Die drei Zechpreller.

Im Gasthause ›Zu den drei Barben‹ aß man dermalen sicherlich am besten von ganz Tours, und der Wirt war [149] sogar in der Umgegend weit und breit ob seiner Kochkunst berühmt. Das war ein Kerl, der es hinter den Ohren hatte: das ›Über-den-Löffel-balbieren‹ übte er mit einer Kunstfertigkeit, daß er selbst an den Eiern noch zu scheren fand. Und während er mit seinen Gästen herumpokulierte und kräftige Späße verzapfte, berechnete er womöglich, ob er ihnen nicht die Aussicht und gute Luft auf die Rechnung schreiben könnte. Solchermaßen wurde er natürlich steinreich, wie eine Tonne feist zum Platzen, und ließ sich ›Herr‹ anreden.

Beim letzten Jahrmarkt nun begab es sich, daß drei Kerle, aus dem Teige, davon man eher Gauner denn Heilige backt, Galgenvögel, die ihrem erhabenen Geschicke immer wieder zu entschlüpfen wußten, den edlen Vorsatz faßten: sich's einige Tage auf anderer Leute Kosten wohlsein zu lassen. Zu dem Ende kniffen die verteufelten Tintenkleckser ihrem Lehrherrn, einem Advokaten in Angers, einfach aus und ließen sich im Gasthofe ›Zu den drei Barben‹ vor allem die besten Zimmer anweisen. Sie spielten sich als Großkaufleute auf, taten mordsmäßig verwöhnt, stellten das ganze Haus auf den Kopf, und der Wirt sprang immer nur treppauf, treppab, drehte die Bratspieße, zapfte vom Besten und richtete den drei Taugenichtsen einen wahren Advokatenschmaus. Aber hatten die Kunden auch schon für hundert Gülden Krach gemacht, so gedachten sie nicht einmal die zwölf Dreier herzugeben, mit denen einer von ihnen ständig in der Tasche klimperte. Dafür [150] fraßen und soffen sie natürlich um so fröhlicher, und binnen fünf Tagen hatten sie ärger in den Vorräten gehaust, denn eine ganze Horde Landsknechte beim Plündern.

Hatten sich die drei gesiebten Halunken beim Frühstück den Wanst vollgeschlagen, dann suchten sie zur Abwechslung den Jahrmarkt heim, stahlen hier, hängten dort die Schilder um, zerschnitten dem das Leintuch, warfen jenem Dreck in die Bude, schlugen die Hunde, machten die Gäule scheu, fragten einen: »Seid Ihr nicht der Herr Sitzfleisch aus Angers?«, behaupteten etwas verloren zu haben und suchten den Damen die Kleider durch, indem sie unter Tränen riefen: »Es muß in ein Loch gerutscht sein!«, kurz, der leibhaftige Satan war der reinste Waisenknabe dagegen. Hatten sie diese Scherze endlich satt, so ging's wieder übers Essen her: bis zur Vesperstunde wurde dann durchgepraßt, worauf sie auf die Dirnenjagd gingen und sich nach Noten gütlich taten. Bezahlen gab's natürlich nicht, denn sie riefen höhnisch: »Jeder muß sein Scherflein zahlen und jetzt wäret eigentlich ihr dran.« Und dann kam das Nachtessen, und weil sie dann niemand mehr fanden, um Schindluder mit ihm zu treiben, so verprügelten sie sich gegenseitig oder verlangten vom Wirt, er solle die Fliegen festbinden, wie das anderorts Sitte wäre.

Als nun aber besagter Wirt am fünften Tage (der ja auch bei Fieber immer kritisch ist) noch nicht den ersten Heller zu sehen bekommen hatte, so sehr er auch die Augen [151] aufriß, da gedachte er, daß nicht immer alles Gold ist, was glänzt, und sein Eifer kühlte ab. Darob bestellten die Kerle flugs mit wahrhaft erzbischöflichem Selbstbewußtsein ein leckeres Abendessen, da sie abzureisen gedächten, und ihre Sicherheit machte ihn doch schwankend. Immmerhin hoffte er, sie gehörig betrunken zu machen, um sie im Notfalle leichter vom Büttel abführen lassen zu können. Derweile fraßen und soffen die drei Kumpane mit wütendem Ingrimme, denn es war ihnen noch völlig schleierhaft, wie sie auskneifen könnten: der verdammte Wirt ließ sie nämlich nicht aus dem Auge, machte einen Schritt vorwärts, um sein Geld zu retten, zwei zurück, um sich nichts zu verderben, für den Fall es wirklich Standespersonen wären, und so war er unter dem Vorgeben, für gute Bedienung zu sorgen, immer mit dem Ohr im Gastzimmer, mit dem Fuß in der Küche. Beim kleinsten Laut erschien sein Gesicht in der Tür, umfangreich wie seine Rechnung, die er präsentieren wollte: »Was ist den Herren gefällig?«, so gar verständnisinnig, daß sie ihn am liebsten zehnmal gespiest und gebraten hätten und am Ende wie auf glühenden Kohlen saßen. Schon stand die Nachspeise auf dem Tische und die Stimmung war dicht am Gefrierpunkt angelangt, da rief der Pfiffigste der drei, ein Burgunder, mit frohem Lächeln: »Meine Herrn, ich beantrage Vertagung!«

Und trotz der drohenden Gefahr erhoben die beiden andern ein wieherndes Gelächter. Dann rief der mit[152] den Dreiern im Sack: »Was macht die Zeche?« und dabei klimperte er so stark damit, als würden sie davon Junge kriegen. Das war ein Pikarde, ein wahrer Teufel, jähzornig, händelsüchtig und darum drauf und dran, den Wirt kurzerhand zum Fenster hinauszuwerfen. Zunächst nahm er mal das Maul voll, als hätte er zehntausend Dukaten Rente: »Die Rechnung?!«

»Sechs Gülden, meine gnädigen Herren,« flötete der Wirt mit Salbung und tat die Hand auf.

»Auf keinen Fall leide ich, Graf, daß Ihr zahlt!« rief stracks der Dritte, der zu Angers gebürtig war.

»Ich ebenfalls nicht!« krächzte der Burgunder.

»Meine Herren, Ihr spaßt,« entgegnete der Pikarde.

»Ich werde mir doch das nicht nehmen lassen!«

»Schockschwerenot!« brüllte der aus Angers, »sollen wir etwa dreimal die Zeche zahlen? Der Wirt nähme das ja gar nicht an!«

»Gut also, wer die schlimmste Geschichte erzählt, zahlt.«

»Und wer soll Richter sein?« fragte der Pikarde, und ließ die zwölf Dreier wieder zurückgleiten.

»Natürlich der Wirt, der hat einen fein entwickelten Geschmack und muß es drum verstehen! Auf, Meister Quirl, nehmt Platz. Wein her und Ohren auf: die Sitzung ist eröffnet.« Der Wirt schenkte allen reichlich ein, setzte sich, und der aus Angers rief: »Also ich werde anfangen!«

»In unserm Herzogtum Anjou sind die Landleute gar gehorsame Diener des alleinseligmachenden Glaubens, [153] und keiner möchte sein Plätzlein im Paradiese drangeben. Nun geschah es, daß eines Abends so ein braver Kerl aus Jarzé vom Wirtshaus heimwandelte, allwo er beim Dämmerschoppen etwas reichlich geladen und dadurch seine fünf Sinne stark in Verwirrung gebracht hatte. Wie er nun unterwegs das Wasser lassen wollte, plumpste er in seine höchsteigene Pfütze und machte es sich darin bequem in der Meinung, es sei sein Bett. Sein Nachbar Godenot findet ihn schon halb festgefroren (denn es war Winter) und fragt spöttisch: ›Worauf wartet Ihr denn da?‹

›Aufs Tauwetter!‹ lallt der andre weinselig, als er merkt, daß ihn das Eis festhält.

Darob eist ihn Godenot als guter Christ los und hilft ihm in sein Haus. Der Säufer gerät dort in das Bette der Magd, wo selbiges hübsche, ziere Ding bereits sanftselig ruhte. Aber der biedere Knabe vermeinte zu seinem Weibe gelangt zu sein, hub, vom Trunke wohlgestärkt, an, den jugendlichen Grund zu pflügen und murmelte dankbar-verwunderte Worte, noch Reste einer Jungfernschaft vorzufinden. Das hört die Frau, schreit, als ob sie am Spieße stäcke, und so wird der Ackersmann inne, daß er verbotene Wege wandelt.

Das fiel ihm unsagbar schwer auf die Seele. ›Wehe mir,‹ klagte er, ›Gott hat mich dafür gestraft, daß ich den Vespergottesdienst versäumt habe!‹ Schmerzbewegt kroch er bei seinem Weib ins Bett und entschuldigte die Irrwege seiner Manneszierde mit den Wirkungen [154] des Dämmerschoppens. Inzwischen hatte die Magd ihrer Herrin erklärt, sie habe von ihrem Liebsten geträumt, worob selbige ihr ein paar Maulschellen verabfolgte. Dann suchte sie ihren Mann zu beruhigen: ›Das macht ja nichts.‹ Aber er weinte heiße Säufertränen und wehklagte ob seiner argen Sünde, bis sie endlich sagte: ›So geh also morgen beichten. Jetzt aber sei ruhig.‹

Drum wandelte die edle Seele tags darauf zum Beichtstuhle und gestand in Demut das Verbrechen. Der Seelenhirte war ein Greis voll tiefen Mitgefühles: ›Irrtümer zählen nicht! Fastet morgen und Ihr seid der Sünde ledig.‹

›Fasten? Wie wundervoll! Dann darf ich ja auch wieder ein Schöpplein heben!‹

›O nein! Ihr werdet nur Wasser trinken und nichts weiter essen als ein Viertel Brot und einen Apfel,‹ sprach der Pfarrer. Worob der Sünder heimging und derweile das Sprüchlein ununterbrochen nachbetete, um keine Verwechslung anzurichten. So kam er dann natürlich nach Hause mit der schönen Verordnung: ›Ein Viertel Apfel und ein Brot.‹ Und um seine Seele flugs reinzuwaschen, machte er sich gleich an die Arbeit: sein Weib holte ihm ein Brot und einen Apfel und er begann wehmütig einzuhauen. Aber wie er den letzten Bissen schlucken sollte, da tat er einen tiefen Seufzer, denn er stack bis zum Halse voll und wußte nicht, wie er noch etwas hineinbringen sollte. Sein Weib meinte darob, Gott wolle doch nicht den Tod des Sünders, und es käme [155] sicher nicht darauf an, ob der Brocken da noch in seinen Wanst käme oder nicht. Er aber fuhr auf: ›Schweig stille, Weib! Ich halte meine Fasten und wenn ich darob zerplatze!‹«

»So, meine Zeche ist bezahlt!« schloß der Gauner mit schlauem Blinzeln. »Nun bist du dran, Graf!«

»Die Humpen sind leer,« rief der Wirt. »Holla, Wein her!«

»Natürlich, man muß die Kehle feuchten!« schrie der Pikarde, leerte seinen vollen Becher bis auf den letzten Tropfen und begann dann mit einem verheißungsvollen Räuspern:

»Ihr wißt wohl, daß in der Pikardie alle Mädel sich vor der Ehe zuerst ihre Ausstattung erarbeiten. Darum gehen sie in der Umgegend in Stellung als Mägde oder was sich sonst etwa bietet, und da sie immer reichliche Ersparnisse heimbringen, sind sie sehr begehrt zu Ehezwecken. Da war nun mal so ein Ding, das von Paris schier Wunderdinge gehört hatte und sich in den Kopf setzte, dort sein Glück zu versuchen. So machte es sich eines Tages auf den Weg und gelangte vollzählig hin, d.h. sie in Person und an ihrem Arm ein Körblein, darin sich eine ansprechende Leere breitmachte. Gleich beim Tore des heiligen Dionys gerät sie auf ein Häuflein Landsknechte, die dort auf Wache standen. Der Wachtmeister sieht nicht sobald diesen Leckerbissen über den Weg laufen, da wirft er sich schon unternehmungslustig in die Brust, also daß die Feder auf seinem Hute ausdrucksvoll [156] wippt, wichst seinen Schnurrbart, kommandiert mit Stentorstimme, rollt die Augen, stemmt die Hand in die Seite, hält das Mädel an und fragt, ob bei ihr auch alles wohl in Ordnung sei, maßen er sie sonst nicht hineinlassen könne. Spielt dann den Schwerenöter und erkundigt sich, was sie in Paris vorhabe; ob sie vielleicht die Stadt im Sturme nehmen wolle. Und die Dirn erzählt offenherzig, daß sie eine Stellung suche und keine Arbeit scheue, wenn sie nur ihren Lohn kriegte.

›Das trifft sich glänzend, Mädel,‹ sagt der Spaßvogel. ›Ich bin ein Landsmann von dir, – tritt bei mir in Dienst: manche Königin würde dich darum beneiden, wie gut du's haben wirst, und du wirst manchen Goldfuchs verdienen.‹ Dann führt er sie in die Wachtstube, zeigt ihr, wie sie zu kehren, zu kochen, zu heizen und zu putzen habe, und kündigt ihr an, jeder seiner Leute würde ihr einen halben Taler geben, wenn er mit ihr zufrieden sei. So habe sie im Monat gut und gerne ihre zehen Gülden und wenn die Wache abgelöst würde, sei anzunehmen, daß auch die andern sie im Dienste behielten. Das Mädel ist hochbeglückt, kehrt, putzt, kocht und trällert dabei so fröhlich, daß die Landsknechte sich wie in Abrahams Schoße vorkamen. Und deshalb gab ihr auch jeder stracks den versprochenen Tageslohn. Wie dann der Wachtmeister in die Stadt zu seinem Weibe ging, brachten die Soldaten das Mädel gar zärtlich in dessen Bett, darinnen es sich überaus behaglich fühlte. Die Soldaten aber wollten allen Streit vermeiden, deshalb losten sie untereinander, [157] gingen dann hübsch einer nach dem andern in das Kämmerlein, und jeglicher tat sich bei dem Mädel für ein ganzes Vermögen gütlich.

An diesen Dienst war sie nun freilich nicht gewöhnt und er bedünkte sie recht hart. Immerhin tat sie ihr Bestes, und so schloß sie in der ganzen Nacht kein Auge. Als dann aber die Soldaten gegen Morgen alle fest schliefen, da erhob sie sich sachte, und seelenfroh, bei der Rackserei sich nichts verrenkt zu haben, aber immerhin etwas abgespannt stiefelte sie mit ihrem Lohne der Heimat zu. Da begegnete ihr auf der Landstraße eine Freundin, die es ihr nachmachen wollte und voller Erwartung auf Paris zusteuerte. Und die fragt natürlich gleich wie's ihr ergangen sei.

›Ach, Perrine,‹ sagt das Mädel, ›geh' lieber nicht hin. Denn da muß man einen Hintern aus Eisen haben und selbst der ginge mit der Zeit drauf.‹«

»So, nun kommst du, Fettwanst!« rief der Pikarde und gab dabei seinem Nachbar mit Schwung eins auf den Allerwertesten. »Spuck deine Geschichte aus oder bleche!« Und der Burgunder blökte:

»Bei der Königin aller Fleischwürste, ich will euch ein Ding erzählen, das sich in Dijon zutrug, als ich dorten Stadthaupt war. Lebte da ein Büttel namens Schanzer, ein boshafter, alter Quälgeist, der selbst für die Deliquenten auf dem Wege zum Galgen kein Wort der Ermunterung übrig hatte und, kurz gesagt, selbst auf einem Kahlkopf Läuse fand. Nun fügte es das Schicksal, [158] daß besagter Schanzer, den kein Mensch besehen mochte, ein Weiblein heiratete, mild wie eine Zwiebel, welchselbige ihres Gatten mißratenes Temperament durch rührende Fürsorge zu sänftigen bestrebt war. Um ihn zufrieden zu stellen, riß sie sich schier Arme und Beine aus, hätte ihm am liebsten gar Dukaten gesch ... (dafern Gott sie mit dieser Gabe beglückt hätte) und sah sich für alle ihre Mühe immer nur von ihm geschmählt und gar geprügelt. So wandte sich das arme Weib am Ende verzweifelt an ihre Verwandten um Beistand und die kamen denn auch, um in diesem Hause einmal nach dem Rechten zu sehen. Aber der Mann erklärte ihnen kurz und gut: sein Weib sei offenbar verrückt. Denn er habe tagaus tagein nur Schererei und Ärger mit ihr, im Hause ginge alles drunter und drüber und sein Leben sei nur eine Kette von Plagen. Darob zeigte ihnen die Frau, wie alles bei ihr gut gehalten war, wie die Wäsche, das Geschirr, die Stuben nur so vor Sauberkeit blitzten und überall die schönste Ordnung herrschte. Flugs schalt nun der Büttel, er könne es mit ihr nicht aushalten, und zumal das Essen sei miserabel, unpünktlich, immer dreckig und ungenießbar. Und als sie zu widersprechen suchte, schrie er: ›Halt den Mund, Schmierfink, und lüge nicht. Und ihr da, eßt nur heute bei uns, dann werdet ihr ja sehen, ob ich recht habe, und wenn sie es mir dies eine Mal recht macht, will ich gern alles verzeihen und sie in Frieden lassen!‹

›Gott sei Dank!‹ rief sie seelenfroh, ›dann werde ich [159] also fortan endlich Hausfrau sein und meine Ruh' haben.‹

Der Mann rechnete natürlich auf die unvermeidlichen kleinen weiblichen Schwächen und befahl ihr, daß in der Laube auf dem Hofe gegessen werden sollte, in der Hoffnung, daß sie sich beim Hin- und Herlaufen verspäten würde. Die Frau ihrerseits war wie der Teufel hinterher, daß das Geschirr blitzblank, das Essen heiß, der Wein kalt war, und alles geriet so, daß selbst ein Bischof seine Freude daran gehabt hätte (was schon etwas heißen will!) Aber just, wie sie den letzten prüfenden Blick wirft und ihr Mann schon in der Tür auftaucht, läßt so ein verdammtes Huhn, das auf der Laube hockt um Weintrauben zu fressen, sein Dreckelchen mitten aufs Tischtuch fallen. Die Frau wäre beinahe tot umgesunken, und weil sie sonst keinen Ausweg wußte, stellte sie auf die bedenkliche Stelle eine Schüssel und füllte diese mit Früchten, die sie noch just zur Hand hatte. Dann holte sie schnell die Suppe um abzulenken, wies jedem seinen Platz an und bat fröhlichen Gesichtes, tüchtig zuzugreifen. Alle äußerten natürlich laut ihren Beifall über den schöngedeckten Tisch, nur der Satan von Mann knurrte unzufrieden, schnupperte mit wütendem Gesicht überall herum und suchte, wie er ihr an den Kragen könnte. Sie aber faßte sich ein Herz und sagte glückgeschwellt: ›Nun also: das Essen ist warm, der Tisch in Ordnung, das Tischtuch sauber, der Wein kalt, das Brot frisch; also was fehlt nun noch? Was willst du noch alles?‹

[160] ›Einen Dreck will ich!‹ schrie er fuchsteufelswild.

›Da hast du ihn!‹ entgegnete sie und nahm flink die bewußte Schüssel fort. Wie der Büttel das sah, vermeinte er, der Teufel stände mit seinem Weib im Bunde, und er blieb wie aufs Maul geschlagen. Die Verwandten kamen ihn nun natürlich mordsmäßig auf den Kopf, und so wurde er am Ende windelweich und lebte mit seinem Weibe fortan in schönster Eintracht. Denn zog er nur je die Stirne kraus, dann fragte sie einfach: ›Willst du vielleicht einen Dreck?‹«

»Also wer hat vertan?« schrie nun der aus Angers und klopfte dem Wirt auf die Schulter.

»Er natürlich!« dröhnten die beiden andern, und nun hob ein Streit an wie auf einem Konzile. Alle brüllten, schlugen, warfen und lauerten nur auf den Augenblick, wo sie im allgemeinen Durcheinander verschwinden könnten.

»Ich werde entscheiden!« donnerte der Wirt dazwischen, der plötzlich merkte, daß alle die drei vordem so bereitwilligen Zahler nun überhaupt nicht zahlen wollten. Den Gaunern blieb vor Schreck das Wort in der Kehle stecken. »Ich werde euch eine viel bessere erzählen und dann möget ihr jeder mit zehn Dreiern quitt sein.«

»Der Wirt hat das Wort!« rief der aus Angers.

»Also: In unserer Vorstadt, in der auch dies Gasthaus liegt, lebte einst ein hübsches Mägdelein, das nicht nur mit seinen natürlichen Vorzügen, sondern zudem noch mit einem ansehnlichen Haufen Gülden gesegnet war.

[161] So hatte sie natürlich, kaum daß sie mannbar wurde, Bewerber wie Sand am Meer. Sie erwählte darunter einen, der es, mit Verlaub zu sagen, bei Tag wie bei Nacht mit zweien Mönchen an Leistungsfähigkeit aufnehmen konnte. So nahte die Hochzeit, aber nicht ohne dem Bräutlein immer wachsende Sorgen zu bereiten. Denn ein Fehler ihrer unterirdischen Leitung hatte zur Folge, daß die angesammelten Dünste immer mit einem Bombenkrach entwichen. Maßen sie nun fürchtete, just in der Brautnacht, wo man doch an anderes zu denken hat, diesen windigen Bosheiten nicht gewachsen zu bleiben, so wandte sie sich endlich flehendlichst an ihre Mutter um Rat. Und die erklärte ihr: auch sie sei früher weidlich durch diese peinliche Sache belästigt worden, sintemalen das ein Familienerbfehler sei. Später allerdings habe Gott ihr gnädigst verliehen, nach Belieben zu lüften, und solchermaßen habe sie seit vielen Jahren nur noch einmal, beim Hinscheiden ihres Gatten, gleichsam die Abschiedssalve gegeben. ›Aber meine gute Mutter hat mir ein sicheres Mittel als Vermächtnis hinterlassen, den Überfluß lautlos zu beseitigen, so daß, falls es nicht schlecht riecht, jedes Aufsehen vermieden wird. Dazu muß man nur den Vorrat hübsch vor der Türe sammeln und dann fest drücken; derart gleiten sie hinweg, lautlos wie ein Verdacht. In unserer Familie heißt man das: den Furz erwürgen.‹

Dankbar konnte sich nun die Tochter dem Tanze am Hochzeitstage hingeben und sie speicherte dabei fröhlich die [162] Luft auf wie ein Bälgetreter vor dem ersten Orgela Mord. Und als sie dann ins Brautgemach schlüpfte, gedachte sie das Ganze in dem Augenblick hinauszujagen, wo sie ins Bett stieg. Aber die listigen Winde hatten es anders im Sinn. Kommt der Ehemann und ihr mögt euch selbst ausmalen, was nun für ein fröhliches Gefecht anhub. Mitten in der Nacht mußte dann das Bräutlein für ein kleines Geschäft aus dem Bette, und just, wie sie wieder hineinklettert, fällt es ihrem Hinterpförtlein bei zu nießen, und es tat einen Kanonenschlag, daß ihr sicher, wie ich, geglaubt hättet, die Vorhänge werden zerfetzt. ›Ach, nun ist es doch schief gegangen,‹ klagte sie. Aber ich sagte: ›Weißt du, Schatz, sei künftig sparsamer. Denn mit einem so wirkungsvollen Geschütz kannst du im Kriege ein Vermögen verdienen.‹ Es war nämlich meine Frau!«

»Bravo, bravo!« brüllten die Schreiber und lachten, daß sie sich die Seiten hielten. Und dann hub ein Lobgesang an: »Hast du je eine großartigere Geschichte gehört, Graf?« – »Ja, das ist eine Geschichte!« – »Eine Meistergeschichte, eine Königin unter den Geschichten!« – »Weiß Gott, das stellt alles in den Schatten!« – »Man hört den Furz förmlich knallen.« – »Ich möchte das Blasinstrument küssen!« – »Wirklich,« rief der aus Angers, »wir können hier nicht weg, ehe wir nicht die Frau des Hauses begrüßt haben. Und nur aus Achtung vor Euch, dem meisterhaften Erzähler, wollen wir darauf verzichten, besagtes Instrument zu küssen!«

[163] Und dann lobten sie den Wirt, die Geschichte und die – Reize seines Weibes so begeistert, daß der Alte alles für bare Münze nahm und endlich selbst sein Weib rief. Als sie aber nicht kam, da sagten sie voll Hinterlist: »So wollen wir zu ihr hinausgehen!« und gingen hinaus. Der Wirt nahm die Kerze und stieg dann die Treppe vorauf, um ihnen zu leuchten. Aber die drei sahen, daß die Haustür offen war, und so entwichen sie lautlos wie Schatten und überließen es dem Wirt, sich die Zeche von seiner Frau in Fürzlein bezahlen zu lassen.

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TextGrid Repository (2011). Balzac, Honoré de. Erzählungen. Die drolligen Geschichten. Die drei Zechpreller. Die drei Zechpreller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1E98-D