Die Blume der Liebe

[57] [59]Eine fröhliche Gesellschaft von Jünglingen schwamm in einem leichten Nachen auf der silbernen Fluth; sie hatten Fackeln auf dem Fahrzeuge, die sich in dem Wasser spiegelten; zu der muntern Musik tönten Lieder, welche die Liebe und den Wein verherrlichten. Fernando war unter ihnen, und stimmte fröhlich in die Gesänge, halb spottend sang er Liebesreime, er fühlte sich froh und frei, keine von den vielen Mädchen, welche er kannte, hatte sein Herz gefesselt.

Der Mond schwamm herauf, und wie das Wasser sich bewegte, schien sein Bild in jeder Welle zu tanzen. Seltsam wurde Fernando's Herz bewegt, als er jetzt aus weiter Ferne eine sanfte Musik vernahm; er hieß [59] die fröhlichen Töne seiner Freunde verstummen, und hörte mit Aufmerksamkeit auf die fernen Klänge. Endlich entdeckte er einen hellen Glanz auf dem Wasser, die Musik und die Fackeln kamen näher, und es war ein anderer Nachen, der in der mondhellen Nacht auf dem Wasser schwamm. Weibliche und männliche Stimmen sangen zu Flöten und Harfen, und einzelne Worte, die Fernando hörte, ließen ihn glauben, daß es ein Fest sey, welches ein Liebender gab, um seine Schöne zu verherrlichen. Das Fahrzeug war dem seinigen endlich nahe gekommen, und Fernando bemerkte, daß es mit Blumenketten und vielfarbigen Bändern geziert war, die von dem Schiffchen herab in das Wasser hingen. Eine Dame, deren Gesicht mit einem Schleier verhüllt war, saß in der Mitte des Nachens, und viele schöne Mädchen neben ihr, die mit lauter Stimme sangen. Die Ruderer hatten Kränze von Rosen in den mit langen grünen Bändern aufgebundenen Haaren. Ein Mann in reicher Kleidung, stand in der Spitze des Schiffes, und schien [60] dieses Fest zu regieren. Als sich beide Fahrzeuge nahe gekommen waren, befahl Fernando, die Gesellschaft im Vorbeifahren mit einer fröhlichen Musik zu begrüßen, sogleich wurde sein Wunsch erfüllt, und seine Freunde stimmten ein frohes Lied zur Ehre der Schönen an. Die Mädchen in dem andern Fahrzeuge scherzten über die Artigkeit der vorüberfahrenden Jünglinge, und warfen lachend Blumenkränze hinüber. Jeder von den Jünglingen hatte einen Kranz oder einen Strauß erhalten, eine von den Mädchen warf auch Fernando einen zu, er wollte ihn ergreifen, aber die Blumen fielen in den Strom, und Fernando sahe die Rosen den Fluß hinunter schwimmen. Die Ruderer hatten bei dem allgemeinen Scherzen und Lachen, nicht auf ihre Fahrzeuge Acht gehabt, und sie stießen an einander. So will ich mich jetzt, rief Fernando, für meinen Verlust schadlos halten! Mit diesen Worten ergriff er eine von den Blumenketten, die von dem Nachen hingen. Beide Schiffe trennten sich wieder, und Fernando hielt eine Kette von vielen Blumen, und ein [61] rosenfarbiges Band in seiner Hand, worauf die Verse mit Silber gestickt waren, die er in der Ferne hatte singen hören. Er las sie beim Scheine der Fackeln, und eine sanfte Schwermuth bemächtigte sich seiner.


Rosalia, wie nenn' ich dein Gemüthe,
In dem man ganz den Himmel mag erkennen?
Soll ich es himmlisch, überirdisch nennen?
Doch dem entgegen ist die sanfte Güte.
Dein Leib und Angesicht sind süße Blüthe,
Die zarte Rosen uns und Lilien gönnen,
Die Augen wie zwei Himmelslichter brennen,
Aus denen ew'ger Reiz den Wangen glühte:
Die sind der hohen Liebe zarte Thronen,
Und Blum' und Lieb' und Himmel stehn verbunden
In deinem Blick, in deinem Angesichte.
Ihr güt'gen Mächte, ihr müßt meiner schonen!
Genügt euch nicht an Thränen und an Wunden,
Befehlt der Sehnsucht, daß sie mich vernichte.

Er behielt die Blumen und das Band, er konnte nichts mehr als Rosalia denken, diese Zeichen schienen ihm ein Unterpfand, daß er sie wieder finden müsse; er zweifelte nicht, daß die verschleierte Dame diejenige sey, [62] von der das Band bewundernd sprach, und er fühlte sich elend, daß der Schleier ihm das Gesicht verhüllt hatte, nach dessen Anblick er so heiße Sehnsucht empfand. Seine Freunde verspotteten ihn, daß er so plötzlich alle Munterkeit verlohren habe, doch er vernahm es kaum. Das Schiffchen landete an Fernando's Garten, er stieg mit seinen Freunden aus, die Diener nahmen die Fackeln und leuchteten den Gästen durch den Garten. Fernando befahl, man solle ihn allein lassen; er ging in die dunklen Gänge, und sah das Licht von fern durch das Laub der Bäume schimmern, eine unnennbare Wehmuth faßte sein Herz, er fühlte sich verlassen, abgewendet hatte sich ihm jeder Stern des Glücks, ausgelöscht war ihm die Fackel der Freude, und in trüber Dunkelheit rauschten über ihm die alten Bäume, und schienen sich prophetisch kummervolle Begebenheiten zuzuflüstern, die in kurzer Zeit sein Herz mit bittern Schmerzen erfüllen würden. Eine Thräne schlich langsam über seine Wange, als er den Mond erblickte, der mit seinem matten Schimmer[63] nicht durch die dichten Zweige der Bäume hatte dringen können. Jetzt stand Fernando auf einem kleinen Rasenplatz vor seinem Hause, der Mond beleuchtete das frische Gras; aus den Fenstern seines Gemachs schimmerte ihm ein Licht entgegen, und schien ihm freundlich zu winken. Fernando fühlte die Thräne auf seiner Wange, er suchte sich zu fassen, und eilte mit schnellen Schritten seinem Gemache zu.

Er hatte es erreicht, und wurde nur wehmüthiger. Wohin, wohin, rief er, will mich diese Sehnsucht ziehen! Ich fühle, es werden alle Wünsche in meinem Busen wach; wo finde ich den Freund, der sie mir nennt? und ach! wo ihre Erfüllung, wenn ich sie kenne? Er trat zum Fenster, und schaute hinunter nach dem Garten, den der Mond jetzt heller erleuchtete, und auf dem Platze vor Fernando's Wohnung stand ein Greis, der ihm mit freundlichen Gebehrden winkte. Was willst du? fragte Fernando bestürzt. Der Greis gab keine Antwort, aber er fuhr fort bittende Zeichen zu machen, daß Fernando [64] herabkommen sollte. Wie bist du in den verschloßnen Garten gekommen? fragte dieser, und der Alte kniete mit flehender Gebehrde nieder. Fernando betrachtete sein Gesicht, und das Gefühl der Liebe ergriff ihn; die freundlichen Züge waren ihm so bekannt, und doch konnte er sich nicht erinnern, wer der Greis seyn möchte. Er eilte in den Garten hinunter; der Alte blieb stehen und wartete, bis Fernando ganz nahe zu ihm gekommen war, dann nahm er seine Hand, blickte ihm freundlich in die Augen und fragte: Kennst du mich nicht? – Nein, sagte Fernando. Hast du deinen Retter vergessen? fragte der Alte. – Aus welcher Gefahr hast du mich befreit? erwiederte Fernando. – Als du einst, ein wilder Knabe, über die Wiesen ranntest und endlich den Wald erreichtest, und dich so weit hinein verlohrst, daß du den Rückweg nicht finden konntest, setztest du dich voll Betrübniß an den rauschenden Waldstrom nieder. Du trugst einen Ring, den deine Mutter dir auf ihrem Sterbebette gab, du gedachtest ihrer Worte, die sie damals zu dir sprach, und die [65] dir unverständlich waren, und es noch sind. »Bewahre, sprach sie, den Ring: in der Stunde der seeligsten Liebe gab ihn mein Vater mir, und ich schloß allen Zauber der Liebe in seinen engen Kreis. Seit der Zeit sind viele Thränen geflossen, meinen Augen scheinen sie ein Bach, den meine Seufzer in hohen Wellen bewegen. Führt die brausende Fluth diesen engen Reif einem Mädchen zu, so wird der Strom der Liebe ewig durch ihr Herz fließen, und sie wird dich ewig lieben.« Du betrachtetest den Ring, als du diese Worte überdachtest, und zogst ihn vom Finger. Er entfiel deiner Hand, und rollte in den Fluß. Du warst in Verzweiflung, das theure Geschenk deiner Mutter zu verlieren, und stürztest dich nach, um es wieder zu gewinnen. Dein Leben war verlohren; die Wellen schlugen über deinem Haupte zusammen, ich errettete dich.

O vergieb! rief Fernando; die Liebe zu dir regte sich in meinem Busen, ich fühlte, daß ich dir dankbar seyn müßte, aber ich konnte mir den Augenblick nicht zurück rufen, [66] mich nicht auf die Wohlthat besinnen, die du mir erzeigt hast.

Wehe mir! sagte der Alte, so hast du auch das Versprechen vergessen, das du mir damals gabst?

Nein, rief Fernando, ich verhieß dir damals, daß wenn du etwas von mir begehren würdest, ich deinen Wunsch erfüllen wollte. Fordere, mein Vater! nenne eilig dein Verlangen; warum warst du stumm, bis ich mich dir näherte? Schon könnte es erfüllt seyn.

Nein, sagte der Greis, es war nicht anders möglich; siehe um dich! Ein Kreis von Blumen hält dich umschlossen, wenn ich dich außer diesem Kreise gebeten hätte, so würdest du dich nicht an den Augenblick erinnert haben, in welchem ich dich aus den Wellen trug. Fernando sahe mit Erstaunen, daß er und der Alte in einem dichten Kreise von Blumen standen. Wie sind diese Blumen, fragte er, so schnell empor gewachsen? – Ich, sagte der Alte, pflanzte sie im Mondenscheine, mein Flehen lockte sie schnell hervor aus der harten Erde, es sind Zeichen der Liebe und [67] Erinnrung; sie fühlen meine Gegenwart und meine Liebe zu dir, und bewegen froh ihre kleinen, bunten Häupter, sie neigen sich aber und sterben, wenn ich sie verlasse. Fernando sah den Alten mit Verwunderung an und schwieg. Willst du mir meine Bitte erfüllen, sagte der Greis. so ist es jetzt der Augenblick.

Nenne sie, rlef Fernando.

Gieb mir mit deiner eignen Hand eine Blume, die in deinem Garten wächst, damit mich niemand beschuldige, ich habe sie entwendet.

Deine Bitte ist sehr gering, sagte Fernando.

Nicht für mich, erwiederte der Alte, folge mir, ich will dir die Blume zeigen, die ich zu besitzen wünsche.

Er nahm Fernando's Hand, und als beide aus dem Kreise herausgetreten waren, bewegte ein leiser Wind die Blumen; sie neigten ihre Häupter zur Erde, und ihre Farben verblichen; der Wind wehte in einigen Augenblicken die welken Blätter umher.

Der Alte hatte Fernando durch die dunkeln [68] Gänge seines Gartens geführt, und sie standen jetzt beinahe an der äußersten Grenze desselben.

Hier, rief er endlich und stand still, reiche mir diese Blume. Fernando sah eine hohe weiße Lilie, die sich still im Abendwinde hin und her bewegte; in ihrem Kelche schien ein Stern zu ruhen, der seine Strahlen weit nach jeder Richtung verbreitete.

Gieb mir diese Blume, sagte der Greis mit heftiger Begierde; siehe, noch gehört sie der Erde, und darum breitet sie die Strahlen der Liebe nach allen Seiten, nach jedem Geschöpfe aus; du hast das Recht, sie mir zu geben, sie blüht in deinem Garten. Gieb sie mir, damit ich sie besitze.

Fernando brach die Blume und reichte sie dem Alten, und die vielen Strahlen, die von der Blume ausgegangen waren, zogen sich in den Stern zurück, und nur ein heller Strahl berührte Fernando, ein anderer dehnte sich aus und verlohr sich in die weite Ferne.

Der Mensch kann nicht viel lieben, sagte [69] der Greis; siehe, nur ein freundlicher Strahl meiner Liebe berührt dich, ein anderer dehnt sich in die Ferne aus; zwei Geschöpfe sind meinem Herzen theuer; ich danke dir für dein Geschenk. Lebe wohl!

Er drückte Fernando's Hand, und ehe sich dieser von seinem Erstaunen erhohlt hatte, war der Alte verschwunden,

Fernando setzte sich in einer Laube seines Gartens nieder, und wollte die Begebenheiten dieser Nacht überdenken, da ging der Mond unter, und die Sonne sandte ihre ersten Strahlen. Wie ein Traum erschien ihm jetzt alles; er ging nach der Stelle, an der die Lilie gestanden hatte, und sah den abgebrochnen Stengel; ein heftiger Schmerz ergriff ihn. – Was habe ich nun noch, rief er unter heftigen Thränen, das mich hier fesseln könnte! das kostbarste habe ich hinweggegeben, auch ich will die Wohnung meiner Väter verlassen, und mir ein besseres Glück in fernen Thälern suchen. Er verließ seinen Garten, und eilte dem Ufer des Meeres zu. Schiffe lagen hier ruhig vor Anker, und der Wind scherzte [70] mit den seidnen Wimpeln, andere wurden befrachtet, und viele Menschen eilten schnell ihre Geräthschaften hinein zu bringen. Eins lichtete die Anker, die Flaggen und Wimpel spielten fröhlich in der Luft, ein lautes Jauchzen der Abfahrenden tönte in Fernando's Ohr, der still nach seiner Wohnung zurückkehrte. Hier befahl er seinen Dienern, seine Kleider und Geräthe nach dem Ufer zu schaffen, versah sich mit Gold, und vertraute die Aufsicht über sein Haus dem ältesten der Diener, ging noch einmal in den Garten, um die Stelle zu betrachten, auf der die wundervolle Blume geblüht hatte, und eilte nun, seine Reise anzutreten. Er wußte nicht, wohin er wollte, er überließ es dem Schicksale, und fragte den Hauptmann eines Schiffes, welches er befrachten sah, ob er ihn noch aufnehmen könne? Wenn ihr euch nicht mehr lange auf dem Lande verweilen wollt, war die Antwort, denn in wenig Stunden denke ich die Anker zu lichten. Fernando erklärte, daß er sogleich das Schiff besteigen könne, und er wurde gern aufgenommen. Als er in das [71] Boot treten wollte, sahe er einen alten Mann auf sich zukommen. Dieser reichte ihm die Hand entgegen, und Fernando erkannte den Greis, welcher die Blume zum Geschenk von ihm gefordert hatte. Lebe wohl! sagte er, wir sehen uns in meiner Wohnung wieder. Fernando war erstaunt, er wollte den Alten noch mancherlei fragen, dieser aber hatte sich im Gedränge der Neugierigen verlohren, die am Ufer standen, um die abfahrenden Schiffe zu sehn. Es wurde Abend und der Mond stand wieder am Himmel, Fernando trat auf das Verdeck des Schiffs, er blickte nach seiner verlaßnen Heimath zurück, da sah er, daß ein glänzender Strahl sich über das Meer hin ausdehnte, und endlich seine Brust berührte; er stand in dem Glanze, und eine heiße Sehnsucht wurde in seinem Busen wach. Er wünschte den Alten wieder zu sehen, was er in seinem Erstaunen leichtsinnig überhört hatte, wünschte er nun zu erfahren, er hätte gern den Sinn gelöst, den die Worte seiner Mutter enthielten. Er war noch so in Betrachtungen versenkt, als der Hauptmann des [72] Schiffes zu ihm trat, und ein Gespräch mit ihm anfing. Er erzählte ihm, daß mit einem andern Schiffe ein Jüngling von außerordentlicher Schönheit angekommen sey, der sogleich das seinige bestiegen habe, und seine Reise fortsetze, ohne auf dem Lande auszuruhen. Er sey sehr schwermüthig, und antworte fast auf keine Frage. Fernando war ziemlich gleichgültig bei dieser Erzählung, er sah tiefsinnig in die rauschenden Wellen, und der Schiffsmann verließ ihn, mißvergnügt darüber, daß auch er nicht gesprächiger sey, als der Jüngling, von dem er ihm erzählt hatte. Fernando hatte sich zur Ruhe begeben, er träumte von dem Alten, von dem Mädchen, die er sich unter dem Nahmen Rosalia dachte, wie er sie in seinen Armen hielte, wie er seine Lippen auf die ihrigen drückte, und erwachte endlich, unzufrieden, daß ein Traum ihn so getäuscht hatte. Es wurde ihm ängstlich in seinem engen Gemach, er ging hinaus auf das Verdeck, um hier das weite Meer zu überschauen. Hier fand er den Jüngling, welcher mit nachdenkender Miene saß, und [73] auf das prächtige Schauspiel der aufgehenden Sonne nicht zu achten schien. Fernando redete ihn an, er antwortete wenig, und schien die Gesellschaft aller Menschen zu fliehen, denn er verließ Fernando bald, und verschloß sich den ganzen Tag in seiner Kammer. Fernando konnte den schönen Jüngling nicht vergessen, er fühlte sich zu ihm hingezogen, der schwermüthige Blick der blauen Augen hatte ihn gerührt; mit Aengstlichkeit war er bemüht, die Gesellschaft des Unbekannten aufzusuchen, aber dieser verbarg sich nur mehr, jemehr Fernando sein Zutrauen zu gewinnen suchte.

Mehrere Tage waren so vorüber gegangen, das Schiff schwamm ruhig auf der Meeresfläche; endlich erhob sich ein Wind. Ein furchtbares Gewitter stand am Himmel, und die Strahlen des Blitzes zuckten und schienen das Schiff zu verfolgen, welches vom wüthenden Sturme hin und her geschleudert ward. Alle die sich auf dem Schiffe befanden, versammelten sich, und angstvoll blickte jeder nach den Wolken, und erbebte bei jedem Donnerschlage.

[74]

Fernando's Augen suchten den Jüngling, er wagte sich hinaus auf das Verdeck, hier fand er ihn, wie er in höchster Angst knieend betete. Fernando wollte tröstende Worte zu ihm sprechen, da zuckte ein gewaltiger Blitzstrahl vor ihnen nieder, und in wenigen Augenblicken wurde das Schiff von Flammen ergriffen. Mit dem Ausdruck der Verzweiflung blickte der schöne Knabe in Fernando's Augen, der ihn schnell in seine Arme faßte und mit ihm sich in die Fluthen stürzte. Der ganze Himmel glühte in Feuer, und in wenigen Augenblicken schwammen die Trümmer des Schiffes, das der Sturm an einem Felsen zerschellt hatte, auf dem Meere. Fernando hatte mit den Wogen zu kämpfen, aber dennoch ließ er den Jüngling nicht, der ohnmächtig in seinen Armen lag. Von den Strahlen des Blitzes geblendet, und dann wieder in schwarze Finsterniß gehüllt, konnte Fernando keinen Gegenstand sehen, der ihm zu seiner Errettung Hoffnung machte. Endlich wurde er von einer Welle hoch empor gehoben, da sahe er einen glänzenden Strahl,[75] der sich weit durch die Finsterniß ausdehnte und seine Brust berührte; er wurde von einer neuen Hoffnung belebt, ohne zu wissen, was er erwartete. Ein heftiger Wind ergriff ihn jetzt, er glaubte nun in den Abgrund zu versinken, und hielt nur den Jüngling fest, um ein Grab mit ihm zu finden, als er fühlte, daß die Wellen sie beide an ein Ufer geworfen hatten; er raffte seine letzten Kräfte zusammen, und trug den Knaben tiefer in das Land hinein. Dann lagerte er sich auf den Boden, und schloß ihn von neuem in die Arme; er konnte keine Spur des Lebens fühlen, und erwartete mit Ungeduld den anbrechenden Tag. Endlich theilten sich die Wolken, Fernando konnte in der Dämmerung die Gegenstände unterscheiden, und ein Strom von Thränen floß aus seinen Augen, als er das blasse Gesicht des Jünglings sahe. So habe ich dich denn nur aus den Wellen gerettet, sagte er, um dich hier auf fremder Erde begraben zu können; so hat Liebe und Sehnsucht mich an dich gefesselt, und ich muß nun von meiner Liebe scheiden? Noch einmal, [76] will ich dein holdes Gesicht betrachten, und dann mich von dir trennen, denn wenn ich dich in dein Grab lege, werde ich nicht mehr den Muth haben dich zu betrachten. Er beugte sich, indem er diese Worte sprach, über des Jünglings Gesicht, und wollte mit einem Kusse von ihm Abschied nehmen, da fielen seine heißen Thränen auf die blassen Wangen nieder, und der Knabe schlug seine himmelblauen Augen auf; dankend hob Fernando seine Hände empor. Wo bin ich? rief der Jüngling und schaute verwundert um sich. Nach und nach erinnerte er sich, aus welcher Gefahr Fernando ihn befreit hatte. – O mein Freund! mein Retter! rief er aus, wie soll ich dir danken? –

Die Sonne fing an, die Gegend zu beleuchten, und die beiden Geretteten sahen, daß sie sich in dem Schatten uralter Eichen befanden, die nicht weit von dem Ufer des Meeres standen. Sie sahen keine Spur von Menschen, noch weniger bot sich irgend eine genießbare Frucht den Schmachtenden dar. Sollte ich dich, sagte Fernando, aus den [77] Wellen errettet haben, und um dich in dieser menschenleeren Wüste verschmachten zu sehen? – Sie irrten noch lange umher, endlich sagte der Jüngling: Laß uns ausruhen, denn meine Kräfte sind erschöpft. Auch ich, erwiederte Fernando, fühle mich ermattet, und doch wage ich es nicht zu schlafen, da ich dich dann ohne Schutz weiß. Der Jüngling bat Fernando noch einmal zu ruhen; – was kann uns, sagte er, schlimmeres begegnen, als daß wir sterben müssen? und mir wäre der Tod ein Gewinn. Als er diese Worte gesagt hatte, legte er sich auf den Rasen nieder, und der Schlaf schloß die schönen Augen bald; auch Fernando konnte seiner Gewalt nicht widerstehen und entschlief an des Jünglings Seite.

Als er erwachte, blickte er zuerst nach dem Genossen, aber dieser hatte sein Lager verlassen. Fernando erhob sich schnell um ihn zu suchen; er fühlte sich von Angst ergriffen, er glaubte es sey ihm ein Unfall begegnet, als er aber keine Spur von ihm fand, wurde er bekümmert. Undankbarer Knabe! rief er, hast du mich so tückisch verlassen, als [78] ich schlief? Hat das Schicksal irgend einen Menschen an diesen Strand geführt, der dir hülfreich die Hand bot, wie konntest du so deinen Freund vergessen? – Ich will nun, fuhr er fort, hier einsam mein Leben vertrauren; der Boden wird ja einige Wurzeln tragen, die mich Einsamen erhalten. Er ging tiefer in das Land, um einen Platz zu finden, auf dem er seine Hütte errichten wollte. Als er einige Stunden umhergeirrt war, zeigte sich seinen Augen ein zierliches Gitter, hinter welchem vielfarbige Blumen prangten. Erstaunt blieb Fernando stehen, und betrachtete diesen kleinen Garten, in dessen Mitte eine hohe weiße Lilie stand, die ohne Glanz und Schimmer über die andern hervorragte. Sinnend stand Fernando noch, als die Sonne unterging, es wollten alle Erinnerungen in ihm wiederkehren, wie ein Traum war es ihm, als der Mondschein endlich auf die kleinen Blumen glänzte, und sie die Häupter fröhlich durch einander bewegten. Endlich hob er die Augen zu der Lilie auf, die ihren Kelch langsam zu ihm hinwendete. Da glänzte ihm der [79] helle Stern entgegen, und berührte ihn mit seinem Strahle. Ein heiliges Schweigen herrschte rings umher. Die Bäume rauschten nicht, sondern ließen still die Mondenstrahlen auf ihren Blättern spielen. In dieser Stille hörte Fernando menschliche Stimmen, sie kamen aus einem Gebüsch, das den Garten begrenzte. Er ging diesen Stimmen nach, und als er näher gekommen, sah er, daß die Büsche ein kleines Haus versteckten, woraus er ein Gespräch vernahm. Er trat hinzu und sahe durch das Fenster in das kleine Gemach; der Alte und der Jüngling saßen darin. Der Alte hielt die Hand des Knaben und sagte mit bittenden Worten: Vertraue dich mir, damit ich dir helfen möge. Vergebens, rief der Jüngling, dringst du in mich; ich habe nur einmal den Menschen vertraut, ich wurde elend da ich um Rettung flehte. Führe mich zurück zu meinem Freunde. – Er lenkt die Schritte schon nach meiner Wohnung, sagte der Alte, du siehst ihn bald; du selbst beherrschest jetzt dein Schicksal, vertraue dich mir, und gieb dich in meine Gewalt; von einer [80] Seite naht dir die Liebe, der Haß von der andern, gieb dich freiwillig in meine Hände, damit ich dich erretten möge.

Habe ich nicht selbst dem mein Geschick verschwiegen, der mich rettete, warum sollte ich mich dir vertrauen? antwortete der Jüngling; und hast du mich nicht schon getäuscht? Ich ging, als mein Freund schlief, von seiner Seite hinweg, um vielleicht eine Frucht zu finden, die ich dem Ermatteten bei seinem Erwachen hätte reichen können; da kamst du, als ich mich zu weit entfernt hatte, und ihn nicht wiederfinden konnte, und versprachst mir Früchte, und wolltest mich wieder zu ihm führen; hast du mir nun Wort gehalten? – Er zögert nur einzutreten, sagte der Greis; ich weiß, daß er in der Nähe meines Hauses ist.

Als Fernando diese Worte hörte, öffnete er die Thür des Hauses; erstaunt sah ihn der Jüngling an, der Alte reichte ihm freundlich die Hand: Willkommen hier in meiner Wohnung! rief er ihm entgegen. – Aber du siehst mich bekümmert, mein Sohn! – du hast unser [81] Gespräch vernommen, vereinige deine Bitte mit der meinigen, vielleicht daß der schöne Jüngling sie erhört.

Fernando, der selbst begierig war, die Begebenheiten des Jünglings zu erfahren, bat ihn dringend, jedes Leid ihm zu vertrauen, und von ihm zu glauben, daß er es gern lindern möchte. – Mich fesselt ein Schwur, den ich mir selber that, sagte der Jüngling endlich, darum laßt mich.

So muß ich denn mein Glück, rief der Alte schmerzlich, noch lange verschieben, so siegt die Bosheit über dich durch deine eigne Schuld.

Er bat die beiden mit trauriger Miene, etwas zu genießen, und setzte ihnen Wein und Früchte vor. Das Mahl war stumm. Als es beendigt war, sagte der Alte, ich kann euch keine Ruhestätte anbieten, denn Ruhe werdet ihr nicht finden. Er hatte diese Worte kaum gesprochen, als sich die Thür der kleinen Hütte öffnete; der Mann, welchen Fernando bei dem Feste auf dem Wasser sahe, trat ein. Er trug dieselbe prächtige Kleidung, [82] womit er in der Spitze des kleinen Fahrzeugs stand, von welchem Fernando die Blumen und die Verse erbeutete. An seiner Hand führte er eine Alte in einem dunkeln Kleide; als der Jüngling beide erblickte, sank er zu Boden.

Die Alte trat zu dem Greise und sagte: Siehst du, sie ist noch mein, freiwillig hat sie sich mir gegeben, und ich gebe sie diesem. Der Mann näherte sich dem Knaben und hob ihn vom Boden auf. – Warum fliehst du meine Liebe? fragte er; der Jüngling streckte die Hand nach Fernando aus, der jetzt an seinem Finger den Ring seiner Mutter erblickte. Die Verse fielen ihm ein; Rosalia! rief er aus und wollte auf sie zueilen, fühlte sich aber von unsichtbarer Gewalt gehalten. Sie ist's, rief die Alte mit boshaftem Lachen, aber du wirst sie nimmer besitzen.

Als sie diese Worte gesprochen hatte, nahm sie die Hand des Mannes, der Rosalien in seinen Armen trug, und alle drei verließen die Wohnung, ohne daß der Greis oder Fernando zu folgen vermochte.

[83] Ich Unglücklicher! rief Fernando, als er sich frei fühlte: wohin soll ich eilen, um sie mir wieder zu gewinnen?

Fasse dich! sagte der Alte, sie ist dir nicht verlohren; du findest sie einst, wenn sie sich dir freiwillig giebt, dann ist sie dein.

Wer ist sie? fragte Fernando, und wer bist du wunderbarer Mann?

Ich, sagte der Alte, bin dein Vater, komm an meine Brust, mein theurer Sohn.

Fernando betrachtete den Greis mit Erstaunen; ja du bist mein Vater! rief er endlich, ich gehorche der Stimme der Liebe in meinem Busen. – Beide umarmten sich, und ihre Thränen flossen in einander. Warum hast du dich von mir verbannt? fragte endlich Fernando, wie oft habe ich geklagt, daß ich keinen Vater gekannt habe, der mich auf der rauhen Bahn des Lebens geleitet hätte. Mein Verbrechen, sagte der Alte, hat mich von dir getrieben, ich verließ deine Mutter, und darum durfte ich nie den Sohn sehen. Setze dich zu mir, fuhr er fort, nachdem er eine Zeitlang geschwiegen hatte; alle alten Erinnerungen [84] treten so frisch vor meine Seele, ich will dir jetzt meine Schuld enthüllen.

Ich war ein Jüngling wie du, mit frohem leichtem Herzen; ich verlebte einen Tag voll Scherz und Lust nach dem andern; viele Mädchen bemühten sich meine Gunst zu gewinnen, aber immer blieb ich frei von den Wunden der Liebe. Endlich nahte sich die Stunde, wo auch ich ihre Schmerzen fühlen sollte; eine junge Schöne fesselte mich, die dunkeln braunen Augen, die Fülle der schwarzen Locken, die zarten Glieder, die sie mit unnennbarer Anmuth bewegte, alles machte sie mir unwiderstehlich. Damals richtete auch deine Mutter ihre sanften Augen nach mir hin, ich las ihre Liebe, die zu mir ihr Herz bewegte, deut lich in den schönen blauen Sternen, und ich Thor fühlte mich geschmeichelt, sie zu verschmähen, und alle meine Huldigungen nur der Undankbaren zu weihen, die mir Liebe heuchelte, und in den Armen eines Andern meiner spottete. – Du wirst betrogen, sagte mir einst deine Mutter, und ich Unsinniger glaubte, sie wolle zu ihrem Besten die [85] Freundin verläumden, ich forderte von ihr einen Beweis. Ich will ihn dir geben, sagte sie, aber du wirst dann nicht glücklich seyn. Ich forderte es dringend, und in wenigen Tagen war ich überzeugt; nun schwur ich, daß nie ein Weib meine Gattin werden sollte, die, in Pracht und Ueppigkeit erzogen, alle Künste des Betrugs verstände. Wenn ich mich ja vermähle, rief ich, so soll es ein unschuldiges Geschöpf seyn, die zu ihrem Putz die Blumen der Wiese wählt, fröhlich der kleinen Heerde folgt, und keinen andern Reichthum besitzt, als ihr reines Herz. So willst du uns also verlassen? fragte deine Mutter. – Ja, rief ich aus, ich will in stillen Thälern eine Wohnung suchen.

So lebe wohl! sagte sie, indem sie sich schmerzlich von mir wendete. Ich eilte, einen Aufenthalt zu verlassen, in dem ich mich so unglücklich fühlte, und schweifte lange Zeit umher, ehe ich einen Ort fand, den ich zu meiner Wohnung erwählte. Endlich hatte ich ein Dörfchen gefunden, dessen reizende Lage mir gefiel. Ich kam mit dem Besitzer eines [86] Hauses bald überein, daß er es mir für eine Summe überließ, und nun fühlte ich mich in dieser kleinen Behausung glücklich. Verschiedne Monden hatte ich hier gelebt, und ich glaubte alle Sehnsucht meines Herzens befriedigt, jeden Morgen schwärmte ich auf meinem Rosse durch die frischen Wiesen, durch den rauschenden Wald, und kehrte immer heiterer zurück. Eines Morgens sprengte ich über eine Wiese, die frischen Gräser dufteten lieblich, und ein singendes Volk von Schnittern war beschäftigt, sie mit blanken Sicheln zu schneiden; Mädchen, leicht gekleidet, brachten das geschnittene Gras in Haufen zusammen, und ein froher Muth belebte die ganze Gesellschaft. Eine von den Mädchen theilte nicht die allgemeine Freude; still und sinnend saß sie im Grase, und schien sich um die Arbeit nicht zu kümmern. Endlich erschreckte sie der Hufschlag meines Pferdes; sie hob die Augen auf, und die holden Mienen machten einen plötzlichen tiefen Eindruck auf mein Gemüth. Ich stieg ab und fing ein Gespräch mit ihr an, und sie wurde mit jedem Worte freundlicher, [87] ihre Wangen färbten sich höher, als ich Worte der Liebe redete; wir trennten uns endlich, und sie versprach mir, sich am folgenden Morgen im Schatten des Waldes finden zu lassen. Mit Ungeduld wünschte ich, daß es Abend werden möchte, und als die Sonne untersank, wünschte ich sie wieder herauf. Die Stunde meines Glücks erschien endlich; ich harrte im Walde und konnte mein Entzücken nicht ausdrücken, als ich die liebliche Gestalt sich durch die Bäume bewegen sah. Sie hatte die vollen blonden Locken oben auf dem Kopfe zusammen gebunden, ein Mieder schloß sich eng an den schönen Busen, das kurze Röckchen zeigte den zierlichsten Fuß. Ich eilte ihr entgegen, ich suchte meine heiße Liebe auch in ihrer Brust anzufachen; die schönsten Augen flossen endlich von Thränen über, sie sank an meine Brust, ich steckte einen Ring an ihren Finger. Meine Verlobte, mein Weib! rief ich aus, und drückte meine glühenden Lippen auf die ihrigen. Die seeligste Stunde der Liebe verflog, sie sahe mich mit Beschämung an, und vermochte die [88] Thränen nicht zurück zu halten. Weine nicht meine Theure! rief ich, kränke mein Herz nicht durch einen unedlen Verdacht, morgen schon sollst du öffentlich meine Gattin seyn. Sie trocknete ihre Thränen und sagte: Ich weiß es wohl, daß sich jetzt mein Glück noch nicht von mir wendet, aber ich beweine mein zukünftiges Geschick. Ich verstand ihre Worte damals nicht, und sie bat mich, sie in ihrer Hütte zu besuchen. Ich begleitete sie, ein artiges kleines Haus nahm uns auf, ein junges Mädchen trat uns entgegen. Ich bin glücklich, redete meine Geliebte sie an, auch du sollst es nun seyn. Als ich in ein reinliches Zimmer getreten war, sagte meine Geliebte: ich möchte sie wenige Augenblicke erwarten. Sie verließ mich mit dem Mädchen, und in kurzer Zeit öffnete sich die Thür wieder, und eine prächtig gekleidete Schöne trat herein, in welcher ich meine Geliebte erkannte, und zugleich diejenige, deren Liebe ich einst verschmäht hatte.

Ich war von Erstaunen gefesselt; kannst du mich nun noch verlassen? redete deine [89] Mutter mich an. Niemals, o niemals! rief ich aus, aber sage mir, du Theure: wie hast du den Ort meines Aufenthalts erfahren, wer hat ihn dir genannt? – Dieser, sagte sie, indem sie mir einen Spiegel vorhielt, worin ich zu meinem Erstaunen, in verschiedenen Bildern, meinen ganzen Lebenslauf erblickte, bis auf den jetzigen Augenblick. Meine Bestürzung vermehrte sich, als ich mich auf dem letzten Bilde neben der schönen Dame stehen sah. Denke dir, fuhr meine Geliebte fort, welche Person du willst, und augenblicklich wird ihr Lebenslauf vor dir stehen. Unwillkührlich dachte ich an meine erste schwarzgelockte Gebieterin, und sahe, wie sie als Kind schon bösartig war. Dann erschien deine Mutter, beide vereinigten sich in Freundschaft, ein gleiches Streben nach einer magischen Gewalt ergriff beider Herzen. Ich sahe sie einem finstern Walde zueilen, sie standen vor einer Höhle, ein alter Greis trat heraus, empfing sie freundlich und unterrichtete sie willig; dann sah ich, wie jene bald alle ihre erlangte Macht anwendete, um dem Engel zu [90] schaden, der jetzt neben mir stand, und die Bilder der vergangenen Zeit mit Lächeln betrachtete. Ich erschien im Kreise ihrer Anbeter, und verdrüßlich über meine Thorheit, die ich jetzt so deutlich vor mir sah, wünschte ich bald ein anderes Bild zu sehn. Die schöne Gonzala erschien als Kind und als Mädchen; ihre verborgensten Tugenden wurden mir bekannt, sie wendete die erlangte Macht nur zum Heil der Menschen an; ich sah auch mich in dem Kreise ihrer Bewunderer, und erkannte jetzt dankbar das Glück, wenn ihre schönen Augen liebend nach mir blickten. Ich sahe wie sie, als ich sie verlassen hatte, meinen Aufenthalt erforschte, wie ihre Seele mich auf allen meinen Reisen begleitete, und wie sie aus ihrer prächtigen Wohnung zog, und in meiner Nähe unbekannt in dem kleinen Hause wohnte, wie ihre Augen mich jeden Morgen begleiteten, wenn ich ihrer Wohnung vorüberritt. Endlich stand unser Gespräch auf der Wiese vor mir, als aber der Wald mit seinen hohen rauschenden Bäumen erschien, schlug sie beschämt die Augen [91] nieder, und wendete den Spiegel von mir hinweg. – Wie kann ich, rief ich aus, deine Liebe jemals belohnen? – Bleibe mir treu, sagte sie. Ich wollte die heiligsten Eide schwören. Eide kann man brechen wie Worte, sagte sie, schwöre mir nichts. Sie wurde bald meine Gattin, und in kurzer Zeit vernahm ich, daß ich mich Vater glauben durfte. Ich bat nun meine Gattin oft dringend, mich in ihre Geheimnisse einzuweihen, sie versagte mir meine Bitte. Ich weiß es, sprach sie, daß du für mich verlohren bist, wenn du diese Begierde nicht bekämpfst, es ist mein Schicksal, ich kann aber die Ursache davon nicht enthüllen. Die wiederhohlte Verweigerung meiner Bitte machte mich endlich unmuthig, ich war nicht mehr so zärtlich gegen sie; sie bemerkte es, und ertrug es mit stillen Thränen. Ich ließ sie jetzt oft allein. Einst als ich in den Garten trat, um von ihr Abschied zu nehmen, fand ich sie weinend. Ich fragte nach der Ursache, und sie sagte: ein feindliches Geschick beherrscht uns heut, verlaß mich nicht an diesem Tage, ich könnte dich vielleicht [92] sonst niemals wiedersehen. Quäle dich nicht, sagte ich, mit ängstlichen Ahndungen, oder wenn deine Kunst dich etwas fürchten läßt. so theile sie mir mit. Sie schwieg und sah auf den Boden, eine große Thräne fiel aus ihren Augen auf die Erde nieder. Schmerz, sagte sie, gebiert endlich die Liebe; wenn aus dieser Thräne des bittersten Schmerzens nach langer Zeit die Blume der Liebe hervorblüht, die keusch und rein ihre Stralen sendet, dann vielleicht kannst du wieder glücklich werden. Aber viele Jahre werden vergehn, ehe die Erde aus meinem herben Schmerz die holde Blume hervorbringt. Die Erde, sagte sie nach einer Weile, hat den Saamen aufgenommen, den ich ihr vertraute. In der Hütte, die ich verließ, keimt jetzt auch ein zartes Leben, ein Mädchen wird darin gebohren werden, ein Wunder der Schönheit und Tugend; der Knabe, welchen ich unter meinem Herzen trage, wird einst mit ihr glücklich seyn, wenn du sein Glück nicht zerstörst. Sie wendete sich hierauf von mir, ich wußte nicht, ob ich bleiben oder gehn sollte; und als ich es noch überlegte, hatte ich schon den Weg zum Walde angetreten. Ich [93] ging hinein, immer noch in Gedanken verlohren erreichte ich den Bach, in welchen du dich als Knabe stürztest; er floß damals sanft, und bewegte sich nur in leisen Wellen. Ich erstaunte, als ich die Augen aufhob; auf seinem blumigen Ufer saß eine schöne Frau, ihr dunkles Kleid war bis zum Knie aufgeschürzt, und zeigte die schönsten nackten Füße, die sie in dem Fluß badete; ihre schwarzen Haare hingen über das Gesicht, und bedeckten es wie ein Schleier. Sie hatte eine Rose in der Hand, aus der sie einzelne Blätter zupfte, und sie in den Fluß warf. Zu mir her! sagte sie dabei halb laut, du Blume der Liebe! führe ihn zu mir her. Eine heftige Sehnsucht ergriff meine Brust, ich konnte mich kaum halten, daß ich nicht hineilte, die unbekannte Gestalt an meine Brust zu drücken. Als das letzte Blatt der Rose in den Strom fiel, war ich mir meiner nicht mehr bewußt, ich fühlte ein seltsam Weh in meinem Busen, weinend stürzte ich zu den Füßen der Schönen nieder. Hier bin ich! rief ich aus; o nimm mich gütig auf! Sie hob den Kopf [94] empor, schüttelte die schwarzen Locken zurück; halb wild und halb freundlich sahe mich meine ehemalige Geliebte an. Erschrocken sprang ich auf. Fliehe nicht! rief sie, auch ich kann dich wie deine Gattin unterrichten. Sie hat dich betrogen, in wenigen Stunden wirst du es wissen. Ihre Stimme war widerlich, als sie diese Worte sprach, und doch fühlte ich mich durch sie gefesselt. Ich setzte mich, ein gelehriger Schüler, zu ihren Füßen nieder. Viele Geheimnisse theilte sie mir in wenigen Augenblicken mit. Als sie geendigt, sagte sie: Um diesen Preis habe ich dich erkauft; deine Gattin wollte dich zu ihrem Knecht behalten, darum schlossen sich ihre Lippen, so oft du um Belehrung batest. Sie ist dir in einsame Thäler gefolgt, um deine Liebe zu gewinnen; siehe, in dieser Höhle habe ich gewohnt, blos um deinen Anblick zu genießen, wenn du den Wald durchirrtest. – Ich wollte dankbar zu ihren Füßen sinken, sie zog mich in die Höhle, ein Lager von Moos empfing uns, und ich genoß jetzt ein Glück, wonach ich ehemals mit so heißer Sehnsucht glühte. [95] Als ich mich aus dem Taumel erhohlte, hörte ich ein gewaltiges Brausen. Ich verließ an der Hand der Zauberin die Höhle, und zu meinem Erstaunen sahe ich, daß der Bach sich ausgedehnt hatte, und seine schwarzen Wellen brausten furchtbar. Siehe doch! sagte meine Begleiterin, wie der kleine Bach angeschwollen ist. Es sind, setzte sie lächelnd hinzu, die Thränen deiner geliebten Gattin, die in ihrem Spiegel unsre Umarmung sahe, sie schwellen diesen Bach, und wie seine Wellen niemals ruhig fließen werden, so werden ewige Schmerzen in ihrem Busen wohnen. Meine Kunst habe ich dir verliehen, jetzt erwäge, wer dich betrog. Der Sohn, welchen mir diese Stunde gab, wird dich nie erfreuen. – Sie verließ mich, und nun erwachte ich aus meinem Taumel; es bedurfte nicht der magischen Kunst, um zu erfahren, daß sie mich grausam verrathen hatte. Ich beschloß, da ich mich meiner Gattin nicht wieder nähern durfte, mich in die Höhle zu verschließen; ein strenges Schicksal verbot mir auch dich zu sehen, bis die Zeit gekommen seyn würde, in [96] welcher die Blume blühte. Dein Mutter starb, mein Herz trauerte um sie; die junge Rosalia war in der Hütte gebohren, und ich hoffte viel für dich; aber meine Feindin hatte durch ihre Zauberei meine Wünsche erspäht, sie raubte die kleine Rosalie aus der Hütte, und ließ sie in der Ferne erziehen. Du nahtest dich dem Waldstrom, du stürztest dich hinein, ich vergaß es, daß ich dir nicht nahen sollte, und entriß dich der Gefahr. Der Frevel gegen das Schicksal machte, daß meine noch starken Glieder plötzlich welkten, ich wurde in wenigen Stunden zum Greise. Ich wollte der Gefahr entgehen, mir noch härtere Strafen zuzuziehen, und verließ den Wald, der dir so nahe war, und wählte diese Insel zu meinem Aufenthalt, und hier hat das Schicksal dich, meinen Sohn, mir wiedergegeben. Er umarmte Fernando aufs neue und küßte ihn heftig.

Und was ist aus Rosalien geworden? fragte Fernando.

Meine Feindin, fuhr der Alte fort, hatte einen Sohn gebohren, der dein Bruder ist, [97] für ihn hatte sie Rosalien bestimmt, doch hatte sie keine Macht über diese junge Schöne, wenn sie sich nicht freiwillig in ihren Schutz begab. Rosalia wurde von Landleuten erzogen, die sie für ihre Eltern hielt; sie war zufrieden in dem engen Kreise, der sie umgab, und wünschte nichts weiter. Nicht weit von dem Hause, welches sie bewohnte, floß ein Bach, an dessen Ufer schattige Bäume standen. Rosalia besuchte ihn oft, und setzte sich an seinem blumigen Ufer nieder.

Als sie einst in tiefen Betrchtungen verlohren war, bewegten die kleinen Wellen sich stärker, und berührten das Ufer. Rosalia sahe dem Spiele zu, und freute sich, als eine Welle etwas Glänzendes zu ihren Füßen niederwarf, sie bückte sich darnach und hob den Ring auf, den du verlohren hattest. Sie steckte ihn an ihren Finger, und eine nie gekannte Sehnsucht umfing ihren Busen.

So liebt sie mich? rief Fernando.

Ja, sie liebt dich, sagte der Greis, und diese Liebe, die sie selbst nicht kannte, machte es, daß sie den Liebkosungen deines Bruders [98] widerstand, der jetzt die Reichthümer seiner Mutter besaß, die von einem gleichen Schicksal getroffen, wie ich, plötzlich veraltet war, und sich nun in demselben Dorfe, wo Rosalia wohnte, vor den Augen ihrer Anbeter verbarg. Die unschuldige Rosalie klagte ihren vermeinten Eltern die Zudringlichkeit des jungen Ritters, und hoffte bei ihnen Schutz zu finden. Hier hörte sie aber zu ihrem Entsetzen, daß sie nicht deren Tochter sey. Sie schalten sie eine Thörin, die ihrem Glück entrinnen wolle, und sagten, daß sie sie dem jungen Ritter überlassen hätten, der sie diesen Abend in Empfang nehmen sollte.

Bestürzt floh Rosalie aus dem Hause, das sie so lange bewohnt hatte, und eilte dem Walde zu. Da begegnete ihr meine Feindin, und redete sie mit lieblichen Worten an, und fragte nach der Ursach ihres Kummers. Rosalie vertraute sich ihr, und rief: Ich gebe mich in deine Hände, nur rette mich vor meinen Eltern! Das will ich, sagte die Boshafte, folge mir in meine Hütte. Die Arme folgte und sank auf den Boden nieder, da sie eintrat [99] und den Ritter erblickte. Nimm sie, mein Sohn! sagte die Alte: sie hat sich mir gegeben, ich gebe sie dir. Der Sohn nahm die Unglückliche, die sich nicht zu regen vermochte, und trug sie zu seinem Schlosse. Er verbarg sie in seiner Burg, und sie athmete die Luft des Himmels nur in seiner Gegenwart. Sie widerstand seinen Bitten und Drohungen eben so standhaft, als er unermüdet war, auf neue Vergnügen für sie zu sinnen. Ein glückliches Geschick führte euch an einander vorüber, als eben die Kraft der Liebe die harte Erde überwunden hatte, und ihre Blume in der schönsten Pracht emporwuchs. Eine neue Sehnsucht wehte Rosalien an, als sie sich in deiner Nähe fühlte, und sie fand noch in derselben Nacht Gelegenheit ihren Hütern zu entfliehen. Damals schienen euch günstige Sterne, auch dich zog die Sehnsucht fort, ihr fandet euch auf Einem Schiffe, und ein günstiger Sturm führte euch meiner Wohnung zu.

Und wo soll ich die Unglückliche nun finden, wie sie wieder gewinnen?

[100] Ich weiß nicht wo sie ist, sagte der Alte, ich kann so deutlich nicht die Zukunft lesen, doch ich weiß, daß du noch Hoffnung hast, sie zu gewinnen. Mutter und Sohn können die Arme nicht immer bewachen, sie müssen jeden Monat eine Stunde den verborgnen Künsten weihen, damit die Mächte, die sie jetzt beherrschen, sich nicht von ihnen wenden. Findet Rosalia diese Stunde, so kann sie entfliehen, und vertraut sie sich dir, so ist sie dein,

Muß ich gleich, sagte Fernando, mein Glück auf ungewisse Hoffnung gründen, so will ich sie doch suchen, die mir einzig theuer ist. Aber ich Elender! wie soll ich diese meerumgebne Insel verlassen? – Soll ich mich in die Fluthen stürzen, und so den Tod finden? und meine Geliebte in den Armen eines andern wissen?

Gieb dich zufrieden, sagte der Greis, siehe schon dämmert der Morgen herauf, laß uns an des Meeres Ufer gehen, ein Schiff liegt bereit uns aufzunehmen. Sie gingen dem Ufer zu, und Fernando sahe ein Schiff, das in dem Sturm gelitten zu haben schien,[101] denn alles Schiffsvolk war beschäftigt, den Schaden, welchen es genommen hatte, wieder auszubessern. Fernando verlangte den Hauptmann zu sprechen, und erstaunte als er sahe, daß es derselbe war, welcher dem Schiffe befahl, auf dem er sich vorher befand. Wie seyd ihr dem Tode entronnen? rief er ihm entgegen.

Mit Mühe und Noth, erwiederte der Schiffer, viele von uns sind umgekommen, und unser Schiff hat viel gelitten; dennoch müssen wir fort, und es wieder auf dem unsichern Meere versuchen. Wenn ihr es noch einmal mit uns wagen wollt, so folgt uns schnell!

Fernando und sein Vater bestiegen das Schiff, und fuhren mit heiterem Himmel und günstigen Winden einige Tage. Eine Windstille trat ein, und sie konnten sich nur langsam dem Lande nähern, das sie bemerkten.

Ich klage über diese langweilige Reise, sagte Fernando, und weiß doch nicht, wenn ich sie schneller vollendete, ob es mich nicht von meinem Ziele nur weiter abführte.

[102] Fasse Muth, mein Sohn, sagte der Vater, oft erscheint dem Menschen eine gute Stunde, die er durch seinen Kleinmuth verliert. – Der Hauptmann fragte Fernando und den Alten, ob sie nicht Lust hätten, mit ihm das Boot zu besteigen und das Land zu besuchen, wovon sie nicht mehr weit entfernt wären. Wir können uns dort ein wenig erhohlen, sagte er, wenn man lange auf dem Wasser schwimmt, so lockt das grüne Ufer fast unwiderstehlich. Sie folgten ihm gern, das leichte Boot brachte sie bald dem Ufer nahe, und sie bemerkten, daß in einer geringen Entfernung ein prächtiges Lustschloß erbaut war.

Hier ist eine bequeme Gelegenheit zum Landen, sagte der Schiffshauptmann; wir können zugleich den Besitzer des Schlosses besuchen, wenn ihr Lust dazu habt.

Fernando war zuerst ausgestiegen und sahe, daß eine weiße Gestalt den Berg herunter eilte, und auf sie zukam. Er ermahnte seine Freunde, in dem Boote zu bleiben, und ging dem weißgekleideten Mädchen entgegen. [103] Rette mich! rief sie ihm in einiger Entfernung zu, o nimm mich auf in deinen Schutz! Sie sank ermattet in seine Arme, und er trug sie an das Ufer.

Laßt uns nach dem Schiffe zurückkehren, rief er seinen Freunden, und stillschweigend wurde sein Befehl vollzogen. Als sie das Schiff bestiegen hatten, legte Fernando das Mädchen, die er noch immer ohnmächtig in seinen Armen trug, nieder; er hob ihren Schleier auf. – Rosalia! rief er aus, und stürzte zu ihren Füßen nieder. Rosalia schlug die schönen Augen auf. So bin ich dir, mein theurer Freund, wieder gegeben? sagte sie mit matter Stimme.

Jetzt, meine Kinder, rief der Greis aus, bin ich glücklich! keine Macht, mein Sohn, kann dir nun deine Geliebte entreißen! Ihr werdet fröhlich eure Heimath erreichen, und ich werde still nach meiner Wohnung ziehen.

So willst du, mein Vater, nicht bey uns wohnen? fragte Fernando.

Willst du unser Glück nicht vollenden? sagte Rosalia.

[104] Ich will in meiner einsamen Hütte dem Andenken deiner Mutter leben, erwiederte er, und euch zuweilen besuchen, mich fesselt kein Meer, ich bedarf keines Schiffes, in der kommenden Nacht werde ich von euch scheiden. – Die Glücklichen erfüllte er durch diese Worte mit Trauer.

Als des Mondes Scheibe auf dem Wasser glänzte, ging Fernando mit Rosalien hinaus; da sahen sie, daß zwei glänzende Strahlen ihre Brust berührten, und sie wußten, daß ihr Vater fern war, und nur noch seine Liebe sie umgab.

Günstige Winde führten sie schnell ihrer Heimath zu, so sehr der Schiffshauptmann auch dagegen arbeitete, der nun nach großer Beschwerde wieder dort hinkam, von wo er mit so vieler Hoffnung vor langer Zeit ausgesegelt war.

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TextGrid Repository (2011). Bernhardi, Sophie. Erzählungen. Wunderbilder und Träume. Die Blume der Liebe. Die Blume der Liebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2EA1-9