Charlotte Birch-Pfeiffer
In der Heimath
Original-Schauspiel in fünf Acten

[2]

Personen

Personen.

    • Graf Conrad von Hohenfels, Gesandter

    • Graf Adolph von Hohenfels, sein Neffe, Attaché

    • Leblanc, Banquier

    • Charles,
    • Denise, , seine Kinder

    • Amélie,
    • Fleure, , Pensionairinnen

    • Veit Werninger, Sonnenwirth und Holzhändler im Kinzigthal im Schwarzwald

    • Gertrud, seine Frau

    • Rosalie (Rosel),
    • Dorothea (Dorle), , beider Töchter

    • Bastian Leuthard, sein Geschäftsführer

    • Steffen Kirchberger, Hofbauer von Simonswalde, Dorotheas Bräutigam

    • Lisbeth 1 Maierin, eine junge Wittwe, seine Schwester

    • Peter,
    • Michel, , Knechte im Sonnenwirthshaus

    • Kathrin, Magd

    • Ein Diener Leblancs

    • Mehrere junge Herren

1. Akt

1. Szene
Erste Scene
Gertrude. Dore.

GERTRUDE
im reichsten Kostüm der Schwarzwälder Bauern, den Arm auf die offene Kiste gelehnt.

Sechs große Tafeltücher nebst Servietten, zwölf kleine zu zwölf Personen, zehn Dutzend Handtücher – hast Du's?

DORE
gleichfalls im Bauernkostüm, aber ohne Mütze, das Haar in Flechten um den Kopf gelegt, und mit einem silbernen Pfeil im Nacken festgesteckt, sitzt an dem Schreibpult und notirt Alles in einem langen Comptoirbuch.
Hab Alles, Mutter. Sind wir nun endlich fertig?
GERTRUDE.
Will's Gott! Ist ja die dreizehnte Kiste mit Leinwanden, die wir gepackt haben!
DORA
schlägt das Buch zu, lachend.
Wo denkt Ihr auch hin? Kann ja das Zeug mein Lebtag nicht verbrauchen!
GERTRUDE.

Ach du Kindskopf! Probir's nur, führ' erst zehn Jahr Wirthschaft und dann sieh zu, was von dem Ueberfluß da übrig ist! Schlägt den Deckel zu, schließt die Kiste und legt den Schlüssel neben Dore auf das Pult, ruft. Michel! Peter! Ist denn keiner von den Hausknechten um den Weg? He! Peter! Michel!

PETER UND MICHEL
Bauernknechte, stürzen schnell herein, von rechts.
Frau!
GERTRUDE
befehlend.
Die Kist' da zu den andern. Sind die Wägen gepackt?
PETER.
Ja Frau! Alle bis auf die vierte Fuhr. Beide ab mit der Kiste.
GERTRUDE.

Gottlob! Das wär' geschehen! Jetzt fehlt nichts mehr als die Brautkron', die uns die Lisbeth aus der Stadt mitbringen will.

DORE
sieht links durch das Fenster.
Nein, alle die Kisten! Der Vater steuert mich ja aus wie eine Prinzeß'!
GERTRUDE
setzt sich müde in den Lehnstuhl.

Ist nur seine Schuldigkeit. Hat Dich lang genug warten lassen auf die Hochzeit. Da hat der Steffen erst seinen eigenen Hof haben müssen, und wär' sein Vater nicht gestorben, Ihr könntet warten bis zu grauen Haaren!

[3]
DORE
nachdenkend.

Hör', die Mutter, ich will Ihr was sagen, Recht hat der Vater, es thut kein gut, wenn ein reiches Mädel nicht in eigenen Hof hinein heirathet! Wir haben's geduldig drei Jahr ausgehalten mit Warten – und jetzt ist der Lohn da! – Wenn ich an die Hochzeit denk', und daß es nur noch sechs Tag' hin sind – so überrieselts mich vor Freud' völlig kalt und heiß. Ach wenn nur die Rosel schon von Paris da wär'!

GERTRUDE
sorgenvoll.
Ja, wenn sie nur nicht ausbleibt!
DORE
erschrocken.
Die Schwester! Sag' die Mutter so was nicht!
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Lisbeth.

LISBETH
in demselben Costüm wie Gertrude, nur eine ganz kurze Jacke darüber, die Haube wie Jene.

Junge Frau, drall, lebhaft, heiter. Trägt eine Schachtel, worin eine glänzende Brautkrone nach Bauernart. Grüß Gott bei 'nander! Da wär' ich – und mein Schatz! Hält die Schachtel empor.

DORE
froh.

Jetzt das ist brav, Lisbeth! Schön Dank!Nimmt ihr die Schachtel ab, und setzt sie auf den runden Tisch.

GERTRUDE
steht auf.
So, Lisbeth! Jetzt sind wir fertig.
LISBETH
stolz.

Solch' eine Brautkron' wie ich Dir bestellt hab', Dore, hat noch kein Schwarzwälderkind gesehen! Nimmt den Deckel ab. Da, schau nur!

DORE
faltet die Hände und betrachtet die Krone mit Ehrfurcht.
Herr Jeh! Ist das eine Pracht!
LISBETH
vergnügt.

Nicht wahr, He? Gottlob! Jetzt fehlt nichts mehr zur Hochzeit! Mein', ich könnt' sie kaum mehr abwarten!

GERTRUDE.
Na Lisbeth, Sie thut ja grad' als wenn's Ihre Hochzeit wär'!
LISBETH.

Das kann mir Keiner verübeln, daß ich mich freu' die Wirthschaft los zu werden, die ich seit meines Mannes Tode führen muß für den Steffen; den Querkopf bringt nur das Dorle zurecht, und ich bin doch nicht willens ledig zu bleiben.

GERTRUDE
lachend.
So, so ist's? Die Lisbeth hat auch Heirathsgedanken?
LISBETH.

HAB' ich, ja Frau Gertrud! Warum nicht? Bin seit zwei Jahr Wittib – und das ist ein elendig's Ding! – Sobald die Hochzeit vorbei ist, schau' ich mich einmal wieder beim Vetter Bäcker in Zülichau und auf dem Wald um. – Jetzt aber Dorle, mußt mir die Brautkron gleich probiren! Faßt in die Schachtel und nimmt die Krone heraus. Komm her.

DORLE
fährt zurück.

Nein, Lisbeth – um's Leben nicht! die kommt nicht auf meinen Kopf, ehe sie mir die Rosel nicht aufsetzt.

LISBETH
gedehnt, indem sie die Krone in die Schachtel legt.

So? – Na – da kannst noch eine Weil warten mit dem Heirathen! – der gefallt's zu gut bei ihrem reichen Herrn Pathen in Paris, die denkt nicht heim! –

DORE
sieht sie groß an.
Ja, was willst damit sagen?
LISBETH.

Kein Mensch in der Gegend glaubt, daß Euer Rosel noch [4] einmal in den Schwarzwald kommt. – Hoff' nicht daß auf die gewartet werden soll! – Jetzt nehm' ich, mit Verlaub, einen kleinen Imbiß, bis der Bruder vom Pferdemarkt kommt, er will mit mir heimfahren. Der wird Dir's Warten schon vertreiben! Paß auf! Ab, wo sie kam.

DORE
steht in tiefen Gedanken.
Mutter! Könnt' das möglich sein, daß die Schwester nicht käme?
GERTRUDE.

Ich weiß nicht – aber ich mein' – sie müßt längst da sein, wenn sie kommen wollt! Nicht weil's die Lisbeth sagt, aber mir ist's schon länger so schwer um's Herz als käm' die Rosel nimmermehr über die Schwell!

3. Szene
Dritte Scene
Veit. Vorige.

VEIT
von rechts.

Mann von einigen Fünfzig, halb bäurisch, halb städtisch gekleidet, eine Sammetmütze auf dem Kopf, eine kurze Meerschaumpfeife rauchend. Wer sollt nimmermehr über unsre Schwell' kommen?

DORE.
Die Mutter meint' – die Rosel!
VEIT.
Du faselst Alte.
DORE
mit unterdrückter Angst.
Ja, und die Lisbeth sagt auch, sie käm' nicht wieder!
VEIT.
Aus der red't der Neid. Aber wie kommst Du auf solchen Unsinn, Frau?
GERTRUDE.
Kann's nicht sagen. Fliegt mich oft so an, weiß nicht, wo's herkommt.
VEIT.

Ich aber weiß es! Das kommt von dem ewigen Lamento um das Mädel. Möchtest lieber den Jammer ausstehen daß sie ausblieb', nur um Recht zu behalten. Gemüthlich schmauchend, setzt sich. Schau Gertrud, Du bist das gescheidteste Weib im ganzen Schwarzwald, bist die beste Wirthin im Land, weißt jedes Geschäft am rechen End anzupacken, nur auf Deine Kinder hast Dich nie verstanden! Die da hätt'st dem Steffen schon geben als sie ihm nur die erste Magd werden konnte – statt wie jetzt, die Haus frau zu sein; und die Rosel hätt' ich mit dem Gevatter Leblanc ums Leben nicht in's Frankreich hineinlassen sollen, daß sie was Rechtes lernt, und weiß doch so gewiß, daß sie das treuste Schwarzwälder Herz hat; für die ganze Welt giebt die ihre Heimath nicht hin.

GERTRUDE
kopfschüttelnd.

Kann's nicht recht denken, daß es Einem, der drei Jahr in Paris gelebt hat, noch in unsern Bergen gefallen sollt!

VEIT.

Nachher g'rad erst recht! Bin ich nicht alle Jahr zweimal fort? Im Elsaß, zu Paris oder Amsterdam, und gefallt mir's wo besser als bei uns? Es ist gar ein eigen Ding um die Heimath! Schmunzelnd. Hätt'st sie nur gesehen, als ich um Weihnacht im Pensionat zu Paris war, wie sie mir um den Hals fiel und gejubelt und nach Allem gefragt hat! Mit verklärtem Gesicht. Sag Dir, das Mädel ist bild sauber, und nett und ehrbar, daß Einem das Herz lacht wenn man sie nur anguckt! – Wart' Du nur, Du wirst Augen machen wenn sie jetzt heim kommt und Du siehst, wie sich die Rosel herausgewachsen hat – [5] und wie sie mit Franzos und Engländer in seiner Muttersprach schwätzen kann; der Theobald erst und die Gäst' werden Mund und Nas aufreißen über ihren prächtigen Gesang, und wie sie das Klavier schlagt! Donnerwetter! Da sollst Du sehen –

GERTRUDE.

Daß Du verplatzen wirst vor Hochmuth und Eitelkeit auf das Kind, das nicht Fisch noch Fleisch sein wird im Sonn'wirthshaus! Ja, das werd' ich sehen! Hab' ich mein Lebtag ein ander's Wort als ehrliches Deutsch mit den vornehmsten Leuten geredt, hab ich Triller und Klavier geschlagen, und ist unser Haus nicht das gesuchteste im ganzen Schwarzwald? Die Gäst' wollen Alles gut und prompt haben was sie brauchen, und kriegen sie das recht, so verstehen sie's in allen Sprachen; ich mein', Du bist nicht arm worden bei meiner deutschen Wirthschaft! Meinst nicht auch, Sonn'wirth?

VEIT
kleinlaut, rückt etwas zurück mit dem Sessel.

Na, na! Ich sag' ja nichts gegen Dich, wenn ich die Rosel ein Bissel – ein Bissel neumodischer möcht', als es eben damals der Brauch war, wo sie Dich aufgezogen haben.

GERTRUDE
dichter vor ihn hintretend.

Neumo discher? – Jetzt laß mich ausreden – mich druckt's im Herzen, es muß einmal 'raus! Gott geb', daß Du Recht behältst mit der neuen Mode und daß ich's nicht verstanden hab' als ich Dir damals sagte: ein Bauernkind kann keine Pariser Erziehung verbrauchen, das geht krumm! Wann's g'rad' geht, soll's mir lieb sein! Aber ich wollt' – Du hätt'st niemals einen Baum an den Herrn Gevatter Leblanc nach Paris verkauft, und hätt'st Dein Geld lieber ohne Zins im Kasten liegen lassen, als daß Du's für 5 Procent bei ihm angelegt hast, denn wär' er dazumal nicht im Haus gewesen als wir die Rosel tauften, hätt' sich nicht zum Pathen antragen können, und ohne sein Zureden wären Dir mein Lebtag die Mucken nicht in den Kopf gekommen das Mädel auf französisch verziehen zu lassen; nachher wär mir mein liebes Kind nicht durch drei Jahr' Trennung so fremd worden, daß ich jetzt, statt mit Freuden, mit Herzklopfen an's Wiedersehen denken muß. So ist's und so sollt's nicht sein! Und das sag' ich Dir, – wenn das Mädel jetzt kommt und ist Dir vielleicht zu neumo disch worden und Du hast Dir genug singen und französisch welschen hören, und sie rührt Dir kein Glas und kein Teller an, und Du willst wettern und fluchen mit ihr, so bin ich ihr Advokat und leid's nicht, denn nachher kann sie nichts dafür, und dann sollst die Gertrud Werningerin kennen lernen, Alter! Verstehst? Ab zur rechten Seite.

VEIT
sehr verblüfft.

Na na! Kenn' Dich schon lang genug – verlang mir nicht mehr von Dir! – Hat ein höllisches Maulwerk Deine Mutter, wo sie nur den Athem herkriegt? Mit Schwätzen kommt der Pfarrer nicht gegen sie auf! – Steht auf, gewichtig. Ist aber doch die gescheidtste Frau im Schwarzwald, allen Respect vor ihr, hörst Dorle? Kannst sie nicht genug estimiren; Leiser. nur Ein's brauchst ihr nicht nachzumachen: das Rechtha ben! Verstehst? – Muß ihr doch nachsehen, sie meint sonst ich ließ' ihr das letzte Wort – und das darf ein rechter Mann seinem Weib niemals nicht lassen. Das wär' weit gefehlt! Merk's! Folgt Gertrude, ab.

[6]
DORE
allein, hat während des Streits an dem Arbeitstische Platz genommen und genäht.

Ob die Rosel sich wirklich so verändert hat, wie die Mutter meint? Kann's nicht glauben. Ihre Brief' sind so lieb! Nein, ich fürcht' mich nicht vor ihrer Heimkehr, ich sehn' mich danach, recht arg sehn' ich mich – und mein', ich könnt' sie nicht länger entbehren!

4. Szene
Vierte Scene
Dore. Graf von Hohenfels.

GRAF
ist während des vorigen Monologs im Baumgarten sichtbar geworden, tritt jetzt durch die offene Thüre im Hintergrunde ein.

Mann von einigen Fünfzig, hoch, schlank, ganz Aristokrat, er trägt ein leichtes modernes Reisekleid, wie bei Sommertouren im Gebirg üblich. Für sich. Hier finde ich endlich Jemand allein. Dore beobachtend. Wahrscheinlich ein Dienstmädchen? Vielleicht wäre von ihr zu erfahren was mir zu wissen nöthig. Kommt näher, laut. Guten Morgen, mein Kind.

DORE
aus Gedanken.

Ah? der Fremde von gestern. Schönen Dank, Herr! Steht auf. Sie kommen schon aus dem Baumgut, da sind Sie früh auf; wünschen gewiß Ihr Morgenbrod?

GRAF
nickt.
DORE
höflich.
Dann muß ich Sie schon bitten in's Gast-Zimmer zu gehen, hier ist die Hausstube.
GRAF
näher kommend.
Ah, also ein Privatzimmer?
DORE
geht wieder zum Tischchen.
Zu dienen.
GRAF
sich umsehend.
Es ist so frisch und wohnlich hier, ist es nicht erlaubt ein wenig zu plaudern?
DORE.

Wenn Sie sonst nichts zu thun haben, warum nicht? Rückt einen Stuhl zu dem runden Tisch. Nehmen Sie immer Platz. Setzt sich wieder.

GRAF
sich setzend.
Danke!
DORE
nimmt die Arbeit wieder auf, ihn von der Seite scharf ansehend.
Aber, was kann ein Bauernkind wie ich, mit so einem Herrn schwätzen?
GRAF.

O recht viel, Kleine! Kannst mir erzählen von dem Viehstand, der Weinlese – von – den Nachbarn im Thal –

DORE
wie oben.
Und das wär' was für Sie? – O geh'n Sie doch!
GRAF.

Gewiß ist's für mich. Ich komme zum ersten Mal von Baden herüber in diese Berge, mir ist Alles hier neu. – So war ich gestern droben an dem Schluchsee überrascht von dem herrlichen Ausblick.

DORE
hat genäht.
Und wie gefallt Ihnen der Weg über die Steig, nicht wahr, der ist schön?
GRAF.
Ja, wunderbar schön! Wem gehört doch die Alm mit der großartigen Meierei und dem prächtigen Vieh?
DORE.
Links, wenn man von oben 'runter kommt?
GRAF.
Richtig.
DORE
einfach.
Die gehört meinem Vater.
GRAF.
Ei? Das ist wohl die schönste im Schwarzwald?
DORE
wie oben.
O nein, wir haben noch drei andere, die viel größer sind. –
[7]
GRAF
verwundert.
Da ist Dein Vater ein großer Bauer?
DORE
lachend.
Die Leut' sagen's.
GRAF.

Und Du kennst gewiß die ganze Gegend, und wirst mir auch zu sagen wissen, welchem Holz händler die vielen Schneidemühlen gehören, die an dem reißenden Waldbach liegen?

DORE.
Ein paar davon gehören meinem Vater, die andern –
GRAF
seine Spannung mühsam verbergend, unterbricht sie rasch.
So handelt Dein Vater auch mit Holz?
DORE.

Das will ich meinen! – Bis in's Frankreich hinein und zur Nordsee hinauf; Schiffsholz heißt man das, Herr.

GRAF.
So wäre er also Gutsbesitzer und Holzhändler zugleich?
DORE
lachend.
Und Sonnenwirth dazu, das ist gewiß!
GRAF
frappirt.

Ah so – da bist Du – da sind Sie die Tochter vom Haus? Verzeihen Sie – ich wußte das nicht; Ihre Tracht –

DORE.

Ist die mir gehört, und mir von Allen am besten gefallt; ich bin ein Bauernkind, heirath' einen Bauern und will mein Lebtag nichts anderes sein.

GRAF.
Das ist verständig – und wäre zu wünschen, daß alle Leute in der Gegend so dächten. –
DORE
sieht ihn groß an.
Ja – wollen denn die was anders sein als wir? Solche kenn' ich nicht.
GRAF.

Aber es giebt doch einen Holzhändler hier herum – der eine Tochter im theuersten Pensionat zu Paris, wo sogar adliche Fräulein ausgebildet werden, erziehen läßt?

DORE
springt auf.
Was? Wie heißt die? –
GRAF.
Den Familiennamen kann ich nicht genau angeben, in der Pension nennt man sie nur Rose!
DORE
athemlos.
Das ist meine Schwester Rosalie! Unsere Rosel! Ja gewiß.
GRAF
steht rasch auf.
Wie? Es wäre Ihr Vater, der –
DORE.

Ja, ja, mein Vater ist's, der sich von dem Herrn Leblanc die Rosel hat abschwätzen lassen, denn der hat sie über die Tauf' gehalten, und war schon ganz vernarrt in sie wie sie noch ein Kind war. Ja, kennen Sie sie denn?

GRAF.

Meine Tochter, die in derselben Pension erzogen wird, erzählte mir viel von ihr; sie soll sehr schön und geistig begabt sein, alle Welt liebt sie.

DORE
außer sich.

O, wie mich das freut! Ich könnt Ihnen gleich um den Hals fallen! Ach, es ist ja bei uns g'rad so, alle Menschen haben die Rosel immer gern gehabt – und sauber war sie schon mit fünfzehn Jahr', ein Gesicht wie Milch und Blut, und goldige Haar und Augen wie die Stern am Himmel, gerad' wie die wunderthätig Mutter Gottes in Einsiedel.

GRAF
sehr unruhig.

Dann wundert es mich sehr, daß der Vater sie dem verderbten Pariser Leben preisgab, worin sie gar leicht untergehen könnte.

DORE
sieht ihn groß an, mit tiefem Ernst.

Die Rosel ist so fest in der Frömmigkeit, daß sie durch alle Verderbniß hinwandeln kann, wie der Engel Gabriel durch den Schwefelpfuhl, an dem seinem Flügel bleibt auch [8] nichts kleben. Das ist's nicht was mir Angst macht! Aber ich fürcht – es könnt ihr bei uns nicht mehr gefallen, das ist's.

GRAF
rasch.
Bleibt sie denn nicht für immer in Paris?
DORE
ernst.
B'hütes! In der Woch' noch kommt sie heim, denn Sonntag Selig vergnügt. ist meine Hochzeit.
GRAF.
Sind Sie gewiß, daß sie kommt?
DORE.
Und wenn die ganze Welt Nein sagen thät, ich weiß es so gewiß, als daß die Sonn' am Himmel steht!
GRAF
mit einem tiefen Athemzug.

Das ist recht erfreulich für Sie! – Aber was soll sie denn nun in der Heimath mit all' ihrer Bildung anfangen, Kind?

DORE.

Heirathen soll sie, Herr. Der Theobald Stricker von Offenburg ist ihr verlobt von Kind auf, und wartet getreulich auf sie, wie's bei uns Brauch ist; sein Vater hat ein großes Gasthaus in Baden für ihn gekauft, dort kehren die vornehmsten Herrschaften ein, da kann sie ihre Bildung schon an Mann bringen – das wissen Sie ja!

GRAF
sehr heiter und sichtlich erleichtert.

Dort ist sie allerdings am rechten Platz! Aber hatten Sie denn nie Lust Welt und Menschen kennen zu lernen, wie die Schwester?

DORE
trocken.

Nein, niemals. Der Rosel wär's auch nie eingefallen, wenn's der Vater nicht befohlen hätt'. Zu was denn auch? Kann die Welt irgend wo schöner sein als im Badener Land? Kommen Sie und Tausende nicht alljährlich her um sich bei uns umzuschauen? Sie dürfen mir's glauben: ich kenne Welt und Menschen, wenn ich auch die Nas nie weiter über die Heimath hinaus gestreckt hab' als bis Carlsruh, oder in's Albthal 'nunter.Sieht ihn schelmisch an. So wollt' ich's gleich dem Herrn auf's Düpfele hin sagen, wer er ist.

GRAF
frappirt.
Wie so? – Wer sollt' ich denn sein?
DORE
bestimmt.
Sie sind ein vornehmer Herr, so, wie man sagt »was Recht's!«
GRAF
lächelnd.
Und woraus schließen Sie das?
DORE
ihn fest ansehend.

Sie riechen nicht auf zehn Schritt nach Patschuli; Sie tragen keine goldene Kette um den Hals, und haben die Finger nicht voll Ring'; aber Ihre Wäsch' ist so fein wie Spinnweb' und Ihre Händ' sind so glatt und weiß, daß man ihnen ansieht, sie geben sich mit keiner Ar beit ab, aber um so mehr – mit Glace-Handschuh' und Postpapier.

GRAF
etwas verlegen.
Diesmal täuscht sich Ihre Menschenkenntniß, Kind, denn ich bin kein vornehmer Herr, ich bin –
DORE
unterbricht ihn.

Sagen Sie mir's lieber nicht, denn ich seh's Ihnen an, Sie wollen mir was weiß machen, und zwei Ding' kann ich nicht vertragen: ich mag nicht bestohlen und nicht belogen sein, man kommt sich nachher so dumm vor, wenn man's erst merkt, und schämt sich für sich und den Andern. Behalten Sie's für sich; Lachend. es läßt mich schon schlafen, wenn ich auch nicht weiß wie Sie sich schreiben, gewiß! Jetzt will ich Ihnen um ein Frühstück sehen. Geht.

GRAF
für sich.

Originelles Geschöpf! Wenn die Schwester ihr gleicht – so hat Felden recht, dann könnte die Sache ernsthaft werden.

[9]
5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Steffen von links.

STEFFEN
junger, frischer Bauer, gut gekleidet, tritt eben ein, als Dore aus der Thüre will, und faßt sie in die Arme.

Ach Wetter, Du herzlieb's Dorle! Gott grüß' Dich! Mein' immer, es sei nicht recht Tag, wenn ich Dich nicht seh!

DORE
ihn abwehrend.

Na, na! Was fährst Du gleich zu als wär' ich von Holz, Du wilder Bursch! Meinst wir sind allein auf der Welt?

STEFFEN
nach dem Vorgrund kommend.

Ja so!Den Hut ziehend. Guten Tag, Herr! – Nichts für ungut, bin's nicht gewohnt in der Hausstube Gäste zu finden und hab' mein Mädel drei Tage nicht geherzt! Da kann's Einem schon geschehen, daß man nichts anderes sieht – Mit leuchtenden Augen auf Dore. als eben sie!

GRAF.

Das begreift sich. Habt keine Entschuldigung nöthig, Lächelnd. und der Jungfer wohl Dinge zu sagen, die nicht für Jedermanns Ohren sind, da störe ich nur. Geht.

DORE.

Nein, Herr; was wir Zwei zusammen schwätzen, kann die ganze Welt hören. Der wilde Bursch da ist der Steffen Kirchberger von Simonswald, seit drei Jahr' mein Bräutigam, und am nächsten Sonntag Hält Steffen die Hand hin, der sogleich einschlägt. können Sie unser Hochzeitsgast sein, wenn Sie so lang da bleiben.

GRAF.
Leider muß ich heute noch reisen. Mögen Sie recht glücklich sein!
DORE
sich verneigend.
Schön Dank, Herr! Das haben wir Zwei sehr im Sinn, gelt Steffen? Glücklich wollen wir sein.
STEFFEN
hält noch immer ihre Hand fest und schlenkert sie jetzt hin und her.

Glücklich wie die Engel im Himmel! Denn im ganzen Land giebt's kein zweites Mädel, so ehrbar, bildsauber und grundbrav wie mein Dorle, und kein' Burschen der sein'n Schatz so treulich gern hat, und so estimirt wie ich's thue; solch eine Ehe soll der Schwarzwald noch nicht gesehen haben, wie wir eine führen werden, in Züchten und Frieden. Gelt Dorle, Du weißt was sich für eine rechte Frau gehört!

DORE.
Das hoff ich! Hab's von meiner Mutter lernen können.
STEFFEN
stirnerunzelnd.
Na, hör'! – Alles mußt ihr doch nicht nachmachen! Die Alt' will allemal Recht haben!
DORE
gereizt.
Freilich, ja, weil sie allemal Recht hat.
STEFFEN
läßt ihre Hand los.

Du, bei mir thät's mit dem Rechthaben kein gut; denn mein Kopf ist härter als der vom Sonnenwirth. Das weißt.

GRAF
für sich.
Der eheliche Frieden beginnt schon wie mir scheint. Geht nach dem Hintergrund.
DORE.

Ja das weiß ich; ich weiß aber auch wie rechtschaffen Du bist, Reicht ihm plötzlich die Hand. und will schon mit Dir zurechtkommen. Schau, ich mein' immer: in einer richtigen Eh' muß der Mann der Kopf der Frau, und die Frau das Herz des Mannes sein, nachher [10] mags kommen wie's will, es geht Alles gut – Zärtlich. Meinst nicht auch, Du Hitzkopf Du? –

STEFFEN
ihre Hand schüttelnd.
Ja Du herzliebes Mädel, Du Hex Du, so mein' ich's auch.
GRAF
für sich.
Welch ein Mädchen! Ich wünschte die Schwester wäre schon hier, statt in Paris!
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Veit. Gertrude. Lisbeth wo sie abgingen. Bastian.

VEIT
athemlos hereinstürzend, einen Brief in der Hand.
So wollt' ich doch, daß ein heiliges Kreuz Donnerwetter drein schlüg'!
GERTRUDE
ihm folgend.
Fluch nicht so gotteslästerlich, Mann, ich leid's nicht! Sag lieber endlich was es ist!
VEIT.
Ein Brief ist's vom Gevatter Leblanc. Zu Bastian. Gieb ihn der Dore, Bastian!
BASTIAN
älter als Veit, sehr ergraut, in einem städtischen Ueberrock, reicht Dore den Brief.
VEIT
fortfahrend.
Da steht's drin, daß die Alte Recht gehabt hat. Die Rosel kommt nicht zur Hochzeit!
DORE
entsetzt.
Vater! Öffnet rasch den Brief.
GERTRUDE.
Da hast Du's!
STEFFEN.
Das wäre des Gukuks!
LISBETH
leise zu Steffen.
Hab's gewußt! –
GRAF
im Hintergrund für sich.
Was höre ich da?
GERTRUDE.
Aber – warum – was schreibt denn der Leblanc?
VEIT.
Frag' den Bastian, mir ist gleich das Blut in die Augen gestiegen vor Wuth, der hat mir ihn gelesen.
BASTIAN.

»Er hab' die Rosel jetzt erst aus der Pension in sein Haus genommen, sie müßt' noch einen Cursus im Englischen beenden, seine Tochter sei krank, sie könnt' nicht leben ohne die Rosel und die wolle selbst nicht fort – es wäre allerlei zu ihrem Glück im Gang« –

GRAF
für sich.
Ha! – Meine Ahnung!
VEIT
zornig.

»Darum könnt' er sie jetzt nicht weglassen, in ein paar Wochen wollt er sie selber herbringen« – und was das vertrackte Zeug's mehr ist. – Kurzum – sie will nicht her!

LISBETH
halblaut.
Das hat sich Jeder denken können!
BASTIAN
schüttelt den Kopf.
Ich kann's nicht glauben!
GERTRUDE.

Ich schon, leider Gott! Ich hab's gewußt, in allen Adern hab' ich's gespürt, daß das Kind uns nicht wieder kommt!

LISBETH.
Hab's immer gesagt: Die bleibt in Paris!
GRAF
für sich.
Das wird noch zu verhindern sein!
VEIT
wüthend.

Sie soll her wohin sie gehört. In vierzehn Tag ist das Floßholz für Holland zum Transport fertig, mein' Contrakt muß ich einhalten, aber nachher bin ich frei und kann fort – dann soll's die nichtsnutzige Dirn erfahren, Hebt den Arm auf. ob das Kind gehorchen muß, wenn der Vater befiehlt!

[11]
DORE
die den Brief las, dann in tiefem Sinnen stand, den Kopf erhebend, ruhig.

Vater, schimpft mir die Schwester nicht, ich kann's nicht hören! Der Herr Pathe liebt die Rosel wie sein eigenes Kind – der will sie nicht lassen und d'rum hat er ihr den Brief von mir gar nicht gegeben, denn die hätt' kein Mensch gehalten, wenn sie ihn ge lesen hätt', das weiß ich gewiß!

GRAF
für sich.
Ha! Um so besser! Geht rasch, aber vorsichtig, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, in den Baumgarten ab.
BASTIAN.
Das sag' ich auch, die Dore trifft allmal das Rechte!
VEIT
aufhorchend.
Meinst, Bastian?
GERTRUDE.
O, wenn's doch so wär'!
DORE.
Es ist gewiß so, die Mutter kann's glauben.
VEIT.
Ja, ja, möcht's selber sagen! Aber was hilft's, die Hochzeit muß jetzt doch ohne sie sein!
DORE
energisch, aber ruhig.
Nun und nimmer mehr ohne die Rosel!
LISBETH.
Oho!
STEFFEN
auffahrend.
Was? Was wär' das? Dorle! Sag mir das nicht noch einmal!
DORE
wie oben.

Mußt's doch noch einmal hören. Wenn die Rosel mich nicht als Brautjungfer zum Altar führt, so geh' ich nicht! Wir waren von Kind auf eine Seel und ein Herz! Sie hat mich aufgehalten wie sie acht Jahr alt war, als ich auf dem Hirschensprung droben in's stürzen kam, und der Abgrund hätt' mich verschlungen, wenn ihre schwachen Arme nicht worden wären wie Eisen, und sie mich nicht umklammert und gerufen hätt', bis die Leut' von der Alm her uns zu Hülf kamen. Wir haben ein Gelöbniß drauf gethan, daß Keine ohne die Andere vor den Altar tritt, und wenn ich das brechen thät, und sie mir die Brautkron' nicht aufsetzt, so hab' ich kein Glück und kein Stern' in der Eh'! Sich plötzlich zu Steffen wendend. Steffen, schau nicht so finster in die Ecke, Legt ihm beide Hände auf die Schultern. schau mir in die Augen! Du weißt wie gern ich Dich hab. Du hast Jahre lang geduldig auf mich gewartet – jetzt wart' in Gottes Namen noch acht Tage länger, und thu's mir zu Lieb. Die Rosel muß her! Wart sie ab.

STEFFEN
finster.
Da kann ich warten bis der hohe Knibis einfällt; die kommt doch nicht mehr!
DORE
mit leuchtenden Augen.
Sie kommt – wenn der Vater mich nach Paris läßt – so kommt sie!
VEIT
verblüfft.
Was nicht noch!
LISBETH
erschrocken.
Aber – Dore!
GERTRUDE Das Herz hättest Du?
STEFFEN
ausbrechend.

Ja, für die Rosel hätt' sie's schon, aber nicht für mich! Hör Dorothee, der Kirchberger ist kein Bub' mehr, paß' auf, [12] er sagt Dir ein ernstlich's Wort, und dabei bleibt's! Ich hab' Dich lieber als mich sel ber, das weißt, und ich estimir Deinen Willen, wenn ich einseh, daß es zu Deinem Glück und meinem ehelichen Frieden gut ist! Schwer. Die Gäst sind zur Hochzeit geladen, die Lisbeth hat den Hof aufputzt, wie zur Weihnacht, Alles ist für Dich parat und draußen packen sie das Heirathsgut schon auf! Aber – Du bittest mich – – Mit Entschluß. laßt ausspannen Sonnenwirth, ich will den Kram noch nicht im Haus – will warten mit der Hochzeit bis in die dritte Woch' von heut! Mehr kannst nicht fodern und weiter bin ich Dir nicht zu Willen. Die Stimme erhebend. Thust Du mir aber die Schand an und laufst der Rosel selber nach in's Frankreich hinein, daß alle Welt erfahrt: wie Dir die Schwester lieber ist als Dein Schatz, und ich zum Gespött im Schwarzwald werd' – so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, Vater und Mutter sind Zeugen, ich nehm Dich nicht mehr, und wenn sie Dich in Gold einwickeln thäten bis zum Hals! Das ist mein letztes Wort und jetzt, thu was Du willst. Lisbeth, Du kommst mit. Kein Mensch soll ihr zureden, wenn sie sich nicht sel ber findet. Ade beisammen! Ab, wo er kam.

LISBETH
eilig zu Dore.
Dore! Um Gotteswillen! Bedenk's! Dem Steffen ist's Ernst! Du kennst ihn.Folgt ihm.
VEIT, RECHT hat er!
GERTRUDE.

Ja wohl! Ist g'rad so Einer – wie Du! Wenn wir sie fortließen, er wär's im Stand und ließ das Kind sitzen, nachdem sie Jahr und Tag mit ihm gegangen ist!

DORE
stand mit gesenkten Augen, die Hand auf's Herz gedrückt, in sich hinein.

Ja – er thät's, Mutter! Sein Wort ist so fest wie's Freiburger Münster, wär's nicht so mit ihm, ich möcht ihn nicht!

GERTRUDE.
O über die starrköpfigen Mannsleut!
VEIT.
Hättest nicht vielleicht Lust die Dore laufen zu lassen?
GERTRUDE.

Warum auch nicht? Wär's eine Sünd, wenn die Schwester die Schwester heim holt, oder ein' Schand, wenn sie den alten Bastian mitnähm'?

DORE
fährt zusammen.

Den Bastian? Vater! Mutter! Die Rosel kommt ohne mich Plötzlich ganz heiter. wenn Ihr den Bastian nach Paris schickt. Er war oft genug dort im Geschäft, kann mit den Leuten reden und thut's gern, nicht so Bastian?

BASTIAN
froh.

Ja, das thu' ich gern, viel lieber als ich Dich gehen sähe, Dorle, und ich bring' sie heim, das weiß ich gewiß!

DORLE
ganz Leben.

Ja freilich bringt Ihr sie heim! Wenn sie Euer treues gutes altes Gesicht sieht, so geht ihr das Herz weit auf, – und wenn sie erst von Euch hört, daß ich mein Gelöbniß halte, und nicht vor den Altar trete ohne sie, dann hält sie keine Mauer mehr zurück.

GERTRUDE.
Das Kind hat Recht, ich glaub's selber!
VEIT
der nachdenkend zuhörte und zuweilen wie fragend auf Bastian blickt.
Der Bastian soll heut' noch fort.
BASTIAN
zieht eine goldene Uhr hervor.

Heut' ist's zu spät, vor zehn Minuten muß die Post nach Offenburg durchgefahren sein, ist ja morgen auch noch Zeit, – ist heut noch viel Arbeit auf dem Neubau.

VEIT.

Hast Recht, Bastian. Na Frau, so geh' zur Casse und hol' [13] Geld für den Alten, ich geh' noch mit ihm zum Bau. Sollst Deinen Willen haben Zu Dore. Du schlaue Wetterhex, Du! Ab mit Bastian, durch den Baum-Garten, man steht ihn an den Fenstern vorüber rennen.

GERTRUDE
im Abgehen.
Jetzt glaub' ich selber, daß die Rosel kommt. Geht rechts ab.
DORE
allein.

Das hat mir der liebe Gott eingegeben. Ich spür's erst jetzt, wie gern ich den Steffen hab', und hab' gemeint, daß mir die Kniee einbrächen, wie ich ihn so gehört hab, denn ich möcht ja nicht leben und wenn die Welt noch zehnmal schöner wär' als sie Gott erschaffen hat – wenn der Steffen nicht für mich drinn wär! Geht.

7. Szene
Siebente Scene
Dore. Kathrin.

KATHRIN
Bauernkostüm wie Dore, nur nicht so reich.
Der fremde Herr der auf Nro. Zwölf geschlafen hat, ist schon fort.
DORE
sich umsehend.
Herr Jeh! den hab' ich ganz vergessen! Der war ja eben noch hier?
KATHRIN.

Ja, die Post von droben 'runter hat g'rad angehalten, da hat er ein Goldstück auf den Zahltisch gelegt, war wie der Blitz d'rin, und es ging gleich fort! Und jetzt kommt der Martin aus der Remis' und bringt die Brieftasch'Zieht eine sehr elegante Brieftasche unter der Schürze hervor. Die hat er in der leichten Chais' gefunden, in der er gestern den Herrn nach dem Schluchsee gefahren hat, er sagt: der müßt' sie verloren haben, und es sei viel Geld drin; da ist's; ich hab's abgeliefert. Ab.

DORE
nimmt die Brieftasche.

Die muß man untersuchen, da wird's schon drin stehen, wer er ist, und wohin man's ihm nachschicken kann. Oeffnet die Brieftasche. Ein paar Briefe. Legt die Briefe auf den runden Tisch und sieht die Adresse der Reihe nach an, lachend. Wenn die Alle franzö sisch sind wie die Adressen, da werde ich nicht viel d'raus verzählen. Zieht ein Päckchen feines Papier heraus, das sie sorglich wieder hineinsteckt. Ein paar Tausendfrancsbillets! Na, Reis'geld hat der g'nug, wenn er das nicht vermißt hat! Und da – noch ein Brief? Aha! Endlich eine deutsche Schrift. Liest. »Seiner Excellenz« Potz tausend! »dem Herrn Grafen von Hohen fels, Hochgeboren – Baden-Baden!« Richtig da hab' ich wieder einmal recht. Hab's ihm doch gleich angesehen, daß er was »Hochgebornes« ist.Indem sie den Brief aus dem Couvert nimmt. Na, da kann man vielleicht was erfahren über die verkappte Excellenz! Liest, im Anfang ganz gleichgültig. »Da Euer Hochgeboren den Grafen Adolph wie einen Sohn lieben, so halte ich es für Pflicht Sie zu benachrichtigen, daß derselbe, seit Sie von Paris abgereist – Hochdero Fräulein Tochter in dem Pensionat selten nachfragt, da die bewußte junge Deutsche dasselbe verlassen hat, und zu Euer Excellenz Banquier, dem Herrn Le blanc gezogen ist.« Was, was wäre das? Fährt sich über die Augen als sähe sie nicht und liest hastig weiter. »in dessen Hôtel unser junger Herr jetzt fast täglich zu finden ist. Während er sich sonst von bürgerlichen Coterien fernhielt, scheint er jetzt intim mit dem lockern Sohn Leblancs, zieht sich dagegen aus den höheren Kreisen zu rück, geht weder [14] in den Jockeyclub zum Spiel, noch bekümmert er sich um den Sport – und hat sogar seiner kleinen Tänzerin plötzlich den Abschied gegeben. Erschreckt über diese Umwandlung, erlaubte ich mir Graf Adolphs Schreibtisch zu durchsuchen und fand dort ein feuriges Gedicht: »An die schönste Rose Deutschlands«, das nach einem fermen Heirathsantrag aussieht. Ob dasselbe nur Entwurf ist, ob es wirklich abgesandt worden, weiß ich nicht. Alles was ich erfahren konnte, ist: daß das Mädchen ungewöhnlich schön, aus der Gegend von Baden daheim, die Tochter eines Holzhändlers ist und sich Rose Wernik nennt. Schreit auf. Himmlischer Vater! Es ist die Rose! »Wernik«, die Franzosen haben unsern ehrlichen Namen: Werninger, in ihr Latein übersetzt!Liest. »Da Excellenz jetzt quasi in loco befindlich, so dürfte es rathsam sein, dort persönlich den Familienverhältnissen dieser jungen Person nachzuforschen, da sich vielleicht Umstände finden ließen, sie dem jungen Grafen verächtlich, oder mindestens sie lächerlich zu machen.« – O diese Schelme! Darum also war der Herr hier, darum hat er sich eingeschlichen und ist davon gegangen wie der Marder vom Taubenschlag? Desperat. und ich war auch so dumm und hab' ihm richtig Alles aufgebunden, was er wissen wollte! Hin und hergehend. Die Rosel! Unsere Rosel – und ein junger Graf? Herr Gott, hilf ihr! Horch – die Stimme der Mutter! Steckt rasch den Brief in die Tasche. die darf's nicht erfahren! Fest, mit Entschluß. Niemand darf's wissen – als ich, Niemand auf der Welt, nicht einmal der Bastian. Den Kopf senkend. Hat sie den Grafen gern, so ist's ein Un glück, aber das kann kein Mensch mehr ändern, denn man kann ja doch nur Einen gern haben sein Lebtag – und hat sie ihn nicht gern, so schlag' ich umsonst Lärm, und der Vater schreit Feuer, und verunehrt das eigene Kind. Sich aufrichtend. Der Mosje soll seine Sachen redlich wieder haben, aber den Brief Zieht ihn wieder hervor. schick' ich der Rosel als Wegweiser, wenn sie in der Irre gehen sollt'; das ist gewiß keine Sünd', denn dazu hat ihn der liebe Gott g'rad mir anvertraut. Wenn sie den Grafen gern hat – so kommt sie nichtMit zitternder Stimme. und nachher verzeih' ich's ihr – da kann sie nichts dafür, denn die Lieb' zieht stärker als die Heimath! Geht mit gesenktem Haupt zum Tisch, nimmt die Brieftasche mit den Papieren rasch auf, und geht damit ab.


Der Vorhang fällt.
[15]

2. Akt

1. Szene
Erste Scene
Charles. Gleich darauf Adolph.

CHARLES
in Gesellschafts-Toilette, kommt aus dem Bogen links.

Ah! das Musikzimmer ist leer. Hier endlich kann ich mich erholen von dem Schrecken den mir unser alter Buchhalter einflößte! – Man flüstre sich im Comptoir zu: diesen Abend sollte meine Verlobung mit Rose proclamirt werden! – Wie kommen unsere Leute zu diesem Unsinn? – Wer mag dies Gerücht ausgesprengt haben? – Führte mein Vater wirklich eine solche Zwangsmaßregel im Schilde? Ah, das wäre perfide und forderte energischen Widerstand! Bleibt stehen. Aber – meine Schulden! Verwünschter Block an meinen Füßen! – Und mein gräflicher Pylades bleibt heute aus! Sollte er mir noch entschlüpfen nachdem es schien, er habe den Köder bereits verschlungen? Diese Deutschen sind wie die modernen Geldschränke, man muß das Wort kennen das sie öffnet. Ich werde ihm endlich mein Geheimniß enthüllen müssen, denn wenn er mir nicht aus dem Dilemma hilft – was dann?

ADOLPH
junger Mann von den schönsten Formen, fein, aristocratisch vornehm, sich fühlend, aber immer verbindlich zu Charles, tritt rasch ein, Seitenthüre links.
Guten Abend, Charles.
CHARLES.
Ah, Sie kommen wirklich noch, Graf Adolph!
ADOLPH
befremdet.
Wissen Sie denn noch nicht, daß mein Oheim gestern Abend ganz plötzlich angekommen?
CHARLES
unangenehm überrascht.
Wie? Schon von Baden zurück?
ADOLPH.

Ohne seine Rückkehr vorher anzuzeigen. Er hielt mich den ganzen Tag in Athem, bis vor einer halben Stunde, wo er zu einer Parthie bei Rothschild fuhr. Bitter. Wie konnten Sie glauben, daß ich an Ihrem Festabend hier fehlen würde?

CHARLES.
Was meinen Sie? Ich weiß von keinem Fest.
ADOLPH
gereizt.

Sie sind ein Heuchler, Charles! Bekennen Sie doch endlich Ihre Verlobung mit Rose, die ja heute gefeiert wird, wie aus Ihrem Comptoir verlautet –

CHARLES.
Wer sagt das?
ADOLPH.

Meines Oheims Factotum, der alte Fel den; weshalb leugnen Sie Ihr Glück? Gezwungen lachend. Das soll uns nicht hindern Freunde zu bleiben.

CHARLES.

Sie nennen mich Heuchler, und haben in diesem Augenblick keinen glühenderen Wunsch als mir den Hals zu brechen, während ich Ihnen mein Glück von Herzen gern abträte, wenn ich nur wüßte – daß Sie Rose wirklich lieben –

[16]
ADOLPH
heftig bewegt.
Charles!
CHARLES
plötzlich ernsthaft.
Und daß Sie als Ehrenmann den Muth haben sie zu heirathen. –
ADOLPH
fährt zusammen, in sich hinein.
Heirathen? –
CHARLES
trocken.

Ja heirathen, Graf Adolph! Ihre Liebe kann mir nichts helfen, da diese Verlobung wie ein Damoklesschwerdt, wenn es auch nicht heute schon fällt, dennoch unausbleiblich über meinem Haupte schwebt! – Nur ein Mann, kein Anbeter kann es den Händen meines zärtlichen Papas entwinden.

ADOLPH
sieht ihn durchbohrend an.

Also ist es wahr! Rose ist für Sie bestimmt. Und Sie, frei, reich und selbstständig – Sie sollten wirklich dieses Glück von sich weisen?

CHARLES
in komischem Ernst.

Wirklich, Graf, wenn auch schweren Herzens! Aber ich muß wohl, denn Sich zu seinem Ohr neigend, halblaut. meine kleine Frau ist eifersüchtig wie Othello!

ADOLPH
fährt zurück.
Wie, Sie wären verheirathet? –
CHARLES
sich umsehend.

St! St! Um Gotteswillen! Verfährt ein Diplomat so mit Staatsgeheimnissen? Leise. Verheirathet seit vier Monaten mit der ärmsten und reizendsten jungen Polin, die je einen Leichtsinnigen zur Vernunft gebracht hat. Allein mein Vater darf nicht eher erfahren, daß ich seinen Lieblingswunsch zerstörte, als bis seine schöne Pathe an den Mann gebracht ist – sonst bezahlt er meine Schulden nun und nimmermehr, und meine süße Valesca wird mit mir darben. Rose selbst muß sich für mich unmöglich machen! Begreifen Sie nun?

ADOLPH
seine innere Bewegung mit Mühe bemeisternd.

Alles! Und kann nur schmerzlich bedauern, daß ich der Mann nicht sein darf, der Sie aus diesem Dilemma rettet. Ich bin nicht selbstständig, und mein Oheim hat Plane, wie Ihr Vater, nur mit dem Unterschied, daß Sie ein Geschäfts mann sind, und die Ansprüche des einzigen Soh nes für sich haben, während ich, ohne die Großmuth meines Oheims – auf mein Einkommen als Bitter. Attaché angewiesen bin, und auf ein Majorat in weitester Ferne. –

CHARLES.

Pah – man kann sich auch als Attaché heimlich verheirathen, in Paris lassen sich derlei romantische Streiche ohne Risiko wagen, und hat man erst die Frau – das Weitere findet sich!

ADOLPH
verächtlich.
Sie sind wahnsinnig Charles!
CHARLES
für sich.
O über dieses träge deutsche Blut!
3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Denise, gleich darauf Leblanc.

DENISE
in Balltoilette heiter, frisch, anmuthig und unbefangen.

Aber Charles – Sieht Adolph. Ah Graf Adolph! Sie sind endlich da – und verstecken sich in das leere Musikzimmer? Das ist abscheulich! Und es ist so hübsch heute, so sehr hübsch, wissen Sie; wir können tanzen so viel – und schwatzen mit wem wir wollen, Mit strahlendem Gesicht. denn Madame Armande hat glücklicherweise ihre Migraine, und mußte oben bleiben. Ach und ein Thé dansant mir zu Ehren, all meine Pensionsfreundinnen [17] dazu, Papa mit den alten Herrn am Spieltisch, und keine Gouvernante als Polizei hinter uns, so stelle ich mir die Zustände im Paradiese vor!

CHARLES.

Das heißt – in dem Paradies der Backfische, die sich außer Athem schwatzen und doch nichts sagen. Was willst Du denn eigentlich, daß Du uns hierher nachläufst?

DENISE
schmollend.

Nichts von dem ungezogensten aller Brüder, ich wäre Dir auch nicht nachgelaufen, wenn Rose mich nicht geschickt hätte Dich zu fragen: wo Graf Adolph bleibt, den wir so sehr vermissen.

CHARLES
spöttisch.
Sie hören es Graf, Sie werden vermißt.
ADOLPH.
Denise scherzt nur.
DENISE.

Nein, nein, es ist mein voller Ernst. Wer auch tanzt die Francaise wie Sie? Wissen Sie, Rose hat noch keinen Schrit getanzt –

ADOLPH
rasch.
Wie? Das wäre –
DENISE.

Die Wahrheit! Kein Tänzer convenirt ihr, o sie ist so eigensinnig, so eigensinnig – als wären wir noch in der Pension! Plötzlich verklärt. Horch – da fängt die Musik an – hören Sie?

ADOLPH
zerstreut.
Ich höre nichts!
CHARLES.
Wer könnte die paar Instrumente durch acht Zimmer bis hierher hören?
DENISE
ganz Leben.

O Tanzmusik würde ich durch den Kanonendonner einer Schlacht hören!Horchend, singt. Trala, trala! Ach, es ist eine Polka! Kommen Sie, geschwind, geschwind, Graf Adolph! Hängt sich an seinen Arm. Ich halte das nicht aus. Eine Polka! Eine Polka! Zieht ihn fort.

ADOLPH
im Gehen.

Reizende Libelle! Sie könnten einen Cato zum passionirten Tänzer machen! –Beide stoßen im Abgehen auf Leblanc.

4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Leblanc.

LEBLANC
fünfziger.
Ah! Herr Graf – wohinaus Kleine?
DENISE
ohne sich aufhalten zu lassen.

Zur Polka, Papa! Halten Sie uns nicht auf – wir haben keinen Augenblick zu verlieren! Ab mit Adolph wo sie kam.

LEBLANC
sieht ihnen nach.
Hm! Ein hübsches Paar! Hast Du wirklich Hoffnung für Denise, Charles?
CHARLES.
Die gegründetste! Sie sahen es eben, er hat stets nur Augen für sie.
LEBLANC
bedenklich.

Aber der alte Graf ist ein eingefleischter Aristokrat! Wird er die Verbindung mit dem Hause seines Banquiers zugeben?

CHARLES
sarkastisch.

Warum nicht! Adolph ist ja nur sein Neffe, und für diese deutschen Zöpfe ist Paris die beste Schule; Sie haben täglich das Beispiel vor Augen, wie schnell ihre Millionen Banquierstöchter in Fürstinnen verwandeln, wie hochgeborene Damen ihr altes Wappen bereitwillig gegen das kolossale neue Vermögen eines Bör senspeculanten eintauschen, und wie die gute Gesellschaft durchaus keinen Anstoß nimmt an dieser Verschmelzung des Kapitals mit der Noblesse des zweiten Kaiserreichs. Das gewöhnt sich nach und nach. Sein Sie unbesorgt, Graf Adolph ist ohne Vermögen, Denise ist eine Parthie – [18] das wird sich machen. Allein – bei Rose zeigt sich noch keine Spur von Hoffnung für mich!

LEBLANC.

Und dennoch neigt sie sich Dir mehr und mehr zu – allein sie ist ein eigenthümliches Wesen und will eigenthümlich behandelt sein. Lerne Rose verstehen, zeige ihr Dein Herz – und sie wird Dich lieben.

CHARLES
kalt.
Ich werde es versuchen, weil es Ihr Wunsch ist, allein –
LEBLANC
ihn rasch unterbrechend.

Es ist mein Befehl, Charles! Vergiß nicht, daß ich dieses seltene Mädchen wie mein eigenes Kind liebe, daß auch Rose Leiser. eine Parthie ist, und daß –

CHARLES
ihn trocken unterbrechend.

Und daß Sie durchaus keine Lust haben, daß große Capital des alten Bauers zurückzuzahlen, das in unserem Geschäft mit arbeitet!

LEBLANC
mit unterdrücktem Zorn.

Zur Lust dazu, dürfte mir vielleicht in diesem Augenblick die Kraft fehlen, da der Leichtsinn meines Sohnes anfängt auch meinen Credit zu bedrohen. Ich freue mich jedoch, daß Dir die Vorheile dieser Heirath endlich klar geworden sind. Geh nun hin und handle nach dieser Einsicht!

CHARLES
verbeugt sich und geht hinter den Bogen links ab.
LEBLANC
unruhig ihm nachsehend.

Was ist's mit ihm! Wäre es denn möglich daß mein liebster Wunsch, der Erfüllung so nahe, noch jetzt an seinem stummen Widerstand scheitern könnte? Nur eine Frau wie diese kann den Leichtsinnigen vor dem Ruin retten!

5. Szene
Fünfte Scene
Leblanc. Graf. Diener Seitenthür links.

DIENER
tritt vor ihm ein, und öffnet ihm die Thüre.
Ich werde sogleich Herrn Leblanc – Geht sogleich ab, da Leblanc vortritt.
LEBLANC
wendet sich rasch, erstaunt.
Excellenz! – Sie beehren mich? Welche Ueberraschung!
GRAF
in feiner Gesellschaftstoilette, den Annen- Orden um den Hals, mehrere Orden und einen Stern auf der Brust, scheinbar eilig, mit herablassender Höflichkeit, ihm die Fingerspitzen reichend.

Ah, mein lieber Leblanc, ich treffe Sie ohne Zeugen? Sehr erwünscht! Sie entschuldigen doch meinen späten Besuch?

LEBLANC
deutet auf den Divan.

Excellenz sind in meinem Hause zu jeder Stunde willkommen. Wäre mir bekannt geworden, daß Sie schon zurück sind –

GRAF
unterbrechend.

Seit gestern erst, und ich würde Ihre Zeit nicht schon heute für meine Geschäfte in Anspruch nehmen, wenn nicht Gefahr im Verzug wäre, und meine Nachricht auch Ihre Interessen berührte. Ich komme direct von Rothschild, wo ich zufällig durch einen Vertrauten Foulds den Wink erhielt, daß morgen gegen Mittag, Credit Mobilier entschieden fallen – und Nordbahn fabelhaft steigen wird. Da mein Mann ein Wissender ist, so verließ ich eiligst das Souper um Sie zu bitten: daß Sie allen Credit Mobilier, den Sie von mir in Händen [19] haben, morgen sogleich bei Eröffnung der Börse losschlagen, und mir Nordbahn dagegen austauschen lassen.

LEBLANC
ganz Leben.

Mit Vergnügen, Excellenz, ich selbst werde den Umsatz besorgen, und bin Ihnen für diesen wichtigen Wink hochverpflichtet.

GRAF
steht auf.

Somit wäre unser Geschäft abgethan, und will ich Sie Ihren Gästen nicht länger vorenthalten. – Sie feiern ja eben, wenn mein alter Secretär recht gehört, die Verlobung Ihres Sohnes mit einer reizenden jungen Deutschen. Es soll ein ganz ausgezeichnetes Mädchen sein, man darf Ihnen also Glück wünschen! –

LEBLANC
der anfangs sehr verwundert ist, sich sammelnd.

Ein Glückwunsch – der leider eben so verfrüht ist, Excellenz, als das Gerücht von dieser Verlobung, dessen Entstehung ich mir nicht erklären kann.

GRAF.
Wie? – So wäre davon nicht die Rede?
LEBLANC.

Wenn ich auch nicht leugnen will, daß diese Verbindung mein Lieblingswunsch ist, so hat doch meine Pathe bis jetzt keine Ahnung davon, und soll meine Absicht auch nicht eher kennen lernen, als bis ihr Herz unsre Wünsche erräth und theilt.

GRAF
sarkastisch.
Eben so delicat – als romantisch, Herr Leblanc – ich bewundre Ihre Ge duld.
LEBLANC
achselzuckend.

Meine Mündel ist ein so zartfühlendes und zugleich energisches Wesen, daß es keinen anderen Weg zu unserem Ziel giebt.

GRAF.

Ah, Sie machen mich wahrhaftig neugierig sie kennen zu lernen, und wenn ich nicht fürchten müßte aufdringlich zu erscheinen, so würde ich Sie bitten, mir einen Blick in den Ballsaal zu gestatten.

LEBLANC
sich verbeugend.

Excellenz beehren mich; doch muß ich zum Voraus bemerken Lächelnd. daß keineswegs von einem Ball, sondern nur von einem einfachen Thé dansant die Rede ist.Beide gehen.

LEBLANC.
Horch – Stimmen – Gelächter! Ah, da ist sie ja selbst. Sieht links hinein.
GRAF
rasch.

O bitte – lassen Sie uns die heitere Gesellschaft vorerst nur von ferne betrachten, ich will durchaus nicht stören. Er tritt rasch zu der Blumenstellage links von dem Bogen.

LEBLANC
tritt befremdet an seine Seite.
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Charles. Denise, Rose. Adolph. Amélie. Fleure. Zwei junge Herren aus dem Bogen links.

DENISE
hält Rose bei der Hand, zieht sie nach sich.
Nein, nein, Du mußt! Mir zu Liebe mußt Du das deutsche Lied singen!
ROSE
Balltoilette, elegant, nicht prächtig aber geschmackvoll und gracieuse, Blumen im Haar, ihr Gesicht strahlt von Heiterkeit.
Ich muß nichts, Denise! Laß mich los!
DENISE
ihre Hand mit beiden Händen festhaltend.

Gewiß mußt Du, weil ich es wünsche! O wer Dich das deutsche Lied nicht singen hörte, kennt Deinen höchsten Reiz nicht!

ROSE
lachend.

Was schwatzt die kleine Elster! Singen müssen – gefangen singen Deutet auf ihre Hand, die Denise nicht los läßt. wie ein Kanarienvogel im Bauer, nein, Denise, das kann ich nicht! –

[20]
DENISE
läßt ihre Hand los, und schlingt ihr die Arme um den Hals.
So, du Eigensinn! Nun bist du frei.
ROSE
umschlingt sie, zärtlich.
Und doch gefangen!
DENISE
froh.
Aber nun sollt Ihr hören wie sie singt!
CHARLES
öffnet das Clavier.
Wir sind ganz Ohr!
ADOLPH
in ihren Anblick versunken.
Das deut sche Lied, von der Alpenrose am Bergesrand, nicht wahr, Rose?
ROSE
plötzlich ernst.
Nein – nein, das nicht! Gewiß nicht!
DENISE.
Aber gerade das singt sie so reizend!
AMÉLIE.
FLEURE umringen sie. Bitte, bitte, Rose! das Lied! das deutsche Lied!
ROSE
ungeduldig.

O diese Quälgeister! Ich will Euch spanische Romanzen, ja, die Cavatine aus Dinorah und den Walzer aus Faust singen, wenn Ihr sie fordert – nur das Lied nicht – ich kann es nicht!

ADOLPH
verletzt.
Weil ich es wünsche?
ROSE
mit Vorwurf.
O Herr Graf!
ADOLPH.
Aber warum denn g'rade heute so unerbittlich?
ROSE.

Weil ich gerade heute einmal wieder so heiter, so froh, so glücklich bin, und mir diese Stimmung nicht selbst zerstören will; Zu Adolph gewendet. sehen Sie, nur der Gedanke an das Lied bringt mir fast Thränen in die Augen; es ruft das schlummernde Heimweh, die Sehnsucht nach all den Meinen so schmerzlich in mir wach; Tief bewegt. wie mit einem Zauberschlag liegt der ewig grüne Schwarzwald, das liebe Vaterhaus, unsere Felsen und unsere Thäler, mit den lustigen Bergwassern und den weidenden Heerden im Sonnenschein vor mir, und ich habe ein Gefühl, als umwehte mich plötzlich der frische Athem unserer Höhen, als müßten sich mir Schwingen an den Schultern entfalten, die mich forttragen aus der schwülen Luft dieses Häusermeers, in die helle, schöne Heimath!

ADOLPH
bewegt.
O, dann singen Sie das Lied nie mals wieder!
DENISE.

Nein, nein, ich will es nicht mehr verlangen, denn du darfst uns nicht fortfliegen, Rose, das könnte ich nicht überleben.

GRAF
der sichtlich immer unruhiger wurde, laut zu Leblanc.
Bitte Herr Leblanc, stellen Sie mich den jungen Damen vor.
ALLE
wenden sich rasch nach dem Grafen um.
LEBLANC
befremdet.
Zu Befehl! Vorkommend. Seine Excellenz, der Herr Graf von Hohenfels. Allgemeine Verbeugung.
ADOLPH
fährt überrascht zurück.
Mein Oheim!
GRAF
geht gerade auf Rose zu.

Ich freue mich zu hören, daß Demoiselle Rose ihrer Heimath noch so lebhaft gedenkt, so darf ich hoffen, ihr ein willkommener Bote von dort zu sein!

LEBLANC
erschrickt, und wirft einen raschen Blick auf den Grafen.
[21]
ROSE
sich mit Grazie verbeugend, sieht den Grafen fragend an.
ADOLPH
ihm näher tretend.
Sie hier, mein Oheim?
GRAF
sehr freundlich.

Leider nur durch einen Zufall in diesen bezaubernden Kreis geführt, in welchem Du Glücklicher, ganz heimisch zu sein scheinst.

ADOLPH
bestimmt.
Ich schmeichle mir von Herrn Leblanc und den Seinigen als Freund des Hauses betrachtet zu werden.
LEBLANC
verbeugt sich.
ROSE
hat keinen Blick von dem Grafen verwandt.
Verzeihung, mein Herr! Hatten Sie nicht die Güte von einer Botschaft zu sprechen? –
GRAF
freundlich nickend.
Gewiß, ich stellte mich Ihnen als Bote aus der Heimath vor.
LEBLANC
heftig erschrocken, für sich.
Was – was?
ROSE
ganz Freude.

Oh! Was sagen Sie? Fast athemlos. Bringen Sie mir vielleicht einen Brief? Ich habe so lange nichts von den Meinen gehört!

GRAF
gedehnt.

Wirklich? Das wäre seltsam. Ich bringe Ihnen keinen Brief, aber sichere Nachrichten von den Ihrigen. Ich komme so eben aus dem Schwarzwald zurück.

ROSE
in zitternder Freude.
Und haben die Meinen gesehen, gesprochen?
GRAF.
Sogar bei ihnen gewohnt.
ROSE.
O wirklich, wirklich?
GRAF
mit einem Seitenblick auf Adolph.

Und war vortrefflich aufgehoben. Kein Gasthaus in der ganzen Gegend vergleicht sich dem Ihres Vaters, obschon es eigentlich nur eine Bauernwirth schaft ist, findet man doch jeden Comfort dort, der billigerweise auf dem Lande zu fodern ist.

ADOLPH
fährt zusammen, und sieht den Grafen staunend an.
DENISE
leise zu Charles.
Was sagt er da?
CHARLES
zieht die Schultern.
DIE MÄDCHEN
stecken verwundert die Köpfe zusammen.
ROSE
sah ihn fest an, während der ganzen Rede, vollständig unbefangen, fast stolz.

Dafür ist unser Haus auch bekannt. Ganz Freude und Leben. Aber erzählen sie mir doch! War der Vater daheim, haben Sie meine prächtige Mutter »die Frau Sonnenwirthin« gesehen, vor der der ganze Schwarzwald Respect hat? Und meine Dorothee, die Schwester Kindlich heiter. man nennt sie »das Dorle« daheim! Mein liebes liebes Dorle! bringen Sie mir auch von ihr Nachricht?

GRAF.
Eben von ihr, von ihr vor Allen.
ROSE.
Aber warum schreibt sie nicht – warum hat sie mich so lange vergessen! –
GRAF
kopfschüttelnd.
Ich verstehe Sie nicht mein Kind. Niemand hat Sie vergessen!
LEBLANC
hat in der äußersten Unruhe zugehört.
O, Herr Graf! –
CHARLES
die Verlegenheit Leblancs beobachtend, ruft.
Die Musik, meine Damen!
AMÉLIE UND FLEURE
laufen rasch ab, die zwei Herren folgen ihnen.
GRAF
ohne auf Leblanc zu achten.

Ihr Vater hat Sie verlangt, Sie zu der Hochzeit Ihrer Schwester nach Hause gerufen und Sie – Mit einem scharfen Seitenblick auf Leblanc. verweigerten es zu kommen.

[22]
ROSE
die ihn gespannt anstarrt.
Was, was? Dorothee hat endlich Hochzeit – und sie hätten mich gerufen?
GRAF.
Das wüßten Sie nicht?
ROSE
energisch.
Ich weiß nichts – als daß Niemand mich hier gehalten hätte, wenn ich es gewußt!
GRAF.
Dann hat man Ihnen den Brief aus der Heimath unterschlagen. –
LEBLANC
rasch einfallend.
Oder – er ist verloren worden.
GRAF
leise zu Leblanc.

Ah! Ich verstehe! Laut. Ganz gewiß ist er von der Post verloren, aber die Sache bleibt für Sie Zu Rose. dieselbe. Ihre Familie ist in Verzweiflung, vor Allem Ihre Schwester, die trostlos ist, daß sie Hochzeit haben soll, ohne Sie.

ROSE
hastig.
Wann – wann ist die Hochzeit?
GRAF.
Nächsten Sonntag. Sie haben noch zwei Tage Zeit. –
ROSE.

Zwei Tage! O Gott sei Dank! Fliegt auf Leblanc zu. Wenn ich morgen mit dem Frühzug reise, so bin ich zum Abend in Straßburg, und am andern Morgen daheim. Wenn die Glocken zur Kirche läuten, die Böller donnern, die Kranzjungfern aufziehen, trete ich vor mein Dorle hin, und wir fassen uns in die Arme, wir weinen und lachen, ich drücke ihr die Brautkrone auf das liebe Köpfchen, bete das Ave mit ihr, und wir gehen selbander zum Altar, wie wir es uns gelobt! Ach Pathe, lieber, theurer Pathe, geben Sie mir Ihren Segen und lassen Sie mich ziehen!

LEBLANC
in sichtlicher Bewegung.
Du wolltest – Du könntest uns verlassen?
ROSE
tritt einen Schritt zurück und sieht ihn groß an.

Könnte ich bleiben? Haben Sie denn nicht gehört: der Vater ruft mich heim, der Ehrentag der Schwester fodert mich! Könnte ich zweifeln was ich soll? Ich reise! Und Sie mein väterlicher Freund, Sie werden mich nicht halten. Nicht wahr, Pathe?

LEBLANC
wendet sich, heftig bewegt, ab.
GRAF.

Wie können Sie fürchten mein Kind, daß Herr Leblanc Sie abhalte? Scharf. Er kennt die Rechte eines Vaters, der Ihrige verlangt Sie, Herr Leblanc wird nicht anstehen, seine Pflicht zu thun.

LEBLANC
mit Würde.
Gewiß nicht. – Du wirst morgen reisen, und Charles wird Dein Begleiter sein; ich halte Dich nicht.
CHARLES
erschrickt, für sich.
Was! Was?
ROSE
innig.
Ich danke Ihnen, Pathe, ich wußte es ja! –
DENISE
an Roses Hals fliegend.
Rose, Du gehst wirklich?
ROSE.
Ich komme wieder, Denise, gewiß. –
DENISE.
Ach nein – nein! Du kehrst nicht wieder! Haben sie Dich erst, so lassen sie Dich nie wieder los.
GRAF
für sich.

So hoffe ich! Laut. Es dürfte doch gerathen sein, wenn Herr Leblanc die Ihrigen durch ein Telegramm noch diese Nacht beruhigen wollte.

ROSE.
Ach ja, ja theuerster Pathe! Nehmen Sie den Zweifel von den Meinen.
LEBLANC
vollständig gefaßt.

Das soll augenblicklich geschehen. Carles, entschuldige mich bei der Gesellschaft, und dann Mit Nachdruck. erwarte ich [23] Dich im Comptoir – Zum Grafen. wo ich Excellenz noch um einige Worte bitten werde.

GRAF.

Unser Geschäft betreffend – ich ver stehe – und begleite Sie. Zu Rose. Sie sind ein wackeres Mädchen. Reisen Sie glücklich.

ROSE.

Ich danke Ihnen, Herr Graf Reicht ihm die Hand. Sie haben mich für immer zu Ihrer Schuldnerin gemacht.

GRAF
ihre Hand schüttelnd.

Ich that nur meine Pflicht. Für sich. Sie hat Charakter, sie reist! Zu Adolph. Mein Wagen wartet, wie ist's Adolph, wirst Du mir Gesellschaft leisten?

ADOLPH
der mit gewaltsam unterdrückter Aufregung die Scene verfolgte, ruhig.
Entschuldigen Sie, Onkel, ich bin noch engagirt.
GRAF
lächelnd.
Ah, das ist ein Anderes; Zu Leblanc. zu Ihren Diensten, Herr Leblanc.
LEBLANC
im Gehen.
Vergiß nicht, Charles, daß ich Dich erwarte. – Beide ab, Seitenthüre links.
CHARLES
für sich.
Was hat er mit mir vor? Halblaut zu Denise. Komm, Kleine, Du versäumst den Tanz.
DENISE
stand betrübt zur Seite.
Aber Charles –
CHARLES
faßt sie unter den Arm, wie oben, befehlend.

Komm, sage ich, Du hast hier nichts mehr zu suchen! Vorwärts! Zieht Denise fort, die mit neugierigen Blicken auf Adolph und Rose abgeht, wo Beide kamen.

7. Szene
Siebente Scene
Adolph. Rose, später Charles.

ROSE
stand in sich versunken, unbekümmert um ihre Umgebung, erhebt jetzt den Kopf, fährt, wie aus einem Traum erwachend, mit der Hand über die Stirn, seufzt tief auf und wendet sich zu gehen.
ADOLPH
sichtlich mit sich selbst kämpfend, tritt ihr entschlossen in den Weg.
Ein Wort, Rose!
ROSE
zuckt zusammen.
Ah! – Sie! Geht.
ADOLPH
mit bebender Stimme.
Ein einziges Wort, Rose! – Ein letztes Wort!
ROSE
bleibt unbeweglich stehen.
Ein letztes?
ADOLPH
bitter.
Ja – ein letztes, wenn Sie wirklich reisen!
ROSE
ruhig.
Ich reise wirklich.
ADOLPH.

Dann kehren Sie uns niemals wieder, die Heimath wird Sie fassen und halten – wir werden vergessen sein!

ROSE
weich.

O – nein, ich vergesse diejenigen nie, die mir Wohlwollen, die mir – ein Herz gezeigt. – Meine Gedanken werden oft hier sein!

ADOLPH
wie oben.

Und Ihre Person, der Zauber Ihres Umgangs, der Reiz Ihrer reinen Seele, ist für uns verschwunden wie ein blendender Lichtstrahl, der plötzlich in dunkle Nacht fällt – entflieht – und die Finsterniß noch schwärzer macht! Mit tiefem Schmerz. Rose, müssen wir denn scheiden?

[24]
ROSE
ihn groß ansehend.
Das fragen Sie? Haben Sie nicht gehört, daß die Meinen mich rufen?
ADOLPH.
Mein Ohr hörte – was meine Seele nicht fassen kann, daß wir Sie verlieren sollen!
ROSE.

Was bewegt Sie so sehr? Mußte es nicht endlich so kommen? Ist hier meine Heimath? Ich habe ein deutsches Herz und das zieht mich zu den Meinen.

ADOLPH
finster.
Es ist ein kaltes Herz, Rose, das Ihnen die Trennung so leicht macht.
ROSE
mit bebender Stimme.
Sie zürnen, daß ich entschlossen bin meine Pflicht zu thun! Mit welchem Recht zürnen Sie mir?
ADOLPH
sich fassend.

Ich habe keines, und zürne nicht Ihnen sondern – mir selbst! Vergeben Sie mir, Rose, daß ich ungerecht gegen Sie war – und gewähren Sie mir eine letzte Bitte!

ROSE
unruhig.
O – wenn ich kann, gerne!
ADOLPH.

Lassen Sie mich das Lied noch einmal hören, das Sie uns vorhin verweigerten, das Sie in der Pension sangen, in jenem Concert wo wir unsSeine Stimme wird weich. zum erstenmal begegneten. Lassen Sie den Zauber dieser Töne noch einmal beschwichtigend durch meine kämpfende Seele ziehen – lassen Sie es den Abschiedsgruß sein – auf Nimmerwiedersehen!

ROSE
stand mit gesenktem Blick, tief athmend, geht jetzt nach einer kleinen Pause, entschlossen zu dem Flügel.

Sei's! »Auf Nimmer wiedersehen!«Spielt das Präludium zu einem Alpenlied, das 10 bis 15 Tacte haben muß.

CHARLES
tritt nach den ersten Tacten ein, bleibt einen Augenblick im Hintergrund stehen, nickt zufrieden, und geht dann vorsichtig ab, Seitenthüre links, ohne bemerkt zu werden.
ADOLPH
steht anfangs mit unterschlagenen Armen ferne, finster vor sich niederstarrend, nach und nach macht er langsam einige Schritte näher, seine Bewegung steigert sich, sein Auge ruht leuchtend auf Rose.
ROSE
nachdem sie das Präludium zu dem Lied gespielt, bricht plötzlich in Thränen aus, und verbirgt das Gesicht in beiden Händen.
Ich vermag es nicht! Vergeben Sie mir!
ADOLPH
hingerissen.

Sie vermögen es nicht – weil dieser Abschied Ihnen das Herz bricht, wie mir,An ihr niedersinkend, umfaßt sie. weil Du fühlst, daß Du mich tödtest wenn Du gehst, denn ich liebe Dich, Rose!

ROSE
will sich aufrichten und sich seinen Armen entwinden.
ADOLPH
sie auf dem Stuhl festhaltend.

Nein – nein, ich lasse Dich nicht – Du kannst nicht von mir gehen, Du kannst es nicht vollbringen, denn Du liebst wie ich liebe, Du bist mein! O, sage daß Du mich liebst!

ROSE
legt plötzlich beide Hände um seinen Hals.

Ja, ich liebe Sie, Adolph! Wie sehr – kann ich nicht sagen, könnt' ich's, so wär's ja nicht die rechte Liebe, die kein Wort hat für ihre Macht.

ADOLPH.

O ich wußte, fühlte es, ich verstand Dich längst, ohne Worte! Du liebtest mich lange, ohne es selbst zu wissen!

ROSE
sich sanft aus seinen Armen windend.

Nein ich wußte es nicht, begriff nicht, warum mir das Dasein schöner dünkte, seit Sie in den Soiréen der Pension erschienen; erst als man sich eines Tages erzählte, daß die kleine Comtesse Julie, Ihre Cousine, das stille, bleiche, mutterlose Kind, das ich so lieb gehabt, Ihre Braut ist, da offenbarte sich mir das Geheimniß meines innersten Lebens! Da wußte ich plötzlich, daß Ihre Augen nur mich suchten, daß Ihr Herz mir gehöre und nicht dem [25] kranken träumerischen Wesen, das man für Sie bestimmte; da ergriff mich tiefes Mitleid für uns Alle, und ich verstand nun Ihr strenges Schweigen und liebte Sie doppelt darum; wären Sie jetzt schweigend von mir gegangen, ich wüßte es doch daß wir einander, Herz in Herzen eingedenk sind, für alle Zeit – und wir schieden ruhiger.

ADOLPH
energisch.

Wir scheiden nicht Rose! Wenn Du mein Schweigen verstandest, so mußt Du fühlen, daß nun wir es gebrochen, uns nichts mehr trennen kann.

ROSE
staunend.
Nun es gebrochen sind wir erst geschieden – auch wenn Sie keine Braut hätten.
ADOLPH
wild.

Ich habe diese Braut, der ich nie mehr als ein Bruder sein kann, nicht anerkannt. Begreifst Du denn nicht daß Du nach diesem Geständniß mein bist – einzig mein?

ROSE
sieht ihn groß an.

Ich kann niemals Ihnen angehören, das Bauernkind kann nie des Grafen Weib sein. Sie haben es gehört, was mein Pathe so gern verschweigt, der stolze Onkel hat es Ihnen ja vor Allen zu Gehör gegeben, wer ich bin! O ich habe ihn verstanden, wie ich Sie – und Mit zitternder Stimme die Hand auf das Herz legend. mich selbst jetzt verstehe – fort muß ich – fort – geschieden muß es sein, Plötzlich in Thränen. und so lebe wohl, »auf Nim merwiedersehen.«

ADOLPH
außer sich.

Nein, nein! Kein Lebewohl! Du gehst nicht von mir. O, sage daß Du es nicht kannst, Rose! Umschlingt sie.

ROSE
fest, aber mit Ueberwindung.
Ich kann – was ich muß.
ADOLPH
läßt die Arme sinken und tritt zurück.
So gehe hin – und tödte mich! Geht nach links.
ROSE
für sich.
O hilf mir, Gott! Sinkt auf den Stuhl am Flügel.
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Charles. Dann Diener und Bastian.

CHARLES
von links, zieht Adolph rasch zur Seite, leise.
Es wird ernsthaft. Hoffentlich haben Sie Rose beredet zu bleiben und sie reist nicht?
ADOLPH
bitter.
Sie reist!
CHARLES
wie oben.

Dann verläßt sie Paris als meine Braut, denn nur unter dieser Bedingung läßt mein Vater sie fort, das hat er mir so eben erklärt.

ADOLPH.
Sein Sie ohne Furcht, dieses Ziel erreicht er nicht.
BASTIAN
von außen.
Aber ich will nicht gemeldet sein, will mir die Rosel schon selber suchen!
ROSE
die unbeweglich saß, vor sich hinstarrend, fährt auf.
Diese Stimme?
DIENER
tritt links ein.
So wartet doch bis ich sie rufe.
BASTIAN
im Reisekleid, langer dunkler Oberrock, breitkrämpigen Hut, alles mehr städtisch als früher.
Aber ich will nicht warten, hab's eilig!
ROSE
starrt athemlos nach ihm, laut aufschreiend.

Er ist's! Bastian! Bastian! Mein lieber alter Freund! Streckt ihm beide Hände entgegen. Du bist's! Kommst von daheim! O Gott grüße Dich, alte treue Seele!

BASTIAN
an allen Gliedern zitternd, staunt sie, wie träumend an.

Das – das – die Rosel? Du? – Sie? – Ja – ja – das sind die frommen Augen – [26] das ist das liebe Gesicht! Aus alle dem Staat und Plunder kenn' ich's heraus! Es ist unser Kind Faßt ihre beiden Hände. das ich viel tausendmal grüßen soll, auf das sie daheim mit Schmerzen warten, und das ich zu holen komme!

ROSE.
Du sollst mich holen? und morgen früh will ich ja heim!
BASTIAN.
Was, Du gehst freiwillig? So hast Du den Brief doch kriegt?
ROSE.

Ich weiß von keinem Brief, Bastian! Vor kaum einer Stunde erst erfuhr ich, daß die Dorothee Hochzeit hat – und daß der Vater mich verlangt.

BASTIAN.

Ja, der Vater – aber erst das arme Dorle! Die hat's gewußt, daß Du den Brief nicht kriegt hast, daß Du sonst schon lange daheim wärst! Er zieht eine alte große Brieftasche hervor und nimmt ein versiegeltes Couvert heraus. Und das da hat sie mir für Dich geben, und hat gesagt: da steh' Alles drin was Dir nöthig, und wenn Dein Herz hier mit Ketten angehängt wär', wenn Du das gelesen habst, so kämst Du doch heim.

ROSE
nimmt den Brief und steckt ihn zu sich.
ADOLPH
in finsterer verhaltener Wuth.

Es bedarf des Briefes nicht Alter, Fräulein Rose ist mit keiner Kette hier gefesselt, die sie nicht so leicht zerrisse wie Spinngewebe! was auch darüber bricht – sie wird bei dem Hochzeitstanz sicher nicht fehlen.

BASTIAN
trotzig, Adolph finster messend.

Das wird sie auch nicht, so Gott will! Die Rosel wird ihren Landsleuten keinen Tanz weigern, wenn sie schon nicht mit Glacé handschuhen umspringen, wie die Pariser Herrn – das weiß ich gewiß!

ROSE
plötzlich wie umgewandelt, fast schaudernd.

Nein Bastian, nein! Das soll Keiner von mir fodern! Ich werde bei der Hochzeit sein, werde die Dorothee mit der Brautkrone schmücken, aber im Tanz soll mich Keiner mehr schwenken, Mit einem schmerzlichen Blick auf Adolph. im Arm soll mich Keiner mehr halten Bastian, damit – ist's vorbei Bricht in Thränen aus. für immer!

BASTIAN
faltet entsetzt die Hände.
Dann sei uns Gott gnädig! Du weinst daß es heim geht? Rosel! Du bist nicht mehr unser!
ROSE
mit Leidenschaft.

Wär' ich's nicht mehr, so gingst Du ohne mich fort. Habe ich mich meiner Pflicht geweigert, bin ich nicht bereit Dir zu folgen? Und bist Du so alt geworden, hast Welt und Menschen gesehen, und weißt nicht: daß sich in drei langen Jahren voll Glück und Liebe – gar viele, viele unsichtbare Fäden an ein junges Herz knüpfen, die sich nicht in einer Minute los reißen lassen – ohne daß das Herz in Stücke geht?

LEBLANC
wo er abging, tritt rasch bleich und aufgeregt, schon während Roses Rede ein und bleibt im Hintergrund stehen.
9. Szene
Neunte Scene
Vorige. Leblanc.

LEBLANC
vortretend.

Das soll es nicht! Nein, bei Gott – nein! In solchen Schmerzen sollst Du nicht von uns scheiden. Rose, wenn Du fühlst was Du mir schuldest – so erwäge was Du thust, da Du uns verläßt.

ROSE
faltet entsetzt die Hände.
Großer Gott! Auch Sie – auch Sie?
LEBLANC.

Auch ich – ja! Um Deinetwillen fordere ich Dich auf Dein Herz zu fragen, ehe Du wählst zwischen den Deinen und uns!

[27]
ROSE
in fieberhafter Hast.

Wählen? Ich habe keine Wahl! Ich kenne keine Frage an mein Herz, deren Beantwortung mich der Pflicht des Gehorsams gegen den Vater entbinden könnte.

LEBLANC
ihr näher tretend.
Und wenn Du lieb test – wenn Du geliebt würdest?
ROSE
zuckt zusammen.
LEBLANC
fortfahrend.

Wenn die Trennung erst Dir Deine Gefühle klar machte, wenn Du, daheim eine Fremde geworden, zu spät erkennen müßtest an wessen Brust Deine wahre Heimath? Ist das keine Frage die entscheiden kann zwischen Vater und Tochter? Gebietet nicht der Herr dem Weibe: Vater und Mutter zu verlassen – und dem Manne zu folgen?

ROSE
hat beide Hände krampfhaft auf die Brust gedrückt und starrt vor sich hinaus, fast tonlos.
Und so sprechen Sie zu mir, Sie, der mich nicht hal ten wollte?
LEBLANC
schmerzlich.
Ich halte Dich ja nicht! Du bist frei! Kannst bleiben oder gehen!
ROSE
in qualvollem Kampf.

Sie stürzen meine Seele in Zweifel, Sie haben meine Entschlüsse erschüttert – o ja, Sie halten mich! –

BASTIAN.

Ja wohl halten sie Dich, den Brief haben sie Dir unterschlagen – Der Herr Leblanc hat's selbst geschrieben, daß Du nicht kommen wolltest.

ROSE
sieht Leblanc entsetzt an.
Pathe!
LEBLANC
sieht vor sich nieder.
BASTIAN
fortfahrend.

Die Ehrlichkeit mußt Du hier nicht suchen! Daheim sind die ehrlichen Herzen die Dein Glück wollen! Nein Rosel, Du wirst Dich nicht halten lassen von den falschen Leuten Immer ängstlicher werdend. Du kommst mit mir, gelt? Du denkst an das arme Dorle, das sich verlobt hat: daß sie nicht vor den Altar gehe ohne Dich! Denk, daß sie in Herzensangst droben sitzt auf dem Hirschensprung und hinunterschaut in's Thal nach Dir, die ihr als Kind das Leben gerettet hat, und ihr jetzt das Herz bricht, wenn der alte Bastian kommt – ohne Dich! Verzweifelnd. Rosel! Muß ich allein heim?

ROSE
die in qualvollem Kampfe stand, zu ihm hinschwankend, streckt die Hand nach ihm aus, mit gebrochener Stimme.
Nein! Nein – nein – da habt – Ihr mich! – Und stürzt ohnmächtig vor ihm nieder.
ADOLPH
will zu Rose eilen.
Großer Gott!
CHARLES
hält ihn kräftig zurück.
LEBLANC
schreit auf, stürzt neben ihr auf die Knie, und faßt sie in de Arme.
Rose?
BASTIAN
entsetzt.
Unser Kind!
LEBLANC
mit Triumph auf Bastian.
Ihr Herz hält sie hier! Sagt das dem Sonnenwirth!

Der Vorhang fällt rasch.
[28]

3. Akt

1. Szene
Erste Scene
Rose. Denise.

DENISE
in einfacher Toilette, ein Journal in der Hand, sitzt im Sopha, zuweilen mit sorglichem Blick nach Rose sehend.
ROSE
einfach gekleidet, bleich und angegriffen, sitzt am Schreibtisch den Kopf in die Hand gestützt und scheint im Schreiben in tiefen Gedanken versunken.
DENISE.

Das ist doch eine reizende Mode. Weißt Du Rose, solch einen rothen Beduinen mußt Du auch noch vor der Abreise haben. Das wird Dich charmant kleiden.

ROSE
aus Gedanken, den Kopf zu ihr wendend, lächelnd.
Nein Denise, das paßt nicht in meine Heimath, unter Landleute.
DENISE.

Ich kann es noch immer nicht fassen, daß Du dem Landvolk gehören sollst. Das macht wohl, weil Papa uns immer sagte, Dein Vater sei ein reicher Holzhändler; nun, Papa war das frü her auch, und da konnte ich mir Euer Haus nicht anders denken, als unser Hôtel. Nun ist es auf einmal eine Bauernwirthschaft wie der Graf neulich sagte! Warum hat mir denn Papa nie davon gesprochen?

ROSE
bitter.

Er bat auch mich es zu verschweigen. Vielleicht schämte er sich der Gesellschaft zu gestehen – daß er ein Bauernkind in sein Haus aufnahm.

DENISE
springt auf und legt den Arm um Rose's Hals.

Nein, o nein! Wer könnte sich Deiner schämen! Und Papa liebt Dich so sehr, hat sich so um Dich geängstigt während Deiner Krankheit, und will Dich jetzt ja selbst nach Deutschland bringen, sobald es der Arzt erlaubt. Nein, das ist es gewiß nicht!

ROSE
taucht die Feder wieder ein, bittend.
Laß mich jetzt meinen Brief an die Mutter beenden, Denise!
DENISE.

Ich gehe gleich. Aus Gedanken. Weißt Du – am Ende wollte Charles nichts von Deiner Herkunft wissen lassen.

ROSE
dreht rasch den Kopf nach ihr.
Dein Bruder? – Was kümmert es ihn, woher ich stamme?
DENISE
schelmisch lauernd.
Aber – wenn er Dich nun sehr lieb hätte?
ROSE.
Charles? Mich? Charles liebt Niemand als sich selbst.
DENISE
herausfahrend.

Das meinte ich auch, aber Papa sagt: er liebt Dich über Alles und Du werdest bald wieder zu uns zurückkommen, und für immer hier bleiben.

ROSE
für sich.
Seltsam! Laut. Zurückkommen für immer? Wann sagte er das?
[29]
DENISE
leise, sich umsehend.

Ich darf durchaus nicht davon sprechen, denn weißt Du, ich habe es ganz heimlich erlauscht – aber Du verräthst mich nicht – und es drückt mich hier Auf's Herz. zu schrecklich, ich kann es nicht mehr verschweigen.Zu ihrem Ohr geneigt. Papa rauchte gestern nach dem Souper mit Charles seine Cigarre auf dem Balcon, und glaubte ich wäre schon zu Dir herauf gegangen, ich saß aber hinter dem Epheu; da hörte ich, wie er deutlich sagte: daß Deine Krankheit der Beweis sei, wie sehr Du Charles liebst!

ROSE
springt auf.
Ich – ich?
DENISE.

Ja Du! Charles wollte es nicht glauben – Papa aber versicherte: er habe Dich längst durchschaut, habe Dir den Brief der Schwester nur unterschlagen, um Dein Glück zu retten, weil er gewußt hätte daß Dir das Herz bräche, wenn Du uns jetzt verlassen müßtest.

ROSE
wie aus einem Traum.
Das – das sagte er?
DENISE.

Ja! Und sobald der Arzt erkläre, daß Dir Gemüthsbewegung nicht mehr schaden könne, werde er Deine Hand für Charles fodern.

ROSE
legt die Hand an die Stirn, in sich hinein.
Meine Hand – für Charles!
DENISE.

Ach, wenn Du sie ihm doch geben wolltest, Rose! Dann gingst Du nicht mehr fort in den abscheulichen schwarzen Wald. Schmeichelnd. Willst Du Dir das nicht überlegen?

ROSE
heftig.
Ja, ja! Laß mich nur jetzt, Denise – ich muß allein sein.
DENISE
erschrocken.

Ich gehe ja schon. Im Abgehen. Sie ist ganz blaß, hätte ich doch lieber geschwiegen. Seitenthür rechts ab.

2. Szene
Zweite Scene
ROSE
allein.

Das war es, das! Dies gedankenlose Kind nimmt mir die Binde von den Augen. Darum unterschlug man mir Briefe, darum sollte ich die Heimath nicht wiedersehen! – Aber welch ein Wahn blendet diesen sonst so klarblickenden Mann, daß er Liebe für Charles in meinem Herzen liest? – Ach – der Wunsch ist's, der ihn täuscht! – Für den Sohn riß er mich von den Meinen los – für den Sohn hat er mich erzogen – und ich selbst soll seine Hoffnungen nun zerstören? – Ich muß fort – fort aus diesem Hause ehe Leblanc mir von Charles sprechen kann – ehe Adolph die Versuche erneuert sich mir zu nahen. – Ich darf ihn ja nicht wiedersehen, ihn – den ich liebe, ich kann es nicht! Gott, mein Gott! Hilf mir, befreie mich aus der Gewalt dieser Leidenschaft, die mein ganzes Wesen beherrscht, seit das unselige Geheimniß über unsere Lippen trat!Geht ein paar Schritte. – Nur in der Heimath ist Rettung für mich – dort, wo ich vielleicht längst verurtheilt – vielleicht verstoßen bin für immer! Selbst die Schwester ist mir verstummt. – Niemand antwortet auf meine flehentliche Bitte!Pause. Ahnt mein Dorle – daß ihr Schreiben noch unerbrochen Nimmt unter einem Briefbeschwerer den Brief hervor, den Bastian ihr brachte. hier vor mir liegt, nach zehn langen Tagen? Und warum bebe ich zurück, so oft ich das Siegel brechen [30] will – war es nicht Krankheit die mich festhielt, war ich denn nicht bereit, dem Ruf des Vaters zu gehorchen? – Ausbrechend. Ja, ich wollte meine Pflicht erfüllen – aber nicht freudig – mit gebrochenem Herzen wollte ich's! Wie eine Last fiel es von meiner Brust als ich erfuhr: der treue Bastian sei fort! O ich bin sehr schuldig, ich verdiene die Schmerzen die dieser Brief mir bringen wird, der mich loslösen soll, wie Bastian sagte, und wäre ich mit Ketten hier angelegt. Ach, ich wollte nicht losgelöst sein, ich liebte meine Ketten! – So laß denn jetzt deine Stimme mahnend an mein Gewissen schlagen, Dorothee, damit ich Deiner Liebe würdig bleibe! Reißt entschlossen den Brief auf, nimmt zwei Blätter aus dem Couvert, das eine ist der Brief den Dore im ersten Act vorliest. Liest. »Treuliebe Schwester!« O mein süßes Dorle! »Gott der Herr gebe Dir und mir die Gnade, daß Du den Grafen Adolph nicht liebst!« Entsetzt. Herr meines Lebens! Sie weiß? Wie kann sie wissen? Sieht wieder in den Brief. »Bist Du aber so schwer heimgesucht und mußt ihn gern haben, so lies den andern Brief – er wird Dich stark machen den rechten Weg zu gehen.« Oeffnet rasch das zweite Blatt. Eine fremde Hand? Liest. »Hochgeborener Herr Graf!« Mein Gott! Ihre Hände zittern, nach einer kleinen Pause. »Graf Adolph wie einen Sohn lieben« – »die junge Deutsche« – Was ist das – o was ist das! Sinkt in das Sopha und liest still für sich fort, in heftiger Bewegung.

3. Szene
Dritte Scene
Rose. Denise wo sie abging.

DENISE
mit leuchtenden Augen aber schüchtern.
Ah, Rose, denke nur – ich weiß eigentlich gar nicht, ob ich es Dir sagen soll!
ROSE
ohne Denise zu beachten, immer lesend.
»Sogar seine kleine Tänzerin verabschiedet!« – Aufschreiend. O – das ist abscheulich, abscheulich! –
DENISE
zurückfahrend.
Mein Gott – wie erschreckst Du mich! Was hast Du denn da?
ROSE
starrt sie wild an.
Nichts – das für Dich taugt! Was willst Du denn? Ich bat Dich mich allein zu lassen!
DENISE.
Ja, das wollte ich auch, aber – eben kommt Jean herauf, Graf Adolph wünscht dringend –
ROSE
aufspringend.
Wer? Er?
DENISE.
Ja, ja, er! Und er wünscht uns sehr dringend zu sprechen!
ROSE.
Ich empfange noch nicht – und ihn vor Allen nicht.
DENISE.

Aber dringend hat er gesagt – und weißt Du, durch den Garten ist er gekommen – nicht durch das Vestibül – also handelt es sich um etwas Geheimes.

ROSE
decidirt.
Ich spreche ihn nicht! –
DENISE
ärgerlich.
Nun wird er aber zum drit tenmal abgewiesen, das ist unhöflich, weißt Du das?
ROSE
finster.
Einerlei! Ich sehe ihn nicht.
DENISE
trotzig.
Nun – so empfange ich ihn.
ROSE.
Du allein? Was würde Madame Armande sagen?
[31]
DENISE
trotzig.

Wenn Madame Armande sich erlaubte mit Papa nach der Porte St. Martin in die Komödie zu fahren ohne mich Ahmt sie nach. »weil das Stück für mich nicht passe, da eine Entführung darin vorkomme« was doch gar nicht so unpassend ist – so erlaube ich mir, einen Freund des Hauses auf mein Risico zu empfangen.

ROSE
nimmt rasch die Briefe an sich.

Du hast als Tochter des Hauses über dieses Zimmer zu disponiren. Mich wirst Du entschuldigen, Denise; zeige es mir an, wenn er sich entfernt haben wird.Ab Seitenthür links.

DENISE
allein, in starrem Staunen.

Ist es denn möglich! – Etwas Geheimes sollen wir erfahren, und sie läuft davon, und vor ihm, den sie sonst so gern kommen sah? Naserümpfend. Hm! Es fehlt Rose doch an der eigentlichen Weltbildung, ihr Stand läßt sich nicht verläugnen.

4. Szene
Vierte Scene
Denise, Adolph Seitenthür rechts.

ADOLPH
tritt rasch ein, dunkles Reisekleid, blaß, verstört, hastig.
Verzeihen Sie – Ueberblickt rasch das Zimmer. Sie sind allein, Denise?
DENISE
kleinlaut.
Ja – ganz allein!
ADOLPH
fieberhaft.

Ich habe lange im Vorsaal gewartet, jede Minute zählend – denn Sie sollen wissen Denise, daß ich nicht viele Minuten mehr zu verschwenden habe –

DENISE
erschrocken.

Mein Himmel! Sie sehen so wild aus, so verstört, so – Sie wollen sich doch nicht etwa ein Leides thun?

ADOLPH
bitter lächelnd.
O – Lust hätte ich dazu – besonders – wenn Sie mir nicht helfen wollen, Denise.
DENISE
wie oben.
Wenn ich es kann, gewiß!
ADOLPH.
Nun denn – aber können Sie auch schweigen?
DENISE.
Wenn man mir etwas Geheimes anvertraut, wie eine Mauer!
ADOLPH
zieht sie etwas in den Vorgrund, leise.

Ich weiß, daß Madame Armande abwesend ist – verschaffen Sie mir eine Unterredung mit Rose, aber allein, ohne Zeugen, hören Sie Kleine? Ich muß sie sprechen.

DENISE.
Aber sie will Sie nicht sehen – sie entfloh so eben in ihr Boudoir vor Ihnen.
ADOLPH.

Sie muß mich sprechen! Sagen Sie ihr: mein Leben hänge an dieser Unterredung. Sein Sie so gut, Denise!

DENISE
die es vor Neugier nicht länger mehr aushält.
Aber, dann muß ich doch vorher wissen – was Sie denn von ihr wollen?
ADOLPH
dumpf.

Abschied will ich von ihr nehmen. Ich reise in einer Stunde – muß fort – und liebe Rose! Begreifen Sie nun?

DENISE
vergnügt.

Was – in Rose sind Sie verliebt, und nicht in mich? O das ist reizend! Papa bildet sich fest ein, all' Ihre Besuche gälten mir! Ha, ha, ha!

ADOLPH
betreten.
Ihnen Denise? Wie kommt er darauf?
DENISE.
Charles hat ihm das eingeredet.
ADOLPH
rasch.
Charles? Wirklich? – Aber – Sie Denise, haben Sie ihm auch geglaubt, wie Herr Leblanc?
[32]
DENISE.

Ich? Ich habe nie darüber nachgedacht; ich mag Sie sehr leiden, weil Sie mein bester Tänzer sind, aber mir ist es ganz einerlei wenn Sie eine Andere nehmen; ich bin hübsch und reich, sagt Madame Armande, ich kann so viele Männer bekommen als ich will, und da es vollends meine Rose ist in die Sie verliebt sind, so finde ich es entzückend, daß ich die Vertraute Ihrer Liebes-Intrigue sein soll. – Ach, ich habe das lange gewünscht! Wissen Sie, man kommt sich so sehr wichtig vor wenn man etwas zu ver schweigen hat – ach – und wenn es gar ge fährlich wäre – Plötzlich. wenn eine Ent führung daraus würde, wie in der Porte St. Martin – Mit plötzlichem Einhalt. sagen Sie, haben Sie vielleicht Lust, Rose zu entführen?

ADOLPH.
Wie kommen Sie auf den Gedanken?
DENISE.

Weil ich weiß, daß Papa sie gutwillig keinen Andern als Charles heirathen läßt, – also kann nur List helfen. Wollen Sie sie entführen? –

ADOLPH
sehr betreten.
Wenn ich auf Roses Einwilligung hoffen dürfte –
DENISE
in die Hände klatschend.

Sie soll, sie wird einwilligen! Aber Sie versprechen mir: daß Sie Rose wieder zu uns nach Paris bringen, wenn sie erst Ihre Frau ist? Daß sie nicht mehr in ihren häßlichen schwarzen Wald zurück muß?

ADOLPH.
Das verspreche ich Ihnen!
DENISE.

Dann lassen Sie mich nur machen, ich helfe ihr fort. O, ich bin sehr schlau, wissen Sie! Ach Gott, wenn Rose so plötzlich verschwunden wäre, und Niemand wüßte wo sie hingekommen als ich allein – und die ganze Pension platzte vor Neid, daß Rose von einem Grafen entführt wurde – ja, sie thut mir diesen Gefallen, gewiß, gewiß! Halten Sie sich nur ganz still – ich bringe sie heraus. Seitenthür links ab.

ADOLPH.

Die kindische Einfalt zeigt auf densel ben Weg, den die Intrigue Charles ersann und mir in diesem Augenblick ebnet. Wie sehr mein Gewissen vor diesem letzten Mittel zurückbebt, mein Herz reißt mich unwiderstehlich vorwärts auf der abschüssigen Bahn!

5. Szene
Fünfte Scene
Adolph. Charles Seitenthür links.

CHARLES
sieht vorsichtig herein, halblaut.
Pst! Graf Adolph! Wie stehen unsere Actien?
ADOLPH
halblaut, wie die ganze Scene gesprochen werden muß.

Noch ganz außer Cours. Kommen Sie nur näher. Denise ist bei ihr; ich fürchte es gelingt mir nicht sie zu sprechen.

CHARLES
ungeduldig.
Dann dringen Sie mit Gewalt in das Boudoir; Ihre verzweifelte Lage entschuldigt Alles!
ADOLPH
stolz.
Ich werde mich niemals zur Gewalt erniedrigen.
[33]
CHARLES.

Wie es Ihnen beliebt! Ich weiß nur daß für uns Beide das Spiel verloren ist, wenn Sie nicht festhalten an unserem Plan, zu dessen Ausführung nun Alles vorbereitet ist.

ADOLPH
rasch.
Wirklich, Alles? Auch der polnische Geistliche der Sie getraut?
CHARLES.
Gott weiß, woher er plötzlich so ängstlich geworden. Er blieb unbeweglich.
ADOLPH.
O – das ist schlimm!
CHARLES.

Pah! Wozu überhaupt diese Trauung?Zieht einen Brief hervor. Diese Zeilen an meinen Onkel, den Unter-Präfekten von Straßburg, sichern Ihnen seine Hülfe. Sie gehen dort mit Rose vor den Maire, und in zehn Minuten ist die Ehe geschlossen.

ADOLPH
finster.
Nicht für uns Deutsche, mein Lieber!
CHARLES.
Um so besser, dann können Sie sich die Sache später ja noch überlegen. –
ADOLPH
empört.
Das ist Ihr Ernst nicht, Charles, denn Sie sind kein Schurke.
CHARLES
ungeduldig.

Nein, gewiß nicht – aber ich bin desperat über Ihre nüchterne Gewissenhaftigkeit! Horch! Sie werden laut im Cabinet. Ich gehe, im Corridor Wache zu halten, denn ich habe alle Diener entfernt! Leiser. Vergessen Sie nicht, daß Rose mein Geheimniß nicht ahnen darf. – Nun, Glück zu! – Ab durch die Mitte.

ADOLPH
allein.

In welche Hände – auf welch' eine Bahn hat die Leidenschaft mich geführt! Und dennoch muß ich vorwärts, denn ich kann sie nicht verlieren. Nein, ich kann es nicht! –

6. Szene
Sechste Scene
Adolph. Rose. Denise.

DENISE
Rose herausziehend.

Komm nur, sieh selbst wie sehr er leidet; er will ja nur Abschied von Dir nehmen, das kannst Du ihm doch nicht verweigern?

ADOLPH.
Rose, aus Erbarmen! Hören Sie mich nur zwei Minuten!
ROSE.
Wir haben uns bereits Lebewohl gesagt, auf Nimmerwiedersehen.
DENISE
geht während der nächsten Rede leise auf den Fußspitzen in ihr Zimmer, rechts ab.
ADOLPH.

Damals glaubte ich nicht an Trennung, Rose, Sie wissen es – ich hatte die stolze Zuversicht, daß mein Flehen Sie halten könnte! Von diesem Wahn haben Sie mich geheilt – nicht von dem Gefühl das ihn erzeugte, das stärker ist als alle Entschlüsse – stärker als alle Rücksichten die sich uns entgegenstellen. Ich muß Sie mein nennen dürfen, Rose, oder ich gehe unter.

ROSE
in finsterem Ernst.
Kommen Sie vielleicht, mir Ihre Hand anzubieten?
ADOLPH
frappirt, nach einer kleinen Pause.
Sie sprechen es aus, Rose! –
[34]
ROSE.
Wirklich? – Und wenn ich diese Hand annähme?
ADOLPH
mit Leidenschaft.

So würde diese schwerste Stunde meines Lebens, der ich mit Zittern entgegenging, mir zur glücklichsten werden.

ROSE
wie oben.
Und Ihr edler Oheim – würde diesen Bund segnen, nicht so?
ADOLPH
zögernd.
Er wird ihn einst segnen, wenn er unser Glück sieht.
ROSE
mit Größe.

Sie glauben nicht was Sie versprechen, Sie können es nicht glauben! Die Stimme erhebend. Er würde uns fluchen. Dieser Mann – der Ihnen nichts in den Weg legte Reicht ihm den Brief. als Sie Ihr Geld im Jockey-Club vergeudeten, und Ihr sittliches Gefühl in einer Liaison mit »Ihrer kleinen Tänzerin« entweihten – dieser Mann, der Ihre Geheimnisse stehlen läßt – würde Sie verstoßen, enterben, wenn Sie es wagen sollten durch ein unbescholtenes Bauernkind, das reinen Herzens ist, seinen Stammbaum zu beflecken! Nein, Adolph, lügen Sie nicht mir oder sich selbst eine Hoffnung vor, die sich nie mals erfüllen kann; zwischen uns ist keine Vereinigung möglich!

ADOLPH
hat flüchtig in den Brief gesehen, bitter.

Lassen Sie mir dies Papier – es kann mir einst zur Antwort dienen – wenn er, der mich wie ein Vater zu lieben schien, mich des Undanks beschuldigt! Nein Rose, er wird unsern Bund nie segnen, und wir werden dessen nicht bedürfen um glücklich zu sein! Da Sie nicht reisten, wie er nach seinem schlauen Coup sicher hoffte – so fand mein Oheim ein anderes Mittel uns zu trennen. Vor wenig Stunden erhielt ich den Befehl unseres Ministers: mich noch in dieser Nacht mit Depeschen nach Petersburg zu begeben, ich gehorche; Widerstand ist jetzt unmöglich, wo mir der Dienst allein eine Stellung geben kann, welche mir erlaubt meiner Gattin, ohne des Grafen Hilfe, ein sicheres Loos zu bieten. Flehend. Rose! Vergiß den Leichtsinn in welchen mich die vergoldete Jugend des Jockey-Clubs eine kurze Zeit verstrickte; ich bin bereit Dir alle Rangverhältnisse, all' meine Ansprüche an Reichthum zu opfern – opfere mir dagegen die Vorurtheile Deiner Erziehung, die engherzige Rücksicht auf das Urtheil der Welt! Stürzt vor ihr nieder, sie umschlingend. Wenn Du wahrhaft liebst, so sei mein, Geliebte, begleite mich in jene ferne fremde Welt, laß uns glücklich sein!

ROSE
starrt ihn an.
Als was soll ich Sie begleiten?
ADOLPH
zu ihren Füßen.

Das fragst Du? – Als meine Gattin! Alles ist vorbereitet, in Straßburg soll unserm Bund die heilige Weihe werden.

ROSE
wie oben.

Ohne den Segen der Eltern, geheim – im Schooß der Finsterniß – nicht so? – Und Sie wagen es zu hoffen, daß ich Ihnen folgen könnte?

ADOLPH
springt auf.

Ich wage es – weil ich weiß daß Du mich liebst – und weil es mich wahnsinnig machen würde Dich hier zurückzulassen, wo Du von Leblanc umgarnt, von den Intriguen meines Oheims verfolgt, mir sicher entrissen würdest!

ROSE
vergebens bemüht ihre Bewegung zu bewältigen.

Beruhigen Sie sich, Adolph, ich bleibe nicht hier zurück, ich kehre zu den Meinen heim, und meine Seele ist bei Ihnen, wo ich auch sei! –

[35]
7. Szene
Siebente Scene
Charles. Vorige.

CHARLES
rasch eintretend.
Nun Graf Adolph, ist Rose zur Flucht entschlossen?
ROSE.

Nein Charles. Ich werde mich nie zu einem Schritt entschließen, vor dem mein sittliches Gefühl zurückbebt.

CHARLES
ungeduldig drängend.

Sie sind thöricht, Rose! Alles ist bereit. Wir haben keine Minute mehr zu verlieren! Adolph, gebrauchen Sie das Recht, welches ihre Liebe Ihnen giebt, Faßt kräftig Roses Hand. zwingen Sie die Starrsinnige zu Ihrem Willen.

ADOLPH
tritt zwischen Beide und schleudert Charles Hand fort.

Berühren Sie diese reine Hand nicht! – Sich mit Würde zu Rose wendend. Rose, Du bist verlassen von den Deinen, verrathen von Leblanc, hilflos, auf mich allein angewiesen, willst Du mir folgen? Hier bin ich, ein Mann von Ehre – der Dich liebt, der bereit ist, sein Dasein Dir zu weihen, dem Deine Tugend heilig sein soll, wie das Andenken seiner Mutter! – Liebst Du mich nicht, kannst Du nicht an mich glauben, so überlasse mich meinem Schicksal – aber klage mich nicht an, wenn diese Stunde uns für ewig scheidet.

ROSE
verhüllt das Gesicht.
O mein Gott!
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Denise.

DENISE
athemlos und erschrocken.

Rose! Graf Adolph! – Um Gotteswillen – an der kleinen Pforte hält ein Wagen – ich dachte erst: für Eure Flucht – als ich aber durch die Jalousien lausche, erblicke ich – den alten Grafen, der mit zwei Männern, die wie Polizei aussehen, in den Garten schleicht! Der Mond scheint so hell, daß ich Alles deutlich unterscheiden konnte.

ADOLPH.

Mein Oheim, hier? Dann ist unser Plan verrathen! Rose! Noch ist es Zeit. Umschlingt sie plötzlich, verzweifelnd. Vertraue Dich mir!

CHARLES
sehr unruhig.
Ich führe Euch durch meine Zimmer – dieser Weg ist uns noch frei!
ADOLPH
sie fortziehend.
Komm, o komm!
ROSE
in zitternder Bewegung, bemüht sich von ihm loszureißen.
Nein, nein, nein! Nimmermehr!
9. Szene
Neunte Scene
Vorige. Dore.

DORE
in ihrer Bauerntracht, eine kleine Jacke über dem Anzug, einen Strohhut auf dem Kopf, tritt durch die Mitte ein.
[36]
ROSE
starrt Dore einen Augenblick wie träumend, an allen Gliedern zitternd an, aufschreiend.

Ha! Rettung – Rettung! Fliegt auf Dore zu und sinkt halb ohnmächtig an ihre Brust, sie fest umklammernd. Du, – Du! O, Gott hat mich nicht verlassen! –

DORE
sie fest an sich drückend.

Er verläßt Keinen, der ihn nicht läßt! Du kennst mich noch, Du hast ihn nicht verlassen. In Thränen ausbrechend. Oh, grüß' Dich der Herr zu tausend, tausendmalen! Sie halten sich umschlungen.

ADOLPH
starrt Dore wild an.
Wer sind Sie?
CHARLES
wüthend.
Wie kommen Sie dazu sich in unser Haus, in dieses Zimmer zu drängen?
DORE
den Kopf erhebend, streicht den Hut mit Ruhe in den Nacken, daß er in bäurischer Art halb auf dem Rücken ruht, sieht Charles fest an.

Ich hab' den Mann drunten an der Hausthür mit dem goldbordirten Rock nach der Rosel gefragt, er hat mich da herauf gewiesen – und da oben bin ich der Stimm' nachgegangen die mir das Herz troffen hat! –

CHARLES.
Und der Portier ließ Sie ohne Weiteres ein?
DORE
energisch.

Er hat sich nicht unterstanden mich aufzuhalten, denn der Mann – wann gleich er nur in einer Livrée steckt, hat das Recht respectirt, was nicht Jedermann's Sach' ist in diesem Haus – sonst müßt ich nicht vom Schwarzwald kommen die Schwester selber heimzuholen!

ADOLPH UND CHARLES
zugleich.
Die Schwester?
DORE
mit bebender Stimme auf Rose herabsehend, die wie sinnlos an ihrer Brust liegt.

Ja die herzlieb Schwester, die sie mir so umgewandelt haben, daß ich nichts mehr kenn' an ihr, als ihre glockenhelle Stimm' – und das warme Herz, das an dem meinen schlägt. Rosel! Mein' liebe Seel'! Was haben Sie Dir denn angethan? Sag' mir doch nur ein einzig's Wort – 's ist ja Dein altes treues Dorle! Bist Du denn wahr und wahrhaftig so krank, wie der Herr Pathe geschrieben hat?

ROSE
erhebt matt das Haupt, Dore mit Entzücken betrachtend.

Ja, ja, ich war krank, schwer krank, Dorle, Sich ermannend. aber – ich kann Dir in's Auge sehen, in dieses reine fromme Auge, Faßt ihren Kopf mit beiden Händen. und der milde Strahl bricht siegend durch die Nacht meines wirren Geistes – ich sehe den Abgrund an dem ich schwankend stand – Sich hoch aufrichtend. ich bin gesund Dorothee – denn ich erkenne den Weg der allein zum Rechten führt. Legt beide Arme um ihren Nacken, mit Hingebung. Ich bin Euer!

DORE
jubelnd.

O, ich hab's ja gewußt! Sie wollten mich nicht lassen – sie gaben Dich Alle verloren, den Vater warf's auf's Krankenbett, die Mutter hatte kein trocknes Auge mehr – der Bastian sagte: die Weltlust habe Dir Paris zur Heimath gemacht! Ich allein hab's gewußt was Dich hier hält, und da ist die Angst über mich kommen!Mit zitternder Stimme. Ich hab' d'ran denkt wie Du mich damals vor dem Sturz bewahrt hast, und hab' gemeint es sei meine Pflicht Dich jetzt zu halten – und hab' gesagt: »ich bin ihr mein Leben schuldig; wann die Rosel mir nicht folgt – so komm' ich nimmermehr in den Schwarzwald.« Und so bin ich ihnen fortgangen.

ROSE.
Aber – Dein Mann, der Steffen ist doch mit Dir?
DORE
fest.

Der Bastian ist mit mir kommen. Ich hab keinen Mann, bin noch freiledig, wie wir von einander gingen.

ROSE
aufschreiend.
Dorle! Du bist nicht verheirathet?
[37]
DORE
sanft vorwerfend.
Hast Du wirklich gemeint – die Dorothee könnt' Hochzeit machen, und Dich in der Gefahr wissen?
ROSE
heftig erschüttert.

Oh Dorothee! Wendet sich plötzlich zu Adolph. Jahre lang hat dieses treue Herz sehnsüchtig auf ihr Glück geharrt – für mich läßt sie, den Bräutigam, die Hochzeitsfreuden, das Vaterhaus – ihr Glaube an mich wankte nicht, da Alles mich verdammte. Das vermag ein einfaches Bauernkind! Begreifen Sie nun was mir das Bewußtsein ist, in dieses Auge blicken zu können ohne zu erröthen? Lassen Sie uns denn in Frieden scheiden.

ADOLPH
der in finsterer Verzweiflung die ganze Scene verfolgte und mit unterschlagenen Armen abgewandt stand, aufschreiend.
Scheiden!
ROSE
mit bebender Stimme.
Leben Sie wohl, Graf Adolph!
DORE
erschrocken.
Der ist's? Umschlingt Rose, wie schützend.
ADOLPH.
Rose! Haben Sie kein anderes Wort mehr für mich?
ROSE
fest.
Es ist mein letztes.
CHARLES
war etwas früher, lauschend, an das Fenster getreten.
Ein Wagen! Das ist der Vater. Fort, Graf Adolph! Fort! Faßt seinen Arm und zieht ihn fort.
ADOLPH
mit dem Fuß stampfend.
O sie hat kein Herz! Verzweifelnd. Rose! Werde ich Dich wiedersehen?
ROSE.
In der Heimath – oder niemals wieder! In Thränen ausbrechend, stürzt in Dores Arme.
ADOLPH.
Nun denn – niemals wieder, denn Du liebst nicht! Stürzt durch die Mitte ab.
CHARLES
folgt ihm.
DENISE
wirft sich weinend in einen Stuhl.
ROSE UND DORE
halten sich umschlungen.

Der Vorhang fällt rasch.

4. Akt

1. Szene
Erste Scene
Veit, gleich darauf Gertrud.

VEIT
sitzt an dem kleinen Tischchen im Lehnstuhl, die Pfeife im Mund, eine Zeitung in der Hand, einen Bierkrug und ein Stück Brod vor sich und liest.

Hm, geht doch heidenmäßig in der Welt zu, alle Tag' was Anders – man ist ordentlich kein Mensch mehr, ehe man seine Zeitung verschluckt hat. Lachend. Bin mein' Seel, lieber der Werninger, als ich König von Italien sein möcht! Brauch doch Keinen nicht zu fragen, wann ich einen Baum schlagen lassen will! Wollt's Einem schon vertreiben der mir sein' Nas' in die Sonnwirthschaft [38] stecken wollt! Horchend, man hört, sehr entfernt, eine Beethovensche Sonate spielen. Da schlagt die Rosel wieder das Clavier – statt daß sie arbeiten thät. Finster. Sollt's ihr nicht leiden, dem Faulpelz! Aufhorchend, mit leuchtendem Gesicht. Schön klingen thut's aber und können thut's das Kind auch! Klopft mit den Fingern den Tact auf dem Tisch, summend. Dideldum, dideldum! Steht doch nichts auf gegen die Musich! Die erste Silbe zu betonen. da hat man doch was für sein Geld!

GERTRUD
von rechts, eilig.
Du, Alter – was meinst –
VEIT
immer nach oben hinauf horchend.
St! St! Sachte, Frau!
GERTRUD.
Sachte? Ich? Ja warum denn?
VEIT
deutet nach oben.
Hörst denn nicht? Die Rosel schlagt das Klavier.
GERTRUD.

Ei, so soll doch der Guckuk! Nicht genug, daß das Mädel müßig da droben sitzt wie eine Hofdam' – der Alte legt auch die Händ' in Schooß, um der Narrethei zuzuhorchen!

VEIT
nickt sehr zufrieden.
So! Jetzt ist das Stück abgespielt. Na was soll's, Alte?
GERTRUD.

Ja, was soll's! Ich hab' Dich fragen wollen ob Du meinst daß es genug ist, wenn wir für übermorgen zu des Balzers Hochzeit drei Kälber und acht Gäns' schlachten? Hast aber gewiß keine Zeit zur Antwort!

VEIT.
Jetzt schon! Der Balzer hat achtzig Gäst ansagen lassen –
GERTRUD.
Was – achtzig? Hat ja geheißen nur Vierzig?
VEIT.

Der Alte war gestern bei mir auf der Schneidmühl, 's kommt die ganze Verwandtschaft der Braut; sollen uns auf achtzig einrichten.

GERTRUD
die Hände faltend.
Und das sagt der Mann heut erst? Da müssen ja gleich drei Kälber mehr geschlachtet werden.
VEIT
rauchend, etwas verlegen.
Hab's gestern vergessen!
GERTRUD.

Glaub's gern! War ja der Weinreisende aus dem Elsaß wieder da, der Dir immer den Kopf beduselt mit seinen Flatusen über die Rosel!

VEIT
schmunzelnd.

Ist ein gewichster Kerl' – hat aber Hand und Fuß was er schwätzt! Gestern hat er wieder verzählt daß die Leut sagen: »Der Werninger brauch' kein Aushängeschild mehr, seine Rosel sei Sonn' genug.« – Mit großer Befriedigung, nimmt einen Schluck aus seinem Krug. Ja – das hat er gesagt, mein' Seel!

GERTRUD
trocken.
Und heut' früh war er fort – und hat vergessen für acht Tag Logis die Zech' zu zahlen.
VEIT
verblüfft.
So!
GERTRUD.

Und hat Dir nicht verzählt, daß die ganze G'meind' jetzt der Rosel den Spottnamen: die Hofdam' angehängt hat, gelt?

VEIT.

Der pure Neid! Gehen dafür nicht alle Gäst von auswärts mit der Rose um wie mit einer Prinzeß? Reden nicht sogar die kecksten Bauernsöhn' leiser wenn sie manchmal durch's ordinair Gastzimmer geht? Das Kind hat einmal was Vor nehmes an sich – das spürt ein Jeder!

GERTRUD.

Ich spür' nichts, als daß Du vor Eitelkeit überschnappst, denn Du thust nichts mehr, als die Rosel bewundern, läßt sie lange Kleider tragen, rufst sie: Rose, weil sie Rosel nicht hören kann, [39] siehst's ruhig mit an, daß sie droben in der Stub sitzt, den ganzen Winter zu keinem Tanz zu bringen war –

VEIT
wichtig.
Darf sie nicht – hat der Doctor aus Freiburg ja verboten! Sie leid't an den Ner ven hat er gesagt!
GERTRUD.

Ja, gesagt hat er's. Aber von den Nerven hat man im Schwarzwald nichts gehört, seit die erste Eich' Wurzel geschlagen hat! Mach Du mir nichts vor, Alter – Du bist auch nicht blind – Du thust nur so, als merkst Du nichts.

VEIT
grob.
Was – was sollt ich merken?
GERTRUD.

Daß Alles kommen ist, wie ich Dir's vorhergesagt hab'! Schmerzlich. Die Rosel ist fremd worden in der Heimath, und wann das seelengute Kind auch kein Wort sagt, und niemals klagt, ich seh' ihr's doch an –

VEIT
zornig.
Was siehst ihr an?
GERTRUD
mit einem schweren Seufzer.
Daß sie nicht glücklich ist und nicht mehr zu uns taugt!
VEIT
springt auf.

Will Dir sagen was Du siehst; daß Du die Rosel nicht kommandiren kannst wie Unsereinen, gelt? Sie sagt nichts – sie wi derspricht Dir niemalen nicht, aber sie geht ruhig ihren eignen Weg; das ist die Frau Sonnwirthin nicht gewohnt von ihren Leuten, und das vertragt sie nicht! He? Und weil Du mir damals angekündigt hast: »wenn die Rosel heim komm und sei mir zu neumodisch, und ich fluch' und schimpf mit ihr – so nehmst Du Parthei für das Mädel gegen mich«, so machst jetzt den Advocaten gegen die Rosel, weil ich nicht schimpf', weil sie mir nicht zu neumodisch ist – weil sie mir auf's Wort folgt und weil ich stolz bin auf das Mädel! Hä? Das ist der Nagel –

GERTRUD
ruhig.

Den Du nicht auf den Kopf troffen hast, Alter. Ich hab mich der Rosel auch nicht zu schämen, sie ist eine gute Tochter, die uns mehr Ehr' macht, als es für Leute wie wir, nöthig wär'. Aber das schneidet mir in die Seel', daß Du nicht an das Dorle denkst, auf die Du erst recht stolz sein kannst, die sich das Herz im Leib brochen hat, um die Rosel dem Leblanc aus den Klauen zu reißen, der sie für sein liederlichen Sohn hat haben wollen.

VEIT
zornig.

Wär' mir eine schöne Weihnacht gewesen, das! Hätt' mich zum wortbrüchigen Mann ge macht, denn der hat's gewußt, daß die Rosel eine Braut ist! Ja, das war brav vom Dorle – muß wahr sein. Hat halt nicht glaubt, daß der Steffen von ihr lassen könnt!

GERTRUD.

Wohl hat sie's geglaubt; denn sie kennt den Dickkopf und hat mich eine Stunde vor der Abreise heilig geloben lassen, daß ich's der Rosel niemals zu wissen thun, warum sie mit dem Steffen auseinander sei. Reut mich heut noch, daß ich's ihr versprochen hab'! – Na, der Steffen hat das Dorle richtig sitzen lassen und hörst Du ein Wort von ihr über den schlechten Burschen, oder siehst Du ein unfreundliches Gesicht von dem Kernmädel? Die weiß nichts von Nerven, arbeit' von früh bis spät und molestirt keinen Menschen mit ihrem Leid. Aber die Rosel sitzt ganze Nächt' auf dem Hirschensprung, schwätzt oft Tage lang kein Wort, sieht nicht einmal daß das Dorle kreuzunglücklich ist – und das Alles, weil sie Heimweh hat nach dem [40] vertrackten Paris. Und das End' vom Lied wird sein, daß Du sie wieder in's Frankreich hineinschicken kannst! Das kommt von Deiner Weisheit.

VEIT
auffahrend.
Bist närrisch?
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Dore.

DORE
von links, hat die letzten Worte gehört, ruhig.

Da thät der Vater der Rosel einen schönen Gefallen! Geht zu dem Schreibpult, öffnet, nimmt Papier heraus während sie spricht. Die hat kein Heimweh nach Paris Setzt sich und schreibt. könnt's glauben.

VEIT.
Wollt's ihr auch rathen! – Was schreibst?
DORE.

Brauch' noch Sachen zu dem Hochzeitsschmauß, die muß mir der Mathes aus der Stadt mitbringen. Im Schreiben. Sardellen, Muscatnuß, Nägelein –

GERTRUD
die in Gedanken stand, zu Dore.

Aber nach was hat die Rosel dann Heimweh, Dorle? Ihr steckt ja immer beisammen, und Du weißt, was ihr fehlt.

VEIT
schmunzelnd.

Das kann ich Dir auch sagen, Frau. Auf Pfingsten ist die Rosel Zwanzig – das Heirathen fehlt ihr. Der Theobald Stricker ist jetzt mit seinem Jahr in London fertig, Reibt sich die Hände. ist ein schöner Kerl, und ein fermer Engländer worden, sagt der Bastian –

GERTRUD
rasch.
So? der ist schon daheim?
DORE
für sich.
O lieber Gott!
VEIT
vergnügt.

Der Bastian hat ihn gestern gesprochen in Baden, übermorgen kommt er herauf, na, da wird die Rosel geschwind kurirt sein!

GERTRUD.

Meinst? – Paß auf – da wirst Du kurirt werden, Alter! Jetzt probir's mit dem Kommandiren, und sieh zu, ob's Dir mit Deinem Heirathsprojekt nicht g'rad so geht, wie dem Herrn Leblanc!

VEIT
stolz.

Kann mir nicht geschehen, ich bin der Vater! Bestell nur gleich den Hochzeitsstaat, bei mir giebt's kein' Widerred'.

DORE
die immer vom Schreiben lauscht.
Weiß der Vater gewiß herüber daß die Rosel den Theobald nimmt?
VEIT.
Oho! Nimmt? Versteht sich, ist abgemacht.
DORE
ruhig fortfahrend.

Weiß nicht ob sichs versteht. Hab nie gemerkt ehe die Rosel in's Frankreich ging, daß ihr der Theobald gefallen hätt'.

VEIT.

Was sollst denn gemerkt haben, Naseweis? Die Rosel war kaum Sechszehn dazumal, fromm und ein ehrbares Mädel; da soll sie doch hoffentlich nicht schon nach den Mannsleuten umgeschaut haben? –

DORE
kopfschüttelnd.

O Vater, das versteht Ihr nicht! – Ich war kaum vierzehn, und hab' in der Kirch', – wenn ich noch so fest in's Betbuch geschaut hab', doch schon nach dem Steffen geblinzelt.

VEIT
verblüfft.
Was – was?
DORE.

Und ich war doch gewiß auch fromm. So was geschieht der ehrbarsten Jungfer, darauf könnt Ihr schwören, Vater!

VEIT
verblüfft.
Jetzt das gefallt mir!
DORE
hat die Papiere zusammen gelegt, behält das Blatt das sie schrieb, in der Hand, hat den Pult geschlossen, steht auf.

Für die Lieb' kann Niemand was – und ohne Lieb' heirathet kein rechtes Mädel, da laßt nur das Zureden, Vater, denn das hilft g'rad so viel, als wenn Ihr dem Waldbach predigen wollt: er soll [41] die Steig' hinauffließen – den schert's nicht, der läuft doch in's Thal 'nunter, weil er muß. So ist's Vater, und so bleibt's! Denn so hat's der liebe Gott selber eingerichtet. Ab wo sie kam.

VEIT
verblüfft.

Ja, was wäre mir denn das? Bin ich denn nicht mehr Herr und Vater im Haus, daß mir das Mädel so was unter die Nas' sagt? Auf einmal wüthend. Himmel Kreuz Sapperment –

GERTRUD
befehlend.

Fluch nicht, das leid ich nicht! Geschieht Dir ganz recht; thust ja g'rad als hätt' bei dem Heirathen kein Mensch eine Stimm' als Du. Die Rosel wird's Dir noch besser verzählen! die denkt an keinen Brautstand mit dem Theobald.Schlau lächelnd. Du hast Dich ja auch noch nicht getraut von ihm mit ihr zu schwätzen, weil –

VEIT
unterbrechend.
Weil ich hab' warten wollen bis der Theobald selber da ist, und jetzt –
GERTRUD.

Und jetzt thät' ich Dir rathen, daß Du die Sach' stettig angreifst bei dem Mädel. Schau, mit solchen Heirathen die die Alten bei uns schon bei'm Taufschmauß abkarten, ist kein Segen, denn es ist sündhaft die Kinder schon in der Wieg' zu verhandeln wie Kälber, ehe sie noch wissen daß sie auf der Welt sind. Die Jungen müssen sich selber zusammen finden wenn's recht werden soll. D'rum wenn du gescheidt bist, so legst Dich nicht gleich an den Laden mit dem Theobald, sondern wartest erst ab was das Mädel sagt, wenn sie ihn wieder gesehen hat.

VEIT
auffahrend.

Könnt mir fehlen! Abwarten? Sie soll sich nur unterstehen anders zu wollen wie ich, hernach will ich ihr einmal den Vater zeigen!

GERTRUD
sieht sich um.
Das kannst jetzt gleich probiren, wenn Du das Herz dazu hast. Da ist die Rosel.
3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Rose.

VEIT
mit strahlendem Gesicht, plötzlich ganz Freundlichkeit.
Na, kommst auch einmal wieder herunter aus deinem Bau, Du Eidechsle? Wo warst denn?
ROSE
in einem einfachen, aber eleganten weißen Kleid, einen Strauß Kornblumen vor der Brust, einen Strohhut in der Hand, ihr ganzes Wesen ist ernst, aber ohne alle Sentimentalität, sie ist ruhig und ergeben; freundlich.

Auf dem Kornfeld hinter dem Baumgut. Es wurde mir oben zu heiß, mußte einen frischen Athemzug thun. Zu Gertrude, ihr die Hand reichend. Die Mutter habe ich heute noch gar nicht gesehen. Guten Tag, Mutter!

GERTRUD.
Schön Dank! Hab' viel Arbeit Kind, kann mit dem Frühbrod nicht warten bis Du aufstehst.
ROSE
lächelnd.
Ich schäme mich, aber ich kann mir das Schlafen in den Morgen hinein noch gar nicht abgewöhnen. –
VEIT.
Sollst's auch nicht, Rose; der Schlaf ist Dir nöthig, sagt der Doctor – für Deine Nerven. Gelt?
GERTRUD.

Ich mein', für die Nerven wär's Dir besser, Du thätst nicht nach dem Mond gucken bis nach Mitternacht, sondern gingst früher in's Bett.

[42]
ROSE
hat den Hut abgelegt.

Ja seht, das gewöhnt sich so in Paris; dort kann man nicht so früh schlafen gehen. Habt Geduld, Mutter, ich lege gewiß noch Alles ab was Euch hier stört.

VEIT
der immer ängstlich mit sich kämpfend, zuhörte.

Das braucht's gar nicht! Wie lang wirst denn noch bei uns sitzen? Zu Baden drüben kannst ganz leben wie es Dir gefällt. Dem Theobald sein Haus ist ein vornehmes; Table d'hôte um Eins, und um Fünfe, und Kellner, ein Heer, und Kutsch und Pferd! und –

ROSE
als hörte sie nicht, zu Gertrud.
Mutter, ich habe eine Bitte. Der Vater erlaubt's schon wenn Ihr nichts dagegen habt.
GERTRUD.
Na – wenn's was Mögliches ist, werd' ich Dir's doch nicht abschlagen?
ROSE.

Uebermorgen ist der zwanzigste Mai, Mit leisem Beben. das ist mir ein heiliger Erinnerungstag – ich habe mich, als ich in Paris so krank lag, verlobt zu der Mutter Gottes in Einsiedel: wenn ich den Tag Legt die Hand auf das Herz. gesund und in der Heimath erlebe – ihr ein silbernes Herz zu opfern. Laßt mich dann übermorgen nach Einsiedel fahren.

GERTRUD.

Weißt Du denn nicht, daß den Zwanzigsten eine große Hochzeit im Haus abgehalten wird? Dem Dorle wird das Herz so schwer sein wie Stein – und da willst Du sie allein lassen?

4. Szene
Vierte Scene
Vorige. Dore.

DORE
tritt während der letzten Rede ein.
Ja warum denn nicht? Wegen mir kann die Rose ruhig nach Einsiedel gehen.
GERTRUD.

Stell Dich nicht, Dorle, es ist die erste Hochzeit im Haus seit damals – wo die Deine in Rauch aufgangen ist; das muß Dir ja bitter weh thun!

ROSE.
Aber Mutter, wenn die Dorothee den Steffen noch gewollt hätte, wäre er ja längst ihr Mann.
GERTRUD
gedehnt.
Meinst? – Wer weiß!
DORE
rasch.
Ich weiß, Mutter, daß ich den Steffen freiwillig aufgeben hab'.
GERTRUD
kopfschüttelnd.
Wann Dich's nur nicht noch einmal bitter reu't, Dorle!
DORE
fest.

Ich hab' gethan was recht war, Mutter, und das Rechte braucht keinen Menschen zu reuen. Laßt die Rose immer ihr Gelöbniß abthun, die paßt so nicht zu solch einer Bauernfestivität,Lachend. die wär' einem nur im Weg, beim Geschäft!

GERTRUD
mit einem Blick auf Veit.
Hast recht, sie ist's anders gewohnt worden. Mein'twegen, von mir kannst gehen, Rosel.
VEIT
halb ängstlich, halb barsch.

Aber von mir nicht, Frau! Was denkst denn – übermorgen laß ich die Rose nicht aus dem Haus; ist ja just der Tag, wo der Theobald Stricker von Baden herauf kommt.

ROSE
ruhig.
Was kümmert das mich, Vater?
VEIT
verblüfft.
Was das Dich kümmert, wenn der Thobald kommt, den Du in vier Jahren nicht gesehen hast?
ROSE
wie oben.
Den sehe ich zeitig genug ein andermal, Vater.
[43]
VEIT
wie oben.
Aber Rosel – bist nicht gescheidt?
GERTRUD
faßt ihn am Arm, ihn bei Seite ziehend, leise.

Laß gut sein für heut', Alter! Ist schon genug auf einmal – blamire Dich nicht! Bist ein ge lernter Holzhändler und weißt noch nicht, daß kein Baum auf den ersten Schlag fällt. Laut. Kannst nach Einsiedel gehen, der Vater hat Ja gesagt.

VEIT.
Aber Frau – das heißt –
GERTRUD
decidirt.

Punktum! Jetzt kommst mit, suchst mir die Kälber zum Schlachten aus, und ein paar tüchtige Schweine. Kannst Dich jetzt rühren, warum hast's vergessen zu sagen, daß achtzig Fresser zur Hochzeit kommen; die kann ich nicht allein mit jungen Gänsen füttern! Vorwärts Sonn'wirth, hast lang genug gefeiert, Schiebt den Arm in seinen. und ich hab' nur zwei Arm', verstehst? – Sie zieht Veit fort.

VEIT
im Abgehen, drohend.
Du – Rose, mit Dir werd' ich heut noch ein paar Wort' Fractur schwätzen, paß auf!
GERTRUD
lachend.

Wenn Du erst einmal Zeit dazu hast – heut' nimmer! Heut' wird geschafft, Du Faulpelz! Nur alleweil zu. Beide ab durch die Mitte.

5. Szene
Fünfte Scene
Dore. Rose.

DORE
lachend.
Gottlob! Die Mutter nimmt Parthei für Dich, jetzt wirst bald Ruh' haben.
ROSE
hat sich früher in den Lehnstuhl gesetzt, dumpf.

Ja, Ruhe vor dem Theobald, bis der Vater mit einem Andern kommt! Den Kopf auf die Hand lehnend, in Gedanken. In der Heimath glaubte ich den Frieden wieder zu finden! Ach es giebt keinen Frieden für mich in Verhältnissen – die ich nie mehr ertragen lernen werde.

DORE
mit tiefer Bedeutung.
O Rose! der Mensch kann gar viel, wenn er nur ernstlich will!
ROSE
springt auf, heftig bewegt.

Ich will! Ich habe gewollt, habe mich redlich bemüht, wie neulich bei der Kirmes, den Tabaksqualm der Gaststube, die frechen Späße der weinseligen Bauern und ihr rohes Gelächter, das Stampfen und Toben geduldig auszuhalten – ich kann es nicht mehr, die Luft erstickt, der Widerwille überwältigt mich, und ich muß wieder und immer wieder an das einzige Herz flüchten, das mein Leid versteht!Dore umschlingend. O meine Dorothee, habe Geduld mit mir! –

DORE
erschrocken, sieht sie fest an.
Rose! Be reust Du, daß Du aus der Versuchung mir gefolgt bist?
ROSE.
Bereuen? Ich danke es Dir bis über's Grab hinaus!
DORE.
Warum aber bist Du heut' auf einmal so – schwach? Hast Dich ja doch so lang tapfer gehalten. –
ROSE
schmerzlich.

Ach Dorothee, die Erinnerung ist stärker als all' meine Entschlüsse. Sich an sie lehnend, leise. Den Zwanzigsten ist es ein Jahr, daß ich ihn zum erstenmal sah – und da will ich auf meinen Knieen zur Mutter Gottes für Dich und mich, um Vergessen flehen.

DORE.
Für mich?
ROSE
sieht sie forschend an.

Ja, für Dich! Wenn Du mir auch hartnäckig verschweigst, was der Steffen gegen Dich verbrach, so weiß ich [44] doch, daß Du noch an ihn denkst! – Ich kann es nicht fassen was Euch trennen konnte – dicht vor dem Altar!

DORE.
Ich kann's Niemand vertrauen. Zu was auch? Das ist ja vorbei.
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Bastian von links.

BASTIAN.
Dorle!
DORE.
Bastian?
BASTIAN
sichtlich gedrückt.

Ich wollt' Dir nur sagen – Du sollst jetzt mit der Rosel hinaufgehen, und droben bleiben bis ich Dich selber ruf. –

DORE
verwundert.
Ja – was giebt's denn?
BASTIAN.
Na, es – es sitzt Einer drin, Deutet nach links. dem Du nicht begegnen sollst.
DORE
zuckt zusammen und starrt ihn fragend an.
Doch nicht – der Steffen?
BASTIAN
mit unterdrückter Wuth.

Ja, der Steffen! Ich hab' geglaubt, ich seh' einen Geist, so blaß und verstört sieht der Bursch' drein; und weißt mit wem er kommen ist? – Mit den drei Söhnen vom reichen Köhlerbauer aus Gütenbach. –

DORE
mit gesenktem Haupt, in sich hinein.
Das »liederliche Kleeblatt,« heiß man die auf dem Wald.
BASTIAN.
Ja! Die sind jetzt seine Compagnie! – Er will Bauholz vom Vater kaufen.
DORE
leise.
Bauholz? Zu was denn?
BASTIAN.

Der Peter Köhler sagt: er wollt noch einen Stock auf seinen Hof setzen, er brauch' jetzt mehr Platz – könnt' kommen, daß er nächstens – zu Zwei wär'! –

DORE
drückt die Hand fest auf's Herz.
Ja ja! Wird wohl endlich so geschehen. Ein Bauer braucht eine Frau; er war lang genug ledig.
BASTIAN
sie scharf ansehend.

Mein's auch – hab' nur denkt, daß es besser wär' wenn Du ihm nicht in die Händ' liefst, Mit zitternder Stimme. denn – unglücklich ist der Steffen, wenn's auch seine eig'ne Schuld ist, und das könnt' Dir leid thun, Mit einem Blick auf Rose. denn sein Unglück – hat Niemand zum Glück geholfen. Der Jungfer Rose wollt' ich nur sagen, daß ich gestern in Baden drüben war –

ROSE
die Dore mit Spannung beobachtete.
Nun Bastian?
BASTIAN
leiser.

Hab's dem Sonnwirth noch nicht gesagt, wird sich früh g'nug drüber ärgern, daß ich den Herrn Leblanc gesehen hab' mit seinem Töchterchen.

ROSE
springt auf.
Denise! Leblanc! Wie? Sie in Baden?
DORE
erschrocken.
O Rose! Sie werden Dich wie der haben wollen, werden hierherkommen! –
ROSE
trübe lächelnd.
Das glaube ich kaum.
BASTIAN
schüttelt den Kopf.

Glaub's auch nicht, daß es den Herrn Pathen verlangt, dem Sonnwirth unter die Augen zu treten. Hat mir auch nichts gesagt, als daß er die Kur brauchen müßt, weil er krank sei. So sieht er auch aus.

ROSE.
Krank? – O dann fahre ich zu ihm hinüber. Ich will ihn pflegen, ihn mir versöhnen!
[45]
BASTIAN
finster.

Hm! Möcht's der Jungfer Rose doch nicht rathen, jetzt nach Baden zu gehen. Hab' da auf der Lichtenthaler Allee gar einen prächtigen Reiter gesehen; hat zwar einen Trauerflor auf dem Hut getragen, aber im Gesicht hat er um so lustiger ausgeschaut – nicht so blaß und finster wie dazumal –

ROSE
zitternd.
Bastian!
BASTIAN
ohne sich stören zu lassen.

Wo er die Jungfer Rose nicht hat von Paris fortlassen wollen! Ist gar ein flotter Bursch mit dem gewichsten Schnurrbart, und dem galonirten Knirps hinterdrein.

ROSE
zuckt zusammen.
Er! Er? –
BASTIAN
mit mitleidigem Blick, nickt betrübt.
Ja, ja, Rosel – der! Bleib' Du jetzt daheim, das ist für Dich gewiß das Beste. Ab, wo er kam.
ROSE.
Er – in meiner Nähe! das war's – ich hab's geahnt!
DORE
legt den Arm um sie.
Sei stark Rose!
ROSE
gefaßt.

Ich bin nur überrascht, nicht schwach, Dorothee. Was fürchtest Du? Ich habe ja entsagt, und werde ihn nie wiedersehen.

7. Szene
Siebente Scene
Vorige. Gertrud. Lisbeth aus dem Baumgut, durch die Mitte, in demselben Kostüm, wie früher.

GERTRUD
im Auftreten unter der Thür.
Aber was will Sie denn mit dem Dorle?
LISBETH.
Kann's nur ihr sagen.
GERTRUD
ruft.
Dorle! Da ist die Lisbeth.
LISBETH
finster.
Grüß Gott beisammen.
DORE
die mit Rose beschäftigt war, wendet sich rasch.
Herr Gott! Die Lisbeth.
ROSE
befremdet.
Die Lisbeth? Steffens Schwester?
LISBETH
trotzig.

Ja, die Lisbeth! Zu Dore. Gelt, das hättest nicht denkt, Dorle, daß die noch einmal den Fuß über des Sonnwirths Schwell' setzen könnt' – so lang die Hofdam' Mit einem finstern Blick auf Rose. da, sich hier breit macht, die uns Alle in's Elend gebracht hat!

ROSE
staunend.
Ich! Ich? Was will die Frau von mir?
DORE
in peinlicher Angst.

Nichts, nichts! Sie will nur mich, nicht so Lisbeth? Zu Gertrude. Mutter, nehmt die Rose mit hinauf! Geh, Rose, ich bitte Dich drum.

ROSE
in steigender Bewegung.
Ich kann nicht gehen! Mutter, was sagt die Frau? Welches Elend hätte ich über Euch gebracht?
GERTRUD.
Ich darf Dir's nicht sagen.
LISBETH.

Das solltest Du nicht wissen? Hast Du denn niemals gefragt, warum der Steffen die Dore verlassen hat?

ROSE
schreckt zusammen.
Er hat sie verlassen?
DORE
faßt Lisbeths Arm.
Lisbeth!
LISBETH
in voller Wuth.
Freilich hat er sie verlassen; und um Dich, Du hoffährtige Prinzeß!
ROSE.
Um mich? Großer Gott! –
LISBETH.
Ja, um Dich hat ihn die Dore zu Grund gerichtet!
[46]
DORE
verletzt.
Lisbeth!
LISBETH
ohne sich unterbrechen zu lassen.

Sie hat's auf dem Gewissen, daß aus dem bravsten Menschen ein wilder Wirthshausläufer worden, daß der Steffen ein verlorener Mann ist, wenn er dem liederlichen Kleeblatt in den Klauen bleibt. Heut früh haben sie ihn, Dir zum Trotz, daher geschleppt, kannst ihn mit der Hand erlangen. Wenn Du ihm nur ein Wort gönnen wolltest, Dorle, Du kannst ihn noch retten – sein Herz ist ja so gut, er kann und kann Dich nicht vergessen! Wenn Du ihn rufen thätst, er kommt!

DORE
hatte das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.
ROSE
in zitternder Angst.
Dorothee! Du liebst ihn ja! Rufe ihn!
DORE
schwer.
Er hat mich verlassen – ich nicht ihn – ich kann's nicht!
GERTRUD.
O mein armes Kind!
LISBETH.

Nachher ist's vorbei! Ich hab' das Elend lang genug ausgehalten, morgen am Tag zieh ich zum Vetter Metzger in meine neue Haushaltung.

DORE
faltet die Hände.
Lisbeth, auch Du? – O lieber Gott, hilf Du ihm!
ROSE.
Und das Alles wäre um mich? O Mutter, ich fasse es nicht!
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Steffen von links.

STEFFEN
bleich, verstört, mit verwildertem Haar und Bart, hereinstürzend.

So ist's doch wahr. Du bist da, Lisbeth! Ich hab's dem Peter nicht glauben wollen, der Dich hat durch's Baumgut schleichen sehen, daß Du mir den Schimpf anthust und gehst noch einmal zur Dore.

LISBETH.

Ich hab' Dir keinen Schimpf angethan, hab' Dir eine Wohlthat erweisen, hab' Dir helfen und das Dorle erbitten wollen, daß sie Dir verzeiht!

STEFFEN
wild lachend.

Mir verzeiht? Die Dore, mir? Wart nur erst ob ich ihr mein Lebtag vergeb' was sie an mir gethan, dann kannst alt werden, Lisbeth!

GERTRUD.
Und Du getraust Dich so zu reden, vor mir, kecker Bursch?
STEFFEN.

Und warum nicht, Frau Gertrud? Thut mir die Lisbeth nicht vor Euch die Schand' an, daß die Dore zuletzt meint: ich hab' sie geschickt und laß mich bei ihr anbetteln?

LISBETH
zornig.

Und wenn Du's thätest, was wär's? Meinst das Dorle wüßt nicht wie's in Dir aussieht, und daß Du zu Grund gehst, wenn sie Dir nicht hilft? Was stellst Dich so hochmüthig und ungebehrdig – und spürst's doch g'rad jetzt wieder, daß Du nun und nimmermehr von ihr lassen kannst!

STEFFEN
immer ohne Dore anzusehen.

Wer sagt Dir das? Ich kann wohl von Derjenigen lassen, die um die hoffährtige Schwester, mich zum Gespött gemacht hat, daß ich mich nicht mehr kann sehen lassen unter rechten Leuten! Ich mein' ich hab's ihr gezeigt, daß ich's kann.

[47]
DORE
stand mit gesenktem Blick und tiefathmend, erhebt jetzt den Kopf und sieht ihn fest an, mit sanfter Würde.

Es thut mir leid um Dich und mich, Steffen, daß Du das gekonnt hast. Ich hab' gemeint, daß Deine Braut Dir näher am Herzen läg' als die leichtsinnigen Wirthshauscumpane, die nichts wissen von Gottesfurcht und Pflichttreue. Mit bebender Stimme. Ich hab' Dich zu lieb gehabt, drum hab' ich's nicht glauben können, daß Du im Ernst von mir lassen würdest, weil ich der leiblichen Schwester zu helfen ging aus Noth und Gefahr. Weißt Steffen, die Geschwisterlieb' hat auch unser Herrgott eingesetzt, wie die Lieb' von Mann und Weib! Du aber hast mich be schimpft bei der Abreis', vor dem Bastian – als wär' ich das schlechteste Mädchen. –

STEFFEN
sie unterbrechend.

Weil Du Dir die Gefahr nur eingebildet hast, damit Du nicht Hochzeit haben müßtest ohne die Rosel; die ist schon die Person die sich selber zu helfen weiß. Aber daß Du mir lieber warst als Alles auf der Welt, daß mir das Herz in Stücke ging, das hast Du nicht geachtet, und wenn ich Dir dazumal in der blinden Wuth hab' böse Wort' gesagt, Mit Gewalt seine Bewegung niederkämpfend. so kannst mir's glauben – daß ich's bitter bereut – und tau sendfach abgebüßt hab' in der Zeit.

DORE.

Das freut mich für Dich Steffen, so kann ich doch im Guten an Dich denken; aber an Deine Lieb' kann ich nicht mehr glauben, das ist vorbei. Verlassen hast Du mich einmal, hast's über Dich gebracht fast ein Jahr nicht nach mir umzuschauen – das hätt'st Du nicht können, Mit bebender Stimme. wenn Du mich gern gehabt hätt'st.

STEFFEN
mit Leidenschaft ausbrechend.

Ich hab' mich ja nicht nach Dir umschauen dürfen, Dorle, ich hab Dich nur zu gern gehabt; was hätt' ich denn an Dir gesehen als mein großes Elend? – Ich darf Dich ja doch nicht mehr heimführen!Stampft wüthend mit dem Fuß. Hab's Dir ja geschworen damals »so wahr ich ein ehrlicher Mann sei, wenn Du der Rosel in's Frankreich nachliefst, so nähm' ich Dich nicht mehr.«

ROSE
aufschreiend.
Das war's, das? Sinkt wie zerschmettert in die Knie. O himmlischer Vater! –
GERTRUD
zu Rose tretend.
Rosel!
LISBETH
von einem Gedanken ergriffen.
Deswegen kannst Du die Dore schon heimführen, denn Dein Schwur gilt schon lang' nichts mehr.
STEFFEN.
Was? Was?
DORE.
Lisbeth!
LISBETH.

Ist der Bruder, der seiner Schwester ganze Habe auf des Vaters Hof hat und ihn hinter ihrem Rücken verpfändet, um das Geld an die Spielbank in Baden zu tragen, ein ehrli cher Mann? Du kannst's wieder werden, Steffen, noch ist Dir zu helfen, aber nur wenn Du den sündhaften Hochmuth ablegst. Fall' vor dem Dorle auf die Knie und bitt ihr ab was Du ihr gethan, sie wird Erbarmen mit Dir haben!

DORE.
Nein – nein – Steffen, ich möcht' nicht mehr leben, wenn ich Dich so vor mir gesehen hätt'.
STEFFEN.

Und eh' ich das thät', Dore, eher spräng' ich vom Kesselberg in die tiefste Schlucht! Aber Sich erhebend. ein rechtschaffener Mann will ich wieder werden, das schwör' ich; es ist genug, daß ich das Dorle verloren [48] hab' – aber das vertrag ich nicht, daß sie mich verachten dürft! Weich. Behüt Dich Gott, mit uns ist's vorbei für alle Zeit! Wir hätten glückliche Leut' sein können Mit einem finstern Blick auf Rose. wenn die da nicht in der Welt gewesen wär' – jetzt aber sind wir elend allesammt – Will abstürzen. und können nichts dafür!

ROSE
tritt ihm entschlossen in den Weg.

Du kannst dafür, Steffen, wenn Du die Dorothee ein Werk der Liebe mit ihrem ganzen Lebensglück büßen läßt! Glaubst Du, daß Du glücklich mit ihr werden konntest, in einer friedlichen gottgesegneten Ehe, wenn ihre Mitgift die Schande gewesen wäre, die ich über Vater, Mutter und Freundschaft gebracht hätte ohne Dorothee's Hilfe?

GERTRUD
entsetzt.
Rosel!
LISBETH.
Herr Gott!
STEFFEN.
Schande, Du?
DORE
Rose umschlingend.
Nein, nein, läst're Dich nicht selbst Rose.
ROSE
großartig.

Ja, Schande – ich wiederhole es! Wohl war ich in Gefahr und Noth – und konnte mir nicht selbst helfen wie der Steffen wähnt, denn mein Herz war mit dem Versucher, mein Geist war irre, eine glühende Leidenschaft beherrschte mich – ich wäre mit dem Mann, den ich liebe, in die weite Welt gegangen, hätte die Heimath nie wiedergesehen, und wäre nachher gestorben in der Fremde vor Reue und Schmach, wenn Doro thees Opfer mich nicht vor dem Sturz bewahrte!

DORE
in Thränen.
Wie Du einst mir gethan, da Du mein Leben gerettet!
ROSE
mit Leidenschaft.

O! Du hast mehr gethan, hast meine Seele, hast mir die Achtung des Mannes gerettet, den ich nie vergessen werde – und dafür soll Dein ganzes Leben nun elend sein? Steffen, Du bist ein schlechter Mensch, wenn Du sie jetzt noch Deinem thörichten Gelübde opfern kannst – thust Du es aber, so warst Du niemals einen Blick werth, den die Dorothee Dir geschenkt, dann geh' hin – sie soll Dich verachten lernen!

STEFFEN
der in heftiger Bewegung stand, wendet sich plötzlich zu Dore, und streckt die Hand aus.
Dorle – kannst mir verzeihen?
DORE
ohne aufzusehen.
Ja, Steffen, von Herzensgrund!
STEFFEN
aufschreiend.
Dorle! – Und wann Leise und schüchtern. wann soll die Hochzeit sein?
DORE
ihn fest ansehend.

Wenn Du wieder der alte Steffen geworden – und wenn die Rose glück lich ist, dann frag' noch einmal an.

GERTRUD.
Aber Dorle!
LISBETH
schüttelt den Kopf.
STEFFEN
senkt betrübt den Kopf.
Ich dank' Dir Dorle auch dafür. Hab's nicht besser verdient.Wendet sich zum Gehen.
ROSE
mit leuchtenden Augen.

So sag ihm gleich wann die Hochzeit ist, Dorothee – denn ich bin glücklich – glücklicher als ich jetzt bin, kann ich niemals wieder werden! So nimm die schwere Last von meiner [49] geängstigten Seele! Erbarme Dich über ihn und mich, Zwischen Lachen und Weinen. sag' nur ein Wort: Steffen, auf Pfing sten

DORE
überwältigt.
Soll die Hochzeit sein! Fällt Steffen um den Hals.
STEFFEN.
Gott vergelt's, Rose!
GERTRUD
schließt Rose in die Arme.

Der Vorhang fällt rasch.

5. Akt

1. Szene
Erste Scene
Veit. Gertrud aus dem Haus.

VEIT
hinter der Scene.

Dorle! Rose! Tritt auf. Dorle! Rose! Auch bei'm Nußbaum ist Keine? Zum Donnerwetter, wo stecken sie denn?

GERTRUD
hinter ihm her.
Fluchst schon wieder? Was willst denn von den Kindern? Kannst's mir nicht sagen?
VEIT.

Nein! An Dir hab' ich seit heut Morgen g'nug, wo Du mir vor der Rosel den Mund verboten hast! Zornig. Die Mädeln will ich. – Wo sind sie?

GERTRUD.
Die sitzen drüben im Rebgarten bei dem Steffen, und sind seelenvergnügt.
VEIT.

So? Ist jetzt der noch nicht heimgefahren? Soll sich packen, ist lang genug gefaulenzt worden wegen seinen Dummheiten.

GERTRUD
lachend.

Den bringst nicht aus der Laub' 'raus eh'vor Du nicht das Jawort geben hast – wegen Pfingsten Bittend. he, Alter?

VEIT.

Nur steet, bei mir gehts nicht so geschwind wie bei Euch Weibsleuten. Wenn er auch zehnmal bei dem Dorle pater pecavi gemacht hat, wie Du verzählst, bei mir steht er noch hoch an der Kreid', der Bockkopf! Und da meinst Du es ist genug wann Du sagst »auf Pfingsten?« – Der Sonn'wirth ist auch noch da, verstehst?

GERTRUD.
Aber Alter, Du hast's doch einmal abgemacht, daß die Zwei Mann und Frau werden sollen.
VEIT.

Und da muß es gleich sein, weil Dir's so gefällt, he? – Ich hab' aber noch ein anders Paar abgemacht, mit dem hat's Zeit, damit Du Recht behieltst, gelt? Aber das sollst gleich anders erfahren. Ruft. He Dore! Dore! Wo steckst? –Zu Gertrud. Wüßt' ja zuletzt nimmer wer Herr im Haus ist! He Dore, bist taub?

GERTRUD
für sich.
Was kommt ihm nur an? –
[50]
2. Szene
Zweite Scene
Vorige. Dore.

DORE
von links im Hintergrund, rasch laufend, ruft hinter der Scene.

Gleich Vater! Bin schon da! Tritt auf, in strahlender Heiterkeit, ganz Leben. Was soll's geben? Der Vater will gewiß den Steffen haben?

VEIT.

Wann ich den wollt', hätt' ich nicht nach Dir gerufen! Der soll sich heut noch nicht vor mir sehen lassen, wenn er nicht nach einer Kopf wäsch' verlangt, die einen Mohren weiß machen könnt'. Barsch. Möcht' doch wissen, wer mir den Gefallen gethan und die Mit einem Seitenblick auf Gertrud. verfahrene Geschicht' wieder in's G'leis gebracht hat!

DORE
vergnügt.

Vater, das hat die Rosel gethan, Gott vergelt's ihr! und auf Pfingsten zu meiner Hochzeit, will sie einmal wieder tanzen, daß Ihr Eure Freud' haben sollt, Vater!

VEIT.

So? Soll mir lieb sein! Also die Rosel hat's gemacht! Auch gut, nachher kannst ihr gleich sagen, daß der Theobald heut' geschrieben hat: er sei parat, und daß auf Pfingsten zwei Hochzeiten beim Sonn'wirth abgehalten werden, oder – gar keine! Das ist mein letztes Wort! Mit einem triumphirenden Blick auf Gertrud. Merkt's allesammt. Ab, ins Haus.

DORE
ganz starr.
Mutter! Habt Ihr die Rosel an den Vater verrathen? –
GERTRUD.

Was denkst! Nicht mit einem Wort! Steh ja selber da wie eine Salzsäul'! Jetzt will er die Rosel durch Dich zum Theobald zwingen.

DORE
fährt zusammen.

Mutter, um Gotteswillen! Die Rose ist beten gangen, in die kleine Capell' hinauf, muß jeden Augenblick kommen, seht zu, daß sie ihm nicht gleich in die Händ' läuft; wenn er ihr jetzt so was sagt, so könnt' sie glauben, ich verlang' ein solches Opfer von ihr – und lieber wollt' ich ja –

GERTRUD
kopfschüttelnd.

Glaub' kaum, daß er das Herz dazu hätt' ihr's zu sagen – will ihr aber doch aufpassen. Der Brief vom Theobald muß Schuld sein, daß er sich in sein' Eigensinn wieder so verbissen hat. Das ist bös'! Ist doch ein Elend mit den Mannsleuten! Ab ins Haus.

DORE.

Ja wenn der Vater so anfängt, da ist nichts mit ihm aufzustellen. Was soll ich jetzt dem Steffen sagen, der mit Herzklopfen wartet daß ich ihn zum Vater holen soll? Der hat geglaubt wir seien schon am Ziel – und wer weiß, wie weit wir noch davon sind! Ach, und erst die Rosel! Die arme Rosel, was soll noch da d'raus werden? – Geht nach links ab, wo sie kam. – Kleine Pause.

3. Szene
Dritte Scene
Ein Diener. Graf durch den Zaun im Hintergrund von links. Gleich darauf Rose.

GRAF
bleich, finster, sichtlich von Kummer gedrückt, im Reisekleid, einen Trauerflor um den Hut; im Hintergrund zu dem Diener.

Sobald Sie die Pferde besorgt, bestellen Sie mir Zimmer in dem Neubau Deutet rechts hinein. dort drüben, und dann auf den [51] Anstand, daß Ihnen kein Ankommender entgeht. Sie kennen Ihre Instruction.

DIENER.
Auf das Genaueste, Excellenz! – Ab hinter dem Zaun, rechts hinein.
GRAF
allein.

Ich kann nicht anders! In den Vorgrund gehend. Wenn Felden recht hat, wenn er wahnsinnig genug wäre seine ganze Carrière an seinen Eigensinn zu setzen, so muß das Aeußerste versucht werden. Es handelt sich um Sein oder Nichtsein des erlauchten Geschlechtes, dessen Name unentweiht durch Jahrhunderte herüberklingt – handelt sich um die ganze Zukunft des Undankbaren – Weicher. den ich geliebt habe wie einen Sohn Finster. und den ich trotz seiner Unwürdigkeit nicht zu hassen vermag. – Vergebens kämpfe ich gegen diese Schwäche, sie ist mächtiger in mir als der gerechte Zorn. Adolph ist ein ver irrter Mann, aber er ist Mann, ist das einzi ge lebende Wesen mit dem Gewohnheit und Neigung mich noch verbinden – Energisch. er darf mir, darf unserm Hause nicht verloren gehen. – Ich setze Alles auf diese letzte Karte! Va banque denn! Geht zu der Hausthüre. Das ist ja das Zimmer, in welchem ich damals das junge Mädchen fand. Sieht durch die offene Thüre hinein. Ob mich der Zufall noch einmal begünstigt? – Es ist leer. So werde ich sie dennoch im Haus suchen müssen. Steigt die Stufen hinauf.

ROSE
mit heiterm Gesicht kommt rasch von rechts, hinter dem Zaun, und ruft links hinein.
Dorle – Herz-Dorle! Bist Du noch draußen? Du sollst –
GRAF
wendet sich rasch zu ihr.
Da ist sie selbst. Fräulein Rose!
ROSE
fährt zurück, den Grafen anstarrend.
Der Graf!
GRAF
mild.
Sie erbleichen, mein Anblick erschreckt Sie, das ist natürlich. Sie halten mich für Ihren Feind.
ROSE
schnell gefaßt, kalt.
Ja, Herr Graf, für meinen schlimmsten Feind.
GRAF.

Sie thun mir Unrecht, ich bin Ihr Feind nicht, wenn ich auch der Leidenschaft meines Neffen für Sie, in den Weg treten mußte. Sie sind ein seltenes Mädchen, das ich wahrhaft achte, aber Sie kennen die ernsten Pflichten nicht die unser Stand den Trägern alter Namen auferlegt; mein Neffe konnte Sie nur zu seiner Geliebten erniedrigen, nie aber Sie zu seiner Gattin erheben.

ROSE.

Wenn ich danach verlangt hätte es zu wer den, Herr Graf, so wäre ich es längst – ohne Ihre Zustimmung.

GRAF.

Das weiß ich. Sie widerstanden in Paris heldenmüthig der Versuchung zu entfliehen, und ersparten mir die Mühe, den ehrlosen Plan des jungen Leblanc zu vereiteln.

ROSE
sieht ihn groß an.
Sie wissen –?
GRAF
unterbrechend, mit Wahrheit.

Ich weiß – daß Sie ein Wesen sind welches jeder Familie zur Zierde dienen würde, und beklage aufrichtig – daß Sie außerhalb des Kreises geboren worden, in welchem ein Hohenfels seine Gattin wählen darf.

ROSE.

Ich kenne die Schranke welche Graf Adolph und mich scheidet, und habe entsagt. Was kann Sie nun noch zu mir führen?

GRAF.

Die Nothwendigkeit Ihnen offen zu sagen, daß eine Verbindung mit Ihnen für Adolph der sichere Ruin sein würde. Das mußten Sie wissen, denn Sie sind edel genug um nach dieser Erklärung jede Beziehung zu meinem Neffen abzubrechen, falls eine solche noch bestehen sollte.

[52]
ROSE
stolz.

Dieser Erklärung bedurfte es nicht, Herr Graf! Ich wüßte nicht in welcher Beziehung ich noch mit dem Verlobten Ihrer Tochter stehen könnte.

GRAF
finster.
Meine Tochter – ruht bei ihrer früh entschlafenen Mutter.
ROSE
entsetzt.
Großer Gott! Julie –
GRAF
wie oben.
Starb in Nizza, wo wir vergebens Heilung suchten. Ich komme von ihrer Gruft.
ROSE
zitternd.
Herr Graf! Im Namen Gottes, geben Sie mir Wahrheit! Trage ich diese Schuld – hat sie Adolph geliebt?
GRAF.

Wie einen Bruder, niemals anders; sie kannte weder meine Plane für ihre Zukunft, noch seine Liebe für Sie, es trifft Sie kein Vorwurf.

ROSE
mit einem tiefen Athemzug.

Ich danke Ihnen für dieses Wort, Herr Graf, es gleicht Vieles zwischen uns aus! In Thränen. Ich hatte das bleiche sanfte Kind sehr lieb. Friede mit ihr!

GRAF
schwer.

Ja, Friede mit ihr, mit mir – der Kampf. Erhebt den Kopf, kalt. Ich habe nun auf Erden nichts mehr zu verlieren und zu wahren, als die unbefleckte Ehre meines Hauses, und wünsche, daß Niemand mich zwinge diese ernste Pflicht die mir obliegt, mit unerbittlicher Stren ge zu erfüllen. Ab hinter dem Zaun, rechts hinein.

ROSE
allein.

Ich verstehe seine Drohung; Ausbrechend. Adolph liebt mich noch – und ist frei! O Vater im Himmel – führe mich nicht in Versuchung! Es darf ja nicht sein!

4. Szene
Vierte Scene
Rose. Denise. Kathrin aus dem Haus.

KATHRIN
unter die Thüre.

Spazieren Sie nur da hinaus, die Jungfer Rosel ist im Baumgut. Geht, sobald diese auftrat, wieder ab.

DENISE
in eleganter Sommertoilette für eine Landparthie, eilt rasch die Stufen herab.
Rose, Rose!Fliegt auf sie zu und umschlingt sie. Meine liebe einzige Rose! Ich habe Dich wieder!
ROSE.

Meine süße Denise! Du! Du! O ich wußte daß Du mich nicht vergessen hast – wenn Du auch niemals schriebst.

DENISE.

Ach Rose, Schreiben ist eine Arbeit, und Du weißt: arbeiten war nie meine Sache. Nun aber bin ich ja selbst da, und kann Dir Alles erzählen. Wie war ich glücklich, als der Arzt uns nach Baden schickte!

ROSE
lächelnd.
Ich war überzeugt, daß Du kommen würdest.
DENISE.

Und ganz allein mit Finnette, denke! Das heißt – nicht so ganz allein – aber – davon später! Ich hielt es nicht mehr aus, nur wenige Stunden von Dir entfernt, Dich nicht zu sehen, und quälte Papa so lange, bis er mich fortließ.

ROSE.
Und er kommt nicht selbst, zürnt mir noch immer?
DENISE.

Ach nein, das nicht, aber – weißt Du, ich denke Lächelnd. er schämt sich ein wenig, daß er sich so über Deine Liebe getäuscht – [53] und dann ist auch Papa recht leidend – Charles hat ihm zu viel Aerger gemacht!

ROSE.
Wie, Charles?
DENISE.

Ja, denke nur, der hatte sich ganz heimlich eine Frau genommen, eine reizende kleine Polin. Anfangs war Papa sehr böse als er aber sah, daß Valesca unsern Charles ganz umgewandelt hat, vergab er ihm, und jetzt fehlt nichts mehr zu unserer Zufriedenheit – als unsere Rose!

ROSE.
Meine gute Denise!
DENISE
schmeichelnd.

Nun komm' ich um Dich zu fragen: ob Du Dich denn gar nicht zu uns zurücksehnst? Weißt Du, es ist ganz hübsch in Eurem schwarzen Wald, und sehr romantisch – aber für immer kann es Dir doch unmöglich hier gefallen! Ach, ich werde mich nie trösten, daß dem armen Adolph damals die Entführung so verdorben wurde – nun wärst Du längst –

ROSE
bestimmt.
Schweig, Denise! Sprich mir nicht von ihm, nenne seinen Namen nicht wieder, wenn Du mich achtest!
DENISE
erschrocken.
So böse bist Du noch auf ihn, den Du so unglücklich gemacht hast?
ROSE
bitter.
Wer sagt Dir, daß er unglücklich ist? –
DENISE
herausplatzend.

Er selbst, weißt Du! – Seit acht Tagen ist er bei seinem Fürsten, der sich zur Kur in Baden aufhält, Wichtig. und bei dem er sehr in Gunst steht. O, wir sind jetzt viel beisammen, und der Marquis ist ganz entzückt von Adolph.

ROSE
rasch unterbrechend.
Welcher Marquis?
DENISE.
Was! Hätte ich Dir noch nicht gesagt, daß ich Braut bin?
ROSE.
Du – Braut? –
DENISE.
Gewiß! – Stolz. Ich werde Frau Marquise von Bassange!
ROSE
sie umarmend.
O Gott segne Dich! – Du liebst doch Deinen Verlobten?
DENISE
eifrig.

Das versteht sich! Alphons ist ein himmlischer Tänzer und hat einen reizenden Schnurrbart, weißt Du, so ganz fein! Nur Eines kränkt mich – unsere Verlobung war so alltäglich!Schmollend. Keine Hindernisse, keine Gefahren,Seufzend. keine Entführung! Ach, darauf muß ich nun wohl für immer verzichten!

ROSE
lächelnd.
Hoffentlich! – So bist Du denn nun ganz glücklich?
DENISE.
Ich würde es sein, wenn Du auch Braut werden wolltest, Rose.
ROSE
schüttelt den Kopf.
Das werde ich nie mals!
DENISE.
Aber warum denn nicht?
ROSE.
Weil ich mit ganzer Seele geliebt habe und so – kann man nur einmal lieben, Kind!
DENISE
froh.
So liebtest Du Adolph – nur ihn, nicht wahr?
ROSE
schmerzlich.
Denise! Weshalb quälst Du mich?
DENISE
ungeduldig.

Weil ich wissen muß, ob Du Adolph noch liebst! O ja, ja, Du liebst ihn noch.Immer eifriger werdend, hin und her gehend kommt sie zu der Thür, und winkt mit dem Taschentuch, wie zufällig, hinein. Und wenn er nun käme, und Dir sagte: Rose! Ich habe Dich beleidigt, aber nur aus Liebe, ich liebe Dich noch, vergieb mir – ich habe gebüßt, will wieder gut machen –

[54]
ROSE
athemlos.
Denise! Um Gotteswillen! Du bist seine Verbündete!
DENISE
ausbrechend.

Ja, die bin ich, mit Herz und Seele, denn ich will auch Dich glücklich sehen, und da – Deutet auf Adolph. da ist er, in dessen Hand Dein Glück ruht!

5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Adolph wo Denise kam.

ADOLPH
unter der Thüre des Hauses, er trägt Trauer.
Rose!
ROSE
wendet sich, zwischen Schreck und Freude aufschreiend.

Adolph! Du – Sie – Sie selbst! Zu sich kommend. O mein Gott! Flieht zu dem Nußbaum und sinkt auf die Bank. Mein Gott!

DENISE
zwischen Weinen und Lachen.

Ja, er selbst. Und wenn Du ihm jetzt nicht vergiebst, so verdienst Du solche Liebe nicht! Geht während Adolphs Rede nach dem Hintergrund.

ADOLPH
näher kommend.

Du wolltest mich nie wiedersehen oder in der Heimath. Rose, hast Du keinen Blick für mich? – Sieh mich an, ich bin hier, auf Dein Geheiß! Bin hier, ein neu geborener Mensch, den Du gerettet aus dem Strudel, der ihn zu verschlingen drohte – ein Mann der Alles abgestreift, was ihn Deiner reinen stolzen Seele unwürdig machte!

ROSE
läßt langsam die Hände sinken, und wendet sich nach und nach, unwillkürlich hingerissen zu ihm.
ADOLPH.

Die Welt mit all' ihren Reizen, der Ehrgeiz mit all seinen Lockungen, sie scheiterten an der Gewalt einer wahren Liebe, deren Macht ich zum erstenmal empfand. Ich wollte Dich vergessen – umsonst, Dein Bild stand zwischen mir und der glänzenden Welt die mich umgab. – Da glückte mir eine wichtige Mission für meinen Fürsten am russischen Hof – mit dieser Nachricht eilte ich zurück und mein Lohn – ist die Stelle, die ich lange vergebens erstrebte. – Ich bin frei, und selbstständig. Kniet an ihr nieder und umschlingt sie. Rose, Du hast mich weibliche Tugend achten, hast mich das Glück einer reinen Liebe kennen gelehrt; ich bin hier, Dich von Deinen Eltern zu erbitten und das Kleinod meines Lebens heimzuführen! Wirst Du jetzt an meine Liebe glauben?

ROSE
mit tiefer Zärtlichkeit.

An Ihre Liebe habe ich stets geglaubt Adolph, jetzt glaube ich auch an Ihren sittlichen Werth – an den Opfermuth Ihrer edlen Seele!

ADOLPH
springt auf.
Und forderst keine Trennung mehr?
ROSE
an seinem Halse.
Nein, nein, nein – keine Trennung mehr!
ADOLPH
sie an sich pressend.
O Rose! So bist Du endlich überwunden!
DENISE
war zuweilen hinter den Bäumen sichtbar und tritt jetzt vor, in strahlender Freude.
Gott sei Dank!
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Veit. Gertrud aus dem Haus. Dore. Hinter ihr: Steffen von links.

VEIT
im Auftreten, prallt zurück.
Rose!
GERTRUD
ganz starr.
Kind!
DORE
erschrocken.
Aber Rose!
[55]
GERTRUD.
Um Gotteswillen, Rosel! Wer ist der Herr?
ROSE
macht sich aus Adolphs Armen los.
Vater! Mutter! Mein Verlobter, wenn Ihr uns Euren Segen gebt! –
VEIT
verblüfft.
Was – was? – Herr! Wer sind Sie?
ADOLPH.

Ein ehrlicher Mann, Sonnenwirth, der Euer Kind schon lange herzinnig liebt, und der gekommen ist ihre Hand von Euch zu verlangen.

VEIT.
Aber zum Wetter, was ist denn der Herr, und wie heißt er, der um mein Kind anhält?
ADOLPH
lächelnd.
Ich bin Legationsrath und heiße Hohenfels.
VEIT
gedehnt.
Legationsrath! Also was Vornehmes?
DENISE
frohlockend, sehr eifrig.
Ja, ja, Papa Werninger, es ist der Graf von Hohenfels, aus einem großen Hause!
DORE
in heftiger Bewegung.
Ja Vater, das ist wahr. Und er hat die Rose schon in Paris gern gehabt!
VEIT
finster.
So, so! Das also war's, was sie dort so fest gehalten hat?
ROSE.
Nein Vater, damals hatte ich keine Hoffnung jemals die Seine zu werden.
VEIT
energisch.
Hast Du sie jetzt vielleicht? Nachher kennst Du Deinen Vater nicht.
GERTRUD
zieht ihn am Arm.
So was muß doch erst überlegt sein, gelt Alter?
VEIT
auffahrend.

Ueberlegt? Ich wär' ein grundschlechter Vater, wenn ich da erst überlegen müßt, was recht ist! Ich kann Ihnen das Kind nicht geben, Herr Graf!

GERTRUD.
Alter!
ROSE.
Vater!
DORE
zu Steffen.
Ich hab's gewußt!
STEFFEN
zu Dore.
Sieht ihm gleich!
ADOLPH
verletzt, aber mit Würde.
Ihr verwei gert mir die Hand Eurer Tochter? –
VEIT
bestimmt.

Ja, Herr, das thue ich. Erstlich ist die Rosel von Kind auf dem Theobald Stricker in Baden drüben verlobt –

ROSE
heftig.
Nein, Vater, nein! Ich bin es nicht!
VEIT.

Ich hab' Dich ihm verlobt und dabei bleibt's! Wär's aber nicht so, und das Mädel wär' noch zu vergeben, Sie kriegten sie doch nicht. Ein hochadliger Herr und die Sonn'wirthsrosel vom Schwarzwald, das wär' mir eine schöne Allianz! Dazu könnt ich niemals Ja sagen. Darum ist mein letztes Wort –

ADOLPH
energisch, ihn unterbrechend.

Ueber legt Mann, ehe Ihr es aussprecht! Es gilt das Lebensglück Eures Kindes und das Meine. Bedenkt, was Ihr vor Gott verantworten könnt!

GERTRUD.
Hörst Du's Mann? Was Du vor Gott verantworten kannst!
VEIT.
Fängst Du auch an, und weißt, daß der Theobald meinen Handschlag hat?
ROSE
mit Energie.

Vater! Ein Wort für Tausend! Sagt Ihr nein – so muß ich ihn lassen, der meine Welt, mein Hoffen, meine ganze Glückseligkeit [56] ist, denn Ihr seid der Vater, und ich muß gehorchen – wenn's auch mein Tod sein wird. Aber so wenig ich Euch zwingen kann mir mein Glück zu gewähren, eben so wenig könnt Ihr mich zu einem Mann zwingen den ich nicht liebe, und zu einem Stand, der meinem innersten Wesen widerstrebt!

VEIT.
Was? Du sagst Deinem Vater unter das Gesicht, daß Du den Stand Deiner Eltern verachtest?
ROSE.

Gott verhüte, daß ich ihn verachte, aber ich tauge nicht dazu Vater. Ihr seid blind, wenn Ihr nicht einseht daß ich den Theobald zu Grund richten würde. Ich kann nicht Wirthin sein!

VEIT
wüthend.

Aha, da steckt Dir der Nagel! Vom Hochmuthsteufel bist besessen, eine gnädige Frau Gräfin möchtest werden und auf uns herun terschauen, das ist Deine eingebildete große Lieb'; die Hoffahrt verleidet Dir unsern Stand! Aber Du sollst –

ROSE
glühend, unterbricht ihn.

Nicht die Hoffahrt Vater, die Bildungsstufe auf die man mich erhob, macht mir eine solche Existenz unmöglich. – Habe ich diese Erziehung von Euch verlangt? Ihr habt sie mir aufgedrungen! Konnte ich, ein unwissendes Kind, das Labyrinth ahnen, in welches Eure Verblendung mich stürzte? Ihr habt mich weit über das Ziel hinausgetrieben das die Vorsehung mir gesetzt, habt mich unbrauch bar gemacht für meinen Stand und Eure Welt, habt mich hinausgestoßen in die Fremde, damit ich kennen lerne, was mir ewig ferne bleiben sollte und wünschen muß, was ich nicht erringen kann. Es ist Euer Unrecht, die eigene Schuld Vater, um die Ihr mich verklagt, und Gott vergebe Euch, wenn Ihr mir das einzige Glück nehmt, das mir auf Erden werden kann – und mir keine Hoffnung laßt als auf ein frühes Grab! –

VEIT
hat anfangs in vollem Trotz zugehört, läßt nach und nach den Kopf sinken, vergebens bemüht sich wieder aufzurichten, dumpf.

Und so red't ein Kind mit seinem Vater? Sich mit gewaltsamem Trotz aufrichtend. Weib! Hast Du's gehört was Du für eine Tochter hast?

GERTRUD.

Ja Mann, und hab' still geschwiegen, damit Dir kein Wort von Deiner Lection verloren geht. Die Rosel hat Dir nur die lautere Wahrheit, und kein Wort zuviel gesagt, sie ist in ihrem Recht; wenn sie noch zu Etwas taugt in der Welt, so ist's zu einer Dam'. – So hast Du sie wol len, so hast sie jetzt, und so muß sie verbraucht werden, drum gieb Dich d'rein! Wenn Du jetzt noch nicht begreifst, daß das keine Frau für den Theobald ist, und daß Du Die nicht mehr zwingen kannst zu Deinem Eigensinn, dann sag ich Dir: die Rosel ist mein Kind auch, ich bin Mutter, ich geb' die Heirath nicht zu – und müßt' ich beim Gericht den Einspruch thun! –

VEIT
hat sie verblüfft angestarrt.

Meintwegen! Sollst Recht behalten; zum Theobald will ich sie nicht zwingen – aber Die Stimme erhebend. dem Herrn Grafen da geb' ich sie nicht, so wahr –

STEFFEN
faßt seinen Arm.

Vater – verschwört Euch nicht, es thut kein gut solch ein Gelöbniß auf der Seel' zu tragen! Schaut mich nur an.

VEIT
fährt auf.
Was! Du mengst Dich auch noch d'rein? Dir steht's gut an, frecher Bursch!
[57]
7. Szene
Letzte Scene
Vorige. Der Graf aus dem Hintergrund.

GRAF
der bei der vorletzten Rede vortrat.

Schwört immer, Sonnenwirth, Ihr seid in Eurem Recht und seid ein kluger Mann, den ich nur achten kann um solch tapfern Widerstand gegen thörichte Wünsche.

ADOLPH
für sich.
Mein Oheim!
VEIT
verblüfft den Grafen anstarrend.
Was giebt's?
DORE UND ROSE.
Der Graf!
GERTRUD.
Das fehlt noch!
ADOLPH
bitter.

Also selbst von dem Grabe Ihres Kindes verfolgen Sie mich, bis in diese Berge? Und wissen doch, daß ich auf dem Standpunkt angekommen, wo die Intrike keine Macht mehr hat, meine Entschlüsse zu erschüttern.

GRAF
immer kalt und ruhig.

Es handelt sich hier nicht um Intriken die dem Leichtsinn eines unbedachten Jünglings ein Ziel setzen sollen – es handelt sich um die ernste Pflicht, die mir, dem Familien-Oberhaupt zusteht, Dich zu erinnern – daß Du ein Hohenfels bist, und daß nur eine ebenbürtige Verbindung Dich zum Antritt unseres Majorats berechtigen kann.

ADOLPH.

Ich habe schon damals – als ich auf die Hand Ihrer Tochter verzichtete, meinem Rechte auf das Mojorat entsagt – das wissen Sie.

GRAF
die Stimme erhebend.

Du bist der letzte Hohenfels, wenn meine Augen sich schließen! Du verdienst nicht ein Sprößling unseres Hauses zu sein, wenn Du den Gedanken in Wahrheit auszuführen fähig wärest.

ADOLPH
kalt.

Ich habe ihn bereits ausgeführt, habe meine Entsagung vor wenig Minuten unwi derruflich gemacht, indem ich den Sonnenwirth um die Hand seiner Tochter bat.

GRAF.
Und Deine Zukunft?
ADOLPH.

Meine Zukunft habe ich aus eigener Kraft gestaltet, habe mir die Selbstständigkeit gesichert, deren ich zu meinem Glück bedarf.

GRAF
kalt.
Wirklich? Und in welcher Weise?
ADOLPH
befremdet.
Durch meine Stelle als Legationsrath, die der Fürst selbst mir anbot. –
GRAF
wie oben.
Und hast Du das Decret bereits in Händen?
ADOLPH.
Ich habe sein Wort, das er mir in Gegenwart von Zeugen gab.
GRAF.

Und das er gewiß niemals brechen wird – vorausgesetzt, daß Du die Bedingung erfüllst die sich selbstverständlich, an eine so große Bevorzugung knüpft.

ADOLPH.
Bedingung?
GRAF
zieht ein Billet hervor mit Siegel.

Dieses Handbillet Reicht es Adolph. das der Fürst mir gestern Abend für Dich übergab, belehrt Dich, daß es sein Grundsatz ist, einem adelichen Beamten von seiner Umgebung, nur zu einer eben bürtigen Verbindung seine Bewilligung zu ertheilen. Zu dieser Heirath wirst Du sie nie erlangen!

[58]
ADOLPH
hat gelesen, mit schmerzlicher Ironie.

Sie haben die wenigen Stunden Ihrer Rückkehr nach Baden, gestern trefflich benützt! So bin ich denn entlassen, ehe ich mein Amt angetreten.

ROSE
zuckt zusammen.
Großer Gott!
VEIT.
Entlassen?
DENISE.
Der Arme!
DORE
umschlingt Rose.
Ach Rose!
GRAF
sich nur mit Mühe beherrschend.
So giebst Du sie nicht auf, Wahnsinniger!
ADOLPH.
Nein! Rose hat sich mir gelobt und hat mein Wort.
GRAF.
Du giebst sie nicht auf – die der eigene Vater Dir verweigert?
ADOLPH.

Seine Macht erstreckt sich nicht über ihre Mündigkeit hinaus. Mit einem glühenden Blick auf Rose. Wir werden unser Glück geduldig erharren!

GRAF
in höhnischer Wuth.
Und womit willst Du sie dann ernähren? – Vielleicht mit dem Geld des Sonnenwirth's?
ADOLPH
ausbrechend.

Mit diesen Armen, wenn es mir nicht gelingen sollte ohne Protection, durch mein Wissen, durch rastlose Arbeit, durch geistige Begabung, durch redliches Mühen uns Brod zu schaffen. Sie wissen, daß Ihr Neffe eher Steine an der Landstraße klopfen, als die Hand nach dem Gelde seines Weibes ausstrecken würde. Ja, hören Sie es, ich bin entschlossen eher mein Feld mit ei gener Hand zu graben, den Stier selbst vor den Pflug zu spannen, ehe ich mein freies Wollen, mein Manneswort, meine ganze Glückseligkeit, dem Phantom eines stolzen Namens opfere!

GRAF
ausbrechend.
Den Du schänden willst, Ehrloser!
ADOLPH
mit Würde.

Besorgen Sie das nicht, mein Oheim! Fürchten Sie nicht solch schwarzen Undank von dem Manne, der Alles was er weiß, Alles was ihn jetzt selbstständig macht, nur den großen Summen verdankt, welche Ihre Güte der kleinen Rente beifügte, die mir das bescheidene Vermögen meiner Mutter bringt. Glauben Sie mir, ich erkenne und schätze den hohen Werth eines alten ehrwürdigen Namens, und den Vorzug: den edelsten Geschlechtern des Reiches anzuhören; weil ich die Standesvorrechte, und die Pflichten, die sie auferlegen, nach ihrer vollen Bedeutung achte, scheide ich aus dem Kreis, in den die Reihe meiner Ahnen mich einführte ohne mir die Mittel zu vererben, dem Grundsatz unseres Hauses: »Noblesse oblige« gerecht zu werden. Von dieser Stunde an trete ich als Adolph Hohenfels in den Bürgerstand ein, dem ich in jeder Stellung die er mir bieten kann, Ehre zu machen hoffe.

GRAF
entsetzt, fast stammelnd.
Adolph! Dieser Entschluß –
ADOLPH.
Ist unerschütterlich – wie Ihre schonungslose Strenge! Wir haben uns beide verloren, mein Oheim.
VEIT
hat in steigender Bewegung die Scene begleitet, tritt jetzt plötzlich zu Adolph und legt ihm die Hand auf die Schulter.

Herr Adolph, Sie sind ein rechter Mann, ein Besserer hat noch kein Mädel heimgeführt. Jetzt gehören Sie zu uns! Die Rosel braucht nicht zu warten auf die Mündigkeit, ich geb' Sie Ihnen von Stund' an, wenn Sie sie noch wollen! Wirft sie in Adolphs Arme. Da ist sie! Und da haben Sie den Handschlag; es ist abge macht, Herr Sohn.

[59] GERTRUD.
So ist's Recht!
DORE.
O Vater!
ROSE.
Gott der Gnade!
ADOLPH
Rose mit einem Arm umschlingend, schlägt ein.
Dank, Vater. Meine Braut! – O, nun bin ich Euer!
GRAF
mit bebender Stimme, gebrochen, in sich zusammensinkend.

Vergebens, vergebens – Alles verloren! Das einzige Band soll zerreißen das mich an ein Menschenherz knüpft – mein Wappen soll zerbrochen mir in die Gruft folgen – der stolze Name verklingen für immer! Aufschreiend. Nein, nein, nein, ich will nicht der letzte des Geschlechtes sein! Adolph, ich kann Dich nicht verlieren – Graf von Hohenfels, ich vertrete Dich bei dem Fürsten, führe Deine Braut in Frieden heim – Du wirst mein Erbe sein! Will gehen.

ADOLPH
ihm nach, umfaßt ihn.
Mein Oheim!
ROSE
des Grafen Hand ergreifend.
O, Dank, Dank!

Allgemeine Bewegung der Freude.
DORE
an Steffens Hals.
Steffen – nun giebt's auf Pfingsten Hochzeit!
VEIT UND GERTRUD
fallen sich um den Hals.
VEIT.
Meinetwegen! Und jetzt hat's der Sonn'wirth doch recht gemacht, mit seiner Erziehung, he? –
GERTRUD.

Der liebe Gott hat recht gemacht, was Du schlecht gemacht hast! Ihm die Ehr', Alter! Sieht mit gefalteten Händen zum Himmel.

VEIT
nimmt die Mütze ab.

Der Vorhang fällt.
[60]
Fußnoten

1 Wenn Lisbeth von einer ältern Darstellerin gespielt werden soll, so ist dies mit streichen einzelner Stellen in der 2. Scene des ersten Actes leicht zu bewerkstelligen. Noch habe ich zu bemerken, daß ich das Stück nicht im Dialect gesprochen wünsche, der bäuerische Ton ist hinlänglich durch Abreviationen bezeichnet.

Die Verfasserin.


Notes
Erstdruck: Leipzig (Philipp Reclam jun.) [1865]. Uraufführung: Berlin, Königliche Schauspiele, 4. Februar 1865. Der fehlerhafte Sprung von der ersten zur dritten Szene des zweiten Akts wurde beibehalten.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Birch-Pfeiffer, Charlotte. In der Heimath. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-350B-4