit. Einem bösen Gemüthe wird alles gute zu Gifft, und befände sich ein böser in dem Himmel selbst, so würde sein Zustand durch die Gegenwart des himmlischen Reichthums von Gutem nur so viel schlimmer seyn. Das Gemüthe wohnt in sich selbst und kan in sich aus dem Himmel eine Hölle, und gegentheils einen Himmel aus der Hölle machen.[81] Dieses hat Satan und sein unseliges Heer erfahren. Die Seligkeit des Himmels hatte sie vor Ungehorsam und Abfall nicht bewahren mögen, mit ihrem Abfall erfolgete zugleich ihre Unseligkeit, welche die kriegerischen Ausbrüche des Aufstandes noch unseliger macheten.

Nach den unverdauten Begriffen des Hrn. Magny hat der Poet die abtrünnigen Engel nicht nur in dem Himmel, dem Stamm-Hauß der Seligkeit, zu lange geduldet, sondern er hat ihnen in der Hölle selbst eine gewisse Ruh und Stille gegönnet, die für sie eine Seligkeit war. Diese selzame Anklage wird uns die Ordnung zu einer neuen Reyhe Criticken, die an derselben hangen, anweisen. Auf diese Censur führet ihn erstlich der Trost, den der abtrünnige Ertz-Engel dem Beelzebub in der ersten Anrede an denselben, nachdem sie einander in dem Feuer-See liegend erkannt hatten, mitgetheilet hat; da er ihm die Verordnung der Schickung vorgestellet, »nach welcher die Lebhaftigkeit der Götter und das empyreische Wesen keinen Abbruch leiden können.« Hier weiß Magny nicht, was Milton durch die Schickung verstehet, wenn er die Vorsehung meine, so sey die Verordnung der Schickung, auf welche Satan bauet, von eben derselben Macht, welche ihn in die Hölle geworffen, hergekommen, darum könne er keinen Trost daraus ziehen. Weiterhin düncken ihn Beelzebubs Gedancken in seiner Antwort, daß »Gott sie [82] vielleicht als seine Sclaven zu schwerer Arbeit in dem höllischen Feuer zu brauchen, oder seine Bothschaften in dem finstern Abgrund hin und her zu tragen, aufbehalten habe,« von allem Grund der Wahrscheinlichkeit eben so sehr entblösset. »Hat Beelzebub, sagt dieser Censor, nicht schon sein Urtheil einer ewigen Verdammniß angetreten? Hat er in diesem Stande des Verderbens noch zu zweifeln? Ist das nicht ein Sclave der fürchtet die Freyheit zu verlieren? Daneben, was ist kindischeres, als die mühsamen Botschaften in dem finstern Abgrunde?« Hierauf dienet zur Antwort, erstlich, daß Milton oder vielmehr Satan durch die Schickung eine unvermeidliche Nothwendigkeit versteht, welcher der Höchste selbst unterworffen wäre, kraft derselben wären die Engel gebohren worden, als der fatale Wechsel seinen Circkel in einen vollen Ring geschlossen, und die Geburten des Himmels, der sie erzeugete, zur Zeitigung gebracht; wie Satan sich im fünften B. gegen dem getreu-gebliebenen Engel Abdiel erkläret. Wollte Magny versetzen, daß solcher Irrthum bey solchem englischen Verstand unglaublich sey, so muß ich ihn erinnern, daß der Aufstand wider den Allmächtigen, welcher doch eine geoffenbahrete Wahrheit ist, keinen geringern Irrwahn voraussetzet, er war nemlich auf die thörigte Meinung gegründet, daß sie sich der Herrschaft des Allgewaltigen entziehen [83] mögten; welche einen Zweifel an der Allmacht und Allwissenheit Gottes zeiget. So übel verblendete sie ihr Stoltz:


Die Kenntniß ihres Lichts gebahr ihr Finsterniß,

Sie hielten ihre Kraft für vor sich selbst gewiß.

Und voll von ihrem Glantz, verdrüssig aller Schrancken

Mißkennten sie den Gott, dem sie ihn solten dancken.


In welchen Worten eines dogmatischen Gedichtes, ungeachtet der Gegensätze, so darinne stecken, doch derselbe Begriff von der Ursache des Falles der Engel enthalten ist. Denselben machte Milton durch folgende Vorstellungen wahrscheinlicher, welche er in Satans Anrede an das gantze teuflische Heer in der Höllen im ersten B. einfliessen lassen: Keine Gemüthes-Kraft, die aus dem tiefsinnigen Kenntniß des vergangenen und des gegenwärtigen das künftige vorher siehet, oder vorher saget, hätte fürchten können, daß eine solche Heeres-Macht von Engeln den Kürtzern ziehen sollte. Der himmlische Monarche wäre zuvor in voller Stille und Ruh auf seinem Thron gesessen, und hätte seine Stärcke verborgen; die satanischen Engel hätten sich beredet, daß ihn nur ein alter Glaube, oder eine hergebrachte Gewohnheit, oder ein freywilliger Gehorsam darinn bestätiget hätte. Dieses gebahr denn bey ihnen den Zweifel an Gottes Allmacht, und hierauf war der leidige Trost des Ertz-Feindes gegründet, nachdem solcher durch die erlittene [84] schwere Niederlage und den Fall vom Himmel selbst noch nicht gäntzlich war getilget worden, wiewohl sie jetzo anfiengen es näher zu geben, wenn sie von Hertzen redeten; wie Mammon in seiner Rede, die er in dem höllischen Divan gehalten, mit ausgedruckten Worten bekennet: »Daß wir vermögend seyn, ihn von dem Throne zu stürtzen, mögen wir auf den Fall hoffen, wann das ewigbestehende Verhängniß dem wandelbaren Glückes-Wechsel weichen, und Chaos den Streit zwischen ihnen entscheiden wird.« Im übrigen ruhet des Hrn. Magny angezogene Critick auf dem falschen Satz, daß in der Pein der Verdammten keine Grade seyn. Er setzet voraus daß sie auf einmahl auf den höchsten Grad des Verderbens gesetzet worden, und daß sie beständig darauf bleiben. Allein ich frage, ob nicht die Veränderung der Pein zu der äussersten Stafel der Strafe gehöre? Mehr Arten von Pein vergrössern solche allezeit durch den Wechsel, wie Milton daher im zweyten B. gedichtet hat, daß die Verdammten von den Furien nach gewissen Zeitläuffen aus dem tobenden Phlegeton in eine kalte Landschaft hingeschleppet werden; damit sie Wechselweise die beyden höchsten Grade der Hitze und der Kälte fühleten, welche wegen dieses Wechsels noch einmahl so empfindlich wären. Und den Belial läßt er in derselben Versammlung der satanischen Herzogen etliche dergleichen Arten von Pein anzeigen, dadurch er [85] Magny Begriff von dem höchsten Grad ihres Verderbens allerdings widerleget: »Saget man, wir seyen zu einem ewigen Weh verurtheilet, und verflucht, was kan zu unserm Leiden noch hinzugesetzet werden, was für eine schwerere Strafe kan uns angethan werden, wir mögen auch vornehmen, was wir wollen? Ist dieses denn das schlimmste, daß wir so bey einander sitzen, so rathschlagen, so unter den Waffen stehen. Wie denn, als wir aus aller Macht flohen, – – – Wie wenn der Wind, der jene ungestümen Feuer-Flocken angezündet hat, wieder erwachete, sie in eine siebenfache Wuth wehete, und uns unter die Flammen verscharrete, oder von oben die unterbrochene Rache ihre rothe rechte Hand wieder waffnete, uns zu schlagen? Wie wenn alle ihre Zeug-Häuser geöffnet würden, und dieses Firmament der Hölle seine Feuer-Schleussen loßsprützete etc. Das würde fürwahr schlimmer seyn.« Was endlich die schweren Bothschaften anbelanget, welche die Hölle-Verdammten vielleicht in dem Finsterniß des Abgrundes hin und her tragen müssen, so drücket diese Vorstellung die unbeschränckte Herrschaft des Höchsten, die sich über die Hölle selbst erstrecket, vollkommen aus, und gründet sich auf das Bekenntniß, das Beelzebub in dem Concilio der Teufel ablegt, wo er sagt: »Das ist gewiß, daß der König des Himmel immerfort in [86] der Höhe und in der Tiefe, zu oberst und zu unterst, als ein einziger König herrschen, und unsers Aufstandes wegen nicht ein Stücke von seinem Königreiche missen, sondern seine Herrschaft über die Hölle erstrecken, und uns hier mit einem eisernen Scepter regieren will, wie die andern im Himmel mit dem güldenen.«

Nach dem Begriff, den wir von den Graden in der Pein der verdammten Engel haben, fällt für sich selbst der folgende Einwurff des Herren Magny, daß das Aufstehen des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See und sein hinübergehen an das Gestade von zusammen geronnenen Feuer eine neue Strafe sey, welche die Teufel mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben; worauf er die Beschuldigung gründet, daß Milton sie anfangs nur halb verdammet habe. Denn wer siehet nicht, daß diese und andere Arten der Pein mehr, in dem Inbegriff ihres Urtheiles der Verdämmniß enthalten waren, welches sich nach und nach durch verschiedene Absätze an ihnen erfüllete.

Dieser Criticus zeiget sich auf gewisse Weise begierig, die Teufel in der Hölle selig zu heissen, wann er ihre Seligkeit aus der Ironie schliesset, womit Satan ihnen, als sie noch in dem betäubenden Teiche lagen, zurufet: »Düncket euch der Schlaf hier eben so süß, als ehmahls in den Thälern des Himmels?« Daß der Poet Satan diese ironischen Worte in den Mund geleget [87] habe, seine danieder liegenden Völcker damit zu beschämen, wie der rechte Gebrauch der Ironie ist, sollte Magny aus den Worten erkennt haben, mit welchen Milton die Würckung des Zurufes Satans anzeiget: »Sie höreten ihn, schämeten sich, und hoben sich auf ihren Flügeln empor.« Der Poet hatte genung angezeiget, und so wohl durch Satan als Beelzebub gestehen lassen, daß ihr ligen in dem feurigen See kein Schlaf, sondern eine Betäubung und Ohnmacht gewesen, daher ich noch anmercken will, daß die Ironie selbst, nach welcher er sie einen Schlaf heisset, ungeachtet der Beschämung den grausamen Zustand, in welchem sie begriffen lagen, aus ihren Gedancken entfernete, und aus dieser Ursache gelinder und erträglicher war, als das rechte Wort und die Vorstellung der Sache selbst gewesen wäre. Lächerlich ist, daß der Hr. Magny den Poeten darum, weil er die Teufel in der Hölle seinem Begriff nach nicht genug verdammt hat, zum Ketzer machen will: »Was für eine seltzame Lehre, sagt er, oder vielmehr, was für ein Haufen ungereimten Zeuges?« Mein Leser mag urtheilen, ob dieses von dem Poeten oder dem Critico billiger gesagt werde.

Mit der Verdammniß der Teufel streitet nach Magny ferner die Freude, welche Milton den Häuptern der gefallenen Engel zuschreibet. Er sagt: »Diese alle und noch mehr kamen schaarweise und mit unter sich geschlagenen trüben [88] Blicken, aus welchen doch zuweilen einige dunkele Funcken einer Freude hervorglimmeten, die daher entstuhnd, daß sie ihr Oberhaupt noch nicht verzagt fanden, und daß sie mitten in dem Verlust aller Dinge sich selbst nicht verlohren hatten.« Der frantzösische Criticus kan nicht begreiffen, daß ein so lieblicher Affect wie die Freude ist, in der Hölle wohne. »Die Pein der Verdammten würde dadurch verringert, sagt er, statt daß er glaube, sie sey so wohl in ihr selbst als in ihrer Dauer unendlich. Was wird aus dem Betrübniß werden, fraget er, in die Milton uns über den Verlust des Paradieses versetzen soll, wenn die Freude anderwerts herrschen kan?« Man glaubte bald daß der Poet die Hölle recht annehmlich abgeschildert hätte. Alleine die dunckeln Funcken von Freude sind von der Freude selbst noch weit entlegen, sie haben, wie Satans Reden, nur den Schein, und nicht das Wesen; sie bekommmen diesen Nahmen nur mit einer Absicht auf die vorige Ohnmacht und den niedergeworffen gewesenen Muth der gefallenen Engel. Denn da es in der Pein der Verdammten Grade giebt, so stellet sich die geringere Qual ihnen in Absicht und Vergleichung mit der grössern als ein Gut vor, und dieses so beschaffene elende Gut bringet ihnen eine Art Freude. Alle Freude ist eine Empfindung einer gewissen Vollkommenheit, die man an sich findet, diese bestuhnd in dem gegenwärtigen [89] Fall darinn, daß die aufrührischen Engel nach ihrer schweren Niederlage ihr Oberhaupt noch nicht verzagt sahen, und daß sie mitten in dem Verderben sich selbst wieder gefunden hatten; welches Vollkommenheiten sind, in so weit Hoffnung besser ist, als Verzagung, und Seyn vortrefflicher ist, als nicht seyn. Was Magny gläubt daß die Pein der Teufel in ihr selbst, ohne Absicht auf den göttlichen Willen und das erfolgte Straf-Urtheil, unendlich sey, widerspricht sich selbst, die Teufel sind endliche Geschöpfe, nun kan in etwas endlichem nichts unendliches seyn. Die Fähigkeit zu leiden ist eben so endlich, als das Wesen der Geschöpfe. Daß er sonst befürchtet, wir würden desto weniger Betrübniß über den folgenden Verlust des Paradieses empfinden, wenn wir innen würden, daß eine solche Freude, wie dieser gefallenen Engel hier war, auch in der Hölle Platz habe, giebt uns zu vermuthen, daß er einen sehr schwachen Begriff von der unvergleichlichen Grösse der wahren und unvermischten Freude des Himmels habe. Wie er sich ferner hier erkläret, »mangelt es in der That den Einwohnern der Hölle an nichts weitern, als an der Symphonie des Gesanges, sie in einen Stand zu setzen, daß sie den Erwehlten schier nichts zu mißgönnen fanden;« und Milton, sagt er, habe ihnen selbige eingeräumet; dieses schleußt er daraus, weil der Poet erzehle, »die Heerscharen der Hölle seyn in [90] einem Phalanx nach der Dorischen Symphonie lieblicher Flöten und Pfeiffen angezogen,« und dann von den Würckungen dieser Dorischen Melodie sage, »sie habe die Helden des Alterthums auf den edelsten Grad des Temperaments erhöhet, und ihnen statt der blinden Wuth eine entschlossene Dapferkeit eingeblasen, welche sich von der Furcht des Todes weder zum fliehen noch zu einem schändlichen Abzug verleiten läßt; sie habe eine Kraft gehabt, die unruhigen Gedancken zu besänftigen, und die Angst, Unschlüssigkeit, Traurigkeit, Furcht und Pein aus sterblichen und unsterblichen Gemüthern zu verjagen.« Ich könnte diese Klage mit der kurtzen Anmerckung abfertigen, daß der Poet diese herrlichen Würckungen der Dorischen Kriegs-Symphonie nicht auf die gefallenen Engel, sondern nur auf die alten Helden und Halb-Götter gezogen habe, weil sie aber leichtlich auf dieselben gefolgert werden kan, so will ich mich daran nicht halten, um so viel weniger weil der Poet an einem andern Orte von dem Gesang einiger sanftmüthigern Geister der Hölle berichtet, ihre Melodie habe die Hölle aufgehalten und die Haufen der zuhörenden Geister aus sich selbst verzücket. Wenn wir diese poetischen Ausdrücke, welche allezeit lieber mehr als weniger sagen, in dem gehörigen Masse fassen, so führen sie uns auf den Begriff, den wir oben festgesetzet haben, daß es in der Pein der Hölle Absätze und [91] Zwischenraum gebe, daß sie nicht stets auf dem höchsten Grade stehe, massen dieses dienet, die Schmertzen durch den Genuß der kleinen Ruh wieder zu beleben. Auf diesen Begriff bauet Milton beständig; wann er zum Ex. dem Satan bey seiner Abreise den zurücke bleibenden rathen läßt, sie sollen nachsinnen, ob vielleicht eine Arzney oder Beschwörung zu erfinden, die Plagen ihrer unseligen Wohnung zu entfernen, zu bannen, oder zu lindern; und die Uebungen und Geschäfte, welche der Poet ihnen nach Endigung des höllischen Concilii zuschreibet, sind sämtlich nach diesem Begriff aufgesetzet, insonderheit die philosophischen Gespräche derjenigen Engel, welchen er einen sanftern und stillern Character beyleget. Aber wie Himmelweit diese scheinende Ruhe von der wahren entfernet sey, giebt uns der Poet selbst mit folgenden Worten zu verstehen: »Lauter eitele Wissenschaft und teuschende Philosophie! die dennoch mit einer angenehmen Bezauberung die Qual und Angst auf eine kurtze Zeit verbannen, und eine betrügliche Hoffnung hervorbringen, oder die verstockte Brust mit einer halsstarrigen Gedult, wie mit einem dreyfachen Stahl bewaffnen konnte.« Von eben dieser falschen Art waren die gerühmten Würckungen der Dorischen Symphonie, und mag Hr. Magny nach diesem ausrechnen, wie viel das schier nichts ausmache, das seiner Meinung nach den gefallenen Engeln an der himmlischen Seligkeit abgehet. [92] Ich muß hierüber auch noch gedencken, daß Milton in diesen Verrichtungen der gefallenen Geister auf die Vortrefflichkeit ihrer Natur gesehen hat, ihre erste vortreffliche Natur war nicht gantz zerstöret, sie ließ stets noch einige Spuhren von sich sehen, auch die verdammten Geister, sagt der Poet, verliehren nicht alle ihre Tugenden. Ein solcher Rest ist die Bewegung, die in Satans Brust beym ersten Anblick der Menschen entspringet: Er betrachtete sie mit Verwunderung, und hätte sie lieben können, so lebhaft leuchtete das göttliche Ebenbild in ihnen. In besagter Absicht mercket Milton auch an, ihren entzückenden Gesang desto wahrscheinlicher vorzubilden: »Wie konnte es anderst seyn, wann unsterbliche Geister singen?« Und von Satan meldet er ausdrücklich. »Seine Gestalt hatte ihren ursprünglichen Glantz noch nicht gäntzlich verlohren, er schien nicht geringer, als ein Ertz-Engel, der gefallen ist, und an welchem die vormahlige übermässige Herrlichkeit sich verdunckelt hat.« Gleichwie der Poet unter den Engeln des Himmels verschiedene Stuffen von Glantz, Ansehn, Macht und Stärcke setzet, nach welchen einer den andern nach dem Masse seines Standes und Würde übertrifft, also behält er eben dergleichen unter den gefallenen Geistern, welche in ihrem allgemeinen Stand des Verderbens dennoch mehr oder weniger Glantz, Herrlichkeit, Stärcke, nach ihrem hierarchischen Stand und Rang besitzen. [93] Der Verstand, den Herr Magny dieser Stelle giebt, ist gantz verkehret. Er fasset sie, daß der Blitz der göttlichen Rache den Satan nur um etwas gestreiffet habe; daher fraget er: »Kan man uns wohl einen schwächern Begriff von dem Zorn Gottes machen?« Doch muß ich anmercken, daß er einigermassen von der französischen Uebersetzung verführet worden, welche lautet, »daß Satan annoch auf eine vortreffliche Weise einen Ertz-Engel vorgestellet habe, dessen Fall seine Herrlichkeit, die vormahls übermässig groß gewesen sey, verdunckelt hatte;« Wiewohl auch diese Worte einen anständigern Sinn in sich haben, als der Criticus gefunden hat. Es zeiget wahrhaftig eine schlimme Verwegenheit an einem Menschen, der einen Poeten von Miltons Ansehn und Ruhm, den er in seiner eigenen Sprache nicht verstuhnd, auf eine prosaische Uebersetzung, die ihr Verfasser selbst vor schwach und unvollkommen giebt, mit so viel Eigendünckel verurtheilen darff. Wenn er aber gleich von einigen freyen Abweichungen der französischen Uebersetzung zu verschiedenen irrigen Criticken verleitet worden, so hat ihn doch sein übereilter Verstand und sein böses Gemüthe zu weit mehrern angetrieben. Diese hintergehen ihn, daß er weiterhin zwischen Miltons Himmel und Hölle keinen Unterscheid findet, point de difference entre le Ciel et les Enfers.

[94] Diese seltzame Meinung ziehet er daraus, »daß in dem Bau des Pandämonion das reinste Gold wäre gebrauchet worden, wie in dem himmlischen Palast.« Milton saget alleine, »daß ein Hauffen höllischer Berg-Knappen das rohe Ertz geschmeltzet, die unterschiedlichen Gattungen gesondert, und die Schlacken von den siedenden Kesseln abgeschäumet habe.« Welches der französische Uebersetzer de la Marde gegeben, derselbe »habe das Gold durch eine verwundersame Kunst gereinigt, und in dem höchsten Grad geläutert.« Wir finden da keine Vergleichung des höllischen Goldes mit dem himmlischen; dasjenige, das in der Hölle gegraben ward, konnte auf den höchsten Grad der Feinheit geläutert worden seyn, dessen es fähig war, ohne daß es dadurch auf den noch höhern Grad des himmlischen Goldes wäre gesetzet worden. Ich will dennoch setzen, der Poet hätte ausdrücklich gesagt, das Gold in der Holle wäre an Eigenschaft Glantz und feinem Wesen dem Gold des Himmels gleich, was wollte Magny hieraus für die Seligkeit der gefallenen Engel gutes schliessen? Hält er den Reichthum, das Gold und die kostbaresten Schätze vor bequeme jemanden die Seligkeit zu geben; heilt der Besitz und die Ansicht derselben von der Qual, die in der Brust wüthet? Er unterstützet seine Anklage mit der Anmerkung daß Mammon dieselben Neigungen, die er in der Hölle hatte, schon in dem Himmel gehabt hätte; [95] welches er aus folgenden Worten des Poeten nimmt: »Mammon führete sie an, der niederigste Geist, der von dem Himmel fiel, denn in dem Himmel selbst waren seine Blicke und Gedancken nur niederwärts gerichtet, und bewunderten vielmehr den kostbaren Estrich von geschlagenem Gold, als was sie sonst göttliches und heiliges in dem seligen Anschauen Gottes geniessen konten.« Worüber er fraget: »Und wie kan sich der Leser bereden lassen, daß die niederträchtigste Begierde in dem Himmel habe wohnen können, in welchen nichts unreines hineinkommt?« Ein wenig Wohlgewogenheit gegen dem Poeten hätte diesen scharfen Kunstrichter schon lehren können, daß dieses niedrige Gefallen an Reichthum, das Mammon im Himmel selbst zugeschrieben wird, nur von der Zeit an zu verstehen sey, da der Abfall von Gott und der nächtliche Aufbruch des satanischen Heeres in ihr Heimath in Norden geschehen war, massen die aufrührischen Legionen noch eine zeitlang aus bündigen Ursachen, die wir oben angeführt haben, in dem Himmel geduldet worden. Mammons Gold-Begierde ward eine Weile in dem Himmel zu wohnen vergönnet, wie Satans und seines Heeres wüthenden und unsinnigen Bestrebungen wider den Allmächtigen.

Dieser Mammon wird von dem Poeten für den Baumeister des Pandämonion angegeben, an welchem der Herr Voltaire sehr vieles zu [96] tadeln gefunden hat, theils in der Bauart, theils in dem Gebrauche des Baus. Seine Critick ist zwar an sich selbst so seicht, daß ich den Leser damit nicht aufhalten wollte, wenn sie nicht von einem unsrer wenigen deutschen Kunstrichter unschuldiger Weise wäre gutgeheissen worden. Sie wird mit diesen Worten vorgetragen: »Der Platz, der für die Versammlung der Teufel gebauet worden, ist gantz ohne Nuzen, weil Satan sie schon würcklich auf einem weiten Feld versammelt stehend hatte, wo er sie auch schon angeredet hatte. Der Rath war nothwendig, aber der Ort wo, war sehr gleichgültig. Der Poet scheinet seine Lust daran gehabt zu haben, sein Pandämonium nach der Dorischen Bauart mit Verzierungen von Karnissen und güldenem Bluhmenwerck auszuschmücken. Diese Erfindung schmecket mehr nach der ungebundenen Phantasie unsers Paters le Moine, als dem ernsthaften Geist Miltons; aber wenn die Teufel nachgehends zu Zwergen werden, damit sie in dem Gebäude Platz haben mögten, als ob es unmöglich gewesen wäre, einen Ort zu bauen, der geraum genug war, sie alle in ihrer natürlichen Grösse zu fassen, so ist das eine erbärmliche Erdichtung, welche man mit den abentheurlichen Mährgen in eine Linie stellen kan. Was die Ausschweiffung auf das höchste treibet, ist, daß Satan und seine [97] vornehmsten Fürsten ihre ungeheure Gestalt behalten, da immittelst der gemeine Haufen der Teufel zu Pygmeen wird.« Wenn wir einen kleinen Blick in die Grundschrift thun, welches mit dergleichen raschen Criticis allemahl eine nothwendige Behutsamkeit ist, so finden wir bald, daß Mammon nur eine Haupt-Burg für Satan und seinen Rath gebauet, nicht einen Ort für das gantze Heer der gefallenen Geister; in derselben sollte eine Versammlung gehalten werden, in welche alleine diejenigen beruffen würden, so an dem Haupt der Geschwader und Hierarchien stühnden, und entweder ihrer Vorrechte wegen oder nach einer freyen Wahl dazu gehöreten. In diese zwo Classen theilet sie der Poet, und von der erstern saget er hernach, daß sie hinter beschlossenen Schrancken und in ihrer natürlichen Grösse gesessen, da die von der andern Classe hingegen ihre Gestalten ins kleine zusammengezogen hätten. Daß nicht die gantze höllische Nation versammelt worden, konnte Voltaire ferner daher lernen, daß der Poet nach Beendigung des Concilii meldet, man habe den grossen Reichsschluß bey dem Schall der Trompeten ausgeruffen, vier schnelle Cherubim haben ihn mit einer mächtigen Heerolds-Stimme verkündiget, und das gantze stygische Heer habe ihnen mit einem lauten Glückes-Zuruf geantwortet. Wenn von der Zahl der Versammelten in dem Rath als von einem gantzen Heer geredet wird, so [98] ist solches der unzehligen Menge der gefallenen Engel gemäß, welche nach des Poeten Satz den dritten Theil des Himmels ausgemachet hatten, also daß die Führer, Häupter, und Abgeordneten derselben für sich alleine schon ein ziemliches Heer waren. Diesemnach war das Pandämonium nothwendig, die Fürsten der gefallenen Hierarchien ihrem Staat gemäß von dem gemeinen Haufen zu sondern, damit die Angelegenheiten dieser verzweifelten Nation nicht unter offener Hölle abgehandelt würden. Zu eben diesem Staat dienet nun auch die Pracht, die Voltaire dem Gebäude vorwirfft; an welches der englische Poet in der That mehr Kunst und Arbeit gewendet hat, als der Französische an seinen Palast der Liebe, in dem Gedicht von Henrich dem vierten, den er mit zweyen Worten vollendet: Un vieux palais. Mir gefällt, was der Herr Rolli in seinen Anmerckungen über Voltairen Versuch einer Beurtheilung der epischen Gedichte hievon geschrieben hat. »Die freyen Künste geben dem epischen Gedichte einen herrlichen Schmuck; wenn ihre Wercke da in ihrer Vollkommenheit und Pracht beschrieben werden, so belustigen und unterrichten sie den Leser auf einmahl. Werden übermenschliche Kräfte vorgestellet, die einen Bau ausführen, so müssen die Arbeiter und das Werck auf eine mehr als menschliche Weise vorgestellet werden. Daher entsteht das Wunderbare, das in dem [99] epischen Gedicht mit so viel recht gefodert wird. Es ist so ferne, daß das Pandämonium eine abentheurliche Erfindung sey, daß es vielmehr eine wunderbar erhabene ist. Wie viel richtige Begriffe von der Natur der Metalle, und der Baukunst werden in dieser Beschreibung auf eine erhabene Art erkläret! Dem Herren Voltaire mißfallen an dem Pandämonium die Karnissen, und Verzierungen mit güldenem Blumenwerck, nicht daß er lieber kein Gebäude gehabt hätte, nachdem er selbst uns einen alten Palast des Liebes-Gottes gegeben hat, sondern weil er lieber einen ohne Bauart und Regeln gehabt hätte.« Ich gestehe übrigens, daß der Poet einen so geraumen Platz hätte bauen können, welcher die grosse Anzahl der höllischen Häupter in ihrer natürlichen Grösse hätte fassen mögen; aber man wird mir hingegen einräumen, daß er geschickter gehandelt hat, da er die Burg für sie zu klein gemacht, damit er die wunderbare Erdichtung einführen könnte, nach welcher diejenigen von den versammelten Engeln, die an Stand, Würde und Vorrechten geringer waren, ihre Gestalten ins kleine zusammen zogen, da immittelst die Vornehmen ihre natürliche Gestalt nach ihrer Grösse behielten. Dieses Wunderbare, das Voltairen so abgeschmackt vorkömmt, ist allerdings wahrscheinlich, denn es ist demjenigen gemäß, was der Poet von der Natur der Engel an einem andern Ort gemeldet hatte, [100] daß ihr reines Wesen gantz zart und ungemenget sey, und sie daher das männliche, oder das weibliche Geschlecht an sich nehmen, ihre Gestalt aus einander dähnen, oder ins kleine zusammen ziehen können. Da diese Kraft ihnen vor natürlich und eigen zugeleget wird, sie auch in ihren kleinern Gestalten ihre geistliche Stärcke, Macht und übrigen Kräfte behielten, kan ich nichts lächerliches darinnen finden. Diese messen sich nicht nach dem Raum, welchen ihre Gestalt einnahm, eine grössere verstärckte sie nicht, und eine kleine verminderte sie nicht. Das lächerliche, das unser Tadler hier gefunden, kam aus seinem eignen Gehirn hervor, welchem diese selzame Kraft der Engel ungewohnt und daher wunderlich geschienen. Er führet zwar nach den angezogenen Worten seiner Critick eine Regel an, nach der man das wahrhaftig lächerliche zu messen habe, nemlich man solle sehen, ob eben dieselbe Erdichtung, die in einem epischen Gedichte gebraucht wird, nicht in einem abentheurlichen Gedichte schön stehen würde, allein dieser Meßstab ist gantz krumm und betrüglich. Denn wie kan er gebraucht werden, als daß man die Sachen und Gedancken, die in einem ernsthaften Gedicht ihren eigenen Personen, an dem rechten Orte, und in dem rechten Masse zugeschrieben werden, von da wegnimmt, und gantz andern Personen, die der erstern Gegenfüsser sind, zuleget, daneben Zeit, Ort, Ziel und Maaß aus Vorsatz [101] und mit bestem Fleiß verhudelt und verwirret; auf diese Weise aber muß das gründlichste und ernstlichste Werck lächerlich herauskommen, weil es dann nicht mehr das vorige ist. Durch diese leichtsinnige Kunst sind Virgils Eneis, und Telemach verkleidet worden. Durch eben dieselbe sind die ernsthaftigsten und traurigsten Tragödien in Parodien verwandelt worden; Wie Voltaire selbst an einigen der besten, die aus seiner Erfindung geflossen sind, erfahren hat. Aber will er daher seiner gegebenen Regel gemäß schliessen, daß diese Wercke an sich selbst und in ihrer wahren Art lächerlich seyn? Ich kan mich nicht enthalten, den gründlichen Gedancken, die der Herr de la Motte in der Abhandlung vor seinem Trauerspiel Innés hierüber eröffnet hat, allhier einen Platz einzuräumen. »Die Kunst solcher Verkleidungen ist sehr einfältig, sagt er, sie bestehet nur darinn, daß man die Handlung und den Lauf des Werckes behält, und den Stand der Personen verändert. Nach diesem nimmt man die Verse des Werckes in Besitz, wirft aber von Zeit zu Zeit possierliche Worte und lächerliche Umstände darunter, welche durch den Absatz des ernsthaften und des hertzrührenden, womit sie gegattet werden, noch so lächerlich werden. Also macht man aus dem Werck selbst, das man zum Gelächter machen will, ein neues, das man für seine eigene Erfindung hochmüthig ausgiebt, schier [102] wie wann ein Mensch, der einer vornehmen Rathsperson den langen Rock entwendet, gläubte, er wäre sein, wenn er etliche Stücke von einem Pickelherings-Kleide daran flickete, und sein Recht dazu damit bewiese, daß seine Verkleidung zum lachen reizete.« Nachdem er weiterhin etliche Ungelegenheiten erzehlet hat, welche von solchen Verkleidungen entstehen, gedencket er auch der folgenden: »Aber das wichtigste Uebel, das aus diesen Wercken entsteht, ist, daß sie die Tugend zu einem Parodoxo machen, und ofte sich bemühen, sie ins Gelächter zu ziehen. Sind in einem Trauerspiel einige Proben einer Heldenmüthigen Tugend, die fähig sind, das Gemüthe empor zu heben und zu vortrefflichen Entschliessungen aufzumuntern, so gebraucht die Parodie eben diese Stellen dem Verfasser Spitzfündigkeiten und Chimären vorzuwerfen.« Ihr sehet, wohin uns die Regel führen würde, welche uns Voltaire zur Richtschnur geben will; Und dieses muß die meistenmahl für sich selbst, ohne einen neuen Vorsatz des Parodisten erfolgen, weil eine gleiche That oder Entschliessung, die bey einer Person eine Tugend ist, bey der andern ein Laster wird, und was einem Menschen wohl anstehet, dem andern ungebührlich ist.

Wir haben uns mit diesen Tadlern lange genug in der unseligen Gesellschaft der verdammten Geister aufgehalten, lasset uns eine seligere bey den standhaften und getreuen Einwohnern des [103] Himmels suchen. Der Herr Magny hat von ihrer Natur eben so undeutliche Begriffe, als er von den gefallenen an den Tag geleget hat. Daher entstehen eben dergleichen falsche Urtheile von ihrer Aufführung in unserm Gedichte. Wenn der Ertz-Engel Gabriel in dem vierten B. zween Engel ausschicket, die der Poet als starck, schlau, erfahren, und schnell characterisiert, den Garten zu durchsuchen, schließt Magny daraus, daß folglich schwache und träge Engel seyn, und in diesem Begriffe findet er Fehler, welche himmlischen Geistern nicht können zugeschrieben werden. »Die Stärcke und Schnelligkeit, sagt er, seyn ihr vornehmstes Erbgut, sie müssen unter ihnen nur in den Graden unterschieden werden, nach welchen sie mehr oder weniger starck und schnell sind, nachdem dem Schöpfer gefallen hat, sie auf einen gewissen Grad der Herrlichkeit zu erheben.« Dieser Begriff ist richtig genug, wann der Criticus ihn nur in dem Urtheile nicht aus den Augen gelassen hätte. Wer siehet nicht, daß der Character von Stärcke und Schnelligkeit, den Milton diesen beyden Engeln beygeleget hat, eben in Absicht auf diese verschiedene Grade, in so weit sie zwischen Engel und Engel Platz haben, zu verstehen sey? Wiewohl derjenige unter den Engeln, der den geringsten Grad Stärcke empfangen hat, in Absicht auf die stärcksten Sterblichen stärcker zu nennen ist, so kan er doch in Absicht auf andere Engel [104] nicht so starck seyn, und diese geringere Stärcke mit einer grössern verglichen wird sich ohne eine fehlerhafte Vorstellung selbst mit dem Wort schwach benennen lassen. Unser Poet folget dem Begriff, den der Criticus vorgeleget hat, hier und überall auf die geschickteste Weise, indem er die Character seiner aufgeführten Engel auf so verschiedene Arten, und in so mancherley Graden der Arten, doch ohne Abbruch der von dem Schöpfer ihnen mitgetheilten Herrlichkeit, verändert und abgesetzet hat. Wollte man dergleichen Absätze in den Sitten und dem Leben der Engel nicht zugestehen, so müßte man darinn ein durchgehends Einerley setzen, welches der Theorie von den Engeln zuwider läuft, und die englischen Personen vor ein episches Gedicht gantz unbequem und verdrüßlich machte. Der Herr Magny scheint von dem richtigen Begriff, den er von den Graden in den Charactern der Engel eröffnet hatte, gäntzlich abgewichen zu seyn, und auf diesen ungeschickten gebauet zu haben, wenn er die Worte tadelt, die Gabriel im achten B. von seiner Abfertigung zu den Pforten der Höllen gebraucht, die er in währender Schöpfung bewachen mußte, indem er es eine unangenehme und verdrüßliche Reise heisse. »Wie, sagt der Criticus, können die Befehle des Allmächtigen seinen getreuen und eifrigen Dienern widrig und mißfällig seyn?« Ich antworte ihm mit ja, und dieses auf zweyerley Weise. Erstlich [105] in so weit in dem Leben der Engel die Grade von angenehmem und angenehmerm Platz haben, da dasjenige, was ihnen weniger angenehmes vorfällt, oder aufgeleget wird, in Absicht auf etwas angenehmers in unserer menschlichen Sprache ohne Verbrechen widrig und verdrüßlich genennt werden darf; hernach in so weit nicht auf den Befehl Gottes, der an sich stets anbetenswürdig ist, sondern auf die Natur der anbefohlenen Sache gesehen wird. Wenn wir unsern Poeten selbst in der Grundsprache einsehen, so werden wir bald finden, daß er die lange Streiferey biß zu der Pforten der Hölle in dieser letztern Absicht beschwerlich und unangenehm geheissen hat. Warum sollte diese Reise nicht beschwerlich können geheissen werden, wann wir sie neben derjenigen betrachten, welche die Cherubim und Seraphim des Himmels mit dem Messias in die noch ungebohrne Welt gethan, wohin sie ihn in einem gläntzenden Zug begleiteten, wie unser vortreffliche Poet in dem siebenden B. von ihnen erzehlet?

Hätte dieser Kunstrichter seinen eigenen Lehrsatz von den Graden in dem Character der Engel, welche mit ihrer eingeschränckten Natur so wohl übereinstimmen, nicht ins Vergessen gestellt gehabt, so wären ihm auch folgende Criticken nicht entfallen, da er an dem Ertz-Engel Uriel tadelt, daß er sich von dem verkleideten Satan übertölpeln lassen, und der gantzen Schaar der englischen Leib-Wache einen gleichmässigen Verweiß [106] giebt, ferner, da er den himmlischen Heerschaaren ihre Neugierigkeit über die erhaltene Zeitung von dem Fall der Menschen vorrücket, bey welchem Anlaß er ausrufet: »Was vor ein Bildniß stellet uns Milton von dem Himmel vor, das etherische Volck lief Haufenweise zu den neuangekommenen, aus Begierde zu hören und zu vernehmen, wie sich alles zugetragen hätte. Ist dieses der Begriff, den wir von himmlischen Geistern haben?« Wir wissen von ihnen, daß ihre Erkänntniß, wiewohl sie weit über die menschliche hinaufsteiget, dennoch in gewissen Schrancken eingeschlossen ist, insonderheit was das künftige und dasjenige, was ausser ihrem englischen Gesichte lieget, anbelanget, wovon sie nichts weiters wissen, als was sie mittelbar, mittelst Anzeigungen schliessen können, wenn sie die Ursachen mit ihren vermuthlichen Folgen vergleichen. Nun war dieses beyweitem nicht zulänglich dem Uriel den vergestalteten Satan vollkommen und offenbar zu entdecken, wiewohl es ihm ziemlich viel Verdacht verursachete; Es war auch nicht genug, der englischen Leibwache, ungeachtet ihrer fleissigen Verwachung, die listigen Verstellungen des Teufels zu verrathen; endlich war es zu wenig, den himmlischen Heerschaaren die Geschichte von dem Fall der Menschen ihren kleinen Umständen nach bekannt zu machen. Ueberdiß bitte ich über die drey vorgegebenen Fehler ins besondere noch bey einem jeden anzumercken, [107] bey dem ersten, daß der aufrichtigste sich am allerwenigsten Betruges vermuthend ist, weil er von andern nach seiner Redlichkeit urtheilet, daher er sich der Betriegerey am leichtesten bloß stellet; bey dem zweyten, daß das Amt der Wacht im Paradieß alleine in sich begriffen, den Menschen vor feindseliger äuserlichen Gewalthätigkeit zu bewahren, da er immittelst in Ansehung der innerlichen Gefahr, vor welche er mit genugsamen Gemüthes-Kräften ausgerüstet war, sich selbst gelassen war, welches mit Bestand feiner Freyheit nicht anderst seyn konnte; beym dritten, daß die Neugierigkeit des etherischen Volckes eine natürliche Folge sowohl ihrer Liebe gegen den Menschen, als auch ihres Verlangens ist, die wunderbaren Wege Gottes gegen den Menschen einzusehen.

Ich sehe keinen bequemern Ort, als diesen, ein paar der schweresten Anklagen zu beantworten, welche wider Milton können geführet werden, die wenn sie Grund hätten, ihn billig bey allen Bewahrern der reinen Religion anschwärtzen und verhaßt machen müßten. Die erste fällt auf folgende Stelle des Poeten. »Der Unendliche, in dessen Schooß der Sohn in göttlicher Wonne saß, that seine unwiderrufliche Verordnung mit folgenden Worten kund: Höret ihr Engel alle, ihr gebohrnen Söhne des Lichts, Herrschaften, Fürstenthümer, Kräfte. Heut habe ich den gebohren, welchen ich vor meinen einigen [108] Sohn erkläre, und habe ihn auf diesem heiligen Berge gesalbet etc.« Hier fraget Miltons Gegner: »Haben die himmlischen Geister jetzo zum erstenmahl den göttlichen Sohn gesehen? Sind sie nicht gleich nach ihrer Erschaffung von der ewigen Geburt des Wortes unterrichtet worden? Das Wort heut, das hier gebraucht wird, kan nicht den grossen und immerwährenden Tag der Ewigkeit bedeuten, weil die Engel, mit welchen Gott da redet, à parte ante nicht ewig sind. Aber wie könnten sie selig gewesen seyn, wenn sie bis auf diesen Tag, da Gott ihnen zum ersten mahl anzeiget, daß er einen einzigen Sohn hat, des seligmachenden Anschauens des Wortes beraubet waren?« Milton macht sich bey ihm stets mehr verdächtig, wenn er den Aufstand Satans auf den Neid gründet, mit welchen dieser »denselbigen Tag den Sohn Gottes von seinem Vater ehren und zu seinem gesalbten Messias erklären gesehn, da er gedacht, daß ihm selbst dadurch zu kurtz geschehen wäre.« Diese Anklage zu widerlegen muß man wohl bedencken, daß die Kundmachung des höchsten Wesens unter drey aus einander gesetzten, persönlichen Vorstellungen, eine Offenbarung ist, welche eine absonderliche Absicht auf den Menschen hat. Der Höchste hatte in seinem unerforschlichen Rath beschlossen, sich gegen den gefallenen Men schen und nicht gegen den gefallenen Engel auf diese Weise zu verherrlichen, [109] welche er hier durch die Salbung des Messias und Erklärung vor seinen Sohn, zu erkennen giebt. Der Sohn Gottes ist der Messias der Menschen und nicht der Engel. Darum konnte diese Relation auch den Engeln nach dem Wohlgefallen des Schöpfers wohl eine lange Zeit verhalten worden seyn. Dadurch gieng ihnen an der seligen Gemeinschaft Gottes nichts ab, weil sie diese geheimnißvollen drey Personen in dem Einigen schon genossen. Was jetzo den Neid anbetrift, den Satan über diesen Bericht von der Kundmachung des Messias gefasset hat, so wird uns wohl zu verzeyhen seyn, wenn wir statt des Poeten den Satan zum Arianer machen, und sagen, daß er in diese geoffenbarete Sohnschaft einen Zweifel gesetzet, und im verwegenen nachgrübeln der erste auf die Lehrsätze gefallen sey, die Arius unter den Menschen ausgehecket; worauf er gegen dem Sohn, den er vor ein Geschöpfe seines gleichen gehalten, zu dem Neide bewogen worden, der seinen Abfall gewürcket hat. So ungereimt und gottloß diese Arianischen Lehrsätze bey Menschen und Engeln sind, kan man doch von dem Abfall Satans, der indessen eine geoffenbarete Geschicht ist, keine Ursache anbringen, welche nicht eben so thörigt und teufelisch herauskomme. Der Herr Magny hat sich zwar bemühet, eine andere Ursache des Neides Satans zu ersinnen, welche er vor ein gutes anständiger und trifftiger hält; nemlich daß Satan damahls zum erstenmahl vernommen habe, [110] Gott werde den Menschen so sehr lieben, daß er seinen einzigen Sohn vor desselben Erlösung geben und seine Natur an sich nehmen wolle, eine Ehre, welche er den Engeln nicht thun würde. Alleine ich finde hierinn den nothwendigen Grund nicht, der den Satan zum Neid hätte bewegen und die verruchte Voßheit in ihm gebähren sollen, dem Höchsten den Dienst aufzusagen; Denn die Ehre, die Gott den fallenden Menschen thun, und den fallenden Engeln versagen wollte, hatte nichts, was den Satan, der ietzo mit seinen Engeln noch aufrecht stuhnd, zum Eifer oder Neid bewegen konnte. Der Neid, der aus dieser Ursache entspringen sollte, würde bey Satan eine Wissenschaft von seinem eigenen künftigen Fall, und was noch schwerer zu begreifen ist, eine Begierde nach einem Erlöser, die auf die Nothwendigkeit eines solchen gegründet war, voraus gesetzet haben. Wenn wir die Neigung zum Stoltz, die sich nach der Hand bey disem Geist gezeiget hat, betrachten, so ist zu vermuthen, daß er sich vor einem solchen Fall von seinem hohen und glückseligen Stand nur allzu wohl gesichert gehalten, und daß er keines fremden Erlösers vonnöthen zu haben gemeinet.

Die andere Anklage, die mir zu widerlegen übrig bleibet, betrifft das Stillschweigen des Poeten von der dritten Person der Gottheit, woraus ihm Magny kein geringeres Verbrechen beymißt, als er ihm aus der vermeinten aus Augen setzung [111] des Sohnes aufzubürden gemeinet hatte. Er verwundert sich, daß der Poet in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen im dritten B. des Heiligen Geistes nicht gedencket, um so viel mehr als er in dem Lobgesang der Engel vergeblich erwartet hatte, daß sie ihr Lob, wie dem Vater und dem Sohn, also auch dem Heiligen Geist abstatteten. »Milton scheint zu vergessen, sagt Magny, daß eine dritte Person in der Heiligen Dreyeinigkeit ist. Woher mag diese wiederholete Auslassung kommen? Dieses könnte mich auf seltzame Gedancken von seinem Glauben verleiten, wenn er das Gedicht nicht mit einer Anrufung des Heiligen Geistes angefangen hätte; aber diese Anrufung entschuldigt ihn nicht, daß er seiner an disem Ort vergessen hat, wo er pflichtig war, von ihm zu reden.« Wer die göttliche Scena, welche der Poet da mit einer ehrerbiethigen Kühnheit beschreibet, mit Fleiß erwiegt, wird leicht sehen, daß sie eingeführet ist, den Sohn nach seiner göttlichen Menschen-Liebe, die ihn vermochte sich zu einem freywilligen Opfer für dieselben zu anerbiethen, und zur Annehmung des sterblichen Cörpers zu verstehen, zu verherrlichen. Daher ist es auch derselbe vornehmlich, welchen die Engel hier besingen, Miltons vornehmster Held, der erstlich den rebellischen Ertz-Engel mit seinem gantzen Heer u. alleine, ohne Hülfs-Völcker, zur Hölle gejaget, und jetzo das gefallene Geschlecht der Menschen von diesem Ort der Qual [112] erledigt. Und dieses Werck der Erlösung ist der eigentliche Inhalt ihres verherrlichenden Gesanges. Wenn dann hier die dritte göttliche Person nicht eingeführet wird, so geschicht es, weil die Rede da nicht von demjenigen Wercke ist, mit welchem dieselbe sich bey den Menschen geoffenbaret hat. Die Redens-Art, welche ein Heiliger Scribent gebraucht hat die noch nicht geschehene Offenbarung des Heil. Geistes unter den Menschen anzuzeigen, wenn er sagt, der Geist war noch nicht, ist ohne Zweifel viel kühner, als des Poeten Stillschweigen von demselben in einer Handlung, welche die Offenbarung des Sohnes, als des Erlösers, zum Zweck hatte. Des unbilligen Censors Verdacht zu beschämen, muß ich noch anmercken, daß Milton im zwölften B. nicht vergessen hat, dieser dritten göttlichen Person an dem rechten Orte, wo er von der Ausgiessung derselben auf die Apostel redet, mit einem anbetenden Angedencken Meldung zu thun.

Der vierte Abschnitt
[113] Der vierte Abschnitt.
Von dem Zusammenhang in Miltons
Vorstellungen der Engel.

Verdächtige Merckmahle der critischen Urtheile Magny von dem verlohrnen Paradiese. Widersprüche, welche er in diesem Gedichte zu sehen meint; Daß Milton die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit zusammengereimet; Daß er die Flöten und Hautbois der gefallenen Engel nach einer Melodie gestimmet habe, welche noch nicht vorhanden gewesen war; Daß er in der Beschreibung des verdunckelten Glantzes Satans das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaret habe; Daß er den Vater bitte, einen Willen abzulegen, den er nicht gehabt, und der unveränderlich würde gewesen seyn, wenn er ihn gehabt hätte; Daß er eine Warnungs-Stimme wünschet, welche die ersten Menschen vor Satans Fallstricken bewahrete, da er doch von dem Vater gehöret hatte, daß der Mensch fallen würde. Verstossungen, die Magny sich in dem Traume der ersten Frauen, welcher von Satan in ihrer Phantasie gewürcket worden, einbildet, indem er ihr dadurch Waffen wider ihn selbst in die Hände geliffert habe. Widersprüche in den Gedancken Satans, da er in seiner aufrührischen Rede zu verstehen gebe, daß er von der Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott niemahls für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Und da er in der Anrede an seine geflohenen Heerscharen schliesse, daß sie gegen das himmlische Heer ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen dasselbe Stand gehalten hätten. Verstoß des Hrn. Magny in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, und in dem Vorgeben, [114] daß der Poet die Engel einander an Stärcke gleichmässig gesetzet habe. Widerspruch den Voltaire zwischen dem Befehl Gottes an Michael das satanische Heer aus dem Himmel zu jagen, und dem Mangel in der Vollstreckung desselben entdecket haben will. Unrichtiger Schluß den Magny darinnen findet, daß Gott durch die Erschaffung neuer Anbeter dem Satan das Rühmen abgeschnitten, daß er ihm Anbeter entführet habe. Vermeinter Widerspruch zwischen Satans Muthmassung, daß Gott nicht früher als nach seinem Abfall auf die Gedancken gefallen, die Welt zu erschaffen, und eben desselben Vorgeben von einem prophetischen Gerüchte, das in dem Himmel von der künftigen Erschaffung einer Welt gegangen wäre.


Der critische Advocat, mit dem wir in dieser Abhandlung am meisten zu thun bekommen, hat die Zanck-Kunst, die ihn auf dem Richthause berühmt gemachet, auf den Parnaß gebracht, und das herrliche Gedichte Miltons mit solchen Advocaten-Stückgen aufgezogen, wie er sonst mit den Processen zu thun gewohnet war. Ich rede nicht zu hart von einem Manne der durch seine beissenden Ausdrücke die Wahrheit selbst verdächtig machen würde, wenn er für sie redete; Von einem, der uns bekennet, daß er in der ersten Durchlesung des verlohrnen Paradieses nichts anders gethan habe, als dasselbe bewundert, und das Vorhaben ein Werck, das ihn so vollkommen dünckete, zu tadeln, mit zittern gefasset habe, ja daß er darinn nur durch den Unmuth bestärcket worden, in welchen ihn [115] der ironische Ausdruck des Herren Addisons gesetzet, der gesagt, diejenigen, die Miltons Gedichte den Nahmen eines heroischen Gedichtes nicht zugestehen wollen, können es nach Gutbefinden ein göttliches Gedichte nennen; Anderer Stellen zu geschweigen, in welchen er sich verräth, daß das grosse Lob, welches Addison Miltons Wercke beygeleget, dasselbe bey ihm verringert und ihn vermocht habe, so viel böses davon zu sagen. Wahrhaftig dieses alles läßt uns keinen sichern Geschmack, kein festes Urtheil, keine aufrichtige Critick bey ihm vermuthen. In der That sind seine Einwürffe weder in festgesetzten und bewiesenen Grundregeln gegründet, noch ordentlich mit einander verknüpfet, und man hat Mühe, die Grundsätze, welche sie unterstützen sollen, herauszubringen. Alleine seine unverschämte Dreistigkeit im Aussprechen seiner Urtheile muß ihm dasjenige ersetzen, was an Richtigkeit daran abgehet. Diese steiget stets auf einen höhern Grad und scheuet sich ietzo nicht den Poeten eines Widerspruchs in seinen Vorstellungen zu beschuldigen, der keinen andern Grund hat, als den widersinnigen Kopf des Tadlers. Nachdem ich denn in dem vorhergehenden Abschnitte die Vorstellungen der englischen Personen an sich selbst und in ihrem Grund vertheidiget habe, wie sie auf die Natur, den Character und die Tugenden derselben sehen, will ich sie in dem gegenwärtigen in ihrem Zusammenhange [116] betrachten, und wider Miltons Ankläger vornehmlich erweisen, daß eine jede mit sich selbst und mit den andern in genauer Uebereinstimmung zusammenhängt.

Der Herr Magny entdecket nach seiner scharffen Einsicht nicht weit von dem Anfange des Gedichtes einen offenbaren Widerspruch. Der Poet beschreibet den Satan, wie er und seine Gesellschaft nach ihrem Falle vom Himmel sich neun Tage lang in dem feurigen Meerbusem herumgeweltzet haben, der Sinnen beraubet. Dieses heisset der Criticus, »die Beraubung der Sinnen mit den feurigen Wellen zusammenreimen, die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit. Das göttliche Strafgerichte, sagt er, hat Satan die Unsterblichkeit gelassen, zu seiner grössern Qual, aber hat sie ihm die Unempfindlichkeit mitgetheilet,« Die Unempfindlichkeit ward ihm und seinem elenden Heer für neun Tage lang mitgetheilet, diese Zeit über lagen sie in dem Feuer-Meer, ohne daß sie den Brand desselben fühleten; Man konte auf gewisse Weise von ihnen sagen, was der geschickte Herr Marivaux von einer in Ohnmacht gefallenen Fräulein sagt: Sie waren nicht todt, doch lebeten sie auch nicht; aber nach der Zeit bekamen sie den Gebrauch der Sinnen und die Empfindung wieder. Dieses düncket mich gereimt genug, nur daß ich es mit Herren Magny Ausspruch nicht wohl reimen kan.

[117] Milton hatte gesagt, das Heer der gefallenen Engel sey in einem vollkommenen Phalanx nach der dorischen Symphonie anmarschiert, solches hatte der frantzösische Uebersetzer gegeben, die Flöten und Hautbois seyen nach der dorischen Melodie gestimmet gewesen. Er braucht das Wort se conforment. Auf dieses fällt die Critick des Kunstrichters. »Wie konten sie, sagt er, nach einer Melodie gestimmet seyn, die noch nicht war; Soll man mit etwas zustimmen, muß man ein Modell, das würcklich da ist, vor sich haben. Also hätte Milton besser gesagt: Von dieser Art war nach der Zeit die dorische Melodie. »Eben dieses saget der Poet. Die dorische Melodie konte schon gewesen seyn, eh dieser Nahme gewesen war; dieses nimmt Milton an, und brauchte zum voraus den künftigen Nahmen. Also hat es Virgil mit den Nahmen der Orte und Völcker und Städte in Latien gehalten, welchen Anchises in der prophetischen Erzehlung von den Thaten und dem Ruhm der Nachkommen Eneas diejenigen Nahmen giebt, so sie erst lange Zeit hernach bekommen haben:


Hi tibi Nomentum, & Gabios, urbemaue Fidenam,

Hi Collatinas imponent montibus arces,

Pomerios castrumque Jnui, Bolamque, Coramque,

Hæc tum nomina erunt, nunc sunt sine nomine terræ.


Und unser Poet hat auf gleiche Weise den gefallenen[118] Engeln, als sie noch nicht aus der Hölle ausgebrochen waren, die Menschen zu verführen, die Nahmen der heidnischen Gottheiten beygeleget, welche sie erst lange hernach erhalten, nachdem sie den grösten Theil des menschlichen Geschlechtes verführet hatten, den Schöpfer zu verlassen, und Teufel für Gottheiten anzubeten.

Eben so nichtig ist der folgende Widerspruch, den Magny dem Poeten Schuld giebt. »Milton habe erstlich von Satan gesagt, das Unglück habe seinen Glantz ein wenig verdunkelt, und sage hernach von eben demselben, auf seinem Angesicht seyn tiefe Narben gewesen, welche ihm von dem Donner eingegraben worden; Dieses stimme mit einander nicht überein, es heisse das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaren.« Wenn wir in der Grundsprache des Gedichtes nachsehen, so werden wir finden, daß Milton sich genauer also ausgedrucket hat: Satans Gestalt habe ihren angebohrnen Glantz noch nicht gäntzlich verlohren gehabt, sie habe nicht geringer geschienen als eines Ertz-Engel, der gefallen ist, und an welchem der ehmahls übermässige Glantz sich verdunckelt hat. Milton hatte sein Auge auf den vormahligen unvergleichlich gläntzenden Stand Satans gerichtet, in Absicht auf denselben sagt er, daß das ehmahls übermässige in seinem Glantz sich verdunckelt habe: Bey diesem [119] so verdunckelten Glantze schreibet der Poet ihm noch tiefe Narben zu, welche der Donner auf seinem Angesichte gezeichnet habe. Dieses kan mit der Verdunckelung gar wohl bestehen; der verdunckelte Glantz bedeutet nicht weniger, und giebt keinen geringern Begriff, als die tiefgeschlagenen Donner-Mähler, massen auch diese Verdunckelung eine Würckung desselben Donners gewesen; er giebt auch nicht mehr, oder ein grösseres Licht zu verstehen, als mit den Narben bestehen kan. Eine Gestalt kan zugleich und auf einem hohen Grade leuchten und Mähler haben; Also haben die neuern Sternseher in dem hell-leuchtenden Cörper der Sonnen Flecken entdecket.

Folgende Beschuldigung eines neuen Widerspruchs fällt, so fern sie einigen Grund hat, auf die Uebersetzung des Herren Saint-Maur. Gott der Vater läßt sich im dritten B. gegen dem Sohn, der ihm zur Rechten sitzet, vernehmen, der Mensch werde Gnade finden. Darauf anwortet ihm der Sohn, von dem Ungehorsam des Menschen und dem Urtheil des Ewigen Todes redend, nach dem Frantzösischen dergestalt: Lasset einen solchen Willen fern von euch seyn. »Dieser Wille, sagt Magny hierauf, war nicht da, weil der Vater eben gesagt hatte, der Mensch werde Gnade finden, aber wenn dieser unveränderliche Wille da gewesen wäre, hätte Gott ihn ablegen können?« [120] Ferner antwortet der Vater dem Sohne nach dem Frantzösischen: Dein Begehren rechtfertiget meine unwiderrufliche Verordnung, es ist meinen Gedancken gemäß. Hierauf gründet der Kunstrichter einen weitern Einwurf. »Was will Milton mit diesem Worte Begehren sagen? Hat sich der ewige Vater nicht schon erkläret, begehret man eine Gnade, die man schon empfangen hat?« In Miltons eigenen Worten findet sich von dieser Undeutlichkeit nichts; Der Sohn antwortet erstlich dem Vater: Sollte der Mensch fallen? Das sey von dir fern, fern sey das von dir, Vater! Welche Redens-Art mit dem lateinischen Absit einerley sagt, und eine Verwerffung oder Mißbilligung einer Sache anzeiget, so mit einem Abscheuen begleitet ist; also daß der Sohn an diesem Ort damit seine höchste Billigung und Genehmhaltung des väterlichen Entschlusses, welcher das Gegentheil von dem ist, den er hier mit Abscheu verwirfft, an den Tag giebt. Und der Vater sagt nach Milton in der Gegen-Antwort: Du hast eben geredet wie meine Gedancken sind, eben wie mein ewiger Vorsatz bestimmet hat. Also war des Sohnes Antwort nichts anders, als eine weitere Ausführung und Befestigung derer gnädigen Gedancken gegen den Menschen, welche der ewige Vater schon durch seinen eigenen Mund zu erkennen gegeben hatte.

[121] Milton hatte in dem dritten B. den Vater vorhersagen lassen, daß der Mensch Satans lügenhaften Vorgebungen Gehör geben werde; darauf fängt er das vierte B. mit einem Wunsch an, daß eine Stimme möchte erschallen, unsre ersten Eltern vor ihrem ankommenden Feinde zu warnen, und sie dadurch aus seiner Schlingen zu ziehen. Die Hoffnung, die in diesen letztern Worten enthalten ist, kan Magny mit der vorhergegangenen Eröffnung, daß der Mensch sich zum Ungehorsam werde verleiten lassen, nicht reimen. Wenn der Criticus bey sich erwiegt, daß das Zuvorsehen Gottes keinen Einfluß auf den Fall gehabt hat, folglich auch das Vorhersagen nicht, sondern daß der Mensch ohne Antrieb oder Stoß der Schickung aus freyem Willen gefallen ist, so wird er leicht erkennen, daß der Wunsch des Poeten, und die darauf gegründete Hoffnung gar nichts ungereimtes in sich fassen, weil diese gewünschete Warnungs-Stimme in der That ein Mittel hätte abgeben können, den Fall zu verhüten, wenn die ersten Menschen sie gehöret und wohl gebrauchet hätten. Ich bitte auch anzumercken, daß alle Wünsche und Bitten von dieser Art sind, denn dasjenige, was das Schicksal über das Glück der Menschen vorherbeschlossen hat, ist eben so unveränderlich, wenn es uns verborgen bleibet, als wenn es, wie hier geschehen ist, eröffnet und vorhergesagt worden.

[122] Der unermüdete Tadler unsers Poeten findet unterschiedliche Fehler in dem Traume der Eva im fünften B. welchen Satan in ihrer Phantasie gewürcket hatte. Eine eigene Einsicht in das Englische wird uns aber auch hier mit leichter Müh entdecken lassen, daß die vermeinten Verstossungen von dem Critico und nicht von dem Poeten begangen worden. Ich will nur eine davon retten, und die übrigen den Anfängern in der Critick zu untersuchen überlassen. Magny will behaupten, »Milton habe Even durch die Vorstellung der Verführung, welche er gesonnen war, gegen ihr vorzunehmen, die Waffen wider sich selbst in die Hände geliffert, er habe ja fürchten sollen, sie werde sich, wenn er ihr solche so umständlich vorbildete, desto besser dagegen in Acht zu nehmen wissen.« Alleine dieser geschwinde Criticus hat die geheime List, welche in dieser satanischen Scena mit unsrer ersten Mutter verborgen lieget, nicht eingesehen, welches uns könte vermuthen lassen, wenn er an ihrer Statt gewesen, daß er ungeachtet der Obermacht seines Witzes, der ihm den Ertz-Engel Uriel selber vor allzu unbedachtsam und leichtsinnig vorgestellet hatte, weil er sich von dem verkleideten Satan hatte betriegen lassen, eben so leicht wäre übertölpelt worden. Satans List bestuhnd in der Beredungs-Kraft des Exempels; Der Betrieger wollte Even die ersten Begriffe beybringen, daß [123] die verbotene Frucht gut und nützlich zu essen wäre, daß sie vor die Götter gewidmet wäre; die Menschen selbst zu dem göttlichen Verstand erheben könte, und ihnen nur aus Neid gemißgönnet worden. Diese Begriffe konten ihr auf keine nachdrücklichere Weise beygebracht werden, als durch das Exempel, darum stellete Satan sich im Traume, der Eva in der Gestalt eines Engels vor Augen, er aß von der Frucht, und hielt auch ihr davon zum Munde, sie mit dem Geruche zu reitzen. Als sie im Phantasieren auch davon gegessen, that er zu seinen Worten auch die versprochene Würckung hinzu, und führete sie in der Einbildung über die Wolcken hinauf. Diese Vorstellungen sind fürwahr keine Waffen wider Satan, sondern vielmehr teufelische Künste und Blendungen, dadurch eitele Hoffnungen und hohe Einbildungen erwecket werden. Ist des Herren Magny Meinung, daß die Gleichheit dieser Handlung mit derjenigen, welche Satan nachgehends mit der wachenden Eva vorgenommen hat, ihr den Betrug sollte entdecket oder wenigstens verdächtig gemacht haben, so hab ich dagegen zu erinnern, daß Eva diesen Traum nicht vor ein Werck eines verborgenen Feindes, zumahl da ihr kein solcher noch bekannt war, sondern vor eine blosse Nachahmung der spielenden Phantasie gehalten, oder gesetzt daß sie das nächtliche Gesicht vor etwas mehr als einen Traum angesehen hätte, so brachten sie [124] die listigen Vorstellungen der redenden Schlange auf die Gedancken, daß es von einem günstigen Wesen möchte hergekommen seyn, nachdem sie an der Geschichte der Schlange ein neues Exempel der vergötternden Frucht zu haben wähnete, welches das erstere bestätigte, vornehmlich, da sie an diesem Thiere, das also redete, und seine Aussage mit dem Gebrauche der Rede zu beweisen schien, keine Anzeige einiges Betruges merckete, und ihr keine Ursache bekannt war, warum es ihr sollte übel wollen, oder sie zu beleidigen trachten. Wollte man einwenden, daß meine Auslegung mit dem allen Even eine allzu grosse Leichtsinnigkeit beyleget, welche an der ersten Frauen nicht wahrscheinlich genug wäre, so thut man mir Unrecht, weil die Sache selbst nicht nur wahrscheinlich sondern die Wahrheit selbst ist. Das Verboth vor sich alleine war so gemessen, der Schöpfer hatte solches mit seiner gebiethenden Minen so ernstlich ausgesprochen, er hatte eine so scharffe und schnelle Straffe darauf gesetzet, die Menschen waren von seiner Allmacht und seiner Güte, durch so herrliche und sichere Proben überzeuget, daß dieses die stärcksten Waffen wider Satans Versuchungen hätten seyn sollen; Nichtsdestoweniger hat Eva übertreten.

In den Reden und Gedancken Satans findet Miltons feindseliger Gegner ein paar mahl Widersprüche, erstlich wenn Satan im fünften [125] B. in seiner aufrührischen Rede sagt, niemand könne sich der Monarchal-Herrschaft über solche anmassen, welche ihm an Freyheit gleich sind, ob sie gleich an Macht und Glantz geringer wären, woraus Magny folgert, Satan sey seit der ersten Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott nicht für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Hernach wenn der Ertz-Teufel im sechsten B. in der Anrede an seine geflohenen Heerschaaren meldet, daß sie gegen den Heerzeug des himmlischen Monarchen ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen ihn Stand gehalten hätten. Ich könte auf beyde Einwürffe kurtz antworten, daß die Widersprüche und unter sich selbst streitenden Sätze recht nach dem Character des Vaters der Lügen seyn, von welchem man keine richtigen und in bündiger Ordnung zusammenhangenden Vernunfts-Schlüsse erwarten muß. Doch will ich des ersten halben noch hinzu setzen, daß dieser Satz wider die Monarchal-Herrschaft im Himmel dem Satan allererst damahls konte in den Sinn gekommen seyn, Milton sagt nirgend, daß er dergleichen Gedancken vor seinem Aufstand, vielweniger von seiner Erschaffung an geheget habe. In der französischen Ubersetzung lesen wir zwar auch die Worte: der Despotißmus hat bißdahin hier nicht Platz gehabt, aber nach dem Englischen heisset es: Ihr seyd[126] von dem Himmel gezeuget, seine Söhne, welcher vor Euch von Niemanden war innengehabt worden. Wenn der Herr Magny in den Worten, die unmittelbar auf diesen Einwurf folgen, die Seichtigkeit der Schlüsse Satans erkennet und sich verwundert, daß alle diejenigen, die sie angehöret haben, den einzigen Abdiel ausgenommen, ihnen Beyfall gegeben haben, so muß ich dieses als einen Beweißthum seiner wohlgegründeten Religion ansehen, und ihn deßwegen im höchsten Grade loben; Doch weil er mithin den Poeten zu beschuldigen scheinet, daß er dem Ertz-Feinde so elende Gründe in den Mund geleget hatte, muß ich noch erinnern, daß keine Reden zum Behuf einer so offenbar verdorbenen Sache, wie Satans Aufstand war, können erfunden werden, welche nicht in ihrem Grunde seicht, elend und erbärmlich seyn. Ueber den andern Einwurf hab ich anzumercken, daß in Satans Schluß-Rede dennoch ein ziemliches Blendwerck stecket. Sie ist auf das Vorurtheil desselben gebauet, daß der Herr des Himmels ein auserlesenes Heer wider ihn ausgesendet, welches er vor starck genug gehalten hätte, den Aufstand zu dämpfen: Nun aber hatten die Aufrührischen dem Heer des Allmächtigen den ersten Tag in so weit Widerstand gehalten, daß sie noch nicht bezwungen worden. Woraus Satan schleußt, weil der Höchste Herr ein zu schwaches Heer wider [127] sie gesendet, könne er fehlen, und er werde ihm auch künftighin, wie desselben Tages, Stand halten mögen. Dieses ist unleugbar in seinem Grunde falsch und eitel, aber wie konte es anderst seyn, wie konte einige Rede, die von dem Verführer gehalten wird, richtig und gründlich seyn? Will Magny den Poeten beschuldigen, daß er Satans Character verfehlet habe, weil er ihn nicht bündig und gründlich aus bewiesenen und festen Grundsätzen schliessen läßt?

Ich habe hier Anlaß einen Verstoß dieses allzu fertigen Critici in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, die in dem Himmel gegen einander zu Felde lagen, auszusetzen. Bey Gelegenheit der Rede, in welcher der Vater den Sohn abfertiget, den Krieg zu beendigen, der sonst keine Endschaft hätte gewinnen können, so lange sie sich selber überlassen waren, weil sie in ihrer Erschaffung einander gleichmässig waren gemacht worden, und noch waren, ausgenommen was die Sünde von dieser Gleichheit weggenommen hatte, welche doch bisdahin nur unvermercket gewürcket, weil Gott die Straffe diser Aufrührer noch verschoben, verhauet sich unser unbesonnene Tadler also: »Es ist kaum ein Ausdruck, den Milton hier dem ewigen Vater in den Mund leget, welcher nicht strafbar wäre. Wenn Gott die Kämpfenden zu beyden Theilen ihrer eigenen Macht überlassen hat, warum hat der Sieg sich nicht auf die Seite gewendet, [128] wo die stärkere Anzahl war? Das Heer des Herren war zweymahl so zahlreich, als des Satans Schaaren. Waren Satans Soldaten dapferer und hertzhafter? Lasset uns weiter gehen, ist es auch gewiß daß die Engel einander gleichmässig erschaffen worden? Sie sind alle aus dem Nichts hervorgeruffen worden, aber sie haben mehr oder weniger Stärcke bekommen, nachdem es ihrem Schöpfer gefallen hatte, ihnen solche mitzutheilen. Alleine die Sünde hat etwas von dieser Gleichheit weggenommen, aber unvermercket, sagt Milton; Was vor eine schwache und gemilderte Beschreibung des Jammers welchen die Sünde anrichtet!« Ich ruffe hingegen, welche Verkehrung der zusammenhangenden miltonischen Gedancken und Ausdrücke! Da sie jedermann in die Augen fällt, will ich nur zweyer Verschiessungen erwähnen. Die erste, die mich auf diese Materie geführet hat, bestehet darinnen, daß das Heer Gottes stärcker an der Zahl gewesen, als Satans. Der Befehl Gottes an Michael und Gabriel lautete, daß sie die Söhne Gottes in gleich grosser Anzahl, als der rebellische Hauffen war, in die Schlacht führen solten; Und als der Messias zu Feld gieng, ward er von zehen mahl zehen tausend Heiligen begleitet, welche nicht in dem Streit gewesen waren. Der andere Verschuß ist, daß die Engel unter einander, einer von denselben dem andern, an [129] Stärcke gleichmässig gewesen sey. Der Poet hat die gleichmässige Stärcke der Engel nicht von den Individuis, sondern überhaupt von dem gantzen Heer eines Theiles gegen dem Heere des andern Theiles betrachtet verstanden, wie er denn die Fürsten und Heerführer von beyden Armeen nach ihrer verschiedenen Stärcke würcklich characterisiert hat. Da nun auf beiden Seiten eine gleich grosse Zahl gestanden, auch auf beyden Seiten Engel von gleichem Rang, Stand und Stärcke waren, so folget daß sie einander nichts hauptsächliches haben angewinnen können. Denn ob die Sünde gleich den grossen Unterschied zwischen ihnen gemachet, daß die Aufrührer dem Schmertzen unterwürffig worden, so war dieser vermöge der miltonischen Erdichtung noch nicht sonderlich empfindlich, worfür der Poet einen gar scheinbaren Grund giebt, weil Gott ihre Straffe noch verschoben hatte; Und in der Stärcke hatte die Sünde keine Verringerung gewürcket, wie Milton ebenfalls gantz geschickt annimmt, und solches schon in dem ersten B. von Satan und Beelzebub, sobald sie aus dem Feuer-Meer aufgestanden waren, anmercken läßt, da er ihnen die geschickte Muthmassung in die Gedancken leget, daß ihre Stärcke darum nicht abgenommen habe, damit sie unter ihren Schmertzen ausdauren mögten.

Der Herr Voltaire hat eine andere Ursache angegeben, welche den Sieg auf die Seite der [130] gehorsamen Engel hätte lencken sollen, nemlich den gemessenen Befehl Gottes, der Michael und Gabriel mit den Worten abgefertiget: Jaget sie bis an das äusserste Ende des Himmels und stosset sie von Gott und der Seligkeit aus, in ihre Gerichtesstätte, den Golfo des Tartarus, welcher sein feuriges Chaos schon weit aufspärret, sie im fallen zu empfangen. »Wir kan denn, sagt der Criticus und Poet, nach einem so gemessenen Befehl der Sieg zweifelhaftig und ungewiß seyn, und warum heißt Gott den Michael und Gabriel thun, was er hernach durch seinen Sohn vollbringen läßt?« Ich will die Antwort auf diesen Einwurf dem Herren Rolli überlassen, der in der That denselben in seiner Widerlegung des Herren Voltaire Prüffung der epischen Gedichte gründlich und umständlich gehoben hat; Wovon ich nur etwas weniges hier ausschreiben will. »In Miltons Worten lesen wir, sagt er, nichts anders als Befehle das Heer in den Streit zu führen, den Feind anzugreifen, zu verfolgen, aus dem Himmel zu jagen. Ich kan darinnen nicht finden, daß Gabriel und Michael zum siegen gesendet werden, wohl werden sie zum streiten, aber nicht zum siegen gesendet. Der Schluß des Höchsten ist noch nicht ergangen, daß sie triumphieren sollen.«

Ich füge zu diesem noch hinzu, wenn man je Lust hat, aus des Poeten Worten einen Befehl [131] zum siegen zu lesen, daß ein solcher darum den Sieg nicht als eine nothwendige Folge mit sich führet. Alle Feldherren werden zum siegen in das Feld gesendet, auch diejenigen, die geschlagen werden, sind zum Siege ausgeschicket worden. Wollte man sagen, daß es mit den Befehlen des Allwissenden eine andere Bewandniß habe, so würde mir leicht fallen zu zeigen, daß sie öfters nichts anders als eine Aufmunterung auf sich tragen, die uns unsere Pflichten vorstellig macht, damit wir alle Kräfte zu Erfüllung derselben anspannen.

Um derer willen, welche den Eigensinn und die Dreistigkeit eines Tadlers vor sichern Geschmack und Erleuchtung halten, will ich noch zwoer Unrichtigkeiten gedencken, die Magny in Miltons Schlüssen gefunden, die aber sowohl als die schon angeführten, nur in dem Gehirne des übereilten Kunstrichters Platz haben; Wenn man nicht sagen will, daß der schlimme Wille desselben eben so viel als die Uebereilung daran gearbeitet haben. Die erste findet er, da der Poet den ewigen Vater vor eine Ursache der Erschaffung der Welt anbringen läßt, damit Satan nicht prahlete, er hätte den Himmel entvölckert, in der Einbildung Gott hätte dadurch einigen Abbruch gelitten. Der Herr von Saint-Maur giebt dieses, damit er sich in seinem Hertzen nicht rühmete, daß er Gott Anbeter entführet hätte; Und darauf gründet Magny seine [132] Critick, die er mit folgenden Worten vorträgt: »Milton, sagt er, schleußt hier, wie mich deucht, nicht bündig, es ist wahr, Gott bekömmt durch die Erschaffung neue Anbeter, aber daraus folget nicht, daß sein Feind sich nicht habe rühmen können, daß er ihm Anbeter entführet habe.« Wenn diese Critick auch Milton gelten soll, so muß sie also gesetzt werden: Es ist wahr der Himmel bekömmt durch die Erschaffung neue Völcker, aber daraus folget nicht, daß der böse Feind sich nicht rühmen könne, er habe dem Himmel Völcker weggenommen. Wir können beyde Milton und seinen Uesbersetzer mit einer Antwort vertheidigen. Der Censor sucht den Grund der Prahlerey, die Satan in dem angenommenen Fall hätte ausstossen mögen, in der blossen Entführung oder Entvölckerung, welches die Meinung hier nicht ist, was wäre das für ein Ruhm gewesen, daß er die Engel aus der Seligkeit- in das Verderben geführet, daß er den Himmel leer gelassen, aus welchem er verstossen worden; sondern den Grund seines Rühmens hätte nach unsern Verfassern die Verminderung der Anzahl der himmlischen Einwohner, und der Anbeter Gottes abgeben mögen. In dieser Absicht hätte Satans Prahlerey einigen Schein gehabt, wiewohl es nur eine eitele und elende Prahlerey gewesen wäre, weil die Anzahl der himmlischen Einwohner, und der Anbeter Gottes zu seiner Grösse eigentlich [133] nichts hinzuthut: Damit dennoch auch dieser Schein gehoben würde, wird dem Schöpfer die Ursache der Erschaffung der neuen Welt in den Mund geleget, daß er den Himmel dadurch wider bevölckern, und die Anzahl seiner Anbeter habe ergäntzen wollen.

Die andere Unrichtigkeit, von der ich noch reden will, soll in den Worten stecken, da Satan im neunten B. in der Rede, die er mit sich selbst geführt hat, eh er in die Schlange gefahren war, vor die muthmassliche Ursache der Erschaffung der Welt eben diese Verminderung der Anbeter Gottes angiebt. Vielleicht, sagt Satan, hat er nicht früher auf die Erschaffung gesonnen, als seit ich in einer Nacht, beynahe die Helfte Engel von der Herrschaft befreyet, und dadurch die Anzahl seiner Anbeter vermindert habe. Magny meinet, dieses streite mit dem was Beelzebub im zweyten B. gesagt hat, eine alte Weissagung habe ihnen in dem Himmel geoffenbaret, es sollte eine neue Welt aus dem Nichts entspringen. Auf diese Weise giebt es die französische Uebersetzung, die englische Grundsprache des Gedichtes sagt etwas wenigeres, nemlich: Wofern ein altes prophetisches Gerüchte, das in dem Himmel gegangen ist, nicht ohne Grund sey. Dieses prophetische Gerüchte war also gantz dunckel, und ungewiß, vor eben so ungewiß trägt Satan seine Muthmassung von der Ursache der Erschaffung vor, vielleicht, sagt [134] er. Nun stossen zwo Ungewißheiten einander nicht um, so wenig als eine die andere gewiß machet. Und jetzo vermeine ich nicht Unrecht zu haben, wenn ich dem Herrn Magny eine Lection lese, welche der Hr. La Motte vor dergleichen raschen Tadler in seiner Abhandlung von der Tragödie bey Gelegenheit seiner Innes geschrieben hat: Die Fehler, sagt er, mit welchen man die Scribenten am meisten zu schanden machet, sind die Widersprüche. Man will sie dadurch überweisen, daß sie ihr Werck nicht gantz überschlagen haben; Daß sie weder von ihrem Plan noch von den Charactern, die sie vorstellig machen, nette und aus einander gesetzte Begriffe gehabt haben; Kurtz daß sie sich mehr von der Einbildungs-Kraft haben fortreissen, als von dem Verstande führen lassen. Indessen thut man ihnen Unrecht, wenn diese Fehler nicht häufig vorkommen, so man sie auf eine verächtliche Weise einem Mangel Einsicht zuschreibet; Und wenn nur die Verfasser solche bekennen, wenn man sie ihnen anzeiget, so verdienen sie wohl, daß man sie nur vor Uebersehungen ansehe, welche in einem langen Wercke allemahl zu verzeyhen sind. Aber diese Tadler geben mit ihren Verweisen eine noch unvorsichtigere Leichtsinnigkeit zu erkennen, indem sie oft vor einen Widerspruch ausgeben, was keiner ist. Da sie ein Werck bey weitem nicht so wohl im Kopf haben, als der Verfasser, so begreiffen sie die [135] verschiedenen Stücke und Theile desselben keinesweges mit solcher Gewißheit, als er; Weil es ihnen Noth thut zu tadeln, so haben sie an dem ersten Scheine genug. Wissen sie denn nicht, daß es zwar alle Behutsamkeit und Vorsicht braucht, damit man nicht fehle, aber daß dieses noch im höherm Grade vonnöthen ist, damit man nicht ungeschickt tadle; weil es ein doppelter Fehler ist, so man neben dem Fehler noch eine Ungerechtigkeit begehet?

Der fünfte Abschnitt
Der fünfte Abschnitt.
Von dem Character und den Handlungen
des Todes, der Sünde, der Geister
in dem Chaos.

Joseph Addisons Verwerffung dieser Personen, wenn sie in eine fortgesetzte Handlung verbunden werden, weil es ihnen an Glaubwürdigkeit und Möglichkeit mangle. Die Kunst, die Milton in den kleinsten Dichtungs-Arten erweiset, wo er auf das Zeugniß der Sinne und der Einbildung gebauet, hat Addison in seinem Urtheil hiervon behutsamer machen sollen. Glaubwürdige Meinung, daß in der unsichtbaren Welt der Geister mehrere Arten seyn, als uns bekannt sind. Wie es für den Poeten genug sey, daß solche möglich seyn, wenn sie gleich nicht würcklich sind. Daß die Sünde und der Tod von dem Poeten als Geschöpfe einer Natur, wie die höllischen Geister [136] haben, vorgestellt werden. Glaubwürdigkeit, welche sie von gewissen bekannten, und von den Heil. Scribenten erwähnten Bildern empfangen. Anmerkung, daß Belial und Beelzebub, die Addison im verlohrnen Paradiese vor höllische Personen gelten läßt, Canaanische Götzen, Schatten und gantz unwesentlich gewesen, eh ihnen Tempel gebauet worden. Die Erhebung abgezogener Nahmen auf den Grad würcklicher Wesen kostet der Einbildung nicht mehr Müh, als die Bekleidung der geistlichen und unsichtbaren Engel mit Cörpern. Solche Personen nur kurtz zu erwähnen, oder sie in eine ausgeführte Handlung zu verbinden, lehret den Poeten seine Haupt-Absicht, in wel cher er sie aufführet. Voltaires Einwurf, daß dergleichen Personen unerträglich seyn, wenn sie nicht allegorisch sind. Anmerckung, daß sie nicht weiter allegorisch seyn müssen, als wie Nachahmungen von Charactern und Sitten. Grund der Erdichtung von Satans Zuhalten mit der Sünde. Eiteler Verdacht, daß Satan darum ein Kind zeugend vorgestellet worden weil das Wort Sünde im englischen im männlichen Geschlechte gebraucht werde. Bedeutung des Wortwechsels zwischen Satan und der Sünde, und der Beschlaffung der Sünde durch den Tod. Beyder Tadler, Voltaires und Magny, Einwurff, daß dieses eine unnützliche Abscheulichkeit sey. Untersuchung des Verwundersamen, das Voltaire in seinem Henrich dem vierten durch die Aufführung der Zweytracht, der Politick und anderer allegorischen Personen hat hervorbringen wollen. Wie weit diese an Wahrscheinlichkeit hinter Miltons allegorischen Personen zurücke bleiben. Anmerckung, daß die Entfernung der Zeit und des Ortes ein grosses helfen, einer wunderbaren Geschichte die Glaubwürdigkeit zu erwerben. Vortheil den unserm Milton seine erwehlete Materie in diesem Stücke mittheilet. Daß die Kühnheit, mit welcher Milton [137] das Nichts als Etwas vorgestellet, eben diejenige sey, nach welcher das Mögliche vor würcklich vorgebildet wird, massen das Mögliche selbst noch Nichts ist. Grade von dem Nichts zum Chaos, und von diesem zur Welt. Vorrückung, daß Milton die Erschaffung aus Nichts geleugnet habe. Wie die lebenden Wesen in dem Chaos, wo man die Natur noch nicht im Gesichte hat, wahrscheinlicher sind, als die Erdichtung der Wasser- und Lufft-Geister. Einwurf, daß die Vorstellung des Anarchen in dem Chaos mit der Herrschaft des Höchsten über alle Dinge streite. Die Erfindung des miltonischen Limbo ist eine Verspottung gewis ser Träume des Ariosto. Glaubwürdigkeit, welche diese Erfindung unsers Poeten bey dem gemeinen Mann in der Römischen Kirchen in einem höhern Grade finden muß, als bey Leuten von einer andern Kirchen, derer Einbildung nicht dazu vorbereitet ist.


Ich habe unter denen Personen, die Milton aus der unsichtbaren Welt einführt, und welche ich bißdahin wider die Beschuldigungen des Herren Magny und Voltaire vertheidigt habe, etliche von einer sonderbaren Art ausgelassen, damit ich sie in einem eigenen Abschnitte betrachtete, nachdem diese nicht alleine von besagten Französischen Criticis, die sich mit Fleisse vorgesetzet hatten, in dem Gedichte von dem verlohrnen Paradiß Fehler zu suchen, sondern auch von Addison selbst verworffen worden, welcher zu seinem Zwecke genommen hatte, alle Schönheiten in demselben der unempfindlichen Achtlosigkeit mit dem Finger zu weisen. Ich meine die [138] Personen des Todes, der Sünde, desgleichen des, Chaos, der Nacht, und der Zweytracht. Dieser Engelländische Kunstrichter heisset sie Schatten-Personen von einer unwesentlichen und gäntzlich erdichteten Natur, und wiewohl er zugiebt, daß der Poet durch dieses Mittel eine sehr schöne und wohlerfundene Allegorie in sein Werck hineingebracht habe, dadurch er sie einiger Massen entschuldigen will, so kan er doch nicht finden, daß Personen eines so chimärischen Wesens in einem epischen Gedichte ohne Uebelstand erscheinen können, weil es ihnen an der gehörigen Wahrscheinlichkeit fehle. Sonst gesteht er auch, wenn dergleichen Schatten-Personen in einem heroischen Wercke dörfen aufgeführet werden, daß niemahls einige feiner ersonnen oder zu anständigern Geschäften nach ihrer Art gebraucht worden, als die von Milton eingeführten. Wir wollens uns nicht verdriessen lassen, den gantzen Beweiß, worauf dieser so bescheidene als geschickte Kunstrichter seine Meinung gegründet, in seinem Zusammenhange hier auszusetzen: »Homer und Virgil, sagt er, sind voller Schatten-Personen, und diese stehn in der Poesie sehr schön, falls sie nur einen Augenblick gezeiget, und in keine fortgesetzte Handlung verbunden werden. Homer stellet zwar den Schlaf als eine Person vor, und schreibet ihm eine kurtze Handlung zu, aber wir müssen uns erinnern, daß die [139] Heiden dieser Person, die wir heut zu Tag als einen Schatten und als gantz unwesentlich ansehen, Bildsäulen macheten, sie in ihre Tempel setzeten, und als eine wesentliche Gottheit ansahen. Wann Homerus andere dergleichen allegorische Personen aufführet, so geschichts alleine in einem kurtzen Ausdrucke, welcher dann einen gewöhnlichen Gedancken auf das angenehmste vorträgt; es ist vielmehr eine poetische Redens-Art, als eine allegorische Beschreibung. An statt zu sagen, die Menschen fliehen von Natur, wenn sie erschrocken sind, führt er die Personen der Furcht, und der Flucht auf, und meldet von ihnen daß sie unzertrennliche Gefehrten seyn; statt zu sagen, die Zeit wäre vorhanden, da Apollo seinen Lohn empfangen sollte, sagt er, die Stunden haben ihm seinen Lohn gebracht. An statt die Thaten zu beschreiben, welche Minerva mit ihrem Schilde bewaffnet im Streit verrichtete, sagt er, das Schild sey an seinem Umkreise von dem Schrecken, der Zertrennung, der Zwietracht, der Wuth, dem Nachjagen, dem Mord, und dem Tod, rund umsetzet gewesen. Milton hat dieselbe Manier zu gedencken sehr ofte gebraucht; Zum Exempel, wo er sagt, der Sieg sey zur rechten Hand des Messias gesessen etc. Es ist klar daß diese Figuren kurtze Allegorien sind, welche nicht im buchstäblichen Verstande müssen genommen [140] werden, sondern allein dienen sollen, dem Leser absonderliche Umstände, auf eine ungewohnte und ergetzliche Art vorzustellen. Aber wenn solche Schatten-Personen als vornehme Agenten aufgeführt, und in eine fortgesetzte Handlung verbunden werden, so nehmen sie zu viel auf sich, und schicken sich keinesweges vor ein heroisches Gedicht. Ein solches muß in seinen vornehmsten Stücken glaubwürdig scheinen. Ich muß derowegen schliessen, daß der Tod und die Sünde in einem epischen Gedichte eben so ungereimte Agenten seyn, als die Stärcke und die Nothwendigkeit in einer Tragödie des Eschylus, wo diese zwo Personen vorgestellet werden, wie sie den Prometheus an einen Felsen anfesseln. So viel mir bekannt ist, ist keine Schatten-Person auf eine so erhabene Art eingeführt worden, als folgende bey dem Propheten. Er stellet Gott vor, wie er vom Himmel heruntersteiget, und die Sünden des menschlichen Geschlechts besuchet; Und setzet hernach diesen erschrecklichen Umstand hinzu: Vor ihm her gieng die Pestilentz. Man hätte ohne Zweiffel diese Schatten-Person mit allen ihren Purpur-Flecken beschreiben können. Das Fieber hätte vor ihr, her ziehen können, der Schmertzen hätte ihr zur rechten Hand, die Sinnen-Verrückung zur lincken, und der Tod im Nachtrabe stehen [141] können. Allein ein jeder Leser wird mir Beyfall geben, daß die kurtze Erwähnung derselben, wie sie in der H. Schrift geschicht, in einem heroischen Gedichte anständiger und auch erhabener ist, als alles dasjenige, was der geistreicheste Poet bey dieser Gelegenheit aus dem grossen Behältniß seiner Einbildungs-Kraft hätte hervorbringen können.« Und an einem andern Orte sagt eben derselbe: »Wenn wir die Erdichtung der miltonischen Fabel ansehen, so ist sie zwar mit erstaunlichen Begebenheiten angefüllet, welche daneben den Begriffen, die wir von den Dingen und Personen haben, gemäß sind, und den gebührenden Grad der Wahrscheinlichkeit haben; Ich muß alleine den Limbo der Eitelkeit, und die Zwi schen-Fabel von der Sünde, und dem Tode, samt etlichen erdichteten Personen, so in dem Chaos vorkommen, ausnehmen. Diese Stellen sind erstaunlich, aber nicht glaublich, der Leser kan sich so weit nicht zwingen, daß er einige Möglichkeit darinn sehe, sie beschreiben Träume und Schatten, nicht Dinge und Personen. Ich weiß wohl, daß viele Critici die Begegnissen der Circe, des Polyphemus, der Syrenen, ja die gantze Odyssea und Ilias vor Allegorien ansehen, aber neben dem sind es Fabeln, welche nach den Meinungen, die in dem Welt-Alter des Poeten insgemein angenommen waren, nach dem Buchstaben [142] möglich waren. Dieselben Personen konten dasjenige, was ihnen zugeschrieben wird, wohl verrichtet haben, und die Umstände, in welchen sie vorgestellet werden, hätten Wahrheiten und würckliche Sachen seyn können.«

Die Wahrscheinlichkeit ist ohne Fehl in der Poesie eben so nothwendig, als die Wahrheit in der Historie, und wie der Historicus, wenn er dieser verfehlet, zum Lügner wird, so wird der Dichter, der seinen ungemeinen Erfindungen den Schein des wahren mitzutheilen versäumet, stat verwundersam abentheurlich. Und diese Regel gilt nicht nur in den grössern Theilen der Erfindung, sondern selbst in den kleinsten Stücken, und den absonderlichsten Redens-Arten; Aber es ist auch an der Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit genug. Also schützen sich die metaphorischen Ausdrücke, Furcht und Flucht, sind zween unzertrennliche Gefehrten; die Stunden brachten Apollo seinen Lohn; der Sieg saß ihm zur rechten Hand, und dergleichen mit dem Zeugniß der menschlichen Sinnen und Einbildung, welchen es also vorkommt, daß die Leidenschaften, die Mittel und Werckzeuge, die Zufälle und s.f. dasjenige gethan haben, was entferntere Ursachen gehabt hat. Gleichwie Milton in diesen kleinesten Dichtungs-Arten nach der Beschaffenheit des Ortes, wo er sie setzet, und seiner Absicht gemäß, die Kunst seiner Poesie erwiesen hat, also [143] thut ers eben so geschickt in den grössern Theilen, wo er das wahrscheinliche biß zum wunderbaren erhoben hat. Und ich muß mich nothwendig verwundern, daß Addison, der von seiner vortrefflichen Geschicklichkeit in dem gantzen Gedichte so viele überzeugenden Proben gesehen, in derer innerliche Kunst er eine mehr als gewöhnliche Einsicht gehabt hat, so eilfertig gewesen, den Poeten der Unwahrscheinlichkeit schuldig zu geben, und nicht ein grösseres Mißtrauen in seinen Ausspruch gesetzet, der dißmahl mit dem vortheilhaftigen Urtheil, welches er anderemahl von Miltons Klugheit gefället, so übel übereinstimmete. Ich zweifele nicht, daß er nicht in einem solchen Gemüthes-Stande alle erforderliche Wahrscheinlichkeit in den getadelten Stellen gefunden hätte. Eine nähere Betrachtung des Wesens derer Personen, die er unwesentliche Schatten-Personen, Träume und Hirn-Gespinste betitelt, wird uns am besten zeigen, was wir davon gedencken sollen. Mehr als die Helfte von den Handlungen in dem verlohrnen Paradiese ligt in der unsichtbaren Welt der Geister, von der wir wissen, daß sie eine würckliche und festgesetzte Wahrheit hat, die von Widerspruch und Unmöglichkeit gantz frey ist. Gott, der Grund und die Quelle aller Möglichkeit ist in derselben begriffen, und die übrigen Wesen darinnen sind in der alles-vermögenden Kraft seiner Schöpfung gegründet. Unter diesen [144] haben wir eine mehrere Wissenschaft von den guten und bösen Engeln, von deren Schicksal und Geschichten uns die Heiligen Scribenten, die mit ihnen einen vertraulichen Umgang gepflogen, viel sonderbare Umstände aufgezeichnet haben, doch ohne Vorgebung, daß sie uns davon eine vollständige Geschichte mitgetheilet haben, welches sie für unsern Nutzen nicht nur überflüssig und unnöthig, sondern villeicht nachtheilig erachtet haben, wie dann das wenige, das sie uns darüber berichten, ihnen ohne einen besondern Vorsatz scheinet aus der Feder gefallen zu seyn. Wer muß indessen nicht glauben, daß in der unsichtbaren Welt der Geister nicht mehrere Arten seyn, als die kleine Zahl, derer sie Erwähnung thun? Die unbeschreibliche Anzahl so verschiedener Arten Geschöpfe, so unter der Staffel des menschlichen Geschlechtes stehn, wovon uns doch nur die wenigste Zahl bekannt ist, giebt uns zu vermuthen, daß über derselben keine kleinere Menge würcklich vorhanden sey. Wenn man ihre Würcklichkeit leugnen will, so stehet wenigst ihrer Möglichkeit nichts im Wege. Nun hat uns Milton durch die Kraft seiner Phantasie einige dergleichen bekannt gemachet, als in der unsichtbaren Welt seyn können. Daß sie zwar würcklich darinnen seyn, will er uns nicht aufbinden zu glauben, es war ihm gleichgültig, ob wir sie vor würckliche oder nur mögliche Wesen ansähen, weil auch die würcklichen[145] Wesen, die er aufführet, die Engel und Teufel, als unsichtbare Wesen, vor die Einbildung nicht mehrere Möglichkeit haben. Lasset uns auf einen Augenblick annehmen, daß Milton mit dem gehörigen Ansehen bekleidet war, welches da seyn muß, wenn man die Würcklichkeit solcher Naturen aus einer unsichtbaren Sphär beglaubigen soll, welcher Vernünftige würde in selbigen etwas Ungereimtes und Widersprechendes auszusetzen haben? Mit dergleichen Ansehen hat den Homer der Aberglauben seiner Zeiten ausgerüstet, viele Tugenden und Zufälligkeiten, die er als Personen aufgeführet, sind nachgehends für würckliche Wesen gehalten worden, und haben Altare und Bild-Säulen erhalten: welches nach der Hand seinem Gedichte trefflich zu statten gekommen, die Handlungen, die er von ihnen erzehlet, glaubwürdig zu machen. Lasset uns weiter setzen, daß Miltons Leser Irokesen und Huronen sind, die von denen Heiligen Scribenten, so uns von der Würcklichkeit der Engel und Teufel Nachricht gegeben, nichts gehöret haben; Werden solche nicht eben so viel Wahrheit in den möglichen Wesen, der Sünde und dem Tode, finden, als in den würcklichen Wesen, Raphael, Gabriel, Satan? Man sehe diese Personen, die Addison vor leere Schatten erkläret, in ihrer Natur, in ihrem Character, in ihren Geschichten und derselben Zusammenhang an, so wird man lauter Begriffe darinnen [146] finden, die in andern Dingen, so uns bekannt sind, gegründet sind, die aus einander hervorfliessen, und weder Widerspruch noch Ungereimtheit in sich enthalten, so uns zwingen könte, ihre Möglichkeit in Zweifel zu ziehen. Ihrer Natur nach sind es einerley Geschöpfe mit den höllischen Geistern, denn die Sünde ist Satans Tochter, und der Tod ist dieser beyden häßlicher Sohn, da es uns nicht schwerer ankömmt, uns diese Geburt einzubilden, als die Cörper, mit welchen sie angethan werden. Sie werden mit den gefallenen Engeln in eine unsichtbare höllische Welt einquartiert. Die Leiber die ihnen mitgetheilet werden, sind ihnen von dem Poeten angezogen worden, und sonst von Natur fremd, wie den übrigen Geistern auch. Vermöge ihres Characters ist die Sünde Satans Gehülfin und Mitarbeiterin, der Tod ihr unzertrennlicher Gefehrte, ein Büttel und Henckers-Knecht des obersten Richters. Die Rolle, die ihnen aufgeleget wird, da die Sünde die Pforte der Höllen eröffnet, die sie nicht vermag wieder zuzuschliessen, und hernach, als Satan vorher über den Abgrund gegangen war, seinem Fuß-Schlage nach mit dem Tod eine Brücke über denselben pflasterte; hat für solche Geister, die mit einer solchen Macht begabet waren, nichts unwahrscheinliches. Ich sehe also nicht, was diesen Wesen mehrers mangle, als das Ansehen eines Geschichtschreibers, der ihre Würcklichkeit [147] bey den Lesern zu beglaubigen wisse. Damit der Poet ihnen zu destomehr Glaubwürdigkeit behülflich wäre, hat er sich mit gutem Bedacht gewisser Bilder bedienet, unter welchen die Sünde, diese lastervolle Verletzung der Pflichten gegen Gott, und der Tod, diese Zertrennung der beyden Theile des Menschen, von den Heiligen Scribenten vorgestellet wird; Dadurch dieselben in etlichen Stücken schon zu etwas würcklichem gemachet werden, zum Exempel, wenn es in dem Briefe Jacobs Cap. 1. v. 15. heißt: Wenn die Begierde empfangen hat, so gebiert sie die Sünde, und wenn die Sünde voll ist, so bringet sie den Tod; und in dem ersten Schreiben Pauls an die Corinther C. 15. v. 55. O Hölle, wo ist dein Sieg o Tod, wo ist dein Stachel! Und wenn Apocal. Cap. 6. v. 2. von dem Tod gesaget wird: Ich sah einsmahls ein falbes Pferd, und der so darauf saß, hatte einen Bogen, und man gab ihm eine Crone, und er ritt weiter, seinen Sieg fortzusetzen. In diesen Stellen werden diese Sachen schon zu allegorischen Personen erhoben, also daß sie nur noch einen Schritt zu dem Rang würcklicher Personen zu thun haben, in welchen unser Poet sie weiter gesetzet hat. Ihr werdet da in ihr Stamm-Hauß geführet, ihre Waffen und Rüstungen werden euch gezeiget. Wie diese in dem Character der Sünde und des Todes gegründet sind, so hat der Poet sie sich zu der Abschilderung seiner beyden [148] Personen, die eben diesen Character haben, wohl zu Nutze gemachet, daher sie dem Leser nicht allerdings fremd und unbekannt sind. Vielleicht haben die abgezogenen Nahmen, die Sünde, der Tod, den Herren Addison verleitet, sie für leeren Schatten und Hirngespinst anzusehen, hätte der Poet an deren statt Nahmen von Personen gebraucht, so dörffte es dem Kunstrichter leichter gefallen seyn, sie in eine Classe mit denen bösen Einwohnern der Hölle zu setzen, und ihnen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Würcklichkeit, so wohl einzuräumen, als dem Belial, oder Beelzebub, höllischen Personen, die wir sonst vor canaanische Götzen gehalten haben, und welche nichts anders als Schatten und gantz unwesentlich waren, eh sie von ihren blinden Verehrern auf Altare gesetzt und ihnen Tempel gebauet worden. In der Religion Mahomeths hat der Engel des Todes unter dem Nahmen Ezrail einen Platz bekommen, der den Character und das Amt des Todes führet, und von allen Anhängern dieser falschen Secte nicht nur vor ein mögliches, sondern vor ein würckliches Wesen gehalten wird, ohne daß sie, und auch wir nicht, eine Unmöglichkeit darinnen erblicken. Da nun unser Poet seinen Tod auf eine gleiche Weise, wiewohl unter dem Nahmen der abgezogenen Sache eingeführet, welche Einbildung wird ihn vor einen blossen Schatten und eine Chimäre nehmen?

[149] Da es dem Engelländischen Kunstrichter so schwer fällt, dem Poeten die Erhöhung solcher Schatten-Dinge, die kein eigenes Wesen hatten, sondern nur Eigenschaften und Zufälligkeiten von würcklichen Dingen waren, in Personen, zuzugeben, nimmt mich billig wunder, warum er ihm so leichter Weise vergönnet, die göttlichen und unsichtbaren Engel mit Cörpern zu versehen, welche ihrer Natur gantz fremd sind, dadurch sie aus ihrem wahren und würcklichen Stand heraus und etliche Grade niederer gesetzet werden. Mich düncket, da seine Einbildung sich dieses hat vorstellen können, sollte es ihr eben so wenige Mühe gekostet haben, die Erhebung blosser Schatten-Dinge, und abgezogener Nahmen, auf den Grad würcklicher Wesen, zu begreiffen, sintemahl dieses eine Art Erschaffung ist, und es des Poeten eigenes Ammt ist, hervorzubringen, und die Würcklichkeit zuzutheilen. Dieser Criticus läßt die Fabeln von der Circe, dem Polyphemus, den Syrenen, gelten, weil sie nach dem Wahn des homerischen Welt-Alters dem Buchstaben nach möglich gewesen seyn, weil diese Personen ihre Rollen konten verrichtet haben, und ihre Begegnisse Wahrheiten und würckliche Sachen haben seyn können. Warum findet er diese Möglichkeit nicht eben so wohl bey den Personen und Handlungen der Sünde und des Todes? Ist es nicht dem Buchstaben nach möglich, daß dergleichen geistliche, böse, mit so [150] grosser Stärcke versehene Wesen würcklich seyn, und solche Handlungen ausüben? Ich will nicht glauben, daß Addison die cörperlichen Vorstellungen dieser geistl. und unsichtbaren Wesen vor dasjenige ansehe, das dem Buchstaben nach nicht würcklich seyn könne. Das wäre ein Einwurf, der nicht auf diese Rolle der Sünde und des Todes alleine, sondern auf die gantze Geschichte der Engel und der Teufel gleich fallen würde; Welchen wir schon aufgelöset haben, und den Addison selbst nirgends gemachet hat. Ich will hier nur erinnern, daß man hier nichts weiter als die poetische Wahrheit zu suchen hat; Diese Sachen müssen nur den Sinnen und der Einbildung wahr scheinen, ob sie es gleich nach dem Urtheil des reinen Verstandes nicht sind. Nachdem Addison einmahl die Vercörperung der geistlichen Wesen verdauet hat, so kan es ihm nicht mehr schwer fallen, die übrigen Umstände durchzulassen. Auf dise Weise, so bald wir die Sünde und den Tod nicht mehr für Schatten, sondern für wesentliche Dinge ansehen, werden wir so wohl heimweisen können, daß sie in eine fortgesetzte Handlung verbunden werden, als wir billigen, daß der Satan oder andere Wesen von dieser Art dergleichen auf sich nehmen, und daß bey Homer der Schlaf, als eine geglaubte wesentliche Gottheit der Heiden eine kurtze Handlung verrichtet, oder daß von Eschylus die Stärcke, und die Nothwendigkeit, ebenfals heidnische [151] Gottheiten, auf die Schaubühne treten, und den Prometheus an einen Felsen anfesseln. Dieses will nicht sagen daß nicht die kurtze Erwähnung solcher zu Personen erhöheten abgezogenen Nahmen und Zufälligkeiten nicht öfters anständiger sey, als sie in ausgeführten Umständen vorzustellen, oder ihnen eine gantze Handlung aufzulegen. Der Hauptzweck und die Absicht des Poeten leiden nicht an jedem Orte eine solche Erweiterung, welche ohne Verstand vorgenommen nur abführet und zerstreuet. Die Erscheinung einer solchen Person muß vor allen Dingen wohl gegründet, es muß eine Haupthandlung der ersten Hand seyn, wenn sie in so vielen Umständen vorgestellt werden soll. Milton hatte den Satan in eine Reise verpflichtet, deren blossen Vorschlag die Häupter des höllischen Staates mit stummer Erwegung der Gefahr und ihres Unvermögens angehört hatten. Er mußte Gefährlichkeiten erfinden, welche die verzweifelte Vermessenheit Satans, dergleichen Reise zu unternehmen, zu erkennen gäben. Dazu war es ihm nicht genug, leblose Sachen zu gebrauchen, es mußten überdieß geistliche Kräfte und Personen seyn, die Gefahr, die ihm von jenen zufallen mochte, zu vermehren und auf einen Grad zu setzen, daß sie des Hauptes der aufrührischen Legionen würdig wäre. Engel des Himmels schicketen sich da nicht, weil Satan ingeheim bey dem Paradieß ankommen sollte; und die höllischen [152] Engel waren dessen bekannte Freunde; Darum erfand Milton die beyden neuen Personen der Sünde und des Todes, die ihren Ursprung erst seit Satans Aufstand bekommen hatten, und ihm an Macht und Natur gleich kamen. Ueberdieß setzete er auch gewisse Kräfte und Geister in den öden Abgrund, von welchen ich in dem letzten Theile diser Abhandlung reden will, weil sie dem Herren Addison eben so wenig gefallen, als jene.

Zuvor muß ich, die Vertheidigung der Personen der Sünde und des Todes vollkommen zu machen, noch des Hrn. Voltaire Censur derselben untersuchen. Denn ob dieser Criticus gleich zuzugeben scheinet, daß die Erdichtung von der Sünde und dem Tod vortreffliche Schönheiten in sich habe, so kehret er dieses doch gleich wieder um, wenn er hinzusetzet, und gro sse Fehler zugleich. Er findet diese in dem Satz, daß »solches keine Personen, sondern nur Schatten und Hirngespinste seyn,« welchen er dem Herren Addison abgeborget hat, und er thut von dergleichen den Ausspruch, »daß sie unerträglich seyn, wenn sie nicht allegorisch sind, denn die Erdichtung sey nichts anders als die verkleidete Wahrheit.« Ich habe oben gezeiget, daß diese Personen, die man vor Schatten ausgiebt, in dem Systema unsers Poeten vor mögliche und würckliche Wesen eingeführet werden, daß ins besondere die Sünde und der [153] Tod von einerley Geschlecht und Natur sind, wie Satan und seine Anhänger, sintemahl die Sünde vor Satans Tochter, und der Tod vor ihr beyder Sohn ausgegeben wird; Woraus erhellet, daß sie nicht weiter allegorisch seyn müssen, als derselbige und andere Personen des Gedichtes, nemlich nur in soferne sie Nachahmungen von Charactern Sitten und Handlungen sind, die ihre gewissen Urbilder haben, welche sie in dem buchstäblichen Verstande ausdrücken und vorstellig machen; sie sind als solche in der That lehrreich, und lifern uns in Exempel verkleidete Wahrheiten, die in den Charactern und Handlungen der Personen enthalten sind. Ich weiß nicht ob der Herr Voltaire etwas mehrers von ihnen fodert, wenn sie ihm nicht unerträglich heissen sollen. Alleine was vor verborgene Wahrheiten wollte er mehr bey ihnen suchen, wenn er sie auch für keine würckliche Personen, sondern nur für ein Hirngespünste ansehen will? Er wird sie doch allezeit vor allegorische Personen erkennen müssen, derer innerlicher Grund, und das Wahre, das ihnen gebühret, auf der Ausdrükung der Eigenschaft und Beschaffenheit einer Sache und Characters beruhet, also daß sie uns auf die Art und Natur der Sache, so sie vorstellig machen, zurück führen. Nun werden wir auch dieses Wahre in den Sitten und Handlungen der Sünde und des Todes leicht ausfinden, weil in der Nachahmung und Ausdrückung [154] eines und desselben Characters, den die Sünde und der Tod, so ferne sie Eigenschaften und Zufälligkeiten der Menschen sind, mit denen von Milton unter diesen Nahmen aufgeführten Personen gemein haben, nicht anderst geschehen konnte, als daß beyder Sitten und Thaten mit einander überein stimmen müssen. Dieser französische Poet und Criticus hat selbst die Natur der Sünde und des Todes in Miltons Vorstellungen derer beyden geistlichen Personen, die bey ihm unter diesem Nahmen vorkommen, auszufinden gewußt, und ich kan ihm noch etliche Schwierigkeiten, die er sich darinnen gemacht hat, erleichtern. Die erstere: da Milton dichtet, Satan habe mit der Sünde zugehalten, vermeinet der Herr Voltaire, daß diese Erdichtung auf ein Wortspiel gebauet sey. Sie ist vielmehr auf eine gewöhnliche Redens-Art der Heiligen Scribenten gegründet, welche die Vertiefungen der Menschen in Sünden und sündlichen Lüsten eine Hurerey und Ehbruch heissen, ohne Zweifel wegen ihrer verbothenen Gemeinschaft mit einander. Was das Wortspiel anbelanget, da Voltaire davorhält, Satan wäre nicht ein Kind zeugend vorgestellet worden, und diese Erdichtung würde zuruckgeblieben seyn, wenn das Wort Sünde im englischen masculini generis gewesen wäre, so ist das ein eiteler Verdacht, denn es fehlet dieser Sprache eben so wenig als einer andern an einem Wort, welches sich solchenfalls [155] statt desselbigen geschicket hätte. Eine andere Schwierigkeit machet sich dieser Kunstrichter mit folgenden Worten: »Aber was bedeutet Satan und der Tod, die sich mit einander zancken, und abscheuliche Gesichter machen, als solche die gleich auf einander loßgehen wollen?« Dieses kan bedeuten, daß der Tod auf die Unsterblichen selbst ein gewisses Recht hat, und ihnen drohet, so bald sie in die Sünde gefallen sind, weil die Unsterblichkeit eine Gabe des Schöpfers, und keine wesentliche Eigenschaft derselben ist; Also daß die Stärcke und der Muth der zuvor unsterblichen Geister ihnen wider den Stachel des Todes nicht helfen mag. Wem dieses nicht genug ist, dem will ich noch die Meinung des Heil. Augustins hiervon zur Ueberlegung heimgeben, welche geschickte Männer allerdings gründlich gefunden haben. Non omnia, sagt er,quæ in figuris finguntur, significare aliquid putanda sunt, multa enim propter illa, quæ significant, ordinis & connexionis gratia adjuncta sunt; solo vomere terra proscinditur, sed ut hoc fieri possit, cetera quoque huic aratri membra junguntur. Eben dieser Criticus findet noch eine Schwierigkeit darinnen, daß die Beschlaffung der Sünde durch den Tod keine Bedeutung habe, und eine fruchtlose Abscheulichkeit sey. Meines Bedünckens kan dieses bedeuten, daß diejenigen, die zu guten Wercken, die das wahre Leben ausmachen, todt sind, der Sünde [156] mit einer entsetzlichen Lust nachlaufen, sich mit ihr belustigen und vertiefen, worauf aber Gewissens-nagen und beissen, die häßliche Frucht solcher häßlichen Gemeinschaft, entstehet. Gegen diese Vorstellung macht der Herr Voltaire noch einen Einwurff, den ich in einem fort beantworten will, wiewohl er von einer andern Natur ist. »Diese Erdichtung, sagt er, leget allzu abscheuliche und garstige Sachen vor Augen, sie wird wegen ihrer Häßlichkeit allezeit anstössig seyn. Diese vielfältigen Abscheulichkeiten, diese Menge von Blutschand, dieser Schwarm Ungeheuer, diese garstigen und verfluchten Gegenstände müssen einem zärtlichen Leser nothwendig Eckel verursachen.« Das ist ein Gemählde, wiederholet der Herr Magny diesen Einwurff, über welches man einen nassen Schwamm führen und den Umhang ziehen muß. Ich muß bekennen, ich wollte nicht gerne, daß dieser Einwurff zurückgeblieben wäre, ich finde in demselben das stärckeste Lob dieser miltonischen Vorstellung. Er giebt zu erkennen, daß der Poet bey diesen raschen Tadlern den Eindruck gemachet habe, den er vorgehabt hatte zu machen; daß er die häßliche und leide Gestalt der Sünde und des Todes, der auf die Sünde wartet, ihnen zum Abscheu vor Augen geleget habe. Was könte in der That garstigers seyn, als die Sünde, wenn sie mit leiblichen Augen gesehen würde, was ist eckelhafter, als [157] der Tod? Ich will nicht fürchten, daß ihnen darum verdrüßlich falle, diese Sachen in ihrer vollen Häßlichkeit zu sehen, weil sie einigen heimlichen Widerwillen bey sich verspüren, sie so häßlich zu sehen, und sie lieber in einer angenehmern Gestalt sehen mögten, welche sie nicht so hassenswürdig vorstellete. Denn das ist eben die Ursache, um derer willen ich dem Poeten vergönnet halte, solche geschickte u. ähnliche Gemählde von garstigen Sachen vorzustellen, weil sie einen heilsamen Abscheu gegen das Laster und die Uebelthäter erwecken. Ich will darum dem Herren Voltaire nicht aufrücken, daß er in seinem Oedipus, zwar mit schwächern Farben, als sein griechischer Vorgänger, ein Gemenge von Blutschand und Scheusal vorgestellet, noch daß er in dem zehnten Gesange von seinem Henrich dem vierten, eine verhungerte Mutter in dem greulichsten Licht abgeschildert hat, wie sie nemlich ihren eigenen Sohn erwürget und auf frißt; wiewohl ich seinen eckeln Geschmack, den er gegen Miltons Vorstellungen bezeiget, in seinen eigenen vergebens suche.

Die Dreistigkeit, mit welcher der Herr Voltaire Miltons allegorische Personen verworffen hat, veranlasset mich übrigens die Personen von dieser Art, die er in demselben Gedicht von Henrich dem vierten eingeführet hat, aus bessern Gründen zu tadeln. Man wird in der Untersuchung bald finden, daß sie um etliche Grade Wahrscheinlichkeit [158] hinter Miltons sogenannten Schatten-Personen zurücke bleiben. Dieser französische Poet hat das Wunderbare durch die Einführung der Zweytracht, der Politick, und andrer solcher erdichteten Personen hervorbringen wollen. Da saget uns aber unser Glaube von keinen solchen Wesen, noch einigen, die mit ihnen verwandt wären. Wir können sie in keine Classe derer Wesen setzen, die uns über der menschlichen Sphär bekannt sind, es sind keine Engel, keine Teufel, keine Seelen gestorbner Menschen, noch solche die der Aberglaube auf die Beine gestellet hat, nicht Schwartzkünstler, nicht weise Frauen, nicht Nymphen, Aelfen, oder dergleichen. Also wissen wir nicht, was sie mit dem menschlichen Geschlechte für eine Gemeinschaft haben, warum sie Antheil an seinem Schicksal nehmen, ihm Freundschafts-Stücke beweisen, oder Hindernisse in den Weg legen, eben so wenig können wir sehen, was vor eine Macht sie hierzu haben, und von wem ihnen solche gegeben worden. Was sie noch unglaublicher machet, ist daß unsere Sinnen die Geschichte derer Personen, mit welchen sie in Gesellschaft eingeführet werden, allzu nahe vor sich haben, als daß sie ihrem eigenen Zeugniß zuwider sie vor wesentlich und würcklich annehmen könten; Wir treffen auf unserm Wege keine solche Personen an, haben keinen Umgang oder Unterredung mit dergleichen, und sind mit ihnen in keine Handlung verbunden. [159] Dieses machet nun, daß alles dieses Verwundersame desto schwächere Würckung auf das Gemüthe thut. Wir werden nicht sonderlich gerühret, wenn die Zweytracht eine Reise nach Rom thut, sich daselbst mit der Politick in Unterredung zu begeben, und nachdem sie solche in ihr Interesse gezogen, mit ihr zu Paris eine Meuterey anrichtet; wenn sie Jacob Clemens antreibet, von Paris auszugehen, den König zu ermorden; wenn sie den bösen Geist des Fanaticismi aus der Höllen hervorruffet, den Mörder zu vergesellschaften; wenn der Poet der Liebe einen Tempel bauet, zu welchem er die Zweytracht führet, derselben Macht anzuruffen; wenn endlich diese Personen mit den Helden des Gedichtes in sichtbarer Gestalt Umgang haben:


La Discorde saisit seize seditieux

Signalez par le Crime entre les factieux.

Ministres insolens de leur Reine nouvelle

Sur son Char tout sanglant ils montent avec elle


*

Mayenne en fremissant le void à ses cotès.


*

Elle entraine d'Aumale aux portes des Paris.


Die Geschichte, die der Poet besinget, hat sich in unserm Welt-Alter zugetragen, unsre Väter und Großväter sind dabey gegenwärtig gewesen, nun sind wir nicht gewohnet, die Gesellschaft, oder Freundschaft dergleichen Personen zu haben, oder ihre Feindschaft zu besorgen. Und die [160] Kunst des Poeten ist zu unvermögend, sie so glaubwürdig vorzustellen, daß uns nicht unsere Einbildung selbst von Zeit zu Zeit davor warne. Sie verrathen sich allzu oft für das was sie sind, nemlich Schatten und Hirngeburten. Der Herr Voltaire giebt sich zwar alle Mühe, in der Vorrede einzuschärffen, daß es allegorische Personen seyn, aber eben dieses thut seinem Gedichte Schaden, denn wiewohl diese allegorischen Personen durch ihren Character, der in richtigen und geschickten Allegorien gegründet ist, einige Glaubwürdigkeit erlangen, so wird diese doch von ihrem Umgang mit solchen würcklichen Wesen, wie wir sind, sehr vermindert, insonderheit da sie noch in unsre Zeiten gesetzet und uns gleichsam vor das Gesicht gestellet werden. Alles was man zu ihrer Entschuldigung sagen kan, ist dieses, daß sie durch die Zeit und den Gebrauch der Phantasie bekannt worden sind, seitdem sie erstlich von den heidnischen Poeten zu selbst-bestehenden Personen und Gottheiten erhöhet worden, und von ihnen Libereyen und Wapen erhalten haben, denn ob sie gleich seither wieder in ihren nichtigen Stand gesetzet worden, so ist doch noch etwas von dem ersten Wahn in der Phantasie kleben geblieben, welches sie bey derselben einiger Massen beglaubet, und zu etwas machet. Dieses Exempel des Herren Voltairen führet mich auf eine allgemeine Anmerckung, welche dienet den mehrern Grad, den die angetasteten [161] Personen des Engelländischen Poeten an glaubwürdigem Ansehen haben, deutlich zu erkennen zu geben; nemlich, daß die Entfernung der Zeit oder des Ortes nicht wenig hilft, einer verwundersamen Geschichte die Glaubwürdigkeit zu erwerben, eben darum weil das eigene Zeugniß der Sinnen, die so weit nicht reichen, solchen entfernten Sachen nicht widerspricht, noch im Wege stehet. Daher findet ein Herodotus, der von uns durch so viele Jahrhundert entfernet ist, und ein Seefahrer, der uns von so viel hundert Meilen Zeitungen bringt, desto leichter Glauben bey uns, ungeachtet ihre Erzehlungen mit denen Sachen, die gegenwärtig um uns her liegen, nichts gemeines haben; und darum hütet sich ein heroischer Poet, das Thema seines Gedichtes aus seinen Zeiten und von lebenden oder vor kurtzer Zeit verstorbenen Personen, und solchen Sachen zu nehmen, die in den Sinnen noch frisch und neu sind. Diese haben allezeit ein stärkeres Zutrauen zu sich selbst und zu ihrem eigenen Zeugniß, als zu den Betheurungen der angesehnsten Männer, und es gehet ihnen allzu schwer ein, eine würckliche Geschichte, wovon sie Zeugen sind, gegen eine bloß mögliche zu vertauschen. Darum thut in einem Gedichte, wo die Materie aus unsern Zeiten geholet ist, das Verwundersame, das in dem bloß möglichen gegründet ist, eine geringe und öfters widerwärtige Würckung. Homerus hat zwar eine Geschichte [162] zur Materie seines Gedichtes genommen, die nicht mehr, als das Alter eines Menschen, vor ihm geschehen war, alleine das aberglaubige Religions-Systema seiner Zeit, gab ihm genugsame Mittel an die Hand, seine verwundersamen Erdichtungen glaubwürdig zu machen, indem es ihn so reichlich mit Göttern versah, welche nach dem elenden Wahn derselben abgötterischen Welt mit genugsamer Kraft erfüllet waren, solche wunderbare Dinge ins Werck zu setzen. Milton hat in diesem Stücke seiner Materie einen Vortheil zu dancken, welchen keine menschliche Materie, das ist, eine solche, da man in der menschlichen Sphär bleibet, einem andern in so hohem Grade mittheilen kan. Sie stehet so weit über dem Erdkreise, in welchen die menschlichen Verrichtungen eingeschlossen sind, als der Himmel davon entlegen ist, und von dem Himmel gehet sie biß zu der Höllen; sie verläßt alles Irdische aus dem Gesichte, und bringet Dinge vor dasselbe, die ihm gäntzlich verschlossen waren.

Aber am allerweitesten hat er sich von der Erden entfernet, wo er Himmel und Hölle selbst aus dem Gesicht verlassen, und sich in das Nichts gestürtzet hat, ich will sagen, wo er das Nichts selbst als etwas vorgestellet, und mittelst seiner Erfindungskraft eine Erschaffung vor der Erschaffung beschrieben hat. Dieses Vornehmen bleibet mir übrig in diesem letztern Theil der gegenwärtigen Abhandlung zu beschützen. [163] Wir wollen erstlich den Ort, und hernach die Personen betrachten, denen er dieses poetische Wesen mittheilet. Gott hat die Erden und alle Welt-Cörper aus nichts hervorgebracht, nun, wie man in den Schulen sagt, Nihili nula sunt accidentia, das Nichts kömmt nicht unter die Sinnen, noch unter die Einbildung, man kan darinn nichts erkennen noch unterscheiden. Wenn also der Poet das Nichts vorstellen wollte, mußte ers vor allen Dingen zu etwas erschaffen, und ihm Sachen zulegen, die darinn wären. Das Recht dieses zu thun hatte er von seinem Ammt, es ist keine grössere Kühnheit das Nichts als etwas vorzustellen, als es ist, das Mögliche vor würcklich vorzubilden; denn das Mögliche ist eben sowohl noch nichts, und was ist, was etwas ist, war zuvor nur möglich. Indessen sollte das, was er aus dem Nichts machen wollte, noch nicht die Welt selber seyn, es war ihm genug, daß ers als etwas vorstellete, das in die Einbildung fallen konte. Also konte es eigentlich nichts anders seyn, als eine Vorstellung dessen, was unmittelbar auf das Nichts folget, eine Vorstellung des ersten Schrittes der Natur aus dem Nichts, des unreiffen Saamens der Welt, der Materialien der Natur. Diesen Begriff zu machen, mußte er aus der Welt alles das abziehen, und durch eine Metaphysicalische Handlung hinauswerffen, was sie zur Welt machet, nemlich das Licht, die Ordnung, die [164] Harmonie, die Schönheit, den Zusammenhang. Diesemnach mußte der poetische Begriff, den er von dem Nichts geben wollte, mit der Vorstellung des ersten Anblickes der göttlichen Erschaffung übereinkommen, wenn man in diesem Wercke des Allmächtigen Grade setzet, und es in der Gestalt betrachtet, die es haben konte, als der Schöpfer den ersten Zeug dazu aus dem Nichts hervorgeruffen. Der Poet, dessen Werck ist die Kräfte der Natur in der Ueberbringung des Möglichen in den Stand der Würklichkeit nachzuahmen, hat also das Nichts, das vor der Schöpfung war, schon als etwas vorgestellet, und damit die Schöpfung vor der Schöpfung vorausgehohlet Er sagt in dem siebenden B. wo er die Erschaffung durch den Engel Raphael beschreiben läßt: »Die Cherubim und Seraphim stuhnden auf dem himmlischen Boden, und sahen von dem Rande den Ungeheuren grossen und unermeßlichen Abgrund stürmisch wie ein Meer, finster, wüst, und wild – – Der Messias stuhnd nicht stille, sondern ritt fern in das Chaos und die ungebohrne Welt hinein.« Ein gewisser Kunstrichter hat dem Poeten hierüber Schuld geben wollen, daß er die Erschaffung aus Nichts gleugnet hätte, alleine wir sehn aus dem, was ich von dieser Erdichtung gesagt habe, daß er dießfalls nicht straffwürdiger ist, als ein jeder Poet, der etwas mögliches als würcklich vorstellet, [165] und die Natur und Schöpfung nachahmet, worinn die poetische Erschaffung bestehet; man könte mit demselben Recht die Poeten anklagen, daß sie dem Schöpfer in sein Ammt greiffen, so oft sie nach ihrer Kunst mittelst der Nachahmung Dinge hervorbringen, die nicht sind; welches Verbrechen nicht anderst, als durch eine gäntzliche Zernichtigung der Poesie könte gebessert werden. Wer zu metaphysicalischen Abziehungen, und Abgezogenheiten aufgeleget ist, wird des Poeten Vorstellung des Chaos von Wahrscheinlichkeit nicht entfernet finden; wem sie auch etwas abentheurlich vorkommen mögte, der muß bedencken, daß es die chaotische Materie also erforderte, wie will man ihn der Unwahrscheinlichkeit in Sachen anklagen, die vorhanden waren, bevor noch Ordnung und folglich Wahrheit waren. Lasset uns jetzo die Personen betrachten, die Milton in das Chaos gesetzet hat, als dessen Beherrscher und Einwohner. Das sind Wesen, die wir in keine derer Classen setzen können, die uns bekannt sind, welche ihre Geburt alleine dem Gehirn des Poeten zu dancken haben. Nachdem er einmahl über unsre Phantasie erhalten hat, daß sie das Chaos als einen Raum und Wohnplatz begreiffet, so wird ihr nicht schwer fallen, lebende Wesen darinnen anzutreffen, wenn ihr diese gleich unbekannt und fremd sind; da sie nicht unmöglich sind, so sind sie in einer solchen Entfernung von uns wahrscheinlich [166] genug, und dieses in keinem geringern Grade, als die Wasser-und Luft-Geister, die Berg-Nymphen, die Kobolde, die Aelfen der alten Deutschen, die ebenfalls ihr Wesen dem Poeten, und der Phantasie zu dancken haben. Der Herr Addison selbst hat in der Gedichtes-Art, da dergleichen aufgeführt werden, so viel Kunst gefunden, daß er sie vor schwerer als alle übrigen gehalten; aus der Ursache, weil der Poet, wie er sagt, da kein Muster vor sich habe, dem er folgen könte, sondern mit seiner eigenen Einbildungs-Kraft arbeiten müßte; welches in soweit wahr ist, daß der Poet zwar auch hier seine Muster vor sich hat, die aber nicht in gantzen Stücken vollendet beysammen liegen, sondern in vielen absonderlichen Sachen zerstreuet sind, und von ihm durch Abziehungen und Zusetzungen mittelst der Einbildungs-Kraft gestaltet werden. Wahrhaftig der Platz, den Milton den Personen des Chaos einräumet, gehöret ihnen mit so gutem Recht, als diesen zauberischen Wesen, ja die Erdichtung derselben ist noch bescheidener, daß sie nicht in die vollendete und ausgearbeitete Natur, sondern nur in ihre Elemente, und in den ursprünglichen Zeug der Natur gesetzet werden, wo man die Natur noch nicht im Gesichte hat. Wollte man einwenden, daß der Character dieser chaotischen Wesen mit der Allmacht des höchsten Gebiethers streite, weil der Poet dichte, daß der alte Anarche in dem Chaos den Scepter führe, und beflissen [167] sey, sein Reich vor den Ueberfällen des Herren des Himmels, als ein Fürst, der ihm nicht unterwürfig ist, zu schützen; so bitte ich nur anzumercken, mit was für Kunst Milton ihn seine Unvermögenheit und Unterwürffigkeit selbst bekennen läßt: »Ich sitze, sagt der Fürst im Chaos, hier auf meiner Gräntze, die Eecke, die mir übrig gelassen ward, so fern ich kan und mag, zu beschützen – – Erstlich fiel die Hölle in fremde Hände, jetzt neulich Himmel und Erde etc.« Wenn Satan etwan als ein König der Höllen aufgeführet wird, oder sich davor ausgiebt, wer ist so ungerecht, und formiert daher eine Anklage, daß der Poet ihn dem Höchsten entgegen gesetzet habe, als einen der ihm nicht unterwürffig sey? Es ist verdrießlich vor mich, in dem Nahmen derer Kunstrichter, welchen Miltons Erdichtungen nicht anstehen, Einwürffe zu erfinden, damit ich sie hernach wieder auflöse: Ich wünschte derowegen, daß sie sich genauer erkläret, und uns die Gründe ihres Mißfallens nicht hinterhalten hätten. Ihre Aussprüche sagen uns nichts mehrers als ihre Meinungen, die uns nichts angehen, wenn sie uns nicht unterrichten. Der Herr Magny führet die Beschreibung unsers Poeten an, da er von Satan saget: »Er wird plötzlich des Thrones des Chaos und seines dunckeln Gezeltes ansichtig, welches über die wüste Tiefe weit ausgebreitet war; neben ihm saß auf dem Throne die zobelschwartz gekleidete Nacht, das älteste [168] unter allen Dingen etc.« Darüber thut er den kurtzen Ausspruch: »Was vor Bildnisse, und wie schön wäre dieses alles, wenn es nur nicht so unvernünftig herauskommen müßte!« Wer kan aus diesem Galimathias klug werden, denn was ist das anders gesagt als: Wie schön wäre dieses alles, wenn es nicht so häßlich herauskommen müßte! Wenn es schön ist, wie kan es unvernünftig herauskommen, und wenn es unvernünftig ist, wie kan es schön heissen? Irre ich nicht, so rühret alles Aergerniß, das dieser Criticus hierüber empfangen hat, von der Einführung dieser Personen her, welche ihm allzufremd und unerhöret sind; daher ich zu ihrer Rettung noch hinzuthun will, daß die Unwissenheit, in der einer wegen einer Sache stehet, ihrer Möglichkeit weder etwas nimmt noch etwas giebt.


Ich hätte über der Bemühung, das Chaos und seine Personen zu rechtfertigen, schier des Limbo der Eitelkeit vergessen, dessen die Critick nicht vergessen hat. Diese Erfindung zu beschüzen, muß ich vor allen Dingen bitten, daß man sie in dem Gesichtes-Puncten ansehe, in welchen sie der Poet gesetzet hat. Es ist nichts anders, als eine Verspottung der Träume, die der Italienische Poet Ariosto in dem vier und dreissigsten Gesang von dem rasenden Orlando angebracht hat, wo er den Ritter Astolf auf dem Hippogrifen [169] in den Mond fliegen, und daselbst in ein Thal kommen läßt.


Ove mirabilmento era ridotto

Ciò che si perde o per nostro diffetto,

O per Colpa di Tempo, o di fortuna,

Ciò che si perde qui la si raguna.


Là fù infiniti preghi e voti stanno

Che da noi peccatori à Dio si fanno.

Le Lagrime e sospiri de gli amanti,

L'inutil tempo, che si perde à giuoco,

E l'ocio lungo d'uomini ignoranti,

Vani disegni, che non han mai loco. Etc.


Die Vergleichung der Beschreibung unsers Poeten von dem Limbo der Eitelkeit mit des Ariosto Erfindung, läßt uns nicht zweifeln, daß Milton nicht sein Auge darauf gerichtet gehabt, und er deutet es selber an, wenn er sagt: Alle unvollendeten Wercke fliessen hieher, nicht in den benachbarten Mond, wie einigen geträumet hat. Diesen und dergleichen eiteln Dingen hat der engelländische Poet ihren Platz auf der äussersten Gräntzen der Welt-Scheibe, wo sie an das Chaos stößt, von welchem sie wenig unterschieden ist, angewiesen; mit mehr Verstand und Bedachtsamkeit, als der Florentinische sie in den Mond gesetzet hat, dem er doch daneben Enoch, Elias, und Johannes zu Einwohnern giebt. Was an Miltons Erdichtung am meisten zu tadeln seyn mögte, ist wohl dieses, daß er sich erniederigt [170] hat, in seinem ernsthaften Wercke mit einem solchen Possenreisser, wie Ariosto ist, anzubinden. Ihn entschuldigt dennoch, daß eine gantze vornehme Secte unter den Christen würcklich einen solchen Ort gläubt, wo die Seelen der Ertzväter, der ungetauften Kinder etc. hinkommen. Die Leute von dieser Kirchen werden uns verschiedene Grade der Wahrscheinlichkeit in ihrem Limbo weisen können. Ich will nur überhaupt anmercken, daß in die Welt des Möglichen unendlich viele Stücke hineingehen, welche aber nicht allen Leuten gleich glaublich vorkommen, nachdem einige gegen den Schein der sinnlichen Vorstellungen mehr oder weniger bewaffnet sind. Bey welchem der Wahn und der Aberglauben den Verstand schon verdüstert haben, bey wem die Sinnen und die geringern Kräfte der Seele die Herrschaft führen, der wird die Erdichtungen der Poeten desto leichter annehmen, je weniger er im Stand ist, das betrügliche darinnen einzusehen. Daher zweifele ich nicht, daß dem gemeinen Mann in der römischen Kirchen die Erfindung unsers Poeten von dem Limbo der Eitelkeit viel glaubwürdiger scheinen werde, als andern, deren Einbildung noch nicht dazu vorbereitet ist. Wäre denn Milton hier zu tadeln, so wäre ers nicht wegen der Unwahrscheinlichkeit seiner Erdichtung, sondern wegen der Versäumniß auf seine Leser Achtung zu geben, von welchen der wenigste Theil von besagtem [171] Irrwahn eingenommen ist, und darum die Glaubwürdigkeit in diesem Stücke nicht auf dem Grade antrifft, welche man in andern Stücken des Gedichtes, die mit einem gründlich-befestigten Glauben besser übereintreffen, vor sich findet.

Der sechßte Abschnitt
Der sechßte Abschnitt.
Von der Wahrscheinlichkeit des Characters
und der Handlungen der ersten
Menschen

Boßhafter Verdacht, in welchen Magny Miltons Adam zieht, als ob er in die Treue seiner Frauen einigen Zweifel gesetzet hätte. Desselben Beschuldigung, daß der erste Mensch den Begriff von der alleserfüllenden Gegenwart Gottes nicht gehabt habe. Ungeschickter Grund, den er zum Beweißthum dessen von der Operation hernimmt, mit welcher Michael dem Adam die Augen geöffnet hat. Erklärung der Erdichtung und der Würckungen dieser Operation. Daß sie nicht unanständig für den Ertz-Engel gewesen sey. Auf was vor eine Weise Adam die Augen auf das künftige geworffen habe. Einwurf des Herren Magny, daß Raphael dem Adam den Krieg im Himmel unter solchen Bildern vorgestellet habe, welche ihm gantz unbekannt gewesen wären. Weitläuftige Menge Bilder, welche Adam in dem Paradiese von den Dingen und ihren Eigenschaften selbst, von den Kunstwercken der folgenden Zeiten, mittelst der Figuren, die er vor sich fand, und [172] mittelst Verbindungen in der Phantasie bekommen können. Begriffe von Werckzeuge, Kleidungen und Waffen, so er von den Engeln der Besatzung empfangen. Daß diese Begriffe eben so viel Leichtigkeit und Klarheit gehabt haben, als die Begriffe von dem Tod oder der Fortpflantzung. Reichthum der Sprache Adams an deutlichen Worten, weil er den Thieren Nahmen nach ihren absonderlichen Sitten und Eigenschaften gegeben. Verwerffung der romanhaften Ursache, welche Milton von Adams Fall angiebt; da dieser bey einem gefaßten Verstand wider seine bessere Erkänntniß den unseligen Schritt thut. Wie Dryden diese romanhafte Idee noch höher getrieben habe.


Die Beschuldigungen der Unwahrscheinlichkeit, welche ich in den vorhergehenden Abschnitten widerleget habe, giengen auf Dinge und Personen, die ausser der Sphär der menschlichen Sinnen in der unsichtbaren Welt ligen. Derselbe unbesonnene Criticus, der mit unserm Poeten in diesen Stücken so übel gehandelt hat, greiffet ihn auch in denen Dingen und Personen an, die er in seinem Gedichte aus der sichtbaren Welt eingeführet hat, und welche den Sinnen nicht verschlossen sind. Lasset uns derowegen mit ihm in diesen niederern Kreiß der menschlichen Wissenschaft hinuntersteigen und untersuchen, ob seine Einsicht in menschlichen Sachen gewisser und richtiger sey, als in geistlichen Handlungen.

Wenn der erste Vater im neunten B. Even vermögen will, bey zu ihm bleiben, führet er unter andern Vorstellungen seine Furcht an, der Feind, [173] vor welchem Raphael sie gewarnet hatte, mögte vielleichte im Sinne haben, die ehliche Liebe zwischen ihnen zu stören, welche ihn vermuthlich mehr als einige andere Lust, derer sie genössen, zum Neide bewegete, und solches mögte ihm leichter fallen, wenn sie gesondert wären, als wenn sie beysammen blieben. Dieses giebt dem Herren Magny Materie zu einer seltzamen Beschuldigung. Er meinet, daß Adam seine Ehgattin ohne Ursache in bösen Verdacht fasse, und erinnert, der Engel habe die beyden Menschen vor keiner Gefahr gewarnet, welche ihre ehliche Liebe zu stören drohete, er habe alleine von dem Gehorsam gegen dem göttlichen Verboth geredet, daher Eva in ihrer Antwort sich nicht habe enthalten können, dem Adam mercken zu lassen, daß sein gefaßter Verdacht sie einigermassen verdrösse. Adam habe darauf erkennet, daß er unrecht gehabt hätte, ihre Tugend in Verdacht zu fassen, doch anbey sich mercken lassen, daß er fürchte, ihr Feind mögte einen Versuch thun, die Treue, die sie ihrem Manne schuldig ist, zu untergraben. »Milton, sagt Magny darüber, hätte sich hüten sollen, dem Adam einen Gedancken in den Sinn zu legen, der in Ansehung seiner so unanständig, und gegen Even so ehrenrührig ist. Man dörfte glauben, der erste Mensch hätte im Ernst gefürchtet, was der Herr Boileau nur zum Schertze gesagt hat:


[174]

Qui sçait si le Serpent ne le trompa qu'en pomme?«


Die Boßheit selbst hat diesem Critico eine so schändliche Auslegung der sorgfältigen Warnung Adams in den Sinn gegeben. Der von ihm angezogene häßliche Verß, mit welchem Boileau seine boßhafte Muse in den Augen aller nüchteren und wohlgesitteten Leute gebrandmahlet hat, verräth solches offenbar. Dem Poeten war der Sinn nicht daran gekommen, seinem Adam dergleichen Verdacht zuzuschreiben, oder seiner Even beyzumessen, daß sie solchen aus Adams Reden gezogen habe. Man beliebe nur für das erste anzumercken, daß die Gefahr, vor welcher Adam von dem Ertz-Engel gewarnet worden, überhaupt in der Beraubung seiner Glückseligkeit bestuhnd Die Beobachtung des göttlichen Geboths war das sicherste Mittel ihn vor dieser Gefahr zu bewahren, wie hingegen die Uebertretung ihn mitten in dieselbe stürtzete, daß er sich daraus nicht mehr helfen konnte. Da Satan das unselige Vorhaben gefasset hatte, ihn seines glückseligen Standes zu berauben, konte er zu diesem Zwecke nicht besser gelangen, als wenn er ihn von dem Gehorsam gegen Gott abführete. Alleine diese Haupt-Absicht zu befödern konte ihm die Störung der ehlichen Liebe zwischen beyden ersten Menschen ein bequemes Mittel abgeben. Dieselbe stuhnd zwischen Adam und Eva auf dem vollkommensten Grade, daher hieß bey Adam dieselbe stören, wenn die geringste Mißhelligkeit, [175] der gernigste Zanck unter ihnen angerichtet würde. Wenn solcher hoch stiege, konte er Satan zu seiner Absicht näheren, so fern dergleichen hohe Gemüthes-Bewegung über des Menschen Verstand einige Dunckelheit geworffen hätte. Adam hatte zwar hiervon keinen deutlichen Begriff, doch hatte er einigen Begriff davon per Abstractionem, mittelst abgezogener Gedancken. Lasset uns über dieß anmercken, daß Adam seine Liebe zu Even und ihre Gegenliebe vor einen vornehmen Theil der Glückseligkeit ansah, welche er würcklich besaß, daher bildete er sich vor, daß selbige den Satan vor andern Theilen seiner Glückseligkeit zum Neid bewegen könnte; und dieses machte natürlicher Weise, daß er sich fürchtete, Satan mögte bey diesem Stücke versuchen, ihn derselbigen zu berauben. Ich muß endlich auch erinnern, daß Adam kein grösseres Mißtrauen gegen Even zu verstehen giebt, als gegen sich selbst, er nimmt und hält sich selber so wenig vor sicher, als Even, er erinnert sich, daß er zwar tüchtig zum stehen gemachet ist, doch daß er seinem eigenen freyen Willen, der veränderlich ist, überlassen war, wie Eva gleichfalls. Wie er war gewarnet worden, gegen sich selbst auf der Hut zu stehen, also warnet er jetzo Eva, und saget ihr, was er sich selbst gesagt seyn läßt. Ungeachtet er sich innerlich seiner Treue und Aufrichtigkeit auf das beste bewußt war, lag ihm doch das Exempel der verführten und gefallenen Engel [176] vor Augen, welches ihm sagte, daß Satan ein abgefeimter Betrieger seyn müßte, weil er Engel hatte verführen können. Also war sein Mißtrauen begründet genug. Wenn Eva sich dadurch beleidigt findet, so verräth sie damit ein allzustarckes Vertrauen auf ihren Verstand, und ihre Tugend, sie gedachte nicht daß ihr Verstand fehlen konte, und wenn solcher irrete, ihre Tugend konte übertölpelt werden. In der That fehlete ihr Verstand schon jetzo, da sie aus Begierde ihren Vorschlag zu behaupten und Adam zu antworten, seine Warnung so übel ausleget, welche auf das höchste eine überflüssige Würkung seiner übergrossen Liebe und Sorgfalt war. Die bestgemeinten Warnungen sind dergleichen übeln Ausdeutungen unterworffen, Adam hätte des Ertz-Engels Warnung eben so wohl vor einen Zweifel an seiner Treue gegen Gott aufnehmen können: Sie war nach dem Begriffe, den der Herr Magny von dieser Sache hat, eben so ehrenrührig, als Adams Furcht in Ansehung der Even. Wer sieht demnach nicht daß dieser Criticus, und nicht Milton oder Adam schimpfliche Gedancken von Even hegete? Wir werden in dem Verfolge noch mehr Exempel finden, wie übel er es mit dem Poeten, und um des Poeten Willen mit den beyden ersten Menschen gemeinet hat.

Adam sagt in seiner Antwort auf den erhaltenen Befehl, daß er aus dem Paradieß ziehen [177] sollte, zu dem Engel Michael: Dieses betrübet mich am meisten, daß ich durch meinen Abschied von diesem Orte gleichsam vor dem Angesicht Gottes verborgen und seiner gesegneten Gegenwart beraubet seyn werde. Aus die ser Klage Adams zieht der Herr Magny den nachtheiligen Schluß, daß unser erste Vater den Begriff von der alles-erfüllenden Gegenwart Gottes nicht gehabt hätte. Alleine wenn man sowohl die Gedancken Adams, welche mit obigen verbunden werden, als die Antwort des Engels zusammen nimmt, wird man bald wahrnehmen, daß Adam alleine von der Erscheinung Gottes in einer sichtbaren oder sonst empfindlichen Gestalt redete, und in den Gedancken stuhnd, Gott würde sich künftig auf der niedern Erden, in welche er seiner Uebertretung wegen sollte verstossen werden, nicht mehr auf diese Weise vor ihm sehen lassen; wenn er in dem Paradiese zu bleiben gehabt hätte, so hätte er sich wegen dieser Beraubung der göttlichen Erscheinungen dadurch trösten können, weil ihm die Plätze und Spuhren, wo er sie vormahls gehabt hatte, dieselben stets in die Sinnen zurückgeführt, und erfrischet hätten, daß er geglaubet hätte, er wäre derselben nicht gäntzlich beraubet. Man gebe nur Achtung auf folgende Gedancken in Adams Rede: »Hier hätte ich ein Ort nach dem andern, wo er mich seiner göttlichen Anwesenheit würdigte, fleissig besuchen können. Ich hätte meinen Kindern erzehlen [178] können, er ist sichtbar unter diesem Baume gestanden. – – Wo soll ich in jener niedern Welt die Spuhr seiner Fußtapfen suchen.« Und in des Ertz-Engels Antwort lesen wir nach denselben Begriffen: »Gott wird sich dort gleich so wohl finden lassen als hier. Du wirst den wahren Abdruck seines Angesichtes und den göttlichen Fußschlag seiner Tritte in seiner Güte antreffen.«

Der Herr Magny übersiehet dieses, und erblicket hingegen einen Schein für seinen Argwohn in Miltons Erzehlung, daß der Ertz-Engel den Flecken, den die falsche Frucht, die das Gesicht aufzuklären verhieß, auf Adams Augapfel gezeuget hatte, davon weggerücket habe. Er meinet hier die Ursache der Unwissenheit Adams entdecket zu haben, nemlich daß das Essen von dem verbothenen Baume sie verursachet habe. Alleine ohne daß dasselbe eine so grobe Unwissenheit und Vergessenheit, die sich bis zu dem Begriffe der Allgegenwart Gottes erstreckete, in Adam verursachet habe, ist seine Würckung ohne dem schlimm genug, indem dadurch sowohl das leibliche Auge, als der Verstand des Menschen. Das Auge der Seelen, an ihrer vormahligen angebohrnen Schärffe verkürtzet worden. Diese beyden Schwächungen nicht des leiblichen alleine, wie Magny vorgiebt, sondern zugleich des Verstandes-Auges, deutet der Poet mit dem Worte Flecken an, und zu beyder Stärckung [179] und Reinigung läßt er den Engel Michael folgende Operation vornehmen. »Der Engel, sagt er, reinigte nachgehends Adams Sehungs-Nerven mit Euphrasia und Rauten, denn er hatte viele Sachen zu sehen, er tröpfelte drey Tropfen von der Quelle des Lebens hinein.« Alleine damit ich einigen andern Einwendungen, so man hier machen könte, vorbaue, muß ich mich erklären, daß die Kraft dieses Collyrii sich noch weiter erstrecket habe. Es gab nicht nur dem Gesicht und dem Verstand ihre eigene und angebohrne Schärffe wider, welche durch den Fall übel verderbet worden, sondern verursachte darinnen einen gantz ausserordentlichen und fremden Zustand. Was das Gesicht anbelanget, so ist gewiß, daß Adams Auge selbst in seiner ersten und unverletzten Beschaffenheit nicht vermocht hätte, die Helfte des Erdbodens von einem so hohen Stand, als dazu erfodert wird, zu übersehen, und die kleinsten Gegenstände darauf, die Gränzen der Provinzen, die Flüsse, die Berge, ja die Personen und Verrichtungen selbst, so genau und richtig zu unterscheiden, wie Adam gethan hat; welches uns eine Anzeige giebt, daß das alles, was dem ersten Menschen da gezeiget worden, nichts, würckliches, sondern nur eine Erscheinung gewesen. Der Berg im Paradiese, auf welchen Michael ihn geführt, war zwar würcklich vorhanden, aber wiewohl er einer von den höchsten, oder der höchste gewesen, so kan er [180] doch nicht von einer solchen Höhe begriffen werden, daß jemand von demselben auf einmahl die halbe Erden hätte ins Auge fassen können, weil solche in einem gewissen Verhältniß des Ebenmasses mit demselben betrachtet auf diese Weise eine gantz ungeheure Gestalt bekommen würde. A so waren die Gegenden, Ströhme, Meere und Provinzen, welche Michael dem Adam zu sehen gab, eben so wohl als die Leute, so darauf wandelten und die noch nicht im Wesen waren, der Schauplatz sowohl als das Schauspiel, lauter Erscheinungen und Gesichter, vor welche der Engel Adams Gesicht ausserordentlich zubereitet haben mußte, man mag jezo glauben, der Engel habe solche in dem Augapfel Adams oder ausser demselben in der Luft gestaltet. Zur Rechtfertigung des Poeten ist genug, daß er einen Engel in das Mittel gebracht hat, von welchem wir gerne glauben, daß er solche Bilder und Erscheinungen auf eine oder die andere Weise hervorzubringen vermocht habe. Ueberdieß hat Milton zu mehrer Beglaubung der Sache gedichtet, daß der Engel auch den Verstand und die Phantasie Adams auf eine ungemeine Art in den gehörigen Stand gestellet habe, damit sie diese Schatten-Bilder recht einnähmen. Also verstehe ich ihn, wenn er sagt, daß die Kraft diser Arzeney bis in den innersten Sitz des Gemüthes-Gesichtes durchgedrungen habe. Der Herr Magny kan sich zwar [181] dieses nicht so leicht einbilden. Seit wenn, saget er, erstrecket sich die Kraft der Pflantzen bis auf die Seele? Alleine hier ist nicht lediglich nothwendig, daß wir diese Würckung eben der Kraft des Collyrii zuschreiben, wiewohl der Poet dieses nach einer gewöhnlichen Freyheit, nach welcher eine Würckung dem nächsten Werckzeuge derselben zugeleget wird, gethan hat; gleichwie niemand die Sehendmachung des Blinden, dem der Heiland die Augen mit einem angemachten Teige von Erden bestrichen hat, der Kraft dieses Mittels zuschreiben wird, wenn einem Poeten gleich erlaubet wäre, solches in einem poetischen Ausdruck zu sagen. Nichtsdestoweniger, da uns die Raute und Euphrasia, und vornemlich die Tropfen aus der Quelle des Lebens, welche der Ertz-Engel auf die Sehungs-Nerven Adams tröpfeln lassen, unbekannt sind, können wir von ihrer Kraft und Tugend weder etwas behaupten, noch verneinen. Denn es ist gewiß, daß auch die Pflanzen ihre Würckung auf gewisse Weise auf die Kräfte der Seelen erstrecken. Man erinnere sich nur der Würkungen des Opii, des Hellebori, des Nenuphar, des Hysquiami, und ohne daß wir so weit suchen, des Weines. Wer die enge Vereinigung des Cörpers mit der Seelen betrachtet, vermöge welcher diese zu einer gewissen Folge desselben verbunden ist, dem wird solches nicht fremd vorkommen. Magny hätte lieber gesehen, daß die[182] gantze Operation des Ertz-Engels alleine auf das Gesicht des Verstandes gerichtet gewesen wäre, statt daß er nur auf die Augen des Leibes gesehen habe. Wir haben schon angemercket, daß sie sich auf beyde beziehet; und warum sollte der Engel von der Ordnung der Natur abgewichen seyn, nach welcher die materialischen Gegenstände durch das Mittel der cörperlichen Gliedmassen und Werckzeuge in den Verstand geleitet werden? Dazu verband ihn ferner nicht nur das Amt eines Poeten, das auf den Cörper gehet, sondern noch das Exempel einiger Göttlichen Erscheinungen, zu welchen die H. Männer und Weissager durch dergleichen cörperliche Mittel zubereitet worden, und vornehmlich des Heilandes, welcher zu Heilung der Kranken sich öfters dergleichen bedienet hat, und eben desselben Exempel kan uns zugleich lehren, was wir von folgendem Einwurff Magny zu urtheilen haben, daß eine solche Operation und Heilungs-Art für den Ertz-Engel Michael etwas unanständiges sey. Ich fürchte, daß er auf diesen Einwurf gefallen, weil er sie mit der Operation eines Marcktschreyers vermischet hat. Uebrigens will ich auch mit denjenigen nicht streiten, welche davor halten, die Kraft des Collyrii auf den Verstand sey darinnen bestanden, daß es die ungestümen Triebe in Adams Gliedmassen besänftigte, und ihnen ihr eigenes Maaß gab, dadurch der Verstand in mehrere Freyheit [183] kann, die seltsamen und traurigen Geschichten, die ihm sollten vorgestellet werden, zu betrachten. Folgender Ausdruck des Herren Magny ist etwas poetisch, »daß Adam kraft dieses Collyrii in die künftigen Zeiten gesehen habe,qu'à la faveur de ce Collyre il porta la vûë dans l'avenir.« Dieses ist in so ferne wahr, als der Ertz- Engel Michael durch Hervorbringung mit Leben und Bewegung begabeter Bilder die Geschichten, die erst künftighin geschehen sollten, vor Adams Augen auf eine Theatralische Weise aufgeführet hat. Der erste Vater sah eigentlich nicht in das künftige, als etwas künftiges, welches einen Widerspruch in sich fasset, sondern er sah das Künftige, wie es vor der Zeit ihm als gegenwärtig vor Augen gebracht worden. Das ist etwas, was auch die Kunst des Mahlers zuwegebringet, wenn sie entfernte und vergangene Dinge als gegenwärtig vor Augen leget; und wenn sie Weissagungen schildert, so kan man nach unsers Critici Ausdruck von ihr sagen, daß sie uns die künftigen Zeiten zu sehen gebe. Indessen ist in Miltons Gesichtern mehr als Mahlerey, massen dem Mahler nicht vergönnet ist den Personen die Bewegung mitzutheilen. Das Vornehmen unsers Poeten war wahrhaftig gantz neu, und überaus schwer ins Werck zu setzen; eine so gemischte, aus so vielen Stücken zusammengesetzte Historie durch sichtbare Gegenstände aufzuführen! [184] Der Poet weiset uns selbst auf die Spuhr, wie er zuerst auf dieses Vornehmen gekommen sey. »Nicht höher, sagt er, war jener Berg, und öffnete dem Auge keinen weitern Umkreiß, auf welchem der Versucher mit einem Vorhaben, das dem gegenwärtigen sehr ungleich war, den andern Adam in der Wüste gesetzet, damit er ihm alle Königreiche des Erdbodens und ihre Herrlichkeit zeigete.« Diese kurtze Erwähnung dienet allerdings die Erdichtung des Poeten durch das hohe Exempel, das sie ins Gedächtniß führet, zu rechtfertigen.

Wiewohl der Herr Magny sich oben angestellet hatte, als ob er für den Ruhm der Wissenschaft des Ersten Menschen eiferte, so ist er doch selbst derjenige, der ihn über diesen Punckt tief hinunter setzet. Er giebt dem Engel Raphael auf Miltons Rechnung Schuld, daß er den Krieg im Himmel unter solchen Bildern vorgestellet habe, welche Adam gantz unbekannt gewesen. »Adam, sagt dieser Kunstrichter, hat niemahls verheerendes Eisen, noch güldene Schilde, noch ährine Wagen gesehen, nichts von alle dem, was ihm der Engel erzehlet, kan mit seiner Art zu gedencken übereinkommen, und dieses machet die Bilder, welche ihm Raphael vorstellet, recht ungereimt. Die Materie, welche der Poet erwehlet hat, führet ihn wider seinen Willen auf hundert [185] Abwege. Er muß Adam von einem Ertz-Engel von vielen Sachen unterrichten lassen, und dieser kan ihm solche Sachen, welche ausser seiner Sphär ligen, nicht anderst als durch Bilder vorstellen, welche ihm eben so unbekannt und fremd sind. Was vor ein Bild kan sich Adam zum Exempel von einem gevierten Schlachthaufen vorstellen? Hat er dergleichen jemahls in dem Garten der Glückseligkeit gesehen?« Wenn wir, den Poeten gegen diesen Einwurf zu beschützen, anführen wollten, daß er bey Adam eine scientiam infusam oder eingegossene Wissenschaft vorausgesezet habe, so wäre dieses zulänglich, weil es sich auf eine Meynung gründet, die von vielen vornehmen Auslegern und Kirchenvätern angenommen und geglaubet worden: Alleine es wird sich finden, daß Adam auch ohne dergleichen ausserordentliche Gabe nur mittelst des allgemeinen Vermögens der menschlichen Einbildungs-Kraft, wo nicht nette, doch ziemlich klare Begriffe von allen denen Bildern hat haben können, mit welchen der Engel Raphael den Krieg in dem Himmel vorgestellt hat. Man wolle erstlich nur überhaupt betrachten, was vor eine weitläuftige Menge Bilder der erste Mensch von denen Dingen und ihren Eigenschaften bekommen mußte, welche ihm nur der Garten der Glückseligekeit vor das Gesicht legete. Ich glaube nicht, daß eine Art von Figur sey, die er nicht in den [186] Gestalten der Mineralien, Pflanzen, Saamen-Körner, und anderer Gewächse der Natur antreffen konte; auch wird kaum eine Art Bewegung seyn, die er nicht an den Thieren, Vogeln Wolcken, dem Wasser, Feuer und s.f. wahrnehmen konte. Ferner, wie viele Begriffe von den Kunstwercken, welche die folgenden Zeiten zur Vollkommenheit gebracht haben, konte er vorläuftig und in Gedancken von eben denen Thieren empfangen, von welchen seine Nachkommen auf dieselbe Spuhr geführet worden? Er konte von dem Bieber lernen Holtz fällen, spalten, bauen; von dem Maulwurfe graben; von dem Wurme spinnen, weben, bohren, sagen; von der Spinnen lernte er Parallelen zeichnen, von dem kleinen Nautulus schiffen, das Steuer-Ruder halten, und den Wind auffassen, und tausend dergleichen Sachen. Man setze jetzo noch hinzu, was vor eine Menge Begriffe von zusammengesetzten Wercken ihm seine eigene Erfindungs-Kraft mittelst zusammensetzens und verbindens dieser Anfangs-Gründe mittheilen konte, welche sich in seiner Phantasie klar genug vorstelleten, ungeachtet sie so zusammengesetzt ihm niemahls zu Gesicht gekommen, sondern erst in derselben aus ihren Theilen und Stüken, die den Sinnen zerstreuet vorkommen waren, geschmiedet worden. Also konte er Eisen, Ertz, Gold, Holtz, durch die Gedancken in eine gewisse Form versetzen, ein Schild, ein Schwert, [187] eine Lantze, daraus figurieren, wozu ihm die Schildkröte, der Schwertfisch, ein schneidendes Blat, ein gespitzter Rohrstengel, mehr als ein Muster lehneten; eine rollende Kugel führte ihn auf die Vorstellung einer Achse, einer Speiche, eines Rades; ein Sitz oder Stuhl auf Räder gestellet, gab ihm den Begriff eines Wagens. Dadurch bekam er die Begriffe, die ihm der Criticus verweigert, von schneidendem Eisen, güldenen Schilden, ährinen Wagen. Wenn jezo Adam den Begriff von Waffen gehabt, fiel es ihm nicht schwer einen Mann, wie er war, mit solchen ausgerüstet zu begreiffen, und einen Mann konte er in Legionen vermehren, diese in Zeilen, Reihen und Linien nach einer beliebenden Form und Ordnung stellen, in Colonnen, Vierecke, halbe Monden verändern; und ist hier zu mercken, daß ein Kornfeld oder ein Wald ihm diese Idee von Schlachtordnungen sehr erleichterte, daher auch die Poeten ihre Gleichnissen von solchen hergehohlet haben, wenn sie dieselben desto deutlicher vorstellen wollen. Ich mercke noch überhaupt an, daß allerdings wahrscheinlich ist, die Gestalten und Figuren der Dinge, die in der Natur sind, haben Nahmen gehabt, eh und bevor die Erfindungen der Kunst dergleichen bekommen haben, weil sie vor ihnen vorhanden gewesen, und die letztern nur Nachahmungen der erstern sind. Und die Gelehrten, die sich um die Erforschung des Ursprunges der [188] Wörter bemühet haben, werden euch sagen, daß die Nahmen der ältesten Kunstwercke ursprünglich Nahmen natürlicher Wercke waren. Wenn dieses alles dem frostigen Kopf unsers Critici nicht genug thut, so hat der Poet auf eine andere Weise für ihn gesorget; indem er gedichtet, daß die himmlischen Einwohner diesen neuen Gast einer neuen Welt öfters ihres Besuches gewürdigt, und zu mercken giebt, daß sie ihm einige nöthige Werckzeuge gebracht haben; er saget von Even im neunten B. »Sie war nicht mit Köcher und Bogen, sondern mit Gartengezeuge bewehret, wie die noch rohe Kunst, die das Feuer noch nicht zu seinem Dienst verbunden hatte, formiert, oder die Engel ihnen gebracht hatten.« Wozu kömmt, daß er sich schon aus ihrer Kleidung, Waffen, Vorweisung und mündlichen Erklärung mit tausend Begriffen bereichern konte. Insonderheit mogte er die Engel der Besatzung mit Schild und Schwert bewaffnet zuweilen ihre kriegerischen Uebungen haben verrichten sehn; denn dergleichen schreibet ihnen der Poet zu, darüber sich der Hr. Magny zwar nach seiner Art lustig machet. Milton sagt in dem vierten B. »Zwischen diesen felsigten Pfeilern saß Gabriel, das Haupt der Englischen Wache, und wartete bis die Nacht einfiel, vor ihm übete sich die Jugend des Himmels in heroischen Streit-Arten, ungewaffnet; aber nahe bey der Hand waren ihre himmlischen [189] Rüstungen, Schild, Helm und Speer, welche von Diamant und Gold funckelten, hoch aufgehänget.«

Damit wir unserm raschen Critico den Mund auf einmahl stopfen, wollen wir ihm nur zu betrachten geben, daß der göttliche Geschichtschreiber Moses in die Critick, die er gegen unsern Poeten macht, miteinverwikelt würde. Vor Adam und Even, diese unschuldigen und unsterblichen Wesen, war gewiß nichts fremders und schwerers zu begreiffen, als der Tod und die Sterblichkeit; indessen schreibet Moses, daß der Schöpfer ihnen mit diesem Wort gedrohet habe, wenn sie das einzige Geboth überträten. Gesetzet, daß sie keinen bestimmeten Begriff davon hatten, so erkenneten sie doch durch die Abziehung, die sie in den Gedancken anstelleten, sehr wohl, daß der Tod etwas gar schlimmes seyn müßte. Milton hat Adam im vierten B. sich darüber folgendergestalt vernehmen lassen: »So nahe bey dem Leben wächßt der Tod, was der Tod je seyn mag; ein fürchterlich Ding sonder Zweifel!« Und der Poet Dryden hat in seinem Drama von dem Stande der Unschuld und dem Fall des Menschen die erste Mutter sagen lassen: »Der Tod ist irgend ein Uebel, welches wir zwar nicht kennen, aber da es uns angedrohet worden, müssen wirs uns nothwendig als groß vorstellen.« Von dieser undeutlichen Art war auch die Idee der Vermehrung und Fortpflantzung, [190] die dem ersten Paar Menschen anbefohlen worden, bevor sie noch einige Erfahrung von der Geburt hatten, durch welche dieselbige geschehen mußte. Villeicht würde der Herr Magny mir jetzo zugestehen, daß Adam Begriffe von den Dingen gehabt, die der Engel Raphael in seiner Erzehlung eingetragen hat, aber er dörffte leugnen, daß seine Sprache zum Ausdrucke derselben Worte gehabt hätte. Alleine man wird ihm allezeit eine überaus reiche Sprache zugestehen müssen; weil er den Thieren Nahmen nach ihren absonderlichen Eigenschaften und Sitten gegeben hat, mußte er schon Worte von sehr deutlich bestimmten Begriffen gehabt haben. Derer Begriffe halben, welche zu dem reinen Verstande gehören, muß ich endlich noch erinnern, daß die Wörter, womit sie ausgedrücket werden, ursprünglich nur sinnliche Begriffe bedeuteten.

Wenn es mir vergönnet ist, nach so vielen Anmerckungen, die ich zur Vertheidigung des Characters Adams angebracht habe, etwas weniges darinnen auszusetzen, das der Poet nach meinem Begriffe demselben zuwider eingeführet hat, so muß ich sagen, daß ich eine romantitische Leichtsinnigkeit in der Ursache finde, die Milton von seiner Theilnehmung an der Uebertretung des Weibes anführet. Eva hatte den unseligen Mißtritt gethan, Adam erkannte denselben in seiner gantzen Häßlichkeit, sowohl in [191] Absicht auf den beleidigten Schöpfer, als in denen jämmerlichen Folgen, so er für das gefallene Weib haben würde. Dieses sollte ihn natürlicher Weise vermocht haben auf der Hut zu stehen, und dem beywohnenden Lichte zu folgen. Dem ungeachtet thut er wider sein besseres Wissen, und begehet die Uebertretung mit Fleiß und Vorsatz; denn wiewohl er sich etliche Schein-Gründe vorstellet, welche die Grösse des Verbrechens zu verringern scheinen, so erkennet er doch die Falschheit derselben und schleußt im neunten B. »Dem sey wie da will, ich habe mein Geschicke an deines gebunden, und bin entschlossen dasselbe Gericht mit dir auszustehen; wenn dir der Tod zu Theil wird, achte ich den Tod so wehrt als das Leben.« Die Ursache, so der Poet von diesem wunderbaren Entschluß angiebt, war Liebe und Mitleiden auf dem äussersten Grad. Adam fühlte daß ihn die Kette der Natur zöge, daß sie ihn zu dem zöge was sein eigen war, denn was sie war, war sein. Sie waren ein Fleisch; wenn er sie verlöhre, wäre das eben so viel gewesen, als wenn er sich selbst verlohren hätte. Diese hyperbolischen und in dem dürren Buchstaben unrichtigen Ausdrücke haben keinen weitern Verstand, als daß Adam die höchste Liebe und das höchste Mitleiden gegen Even empfand. Aber wenn ich mir auf einer andern Seiten die höchste menschliche Weißheit, die Hoheit von Verstand, [192] die Adams Character ausmacht, an ihm vorstelle, so düncket mich, daß diese sich allzu leicht habe überwältigen lassen. Sie war nicht unterdrücket, er erkennte die Grösse des Verbrechens, er konte wohl sehen, daß der Even Zustand dadurch nicht besser werden würde, wenn er sich in eben denselben setzete; er konte hingegen hoffen daß er seiner Liebe und seinem Mitleiden besser dienen könte, wenn er Gott getreu bliebe, der vielleicht sich durch seine Bitte für sie würde begütigen lassen, und ihr die angekündigte Straffe schenken oder erträglicher machen. Weil er nicht recht wußte, was der Tod vor ein Ding wäre, konte er die Würckung dessen erwarten. Ich wünschete derowegen daß der Poet noch eine Mittel-Ursache erfunden hätte, den Verstand Adams zu übertäuben, eh er ihn auf den Gedancken geworffen hätte, sich mit Even vorsetzlich zu verderben. Ich verstehe aber eine Ursache, welche in einem neuentstandenen Zufall oder Begegniß und nicht in einem blossen Einfall der Gedancken bestanden wäre. Die Heiligen Scribenten melden, daß Adam von dem Weibe verführet worden, nach Milton aber verführet er sich selber. Mich wundert nicht, daß der französische Tadler hier keinen Fehler gefunden hat, der sonst da gefunden, wo keine waren, die Idee von der vollkommenen Tugend, und der Allmacht der Liebe, womit der grosse Haufen seiner Nation eingenommen ist, hat Adams [193] unbesonnenes Beginnen bey ihm nicht nur entschuldiget, sondern noch geadlet, daß ers als etwas großmüthiges angesehen hat. Diese romantische Idee hat den berühmten Dryden in seinem Drama von dem Fall des Menschen, welches eine Nachahmung des miltonischen Gedichtes in einer andern Gedichtes-Art ist, noch schlimmer geführet. Daselbst stehet Adam in einer Ereiferung und Entrüstung gegen Eva, welche für seine Ruh und Glückseligkeit so übel gesorget hatte, nichtsdestoweniger vermag ihn seine überwegende Liebe, daß er von der Frucht ißt. Eva sagt zu ihm: Spahre dein Mitleiden, bis ich es mehr nöthig habe, ich empfinde wohl an mir daß ich jezo glückseliger bin als zuvor; ich bin weiser, vollkommener, ich bin alles, was ich zu seyn wünsche; wäre ich nur sicher, daß ich dir nicht mißfällig wäre. Adam antwortet ihr: Du hast mit dem Wercke gezeiget, wie sorgfältig du bist, dich mir gefällig zu machen. Dennoch, wollte Gott, daß der Zorn des Himmels so leicht vorüber gienge wie der meinige. Muß ich denn ohne dich in wilden Wäldern wohnen, meine Zeit mit dencken zubringen, und doch nur an die dencken, die ich so sehr geliebet hatte; muß ich verurtheilet seyn, mit allezeit stummen Unterthaneen zu leben, ein wilder Prinz, ohne Freude, wenn ich gleich der einzige Herr bin. Eva versetzete: Mache dir denn eine Lust mit mir, und iß von freyen stüken, [194] damit ich nicht ohne dich hinauf fliege, die Gottheit anzuziehen, und damit du nicht, wenn du geringer bist, als ich, zu späthe klagest, daß unsre Liebe nicht gleich sey, wenn solches dann durch das Verhängniß versaget worden. Adam: Bekriege dich nicht mit Träumen von einer Gottheit, ich sehe dein Verbrechen nur allzuwohl, wiewohl zu späthe, bilde dir auch nicht ein, daß diese Frucht deine Wissenschaft vermehren werde: Alleine du bist beständig schön, und ich beständig verliebt; ohne daß mich jemand verführet, gebe ich mein Leben aus freyer Wahl auf, dein Fehler ist Unvorsichtigkeit, der meinige ist Liebe. Ich kan Milton seine romanhaften Gedancken, die er dem ersten Vater zuschreibet, destoweniger zu gute halten, weil er in allen denen Umständen, in welchen er Adams Liebe aufgeführet, zu erkennen gegeben, daß dieselbe, wie heftig sie auch gewesen, auf die Vernunft gegründet war, welches macht, daß mir dessen Entschluß mit Even zu verderben, widersinnig vorkömmt. Hingegen hat der lose Dryden seinem Adam durch sein gantzes Gedicht eine verzärtelte und aus sich selbst gesetzete Liebe zugeschrieben, in welcher er beynahe die gröste Vortrefflichkeit und das höchste Gut der ersten Menschen zu setzen scheinet. Drydens Adam ist sich also in solchen ungereimten Ausschweifungen beständig gleich, Miltons aber scheinet mir von seiner ersten Hohheit und Obermacht des [195] Verstandes einen plötzlichen Sprung zu solcher ausschweiffenden Leidenschaft zu thun.

Der siebende Abschnitt
Der siebende Abschnitt.
Von Miltons Anbringung der mythologischen
Geschichte und Theologie in
seinem Gedichte.

Voltairens flüchtige Verwerfung der Erwähnung der mythologischen Geschichte. Elender und ungereimter Tand in der heidnischen Theologie. Daß es einem christlichen Poeten erlaubt sey, sie für das anzuziehen, was sie ist. Daß es ihm erlaubet sey, sie selbst für Wahrheit anzuziehen, wenn er dramatische Personen redend einführet, oder wenn er ein Gedicht unter der Person eines heidnischen Poeten schreibet. Einwurf eines deutschen Kunstrichters, daß Milton sich auf heidnische Fabeln, als auf wahrhaftige Geschichten berufe. Daß Milton die Entführung der Proserpine eben so wenig vor eine wahrhafte Geschichte gegeben, als dasjenige, was er von den Pygmeen, den Aelfen, dem Leviathan und den Lapländischen Zauberinnen meldet. Wie Milton die mythologischen Fabeln angebracht, seine wunderbaren Erzehlungen wahrscheinlicher zu machen. Wie er sie anderemahl angebracht, damit er seine Kräfte gegen den Poeten des Alterthums prüffete. Wie er sie zur Verkleinerung der heidnischen Götter angeführt. Daß die Vermählung Jupiters und der Juno, welche Voltaire tadelt, nichts mehrers als eine Metapher sey. Daß die Nahmen der heidnischen Götter ohne [196] Sünde mögen gebraucht werden, nach einer Metonymie. Daß Miltons Anruffung der Urania ein poetisches Gebethe sey; wider Magny. Anstössiges Exempel aus Sannazars Gedichte von der Niederkunft der Jungfrauen, wo mythologische Gottheiten mit Ertzvätern und göttlichen Propheten in eine Handlung verbunden werden. Opizens mythologische Abgötterey in seiner Hercynia.


Unter den Mitteln, womit unser Poet einige kleine Umstände seiner Erzehlung erhöhet, und in andere wunderbare mehr Wahrscheinlichkeit gebracht hat, sticht vor andern sein Gebrauch der mythologischen Geschichte hervor; daher aber seine Widerwärtigen Anlaß genommen haben, eine neue Reyhe Klagen wider ihn zu formieren. Der Herr Voltaire hat solche in folgenden Worten verfasset: »Ich will mich hier nicht über gewissen kleinen Fehlern aufhalten, welche ein jeder Leser wahrnehmen kan, ich meine Miltons häufige Allusionen auf die Heidnische Theologie, ein Fehler der an ihm destoweniger zu entschuldigen ist, weil er in seinem ersten B. gesagt hatte, die heidnischen Gottheiten wären Teufel, die unter verschiedenen Nahmen angebetet worden; dieses hätte ihm verbieten sollen, die Entführung der Proserpina, die Vermählung Jupiters und der Juno, und anders mehr dergleichen anzuführen.« So verdrüßlich und unnützlich es ist, wenn die Criticken auf eine so flüchtige und unbestimmte Weise vorgetragen [197] werden, so billig darum wäre, daß sie mit einem verächtlichen Stillschweigen abgefertigt würden, darf ich gegenwärtige destoweniger ohne Antung übergehen, weil einer von unsren deutschen Kunstrichtern die schädliche Müh genommen hat, sie unter seinen Landsleuten auszubreiten, ohne daß er einiges Mißtrauen in die Gründlichkeit derselben zu verstehen gegeben habe.

Es hat in dem Polytheismo der heidnischen Theologie, und in den fleischlichen Lüsten und Affecten, denen sie ihre Götter unterwürffig machet, ein solches Gemenge von unvernünftigem Zeuge, daß sie billig als das schimpflichste Opprobrium des menschlichen Verstandes anzusehen ist. Wenn sie von ihrem Wesen und ihren Eigenschaften lehret, macht sie dieselbigen zwar unsterblich, unendlich, allmächtig, allweise, aber sobald sie von ihren Handlungen erzehlet, werden sie den grösten Schwachheiten unterworffen, und mit keinen Thorheiten, oder Boßheiten verschonet. Es ist keiner von ihren Göttern, der nicht die Menschen in das gröste Unglück stürtze, oder sie zu den schlimmsten Uebelthaten verleite; es ist auf dieser untern Welt nichts so verdammenswürdiges, das nicht von ihnen befohlen, oder mit ihrem Exempel bekräftiget worden. Und eben dieses hat die Secte der Epicurer vornehmlich aufgebracht und vermehret. Epicurus hat sich auf gewisse Weise um die Götter [198] wohlverdienet machen, und eine Probe seiner Frömmigkeit ablegen wollen, da er ihnen lieber einen beständigen Müssiggang, in welchem sie ihrer unsterblichen Natur in einer seligen Ruh geniessen, zugeschrieben, als sie mit der Zerstörung und dem Verderben des menschlichen Geschlechtes auf eine so boßhafte Weise beschäftigt glauben wollen. Andere von den Weisen des Heidenthums haben ihre Religion damit zu entschuldigen gemeinet, daß sie solche widersinnige Thaten ihrer Götter den Poeten aufgebürdet haben, welche die Leute mit denselben haben in Verwunderung setzen wollen; es seyen Erdichtungen womit die Unwissenheit in dem Punct der Natur der Götter mißbraucht, und der Irrthum fortgepflanzet worden. Alleine Arnobius hat dieses in seinem vierten B. wider die Heiden gantz unwahrscheinlich gefunden, und woferne es einigen Grund hätte, die Priester und Obrigkeiten, welche litten, daß ihren angebetheten Gottheiten so ehrenrührige Zulagen geschähen, vor höchststrafwürdig angesehen. Lasset uns ihn selber vernehmen: Sed poetarum, inquiunt, figmenta sunt hæc, & ad voluptatem compositaæ lusiones. Non est quindem credibile homines minus brutos & vetustatis remotissimæ vestigatores aut non eas inseruisse suis carminibus fabulas quæ in nutionibus hominum superessent, atque in auribus collocatæ; aut ipsos sibi tantum licenciosi juris voluisse asciscere, ut consingerent per stultitiam res eas, quæ nec ab insania [199] procul essent remotæ, & quæ illis à Diis metum & periculum ab hominibus comparare possent. Sed concedeamus, ut dicis, deformitatum tantarum concinnatores esse atque inventores poetas, immunes tamen à Deorum male tractatione nec sic estis, qui talia cessatis maleficia vindicare, aut non legibus latis & severitate pœnarum tantæ itis obviam temeritati; constitumque à vorbis est, ne quis posthoc hominum id quod esset turpitudini proximum, aut eorum indignum majestatibus loqueretur. Einmahl hat diese schändliche Theologie bey gantzen und wohlgezogenen Nationen, in etlichen Welt-Altern, geherrschet, und Männer, welche in andern Sachen vor weise gehalten worden, haben sich in ihrem Leben, in ihren wichtigsten Unternehmungen, wenn es ihr eigenes, oder das Wohl des Vaterlandes galt, nach der Vorschrift derselbigen geachtet. Und dieses ist für einen Poeten einer solchen Nation schon genug gewesen, daß er auf diesen Tand und Wahn bauete, und durch die Ausputzung und Zusammensetzung dergleichen Zeuges neue Gedichte hervorbrächte. Seit dem das Christenthum sich ausgebreitet, hat der Verstand bey dem reinen Lichte desselben so viel Erleuchtung empfangen, daß heutiges Tages einer, der sich zu den Lehren der mythologischen Theologie bekennen würde, sich eben so lächerlich machen würde, als gottloß sein Glauben wäre, er würde in den Zusammenkünften der [200] Beaux Esprits eben so bald ausgepfiffen, als in den Kirchenversammlungen verdammet werden. Also entstehet die Frage, ob und wie diese erkannten Fabeln von den Poeten der christlichen Nationen können gebrauchet und in ihren Gedichten angebracht werden. Die Untersuchung dieser Frage wird uns des Herren Voltaire Einwurff wider Miltons Allusionen auf die Mythologie sowohl in seinem rechten Grunde zeigen, als die Antwort darauf anweisen.

Ein Paar vorläuftige Anmerkungen sollen uns zum Fundament dienen. Die erste ist, daß der ärgste Irrthum und die schlimmste Ketzerey nicht beflecken, weil sie gehöret und erwähnet, sondern weil sie geglaubet und gelehret werden; die andere daß die Poeten ein Recht haben, die Personen von allen Zeiten, Ländern, und Religionen aufzuführen. Es hat des erstern halben keine Gefahr daß die Erzehlung der mythologischen Fabeln jemand verführe; man thäte ihnen zu viel Ehre an, wenn man sie vor gefährlich oder drohend für unsre reine und vernunftmässige Religion ansehen würde; oder man thäte unsrem erleuchteten Seculo unrecht, wenn man unsre Leute vor so unsinnig halten würde, daß sie zwischen der lautern Wahrheit der einen, und der trüben Verwirrung der andern zweifeln könnten. Wenn man sagen wollte, daß diese Theologie des Heidenthums zu Rettung der Ehre des menschlichen Verstandes und deren Nationen, die sich dazu [201] bekannt hatten, zu einer ewigen Vergessenheit sollte verurtheilet werden, so ist dieses nicht möglich, man wollte sich denn vornehmen die gantze Historie der heidnischen Nationen, in welcher die Glaubens-Lehren dieser falschen Religion so vielen Antheil an den Begebenheiten und Umständen haben, aus dem Gedächtniß auszulöschen, welches thörigt und unbillig wäre. Demnach halte ich vor erlaubet die mythologischen Fabeln vor das anzuführen, was sie sind, nemlich vor ein Hirngespinst, vor die Geschichte einer derer Welten, welche die Poeten erfunden oder doch in Besitz genommen haben, vor Exempel der Sitten, vor Bestrebungen der Einbildungs-Kraft, und des Witzes. Das ist der gesunde Begriff, den wir davon haben, und in disem Lichte betrachtet, haben die Poeten ein natürliches Recht sich dieser mythologischen Fabeln zu ihrem Gebrauche zu bemächtigen, weil es Früchte eben der Einbildungs-Kraft und des Witzes sind, welche sie anbauen und ausüben.

Alleine meine andere Anmerkung führet uns noch weiter, und ich darf vermöge derselben dem Poeten erlauben, die mythologischen Fabeln selbst als Wahrheiten vorzutragen, die geglaubet werden; nemlich in allen denen Fällen, da dramatische Personen von der mythologischen Religion eingeführet werden, für welche der Poet das Wort nimmt. Da hat dieser keine weitere Verantwortung, als die Personen nach ihrem[202] wahren und eigenen Character vorzustellen; und wie ihm vergönnet ist, böse Thaten, schlimme Leidenschaften und tadelhafte Sitten vorzustellen, also darf er auch falsche, irrige, und verdammliche Lehrsätze vortragen lassen. Wer sich daran ärgert, der zeiget ein ehrliches Gemüthe, und einen gesunden Verstand, aber wenn er deswegen auf den Poeten wollte böß werden, so würde er sich verrathen, daß er zwischen einer geschickten Vorstellung und der Vorstellung einer guten That oder einer gesunden Lehre, nicht zu unterscheiden wisse; weil geschickt vorstellen nichts anders sagen will, als etwas der Natur und dem Character des Dinges gemäß vorstellen, da denn unehrbare Handlungen und irrige Lehrsätze sich vor unehrbare und wahnwitzige Leute schicken. Und wie, nach Plutarchus Gleichniß, die Schuhe des hinkenden Dämonides, der krumme Füsse hatte, und daher wünschete, daß sie demjenigen, der sie ihm gestohlen hatte, recht seyn mögten, an sich selbst zwar ungeschickt, aber für ihn gut und anständig waren, also sind die Thaten und Lebens-Regeln eines Ixions, eines Eteocles, Satans und Beelzebubs, böß und falsch, aber dem Character derselben gemäß. Auf gleiche Weise hat Racine der Göttin Venus eine sehr schlimme That zugeschrieben, wenn er ihr der Phädra Verliebung in ihren Stief-Sohn Schuld giebt:


[203]

Je reconnus Venus & ses feux redoutables,

D'ung Sang qu'elle poursuit tourmens inevitables.

Und wenn er die Ausschweiffungen der Pasiphae eben derselben Göttin aufbürdet:

O haine de Venus, o fatale colere,

Dans quels egaremens l'amour jetta ma mere!


Es wäre seltsam, wenn ihn iemand deswegen für gottloß oder für einen Heiden ausschreien wollte.


Hieher gehören unfehlbar auch die Nachahmungen der Poeten, da sie ein gantzes Gedicht in einer fremden Person schreiben. Also hat der Herr Fenelon die Person Homers an sich genommen, da er dessen Odyssea in gewissem Verstande vermehret hat. In dem gantzen Gedichte redet dieser christliche Erz-Bischof nach den Lehrsätzen der heidnischen Theologie, welcher der Poete, den er nachahmete, zugethan war. Gleich im Eingange wird eine falsche Abgöttin vorgestellet, welche sich beschweret, daß sie unsterblich ist, weil dieses ihre Sehnsucht verewigte. Und diese Sehnsucht entstuhnd über den Verlust einer sehr fleischlichen Wollust. In kleinen Gedichten geschicht dieses von unsern Poeten sehr oft, und zwar ohne daß sie den Leser zuerst davon berichten; sie stehn ohne Zweifel in den Gedanken, daß solches überflüssig wäre, weil ihre Sprache, ihr metrum, ihre Reimen, den Poeten [204] ankündigen. Von dieser Art ist Sannazars Ueberschrift auf die Stadt Venedig,


Viderat Adriacis Venetam Neptunus in undis

Stare urbem – – etc. etc.


In andern Fällen, wo der Poet in seinem eigenen Nahmen redet, oder wenn er christliche Personen aufführet, würde er sich selbst und die Wahrheit verleugnen, wenn er den Lehrsätzen der Mythologie beypflichtete, wie geschehen würde, wenn er die Eigenschaften, Character und Thaten der himmlischen und heiligen Personen unsrer wahren Religion den homerischen Gottheiten und falschen Halb-Göttern zueignete, oder wenn er die hohe Würde derselben mit den Schwachheiten und den Uebelthaten dieser letztern entheiligte. Dadurch würden zwey ungleiche Systemata fidei durch einander gemischet, und Dinge von ungleicher Natur und Character in ein Gewebe gebracht. Eines würde das andere umstossen, und alles sich selber widersprechen. So gottloß und verdammlich dieses wäre, eben so ungereimt wäre es auch; und wenn ein mahometanischer Poet dergleichen Vermischung seiner lügenhaften Religion mit der Mythologie vornehmen sollte, würde er sich bey allen gescheiten Kunstrichtern nicht nur seiner sondern auch unsrer Religion eben so sehr zum Gelächter machen.

[205] Wenn ich nun dem Herren Voltaire einigen Grund für seine Verwerffung der miltonischen Illusionen auf die heidnische Theologie lehnen soll, nachdem er selbst keinen anzubringen beliebet hat, so kan ich ihm nicht zutrauen, weder daß er die Erwähnung der mythologischen Fabeln, so sie in ihrem wahren Lichte betrachtet werden, habe tadeln wollen, zumahl da er selbst sie sehr oft nach dieser Weise angebracht hat; noch daß er sie in dem Munde dramatischer, und angenommener Personen, derer Religion sie ausmachen, verurtheile. Also bleibet mir übrig zu gedencken, daß er zum Grunde seines Tadels die Verwechselung der Character, der Eigenschaften und Handlungen der himmlischen und heiligen Personen mit den Charactern, Eigenschaften und Handlungen, der mythologischen Götter und Halb-Götter gesetzet habe, wenn von diesen gesagt wird, was nur von jenen wahr ist. Auf dieses Vorurtheil scheinet derjenige von unsren deutschen Criticis gebauet zu haben, der des Herrn Voltaire Anklage folgendermassen auf Deutsch gegeben hat: Milton beruffe sich auf heidnische Fabeln, als auf wahrhaftige Geschichten. Alleine nachdem wir diesen Poeten in weit schwerern Fällen den besten Verstand mit der höchsten Phantasie haben vereinbaren gesehen, und hingegen den französischen Kunstrichter schon etlichemahl auf dem Irrthum ergriffen haben, können wir uns zum voraus vermuthen, daß Milton in [206] einer so offenbaren und leichten Sache nicht so grob werde gefehlet haben; in der That wird uns eine kurtze Einsicht in das Gedicht selbst vielmehr zeigen, daß seine eilfertigen Tadler sich in ihren Urtheilen übel betrogen haben.

Lasset uns zuerst die Exempel betrachten, die von dem Herren Voltaire angeführet worden. Das erste von der Entführung der Proserpine stehet im vierten B. »Das schöne Feld Enna, heißt es da, wo Proserpina Blumen las, und selbst, als die schönste Blume, von dem finstern Dite gepflücket ward, welches der Ceres so grosse Mühe verursachete, sie in der gantzen Welt zu suchen.« Der Poet beschreibet an diesem Orte das Paradieß, und weil solches der Platz ist, wo die Haupthandlung vorgehet, und uns einen grossen Begriff von der Glückseligkeit machen soll, welche unsre ersten Eltern darinnen genossen haben, hat er einen wunderschönen Plan davon gezeichnet, und endlich unsrer Einbildung aufzuhelffen, uns die schönsten Stücke Landes, derer von den Poeten und den Geschichtschreibern gedacht wird, vor Augen geleget, die Castalische Quelle, den Hayn Daphne, den Berg Amara, das Feld Enna, und doch zulezt geschlossen, daß sie mit dem Paradiese nicht streiten dörften. Ich habe hier erstlich anzumercken, daß in dieser Vergleichung das Gleichniß-Bild ein würcklicher in der Natur gelegener Platz ist, nemlich das Thal Enna [207] in Sicilien, von welchem uns aber der Poet nichts weiter als den Nahmen anzeiget. Er setzete voraus, daß der Leser von der Anmuth des Thals Enna schon einen angenehmen Eindruck aus andren Poeten empfangen hätte, wie diejenigen, die mit Ovidius und Claudianus bekannt sind, nothwendig haben müssen; wo dieses nicht wäre, hälfe dieses Gleichniß-Bild nichts zur Erleuchtung des Begriffes von dem Paradiese, den er hervorbringen wollte. Damit er nun seinen Endzweck desto sicherer erreichte, gab er etliche Kennzeichen desselben Thales, welche zwar auf solchem nur etwas zufälliges waren, doch überaus bequem sind, den Begriff, den man vormahls davon eingenommen hatte, zu erneuern; nemlich die Entführung der Proserpina, so daselbst begegnet war. Dieser berühmte Umstand konte nicht anderst als den Platz, wo er geschehen, mit den anmuthigen Beschreibungen der Poeten wieder vorstellig machen. Wenn in diesem Anzug etwas unanständiges ist, so muß es darinn bestehen, daß dieser Jungfrauen-Raub vor eine wahre Geschichte gesetzet wird. Nun ist wahr, daß der Poet hier nicht erinnert hat, daß diese Erzehlung nur erdichtet sey; hätte er solches gethan, so sehe ich nicht, was man ihm weiter hätte vorwerffen können; er hätte eine Fabel vor eine Fabel gegeben. Alleine wenn er dieses gleich unterlassen bat, so folget daraus nicht, daß er sie vor eine Wahrheit habe ausgeben wollen;[208] vor seinen Endzweck that dieser Anzug eine gleiche Würckung, wenn die Geschicht erdichtet, und wenn sie wahrhaftig war, und sein Stillschweigen rechtfertiget sich genug durch die gute Meinung, die er von der Fähigkeit, und der Rechtgläubigkeit seiner Leser haben konte, daß sie sich mit einer so offenbaren Fabel nicht betriegen könten. Diese Auslassung ist nicht freyer, als diejenige, die selbst in der ungebundenen Rede gewöhnlich ist, da man in der Metapher einen Helden bald einen Leuen bald einen Kriegesblitz heisset, ohne zu erinnern, daß solches nur Gleichniß-Weise geschehe. Warum nimmt Hr. Voltaire nicht auch vor baar, was der Poet am Ende des ersten B. eben so bejahend von den Pygmeen und den zauberischen Tänzen setzet: Eine Versammlung wie der Pygmeen jenseits, des indianischen Gebürges; oder wie der zauberischen Wald-Nymfen, derer mitternächtliche Mummereyen ein Bauer siehet. Und warum verlanget er von dem Poeten nicht auch eine Warnung vor der Erzehlung von dem Leviathan, auf dessen Schuppen ein Pilot den Ancker auswirfft, und an seiner Seite hinter dem Wind lieget; und von den Hexen, die Nachts mit einem Gefolge von Hunden durch die Luft nach Lappland reiten, mit den Zauberinnen da zu tantzen? Fürchtet er nicht daß diese Geschichten eben so leicht als der Raub der Proserpine vor die Wahrheit selbst genommen werden? [209] Alleine Milton hat auch dißfalls alle Vorsicht gebrauchet, und mehr als einmahl erinnert, daß er aus den Mythologischen Geschichten nichts mehrers machte, als sie sind. Wenn er der Titanen erwähnet, welche mit Jove Krieg geführet, erinnert er, daß sie in der Fabel berühmet sind; den Fluß Adonis, der von Adonis Blut roth gefärbet ist, heißt er eine Liebes-Fabel, und die Garten Adonis giebt er vor erdichtet. Die Fabel von Ophion und Eurinome im zehnten B. führet er ausdrücklich als eine Erdichtung an, welche er zugleich widerleget, und das wenige wahre, das darunter mögte verborgen seyn, geschickt anmercket Also thut er auch mit dem Fall Mulcibers vom Himmel, der von Jupiter über die Mauren des Himmels hinaus geworffen ward, und vom Morgen bis Mittags, vom Mittage bis zum Abend gefallen und mit dem Untergange der Sonne wie ein fallender Stern auf die Insel Lesbos gesuncken. »So melden sie, sagt Milton, aber sie irren. Mulcibers Fall geschah lange zuvor mit den rebellischen Engeln.« Zudem hatte er sich deutlich genug erkläret, wovor er die gantze heidnische Theologie hielt, nemlich vor eine Vetriegerey der gefallenen Engel, welche sich dem Heidenthum vor Götter aufgebunden, und eine kostbare Religion voller Gold und Pomp eingeführet hätten. Der griechischen Götter spottet er insbesondere, daß sie jünger wären, als Himmel [210] und Erden, und daß Jupiter der erste Unterdrucker gewesen wäre. Voltaire meinet zwar, weil diese Gottheiten Teufel wären, so wäre Milton destoweniger zu entschuldigen, daß er ihre Thaten angezogen hat; alleine eben dieses berechtigte ihn vielmehr dazu, weil er sie iezo als betriegerische Wercke derjenigen einführete, welche in seinem Gedichte ohne dem eine lange Rolle auf sich hatten. Einige von diesen Fabeln dienen in des Poeten Beschreibungen Licht, Leben und Hoheit zu streuen, andre haben den gewissen Nutzen, daß sie durch das Falsche, das darinnen angemercket wird, das Wunderbare in dem Gedichte Miltons wahrscheinlicher machen. Folgende Stellen sind Bestrebungen der Einbildungskraft des Poeten, der sich bemühet, die Beschreibungen der alten Poeten zu übertreffen.

Nachdem Milton im vierten B. Adams Sommer-Laube beschrieben, sagt er: In einer heiligern und einsamern Schatten-Laube hat Pan oder Sylvanus niemahls geschlaffen, oder die Nymfen und Faunus sich aufgehalten; wiewohl solche Lauben nur von den Poeten erdichtet worden. Wenig Zeilen weiterhin setzet er die nackende Eva gegen die wohl ausgerüstete Pandora: Sie war in ihrer nackenden Schönheit geschmückter als Pandora, welche die Götter mit allen ihren Gaben beschencket hatten; die sonst an traurigem Geschicke der Eva [211] nur allzugleich war. Von Even Gange sagt er im neunten B. Sie begab sich gleich einer muntern Waldnymfen von den Dryaden oder Oreaden oder dem Gefolge der Delia nach dem Lustwald und übertraf an Sittsamkeit des Ganges und einer Göttin anständigen Gebehrden die Delia selbst. In der Beschreibung der Schlange, in welche Satan gekrochen war, sagt der Poet: Niemahls war eine angenehmere Schlange gesehen worden, nicht diejenige, in welche sich Hermione und Cadmus oder der Gott in Epidaurus verwandelten, noch die, in welche der Jupiter Ammon oder der Capitolinus verwandelt worden, jener um der Olympias, dieser um deren willen, die Scipio, den grösten Römer, gebohren hat.

Ihr sehet, daß diese Mythologischen Dinge alle in Vergleichungen angebracht werden, ausser dem Zusammenhange mit der Materie des Gedichtes, gestalt sie ohne einen scheinbaren Nachtheil derselben könten weggelassen werden; und daß sie allezeit hinter den Urbildern des Poeten, auf welche sie gerichtet sind, weit zurücke bleiben; daraus kan man von der Achtung, in welcher er sie gehabt hat, leicht urtheilen. Pan, Sylvan, und Faunus, Götter der Heiden, haben eine schlechtere Wohnung, als Adam, ein blosser Mensch; Eva ist ungekleidet schöner als Pandora mit allen denen Gaben gezieret, womit sie jeder Gott des Heidenthums absonderlich [212] beschencket hatte; die Göttin Delia weichet an ansehnlichem Gang und Gebehrdung diesem sterblichen Weibe; der Abgott Esculapius und Jupiter haben in der Gestalt der Schlangen, in welche sie sich verwandelt haben, nicht besser ausgesehen, als der Teufel in dem Schlangenbalge, in welchen er gekrochen war. Diese Verringerung zeiget keine solche Hochachtung, die denjenigen bewiesen wird, die man vor wahre Götter hält, und ist gar nicht bequeme, das Ansehen der heidnischen Theologie aufzustützen. Es ist so ferne daß heidnische Ideen mit Christlichen unterspicket werden, daß sie vielmehr gesondert und unterschieden werden; und ich nehme in denen Vorstellungen, die Milton aus den heidnischen Poeten nimmt, allemahl eine heimliche Ironie wahr, die sie nur zur Verkleinerung aufführet.

Es ist Zeit daß wir auch das andere Exempel von denen, die der Herr Voltaire als tadelhaft anziehet, betrachten. Dieses ist die Vermählung Jupiters und der Juno, von welcher im vierten B. stehet: Adam unser erste Vater, bey dem die Schönheit unserer allgemeinen Mutter und ihre ihm ergebene Pracht eine innerliche Wollust gebahren, lachte sie von oben mit einer Liebe an, wie Jupiter von oben Juno anlachet, wenn er die Wolcken fruchtbar macht, welche die May-Blumen ausstreuen. Der französische Criticus hätte ohne Zweifel einen weit [213] stärkern Eindruck, u. mehr Vergnügen von Miltons Vorstellungen empfangen, wenn er eine mehrere Belesenheit in den alten Poeten gehabt hätte, denn diese hätte ihm Miltons Kunst in dem geschickten Gebrauche derselben, da er sie allemahl übertroffen hat, aus einer Vergleichung erkennen lassen, und des Poeten Bilder hätten desto stärcker auf ihn gewürcket, wenn er von den erstern der alten Poeten schon wäre eingenommen und zubereitet gewesen. Gegenwärtiges Gleichniß-Bild ist eine vollständige Nachahmung Virgils, der im zweyten B. von der Feld-Arbeit in der Beschreibung des Frühlings also sagt:


Vere tument teræ & genitalia semina poscunt.

Tum pater omniparens fœcundis imbribus Aether

Conjugis in græmium lætæ descendit, & omneis

Magnus alit magno commistus corpore fœtus.


Nur ungelehrte sehen hier nicht, daß der englische Poet so wohl als der lateinische durch Jupiter die Luft und durch Juno die Erden verstanden hat; und daß diese Vermählung und Schwängerung eine deutliche Metapher in sich enthält. Hätte Milton statt Jupiter die Luft, und statt Juno die Erden gesetzet, so wäre sein Gedancke nicht schlimmer geworden, ohne daß denn das Heidenthum damit zu thun gehabt hätte; wiewohl ich auch jetzo nicht sehe, was für Antheil es in diesem Ausdruck fodern könne, es [214] sey denn wegen der Nahmen Jupiter, und Juno, angesehen diese Schwängerung der Erden durch die Luft keinen Glaubens-Artickel in der heidnischen Theologie ausgemacht hat. Wenn denn ein Fehler hierinnen lieget, so entstehet solcher von dem Gebrauche dieser beyder Nahmen, die hier für Luft und Erde gesetzet werden, insoweit solche andere Begriffe erwecken als diese. Alleine wir können hier nichts anders dadurch verstehen, denn wenn der homerische Jupiter auf dem Berg Ida die Juno seine Schwöster und Gemahlin küsset, so entstehet aus dieser Paarung kein saamenschwangerer Regen, der die Frühlings-Blumen erzeuge. Bey den heidnischen Poeten ist die Metonymie nichts ungewöhnliches, nach welcher sie unter den Nahmen ihrer Götter die Eigenschaften oder Würckungen derselben verstanden haben; z.E. wenn sie gesagt haben: Cererem corruptam undis, Venerem nefandam, receptum terra Neptunum, vario Marte pugnatum. Die Frage ist demnach, ob nicht unsere Poeten sie ebenfalls in diesem figürlichen Verstande gebrauchen dörffen. Ich finde kein grosses Bedencken, soferne es ohne Zweydeutigkeit geschiehet. Wenn ein Nahme den rechten Begriff machet, den man haben will, so thut er, was er thun soll. Wer so schwürig seyn wollte und den Gebrauch dieser Nahmen darum verbiethen, weil sie ehmals falschen Gottheiten beygeleget worden, der muß aus derselben [215] Ursache auch die Städte, Tempel und Hayne meiden, die ihnen in dem Heidenthum geweyhet waren, und wo ihnen geopfert worden. Wenn Mars den Krieg, Venus den Beyschlaf, die Musen die Wissenschaften zu bedeuten gebraucht werden, so sind das Wörter aus der poetischen Sprache, die niemanden verführen können. Von dieser Art sind ungefehr auch die Nahmen der leblosen Dinge, Oerter, und alles des Zeuges, das von den mythologischen Poeten erdichtet worden, und in ihren Fabeln eben das Ansehen und den Glauben erhalten hat, welche die Wahrheit in der wahren Historie verdienet; zum Exempel, der Tartarus, der Styx, der Erebus, Ambrosia, Nectar, und die Adjectiva so daher formiert sind, welche von unsren Poeten in christlichen Gedichten wohl mögen gebrauchet werden; denn wiewohl wir den eigentlichen Begriff von diesen Sachen in unsrer Religion nicht in denen Graden finden, wie er in der heidnischen determiniert und eingeschränket war, so giebt es doch in unserer solche, welche diesen sehr ähnlich sind, zu deren Vorstellung sie darum gantz bequem entlehnet werden.

Der Herr Magny, den wir eine Zeitlang aus dem Gesichte verlohren, hätte sichs selbst nicht verziehen, wenn er die Anklage wider die mythologischen Anzüge unsres Poeten zu wiederholen versäumet hätte; weil er aber seine Meinung [216] in keinem hellern oder nur andern Lichte vorgestellet hat, als der Herr Voltaire thut, so darf ich mir die Ungelegenheit erspahren, sie absonderlich zu widerlegen. Ein einziges Exempel, wo er sich etwas weiter erkläret hat, soll uns zur Probe dienen. Milton sagt im Eingange des siebenden B. wo er Uranien, die er von der Muse, die disen Nahmen führte, wohl unterscheidet, um Beystand anruffet, unter anderm: Führe mich sicher zu meiner Geburtes-Statt hinunter, damit ich nicht von diesem ungezähmten Pferde, das mit mir davon fleugt, aus dem Sattel geworffen werde, (wie ehmahls Bellerophon, der zwar von einem niedrigern Clima gefallen war) und auf das Alleische Feld falle, daselbst verirret und verlassen herumzulaufen. Hievon urtheilet der Herr Magny: »Kan man die Fabel an einem unrechtern Ort anbringen? Milton ruffet hier unter dem Nahmen der Urania, der so viel heißt, als himmlisch, den Heiligen Geist an; er will ein christliches Gebethe verrichten; warum denn will er die Träume der Poeten darein mengen? Gehet er nicht schon würcklich irre, wenn er nur fürchtet, daß er irre gehe?« Ich bin nicht der Meinung, daß der Poet durch Uranien hier den Heiligen Geist verstehe; diese Urania ist vielmehr die himmlische Poesie, oder die Kunst von himmlischen und ausser der Sphär der irdischen Sinne ligenden Wesen, Engeln und Teufeln, [217] zu dichten, welche Milton aus einem abgezogenen Nahmen zu einer Person machet. Dieses erhellet daraus, daß er sie die Schwöster der ewigen Weißheit nennet, und sagt, daß sie vor dem Anfang der Welt mit ihr vor dem Thron des Höchsten auf der Sayte gespielet habe. Sonst ist diese Anruffung vielmehr poetisch als christlich, wiewohl sie nichts in sich enthält, das mit der christlichen Religion streite. Der poetische Flug des Poeten auf der Ein bildungs-Kraft, als einem ungezähmten Pferde, in den empyreischen Himmel, sollte den Kunst-Richter gelehret haben, daß Milton auch Bellerophons Flug vor nichts mehrers, als einen Ritt der Phantasie angesehen, von der Art, wie sein eigener war, da er in den Himmel des Himmels hinauf gestiegen, und empyreische Luft eingesogen hat. Ich will nicht fürchten, daß Herr Magny diese Vorstellung vor etwas anders als eine blosse Ideal-Reise ansehen werde, es sey denn daß er auch die Redens-Arten dem dürren Buchstaben nach verstehen wolle, welche der Poet zu Anfang des dritten B. gebrauchet hat, da er sagt, er habe sich endlich aus dem stygischen Pful herausgeschwungen, wiewohl er lange in seinen dunckeln Abgründen aufgehalten worden; er habe seinen Flug durch die äusserste und die mittlere Finsterniß genommen, da er von der himmlischen Musen angeführet worden, die Hinabfahrt in die Wüste zu wagen, und wieder hinaufzusteigen. [218] Wer einem Poeten diese Art Träume übel aufnehmen will, muß über die Masse ernsthaft, oder gar ein wenig dumm seyn. Ich will zwar gerne zugeben, daß Bellerophons Ritt auf dem fliegenden Pegasus von den mythologischen Poeten vor einen würklichen Flug ausgegeben worden, aber wenn unser Poet diese Fabel vor eine Fabel gebrauchet hat, so hat er eben das gethan, was der Criticus von ihm fodert, er hat sein Gebethe an Uranien von der Fabel gereinigt, man wolle denn einwenden, daß der blosse Nahme Bellerophon in einem poetischen Gebethe ungeziemend sey; welches einem Critico mit allem Recht das Ansehen einer merklichen Scheinheiligkeit zuwegebringen würde.

Nunmehr habe ich in dieser Vertheidigung der mythologischen Allusionen in Miltons Gedichte fast alle angezogen, die darinnen sind, und wenn ich etliche wenige ausgelassen habe, so wird man leicht sehen, daß sie mit den angeführten von einerley Natur sind. Wir sehen also wie entfernt dieser verständige und gottselige Poet gewesen, die heidnischen Fabeln der Mythologie vor wahrhaftige Geschichten auszugeben, oder sie mit den geoffenbarten Geschichten von Engeln oder heiligen Menschen zu verwechseln, wie geschicht, wenn die Character, die Eigenschaften und Handlungen der Mythologischen Götter ihnen zugeschrieben, oder gegentheils ihre Sitten [219] und Thaten den wahren Personen unserer reinen Religion angedichtet werden. Beydes ist gantz ungereimt, und zugleich gottloß; aber wollte Gott, daß sich alle christlichen Poeten so sorgfältig vor dieser Art Verbrechens in Acht genommen hätten, als Milton gethan hat. Das anstössigste Exempel, das mir davon bekannt worden, ist Sannazars, der in dem christlichen Gedichte von der Niederkunft der Jungfrauen die Ertz- Väter und Weissager und alle Seelen der Frommen, die vor Christi Geburt gelebet, in den heidnischen Tartarus gestossen hat, wo sie bey ihrer Ankunft vor dem bellenden Cerberus erzittern müssen, den Pluto zum Beherrscher, und die Centauren, Gorgonen, den Sisyphus, die Chimären und dergleichen Gespenster zu Nachbarn haben:


Interea manes descendit fama sub imos

Pallentesque domos veris rumoribus implet,

Optatum adventare diem quo tristia linquant

Tartara, & victis fugiant Acheronta tenebris,

Immanemque ululatum & non lætabile murmur

Tergemini canis. – – –


Der Königliche Prophet David wird eingeführet, wie er ihnen den Untergang des plutonischen Reiches und den Ausgang aus der tartarischen Wohnung verkündigt:


Tum verò Heroes lætati animæque piorum

Ad cœlum erectas coeperunt tendere palmas,

[220]

Atique hic insignis funda citharaque decorus

Attonita fubitos concepit mente furores.

Ipse catenato fessus per Tartara collo

Ducetur Pluto etc. etc.


Hieher gehören die Redens-Arten eines gewissen Poeten, der von einem Ertzvater gesagt hat, daß Lachesis ihm den Lebensfaden abgeschnitten habe, und daß Charon einen solchen in seinem Schiff über den Styx geführet habe, und wenn Petrarcha in einem Sonnet gebethen hat, daß er in den Ort der Wonne und des Heiles gesezet werde, damit er vor dem stygischen Schiffmann, nicht erzittern müsse. Unser Opitz hat sich vor disem Fehler nicht frey bewahret, wenn er in der Hercynia sich selbst mit seinen Gefehrten bey wachenden Sinnen eine Erscheinung unsterblicher Nymfen zuschreibet, und sich von denselben allerley Lectionen aus der Mythologie geben läßt, welche sie vor bekannt und wahr annehmen, wo das schlimmste ist, daß sie beym Abschiede sich gegen der Grotten wenden, und die Nymfe und den Ort ehren, darinnen sie so merckliche und wunderbare Sachen gesehen und erfahren hatten.


ENDE. [221]

Register
der angeführten Autoren und der vornehmsten Sachen in der Schutzschrift für das Verl. Par.

A

Abscheulich, wie ferne abscheuliche Sachen vorzustellen seyn 157.
Addison, von der zauberischen Schreibart 15 Verwerffung der Schattenpersonen 139.
Allegorie, wie ferne die Sünde und der Tod im v.P. allegorisch seyn 154.

C

Character der Engel wird unter ihren sichtbaren Gestalten beybehalten. Seht den gantzen Abschnitt von dem Character der Engel.


D

Dryden, romanhafte Ideen, so in seinem Drama von dem Falle des Menschen herrschen 194.

E

Einbildung, ob der Krieg im Himmel ein Werck der blossen Einbildung sey 14.

Engel, die Materie von den Geschichten der Engel übersteigt die menschliche Wissenschaft nicht schlechterdings 16 ist dem christlichen Leser nicht gleichgültig 22. 24. sie werden durch ihre sichtbare Vorstellung nicht erniedriget 33 Meinung einiger Lehrer, daß die Engel einen organisierten Leib haben 34 Unterschied zwischen ihren Verwundungen und den Verwundungen der Menschen 60. 61. ihre Verwundungen vertheidiget 62 ihr Gewehr, und ihre Waffen sind den unsrigen nicht gleich 67 Einwurff wider die Verarbeitung des Pulvers der bösen Engel 71 Vergleichung der mit Bergen bewaffneten Engel mit den Dipsoden 73 ob ihr Bestreben einander zu verletzen mit dem Begriffe von ihrer Seligkeit und dem Frieden des Himmels streite 75 daß es in der Pein der verdammten Engel Grade gebe 85 Art ihrer Freude 89 die gefallenen Engel haben nicht alle ihre Herrlichkeit verlohren 93 ihre Zusammenziehung ins kleine hat nichts lächerliches an sich 101 Grade in ihren Charactern 104.

Episch, was ein episches Gedicht sey 41.

Erdichtung ist mehr als ein leeres Hirngespinst 18 ist nicht Unwahrheit ibid.


F

Französisch, die Critici dieser Nation haben von dem v.P. am übelsten geurtheilt 12.

G

Glaubwürdigkeit, wie die Entfernung der Zeit und des Ortes dazu helffe 162.

Gottsched, seine Censur der heidnischen Fabeln in dem verl. Par. von Voltaire entlehnet 206 widerholt die Critick dieses Poeten über Miltons Bau des Pandämonium 97.


H


Himmel in irdischer Gestalt vorgestellt 37 und folg. ob der Begriff von dem Frieden im Himmel nicht den Begriff von einem Krieg in demselben zerstöre 75. 81 Magni Einwurff wider diesen Krieg 78.

Homer, was seine wunderbaren Erdichtungen glaubwürdig gemacht habe, ungeachtet sie unlängst vor seinem Leben begegnet waren 163.


K


Künste, so viel Künste sind, als Menschen sind 7 Behutsamkeit, so in ihrer Beurtheilung zu gebrauchen ist 8.

L

Lächerliches, Voltairens betrügliche Regel, woran dasselbe zu erkennen sey 101.

M

Magny Einwurf wider die cörperliche Vorstellung der Geister 30 wider die irdische Vorstellung des Himmels 39 Eindruck, den das v.P. auf ihn gemacht hat 44 sucht in dem Poeten den Metaphysicus 47. bezüchtiget Milton der Unheiligkeit 49 Einwurff wider den Krieg im Himmel 78 daß Satan in dem höllischen Feuerpful noch hoffe und fürchte 83 daß den verdammten Engeln in der Hölle neue Straffen angethan werden, welche sie durch kein neues Verbrechen verdienet haben 87 zeiget sich schier begierig den Teufeln in der Hölle eine Art von Seligkeit aus Miltons Worten zu erzwingen ib. will Milton zum Ketzer machen, weil er die Teufel nicht genug verdammt habe 88 versteht die Freude unrecht, so der Poet den Teufeln zuschreibt 89 hält die Pein der Teufel vor unendlich in ihr selbst 90 sieht die symphonische Musick in der Hölle vor eine Seeligkeit an ibid. findet keinen Unterscheid zwischen Miltons Hölle und Himmel 94 und folg. Beschuldiget Milton, daß er schwache, träge, verdrüßliche, unvorsichtige, Engel aufgeführt habe 104. 105. 106 desgleichen daß er den Engeln vor ihrem Abfall die Erkenntniß des Sohnes verjagt habe 109 will ihn des Irrthums des Arius verdächtig machen ibid. Ungeschicklichkeit des Grundes, den er von Satans Neide, als der Ursache seines Abfalles, angiebt, und Miltons entgegensetzet 111 er hat böse Gedanken von Miltons Glauben in die dritte Person 112 beschuldiget Milton vieler Widersprüche in seiner Vorstellung der englischen Personen. Sehet den gantzen vierten Abschn. Ungereimter Ausspruch von der Vorstellung der chaotischen Personen 169 Beschuldigungen Adams 174. 178 Censur des Collyrii Michaels und der Würckung desselben 184. 185 der Bilder, mit welchen Raphael den Krieg im Himmel dem Adam beybringen will 185 einer mythologischen Allusion 217.

Menschen, unermeßliche Verschiedenheit unter denselben 9 Merckmähler der ausserordentlichen Menschen 10 die menschliche Gestalt ist die anständigste für die Engel 36.

Milton, ein ausserordentlicher Mensch 11 seine Materie übersteigt die Fähigkeit der Menschen nicht gäntzlich 15 ob er in der umständlichen Vorstellung der Engel Homer gefolget habe 26 Geschicklichkeit die höchsten Eindrücke gehörig zu erregen 43. 44 überschreitet in Abhandlung Heil. Materien das Ziel nicht 46 seine Teufel übertreffen an Hoheit Homers Götter 64. Nutzen, den die Erfindung des satanischen Geschützes in seinem Gedichte thut 69 er hat den verdammten Engeln ihre englischen Vorrechte gelassen 93 nicht er, sondern Satan macht sich des Irrthums Arius verdächtig 110 wider verschiedene Beschuldigungen von Widersprüchen vertheidiget; Sehet den gantzen vierten Abschn. Vortheil seiner Materie wegen ihrer Entfernung von der menschlichen Sphär 163 Kunst in seiner Vorstellung des Nichts 164 Vertheidigung seiner chaotischen Personen 167. des Limbo der Eitelkeit 170 sein Adam gerettet 174. 178 Rettung des Gesichts Adams auf die Helfte des Erdbodens 180 der Bilder, womit der Poet den Krieg im Himmel dem Adam begrifflich gemachet hat 186 Leichtsinnigkeit der Ursache, welche er von Adams Theilnehmung an der Eva Ubertretung angiebt 191 Rettung seiner Allusionen auf die Mythologie 207 und folg.

La Motte, seine Gedancken von der Parodie 102 Lection über die Leichtsinnigkeit einiger Tadler 135.

Möglich, in die Welt des Möglichen gehet eine Menge Sachen hinein 171.

Mythologische Theologie ein Opprobrium des menschlichen Verstands 198 verführet heutzutage niemand mehr 201 ihre Fabeln dörffen für das, was sie sind, angeführt werden 202 dörffen heidnischen Personen in den Mund geleget werden 203 dienen dem Poeten, eine Vorstellung zu beleben und das Wunderbare zu beglaubigen 211 Erlaubniß die mythologischen Nahmen zu gebrauchen 215.


N

Natur, Schreibart, da sie schier schier aus dem Gesichte verlohren wird 15.
O

Opitz angezogen 221.

P

Petrarcha angezogen 221.

Poeten, ihnen ist erlaubet im Nahmen heidnischer Personen nach dem Wahne der Mythologie zu reden 204.

Poetisch, poetische Erschaffung 166.


R


Rolli, wirfft Voltairen vor, daß er Miltons Leser vor Indianer ansehe 23 seine Vertheidigung des Pandämonium wider Voltaire 99 Beantwortung einer Beschuldigung Widerspruches, die Magny gegen Milton gemacht 131.


S

Saint-Maur, übersetzet eine Stelle des verl. P. undeutlich 121.
Sannazars Vermischung heiliger und mythologischer Personen 220.
Schattenpersonen in dem verlohr. P. vertheidiget 144 und folg.
Sinnen, ob die Materien, die nicht in die Sinnen fallen, den Menschen widrig seyn 19.

U

Unsichtbar, die Französischen Critici ärgern sich an der Vorstellung des Unsichtbaren am meisten 12 des Poeten Recht das Unsichtbare sichtbar vorzustellen 32 Wahrheit der cörperlichen Vorstellungen der Engel ibid.


Urtheil, dem menschlichen sind göttliche Wercke nicht unterwürffig 5 dem Urtheil eines Menschen ist nicht ein jedes menschliche Werck unterworffen 7 Ursache der ungeschickten Urtheile von der Materie des v.P. 12.


V


Voltaire, sein Einwurff, daß Miltons Materie ein blosses Werck der Einbildung sey 14 daß die Men schen eine Abneigung gegen die Sachen haben, die nicht in die Sinnen fallen 19 halt die Abschilderung der Engel vor eine überflüssige Sache 23 elende Schwierigkeit, welche ihn abgeschrecket hätte, Miltons Materie in einem Gedichte abzuhandeln 27. Einwurff wider Satans Geschoß 68 Vergleichung der mit Bergen bewaffneten Engel mit den Dipsoden 73 seine Schertzreden über gewisse Einfälle Miltons nicht besser, als Satans und Belials 74 tadelt den Bau des Pandämonion 97 und dessen Gebrauch ibid. untüchtige Regel, so er vorschreibet, wie man das wahrhaftig Lächerliche erkennen könne 101 Censur der Vorstellungen der Sünde und des Todes 153 unwahrscheinliche Einführung allegorischer Personen in seinem Henrich dem vierten 159 seine Klage über Miltons mythologische Anzüge 197 seine Exempel derselben werden beurtheilet 207. 213.


W

Wesen, von höhern als menschlichen Stand würcken nach eigenen Gesetzen 5.
Wissenschaften, so viel verschiedene Classen derselben, als Menschen sind 7.
Wortspiele, dem Satan als dem Geist der Lügen zugeschrieben 74.

ENDE.

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TextGrid Repository (2012). Bodmer, Johann Jacob. Theoretische Schrift. Kritische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie. Kritische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3A66-E