Der Unglückliche

[197] [199]Wie günstig, sagte Leonhard, ist mir bis jetzt das Glück gewesen, keines meiner Schiffe ist verunglückt, immer sind sie mit reichen Waaren wohl beladen zurück gekehrt; mein Haus ist gut eingerichtet, ein reiches schönes Mädchen werde ich in kurzem als meine Gattin hinein führen: was bleibt mir noch zu wünschen übrig? Dieses Selbstgespräch führte Leonhard auf seinem einsamen Spatziergange, er verglich alle Menschen, die er kannte, mit sich, und fand, daß keiner von ihnen sich an Glück mit ihm vergleichen ließe. Unter solchen Betrachtungen hatte er sich weit von der Stadt entfernt, die Sonne wollte bald untergehn, und erinnerte ihn, daß er auf seinen Rückweg bedacht seyn müsse. Er ging über [199] einen Platz, auf welchem das Gras und die Kräuter außerordentlich grün und sehr hoch empor gewachsen waren. Hier muß der Boden ganz besonders fruchtbar seyn, dachte Leonhard, und wunderte sich um so mehr, als er bemerkte, daß in der Mitte des Platzes eine Stelle dürr war. Er ging hin, um diese seltsame Erscheinung in der Nähe zu betrachten, und sahe, daß auf diesem Boden ein kleines Kästchen stand, das mit vielen Schlössern und Siegeln sorgfältig zugeschlossen war. – Welchen Schatz mag dies Kästchen enthalten? dachte Leonhard, und bemühte sich die Schlösser zu eröffnen. Es war ihm aber nicht möglich, und er entschloß sich, seinen gefundnen Schatz erst in seiner Wohnung zu betrachten, daher verdoppelte er seine Schritte, um sie bald zu erreichen.

Kaum war er auf sein Zimmer gekommen, als er auch schnell die Schlösser erbrach, und die Siegel von dem Kästchen herunter riß. Er hatte es nun geöffnet, und konnte das, was es enthielt, betrachten. Es war kein Stein und doch war es hart und fest, [200] es schien durchsichtig und klar, und doch, wenn er es genau betrachtete, war es trübe, und finstere Gestalten bewegten sich darin, und wenn es Leonhard schien, als ob er sie erkennen würde, so waren sie plötzlich in einer trüben Wolke erloschen. Leonhard hielt dies seltsame Ding für ein Wunder der Natur, und freute sich sehr über den Zuwachs seines Glücks, daß gerade er es gefunden habe. Er steckte es zu sich, und wollte seiner Braut noch heute seine Freude mittheilen, denn er hielt diesen Stein für einen von großem Werthe; zugleich fiel es ihm ein, daß er sie angenehm zur ungewöhnlichen Stunde überraschen wolle. Er eilte nach ihrem Hause, die Mutter wunderte sich, ihn noch so spät zu sehne, und sagte ihm, die Tochter sey im Garten, um den schönen Abend zu genießen. Leonhard ging hinunter, die Mutter sagte: Ich mag euch nicht begleiten, der Bräutigam überrascht die Braut weit angenehmer allein. Leonhard durchirrte eilig alle Gänge, suchte emsig in allen Gebüschen, er konnte die Zeit nicht erwarten, um seiner Emma von der gefundenen [201] Kostbarkeit zu erzählen; er wurde verdrüßlich, als er sie immer noch nicht fand. Endlich setzte er sich in einer dunkeln Laube nieder, es war indeß ganz finster geworden, und nun vernahm er Fußtritte; er glaubte schon, es sey seine Braut und wollte ihr entgegen gehn, als er eine männliche Simme hörte. Sey ruhig, sagte der Fremde, meine Liebe soll über alle Hindernisse siegen. Die beiden Sprechenden näherten sich der Laube, Leonhard drängte sich in eine Ecke zurück, und die Finsterniß verbarg ihn; an dem weißen Gewande erkannte er seine Emma, die mit einem Manne in die Laube trat, und sich ganz nahe bei Leonhard setzte, der ängstlich sich nicht zu athmen getraute, um seine Gegenwart nicht zu verrathen.

Kann ich diese Seufzer nicht stillen, sagte der Fremde, kann ich nicht Hoffnung und Frieden in deinen Busen küssen? Leonhard hörte die Küsse schallen, und war seiner kaum mehr mächtig. Ach mein theurer Freund! sagte Emma, so lange habe ich deinen Anblick entbehren müssen, immer war uns das Schicksal [202] zuwider, und vereitelte alle unsere Plane, und nun es dir endlich gelingt, und ich dich an mein Herz drücke, kann ich nichts, als an dem deinigen trostlos klagen.

Fasse doch Muth, du Geliebte! sagte der Jüngling, ich werde diese verhaßte Verbindung hindern, wenn du mir folgen und unserm Glücke vertrauen willst. Zugleich theilte er ihr seinen Plan mit, und bat sie mit ihm zu entfliehen; dieselbe Leiter, sagte er, die mir herein geholfen hat, hilft dir über die Mauer, draußen erwarten uns Pferde und ein treuer Diener, du rettest dich in meine Arme und bist mein. Wenn wir entdeckt würden! sagte Emma.

Dafür schützt uns dies, sagte der Jüngling, und zog einen Dolch aus dem Busen, der so hell polirt war, daß ihn Leonhard in der Dunkelheit deutlich sehen konnte. Dieser Anblick machte, daß er sich noch ängstlicher zurück drängte.

Laß uns aber die Zeit nicht versäumen, fing der Jüngling von neuem zu sprechen an, heute hast du über dich noch zu gebieten, die [203] Umstände sind uns günstig: wer weiß, ob sie nicht morgen schon eilen, dich in verhaßte Ketten zu schmieden?

Laß uns eilen! rief Emma heftig, denn bei dem Gedanken, daß Leonhards Arme mich umschließen sollen, erstarrt mein Blut, lieber will ich mich dem Tode, als seinen Umarmungen bieten. Beide verließen eilig die Laube, und Leonhard sah das weiße Gewand seiner Geliebten schimmern, wodurch er deutlich bemerken konnte, wie sie die Mauer erstieg. Er hielt sich ruhig, bis sie hinüber war, denn der Dolch und der bestimmte Ton des Mannes, der ihn führte, hatten ihn so in Furcht gesetzt, daß er sogar noch eine Zeitlang in dem Garten blieb, um nicht noch einmal mit ihnen zusammen zu treffen. Er ging endlich nach seiner Wohnung, ohne von Emma's Mutter Abschied zu nehmen. Als er auf seinem Zimmer war, überlegte er den Vorfall und war in Verzweiflung.

Soll ich, rief er, meine Braut, meine geliebte Emma verlieren? Nein! ich will ihr nach, ich will mit dem Buben kämpfen, der [204] sie mir entrissen hat. Doch, setzte er gemäßigt hinzu, es ist das erste Unglück welches mir begegnet, ich will es mit Vernunft ertragen. Er dachte daran, daß er noch seinen gefundnen Schatz bei sich führte, er betrachtete ihn, und erfreute sich von neuem an diesem Anblick. Der Stein war ganz verwandelt, die Gestalten, die schwarzen Wolken waren verschwunden, er war hell und durchsichtig, und rothe Flammen wogten darin auf und nieder.

Leonhard war bemüht, sich über Emma's Verlust zu trösten, und diesen seltenen Stein sorgfältig zu bewahren. Er verschloß ihn in eine eiserne Kiste, und legte sich nun, über seinen Verlst getröstet, zur Ruhe. Er hatte kaum wenige Stunden geschlafen, als ihn seine Diener mit ängstlichem Geschrei aufweckten. Ach Herr, riefen sie, eilet! rettet euch! das ganze Haus steht in hellen Flammen, wir wissen nicht woher dies Unglück kommt. Leonhard sprang auf, und war in Verzweiflung, als er sah, daß die Flamme am heftigsten in dem Theile des Hauses wüthete, in [205] welchem die Kiste stand, die seinen Schatz verwahrte. Er drängte sich hindurch, und achtete es nicht, wenn brennende Balken neben ihm niederstürzten, er hörte nicht, wie seine Diener flehten, und ihn zurückhalten wollten. Endlich hatte er das Gemach erreicht, er öffnete die Kiste, nahm den wunderbaren Stein heraus, und eilte nun sich damit zu retten. Mit verbrannten Haaren erreichte er den Ausgang des Hauses, und kaum befand er sich im Freien, so hörten die Flammen zu wüthen auf. Leonhard beschaute den Stein, und nun schien er ihm von noch grösserm Werth, denn die Flammen darin waren erloschen: dies überzeugte ihn, daß dieser Stein ihm in Bildern alles vorherzeigte, was ihm begegnen würde, und da das Feuer sogleich aufhörte, als er das Haus verlassen hatte, so glaubte er, der Stein werde ihn vor allem Unglück beschirmen, wenn er ihn immer bei sich trüge.

Leonhard sahe auf sein Haus zurück, das vor kurzem noch so wohl eingerichtet war: – Ach! seufzte er, wie schnell ist ein großer Theil [206] meines Glückes untergegangen, die Braut ist verloren, die ich in dies Haus führen wollte, ja das Haus selber ist verbrannt, und ich muß es noch als Gewinn betrachten, daß ich nicht den Tod in den Flammen gefunden habe. Dafür hast nur du mich beschützt, sagte er, indem er den Stein betrachtete, deine Wunderkraft hat mich aus den Flammen gerettet, dafür will ich dich als eine Gabe des Himmels bewahren. Daran thut ihr wohl, sagte ein alter Mann, der sich Leonhard genähert, und seine Worte gehört hatte, es ist auch eine Gabe des Himmels. Leonhard erschrack, sich beobachtet zu sehen, und wollte schnell den Stein verbergen. Seyd nicht besorgt, sagte der Alte, ich will euch das Ding nicht entreißen, ja ich gönne euch euer Glück von Herzen, und bin mit dem Schicksal sehr wohl zufrieden, daß es euch diese Creatur finden ließ. Der Alte ging hinweg, und Leonhard war immer mehr überzeugt, daß er seinen Stein hoch halten müsse. Er konnte den Anblick seines niedergebrannten Hauses nicht ertragen, und wollte einen seiner Freunde [207] besuchen, um sich bei ihm über den Verlust des Hauses und der Braut zu trösten, nur vorher wollte er den Stein noch einmal betrachten. Er war klar wie Wasser, doch plötzlich fingen Wellen an darin zu brausen und zu schäumen, und Leonhard glaubte ein zertrümmertes Schiff in den Wellen zu bemerken. Ach! seufzte er, verkünde mir nur kein neues Unglück, laß es nicht mein Schiff seyn, das die wilden Wellen hin und wieder werfen, laß nicht all mein Glück so schnell zu Grunde gehen. Er hatte nun keine Ruhe, er wurde von Sorgen und Zweifeln gepeinigt, und so ging er nach dem Hafen, um sich zu erkundigen, ob nicht eins von den angekommenen Schiffen ihm Zeitung von seinem Glücke brächte.

Er hatte kaum den Hafen erreicht, als ihm einer seiner treuen Diener entgegen kam, der sich auf dem Schiffe, welches Leonhard erwartete, befunden hatte. Ach Herr! redete ihn dieser an, ich bringe euch eine betrübte Zeitung. Wir waren mit reichen Gütern und mit einem zehnfachen Gewinn ganz in [208] der Nähe, wir hielten uns schon für sicher, und hatten keine Furcht vor irgend einer Gefahr; da erhob sich ein Sturm, der nur wenige Stunden währte, und euer schönes Schiff in der kurzen Zeit so zertrümmerte, daß von allen euren Gütern nichts gerettet ist, als euer unglücklicher Diener. Leonhard war erstarrt, er erzählte in wenigen Worten dem Diener sein Unglück, und kehrte voll Verzweiflung zur Stadt zurück. Er ging zu einem Kaufmanne, der ihm eine große Summe schuldig war, und erwartete schon, daß auch diese verlohren, und er, der noch vor kurzem so zufrieden mit seinem Glücke war, plötzlich zum Bettler verarmt seyn würde; wie groß war also seine Freude, als sie ihm ohne Schwierigkeit ausgezahlt wurde. Vielleicht habe ich nun für mein Glück gebüßt, sagte er, und das Schicksal ist müde mich zu quälen. Er betrachtete seinen Stein, um zu sehen ob ihm ein neues Unglück verkündet würde, aber er war ganz hell, und der reine blaue Himmel spiegelte sich darin. Der Anblick des freien Himmels brachte Leonhard auf den [209] Gedanken, mit der großen Summe Goldes, welche er jetzt besaß, eine Reise nach einer entfernten Gegend anzustellen: er wußte, daß er einen so vortheilhaften Handel machen konnte, der ihm allen seinen Verlust wieder ersetzen würde. Er theilte diesen Plan seinem alten Diener mit, der ihn billigte, und sie beschlossen beide, am andern Morgen abzureisen. Leonhard war nur besorgt, sein Gold und seinen wunderbaren Stein sorgfältig zu bewahren. Die Hoffnung auf einen nahen Gewinn machte, daß er sich über sein erlittenes Unglück zufrieden gab, und mit seinem Diener ziemlich heiter die Reise antrat.

Schon hatten sie einige Tagereisen gemacht, ohne daß ihnen ein unangenehmer Zufall zugestoßen wäre, jeden Tag betrachtete Leonhard seinen Stein, aber zu seinem Troste blieb er immer klar, und das Bild des Himmels spiegelte sich darin. Am zehnten Tage betrachtete er ihn wieder, und wurde erschreckt durch eine Gestalt, die er in ihm erblickte, es schien ihm ein mit Blute bedeckter Mann zu seyn. Er wurde ängstlich, es war die letzte [210] Tagereise, die er noch vor sich hatte, und die er nicht aufschieben konne. Ist es mein Schicksal, sagte er endlich zu seinem Diener, daß ich auf diesem Wege meinen Tod finde, so will ich mich muthig darein ergeben. Der Diener glaubte nicht an die prophetische Gabe des Steines, und bestritt die Besorgnisse seines Herrn, und beide setzten ihre Reise fort. Es war Mittag geworden, und noch war ihnen kein Ungemach begegnet. Sie zogen weiter, und sahen schon in der Ferne die herrliche Stadt, das Ziel ihrer Reise. Nun, sagte der Diener, seht ihr doch, daß euer Stein lügt, wir werden in kurzer Zeit die Stadt erreichen, und keiner von uns ist verwundet. Leonhard freute sich, daß er sich so nahe am Ziele sah; noch mußten sie einem kleinen Walde, der seitwärts lag, vorüber reiten. Sie hatten ihn kaum erreicht, als vier bewaffnete Männer ihnen daraus entgegen stürzten, die sie sehr bald für Räuber erkannten. Sie wollten ihnen entfliehen, die Räuber aber hatten bessere Pferde und holten sie schnell ein. Der Diener entfloh, weil alle beschäftigt [211] waren, Leonhard nieder zu werfen und zu berauben, dieser vertheidigte sich nur wenig, aber sie verwundeten ihn in der Hitze des Kampfes mit ihren Dolchen, und der Blutverlust machte, daß er entkräftet zu Boden sank. Sie nahmen ihm sein Gold, und einer von den Räubern hielt auch den Stein in der Hand, und betrachtete ihn. Leonhard bat mit schwacher flehender Stimme, wenn sie ihn gleich alles Goldes beraubten, so möchten sie ihm wenigstens diesen Stein lassen. Der Räuber warf ihn lachend hin, und sagte: Wenn ihr um nichts kostbareres bitten wollt, so können wir euer Verlangen leicht erfüllen.

Die Räuber verließen den Verwundeten, der den Stein in den Händen hielt, und ihn wehmüthig ansahe. So hast du mir doch die Wahrheit verkündet, sagte er, und mein Unglück kann nun nicht höher steigen. Ich bin selbst das Jammerbild, welches du mir zeigtest, aus meinen Wunden fließt mein Leben dahin, mein Diener ist entflohen, kein Mensch in der Nähe, der mir Hülfe leisten könnte, auch bin ich so aller meiner Güter beraubt, [212] daß ich selbst den kleinsten Dienst nicht zu belohnen vermöchte. Er konnte sich, indem er diese Betrachtungen anstellte, der Thränen nicht erwehren, sondern ließ sie unaufhaltsam fließen. Ein Einsiedler kam betend aus dem Walde; Leonhard erblickte ihn, und strengte seine letzten Kräfte an, um ihn um Hülfe anzurufen. Der Einsiedler hörte seine Stimme, und näherte sich ihm. Leonhard bat, sich seiner anzunehmen, der Einsiedler wollte ihn aufheben, als er den Stein in seinen Händen erblickte, voll Entsetzen trat er zurück. Wie seyd ihr, fragte er, zu dem unseeligen Wesen gekommen? Ich habe diesen kostbaren Stein, antwortete Leonhard, einst auf meinem Wege gefunden, und mich seiner als eines seltenen Gutes gefreut.

Thörichter Mann! rief der Einsiedler, ihr habt dasUnglück freiwillig aufgehoben, das ein mächtiger Zauberer in diese Gestalt gebannt hat. Leonhard warf den Stein weit von sich, aber nun offenbarte sich seine Gewalt, denn er befand sich sogleich wieder in seinen Händen. Der Einsiedler hob den [213] Unglücklichen auf, und sagte, ich will euch in meine Hütte tragen, und eure Wunden heilen, aber so lange ihr in meiner Wohnung verweilt, will ich sie nicht mit euch theilen, sondern mir ein Lager in einer Höhle suchen, denn wer möchte mit dem Unglücke unter einem Dache wohnen.

Der Einsiedler und Leonhard erreichten mit Mühe die Hütte. Der Eremit legte heilende Kräuter auf Leonhard's Wunden, setzte ihm dann Speise und Trank vor, und sagte: morgen will ich euch wieder besuchen; wenn fromme Bürger aus der nahen Stadt Nahrung und Geschenke bringen, so nehmt sie nur an, und ich will sie morgen mit euch theilen. Der Einsiedler verließ den unglücklichen Leonhard, der den Stein betrachtete, und ihn als den Urheber aller seiner Leiden verwünschte. Er bestrebte sich etwas zu ersinnen, wodurch er ihn loswerden könnte, denn er zweifelte nicht einen Augenblick, daß sein voriges Glück wieder aufblühen werde, wenn er nur dies gefundne Unglück wieder von sich entfernen könnte. Er entschloß sich endlich, [214] so matt er auch war, den Stein tief in die Erde zu vergraben. Er trug ihn also hinaus, grub so tief es ihm möglich war, legte den Stein in das Loch, und schüttete dann mit der größten Schnelligkeit Erde darüber. Als er seine Arbeit vollendet hatte, wälzte er zur grötsern Sicherheit ein großes Felsenstück auf die Stelle, und meinte nun, er habe das Unglück tief genug verborgen. Mit Zufriedenheit betrachtete er sein vollendetes Werk, und lehnte sich ermüdet an einen Baum. Zu seinem Erstaunen fing der Boden sich zu erwühlen an, eine furchtbare Macht schien darin zu arbeiten, und schleuderte den Stein, welchen Leonhard mit so großer Anstrengung darauf gewälzt hatte, mit leichter Mühe weit hinweg. Der Baum, unter welchem er stand, zitterte und wankte, und ein graues Kraut drängte sich aus der Erde empor. Mit großer Geschwindigkeit schoß es in die Höhe und hatte eine blutrothe große Knospe, die mit ihrer Schwere die ganze Staude zur Erde bog. Leonhard trat hinzu, um dies seltsame Gewächs zu betrachten, da sprang die Knospe, [215] aus der sich aber keine Blume entfaltete, sondern das Unglück, welches Leonhard so tief in die Erde vergraben hatte, fiel in seine Hand. Als die Staude sich dieser Frucht entladen hatte, welkte sie eben so schnell, als sie entstanden war. Die Blätter wurden dürr und fielen ab, sie vermischten sich in demselben Augenblick wieder mit dem Staube, und von der Pflanze war keine Spur mehr zu sehen. Leonhard betrachtete mit Entsetzen das Unglück, welches er nun wieder in seiner Hand hielt. Was soll ich mit dir beginnen? sagte er, wie soll ich mich von dir befreien? Indem hörte er eine Quelle rauschen, die sich von einem Felsen herunter in eine Kluft stürzte.

Hast du dich aus der Erde hervorgearbeitet, sagte er, so will ich sehen, ob du den Fluten auch entrinnen wirst. Er näherte sich der sprudelnden Quelle, warf den Stein mit großer Gewalt hinein, und hoffte, die Wellen sollten ihn mit sich fortführen. Er wurde betäubt von dem gewaltigen Brausen, das sich im Wasser erhob, das zischend und schäumend sich aufwärts bäumte. Leonhard [216] wollte entfliehn, da legte sich das wilde Toben, und eine weibliche Gestalt schwamm auf dem Wasser, vor deren Anblick sich Leonhard entsetzte. Ein dunkles Gewand umhüllte die bleichen Glieder, lange schwarze Haare flossen den Rücken herunter und bedeckten das halbe Gesicht, so daß sie den Elenden nur mit einem Auge betrachtete, welches ihm aber fürchterlich dünkte. Seine Haare sträubten sich vor Furcht empor, er floh in den Wald hinein. Mit Leichtigkeit erhob sich das Unglück aus dem Wasser und eilte ihm nach, Leonhard wagte es nicht sich umzusehen, sondern rannte unermüdet vorwärts. Endlich als seine Kräfte erschöpft waren, und die Ermattung ihn zwang still zu stehen, wagte er es den Blick zu wenden, und er sahe dicht hinter sich das Unglück, das ihn mit dem einen Auge ansah, und mit den Augenbrauen winkte.

Folgst du mir unermüdet, furchtbare Gestalt? rief der geängstete Leonhard: so sprich denn auch, und verkünde mir alles Elend, welches ich noch von dir erwarten muß. Das Unglück betrachtete ihn, und winkte von neuem [217] mit den schwarzen Augenbrauen, ohne zu sprechen. Dies Stillschweigen schien Leonhard das furchtbarste, wüthend warf er sich auf die Gestalt, und wollte mit ihr kämpfen, da war sie verschwunden; er blickte um sich, und nirgends war sie sichtbar. Er wagte die Hoffnung, daß er sie überwunden habe, und daß sie entflohen sey; er überlegte nun, was er, da er sein ganzes Vermögen verloren, beginnen sollte, und machte ruhig verschiedene Plane, denn er hatte wieder Muth gewonnen, indem er das Unglück besiegt zu haben meinte. Er hatte sich in Betrachtungen vertieft und war so, ohne es zu wissen, zur Hütte des Einfiedlers gekommen; jetzt hob er seine Augen auf: aber wie entsetzte er sich, als er sahe, daß das Unglück, ruhig sinnend, neben ihm ging. Das Weib betrachtete die Stelle, an welcher Leonhard sie hinein begraben hatte, und winkte ihm drohend mit den Augenbrauen. Voll Verzweiflung floh er in die Hütte, und das Unglück schritt ihm nach. Fromme Bürger hatten für den Einsiedler Früchte und allerlei Speisen gebracht, und sie auf seinen [218] steinernen Tisch gelegt, da sie niemand in der Hütte gefunden. Das Unglück setzte sich zu dem Tisch, und verschlang in wenigen Augenblicken alle Speisen. Leonhard sah mit Grausen zu. Nun kam der Einsiedler, um nach Leonhards Wunden zu sehn, und wollte schon mit Abscheu fliehen, als er die gräsliche Gestalt er blickte, aber die flehende Gebehrden des Fremden hielten ihn zurück.

Thörichter! rief der Einsiedler aus, was hast du gethan! Nicht nur daß du dir das Unglück freiwillig aufgehoben, und mit dir geführt hast, du hast es auch in die Wellen getaucht, und so den Zauber gänzlich aufgelöst, daß es nun in seiner natürlichen Gestalt umher wandelt. Leonhard sagte ihm, wie er sich habe davon befreien wollen, und wie übel ihm dies gelungen sey, dann erzählte er ihm, daß das Ungeheuer alle Nahrung verschlungen habe. So habe ich nichts, sagte der Einsiedler, um deinen und meinen Hunger zu stillen, als die Wurzeln, die im Walde wachsen. Leonhard ging mit dem Einsiedler, um Speise für sie zu suchen, das Unglück gesellte sich zu [219] jenem, der Einsiedler zeigte ihm, wo er Wurzeln finden würde, und so wie er eine auszog, die gut war, nahm sie ihm das Unglück aus der Hand und verschlang sie. Nur die schlechten und verdorrten ließ sie ihm, und winkte dabei mit den Augenbrauen.

Voll Jammer und nur halb gesättigt, kehrte Leonhard zu der Hütte zurück, der Einsiedler begab sich wieder in eine Höhle. Leonhard warf sich auf das Lager nieder und schloß die Augen; so, meinte er, wolle er wenigstens für die Nacht dem Unholde entrinnen, zu seinem Entsetzen aber fühlte er, wie das Unglück sich dicht zu ihm bettete. Unter Furcht und Angst erwartete er die Dämmerung des Morgens, er hoffte das Ungeheuer würde schlafen, aber als es so hell war, daß er es betrachten konnte, bemerkte er, daß es das halbe Gesicht sorgfältig mit den Haaren bedeckt hielt, und mit dem einen Auge Leonhard eben so sorgfältig beobachtete.

Ich sehe es, sagte er seufzend, nur der Tod wird mich von dir befreien, und darum will ich mein Leben enden. Er eilte [220] zu der Quelle, und rief dem Unglück zu, das ihm gefolgt war: Dich haben die Fluthen nicht aufnehmen wollen; um mich von der Qual zu befreien, werden sie mitleidig mich empfangen, und so werde ich dir entrinnen. Er sprang in die Wellen, aber er fühlte kaum das Wasser, so wurde er mit Gewalt wieder heraus gezogen, das Unglück hielt ihn bei den Haaren, stellte ihn an die Quelle hin, sahe ihn mit dem einen Auge an, und winkte ihm mit den Augenbrauen. Leonhards Herz wurde von neuem mit Angst und Entsetzen erfüllt, er glaubte mit Gewißheit, daß die Seite des Gesichts, die ihm das Unglück verdeckte, noch weit gräßlicher seyn müsse, als die, welche er sah. Er floh von neuem, wie ein scheues Wild, und das Unglück wie sein Jäger hinter ihm drein. Er erreichte die Hütte des Einsiedlers, und setzte sich trostlos nieder; das Unglück saß ihm zur Seite. Die frommen Bürger aus der nahen Stadt kamen, um dem Einsiedler ihre Geschenke zu bringen, flohen aber mit Schaudern zurück, als sie den fremden Mann und seine Gesellschafterin an dem [221] Tisch des Alten erblickten. Keine Speise war nun vorhanden, denn in der Angst hatten die Erschreckten ihre Gaben wieder mit sich genommen, darauf fing das Unglück an, den Armen um Speise zu plagen, und deutete mit seinen Winken an, daß er Wurzeln graben solle. Als es Leonhard immer nicht that, wollte sie den verdeckten Theil ihres Gesichts entschleiern, da ging er eilig, und fing an Nahrung für das Ungeheuer zu suchen; sie entriß sie seinen Händen, und verschlang alle Wurzeln, die er fand, mit der größten Schnelligkeit. Ermattet von der vielen Arbeit sank er zu Boden; der Einsiedler kam nun auch einige Wurzeln zu suchen, und fand Leonhard in diesem trostlosen Zustande.

Was ist dir von neuem begegnet? fragte der Einsiedler, und der Unglückliche klagte ihm sein hartes Geschick, wie er ohne Speise sey, und wie ihm auch nicht eine armselige Wurzel gegönnt werde.

Nein! rief der Einsiedler aus, mit dir ist nicht möglich zu leben, ich will deine Nähe fliehen, und weit von hier einen andern Wald [222] suchen, wo ich mich meinen stillen Betrachtungen weihen kann. Leonhards Bitten vermochten nicht, ihn zurück zu halten, er verließ noch denselben Abend den Wald, und jener war nun ganz ohne Hülfe, mit dem Unglück allein. Speise brachte ihm niemand mehr, denn das Gerücht hatte sich schnell verbreitet, welch ein seltsames Gespenst die Hütte des Einsiedlers bewohne, und Leonhard ward gezwungen, das Unglück mit Wurzeln zu ernähren, wovon es ihm kaum einige, und nur die schlechten zu essen erlaubte.

So hatte er mehre kummervolle Tage verlebt, und saß verzweifelnd vor der Hütte. Was soll ich beginnen? rief er aus, wie soll ich mich von dem Unglück befreien? Selbst dem Leben kann ich nicht entfliehen, denn so oft ich mich zu ermorden versucht, immer ist das Unglück bereit mich wieder zu erretten. Giebt es denn keine wohlthätige Macht, die mein Flehen hört, und zu meiner Hülfe herbeieilt?

Als er noch so mit sich selber sprach, hörte er ferne Hufschläge wie von vielen Rossen. Er wandte seine Blicke nach der [223] Gegend, aus der die Töne kamen, und erblickte bald auf stattlichen Pferden eine Menge reich gekleideter Leute. Eine Dame in einem prachtvollen Reisekleide saß auf einem weißen Pferde, ein alter Mann in einem reichen Mantel ritt ihr zur Seite, und auf der andern begleitete sie ein überaus schöner Jüngling, viele Diener folgten ihnen. Sie zogen unter fröhlichen Gesprächen ihren Weg, und ihr Scherz und das muntere Lachen machten, daß Leonhard weinen mußte. Er sah sich um und bemerkte, daß das Unglück dem fröhlichen Zuge aus dem Wege gegangen war, und ihn in der Hütte erwartete. Flehend streckte er nun seine Hände nach der Gesellschaft aus und rief:

O wenn ihr so vom Schicksal begünstigt seyd, daß vor eurem Anblick das Unglück flieht, so nehmt mich Armen in eure Gesellschaft auf, damit auch ich wieder genese, und von der Abscheulichen befreit werde!

Die Gesellschaft näherte sich ihm, um seine Bitte zu verstehen, da erkannte Leonhard seine ehemalige Braut, seine geliebte [224] Emma in der prächtig gekleideten Frau. Er warf sich zu ihren Füßen nieder, und flehte in beweglichen Worten, sie möchte ihn in ihre Gesellschaft aufnehmen. Emma war gerührt und sagte zu dem Alten: Wenn ihr es vermögt, mein Vater, so helft doch diesem Unglücklichen. Leonhard betrachtete den Mann, den Emma Vater nannte, und erkannte in ihm den Alten, der ihn einst anredete, und über seinen gefundenen Schatz verhöhnte. Ich ließ euch das Unglück finden, sagte der Alte, und ich hatte es durch meine Kunst zu einem seltsamen Stein gemacht; hättet ihr es nicht in die Fluthen einer reinen Quelle getaucht, und so den Zauber gelöst, so könnte ich es sogleich wieder in einen Kasten verbergen, aber ich will euch dennoch davon befreien.

Warum hast du mich aber so grausam verfolgt? fragte Leonhard.

Du wolltest mich meiner Tochter berauben, sagte der Alte, darum ließ ich dich das Unglück finden. Meine Emma war mir früh von einer bösen Zauberin geraubt, deren Macht ich nicht widerstehen konnte. Sie wurde [225] dem Manne, welchen sie für ihren Vater hielt, von der Abscheulichen als ein armes Kind verkauft, der sie, da er ohne Kinder war, als das seinige zu erziehen beschloß. Ich konnte meine Emma nicht wieder erhalten, wenn man sie mir nicht freiwillig übergab, einen solchen Zauber hatte meine Feindin um sie her verbreitet. Ich sahe dich, wie du um sie warbst, und wie du sie nicht verdientest, auch wäre meine Tochter auf ewig verlohren gewesen, hätte ein anderer als ich ihre Hand mit der Hand eines Mannes vereinigt. Ich sah auch die Liebe dieses Jünglings, der adelich an Geburt und Gestalt war, und dem sich das Herz meiner Emma entgegen neigte, ich begünstigte seine Liebe und ließ dich das Unglück antreffen. Meine Tochter entfloh, weil du dein böses Schicksal bei dir trugst. In dem ersten Walde, durch den sie reisten, erwartete ich sie in einer einsamen Hütte, in das Gewand eines Einsiedlers gehüllt, meine Worte gewannen ihr Herz, und der Jüngling legte ihre Hand in meine und sagte: sey du ihr Vater und gieb uns deinen Segen. In demselben Augenblick war der Zauber gelöst [226] und wir alle glücklich, und nun will ich auch dich beglücken, und dir alles, was du verlorst, reichlich ersetzen.

Als der Alte seine Worte geendigt hatte, winkte er dem Unglück, das zitternd in der Hütte saß. Es mußte, so sehr es sich auch krümmte, ganz nahe zu ihm treten, er berührte es mit einem kleinen Stabe und sagte: ich gebe dir deine ganze Freiheit wieder. Das Unglück erhob sich, und ließ die Haare vom Gesicht zurück fallen, über dessen Anblick sich Leonhard so entsetzte, daß er zu Boden fiel. Die langen schwarzen Haare wurden zu großen schwarzen Flügeln, mit denen es durch die Luft rauschte, und alle Bäume des Waldes zitterten, die es im Fluge berührte. Das Unglück ist nun entflohen, sagte der Alte freundlich zu Leonhard, folge uns, damit du ganz glücklich seyn mögest. Leonhard dankte dem Alten und verließ freudig in seiner Gesellschaft den Wald, da das Unglück ihn wieder verlassen hatte, und der Alte ihm für diese kummervolle Tage einen reichen Ersatz verhieß.

[227][229]

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TextGrid Repository (2011). Bernhardi, Sophie. Erzählungen. Wunderbilder und Träume. Der Unglückliche. Der Unglückliche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2E94-7