Bettina von Arnim
Dies Buch gehört dem König

Erster Teil

Der Erinnerung Abgelauschte
Gespräche und Erzählungen von 1807

[9] [11]Wundre Dich über nichts, es ist kein höheres Geheimnis, daß Gott dem Menschen seinen Odem einblase, als daß dies Leben nicht immer die Freiheit atme.


Der Geist der Schönheit in der Form wird im Menschengeist zum Propheten.

Der Geist, in dem die reine Form der Individualität liegt, der ist gesund.

Freiheit allein bringt Geist, Geist allein bringt Freiheit.


Rücksicht ist das Unkraut auf dem Feld der Freundschaft und der Liebe, oft überwuchert es den ganzen Boden, so daß kein gesundes Pflänzchen drauf gedeiht.


Aussprüche der Fr. Rat

Die Frau Rat erzählt
[11] [13]Die Frau Rat erzählt:

Es war an einem recht sommerlichen Tag, ich denk nach, was aus dem lieben Sonnenschein all werden soll, den ich da so mutterselig allein in mich fressen muß: – es wird Mittag, die Türmer blasen derweil den Ablaß meiner Sünden vom Katharinenturm herunter. – In dieser Welt, wo Böses und Gutes oft in so herzlicher Umarmung einander am Busen liegen, da haben irdische und himmlische Angelegenheiten gar einen künstlichen Verkehr; an so einem melancholischen Feiertag, da verschmäht der Teufel auch eine falsche Trompet nicht, um den Menschen aus seinem geduldigen Seelenheil herauszublasen, opfre den Verdruß, den du davon spürst, Gott auf, und die Kreide von der Rechnungstafel deiner Sünden ist heruntergewischt, denn lieber als das Sündengestöhn, was falscher klingt als die Sünd selber, will Gott den Teufel falsch blasen hören. Die Langeweil ist nun ganz apart an einem Sonntag in der Stadt Frankfurt, aber gar an so einem lange staubige Sommertag, wo man sich in die Sonn stellt und denkt wie ein angezündt Licht am hellen Tag, vor was bist du da? – alles kann bestehn ohne dich! oder: alles geht ja doch konfus, und mit dem Zweifel, ob der blaue Dunst da oben wohl doch der Himmel sein könnt, streckt man sich am End seiner Erdentage aus den Erdensorgen heraus mit den Himmelssorgen auf dem Herzen und bedenkt nicht, daß alle Sorge Irrtum ist.

An so einem langweiligen Tag also, wie der Türmer wirklich in einer der Musik sehr mißgünstigen Stimmung in die Stadt herunter blies, – ich meint als, wenn mir der jung Wein nur nicht auf dem Faß säuerlich wird: – eine rauhe Halsarie wie heut, und die Sonn schien mir auf die Nas, daß ich nießen mußt, und die Lieschen bekomplimentiert mich da drüber, da schellt's – ich ruf: »Guck einmal, wer's ist.« »Ei, es ist der Frau Bethmann ihr Bedienter, ob Sie wollte heunt nachmittag mit ins Kirschenwäldchen fahren?« – Ei was? – Ei freilich! Was werd ich nicht wollen fahren an diesen einzigen Pläsierort vor allen schönen Orten in ganz Deutschland, wo die Kirschen wie die schönste Rubinen im smaragdnen Blätterschmuck an den Bäumen hängen, wo die Frankfurter Sonnenstrahlen ein Goldnetz durchwirken und der Himmel sein blaues Zelt mit silbernen Wolken drüber spannt. – Jetzt sag ich, wir wollen präzis zwölf Uhr essen, dann wird alles zurecht gemacht zum Abend, wann ich heim komm, da wird meine Wasserflasche hingestellt, das Bett zurecht gemacht, damit mir die Zeit vergeht, bis die Füchserchen angetrabt komme, dann setz ich meine Haub auf, bloß die mit den Spitzen. »Ei, wollen Sie net die mit den Sternblume auf setzen, die steht schöner!« –

[13] Nein, die will ich nicht aufsetzen, man muß bescheiden sein in der schönen Natur und sie nicht überstrahlen wollen, es gelingt einem doch nicht. Was meint Sie denn, daß so ein Kranz von papierne Blume zu sagen hätt da draußen auf der grünen Wies? Ei, ich setz den Fall, ich könnt der Stadtherd begegnen, so könnt mich ja der Brummelochs mit einem einzige Maul voll Dotterblume, die er vom Weidanger mit seiner lange Zung in einem Hui zusammenrafft und wegschnappt, in die größt Beschämung versetze, daß er frißt und verdaut, was die Frau Rat in Papier nachgemacht zum Putz auf dem Kopf trägt. – Jetzt ohne weiter Federlesen die Spitzehaub eweil auf der grünen Bouteille aufgepflanzt, dann die Filethandschuh ohne Daumen, daß ich sie nicht brauch auszuziehen beim Kirschenessen, das Körbchen nehm ich mit, daß ich kann Kirschen mitbringen – die kleine schwarze Salopp und den Sonneparaplü, denn um die jetzig Sommerzeit kommt häufig so ein klein erquicklich Regenschauerchen mitten durch den Sonnenschein. Da lacht's und flennt's zu gleicher Zeit am Himmel. – Nun ist alles in Ordnung – so wird der Tisch gedeckt und aufgetragen – denn zwölf Uhr ist schon vorbei – was gibt's heut? – »Brühsupp.« Fort mit, ich mag keine. – »Aber Frau Rat, Ihne Ihr Magen!« – Aber ich will keine Supp, sag ich; komm Sie mir nicht an so einem schöne Sommertag mit Ihren Magensorgen an, was gibt's noch? »Stockfisch aufgewärmt von gestern und Kartoffel.« Den Stockfisch laß mir vor der Nas eweg, der paßt nit zu meiner Stimmung, ich mag mir keinen Stockfischgeruch in den Vorgeschmack aufdampfen lassen, den ich von dem Blumenduft draus auf der Wies schon in Gedanken genieß, aber die Kartoffel bring Sie, an denen verunreinigt man die erhabenen Gedanken nicht, die könnt so ein indischer Priester in seiner Verzückung ungestört genieße. – Ich glaub gewiß, die sind aus dem Manna gewachse, das vom Himmel fiel, wie die Juden in der Wüst in der Hungersnot waren, das war so ein verzettelter Mannasame, aus dem sind dann die Kartoffeln gewachsen, die vor aller Hungersnot bewahren. Ja, damals hatten die Juden noch eine Wüst, wo sie sich niederlassen konnten, jetzt ist keine Wüst mehr da, und wann die närrische Häns nicht fliegen lerne wie die Raubvögel, daß sie als manchmal auf eine vorüberfahrende Segelstang sich könne setzen wie die Zugvögel, so weiß ich nicht, wo sie werden bleiben, in der Wüste waren sie nit so gierig, hätten sie damals alles verschlungen, so wär kein himmlischer Mannasamen übrig geblieben, und ich wüßt nicht, was ich heut essen sollt, und jetzt geb nur künftig ohne Widerred allemal dem Betteljud zwei Kreuzer, sooft er kommt, denn wir könne den Juden das nicht genug Dank wissen, daß wir Kartoffeln essen. – Nun war das Essen noch nicht all, es kam noch eine gebratne Taub. – Ich hatte Appetit, fliegt mir grad eine lebendige Taub vors Fenster und rucksert mir lauter Vorwürf ins Herz. Ich fahr ins Kirschenwäldchen, und das arme Tier mit verschränkte Flügel, mit denen es sich hätt können in alle Weltfreude schwingen, liegt in der Bratpfann. Der Christ jagt die halb Natur durch den Schlund, damit er auf der Erd kann bleibe, um sein Seelenheil zu befördern,[14] und dann macht er's grad verkehrt. – Nun kurz, der Vorwurf von der Taub am Fenster lastet mir auf dem Herzen, ich kann keinen Bissen essen. – Die Taub wird unberührt wieder in die Speiskammer gestellt, ich zieh mich derweil an, um der Ungeduld etwas weiszumachen, die Spitzehaub wird von der Bouteille heruntergenommen, aufgesetzt, und die Nachtmütz wird draufgestülpt, damit ich sie heut abend, wenn ich nach Haus komm, gleich auswechsle kann, noch eh Licht kommt; das ist so meine alte Gewohnheit. Nun sitz ich da mit meinem Sonnenschirm in der Hand im besten Humor und lach die Lieschen aus, mit ihrer Angst wegen meinem leeren Magen. – Ich guck auf die Uhr – der Wagen kommt gerappelt, den alten Johann, ein ganz gescheuter Kerl, hör ich schon an seinem gewohnten Gang der Trepp herauf kommen. –Lieschen, geschwind lauf Sie hinaus auf den Vorplatz an die Tür, eh's schellt. Da schellt's schon, die Lieschen macht die Tür auf, da steht ein goldbordierter Herr mit einem dreieckigen Hut und guckt mir ins Gesicht, und mein alter Johann kommt hinten nach. – Ich sag zu dem fremde Wundertier: Sie sind wohl einen unrechten Weg gangen! – und will mich an ihm vorbei machen, aber weil er sagt: »Ich bin geschickt von Ihro Majestät der Frau Königin von Preußen an die Frau Rätin Goethe!« – so guck ich ihn an, ob er wohl nicht recht gescheut wär. – »Und« – fährt er fort – »die königlich Equipage werden um zwei Uhr kommen, um die Frau Rätin nach Darmstadt abzuholen, mit Ihrer Majestät sollen Sie den Tee trinken im Schloßgarten!« – Ich sag: Johann! jetzt hör Er einmal, was das vor Sachen sind! wenn einem eine Bomeranz aus dem blauen Himmel grad auf die Nas fällt, da soll man gleich sein Verstand bei der Hand haben und sie auffangen, das will viel heißen! – Ei, wem hatt ich denn die Kontenance zu verdanken als bloß dem Johann? Der stellt sich an die Seit aus lauter Respekt vor dem unvorhergesehenen Ereignis und guckt mich so feierlich an, daß ich mich gleich besinn, was ich mir und der Einladung schuldig bin; ich guck ihn mit einem Feuerblick an, daß der Kerl in sich geht, denn er war nah dran zu lachen. Ich sag: Mein Herr Kammerherr, oder was Sie vor ein höflicher Beamter sein mögen, rennen Sie nur wieder spornstreichs zur Frau Königin und melden, die Frau Rat werden ihrerseits die Ehre haben, die von der Frau Königin ihr zugedachte Auszeichnung anzunehmen. Und machen Sie nur, daß die Kutsch hübsch akkurat kommt, damit ich auch nicht zu spät komm, da das Warten und Wartenlassen meine Sach nicht ist. – Dabei macht ich so große Augen, daß der preußisch Hoflakei gewiß seine Verwundrung wird gehabt haben über den besondern Schlag Madamen aus der freien Reichsstadt Frankfurt. Man muß seine Zuflucht nehmen zu allerlei Künsten, um seine Würde zu behaupten. Wer kann sonst Religion in die Menschen bringen? Daß so ein Hofschranz Respekt hätte vor einem Bürger, dazu ist er einmal verdorben; da muß man auf Mittel denke, wie er den Kopf ganz verliert und nicht weiß, was er dazu sagen soll. Da fiel mir der Türklopper ein von unserm Aderlaßmännchen, dem Herrn Unser, das ist so ein Löwenfratz, wie sie am Salomon seinem Thronsessel zur Verzierung angebracht sind. Den [15] mach ich nach; – damit jag ich meinen Herold in die Flucht, er nimmt die Bein an den Hals und rennt der Trepp herunter. Ich bleib stockstill stehn, die Lieschen bleibt stehn, der Johann rührt sich nicht vom Fleck, bis wir die Haustür zumachen hören. »Frau Rat,« sagt der Johann, »Sie werden also jetzt unmöglich ins Kirschenwäldchen fahren, und da werd ich dann bestelle, warum Sie nicht mit könne fahren?« Ja, lieber Johann, und bestell Er's doch gleich im Vorbeigehn beim PerückenmacherHeidenblut, der soll gleich kommen, und erzähl Er's unterwegs alle Leut, so was muß stadtbekannt werden. – »Ja, das ist gewiß,« sagt der Johann, »und wenn mir nur das Herz nit bersten wird, bis ich herausgeplatzt bin dermit« – fort ist der Johann. – Nun guck ich mein Lieschen an, die steht vor mir wie nicht recht gescheut und zittert an alle Glieder. Ei, Lieschen, sprech ich voll Verwunderung, wie kommt's, daß Ihr die Haub hinderst der vörderst sitzt, das war doch vorher nicht? – Und ich weiß nicht, wie das möglich war! es ist doch wunderlich, wie bei überraschende Gelegenheiten die Spukgeister sich allerlei Schabernack erlauben mit solchen Leut, die der Sach nicht gewachsen sind. Das war nun mein Lieschen wirklich nicht. Sie konnt nichts finden, weder Zwickelstrümpf noch Schuh, noch sonst ein Kleidungsstück, kein Rock konnt sie mir ordentlich über den Kopf werfen. Wenn ich nun auch den Kopf verloren hätt, ich wär nicht fertig geworden. Jetzt sag ich: Bring Sie mir einmal die gebratne Taub wieder herein, denn ich verspür über die königlich Geschicht ein schreiende Hunger. Und nun schmeiß Sie die Nachthaub von der Bouteille herunter – ich werd aber auch noch meiner Seel den ganzen Stockfisch herunter fressen. Nun schenk Sie mir ein Glas Wein ein, ich muß Feuer in den Adern haben. Der Perückenmacher war gleich herbei, über die unbegreifliche Nachricht hat er in seinem stumme Erstaune mich aufgedonnert, und nun mußt er mir die Haub aufsetze mit den Sternblumen. Es war ein Heidenpläsier, fingerdick Schmink hat er mir aufgelegt, »die Frau Rat sehn superb aus,« sagt der Herr Heidenblut. Und die Liesche stand wie eine Gans vor mir, als ob sie mich nicht mehr kennte. – Nu wir verbringe noch so ein Zeitchen vor dem Spiegel, links die Lieschen mit der verkehrte Haub, denn die hat sie noch nicht Zeit gehabt herum zu kriegen, rechts der Herr Heidenblut mit dem Kamm hinterm Ohr, ganz verzückt in mein Lockenbau, ich in der Front mit einem feuerfarbne Schlepprock mit doppelte Florspitzen, Diamantbracelett, echte Perlen um den Hals, ein Schlupp von Diamante vorgesteckt. Nun es war zum Malen, die drei Personagen da aus dem Spiegel herauslachen zu sehen. Wir wurden ganz lustig und dachten nicht, wie die Zukunft mir auf den Hals gerückt kommt. Wenn ich doch an all die charmante Witze von Heideblut mich noch erinnern könnt, er mußt sich hinstellen, und ich macht mein Probkompliment vor ihm, er versteht's. Er frisiert ja die allerhöchste Theaterprinzesse. – Da kommt's aber wie ein Sturm angerennt und hält still vor der Haustür. Rutsch – vier Pferd und zwei Lakaie hinten drauf, noch ohne den Kutscher. – Jetzt kommen sie herbeigestolpert, faßt mich ein jeder unterm Arm und tragen mich schwebend [16] in die Kutsch. Schad, daß die Fahrt nicht mit meine vier Pferd durch die Bockheimergaß geht am Haus vom Herr Bürgermeister vorbei – aber das Glück bescherte mir unser Herrgott noch, denn kaum biege wir im volle Trab um die Eck, stoßen wir auf die Bürgermeisterskutsch, mitsamt dem Herrn Bürgermeister von Holzhausen drin mit seine zwei Lakaien hinten drauf mit ihre alte abgelebte Haarbeutel, – ich auch – aber meine Haarbeutel waren ganz neu. In vollem Rand fahren wir vorbei am Herrn Bürgermeister, ich grüß feierlich mit dem Fächer und hab das Pläsier zu sehn, daß mein Herr von Holzhausen im Wagen sitzen, versteinert, und sehn mich nicht mit ihre Glotzaugen; er streckt den Kopf heraus, aber umsonst, wir flogen wie der Wind vorbei.

Sollt ich nun alle Gedanken erzählen, die mir auf meiner Reis bis Darmstadt eingefallen sind, so müßt ich lügen, denn ich war sozusagen auf einer Schaukel, die schlecht in Schwung gebracht war, bald flog ich dort hinaus, bald wieder nach der andren Seit, bald dreht sich alles mit mir im Durmel herum, dann dacht ich wieder, wie ich's alles meinem Sohn wollte schreiben, und da fing mir das Herz an zu klopfen. Ich konnt's vor Ungeduld nicht behaglich finden in der Kutsch – ich fing an, die Kastanienbäum zu zählen in der Allee, ich wollt probieren, ob ich's könnt bis hundert bringe, aber ich bracht keine zehn Bäum zusammen, da waren meine Gedanken wieder wo anders. Einmal kam mir ein gescheuter Gedanken, ich dacht, was hab ich dervon? ist mir die Geschicht angenehm? – sollt sie mir nur noch ein einzigmal wieder begegnen, da würd ich mich schon besinne, daß sie mir langweilig wär. Was war das heunt morgen vor eine Komödie, was ist mir vor eine Hitz in den Kopf gestiegen, und nun steck ich in einer zweifelhaftigen Unbequemlichkeit – wo ich da hingeh zu fremde Leut, die gar nicht dran denke, wer da angerumpelt kommt. – Ohne Courage kein Genie, hat mein Sohnimmer gesagt, und will ich oder nicht, so muß ich doch einmal die höfliche Schmach auf mich nehmen, mit gesundem Mutterwitz dort in dem Fürstensaal vor einer eingebildten Welt zu paradieren und bloß für eine Fabelerscheinung mich betrachten zu lassen, ja die Welt steht auf einem Fuß, wo keiner an die Wirklichkeit vom andern glaubt und sich doch selber vergnügt fühlt, wenn er nur von so einem Scheinheiligen bescheinigt ist. Nun alleweil kamen wir wie ein Sturmwind angerasselt, ganz erschrocken, daß ich schon da bin, wie ich eben vor Ungeduld mein, es wird nie dazu kommen. Ich steig aus, die Bediente renne wie ein Lauffeuer vor mir weg. Ei, ich kann da nicht wie eine Lerch mich ihnen nachschwingen, ich seh den Augenblick kommen, wo ich weder Bediente noch Weg mehr finden kann. Ich hatt mich ein bißchen versäumt gehabt, die Krumplen aus meinem Staatskleid herauszuschüttlen, da waren sie unterdessen in einer Allee verschwunden wie ein paar Irrlichter, wir waren auseinander kommen, ich geh so dem Gehör nach, immer im Kreis ums Hofgezwitscher herum, immer näher, bis ich endlich aus meinem Schattenreich heraus unter den aufgepolsterte Hoftroß trete. Ich hielt mich im Hintergrund mit meinen Beobachtungsgaben, grad wie ein [17] General bei einer Position, die er dem Feind abluchsen will. Denn überraschen laß ich mich nicht, Mut hab ich, womit ich den Leuten, wenn sie den Kopf verlieren, ihn oft wieder zurecht gesetzt hab. Ja bei Gelegenheiten, von denen eine Frau keinen Verstand zu haben behauptet wird, da steht als dem Mann derselbig ihm allein zugemeßne Verstand still, daß er wehklagt: Ach was fangen wir an? – Da antwortet die Frau und schlägt dem Nagel auf den Kopf. – Die Welt wird immer hinkend bleiben, wenn der Verstand auf dem Mann seiner Seit hinüber hinkt, mit dem er die verrückte Weltangelegenheiten so schwermütig hinter sich drein schleppt. Was batt's den große Weltgeist, daß er das Eheprinzip in sich trägt, wenn der männliche Verstand ein Hagestolz bleibt. – Also die erst Bemerkung, die ich mach in dem mich umgebenden Hofzirkel, ist die, daß meine amarantfarbne Schleppe nicht grad ein guter Passepartout ist, denn nicht ich mit meinem Vierundzwanzigpfünderblick, nicht meine Person wird mit neugierigen Augen betracht, nein, die wird übergesehn, aber meine Falbelas, meine Taille, meine Frangen, von unter herauf, immer höher und höher werd ich scharf examiniert, bis sie endlich zur Florfontage kommen, wo die Sternblumen drauf gepflanzt waren, da halten sie an und entdecken, daß auch ein Gesicht mit kommen war, da prallen sie wie der Blitz auseinander und melden meine Erscheinung der Frau Königin, die kommt mit einem ehrfurchtsvoll gehaltnen Schritt auf mich los, ich – gleich salutiere mit einem Feuerblick vom erste Kaliber, und nun mache alle Leut Platz, und die Frau Königin wie eine schöne Götternymph führt mich an ihre Hand, und der Wind spielt in dem schneehagelweiße Faltengewand, und ein Lockenpaar, das spielt an auf jeden Tritt, den sie tut, und die blendende Stirn und die wunderschön blaßrote Farb von ihrem Gesicht und der freundlich Mund, der ganz voll allerlei Geflüster mich anspricht, verstanden hab ich's nicht, ich war durmlich von Vergnügen und konnt auch nichts weiter vorbringen als: hochgeschätzter Augenblick und liebwerteste Gegenwart und wundernswert vor Götter und Menschen – und wie sie erst die Kett vom Hals sich losmacht und hängt sie mir um, und der ganze Hofkreis trippelt und guckt. Ich hab innerlich den Apoll und den Jupiter angerufen, diese menschenbegreifende Götter sollen mir beistehn, daß ich vernünftig bleib und nicht alles um mich her für wunderliche Tiere halt, denn alle diese vornehmen Hofchargen kamen mir vor wie ein heraldischer Tierkreis. Löwen, Büffel, Pfauen, Paviane, Greife, aber auf ein Gesicht, das menschlich schön zu nennen wär, besinn ich mich nicht. Das mag davon herkommen, weil diese Menschengattung mehr eine Art politischer Schrauben oder Radwerk an der Staatsmaschine und keine rechte Menschen sind. Harthörig, hartherzig, kurzsichtig, stolz und eigensinnig Volk, und es gehört immer der Zufall und ein Verdienst um sie, absonderlich aber ihre eigne Laune dazu und noch gar viel andre Künste, um von ihnen bemerkt und gehört zu werden. Schreien und Poltern oder gar recht haben hilft gar nichts bei ihnen, ja besonders das Rechthaben, das kommt der politische Staatsmaschine ihrer [18] hochtragenden Nas immer in die Quer. »Was soll das heißen, daß man mit seim Recht an die widerrennen tut?« – Sollte das Schicksal diese Nas ausersehen haben, daß sie drauf falle, das wär kein Schaden; darum muß man ihr Platz machen. Ja von solchen ist kein christlich Gesinnung zu erwarten, das ist übrig. Man soll seines Bestallungsbriefes an die Natur sich erinnern, wenn man was mit ihne zu verhandeln hat, damit man an der doppelschneidig-weltbürgerliche Politur nicht auch mit seinen edleren Gesinnungen als ausglitscht. Das fehlte noch, daß man wie ein Lauskerl vor sich selber dasteht und darf nicht in den Spiegel gucken vom eignen Gewissen. – Solche Gedanke hatte ich in dem Tierkreis, wo die Ordensbänder und Stern und goldblitzende Staatsröck rund um mich herum blinkerte wie im Traum, und wie im Traum dacht ich, wenn ich König wär, ich hielt mir eine aparte Insel vor das heraldische Tiervolk, da könnten sie so fortleben, bis sie sterben wollten, aber mir jederzeit unter den Füßen herum zu grabeln, daß man alle Augenblicke über sie stolpern müßt, das litt ich nicht.

Wenn man aber nun bedenkt, daß diese absonderliche Abart von Menschengattung eigens da ist, um mit ihrem närrischen Egoismus die Regenten zu unterstützen bei den Weltangelegenheiten, soll's einem da wundern, wenn da alles, was geschieht, einem wider den gesunde Menschenverstand lauft? Aber das kann einen wundern, daß die Menschen sich's gefallen lassen, von denen sich regieren zu lassen, statt von ihrem angestammte Herrn, dem diese heraldische Untiere den Kopf toll machen. So ein Staatsbeamter ist wie ein Schafbock, vor Begeisterung über sich hat er den Dreher, hoffärtig ist er, vor was hat er Hörner, damit er um sich stoßen kann auf die demütigen Leute, die was von ihm zu fordern haben, ohne daß er acht zu geben braucht, wen's trifft. Ei, was kommst du mir zu nahe, siehst du nicht, daß ich Hörner hab? Das ist die Rechtfertigung. Nichts lieber tut so einer als geschwind Antwort geben, weil er da die Geistesgegenwart mit vorstellen will, und da gibt er denn auch gleich eine abschlägige Antwort, weil er meint, daß er sich damit selber nichts vergibt, und wenn man denn mit seinem guten Recht will eine Einwendung machen, da hilft's eim nichts, denn es ist Staatsprinzip, das Unrecht nicht wieder gut zu machen, an dem halten die närrische heraldische Tiere wie die Klette. Ei warum dann nur? – Nun? – Von leere Köpf, in denen der Hoffart sich eingenistet hat, von große Bäuch, wo viel mühselige Verdauungsgeschäfte drin vorgehn, kann man nicht fordern, daß sie auf Kosten dieser beiden Punkte eine feurige Partei ergreifen für die Menschheit. – Die Exzellenz sein ganz abgeäschert, sagt so ein neuer Kammerdiener in der neuen Livree von einem neuen Beamten. Ei von was? – Ei vom Beraten fürs Menschenwohl, das können sie gar nicht gewohne werden. – Ei, fort mit euch, ihr heraldischen Tiere, auf die grüne Insel, wo eure Vettern, die Paviane, und noch allerlei antediluvianische Naturexkremente vom vorige Jahrtausend als Naturseltenheite bewahrt werden. – – Nun während ich über den Darmstädter Tierkreis meine Glossen mach, wovon ein nicht unbedeutender Teil mit besterntem Bauch mit übereinander [19] schielenden Blicken und überlegenden Mienen des Menschenwohls da unter der Herd herumstolpern, spür ich deutlich, daß ich in dem Verwunderungsstrudel dagesessen hatte wie ein Schaf. Ich schäme mich, daß ich sollte mit einem so unscheinbare Antlitz die freie Reichsstadt vertreten, ich such mir eine andere Physiognomie aus, den Frankfurter Adler. No! – wie der Adler, wenn er Donner und Blitz bewacht, so sitz ich da, und die lieb Sonn, ohne Urlaub zu nemme, setzt sich auf den Reisefuß und ging hinter denen schöne Linde bergab spazieren, und der Mond kam herauf, auf den mit allerlei poetische Spekulatione angespielt wurde, ich mußt lachen über die empfindungsvolle Tonarte, in welche die Gesellschaft da überging. Nun, ich kann nicht alles aus dem Gedächtnis hervorkrame. Ich schwieg in meiner stolze Position still, denn kein Mensch hatte mir ein Wort zu sagen, seit die Paradeßen vorbei war, ich machte daher meine olympische Adlersmiene ohne Unterbrechung fort, und da war auch nicht ein Augenblick, wo ich mir nachgegeben hätt und hätt meinem Alltagsgesicht auch nur erlaubt, durchzublinzeln. – Auf emal! – schlägt mir ein Trompetegeschmetter durchs Ohr, ich fahr aus einem tiefen Schlaf, in dem ich aller Herrlichkeiten, die um mich her vorgingen, vergessen, träume, dem Herrn Heideblut und der Jungfer Lieschen meine erlebte Abenteuer zu erzähle, und ganz vergnügt bin, daß alles überstande ist. – Ja, der vermeint Adler hat den Kopf in sein Spitzekragen gesteckt und war unbewußt seiner entschlummert über dem viele Geschwärm von alle bedeutungsvolle Momente, die mir da in eim Hui ins Alltagsleben hereingestoben kamen, und ich, als in der Meinung, meinen olympischen Götterglanz fortzubehaupten, fall aus der Roll heraus und in Schlaf. Mit natürliche Dinge war's zugegangen; denk sich einer die verschiedene Motionen, dene ich vom frühen Morgen an ausgesetzt gewesen war, es war ja alles wie ein Traum, war's da ein Wunder, daß ich's am End für ein Traum hielt und ruhig weiter schlief? – Und die Nachtdämmerung – und ich saß ja da für gar keine weitere Geschäfte, als bloß Betrachtung anzustelle, was doch die Parze vor eigensinnige Begebenheiten einem in den Lebensfaden einspinne. – No! Als ich mit einem Schrecke durch alle Eingeweide aufwach, hat sich die Szen verändert, das Gebüsch wirft keinen Schatten mehr auf dem leeren Platz, weil alles Tageslicht gewichen war, der Trompetenstoß, der mich von meinem tiefe Schlaf auferweckt hatte, war aus dem Tanzsaal erschallt, wo helle Fackeln brenne, wo die ganze Hofnympheschar in einem schwebende Tanz mit dene heraldische Kavaliere herumhüppen; aus den unterirdische Kellerhäls dampft ein köstlicher Speisegeruch, in denen sieht man die Herrn Köche mit weißen Zipfelmützen munter und alert Fett in das Feuer werfe, daß es hell aufflackert, die Champagnerflasche hört man im Plotonfeuer losknalle, und die Frau Rat, die zu diesem Göttermahl feierlichst eingeholt waren mit vier weiße Schimmel, die sitzen unter einem Vogelkirschbäumche, welche Frucht man bekanntlich nicht esse kann, und spüren Hunger.

Ja! so auf die Probe gesetzt zu werde, wo man sich selber rate soll, ohne daß [20] einem irgendeiner widerspricht, das ist unangenehm; denn im Widerspruch, wenn er einem auch in die Quer kommt, liegt doch eine Entscheidung, man besinnt sich und weiß am End, was man tun soll, aber der Nachttau, von dem mein stolzer Lockenbau einsank, und alle Steifigkeit aus der Florgarnierung war zum Teufel gangen, und nun gar noch haus zu stehn vor dem Tanzsaal mit ringende Hände, nit wisse, wie mer enein solle komme! Dazu geigen die Violinen ein fürchterliche Krätzer ins Ohr. Nun der gute Rat war einmal nit geharnischt und beritten heunt; sogar kein Lust, Tabak zu schnuppe, hatt ich mehr, was mir immer nur in dene verwirrteste Gelegenheite widerfahren ist.

Aber jetzt paßt einmal auf und gebt mir recht, denn obschon meine Erzählung nur die auswendige Welt berührt, so hat sie doch Saiten, die klingen mit großen Weltgedanken zusammen, und fast jedes Lebensereignis gibt uns einen Anlaß, daß wir uns auf eine innere Macht besinne solle und mit der den Lebensweg getrost vorwärts schreiten. Was hilft mich's, den Nachbar zu fragen, wie er an meiner Stelle denken oder handlen würde. Ei wann der sich drauf besinne soll, so konnt auch das Schicksal es ihm passieren lassen; also mit meinen eigentümliche Anlagen muß ich die meinige Begebnisse durchfechte, denn sonst verzettel ich mein Lebenslauf, denn warum? es ist kein Halt drin. Und ein Landesherr stirbt, und es kommt ein anderer, und der fragt, wie hat's mein Papa gemacht, und der hat's wie der Großpapa gemacht, und der wie der Urgroßpapa, und wann stößt man da endlich auf einen, der's aus eignem Gutdünken gemacht hat, und ein solcher war allemal ein großer Mann! ganz neue Anlage mußten dabei in ihm aufwachen. Denn Halt zu machen, dazu ist der Mensch nicht da im Leben, fertig werde kann keiner, jeden Augenblick, und wann es der letzte wär, kann noch was Wichtiges vorgehn in ihm. Was heißt das, ich bin schon zu alt, ich mag nichts mehr lerne! – Ei bist du nicht zu alt zum Atemhole, zum Essen, Trinken und Schlafen, so sei's auch nicht zum Denken. – Wer hat dir dann das weisgemacht, du wärst zu alt? – Was ist alt? – Das ist eine Fabel, oder einer müßt dann Verzicht auf die Ewigkeit tun, wozu ich aber nicht Lust hab, Widerspruch gibt's nicht in der Natur, sie ist konsequent in alle Dinge, so wird sie's auch im Geist sein. Nun, wenn ein Baum blüht, so möge vielleicht noch andere Gründe vorhande sein, die wir jetzt nicht erörtern wollen, aber gewiß ist, daß ein ganz in die Augen fallender Grund der ist, daß aus der Blüt schönes erfrischendes Obst wird; der Natur ihr Ziel ist also das Leben, sie strebt immer nach dem Lebendigen, – so schön und luftig die Blütezeit ist, so muß man doch die Zeit, wo das Obst reift, am meisten respektieren! Denke doch einmal, sie steigt herauf, die Natur, in alle Baumzweigelcher, und so schön ihr die Blütezeit läßt, und so verliebt sie auch in ihre eigne Jugendschönheit ist, sie schüttelt sie sich ab, und nun arbeit sie eifrig in der heißen Sommerzeit, alles sammelt sie, den Regen, den Sonnenbrand, bis sie ihre Kirsche zustand gebracht hat, nun gibt sie's dem Menschen hin; ist das nicht eine große Lehr, die sie gibt? – Heunt noch übersät mit den [21] schönsten roten Korallen, schüttelt sie alle herab dem durstigen Mund; ist das nicht eine zweite gute Lehr, die sie gibt, daß wir alles andern schuldig sind und sollen gar nichts veruntreue den allgemeine Bedürfnisse, und wär aber das dem Wille der Natur nach gehandelt, wenn der Baum mit seim Ältervater seim Backobst sich behängen wollt, statt erst zu blühe zum Ergötzen der Menschheit und dann gesunde Früchte zu tragen zu ihrem Gedeihen? – Ei frag doch so ein närrische Kerl, warum er doch er selber ist? – Denn originaliter zu sein, das ist erst wirklich sein, und das macht erst die Zeit zum Gepräg!

Was hilft's, daß so ein Gesicht von einem Landesherrn auf die Batzen geprägt ist, wenn er der Zeit seinen lebendigen Geist nicht einschmelzen kann, wann er ihrer harmonischen Stimmung fürs große Ganze immer mit der alt Leier den Garaus macht und jeden musikalischen Gedanken durchkreuzt und ein Scharivari draus macht? So geht's aber, wenn einer von dene alte Hutzel und Schnitzel nicht lasse will und durchaus kein frische Äpfel will zulasse zu speise, aus Furcht, es möcht vom Baum der Erkenntnis sein! – Ach welche dumme Weisheit hat doch der Mensch! welche Streiche spielt ihm der Teufel! – Du sollst nicht vom Baum der Erkenntnis essen. Das spielt ihm der Teufel in einer kleine Komödie als ersten Akt der Weltgeschichte vor. Der Mensch muß selbst eine Rolle drin übernehme und sich dabei mit Schimpf und Schand aus dem Paradies hinausjage lasse, und noch heunt hunzen einem die Prediger auf öffentlicher Kanzel aus davor, und doch war's nur ein Schabernack vom Teufel und nicht Schuld vom Menschen!

Ei, Gott wird einem ein Baum vor die Nas stelle mit wohlschmeckende Früchte und die größt Lust einem dazu erwecken und dabei auf Tod und Leben verbiete, sie anzurühren! Ei, wär das nicht Ja und Nein von dem Herrgott gesagt?

Wenn Gott den Baum wachse läßt, und du hast Appetit auf sein Obst, so speise vom Baum der Erkenntnis, so würde zum Beispiel die Sachsenhäuser urteilen und zwar mit Recht, denn alles, was du genießt, muß zur Erkenntnis werden in dir, sonst hast du nicht moralisch verdaut, und alle Früchte, die du aus dir selber reifst im Verstand und im Herzen, die sollen aus dieser Erkenntnis hervorgehen und sollen wieder Früchte der Erkenntnis reifen in den andern, und die ganze Menschennatur soll ein blütevoller und schwer mit Früchte beladener Erkenntnisbaum sein, und so ein Landesvater soll wie ein guter Wirt vom Apfelwein, wenn er die Apfelbaumallee nach Oberrath und Offebach zu gepacht hat, alle schleifende Baumzweig unterstütze und acht gebe, wann der Sturmwind in der Geschichtswelt daher gesaust kommt, daß diese mit Erkenntnisfrüchte beladne Baumzweig nicht knacke und breche von ihrer Wucht oder ihre schöne Früchte müsse fallen lassen, eh sie reif sind, wo sie dann Futter werde vor die Schwein, aber kein seelenerquickende Genuß geben: ja wer weiß, ob wir nicht selbst eine Gattung Gedankenbäum sind, die ihre Früchte tragen für andre Wesen, die in einem [22] Element wohne, was wir nicht gewahr werde, so wie das Kirschenwäldche seine Herzkirsche für die Frankfurter Bürgerschaft trägt und auch nicht den Menschen gewahr wird, der da kommt und seine Frucht abbricht und genießt. Doch kann man das nicht genau wissen, es kann leicht sein, daß der Baum sein Gärtner kennt, der ihn großgezogen hat. Daß ein Baum dem eine Gärtner lieber folgt wie dem andern, davon hat man die deutlichste Beweise, einem Gärtner vor dem andern gedeiht alles, da mag sich einer spät oder früh plagen, hat er die gesegnet Hand nicht, die dem Sträuchelchen die Blume herauslockt, so ist seine Bemühung umsonst.

Nun machen wir den Schluß so weit, nämlich daß, wann die Natur immer einen Zweck hat, auf den sie lossteuert, der Mensch auch einen hat, und wenn ich das Klaglied hör, – ich bin schon zu alt, so muß ich mich betrüben über den Unverstand, bis zum letzte Augenblick, als Gott einem die Geistessonn auf den Gedankenbaum scheine läßt, solle die Gedanke auch sich dran sonne und reifen, und daß es nicht umsonst ist, das beweist uns schon, daß es dem Menschen keine Ruh läßt, alles wissen und fühlen zu wollen, alle Arte von Erfahrung machen zu wollen. Ei, unser Herzog Karl von Weimar hat als so ein junger Fürst, als er war, immer die größt Begierd gehabt, alles zu verstehn. Wie oft hat er zu meinem Sohn gesagt, nur eine vierundzwanzig Stund möcht er in der Höll sein, um alle Erfindungen zu sehen, die von dem Teufel gemacht werden, um sich zu frischieren in ihrem Backofen, und wie sonst ihre Zeit sie zubringen, denn von den Himmelsbewohner wissen wir, daß sie mit Musik sich die Zeit vertreibe, mit Hosiannasinge und Halleluja, was nicht besonders lauten müßt, wenn sie nicht so perfekt wären in ihrem Gesang, wie das vorauszusetze ist, weil sie ewig dasselbige aufspiele, daß sie's vielleicht durch Verfeinerung dahin gebracht haben, daß man sich daran gewöhne kann. Gottlob, die Gewohnheit macht manches erträglich, hab ich mich doch an die verflucht Plump gewöhnt, die in eim fort da vor der Tür greint, wo alle Nachbarsleut Wasser dran hole, so daß, wenn sie an so einem Tag, wo ein Volksfest ist, wo alle Leut aus der Stadt laufe nach der Pfingstweid am Kringelbrunne oder auf den Schneidwall oder ans Stallburgsbrünnche, still steht, so denk ich, was fehlt mir dann heut? – und dann wird mir's als so trocken in der Kehl, als ob ich für alle Leut Durst haben müßt, ich schick herunter und laß eine Bouteille Wasser nach der andern hole, damit ich die Plump gehen hör, so wird Gott sich auch daran gewöhnt haben, daß es ihm ordentlich ungewohnt sein mag, wenn die Lobsänger eine Pause zu machen manchmal genötigt sind. Ob sie sich selber dabei amüsieren, das ist gar keine Frag, denn wir wissen, daß ihnen die Zeit gar schnell vergeht, denn die Heilige und Prophete, die in den Himmel verzückt waren, die haben oft hundert Jahr und länger damit zugebracht, und als sie wieder aus ihrem Himmelsversatz herauskamen, da waren die hundert Jahr herumgelaufen wie ein Augenblick; solche Streich spielen einem die himmlische Freude, aber auf die war der Herzog nicht lüstern zu machen, denn so kurz das war, so war es ihm doch viel zu langweilig, nur nach denen [23] höllische Unterhaltungen hat er gelungert, und da konnt ich ihm hundertmal mein Beispiel mit der Plump vorhalte und mahne, die Gottseligkeit nicht ganz zu beseitigen, damit hat er mich ablaufen lassen. Warum erfinde sich die Engel nichts Gescheuteres, hat er gesagt, damit könne sie kein Hund aus dem Ofen locken, aber wohl hineinjagen, und nun gar der Weihrauch, da will ich lieber dem schlechteste Bauer sein schlechte Kneller riechen.

Der Herzog konnte nun überhaupt kein Weihrauch leide, er liebt die Schmeichelei nicht, er meint, man könne nie mehr wie seine Schuldigkeit tun, er hing an dem merkwürdige biblische Satz: »Und wenn du alles getan hast, so bist du doch nur ein unnützer Knecht.« Und er sagt, er wär bloß neugierig, um der Menschheit durch das, was er lernt, nützlich zu werden, und so möcht er nichts lieber, als nur einmal ins Kindbett komme, damit er wüßt, wie das tät, ich sagt, das Pläsier würde wohl mit dene Hölleunterhaltungen akkordieren.

Sehn Sie, so ein neugieriger Landesherr ist unser Herzog von Sachseweimar in seine junge Jahre gewesen, und er ist es noch, und ich stehe dafür, daß er gar manches erfahren und sich zu eigen gemacht wird haben, was kein anderer ahnt. Dafür könnt ihm aber auch kein anderer was weismachen, meint er. Ja, Gefahr und Not und Angst wär einem am End noch der best Lebensgenuß, wenn man's überstande hätt; ein Soldat freut sich über die Feldzüge, die er gemacht hat, ein Seemann freut sich über den Sturm, den er erlebt hat, und genug, es ist kein Ereignis und Schicksal, was sich nicht auch in eine Nahrung der Seele reifte.

Ja, das sind so Anschauungen und Prinzipien, die könne nur allein aus einem edlen vollkommen feurigen Gemüt hervorgehen, aus einem, der's verdient, ein Fürst zu sein, weil er's nicht scheut, sich und sein Volk dem Welleschlag des Zeitenstroms preiszugeben, wovor die andern all wie die Hasen ausreißen, aber das ist allemal verspielt, und der Herr wie der Untertan sind da beide die elende Sklaven des Zufalls und werden gewöhnlich zermalmt, wenn der reißende Strom einmal plötzlich den Damm durchbricht und mit einer viel gewaltigere Wut auf solche unbewaffnete, im Vorurteil versunkne geistlose Naturen eindringt, als daß sie sich besinnen könnten, wenn sie auch Erfahrung hätten. Die haben sie aber ohnedem nicht, so geht denn Zeit und Ereignis und alles an ihne verloren und zum Henker, bloß weil sie sich fürchte, was Absonderliches zu erleben.

»Aber!« sagte der Herzog, »nur das Absonderliche ist Erlebnis für die feurige lebendige Gemüter. Todigen Menschen aber macht's Leibschneiden, und da sitzt so ein toter Furchthas und hält sich als den Bauch und krümmt sich, bis die Zeit wieder ruhig ist, und schwitzt seinen Kamilletee darzu, während ein Erlebter und Durchlebter wie ein Fisch im Wasser drin herumschnalzt.«

Man könnt das Schicksal mit einem Baum vergleichen, der lauter Früchte reift, um die Seel mit zu nähren. Denn einer, der diese Kost der Drangsale nicht scheut, der wird auch seinem Schicksal gewachsen sein, es zu verdauen.

[24] Aber einer, der kleinlich genug ist, sich vor allem zu fürchte, was hilft es dem, wenn das Meer erbraust in Geburtswehen, und wenn da plötzlich die Inslen der Freiheit neu geboren, und die also gewiß auch keinen Herrn haben, vor seine Augen aus dem Meeresschoß hervorkommen, er wird sich ja fürchte, sich frei zu fühle, und wenn ihm das Herz auch zittert vor heißem Verlangen. Und er wird über den Erdboden auch nicht sich erheben, denn er fürchtet sich vor dem Aufrauschen seiner Flügel, und wird endlich erstarren im Gefühl des Unvermögens, und die Inslen und Meere und blühende Gärten, ja die Welten alle der Geisteskraft, die gehen wieder unter, und das prächtige, aufgeklärte, mit volkreichen Städten prangende Europa, was soll das ihm, und was soll einem solche die Unsterblichkeit, denn er fürcht sich ja vor ihr, er fürchtet sich vor ihrem schimmernden Licht, und seine Gedanken, sie werden nicht am Wolkenfußschemel des Allgeistes anklingen. Was kann er da für sein Volk tun, das so laut, so kräftig und so aufrichtig zu ihm gerufen hat; ja es gehört Mut zur Unsterblichkeit. Alert muß einer sein, denn sie ist kein Schlafmütz, sie ist Allebendigkeit. Aber die Eier, die der Osterhas am Auferstehungstag ins Gras legt, davon kann sie sich nicht erhalten. Bequemlichkeit, Selbstzufriedenheit, Genügsamkeit und wie die überflüssige Bausteine des Glücks all heißen, von denen der Mensch meint, daß sie ein Beweis wären für seine moralische Gesinnungen und ein Lohn dafür, daß er auf dem Weg des Herrn wandle. Ja dergleichen ist für den nicht mehr brauchbar, der der Unsterblichkeit sich hingibt und dem großen Genius vertraut, der ihn mit sich erheben soll, ein solcher sieht wohl ein, daß Glück, was den Menschen seßhaft und preßhaft macht und an der Scholle fesselt, ihn durchaus nicht weiter fördern kann. Und drum kommt mir's auch immer lächerlich vor, wenn man einem Fürsten seine Regententugenden danach abwägt, wie er seinem Volk hat irdische Glücksgüter und Vorteile zugewendt. Laß erst einmal ein Fürsten sein, der diese Schneiderkünsten, sich Lappen und Flicken anderer Länder anzunähen, verachtet, der bloß durch seinen Geist die Oberhand behält, durchgreift durch alle politische Künste dieser fürstlichen Allmeine, indem er die verlornen Rechte der Menschheit wieder einsetzt; und für ihre Würde kämpft. Nun was ist denn Menschenwürde? Daß er allem irdischen Glückswechsel gewachsen sei, also darauf kommt's nicht an, daß man vollauf besitze, was die Not einem entbehren lehrt, sondern auf die freudige Ausdauer im Wechsel der Geschicke, und wenn ich erst den Fürsten sehe, der sein Volk mit sich zusamt erzogen hat auf die freudige Ausdauer im Mißgeschick, dann will ich ihn loben; denn warum, er hat den Geist verstanden, daß dem das irdische Glück überlästig ist, und daß der erstickt im Daunebett des Wohllebens, das ihm über dem Haupt zusammenschlägt, daß er vor lauter Glücksunrat nichts mehr hören und sehen kann.

Wer nicht an die Unsterblichkeit glaubt – wie ich denn weiß, daß die superkluge Menschen als so was denken, dem sag ich, sie will errungen sein, und das ist die Faulheit im Menschen, die das leugnet. Die Unsterblichkeit erringen [25] bei den vielen andren Versäumnissen, die man schon machen muß, wo kommt die Zeit her? fragt ihr – und doch ist's nur Unsterblichkeitsdrang, der den Menschen ins Leben fördert. Eine Seele würde sich dem neunmonatlichen Gefängnis im Mutterleib nicht unterwerfen, wenn sie nicht sich gedrungen fühlte, in diesem menschengebornen Leib ihre Unsterblichkeitsbefähigung zu entfalten. Aber die wahre Unsterblichkeit, das ist der reine große furchtlose Menschensinn, der nicht am Irdischen hängt. – Und ich geb's zu bedenken, daß es kein Rätsel, sondern eine große Dummheit wär, zu glauben, all die Einrichtungen der Natur, die dem guten und gerechten Menschen seine Seel reifen, so daß, der als kleines unverständiges Kind auf die Welt kommt, jetzt als großer Held an den Pforten der Ewigkeit steht! Daß diese Laufbahn umsonst wär? – Hat Gott so ein jung Leben genährt und geschützt, und zwar, damit der Geist soll in ihm Wurzel fassen und blühen und Früchte tragen, so ist das nicht, daß er am End die Menschheit wie eine Mücke totschlägt, die ihn inkommodiert. – Man sagt zwar, Gott hätt die Welt in sechs Tag gemacht und am siebenten Tag geruht, da wär also die Versäumnis nicht zu rechne, zumal die Ewigkeit ohne End sieben Tag liefert, wenn er aus Schöpfungsdrang die ganz Menschheit als wieder einmal in Lehmepatzen zusammendrückt, um nach einem so langweiligen siebenten Ruhetag in den Lehme hineinfahren zu könne und drin herum zu kneten bis über die Ellenbogen, was ich aber für Narrheit halte, und aus mehreren Gründen, denn einmal ist keiner dabei gewesen, der's gesehen hat, daß der Gott sich eine Woch lang mit der Schöpfung abgeäschert hätt, – zweitens hat sich's also einer unterstande, das zu behaupten, was er doch nicht von unserm Herrgott hat vertraut kriegt. – Ein solcher hat es also der Menschheit weisgemacht, und die hat's fest geglaubt und wird's noch glauben. Aber auch das hat sein Nutzen, nämlich daß die Menschheit endlich gewahr werde muß, wie sie sich alles weismachen läßt und fest und steif dran hält, als ob der Gott ihr nicht selbst den Verstand ins Herz gelegt hätt, zu denken? – als ob der Geist nicht dadurch allein, daß er die kühnste Dinge voraussetzt, endlich auf die einzig wahrheitdurchdrungne Position komme sollt, nämlich auf den Begriff, der bloß durch dem Geist seine Freiheit kann geboren werden.

Ich will gern glauben, daß, was Menschen sich einbilden oder erfinden, eine Basis der Wahrheit muß haben, denn warum? – sie sind dazu geführt worden dadurch, daß ihre Unbewußtheit nach Bedürfnis sich in ihrer Anschauung hat ausgestreckt. Da sind denn endlich die Fabeln ihnen auch Wahrheiten geworden. Und was den Aberglauben betrifft, der eigentlich der Garderobemeister ist von diesem Mummeschanz des menschlichen Geistes, so wird den die allgewaltig Zeit schon unter seinem Plunder ganz sanft zu Grab bestatten. Aber zu lang muß es auch nicht dauern, daß man den gute alte Hans über der Erd läßt, um seine Furcht zu respektieren vor dem Lebendigbegrabenwerden. Wann's anfängt in die Luft zu steigen wie Verwesung, was soll man da noch lang Bedenken tragen? Wissen wir nicht, daß dies der [26] Gesundheit unerträglich ist? Also fort mit dir, wie vergnügt sind wir! – Nein, der Glaube soll kein stehender Sumpf werden für die Denkfähigkeiten, daß die am End drin verwesen und verdumpfen.

Also nennt das nicht Aberwitz, daß ich an die sieben Schöpfungstag nicht glauben will. – Denn wer über eine Sach nachdenkt, der hat allemal ein größeres Recht an die Wahrheit, als wer sich von einem Glaubensartikel aufs Maul schlagen läßt. – Ich möcht wissen, ob die Wahrheit nicht eher dem sich hingibt, der mit Eifer um sie wirbt, als dem, der ihr den Rücken dreht und sagt: »Nun ja! es ist schon gut, alles ist abgemacht im Glaubensartikel; belästige mich nicht mit deine Wahrnehmungen, die du mir aufdrängen willst; – ich hab schon Müh genug, an den ewigen Wahrheiten festzuhalten, käme mir nun gar noch Zweifel, so hätt ich kein Brett, ja kein Strohhalm, um mich in dem schwankenden Meer festzuhalten!« – Ei Narr, warum willst du dich festhalten? laß los, du kannst allein schwimmen, aber lern deine Glieder bewegen, und helf dir, und seh, was das für eine Selbstheit erwirbt, wenn man alles lernt berühren und um-und umdrehen von allen Seiten. Ei, die Natur gibt auch nicht alles von selbst hin, nur das Notdürftige – das andre muß man alles erwerben. – Die große Chemiker haben ihr gar sehr müssen unter die Augen sehen, ehe sie ihren Blick verstanden haben. »Schelm!« haben sie als gesagt, »du hast uns wolle was weismachen, aber wart, wir wollen dich schon fassen.« Nun, und da haben sie immer mit neuem Eifer und mit ewige Zweifel über das schon Festgestellte wieder von vorne angefangen, und grad diese Zweifel sind ihr Ruhm geworden. – Also sollt man beinah glauben – alles, was als Glaube festgestellt ist, das wär da, um seine Zweifel dran auszubilden und zum Selbstdenker sich umzuschaffen. Ich bin in meiner Jugend in einem Verein gewesen von einer christlichen, die biblische Wahrheiten in ihrem Lebensumgang verwirklichende Sekte. Es war der Erfahrung wert, zu sehen, von welchem beschränkten Gesichtspunkt wir unserm Schöpfer Himmels und der Erden da haben zugesetzt, was wir da all um des ewigen Heils wille uns zugemut haben, zu tun und zu lassen. Man mußt ein Pinsel oder ein Narr sein dazu. Und ich will's mit Stillschweigen übergehen. Aber wahrhaftig, hörte einer einen Hund bellen in der Nacht, ohne daß sich ein Lärm sonst spüren ließ, so kame einem die wunderlichste Gedanken, als ob es nicht allenfalls der heilig Geist könnt gewesen sein, der in der Mitternacht über den Hof wär kommen und hätt einen Besuch wolle abstatten und die Hund (unserer war noch derzu ein schwarzer Spitz) hätten in der Luft ihn gewittert und verscheucht. Solche Träumereien kamen vor in unsern Konventikeln, alle Augenblick hatte eins ein solch Fabelchen halb erfahren, halb erdacht und eingebildt, das bracht er vor, um die andern mit zu erbauen. Und glaubt man's oder nicht, es geht von Mund zu Mund, und man kreuzt und segnet sich dabei und denkt an die gottlose Zeiten, wo der heilig Geist nicht einmal unberufen ein Viertelstündchen bei einem brüten kann. So geht's aber mit all dergleichen; man behaupt's, aber man glaubt's nicht.

[27] Nur Wahrheiten kann man glauben; aber die kann man auch nicht leugnen, man sitzt mitten drin, als wär man hineingeboren, da wirft der Geist den alten durchlöcherten schmutzigen Madensack des Aberglaubens ab und bewegt sich frei im Geniusgewand der Wahrheit, dieses aber besteht nicht aus einem wollnen Unterrock und Holzpantoffeln der Demut, nicht aus einem Kapereinchen ohne Garnierung, und auch nicht aus West und Hosen und Überrock ohne Knöpf und einer rundlockigten Perück. Nehmt's nicht übel, Hose trägt der Genius nicht und kein grobwollne Unterrock. Seine Montur besteht lediglich in ein Paar ungeheuere mächtige Flügel, mit vollen warmen Daunen der Menschenlieb, mit denen er zu den Bergen sich aufschwingt, wo er die allbelebende Sonn kann heraufkommen sehn, und kann sich satt trinken in ihrem Licht zum Morgengruß, und dann sich erheben und nicht scheuen, hinauf über die gewittertürmenden Wolken sich empor zu tragen. Ha! was kann den starken Fittich brechen dem Luftschiffer, der's verachtet, etwas ins Aug zu fassen, was unter ihm ist, der einer himmlischen Küste zusteuert. »Aufwärts, aufwärts, zu dir, alliebender Vater!« – – Da müßte man doch berechnen, daß es Himmelskräfte gäb, die ihn wieder niederdonnern. Aber was hat er denn verbrochen, daß Gott sollt Alarm blasen lassen gegen ihn? – Denkt ihr euch den Gott nicht besser wie euch selber, die ihr alle Augenblick einen Prozeß habt um einen Grenzstein? – Ach nein! Alles Mein und Dein ist eigentlich nur Täuschung, in der die irdische Menschheit und vorab die Fürsten befangen sind. Die, sag ich, vorab, weil ihre geistige Anschauungen über das Wohl der Menschheit immer eine so allgemeine sein muß, daß Grenzen von Mein und Dein dabei gar nichts bedeuten. Ihr versteht mich nicht? – He! – Laßt euch sagen: – Der Mensch hat einen Leib! – Der Fürst im geistigen Sinn genommen hat auch einen Leib. Das ist sein Volk. Wie käm's euch vor, wenn der Nachbar von euch wollt das Terrain seines Leibes ausdehne und wollt euch ausmerglen, um sich selber fett zu machen? – Nicht besonders schön und edel, und zu riskieren wär, daß er durch diesen unverschämten Unverstand seine Gesundheit, all seine leibliche und geistige Fähigkeiten, verliert. Seht ihr nun, im höhern geistigen Sinn gilt nichts von Mein undDein. Wie sollte also Gott den Menschengeist zurückdrängen wollen, der im Geniusgewand, also im bräutlichen Gewand an sein Gastmahl tritt? –

Aber wo versteig ich mich hin? Von meiner Enttäuschung über meine Sekte, die gar nicht durch ein himmlisch Donnerwetter, sondern durch eine Nachtmütze ist bewirkt worden, und woraus man schließen kann, daß selbst das Geschick ökonomisch mit denen Werkzeuge seiner Macht umgeht, und daß, wann es einen Floh will knicken, es nicht den Berg Ossa auf ihn fallen läßt. Die Sekte, die hier in meiner liebe Stadt Frankfurt wie die Gretel im Busch aufgeblüht war, mitten im Luxus von den Reifröcken, Paniers, Andrieng, cu de Paris, Fontangen, Merluchen und wie die bizarre Modenamen all zu nennen beliebt werden. Die war nach Art der Quäker; man durfte keine Schminke tragen und nichts von titulierten Kleidungsstücken.

[28] Zusammenkünfte wurden gehalten, darin wurd gesungen und gebetet in einer schläfrig näselnde Weis, worüber ich meine Ungeduld kaum bezwingen konnt, auch Inspirationen, vorab gingen die immer darauf aus, wie das Verhältnis vom Himmelsregiment wär. – Mir wollt darüber nichts einleuchten, ich mußt schweigen, wenn die andern ihr ungereimt Zeug vorbrachten, das war mir unangenehm.

Einmal waren wir über Land gefahren, um in einem Landwirtshaus eine Zusammenkunft zu haben, es war im Frühjahr; bis wir all uns versammelt hatten und in einer Reih dem Tor hinaus gefahren, hatte sich die Zeit verlaufen. Wir rechneten auf den Mondschein, der kam sehr bald und beleuchtet uns das Ziel unserer Reise. Das war eine lange eiserne Stang, die sich ausstreckte vom erste Stock am Wirtshaus, woran das Schild hing. Wenn der Wind ging, so bambelt das Schild hin und her. Wir fahren über einen großen Anger im Abendwind, wir sehen in dem im Mondschein verscheidenden Tagslicht etwas Weißes schweben, was sich von dem schwankenden Schild durchaus nicht entfernen will. Die Wagen halten still, um ihre Bemerkungen zu machen, wer rät nicht auf den heiligen Geist. Voller Verwundrung, daß wir endlich einmal mit leiblichen Augen etwas sehen könne, was der Einbildungskraft zu Hilf kommt, fahren wir auf besagten heiligen Geist los, den wir da um das Wirtshausschild herum schwindlen sehn. Wir fahren in einem Bogen um das große Wiesegeländ herum auf eine Brück zu, so daß wir den heilige Geist am Schild immer im Aug behalte. Alleweil kommt eine Wolk, die den Mond verbirgt, sowie er durchpassiert ist, sehn wir auch den heilige Geist wieder und hören einen gewaltigen Tusch von Pauken und Trompeten blasen, er schwingt sich hinauf aufs Bierschild, als wollt er von dem volle schäumende Becher, der drauf gemalt war, nippen. Wer denkt da nicht an dem Apelles seine gemalte reife Trauben, nach denen die Vögel auch so lüstern waren, daß sie mit ihre krumme Schnäbel ihm habe die gemalte Leinwand durchgepickt? – Doch im Näherrücken will uns die Phantasie nicht mehr so herzlich dienen. Wir wollen gar zweiflen, wir leiden Anfechtung an unserm Glauben, der Teufel spiegelt uns vor als wär's eine Nachtmütz, keiner mag's dem andern bekenne.

Ja wie toll, sich einzubilden, eine Nachtmütz könnt da an der lange Stang vorne am Haken hängen und herumschwippe, bald unten, bald oben über dem gemalte Bierglas. Dummer Lügen braucht der Teufel sich nicht zu bedienen, um einem aus dem Port des Glaubens, in den man glücklich eingelaufen war, wieder hinauszustoßen auf das stürmende Meer des Unglaubens! Es war aber doch eine Nachtmütz, ein vor Freude trunkner Bräutigam, der da seine Hochzeit feierte mit einem schöne Bauerndirndel, der hatte im Übermut seine Nachtmütz hinausgeschwungen, und dort blieb sie zum Wahrzeichen hängen einer pläsierlichen Hochzeitsnacht, und die Musikanten haben die ganze Nacht da Schelmeliedercher musiziert, und sooft der Wind die Mütze herumdrehte, so haben sie Tusch geblasen, und der Wirt meint, sie sollt hängen bleiben bei Wind und Wetter bis übers Jahr. Von [29] unserer Vision war die Red nicht mehr, wir wurden wegen unserer schlichten Kleidung gleich recht herzlich eingeladen und tanzten die ganze Nacht durch in einer gemischten Gesellschaft mit den lustigen Hochzeitgästen herum. Unsere Andacht war auseinandergeflogen wie Spreu, und von dem Datum an hat die Brüderschaft ein stillschweigend End genommen. Und wir wollen auch vor heut ein End machen, wir haben uns vergaloppiert in allerlei Nebenerzählungen. Ich wollt eigentlich dartun, warum ich an die sieben Schöpfungstag nicht glaub. – Aber das wollen wir auf ein nächstes Mal versparen, wo ich auch meine Geschicht auserzählen werd, denn für heut hab ich genug geschwätzt.


[30] An einem schönen Sommerabend vor dem Schaumaintor, nicht weit von dem grünen Platz, wo der Kringelbrunnen steht, erzählt die Frau Rat weiter:

Kann mir einer sagen, wo wir geblieben sind? – »Im Garten im Mondschein.« – Ja, ja, ganz recht, aber was haben wir da verhandelt? – Denn sonst wär meine Geschicht gleich aus, wenn ich wie die große Herrn mit Relaispferd durchsause wollt, ohne die geringste Erfahrung zu machen unterwegs, ohne die geringste Entdeckung oder Bemerkung als bloß, daß es wie der Wind über Stock und Steiner hinausgeht! – Nein, wir fahren mit einem Zauderer – der alle Viertelstund ein Schnäpschen nimmt und alle Anrand Futterung hält. – So bin ich einmal nach Heidelberg gefahren mit siebenzehn Futterungen und einundzwanzig Schnäpse und hab doch Geduld gehabt; so muß man mit der Frau Rat auch Geduld haben, und heut hab ich grad Lust nach einem kleinen Räuschchen; denn von den Wirklichkeiten ist so nicht mehr viel zu erzählen – nur noch von denen Einbildungen.

Aber erst muß ich mich über die sieben Schöpfungstage ausweisen, warum ich an die nicht glaub, denn weil man sich so in der Stadt erzählen wird – denn es haben es zu viele Ohren gehört, als daß es nicht sollte verdreht werden – daß die Frau Rat ein Atheist wär und nicht an jenen unter den Christen ausgemachten Ursprung von Himmel und Erd glaubte, so will ich – ehe ich an unserer Erzählung fortbau (denn die werd ich auch nicht im Stich lassen) – doch auch Gründe und Ursachen darlegen, nach denen man überlegen mag, ob ich vielleicht recht haben könnt.

Bei mir ist ein Grund eine Verschiedenheit von einer Ursach. Zum Beispiel: Ein Grund wär bei mir, daß ich durchaus nicht leiden kann, etwas als gewiß wahr anzunehmen, was nur aus menschlichem Urteil hervorgegangen ist, denn warum hat der Mensch sichs einfallen lassen, etwas als Wahrheit festzustellen? – Etwa weil er nicht mehr aus und ein weiß über seine viele Vorder- und Nachsätz, die er all hat aufgebunden kriegt, und weil er es eben nicht besser sich vorstellen konnt? Das ist aber noch gar keine Beweisführung, daß ich mir nichts Bessers denken könnt! – Und warum hätten wir die vielen Spekulationen im Kopf, wenn alles schon ausgedacht und nichts mehr zu besinnen wär? – Da wären also die ganzen Denkfähigkeiten umsonst uns im Kopf wie eine grüne Saat aufgegangen, und der Weizen, den sie trägt, der wär für die Feldmäus allein? – Ich frage? –

Nun mag's sich einer überlegen, für mich gibt's nichts zu überlegen; ich bin davon überzeugt, daß man seinen Verstand brauchen soll wie ein gutes starkes Pferd von einer feurigen Rasse und über Stock und Stein dahinrennen [31] und vor so einem Schlagbaum von Glaubensartikel nicht umwende. – Nein? – Die Sporn eingesetzt und – drüber hinaus als fort in eim Feuer mit deinem Geist dem himmlischen Erzeuger in die Arme. – Und wenn ich nun bei dem allwissende Schöpfer herangeprallt käm, und es wär allenfalls doch wahr, daß Gott die Welt in sieben Tag gemacht hätt, was meint ihr dann, daß Gott mich dafür strafen würde, daß ich das nicht im Leben hätt glauben wollen? – Wenn er in meinem Herzen herausforscht, daß ich aus bloßer Lieb zur Weisheit diese Nachgedanken über die Schöpfung gehabt hätt? – Er würde lächeln und sagen: Du närrisch Menschlein bist auf einem Holzweg, denn ich hab wirklich die Welt in sieben Tag gemacht. Und so könnt er vielleicht fragen um die Ursach, daß ich bei Lebzeiten mich wehrte gegen den allgemeinen Glauben. Nun, eine Ursach ist, wie gesagt, schon ganz anders als ein Grund, der kommt aus einem natürlichen Trieb her, der in der Seele ihrer eigenschaftlichen Natur liegt und an allem Leben und Weben derselben teilhat; und der soll heilig gehalten und gepflegt werden, und da soll ein jeder immer Kind bleiben und sich diesem Seelengrund hinopfern. – Und all das Pädagogenwesen ist nichts, der Emil vom Rousseau bis auf den Herrn Haberlein, der in unserm Haus Präzeptor war und manch pädagogisch Vorlesung gehalten hat und hat als gemeint, ich sollt mich mit meiner Erziehung danach richten. – Aber die unwiderstehliche Gründe der menschlichen Natur waren in meiner Seele zu stark, die haben mich einen andern Weg einschlagen lehren. – – Man muß das Kind leiten! Man muß es leiten und ihm im Glauben und Religion eine Stütze bilden, daß es nicht falle.

Nun frag ich einen Kriegsfürsten zum Beispiel, wenn er sich ein gut Regiment heranziehen will, wird es ihm angenehm sein, wenn dies Regiment in schönster glänzender Uniform vor ihm steht, mit einem Hakenstock, um sich festzuhalten, mit Krücken, um nicht auszurutschen, mit einem Ruhesessel für den heiligen Sonntag, mit einem Weihwasserkessel, um sich die bösen Geister aus dem Weg zu spritzen, ja mit einem Kasten, um sich drin einzuschließen, damit sie ihm über Nacht nicht gestohlen werden, und, mit Respekt zu melden, mit einem geheimen transportablen Örtchen für die Bequemlichkeit und den Anstand? –

Nun, ein jeder gesunde Menschenverstand wird sagen: Ein solch Regiment wird den Feind nicht aus dem Sattel heben, und der gute Kriegsfürst kann sich heimgeigen lassen mit seinen Eroberungen. Warum soll das aber für den Allgeist grad recht sein, für den großen Herrscher in und über allen Seelen? –

Ei, können wir denn wissen, ob unser Gott nicht ein Kriegsgott ist, der die Menschheit beherrscht, um eine kriegerische Nation aus ihr zu bilden? – Und soll der mit einer Bildung sich zufrieden stellen lassen, die die menschliche Afterweisheit für gut findet und keiner auch zum geringsten irdischen Geschäft brauchbar machen kann? – Dann denk sich einer so einen zusammengestülpten Krückenkerl in der gewöhnlichen Welt, ei, kein Zimmermann [32] könnt einen Balken von ihm lassen richten, viel weniger, daß er eine Kanon lösen könnt, er fiel ja um!

Nun, geistig wird's nicht anderst sein. Ein Verstand, der die Füß in einem Sack stecken hat von Vorurteilen, der kann nicht nach dem Ziel laufen. – Oder auch nur, wenn er seine Füße, wie es der Anstand lehrt, nach der ersten, zweiten und dritten Position setzen will, der kommt nicht vorwärts!

Freiheit in alle Glieder ist die Hauptbedingung von einem tüchtigen ausgebildeten Soldaten, ein tapferer Schütze, ein Held muß in alle Knochen seine Kraft spüren; ebenso ist's auch mit dem Geist, wie soll der Gelenkigkeit kriegen, wenn er seine Glieder nicht regen kann.

Jetzt also ist auch schon eine Ursach da, warum ich nicht an die sieben Tag der Schöpfung glauben will, nämlich weil es eine Fessel wär für meine Geistesfreiheit, mir etwas anders zu denken, was mich vielleicht näher mit meinem und der ganzen Welt Schöpfer zusammenbrächt. – Und warum ich's dann grad gegen die sieben Schöpfungstage hab, könnt einer fragen und könnte mir da einwerfen, daß es doch auf die Geistesfreiheit keinen so gewaltigen Einfluß hätt, ob die Schöpfung tagweis oder in kurze Momente oder wie es auch sei, hervorgekommen wär, genug daß sie da ist und daß wir in ihr leben. – Aber darauf hab ich zwei Dinge zu antworten, erstens: Daß es ganz einerlei ist, welche Geistesfessel man zuerst abstreifelt, und weil es grad das erste war, was in der Bibel mir aufgefallen war, weil es doch gar zu lächerlich ist, etwas glauben zu sollen, wovon kein Mensch Rechenschaft kann geben, weil niemand dabei war und auch keiner behaupten will, es wär ihm offenbart worden. Wenn jetzt einer kommt und sagt, ich bin da oder dorther, was er doch wissen kann, mein ich, da heißt's gleich: Ich glaub dir's nicht, du mußt erst Leib und Seel verschwören, daß es wahr ist, und einstweilen wirst du in Prison gesteckt, bis wir heraushaben, ob du gelogen hast.

Nun, das ist doch eine Kleinigkeit gegen die große Wahrheiten, welche nicht das Zeitliche, sondern das Überirdische betreffen, und die natürlich hinter jeder Lüge verborgen sein müssen. Denn was ist eine Lüg? – Ein Vorhang vor der Wahrheit. – Geh hin, heb den Vorhang auf, er ist nicht von Gottesgeist, er ist von Menschenvorurteil zusammengewebt. Also nur keck drauf los! – es ist keine Sünd, nach der Wahrheit mit ernstem Willen zu forschen. – Oder war das Ingenium des Menschen vielleicht der Apfel vom verbotnen Baum? – Mag's wie's will, in dem Stück bin ich von den Freigeister und freß meinetwegen alle Äpfel auf, denn sie schmecken köstlich und erquicken, wie es dann natürlich sich einbilden läßt, daß eine Paradiesesfrucht schmecken muß!

Nun, darum eben hab ich mit den Schöpfungstagen den ersten Versuch gemacht, weil sie in ihrer ganzen Verkehrtheit weniger in groben Prätensionen sich einem aufdringen, und weil es einerlei ist, bei welcher Gelegenheit man den Geist lehrt, auf seine eignen Füß stehen. Und vielleicht auch, weil ich mit der Beleuchtung von einer andern Bezweiflung nicht so leicht die Maut passiert wär vom Seelenskrupel, aber an denen sieben Schöpfungstag läßt [33] man eher die Mäus und Ratten ein bißchen herumnagen, man hält's für so ein alt Castrum doloris der Geschichte; alles ist dran vergilbt und veraltet, ein Wust von Staub und Spinneweb hängt drauf, es wird so nicht oft mehr im lebendigen Glauben in Anwendung gebracht. Was soll man weiter mit, wenn's auch wackelig wird, die Erschaffung wird darum doch bleiben. Aber wär ich nun wider einen andern alten Zopf widergerennt und wär der auch gleich in Scherben zusammengefallen, daß es augenscheinlich sich ergab, es war nichts dran zu halten.

»Was? Sie wollen unsern Teufel angreifen, Frau Rat? – ohne den doch kein Halt in der Religion sein kann, nein, den können wir uns nicht nehmen lassen, er fehlt uns in allen Ecken.«

Ei, ihr seht ja doch an den Scherben, wie zerbrechlich der alte Topf war.

»Gott bewahr! ein alter Topf! – Wie ich nach Haus kam und über die Wendeltrepp ging, da war mir's ordentlich ängstlich, daß ich mich nicht mehr vor ihm fürchten konnt,« würden die sagen, die sich von dem Begriff der Wahrheit hätten überwinden lassen, »und es ist einem gar nicht heimlich mehr in der Religion. Vor was soll man zu Gott beten, wenn man sich vor dem Teufel nicht mehr fürchten darf?« Und ich möcht wollen oder nicht, ich müßt ihn am End wieder restaurieren, und doch riskierte ich wie der Sokrates, daß ich den Schierlingsbecher trinken müßt, und es ist noch die Frag, ob irgendein Jünger die beßre Erkenntnis aufgefaßt hätt und hätt nach meinem Untergang über mich getrauert und den Samen meiner Einsichten aufbewahrt, daß er in der Nachwelt sollt in Blüte kommen.

Nun also auf eignen Füßen stehen soll der Geist. Das ist bei mir eine unumstößliche Wahrheit, an der manches zerschellen muß, was dagegen anstößt. Woher hab ich sie mir als junge Mutter von einem großen Sohn denn so fest einbilden können, daß ich dem Herrn Haberlein nicht gefolgt hab, wenn er sagte: »Man muß das Kind führen und es stützen«, und was weiß ich als! Ich aber dachte, man muß das Kind locken und nicht führen, und muß ihm alles wegnehmen, woran es sich's lernt, nicht auf den eignen Beinen zu stehn. Und wie nun das Kind auf einmal ohne alle Hilf mit einer großen Courage auf freiem Fuß dem Vater zwischen die Bein gelaufen ist, mit einem freudigen schallenden Gelächter, da hat sein Vater auch gelacht, obschon es ihm an's Herz gegriffen hat. – Und die Mutter aber ward ganz rot und ging beiseit, um keinen nicht in ihr Gesicht gucken zu lassen, denn sie schämte sich über die Gefühle, die sie bei der kleinen Naturbegebenheit bestürmten. Und als ob's heut noch wär, besinn ich mich auf alles, was ich da im heimlichen Gebet meinem Schöpfer gelobte. Denn ich hatte als junges Mädchen, wie ich letzt auch schon in der Erzählung von jenem christlichen Verein dargetan hab, allerlei Versuche gemacht mit meinem Seelenheil, der Trieb stak in mir, ich wollt heraus ans Licht, aus der Dunkelheit – und reflektierende Gedanken, das war bei allem, was vorfiel, mein Tagewerk.

Nun, dacht ich – macht's dem Vater so eine große Freud, sein Kind ohne Leitseil auf freien Füßen daher laufen zu sehen, warum soll es den himmlischen[34] Vater nicht freuen, den Menschengeist aus freien Stücken ihm zulaufen zu sehen. Und hier muß ich noch eine wichtige Bemerkung machen, die mir eben jetzt einfällt – nämlich, der freie Geist rennt immer der Gottheit in die Arme und zwar aus eignem Instinkt, ja er kann gar nicht anderst, denn er sucht seine Mutter, die Weisheit, und die ist beim Vater, der Gott ist – und das Kind beweist es ja, das aus freien Stücken auch der Mutter in die Arme lauft. – Und ob man da auch einwerfen könnt: aber der Mensch macht oft verkehrte Wege, und wenn er da kein Gesetz hätt, an dem er sich festhalten müßt oder nach dem er gericht wird, dann wär zu befürchten, daß er die Welt aus den Angeln hebt!

Ei, das lautet auf den ersten Moment, als ob's ein unumstößliches Argument wär. – Warum sollen aber die Philister keine Verschanzung haben, in der sie sich sicher wissen gegen den freien Geist? – Die ganze zivilische Einrichtung ist so eine Verschanzung gegen den Geist, denn der braucht sie, und weil die Weisheit überall ist.

Aber jetzt antwort ich auf den früheren Einwurf: »Grad weil der Geist die Welt aus den Angeln zu heben vermag«, grad darum muß er's auch versuchen lernen, und müssen ihm nicht Händ und Füß gebunden sein, daß er's nicht probieren kann.

O wart nur! – und schneidet keine so spottende Gesichter, ich kann nicht alles auf einmal sagen, obschon ich jetzt in einer Feuersglut bin, als ob ich aus Eisen sollt zu Stahl umgelöscht werden, so muß ich mich doch besinnen und zusammennehmen, wenn ich alle tiefe Wahrheit aussprechen soll und so recht faßlich darlegen. Innerlich erleuchtet einem so ein Gedanken wie der Blitz, und er reißt einem wie der Sturmwind mit, aber äußerlich da passiert's langsam die Barriere.

Also fürs erste behaupte ich, der Geist soll alles stiften, was er vermag. – Und ein noch viel größerer Gedanke ist der, daß, wenn das so geschäh, so könnte die Welt endlich sündenlos werden, und daß wir so lang in der Sünd verharren werden und die auf keinerlei Weise abwäschen mit allen Bußpsalmen, nicht als nur wenn dem Geist diese Freiheit gegeben wird, und wird ihm nicht mehr mit Ketten seine Freiheit geraubt, daß er nur darniederliegt und schmachtet und seufzet, aber nicht tätig sein kann!

Zu sehr in die Augen springend sind alle diese Wahrheiten, als daß man noch Beweise herbeiholen dürfte. Ein jeder muß die bei sich selber finden oder er ist zur Einsicht noch zu sehr verpelzt. Aber ein Glück ist, daß das Licht keinen Platz unerfüllt läßt, so ist zu hoffen, daß es noch alles durchdringen werde, und daß die Gemeinplätze, die auf Vorurteilen sich gründen, weichen müssen vor dem harmonischen Einklang zwischen Geist und Seele, wie die Nachtschatten vor dem Morgenlicht. Doch muß ich hier noch etwas anführen, um recht auf die Spuren meiner Behauptungen vorwärts zu leiten. Nämlich es heißt: in der Sünde sind wir empfangen, und deswegen sind wir sündige Menschen. Das ist ein mir ganz begreiflicher Schluß. In der Sünde wird gleich der Menschengeist empfangen, daß seine Freiheit gleich widerrechtlich [35] in Gefangenschaft kommt, und wird ihm eine kalte, auftrocknende, erstarrende Philosophie als Nahrung vorgesetzt. Da krümmt und räuspert sich denn der Geist und will nicht dran, und schluckt an dem wunderliche Schwall von Wortfügungen, wo man den Verstand davon umsonst zu fangen sich bemüht, wie die kleine Kinder, die mit einem Pfötchen voll Salz ganz ernsthaft dastehen und lauschen auf so ein Vögelche, als zum Beispiel ein Bachstelzche, das immer mit dem Schwänzchen wippt, und bemühe sich umsonst, dem Salz auf den Schwanz zu streuen, damit sie's Vögelchen haschen können, ja wie ist das möglich? das Salz bleibt ja nicht liegen auf dem Schwänzchen, so kannst du auch das Vögelchen nicht fangen. Ja ihr arme Studentenbürschercher, der Begriff bleibt ja an dem Wortschwall nicht hängen von Gott und Seel und Gebot und Verbot, wie wollt ihr ihn erfassen und auf alles anwenden. Ja, was ist aber dagegen die Kenntnis der Natur, die nicht euch hochtrabende Lehrbriefe gibt und sich unterschreibt X. U., die euch in ihren warmen Busen einhüllt, wenn ihr von jener erstarrende Nahrung endlich ganz unkräftig geworden seid, die euch anhaucht mit so süßem Atem, daß da nicht die Red mehr davon ist, ob sie euch verführt! Ihr gehört ihr schon ganz an. Da weicht nur zurück, ihr Großprahler der Philosophie, ihr Philister der Dogmatik, ihr Pedanten der Gesetzanmaßung, die Weisheit, die im schönsten bescheidensten Gewand aus allem uns anspricht, die führt aus eurem Wahn uns auf uns selbst zurück. Was sind eure Gesetze und Systeme gegen einen Vogel, der sein Nest zu bauen versteht und die lauwarme Sommernächte mit Gesang erfüllt? – oder gegen eine Blume, oder gegen die Welt, die in und um einen blühenden Baum sich bildet? und der Schall von Worten – wenn der euch trösten kann, mit dem ihr möchtet das Geheimnis der Unsterblichkeit einfangen – was ist der gegen den Genuß, dem die Natur in ihren schönsten Geheimnissen sich hingibt? – Jeder Gegenstand in ihrem erhabnen Lehrbuch deutet auf die Gesetze der Harmonie, in welchen der freie Geist sich bewegt. – Aber das ist die erste große Kapitalsünd, daß wir den widerrechtlich gefangenhalten. Seine Fähigkeiten, von denen wissen wir nicht, wohin sie ihn leiten würden, ob die Sünde nicht würde verschwinden, wenn die sich ganz frei entwicklen. Denn alle Menschen würden erleuchtet werden. Die Gelüsten, weswegen wir jetzt ein Zuchthaus, eine Polizei, einen Rabenstein, Henker und Beil haben, diesen Krankheiten würde die Menschheit dann wahrscheinlich entwachsen sein, es würden Kinderkrankheiten gewesen sein, denen man bei entwickelten Geisteskräften nicht mehr ausgesetzt wär.

Freilich muß eine Polizei sein, – aus göttlicher Vermittlung, – nicht ein Leitseil gedreht aus noch strafbareren Gesetzen als die Verbrechen selbst, nicht Gründe der Strafbarkeit, die der Vernunft, welcher doch der moralische Instinkt eingeboren ist, Schauder erregen. Nicht solche, vor denen der Geist flüchtet und sich bekümmert, nicht solche, wobei der Gesetzgeber, wie der nach ihm urteilt, gleich elend dastehn, und der, an dem das Urteil vollzogen wird, am End noch wie ein unschuldig Lamm gegen ihnen übersteht.

[36] Das Geld macht jetzt eine hauptsächliche Versuchungsgelegenheit zur strafbare Sünd unter den Menschen; denn warum? Der Eigennutz, der auch gar keine lobenswerte Eigenschaft ist, der hat es so gewollt, daß dies soll am meisten bestraft werden. Wer's einmal hat, dem soll's nicht geraubt werden. Wie einer da zum Gelde kommt, das wird nicht beleucht. Die Nürnberger haben das Dukatenmünzen zu einer Sach gemacht, die man nur am geheimen Örtchen tut, es steckt eine Moral dadrin. –

Die sündhaftige Anlagen im Menschen machen hier Strafgesetze gegen das, was sie im sündigen Genuß stören könnt. Wie? wenn der Räuber eine von denen hochgepriesne evangelischen Tugenden dir zuwenden will, so hängst du ihn davor an den Galgen? So ist denn der Grund der Strafe und Gesetze gegen die Sünde oft strafwürdiger oder verdammlicher als die Sünd selber. Wie soll da Heil aus der Straf erwachsen? – laßt erst den Grund der Strafe ein strafloser sein, eh ihr sie anwendet, so wird's ganz anders herauskommen. Und dann! – Ach es stehn mir die Gedanken still vor Verwundrung, was da vor Wahrheiten mir vor Augen stehn, und ich hab's nicht so im Griff, sie in ihrer Kraft zu erhaschen, ich hinke auch von den Geistesbanden, die in den jungen Jahren schon einem die Kraft brechen.

Aber genug, der Teufel ist nichts anders als das Abwenden von der Wahrheit; die Furcht vor ihr, die aus irgendeinem bösen Grund sich ins menschliche Gemüt festgesetzt hat, denn was ist da zu fürchten, wenn es nicht ist, daß wir heimlich am Bösen hängen und fürchten, wir könnten durch die offenbare Wahrheit, wenn die sich geltend macht, derselben beraubt werden. So ein Staatsdiener, der seinem Landesherrn Leib und Seel verschwört, seiner unverbrüchlichen Treue: seht emal, wie stolz der von seinem hohen Posten herunterguckt auf die Menschheit. Aus welchem Grund nur? Ei, weil er das Wohl des Landes bezwecken will. Nun, was das wieder vor ein Jammer ist! Wird der arm Teufel zum Narren am großen Gedanken des Menschenwohls, und von einem ganz kaputten Narren hängt das nun ab; ei, wär er doch lieber gleich zur Salzsäule geworden mit seine süße Versprechungen, so könnt das arme Volk immer seinen Rettig, mit dem es seine hungrige Mahlzeit hält, an ihm reiben, und so müßt er seinen Eid doch wahr machen und fürs allgemeine Beste sich verbrauche lasse, trotzdem daß er ein Narr ist, den man nicht zur Verantwortung ziehen kann.

Solche ungeheure Wahrzeichen stehn am Betrachtungshimmel, daß alles was geschehen soll zum Heil des Staats, aufs politische Sündenregister zu stehn kommt. Ja der beste Wille des Weisesten, Erfahrensten geht zugrund an diesem seinsollenden Heil oder er muß auch der Versuchung erliegen. Mäßigung, Bescheidenheit, Erkenntnis geht zum Teufel, und er steht da und schlägt sein eignes Gewissen in die Flucht. Hätt aber ein solcher sich nicht vor der Wahrheit gefürchtet, so hätt die ihm zugeflüstert, die Menschheit leiten kannst du nicht mit deinen aberwitzigen Einbildungen auf dich selbst. Treu bist du deinem Landesherrn nicht mit deim Hoffart auf dich selbst, mit deim Neid, mit deiner Gier, zu herrschen. Das erste, was du [37] treuer Fürstenknecht in der Heimlichkeit beschließt, das ist: Der Herr Landesvater dürfen sich nicht dreinmischen. Drohen tust du: sonst nehm ich mein Abschied. – Ei, was ist dran gelegen? Ja, wann er sich das fragte? – Aber er braucht sich's gar nicht zu fragen, denn er hat gar kein Lust dazu. Was aus dem freien Geist vor Wohltaten für die Menschheit entsprießen würden, das ist ein Rätsel, was unsre Neugier doch endlich reizen sollte. Wir versuchen nun schon so lebens- und vorlebenslang, jenen Teufel zu bekämpfen, der ohne Unterlaß von Stufe zu Stufe uns durchs Leben begleitet, wo könnt der sich unterstehn, neben dem freien Geist herzulaufen und den zu extern mit Gelüsten aller Art, wie ers dem armen gebundnen Geistessklaven macht, der im Schwindel seiner gebundnen Willkür einzugreifen meint in die Macht des Zeitenstroms wie so ein kleiner Schiffspommer, der mit seinem Gebell das Schiff aufhalten will, dem aber strömen die Winde zu und füllen mit Lust ihm die Segel, daß es majestätisch hervorrudert aus dem engen Port auf den hohen Ozean, kommen aber widrige Winde, so reteriert der klein Pommer unters Verdeck.

Gebt jenen armen Menschen nicht allein die Schuld, auch ihr Geist war von Jugend auf gebunden, sie hatten nicht Titanenkraft, einen Funken des freien Geistes wieder anzufachen, er ist in ihnen erstorben, sie können nicht in jener Treue in jenen Tugenden bestehen, die sie gelobt haben ihrem Landesherrn, sie können nicht, denn ihnen fehlt die Willenskraft, die ist der freie Geist, aus dem allein alle Tugenden hervorgehen. Und deutlich sieht man, daß der Teufel nur der in Verwesung übergegangne Geist ist, der nicht Luft hatte und göttlichen Wachstum.

Also wohin der freie lebendige Geist führt, das ist was wir noch nicht wissen, und darum sollen wir's erfahren wollen.

Jetzt wollen wir einmal Halt machen und besinnen, was ich im Anfang sagen wollt, und wovon ich ab und vom Hundertsten ins Tausendste bin kommen. Das war nämlich von den sieben Schöpfungstagen, daß ich an die nicht glauben wollt, einen Grund hab ich nämlich angegeben, weil mein Seeleninstinkt mich zur Spekulation leitet und ich eine so göttliche Gab nicht mit Füßen zu treten Anlaß hab, wenn ich nicht ganz ein Ochs bin.

Die Ursach aber war, weil ich durchaus mich nicht auf etwas verlassen kann, was wie ein alter Türpfosten vor meiner Nas hingestellt ist, und ich soll davor stehn wie vor einem Ölgötzen, das paßt nicht zu meim lebendigen Verstand. Vor einem Ölgötzen mag meinetwegen wieder ein Ölgötz stehn, aber der Geist kann und soll da nicht haltmachen. – Aber jetzt will ich noch auf die zweit und viel einleuchtendere Ursach kommen, von der ich sagte, ich werde sie auch publizieren, das ist nämlich, weil ich ein Begriff hab, daß Gott zwar einen siebenten Ruhetag hätte haben können, nämlich wenn er phlegmatischer ist gewesen wie ich, denn ich hab mich meiner Lebtag nicht hinein finden können. Der Sonntag ist bei mir ordentlich aus Widerspruch gegen die Faulheit, die schon am siebenten Tag erschlaffen will, ein wahrer Rebellertag gewesen, alle unkommode Geschäfte hab ich auf den Tag verlegt; [38] einmal lief da alles aus dem Haus spazieren, nun da konnt ich vors erste alles schwarze Gerät zusammensuchen, denn obschon ich am Samstag die reine Wäsch ausgeteilt hatte, so war mir die schmutzig nicht ausgeliefert worden. Dann hatt ich auch Gelegenheit, einmal die Fensterscheiben wieder hell zu putzen in denen Gelehrten- und Studierkabinetter, dann untersucht ich die Stuhlbein, ob die noch ganz wären, denn es wär ein Wunder gewesen; denn meine Kinder machten mit ihren Schulkameraden die tollste halsbrechende Gefährlichkeiten mit denen Tisch und Stühl, sie bauten Türme und spielten Festungsbelagrung und stürzten Hals über Kopf mitsamt so einem unterminierten Turm herunter, und ich kann Gott danken, wenn die Glieder ganz waren, und gern die wackeligen Glieder der Möbel wieder in Leim bringen. Nun ging ich also, während alles in der Kirch war, herum mit dem Wischlappen, dem Besen und der Leimpfanne. – Manchmal ging ich denn auch in die Kirch den Nachbarsleuten zu Gefallen – aber weil ich den Herrn Prediger auswendig konnt, so hielt ich am heiligen Ruhetag während der Predigt immer mein Ruhestündchen, aber geruht hab ich eigentlich doch nicht, das liegt mir nicht im Blut, sondern nur wegen meiner Ungeduld, durch dem Prediger seine unendliche Lüneburger Heide zu kommen, überlegte ich: Was wirst du noch alles einrichten heut? Also – erst wann du nach Haus kommst, werden die silberne Leuchter vorgenommen – blank geputzt mit Kreide und Branntwein, – wird derweil ein Bügeleisen ins Feuer gelegt, und die Manschetten aufgebügelt von den Sonntagshemden. Zweitens und drittens wird auf dem Boden untersucht, ob die Mäus sich allenfalls wieder Löcher gebohrt haben in die Schwarzgerätkammer. Drittens werden die Wäschmahne gezählt, denn letzt sind sie verlehnt worden, und ich glaub, ich hab sie noch nicht wieder gekriegt, und dann müsse die Wäschleinen auch gezählt werden. – Dann, in der Bodenkammer, wo die Apfel auf dem Stroh liegen, da müssen die schöne Borsdorfer all umgelegt werden, damit sie nicht anstoßen. Dann wird der Mittag herbeikommen; aber gleich nach Tisch, wenn's nämlich keine Zeit mehr vor Tisch ist, da werd ich mir alle Bouteillen mit Wein, dritthalbhundert an der Zahl, umlegen, und da werd ich mir Siegellack mit in den Keller nehmen und das große Wappensiegel und werd alle leere Flaschen verpetschieren und unser Wappen drauf drücken, wenn dann der Dieb kommt und trinkt eine Flasche aus und behaupt, die sei leer gewesen, so sag ich: Nein! die leeren Bouteillen werden allemal verpetschiert, und da diese Flasche unversiegelt leer ist, wer hat sie gesoffen? – so steht er da und kann keine drei zählen. Und so kann mir also in Zukunft keiner mehr den Wein austrinken. – Das war nun ein solcher Hauptgedanken, daß ich die größt Ungeduld bekam, die Kirch zu verlassen und alles ins Werk zu richten. – Nun, dann war auch der Herr Pfarrer gewöhnlich fertig mit seiner Red, die nicht weniger unbedeutend war von dem studierten Mann, als was ich derbei überlegt hatte, oder lieber gar zum wenigsten nicht so brauchbar für die Seele, die zu wecken, als mich die meinigen Überlegungen alert machten, mein Hausstand auf [39] den Trab zu bringen. – Nun zog man in Kompagnie aus der Kirch, mit den Sonntagsandrieng und den neuen Enveloppen und den hoche Stelzercher unter den Füßen ging's klipp klapp nach Haus, und da war dann unterwegs eine Unterhaltung mit den Madamen über die gottselig Red, aber auch über allerlei andre Dinge. – Nun! sagt ich, die Predigt war halt, wie dem Herrn Prediger der Schnabel gewachsen ist, und so haben wir's uns müssen gefallen lassen. – »Ach!« sagten die Leut, »Sie sind eine böse Frau, Sie sind immer nicht zufrieden, und wann der Herr Pfarrer in noch einem so heftigen Eifer ist.« – Die Frau Rat aber war keine böse Frau, sondern sie meinte: Hätt der Herr Pfarrer von Jugend auf denken gelernt, das heißt laufen ohne Krücken, so würde er wohl als sich hin verlaufen haben, wo's der Müh wert ist, was Neues davon zu hören, und würde sich jetzt ganz geläufig auch auf andre Wege wagen und würde neue Sachen und Anschauungen vorbringen, die übereinstimmen mit dem Traum, den die Seel in ihrem Dusel fortträumen muß, um nur nicht ganz zu verkommen in der nüchternen, seinsollenden Geistesnahrung, denn was dem Esel Papierschnippel wär statt Distel und Häcksel, das ist der Seel so eine herumgekaute Predigt vom Herrn Pfarrer, der sich mit alle Viere an das Dogma anhält, ei, so mag er noch so sehr kauen und es zu einem Brei verarbeiten, es bleibt halt immer papier maché, man kann allerlei draus drehen, daß es nach was aussieht, aber es ist nur Tand und keine Seelennahrung und kein Geisteswachstum. Und da war meine Erfindung, die ich machte, derweil er vom Wort Gottes vorgeben muß, zu predigen, wie ich die Spitzbuben wollt hinters Licht führen, die mir meinen Wein austrinken, allemal eine viel gemeinnützigere Haushaltungsregel. –

Das Wort Gottes, nicht wahr? – Das nicht einmal Kraft hat, selbst dem eifrigen Zuhörer einen Eindruck zu machen! – Und doch hat das Wort Gottes Himmel und Erd geschaffen, und hat gesagt: »Es werde.« Und es ward! – Und jetzt badet sich der Pfarrer im Schweiß seines Angesichts da oben auf der Kanzel und gebärdet sich, daß die Eingeweide im Leib sich ihm herumdrehen und daß er am Feiertag immer einen viel größern Hunger kriegt, welchen zu stillen er nicht für eine Sonntagsruhe störende Arbeit hält. Und expliziert das Werde nach bestem Wissen in- und auswendig – und doch wird nichts – als daß immer wieder die Leut in der dumpfe Irr bleiben, wo sie andre für sich denken lassen, und wenn die nur wirklich dächten für sie, so könnten sie nicht anders als den Geist in ihnen wecken, aber die heben das Schild des Glaubens hoch gegen jedes Lebenszeichen des Geistes und wollen's mit dem Glauben ausrichten. – Was ist aber der Glaube? – Wo nichts ist, kann ich da etwas glauben? – Da wächst mir eine Bomeranze! – Ei, das kann ich nicht glauben. – Ei warum dann nicht, wenn ich dir's doch versichern tu? – Nun, es ist mir unmöglich, zu glauben, daß dir da auf deiner Nas sollt eine Bomeranz wachse. – Hör, wenn du dich so zum Glauben anstellst, als wie du dich zur Bomeranz anstellst, dann wirst du schwerlich in Himmel kommen! – Ach Gott, ich wollt doch gern [40] selig werden, kannst du mir denn gar nicht den Glauben einprägen an die Bomeranz, vielleicht daß ich dann so sachte glauben lern. – Nun, geh her, ich will mich über dich erbarmen, siehst du, hier steck ich mir das Bomeranzenkörnchen in die Nas, du siehst, es hat schon ein klein Keimchen, und es ist also doch eine Möglichkeit da, daß es Wurzel faßt. – Werst du mir jetzt ehnder glauben? – Ach ja, es ist noch ehnder wahrscheinlich, obschon es doch eine gefährliche Sach ist, an so einem Ort eine Bomeranz wachse zu machen, denn erstlich ist das Klima nicht darnach – und sie müßt doch viel Sonneschein haben, und deine ist noch dazu eine Hakennas, daß dem Keimchen seine Richtung durchaus nicht zum Helle ist, aber ich kann mir's doch schon als möglich denken!

Nun haben wir den Ungläubigen schon auf gutem Weg, er gibt schon seinen Verstand gefangen. Nun? sagt der Bomeranzenbeweisführer, du mußt auch nicht alle Müh auf mich allein schieben, wo bleibt denn sonst dein Verdienst? Du mußt natürlich dem Glauben entgegenkommen. Wenn's keine Kunst wär, zu glauben, vor was wär dir dann die ewig Seligkeit geschenkt? – Der Ungläubige will alleweil die Händ in die Wundmale legen, aber selig sind die, welche nicht sehen und doch glauben. – Die Aussicht hast du, daß mir eine Bomeranz wachse wird, hab auch die Hoffnung, daß dein Glauben dich selig machen wird. –

Nun gut! – Der ist geliefert – der wird seiner Lebtag nicht mehr klar denken, nur um dem Bomeranzenbäumchen seinen Wachstum nicht zu stören, und so wird er denn freilich nichts dargegen haben, wenn der Herr Pfarrer immerfort noch von der Bomeranz predigen wird – denn warum, er hat seinen Glauben gefangen geben. Einem Gefangnen kann's einerlei sein, mit was man ihm eine Mauer vor der Nas aufführt, wann er zufrieden ist, dahinter hocken zu bleiben, ein Gefangner hat keine Geschäfte, keine Wirksamkeit, er sitzt da und luleit seine Zeit weg, und wenn es ihm nicht aus Langeweil einfällt, über die Blanke zu steigen und im Chausseegraben hinter dem Gefangenwärter seinem Rücken vielleicht ketzerische Zusammenkünfte sich zu erlauben, und wenn der Rost der Langenweile nicht endlich die Ketten seiner Gebundenheit zernagt, daß er auf einmal aufwippt und über die Staketen hinausfliegt und dem guten Gefangenwärter das Nachsehen läßt, so wird er selig gesprochen. – Bei so bewandten Umständen sprech ich ihn aber nicht selig, denn die Albernheit kann meinen Begriffen nach nicht Seligkeit genießen. Der Himmel ist für den Geist da, nicht für den Faulpelz, der die Ohren nicht einmal in die Höhe reckt, um etwas zu hören und innerlich zu bedenken, und der sich fürcht, seine Seligkeit zu verlieren, da die ihm doch nichts anders sein kann als eben ein bequemes Leben, wo er aller Sorgen quitt ist. Denn sonst kann er sich ja nichts anders erdenken, so kann er auch nichts anders erfahren. – Es ist zum Lachen, denen ihren verschlafne Einbildungen das Daunenkissen unterm Kopf aufzuschütteln und das Religion zu nennen.

Nun da hätten wir bei der Predigt Station gemacht. Ich wollt nur unter die [41] Füß geben: daß ohne Geistesfreiheit auch selbst das Wort Gottes zur Heuchelei wird, und daß alle Anstrengungen nichts helfen für den, in dem der Geist noch ein Funke Leben hat, denn warum? der wird nicht an der Erd kriechen, weil am Boden nichts für den Geist zu suchen ist, und der allein berät sich mit Gott. Fliegen! – das ist dem Geist seine Art und Weise, wie er sich hinaushelfen muß über all die irdischen Deputationen an ihn, daß er doch hinter der spanisch Wand soll verharren. Nein, er soll selbst hinausfliegen und in allen Blumen des Feldes suchen, er wird überall Honig finden. – Ja! so kümmerlich sind diese Verbote gegen die Vernunft, daß die Lilien auf dem Feld, die nicht spinnen, nicht am Gespinst des Aberglaubens dem Menschengeist schon zutunlich bejahen, was er aus geheimen Drang als Wahrheit ahnt. – Und gegen solche unschuldsvolle blühende Zeugnisse himmlischer Geistesnatur ziehen die Schergen der Geistessklaverei los! Gegen die Schwalbe warnen sie, die die Lüfte durchkreist und mit ihrem Gezwitscher nach alle vier Winde hin laut ihren Freiheitssinn ausjubelt, vor den hohen Bergen warnt sie, wo man das Sonnenlicht trinken kann in erster Morgenfrische, und im Schatten verbietet sie zu ruhen von der mächtigen Eiche, wo der Held zur Besinnung kommt der eignen Kräfte, wo er der Glut sich freut, die in seinen Adern rollt, und der Macht, die ihm stoßweise im Herzen aufflammt im kühlenden Schatten der Eiche. – Und! – seht um euch! In allem Leben der Natur, heilige Freisprechung von allem, was sie euch aufbinden! –

Nun, wie oft werd ich noch von den sieben Schöpfungstagen abirren. – Also, das war mir ein Anstoß, daß der tätige Gott sollt am siebenten Tag ausgeruht haben. – Da geb ich euch all miteinander zu bedenken, ob das eine Sach ist für einen Gott, daß der gleichsam die Arbeitsschürze (denn er hat viel in Ton gearbeit) an den Nagel hängt, sich die Händ abwäscht und sein Sonntag hält? – Das könnt mir nun einer für eine Kinderei auslegen, daß ich so was überleg, aber grad aus so kindische Ansichten hat sich mein ganzer Begriff reformiert, und wenn doch einer nicht immer dächt, es müßte lauter unverständige Hieroglyphen sein, aus denen man Erkenntnis schöpfen könnt; nein, es sind die einfachste Anschauungen, die einem die Wahrheit predigen. – Von diesem Gedanken nun, daß es etwas Lächerliches ist, daß ein Gott sollte einen Sonntag halten, kam ich auf den Gedanken: Was dem einen recht ist, das ist dem andern billig, oder wie dem Vater, so dem Kind. Ruht der Vater nicht, warum soll das Kind lunzen und heuchlen, denn geheuchelt ist das alleweil, wenn ich Betrachtungen halten wollt und Gottesverehrung, wobei nicht ein Körnchen gesunder Menschenverstand erblühen kann. Denn alles Zeugnis predigt Himmels und der Erde, daß Geist allein Religion ist. Denn Sein ist nicht, denn ausgenommen, der Geist ist. – Und also ist alles Sein nur die lebendige Religion. Aus diesen Betrachtungen geh ich nun über: Aber was hätt denn unser Herrgott nun getan nach dem siebenten Tag, da er sich geruht hatte? – Wenn nun nichts mehr zu schöpfen war, ist das so fort geblieben, in einem Ruhen bis auf den heutigen [42] Tag? – Und wird es auch so bleiben bis auf den jüngsten Tag? – Oder waren Gottes Schöpfungstage so groß, daß sie eine viel größere Zeit umfaßten ein jeder, als unser bisherig geschichtlich Erdenleben umfassen kann? Und ist der Ruhetag vielleicht immer noch nicht am End? – Und wimmeln wir Menscheninsekten nur so um die ruhende Gottheit herum, bis der Ruhetag vorbei ist, und Gott vielleicht wieder aufsteht, um weiter zu schöpfen? – Denn ich kann mir doch noch allerlei denken, das geschaffen wird, was ich mir nicht denken kann, weil ich's nicht weiß, was aber doch sein kann und einst zu meinem weitern Werden und Sein dienen wird. – Und ich kann mir denken, daß, wann Gott auch nur einen Augenblick das Handwerk der Schöpfung niederlegt, daß es dann um alle Kreatur geschehen wär. – Seht, das ist mein Kapitalgedanken, an dem häng ich mit fester Überzeugung, nämlich daß Gott unendlich erschafft und nicht um einen Atemzug innehält – und daß diese Schöpfungen ins Unendliche, also natürlich ins Unbegreifliche für den armen Menschenwitz gehen, daß aber die Hoffnung auf unendliche Entwicklungen den Menschengeist aus seiner verengten Lage, worin er sich steif und kaputt gelegen hat, herausarbeiten wird – das ist mein Glauben an Gottes Schöpfungen, die nie aufhören können. Wo soll er aber fort und fort schaffen? – Das Weltall ist aus ihm hervorgegangen, im Weltall muß er weiter schaffen. Wo aber kein Gotteshauch etwas verhängt, wie im eigensinnigen Menschengeist, soll er da den Lebenseifer umsonst ausgeatmet haben? Ach! das ist eben wieder der Menschenhoffart. Er denkt wohl gar, der Gott hängt vom Menschen ab, und wenn er den nicht hätt zum Nachbar, wo er dann seine Weisheit anbringen könnt. – Ei, um so schlimmer wär's vom eigensinnigen Menschen, daß er sich gegen die ewig erneuernde Wirksamkeit des göttlichen Geistes sperrt mit seinem abgesperrten Glauben, weil er dadurch unserm Herrgott seinem vornehmsten Willen abspenstig wird in sich. Aber so ist's nicht nach meinen Gedanken, die Kreatur, die Gottes Geist atmen lernt, die ist auch unendlich wie Gott selbst, sie ist die ganz Natur. – Wo Gott ist, da ist die Natur, wo die Natur nicht ist, da ist kein Gott, das ist nun wieder so mein Glauben, wozu ich kein Bomeranzenkern in die Nas zu stecken brauch, um mir per exempli grazié eine Überzeugung da herauswachsen zu lassen. Bild sich keiner ein, der Mensch sei das vornehmst Geschöpf Gottes, weil er mit seinen fünf Sinnen kein edleres wahrnimmt, er kann vielleicht mit der Zeit noch Sinnen kriegen, mit denen er manches begreift, was er jetzt nicht ahnt und was doch da ist, und kann vielleicht entdecken, daß da Wesen sind, die ohne Bande und Satzungen dem ewigen Schöpfer seine Kräfte in ihrem Geist verarbeiten. Wann wird aber das sein, daß der Mensch so weit kommen wird? – Nimmermehr, wenn er nicht denken lernt; sie werden dahinsterben wie die Fliegen.

Die Natur ist der allumfassende Begriff von Gott. Der Mensch, der Weltgeist in der Natur, wird so lang dem Tod verfallen sein, bis er seine Vermögenheiten ganz zum Empfängnis Gottes hingibt, da wird er an seiner [43] Unsterblichkeit erst anfangen zu bilden. – Das heißt: so denk ich mir das, wie einen Keim, der erst dann in sein recht Element kommen wird, um sich zu einer neuen Kreatur der Unsterblichkeit zu bilden, wenn der Geist in ihm erst zur freien und durchaus nirgend gehemmten Existenz kommen tut. – Kein Wesen ist gehemmt in der Natur, sonst könnt nichts draus werden.

Ei, da wollen wir einmal das Salz nehmen oder den Schwefel oder was vor ein Naturerzeugnis als wir wollen. Es könnt nichts draus werden, wenn etwas seiner Natur Widersprechendes mit vorging. – Noch weniger kann aus dem Geist was werden, wenn die Lüge ihm will Gesetze vorschreiben, nach denen er sich soll verhalten. – Was kostet es vor Müh, wenn wir nur wollten im Backofen ein kleines Hühnchen ausbrüten ohne Glucke. Erst muß uns die doch das Ei legen, sonst könnten wir ewig umsonst versuchen, so ein Hühnchen aus was anderm als aus dem Ei kriechen zu lassen, und dann, wie müssen wir genau uns nach der Natur richten, Tag und Nacht, um die Hühnercher auszubrüten; und wenn wir eine Minute versäumen, so sterben die kleinen Lebenskeimchen und die Eier werden taub. – Nun! der Menschengeist ist so ein Lebenskeim, der sich aus soll brüten aus dem irdischen Leben, das ist die Eierschal, aus der soll der Geist sich herauspicken und flück werden, aber nun unverständige hochmütige Einbildungen die Stell vertreten wollen von der Mutterwärme der Natur, da ist nicht abzusehn, wie lang und wie oft noch die Brut wird mißglücken; aber die Natur fängt immer wieder von vorne an. Und seid nur ruhig, das Unsterbliche im Menschengeist kann ja doch nicht verlorengehn, es wird allmählich alles Bollwerk übersteigen, und dann werden die, welche so eigenmächtig die vornehmste Erscheinung Gottes, den Menschengeist, wollten regieren und ihn zum Weg des Heils leiten, sich gewaltig wundern, daß sie ihn über einen Gänsedreck geführt haben, und werden sich mit langen Ohren zurückziehn und nicht dergleichen tun, und gar auch selbst nicht wissen, wo ihr alt Ignorantegesetz geblieben ist, denn das schmilzt hinweg wie der Schnee im Frühlingswetter, und keiner kann Form noch Inhalt davon bewahren.

Seht, das ist mein Glaubensbekenntnis, es steckt keine große Pfiffigkeit dahinter, aber es kostet mich keine Lüg, es zu glauben. Wenn mir's einer als Glaubensartikel vorschrieb, nun, so fänd das keinen Widerspruch in meinem Geist, obschon es eine Lächerlichkeit ist, die Wahrheit als Glaubensartikel festzustellen und den Geist dran zu binden wie an einen Pfahl. – Ei, durch die Wahrheit wird ja der Menschengeist – was soll ich ihn an seine Erzeugung durch Schwüre binden? – Ich mach ihn ja grad dadurch zum Lügner, daß ich von ihm verlang, er soll noch einmal apart Kontrakt machen mit seinem eignen Sein, daß er's wirklich ist. – Also das End von meiner langen philosophischen Abhandlung ist, ich glaub nicht an die sieben Schöpfungstage. Erstens, weil mir's nicht beliebt, zweitens, weil keiner dabei war und die Sach doch so akkurat erzählt ist, als wenn einer dabei gewesen wär, und drittens, weil ich nicht glauben kann, daß Gott schon am siebenten Tag [44] geruht soll haben und nichts mehr getan, und weil ich mir nicht kann weismachen, daß die Schöpfung je aufgehört hat, fort und fort lebendig durch Gottes Eifer.

Das ist mein Glauben; was nun noch andre menschliche Feststellungen anbelangt, die notdürftig genug in ihrer unbequemen Denkanstalt herumgrabblen und aus Mangel an Nahrungsgeist, an Wahrheit heißt das, Todes verbleichen werden, darüber wollen wir das Schicksal walten lassen.

Sie haben mir all andächtig zugehört, manche mögen die Frau Rat für nicht recht gescheut halten, ich verzeih's ihnen; sie sind ja selbst nicht gescheut, wie konnten sie also nicht närrische und absurde Ge danken über mich haben. Manche mögen eingeschlafen sein bei meiner langen herumschweifenden Abhandlung oder ungeduldig geworden sein. Mögen sie's dem guten Willen nachsehn, der drin verborgen ist, da sie in dieser Planlosigkeit doch nicht den geheimen Plan werden anerkennen, der immer im Geistestrieb schon liegt. Manche aber, die eine Verwandtschaft zu der Art zu denken in sich spüren, wann ich denen kindische Dinge vorgeschwätzt hab, die sie besser noch als ich verstehn, so werden sie sich doch freuen, daß es wieder einmal ein Zeugnis ist, daß die Wahrheit auch wie ein fliegender Same, ohne daß man ihn apart zu säen braucht, angeflogen kommt und in der Einsamkeit einen fruchtbaren Boden findet. – Nun aber will ich zum Beschluß denen Liebhabern von meiner Geschichte auch noch das End von meinem bestandnen Hofabenteuer erzählen. Ja, ich seh's, Sie machen alle freundliche Mienen dazu, daß es jetzt endlich wieder im Trapp gehen wird. Ich weiß noch genau, wo wir geblieben waren in der fatalen Situation, wo ich hinter der Gesellschaft geblieben war und ein bißchen eingenuppt; unterdessen war alles im Ballsaal und tanzte. Die Nacht war eingebrochen, und ich, unbekannt mit der Hofetikett, und doch mit einem Schicklichkeitsgefühl, was vielleicht grad aus grader herzlicher Aufrichtigkeit den entgegengesetzte Weg hätt eingeschlagen von dem, was statuiert wär, ich stand in der Klemm, wie ich mich zu verhalten hätt, aber ich wurde sehr bald herausgerissen. Die gute Frau Königin hatte mich in all dem Trubel nicht vergessen. Wie sie ihren ersten Tanz ausgemacht hat, da sieht sie sich um nach mir, und wie sie mich nicht finden kann, da gibt sie gleich Order. Das konnt ich durch die Fensterscheiben bemerken; – kaum hat sie nach mir gefragt, da laufen die Kammerherren, die Lakaien durch den ganzen Saal im Kringel herum, um mich zu finden. Aber, dacht ich, sucht ihr nur. – Wie sie mich nicht finden können, da fällt ihnen doch ein, daß ich vielleicht könnt im Garten geblieben sein, nun kommen sie heraus und verteilen sich in alle Regionen, ich drück mich dicht bei der Tür an die Wand, denn im Garten wollt ich mich nicht finden lassen, da hätt ich mich zu sehr geschämt. Nun dacht ich, jetzt ist der wichtige Moment, da muß ich einen energischen Streich machen, und mich auf gut Glück wieder ins Meer stürzen, unter die Hofwogen, und mich da um die Wett mit denen aufbauschen. Wie also ein Hoflakai wie ein Schuß Pulver von der Tür abblitzt in den Garten hinaus, [45] um mich im Gebüsch zu suchen, so fahr ich an dem blinde Hans vorbei, grad in den Saal herein, wo mir glücklicherweis alle Leut den Rücken drehten. – Ach!! – Gott sei Dank! – denn das Herzklopfen, was ich nach überstandner Katastrophe empfand – nun – wer sich das denken kann! – bis ich mich so allmählich wieder beruhigte. – Denk sich einer, wenn die Windbeutel, die Kammerherren und Kammerdiener, da die Frau Rat unter dem Vogelkirschbäumchen gefunden hätten, und hätten mit ihre Windlichter mir unter mein schlafend Angesicht geleucht. Nein, ich frag alle gute Freund, ob einer sich das gewünscht hätt? – Antwort: Nein! – Aber was man sich nicht wünscht, das soll man andern nicht gönnen. Ich auch hab mir's nicht gewünscht, und hätt's meinem Feind nicht gegönnt.

Wie ich mich etwas erleichtert fühlte, so rückte ich allmählich hinter den vielen Leuten hervor, die an der Tür standen, und kam so ganz nah an die Frau Königin heran, die winkt mir, und nun kommen die Kammerjäger von ihrer Jagd durchs Buschwerk zurück und wollen eben mein Verschwinden melden, da sehn sie zu ihrer Verwundrung, wie ich eben mit denen Prinzen von Gotha, noch ein paar ganz jungen Bürschercher, Bekanntschaft mach. Die erzählen von meinem Sohn, weil sie ihn sehr gut kenne von Weimarer Hof, und ich erzähl auch mein Bestes, und das war eine ganz vergnügte halbe Stund, wo ich mich ganz mit meinem Schicksal wieder aussöhnte. Auch hatte sich meine Verlegenheit nach und nach beschwichtigt über meine Toilette, denn ich hatte mir gleich vorgenommen gehabt, nur in keinen von denen großen hell erleuchtete Wandspiegel zu gucken, das war gar nicht so leicht. – Daß, wenn allenfalls was an mir in Unordnung geraten wär, daß ich nicht auch noch den Schreck auf mein gepreßt Herz laden müßt, weil aber die Leut mich all ganz vernünftig ansehn, und keiner eine zum Lachen gestimmte Miene macht, da wag ich's und tu einen Seitenblick, und finde mich nicht nur ganz menschlich, sondern ich gefalle mir auch sehr wohl mit meinem kuraschierten Aug, das da thront über alle verkehrte Eingebildtheiten, mit dem sie mich rund umher zu überschauen meinten. Ich schaute auf sie wieder herab, wie ein Wetterdach, das sie in Schutz genommen hat gegen den erfrischenden Regen und den kühlenden Wind, dem sie sich auszusetzen Bedenken tragen, und so ließ ich sie mich umirren mit ihren nichtssagende Blicke, als bloß wie dürres Laub, was im Wind dahinfliegt.

Die gute Frau Königin sah mir's an, daß es Zeit wär mich zu entlassen, sie nahm da mein Dank recht freundlich auf, und erinnert mich an die Zeiten, wo sie in meinem Haus unter meinem Schutz gewohnt hatte und tausend lustige Spielstunden in meinem Hof sich gemacht. –

Da ich nun entlassen war, so kam gleich wieder so ein dienender Geist von morgens früh und frägt mich, ob ich vielleicht den Wagen bestellen wollt lassen? – Nichts lieber wie das, sag ich, bester Freund, verdienen Sie sich einen Lohn im Himmel, und helfen Sie mir über die königlich Schwell hinüber in mein bürgerlich Dasein. Wie ich nun wieder im Wagen saß, wer war froher wie ich? – Ich hatte vor allen überraschenden Verlegenheiten [46] und Sorgen gar nicht können an meine goldne Kett denken, jetzt beguckt ich sie im Mondschein, und sie machte mir doch großes Pläsier. – Denn alle Auszeichnungen, die mir werden, das weiß ich, die hab ich doch meinem Sohn zu danken, und wie soll das eine Mutter nicht freuen? – Kurz, ich hatte die schönsten Gedanken.

Ja, es war eine pläsierliche Fahrt in der Kastanienallee heimwärts. Alle Baumschatten flogen im Vorbeifahren mir über meine geblendete Augen, die ganz in tiefen Gedanken mit der in den Mondstrahlen blinkenden Kett sich beschäftigten.

Es muß ein Weltengeist geben, der alle wahre und kräftig natürliche Gefühle nicht in den Lüften verschwirren läßt. So ein Seufzer aus dem Mutterherzen, auf der Darmstädter Chaussee, ist nicht dort geblieben, als irrender Geist herumzuschweifen. Er wird sein Ziel gefunden haben, auch war mein Herz ganz feurig, und ich dacht, so wird auch heut nacht die Frau Königin eine vergnügliche Ahnung von mir haben, daß sie mich hat so in einem feurigen Rapport gesetzt mit meinem Sohn, daß ich ihn da im Mondschein zwischen dem Baumgeflüster vor mir schweben sehe, und kann die schönste Rede führen mit ihm, weil da allerlei Meldungswürdiges mir begegnet ist. Ach, was man sich nicht vor unschuldige Unmöglichkeiten einbilden kann! – Aber Muttergefühl ist eine Wünschelrut, die schlägt in allen weiblichen Herzen an. Und die Frau Königin auch wird nicht ohne Absicht das Verdienst als Mutter in mir belohnt haben, sie wird gedacht haben: wenn sie doch auch so ein Sohn möcht zur Welt bringen, der diese mit seiner Unsterblichkeit könnt ausfüllen. – So ein Wunsch ist kein schlecht Gebet für eine erhabne Landesmutter – es begreift das Wohl des ganzen Menschengeschlechts in sich und es kann erhört werden, eben weil es der Müh wert ist, so zu beten, so lohnt es auch dem Schicksalsgott die Erfüllung.

Ich hab's im Mutterleib schon gespürt, was aus meinem Kind wird werden, und hab auch keinen Augenblick dran gezweifelt, seit er auf der Welt war, daß es zu ihrem Heil werde sein. Warum? Meine Gedanken waren immer aufs unverschuldete Naturleben gerichtet, wo ich den Verkehrtheiten aus dem Weg rücken konnt, denn nie hab ich heller empfunden, wie sehr das Geschick des Menschen ins Gedräng kommt bei dem Lehren und Predigen verkehrter Grundsätze, als während ich auf meinen Sohn gewartet hab, daß der das Licht der Welt sollt erblicken. Und mein sehnend Gebet war stets, daß sein Dasein, seine Seele einst eine Beweisführung für das alles sein möchte, was ich in der Natur als heilige Widerlegung ihrer verkehrten Erziehung, ihrer Umschaffung des Menschengeschlechts empfand. Obschon nun als die pedantischen Unglücksseher haben die Händ überm Kopf zusammengeschlagen über meine unpädagogische Grundsätze, so ließ ich mich's nicht anfechten, denn ich hielt mich an die Natur, die mein Gebet gleichsam aus mir herausgelockt hatte, so wußt ich also, wonach ich mich sehnte, auf was ich hoffte, das war die Wahrheit. Und vom ersten Augenblick, da er geboren war, ist mir über alle Dinge ein ander Licht aufgegangen, [47] und hab erst meine wahre Erziehung genossen in dem unschuldigen heldenmütigen Übermut meines Sohnes, der alles Große auf der Stelle bewähren zu können keinen Augenblick zweifelte, und der mit allen Kräften auch dahin strebte, daß, was sein Gefühl einmal berührte, das ward eine Flamme in ihm, in der er den eignen Sinn erhoben hat über das Gewöhnliche. Da sind mir erst recht die Gedanken gekommen über die Engherzigkeit, mit der man dem frischen Geist den Boden vor den Füßen abgräbt! Wie die Welt sich da selbst im engen Netz verfängt und allen Verlust davon hat, aber wenn einmal ein großer Geist geboren würde mit unverderbbarer fester Charakterstärke, und der käm unter eine Krone zu stehen, wie ich's der Frau Königin damals in der Nacht auf meiner Heimfahrt hundertfältig gegönnt hab, und er begreift seine Mission recht, was er nämlich der Menschheit schuldig ist, wenn er seine wahre Unsterblichkeit gründen will, nicht aus Eitelkeit, sondern aus hohem weitsehendem Geist, der aus Ehrfurcht vor der Wahrheit sich keine Lüge erlaubt, in keinem Stück, nicht in der Politik, und nicht in seinem Herzen, und nicht über seine Fehler, der würde eine unerreichbare Höhe über der Menschheit einnehmen. Wie ein glänzender Stern würde er dastehen, und die Menschheit würde dann erst begreifen, was das bedeuten will, auf einer so hohen Stellage, als ein Thron ist, ihr Ebenbild wahrzunehmen, um zu begreifen nämlich, wie sie sein sollte und was sie aus sich machen sollte. – Das ist gewiß, die Menschheit würde hinter so einem Fürsten nicht lang zurückbleiben, im Gegenteil, sie würde ihm bald vorherlaufen und ihm den Weg ebnen über alle finstere Klüfte des Aberglaubens und der Angst um nichts, wo er das Sehnen alle, was der Menschheit den Busen schwellt, aus eignen unverkümmerten Himmelsgaben stillt, sie würde ihn auf ihren Schultern tragen ins Paradies des Bewußtseins. Das heißt, wo der Geist freies Spiel hat und braucht sich nicht mehr zu verbergen vor dem Vorurteil, was mit gewappneter Faust ihm ins Gesicht sonst geschlagen und hat ihn betäubt ganz, jetzt aber geblendet von seinem Glanz ihm unterliegt, da muß dann auch die Lieb offenbar sein zwischen Fürst und Volk, das wird schon der erste Schritt sein zur Sündenlosigkeit; daß eine ganze Nation nicht mehr zu heuchlen braucht, und braucht nicht mehr Glocken zu läuten, weil's Geburtstag ist, und Kirchenfeierlichkeiten zu halten, wo der Prediger sich ein Loch in den Kopf studiert, eine Festpredigt zu halten, wo man ein Tedeum singen soll, daß ein so edler Fürst die Zeiten regiert, der nicht wie der bewußte Nebukadnezar ein grasfressendes Tier wär, sondern er hätt nur aus reinem Pläsier an den Naturwissenschaften die schöne Wiesenkräutercher beliebt zu speisen. – Ja, was kann das uns batten, aus was vor einem Grund so ein Fürst Liebhaberei hat am Grasfressen, ob's ein tierischer Trieb wär oder sonst ein Grund, immer ist es tyrannisch, Menschen, die keine Schafe sind und keine Ochsen, so zu dene Heubündel und zu solcherlei Kräuter einzuladen, die kein Salat sind oder Christkohl oder Spinat und gelbe Rüben, sondern Futterkräuter. – Und wenn auch alle Herzen disponiert wären, ihm den Weg mit Palmen [48] zu bestreuen und Hosianna zu singen, es müßte ihnen über dem Erbsenstroh und Häcksel doch am End in der Kehl stecken bleiben. –

Was hilft alles Nachdenken und Sehen in die Zukunft, wenn's der Eigensinn von sich stößt? – Wenn der Hoffart nichts will zu danken haben der Natur, die doch allein das folgsame Kind Gottes ist. Und da muß freilich die Langmut das einzige Rettungsmittel sein, mit der man abwartet, bis eine höhere Zeit kommt, wo der Geist sich aufschwingt und der Tyrannengeißel vergißt, denn es hilft alles nichts, sie begraben nur sich selbst. Der Geist ist's ja, der immer am dritten Tag wieder aufersteht, sie können aber die Lieb nicht auslegen, und buddlen den Auferstandnen immer wieder ins Loch ihrer Albernheit ein.

Ich hab als gedacht: kommst du heunt nicht, so kommst du morgen. Das ist ein Sprüchwort, was seine zwei Seiten hat. – Nicht allein gegen die Trägheit ist das eine Spottrede, sondern ein Geißelhieb ist's für die schwachherzige Menschen, die in die Speichen vom Schicksalsrad eingreifen. Das Rad hat einen so gewaltigen Schwung, daß es über alle Vorkehrungen hinaus sich Bahn macht, und nur der Geist darf ihm begegnen, denn seine Weisheit ist einverstanden mit ihm. Aber die, welche sich ihm widersetzen, streut es wie Spreu durch seinen Gegenstoß in die Lüfte, daß sie sich selber nicht wiederfinden und nicht wissen, wer sie gewesen sind. Sie werden, wenn ihnen noch Besinnung bleibt, an ihr eigen Nichts glauben müssen aber die heilig Unsterblichkeit, die jedes Fürsten heiligste Aufgab ist (denn das ist der einzige Schritt zur ewigen Seligkeit), die ist versäumt. Und was sie ganz der Vernichtung preisgibt, das ist, daß die Erleuchtung, die von ihnen hätt über die Völker ausstrahlen sollen, in einen düstern Keller sich verwandelt, wo keiner die Hand vor den Augen sieht, und natürlich lauft da alles zusammen in so einer Dunkelheit, wie eine Herd Schaf, die im Pferch auf dem Feld sich vor dem Donnerwetter fürchtet, sie ducken sich eins unter das andre vor dem Blitz.

Sprecht ihr mir die prophetische Gab ab? –

Du nicht, die hier zu meinen Füßen sitzt, dein feurig Aug spiegelt meinen Seherblick. Was mach ich mir aus den Kalbsaugen der Welt, die jede Wahrheit ungläubig anstieren, oder auch unbewußt, von was die Red ist.

Vom Heil der Welt ist die Red, vom allebendigen Geist, der soll nicht unterdrückt werden, in welcher Gestalt er auch erscheine. Der Aberglaube, der dieser Gestalt zwar anhängt, aber in dem ihr Geist nie lebendig geworden der diesen Geist verfolgt und ihn zwingen will, in seinen heiligen Umwandlungen stillzustehen, der muß verfolgt werden, der ist der boshafte Tyrann, welcher aus der Wahrheit eine Lüge macht. Aber ihr! – Nicht ihr allein! alle Welt, was hilft ihr Hallelujasingen und Glockengeläut? Nur ein Ton dringt ins göttliche Ohr.

Was mag das vor ein gewaltiger Ton sein, fragt ihr, der zwischen allem Weltgetümmel, durch die Wolken hinauf dringt, der den himmlischen Heerscharen ihre Fanfaronaden übertönt, und ihre Freudensalven und unendliche [49] Lobgesänge, die die Himmelswölbungen durchdröhnen, und sich allein vernehmbar machen kann dem göttlichen Gehör! –

Wie soll ich darüber Aufschluß geben? –

Horcht einmal! – Wie still ist's eben in der abendlichen Stunde hier in der freien Natur! – Kein Lüftchen geht! – kein Blättchen regt sich! – Seht einmal, auf dem Main kräuselt sich kein Wellchen – so still ist's – man hört ein Käferchen summen von weiter Fern, eben kommt's daher geschwirrt! – Die Sonn mit majestätischen Schritten geht schon abwärts, man hört ihre Sohlen nicht aufklappen, so einen leichten Tritt hat sie. Es ist bewundernswürdig! – es rührt mein Herz, daß eine so allgewaltige Stille Macht hat über den ungestümen Weltlärm, der sich gleichsam vernichtigt in ihr, wie die Atome, die sich herumtummlen in dem Sonnenstrahl, der da durch die Zweig zu uns heruntersteigt! – Und das Bienchen, das eben von seiner langen Reis kommt, unterbricht die abendliche Stille mit dem Auftappen seiner Kurierstiefel und seine klirrende Sporen, mit denen es so ritterlich die Blumenknöspercher anfährt, die sich nicht gleich auftun wollen. – »Holla! Wirtshaus!« Jetzt wird's auch lebendig unter denen Federnelkercher. Horcht! – – wie sie aufplatzen! – Und es kommen noch mehr Gäst! und es regen sich noch mehr Sträuchelcher, seht emal den langbeinigen Lavendel an, der klirrt zusammen mit denen Mückelcher und Schnacke, die in beflügelter Eil durchrenne, als wenn man auf einer neuen Chaussee rumpelt. – Und – ei, das nimmt ja kein End mit dem Nationengeschwirr von fliegende und krabbelnde Reisende! Und was sie schnattern und bunt aussehn und lachen übereinander und galern, wie so ein Zug von emigrierte Franzosen! – Ja, an ihrem lustige Humor und wie sie all Platz finden und jeder den andern ungehindert vorbeiläßt, und zufrieden sind, wie sie unterkommen, und wie sie ritterlich vornehm aussehn derbei, und jeder so stolz auf seine Eigenheiten, ohne den andern zu verachten. Man könnt sie wohl mit einem französischen Emigrantenzug vergleichen. – Nun, ich hör alles, ich fühl alles, was unter denen Tiercher da vorgeht, und ihr Getue füllt mir Ohr und Herz und Geist! daß ich mich mitten auf dem Marktplatz befind des Lebens. – Aber lauscht einmal in die Fern rund umher, so seid ihr dennoch umgeben von der unermeßlichen Allgewalt der Stille. – Das bejaht ihr mir. – So ist's mit Gott auch, im Reich der Stille waltet sein hörsamer Geist, und der klingt zusammen wieder mit Geist, der allein diese Stille zu unterbrechen vermag. Nur, was mit dem göttlichen Geist zusammen erklingt, das vermag ihn zu berühren. Er muß sich selber vernehmen in dem, was zu ihm dringen will. Und ihr seht, daß das nicht grad braucht ein gewaltiger Ton zu sein. – Nein, der himmlische Klang von seinem Geist ist so leicht zu reizen wie die allebendige Natur, wo auch ein einzig Bienchen schon ihren schönsten harmonischen Einklang wecken kann, und sie läßt sich rühren und umstimmen in ihrem geistigen Vermögen, bald durch einen Vogel, durch ein murmelnd Wässerchen, durch den daherschwirrenden Morgenwind, durch die blökende Herde, und so geht's durch alle Tonleitern ihrer Musik bis zum [50] brausenden Meeressturm, den sie in ihrem sanften Schoß wiegt, alles, was mit ihr anklingt, das wird auch von ihr vernommen, denn sie gibt ja deutlich Antwort! – Und! – horcht ihr! – Es ist lauter tröstlicher allbelebender Balsam, ihre Sprache! – Also die Sprache Gottes so deutlich nachgeahmt, daß man glauben dürft, man hört ihn selbst. Ja, was soll sie auch widerhallen als Gott allein! – Und darum, seht ihr, mach ich den richtigen Schluß, daß die Natur in fortwährendem Geistanklingen ist mit Gott, und daraus schließ ich ferner, daß aller Geist aus der Natur entspringt, und der Schluß, der jetzt folgt, ist, daß der Geist unbehindert hervor soll treten aus der Menschennatur, weil es die alleinige Kraft der Berührung ist mit Gott, und weil unmöglich das göttliche Gehör was anders vernimmt als den freien Geist. – Der ist die lebendige Kirch, die Gemeinschaft des Heiligen, die alle in sich versammelt, welche Anspruch haben an Unsterblichkeit. – Wie kann einer mit Gott sich vernehmen wollen, daß der in ihm walten soll, der Sinn und Leben in uns erst frei erschaffen, er aber zwingt sie in eherne Bande und fordert Tag für Tag widersinnigen Gebrauch ihnen ab? Und nun erschallt aus denen nur Widerspruch gegen die Wahrheit. Der dringt nicht zu Gott. Er hat keinen Klang, nur Gespenstergerumpel, wie das vom erstorbnen gewürgten, erst irregeleiteten und dann mit heimliche Martern über die Seite gebrachten Prinzip des Lebens nicht anders zu erwarten ist, es wandert um als Gespenst unter denen, die es durch trügliche Mittel auf falsche Bahnen geleitet haben, es droht ihnen, es rächt sich an Kinder und Kindskinder, – jagt sie in Schrecken mit seinem Kettengeklirr. Ja selbst die Zeichen seiner Gefangenschaft befallen seine Schergen mit Angstschweiß durch sein Gepolter in dem Geschlecht seinem Denkkapitol, das ganz verödet und nur Nachteulen und Schuhu drin nisten und dann solch Gewürm, was sich keine Rechenschaft darüber zu geben vermag, warum dem freien Geist, der die einzige Vermittlung ist mit Gott, diese versagt soll sein. Wie könnt ihr's verantworten, ihr Potentaten! – Jawohl Potentaten, denn dies sind Taten mehr von einem Tier, das Poten hat als Schritte des menschlichen Geistes. Einen Spukgeist habt ihr statt dem Weltengeist, der mit dem Göttlichen anklingen soll in der Menschenbrust. Umwandern wird's nun, solang euer Lebensgang dauert, und ihr werdet flüchten mit Furcht und Schrecken, vor was? vor dem leeren Schall, den ein Gespenst macht, wo der lebendig Geist, hättet ihr ihn geduldet, euch frei gemacht würde haben von Furcht und Schrecken, da muß euch jetzt ein todiges Gespenst in die Flucht jagen! Hättet ihr noch Courage. – Aber! Wer wird euch befreien? – Nun! grad wer das Gespenst erlöst, ja, das auch, harrt seiner Befreiung, es sieht mit schauervollen Gebärden aus seim Schemengefängnis hinaus auf die Fluren der Natur, es ist ein hart Gefangner, es weint blutige Tränen! – Ach, ach! – ein einziger Sonnestrahl, der im Vorüberfliehen auf seine Luke leuchtet, dem schreit es mit entsetzlichen Gebärden des Wahnsinns entgegen: rette, rette! – Aber die Menschheit reißt aus und kreuzigt sich und ruft: Alle gute Geister loben Gott den Herrn! – O du Esel! – erlös den jammernden [51] Geist dort! Erlös deinen eignen Geist, oder du wirst nie mit guten Geistern den Herrn loben! – Denn da wird man mir doch ohne evangelische Beglaubigung beistimmen, daß Gespenster bei unserm Herrgott keine Audienz haben, und daß die auf dem himmlischen Teppich kein Rumor machen dürfen!

Alles wächst in der Natur, sogar der starre Stein, und das Allebendige, der Geist, soll nicht wachsen dürfen? – O kurzsichtiger Mißbegriff der Zukunft, die Welt willst du in Angeln halten, aus denen der Geist sie herausreißen will, um sie zu retten, ja gelt! darauf hattest du dich nicht gefaßt gemacht, daß diese Angeln verrostet sind und von selbst zerfallen! – Nun willst du's nicht lieber mit deinem nagelneuen System, das du so sehr ins Feine gesponnen hast, umgarnen und so das ganze Weltengebäu im Schlepptau hinter dir drein ziehen? Ja, du bist so närrisch! Du erinnerst dich mit Vergnügen des Gastmahls, wo du den Verstand mit Löffel gefressen hast, du kannst dir was zumuten fürs Menschenwohl, hat dich doch der Landesherr, der von deim gute Appetit und von deiner edlen Mäßigung an diesem wohlschmeckende Gericht von alle Seiten Kunde hat, gleich ausersehn und berufen, weil er hofft, du werdest nun deine ganze Verdauung dieses Gerichtes aufs Menschenwohl auch applizieren. Du versprichst es auch mit Hand und Mund und machst unglaubliche Anstalten dazu – aber die witzige Menschheit mit schalkhaftem Lächeln entzieht sich dem aus lauter Höflichkeit, weil sie mit ihren eignen Anstalten noch nicht so weit ist, um dir das Gegenkompliment zu machen. – Du meinst, sie fürcht sich vor deiner geweihte Rut? mit der du alle Schulmeister unter dir bewaffnest, um die Jugend in Respekt zu halten, daß die sich lieblich soll machen, in ihrer Furcht des Herrn vor dir! Ei, wärst du nur ein klein Weilchen später kommen, du würdest klaftertief begraben unter allem Dank, den sie dir zugedacht hat. – Ei! und der blinkende Stern, den der Schneider Puff dir auf den Habit habillé flicken muß! – Was hast du davon, lieber Ehrenfreund? – Nichts, als daß du um der fürstlichen Gnade willen, die dich überfallen hat wie der Dieb in der Nacht, mit den Händ auf dem Rücken herummarschierst in der Gesellschaft, grad auf den weißen Ofen los, von dem dein schwarzer Rock absticht, und dann der silberne Stern sticht wieder vom schwarzen Rock ab. Du bist ein ausgezeichneter Mann, du kannst deine doppelte Verdienste an dem Ofen schon ins Licht stellen.

O Menschheit, wo bleibt dein Wohl? Soll das immer aufs neue von dem albernen Samum der Aufgeblasenheit, der dahergestoben kommt in der Wüste, unter den alten Sand begraben werden? – Seh, wie du dazu kommst! Der Herr Staatsbeamte, der so ganz dazu geschaffen waren, weil er bei dem großen Gastmahl des Verstandes sich gar nicht übergessen hat und doch sein Appetit gestillt, der sein vom eignen Wohl allzusehr in Anspruch genommen, und vorab von der Würde, die er nun angesichts der störrigen Menschheit zu behaupten den Mut nie sinken lassen wird, er kann es gänzlich nicht berücksichtigen, mit dem besten Willen nicht. Menschenwohl, [52] mucks nicht! Du kannst dich ja selbst nicht verteidigen vor deinem eignen Gewissen, daß du so albern warst, dein Vertrauen in ihn zu setzen, wie willst du dem Landesvater Klagen vorbringen! Laß es bleiben, dem sind die Ohren so voll gepaukt und getrompetet und gezimpelt und von denen Kirchenväter einverleibt und von dene Andächtige vorgegreint von seine hohe Verdienste, daß er's glauben muß, er wird ohne ihn nicht fertig, bis er durch Schaden klug wird! – Und dann! – Weißt du dann nicht vom Herrn Minister seim Pakt mit dem Teufel? – »Ja, guck einmal die Verleumdung! – – Der heilig fromm Mann soll ein Pakt mit dem Teufel haben!!« – Das glaubst du nicht und willst's nicht glauben! – Aber das ist ja grad seine beste Entschuldigung. Warum willst du die nicht gelten lassen? – Und warum soll ich dann mein Glauben an den Teufel nicht bekennen dürfen? – Während ihr bei jeder Gelegenheit euer Zuflucht zu ihm nehmt, bald muß er euch als Schäferhund die Herde im Pferch der Kirche zusammenhalten mit Gebell und tausend muntere Sprünge, bald als Geisterseher euch dienen, denen Fürsten die Zukunft zu weissagen! Gott! Allmächtiger! schreit er aus eurer Kehl heraus: »Was soll daraus werden, wenn die volle Kraft der Natur im Menschengeist erlaubt wär?« – bald wieder als Zuchtmeister für die Philosophen, die sich vor dem Tod fürchten! – bald muß er um lockende Zahlpfennig dem Menschen seiner Seel Mariage spielen lassen mit dem Christentum, das geschieht gewöhnlich, wenn so ein recht schwarzer, rußiger, ungetaufter Jud über der allzutiefen Gelehrsamkeit das Wäschen hat versäumt, und hat so eine rechte Krust von altem, mosaischem Dreck auf sich sitzen, da schickt ihr den Teufel, ihn zu beschwätzen, daß er sich doch soll die Abwaschung gefallen lassen, und sagt, dann sei er kein Jude mehr, aber, wem der Teufel das auch weismachen könnt, dem Juden macht er's doch nicht weis. Meint ihr, die Dienste tät euch der Teufel umsonst? Erstlich macht ihr ja alle, die ihr dazu kriegen könnt, zu des Teufels Handlanger, einer muß immer dem andern die Bausteine zulangen zu denen großen Bauten, die der Teufel euch aufführen muß, und den Kalk löschen und Mörtel und Lehmpatzen machen. Ja, das geht ins Große! Gebäude zur Besserung der Menschheit, wo sie des Teufels drin werde vor Stillschweigen und vor gottseligen Gedanken, die tägliche Kost sind. Also das ist schon wieder ein Tribut, den ihr da dem Teufel zahlt. Jetzt ist aber noch ein anderer Dienst, den er euch leistet, er läßt euch nämlich als Fahnenlappen an einer langen Stange in der Höhe vor der Prozession aller heuchlerischen Seelen im Wind flattern und spielend bald links, bald rechts eure Verdienste und Schönheit in die Augen leuchten! so daß ihr gleichsam unwillkürlich mit gesenktem Blick beschämt euch fügt in erhabner Demut, oben als Musterbild gottseliger Würde im Wind zu wehen. Diesen Triumph bereitet euch der Teufel auch nicht umsonst. Ihr müßt Haar lassen davor! – Nun soll er auch noch bei unserm Herrgott darlegen, was ihr schwebende Fahne durch euer offenbares Beispiel, durch eure Zucht und Strenge Großes gewirkt habt, bald habt ihr gemischte Bündnisse nicht geduldt, bald habt ihr [53] sie wieder gemischt, und dabei die Nachkommenschaft für euren Pferch erwischt. Alles dem Gott zu Ehren. Dann hat euch der Teufel müssen auf dem Land Wirtschaft machen: es soll kein Schwein geschlacht werden am heiligen Sonntag, dabei ist der Teufel gleich ins Schwein gefahren und hat dem Bauer den ganzen Sonntag den Text gelesen mit Grunzen, daß er vor Ärger kein Stoßgebetchen konnt zum Himmel sende, und keine Ruh hat, bis er's beim Kragen kriegt und ihm das Mordeisen tief in den zuckenden Busen sticht. Dabei findt der Teufel natürlich seine Rechnung, aus einem unschuldigen Schweineschlachten wird ein mit Vorsatz ausgeführter wohlüberlegter rachesüchtiger Mord, und den ganzen Sonntag hat er ihm obendrein mit seiner verpesteten Gegenwart im Schwein verdorben.

Zweitens soll der Teufel ihm die Spinnstuben auf dem Land auseinander jagen! – Ja, man könnt das wieder einmal unschuldig nennen, dem Teufel so ein Auftrag zu geben. Hätt der Großkanzler, oder was er für ein Beamter sein mag des Reichs, ein bißchen Berechenbarkeit in seim Ingenium, da müßt er schon voraussehn, das geht schief. Der Teufel kommt in Gestalt des schwarzen Peters und sprengt sie auseinander: »Nicht mehr als vier in einer Spinnstub, jetzt teilt euch ein und seht, wie ihr zusammen fertig werdet;« und dann lacht der Teufel und schleicht fort. – Am andern Morgen, am End der Predigt, donnert's von der Kanzel herunter: »Unter die Linde soll sich nicht versammelt werden zum Tanz, das entheiligt den Sonntag.« Da wachen auf einmal alle Bauern aus ihrem Kirchenschlaf auf, und strecken die Köpf in die Höh. »Und«, fährt der Teufel in Gestalt des Predigers fort, »wenn ihr das Gebot nicht respektiert, so ist ein allergnädigster Befehl da, daß die Linde umgehauen wird.« Die Bauern rennen mit Sturm aus der Kirch heraus. »Was soll das heißen: ein allergnädigster Befehl gegen unsre Linde, die von unsern Voreltern ist gepflanzt worden, daß man in ihrem kühle Schatte am Sonntag sich mit Gesang und Tanz sollt erholen von der sauern Wochenarbeit!« – sie ärgern sich bitter, schlagen die Pfeifen entzwei, reißen die Bänk um, saufe Bier und Branntwein in ihren Ärger, und fluchen, daß eim die Haar zu Berg stehen. Ei wem? – Ei dem! – Was wollt ihr euch ärgern, ihr liebe gute Bäuercher! Macht ein frühe Feierabend am Samstag, tanzt und jubelt die Nacht, schlaft den Tag auf der Ofenbank oder in der Kirch aus, und bringt am Montag früh die Arbeit wieder ein. Ihr habt offenbaren Vorteil, ihr braucht am Sonntag euch für den Kirchgang nicht zu rasieren. –

Nun! daß hier der Teufel im Dienst des Staatsdieners die Wirtschaft führt, das wird euch doch überführen, daß der sein Seel ihm muß verschrieben haben. Oder tät er das alles umsonst? – Jawohl! was hat er von einer Seele, an der schon im gesunde blühende Leib eine moralische Vermoderung sich spüren läßt? – nichts, als daß er damit die gesunde Seelen türängelt, die den Geruch der Verwesung nicht ertragen können. – Ja, das ist eben sein Pläsier! – Das Ärgernis des gesunden Geistes. Aber wart, deine Krallen werden dir beschnitten werden, du schwarzer Hanswurst! –

[54] Doch kann der schwache gebundene Menschengeist gar leicht in die Flucht geschlagen werden von einer andern Gattung Gespenstererscheinung, die polypenartig aus jener Geistesgebundenheit entsteht. Was ist die aber? – Ich hab mein Lebtag gehört, es wär entweder ein Pudermantel, der überm Kleiderstock auf dem Gang hing im Mondschein. Da ist ein Zugwind kommen und hat ihm die beide Ärmel aufgeblasen, die hat er dann ausgestreckt, als wollt er den arme Sünder umfangen, der da den Gang mit Furcht und Schrecken ausreißt und läßt den Pudermantel als siegenden Feldherrn den Platz behaupten, oder ist's auch ein Bettlaken gewesen, das man durch ein zufälligen Traum veranlaßt worden war, mitten in der Nacht zum Gaubloch herauszuhängen. Nun hat das dene gottes- und höllefürchtende Seele, die es zufällig sahen, schrecklich ins Gewissen geredt, sie sind in sich gangen, sie haben kein Schelmenstreich vor dem Bettlaken mehr leugnen könne und haben auf ihre Knie die ganze Nacht gerufen Mea culpa, aber wie die Sonn aufging und sie sahen, was ihr Rachegeist zu besagen hat, da war's aus mit ihrer Reue. – Sonst von keim Gespenst weiß ich nichts, es gibt ihrer auch schwarze, die hab ich aber nie Gelegenheit gehabt zu prüfen, vor solchen Erscheinungen also verzagen, das ist: vor nichts sich fürchten. Ich sag euch aber, am meisten fürchtet sich der Mensch vor der Unsterblichkeit. – Das reimt sich gar wunderlich! – Die Unsterblichkeit ist der Mensch selbst, denn sonst grad ist ernichts! Die Unsterblichkeit ist alles, und das übrige ist nichts! Wer mir nachdenken mag, wird's spüren, daß ich recht hab, die andern mögen mich für närrisch halten. – So verzagen also die geistfürchtenden Menschen vor allem und vor nichts. – Nun frag ich, ob sie nicht selbst Hirngespinste sind? – Ei, so laß doch den Geist seine große Flügel ausbreiten und fürchte dich nicht, daß er dir damit auf die Nas schlägt, ei, so wirst du doch gewahr, du hast eine! Was du von dir nicht gewahr wirst, das kannst du auch nie fassen! – Die Welt aus den Angeln heben! Närrisch Hirngespinst, laß es geschehn, du kannst dich drauf verlassen, sie kommt auf den rechten Fleck! Laß du den freien Geist gewähren, und dich wird er aus deiner Verfallenheit herausreißen und in die Unsterblichkeit übertragen! – Davor fürchtet sich deine Nichtigkeit? – Warum? – O laß ihn in die Asche deiner Seele blasen, vielleicht ist noch ein Fünkchen anzufachen, und du fühlst dich bald mitten im Geniusfeuer! Aber in deinem Nichts, was soll dir da der Geist? – Und nach deinem sogenannten Tod wird dich nichts mehr an dich selbst erinnern, da du dich nun im voraus von der Unsterblichkeit losgesagt hast. – Was kümmerst du dich um die Welt, daß die sollt aus den Angeln gehoben werden! Da du nicht zur Welt gehörst? – Der Geist und die Welt sind ein Ding, wo der nicht frei herrscht, nur durch sich selbst gezügelt, da ist die Welt ein Hirngespinst, was du auch bist! Wollt mich der Geist im Wirbelwind mit sich fortreißen, ich ließ es geschehen, denn ich bin ja doch ohne ihn Staub und Asch, und kann nichts sehen und erfahren und werden, als durch ihn allein.

Da komm ich nun hier auf meine kühne Gedanken zurück, die auf jener [55] wunderlichen Fahrt in der Nacht von Darmstadt nach Frankfurt all meine Lebensgeister in Aufruhr brachten, und wo ich gespürt hab, daß es gar so kein unmöglicher Schritt wär, sich für die Menschheit aufzuopfern. – Ja! wo ich mit meinen Ge danken ordentlich aus den Windlen herausgekrochen bin und eine freiere Luft atmete, und hab zu mir selbst gesagt: »Nein! der ist nicht wert ein groß Schicksalslos zu ziehen, der nicht ganz sich selbst, ja auch den eignen Ruhm seinem hohen Beruf aufopfern kann! Und wer sich selbst auch nur einen Augenblick mit ins Spiel bringt, der wird seine Mission nicht erfüllen.« –

Wir zählen jetzt: Anno sieben! Wie wir Anno vier zählten, da hatt ich sanguinische Hoffnungen, sie sind aber gewaltig gesunken. – Der Kriegsheld hat einen gewaltigen Anrand genommen, aber die große Geistesrevolution versteht er nicht. – Nun gut! – Zu klug wollen wir nicht sein. – Gewiß ist daß ich in selbiger Nacht von Herzen gewünscht hab, die Frau Königin möchte der Welt einen tapfern Sohn gebären, der den freien Geist, die Unsterblichkeit nämlich, nicht fürchtet. – Ich guckte hinauf unter die Stern und machte Glossen. – Und wie ich nun den Pfarrturm in der klaren Spiegelluft schweben sah und bedenk, daß ich jetzt im königlichen Wagen der freien Reichsstadt zuroll, in der ich hab vier Kaiserkrönungen erlebt, und wie da der Kaiser mußt vor unserm Territorium allemal haltmachen, und im Lager unter freiem Himmel im Zelt kampieren, bis in unsern Mauern ausgemacht war, ob wir ihn wollen oder nicht, und was das vor eine glorreiche Geschicht ist, wenn die Menschheit eine Geltung hat vor ihrem Regentenhaupt – ja dann ist's was anders! Wenn die deutsche Menschheit ihren Kaiser ansieht mit feurigem Blick, der ihn in Respekt hält vor seiner eignen Hoheit! – Das ist ein schön Weltverhältnis – wenn alle Lieb und Treue durch sich selbst gebunden ist. – Aus solche selbstwillige edle Treuheitsbündnisse müßte mein Reich bestehn. – Deutscher Kaiser zu sein, davor wollt ich mich gar nicht fürchten. – Weil ich meine Muttersprach kann, mit der kann man alles bezwecken, und das Volk versteht sich selber genau und deutlich, wenn es durch diese Sprache vor sich selber erhöht dasteht, es faßt diesen Geist und verbündet sich mit ihm. So würd ich also sagen, wie es dem deutschen Kaiser ziemt: »Ihr Völker! Hier steht eure Wohlfahrt auf dem Spiel, ich fürchte nicht, daß meine fürstliche Großmut für euch nicht ausreicht, und wenn ihr des Teufels wärt, nun so würden's die Begebnisse schon euch eintränken, denn von meinem Zepter aus hat nur die Milde das Recht, gerecht zu sein, und nur die Himmelsgabe, den Segen unendlich auszuteilen, ist mein Amt und mein Lohn. Habt ihr ein edles Wagnis vor, verzagt nicht an meiner Kühnheit, über Felsen und Klippen in aller Ausdauer ohne Vorwurf noch Verzagen euch beizustehn, denn warum? – der Zweck ist edel! Und was ist da zu fürchten? – Den Schweiß vom Angesicht zu wischen und dem ermüdeten Geist mehr aufzubürden, als er tragen könnt? – O nein, nimmermehr! Der ist dazu geschaffen, daß er trage mit erhabnem Haupt, und das ist der große Vorteil! – Und wenn's uns vor den Augen der Narren nicht rechtfertigt, [56] was wir versucht oder begonnen haben, was will das bedeuten?« – Das Gelingen ist nicht die Hauptsach, der Mut, nicht zurückzubeben vor dem, was wir groß achten, und wenn ihm auch an der Stirn geschrieben steht: Unmöglich; der rechtfertigt den Versuch! – Ihr werdet andere Menschen, wenn ihr den Geist zu eurer Waffe macht, um Bedürfnisse zu lösen und zu bekämpfen, an welche die Seele der andern angeschmiedet sind, und Müh und Not werden nicht mehr das Schergenamt an euch ausüben können, denn ihr seid deren Überwinder.

O glaubt nicht, daß etwas dem freien Geist, dem einzigen Gottverbündeten, nicht möglich sei! – Ich kann's euch zwar nicht für gewiß wahrsagen, aber was auch nur ein Kind in seiner ungeduldigen Phantasie im Traum erlebt, das Gefühl, ein freier Vogel zu sein in der Luft, auf den's allein ankommt, aufwärts zu steigen, das der große Schiller so sehnsüchtig aufrief: Segler der Lüfte, wer mit euch schiffte, den muß ich prophetisch euch zugestehn. Denn in meinem Herzen pocht es vor Freuden, wenn ich gedenke, daß vielleicht durch freiheitvolle Besitznahme des geistigen Horizontes einstens auch dem Leib kleine Flügel keimen, daß die vermögend werden, ihn ätherleicht durch die Lüfte hin zu tragen, was wir uns so oft wünschen bei schönem Abendrot oder bei aufgehendem Tag. –Plato sagt: ›Die Menschen würden weise regiert werden, wenn Philosophen auf den Thronen säßen!‹ Nun ich bin gerecht und Philosoph genug, wenn ich keiner Sklaverei und Abhängigkeit, von welcher Art sie seien, das Wort rede, oder sie auch nur dulde. Auf dem Haß gegen die Sklaverei ruht mein ganzes Dasein! Wie könnte ich von Freiheit euch vorreden! – so würd ich sagen zu den Völkern: »Wollt ihr mich, so sagt's. Ich will keinem als Kaiser sein, der mir nicht von Herzen vertraut, denn ich will nicht umtauschen, die mir und denen ich angestammt bin, ich will sie nicht im Wechsel der Zeiten umtauschen wie die Schergen, die den Christusrock ohne Naht in Fetzen zerrissen und sich drin teilten, mit dem Würfel in der Hand! Und mir sei euer Recht geheiligt. Daß ihr der Fahne schwört des heiligen Patriotismus! Und so weiter!« –

Und ihr glaubt, dies sei eine ausführbare Politik? – Aber wißt ihr, ob's nicht möglich sei mit dem Geist, die Unmöglichkeit auszuführen? – Und ich seh das im Geist, daß sie nicht unausführbar sei! Nein, daß sie die Politik ist, der die Menschheit mit starken Schritten zueilt. – Was ist dem Kaiser die Welt, wenn ihm die Menschheit nichts ist? – Ei das wär ja bequem, wenn die Pest alle Menschen ausrottet, und er bleibt allein übrig, so hat er sie unbestritten ganz und gar. – Wenn aber seine Seele eine kindliche Gewalt hat, die wirkt alles in der Menschheit. Mit göttlichen Geniuskräften hat der Fürst einzugreifen, und denen wird keine Gegenrevolution den Garaus machen.

Obgleich wir freie Reichsstädter nur klein im Angesicht der Narren sind, die's nicht verstehn, aber eine Perle sind wir in deren Augen, die's verstehn! – Wir geben ein Exempel vom schönsten Verhältnis zwischen Fürst [57] und Untertan, Republik und Monarchie zugleich! – Daraus entspringt zweierlei Gutes. Daß wir nicht vergebens seufzen nach was wir schon besitzen, die Republik ist unser Himmelbett, die Monarchie ist unser guter Stern am Himmel. – Das zweite Gute, was draus entspringt. Daß ein großer Monarch wirklich als von göttlicher Abkunft gehalten wird, daß er nämlich nicht in allen Stank sich zu mischen hat, der unter kleinlichen Menschen nimmer des Streitens und Rechtens ein Ende nimmt, sondern bloß dann eingreift, wenn seine Großmut den Ausschlag geben kann. Es ist nicht recht, daß ein solcher erhabner Repräsentant der Menschheit alle Sünden untersuchen soll, oder daß er soll sich müssen beleidigt fühle durch die! und sie einer Verantwortung schuldig machen gegen seine Würde! Nein, das ist ganz falsch! – Noch weniger angemessen ist's, daß die Menschheit sich vor ihm wie vor dem Schulmeister fürchten soll müssen! und daß sie nicht kann aufrichtig mit ihm reden vor lauter Respektsverletzungen, die sich ihr im Weg aufdringen, daß sie lieber wieder unverrichteter Dinge umkehrt. Und wo soll dann also ihm der klare Begriff über die Menschheit her entspringen, wenn die nicht darf den Quell ihrer Erfahrung und Ahnung frei und frank dahersprudlen? – Wo sollen ihm da kluge Regierungsgedanken entsprießen, wenn ihm jene nährende erfrischende Quelle nicht an die Wurzel seines Geistes dringt? Und warum soll der Geist nicht allemal das größte tun, was er vermag, zwischen Volk und Herrscher? – Soll das wahr werden, so müssen jene Gespenster erst verjagt werden, die zwischen beiden spuken und sich mehr Gewalt angemaßt haben, als der Geist je gehabt hat! Das kommt davon, wenn man sich gegen ihn wehrt! – Die Möglichkeit wird ihnen benommen, sich einander im Geist zu erscheinen. – Das Geschwätz und Gepolter der Gespenster verhindert die Geistesoffenbarungen zwischen dem Volk und ihrem Landesvater, verhindert ihre ursprüngliche Regungen, die gegenseitig immer großmütig sind. – So ist denn des Geistes Sklaverei dran schuld, daß seine ursprüngliche Regungen unterdrückt und er sich selber fremd wird! – – – – – – – Aber die Geister wollen einander immer sich selber wieder näher bringen! – einander fest machen, daß sie ihrem eignen Selbst willfahren, indem sie sich einander hingeben! –

Laßt mir meine Weisheit: Der Bürger einer freien Reichsstadt hat einen Verstand vom Regieren! – Er wird seinen Monarchen wie sein eigen Ingenium nicht preisgeben. Und das Regieren ist eben nicht schwer! Wär's nicht leicht, wie könnte Gott eine so große Verantwortung auf ein unschuldig Haupt laden? – In der Wieg ist so ein Landeshaupt ein ebenso unschuldig unvermögend Kind wie andre Kinder, und lallt wie die Kinder und hat dieselben Begehren, und endlich kommt es unter eine Krone zu stehen und soll das Glück aller handhaben. Und ihr meint, das sei schwer? – Ich sag, das ist leicht! – Denn, wer sich's schwer macht, dem gelingt's nicht! – Der Adler, der in Lüften schwebt, müßte der sich mühsam emporschwingen, dann, wie hätte der Kraft, sich oben zu erhalten? – Er muß das eingeborne [58] Feuer haben sich aufzuschwingen. – Wenn aber der Fürst über allen soll schweben, wie kann er sich herabziehen lassen von dem eigensinnigen ungeeigneten Willen jener Gespenster, die ihm für Menschen sich ausgeben? – und deren tote Seele in ihrem gesunden blühenden Leib ihm müßte ahnungsweise einen Schrecken einflößen. Da sie die scheidende Krankheit sind zwischen ihm und seinem Volk. – Denn vom Fürsten will das Volk regiert sein, der die höchste Großmut aus dem Volk selbst schöpfe, und jeder andre Wille ist zu klein, das Volk zu regieren.

Nun könnt einer sagen, der Fürst braucht vermittelnder Kräfte! Nein! Was er mit dem gotteingebornen Willen nicht vermag, das ist besser, daß er's unterlasse.

Ich berufe mich auf meine freie Reichsstadt. Das gegenseitig sich ausgleichende Bürgerrecht, das muß unter sich ausgemacht werden, da muß unser verehrter Magistrat vor den Riß stehen, daß alles mit dem Willen der Gerechtigkeit vor sich gehe! – Ein ganz Land regieren ist aber nicht anders, als sich selbst regieren! –

Als Christus gesagt hat, »was du willst, daß dir andre tun, das tue ihnen auch«, da sprach er zu unserm Frankfurter Magistrat, denn der handhabt die Politik – vom äußern Leben. – Die Fürsten aber sollen nur eine innere Politik haben; für sie sollen andre nicht da sein, sondern sie sollen in allem sich selbst fühlen, und für sie heißt es also: »Alles, was du andern tust, das tust du dir selbst!« – Wie nun! – Wär es schwer, zu regieren? – Dem Landesherrn, der den Willen für sein eignes Recht und Heil nur über alle gleichmäßig zu verbreiten braucht, um als vollkommen weise in allen sich gerechtfertigt zu fühlen, und zwar den einfachen Willen, der in jener Kinderseele schon instinktmäßige Natur ist. Und darum ist es nicht schwer, zu regieren, wenn einer mit den Kinderschuhen nur nicht auch die kindliche Seele abwirft! – den feurigen Geist für's Gute! – Werdet wie die Kinder, ihr Große und Herren der Welt, so macht ihr sie zum Himmelreich, an das ihr dann natürlich das erste Recht habt. Auch die Kinder führen ihr spielendes Regiment mit Ernst und leiden's nicht, daß Unberufne ihm in die Zügel greifen, und nur das ist's, daß sie der Phantasie ein heilig Vorrecht einräumen. Was ist aber die? Des freien Geistes poetische Kraft? – Und nein! Fürchtet euch nicht vor ihm!

Da preis ich unsre freie Reichsstadt glücklich, denn unser deutscher Kaiser strahlt seinen Glanz auf uns alle, die in seiner Hut stehen, da ist kein falscher Sinn möglich! Wir spüren's in jedem Nerv, wo man in den Nimbus von unserer Kaiserlichen Majestät eingreifen will; wir leiden's nicht! – – Lacht mich nicht aus. – Nein, wir leiden's nicht! daß man unsere Lieb und Treue in dieser uns schützenden und erhebenden Majestät verunglimpfe.

Fordert nicht von einem Phantasietraum, daß er gleich soll in die Wirklichkeit hinausschreiten! – genug, ein edel Verhältnis vom Volk zum Fürsten hat solche zarte Beziehungen, daß ihn nichts betreffen kann, was sein Volk nicht in tiefstem Herzen spürt. – Und wo es nicht wie das wallende [59] Blut im Helden sich freudig in alle Gefahren stürzt für ihn! so wahr ists, daß Volk und Fürst ein Leib seien, wo sie ein Geist sind, und laßt's erst einmal so weit gekommen sein. – Die Frau Rat wird's nicht mehr erleben! – Aber ihr könntet's erleben, wolltet ihr nicht ungläubig euch anstellen. Aber natürlich, aus den Wolken fallen keine große Tendenzen, sie müssen in der Seele geboren werden und mit dem Geist genährt. Die Schwere der Regierung liegt in der Waagschale von eurem Herzen, die Gewichte sind die Ansprüche der Menschheit an die Zeit, und das Gleichgewicht ist der freie Geist. Der schwebt und zeigt, daß das Züngelchen einsteht in der Waage der Gerechtigkeit. Es muß also das Regieren leicht sein, oder der Waage fehlt der freie Geist, nämlich das Vermögen, gerecht abzuwägen, so wie es leicht sein muß, dem reinen Sinn der eignen Natur zu entsprechen, oder das eigne höhere Leben geht dabei zugrund.

Also das haben wir ausgemacht, der Mensch braucht nur für die eigne Erhebung zu leben, so lebt er fürs Volk. Denn das Volk will erhoben sein auf den höchsten Standpunkt, wo sein Geist hinzureichen vermag, das ist sein Recht an den Fürsten, von dem ihn keine Gewalt freispricht, sondern sie bricht ihm den Stab, der diesem Recht nicht genügt, und entkleidet ihn seiner Fürstenwürde. –

Ihr wundert euch jetzt über diese Reden! haltet nichts davon! – Könntet ihr in der Zukunft lesen, ihr würdet bald noch andres gewahr werden, von dem sich kein Fürst und kein Volk träumen läßt. Beachte keiner, was ihm als Bildung aufgeprägt, sondern nur, was ihm als Wahrheit eingeprägt ist, da wird's bald Licht werden in ihm. Über die Nähe des Volks zum Fürsten hat wohl noch kein Fürst gedacht. – Denkt euch, käm die Pest und rafft alles Volk hinweg, wo blieb die fürstliche Gewalt? – Also je näher das Volk seinem Fürsten, je größer ist dessen Kraft, er schlägt wie ein elektrischer Schlag durch alle Herzen.

Bis jetzt hat man künstlich Fürst und Volk auseinandergehalten, um dem Fürsten einen künstlichen Nimbus zu bilden und dem Volk einen künstlichen Respekt beizubringen. Was ist das aber für ein gläsernes Verhältnis gegen das starke innige Band der Seele, mit Fleisch und Blut, das gleich zuckt, wenn die Seele feurig wird? – Ist jenes nicht unwürdig der Fürstlichkeit, und eine derbe Lüge? Und soll man dem Volk mit Schattenspiel was weismachen wollen, wenn es schon was Höheres ahnt und begreift, als je auf der fürstlichen Bühne war aufgeführt worden? –

Nein! kein Diamant und aus dem Meer gefischte Perlen kann der Krone mehr Glanz und Würde verleihen. Ein Haifisch hat manchmal in seinem Magen eine größere Perle als der Kaiser in der Krone, und sie ist ihm unverdaulich, er möcht sie von Herzen gern wieder ausspeien. Nun hat sie aber der Goldschmied erst in die Krone befestigt, dann sollen alle Völker sich beugen und anbeten, was der Haifisch mit Vergnügen ist losgeworden! Dann tritt die Etikette vor und drängt sich zwischen Körper und Seele, daß die nicht aufeinander wirken sollen. Mit Menuetpas zur Seite, mit [60] rückwärts der Tür wieder begegnen, zu der man eingetreten war, und dabei geschickt die lange Schleppe zurückwerfen, mit Beobachtung, einer fürstlichen Person nicht den Rücken zudrehen, wird alles Denkvermögen in Anspruch genommen. – Und hat man was vorzubringen, so ist der Akkusativ streng verboten, der Nominativ darf nur in der dritten Person im Pluralis erscheinen, und alle Redeweise ist so, daß man einen Gedanken in seiner Urkraft vorzubringen nicht imstand ist. – Dann muß man sich so oft mit dem Kopf bücken, daß so einem armen Bürgermeister (ich setz den Fall, er hat was Vernünftiges mit seinem Landesherrn zu reden) das Blut in den Kopf schießt! – Dann soll man nicht eher sprechen, bis man gefragt wird – und das will ich noch gelten lassen, aber daß man dann noch höchstens mit Ja oder Nein antworten soll, dabei kommt natürlich wenig heraus. – Was sind die Folgen? – Der Fürst wird seiner Lebtag nicht gewahr werden, wie weit das Volk über diese Schranken hinaus gewachsen ist mit seinem Geist, und daß jetzt kein goldgeschmückter, mit Schnecken aus dem Meer gefärbter Purpur und nicht die Perle aus dem Magen des Haifisches in der Krone ihm noch Ehrfurcht einprägen kann, sondern nur der Glanz, der von der Geniusstirne auf es herableuchtet und es mit verklärt.

Wenn aber, statt sich ihm geistig einzuverleiben, nur Zuchthausmaßregeln stattfinden sollen, und blinde Etikette dem Volke Sand in die Augen streuen will, und spürt nicht, wie sehr das verfehlt ist, weil sie eben blind ist! Wo soll da der Geist ein Vermittler werden zwischen Fürst und Volk? –

So hatte ich eben dem Bonaparte mit einem Hoffnungsstrahl im Herzen zugesehen und hatte geglaubt, er wird seine Mission an die Menschheit besser verstehn, er wird durch die Wahrheit, durch Lösung ihrer Sklavenfesseln sie erschüttern, nicht durch das Kanonenabprotzen, er wird durch die Einsicht erleuchten lassen die Städte, nicht mit Tranlampen und geöltem Papier. Er wird durch die Überzeugung in die Festungsmauern der Herzen eindringen, aber nicht dadurch, daß er unsere Wälle geschleift hat, auf denen die mächtigen Eichen, Ulmen und Linden standen, die von unserm früheren Kaiser gepflanzt waren! – Was ist das? – Unser schönes Frankfurt mit seinen schönen majestätischen Hochwällen, – alles mußte er platt treten! – Ist das deine Macht, du neuer Kaiser? daß du die Toren aus den Angeln hebst, keinem mehr eine verschloßne Heimat gönnst? – Ach, daraus les ich dein ganz künftig Geschick! – Auch du fällst in den groben Fehler, einer Staatskunst deine Anerkenntnis verdanken zu wollen, und nicht deinem Heldenberuf, die Menschheit zu würdigen, sie von der Staatskunst zu erlösen und den naturgemäßen gesunden Geist zwischen Volk und Fürst zu entwicklen! Meinst du nicht, daß die Fürsten würden deine Mission begriffen haben, hättest du ihnen gelehrt, daß Freiheit des Volks das alleinige Spezium ist, in dem der Fürst seine Macht entwicklen kann; – und daß eine kunstpolitische Regierungsmaschine so häufig ins Stocken gerät, daß auch auf den miserabelsten Erfolg ihrer Berechnung nicht zu zählen ist, und kein Reich ist, in dem des Fürsten Wille sich klar wird.

[61] Bonaparte! Wie sehr hast du dich versündigt! – Manche Forderungen macht das Schicksal an die Fürsten, die bloß menschlich sind zu gewähren! – – werden die beachtet, so sind höhere Forderungen, die sind fürstlich zu gewähren; und von da aus steigt der Menschheitsgenius und macht Forderungen, die sind göttlich zu gewähren.

Aber was ist denn ein Fürst, vor dem die göttlichen Forderungen sich zurückziehen, weil er schon die fürstlichen nicht gewährt, und die menschlichen nicht versteht? – Wer hätte sich je denken können, daß aus dem Ungeheuer der Revolution ein solcher Nebel aufsteigen wird? – der sie alle erblinden macht! – und lassen sich wieder die Nebelkapp über die Augen ziehn!

Die Frau Bonaparte hält Probeaudienz mit leere Sessel und Taburette. Und der Herr Bonaparte studiert sich eine Etikette ein. Und der Genius, der starke Feuergeist aber, der sieht diese Schmach mit an, wie er Vertrauen kann haben in solche Lappalien und nicht auf seinen guten Dämon. Ja, der führte eine Sprache auf, die wollt er nicht hören. Nämlich daß der Geist ohne Intrige überall der Herrscher ist, nämlich, daß jeder Fürst soll wollen, daß sein Volk allen Völkern voranstehe! daß nur dadurch ein Fürst kann der größte sein, daß sein Volk das größte sei! – Das waren die Mahnungen des Zeitgeistes an ihn, und denen ist er nicht nachgekommen. Aber der Zeitgeist wird's ihm eintrichtern, daß er ihn gefoppt hat. –

Nun! freie Reichsstadt, deine Wälle sind geschleift, auf denen die ganze Frankfurter Bürgerschaft einst Purzelbäume geschlagen hat, auf denen alle Kinder die ersten Schlüsselblumen gepflückt haben, auf denen sie im Winter haben ihre Schneemänner aufgetürmt, und haben in denen prächtigen Eichen lernen klettern und die Elsternester ausgenommen und haben den Elstern schwätzen gelernt, die zur Freud der Nachbarsleut auf freier Straße sind herumspaziert, und haben mit ihne parliert und sie Spitzbuben gescholten, worüber sie ihr ganz apart Pläsier hatten, daß so ein Rab sich das gegen ein ehrsamen Bürger herausnahm. Und die lange finstere Stadttore unter den Wällen, wo man so neugierig nebeneinander durchpassierte, ohne in der Dunkelheit einander zu kennen, und wollt doch wissen, was der eine geladen hat auf dem Schuhkarren, wer in der Postkutsch säß – ob das der Herr Nachbar wär, der uns begegnet, bis dann der Lichtstrahl herein brach und alle Einbildungen entzaubert.

Nun, diese Wälle sind jetzt geschleift worden. Wir hatten kein Nachdenken dabei. Es geht schon ein Weilchen alles so rasch mit dem Zeitenwechsel, daß man sich verwundern müßte, wenn von nun an etwas länger bestehen sollt, als man auf seine Abändrung kann warten. So wird's mit dem plötzlichen Steigen in den Mond auch gehn, wo die türkische Bohn über Nacht einen so langen Stengel schießt, daß man mit Bequemheit in unerreichbare Höhen steigen kann. – Der Stengel wird welken, und der Bohnenkönig wird herabfallen! Der Geist darf eben überall hin und kann's auch gewiß sein, daß er alles erreichen wird, und daß es ihm nicht kann [62] geraubt werden, aber die Dummheit kann nicht erhalten, was durch den Geist gewonnen war, denn sie nimmt das Unrechte fürs Rechte! –

So manchem Frankfurter Bürgerskind wird's gangen sein wie mir, daß es ihm kalt und unheimlich ist, als wär ihm die Woll abgeschoren mitten im Winter. Wenn man sonst dem Gallentor hereingehn wollt, und man sah die Wälle voll Schnee, wie im warmen Winterpelz um die Stadt herum gedrängt, und wie da der Rauch von den Schornsteine aufstieg, und die Giebel guckten drüber hinaus – ach, da lachte einem die lieb Stadt so einladend an, als wollt sie sagen: »so komm doch herein, du Schelm, was verfrierst du dir da draus deine Nas, komm herein ins Winterquartier, wo jed Bürgerskind sein Platz bereit find hinterm Ofen, und wos dem eine recht ist, wie es dem andern billig ist, und da gelten die Rechte des Lebens, reich und arm, einem wie dem andern!« – Und das war ein edler Stolz der Gleichheit, und besser gegründet, als wenn der verstandlose Übermut des Reichtums sich über sein Nachbar hinaus schätzt. Nein! ein Frankfurter Bürger gilt mehr wie's Geld. Der sinkt nie im Kurs, also der ist sicher, so stehn sich alle gleich, und das ist eben bis jetzt die Gesundheit von unserm Frankfurter Bürgertum.

Nun damals, als ich in der königlich Equipage nach Frankfurt zurück fuhr, stande noch die hohe Wälle und die himmelhohe Bäum standen in ihrem volle Laub, und es war recht erfreulich und mir besonders erquicklich mit meiner goldnen Gnadenkett um den Hals, daß die doch kein Strick war, der mich an einen Oberherrn gebunden hatte. Ja, es gibt so Augenblicke im Leben, wo eine Auszeichnung vom Schicksal, wie die, in einer so edlen Stadt geboren zu sein, einem wie feuriger Wein durch die Adern glüht, wo man lieber auf alles verzichten wollt, als auf die Stadt, die heilige Ansprüche auf einem hat, weil man in ihren Mauern zum erstenmal das Licht der Welt erblickte, der aber auch, und sollte einem der Schicksalsturm wie weit von ihr verschlagen haben, der Wandrer nie ein Fremdling sein wird. Kommst du durch diese langen engen Tore, wo das Sonnelicht auch am hohen Mittag kein Eingang hat, hereingezogen, so kannst du gewiß sein, du bist zu Haus! Ja, der Frankfurter Bürger braucht sich nicht zu schämen; so viel mutwillige Streich sie auch unter sich oft haben ausgehn lassen, sie waren sich immer einander treu im Beistand von Unglücksfälle.

Frankfurter Bürgertum ist der best Adel, der sich bis jetzt noch in alle Zeiten Respekt erworben hat. Welcher Staat kann sich des rühmen? Nun, ich kann euch sagen, als ich in der Nacht vors Tor kam, so freut ich mich über die Maßen:

»Sie müssen die Sperr bezahlen!«

»Königlich Equipage!« ruft der Lakai vom Bock herunter; Schildwach ruft: »Heraus!« »Ei was! sag ich, freilich will ich die Sperr bezahlen, stecken Sie Ihnen Ihr Seitengewehr ein, Herr Leutnant, ich bin's nur und sonst niemand!« – »Ei um so besser, vor Ihnen präsentiere mer das Gewehr mit Vergnüge.« – Nun! als wir durch den Orkus durchgerumpelt waren und [63] endlich vor meinem Haus stillhalten, so kommt mir ein ganzer Trupp von Basen und Vettern entgegengestürzt. – Ich sag, ei was wollt ihr dann? – es ist ja nachtschlafende Zeit! – »Ach Gott sei's gedankt, daß wir Sie wieder vor unsern Augen sehen, lieb Frau Rat, wir hatten gedacht, Sie wären arretiert! Die Jungfer Lieschen hat uns in große Ängste zusammengetrummelt, es wär eine Order kommen von ihre königliche Majestät von Preußen, grad wie Sie hätten wollen ins Kirschenwäldchen fahren mit der Frau Bethmann, und kaum daß Sie sich hätten was anziehen können, so wären Sie mit Eskorte von drei Mann in einem zuenen Wagen mit vier Pferd forttransportiert worden. Und so sitzen wir hier schon drei Stund und wissen nicht, was wir sollen anfangen, und eben wollten wir's dem Herrn Bürgermeister melden, und wir wären Ihnen nachgeeilt, aber die Jungfer hatte den Ort vergessen, wo Sie waren hintransportiert worden.« –

Nun um Gotteswillen! was sind das vor Sachen! – Das Rätsel will ich euch morgen lösen; heunt will ich euch nur eins sagen, daß die Jungfer Lieschen eine Hahlgans ist, und ich seh wohl ein jetzt, daß ihr die Haub heunt morgen nicht verkehrt auf dem Kopf gesessen hat, daß ihr aber der Kopf verkehrt unter der Haub sitzt, davor will ich euch stehn. Ich bedank mich übrigens vor die Teilnahme; und wenn Sie einmal arretiert werden sollten, so werd ich auch mein Bestes tun, Sie wieder einzuholen. Übrigens, wer meine große Abenteuer genauer will erfahren, der muß morgen kommen, heunt sind die Tore gesperrt. –

Nun wie ich die gute Nachbarn los war – so mach ich der Lieschen erst Vorwürf, wie sie so dumm könnt sein, und mir die Leut über den Hals trummelt.

Nun nehm ich meine Sternblumenhaub vom Kopf herunter und stülp sie über die Bouteille. Die hat heunt was mit mir erlebt! – ich eröffne meine Enveloppe, die Lieschen erstarrt vor der goldnen Kett! – Sie macht mir Vorwürf, daß ich nicht gleich hab vor den Nachbarn, die um meine Abwesenheit waren in Sorgen gewesen, meinen Mantel aufgemacht. »Und«, sagt sie, »das war einmal nichts, daß die Frau Rat nicht gleich es gesagt haben, und morgen bei Tag wird das lang so kein Effekt machen.« – Nun! sag ich, es ist nun emal geschehn, nun wollen wir uns ins Negligee werfen und ins Bett legen und von denen viele Strabatzen uns ausruhen! –

Nun kommt's endlich so weit, daß ich im Bett liege. – Die Frau Bethmann haben einen Korb mit den schönsten Kirsche mitgebracht aus dem Kirschenwäldchen, und wenn mir's recht wär, so wollte sie mir zu lieb morgen noch einmal mit mir hinfahren. – Ei freilich ist mir das recht! jetzt stell Sie mir die treffliche Herzkirschen an mein Bett und die Wasserflasche dabei, so werd ich wie eine Prinzeß mir's wohl sein lassen und die ganze Nacht Kirschen fressen. –

Aber die Lieschen hat keine Ruh, sie persuadiert mir noch über die weiß Nachtjack die goldne Kett um den Hals – und nun bewundert sie und bedauert, daß es die Nachbarn von rechts und links und gegenherüber nicht gesehen [64] haben! Nun! sag ich, schweig Sie mit Ihrem Lamento, es ist emal vorbei, hätt ich ehnder dran gedacht, so hätt ich's freilich ihne zeigen können, es würde sie im ersten Augenblick, wo sie noch den Schreck in alle Glieder hatten über meine bewußte Arretierung, noch mehr gefreut und überrascht haben! – »Ach!« ruft die Lieschen, »die hab ich gleich wieder beisammen, es ist ja nit weit hin!« und eh ich ihr auf ihre Dummheit Kontraorder geben kann, klappt sie mit ihre Pantoffel die Trepp hinunter, ich hör die Haustür gehn, ich lieg da in der Nachtjack im Bett mit meiner goldne Kett, mit meine Kirschen, ich denk, was soll das werden, alle Leut liegen um ein Uhr in der Nacht im tiefsten Schlaf, seit wie viel Jahr hat ein gesunder Frankfurter die Stern am Himmel um diese Zeit nicht gesehn; und nun poltert mir die Lieschen die Menschen zusammen! – ja richtig, da kommen sie schon mit angepoltert! – Nun morgen wird die ganz Stadt sagen, ich wär nicht recht gescheut. – Jetzt, der erst Gesell, der die Tür aufmacht, sein der Herr Doktor Lehr! Ei, um Gottes wille, wie kommen Sie daher? – Ei, wie ich eben in Wagen steigen will, bei der Frau Schaket, die eben mit einem kleinen Sohn niedergekommen sind, da kommt Ihr Hausjungfer Lieschen Hals über Kopf daher gerennt, und im Vorbeirenne frägt sie, ob ich nicht wollt die schöne Kett sehen, die Ihne der König von Preußen mit eigne Hände hat um den Hals gehängt! – »Ei, die Lieschen ist ja imstand und redet die ganze Stadt auf, um die Kett zu sehn, und morgen werden die Leut sagen, ich war nicht recht gescheut!« – Nun weil der DoktorLehr in Bewundrung über meine Kette da stehn, so kommen die andern nachgepoltert, die all von der Lieschen und ihrer Neugierd wieder aus dene Betten getrummelt waren, und ich hatt nicht weniger wie zehn Personen im Zimmer und ein fürchterlich Geschnatter! ich sagt aber nichts und ließ sie gucken und Glossen machen, und aß ruhig meine Kirschen auf, und mit der letzte Kirsch da sagt der Doktor Lehr: »Nun werd ich meine Kindbetterin, noch eh ich nach Haus fahr, besuchen, und werd von der golderne Kett noch erzählen!« – O, sag ich, schicke Sie mir nicht auch noch die Stadthebamm übern Hals! – Jetzt kaum war der Doktor Lehr fort, so empfehle sich auch die Nachbarsleut und bedanke sich, und ich mach meine Entschuldigungen, daß die Lieschen ohne mein Wille sie hat wieder aus den Betten geholt, sie gaben aber dem Lieschen ganz recht! – Nun! wie sie der Tür draus waren, und ich hör die Haustür gehn, war ich froh, daß ich endlich bei mir allein war. Aber da knistert was an der Tür! – Mein Schrecken! – ich denk, da ist am End heimlich ein Spitzbub hereingeschlichen, ich schrei um Hilf, ich will eben ans Fenster springen und die Nachbarsleut wieder herbeirufen, die noch nicht weit sein könne, da ich die Absätz von ihre Schuh deutlich in der Fern widerhallen hör auf dem Straßenpflaster. Aber da kommt ja wahrhaftig die Frau Ahleder herein, die Stadthebamm, und sagt, der Herr Doktor Lehr hätt's ihr gesagt, ich hätt's erlaubt, daß sie noch dürft komme und die goldern Kett sehn! – Ja, sag ich, Frau Ahleder, sehe Sie nach Gefallen, aber ich bitt Sie um Gotteswillen, sagen Sie's heut niemand [65] wieder, damit ich doch noch einen Teil von der Nachtruh genießen kann! – Nun, die war auch die letzt Nachtvisit, aber acht Tag hintereinander strömte alle Leut zu mir, und ich mußte viele alte Bekanntschafte erneuern, und viel neue machen wegen der Kett und mußt meine Geschicht von alle Seite erzähle, wo ich dann unendlich viel Variation dabei angebracht hab, und hab denen besuchende Neugierigen einem jeden noch apart mit eingeflochten, was ich meint, daß ihm Not wär, zu bedenken. Den ersten Tag war ich durchgewitscht ins Kirschenwäldchen, da sind sie mir ja all nachkommen zu Fuß und zu Wagen, und das ganze Kirschenwäldchen war gestopft voll Zuhörer, und die Gassenbuben haben Spalier gemacht um mich herum und ich mußt eine Prachterzählung machen, und ich wär's beinah satt geworden, ich war froh, wie sich der erst Sturm gelegt hatte. Nun heunt hab ich wieder einmal die alt Geschicht mit besonderm Pläsier aufgewärmt und ich hoffe, daß sie euch wird eingeleuchtet haben.

[66] Ein vertraut Gespräch. 1807

Fr. Rat. Wo kommst du her, Mädchen, so erhitzt?

»Ich war vor dem Bockheimer Tor und hab Birn gestohlen in einem Garten«

Fr. Rat. Gestohlen? Die schmecken am besten, da wollen wir gleich eine verzehren, hol ein Messer und schäl die gelbe da. – Was brennst du? Wie bist du gelaufen! da eß – die kühlt. Die Birn schmeckt prächtig. Das ist eine italienische Art.

»Soll ich Ihr noch mehr schaffen? –«

Fr. Rat. Was das eine Frag ist? – Wann du noch mehr kriegen kannst, als her mit.

»Dann muß Sie auch mit mir sprechen, was ich will.«

Fr. Rat. Red ich dann nicht immer, was du willst? Du wetterleuchst eim schon in die Seel, was du wissen willst. – Da setz dich auf die Schawell und guck mich an! – Weißt du, wie alt die Schawell ist? – Auf der hat der Wolfgang gehockt hinterm Ofen und hat den Homer auswendig gelernt mit seiner Schwester. Er hat auch immer so gern niedrig gesessen, als er noch klein war, heißt das; wie er so alt war wie du, da hatte er eine stolze Haltung, da war er frisiert und hat einen Haarbeutel getragen!

»Das will ich nicht wissen vom Haarbeutel!«

Fr. Rat. Was willst du dann wissen? – Er wird dir zulieb doch nicht ohne Haarbeutel haben gehn sollen? – So gut der dir jetzt nicht gefällt, so gut hat er damals andern Mädercher gefallen.

»Das will ich auch nicht hören.«

Fr. Rat. Hätt er vielleicht auf dich warten sollen, und keiner andern sollen gefallen wollen, bis du kommen wärst! – gelt, jetzt schweigst du! – jetzt bring was vor! – Was hast du getrieben seit gestern?

»Heut hab ich gelernt, daß in der Physik die Stoffe Wirkungen in die Ferne haben; dann hat gewiß auch der Geist Wirkung in die Ferne!«

Fr. Rat. Sind des die Wissenschaften, an denen du dir den Kopf zerbrichst? – Du wirst mit einem starken Kostenaufwand von Lebenszeit deinen wissenschaftlichen Unsinn bezahlen müssen. Hoffnung und Erinnerung sind auch zwei spiegelnde Fernen, aus denen webt sich der Mensch seine Lebenstage zusammen. Was aber geschehen ist, das kann er nicht wieder herbeizaubern, und was geschehen muß, kann er nicht umwandeln.

»Daran liegt mir auch nichts. Das Geschehen ist mir einerlei, ich sprech vom Zaubern.«

Fr. Rat. So! das kommt ja ganz apart heraus!

[67] »Wenn ich nun einen Zauberspruch kann, der zu den Geistern durchdringt?«

Fr. Rat. Was hilft dein Zauberspruch, wenn die Geister keine Ohren für dich haben. Aber laß hören, wie du's machen willst, um mit den Geistern zu verkehren? –

»Fürs erste hab ich gedacht und bin's auch gewiß, daß eine große Sehnsucht mit einem starken Willen alle Räume durchfliegt, – die Zeiten und die Weiten!«

Fr. Rat. So! – du meinst, von hier aus könntest du so sanft hinüberschweifen ins nächste Jahrhundert, um auf der linke Erdseit dein Zauberhandwerk zu treiben, weil die recht Seit schon zu verpelzt ist?

»Ja, das mein ich! Meine Gedanken wollen nicht bloß ausgebrütet sein, sie wollen auch durchgefühlt und durchgesetzt sein! – Und im nächsten Jahrhundert wird der Schall durchdringen. Sie wird mich in der Zukunft deutlich widerhallen hören, wenn Sie aufpaßt!«

Fr. Rat. Lebensfeuer hast du dazu! laß dich nicht einschmelzen in den Alltagsschlendrian. Nehm dich zusammen, komm angeschossen wie eine Bomb, die alles auseinandersprengt, wenn's nicht in diesem Jahrhundert ist, dann im nächsten, was tut ein Jahrhundert zur Unsterblichkeit! – Gelt, unsterblich willst du sein, darauf verwendest du deine Zauberkräfte! gesteh's. »Ach, was weiß ich? Die Bienen, die so auf den Wiesen herumschwärmen, hängen sich ganz verdurstet an die Blumen, und dann stürmen sie fort ins Blaue. Ich fühl mich auch als matt vom ungewissen Treiben ins Blaue hinein, ich bleib auch an jeder Blüt hängen und sammle Blumenstaub, ich will ihn auch in die Zukunft heimtragen, dem Geist zur Nahrung, auf den mein Zauberspruch paßt. Der muß davon seine Unsterblichkeit nähren, ja! mit meim Blumenstaub nähr ich den Geist der Zukunft und mach ihn unsterblich, ich bin nicht zu Geringem da, einmal, eh man sich's versieht, aber so bald noch nicht, werd ich die Welt umgedreht haben. Und Sie auch ist so eine große Tuliban, von Ihrem Nektar tu ich manchen Zug, um mich für die Zukunft zu befeuern.«

Fr. Rat. So! Du willst die Welt umdrehen, du führst ein Zauberleben, in der Trunkenheit vom Blumenduft, und ich soll eine langhalsige Tuliban sein! hättst du mich noch eine Kaiserkron sein lasse oder eine Feuerlilie.

»Ich kleine Bien kleb Honig und Wachs zusammen aus Ihrem superfeinen Blumenstaub und aus Ihrem bittersüßen Nektar, ich verschwärm mich in Ihren Blumenglocken, aber Sie stolze Kaiserkron wird mit Ihren doppelten Blumen-Etagen der Zukunft gewaltig in die Augen leuchten.«

Fr. Rat. Summ und brumm, und saug dein Rüsselchen voll, es macht der Kaiserkrone Pläsier. – Die Ewigkeit ist rund, die Welt ist rund und alle Weisheit ist auch rund. Spiegel deine Weisheit im Weltglobus, so wird die Ewigkeit deine Unsterblichkeit auch in ihren Spiegel aufnehmen. Bis wir nun zum nächsten Jahrhundert kommen, wo deine Weisheit in Erfüllung gehen soll, werd ich einstweilen die meine am Herrn Pfarrer erproben, der gleich kommen wird. Horch! – er kommt heraufgedappt. Schmeiß die [68] Birnschäle zum Fenster hinaus, da ist er, jetzt hock dich hier auf die Schawell hinter mich und schneid keine Gesichter, und lach nicht, wenn ich hochdeutsch spreche. So ein geistlichen Herrn muß man mit Anstand anreden. Hm! – Ah, Herr Pfarrer! Das freut mich! –

»Die Frau Rat haben erlaubt! – Ihre letzte interessante Erzählung! – Ich komme, mir Aufschlüsse zu holen.«

Fr. Rat. Ja ja, meine Erzählungen! – Mädchen, setz dich da hinten hin und gaukel mir nicht vor den Augen herum. – Meine Erzählungen, die rennen als mit mir durch, Herr Pfarrer! Wie ein kecker Reiter komm ich im Galopp daher gesaust, während mein Ingenium schon unter mir durchgangen ist. Dazu machen die Zuhörer so langweilige nichtssagende Gesichter, wie die ehemals lustig herumspringende Kälber und Lämmer, die jetzt geschlachtet im Scharrn hängen, man kann ihnen Nieren und Leber prüfen, es gibt keins ein Lebenszeichen! – Hab ich rasender Ajax mit meinen Speerwürfen alle Rinder und Schafe um mich her kaputt gemacht, denk ich? – Und verzeihen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich als von meine wunderliche Behauptungen keine Rechenschaft geben kann. Niemand kann mich davor mehr ausfilzen als ich selber!

»Aber Frau Rat, Sie sind gänzlich im Irrtum, kein Mensch macht Ihnen Vorwürfe, im Gegenteil!«

Fr. Rat. Ihre Augen verneinen das, Herr Pfarrer, und Ihre Zunge wie ein guter Lanzenwerfer wartet nur auf den schicklichen Augenblick, um mich in den Sand zu strecken. Ich schreib mir die Ehr Ihres heutigen Besuchs aus diesem Grund zu. Nun bringen Sie mir Ihre Beschwerden vor! –

»Nicht Beschwerden, nur Bewundrung und Neugierde, wie Sie zu Ihren oft so abstrakten Ansichten kommen.«

Fr. Rat. Keine ausländische Worte! Meine Ansichten sind die Eingeweide meiner Seele. Für mich ist alles Affekt; eine Ungerechtigkeit im Feenmärchen erzürnt mich ebenso, als wenn sie für gewiß in der Zeitung ständ. Ich muß als die Hände überm Kopf zusammenschlagen über so einen armen verwünschten Prinzen, der wegen der Bosheit seiner Verführer und Schmeichler zu Marmelstein muß werden bis aufs Herz, das alles aushalten muß, aber nichts vermag, oder in der Haut von einem grimmigen Tier im Wald herum muß laufen, und sich hetzen lassen von seinen eignen Hunden, bis noch hoffentlich zu rechter Zeit eine gute Fee kommt, ihn zu erlösen. – Ach, die Schwachheit der Fürsten, ihre Eitelkeit, ihre Nachgiebigkeit gegen die Speichelleckerei, und was draus erfolgt: Verkennen vom wahren Verdienst, Verbannung der Getreuen, die einen Seherblick haben in die Zukunft; und dann die bösen Ränke, die einen edlen Fürstengeist umstellen, bis sein Seelenadel auf den Tod verletzt ist, wodurch ein elendig Trauerspiel herbeigeführt wird. All diese Weltbegebenheiten, diese falschen Wege der Politik, alles findet man in diesen Märchen, als wär's die heutige Tagsgeschicht, wo die Fürsten auch die Hilflosesten unter den Menschen sind, und das Weltregiment ihnen wie ein [69] bleierner Schlafrock umhängt, in dem sie sehr unbequem hocken, wo ihre Trabanten einen Nebelkreis von Lügen um sie ausdünsten und kein Wahrheitsheld ist da, diesem Übel zu steuern. Sie schütteln den Kopf? – Es sind die witzigsten Leute, Herr Pfarrer, nämlich Hofleute, und zwar französische, die diese Märchen erfunden haben! – Was war denn ihr Leitfaden anders als ihre Tagesgeschichte? – Die feinste Lebensweisheit stellen sie ins Licht. – Eine in die Augen springende Moral, ein Theater aller großen und kleinen Handlungen und ihrer tiefen Grundbewegungen sind diese Märchen! – Sie lachen? – Einem Fürsten die Hände befreien aus den Wickelbanden, in denen man die Selbstherrscher einfatschelt, damit sie nicht auffahren sollen im Traum, und sich selbst aufwecken. – das ist nicht zum Lachen, sondern feierlich und ernst. Da die Wahrheit vor lauter Anbetungszeremonien in ihrer göttlichen Nacktheit nicht vor diesen thronisolierten Menschenseelen auftreten kann, so tut es not, daß sie im Gewand der Fabel wie den unschuldigen Kindern sich zeigt. – –

Wie der Frühling rasch alles abgestorbne Verpelzte abstreifelt, damit die Sonnenstrahlen den neuen Keimen huldigen können, und ein Duft, der lauter Geist atmet, in die Lüfte steigt – so muß ein edel Regiment losgehn! – mit dem Harnisch angetan des Zeitgeistes sich auf die Hinterfüß gestellt, als ein feuriger Bewerber um die Zukunft, ihr kühn ins Aug gesehn! Tausendsapperment! Mit ungeschnürten Armen den Zepter hoch geschwungen alles mächtigen und neuen Beginns; – ein solch Regiment könnt mich verzückt machen.

»Sie machen der Begeistrung eine reiche Ernte in den Feenmärchen! Sollte dies Ihre einzige Lektüre sein?« –

Fr. Rat. Die Feenmärchen machen mich lebendig fühlen, wie die beweglichsten Schicksale und Trauerfälle Trost und Heilung empfangen von der Natur. Ich erkenne die Schicksalsgöttin der Politik darin, die Phantasie und Wirklichkeit ineinander webt, aus der die Ereignisse hervorgehn, aber es ist nicht meine einzige Lektüre.

»Was lesen Sie denn zum Beispiel jetzt?«

Fr. Rat. Morgens nach dem Kaffee – und dazu trink ich eine Bouteille Wasser, weil mir aus Eifer das Blut in den Kopf steigt – les ich zwei Stund und länger, aber alle Augenblick muß ichs Buch hinlegen und mich verwundern. Vorige Woche fing ich ein Buch an über die Inquisition von Goa. Da muß ich sagen, wenn auch mein Glauben mir bis zum Bergversetzen gelungen wär, so versetzt solch ein Buch mitsamt denen Bergen mich außer allen Glauben!

»Wär's da nicht besser, Sie lesen solche Bücher nicht? – die nur Ihr Gemüt beunruhigen und Ihnen keine Erheiterung sind.«

Fr. Rat. Was halten Sie von mir, daß Sie mir einen so schwächlichen Rat geben? – Sollt ich meinen Geist mehr schonen als meinen Leib? – Der kann auch nicht auf Rosen gebettet liegen! und die Seel würde samt ihm zugrund gehen, die kein ander Exerzitium hätt als bloß Wohlbehagen. – Der [70] Geist ist grad dazu gemacht, sich durch Dorn und Distel zu reißen, ich kann den Rat von Ihnen nicht gut heißen, ihn wie einen Schlemmer zu behandlen!

»Wenn auch der Geist sich durchreißt, so vermag es doch die Seele nicht, die nur zum Teil wach ist hier auf Erden, die unwillkürlich alles träumt, was der Geist dekretiert; sie muß weich oder starr werden, lachen und weinen, wie er es ihr zuströmt, ihre Rettung aus dem Erdenschlamm der Leidenschaften, ihr Hinüberschiffen in das göttliche Reich ist ja die Aufgabe unsers Lebens, selbst der Geist ist ja verpflichtet, sich alles dessen zu enthalten, was ihr Heil beteiligt.«

Fr. Rat. Hoppsasa, Herr Pfarrer! – auf diese Seelenanschauung war ich nicht gefaßt, ein ganz origineller Auswuchs Ihrer theosophischen Studien, die gleich mit dem Urteil der Gerechtigkeit wie das Pferd bei der Mähne zu ergreifen, das wär eine schöne Voltigierkunst, das vermag ich nicht.

»Die Erfahrung muß aber doch sich aus allen Anschauungen ergänzen, wenn sie nicht fehl gehen, sondern billig und gerecht machen soll und die Anlagen der Menschheit fördern! – Man könnt sie mit einem Diamant vergleichen, der in jeder Facette denselben Gegenstand in einer andern Umgebung spiegelt, weil von allen Seiten eine andere Weltgegend mit hinein leuchtet.«

Fr. Rat. Drum eben, Herr Pfarrer, sehen Sie mich nicht so borniert an. Diese Anschauungen, möchten sie doch zu einer bestimmten Willenskraft werden, andre Erfahrungen als unter der Zuchtrute der Vorurteile zu machen, die uns die Fesseln abstreifen helfen, mit denen wir uns jetzt noch so schwer schleppen. Ach, das wär eine Erleichterung für den Geist, wenn er die los könnt werden! –

»Mit derlei Fesseln ist Ihr Geist, wie mir scheint, nicht beschwert!« – –

Fr. Rat. Ich schleppe meine Fessel auch nach. Mein einsames Denken ist ein fortwährend Raspeln und Feilen daran. Ach, was kann man in dieser Eingeschnürtheit des Geistes von sich wissen, was nie hat können erprobt werden? Wer einmal nur sich traumweise erlaubt, die Schranken aufzuheben alle, die seiner Natur, seinen Neigungen sind aufgebürdet worden, dem erscheinen auch gleich ahnungsweise die Geister, wie am Rand einer tiefen dunklen Schlucht, und locken so anmutsvoll mit ganz lieblichem Winken herauf ins Freie. Wer kann widerstehn? Ach, ein Jammer ist's! Der Geist selbst, im Aberglauben seiner Bande ist's, der abschwört seiner Freiheit, angesichts seiner himmlischen Waffenbrüder, die im Waffenschmuck hehrer Gedanken über seiner Verbannungshöhle schwebend, sich ihm zeigen. Ja, er möcht! – flehende Blicke zum Licht tragen unwillkürlich ein Teil seines gefangnen Selbstes aufwärts, aber wie ein Blödsinniggewordner scheucht er doppelt ängstlich wieder zurück vor den Vorurteilen, die wie schwarze Hunde im Augenblick seiner Flucht ihn anfallen. Er verzichtet aus Furcht. O Jammer! Ist das dein Los, du Fürstentum der Menschenwürde? – Hast dich den Gespenstern falscher Begriffe zum Leibeigenen hingegeben? – Kannst nicht mehr, wie du willst – dein Wille der [71] göttlichen Wahrheit, der ist gebrochen! – Also die göttliche Macht, die ist gebrochen in dir? – Und seufzest in schmerzlicher Überlegung, wie der Geist wieder beritten zu machen sei, um über das vermorschte Gedämm und Sparrwerk, über Palisaden und spanische Reiter hinauszusetzen. Ach, wenn der erst einmal aus der Stickluft am Rand dieser Mördergrube die Himmelsluft wittert, dann wird er seine Pegasusflügel schon in die Lüfte aufsperren, wo kein Bombenkessel des Aberglaubens ihn noch erreichen mag. – Und warum ich manchmal unwillkürlich an andrer Leute Fesseln zu raspeln versuch? – weil's mich mit niederdrückt, daß sie so schwer schleppen! –

»Die besondern Gründe für Ihre Ansichten machen mich natürlich begierig, sie genauer zu prüfen! – Was sind das für Vorurteile und Sünden, gegen die Sie die Menschheit durch den ungezügelten Geist wollen bewachen lassen? – Und zweitens: Wie kann ein Buch, welches bloß Berichte über die Inquisition in Goa enthält, Ihren Glauben, der Berge versetzen könnte, wie Sie selbst sagen, aus dieser schönen Bahn heraussprengen?« –

Fr. Rat. Herr Pfarrer, was Sie da mit höflichen Worten fragen, ist nur Ihre Lust, mich ins Garn zu ziehn. Ihre Fragen zu beantworten, wie es in meinem Geist sich ausdrückt, muß ich eben wieder Rücksicht nehmen auf den Unterschied der Lokalanschauung zwischen Ihnen und mir. –

Sie sind einen Berg hinangeklettert von Menschensatzung, aufgetürmt aus Weltgeschichte und Moral, wovon die widersprechendsten Bestandteile, Unschuld und Torheit, Spitzfündigkeit, Wildheit, Fehltritte aller Art, Mißgriffe, Irrtümer und Täuschung die Unterlage sind, und Teufelslist, die alle Leidenschaften in Bewegung setzt. Auch Verstand und Weisheit haben dazu ihre ordnende Kräfte so schön ineinander gepaßt, daß man nachsinnend stehenbleibt, wie so mancher ernste und sanfte Geist dem sich fügen konnte, darin das Heil der Menschheit anzuerkennen. Ja, und die grünende Moral hat wie ein sanfter Rasen den verborgnen Krater überdeckt, der immer wieder Flammen spie, die Zeugnis gaben von dem, was unter ihm begraben lag; aber die Unschuld der Menschheit, die zwischen diesen Flammen und Aschenlagen sich durcharbeitet, armiert ihre eignen Naturkräfte und bildet sie um zu göttlichen Kräften. Aber deswegen kann ich doch das Fundament jenes Berges nicht loben, auf dem die theologische Weisheit thront, und den Sie mühsam Station für Station erringen mußten, wie's von den Kirchenvätern vorgeschrieben ist. –

Also für Sie hat das Gesetz existiert, noch eh Sie es begriffen haben. – Ich aber! Ohne Nachdenken bin ich in der Welt herumgegangen wie in einem lieblichen Tal, wo ich hineingehör, ich hab nie überlegt, daß Gotteslieb, Menschengefühl, Erhebung und Gebet auf ein Glaubensbekenntnis passen muß, weil sonst alles nichts gilt! – Diese Behauptungen sind plötzlich mir vom Himmel gefallen. Und obschon ich keinen Mangel an Glaubenskräften spür, da alle Wunder der Feenwelt auf keinen Widerspruch in mir stoßen, so schreckt mich ein solches Argument, als wollte man mich aus meiner mir begreiflichen Welt losreißen, und mit Ketten beladen mich [72] verbannen, dahin, wo ich kein Gefühl und keinen Sinn dafür hab. Der Geist hat mich belehrt, er sei frei unter allen Umständen, Stein kann er nicht verdauen, den konnte nur der listige Teufel ihm bieten.

»Hebe dich weg!« spricht der Lebensretter in uns! –

Herr Pfarrer, ich würde an der Verdauung des christlichen Glaubens schon längst verdorben sein, wenn ich ihm keine bessere Nahrung hätte abgewonnen, als seine Priester uns bieten. Manchmal bin ich selbst wie versteinert über euch Textdreher. In allen Lebenserfahrungen, in allen Büchern, die mir der blinde Zufall in die Hände spielt, steht mir deutlich auf jedem Blatt geschrieben: Geistesfreiheit! und so auch in dem Buch von der Inquisition, und so auch in der Bibel, – allemal dieselbig auffallende Wahrheit:Der Geist muß Freiheit genießen, aber nicht Stein!

Was nützt die Lüge und wär sie auch der festeste Leim fürs Unmögliche? – Wie könnte Gott sich so verleugnen, daß er auf einmal nicht mehr wär? Wär eure Auslegung wahr, so wär Gott nicht. – Daß etwas für gewiß uns eingeprägt werde, das macht's nicht wahr. Daß der Prägstock in seine Form uns gezwungen hat, daß wir einmal nur sein Gepräge ausdrücken und sonst nichts, was hilft das? – Der totige Buchstab sei Gesetz und Glaube, das macht beides noch nicht wahr!

Ich verlange nicht, daß jene weltgeschichtliche Unterlage des Bergs von Menschensatzung aufgehoben werde. Nein, mag alles bestehen, solang es kann. Denn gleich wie auf dem Feld der Sterblichkeit ein angesäeter Wald nur um so kräftiger aufwächst, also wuchert auch auf jenem Felde des Gedankenmoders die grüne Saat der geistigen Lebensprinzipien. Laßt bestehen, was da will, es muß doch verderben, wenn's nicht mehr bestehen kann. Denn wolltet ihr auch eure Seelenkräfte alle dran setzen – –

»Aber Frau Rat, wo geraten Sie hin?«

Fr. Rat. Herr Pfarrer, schlagen Sie sich mit der Festigkeit Ihres Glaubens jeden Begriff aus dem Kopf, wenn das Ihnen eine genügende Vermittlung mit der Ewigkeit deucht. – Mir scheint es nicht so! – Mir scheint eine innere Verwirklichung zu sein zwischen Menschengeist und Gottesgeist! – Zettel und Durchschlag! Hören Sie an, was ich zu sagen hab; – die groß allmächtige Schöpfungskraft, gegen die wir uns nicht zu beklagen haben, weil wir gar für sie nicht da sind, – Warum? – Weil sie die lautere Kraft ist. Was durch sie nicht wird, was in ihr nicht aufgeht, das ist für sie nicht da. Anstalten und Ängste künftigen Seelenheils sind aus ihr nicht hervorgegangen; alles ist ihr Gegenwart, Unmittelbarkeit, sie strömt ganz nur Leben aus, ist ganz Unsterblichkeit des Augenblicks. Anderes kann sie nicht wollen, nicht erwerben, außer ihrem vollen Dasein im Moment. Die Sorgen des Heils, des zukünftigen, was ist das ihr, da wir die Gegenwart ihr nicht erfüllen?

»Diese Besonnenheit des Geistes über die Zukunft, das edelste Zeugnis seiner unsterblichen Natur, verwerfen Sie?«

Fr. Rat. Tugend ist Gegenwart, sie ist nicht Zukunft! Tugend kennt kein [73] Schachergesetz, keinen Gerichtshof, an dem sie ihre Klagen anbringe, sie spricht für sich nicht, sie ist ganz nur himmlische Schöpfungskraft. Sorgen um die Zukunft sind außer ihrem Sein, und alles ist Schimäre, was außer diesem ist. Unser fortwährend Zetergeschrei um Barmherzigkeit, wo klingt das an? – Zu wem rufen wir? – Jetzt frag ich Sie, zu wem meinen Sie, daß unsere Litaneien steigen? –

»Ich fürchte nur, daß, wenn ich Ihnen auch nach bestem Gewissen und nach allem Begriff eines christlichen Fundaments antworte, so würde das doch Ihrer idealisierten Moral nicht entsprechen, und Ihre feurige Einbildungskraft nur noch mehr empören.«

Fr. Rat. Empörte Einbildungskraft und idealisierte Moral wird freilich nicht zu Gott flehen: Erbarme dich unser! Aber Ihr, wenn Ihr Euer Gebet auch zwanzigmal wiederholt, warum horcht der Gott nicht auf Euch? Zu dem bis zum letzten Tag dieselben Gebete aufsteigen. Ei, warum antwortet der Gott nicht mit Erhörung des Flehens? –

»Ja, da muß man die göttliche Gnade walten lassen, die uns führt und lenkt, und die wohl weiß, warum sie unsere Bitten nicht erhört!«

Fr. Rat. So! Und während mit Erschrockenheit unserer Eingeweide unser ganz zukünftig Heil auf dem Spiel steht, sind uns von der Religion falsche Würfel in die Hand gelegt und werfen in unsrer Hitz allemal eine Niete. Nein, entweder Ihr bittet um gar nichts, – nun, dann ist es albern zu bitten, oder Ihr fleht ums Erhörtwerden, dann ist das Nichterhören des Flehens, und doch dulden und fordern, eine Schmähung und eine Schmach – – Gehn Sie her – trinken Sie ein Gläschen Danziger Goldwasser! – – Erlauben Sie, – ich schenk noch einmal ein, das können Sie schon vertragen!

»Es möcht mir zu viel werden!«

Fr. Rat. Ach, was wird's Ihnen zu viel werden! – Ja, immer den Bittenden hinhalten und nicht erhören, das ist eine Schmach, eine Verachtung der Menschenwürde, und auf so was gehört eine Ohrfeige.

»Aber – – – Ei, von wem sprechen Sie denn?«

Fr. Rat. Nun, von wem sprech ich! – von dem ochsigen Menschenverstand, der da so ledern an der Krippe steht und das ungeeignete Futter sich vorwerfen läßt, wobei er hungert und doch sich nicht vom Strick losreißt, um nebenbei auf dem grünen Anger zu weiden. Ja, der verdient mauschelliert zu werden!

»Ach, nun atme ich auf!«

Fr. Rat. Nun, was haben Sie dann gemeint?

»Ich hab wahrhaftig geglaubt, – –«

Fr. Rat. Haha! jetzt räsonnieren Sie noch einmal über meine empörte Einbildungskraft! – Nein, die Ihrige ist empört, sich einzubilden, ich wollt über die Schnur hauen. – – Nun werden Sie nicht unruhig. Ich will's Ihnen alles auseinandersetzen. Ja, ich meine den Gott in uns, dem geb eine Ohrfeig oder einen Rippenstoß, daß er aufwacht in dir! Denn wie Teufel, wollten Sie eine Antwort erlangen auf das fortwährende Gestöhn um [74] Barmherzigkeit, wenn Sie den Götterjüngling in sich nicht bei den Ohren kriegen, und sagen: steh, Kerl! und guck deinem Schöpfer ins Angesicht und zeig, daß du wallend Blut in den Adern hast, und stell dich nicht an mit deinen flehenden Gebärden, mit deinem Aschensack, wie ein verrückter Peter, daß dein Schöpfer dich für einen Bastard zu halten gezwungen ist, weil er sich deiner schämt. – Wenn Sie dem Gott in sich nicht die Ohrfeig zudenken und wollen lieber bei dem lächerlichen Satz verharren demutvoller Selbstverachtung, so ist die Dämelei noch größer mit dem Flehen, denn da Sie selbsteigner Herr sind von dem Ihnen so verächtlichen Ich, so würde ich an Ihrer Stelle es hinter mich zu bringen suchen und zu viel Würde haben, als es in seinem schäbigen Naturell da vor dem Schöpfer Himmels und der Erde treten lassen, daß es ihm immer über seine eignen Verbrechen vorgreint. – Ei, denken Sie doch, daß Sie ein Geschöpf Gottes sind, das glauben Sie fest. Ist das der Dank davor, daß er Sie aus dem Nichts hervorgezogen hat? Daß Sie nun sich vor ihm beklagen über Ihre Nichtigkeit. – Geben Sie Antwort, daß ich aus Ihnen klug kann werden!

»Aus dem Nichts, meinen die Frau Rat, wären wir entstanden! und doch meinen Sie, wir sollen in unserm Busen den Gott erwecken? Erlauben Sie, die doppelten Widersprüche in Ihren Argumenten, die in ihren kleinsten Teilen sich selbst widerlegen, darauf kann ein Theolog oder Philosoph (wenn Sie mit diesem lieber zu tun haben) nicht antworten, ohne den Gegner ad absurdum zu führen.«

Fr. Rat. Führen Sie mich, wohin Sie wollen, führen Sie mich zur Urdummheit der Menschen, ich geh willig mit, wenn Sie mir das beweisen können, daß der Mensch aus der Urdummheit, die der bekanntliche festgetrocknete Urschlamm sein muß, entsprungen ist, und nicht aus dem Nichts, wer glaubt's lieber wie ich. – Sie finden das lächerlich? – Ich auch! ha ha ha! – »Sie sind eine vortreffliche Frau! und die Modifikationen Ihrer Denkweise sind vom höchsten Interesse für den Denker, und Ihre Beweggründe sind Indikationen, die nicht ohne Wert sind für die philosophischen Systeme jener großen Forscher, die jetzt auftreten und der geistigen Welt einen gewaltigen Umschwung zu geben verheißen.«

Fr. Rat. So ein Forscher, so ein alter lahmer Raubvogel, der aus seim langweiligen Verdauungsschlaf sich aufrappelt, um alles gelehrte Federvieh in Einklang zu bringen mit seinem allesverschluckenden System, mit dem er es aus der philosophischen Sackgasse herauszuführen verspricht aufs Feld der Freiheit; der vermag sich ja selbst nicht über den alten Zaun vom Hühnerhof zu schwingen, wo er also ruhig hocken bleibt und den verheißenen gewaltigen Umschwung höchstens an irgendeinem alten Zinshahn versucht, dessen Überwinder er sich nennt, und dazu singt er triumphierend: Namen nennen dich nicht! – Was meinen Sie, Herr Pfarrer, daß der sollte dem Erdball den gewaltigen Umschwung geben, der über seinem Selbsterdenken nicht gewahrt, wie die geistige Welt sich ruhig über ihn hinaus geschwungen hat.

[75]

»Ihnen nachzukommen, Frau Rat, bei der großen Reizbarkeit Ihrer Phantasie ist unmöglich, bald mein ich, Sie reden im Traum, bald scheinen Sie ordentlich in die Zukunft zu wittern, verzeihen Sie den Jagdausdruck!« –

Fr. Rat. Was liegt am Ausdruck! – Geistige Spürkraft ist's, der Jagdhund hat sinnliche Spürkraft. Der Geist ist in allen Wesen mit der Natur in Berührung, geht ihm die nicht aus, so kann er auf sein Genie sich verlassen. In allem sich fühlen, das ist genialische Kraft. Ich fühl selbst im Kalb, das mit gebundenen Pfoten sich muß auf den Markt fahren lassen, meine Glieder wie zerschlagen von der Albernheit des Menschengeschlechts, das dem Kalb ganz ähnlich sich binden und zu Markt fahren läßt. Da flößt jed unschuldig Tier, das im Freien herumspringt, mir wieder Lebensmut ein, jede Pflanze, die ihren Balsam aushaucht, macht mich gescheut! – Was ist da zu verwundern? Geheime Kräfte liegen in der Menschenbrust! Kommt's dazu, daß die geweckt werden, so stehen sie gleich gewappnet da. – Was Sie als Traum und reizbare Phantasie achten, das sind wahrscheinlich Offenbarungen, die Ihren Vorurteilen entgegen erleuchten, was Sie freilich nicht begreifen.

»Nun, die philosophische Schule mit einem Hühnerhof zu vergleichen, das kommt mir allerdings etwas fabelhaft und überraschend vor. Die Leichtig keit hat meine Seele nicht im Wachen, gleich in jedes Objekt einzudringen, und sich in jedes sogleich zu verwandeln, wie dies die Eigenheit des Traumes mit sich bringt.«

Fr. Rat. Sollt ich mich einmal im Traum in Sie verwandeln, was würd ich da wohl in denen Ecken Ihrer Personalität finden? –

»Gewiß würden Sie manches finden, was Ihren Ansichten entgegenkommt, aber übereinstimmen mit Ihren Behauptungen, die schnurstracks dem kirchlichen Prinzip zuwiderlaufen und sich der entziehen, kann unsere Zeit nicht, dazu gehört noch ein langer Weg der Vollendung! ja vielleicht wohl tausend Lehrjahre der Geistesbildung, man muß die täglichen Erfahrungen benützen, wohin die auslenken. Das Leben des gebildeten Menschen ist ein beständiges Lernen, ein Kampf für die Zukunft. Je mehr man lernt, je mehr verliert sich die hastige Unruhe, und die herrliche Geduld, eine notwendige Folge unserer Religion, steigert unsere sittliche Würde, und was uns auferlegt ist im Leben, das soll uns erinnern an eine höhere Heimat, wo eine Religion triumphieren wird, um deren Seligkeit willen, die uns in ihr versprochen ist, jedes irdische Leiden, jedes Ausharren unter ihren Bedingungen (wenn diese uns auch nicht ganz hell und deutlich vor Augen liegen) nur gering ist. Das ist es, Frau Rat, was Sie in den Winkeln meines Geistes und meines Gemütes finden würden.«

Fr. Rat. Man sollte meinen, Herr Pfarrer, der Götterjüngling, den ich Ihnen in sich zu wecken geraten hab, stünd mitten in dem selbsttätigen Feuer Ihrer Lebensfunktionen, so begeistert scheint Ihr gottesfürchtig Naturell. Meine hellsehende Kraft entdeckt aber, daß der ein fauler Heins ist, der wie ein Herrnhuter seine Vernunft gefangen gibt, und mit seiner empfindsamen [76] Moral dabei Ihren Verstand außer Funktion setzt, der sich wieder auf Ihrem Herzen seine Kosten an der Wahrheit rächt. Was Sie mir da vorbringen von tausend Jahren der Geistesbildung, um anzuerkennen, was mir, seit ich denken kann, als Wahrheit einleuchtet, das bricht Ihnen den Stab. Ihr Eigensinn und willkürlicher Glaube vertreten Ihrem Begriff den Weg ins Paradies der Freiheit, wo die Weisheit einheimisch ist und wo auch alle reißende oder demagogische Tiere zahm und frei herumwandern, weil im Freiheitsparadies des Geistes keine Parforcejagd ist gegen diese gewaltigen Naturen; wenn die nicht gezerrt und toll gemacht werden, so sind sie wie die Lämmer, woraus eigentlich die wahre Heldenmiliz des Staats zu bilden wär. Was wollen Sie sich fürchten vor denen? Sie sind denen kein schmackhafter Bissen. Es gibt wesenlose Anschauungen, die sich unsichtbar machen selbst schon in der Kehle des Würgers. Will ich was verschlingen, so muß es Dasein für mich haben.

»Wenn nun auch die Frau Rat mein Ingenium einen faulen Heins zu nennen belieben, so kann ich Ihnen doch beteuern, daß ich immer und ohne Aufschub in der Idee der Aufklärung fortwirkend strebe und daß sowohl mein Blick ins Innere der Menschheit als auch der, welcher nach dem Himmel gerichtet ist, die Wahrheit nicht leugnet.«

Fr. Rat. Ei, das ist eben der faule Heins in Ihnen, sich da tausend Jahr dazu auszubitten, um jene ursprünglichen Reflexionen zum Durchbruch zu bringen. Darüber kann und muß der Geist untergehen, denn was heut wahr ist, das hat in tausend Jahr schon andre himmelwölbende Stürme der Wahrheit erzeugt. Was heut begriffen wird, das werden die dereinstigen Begriffe nicht mehr als alten vermoderten Geschichtenstaub achten. Wenn der faule Heins in Ihnen sich recken wird und meinen: »Hat mir's doch geträumt, es sollt nach dem tausendjährigen Dussel der Menschheit etwas Gewisses wahr sein!« ja, da wird's Ihnen gar nicht einmal einer mehr sagen können. Was wird's gewesen sein? eine Lüge, denn die Wahrheit, nach der braucht man nicht zu fragen, die verwirklicht und verwandelt sich von selbst. – Nun, was belieben Sie darauf zu antworten? –

»Eine allzugroße Dienstfertigkeit der Geistesorgane würde dem Bestehenden gefährlich werden, der Geist würde eine zerstörende Anwendung von seiner Eroberungssucht machen, seine allzu willkürliche Tätigkeit würde die bindende Kraft der Mitwirkung dieser Welt, an die wir doch einmal gebunden sind, zerfallen machen. Wir würden unsere Fortbildung zerstören, ja zerstören würden wir sie und als unvollkommne Geschöpfe dem Gott uns entfremden, der durch seinen Geist die Weltseele bestimmte und unzertrennlich sie mit der Natur, die ihr Körper ist, verbunden hat, bis er sie einstens auch auflösen wird, und da möge sie doch eines sanften Übergangs in jenes höhere Leben gewürdigt sein, und der kann doch nur dann zu erwarten sein, wenn eine allmähliche und milde reifende Kraft ihre höhere Entwicklung besorgt. Das ist, was ich Ihnen zu antworten vermag und die mein Gewissen ganz vor mir selber rechtfertigt.«

[77] Fr. Rat. Was? – ich betitle Ihr Ingenium einen faulen Heins, und das stellt sich auf die Hinterbeine und erschreckt mich mit seinen riesenmäßigen Gedankenverknüpfungen. Vom Sterbestündlein des Weltalls sprechen Sie, wie einer, der oft schon derartige Seelen mit Trostsprüchen hat zum Übergang geleitet, und Sie fürchten sich nicht vor dem Ausstöhnen einer solchen Seele, und ich muß mich fürchten bloß vor denen seltsamen Erscheinungen Ihrer Einbildungen. Eine ganze Welt, die da liegt in letzten Zügen und nach Erlösung lechzt! da muß ich verzagen!

»Sie scherzen, Frau Rat, Ihnen ist nichts zu gewaltig zu bedenken und haben gewiß schon Reflexionen gemacht, die mancher große Philosoph sich nicht getraut zu machen. Und wenn ich es wage, Ihnen die Wege zu zeigen, auf die mein Geist einlenkt, so ist das bloß, daß Sie nicht glauben sollen, wir theologische Philosophen gingen nur den gewohnten Trab nach der Mühle! Unsere Predigten enthalten Betrachtungen Gottes und Experimente Gottes, unsere Lebensübungen sind angewandte christliche Religionslehre, und die ist wiederum eine wissenschaftliche Poesie. So durchschmilzt das göttliche das irdische Werde, das All! und wer wollte da vorgreifen? Nein, sich losmachen davon, das wär ein Verbrechen, und insofern provoziere ich jeden Widerspruch meiner inneren Überzeugungen, daß gewiß noch tausend Jahre dazu gehören, ehe unser Geist in jenes Paradies eingeht des freien Geistes, in das Sie mich eingeladen haben, Ihnen zu folgen, und wohin ich Ihnen doch beweisen könnte, daß Sie mit all Ihrem Freiheitssinn auch nicht eingegangen sind in diese demagogische Himmelssphäre des Geistes, der alle Rücksichten überspringt.«

Fr. Rat. O, Herr Pfarrer, Sie demütigen mich gewaltig, ich muß befürchten, daß ich den kürzern ziehe; der einzige Trost, den ich in meiner Niederlage noch empfinde, ist, daß, wer einstens unsre Gespräch belauscht, um es auf die Nachwelt zu bringen, ein guter General und Feldmarschall ist, und in meiner verzweifelten Lage mich nicht stecken lassen wird; es ist einmal schon im voraus beschlossen, Sie müssen fallen, mitsamt aller idealischen Ausbildung Ihrer Religionsüberzeugungen, mit Ihren gottesdienstlichen Werkarmaturen und Versammlungen, mit Ihren philosophischen Epigrammen auf mich Naturkind, in meiner Blöße dastehend. Ja, meine hellsehende Kraft belehrt mich und gibt mir daher den Mut, Ihnen zu sagen: nochmals und abermals ja, Sie sind ein fauler Heins! aber ein solcher, wie ein Stockfisch allenfalls ist, der zu lang gewässert hat, wie mir das vorige Woch passiert ist, die Kapuziner hatten versäumt, ihn zu salzen, man konnt ihn nicht genießen, er war faul geworden. O, Herr Pfarrer, werden Sie nicht kraus über den Vergleich und sehen darin nur Ihre eigne vorteilhafte Position mir gegenüber, und mein augenblickliches Verzagen, in meiner Angst schlage ich mit Kolben drein! und sage Ihnen grade heraus, so wohlklingend, so tiefdenkend Sie auch da Gesichtspunkte aufstellen, von welchen aus Sie die moralische Welt beurteilen, erschrecken Sie nicht, wenn ich das einen falschen Nimbus nenne, einen Strahlenkranz eines geistigen Pietismus, [78] der Sie selbst blendet, daß Sie sich wohlgefallen darin, mehr als von lebendiger Überzeugung derselben ergriffen zu sein! Falscher Glanz blendet, macht vergessen und verleugnen die eigne Natur, sie macht tyrannisch und bewegt zu dem, was man mit klarem Bewußtsein sich nie verzeihen würde. Grausamkeiten sind es, die jenen der Inquisition von Goa nichts nachgeben. Grausamkeiten, die meinen Glauben mitsamt den versetzten Bergen wieder auf den alten Fleck bringen. Denn es ist grausam, dem Begriff, diesem wahren geistigen Leben, sein Gut vorzuenthalten, und ihn in den dumpfen Bleikammern despotischer und unfruchtbarer Argumente festhalten zu wollen. Wenn Sie jetzt schon voraussehen, daß in tausend Jahren keine künstliche Maßregeln mehr den Menschengeist zurückhalten werden von der doppelten Umarmung des göttlichen Bewußtseins in der Wahrheit, und wollen ihn mit Gewalt noch strafen und es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er früher seine Abstammung entdeckt hat, als Ihre Prophezeiung es zugibt, so verfluchen Sie Ihre eigne höhere Bestimmung, Anteil an diesem Erbe zu haben. Das ist Unglaube an die Wahrheit, gibt's ein ärgerer Frevel als dieser geistige Selbstmord? – Haben wir ihn nicht tausendmal begangen in dieser Zwangsherrschaft der Religion, und war's nicht immer eine falsche Politik, eine Nebenhauptabsicht, die dazu bewog? – Wie können und wollen Sie die Grausamkeit der Inquisition rechtfertigen? Jedes Antasten der Geistesfreiheit ist Inquisition, Ersticken des freien Bewußtseins aus einem verborgnen falschen Grund, den man sich selbst nicht wagt zu bekennen. – Das soll aber nicht sein. Frei und ganz offen! dies ist die bezauberte Waffe, die unverletzbar macht und nie ihren Gegner fehlt. Was ist denn Glaube? Er ist der unschuldige Quell, aus dem Busen der Gottheit sprudlend, die Gottheit allein ergießt ihn; was braucht's da der Fabel, der politischen Verkürzungen seines Begriffs, er spiegelt den Widerschein aller Dinge in der Natur, aller Erscheinungen im Geist. Das ist der Glaube, der sich fesselt an diesen Widerschein des Wahren im Gottheitsquell des Geistes. Wo will er hin, dieser Quell, als bloß in den Busen seines Erzeugers sein innigstes Leben wieder ergießen. Was habt ihr, daß ihr ihn verfolgt mit Ruten? – und nennt ihn Frevel an eurer Staatsreligion, diesen reinen Gottheitstrieb zur Weisheit, zur Wahrheit. Ja, Glaube ist, was ihr Unglaube nennt, und Unglaube ist euer Zwangsglaube. – Glaube ist eine physische Geisteskraft, er ist die Reizbarkeit für Wahrheit, es sind die fünf Sinne des Geistes, es ist das Hören des Geistes, sein Fühlen, Sehen, Schmecken und Wittern. Ich glaub, wenn ich nicht weiß, aber einer meiner Geistessinne muß mich dazu bewegen durch seine Wahrnehmungskraft, sonst wär es Aberglaube, selbst wenn es die Wahrheit wär, die mir außer dieser Vermittlung aufgebürdet würde. – Also im Glauben liegt eine Naturerscheinung, ein Genießbares, weckende Kraft für einen der Geistessinne, der diesen Glauben erzeugt. – Ich glaub nicht mehr, wenn ich weiß. Denn Überzeugung nimmt nicht mehr den Glauben in Anspruch. Wenn ich aus innern und äußern Merkzeichen mutmaße, daß die Festung, die wir heut mit dem [79] Glauben erstürmen, einst nicht mehr ein wesentlicher Gegenstand der Verteidigung gegen den Teufel sein wird, da ihre eingefallne Mauern samt ihrer Unbestrittenheit, die Besatzung unnütz und lahm und als der Verwesung verfallen keineswegs mehr werden berücksichtigt werden, so ist einer meiner Geistessinne auf der Spur des Glaubens dahin, und doch will ich das frühzeitige Einleuchten dieser Zukunftswahrheiten mit meinen dunklen Vorurteilen erlöschen? – Jene Kraft, die mir die Natur und Sonnenhelle und aller Himmel Lichter in meinen Lebensfluten spiegelt, leugnen, ist das nicht die Wesenheit des Glaubens, die Kraft, die allein zum Himmel führt, geleugnet? – – O Herr, antworten Sie mir nicht, die Aufmerksamkeit auf die Sonnenblicke in diese Lebensfluten des Geistes, das ist echte Religion. Aber Sie sehen, die Fluten strömen vorwärts und spiegeln andre Ufer und nehmen andre Reflexe der Himmelslichter auf. Ich hab mir sagen lassen, es gibt Regionen, wo die Himmelslichter, die Gestirne, so tief in klarer Luft hängen, daß sie dem Aug den Eindruck machen, sie mit Händen berühren zu können, das tut denn der Geist auch, er berührt sie mit Händen. Was sehn Sie mich ungläubig an? – ob ich vielleicht närrisch bin? – Was tut der Geist nicht? – er sieht in klarer Luft die Sterne hängen und reicht an sie heran! – Woher könnte er sonst die Bemerkung machen, sie seien als mit Händen zu greifen? – Durch dies ganze Naturverhältnis zum Geist strömt Lebenswirkung! weckt und nährt der Mond das Pflanzeleben, nun, so ist kein Hälmchen im Geist, was nicht mit dem Mond im Rapport stände. Sie lächeln? –

»Weil Sie mich auf einen Weg des erhabensten Idealismus wollen geleiten, wo dem Menschengeist die Luft zu fein und schneidend ist, und wollen mich gleich einem Fisch aus dem Wasser ziehen, und mich in sonnedurchhitzter Luft zapplen lassen, was kann ich dann noch Argumente vorbringen? Froh bin ich, wenn ich dann im kühlen Element der Besonnenheit kann fortschwimmen, und nicht in Ihrer Hand nach Luft schnappen muß.«

Fr. Rat. Ich versteh Sie, Herr Pfarrer, Sie sind über mich hinaus, und belächeln meinen Taumel, meinen geisttrunknen, und meine Trunkenheit kann von ihren Schauungen nicht Rechenschaft geben. Sie verlassen mich, höchst gleichgültig darüber, was aus mir werden kann, und ziehen in Ihrem kühlen Element der Besonnenheit, wie Sie's nennen, weiter! Lieber Herr Pfarrer, Sie haben viel Geduld mit mir. Aber merken Sie auf! – Ein Engerling oder Erdkrebs liegt unter der Erd, unterdessen brechen die Knospen und die Blüten auf, vorab das weiche saftige Laub der Linde, und trinkt Sonnenlicht, das auch dringt bis zum Erdkrebs und macht einen Maikäfer aus ihm, so ein Maikäfer, wenn Sie ihn beobachtet haben, hat nichts Unähnliches mit einem geistlichen Herrn, erst sein schwarz Käppchen, seine kluge Augen, die drunter hervorgucken, dann sein gefälteter Kragen und sein brauner Rock, das ist eine geistliche Couleur, er hatte mir immer eine Ähnlichkeit mit einem kleinen Pfarrer, nun, das Sonnenlicht ist mit seinem geistigen Strahl da eingedrungen und hat aus dem Erdkrebs einen theologischen [80] Geist gemacht, der einen ganzen Frühling erkennt, wo der Engerling nur die Erd vor der Nas hatte. Was barmen Sie dann um das glühende Sonnenelement, mit elektrischen Gewalten gesättigt. Ach! will der Geist auch sich fürchten und beschwert fühlen? will der Geist durchaus nichts von der Luft wissen und durchaus ein Engerling bleiben? – große Wehmut spür ich darüber! – Ich hab unrecht gegen Sie und Sie haben recht, mir nicht mehr zu antworten und mich in meinem Talar von Großsprecherei da mir selbst zu überlassen. Was hab ich mit so verzweifelten Bemerkungen ins Feld zu rücken, die sich nicht durchfechten können. Ich werde lieber einfacher vermittlen, was mich drückt, es Ihnen darzulegen, weil ich gar zu gern einen Maikäfer wollt aus Ihnen machen. – Ich glaub, wenn ich nicht weiß, ich glaub, aber nicht mehr, wenn ich weiß, das war der einfach Glaubensartikel, den ich wollt entfalten! –

Der Truffaldin und seine Schwester Schmeraldine waren ein paar arme Bettelkinder, die sehr hungerten, es war ein harter Winter, sie froren in ihren Lumpen jämmerlich. Einmal, da sie in ihrer elenden Hütte unter das Stroh gekrochen waren, hatten sie einen Traum von einem herrlichen Palast, in dem sie wohnen. Als sie morgens aufwachen, da hat sich alles Elend verwandelt, und der Traum war wahr geworden; Marmorsäulen, Betten aus himmlischen Schwanedaunen, Scharlachpelz, und Prinzessenragout auf goldene Schüsseln: Die Sach muß wahr sein, es steht in alle Geschichtsneuigkeiten von Feenmärcher, nun! ich glaub's, weil viele Märcheshelden es wollen wahrgenommen haben, und weil eine ganze Geschicht draus entstanden ist, die durch glaubwürdige Dokumente und gleichzeitige Geschichtschreiber, wo einer dem andern immer die Hand hat gearbeit, bis auf unsere Lebzeite reicht; und durch Tradition und Beglaubigung großer weiser Märchens-Väter als gewiß angenommen und geltend bis zum Lebensend dieser beiden Glückspilze, wenn sie allenfalls nicht schon gestorben sind, wie das in den Märchen eine bedeutende wahrheitliebende Bemerkung ist. – Ja! siehe da! Ich setze den Fall, in diesen verfloßne Februari, der recht sehr kalt war, klopft's an meiner Tür – ich sag: Herein! Da erscheine ein paar Kinder, blaß und abgezehrt von Hunger, mit große schwarze Wacholderkernsaugen, daß man gleich sieht, es sind Italiener, kein ganze Strumpf am Fuß, Schuh ohne Sohlen, und so viel Fenster auf dem Leib, wo die lieb Natur ganz ungeniert herdurchguckt, daß, wann die auch denen Abgaben unterworfen wären, die wir für jed Fenster als Kriegssteuer zahlen müssen an den Napoleon, so wären sie auch mit den besten Umständ ruinierte Leut. – Ich frag: Wer seid ihr dann, ihr liebe Kinder? – ›Truffaldin und Schmeraldine.‹ – Ei was? wie seid ihr dann so heruntergekommen? Ich hab ja gehört, ihr lebt wie die Fürsten? – ›Nein, Frau Rat, wir hungern bis auf den heutigen Tag noch!‹ – Nun! ich laß ihnen eine Schüssel mit Erbsen auftragen, sie machen sich dahinter, und der Augenschein ergibt's, daß sie leere Mägen hatten. – Nun! frag ich, wo ist denn euer Palast von Marmor, euer Wundergarten mit den Paradiesäpfel und die Scharlachjacke und die Herrlichkeiten [81] all miteinander geblieben? – ›Das haben wir freilich alles ganz perfekt geträumt, so daß wir selbst dran geglaubt haben, aber wie wir aufgewacht sind, da ist's nit wahr gewesen.‹ No! – sag ich, wahr ist's allemal gewesen, denn was einer ganz perfekt träumt, das hat seine Wahrheit fürs Leben, aber freilich seh ich ein, daß, weil jetzt der Traum aus ist, so könnt ihr unmöglich mehr euern angenehme Morgenschweiß abwarten unter jene geträumte Federbetten, auch könnt ihr unmöglich mehr an jene geträumte, so köstlich riechende Delikateßwürstercher euch erlaben, die in euerm geträumte Rauchfang hingen. Wir müssen hier reinen Tisch machen mit denen geträumte Siebensachen, und müssen uns an die unschätzbare Wirklichkeit halten; es ist zwar nicht so ergötzlich, als was ihr bei nachtschlafender Zeit im Dusel erlebt wollt haben, aber ihr müßt bedenken, daß das helle Tageslicht auch was wert ist, und daß ihr doch von euch selber überzeugt sein könnt, was so mancher glückstraumtrunkner großer Weltmann, der so ganz von sich selbst eingenommen ist, nie sein wird, ohne auf die Nas zu fallen. Aber ihr – kneip sich jeder in die Nas, so wird er spüren, daß er's selber ist. – Nun, sie zupfen sich freilich an ihre verfrorene Näsercher und gucke mir mit ihre Glotzaugen ins Gesicht, als: was denn das bedeute soll? – Die Wirklichkeit soll's bedeute, ihr gute verfrorene Schelmen! die ist auch was wert. – Im Traum standen die Obstbäum in schönster Blüt, die Engel mit golderne Salveten über der Schulter flogen herum, schneuzten mit einer diamanternen Lichtputz die Himmelslichter, sie räumten euch mit eignen heiligen Händen die Knöchelcher von eurem Schüsselchen ab, um Platz für neue köstliche Speisen zu machen. Jetzt seid ihr aufgewacht und seht, daß alle Herrlichkeit nur Traum war, ihr seid noch ganz verdusselt und möcht euch auf die andre Seit schlafen legen, und greint und ärgert euch, daß ihr nicht weiterträumen könnt und daß der Traum euch ein Possen gespielt hat. Ich will euch aber die große Wahrheiten mitteilen von diesem Begebnis.

Erstlich, Gott ist nicht ungerecht im Austeilen von aller Weltherrlichkeit, denn die ist nur ein solcher Traum, wie der eurige war. Es wird doch keiner dem andern sein Traum mißgönnen? er wird drüber lachen und sagen: Wenn der Schläfer aufwacht, wird er sich auch besinnen über sein Traum und sehen, daß es nichts ist. – Ihr meint zwar, bei Gott ist alles möglich: – O ja! – Ei, warum wird denn nichts aus diesen Glücksmöglichkeiten? Weil ihr euch selbst noch nicht dazu erzogen habt. –

Herr Pfarrer, alle große Wahrheiten der Menschengesellschaft kann man aus kleinen Fabelbegebenheiten heraus beweisen. Der Gott und das Tier, die im Menschen immer sich hin- und herzerren, bearbeiten da mit gegenseitigem Humor das Feld der Weisheit. Den Übermut, die falsche Moral und Lüge pflügen sie unter als Mist und streuen eine Schicksalssaat hinein, aus der man eine Frucht gewinnt, die auf der Tenne nicht reiner kann geworfelt sein.

Das ist die sollicitatio perpetua, die mich zu meinen Erzählungen anfeuert, [82] daß ich aussprechen kann und gleichsam damit die fruchtbare Erde im Menschenherzen wie mit dem Spaten auflockern für den Samen, der Wurzeln drin fassen kann. – Was ich nun zu denen Kindern gesagt hätte, das will ich Ihnen sagen, Herr Pfarrer; die hätten unmittelbar dran glauben müssen, und geantwortet, wie ich wollt. Sie aber haben eine Menge ausstudierte Argumente zu verteidigen, und da wird's Späne geben. – Ich behaupte nämlich gegen meine Bettelkinder, daß Gott in der Schöpfung noch vieles vorbehalten hat, was bis jetzt nicht konnt sich bilden, weil der Platz dazu im Menschengeist verschlossen ist durch Vorurteile. – Ja, es hat sich was mit jene sieben Schöpfungstagen, sag ich zu Ihnen, Herr Pfarrer. Ei, ich parier mit Ihnen, daß der Gott wie ein Abcschütz hat studieren müssen, eh er die Weltschöpfung so weit gebracht hat, die bloß der fruchtbare Boden ist für alle Wissenschaften, die sich darin als Wurzeln ausstrecken für den Menschengeist, denn der ist der Stamm, der seine Nahrung mit diesen Wurzeln der Wissenschaft aus dem Boden seiner Wirklichkeit saugt, und seine Blüte und Frucht gedeiht dadurch im Licht, im höheren Element; sehn Sie, der Keim dieser Wissenschaften hat ursprünglich in Gott gelegen, wer sich mit abgibt, der rührt den Geist Gottes an, drum soll er sich nicht mit ungewaschne Hände dran geben, nicht mit Vorurteil und geheimen unwürdigen Zwecken. Jetzt lassen Sie uns weiter gehn! – Gott ist ein Genie! – er hat sich zusammengenommen, hat diese geniale Kräfte in sich so hoch gespannt und spannt sie noch, hat nicht nachgelassen, hat keinen siebenten Ruhtag sich gegönnt, und von der Durchdringung von dem göttlichen Bewußtsein gibt eben die Welt Zeugnis. – Der Menschengeist aber gibt Zeugnis, wie das mit der Schöpfungsgewalt nicht so rasch geht, denn so stark die ist, so stark ist auch die menschlich Widerspenstigkeit, denn – Gottesgewalt ist unendlich unermeßlich, vor was wär sie's aber, wenn der Menschengeist nicht eben so hartnäckig und unüberwindlich wär? Könnte der Gott das Regiment der Welt mit dem Finger abschnellen, vor was wär denn Gottes Gewalt, nein, er ist der Überwinder, wir sind die, die ihm heißmachen, und dabei ist für den Seher die Unmittelbarkeit des göttlichen Geistes keineswegs zurückgesetzt. Ich bin ein Seher zuweilen, ich fühl und seh, wie er alle Elemente mit seim Lebensfeuer zersetzt und Geist draus macht und weder Werkeltags noch Sonntags eine Minute nachläßt. – Zu was tut er das? Wär die Schöpfung am End, so könnte der Gott höchstens wie mit einem Ball damit spielen, zu was sollt er sie brauchen sonst? – Aber sie ist seine Werkstätte, er arbeitet unaufhörlich drin, sein Unglück würde da beginnen, wo er, wie wir uns die Seligkeit denken, ausruhen müßte von seiner Anstrengung. – Ja, an die Anstrengung Gottes glaub ich, aber nicht an seine Abspannung, denn warum? es lehrt mir's die Natur – noch außer mannigfachen Beweisen. – Am Sonntag wachsen die Gräsercher so gut wie am Werkeltag – ja, bald möcht ich zu meinem Pläsier die Bemerkung hinzufügen: grad am Sonntag tummelt sich die Natur so, daß, wer das Gras will wachsen hören, der kann sich nur im Sonnenschein am frühe Sonntagmorgen [83] mit dem Ohr auf den Grasplatz vor der Kirchentür hinlegen, so wird er's knistern und krachen hören und als drauf losarbeiten mit seim Wachstum, während in der benachbarten Kirch alle Register gezogen werden, um den heiligen Ruhetag zu verbringen, und alle Menschen einstimmen in einen langgedehnten Kirchengesang, von dem die Geduld selbst das End nicht abwarten kann, sondern reißt aus mit der Einbildung über alle Berge; kehrt sie zurück, so hat die ganz heilige Ruhegemeinde immer noch den Vers von der Langmut Gottes nicht zu End gebracht, und erläßt ihr auch von dieser Prüfung nichts; jetzt ist augenscheinlich wieder, daß Gottes Langmut um ein Geringes größer ist als die menschliche Langeweil, und sie so auspariert, daß er noch vielleicht um ein einzige Vers länger Geduld hätt allemal, als die in der Langenweile ersterbende Menschheit ihre Sonntagsruh aushalten kann, also seh einer, wie Gottes Geduld gleichsam wie ein glühend Eisen von der Menschheit auf dem Amboß zurechtgehämmert wird. Soll ich das Sabbatsruh heißen? – Nein, sagt was Ihr wollt, im Schweiß seines Angesichts muß er die Trägheit der Kirchenlichter in ihren Predigten erleiden; und kurz: Sonntags hat er ein schwereres Tagwerk wie je. – Ich hab zwar was anders noch sagen wollen, aber lassen Sie mich in dem Gleichnis fortfahren. Also der Menschengeist läßt sich's angelegen sein am Sonntag zu ruhen. Was hat er dann die ganze Woch über getan als geschlafen? – Nun schläft er aber einen doppelten Schlaf in der Kirch; was ist das vor ein Gegensatz zu Gott? – zur Natur, die aus einer heiligen Anstrengung in die andere übergeht, denn die Jahreszeiten sind nichts anders als der Natur ihre ewige rastlose Arbeit. Die Zeit? – was ist die, wenn die Natur sie nicht bildet? – sie hält alle Ordnung in ihrem Schoß, sie läßt Tag und Nacht mit denselben notwendigen Verrichtungen aus ihm hervorsteigen und erledigt auch den Sonntag nicht einmal von einem zufälligen Geschäft; im vorigen Sommer hatt ich eine pläsierliche Bemerkung gemacht, daß die meiste Gewitter auf den Sonntag fielen. Ich sagte immer: laßt uns nur auf den Sonntag keine Landpartie verabreden, denn wir werden ein Donnerwetter kriegen; und hat das doch an so einem stillseinsollende Tag in die Stille hineingerumpelt und gebollert, und ist doch das Volk gelaufen, mit dene Röcke über dem Kopf, um den Sonntagsstaat zu schützen, und war das ein Gerenn über die Gasse! In eim Galopp durch den Platzregen sah man die ganz Bürgerschaft dahergesprungen kommen, und gelacht haben sie, daß sie waren angeführt. Ich von meim Fenster konnt sie all von Bornheim und Bockenheim sehn vor dem Regen ausgerissen kommen.

Nun ja! ich lass' mir's gefallen, daß der Sonntag als allgemeiner Erholungstag gefeiert wird und daß dem Schleichhandel untereinander an diesem Tage die Schleusen gesperrt sein sollen. Knecht und Magd frei von ihren schweren Verpflichtungen gegen den, der Mäßigung, Bescheidenheit und den Begriff der Menschenwürde dem opfert, was die Welt Glück nennt; der, um zu steigen, fällt, tief in eine Grube, aus der keine Glücksbombe ihn wieder freischießt von seinen Bedürfnissen, und der von keiner edlen Bestimmung[84] sich mehr kann Rechenschaft geben; daß der nicht seine schwere Hand auf des Knechtes Schulter heut legen dürfe, das ist mir den Tag des Herrn gefeiert. Aber mischt euch nicht in die innere Freiheit des Menschen, ihr Herrn Theologen, macht ihn nicht zu fürchten mit eurem Kobold im Sonntagsstaat, überspannt nicht sein Vertrauen in eure Weisheit; denn seht, so ein Köhlerglaube, der in der Sperr der Einsamkeit gegen das kleinliche Gewühl der Weltinteressen alles Übermächtige für wahr halten kann, an dem werden doch die miserablen Ideen, die ihr wollt gäng und gäbe machen, in Lachen und Spott aufgehn.

Halten Sie's nicht für Aberwitz! – Jahre verfinstern unsern Horizont, das Volk tappt im Dunkeln und findet seinen Lebensweg; feurige Blitze zeigen ihm in zusammengedrängten, sich nacheilenden, grauenvoll erhabnen Bildern die ganze Weltgeschichte; die vom Blitz Getroffnen schlafen unter der Erde, und obschon mit dem Verhallen des wilden Getöses auch schon die Erinnerung davon einschläft, so ist doch das Volk geweckt durch die politische und moralische welterschütternde Begebenheiten, und ob's auch die Menge vergißt, so ist sie doch von diesem Vergänglichen und Nichtigen des Gedächtnisses mit fortgeschleppt worden auf einen Standpunkt, von dem ihr sie nicht mehr könnt zurückweisen. Dies Volk ist Menschenkenner geworden und zwar in einem edleren Sinn als seine Dränger, denn es fühlt, was es seinen Kräften bieten kann, während die glauben und hoffen, diese Kräfte lähmen zu können. Es fällt das richtigste Urteil, und zwar am ersten über euch. Ihr zwar wollt seine Menschenkenntnis verdächtigen bei den großen Weltregenten, aber es weiß, warum, und versteht euch jetzt doppelt. Ihr nämlich wollt, daß die Landesväter die Menschen in dem Sinn beurteilen, in dem ihr sie behandelt. Aber wie gesagt, ihr könnt ihm den Gesichtspunkt seines Wertes nicht mehr bestimmen, in dem es seine moralische Welt gründen wird. Sie fragen: Was ist nun aber zu tun, wenn es so steht, daß das Volk vor Aufklärung keine heilige Bedürfnisse mehr hat? Und wenn ich nun aber auch gleich Antwort geb: es hat noch heilige Bedürfnisse, und bedeutendere, als den Gesang aus euerm Gesangbuch zu schnarren oder über eurer Predigt einzuschlafen. – Es war einmal ein Pfarrer, der in seinem heiligen Eifer die Augen fest zudrückt und als mit dem größten Nachdruck das Wort Gottes von der Kanzel herunterdonnert, die Leut, die bei dem laute Gebrüll und Gestöhn in ihrer sonntäglichen Kirchenruh gestört werden, schleichen so einer sacht nach dem andern der Kirchen hinaus, bis zuletzt dem Küster über dieser langweilige Inspiration vom Heiligen Geist auch die Geduld ausgeht, er erlaubt sich also den Herrn Prediger in seiner willkürliche Blindheit zu unterbrechen, indem er ihm meldt, daß er den Schlüssel von der Kirchentür hat auf den Altar gelegt, und wann der Herr Prediger fertig wär, so möchten Sie doch so gut sein, zuzuschließen.

Verzeihen Sie, Herr Prediger, Sie sind ein großer Kanzelredner, und ich hab mir schon viel von Ihrer schöne Gab, in die Menschen hinein zu persuadieren, erzählen lassen, und ich hatte schon oft Lust Ihrer Predigt einmal anzuhören, [85] wenn es nicht ein Stadtgespräch gäb, die Frau Rat wär in Ihre Kirch gegangen, weil sie so nicht recht wissen, wohinaus ich will. Aber Sie, Herr Pfarrer, würden Sie sich meiner spekulative Richtungen annehmen? –

»Wichtig ist mir's allerdings; jemehr ich Ihnen zuhör, je mehr steigert sich mein Interesse, diese Richtungen zu durchdringen, obschon ich sie nicht unterschreiben möchte, und so würde es mir auch schmeichelhaft sein, wenn Sie meine Predigt besuchten.«

Fr. Rat. Das glaub ich! – Sie haben einen harten Kopf – nichts vor ungut. Eben Ihre schönen Kanzelreden sind ein Beweis davon, lassen Sie mich ausreden, es wird sich ergeben, auch Ihnen sind die Leut schon längst aus der Kirch gelaufen bis auf den Küster, der Ihnen den Schlüssel überläßt, um nach Belieben die Kirch zu schließen. Sie, Herr Pfarrer, wissen's, daß Sie allein dastehen in Ihrer Kirch und Ihr Latein oder Hebräisch denen leeren Wänden widerhallen lassen. Denn Herzen und Ohren haben keinen Schalldeckel dafür! – Ihre Predigten! Ja, ich bin überzeugt, daß Sie das Wort Gottes, die Bibel, in voller Kraft erschallen lassen, aber keine Ohren, keine Herzen dieses vernehmen. Was wollen Sie, Herr Prediger? – Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Es ist kein Widerhall im Menschengeist. Den hat einmal die Zeit vernichtet, und deswegen ist doch das Menschenherz nicht bedürfnislos, ja, es ist gewaltiger in seinen Forderungen und bedürftiger wie je. Und wie kommt's, daß ihr dem nicht Genüge leistet? – Seht ihr's, daß die Bahn euch nicht weiter geholfen hat, auf die ihr mitsamt dem Volk mit dem Vorurteil tyrannischer Selbstüberzeugung euch habt mit Gewalt festgerennt. Ihr auch seid in einer Sackgasse, ihr habt keine Aussicht, was da werden soll, euch geht der Verstand aus. Der große Welteigensinn hält alle Menschen gefangen, die sich nicht frei zu denken erlauben. – Und der Eigensinn ist eben der harte Kopf. Was habt ihr an so einem von moralischen Anwendungen ausgemergelten Text. Ihr selbst seid ja übersättigt von dem ganzen Kirchenprozeß; stünd der Teufel als Vater der Lüge und Illusionen euch nicht bei, den Aberglauben, die Launen und Verkehrtheiten, ja die Grille der Weltereignisse mit in den tyrannischen Zopf zu flechten, den ihr der Christenheit andreht, wo nähmt ihr euer Latein her? – Ihr wärt am End mit dem, ihr Herren Kirchenlichter.

»Sie glauben also, werteste Frau Rat, wir, die es uns als höchste Gewissenssache angelegen sein lassen, dem Menschengeschlecht die göttlichen Wahrheiten begreiflich zu machen, hätten selbst nicht Grütze genug, die zu verstehen, und für das Volk zu wählen, was ihm not tut?«

Fr. Rat. Ach, verstehen kann man nur die Weisheit, alles andre ist ja unverständliches Zeug. Vor dem großen freien Wahrheitsgeist besteht keine Dummheit, alles, was des Denkens fähig ist, wird von ihm durchdrungen. Sie verstehen gut zu predigen, und sollten nicht verstehn, daß ich recht hab? Sie selbst wissen, daß Sie von so einer guten Predigt gar nichts haben, als das sehr fade Pläsier, die wurmstichige Heilsfragen von einer Seite gepackt zu haben, wo Sie wieder durch ein neu Wurmloch kriechen konnten.

[86] Denn selbst gescheuter werden durch diese Eingebungen des Heiligen Geists, der sein Nest auf der Kanzel hat, das erwarten Sie nicht.

»Erlauben Sie, Frau Rat! die Religion, die das ganze Gebiet des Übersinnlichen und Überirdischen in sich begreift, die teils theoretisch, teils praktisch den Geist in Anspruch nimmt, die sollte keine Anwendung finden auf mein Inneres? – Eine Predigt, die ein Bruchstück ist des Buchs der Bücher, die sollte keine Heilsanwendung haben auf meine Gemeine, der ich sie vortrage, die sollte keine Religionswahrheiten vertragen, den Menschengeist nicht in die Betrachtungen Gottes verzücken und ihn nähren und pflegen?«

Fr. Rat. Ach Larifari, Herr Pfarrer! wüßten Sie was Gescheuters, so würden Sie's vorbringen. Hätten also jene Heilsvertiefungen Ihrem Geist was genützt, den genährt und gepflegt, so müßte der jetzt meinen Verstand still heißen stehen. Aber Sie geben nicht mir, sondern nur unserm Herrgott was auf zu raten, wie Sie mit denen vielen Vermögenheiten da herauszubohren sind aus der Opposition mit der Wahrheit.

Diese Widersetzlichkeit im Menschengeschlecht ist es eben, was dem göttlichen Schöpfungsgeist so viel Schwierigkeiten macht. Und derlei mißwilligen Hoffart, der sich ihm widerstemmt, vergießt eben Gott sein besten Schweiß bei der Weltschöpfung. Das verdrießt ihn aber nicht, er übt darin seine Weisheit, er wandelt in ewigen listigen Umwegen um euch herum, und verläßt seine Werkstätte nicht Sonntags und nicht Werktags. Ja, eure verschlafne Begriffe benutzt er, um durch den Traum euch den Unterschied von der Wirklichkeit zu lehren. – Wie ich denn das meinen Bettelkindern eben auseinandersetzen wollt, als wir davon abkamen, nämlich ich wollt sagen: Grad wie ihr arme Bettelkinder eben mit dem ersten Begriff ins wirkliche Leben tretet, daß ihr noch nichts seid, eben so hat der Begriff Gottes in sich angefangen. Er sah sich um nach Nahrung, aber wahrhaftig nicht nach einer gepolsterten Herrlichkeit, nicht nach dem Thronsessel des Menschengeschlechts, nicht nach Posaunenengel, nach Rauchfässerschwingen und Fahnenprozessionen, mit denen der christliche Kirchenstaat den Gottestempel bedient. Ihr aber seufzt, wie ich merk, nach einem vergangnen Glück. Aus was bestand das denn? Aus Leckerbissen, aus Lakaienvolk, das euch in der Portechaise herumtragen sollte, und derlei verächtliche Dinge. – Warum seufzt ihr denn so jämmerlich? – Ja freilich, ihr friert und hungert, und das ist der Anfang aus eurem schönen, aber vergeblichen Traumleben heraus. – Ihr gute Kinder, jammert nicht, ich muß mit seufzen und heulen, so nah geht mir's freilich. – Aber hier könnt ihr doch zu etwas kommen, was der ganzen Welt noch ein Rätsel ist. So mancher ritterliche Geist hat schreckliche Fährlichkeiten ausgestanden, um das tanzende Wasser des Lebens, um den Apfel der Schönheit, um den Gürtel der Unsichtbarkeit, um das Schwert des unfehlbaren Siegs zu erlangen; und was dergleichen unschätzbare Seltenheiten noch mehr sind. – Drachen haben sie bezwingen müssen und Riesen, und in alle dunkle Irrwege und Wildnisse sind sie unermüdet herumgetappt, Hunger und Durst haben sie gelitten, [87] allein ihr feuriger Geist hat sie zum erwünschten Ziel gebracht. – So müßt auch ihr hoffen, ihr werdet zum Ziel kommen, so muß der feurige Geist Gottes, der vor lauter göttlichem Eifer und Weisheitsdrang keine Bedürfnisse fühlt, euch einstweilen ein Schmachtriemen sein, mit dem ihr euren widerbellenden Magen gegen die höhere Natur zur Ordnung bringt. – Ihr Kinder, es ist viel wert, auch nur einen Schritt der göttlichen Erkenntnis näher gekommen zu sein. – Laßt die guten Christen, die nicht einmal verstehn, einen Laib Brot nach Recht und Gerechtigkeit auszuteilen, einstweilen in ihrem Traumleben fortstolpern, wo sie meinen tun, den Weltgeist im Zaum zu halten, und halten sich doch nur bei den eignen Eselsohren. Fühlt ihr nicht, daß dem großen Weltengeist das göttliche Sein versagt ist in ihnen? – Nun, wo bleiben die? –

Ihr aber, arme Kinder, habt dadurch, daß ihr von den zeitlichen Genüssen abgesperrt seid, nur einen Weg vor euch, nämlich den der Unsterblichkeit, grade in den Schoß Gottes zu laufen, der euch mit lachendem Herzen umarmen wird. – Und ihr werdet euch fühlen lernen in der Wahrheit. – Der Geist Gottes wird an euch seinen Schweiß nicht umsonst vergießen, er wird durchdringen, und wird der Schöpfungsgeist mit großem Brausen des Selbstbewußtseins eingeströmt kommen; denn wenn ich nicht irre, so ist eben der Knoten, an dem der Schöpfungsgeist arbeitet, jene Bewußtheit des Menschentums, die seiner projektierenden Kraft sich bemeistert. Freilich kann das nicht als Frucht sich im Menschengeist reifen, wenn der noch so voll dummer Vorurteile gepfropft ist, daß die heilige Natur nichts in ihm vermag. Seid deswegen nicht ungehalten, daß ihr aus jenem Luxustraum in die Not der Wirklichkeit geboren seid, denn Wirklichsein ist grade nur dies, daß der Schöpfungsgeist endlich durchgedrungen hat. Nun, Herr Pfarrer, vergleichen Sie meine Kinder jener Gemeine, die in Ihrer Kirch keine Nahrung mehr findet, weil der Luxustraum aus ist! Klein fangen sie an, mit Lumpen nur ist die Blöße ihres Geistes bedeckt, nicht mit Hermelin, Wissenschaft und Kunst, diese Weiden, auf die ihr ausgemagerter Geist angewiesen, die sind dem respektive Leithammel oder Hirten dieser Herde auch noch nicht bekannt, also müssen sie sich kümmerlich durchdrücken, aber was sie jetzt fordern und bedürfen, ist doch wirkliche Geistesnahrung, kein fabelhafter Luxus mehr, also ist auch zu erwarten, daß der Geist Leben gewinnen und dann alles durchsetzen wird. Was, Herr Pfarrer, Sie ziehen die Uhr heraus, wo ich im besten Zug bin, da seh ich, daß Sie wieder nicht wie die unschuldige Bettelkinder von meine prophetische Gaben sich wollen erleuchten lassen. Das ist der Eigensinn, das ist der harte Kopf, ich glaubte schon, ich hätte sie auf einem guten Weg. –

Der Prediger macht seine Entschuldigung, daß er wegen Amtsgeschäften fort muß, erbittet sich aber die Erlaubnis am andern Tag wieder zu kommen.

[88] Zweites Gespräch

Wollen wir im gestrigen Text fortfahren? frägt die Frau Rat, nachdem sie ihr Vergnügen bezeigt hat, daß der Pfarrer Glockenschlag fünf eingetreten war.

»Die Frau Rat haben gestern die Bemerkung gemacht, die ich sehr gern von Ihnen erläutert haben möchte, Sie sagten vom Geist Gottes, im Drang der Schöpfung vergesse er der Lebensbedürfnisse, und überwinde sie aus feuriger Begeistrung. Sie glauben also, der göttliche Geist habe noch sinnliche Bedürfnisse?«

Fr. Rat. Die Wünschelrut schlägt bei Ihnen auf dem rechten Fleck an; also die Gab, Goldadern aufzuspüren, ist Ihrem Geist nicht versagt, da hab ich Hoffnung, wir werden uns verständigen. Wir wollen uns aber nach den hergebrachten Sitten der Bescheidenheit nicht richten, wo man lieber einem Esel nachgibt, um ihm nicht vor den Kopf zu stoßen. Das gehört zum Kapitel der Heuchelei und ist Superklugheit, die mit dem Qualm ihrer Tranlampe Gegenwart und Zukunft verdunkelt und den freien Geist als ausländische Ware mit der Grenzsperre belegt und gar nicht bedenkt, daß er Flügel hat wie die Morgenluft; wo er nicht eingelassen wird, ist nur dumpfer Aufenthalt für Eulen und Fledermäus, wie ich mir das hab erzählen lassen von Reisenden, die in Ägypten in die unerhört groß Pyramid bis in die oberst Spitz mühselig gekrochen waren. Was hatten sie davon? – daß sie in der verdorbnen Stickluft, umströmt von fliegendem und kriechendem Geschmeiß und Ungeziefer, ganz gebückt einer halsbrechenden Trepp haben hinaufklettern müssen. Sie streckten den Kopf zum Gaubloch hinaus, was sahen sie? Himmelsraum! – unendliche Wolkenscharen zogen dahin, ungeheure Speere von Sonnenstrahlen durchstechen da die Wüste, und in der Nacht die unendliche Sternbilder, die wieder andre sind auf jener Erdseite, als wir von diesseits erblicken, die hängen da in der klaren Luft, der Geist kann sie mit Händen greifen, so deutlich nah schimmern sie herab. Was ist das aber so einem eingesperrten Pyramidengläubigen? – Antworten Sie doch, Herr Pfarrer! Was sagen Sie dazu?

»Ich weiß gar nicht, wo Sie hinauswollen.«

Fr. Rat. Auf die echte Besonnenheit wollt ich hinaus, die das Walten ist in der Natur, ihr Geist ist das Selbstgefühl vom Allseitigen, ist dem seine Lebensquelle. – Von wessen sie nicht besonnen ist, was sie in sich nicht empfindet, das lebt nicht, das ist nicht. Was sie nur mangelhaft empfindet, das kann nicht sich vollenden, was sie sinken läßt in ihrem Bewußtsein, [89] das stirbt ab, was sie durchstrebt, das bildet sich fort, sie ist der Schöpfungsatem, sie spielt das Sinnliche ins Geistige, in den Begriff, das ist das höchste! – All die unendlichen Himmelslichter, – wär die Natur nicht das Bewußtsein von ihnen, sie könnten unserm sinnlichen Aug sich nicht begreiflich machen, und alles, was im Naturbewußtsein seinen Ursprung und fortwährend Leben schöpft, das führt zur Wissenschaft, zu ihrem Begriff. Das ist alles, und die Natur ist überhaupt das Bewußtsein vom All, und sonst nichts.

»Dies sind Axiome! sehr kühne Axiome, zum wenigsten müssen sie als solche angenommen werden, denn beweisen lassen sie sich nicht.«

Fr. Rat. Was läßt sich denn beweisen? ich frag, Herr Pfarrer? – Ich will nur eins hier bemerken nämlich ein Beweis ist allemal eine Lüge.

»Aber Ihre Gründe sind doch wohl Beweisführungen?«

Fr. Rat. Machen Sie mich nicht toll! wo hab ich je Ihnen zugemutet, etwas sich beweisen zu lassen? – wenn ich eine Nuß Ihnen in die Hand drücke, so brauch ich nicht zu beweisen, daß sie einen Kern hat, es versteht sich von selbst. Alle Wahrheit versteht sich auch von selbst, und dazu braucht es keine Gläubigen. Wahrheit wirkt auch ohne den Glauben und braucht auch nur sich selber zu verstehen, um sich zu entwicklen und alle Geschöpfe in sich.

»Es ist bös mit der Frau Rat streiten, Sie nehmen keine Räson an!« –

Fr. Rat. Ja, was soll man sich damit aufhalten, Sie bringen aber Worte an wie Wetzsteine, der Zorn schärft sich dran, aber verdauen kann man sie nicht. Was ist nun das wieder: Axiome?

»Das sind Ursätze! Wahrheiten, die keines Beweises bedürfen.«

Fr. Rat. Herr Pfarrer, hüten Sie sich doch vor denen Ursätzen und vor den Beweisen, die davon ausgehen. – Was ich von der Natur begreife, das ist ein lebendiger Strom der Wahrheit, was sie ist, das bildet unser Leben; sie durchströmt uns und nimmt unsere Seelen auf in sich und trägt sie wie Wellen. In ihrer Strömung besteht das Leben der Seele, eine Welle trägt die andre, je mehr Fülle der Strömung, je voller das Leben des einzelnen, so wie auch ein einfacher Ton von der Harmonie auf den höchsten Gipfel gehoben wird, wo er alle bestimmt und die einzelnen Tonarten anknüpft. Eine Welle kann nicht bestehen, aber eine Strömung aus vielen Wellen, die trägt jede einzelne Welle in sich. Daraus schließ ich, daß ein einzelnes Leben nicht bestehen kann, es geht erst hervor aus dem Alleben. Das Allebendige strömt den Lebensgeist jedes Einzellebens in sich. Leben in sich ist! – Ist überhaupt die Ausströmung des Alls. Was haben Sie zu entgegnen? – Sie stieren mich an, wo ich das her hab? – Ei, ich stier Sie auch an, wie's möglich ist, daß Sie das nicht in sich spüren sollten? – Der Herr Wirt vom Weidenbusch hat mehr Lebensmitgefühl im jungen Wein, wenn der in seinem Keller braust, als Sie selber von sich haben, der Sie ein moussierender Wein sind des Naturgeistes. Verstehn Sie, Herr Pfarrer? – verstehn Sie, der Menschengeist ist der moussierende Wein, der in der Sonnenglut [90] des Naturgeistes gereift ist, und all seine große Kraft des Begriffs, sein Geistesfeuer, aufzusteigen in übersinnliche Regionen, das ist derselbige Lebensgeist, der vom Bacchus seinem göttlichen Feuer in den Perkel der Traube ist gezaubert worden, der dann und wann im Kopf eines Denkers wie Sie die schlafende Lebenskräfte moussieren macht; da steigen Geister auf und geben Zeugnis vom Gott im Wein. Nicht Scherz, Herr Pfarrer, großer heiliger Ernst! Wie ist's möglich, daß Ihnen selbst nicht die Lebensgewalt von Naturerzeugnissen vorab im Rebstock zu einem Einsehen sollte geleitet haben unserer geistigen Verwandtschaften mit ihnen. Im Opium, hab ich mir sagen lassen, findet die Phantasie die Wollust paradiesischer Gärten eingewindelt, in halbbewußten Schlummerträumen uns wieder mitgeteilt, als ob der Geist des versunknen Paradieslebens da ins Opium gebannt wär! – Woher haben wir eine Empfindung früherer vergangner Zeiten? – Woher badet sich unsere Einbildung oft im Wohlergehn, das uns überirdisch scheint? Was heißt Paradies? woher verstehn wir den Ausdruck? ist es vielleicht eine Rückerinnerung unserer Opiumszeiten? hat er in der Mohnblume geherbergt so gut wie in der Rebe, und hat die Natur im Geheimnis dieser Blume die Möglichkeit der Phantasie auf unsere Denkfähigkeit übertragen? Ja, Herr Pfarrer! ist vielleicht unser Menschengeist die auf alles sinnliche Geistesleben der Natur abgezogne Quintessenz? und ist jetzt durch unsere fünf Sinne in die Freiheit des Denkens geboren, in einen selbständigen Lebenslauf des Werdens? ist das Denken nicht auch ein sinnlich Werden des Geistes? und sind also unsere Gedanken nicht wieder ein sinnlicher Spiegel der Natur? – Wenn auf den Bergeshöhen unser Aug umherschweift, unter dem Wolkengetümmel, unter den gebrochnen Lichtern, die dazwischen spielen, oder wenn die Sonn im Purpur untertaucht, wie sind da unsere Seelensinne aufgeregt? wie glüht dem Jüngling die Brust? Da kommen Gelübde aus der Brust gestiegen ewiger Dauer, da kommen Ahnungsgefühle des Werdens, da brütet die Natur über dem Menschengeist, und wenn der blaue Äther uns umfließt, weit hin, ungetrübt, da schlägt der elektrische Freiheitsfunke uns durch alle Glieder und durchfährt auch diesen unermeßlichen Raum und schlägt wahrscheinlich mit aller Sterne elektrischer Kraft zusammen, denn erlöschen kann er ja doch nicht! Also wo bleibt er, wenn er nicht die Himmel durchdröhnt und endlich im Busen die Urkraft sich einwühlt? – Und in der Nacht, im Sternenschimmer? Herr Pfarrer, werfen Sie nur einmal die Nachtmütz ab, um Mitternacht, strecken Sie den Kopf zum Fenster hinaus, Sie werden's gleich gewahren, wie alle Sterne bedenkliche Strahlen auf Ihr Denkkapitol herabsenken! – O, Sie werden's gar deutlich spüren, es wird zu stark kommen, Sie werden den Kopf geschwind mit Ängsten wieder zurückziehen, weil die Äonenlehre zu mächtig vom Himmel strömt ihrem schlummernden Denkvermögen, es kann sich nicht aufrappeln aus dem bisherigen Unwesen, wo der Geist wie ein gefangner Kanarienvogel von eim Stängelchen zum andern hüpfte und hat dabei sein Liedchen gepfiffen, [91] aus Leibeskräften, jetzt strömt auf einmal die Freiheitsluft in sein vermacht Winterquartierchen. Sie halten's für Zugwind, für Ketzerei, oder für was weiß ich, Sie glauben, es könnt der Teufel sein, es paßt ja nicht zum Text von Ihrer Predigt, die Sie eben memorieren wollten, die Predigt ist zum Teufel, das schadet zwar nichts, aber Sie setzen die Nachtmütz wieder auf und ziehen Ihr Denkkapitol wieder in ihren alten Nachtschweiß zurück. Was fürchten Sie, Herr Pfarrer, auf zwei Stängelcher können Sie sich nicht weit verirren, derlei Predigten können Sie ja unzählige aufs neue erfinden, nur daß sie eigentlich all zum Teufel ins Nichts übergehn. Sie sind verwirrt, weil die Sterne selbst auf so viel verwirrtes Zeug stoßen in Ihrem Kopf, das vor denen nicht bestehn kann. Wenn Sie aber Mut hätten auszuharren in der freien Nachtluft, dann würde erst der Keim des Vertrauens in dies Leuchten der Sterne in Ihnen ansetzen, und allmählich mit der Glorie einer höheren Morgenröte Geistesblüten zum Licht tragen, die in inniger Übereinkunft mit Natur und Gottheit auch ihre Vermittlung in denen fänden. –

Das Keimen vom Samen ist Vertrauen in die Erde! Sie sehen, was die Erde dem Keim tut, das tut der Naturgeist auch dem Vertrauen in ihn, er wärmt, er brütet, er weiht alle Kräfte nur dem Lebensgeist, damit das Menschwerden in dieser Naturbesonnenheit sich gründe. Der Mensch ist das Gefäß ihres ganzen Gehaltes, alle Seele, die durch ihr Wirken sich entwickelt, strömt in der Menschenseele zusammen, aller Geist, der durch die Erscheinungen der sinnlichen Naturwelt aufsteigt, drängt sich als sinnliche Geisteswärme im Menschen zusammen, sie ist der Glutherd, von dem der echte Menschengeist, der das Göttliche sucht und es über sich spürt, als Flamme in den unsichtbaren Gottheitsäther aufsteigt.

Der Merkzeichen, die mich auf diese Denkspur führen, sind unendliche, wem der Blick darauf gerichtet ist, dem schimmert's durch alles, was ihm begegnet, und dadurch strömt ihm die Befähigung der Weiterbildung. Was ich wahrnehme, das hängt mit mir zusammen, bildet Leib, Seel und Geist, und bloß durch den Einfluß der ganzen Natur kann ihr höchst Geschöpf, der Mensch, gedeihen, und so muß denn alles in ihr die Vermögenheit von seinem Sein zusammenweben.

Da – trinken Sie erst, Herr Pfarrer, und dann sprechen Sie, damit Sie mir keine zu nüchternen Reden vorbringen, ich will indessen auch mein zweit Glas von dem prächtigen Ungarausbruch leeren, den mir der Herr Bürgermeister Holzhausen zum Neujahrstag verehrt haben.

»Ich sporne mich an, Ihnen zu folgen, Frau Rat, doch muß ich alle Augenblick stocken. Wenn Sie's erlaubten, ich möchte einen Einwurf machen.«

Fr. Rat. Machen Sie doch mit Ihren Redensarten kein lang Gesperr, fahren Sie heraus mit Ihren Einwürfen, was schadet das mir, mein Geist strömt über, ich werd Ihnen auch gleich seinen Ungarausbruch zu kosten geben.

»Die Tauben, die Blinden, kurz, jene menschlichen Geschöpfe, die einen Wahrnehmungssinn weniger haben, in welche die Natur (nach Ihrer Denkweise)[92] den Geist ihrer Erzeugnisse aus dem gebundnen Zustand in jenen höheren des Denkgefühls überträgt, diese Wesen müßten daher auch die geistigen Fähigkeiten, welche auf den mangelnden Sinn angewiesen sind, entbehren. Kurz, die Menschen, in bezug auf Geist und Seele einer Sinnenbefähigung beraubt, würden dann auch als unvollkommne Geisteswesen, denen ein geistig Organ fehlt, nicht mehr vermögend sein der Ihnen so heiligen Geistesfreiheit, die Sie als einzige Willenskraft der Natur bezeichnen, da eben diese durch den Mangel eines Sinnes nie ganz von der Natur durchgebildet werden könnte und also abhängig vom Mangel und gebunden sein würde.«

Fr. Rat. Ob ich Sie versteh, weiß ich nicht, ich muß mich auch anstrengen, dahinterzukommen, was Sie mir da in den Weg werfen, es wär doch recht lächerlich, wenn wir alle beide mit unserm Ingenium immer einer über den andern hinausstolperten.

Es gehn der Welt durchs Disputieren mehr Begriffe unter, als erstritten werden. Von der politischen Gewalt ist uns ohnedem der Spielraum sehr knapp zugemessen, in dem wir den Reichtum unserer Geisteskräfte üben können, deren gleich den Naturprodukten mehr zugrunde gehen, als wir verzehren. Doch werde ich Ihnen jetzt antworten, so gut ich's vermag.

Gewiß! es gibt Kreaturen, die mit allen Begriffswerkzeugen der Natur ausgestattet sind, und doch ganz unfähig, mit denen zu fassen. – Christus hat schon über die sich gewundert, die Ohren und Augen haben und hören und sehen nicht. – So würden die also, denen ein Sinn mangelt, nur mit der Gesamtmenschheit, die keinen Freiheitsreiz hat im Geist und in den Sinnen, gleichstehn. Aber die Freiheit im Geist ist viel zu tief begründet in der Natur, als daß sie irgendwie von einem Sinne abhängig wär. Hier treten höhere moralische Kräfte ein. Die Natur schafft ihre Geister – es sind die höchsten Vermögenheiten, die aus ihren Erzeugnissen zuvörderst sich bilden.

Entstehen, sich bilden, ist nichts anders, als frei werden. Jed sinnlich Wesen ist zugleich ein Geist, der aufsteigt aus sich in die Freiheit. Gesehen, gefühlt werden vom höheren Wahrnehmungsvermögen ist die Freiheitswelt des aus der Sinnenwelt aufsteigenden Geistes. Der starre Stein, der mächtige Fels, auf dem hie und da nur so viel Nahrung sich findet, daß ein begrünend Pflänzchen sich ihm anschmiegt, der in seinen Spalten so viel Tau und Regen sammelt, um seinen abrollenden Staub zu befruchten, worauf das glatte Stämmchen der Silberbirke himmelanstrebt mit seinem reinen kindlichen Laub, nun, der macht dem Gemüt einen tiefen Eindruck, es wird durch ihn gestimmt zu Wehmutsgedanken, ja die Seele des Menschen ist wie eine tönende Leier, und fühlt die Geistesfinger in die Saiten sich greifen und sie stimmen, und schöne Harmonien aus ihnen wie herrliche Geister losbinden; die steigen auf, sie treffen zusammen mit ihresgleichen auf Bergen und Auen; sie treffen zusammen mit tausendfachem Echo aus dem Busen der Menschheit, in dem der Gott Mensch geworden ist. Was soll aus [93] diesem allen werden? soll es zerplatzen wie leere Seifenblasen, die einen Augenblick lang der Seherkraft die umgebende Welt spiegeln, und dann nicht mehr sind? – Ja, Herr Pfarrer! wie schön ist eine Seifenblase, welch köstliche Lehre schwebt sie dahin im Sonnenschein. Ja, mich befällt Wehmut über ihr anmutig Dasein! ich schäme mich nicht der Träne, die mir da über die Backe rollt. O Sonne, du anmutige Göttin, du umkreiselst sie mit deinem tausendfarbigen Spiegel! Was hast du ihr gegeben? ein geistig Dasein! wer kann das leugnen? – Des Menschen Aug hat sie ja geistig gefaßt, die Seifenblase! – sie hat seine zerstreuten Gedanken durch das verliehene Farbenspiel der Sonne auf sich gezogen, sie ist nun zum Dasein gelangt im Geist des Menschen; sie hat ihn bewegt, geweckt, gehoben; er hat auf ihren Flügeln sich aufwärts getragen gefühlt, zum Schöpfer aller Dinge, und hat in ihm geschwelgt; vom Gottheitsnektar getrunken, einen gar süßen Tropfen! Was ist aber aus der Seifenblase indessen geworden? – sie ist ja zerplatzt ins Nichts, – wo ist nun noch eine Spur der Majestät, mit der sie umkleidet war? – geht es so mit ihr, die erst so schön gefärbt war mit dem Strahl des schönsten Frühlingsscheins, daß sie ins Nichts verschwindet? – ja, sie verschwindet ins Nichts, aber ihre Erlösung ist da! sie geht über als magischer Geist in die Sonnennatur des Menschen, das ist ihr Fortbestehen in sich; und dann geht sie über in den Sonnenschoß, der sie begeistigt hatte, und das ist ihre Einverleibung ins Göttliche. So ist es mit dem Menschen auch; ein verliehener Funke der Gotteskraft, der in ihn sich einsenkt in dem Werde, der bildet ihn zur selbstgeistigen Natur, die in den Ewigkeiten sich zerfließt und nur da selbständig sich wieder hervorbildet, wo die Willkür des Geistes mit durstigem Munde sie zu trinken begehrt. Und, Herr Pfarrer, schenken Sie sich noch einmal ein und mir auch – – vortrefflich! das labt! –

Aber ich hatte Ihre Fragen fallen lassen über der Seifenblase, wir wollen sie wieder aufnehmen. Erstlich bemerk ich nur, wenn die Seifenblase einer doppelten Erlösung gewärtig sein kann in ihrem einfachen kurzen Dasein, so wollen wir nicht verzweifeln, daß auch der gebundene Sinn im Menschen eine innere Erlösung fände und – vielleicht – eine doppelte Entschädigung! Die Natur schafft ihre Geister, ich hab's Ihnen bei der Seifenblase bewiesen, Geister dringen überall durch, sogar der Geist des starren Steines fährt an die Menschenbrust an, schlägt Feuer aus der, macht einen Helden aus dem Jüngling, der ihn zu fassen mit Liebe befähigt ist. Nun! bedenken Sie sich das Spiel der Geister, der millionenfaltigen Geister, die all den Charakter tragen ihres eigenheitlichen Ursprungs, die zusammenströmen, aus dem Reich der Verschiedenheit in harmonische Einheit übergehen, die dann wieder in unzählige Funken auseinanderfliegen, und wo jeder auf eigne Weise entzündet. Diese Geister, als magische Kräfte der Natur, leisten ihr da wieder Dienste, wo sie mit sinnlicher Anstrengung nicht weiter dringt. Die Natur hat Geist, zu was hat sie den, wenn sie mit ihm auf die Fragen der Notdurft nicht antworten könnte? – Die Natur hat Geist und schafft [94] Geister, und die dienen ihr und durchdringen das taube Ohr und das scheinlose Aug! Wo aber der Freiheitsreiz mangelt, selbst den feingebildetsten Sinnen, was helfen da Augen und Ohren? sie hören und sehen nicht. Christus klagt darüber als der Scheidewand, an der seine Begeisterung abgeprallt war, diese Blind- und Taubheit sehender Augen und hörender Ohren. Aus innerster selbster Bewegung muß der Lebenstrieb hervorgehn, der sich reift in seinen Wahrnehmungen, der sich selber begegnet und erhöht in der Seele der Luft, im Gemüt der Erde sich nährt, im Feuergeist sich entzündet, und im Strömen der Wasser der Allgemeinheit sich verbündet.

Der ewig am Gastmahl schwelgt aller geistproduzierenden Naturstoffe, dem die Gewalt dient der ganzen Natur, bloß um sein Sein zu gründen und zu nähren, und sich selbst ganz in ihm der eigenheitlichen Kraft einzuverleiben, die hier im Menschen selbständig Leben wird. Ja, was ist der anderes als der sich selbst genügende, aus sich selbst entspringende Funke der Geistesfreiheit? – Was stutzen Sie? – haben Sie was dagegen? – Nur heraus mit der Farb! – Sie meinen vielleicht, weil ich da schon das dritte Glas Ungarausbruch auf mich wirken lasse, so wanke der Wandelstern meines Bewußtseins aus seiner Mitte heraus! – Was kann Ihnen aber das beweisen? – Kommen Sie, stoßen Sie an. – Klirr! – noch einmal! – Kling klirr! – Vorab beweist's Ihnen den verborgnen Natur-Gottesgeist, der, im Rebensaft entbunden, zusammenströmt mit dem umnebelten, gebannten menschlichen Freiheitempfinden, und die ersten Gelübde des Sonnendienstes in ihm aufregt: – Herr Pfarrer! der Bouteille muß der Hals gebrochen werden, trinken Sie. – Setzen Sie nicht ab, sag ich Ihnen, wenn Sie mich nicht erzürnen wollen! – Halt jetzt! – reden Sie kein Wort! – trinken Sie! Ein Mann, ein Kanzelredner, kann ein gut Teil kleiner Weingeister in denen sonntäglichen Reden durchschlüpfen lassen, sie schweben da so sanft, so geheuer von der Kanzel hinüber auf die gottseligen Zuhörer, sie breiten die Schlummergardinen vors Konzept und entfalten eine sympathetische Übereinstimmung zwischen der Gemeine und ihrem Hirten! – um durch träumerischen Nebel des Unsinns die sich kraus machende Lüge, die drin herumschwiemelt, so viel möglich unschädlich zu machen! denn auch die Geister des Weins sind der Lüge Feind.

Jetzt lassen Sie uns einmal ermessen, wer besser fährt mit seiner Weintaktik? – ich, die von den Wallungen des Gottes in meinem Blute wie vom schnelleren Wellenschlag getrieben, besonnener und echt poetisch mich fühl, oder Sie, die dem Wein, als dem Vater der Lüge, dergestalt zu imponieren wissen, daß er duckt vor Ihrer geistlichen Würde und als Gespenst sich in den Hintergrund Ihrer Seele schleicht, wo es auf den Zehen sich bald ganz lang macht wie ein dünner Hausgeist, der in der Langenweile, die ihm da aufgespart ist, sich mit miserablen monotonen religiösen Untersuchungen herumbalgt, dann Gottesbetrachtungen anstellt, die aber zur unrechten Tür herausgehn und auf ein Feld geraten echt reiner philosophischer[95] Systeme, wo es im Charakter der Trockenheit als Schauspieler erster Größe auftritt, so daß das Gespenst in Ihnen ganz unwiderstehlich unausstehlich sich zeigt, und dann sich wieder rund macht wie die Weltkugel, als Trunkenheitssymbol des Universums, und Sie wagen höchst mutig das runde Ding bei seine beide Hauptflittig zu erwischen wie einen Schmetterling mit dem Daumen und Zeigefinger Ihrer theologischen Weinverklärung, und versinken in Betrachtung, reden das runde Gespenst in Dithyramben an und – und ich kann Ihnen sogar sagen, was da Ihre Hauptanschauung ist, die Ihnen der Offenbarungsstoff des Weins lieferte.

Sie denken an die Lieb Gottes, wie die dem großen Sünder in Ihnen zu Leib geht – »das ist die Rührung Ihres Weinrauschs;« »je sündiger der Mensch sich fühlt, desto christlicher!« – das ist das Behagen im Wein, der hier in Ihrem Rausche als Trost Sie überkommt! – »Ja, die Sünd reizt die Liebe der Gottheit!« ruft Ihnen der aufgeregte Feuergeist des Weins ins Herz. – »Und es liegt ein Zweck in der Sünde verborgen, der immer lebendiger wird und endlich aus ihr hervorbricht wie die Ananas aus dem Mistbeet!« Das ist das letzte, was Sie im Schwung Ihrer Weinbegeisterung vom hohen Himmel als segensreiche Offenbarung auf sich herabregnen fühlen, und haben Stoff zu einer mächtigen balkenbiegenden Rede.

Derlei Gedanken lese ich in Ihrem rührungschwimmenden Aug, Herr Pfarrer, – die Weinträne rollt Ihnen längs den Backen herunter! nicht mit Unrecht, denn Ihrem Ingenium spiegelt der Geist des Weins da eine tiefe Anschauung. Aber durch das Prisma der Vorurteile und poetischen Eitelkeiten nimmt alles eine schiefe Gestalt an, Ihre Begeistrung geht auch schief. Sie schlagen ans Herz! Mea culpa! Sie gedenken der Maiblümlein und Vergißmeinnicht, deren Sie in Ihrem vom Rheinweinräuschchen unterstützten Rührungssermone so viele Wiesen voll am Rhein einst verpredigt haben. Sie gedenken der Abendröte, der fernen Glockentöne, der Särge, der Bahrdecke, der Sense, mit welcher der Tod die reife Ernte mäht, Mutter und Kinder, Bräutigam und Braut müssen Ihrem Rührungssystem als Opfer dahinfallen wie die Wiesenblumen. Dies alles hilft Ihnen der Weingeist aus der Rührungsgarderobe hervorsuchen, sie putzen es auf zu einem schönen Katafalk der schnell dahinschwindenden Zeitlichkeit – die ganze Gemeine zieht die Schnupftüchel heraus, es wird ein Geräusper, ein Geschnaube, es klingt unter Ihren Schalldeckel hinauf, wie das Blöken der Herde. Sie fühlen sich als echter Hirte in höchst poetischer Aufwallung, und – ja die Träne! – der Gott im Wein lacht da heraus, wo Sie aus seinem Lachen heraus weinen. Nun sehen Sie, das ist Ihre Trunkenheit.

»Die Frau Rat werden doch nicht glauben, daß mich der Wein übermannt.«

Fr. Rat. Wollen Sie nun gleich Ihr Glas leeren, daß wir an die zweite Flasch kommen. – Was wollen Sie da lang untersuchen, was ich glaub oder nicht glaub? – Bedenken Sie, im Rausch ist keine Verantwortung. Drum hab ich immer die Flasche bei der Hand, wenn einem was verdrießt, was ich vorbring, Hochverräterisches oder sonst Despektierliches, worüber einer mir [96] könnt eine Verantwortung zuschieben, dann hat's die Flasche getan, denn daß es die Wahrheit ist, was ich vorbring, das gibt ihm keinen Freipaß, aber die Wahrheit, die im Wein gesagt wird, die wird nicht beachtet, das ist schon wieder eine göttliche Eigenschaft des Weins, daß er die Polizeispürnasen überlistet, und kurz, wehren Sie sich nicht, trinken Sie! – Klirr – auf einen gesunden Rausch, in dem wir die Wahrheit dahin rauschen lassen mit ihren mächtigen Fittichen, ohne Bedenken, ob wir uns das sagen, was die Menschheit Grobheiten nennt, wenn wir ihn ausgeschlafen haben, so wissen wir beide nichts mehr davon. Wissen wir doch jetzt kaum, was wir eben einander entgegneten.

»Dagegen muß ich durchaus appellieren, Frau Rat, denn ich weiß noch sehr wohl alle die Dinge der Unmöglichkeiten, die Sie in Ihrer muntern Laune zu behaupten beliebten und denen ich durchaus nicht beistimmen kann.«

Fr. Rat. Desto schlimmer für Sie, denn ich werd Sie aus dem Sattel heben, meinen Sie nur nicht, daß ich meine Behauptungen gegen Sie nicht durchführen könnt.

»Zum wenigsten werden Sie die Widersprüche müssen aufgeben, mit denen Sie meine Gegenreden allemal aus dem Geleis bringen wie vorher, wo Sie grad in die Luft hinein behauptet haben: ›Der Beweis sei allemal eine Lüge,‹ da hatten Sie das zweite Glas Tokaier noch nicht getrunken!«

Fr. Rat. Jetzt aber, wo ich das vierte Glas in der Hand hab, da werd ich Sie darüber aufklären. Ich weiß recht gut, Sie sprachen von Axiomen, von Ursätzen, die sich nicht beweisen lassen, und da sagt ich, der Beweis sei allemal eine Lüge! – Nun, es lassen sich tausend Gründe dafür anführen, ich hätt aber gedacht, es müßt Ihnen einleuchten, daß, wenn das All sich im Menschen vergeistigt, so ist ihm nichts mehr zu beweisen! Ich mein ferner, daß, wenn jedem einzelnen die Wahrheit anders sich spiegeln muß in seiner Eigenheitlichkeit – denn ich bin ein andrer wie Sie –, so muß jedes Übertragen auf mich, jedes Beweisführen eine Bürde sein dem freien Geist. Ich mein auch, daß jedes Beweisführen ein egoistisches Rechthaben ist, tyrannisches Eingreifen in die Magie der Wahrheit, und das ist eine Lüge, eine grausame Lüge, daß man sie feststellt. Tausendfarbiger Wechsel der Empfindungsreihe, der Gedankenstimmung leiten den Begriff, heute ist der ein Held, ein dem Glücksrad in die Speichen greifender Unüberwindlicher, der morgen nur leidend wie ein flüsternd Rohr vom Abendwind sich hin und her beugt. Ja, das ist wahr, nicht dem gefangenen und gebundenen Sklaven irdischer Lebensapplikatur, aber dem freien unbedingten Geist ist alles dies ewige Naturspiel des Geistes angewiesen, wo nichts bewiesen kann werden, wo jeder eigenheitliche Begriff sich verluftigt, das heißt zu allgemeinen Äther sich umwandelt und Naturatem wird. Ja! denken Sie doch, Herr Pfarrer, ich, die nur in der Geistesfreiheit den Gott ahnt und in nichts anderm ihn anerkennt, in keiner Satzung. Wie ist's möglich, daß ich den Beweis zugeben sollt, daß der Beweis mit seinem ungeschlachten Meßstab dem Geist die edle schwanke Zaubergerte aus der Hand schlage, nein, der Beweis [97] ist eine schmachvolle sklavische Lüge gegen den Geist, der Zaubersprüche tut und wahr macht, kraft seines Gottheitsgenies, was der Beweis nie gründen kann. Ja, was kann der Beweis denn ausrichten, dem der freie Geist huldigen müßte? Der Beweis ist ja nichts für den Geist, nur was augenblicklich wahr wird dadurch, daß er's in sich spiegelt, was dem Zauber seiner Stimmung sich fügt und augenblicklich wahr wird, weil er, der Geist, es will. – Sie lachen? – Sie lachen ernstlich, ich seh's in der Gebärdensprach von Ihrem Gesicht, platzen Sie heraus, studieren Sie nicht so lang, wie Sie's verbergen wollen, Sie guter Pyramidengläubiger. Ihre vollkommne Lachphysiognomie ist mir ordentlich rührend. – Nun reden Sie, wenn ich nicht glauben soll, daß der Wein Ihnen einen Haarbeutel angebunden hat, den Sie mit Ihrem Schweigen mir verheimlichen wollen.

»Den Haarbeutel hab ich, Frau Rat, aber nicht Ihr Ungerwein steigt mir zu Kopf, als vielmehr der Wein Ihrer berauschenden Reden. Wie kann ich mir den Eindruck gleich zurechtlegen, den diese mir machen, wie kann ich sie so schnell verarbeiten als sie aus der Quelle Ihres Geistes sprudeln, es liegt ja in jeder Äußerung von Ihnen ein Material zu einer philosophischen Abhandlung. Das Gefühl, vermittelst dessen ein Denker die Materialien, die ihn berühren und einen frischtätigen Reiz in ihm wecken, das ist ein in sich gezognes, langsam ordnendes, kritisch scheidendes und sonderndes Prinzip. Während der Wein aus Ihnen spricht und Bilder und Gedanken in Ihnen weckt, die im Chor mitsprechen und eine Masse der eigentümlichsten Ideen vor mir auftürmen, Natur und Mystizismus, dabei ein kunstreicher Atheismus und die Schwärmerei der Begeistrung, gehört eine ungestörte, eine erhöhte geistige Einheit dazu, diese teilweise in sich aufzunehmen, teilweise auch zurückzuweisen.«

Fr. Rat. Potztausend, jetzt zeigt sich das lange Gespenst! wissen Sie, das unendlich lange in Ihrer Weinlaune, es guckt über den Rand von Ihrem Glas, schad wär's, wenn wir's nicht auch in seiner runden Gestalt zu sehen kriegten. – Es ist ein herrlicher sommerglühender Vorabend, sehn Sie den rötlichen Himmel dort im Westen, es ist hübsch frisch unter diesem Birnbaum. Ja! der Himmel lächelt über unsere weissagende Seligkeit im Wein, und über das echt poetische Spiel unserer Sinne. Herr Pfarrer, jetzt rekommandieren Sie sich Ihrem Schutzheiligen, denn ich schenk Ihnen noch einmal ein.

»Was die Frau Rat aber für eine Oberaufsicht über den Ihrigen Rausch führen können, das flößt mir Respekt ein, Sie haben eine Taktik wie ein Kriegsgott, man muß flüchten oder zu Ihrer Fahne schwören.«

Fr. Rat. Ich bewundre Ihr Vorrücken aus der Festung, wenn das nicht eine Kriegslist ist von Ihnen; eben hat Ihr Forscherblick noch hinter Ihrer Verschanzung hervorgepiept und einen langen Hals gemacht mit seinem »langsam ordnenden Denkvermögen«, mit seinem »kritisch in sich gezognen scheidenden Prinzip« und mit seine »durch Gefühl vermittelte philosophische Materialien« und was dergleichen unerschöpflich lange Nudlen mehr sind, die man dreimal um den Löffel wicklen muß, eh man sie aus der Supp[98] herausfischt, in der sie eingekocht sind, und nun marschieren Sie in aller Unbedenklichkeit mit klingendem Spiel aus Ihrer Pyramidenfestung heraus, um zu meiner Fahn zu schwören. Ei, ich bedank mich vor die Ehr und kann's Ihnen nicht versagen, aus Ihrer dumpfigen Pyramid in mein mit frischer Luft des Weltalls durchzognes freies Feld überzugehn, wo keine scharfsinnige Beobachter die Staubwolken einer Hammelherde mit langem Fernrohr in Augenschein nimmt, ob's nicht vielleicht der Feind wär, und wo nicht hölzerne Palisaden den unendlichen Gliederbau mechanischer Reden umsteckt, damit ja kein unökonomischer Geist zudringen kann, der alle Palisade abfrißt und in einer daherstürmenden Flut die Trümmer fortschwemmt, die dann für Zaunstecken dienen, und wo ein fürchterlicher Zugwind von Stadt- und Landreden als Sündflut dahergebraust kommt aus der Pyramid, und wo dann ein groß Jammer- und Klaggetön von Eulen- und Katzenbewohnern der Pyramid angestellt wird wegen dem Überläufer und wird wegen seiner gewesenen verpesteten Gegenwart alles durchgeräuchert. – Nun, was gucken Sie so träumerisch ins Glas? –

»Ich bin im Kampf mit mir selbst!«

Fr. Rat. Im Kampf? – Herr Pfarrer! übereilen Sie sich nicht mit Strafgerichten, Sie haben im Weinrausch versucht, den Fuß auf die Schwell zu setzen. Das ist ja kein eigner durchgeführter Wille, zu desertieren aus Ihrer Pyramidenfestung, Sie haben ja nur nach dem bißchen frischen Wiesengeruch geschnuppert, nach dem duftigen frischgemähten Heu meiner in den freien Geist verliebten Redensarten. Jed Tier, das an Stallfütterung gewohnt ist, schnuppert doch nach denen frischgemähte Wiesenblumen, das ist ja ganz naturgemäß! –

»Ich bin im Kampf mit mir selbst, was ich mir unter der Pyramid soll denken, die Sie da mir die Ehr erzeigen, als Festung über mich zu bauen.«

Fr. Rat. Ei, was zerbrechen Sie sich den Kopf, das konnten Sie mich ja gleich fragen! – Was soll's sein? – hab ich's Ihnen nicht gesagt? gleich im Anfang? – Eine große Wiese in Ägypten ist's; – eine Wüste, sagen die Leut, wär's, mit lauter heißen Sandwellen, die der heiß Samumwind aus Mitternacht, also wahrscheinlich aus dem Höllenrachen, ganz glühend angestürzt bringt und mit denen jed grün Sträuchelchen begräbt und manch Palme umstürzt, die den verirrten Landläufern als erquickenden Schatten gab, und manch frisch labend Wasserquellchen verschüttet, das nur allmählich wieder in ursprünglicher Klarheit zwischen dem öden Gestein sich durchbohrt, wo dann die gehetzte Füchsercher gesprungen kommen – und die durstige Kamele, die auch in der Wüste die Bürde des Unsinns durch die lange Steppe ihrer langweiligen Jugendzeit schleppen mußten, sich als endlich ein bißchen erlaben können, und wo sie sich dann ansaufen und platzen die Stricke ab ihrer unerträglichen Last. Ach, und dann toben und schreien Füchs und Kamele, daß es weit in die Wüste hinaus und an den harthörigen Felsen widerhallt, daß die ordentlich rührend zurückstöhnen, was die junge Fuchs- und Kamelschaften ihrem steinernen Busen vertrauen. Und da sind Grenzhüter, [99] Lauscher an der Wand, die vernehmen ein wahr Wort, das ärgert sie, und spinnen gleich eine dramatische Geschichte draus, die von den Füchs und Kamelen ihrer Seite oft parodisch, von den Grenzhütern des Kontrastes wegen meist tragisch behandelt wird. Was machen sich die Füchs draus, sie tragen verbündet mit brennendem Schweif das Feuer ins Lager der Philister, und die Kamele, wenn sie der Mut kitzelt, machen sich dick und platzen wieder ab, was ihnen lastet. Sie gucken ironisch Treiber und Grenzwächter und Inquisitor an, ob der nicht bald die Wassersucht kriegt, der die Gelbsucht und der die Auszehrung. Manchmal, wenn sie Morgenluft wittern, stellen sie sich im Kreis und jubsen über den neuen Tag. Ach! Wüste bleibt Wüste! es kommen neue Kameltreiber und Fuchsjäger. Aber die Pyramiden stehn in jener Wüste auch.

»Ach, nun merk ich, wo Sie hinaus wollen!«

Fr. Rat. Nur nicht so voreilig! Nun, ich setze den Fall, ein Pyramidengläubiger, Sie, Herr Pfarrer, wären einer von denen, die bis zum Oeil de bœuf (wodurch man aus der ägyptischen Pyramid der Finsternis hinausspuken kann) vorgedrungen seien. Sie sehen hinaus bei Tag- und Nachtzeit, alles ist große Stille auf derseitiger Erdkugel, hier und da ein Palmenbusch deutet dem durstenden Menschengeist auf eine Quelle, daß er nicht verschmachten soll. Die heilige Natur im stillen Wirken auch hier in der Wüste der Einsamkeit, – wollen Sie der ihre Göttlichkeit ableugnen? – und der vertrackt Pyramid einverleibt bleiben mit jenem Getierts, was nur in der Feuchtigkeit, im Mulder, im Nebel, in dem verdickten verdorbnen Qualm lebt? – Wollen Sie nicht mehr aus dem Allbrunnen der Natur trinken? wollen Sie nicht mehr zum dumpfigen Pförtchen hinaus zu ihr? – Darf da ein gesunder Menschengeist nicht zu Ihnen sagen: Kerl, du bist ein Narr! – was haust du da? – Laß die Frösch und Eulen, die Fledermäus und Kröten, die Schlangen und sonstige Amphibien, die dort ihr unterirdisch Sumpfquell haben, aber komm du heraus und bekenn dich zum Geschlecht des Heiligen Geistes! –

»Aber, Frau Rat, Sie überrumpeln mich, wer kann Ihrer Überredungskunst in die Zügel fallen? Sie führen auf Wege, wo man sein eignes Ich aus den Augen verliert. Kann man den Standpunkt nicht mehr beachten, von dem man ausging, so ist man in der Irre, verliert man aber den Zweck, auf den man lossteuert, dann ist man einem Wahnsinnigen zu vergleichen, und was man auch in solcher Lage zugeben wollte, dessen wär der Geist nicht zurechnungsfähig.«

Fr. Rat. Schlecht geantwortet, Herr Pfarrer, Sie ziehen den Kopf zurück aus dem Oeil de bœuf, in die ägyptische Finsternis der zu allem gemißbrauchten deutschen Philosophie. Ich weiß, was Sie denken. – Daß ich ja von der nichts versteh! – Und Ihre verzeihenden Blicke kündigen mir an, daß Sie mich aufgeben. – Ja, Sie denken an die tausend Jahr, die nötig waren zu diesem Ihnen schmeichelnden Ideal, das über Myriaden zu Staub gewordener Denker thront, die geschaffen waren, ihm zu dienen, ohne zu wissen, was sie taten, und sind ganz begeistert, daß Sie so viel später geboren sind, um [100] diesem aus den Bruchstücken vergangner Geschlechter vereinigten edlen schönen zweckmäßigen Ganzen anzugehören.

»Alles, was wir erfahren, ist Mitteilung, Geistesoffenbarung; unser jetziziger mangelhafter Zustand sucht nach Heilung, die christliche Philosophie ist ihre moralische Reinigung, sie führt uns in die Geisterwelt, die unser Schutz und Hort ist gegen das stürmende Meer unserer Leidenschaften, auf dem wir sonst Schiffbruch leiden würden mit unserer verwirrten Einbildungskraft; jetzt aber wissen wir die Klippenfahrt zu vermeiden, wir sehen dies Meer geebnet unter den Füßen des Gottsohns, der dem Petrus zurief: ›Was glaubst du nicht!‹ und die Hand dem zagenden Jünger festhielt, und ihn lehrte, auf brausendem Meere ruhig dahinwandlen!« –

Fr. Rat. Still einmal, Herr Pfarrer! – ließ ich Sie so fortschwätzen, Sie würden scharmant die Predigt vom nächsten Sonntag mir vormemorieren, die vermutlich für die ganze Gemeine vergeblich sein wird.

»Warum glauben Sie das? – Sind Sie, werteste Frau, nicht einverstanden, daß der wirkliche Lebenslauf Christi auch zugleich die hohe Allegorie ist unserer geistigen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung? und daß dies der eigentliche Wert ist und Begriff der Religionsgeschichte?« –

Fr. Rat. Nein, damit bin ich nicht einverstanden! Stellen Sie rund um mich her Fallen auf, ich werd mich in keine verlaufen. – Sie selbst auch will ich in keine Falle locken, aber stehen sollen Sie mir, und antworten. – Was Sie da erst sagten, von dem geebneten Meer, von den Leidenschaften, und dem Spazierengehen drauf, Hand in Hand mit Christus, sagen Sie das noch einmal! –

»Was soll Ihnen die Wiederholung von etwas, das Sie behaupten, nicht zu verstehen? – Wo die Bedeutung der Hieroglyphe fehlt, da geht auch der Sinn verloren!«

Fr. Rat. Herr Pfarrer! sehr närrisch ist, was Sie sagen! Haben Sie Physik studiert? – Antwort: ja! – Nun, so werden Sie zugestehn, daß man einen Sonnenstrahl nicht kann gefrieren machen? – – Aber ich setz den Fall, man könnt ihn gefrieren machen, so würde er doch ohne alle belebende Wärmekraft sein, sobald er gefroren wär, denn eine Hitze, die vor Kält erstarrt, und wie ein großer hölzerner Bock vom Sonnengerüst herab sich auf dem Rasen widerstemmt, zu was wär die? – Sagen Sie doch, Herr Pfarrer, zu was wär diese Hitze?

»Ach Frau Rat, auf solche Fragen zu antworten ist man nicht leicht vorbereitet.«

Fr. Rat. Nun? – Meinen Sie dann, Ihre Gemeine wär besser vorbereitet auf Ihre gefrorne und hölzerne Sonnenstrahlen, die Sie ihr als von Gott ausgehend auf die Brust stemmen, aber nicht durchdringen? – Sie fühlt das Gewicht Ihrer Lehre, aber nicht als wachsende Lebenskraft in sich. – Bis zum Gefrierpunkt kalt sind Ihre Weisheitsstrahlen, mit denen Sie da die Leidenschaften des Menschengeschlechts ebnen wollen. – Was soll das? – Wohin führt's? – Wer je hat die Göttlichkeit der Leidenschaften empfunden, [101] der ist auch göttlich durch sie geworden. Ein Genius der Menschheit. Einer, der in allen sich selbst empfindet! – »Was ihr jenen tut, das tut ihr mir!« – Leidenschaft ist das eigenste Selbstempfinden vom Genius der Menschheit. Dann ist der Mensch Zauberer, Poet, dessen willkürliches Verfahren immer Wunder tut, Wunder der Empfindung, der Phantasie und des Gedankens. – Ach, Herr Pfarrer! wissen Sie was? – In meiner Brust ist eine tiefe Bewegung, wenn ich so ins Demonstrieren komm! – Sie schlafen doch nicht ein? –

»O nein, Frau Rat, ich höre mit wahrer Hingebung Sie an.«

Fr. Rat. À la bonheur! Sehen Sie! Alles, was Menschenhänd gemacht haben, ist immer ein klarer Beweis für die Heiligkeit der Geistesmonarchie, die doch alles regieren muß, oder es geht augenblicklich in den Zustand der Vernichtung über. Alle Rebellion dagegen ist Selbstvernichtung. Ach, wären wir erst einmal in diesen Begriff festgewachsen, dann hätt auch der Keim der Unsterblichkeit Wurzel gefaßt in uns. Und ist es nicht ein großer Jammer für die Menschheit, daß die ganz albern in ihrem unausstehlichen Hoffart Gesetze errichtet gegen den Geist, der das göttliche Regiment führt, und schickt die Schergen aus nach allen Seiten, ihn zu fangen, selbst gefangen im eignen Unsinn. Endlich muß sie doch ihm parieren, sie muß, da wollen wir nicht verzagen. Gottes Werkstätte wird über der Dummheit nicht einstürzen. Und wenn auch die Pyramide auf unendliche Dauer gebaut ist. Der Geist kann im Erstickungsdampf nicht aushalten.

Ach, Herr Pfarrer, was sind Sie so schweigsam? – Sie verstehn mich doch wohl? – Hier den letzten Tropfen – grad noch die zwei letzten Gläser bis zum Rand voll! – Ohne Sorgen, Herr Pfarrer? – Die Abendluft zerteilt den Nebel wieder! – Lassen Sie uns fortfahren. – Nur das letzte noch will ich hervorheben, dann soll Ihr armer Geist Ruh haben, es war das erste, was Sie fragten: Ob ich das glaub, daß der göttliche Schöpfungsgeist Bedürfnisse haben könne wie der Mensch, und daß er aber nur aus lauter Eifer seiner schöpferischen Begeisterung darüber hinaus wär. Ja, das hatte ich behauptet gegen die Bettelkinder und denen geraten, sich nicht von irdischen Bedürfnissen übermannen zu lassen! – Da sehen Sie, wie der lebendig Geist sich überall durchklemmt! – Diese große unendliche Wahrheit, an die keiner von uns beiden gedacht hatte, stellt sich uns von selbst vor Augen! – Was die Seele gewichtiger macht und den Geist, das gibt Gewalt – gegen was? – gegen jene Gewalt, die den Geist übermannen will.

Sie fragen, ob dem Gottesgeist Bedürfnisse in den Weg treten? – Wenn Sie es nicht verhindern können in sich selber, daß die dem Gottheitstrieb ein fortwährend Gesperr machen, so wird er sich's müssen gefallen lassen daß, wo Sie an Gottesstatt auf der Kanzel sein Licht zu verkünden vor der ganzen Gemeine dastehn, diese am End nichts anders erfährt als das Rumoren dieser Bedürfnisse; die treten auf in allen Verhältnissen und tragen Masken der Weltweisheit. Aberdem Gott allein weichen sie. – Wir hoffen, wir denken, und fühlen die Zukunft in uns, wir reißen uns los, zum wenigsten [102] auf Augenblicke, von den irdischen Banden, Unsterbliches zu befördern. Der Schlaf flieht vor dem Geist, wenn der zum Unsterblichen sich regt. Essen und Trinken versäumen wir, von Müdigkeit spüren wir nichts – wie das durch manche große Tatsachen der Helden, der Denker und kühner strebender Geister bewiesen ist. Wo soll das Göttliche sich bewähren als im Irdischen? – Ist das nicht eine Lehre, klar und deutlich, über die Ewigkeit, daß die Unsterblichkeit das Irdische überwinden wird und muß? –

Suchen wir den Gott überall, doch finden wir ihn nur da, wo wir nicht uns vor ihm demütigen, sondern kraft des Göttlichen in menschlicher Natur uns als Helden fühlen. – Haben wir nichts vor, was den göttlichen Geist in uns spornt, so müssen wir alle Augenblick unser Leben fristen mit Essen und Trinken. – Herr Pfarrer was zählen Sie die Stern? – Ja, es kommen allmählich immer mehr Bedürfnisse, die von der Hinfälligkeit des Irdischen uns überzeugen, an das wir uns so sehr anklemmen und jede Lüge uns erlauben, um dran festzuhalten, als ob dies nicht selbst schon ein Beweis für seine Vergänglichkeit und Leerheit wär? – Wie ist es doch möglich, daß, wo der Geist auch nur einen Moment in Funktion tritt, das Irdische sollte eine Geltung haben als bloß nur, um ihn zu offenbaren? Nur ein Überwinder ist! Nur der göttliche Schöpfungsgeist – passen Sie auf, Herr Pfarrer – ist die Macht, das Vergängliche zu überwinden und in sich unsterblich zu machen. Das ist sein Leben, sein Sein, er ist das Lebendige. Das ist die Überwältigung des Unlebendigen, daß alles Geist werde, nämlich:

Was ist den Tod überwinden, wenn ich ihn nicht lebendig mache? Der unsterbliche Geist ist ein fortwährend Überwältigen des kurzatmigen Daseins, und so ist mir ganz prophetisch zum Mund herausgefahren, daß der göttliche Schöpfungsgeist vor lauter Lebensdrang keine Bedürfnisse hat. – Und von heut an glaub ich dran und an noch vieles, was darin sich ausspricht. – Würde aber der die Flügel hängen und einen Ruhetag benötigt sein, dann würde er auch Hunger kriegen, und schlaftrunken werden, dann würde die Begeistrung der Gottheit dem Magen unterliegen, eine fliegende Hitze würde ihn überkommen, bis er verdaut hätte. –

Begeisterung ist ein Element, ich vergleich's der Luft, die Unsterblichkeit ist ein guter Segler auf diesem Meer der Freiheit, sie beherrscht's mit eignen Gewaltsgaben und erschafft das Ewige, Große in ihm. – Was sehen Sie da üben nach dem Horizont? – Sehn Sie mir doch lieber ins Gesicht. – – Die Unsterblichkeit ist der Beherrscher der Freiheit, ihm beugt sie ihren stolzen Nacken, und läßt ihm jede Last aufbürden, und wahrlich, die Völker, sie sollen die Blüte der Unsterblichkeit in ihrem Herrscher zum Licht tragen,dann allein nur sind sie beglückt! nicht das Polster der Trägheit, nein die Armatur gespannter Tatkraft ist die Ruhe ohne Wanken des lebendigen Geistes im Staat, er überhebt sich keiner Mühe, er vermehrt sie ins Unendliche und in ihr seine Kraft. Das religiöse, das sittliche Vermögen, die Intelligenz aller Glieder und einzelner Kräfte des Staats, alle von der Basis der Unsterblichkeit ausgehend, und vom unsterblichen Willen, der König [103] ist, zusammengehalten, das ist's, was in der Flamme des Patriotismus als Unsterblichkeitsflamme aufsteigt. So wie die Natur aller Elemente Geist in des Menschen natürlicher Fassungskraft vereinbart, so muß aller Nationen Geist ein Element sein, in dem sich die Unsterblichkeit der Herrscher offenbart. – Nun, Herr Pfarrer, was sagen Sie? Dämmern Sie auf, scharmieren Sie nicht alleweil mit dem Abendstern, ich muß mich einmal auspausieren. »Mit der geziemenden Bescheidenheit und der gehörigen Achtung für das große philosophische Genie, was in jeder Ihrer Bemerkungen sich deutlich ergibt – so muß ich dennoch Ihnen bekennen, wie so manches Zweideutige, Unstete Ihrer Reden, das noch einer näheren Erläuterung bedürfte, mich hier ganz unfähig macht, mein Urteil auszusprechen. Glauben Sie ganz gewiß, daß ich Sie sehr verehre und daß dieser schöne Juliabend von 1807 mir ewig unvergeßlich sein wird.« –

Fr. Rat. Sind Sie schläfrig, Herr Pfarrer? –

»Ich bin nicht schläfrig, Frau Rat, ich bin in einem Erstaunen und Bewunddrung Ihrer humoristischen Wendungen, und ich erfreue mich hier im stillen der Reihe schöner edler erhabner Ansichten, die Sie in Ihr Gespräch verweben, ich examiniere mit heller Vernunft und ohne alles Vorurteil dagegen, daß Sie eine gefährliche Feindin sind so manches Bestehenden, vor dem wir Ehrfurcht hegen.

Alles, was Sie als Mißbrauch selbst und geradezu antasten! – ich bin nicht dagegen, daß Sie gegen jene Mißbräuche der Religion zu Felde ziehen, es kann ihr nicht so sehr schaden, als jene Indifferenten, – die kalten Gleichgültigen, die den Menschen so sehr verachten, daß sie ihn nicht wert halten, ihn aus dem Schlamm der Vorurteile herauszuziehen. Diese Leute sind zu fürchten, und ihre Zwecke, ihre Denkweise verdienen Aufmerksamkeit. Denn warum? – ihre Indifferenz geht oft im Augenblick zur wärmsten Parteilichkeit über, grad wenn das Maß unreifer Ansichten und verkehrter Einbildungen, was sie in kalter anscheinender Stille mit heimlichem Genuß sich füllen sehen, sich eben ergießt. Dann kommen sie mit dem Blick des Raubtiers und mustern Freund und Feind der guten Sache, als eine Beute für den gierigen Rachen ihrer Zwecke; sie vergessen aller Menschheitspflichten, der Freundschaft, der schuldigen Dankbarkeit, ja das Andenken des Guten, was ihnen selbst durch jene Einrichtungen des Menschenwohls geworden, um es über den Haufen zu stoßen und ihre eigne Überzeugung geltend zu machen.«

Fr. Rat. Herr Pfarrer, der Wein hat Ihnen mit dem Fuchsschwanz über die Augen gestrichen. In Ihrer Rede ist zwar eine gewisse Folge zu spüren von dem, was Ihr Besuch und Ihr »tieferes Examinieren meiner Reihe schöner edler erhabner Ansichten«, wie Sie's zu nennen belieben, bezweckt. Allein das war keine Antwort auf das, was ich zuletzt in meiner Trunkenheit Ihnen vorgetragen hab. – Weiß Gott, wohin ich mich verstiegen hab, ich weiß kein Wort mehr, aber die Stimmung hab ich noch, ich könnt gleich im Text fortfahren. Sie aber haben mit sanftem Huldlächlen nach dem Taunus [104] geblinzelt, wo die Sonn unterging. – Ich sollt meinen, Sie wären in die schönen Halbtinten des Abendhimmels verliebt – ich merk aber wohl, daß Sie nur Ihre Augen wollten aufhalten, die der Weinduft zudrückte; die Abenddämmerung breitet so mild den Schleier über die geschloßnen Augenlider. – Sie dachten, mag als die Frau Rat schwätzen! und so haben Sie in scheinbar tiefer Betrachtung der Schlaftrunkenheit ein Viertelstündchen nachgegeben. – Widersprechen Sie nicht, ich hab's ja gesehen, wie Sie in die Höh geschnappt sind, wo ich Ihnen plötzlich zurief.

»Aber die Frau Rat sind wirklich in einem sehr mich affizierenden Irrtum; es kann wohl sein, daß ich in etwas zurück war in meinem Folgen Ihres genievollen Vortrags, ich kann einen Augenblick zerstreut gewesen sein. Aber daß ich sollte Ihre Hauptansichten verschlafen haben, dagegen muß ich protestieren.«

Fr. Rat. Nun! In vinum veritas. Gewiß ist's, daß Sie aufgewacht sind aus Ihrem Betrachtungsschlummer und haben mir mit höflichen Worten zu verstehn geben, was ich nicht zu wissen brauch, nämlich, daß ich Ihnen eine gefährliche Person zu sein scheine für das Bestehende, für die heilsamen Sophismen. Daß meine freie humoristische Wendungen Ihnen sans façon und ganz lustig auf die Dokumente speien, worin Sie das Dasein des Teufels dekretieren, daß diese humoristischen Wendungen zugleich den Zug der Heuchelei hervorheben, der in eurem geistlichen religiösen Despotismus das Dasein des höchsten Wesens dekretiert und daraus einen Gerichtshof der Gottesmajestät macht, wo ihr jedem ein Bein stellt, der seinen Verstand an euren Sophismen messen will. Ihr predigt das Evangelium als die allein seligmachende Gewalt, eurer Gemeinde habt ihr diesen Despotismus als Grundstein der Religion angewiesen, unter den ein jeder so tief als möglich sein Pfund vergraben soll, trotzdem daß der Christus so tiefschneidendes Wehtum daraus prophezeit, denn er sagt: Wer sein Pfund vergräbt, soll auch das noch verlieren! Ja! was heißt das? reden Sie! Sie sind jetzt wach! Sie sind ein bibelbegründeter Pharisäer! reden Sie nur! – Ich will's hören? –

»Ich kann mir nicht anmaßen, die Vieldeutigkeit von Christi Lehren mit einemmal auszusprechen, genug ist, daß alles, was die Bibel enthält und namentlich die Evangelien, immer anwendbar ist auf die verschiedensten Richtungen der Menschheit, jede böse oder falsche Richtung wird dadurch zurechtgewiesen, ihre gute Neigung geweckt, und hohe Zwecke werden der Menschheit vor Augen gestellt und sie selber dazu gereizt, in Aussicht auf eine höhere Vergeltung manches zu tragen, was sonst ihre Ungeduld, ja ihren heftigsten Widerspruch reizen würde. Sie müssen das zugeben, Frau Rat, Sie können nicht anders, daß nämlich ein heilender Balsam für alle irdische Bürde liegt im Evangelium, in den Lehren und im Beispiel Christi! so auch in dieser letzten Parabel vom vergrabnen Pfund. Wie Sie es nun auszulegen verstehen, weiß ich nicht, aber wie ich es auslege, wie ich in meinem Verhältnis zur Kirche, zu meinem Amt mich verpflichtet fühle, [105] es auszulegen, das kann Ihnen kein Rätsel sein. – Gewiß soll man das Pfund, das einem der Herr vertraut, nicht wuchern machen, um den Satzungen großer, vor der Menschheit als unfehlbar dastehender Geister den Garaus zu machen, gewiß sind mit dem Pfund nicht Hacke und Spaten zu erhandlen, um die Monumente des Gewissen und Wahrhaftigen zu untergraben und die Quellen in den Sand einzudämmen, die so vielen irrtümlichen Schafen fortan ein Sammelplatz geworden der Erquickung und des Trostes. Nein, dazu soll das Pfund, was Sie als die Intelligenz des Menschen betrachten, was aber auch als Gemütsfähigkeit könnte angesehen werden, nicht verwendet werden.«

Fr. Rat. Ja, Sie sind ein Pharisäer! Sie verstehen's, die Fragen zu Ihrem Vorteil zu umgehen, und daraus soll ich mich klug sehen. Ich gebe Ihnen darauf lieber eine plane Antwort mit der Christuslehre, mit der ich jeden Pharisäer möcht wie mit einem Spieß unterlaufen: – Das vergrabne Pfund des freien Menschengeistes, der ihm genommen wird, weil er ihn nicht nützt, – mit diesem Pfund haben wir die Himmel zu erringen; alles, was über dem Erdenleben uns winkt, – dies Pfund allein ist der Schlüssel dazu. Oder sollen wir die Seligkeit auch lieber dran setzen, bloß weil wir den Geist nicht ermächtigen wollen, sie zu erwerben? – Was doch! Sollen wir aus diesem Erdenleben herausfahren ein jeder, als wenn er sein Hemd fallen läßt, um in ein neues zu kriechen? und dann wär alles gut, von Flecken gereinigt da drüben im Sonntagsrock zu stehn vor dem Gott des Alls! – Nein! das gibt nicht Fähigkeit, die Macht, höhere Elemente beherrschen zu lernen! –

Wir fallen im Sterben wahrscheinlich auf dieselb Nas, über die wir nie hinaussehen lernen, und der wir auf Erden ohne Umsehen nachgegangen sind, beiläufig gesagt einer wächsernen Nase, die wir uns haben andrehen lassen. Nun gegen diese wächserne Nase warnt Christus, indem er uns das traurige Beispiel gänzlicher Selbstvernichtung darstellt im vergrabnen Pfund. Denn eine lebendige Naturnase, die hat doch den Geruchsinn, der weiter spürt als die erlaubte Wirklichkeit, zum wenigsten könnte wir die Wahrheit erschnüffeln wie ein guter Trüffelhund. Aber seiner fünf Geistessinne sich nicht mächtig fühlen, wie kann das der Unsterblichkeit zubilden? – Sehen Sie, so glaub ich, – und bei mir ist Glaube Überzeugungsinstinkt! – daß der freie Geist die Unsterblichkeitsstraße ist, und daß, wer sich zu diesem nicht durcharbeitet, Verzicht leistet aufs Fortleben. –

Nun kann freilich unmöglich dieser freie Geist in sich untergehen; das wär der Weltuntergang, das wär, Gottes Werkstätte zusammenstürzen, das wär, seiner Unsterblichkeit den Atem verhalten. – Wie fürchterlich aber ist's nicht, zur Wahrheitsstraße je den Fuß geregt zu haben und doch Gesetze vorschreiben wollen des selbst gebauten Narrenhauses, dem Licht Trotz bieten, das innerlich leuchtet; widersachen der Unsterblichkeit des freien Geistes, jede elektrische Berührung mit dem Gottesgeist verpönen, verlangen: Nach meinem Willen soll die Menschheit sich richten, oder ich werde sie zwingen, es zu bereuen.

[106] Solche Zwangssprache führt der Staatsmittler, der zwischen Herrscher- und Völkerrecht wütet, als sei es sein Eigenrecht, auf den unterdrückten Geist der Menschheit den Fuß zu setzen. Dort steht er und macht mit dem nägelbeschlagenen Absatz den gehörigen Eindruck, und meint damit der Zeit ihr Gepräg zu geben. – – Ich frage Sie eins nur, Herr Pfarrer! – Diese Staatsmittler zwischen Fürst und Untertan aus-oder inwärtiger Angelegenheiten! – Inwiefern treten diese denn in die Fußtapfen jenes Mittlers zwischen Gottheit und Menschheit? – hat der auch die Bitten abgewiesen zu dem Herrscher Himmels und der Erden, als Tücke und Beleidigung göttlicher Majestät? – oder öffnete der alle Schleusen der Freiheitsberührung dem Menschengeist mit Gott? War das vielleicht sein Erlösungswerk, die Freiheit vom Buchstaben durch den Geist? – Ich frage Sie, Herr Pfarrer! Im Namen der Pharisäer antworten Sie. Mit welchem Recht wollt ihr den Christus bekennen? – Den ihr verleugnet in euren Philisterstaaten? – Ist dies das Recht der Menschheit gewürdigt und der göttlichen Milde entsprechend, daß die Klage, der durchdringende Schrei des Bedürfnisses, das kühne Vertreten des Naturrechts, die Forderungen des Seelenadels alle abgewiesen seien vor des Herrschers Gerechtigkeit und Gnade, weil die Form verletzt sei. Ihr Mittler! – Was bedarf's der Form, wo der Kern gilt? – Aber eure heillose Fallbrücken aller einfachen Verhältnisse der unschuldigen Menschheit zu ihrem Herrscher, eure Fußangeln und Wolfsgruben, und tausend Mordschlingen der Wahrheit, die ihr erwürgt und entstellt über Seite zu bringen wähnt, was können die der himmlischen Klarheit des Genius anhaben? – Er aufersteht, Ihr gelehrten Textdreher, die Ihr auf jeder Station harret, um die Idee auszulaugen des Volkes, und den Feuergeist auszulöschen seiner Liebe zu seinem Herrscher! Daß er wie eine halbtote Kohle zu seinen Füßen einen widerlichen branslichen Geruch ausdünstet, statt in hellen Flammen der Begeistrung und des Vertrauens zu ihm aufzuschlagen? – Ach, ich will schweigen, schweigen, schweigen! – Reden Sie, wenn Sie was dagegen einzuwenden haben! – reden Sie! Ach, Sie wollen sich den Mund nicht verbrennen! –

»Je reifer man wird in seinen Lebensansichten, Frau Rat, je mehr fühlt man, daß ein Schema, was für Himmel und Erde eine entschiedne Geistesrepräsentation ist, nach dem der innere Mensch sein Gewissen zu richten hat, wenn es nicht aufrührerisch schlagen soll, daß ein solches nicht für den Tummelplatz gemacht kann sein des äußeren Lebens, wo alle verborgne Interessen zusammenströmen in ein aufbrausend Sturmmeer der Leidenschaften. Wo Forderungen und Rechte und Anmaßungen in blindem Kampf übereinander herstürzen mit lang vorbereiteten Intrigen, mit Stoß und Gegenstoß. Wo immer Revolutionskräfte auf dem Tapet sind auch bei anscheinender völliger Ruhe, was kann da so ein Staatsmittler, wie Sie ihn nennen, ausrichten? – Hat er nicht genug zu tun, dem Staate am Netz zu flicken, das ihm von diesem unruhigen Trieb der Regeneration, der Erweiterung und Vereinfachung stets zerrissen wird? Wie können Sie von dem erwarten, [107] er werde den ganzen Zeitenstrom des Bewußtseins ohne Kontrolle über sich hinaus lassen gehn? und dabei seine spiegelfechtende Macht lassen in tausend Lumpen zerfetzen? – Und gewiß, ich verehre sehr Ihre Überzeugung, daß die göttliche Wahrheit überall vergegenwärtigt soll sein, auch im Staat, auch im Fürsten und Volk; allein eine unauflösliche Kette von Verirrungen, eine Quelle alles Bösen und Üblen würde daraus entspringen, wollten wir den gereizten freien Geist wie einen blinden Ajax herumtoben lassen. Denn das irdische Interesse des Menschen ist ein anderes als das himmlische, drum ist auch die Staatskunst des Himmels eine andre als die der Welt.«

Fr. Rat. O Herr Pfarrer! solch dummes Zeug! – es kränkt mich! Sie geistlicher Herr, müssen das als Ansicht Ihrer langgemachten Erfahrungen und Reflexionen behaupten! Daß dem freien Geist, dem mißhandelten Genietrieb der Menschheit nicht zugegeben werde, was doch einem wütigen Ajax gewährt war, daß er seinen Zorn im Schlachten der Schafe und Rinder kühlte. Das soll dem freien Geist versagt sein? Das halten Sie für ein Unglück, was zu vermeiden sei? – O lassen sie immer ihn sich eine Bahn brechen zwischen dem unverschämten Geblök und Gebrüll dieser Schöpse und Rindvieh. Haben wir doch die Generationen hindurch nicht unser eigen Wort vor ihm verstehen können! – sind die doch gleich im Chorus aufgefahren gegen das Ideal, gegen die Wahrheit, gegen die Intelligenz selbst, und haben jeden Wissenstrieb überblökt. – Bedenken Sie! – Sehn Sie drei Schritte vor sich, da tritt die Zukunft auf. Vor der kann Theorie und Erfahrung nicht bestehen; sie veralten vor der Freiheit des Geistes. Und das ist die Macht der Zukunft! – Und das mag Ihnen beweisen, wie unwürdig Ihre Ansicht ist! – Was halten Sie an einer Religion, die Sie im Gelübde zwischen Volks-und Fürstenrecht nicht wagen geltend zu machen? Ihr verschüttet ihren Balsam, aber nicht um dem Gott im Menschen zu huldigen, wie das Weltkind Magdalena. – Unterdessen ist der Geist, der freie Geist, verbannt um der Sklaverei willen, ein reiner Gläubiger an den Impuls der Gottheit; durch ihn, mit ihm oder gar nicht! – auf die Religionsrechte zwischen sich und dem Herrscher geht er aus! – Wer kann's ihm verbieten? Wer kann ihn zwingen? – Er liegt ja mitten in den Gärungen der Verkehrtheit, seine Geburt zu reifen! Die Zukunft ist sein, sie trägt ihn selbst im trivialsten Gedanken ans Licht! Was habt Ihr ihm entgegenzusetzen? Diese Staatsgenossenschaft untereinander, – sie steht auf einem sehr gemeinen, dem feindlichen sehr nahe kommenden Fuß! Das ist der Egoismus; in jedem Amt verteidigt er nur die eigne Anmaßung, mag das übrige gehn, wie's will! er verteidigt das geschenkte Vertrauen gegen das Vertrauen selbst, wie der Wolf das Lamm verteidigt gegen seinen rechtmäßigen Hirten. – Was sag ich? – Wollte der Hirt hinein sich mischen, wollte das gesalbte Haupt leutselig und vertrauend herab sich neigen zu seinem Volk, sie litten's nicht, da würden sie alle für einen Mann stehen, obschon sie sonst gegeneinander Spinnenfeindschaft hegen, und Spinnen gleich mögen sie auch einstens zertreten [108] werden. Wenn sie es denn scheuen, daß sie naturgemäß vom freien Geist ein wenig zusammengetrampelt werden, sie, die jeden Staatsbürger, geistvoll und lebendig, aus dem der Genius des Staats hervorleuchtet, schon im voraus in die Acht erklären. Wo kommt ihnen die Überzeugung der Macht über den regen Geist her, der im unterdrückten Selbstgefühl sich immer wieder mit der lebendigen Urkraft des Selbstdenkens erzeugt? – Wie kommt's, daß so ein gesetzspaltender Bevollmächtigter nicht mit stiller Furcht vor dem lebendigen Gott im Menschen zurücktrete und den Selbstdünkel unterdrücke in seinem Selbstbesprechen ohne freie Antwort, in seinem Streben ohne Gegenstand, und in seinem Gefühlsreiz ohne Anziehungskraft? Hoffärtiger, wie Diogenes, mit der Laterne Menschen suchend, die Menschheit abwies, weist er ohne Beleuchtung den Geist der Zeit ab. »Ich suche Ideen!« ruft er, »das sind keine Ideen! Gebt mir Ideen!« Ja! was helfen Ideen deinem wüsten gesperrten geknechteten Nicht-Ich ohne Ich? – Käm dem auch nur die Frage auf die Zunge: »Bin ich der klügste von allen?« Ich wette, diese Frage, die der Anfang ist vom Insichgehen, würde dem Nicht-Ich mit einer Antwort belohnt, und ihm zum wenigsten der Zweifel über diese Geistesgröße einen leisen Anklang beibringen vom Ich: nämlich die Erkenntnis:Ich bin nichts! was schon mehr wär als bloßes Nicht-Ichsein. Diesen Apfel vom Baum der Erkenntnis dem Nicht-Ich zu pflücken, würde dem Ich wohl erlaubt scheinen. Es würde vielmehr diese Untersuchungsfrage noch weiter führen, zum Zweifel, in das Geistesvermögen der Gesamtheit einzugreifen. – Gott hat nicht umsonst seine Schöpfungskraft in jedem Menschengeist wirkend gemacht, ihre Tätigkeit kann nicht auf das Absurde führen. Die Wahrheiten liegen nicht allein im Begriff, sie liegen auch in der sichtbar erschaffnen Welt. Was fürchten wir, daß sie könne zugrunde gehen? – Nein! freilich das Sparrwerk der falschen Welt muß zugrunde gehen! – Aber nicht die Schöpfungskraft des Gottes im Geist, die das Nicht-Ich eines solchen Staatsmittlers mit hochmütiger Selbstvergötterung zügeln und absperren will. – Siehe da! – der Geist Gottes, der Ewige, Gewaltige! dem wird vom Menschenaberwitz geflucht! – Werden diese Selbstmörder in sich gehen? – Werden sie zu sich sagen: »Ich hab denken zu lernen nicht gewagt, wie kann ich wagen, diese mir unbekannte Denkfreiheit in ihrer Entwicklung zu hemmen, sie, die der Weisheit den Acker baut und, was dem Wahnsinn gelüstet, nicht kennt?« – Der aber kommt auf sie losgestürmt, sie zu bannen die bloß gekommen war, vonseinen Banden zu befreien! –

Das alles steht deutlich an jeder Wand geschrieben, wo der Geist nur lesen will. Das steht auch für mich in dem Buch geschrieben von der Inquisition von Goa, von dem ich Ihnen gestern erzählt hab. Fragen Sie mich nicht, wie alles seinen Zusammenhang hat im menschlichen Geist? Wenn er ins Reich des Lichts will, so baut ihm jede Begebenheit, jede Anschauung eine Treppe. Diese Inquisitionsgeschichte machte mich erst erstaunen, wie die Menschen aus dem Evangelium, aus der alleinseligmachenden Religion ein unseligmachendes [109] Sklavengericht zusammengestellt haben, was den freien Geist im Menschen verfolgte. Und haben dem armen Vaterlandsbewohner den Boden unter den Füßen geheizt, daß er ihm zur Hölle ist geworden. Und dies war der Wahn der Sünde: Selig zu machen das Menschengeschlecht durch Anmaßung der Gewalt! –

O, Herr Pfarrer, Sie kennen das Buch nicht! – Sie haben mir den guten Rat gegeben, ich soll doch nur lesen, was meinen Geist erheitert, nicht, was ihn traurig macht und ängstigt. – Wer soll denn jenen edlen oder unverschuldeten Märtyrern eine Träne weihen? – Vergessen sind sie von aller Welt damals! – keine schmerzliche Krankheit ist so schreckhaft als die Wut, mit der die blinde Leidenschaft des gebundnen Geistes den freien Geist angreift. – Da kam er herein vor den dumpfen schwarzen Richter, der eben noch in Gotteshut irgendein blühend Geschöpf war. – Nun nichts mehr. – Alle Erdenzeit peinliche Verlassenheit, gebrandmarkt den Galeeren angeschmiedet, oder gar verbrennt. Alle Muttertränen, alle Vatertränen, aller Kindesjammer haben die teufelsbessenen Freiheitsschinder nicht aus ihrer Bosheit geweckt; sie haben das Gericht Gottes über die Unschuld gerufen und haben als göttlichen Beruf die ärgsten Teufelswerke begonnen; sie beweinen den Martertod des Erlösers und kreuzigen die unmündige Menschheit, sie beten zur schmerzensreichen Mutter des Herrn, und weihen zu unerträglichem Schmerz die Mutter der Menschheit. Und Religion? – Ein elender Deckmantel boshafter Krankheit.

Nun! mich jammert dies Menschenschicksal! Ihr habt Allerseelentag in eurer Kirche, da wird gebetet für die Seelen der Verstorbnen. Ich hab auch einen Allerseelentag über jene Unglücklichen gehalten. Ich schäm mich nicht, daß ich über diese längst Verstorbenen, deren Asche aufgelöst und verflogen ist, daß ich über die eine tiefe Trauer verspürt hab. – Daß ich zwischen meinen vier Wänden gebetet hab zum allmächtigen Schöpfer aus tiefem erschüttertem Herzen, er solle nicht nachlassen, in seiner Schöpfungsgewalt den Geist zu erlösen von der Sklavenfessel der Willkür, um in ihm dann seine Schöpfungswunder ohne End zu entwicklen! –

Nun, wenig hab ich noch zu sagen: Sie wissen besser wie ich, daß das wenige, was ich vorbringen konnte, nur eine geringe Mahnung aller der Greuel sind, die sich hinter den Deckmantel der Religion versteckten. Kein wildes Tier hatte je so viel Wut, als die durch die Unfehlbarkeit der Kirche aufgeschwungne Tyrannei! Die Bluthochzeit in Frankreich! – O Jesus mein Erlöser! was haben sie dir alles unter den Mantel gesteckt? – Voll welcher Frevel steckten alle Gefängnisse? Nicht heut und morgen! nicht von gestern! – Nein! lange, lange Jahre war das edle Geschöpf (von dem sie die Menschwerdung der Gottheit bekennen um seiner Erlösung willen) unter der grausamsten Sklaverei ein ewiger Gegenstand des Märtyrtums! Sie haben's gewagt, frevelhafte Hand anzulegen, an den zu legen, für dessen Erlösung der Gott-Sohn sich hingegeben hat, und zwar unter dem Vorwand, diesen Gott-Sohn an ihm zu rechtfertigen. Den armen menschlichen Leib haben sie [110] mit großer Grausamkeit geplagt, damit der Geist solle verzagen. Mitten in den kräftigsten Lebensjahren die Männer aus ihrem Familienschoß gerissen, die unschuldigen Kinder, die Mütter der Verzweiflung preisgegeben. Kein Stern hat denen je mehr geleuchtet. Eine Krankheit,ein Geschwür vom Kopf bis zur Sohle, ließen sie diese Gefangnen im Unflat dahinschmachten. – Dabei regierten sie die Welt nach Belieben, genossen alle sinnliche Freuden, und es regt sich nicht ein Funke des Gewissens in denen! – Sind diese eifrigen Glaubensbekenner selig zu sprechen? – Nein! denn es war ein fürchterlicher Greuel, der nur in der Stumpfheit der Selbstsucht seinen verbrecherischen Grund hatte. Also diese göttliche Religion, die von Gottes Sohn selbst eingesetzte Lehre ist zum Pfuhl geworden aller scheußlichen Grausamkeit. Keine Flamme der Erleuchtung hat der göttliche Geist in die Herzen gestrahlt! – Blut, Blut, Blut und Jammer, und keine Erleuchtung! – Und jetzt noch, auch nicht diese einzige Wahrheit hat sich euch als Überzeugung aufgedrungen, daß, wo man wagt die Geistesfreiheit anzutasten, man der schauderhaftesten Verbrechen ist schuldig geworden, erst sich dadurch selbst wahnwitzig gemacht, und dann hat dieser Wahnwitz selbst Hand an sich gelegt und seine sittliche Würde zerfleischt. – Aber ihr rastet nicht! – Ihr glaubt euch immer wieder berechtigt, den freien Geist mit der Wurzel auszureißen, wo er auch schon als Balsamblüte Heilung ausduftet. Ja, so viel tiefe Abgründe ihr vor euch seht, in die ihr hineinstürzen müßt, ihr legt Hand an das unschuldige Gotteskind! Ihr taumelt über ihn bergab, und habt keinen einzigen nüchternen Moment der Selbsterkenntnis, wo ihr euch fragt, was wag ich zu wollen und zu tun, das ich nicht versteh! – Herr Pfarrer! – wenn nun heut der Christus vor jenen christlichen Tyrannen stände und spräche: O, was habt ihr auf meinen reinen Namen für Schmach gebracht, ihr, die unter dem Vorwand meines Gottheitruhmes so viele Frevel begangen habt? – Glauben Sie, daß einer unwissend sein würde seiner Vergehen? – Nein! sie würden vor der Gottheit sich verkriechen, sie sind sich ihres scheußlichen Werkes der Dunkelheit wohl bewußt; und doch, und doch leeren sie immer aufs neu die Becher des Frevels, der Heuchelei! – Es ist nicht anders, Geist! Du mußt dich mit Füßen treten lassen! Menschheit, du mußt unterliegen dem eingebildeten feuerschnaubenden Ungeheuer des Aberglaubens! – so wollen's, die keines Geistes, aber alles Frevels sich bewußt sind.

»So arg ist es doch jetzt nicht, und daß diese Schreckenskatastrophen in der Religion waren, daran ist der heutige Geist nicht schuld, und was man jetzt will und behauptet, darin stimmt die Gesamtheit überein.«

Fr. Rat. Sie sind im Irrtum, Herr Pfarrer, gewaltig im Irrtum. Was wir heut dem Tyrannenfrevel abgewonnen haben, das ist durch den ursprünglichen Schöpfungsgeist, der nicht am siebenten Tag ruhte und fortwährend ohne Unterlaß im freien Geist wirkt, gewonnen. – Sie wissen, in der Gärung ist der stärkste Kampf! Die Dummheit, die Bosheit können den Gottesgeist nicht ins Bockshorn jagen, also der muß siegen! – Also immer mit stärkerem [111] Selbstbewußtsein tritt er auf in den Generationen, so wie eine die andre verdrängt, zerstört sie einen Teil des Aberglaubens, der Bosheit, der Alleinherrschsucht, der Sklavereiwut! Denn warum? – Dies Bewußtsein ist das feurige Schwert, vor dem jener heuchlerische Wahnwitz duckt. – Ei – frag ich! – wenn nun, durch die fortschreitende Schöpfungskraft im Menschengeist, die Wunden allmählich wieder vernarben, wenn der verbrecherische Hochmut die unverwüstliche Geistesflamme immer aufs neue in unbefleckter Unschuld emporlodern sieht, ist es da nicht eben immer noch dasselbe, wenn keine Einsicht, keine Selbsterkenntnis ihn bewegen kann zur Gerechtigkeit? wenn er doch und doch herrschen will, wo die Freiheit eingesetzt ist von Gott, sich selber zum eignen Behuf? – Gott braucht die Denkfreiheit, um in ihr zu wirken? – Keine Grenzen! Nein keine! – Keine Gesetze, nichts, nichts, was der Mensch nur wagt, gewaltsam oder listigerweise durchzusetzen, kann anders als zum Unheil ausschlagen! Und entschuldigen Sie das nicht, oder behaupten gar, es sei der Geist der Gesamtheit, wo die Gesamtheit noch von den ausgeteilten Geißelhieben in Ohnmacht liegt. – Nicht eher, als bis in einem Menschenbild die Kraft der Gerechtigkeit sich deutlich ausspricht! – so wie im Napoleon die Mission, die dem Gewaltigen vertraut ist, zwar deutlich vor aller Menschen Gewissen ihm auf die Stirn geschrieben ist. – Aber wir sehen schon: auch er wankt und verliert sich selbst. So groß auch schon die Belehrung war, die durch ihn der Menschheit geworden ist: er vollführt es nicht, was so gewaltig durch den Schöpfungsgeist in ihm vorbereitet war, der Geist der Freiheit wollte durch ihn sich wiedergebären, aber sein Geist war gebunden durch die Herrschsucht, und auch er bildet sich eine falsche Unsterblichkeit, sie wird in seinem Namen geschrieben stehen eine Weile, aber die gerettete frei gewordene Menschheit wird sie nicht zum Himmel tragen, das ist ein großer Jammer! seine prachtvollen Herrscherzüge! die erzgegoßne Armatur seiner Würde und Kraft! Wie schön spiegelt sich die in seinem Angesicht! – Gibt's einen höheren Reiz für die Unsterblichkeit als die Leidenschaft zum eignen Selbst? – O Napoleon, verlaß dich nicht. Komme wieder zu dir selbst, mach die Geheimnisse wahr, die dir an der Stirn geschrieben stehn, und du wirst unser aller Erlöser.

» Ihren Worten nach sollte man wähnen, Sie erwarten noch einen Propheten, einen Messias, der alles ins Geleis bringen werde?«

Fr. Rat. Und warum soll ich den nicht erwarten? Wir sind ja doch einverstanden, daß Unsinn und Ungerechtigkeit alle Geleise der reinen Gesinnung zerstört haben. Es werden noch heiße Tage kommen, wo der Sieg unser bleiben wird, und aller Kampf als Triumph des Geistes auferstehen und nicht mehr durch falsches Strafen und falsches Lohnen auf die Bildung der Welt wird falsch gewirkt werden. Gerechtigkeit muß die Urkraft wieder herstellen, die verschüttet worden war. Der Napoleon hat ein großes Beispiel gegeben der Festigkeit, ja auch der Selbstverleugnung, er hat alles seinen Zwecken geopfert, wären die rein gewesen, so wär das göttliche Symbol der [112] Unsterblichkeit in ihm Mensch geworden; und die Erlösung hätten wir auch ihm zu danken gehabt aus dem Gewaltszustand der Geistestyrannei. – Ja, das ist mein Glaube! – Im Geist kann der Gott Mensch werden, und die Menschheit abermals erlösen, und sie immer wieder für den Schöpfungsgeist reinigen und erhöhen. Das ist mein Glaube an die Ewigkeit und anders keiner. Wir beide, Sie und ich, sehen ein, welche Lücken im Geist sind, wie viel zu seiner Vollendung noch erregende Kräfte in ihm zusammentreffen müssen. Vollendung nenne ich nur, daß er der ewigen Schöpfungskraft nicht mehr widerstehe. – Und schön wär's, wunderbar groß und herrlich, unberechenbar in ihrer Wirksamkeit, träte sie abermals in Menschengestalt ans Licht, träte sie in einem Mächtigen auf, der in schöner Mäßigung, in vollkommner Geisteserleuchtung und Denkfreiheit den Baum der Gerechtigkeit einpflanzte. – Ja, das könnte der tiefen Wunden vergessen machen, und man könnte mit erneuter Lebensunschuld, als ob nie sie von der Bosheit wäre zerrissen worden, einer Bildung sich weihen, die ohne Unterlaß neue Schöpfungsoffenbarungen durch unsern Geist leitet.

Mich wundert nur, daß die Neugierde diese Herren der Erde, deren Geist doch im Gebraus des Alltäglichen verdunstet, nicht dazu führt, mit philosophischem Entschluß das alte Philistersystem zu exstirbieren. Schon das würde mir Spaß machen, wenn ich Landesherr wär, diesen einmaschinierten oder routinierten Staatsbeamten das Konzept zu verrücken, ihr Rabengekrächz von mißlichen Prophezeiungen lächelnd zu überhören, und in kühner Freitätigkeit das Ideal des Erdenlebens, das Paradies des freien Geistes sich entwicklen zu lassen.

»Erlauben Sie, Frau Rat! das Paradies war auch das Ideal des Erdbodens, und die Frage, wo es liegt, ist nie gelöst worden. Sein Klima, sein eigentümlicher Erdboden, sein Natursystem hat sich nirgend auch nur in der Spur wieder gefunden. Und ich fürchte, daß Ihr Geistesparadies ebensowenig sich im Geist der Menschheit popularisieren, als jenes sich begründen ließe.«

Fr. Rat. Beides ist falsch, Herr Pfarrer! Spuren von Klima, von Boden, kurz von Elementen eines idealischen Erdenparadieses sind über die ganze Erde zerstreut. Keiner von uns, der nicht gleich Adam im Schweiß seines Angesichts sich einer Zeit erinnert, wo die Wunderschönheit der Natur im ersten Kuß ihm die Kraft und Energie des Entzückens lehrte. Wo er in einem unendlich erhabnen Selbstbunde sich dem Ideal der Menschheit weihte! – Ja, seltsam ist es und gar belehrend für die, welche auf die Stimme hören der Natur, wie diese gleich auf Vollziehung dringt aller geheimnisvollen Weihungen in dem Menschen; bewegt sie sich in ihrer Anmut und Schönheit vor uns, so tun wir ihr ohne Zagen die feurigsten Liebeserklärungen, und die sind immer nur die gesteigerte Menschenliebe. Ich will ein guter Mensch werden, sagt der Knabe, dem die Abendlüfte den Duft der Wiesenblumen zuwehen, ja, ich will ein Held werden für die Menschheit, sagt der Jüngling und fühlt das eigne Recht nur in ihr angetastet. Er schreitet durch die Morgennebel, als wären seine Glieder von Stahl, hin zum Rhein, wo das [113] Sonnenlicht in tausend elektrischen Funken auf dem bewegten Wasser zerstiebt, und da blitzen denn auch in ihm tausendfältige Gedankensterne, und das Blut wallt elektrisch in ihm, und er hat Geist! und so weiter! Gedenken Sie jeder Naturbewegung, ob sie nicht einen erhabnen Vorsatz der Selbsterziehung im unschuldigen Menschen hervorruft! und selbst gewöhnliche Lebensgeschäfte erhalten ihren Reiz, ihre Energie durch sie. Der nächtliche Botenläufer durchschreitet unverzagt den Gespensternebel auf einsamem Waldpfad um die Wette mit der eilenden Luna und stählt sein Ingenium in ihrem Zauberlicht.

Ich hab nicht Zeit, die Bilder meiner Vergangenheit, die mich mit einem unvergänglichen Gedächtniszauber der Natur umschweben, Ihnen alle zu zitieren. Genug! daß dieser Birnbaum hier in meinem kleinen Hausgarten in seiner Blütezeit mir immer das Gemüt wieder kindlich reingewaschen hat von allen Lebenssorgen, und waren seine süße Birn dem Reifen nah, dann war's mir ein heilig Geschäft, seine beladne Äste zu stützen, nicht ohne daß ich dabei eine Ehrfurcht verspürte für seinen fruchtbringenden zusammengedrängten Lebensgeist. Und sehen Sie den kurzen Sammetrasen hier, der mir in früheren Zeiten zu manchem häuslichen Geschäft diente, ich hab die feine Wäsche da gebleicht, und auch als eine Zahl selbst gesponnen Garn zu Zwirn, weil der haltbarer ist zum Nähen. Wenn ich denn morgens noch, weil alles schlief, mit meinen gelben Pantoffeln, um sie nicht naß zu machen, am Rand von dem kleinen grünen Plätzchen auf- und abschritt und meine Siebensachen ausgebreitet hatte, und paßte auf den Sonnenstrahl, der gleich um sechs Uhr schon am Schornstein herunterkam, da gefiel ich mir so wohl in meinem Wirken. Da dacht ich als: Ach die Natur ist doch eine Hausmutter, sie eilt jedem Bedürfnis zuvor, und verherrlicht's in seiner Befriedigung. Und die Hausfrau soll sich in ihr spiegeln und ihr alles nachmachen im Nützlichen und im Schönen, mit Spinnen und Weben und Blumensticken und Kochen, ja der häusliche Herd, der ist auch ein Platz, wo jene idealische Natur des freien Geistes manche Anregung fühlt. – Sie lachen, Herr Pfarrer! jetzt, warum lachen Sie? –

»Weil ich Ihre Geschicklichkeit, Ihre große Leichtigkeit bewundre, mit der Sie sich aus dem tiefsten philosophischen Lebensprinzip erheben und wie ein flatternder Vogel von Ast zu Ast hüpfen, der da sein häusliches Nest umzwitschert, und einen so engen Kreis beschreiben Ihrer Glückseligkeitslehre mit so viel Besonnenheit des Schauens, Hörens und Fühlens, die so wunderbar das ganze geistige Universum spiegelt, daß man gleichsam zu träumen wähnt.«

Fr. Rat. Nein, das sollen Sie nicht zu träumen wähnen, meine Wahrheiten sind kein Träumen! Leider bin ich gar oft schon auf diese Narrheit gestoßen, daß man das Wahre für einen poetischen Traum erklärt, der aber in der Wirklichkeit nicht paßt! – Wär die Wahrheit nun auch ein Traum, so wär sie dennoch nicht abzuleugnen, so laßt uns diesem Traum unser Genie widmen, laßt uns ein Ideenparadies bilden, das geistige Natursystem fordert [114] uns auf dazu. Sie nennen Traum, was mir Wirklichkeit ist, sehn Sie, dort im Eck an der vorspringenden Wand vom Schornstein, da war eine kleine Behausung von zwei Zickelchen, sie hielten mich oft stundenlang auf mit ihren lustigen Sprüngen, sie hingen so an mir, daß sie mit dringenden Bitten mir nachriefen, und ich kehrte als einmal wieder aus Gutmütigkeit um, obschon mich Geschäfte abriefen. Nun! meinen Sie, wenn die Kriegstrompete hätte vor meiner Tür gerufen, daß ich ins Feld sollt, eine glorreiche Schlacht schlagen, daß mich dann diese Zickelchen durch ihr Gemecker hätten vielleicht abhalten können? – Nein, die großen Tendenzen der Menschheit greifen in diese poetische Nahrung der Seele, die Sie Traum nennen, sie verschmelzen mit ihr und wurzeln in ihrem Schoß. Das irdische Paradies liegt zerstreut über der ganzen Erde, in jener erhabnen Naturerscheinung genießt der Geist diese poetische Nahrung und entwickelt sich in ihr. Nun, die Lücken dieses Paradieses auszufüllen, das ist des Geistes Beruf. – Sie sagen, dies sei ein schöner poetischer Traum. – Nun wohl, wenn ich die Fürsten dazu berufe, diesem schönen Traum die schlaffe schlechte trostlose Wirklichkeit aufzuopfern, was kann denn dabei verloren gehen? Ist das ganze Staatsgebäu nicht ein schlecht eingerichtetes Hospital, wo eigennützige oder ehrsüchtige eingebildete Verlegenheiten ihre Schelmenstreich für wohltätige Gesamtwirkung wollen dem armen Menschengeschlecht anschlagen? – und dabei die genielose Verstandesökonomie, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden, auf die sich diese Staatsphilister so viel zu gut tun und da mit ihrer Kleinlichkeit ein wahres Jammerbild des Unwissens, des Ungefühls und Unrechts uns als Muster aufstellen. – Wenn ich darauf komm, da spür ich die Zornader mir anschwellen; wenn ich auf die verlognen Naturen komm, oder wie soll ich diese Gespenster der Wirklichkeit nennen! Ja richtig! – Nein! mit denen ist nicht zu parlementieren; gepanzert gegen jede poetische Wahrheit, mit Aberwitzen verteidigt die großeLarifariverschwörung jener Wirklichkeitsgespenster ihre tückische Staatsverwaltung, vor der die Offenbarung des Ideals sich freilich ins poetische Traumgebiet zurückzieht. Glücklich, wenn der Landesvater noch auf diesen poetischen Traumteppichen herumirrt und die Gelöbnisse der Opfer, der Gnade, seinem Volk dort zum wenigsten erneuert und die Wunden, die brennenden Wunden, die ihm durch jene Staatsverwüster geschlagen werden, mit dem Balsam eines reinen großen Willens vor Gott auskühlt! Und das tröstet auch das Volk, obschon es auch nur ein geträumter Trost ist. Denn soviel weiter dem Volk sein Geist reicht als der Witz derer, die es zu überlisten suchen, soviel weiter reicht auch seine moralische Strebekraft. Es will seinen Landesvater in seiner eignen Liebe verklärt wissen; dann ist es ruhig und geduldig, wenn es in dem idealischen Traumgebiet seiner Begeistrung kann ehrfurchtsvoll vor ihm das Knie beugen und kann sich sagen: Nein, die Schmach der Geistessklaverei geht nicht von ihm aus; er weiß vom Druck nichts und nichts vom Unrecht, was über uns gegebracht ist. – Und ja, das Volk wird wütend nur, wenn ihm die Sehnen [115] zerrissen werden, die es zu einem kräftigen Vaterlandsstamm bilden, wenn ihm das reine Blut verfälscht wird der Treue zu seinem Fürsten; und das ist ja die notwendige Folge, wenn die Tyrannei der Geistesgebundenheit sich geltend macht und aus dem lebendigen Volksgeist eine Maschine machen will und jeden, der sich nicht will zurechthobeln lassen, wie einen schlechten Prügel übers Knie bricht.

»Aber dies seltsame Wort ›Larifariverschwörung‹, dessen die Frau Rat sich da in Ihrem gereizten Temperament bedienen, hat die noch eine besondre Bedeutung?«

Fr. Rat. Mein gereizt Temperament wird Ihnen die gewünschte Erklärung geben! Herr Pfarrer! – Freilich hat ein besonder Wort bei mir auch eine besondere Bedeutung! Larifariverschwörung nenne ich die von jenen Thronstufenbeleckern kurzgefaßte Resolution, die ihnen so gemeinsam ist, daß, ohne sich beredet zu haben, sie alle in einem Komplott sich vereinen. Nun, ich nehm zum Beispiel Sie, Herr Pfarrer, der Sie streng halten am Gesetz, und das haben, was der gute Ruf Charakter nennt, Ihre Verdienste, die Sie um den Staat haben, sind dem Landesvater unter mancherlei Gestalt bekannt worden, Sie haben nie einen Augenblick Parteilichkeit gezeigt, Sie haben das Maß der Torheiten mit schüttelndem Haupte sich füllen sehn. Kurz, in dem Schlamm, worin der Landesvater den Staatskarrn stecken sieht, wenn er aus dem idealischen Zaubertraum – wo er die liebende Sprache des Hirten führte zur Herde, und meint, weil sie stumm ist, sie versteht ihn – plötzlich erwacht und das Hott und Har in seinem Namen schändlich mißbrauchen hört, nimmt er seine Zuflucht zu Ihnen, er ruft Sie an seinen Thron, ergießt seinen sorgenvollen Geist; – denn das will er nicht, nein! er will keinen, auch nicht den Geringsten der Seinen in seinem Rechte gekränkt wissen, er hat ja noch eben den schönsten Belohnungstraum der Liebe seines Volkes geschmeckt. Ist er nicht groß, nicht mächtig? Was könnte das Volk mehr verlangen, als er gewähren; er will die Volksstimme vernehmen, er fürchtet sich nicht vor der Öffentlichkeit ihrer Mahnungen und Klagen, ihn kann es nicht betreffen, zu tief durchdrungen von der einfachen väterlichen patriarchalischen Würde des deutschen Fürsten, fürchtet er nicht, daß die Wahrheit vor ihn gelange.

Nun, er reicht Ihnen beide Hände, indem er mit vollem Vertrauen Ihre Beteurungen untertänigster Treue empfängt, »die nie! – nie von dem Willen und dem Sinn seines fürstlichen Herrn abweichen wird.« (Potztausend, das ist schon eine Niedertracht von Ihnen, nur so was auszusprechen!) Verzeihen Sie, Herr Pfarrer, ich muß mich ordentlich ärgern über Sie, daß Sie das tun würden, denn das seh ich Ihnen am Gesicht an! –

»Aber Frau Rat! Ich bitte sehr, Sie lassen mich da eine eingebildete Rolle spielen und ergießen da Ihren Zorn über mich, und ich seh doch auch nicht einmal ein, vor was. Denn alles, wovon Sie da den Fall setzen, das ist doch in gehöriger Ordnung! Denn wenn der Landesvater dies große Vertrauen in mich setzt, so verdient das meinen schuldigen Dank, und das wär doch [116] gar nicht am Fleck, hier nicht die wärmste Treueversicherung zu geben und mit Leib und Seel als Staatsmann, der die Regierung leitet, sich mit aller Geisteskraft der Kultur der Völker widmen!«

Fr. Rat. Hm! – Es ist wahr! Das verdient Dankgelübde, der Herrscher hat ein aufrichtig Vertrauen in Sie! – Sie aber auch haben ein scharmant Vertrauen, nicht in den König, aber in sich! – Was der zu demütig ist, das sind Sie zu hoffärtig! – Sie explanieren Ihre geistvollen Absichten vor ihm; Sie werden Propheten berufen außerhalb Landes, die dem Volksgeist eine Wendung geben. (Sobald die aber einmal eingebürgert sind, Freundchen, dann sind sie inländisch, was nichts gilt.) Aber Sie gedenken fertig zu werden mit dem Widerparthalten, Sie werden schon das Eckigte runden, den Einfällen, den Begierden und Leidenschaften einen Damm setzen, Sie werden die Sitten verfeinern, durch Vermahnen, durch Aufmuntern, durch Erlernung der Künste, durch Vorübungsschulen, durch Akademien und Preisausteilen, durch Begünstigen der Gehorsamen und Zurücksetzen der Widerspenstigen. Sie werden auf Kosten derer, die zu viel energischen Geist haben, um Ihrer Quartanerklassenbehandlung sich zu fügen, jene, die zu viel von der Fuchsnatur haben, um nicht sich zu fügen, befördern. Hören Sie, Herr Pfarrer, Sie pflanzen da ein Dornenbüschchen, in dem Sie selber werden stecken bleiben, zum wenigsten werden Sie die geistlichen Manschetten jämmerlich zerrissen drin hängen lassen. Ei, wer soll Sie daraus losmachen, die Füchse, die Sie befördert haben, schonen ihr Fell, sie werden auf Ihren Sinn eingehen, solang ihnen die Wohltaten aus Ihren höchst bornierten Ansichten fürs Menschenwohl fließen, aber weiter passiert nichts. – Das gilt Ihnen aber nichts, in dem großen Eifer Ihres außerordentlichen Berufs, im Darlegen Ihrer bedeutsamen Wirksamkeit vor dem Landesherrn. Ihr hoher Mut, Ihre gesammelten Geisteskräfte, Ihre Talente und Aufopferungen werden das Unmögliche überwinden, ja selbst das Schlechte, das Lächerliche wollen Sie nützlich machen, ja! der Staat soll liebenswürdig werden. Überglücklich sind Sie, ein solch Theater für Ihren Gemeinsinn gefunden zu haben, ja alle Schleusen Ihres Hochgenies öffnen sich, um Tugend und Kultur auszuströmen! – Was ist aber das alles gegen den tiefen Bückling, mit dem Sie dem Herrn Landesvater Ihrenunaussprechlichen, tiefgerührten Dank für sein Vertrauen ausdrücken? – Sie stoßen mit der Nas auf die Erd, Sie verharren eine Weile in dieser Position untertänigster Unterwürfigkeit; nichts regt sich in Ihrer Seele, als bloß, wie Sie's lang genug aushalten wollen, ohne daß das Blut Ihnen zu sehr in den Kopf schießt; Sie berechnen, wann Sie mit Anstand und Würde sich können wieder erheben. Indessen wird dem Landesherrn die Zeit lang, er räuspert sich, was soll er anfangen mit der langweiligen Aufwartung Ihres untertänigsten Katzenbuckels? – Es hat einmal einer von denen souveränen Herrn seine Teetasse auf ein solch Präsentierbrett des Respekts gestellt und hat gesagt: liebe treue Exzellenz, lassen Sie vorab meine Tasse nicht fallen. Zu den übrigen Diensten, die Sie mir verheißen, mag Jupiter Ihnen den Herkules zu Hilfe senden, [117] nur, wenn die Augiasställe sollen ausgeräumt werden, daß mir der Gestank nicht das ganze Land verpestet, es gibt Mist, den muß man unberührt lassen, er düngt von selbst eine höhere Kultur, ohne daß man sich drein mischt, als bloß, daß man ihm schön Wetter macht.

»Aber, Frau Rat, Sie werden doch diese Nichtschätzung treuer Widmung aller Geisteskräfte, dieses Lächerlichmachen tiefgefühlten Dankes und Untertänigkeit dem souveränen Herrn nicht als ein Verdienst anrechnen. Beleidigung der Treue, der Aufopferung, der – – –«

Fr. Rat. Was welschen Sie, Herr Pfarrer? – Die Einbildung hat Sie wohl fester gepackt wie mich, Sie prangen schon in ausschließenden Zirkeln mit Ihren hohen Amtspflichten und genießen dort siegend Ihres Glückes, über der roheren Klasse zu stehen. Aber was ärger ich mich doch, so weit sind wir noch nicht. Denn sehen Sie, gäb's einen größeren Toren als Sie, so wär das natürlich der Landesvater selbst, der ein so reines Vertrauen in Ihren dummen Hoffartsplan setzt, daß er mit Tränen der Rührung Sie umarmt! Aber sehen Sie, es gibt eine kindliche Reinheit der Gefühle, die mitten im durchdringenden Geist Platz nimmt und keine Zweifel erlaubt. Meinen Sie dann, der Herrscher ahnt das nicht, daß nichts hinter Ihnen und hinter Ihrem hochtrabenden Vortrag steckt? – Ach ja! es wird ihm schon ganz bang, er möcht sich vergriffen haben, es ist ihm schon ein paarmal geschehen, daß er das Beste gewollt hat, und daß ihm die Unheilsstifter das Wort im Mund herumgedreht haben, es läuft ihm schon ganz heiß über den Rücken über Ihre staketenmäßigen Redensarten! – Aber! aber! größer ist sein argloses Vertrauen, er schämt sich, einen Augenblick gewankt zu haben, er will keinen Zweifel setzen in Ihre Beteuerungen, wenn sie auch noch so albern aus Ihrem verrückten Hoffart heraussprießen. – Er will's auf die Überraschung schieben, auf die überfließenden Dankgefühle, Ihr Geist war da nicht gleich bei der Hand, Sie welschten die als Komödie ihm vor, was schadet's! Die Renommeen Ihrer geleisteten Dienste sind ihm eine sichere Garantie! Nein! Nein! er würde sich schämen, Mißtrauen zu hegen – und so wirft er einen Mantel der Gnade nach dem andern um Sie. Während Sie aber noch ganz betäubt von dieser Gnadenwahl sich zurückziehen, so denken Sie auf der Treppe: Larifari! das heißt ins Deutsche übersetzt: Nein, lieber Landesvater, du irrst, wenn du meinst, wir wollten deinen Willen achten, wir wollten in die Fußtapfen treten deiner Allgüte, deiner Gerechtigkeit, wir wollten dein Regiment dem Volk lassen angedeihen, oder dir mitteilen unsere Absichten? Nein, das wär mir ein schön Regiment – wolltest du mir den geringsten Vidutz zu meinen Anstalten geben! – Da müssen wir bei Zeiten dich versorgen mit – Zeitvertreib –, da müssen wir verhüten, daß nichts in öffentliche Blätter kommt, was das alberne Volk uns zur Last legt, da müssen wir gleich jed Wahrheit mit Majestätsverbrechen belegen, und jeden Schritt des Vertrauens müssen wir durchaus verhindern, ja da muß auch kein Schelmenliedchen hinterm Strauch ungestraft gepfiffen werden! Ach, armer Fürst, hörst du das? ums Vertrauen deines Volkes will er dich bringen; das [118] ist schon auf der Trepp beschlossen, die er eben aus deiner Umarmung hinabsteigt. – Sehn Sie, Herr Pfarrer, das ist die Larifariverschwörung, zu der jeder augenblicklich übergeht, der im Staat eine Amtswürde überkommt, da springt er mit gleichen Füßen in diese Korporation der Katzenfreundschaft, in der sie zwar Zwickmühlchen spielen gegeneinander, aber nie die Larifariverschwörung verraten. – Nun! verzeihen Sie mir's, Herr Pfarrer, daß ich Sie mir da als selbstmitspielend gedacht hab, es hat mich so erbittert auf Sie, wir müssen uns versöhnen, da! die letzte Träne vom Ungerwein, wir wollen sie zusammen teilen – aufs Wohl der Zukunft! – Sie sind ein Priester der Versöhnungslehre, Christus wollte keine Priester, er wollte die Juden von den Zwangsgesetzen des Leibes und der Seele frei machen, nun, das Priestertum hat sich doch eingeschlichen und hat den menschenfreundlichen Charakter und die milde Lehre vom Erlöser mit harten gewaltsamen zwingenden Dogmen schändlich bezwungen. Die Kirchenväter, der Augustin, der Calvin, ja selbst der Luther, sie scheinen alle von der sappermentischen Idee besessen, daß, wer über den Geist des Menschen herrschen will, der muß ihn ängstigen und zerknirschen! – Ja, da sitzt der gordische Knoten! – Wer ihn zerhauen will, der muß auf diese Gemälde der Verwirrung nicht achten, die ihm prophezeit und mit Schreckensfarbe schaudervoll und zweckmäßig aufgefrischt werden von diesen Religionsmäklern, die um den milden Geist Christi uns betrügen mit ihren geheimen Zwecken, die das Schicksal des Regenten despotisch lenken, ihn täuschen, betrügen, hin und her zerren, ihm zu Zeiten glauben machen, alles gehe von ihm aus, und aus Klugheit und Politik nur als regierenden Fürsten ihn begrüßen. – Nun Herr Pfarrer! greifen Sie nie in den elenden Lostopf, wo, um ein besseres Dasein herauszuziehen, Sie sich dazu bekennen müssen, den Geist des Menschen zu beherrschen. Er muß frei sein, er darf nicht zerknirscht und geängstigt werden. Die Vernunft! wenn die ein Augenblick wetterleuchtet in der Finsternis, die erhellt da plötzlich, daß der Geist jener eben am meisten belastet ist, die Stoff und Form, Gestalt, Stimme, Laune und Kraft unter ihrem despotischen Zepter halten wollen. Verkrüppelte, bucklichte, schiefe, hektische, rachitische, träge, gallartige, nebligte Seele sind sie; was spüren die vom freien Geist in sich; man kömmt ins Gedräng, wie diesen miserablen Gegenständen des Mitleids zu helfen ist von ihrem tückischen Eigensinn; ins Reich der Freiheit, durch ein Salto mortale oder ein Caprizzio, wie wir, sind die nicht zu retten, sie sind zu steif, der räudige, ungesunde, widerstrebende Stoff muß dahinten bleiben, wo der Genius ansetzt zum Sprung!

»Aber Frau Rat, was für Abenteuer und Ereignisse verspricht sich dann Ihr unruhiger Geist von dem ungeheuren Satz, zu dem Sie das Genie des Menschen anreizen wollen? – Eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, eine Sichselbstfindung, eine Besonnenheit über Ihre Zukunft, wie sie in denen Glaubensartikeln uns gegeben ist, eine lebendige mächtige genügende Überzeugung, die jedes willkürliche Vorurteil überwindet, eine Armatur des Schauens, Hörens und Fühlens gegen alles Blendwerk der Einbildung, wie [119] sie jetzt nach unserm relativen Einsichts- und Kenntnisvermögen durch die Offenbarung uns mitgeteilt ist und ebenso im Staat sich instinktmäßig entwickelt hat. Eine spezielle kritische Organisierung von Gerichtshöfen, Kirche, Theater, Regierung, von öffentlichen Sitzungen, Akademien, Kollegien und so weiter, die all genau und tief mit dem System unserer Geistesentwicklung in Berührung sind, und wahrscheinlich in einer Waagschale liegen, über deren gerechtes Einstehen der Finger Gottes waltet, können Sie doch wahrlich nicht wie mit dem Feuerhuf aus den Wolken stampfen, auf denen Sie, um mich Ihrer Bildersprache zu bedienen, so übereilt dahergeritten kommen! – Krankheiten liegen in der Pflanze, Krankheiten liegen im Tier, im Stein, in allen erschaffnen Dingen. Krankheiten liegen auch in der moralischen Natur des Menschen! Wie der Mensch Gott wollte werden, so sündigte er. – Ja, Frau Rat! Ich verstehe entweder nicht das substantielle Prinzip Ihres Geistes, oder Sie sind mehr auf den magischen Gott erpicht, der Sie selbst vergöttert, als auf den moralischen, der Sie straft, der Ihnen das Gesetz darbietet, das Sie erfüllen sollen um der Liebe willen zu ihm. – O, Frau Rat! – der Tantalus, ein Sohn des Jupiter, ein Günstling der Götter, die oft bei ihm einkehrten, der aber in seinem Übermute ihre Gunst verscherzte, durch welches Verbrechen will ich hier unerörtert lassen.« –

Fr. Rat. Ach ich weiß es, Herr Pfarrer, er hat dem Jupiter seiner Frau in die Wange gebissen, und davon heißt sie auch Juno mit der gebissenen Wange. »Verzeihen Sie, das war ein Landgraf von Thüringen, einer der Stammväter des Hauses Sachsen; Tantalus hatte nicht grad dieser Göttin in die Wange gebissen, aber er hatte den Jupiter sonst durch Verrat beleidigt – dann hatte er den Göttern heimlich Nektar und Ambrosia entwendet, endlich hatte er sogar den eignen Sohn Pelops geschlachtet und den Göttern aufgetischt. – Sie gleichen diesem verbrecherischen Tantalus, obschon ich Sie gern von dieser letzten grausamen Allegorie möchte freisprechen! Ist es nicht, als ob Sie Ihrer besseren Überzeugung zu Leibe gingen, als ob Sie den primitiven Banden der geistigen Bedingungen Ihres Daseins wollten den Garaus machen mit Ihrem ewigen Geschrei nach freiem Geist. – Ist das nicht die Fortschritte der Bildung in sich gemordet? – Und Ihre freie Anwendung übermütiger Vergleiche, sind das nicht Nektartropfen, die nur den Göttern allein nicht auf der Zunge brennen, dem Menschen aber verrücken sie das Gehirn. Und Ihr keckes Verdammen vielleicht sehr ehrwürdiger verdienter Staatsmänner, die in ihren Planen keineswegs so giftige Motive verborgen hegen, als Sie ihnen vor aller Welt Ohren unterlegen, ist das nicht ein wahrer Verrat, meine liebe Frau Rat, an den Vätern des Vaterlandes, das Sie diesmal auch meinen zu warnen, aber einmal nur ist es durch das Geschrei der Gänse gerettet worden. Verzeihen Sie, Frau Rat, Sie haben mir selbst gesagt, daß man im Wein sich alle Wahrheiten oder Grobheiten an den Kopf werfen könne, weil man ja doch am andern Tag nichts mehr davon wisse und die besten Freunde bleibe?« –

Fr. Rat. Immer zu, Herr Pfarrer! –

[120] »Ja! – Und Sie erleiden auch die Strafe des Tantalus, der schwere Stein hängt über Ihrem Haupt und droht Sie zu zerschmettern, und Sie können ihn nicht entfernen, denn das ist Ihr Gewissen! – Dicht über Ihnen hängen die herrlichsten Früchte, und Sie stehen bis am Hals im Wasser, aber doch können Sie Ihren brennenden Durst nicht löschen und Ihren quälenden Hunger nicht stillen, beides weicht vor Ihnen zurück, weil Sie eben den Eigensinn, den Sie andern vorwerfen, selbst nicht in sich gewahr werden. Es ist freilich Krankheit, ein Phänomenon einer erhöhten Sensation in Ihnen, die in höhere Kräfte übergehen will. Diese seltsam krankhafte Begier nach Freiheit, wo Ihnen doch an Leib- und Seelennahrung in Ihrem jetzigen Verhältnis zum Bestehenden durchaus nichts abgeht. – Wo im Gegenteil Nahrung Ihnen aus jeder Betrachtung zufließt. Wo Schönheit, Güte, Wahrheit immer noch zu erlangende Ziele sind, um welche wir in olympischen Kampfspielen ringen können! O, Frau Rat, warum hat Ihre Seele, die so viel ihrem Schöpfer zu verdankende Anlagen hat, keine Ruh? – warum verlangt sie nach dem, was sie nicht erlangen kann und nach göttlichem Ratschluß nicht erlangen soll!«

Fr. Rat. Wäsch mir den Pelz und mach mir ihn nicht naß! – Herr Pfarrer, ich fühle mich gänzlich trocken unter Ihrem reichen Segen echt christlicher Geduldsvermahnung, – fahren Sie fort, wenn Sie noch was zu vermerken haben! –

»Ich hab nichts weiter zu vermerken, Frau Rat, und es sollte mich nur freuen, wenn ich dem Ihrigen krankhaften Trieb, den wilden Franken gleich Freiheit und Gleichheit auszurufen, in etwas steuern könnte, wahrlich, es ist Ihnen der größte Schaden, denn Sie werden dadurch dem Reich des Ewigbestehenden gefährlich.«

Fr. Rat. Ha! ha! – Werfen Sie mir so kein großen Spieß zu, um Sie über den Haufen zu stechen! – Sie kleiner Truthahn! – Verzeihen Sie, Herr Pfarrer, meiner Weinlaune! Ich habe mich eben an die kapitolinische Gäns erinnert, das hat mich sofort in meinem Vergleich aufs Federvieh gebracht. »Aber über was belieben Sie zu lachen, Frau Rat, und wo hab ich Ihnen denn einen so großen Spieß zugeworfen?«

Fr. Rat. Weil Sie behaupten, ich werde dem Reich des Ewigbestehenden gefährlich, diesen Unsinn haben Sie gar nicht zufällig ausgesprochen, Sie wiederholen ihn in unzähligen Malen, in allen priesterlichen Warnungen, die sind die Stricke, womit ihr den Geist gleich gebunden dem Unsinn überantwortet. Denn wolltet ihr zugeben, daß dem Ewigbestehenden nichts schaden kann, weder an seiner innern noch äußern Lebensgewalt, dann müßtet ihr auch dahin kommen, daß allein der freie Geist vom Ewigbestehenden kann tangiert werden. Das Ewigbestehende ist der Gottesatem, wir können ihn nicht aufhalten, daß er Leben aus- und einströme. – Was habt ihr ungeheuren Esel all miteinander Furcht vor der Wahrheit? – Denn die ist Geistesfreiheit! – Vielleicht weil's aus wär mit allen kleinlichen Dingen des Egoismus? – Weil die Sünde mitsamt ihrer lächerlichen Straf- und [121] Besserungsanstalten rein ausgemerzt sein würde, gegen die wir bis jetzt vergeblich gekämpft haben, und haben dem Teufel widersacht, der unter unzähligem heuchlerischem Vorwand immer wieder bei uns einkehrte; und haben falsch an ihm geschworen, und haben mit dem Todesurteil die Sünde belegt, und haben's ohne Scheu am Menschen vollzogen, der unschuldig war an seiner Geistesgebundenheit, in der er nicht wußte aus noch ein mit seinen leidenschaftlichen Naturanlagen! Ihr aber, seine Richter, seid doppelt schuldig an der Sünde Dasein und am Vergehen, denn ihr haltet die Freiheit des Geistes gefangen, den einzigen Leitengel des Menschen zum Weg der Tugend. Ihr habt ihn auf den Weg der Gebundenheit und des Bedürfnisses gestoßen, und nun erfrecht ihr euch und straft's an ihm! – Ach, diese Gedanken kehren mir immer in erneuter Kraft wieder, sooft ich von einem Todesurteil hör. Ach, wißt ihr denn euch nicht anders zu helfen in der Verwirrung, die ihr angerichtet habt, als daß ihr mordet, was Zeugnis gibt von eurer Verkehrtheit? – Und ja, ich muß die Hände ringen über einen Verbrecher, den man zum Richtplatz führt, zum Platz vorsätzlichen Mords aus Dummheit, da greif ich ans Herz, weil's so gewaltig klopft, dann denk ich: Ach, wo bleibt der Fürst der Gerechtigkeit, der freie Geist! – Die Zeiten gehn herum, die Gewissensstimme reget sich; hier und da wird ein Herz erschüttert von geheimen Ahnungen, ob dies oder jenes auch ein erlaubtes Wagnis wär? – Ja! groß wär der Augenblick, der uns eine neue kühne Wendung gäbe, wo wir die Vorurteile in gerechter Rache zum Richtplatz führten, nicht die Menschen, wie die Franken, von denen Sie mich ungerecht beschuldigen, ich hätte von ihnen gelernt Freiheit und Gleichheit rufen! Nein, ich verabscheue das! – Kein Schlachtmesser an die Natur gelegt, sei es Fleisch oder Geist! – Ein Heros des Geistes muß der sein, der die alte Leier zerbricht und neue Saiten aufspannt! Neue Bahnen der Harmonie erschließt! Ach! lassen wir das meine letzte Wahrheit sein, die ich hier noch aussprechen will! – Ein einzig gering Ding in der Welt mit dem Wahrheitsgeist aufgefaßt, dann zieht die Wolke der Finsternis vor dem Licht hinweg, und er scheint in alle zerstörte Lebensverhältnisse, in alle falschen Pläne, ja er wandelt Staat und Religion um und gründet aufs neue die Bande des Volks mit dem Fürsten, kurz, er hebt durch erhöhte Flugkräfte uns dahin, wo der Menschengeist durch alle Zwangsmarter, durch allen heimtückischen Widerpart sich durcharbeiten wird. Noch ist er nicht im Alltagsleben, in der Geschichts- oder Begebenheitswelt als solcher anerkannt, aber den alten Aberglauben gebannt, die herrschsüchtige Leidenschaften zurückgewiesen, die Vorurteile zum Schweigen gebracht, die Furcht als das unedelste, was den Menschensinn betört, überwältigt, und wir werden bald gewahr werden, daß eben die Denkfreiheit unvertilgbar ist, daß sie Gottes Werkstätte ist, in der er nie aufhört zu arbeiten, mag auch noch so erschütternd Grausames von der tyrannischen Dummheit über ihn verhängt sein. Nein! Kein Blutstropfen der Revolution ist umsonst geflossen, alles ist zu Geist geworden, er blüht jetzt wieder in der Menschheit, laß uns hoffen auf den Helden, [122] der den freien Weg auch zur irdischen Freitätigkeit bahnt, und wir werden endlich fühlen, wie sanft, wie allgemein, wie ohne Falsch dieser Geist der Revolution sich verbreiten wird über Staat und Religion, über Fürst und Volk, aber er wird beiden keine Strafe, keine Gottesgeißel sein! – Nein! gleich den Jahreszeiten wird er mit überirdischen Gewalten eingreifen mit Keimen, Blühen, Reifen und Genießen.

»Ganz erbaut bin ich von der Frau Rat ihrem hohen Geistesschwung, die Zeit bleibt leider nicht verharrend in Betrachtungen großartiger Ansichten, sonst wär's jetzt gewiß noch nicht vier Stund, daß wir hier geplaudert haben, und würde die Nacht zurückhalten, die jetzt mit Macht aufsteigt.«

Fr. Rat. Ja! ja! wo schon ein so starker Nebel Ihnen im Kopf aufsteigt! Und nun kommt die Nacht dazu, wie werden Sie den Heimweg finden?

»In Betrachtung, Frau Rat, Ihrer großen Eigenschaften werde ich langsam an den Häusern hingehen, und wenn mir's vor den Augen schwankt, so wird das nicht der Geist des Weines sein, aber Ihre ganz eigentlichen Ansichten, wie die einen labyrinthischen Weg nehmen und dann plötzlich mitten im Hellen, wo man Sie eben fassen will, mitten im Licht der Begeistrung aufschweben. – Ja, Sie sind eine außerordentliche Frau! Sie sind gewiß die merkwürdigste Frau unseres Jahrhunderts, Sie haben einen männlichen Geist, den haben Sie, meine Bewundrung geht ins Erstaunen über! Wie humoristisch! – Hu – – wie fein! – das ist eine Fertigkeit, eine Berechnungskunst, man muß bei Ihnen in der Schule gewesen sein; ja, Sie haben einen männlichen Geist, dies Prädikat können Sie ohne Schmeichelei annehmen.«

Fr. Rat. Ich mag Ihr Prädikat nicht.

Staun an den Mut eines Weibes und ihre Heldenkraft, wie sie mit furchtlosem Blick den Kampf besteht! Hoch über Gefahr hinweg trägt ihr Herz die Streiterin; unermeßlicher Stärke geneußt sie, von keiner Furcht die Seele bestürmt. – Wer von den Unsterblichen erzeugte sie, die, losgerissen von furchtsamen Banden des Schweigens, das Geklüft durchschreiet mit Geschmetter des Freiheitsrufs! – Die schlaue Suada ist's, o Phöbus! Dein Kind auch, dem du der ungebundnen Rede heimlichen Schlüssel vertraust. Du! der aller Dinge bestimmtes Ende weiß und ihre Pfade alle. – Du Hellseher, was künftig ist, und wenn es würklich wird; gebeutst, Allsehender, daß sie umherstreue, wie Frühlingsblätter, deiner Verheißungen Trost! Aber wie die Wogen der Sturm des Windes dahin wälzt in Strömen, so zwischen ungastlichen Ufern stürmt von ihren Lippen dein heilig Wort. Und du trägst, Allkundiger, sie hin zu Jupiters Garten, wo auf flurumringten Hügeln die Ströme, die Wälder, die fruchtreichen Pflanzen, das Gewild und zahme Herden und das Menschengeschlecht sie umringt im gerechten Mitbesitz goldner Freiheit. – Denn, Herr Pfarrer, wo würde der weissagende Gott gegenüber denen Spionen und ausgestellten Wächtern der Sittlichkeit, die die edle geistige Farbe des Menschenleibes grün anstreichen zum Balletttanz, sein Plektrum ertönen lassen! Nun, Gott! Die großen Griechen bei [123] ihren olympischen Spielen, wenn die wie grüne Raben vor dem Pindar seiner Nas wären angeflogen nach dem Ziel, wo blieb da der himmlische Rhythmus seiner Leier! Ei, diese Grünspechte verdienten, daß sie am Tage der Auferstehung des Fleisches wie die Grünkohlraupe langsam müßten von einem Kohlstrunk zum andern kriechen, während die verklärten Leiber der Griechen im natürlichen Glanz ihrer Verklärung schweben.

»Was ist das nun wieder vor Neurat? –«

Fr. Rat. Ich hab's erst gestern gehört, was ganz Neues ist's, das Volk wird mit großem Gelächter die heuchlerischen dummen Anstalten der Sittenrichter obligat begleiten. – Das weissage ich, wenn dies Gebot der Sittlichkeit sollte in Erfüllung gehn. – Gehn Sie nicht vorne heraus, Herr Pfarrer, Sie könnten ins Floß fallen, das ist da so breit, gehn Sie durch die Küch, ich werd Ihnen den Weg zeigen!

Der Pfarrer empfiehlt sich ganz verdattert über der Frau Rat ihren pindarischen Schwung, den er gar nicht hinter ihr gesucht hatte. Ja, so geht's, die ledernen Philister meinen, man könnte zu hohen Lebensansichten kommen, ohne vom Geist der Poesie durchdrungen zu sein.

[124] Fr. Rat. Ei, wo bist du dann vorgestern geblieben, kaum war der Pfarrer fort und will mich nach dir umsehn, daß ich mir das Herz noch einen Augenblick erleichtern kann, da befand ich mich ganz allein, das war sehr dumm, daß du hinter meinem Rücken fortgelaufen bist. –

»Es war schon halber neun!«

Fr. Rat. Ist das eine so späte Zeit, daß man nicht einmal gute Nacht sagt? bist du nicht schon als um halber zehn und um halber elf auch noch hier auf der Schawell gesessen, und ich wollt meine Nachtruh haben, aber es konnt dich ja keiner vom Platz bringen, und gestern, wie ich in die Küch geh und denk, du hast dich wo versteckelt, bist du in aller Hast hinter dem Pfarrer drein die Trepp heruntergepurzelt, – mir war das sehr unangenehm. – Ich hätt gern noch ein Augenblickchen mit dir geschwätzt. – Man ist so verlassen nach so einem Gespräch, wo man sich ganz einem hinreißenden Feuer überlassen hat, wenn man niemand hat, der einem noch ein paar trostreiche Worte sagt. – Hast du dann den Pfarrer noch erwischt auf der Gaß?

»Ich hab ihn nicht erwischt, ich hab einen großen Bogen um ihn gemacht, weil er ein lederner Kerl ist.«

Fr. Rat. Was schimpfst du auf den Mann! – Er hat mir drei Stunden zugehört, und es war schon viel, daß er wiederkam! – Der Mann hat mich ausschwätzen lassen. Das ist immer schon viel Geduld; und hat mir ganz ordentlich Antwort geben, davor muß man immer dankbar sein! –

»Ja, er hat zweimal genießt und dreimal gegähnt.«

Fr. Rat. Was verleumdst du den Mann? – Genießt hat er, ich bin zweimal davor erschrocken, da kann er aber nichts davor, solche Kanzelredner haben einen ungeheuern Widerhall im Kopf, wenn sich ihr Gehirn einmal reinigen will; es dröhnt eim durch alle Glieder, ich glaub, das muß so ein alt aufgesammelt Wesen vom Widerschall sein. – Aber hat er denn wirklich auch gegähnt? Ich hab's nicht bemerkt! –

»Er hat nach inwendig gegähnt, grad bei den expressen Stellen, sein Gesicht ward auf einmal so lang und so dumm, und kam gleich darauf ein so stiller Frieden übers ganze Gesicht, grad wie an einem gewöhnlichen Tag, wo die Sonn als nicht der Müh wert hält zu scheinen!«

Fr. Rat. Statt daß du dem Pfarrer sein Gesichterschneide hast angestaunt, hättest du lieber aufgepaßt, was ich vorbrachte. Nicht daß ich so sehr was darauf geb. – Aber es kommen mir doch manchmal Dinge in den Kopf, die verwundern mich selbst, und erhöhn alle meine Lebensgeister, daß ich mehr sag, als ich gewußt hab. Ich behalt so was nicht auswendig, und wenn ich [125] mich dann noch ein bißchen erkühlen kann und auf und ab gehen mit einem, der dabei war, der mir vorhält, von was die Red war, – ob ich so einem Mann, mit meine feurige Redensarten, nicht hab vor den Kopf gestoßen, und ob ich ihm nicht Unmöglichkeiten hab vorgebracht. – – Von dir hätt ich nun das erwartet. – Da machst du nun deine Glossen über dem Prediger seine Grimassen, und verläßt mich gänzlich, hörst nicht zu, als ob jeder Spatz so gut räsonieren könnt wie ich. –

»Will Sie wissen, was Sie gestern und vorgestern geredet hat? – Da ist alles aufgeschrieben! –«

Fr. Rat. Was! – das ganze Schreibbuch voll wär von mir? – Ei, wann hast du dann das geschrieben? –

»Ich hab die ganze Nächte dran geschrieben, und vorgestern den ganzen Tag, und bin deswegen so eilig davon gelaufen, um nichts zu vergessen.«

Fr. Rat. Mädchen, du wirst deine Gesundheit ganz zugrund richten. – Zwei Nächte hintereinander zu schreiben, das sind meine närrische Gedanken nicht wert. – Was das vor viele Blätter sind! – Achtundzwanzig Seiten! – Nun, du wirst mir manchen Placken da hineingeflickt haben, der nicht von meinem Zeug ist. – Der Sokrates hat sich das auch müssen vom Plato gefallen lassen.

»Glaub Sie das nicht – denn ich wüßte nicht, was ich denken könnte, was nicht aus Ihrem Mund ist, oder vielmehr aus Ihrem Kopf! – Ehmals hab ich an nichts gedacht, was in der Welt vorgeht, jetzt greift mir alles ans Herz. – Wie der Napoleon hier durchkam, da war mir gar nicht eingefallen ihn zu sehen, aber Sie hielt eine so bewegliche Red über ihn, daß ich mit zitterndem Herzen und wie eine glühende Kohl gebrennt hab, wie er mich ansah! –«

Fr. Rat. Er hat dich angesehn? – Ei wo? –

»Ich stand in der Nische vom Treppenhaus, im Taxischen Haus, da kam er herunter, und guckte in die Höh, und das traf grad in meine Augen, und als ich nach Haus kam, mußt ich nachts dran denken, die Leute redeten, er sei so schauerlich anzusehn, seine dunklen Augen hätten einen Höllenblick, und da schwätzten sie noch so viel Unheimliches. – Es regte sich so eine Schicksalssehnsucht in mir, daß ich die Nacht immer auf dem Sprung war. Ich meinte, ich müßte ihm nachreisen.«

Fr. Rat. Warum hast du mir denn gar nichts gesagt von dem Plan, dem Napoleon nachzureisen? – Wir haben doch sonst immer unsere Reisepläne zusammen ausspekuliert! –

»Ach, weil mir's diesmal das Herz durchwühlt hat, weil ich mich vor mir selber geschämt hab, daß ich wollt und doch es unterließ! – daß lauter Kleinigkeiten mir unübersteigliche Berge schienen! –«

Fr. Rat. Also wäre dir's doch so ernst? – Was hattest du nur dabei im Sinn? – Denn verliebt hast du dich doch nicht in den einen Blick! – Was hattest du also im Sinn? Das sag aufrichtig; daß ich dich auch einmal auf einer Verkehrtheit ertappen kann! –

»Grad der eine Blick war's. – Ich dacht, wär ich bei ihm, ich wollt seine große [126] gewaltige Natur zwingen, aus sich selbst den großen unüberwindlichen Held zu machen. – –«

Fr. Rat. Vor dem Gott so viel Respekt haben müßt, als die Menschen vor ihm haben. – Nicht wahr? Geh her, laß dich küssen! – Ich bin nicht klüger als du! – Du meinst, du hättest alles von mir gelernt! ich bin davor durch dich auf vieles gekommen, und hab's recht lebendig bedacht, weil du mir oft merkwürdige Fragen getan hast. – Darauf halt ich was, daß mein Umgang mit den Menschen kein toter soll sein. Es ist meine Unsterblichkeit, daß ich in deinem Herzen fortwachs, wenn ich schon lange begraben bin unter der Frankfurter Erd und im Gedächtnis der Menschen, das so bei den meisten ein Kirchhof ist, wo die Erinnerungstafel auch nicht mehr besagt, als:

›Hier ruht in Gott die Frau Rat‹, und dann die Jahreszahl drunter, wie man's bald in natura wird lesen können! – –

Also solche große Projekte wühlen in dir herum! – Die Menschheit willst du salvieren, und aus dem Napoleon einen großen Mann machen. Ei hör, das glaubt dir kein Mensch, daß dir das gelingen wird! – und dir würde das eher gelingen, als daß die Leut auch nur eine Ahnung davon haben könnten, daß er nicht schon groß wär, und ganz für närrisch würden sie dich halten, wenn sie wüßten, du gingst mit so was um. Unterdessen haben alle deine fünf Sinne Generalmarsch geschlagen hinter dem Welteroberer drein, um ihn vorm Abgrund zu retten des Selbstverderbens. Was war das in deinem Herzen? Gottheitsfunken, so gewaltig wirkender! – lichterlohe Flammen! warst drauf und dran, die ungeheure Unmöglichkeiten zu wagen! –

Neues geschieht alle Tag – Dummes und Lächerliches! – Aber das große geschieht nur in dem Menschen seiner Sehnsucht, das Tageslicht darf's nicht beleuchten wollen. – Alles Erhabne ist dem gemeinen Sinn Schimäre, auch meine Reden werden dem Herrn Pfarrer wie Blendwerk vorkommen sein. – Die Welt ist voll prophetischem Feuer, es schlägt hier und dort in Flammen auf. Die Leut halten's für Strohfeuer, hätten sie sich aber davon entzünden lassen, so hätte die Flammen sie gereinigt, und das Große, was sie als Schimäre achten, wär in ihnen wahr geworden; aber doch hat's einmal gebrennt. Auch ohne sie wird's wahr werden. Auch du wirst vielleicht in der Zeit wie ein Zeichen dastehen, aber daß sie je den Glauben an die unbefangene Natur haben sollten des Prophetischen in dir, das lassen sie sich nicht gefallen. – Ich sag dir, dein Schmerzgefühl, deine heiße Begierde, den Napoleon zu warnen vor seinem Untergang – die Menschen ahnen so was nicht. – Aber mir bedeutet es seinen Untergang! –

Dann wird er sich alles selbst sagen, oft und bitter. Das Schicksal wird ihn nicht aus der Schule lassen, bis er begriffen hat, an was es bei ihm fehlt. Solche große ungeheure Charakterkräfte, an denen das Schicksal ganze Generationen draufgehn läßt, um sie auszubilden und zu erproben, die können nicht verwehen wie Flugsand – sie müssen in ihm sich ordnen[127] und reifen. Wenn auch sein Erdenleben an dem Rätsel zugrund geht, so wird sein eignes Denken ihn fragen: »Was hättest du sollen und hast's nicht erfüllt! – Und wie deutlich und wie bedeutend hat doch der große Schicksalsball mit dir parlementiert, wohin du ihm sollst den Schwung geben – und hast es vor der Menschheit zugestanden, und dann hast du ihm unversehens einen Stoß geben, daß er ganz schief geflogen ist.« – Dies wird ihm in der Seel kochen und es wird gären in ihm und wird sein unsterblich Teil in ihm reifen. – Zu spät! sagen die, welche mit ihrer ausgeklügelten Weisheit den Schicksalsideen wollen unter die Arme greifen. – Zu spät ist aber nichts, was immer neuen Lebenstrieb gewinnt, zu spät ist kein tragisch End, wenn es dem Menschen sich selber begreifen lehrt. Eine Aufgabe, einmal begriffen, von einem solchen, der den Beruf deutlich in der Gewalt dazu spürt, die kann nicht unausgeführt bleiben. Sollte der Geist auch zu Staub und Asche verfliegen wie der Leib, vor was lernte er sich selber begreifen noch im letzten Stadium? – Siehst du hier auch wieder in einer verfehlten Mission den großen prophetischen Erleuchtungsstrahl, der allen Menschen ihre Zukunft voraussagt und ihnen bedeutet, was ihnen not tut. –

Nämlich, was sie erwartet und ersehnt haben vomNapoleon, das sollen sie immer deutlicher und schärfer in sich ausbilden; – ihr Verlangen, ihr Bedürfnis muß ebenso großartig sein, so rein sein, als der Held groß sein muß, der es der Weltgeschichte für sie abtrotzt. – Also diesmal hat Napoleon die Weltschicksale als Schule durchlaufen. Wir wollen ihm den Stab nicht brechen, daß er die großen Gewalten nicht gleich zu brauchen versteht. Daß erst nach Verhängnissen, die den Fluch auf ihn laden werden der Nachwelt, die großen Schicksalseigenschaften in ihm reifen müssen. Auch die Menschheit ist ja nicht reif dazu, sie hat nicht den allgemeinen Adel in sich ausgesprochen fürs allgemeine. Diese verführt ihn mehr noch als seine Eitelkeit. Wenn seine Umgebung, wenn seine ganze Zeit das Große in sich spiegelte, ihm müßte es sich deutlich einprägen, er könnte keine andere Lieblingsidee erfassen. Nein, er könnte nicht nach dem Schlechten greifen, wenn das Große mächtig im Lebensspiegel sich ihm zeigte. – O, daß weiß ich wohl, daß die Gelehrten der Welt eine solche Idee, die da im Grund meines Ingeniums aufsteigt, für Wahnsinn werden erklären. Das käm mir von den Philosophen, die ganz kurzsichtig borniert sind, gegen den Scharfblick einer Seelenschaukenntnis gar nicht unerwartet! Nämlich, daß die Ereignisse von gegenseitiger Übereinstimmung abhängen des Gefühls, des Willens, der Begriffe und namentlich der höheren Moralität, daß, wenn der Heldenaar keinen Aufschwung nimmt und ohne Zagen über der Gemeinheit thront, so ist's, weil die Luft zu sehr von ihr durchdrungen ist, weil schwere Wolken mefitisch ausdünsten und ihm die Schwungkraft lähmen. Selbstgefühl und liberale Gesinnung müssen einander begegnen. Wo kannst du einer Sklavenseele die Freiheit in ihr beweisen? – Nein, du kannst das nicht. Wo kann die Menschheit die Achtung in dir so steigern, daß du gar nie wagen kannst wollen, sie zu übermannen mit deinem Ehrgeiz, deiner Eitelkeit und Tyrannei? [128] Wenn ihr das Herz nicht glüht für Freiheit, wenn der Geist sie nicht zu nützen weiß. Nein, der Napoleon könnte nicht nach dem Schlechten greifen, wenn das Große mächtig im Lebensspiegel sich ihm zeigte. – Merk dir, wenn einstens diese große Bahn durchlaufen wird sein vom Stern, der erlöschen wird – daß in deinem Herzen wenigstens kein Frohlocken mit dem rohen Menschenhaufen seinem Jubel zusammenstimme. Denn warum? – in deinem Herzen bist du gewarnt, durch deine unwillkürliche Begeistrung, die du aus einem Blick von ihm geschöpft hast. – Du wirst den Blick nicht verleugnen, der nur zufällig war, aber doch hatte er seine Wirkung, weil er harmonisch mit deinem Geist stimmte, ja! – ein Ton! – erklingt er, so wirkt er im All. – Wo aber das nicht zur Harmonie gestimmt ist, da bringt er nur noch mehr falschtönende Wirkung hervor! Aber das feine Ohr des Geistes ermißt die Verstimmung, auch selbst die schreienden Mißtöne sind Fortschritte zur Harmonie, auf die alles Schicksal berechnet ist.

Alle Menschen müssen durch das Schicksal zu sich selbst kommen, es hat den Napoleon durchgenommen, keine Harmonie ist daraus hervorgangen. – Das Schicksal ist der Stimmhammer der Völker und ihrer Helden, und gewiß wird der Usurpator und Volk von diesem Stimmhammer angespannt werden, der als wesentlich mitklingender Ton dereinstens noch im harmonischen All verlautbaren wird.

Wie heißen sie doch alle rund um ihn her, die Männer, die ihm einen falschen Glanz weben, die in der Schule der Revolution schon die ersten Hefen ausgegoren hatten und hatten schon Großes geduldet, daß die sich ihrer früheren Regungen gar nicht mehr bewußt sind? Für einen goldscharmarierten Rock und hohlen Titel, für die Armut des Reichtums, den Freiheitshimmel zu verkaufen und die Heiligung der Menschheit, um sich an einer Krönung zu ergötzen! – Das hohe Vergnügen für einen Franzosen! – Krönung samt dem Zeremoniell, nebst Kleidung vom Kopf bis zu Fuß, Kronämter, Lobreden, Adressen, reichliche Stoffe der Mitteilung, worin beide Teile, Volk und Behörden, über alle Maßen sich delektieren. – Und der Volksheld dem Kitzel der Schmeichelei sich ergibt? –

Usurpation der fürstlichen Gewalt entwickelt ihre Krankheitssymptome im ganzen Reich, religiöse und politische Gaukelei, Menschenverachtung, Haß, Verfolgung des Geistes, Betrug der Sinne, Mord des Verstandes, Wahn bis zur Tollheit kommen hier zum Vorschein. Ja, was ist es? – Der Stoff dazu lag in der Krankheitsnatur, es sind die Phänomene eines erhöhten Gefühlsreizes, der in höhere Kräfte übergehen will. – Und deswegen ist die Nation nicht verachtungswürdig, weil diese Unratsbeulen der Krankheit sich erzeugen! Nein, es ist vielmehr die Möglichkeit, die Kraft einer vollkommnen moralischen Gesundheit darin verbürgt, die das Genie des Heldentums, der Wahrheit, der Güte und Schönheit Schritt vor Schritt aus dieser Nation entwicklen wird. – Und wir Deutsche wollen uns nicht so sehr mit unserer heilen Haut brüsten, es ist unser best Verdienst nicht, [129] daß die so untätig ist, der Krankheitsstoff liegt doch auch in uns. Denn so, wie wir sind, sind wir miserabel! – Und wenn weiter nichts wird, als daß wir bleiben, was wir sind, so ist der große Name Deutsche Nation eine Mönchskutte der Heuchelei, unter der wir die niederträchtigste Schwäche und Liederlichkeit aller bösen Neigungen verbergen. – Wir sind ein talgiger Teig, der weder in Begeistrung für das Große, noch in Gärung gegen das Gemeine und Schmachvolle aufgeht. Was prahlen wir uns als sitzen gebliebner Teig, dem der Backofen nie recht geheizt war, um die Lebenskraft in ihm zu entwicklen. Wir wollen hoffen, daß auch wir den Krankheitsstoff noch auswerfen werden, daß der Menschheit Ideal auch in uns noch regsame Kräfte finde. Daß ein neuer Schöpfungstag der deutschen Nation anbreche. Nicht purpurrot, nicht in langhinströmendem Heldenmantel voller Wundmale soll uns die Sonne aufgehen. Nein, in der Divinität des sittlichen Gefühls, da sind auch noch Stufen zu ersteigen für den deutschen Fürsten und sein Volk, das Blau des Friedenshimmels soll ihn umwehen, das Panier der Selbstverleugnung zum Wohl der Gesamtheit soll vor ihm aufgepflanzt sein, und das Volk soll vor ihm anbeten und seine Entwicklung heiligen in ihm. – O Frankreich, du edler Bruder Deutschlands, der sein Blut für beide vergossen hat, der im Fieber der Raserei allein die Krisis der Gefahr bestanden für beide! und nun sollte das Deutschland spottend deiner sich überheben, weil du ein Augenblick dich ermattest fühlst, weil eine edle Blässe dein Antlitz überzieht. – O! wissen wir dann nicht, daß es der Geist ist, der dich beseelt, und dein Blut durchdrungen hat mit der Begeistrung, die es vergoß, und daß dieser Geist reiner hervorleuchten muß nach jedem Heldenopfer! und sollten wir brüderlich nicht auch zu dir empfinden? – Und wissen wir in unserer Selbsttäuschung nichts Besseres, als daß wir uns höher stellen als wie dich. – Und wären wir denn größer als du – würde das zur Herabwürdigung deiner uns berechtigen? – Was ist zu halten von dem, der in der Einbildung einer bessern Gesundheit seinen Fuß dem Bruder spottend in den Nacken setzt, der unter einer Krisis leidet, Krisis regenerierender Gewalten? – O wie elend sind wir in diesem Stolz, auf den wir so stolz sind. – Der feuerdurchglühte Purpur des Wolkenhimmels, das lichtdurchwehte Blau des Ozeans verschwistern sich so selig in der Natur. Aber Frankreich und Deutschland nicht! – Die blutigen Fittiche werden genesen dem kranken Helden, aber der Bruder wird seiner Genesung sich nicht freuen! – er wird zürnen heimlich, daß er wieder gesunde. –

Aber ich muß ausruhen von dieser Betrübnis über die lieblose Krankheit der übermütigen deutschen Nation. – Ich muß denken, auch sie wird so lang sich in ihren Geschicken erproben, bis auch in ihr die Gewalt der Tyrannei gebrochen ist und ein höher Bewußtsein ihre Kräfte sammelt. – Die Erhebung der Menschheit zum Genius, das ist das einzige Mittel, um rasch uns aller unwürdigen Kollisionen zu entledigen, das wird und muß in den Nationen wahr werden, wie in ihren Helden! – Er wird noch wiederkommen, [130] der Napoleon – er wird kommen und sich als Meister fertig bilden, dann wird er die Schlacken abwerfen und an der Menschheit seine große Aufgabe ausführen, und da wird die Begeistrungsflamme von heut in der Zukunft ihren Grund hell aufleuchten sehen. –

Ach, ich bin müde von allem Drang des Redens. – Die ganze Zeit hat mir's im Begriff gestockt, und heut über dein verliebt Abenteuer mit dem Napoleon hab ich's lernen herauspoltern.

Ob dies Labyrinth von Weltgedanken des Aufbewahrens, des Nachdenkens würdig ist, ich weiß es nicht. Der Geist muß manches belächeln, was ihm der gute Wille darbietet. Manches aber auch muß ihn tief erschüttern, und ich mein, was ich da ausgesprochen hab, das ist der Tränen wert, und ich selbst fühl die Träne des Genius in mir anschwellen, und noch näherliegende Erscheinungen und Träume kommen mir durch den Kopf geflogen, die ich alle mit Worten aussprechen möchte. – –

Es ist närrisch, daß dem Napoleon so groß als der Weltkreis, den er durchstreicht, auch sein Unrecht abgemessen wird. Daß Flüche und Schmähungen schon jetzt auf ihn lauern. Das alles ist auch der Unbegriff von ihm und seinem Geschick. Beinah auf jedem Steig ist ihm eine Fallbrücke gebaut. –

Und jeder Mensch hat eine Mission und jeder verfehlt sie, obschon er viel weniger zu verantworten hat, obschon ihm seine Bahn viel deutlicher vorgeschrieben ist, und sie ihm mit allen Glocken eingeläutet wird des Geschicks und der Begeistrung dafür, und obschon er sich und der Nachwelt in den feierlichsten Herzensergießungen alles zehnfach verheißen hat! – sag, wie kommt das? – –

Kann man sich satt verwundern, daß zwar alle große Wahrheiten in jeder Weise bejaht werden, nur nicht mit der Tat? – Als ob Gefühl, Begeistrung und Gottesgelübde nur Schimäre wär. Und wollt einer einem innern Beruf folgen, so wär er ein Narr, oder auf einem Unglücksweg, wenn er sich doch eine reine Bahn gezeichnet hat.

Ist doch keine Heldentat, kein Witz so groß als ein einfach Gewissen, – du wirst länger leben als ich, und noch manchen Zeitenwechsel mit ansehen. – Du wirst merken, daß, die in ihrer strotzenden Tugend über seine Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Menschenverachtung, List, Mord und alle sonstigen Verbrechen Schauder über Schauder rufen, dennoch nicht werden vermögend sein, die ihnen durch ihn erleichterten Obliegenheiten zu vollführen.

Sobald es groß handlen heißt, tut es der nicht, dem das Schicksal es zuruft! – Er will aus Eigendünkel handeln, nie will er den Weltton ganz studieren, er will ihn selbst erfinden, und dann fällt er auf ein abgeleiert Thema, und bringt das als sein eigen Werk in Gang. Denn ein Erfinder ist der nie, der eigensüchtig ist.

Wollt ein Fürst sich auf den Gipfel seiner Zeit stellen, wie ihm das selbst durch den Thronsitz, den ihm sein Volk baut, ganz deutlich unter die Füß [131] gegeben ist, daß er über allem Treiben und Gewühl den Blick hinaus soll nach der Zukunft richten, und soll die herbeilocken durch seine Hingebung an sie, was er doch einmal dem Vertrauen seines Volkes in ihm schuldig ist – denn wohin kann es geleitet sein wollen als der Zukunft entgegen? – Das geschieht nicht. – Sitzen wird er wohl auf dem Thron, aber nicht sein Geist, nicht sein Mut. – Den Blick wird er nicht ins Feld der Zukunft richten und sagen: So seh ich's kommen, ich muß ihm entgegeneilen, ich muß lernen von dem Gott der Zeiten, wie ich mich durch Mut und Tapferkeit zu seinem Generalissimus mach! –

Ach, ich mag kein laues Gespräch darüber führen. Feig sind solche Menschen, denn sie fürchten sich vor dem Unvermeidlichen, und frech sind sie, denn sie wagen es, ihm zuwider zu handlen, sie leugnen ihm seine Wahrhaftigkeit ab, sie stellen sich dumm, obschon die innere Stimme ihnen gewiß keine Wahrheit schuldig bleibt! – Nun frag ich: – Sind die mit demNapoleon zu messen? – dürfen die es wagen ihn zu verdammen? – Ihn hat das Fieber hingerissen, er hat im Paroxysmus das Unsinnige getan. – Er wird aufwachen, vielleicht schon in dieser, vielleicht erst in jener Welt von seinem Rausch, dann wird er erkennen, was er nämlich hätte tun und was er hätte lassen sollen, – und vielleicht! – ja! ich meine, gewiß wird sich der Heldengeist in ihm zusammenraffen, auferstehen von den Toten, – wie denn alles aufersteht, um sein gereinigt Licht auszustrahlen. Denn alles Große muß erlöst werden. Das Sündhafte wird ja so zunichte; aber das Gewaltige erlösen im eignen Geist, das ist der Menschheit Aufgabe. – Hat sie's erfahren durch ihn, was sie von ihm erwarten durfte, was sie aus sich machen soll, so mag sie durch diese Wahrnehmung sich reifen, sie mag den Begriff in ihm erlösen; den Geist, der ihr durch ihn eingeleuchtet hat, samt aller Helden blutversprützten Begeisterung.

Und nun ist die Rede nicht mehr davon, daß wir den Napoleon verleumden! – Unsterblich wird er sein, weil wir unsere Entwickelung in ihm befördern, weil wir die Schicksalsaufgabe in ihm anerkennen und im eignen Gefühl wahren, und entwicklen – so haben wir ihn erlöst von seiner Schuld. – Nicht deren man ihn beschuldigt und noch beschuldigen wird; sondern der Schuld, die wir zur Hälfte im eignen Busen tragen.

Es gibt einen Richter, der ist nicht so streng über ihn als wir – das ist sein eignes Gewissen, das hat einen Balsam, den es auf jede Wunde gießt, die von der bitteren Satire ihm geschlagen ist, über fehlgeschlagene Träume und Hoffnungen auf den Mann, der die Ungeheuer der Revolution tilgte. – Aber doppelt scharf wird ihm auch einleuchten, wie wenig raffiniert das Interesse seiner Eigenliebe, seines Ehrgeizes war, denn die Klugheit hätte ein höheres Ideal als das Glück, an dem seine moralische Größe scheiterte und seine politische noch scheitern wird, haben müssen. Wie furchtbar hätte er durch strenge republikanische Tugend ganz Europa werden können, wie stark würde er in wahrer Geistesgröße dastehn, und welche wunderbare reiche Ernte hätten wir mit Beschämung in dem Nachbarvolk reifen [132] sehen, dem wir alle Laster zutrauen, aber am meisten es des Leichtsinns beschuldigen, wenn diese Tugenden von seiner Hand gesät in ihm emporgewachsen wären! –

Aber er hat uns diese ernste niederschlagende Größe nicht geboten, er hat die heilige Moral in sich zerschmettert aller schönen wunderbaren, gewaltigen Opfern der Revolution – und dafür den zerschlagnen Königsthron wieder zusammengeleimt mit Blut. – Er hat sich selbst zum Götzen gemacht der Franzosen, und betet samt ihnen sich selbst an! –

[133][135]

Zweiter Teil

Sokratie der Frau Rat

(Bruchstück. Die Verbrecher)


Pfarrer. Ihre Ansicht gehört zu den Unmöglichkeiten, die ganze Welt, das moralische Gefühl der Menge opponiert. Vox populi! – sie ist der Widerhall der Gottesstimme. Wer Recht und Gerechtigkeit handhabt, muß auf sie halten.

Fr. Rat. Gar nicht in Abred, Herr Pfarrer! Aber ein Vorsänger muß sein, wenn wir eine neue Kirchenmelodie bei der Gemeinde wollen einführen, und die wird sich doch nicht sträuben gegen eine neue Weise, die man ihr auf der Orgel angibt? –

Pfarrer. Hier wär das aber eine fremde Tonart, die nicht in unserm Gehör liegt, die Gemeinde kann nur übereinstimmen in einer Melodie, die allen gleich faßlich ist. Ihre Ansichten, wenn wir bei dem Gleichnis der Musik bleiben, sind nicht aufs natürliche Gehör berechnet; es mag sein, daß mit einem steigenden Stadium der Bildung wir noch dazu kommen, aber bis dahin kann es nicht verteidigt werden.

Fr. Rat. Das große Menschengesetz: Was du willst, daß sie dir tun, das tue ihnen auch, bedarf kein steigendes Stadium. – Ich frag, ob einer zulässig finde, daß man ihm den Kopf abschlage für ein Verbrechen, was er begangen hat? – Da dicht vor dir steht der Beichtstuhl, in den hast du oft schon mit großer Angst dich eingeklemmt und bist mit erleichtertem Herzen wieder herausgekommen. Entweder deine Reu und Leid war affektierte Feigheit, oder du hast bekennt vor dir selber, daß du der größte Sünder bist, du hast aber keineswegs die Zuversicht verloren, dich zu bessern, und deine Hoffnung ist, daß dir Frist, dazu gewährt sei. Nun, mein lieber Adamssohn, gönne deinem Nebenmenschen diese Frist auch. – Abwägen kannst du sein Vergehen nicht, das kann nur Gott (aber dem ist's zu langweilig), also kannst auch du keinem das Todesurteil zusprechen. –

Pfarrer. Da ist schon ein Stein des Anstoßes. Wie soll ich von der Kanzel herab dem Volk diese gegen alles Glaubensfundament laufende Behauptung insinuieren, es sei Gott zu langweilig, die christliche Gerechtigkeit zu handhaben? –

Fr. Rat. Sie werden doch nicht daran glauben, daß Gott wie ein Krämer die Sünden abwägt.

Pfarrer. Er wird daraus kein langweilig Geschäft machen, er braucht nicht Maß und Gewicht, seine Weisheit wägt mit einem Blick. Warum soll der Gerechte zweiflen am göttlichen Schiedsrichteramt, es ist der gewaltigste [137] Beweis für die Fortdauer unserer Seele. Darum muß ja der Leib wieder zu Staub und Asche werden, aus denen er geschaffen war, um Strafe und Lohn zu empfangen. »So wie es uns Gesetz ist, daß wir sterben,« sagt Paulus, »so werden wir auch nachher vor Gericht stehen.«

Fr. Rat. Ich kann Ihnen nicht Zeit gönnen, diese Nichtigkeiten vorzubringen. Mein Kopf glüht mir vor Eifer, Ihnen den Ihrigen zurechtzusetzen. Und hören Sie mich an. – Die Veredlung der Menschheit geht oft an ihrer Sittenverbesserung zugrund. Dazu gehört die Sündentaxe. Der wägende Richter, den Sie auf den Wolkenthron sich denken, steht auf dem Markt und läßt den scharfen Schliff seines Richtbeils im Sonnenlicht blitzen. Der Staat hat seine religiös – moralischen Anlagen, seine Abgrenzung erlaubter Begriffe, die Entwicklung unserer Seelenkräfte auf der Tenne, er drischt wechselweis drauf los, und gewinnet eine unreine Saat der Moral, der Gottheitslehre und verpfuschter Gesetze. Der Staat säet sie aus und ist allein verantwortlich für die Verbrechen, die daraus erwachsen. Das Beil in der eisernen Faust auf dem Markt zückt gegen ihn die Schneide. Und dies Beil ist die öffentliche Meinung, die mündig geworden ist und ihn verdammt.

Bürgermeister. Das müßte doch wahrlich mit dem bösen Feind zugehn, wenn der Staat die Schuld der Verbrechen tragen müßte gegen seine eignen Gesetze.

Fr. Rat. Mit dem geht es auch zu! – Hatt ich doch anfangs gehofft, daß Sie meiner Meinung sein wür den! Aber leider, Sie stoßen mitsamt dem Herrn Pfarrer in die blecherne Kindertrompet der Vox populi, mir zum ärgsten Ohrenverdruß.

Pfarrer. Warum würdigen Sie herab Gesetze, an denen die Menschheit ihre Gerechtigkeit entwickelt, mit der Gewissensberuhigung, nicht mehr gewagt zu haben, als sie vor Gott rechtfertigen kann, mit der Beglaubigung des Buches, was zu ihrem Wegweiser auf christlicher Lebenshahn ihr geschenkt ist, mit der Bibel ganz übereinstimmend? –

Fr. Rat. Das Buch, seitdem es mit Druckerschwärze auf alte Lumpen abgedruckt ist, was vorher mit reiner Naturschrift in den unschuldigen Busen der Menschheit geprägt war, scheint mir Verfälschungen in sich zu herbergen, welches früher, da es nur mit dem innern Geistesaug gelesen wurde, nicht möglich war. – Die Wahrheit, verfälscht, ist eine gründliche Lüge, so wie der reine Ton, verstimmt, eine totale Disharmonie ist. Sie vergleichen die Vox populi der Kirchenmelodie, in welche Sie als Hirte einstimmen. Ich hätte mir zwar nie erwartet, daß der keine höhere Harmonie fasse als das bedachtlose Blöken der Herde. Mit solchem Blöken recht behalten wollen gegen alle sanfteren Melodien des Herzens, spricht weder für einen musikalischen Begriff, noch kann es dem widersprechen. – Sie sagen, der Beweis unserer Fortdauer läge in Gottes Abwägung unserer Verdienste und Schuld, ich ließ mir's gefallen, wenn Sie nur eine viel näher liegende Folgerung nicht außer acht ließen. – Daß man um so weniger das Recht habe, den Menschen aus der Lebenswerkstätte zu drängen, eben weil das ewige Gericht vor der Tür [138] auf ihn wartet. – Man sollte meinen, ihr hättet das ewige Gericht nur erfunden, um den armen Sünder durch das eurige hineinzustoßen. – Ist denn die Tat das Verderbliche, oder die Anlage zum Verbrechen, – die Neigung, der wilde Trieb, der Instinkt? – Das Verbrechen ohne den bestimmten Trieb ist ein Werk des Zufalls, der Umstände, des Fatums. Weil dies und jenes zufällig sich so ereignet, ereignet sich das Verbrechen auch. Nun! – dies am Menschenleben strafen, ist Unsinn; ist es aber gar innere Anlage, geheimer eingeborner Trieb, unwiderstehlicher Reiz, wie vermag da des Ungebildeten, Ungehüteten Willenlosigkeit diesen Reiz in sich selbst zu bekämpfen? – Naturen, die sich selbst kreuzigen und segnen vor der Missetat und in sich hinein das Nichtverbrechen als Unschuld anerkennen – was aber nur leerer Raum ihres Daseins ist –, kommen nie zur Besinnung über sich und also nicht zur Rechtfertigung gegen die Sünde, die notwendig ist, um den Menschen vollkommen zu machen. Und ob daher der Sünder nicht auf einer Stufe stehe, die einer höheren Entwicklung näher liege, das ist die Frage.

Pfarrer. Sie meinen, man müsse sündigen, um das Beßre in sich zu entwicklen. Die Sünde wär demnach eine Gnade Gottes, ohne sie würden wir den alten Adam nicht ausziehen? –

Fr. Rat. Darauf antworte ich nicht, aber ich erinnere Sie an die Frage, die Sie dem unmündigen Täufling tun: Widersachst du dem Teufel? – Darauf antwortet der Mündige für ihn: ›Ich widersache‹ – so auch der Staat sagt gut für den noch unmündigen Erdenbürger! – Welche Verpflichtung legt dies ihm auf? – Zweitens, der Staat verurteilt den Verbrecher! Zu was führt diese Sünde – wenn nicht zur Einsicht: Sünder und Richter stehen im engen Verband. Beide müssen einander auf die höhere Stufe heben. Wahre Menschenliebe ist die innigste Selbstliebe; sie vergilt sich selber reichlich, sie kann den Sünder nicht verachten, weil das Heil auch des Gerechten aus ihm ersprießt. – Weiter: – War des Verbrechers Anrecht und Bedürfnis nicht, dem Staat einverleibt zu sein mit seinen Befähigungen, mit seinen Regungen und Tendenzen? – Und wer hat die Schuld, daß er's nicht wurde? – Frage ich aber, wieviel Schmerzen, unverschuldete, dem verwilderten Täufling des Staates noch müßten durch den vergütet werden, dann müßtet ihr bald einsehen, daß, wenn ihr ihm die Hände unter die Füße legtet, ihr hättet ihm nimmer genug getan. So ist der Verbrecher immer die Sündenschuld des Staates. Könnt ihr die Wurzel dieses Unheils vielleicht erspähen, da werdet ihr sehen, daß die Verstockung einer ganzen Welt diesem Verbrechen vorausgeht.

Pfarrer. Sie sprechen weissagend, aber nicht begreiflich!

Fr. Rat. Lassen Sie mich immer weissagen wie Tiresias, für Ihre nahliegende Ansichten ganz blind, um für die tiefliegenden Wahrheiten den Scharfblick zu bewahren. Ich werde später auf Ihre Gründe eingehen, wenn ich nur erst die Irrquellen mir selber bezeichnet habe, den Giftkelch, den man daraus braut und dem Volke aufdringt; und dann, wenn dieses Gift [139] sich auswirft, nicht in sich es bekämpft, von wo es ausging, sondern an dem Auswurf des Giftes sich rächen will, während der Staat grade an diesem zur eignen Erkenntnis kommen konnte und so als Wiedertäufer dem Teufel wiedersachen, wobei ihn der Verbrecher aus der Sündentaufe heben könnte! – Und wie Sie sagen, würde dann der Täufling durch diese Gottesgnade den alten Adam ausziehen! – –

Pfarrer. Für diese Begriffe bin ich zu schwach! – Wenn ich auch zugeben soll, daß der Staat ursprünglich zu manchem Übel der Anlaß war, so liegt doch in jedem einzelnen die Gewissensstimme, die ihn vor dem Bösen warnt.

Fr. Rat. Wie rechtfertigt denn der Staat, daß er diese Gewissensstimme gänzlich verleugnet? – Besteht er nicht auch aus einzelnen, die zusammen in ein Horn blasen? und wie kommt's denn, daß in diesen Hütern und Vertretern des Rechten niemals sich diese Stimme geltend macht? –

Pfarrer. Sie behaupten das, aber dazu gehört eine lange Reihe von Beweisen und keine Voraussetzung, sondern Gründe.

Fr. Rat. Die Sie mir immer widersprechen würden. – Denn Sie sind für die Ferne blind und glauben an eine maskierte Gegenwart. Nun will ich hier eine Reihe von Fragen tun, nicht für Sie, sondern für mich!

Lebt der Staat in gesunder Ehe mit dem Volk, hat er das wahre Vertrauen, die reine Treue, die Aufopferung, die Aufrichtigkeit für es, da er nur Sklavengeist von ihm verlangt? – Ist der Staat dem Volk ein treuer Vater, entwickelt er seine Kräfte, respektiert er seine natürlichen Anlagen, betätigt er seine Energie, sichert er ihm sein Recht der Freiheit und freut sich seiner Stärke, oder rügt er vielmehr an ihm seine Entwicklung ins Freie, Große, Göttliche? Ist er ihm eine liebende Mutter, die mit Geduld in seine Irren sich schickt, die, im Entsagen geübt, als glückliches Schoßkind es pflegt und ihm den Vaterlandsboden erwärmt? Oder vernachlässigt die Mutter das Kind um ihrer Lüste willen? – Was ist der Staat dem Volke? Ein herrischer Sklavenhändler, der Tauschhandel mit ihm treibt, und darum den Knechtsinn ihm einquält; der Machtsprüche verhängt über es und sein darbendes, angefochtnes, tausendfach geärgertes Herz in den Sumpf versenkt frömmlender Moral, der über seinem aufstrebenden Geist den Sargdeckel zuschlägt oder auch mit dem Halshand eines Hundes die Kehle ihm zuschnürt.

Bürgermeister. Sie bescheiden den Staat vor Gericht, statt über den Verbrecher zu entscheiden.

Fr. Rat. Weil's unmöglich ist, ohne den Staat anzuklagen. Der Verbrecher selbst ist das Opfer! – Die Vox populi zeugt gegen den Staat, der das Volksherz vergiftet und seinen Geist verfinstert gegen den Verbrecher. Er lehrt ihm Wiedervergeltung! O Staatsklugheit, dein Begriff alles Werdens und Gedeihens ist gar niedrig, und nicht zu rechtfertigen vor dem strengen Gott mit der Waag! – Wie soll die Volksstimme gelten, wo noch kein öffentlicher Geist, kein Gemeinsinn in ihr widerhallt? – So ist denn die [140] Vox populi zwar keine Kindertrompete, denn ich hör's ja mit Schauder, es ist die Stimme von wilden Hunden, sie bellen wie toll um ihn her, der mit Gewalt in den Abgrund gestürzt wird. Wölfe sind's, sie begleiten ihn mit gierigem Blick, sie wollen sein Blut lecken, dem betäubt von ihren Flüchen die Besinnung in Fasern martervoller Verzweiflung zerrissen ist. Und dies Bellen, Heulen und Grinsen, ist das die Vox Dei? – Nein, Sünder sind diese nicht, der Sünder ist schon durch sein Bewußtsein gewürdigt, eine Verantwortung an sich zu vollziehen, und seine höhere Natur gegen einen Augenblick der Leidenschaft, gegen seine eigne Versunkenheit geltend zu machen, es ist ein noch niederer Zustand der Verworfenheit, denn er ist tierisch. – Der Sünder ist höher selbst durch sein Verbrechen gestiegen. Er ist ja der nicht, der sich am Gesunknen versündigt, er steht ja außer dem Kreis der kalt und gefühllos Verdammenden. Er hat zwar gemordet – das Verbrechen liegt ihm noch schwer auf dem Haupt. – Ein fürchterlicher Wahn hatte seine Geistessinne gelähmt, aber jetzt, wo er plötzlich erwacht in der Mördergrube, da fühlt er in Verzweiflung sich bewußtlos; er wollte da nicht hinein! Nein! Nein, nein! Seine Seele weiß nicht davon. Er wollte sich nicht von den Menschen trennen, er hatte sie ja lieb, er wollte nie von einer Ehre sich lossagen, sie war sein Licht! – Die Menschen, die Freunde, sie schreien über ihn! – O Verlassenheit der Schreckensnot! – O ödes Gebürg der Verzweiflung, ist kein Baum, der ihn schirme, kein schützend Dunkel? Wollen die Lüfte ihn nicht kühlen? – Wollen die Vögel vom Gezweig herab ihm kein Trostlied singen? – Ja, du, Natur, bist Gottheitsstimme und hast ein leis Gehör für den Jammer und möchtest mit ihm dich verständigen! Aber die Söhne des Staubs, die ein falsch Gewissen heraufbeschwören der Gesetze, der Philosophie, der Religion, die finden keinen Weg als vom Leben zum Tod.

Seht, der Verbrecher hat Mutter, Vater, Kinder und Brüder wie ihr, er fühlt sie in seinen Eingeweiden, sie fühlen den Schwindel, den Fluch der ganzen Menschheit! – Ihr kreuzigt den Vater, ihr entreißt die Eingeweide dem Mutterleib, ihr brandmarkt die Brüder und zerschmettert der Kinder zartes Haupt am harten Fels eurer Mißbegriffe. Diese Schuldlosen mordet ihr, samt dem einen Kranken, Besinnungslosen! – Ihr Richter zerfleischt die Bande der Natur! – Wie? – Ist dies Deutschlands weithinschallende Rechtslehre? – Dem Kind den Vater schänden, dem er geliebt, geheiligt ist, auch ob er Verbrecher ist! – Müßt ihr den sittlichen Untergang in die Seele der Nachkommen pflanzen? Mit Strafen wie mit Lohnen! Nein, das Kind haßt euch! denn es würde zum Verbrecher an den Banden der Natur, wollt es euch nicht hassen! –

Bürgermeister. Aber Verbrecher, die eine Untat lange mit sich herumtragen und sie ordentlich mit Überlegung reifen, sie dann endlich mit vorsätzlicher Tücke vollziehen, wie wollen Sie es verantworten? – Ich mein, im Gegenteil könnte uns der Gott mit der Waag, wir wollen ihn Minos nennen, eine Schlappe anhängen, wenn wir ihm seine Opfer nicht überantworten.

[141] Fr. Rat. War das Opfer früher schon der mißratne Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß? – oder ist es später erst so weit gekommen, daß er mit voller Überlegung die Wege des Lasters ging? Wo hat er die Güter genossen, die ihn das Gute würdigen lehrten? – Oder wo hat das Volk so viel Gemeinsinn, so viel geistige Erhebung, um seine Jugend zu beseelen durch Gebote und Beispiele geistiger Einwirkung? – Waren seinen Kräften Wege geöffnet, sie spielen zu lassen, oder lag vielmehr ein gewaltiger Druck auf denen, die seinen Untergang vorbearbeiteten? – Euer Minos ist ein Schutzgott der Eigensucht. Das Urteil ist ungerecht, wenn es Wunden aufreißt, statt sie zu heilen. Mord an der Unschuld ist es, denn eure eigne geht dran zuschanden; und nur der Mut zum Opfer kann den wahren Weg finden! Armer Verbrecher! Wer hat die bösen Geister auf dich gehetzt, du konntest dich ihrer nicht erwehren! – Wer hat schuld? – Du nicht! Nein, du nicht, denn schon kaum zur Welt geboren, belog das Leben dich und die Gesetze. Die Seele konnte nicht aus ihrem Zwinger sich losmachen und mit dem Genius sich mischen. Erst läßt man dich nicht du selber werden, dann schiebt man die Verantwortung dir zu, vor dem Staat, der selbst aller Verantwortung sich losspricht vor dir! –

Verhüll ihn, Menschheit, er ist dein Sohn, noch unmündig! – vielleicht weckst du noch den Keim aus dem harten Boden, den kein Mitleidstau je benetzte. Der Same liegt auch lang erstarrt im Sand der Wüste, dann badet ihn ein warmer Gewitterregen, dann steigt die Palme auf und beschattet den Wandrer und labt ihn mit Wein aus ihrer Krone, so könnte die Menschheit auch auf Vergeltung rechnen, wollte sie des Sohns der Wüste sich annehmen.

Ich kehr aus meiner Vision zurück. Sie schweigen beide! – Es sind Ihnen Unerhörtheiten! Mit dem Bibelgesetz: »Liebet ihn als euch selbst« brüstet ihr Pharisäer euch. – – Langsam und bequem besteigt ihr die Schädelstätte wie weidendes Vieh, und mästet euch hinan zum Opferaltar, um den Glanzpunkt eurer Weisheit, das Urteil, darauf niederzulegen, doch haltet ihr den Henker, der es vollzieht, für unehrlich. Ihr wägt und durchsucht den Unflat, um beil – und strangfähige Expektanten zu gewinnen für die letzte Nebelbank eures Unverstandes, dem die Rechtsgelehrsamkeit wie ein hitziges Klima das Fieber seiner Untersuchungswut noch beizt.

Bürgermeister. Ganz gewiß muß es den zur Begeisterung aufregen, der seine Kräfte dem Staat widmet, um ihn vom Auswurf der Menschheit zu reinigen. Die psychologische Beleuchtung eines Verbrechens mit Umständen und Nebenumständen, die Besonnenheit mitten im Sturm der Gefühle, dem Ausspruch der Gerechtigkeit nichts zu vergeben, dies ist kein unwürdig Opfer, das wir der Menschheit und unserm Gewissen bringen.

Pfarrer. Nun gar der Priester besteigt den Weg zur Gerichtsstätte nur zum heiligsten Zweck, er begleitet den Sünder, ihn seinem Heil entgegenzuleiten, ihm Trost und Zuversicht auf die göttliche Gnade beizubringen, allein es wird uns von diesen verhärteten Gemütern schwer vergolten. Erst [142] kurz ein Beispiel in Rom des schwärzesten Undankes und Religionsverachtung gab ein solcher scheußlicher Bandit, indem er den eifrigen Priester, der seiner ewigen Verdammnis entgegenarbeitete, plötzlich und unversehens in die Nase biß und gar nichts von geistlichem Zuspruch hören wollte.

Fr. Rat. Der Verbrecher wird die Nase doch nicht gar abgebissen haben? – Dafür halt ich ihn zu gutmütig, er wird ihm nur die Nase ein bißchen derb gezwickt haben, so wie ein Hund edler Rasse, der zu verstehen geben will, daß er seine kleinlichen Peiniger und ihren Unsinn nicht länger zu dulden gewillt ist. Der Priester wird da wohl auch mit Erbauungsreden eingehalten haben?

Pfarrer. Allerdings! Der war ja mehr tot als lebendig. Das Abendmahl war nur mit unsäglicher Müh dem Sünder beigebracht worden, ihn schauderte davor, trotz dem starken feurigen Wein im Abendmahlkelch, er war matt von den vielen Verhören und wollte nicht ohne Mut den letzten Weg gehen, so trank er ihn aus, der Wein schlug auch an, aber schwer ist zu glauben, daß er mit derselben Unbefangenheit jenseits sei aufgetreten vor dem göttlichen Richterstuhl, wie er hier dem Schwertstreich mit Lächeln und großer Ruhe den Hals hinstreckte, denn das heilige Nachtmahl, das er so sehr wider Willen nahm, nur um nicht mehr mit Zureden gemartert zu werden, das konnte unmöglich sein Heil befördern!

Fr. Rat. In der letzten Stunde zwingt ihr ihm den Abschieds – und Nachtmahlskelch ein, als Reinigungstrank und Toast auf die Gesundheit seines zukünftigen Lebens –, den er einst schon auf guten Glauben als Kredenzbecher dieser lumpigen Erdenschererei, die ihm aus Ehebrüchen, Wortbrüchen, Einbrüchen, Verleumdungen, Totschlag und aller Verräterei mit Galeerenketten, Fußblöcken, Schandpfahl, Staubbesen zusammen und durcheinander gekeltert war in dem Augiasstall eurer Justiz. Da muß es ihm freilich widerstehen. – Unterließ man doch, zu dieser grassesten barbarischen Rechtsanmaßung, Menschen zu verdächtigen, zum Bekenntnis ketzern, zum Menschen beschuldigen, und richten mit menschlichen Sinnen, Gott als Zeuge zu rufen, der sich schämen muß, daß er die Vernunft vom Menschengeschlecht so mißbrauchen läßt. Schleudern Sie lieber den Bannstrahl gegen das Verbrechen des Urteils, drohen Sie mit Kirchenbann, Sie werden sehen, der Staat macht sich nichts draus, und nach wie vor köpft und hängt er nach Rechtsbelieben. Will die Kirche nicht nach seiner Pfeife tanzen, so darf sie nicht erwarten, daß er nach ihrer tanze.

Bürgermeister. Das glaub ich, wie wird die Justitia sich kümmern um der Priester höllische Drohungen, das wär eine schöne Verwaltung des öffentlichen Rechts. Die Verbrecher würden ja wie Sand am Meer sich ausbreiten ein fruchtbar Geschlecht, als wär es mit der Kirche in den Bund der heiligen Ehe getreten, die Frechheit würde sich auf den Thron setzen. Sie haben die Hefe des Volkes nicht in Gärung gesehen. Hätten Sie den Aufruhr erlebt, als die Rotmäntel hier einrückten und vom Straßenpöbel das Zeughaus geplündert wurde, da schoß ja dies Gesindel wie die Pilze empor, [143] man wußte nicht, wie und woher? – Ich vergesse mein Lebtag nicht ein altes Weib, was unter einem alten Sattel hervor, den sie im Zeughaus geplündert hatte, mich angrinste. Mir ist viel schon in meiner Staatspraxis vorgekommen, aber nichts so Schauerliches als dies verdammte alte Weib mit dem Sattel auf dem Kopf, der sie vor dem Regen schützte, es goß fürchterlich, sonst hätte die Revolution auch noch länger gedauert, aber einem langweiligen Landregen widersteht keine Revolution! –

Fr. Rat. Riß das alte Weib mit dem Sattel auch aus vor dem Landregen? – Bürgermeister. Hunderte waren's, die Gott weiß aus welchen Winkeln her – vorgekrochen waren, und mit dem Regen wieder verschwanden. Nur die eine unterm Sattel saß ganz trocken und höhnte alle würdigen Beamte, die da mitten im Regen dem Unfug steuern wollten.

Fr. Rat. Wie's möglich ist, daß der Staat ganz unbewußt Hunderte von alten Weibern herbergt? –

Bürgermeister. Die Hefe des Volks, die unversehens über den Bottich gärt und ebenso wieder in dem Schlamm versinkt.

Fr. Rat. Es lautet schrecklich! – So ein Staat von alten Weibern, die im bösen Mut aufbrausen. – Ich möcht ihn nicht regieren, noch weniger von ihm regiert werden! Ja leider! – Was ist des Deutschen Vaterland? Nicht Pommerland, nicht Schwabenland; es ist das Alteweiberland! – Aber sollte etwa der Staat durch hündisches dummes Inquirieren, durch Hetzen und Verfolgen aus Alterweiberfurcht sich um den jungen Nachwuchs bringen? Es gibt so alte Kater, die ihre Jungen würgen, und die schauderhafte Alte, die unterm Sattel hervor die würdigen Beamten so verhöhnte, ist ein wahrhaft prophetischer Anblick.

Bürgermeister. Der Abgrund des Verderbens, der Schlamm der Menschheit ist wohl schauderhaft, aber nicht prophetisch.

Fr. Rat. Dieser Schauder ist aber prophetisch für die Staatsgenossen, die ihr die Hefe des Volks nennt und aus der eine ungesunde Gärung emporsteige. – Warum wißt ihr nicht, woher sie kommen? – Wohin sie verschwinden? – Warum will der Staat sie nicht finden und ihrem Verderben zuvorkommen? –

Bürgermeister. Ihre politische Unschuld bürdet dem Staat auf, eine verwilderte Rasse zu erheben. Die in einem Fluchen und Verwünschen jedes rechtlichen Gefühls ebenso spottet wie auch der Gesetze. Nein, Frau Rat! Wollte der Staat auch sich zu allen Opfern entschließen, sie wären vergebens! –

Fr. Rat. Welcher Opfer kann er sich denn rühmen, die er gebracht habe? – Wenn's gegen den Feind gilt, dann findet ihr sie in ihren Schlupfwinkeln, dann zieht der Staat ihnen Montur an und läßt sie in Reih und Glied aufmarschieren! wenn der Landesvater will losdonnern, dann sind sie euch gut als Futter für die feindlichen Kanonen. Was davon heimkommt und selbst nach Futter schreit, das betrachtet ihr als Hefe des Volks, und laßt's wieder im alten Schlamm versinken, wißt nicht mehr, wo's geblieben ist, vor euch[144] mag's unter die Erde versunken sein, muckst es, so wird man seiner schon Herr werden! Die alten Weiber sind euch ein Greuel; ihr freches Angrinsen möchtet ihr ihnen eintränken, sowie sich Gelegenheit dazu findet, werdet ihr nicht säumen. Wer sind diese alten Weiber? – Es sind die, deren Söhne, deren Männer im Krieg Kanonenfutter wurden, oder als Krüppel heim kamen! sie sind Raubgesindel geworden, die ihrigen zu ernähren, das war ihrer erregten Rache, Bosheit und Tücke willkommne Genugtuung! Es war ihnen Ersatz dafür, daß man sie völlig im Staat ignorierte. Daß der ihnen gleich von oben herab alles bessre Gefühl, alle Bildungsfähigkeit absprach, ja sogar auf die durch nichts erwiesne Behauptung hin, daß sie für alles bessere Gefühl gleichgültig seien, sie behandelt wie die Hunde. – Stürzten sie sich denn nicht in dieses Elend, um einander zu retten? – Wollte der Vater nicht die Kinder emporbringen? – Wollte er ihnen nicht so viel vom Lebensgenuß zuwenden, als in seinen Kräften war? – Hängen die Kinder nicht mit heroischer Liebe am Vater, an der Mutter, könnt ihr sie zum Verrat bringen? – lieber teilen sie das bittere Elend mit jenen, als euren Lockungen zu folgen. – Euer Wasser und Brot, euer dunkles Gefängnis und schwere Ketten brachten den jungen Andreas Petry nicht zum Geständnis über seines Vaters wahren Namen, euer Versprechen, ihm das Leben zu schenken, für ihn zu sorgen, bewegten ihn auch nicht dazu! Ihr wollt sie des Mangels an sittlichem Gefühl anklagen und seid selber die ärgsten Schelme, daß ihr sie sucht zu verführen zum Verrat! War das keine kindliche Liebe, als dieser Knabe mit Verzweiflung bat, ihn nicht zur Überführung seines Vaters zu gebrauchen? Aber eure Justizwut hat dies Kindesflehen nicht geschont, er konnte sich nicht entschließen, selbst als man ihm das Geständnis seines Vaters vorhielt. Der Vater bat um Schonung für das harte Leugnen seines Sohnes und sagte, er weiß, daß sein Geständnis notwendig des Vaters Leben kostet. Als er aber selbst das Bekenntnis seines Namens vor dem Sohn wiederholte, da schrie der laut auf, aus Schmerz warf er sich zu Boden, und raste so heftig, daß er nicht zu sich zu bringen war, bis eine wohltätige Ohnmacht ihn der Verzweiflung entriß, daß der Vater verloren sei! – Spürt doch diesem Seelenjammer des Kindes nach! – War's die Naturstimme? – Was mag Vater und Sohn schon für bitteres Elend geteilt haben, welche Gefahren füreinander bestanden! – Das macht die Liebe stark. – Könnt ihr das von euren Kindern allen sagen, die ihr mit Lebensgenüssen sättigt, mit der höchsten Sorgfalt ihre Gefühle wollt bilden? – sind sie höher anzuschlagen als die Gefühle, als die heroische Aufopferung des Verbrechersohns? – O schlagt doch zum wenigsten hier eure eigne Nachkommenschaft nicht höher an als dies Räubergesindel, diese vernachlässigte Hefe des Volkes, das im Schlamm des Staatsbottich vergärt, und nie von oben herab eine hilfreiche Hand sah! – Nein, nur immer die Strafrute, die keine Liebe, noch Ehrgefühl, noch Ehrlichkeit einbläuen kann! – Doch diese Hefe des Volkes vom Gaunerstamm haben eine Liebe zur Ehrlichkeit, haben Ehrgefühl, Geist und Heroismus, und vielleicht grade weil der Staat keine Befähigung mehr [145] hat, diese ganz edlen Anlagen zu verwenden, so verwildern sie! – Der Vater dieses Andreas ließ es wohl nicht an Mühe fehlen, ihn zum vollendeten Räuber zu bilden, sogar Räuberidyllen dichtete er, um in den Söhnen Gefühle anzuregen, wie sie ein großer General kurz vor der Schlacht haben könnte, lesen sie hier in der Aktengeschichte das End davon ins Deutsche übersetzt. Nachdem zwei Brüder über alle erlebten Abenteuer sich ergötzten und über die Mutlosigkeit vornehmer Reisender, sagt der eine: »Aber, Bruder, bei uns kommt die Furcht nach der Tat, wenn sie im Land umherstreifen, uns zu fangen, wenn wir im Verhör mit schweren Ketten beladen sollen die Freunde verraten!« –

»Bruder! Verräter wollen wir nicht sein! und wenn auch einer drunter unser Feind war und Streit mit uns hatte, so wollen wir ihn nicht verraten, denn die Gefahr gleicht allen Streit aus, und das tröstet uns in Ketten, wenn wir keine Verräter sind.«

»Aber Bruder, es steht schlimm, wenn ein Verräter ist unter uns, dann sprechen die Richter nicht mehr vom Zuchthaus, dann wird vom Köpfen geredet, vom Galgen und Schinder!« –

»Laß sie sprechen, wie sie wollen, die Richter! – Noch sind wir frei, und werden wir je gefangen, Kamerad, was tut's? – Weiter kann's nicht gehen als ans Leben. Und so sterben wir als große gewaltige Räuber.«

»Hei ja, Viva! Wir sterben wie berühmte Männer!«

»Die Mütter geben das Zeichen zum Essen, die Buben und Mädchen rufen zur Suppe, ihr Väter, zur Suppe, ihr Brüder.« –

»Auf zum Essen, Kameraden, zum Essen!« –

»Wer betet vor?« – –

Lesen Sie hier noch in der aktenmäßigen Geschichte dieser Räuberbande, was über die Erziehung des jungen Andreas gesagt ist, der jetzt erst siebzehn Jahr alt ist: ›Der Vater ließ ihn verschiedne musikalische Instrumente lernen. Er spielt mit vieler Fertigkeit Klarinett, auch Flöte und Flageolett spielt er nicht ungeschickt, diese Kunstfertigkeit sollte ihm zu einem ehrlichen Erwerb helfen, wie war aber dies möglich, da ihn der Broterwerb unter der niedrigsten Volksklasse herumtrieb, ihn mit Räubern und Dieben zusammenbrachte, die er von Kindsbeinen an kannte, und da sein eigner Vater ihn schon als Buben mit auf den Straßenraub nahm, ihm von seinen Großtaten jenseits des Rheins, von dem erhabnen Schinderhannes und dessen würdigen Kämpfen erzählte und seinen Geist erhitzte zur Nachahmung der großen Vorbilder.‹

Diese weisen Bemerkungen der Justiz selbst, die Sie hier in den Akten gedruckt sehen, führte diese nicht darauf, daß, wenn der Vater mit großartigen Zügen und edlen Farben seine Vermahnungen ausmalt, um sie zu verherrlichen und zur Nachahmung zu reizen, dies doch der Beweis ist, daß der Sinn für das Edle und Großartige auch ein Beweggrund ihnen war, so zu handlen, und daß auf diesen Sinn könne und müsse gewirkt werden, um diese Menschheit zur beßren Einsicht zu leiten. Aber nein! – Stumpf wie die[146] Ochsen spricht auch hier die Justitia wieder von der niedrigsten Klasse des Volkes, als ob die das Verderben zu erzeugen sich nicht erwehren könne. Doch ist hier in diesen kurzen Bruchstücken des Berichts, der nicht zur Apologie der Räuber geschrieben war, sondern als Beweis ihrer gerechten Verdammung, – ganz unwillkürlich in den kräftigsten Farben ihr Heroismus geschildert, zweitens ihr Ehrgefühl, da sie untereinander keines Verrats sich schuldig machen. Dann ihr Gewissen, da es sie beruhigt, wenn sie zum Tod gehen, keinen verraten zu haben. Jetzt fehlt noch zur Vollendung eines vollkommen edlen Charakters das Zartgefühl der Sittlichkeit, und dies kann nicht rührender ausgesprochen sein als in eben diesem Knaben. Da er nämlich zum öffentlichen Verhör sollte über die Straße geführt werden, ward er so bestürzt durch das Schreien und Toben des Volkes, daß er sich nicht ermannen konnte, hervorzugehn. – Plötzlich verlangte er sein Instrument, was bei seiner Gefangennahme ihm war abgenommen worden, so ging er den langen Weg bis zum Markt und blies anmutige Hirten – und Waldlieder mit ruhigem Schritt unter Begleitung des Volkes, ohne beleidigt oder gestört zu werden, ganz gezähmt folgte es seinen melodischen Tönen, die durch den einfachen versöhnenden Ausdruck das tiefste Mitgefühl erregten. Die aufgereizte Hefe des Volkes ward beschwichtigt durch die sanfte Stimme des Knaben, den ihr zum Verbrechertod führtet, es verlangte Begnadigung, die ihm auch gewährt wurde, da viele die Bittschrift unterzeichnet hatten, die selbst waren beraubt worden! – Wie sehr spricht auch dies für die verachtete Volkshefe, die so leicht die Rache aufgibt, und wie beschämend, daß ihr sie verachtet. –

Ja! was ist da noch lang hin und her zu streiten, wir sehen's deutlich und wissen's, auch die Gerechtigkeit ist blind. Da kann man auf keine tiefere Einsicht rechnen. Die niedrigste Volksklasse, die der Staat ignoriert, weil er nicht mit ihr zurechtkommen kann, stößt als noch ans Züngelchen der Waage und bringt ihren Stumpfsinn in Bewegung. Diesmal wär's dem armen verlaßnen Knaben zugute gekommen, allein die blinde Gerechtigkeit sendete ihn ins Zuchthaus, ins Verderben. –

Die gedruckten Akten wimmlen von großartigen Zügen mitten unter schwarzen Verbrechen. Viele der Jüngern hatten noch ihre Schulzeugnisse ausgezeichneter Fähigkeiten und Fleißes und ganz untadeliger Aufführung. Wie kamen sie um alles, wozu ihre Anlagen ihnen so gerechte Ansprüche gaben? – Nun, sie versanken im Schlamm, in dem der Staat die Volkshefe gären läßt. Lesen Sie irgendeine dieser kurzen Biographien, Sie werden keine finden, wo der Vorwurf ganz auf dem Verbrecher haftet! – Schon daß wir ihn beschuldigen und uns nicht selbst schuldig fühlen, das zeugt gegen uns. Warum ist er nicht in die goldne Wiege geboren? Warum in der Volkshefe, wo tausend Wiegen gehen an ein traurig Schicksalstand geknüpft? Die Kindchen drinnen lächeln der rettungslosen Zukunft entgegen. Kein Strahl der Güte dämmert da hinein! Mutter und Vater dürfen nicht fragen, was soll aus dem Kinde werden? sie wissen, Elend ist ihr Los. Das [147] ist der Inbegriff ihres Bewußtseins. Ahnung ihrer Kräfte, ihres Wertes ist ihnen versagt. Der Staat, der immer drohend als strafender Zuchtmeister, aber nie als gütiger Vater sich zeigt, schreibt ihnen Gebrechen und Laster zu und verlängert die Geißel des Rächers bis übers Leben hinaus, aber das Eigentum freier Anlagen, die unabhängige Ausübung ihrer Tugenden und Fähigkeiten streitet er ihnen ab. Und so macht der Geächtete die Höllenfahrt des Lebens unter Armut, Beschränktheit und Finsternis, aber nicht, wie ihr wollt, von niedrigen Begierden und Leidenschaften gegen die Tiefe hingezogen, von der er noch im Versinken nach der Höhe aufblickt. Aber der Landesvater, der ganz Güte, ganz Nachsicht ist, und seine Minister, Räte und Beamten, die in eben dem mildesten Geiste der Regierung alles aufbieten zur Erhaltung, Entwicklung und Verfeinerung des Volkes, haben die Grenze der Verdammnis zwischen dieses in der Tiefe versinkende Menschengewürm und ihr hochmütiges Gewissen gezogen.

Bürgermeister. Ihre Vorwürfe sind Aufgereiztheit, nicht geprüfte Überzeugung, die Grundzüge unserer ausübenden Macht sind die Sittenverbesserung, ihr Streben ist ein rastloses Vordringe des Geistes, was den Menschen vom Tiere trennt. Die Quelle des Glückes rieselt im Genuß dieses Strebens, sie versinkt in dem Vorwurf, den wir andern aufbürden und nicht dem eignen Selbst. Des Staates Tätigkeit stockt nicht, aber er kann diese Elastizität nicht denen mitteilen, die im erstarrenden Gefühl ihres Unvermögens nur Stoff zu Klagen, aber keinen zur eignen Bildung in sich finden! Lesen Sie die politischen Zeitungen, da werden Sie den Kampf der Staaten in fortwährendem Wetteifer fürs Wohl der Menschheit begriffen sehen.

Fr. Rat. Ach ja, jeder sucht's dem andern zuvorzutun. Die immer höher sich bildende Zensuredikte, die Anstrengungen gegen Sittenlosigkeit, die eifrigern Forschungen über Gott und Satan, die brillanten Erlasse gegen die Juden und das Wirken gegen die gefährlichste Bekanntschaft des Volkes mit seinem praktischen Selbst, das erhält den hitzigsten Wetteifer der Nachahmung von Sparta, Athen und Korinth. Aber leider, der Arme, für den eure Intelligenz keine Eingeweide hat, ist weder Fuchs noch Storch genug, um aus der flachen Schüssel eurer Staatsvorteile was zu erschnappen oder aus der langhalsigen Flasche eurer Weisheit einen begeisternden Zug zu tun. Ihr wollt den Armen an den Boden fesseln seiner Geburt. Kann er da säen und ernten? wo kann er die Hand ausstrecken nach Brot, wo schlafen? – Gefangen haltet ihr ihn unter freiem Himmel, verdammt ihn zu Fronen, Wachten und Abgaben, auch ohne Einnahme. Versucht er's, zu entfliehen, dann jagt ihn ein humaner Staat wie der andere wieder zurück an den Ort seines Elendes, und dann seht ihr in ihm einen Vagabonden, der sich eingerichtet hat auf Diebstahl und Raubmord! dann muß das Beil euren Weisheitsspruch vollziehen an diesen verhärteten Bösewichtern. – Aber, seid ihr denn nicht verhärtet, daß ihr den Fluch der Armut an eurer glattpolierten Bildung so kaltblütig abgleiten lasset. Ihr leset seine Geschichte tausendfältig wiederholt in allen Akten der Polizei, sie malen[148] euch selbst mit den ärgsten Farben des Unflats, und ihr brüstet euch noch damit, jedes Verbrechen fällt auf euch zurück, und ihr wollt an Gottes Statt sitzen und richten? Und nie! nie, daß ein heller Augenblick euch warnte: was wag ich zu tun an dem, den ich selbst ins Verderben stürzte? –

Bürgermeister. So ganz wollen Sie die Schuld uns aufbürden? – Sie wollen nicht zugeben, daß der Keim des Verderbens ursprünglich in jenen charakterlosen Naturen liege, welche die Mittel des Heils verachten, die vorgezeichnete Straße der Kultur meiden und lieber auf Nebenwegen der Bosheit schneller zum Ziel ihrer ungezähmten Begierden rücken.

Fr. Rat. Ungezähmte Begierde! – Nun hören Sie! – Gelehrten ist gut predigen! – Da lesen Sie die Charakteristik des Veit Krämer, den ihr zum Beil verurteilt habt, hier in den Akten! –

»Seine Geständnisse sind nicht Folge der Furcht, auch nicht Hoffnung, dem Tod zu entgehen; sobald er ins Gespräch kommt über die Vergangenheit, so reißt ihn das Interesse hin, ein unwillkürlich Lächeln der Erinnerung verrät ihn, welches bald in volles Lachen übergeht. Nicht als ob er aus teuflischer Bosheit sich seiner Taten freue, sondern weil er in jedem Bekenntnis die Bestätigung findet dessen, was seine Kameraden ihm voraus weissagten: Du wirst beim ersten guten Wort, was man dir gibt, bekennen, und aus lauter Gutmütigkeit dir den Kopf abschlagen lassen! – Er ist kein verworfner Bösewicht, sein Charakter ist ein Übermaß von Leichtsinn, aber eine große Gutmütigkeit, er kann einer ernsten Ermahnung nicht lange, einer freundlichen Behandlung gar nicht widerstehen, er ist aber nicht imstande, das Abscheuliche seines Räuberlebens einzusehen. Die Gewohnheit macht, daß ihm das Gehässige daran nicht auffällt. Er sagte: ich kann keinen Vorsatz der Besserung fassen, es ist mir zu schal und ekelhaft, auch verbat er sich jeden moralischen oder geistlichen Zuspruch. Ich will gern mein Urteil ausstehen, daß keiner über mich zu klagen hat, nur stellt mir meine Bosheit nicht vor und mein zukünftig Heil, denn ich kann beides nicht begreifen. –«

Pfarrer. Was für Hoffnung ist da, auf einen solchen Seelenzustand einzuwirken? Kein Charakter! Nicht einmal Strafesfurcht, nicht Liebe zum Leben, nicht Einsicht und Begriff von Schande, keine Reue! Religion würde ihm nun gar nicht beizubringen sein! –

Fr. Rat. Charakter? – Religion? – Alle Kraft des Segens, alle Weihe der Sakramente können aus diesem Charakter ins Leben gerufen werden! Was ist diese Leichtigkeit des Mutes, gewissenhaft zu sein? – Diese Freude und Wohlbehagen bewußter vollendeter Unwillkürlichkeit? – Er weiß, daß er sich verraten werde, und lächelt dazu? – Er kommt eurer Frage entgegen und weiß, daß sie ihn in den Abgrund stürzt! Er unterwirft sich dem schmählichen Tod, um eure Klagen gegen ihn zu stillen! – es ist nicht Mangel an Charakter, es ist unwiderstehlicher Reiz! – Der Mutige hat auch den Reiz der Gefahren! – es wird ihm zur Last, sich vor dem Tod zu hüten, und unmöglich, davor zu fürchten! – Und solch ein Charakter läßt sich nicht wie Holz zurechtschnitzeln.

[149] Pfarrer. An dieser Gleichgültigkeit sich zu bessern haftet kein treuer Wille, kein Versprechen, kein Vorsatz. Und Sie sind gegen die Vorkehrungen des Staates, diese Leute zur Besinnung zu bringen? – Sie nennen ihn einen gewaltigen Zuchtmeister, der über denen schwebe! die Sie unschuldig genug als Heroengeschlecht bezeichnen, und die doch nur mit voller Kühnheit lasterhaft sind, weil jedes Gefühl ihnen abgestorben ist, einen Sieg zu erkämpfen über das Laster! –

Fr. Rat. Diese Isolier – und Schweiggefängnisse, mit denen der Staat das innere Gewaltige, Verwegne und Energische der rohen Menge an verborgne Ketten der Heuchelei und Blödsinns zu legen wagt, führen so wenig zum Zweck, das Böse vom Guten zu scheiden, daß die Erfahrung ihn einstens aufs empfindlichste belehren wird!

Freilich der empirische Pöbel glaubt sich wohl zu befinden bei jenen gehaltlosen hohlen Spekulationen, die der Despotismus zu Systemen ausspinnt und damit den Namen der Weisheit und Menschenliebe sich aneignet.

Bürgermeister. Vor einem blinden Verfahren bewahre uns der Oberherr der Geister, aber das Mannigfaltige, Widersprechende dieser verworrnen Schicksalsrätsel, die durch jedes Berühren dem Bestehenden Gefahr drohen, kann nur durch ein System, in das die Einsicht gebildeter und geprüfter Begriffe einstimmt, auf eine rechtfertigende Weise gelöst werden.

Fr. Rat. Ein System? – Ist das nicht Geistesdespotie! – Das Schrecklichste, was ein Geist denken kann, das Einstimmen in ein System! der blinde Glaube ans System? – Wo hat der Geistige durch Tat und Wort seiner eignen Herrschaft uns unterworfen? – Und wir fassen das Schattenspiel unseres Aberwitzes in ein System, nach welchem wir unsern Bruder in Bande schlagen? für den wir zu sonst keinem Opfer uns fügten, noch nichts mit ihm teilten von den Gütern des Überflusses, keinen unverschuldeten Kummer ihm erleichtert haben. – Sie, Herr Pfarrer, sagen, dem Verbrecher würde man keine Religion beibringen? – Nein, gewiß nicht, aber darin ist auch auf sein einziges Rettungsmittel hingedeutet. – Er muß die Idee von Gott selbst erschaffen, er steht zwischen zwei Finsternissen, die ihn gänzlich einhüllen; durch seine schaffende Kraft wirft er Licht dazwischen! aus seinem eignen Geist drängt das Licht die ringsumgebende Finsternis in die Ferne! die Quelle seiner Größe, seines Geistesglückes strömt daher! – Sie wundern sich darüber? – Nun, wie einfach ist doch das! – er fängt mit sich als rohem Tier an, er arbeitet sich durch bis zum erhabensten Geisteswerk! – Zwar eure Kultur bis zur Verblendung, bis zum erhabensten Luxus konnte ihm den Weg der Selbsterkenntnis nur durch Verzweiflung bahnen in diesen Schweig – und Isoliergefängnissen. Euer System, ihr glaubt unbedingt daran! Kein Wort spricht eure Vernunft, kein Wort der Liebe euer Herz! – lesen Sie diese Verse, die in Mannheim mit Rötel, aus der Mauer losgekratzt, an den Steinblock geschrieben waren, an den der Verbrecher gefesselt war.


[150]
Dächt jeder dran, was Christus spricht,
Des Armen Recht vergesset nicht,
So würde man davon nicht wissen,
Daß ihr aus Not habt rauben müssen! –

Aus einem Blut mit euch entsprossen war, der euch hier anklagt! – Es mit euch zu teilen, wie mit ihm ihr teiltet, wär vielleicht sein Wunsch, sein höchster Gedanke: hättet ihr nicht mit grausamer Gleichgültigkeit ihn eurem System unterworfen, hättet ihr Bande geflochten, wenn auch geringe nur, sie hätten ihm genügt, die alten zerbrochnen Flügel hätte er abgeworfen, mit neuen hätte er sich aufgeschwungen, und keine List des Vogelstellers hätte ihn mehr erreicht.

Bürgermeister. Ihre Begeistrung überrascht Sie mit Einbildungen, die nicht sein können, nicht werden können. Die Beschauung der Welt und die Tätigkeit in ihr führt auf untrügliche Überzeugungen, daß für zauberische Pläne des Idealen kein Boden zu finden ist in der Wirklichkeit.

Fr. Rat. Das haben sich diese philosophischen Verbrecher selbst prophezeit, sie machen ja auch, wie wir sehen, keine Ansprüche, sie appellieren nicht mehr an eure Einsicht. Sie haben einen Begriff von Gott und, obschon er ihnen ein bitteres Los zuweist, sie nehmen's an, und zwar mit Vertrauen. Am Abend vor der Hinrichtung schrieb's ein Verbrecher an die Wand.


Schickt Gott schweres Kreuz zu tragen,
Nehmen wir's geduldig an;
Denn der's schickt, der kann's auch nehmen,
Alles steht in seinen Femen,
Der allein uns richten kann.

Bürgermeister. Dergleichen Stoßseufzer deuten freilich auf ihr letztes End, hätten sie noch Oberwasser, so hätte Gott das Nachsehen.

Fr. Rat. Vielmehr ist der Stoßseufzer eine schwere Beschuldigung gegen die, welche dem reißenden Tier des Luxus in den Rachen werfen, was das gerechte Erbteil jener unterdrückten Erdenbürger ist. – Bedenken Sie, daß, wenn Sie das Geschlecht der Motten er nähren mit Ihrem überzähligen Winterpelz, die nackten Armen leicht glauben, es sei kein großer Schaden, den Pelz den Motten abzujagen! – Hier lesen Sie die Geschichten solcher Leute, denen es einfallen könnte, einen Anteil an Ihrem Mottenpelz zu haben! –

»Geboren im Darmstädtischen an einem rein lutherischen Ort, als Knabe seiner harten Stiefmutter entlaufen, dient er als Hirtenjunge, ein Zimmermann lehrt ihn seine Profession, läßt ihn katholisch erziehen, dies und sein langjähriger Dienst unter den Pfälzischen hinderte, nachdem er strupiert war, daß man ihn in seinem lutherischen Geburtsort duldete, auch fand er keinen Unterhalt da. – Wenn man einmal meine Meerschweinchen an einem Ort gesehen hat, sagte er, so ist dort kein Verdienst mehr für mich, [151] und haben meine Weibsleute eine Gegend mit Tragringen versehen, so ist auf lange Zeit da kein Brot mehr für uns, wollte ich von einem festen Sitz meinen Erwerb betreiben, wer sollte die Kinder besorgen, wenn meine Frau mit den Ringen und ich mit den Schweinchen umherzögen? In einem festen Wohnsitz müßte ich herrschaftliche Abgaben geben, Wachen und Frondienste leisten, Haussteuer bezahlen, das alles fällt beim Wanderleben weg. Klagt eins Hunger, so häng ich ihm ein Bandelier Tragringe um, es läuft ins nächste Dorf, kauft man ihm nichts ab, so gibt man ihm ein Stück Brot, und wenn davon Abgaben sind, so ist es doch bloß an Eltern und Geschwister.« –

Fr. Rat. Eine Wohnstadt für die Armen, für das Geschlecht des Menschengewürmes, was könnte mich hindern, ein wahres Attika zu erbauen zum Ruhmesglanz meiner landesväterlichen Milde! Ja, wär ich Landesherr, ich wollt's euch zeigen, daß, wenn Begeistrung mich überrascht, ich doch an ihr nicht verzage als an einem Ding der Unmöglichkeit. Alle Gelüsten nach Pantheon, Kirchen, Museen, Naturalienkabinetten, Wintergärten und dergleichen würde ich an diesem Musensitze eines künftigen gewaltigen Geschlechtes abkühlen, eine Helden erzeugende Stadt müßte sie mir werden, inmitten der Zirkus olympischer Siegeskränze, denn da die Enkel doch ohne Hosen laufen, bis des Großvaters Tod sie zum Erben der seinen macht, so könnte die Polizei es nicht als dem Geist des Christentums zuwider verpönen, daß sie wie ungetaufte Heiden auf dem olympischen Spielplatz durch den Reif springen, oder man müßte um ihrer Gaunereien willen einen jeden in das Isoliergefängnis von ein Paar neuen Hosen und Jacke stecken, und das so lang, bis sie wieder herausgewachsen wären, sollten sie dennoch nicht zur Besserung schreiten, und abermals der christlichen Gesinnung zum Schauder dem Sanskulottismus sich ergeben ohne alle Rücksicht auf die fortschreitende Kultur, – nun so lasse man sie in ein zweites Paar Hosen und Jacke, recht fest und nicht durchzubrechen, einfangen, lasse sie bei Wasser und Brot und etwas Zugemüse in diesen moralischen Schweig – und Isoliergefängnissen, bis sie zur Erkenntnis kommen, daß mit gesunden und starken Gliedmaßen, frischem jungen Mut, der Gefahren und Beschwerden trotzt, mit spartanischer Abhärtung und Mäßigkeit man den unbedingtesten Anspruch an den Staat habe, einen ehrenvollen Posten in ihm auszufüllen. Ei! – diese widerbellende Magen tollkühner Hungerleider nicht zu Paaren treiben und mir gehorsam nachlocken wie die Lämmer auf die Weide, diesen Spott wollt ich mir als Landesherr in die Blätter der Geschichte nicht aufzeichnen lassen!

Bürgermeister. Gauner, Diebe, Vagabonden, Züchtlinge, die doch auch in den Pferch dieser Stadt gehören. Das wäre eine herrliche Lämmerherde, hinter dem Landesvater dreinziehend! –

Fr. Rat. Männer der Vernunft und des praktischen Lebens, große Männer des Ruhmes und Helden der Geschichte würde ich aus dieser Herde mir erziehen.

[152] Pfarrer. Sie scheinen als Landesvater Unendliches auf die Spitzbuben zu halten, so daß Ihnen ein geübter Mann im Amt und erworbner Kenntnis ganz überflüssig zu sein scheint!

Fr. Rat. Männer unverbrüchlicher Treue, felsenfester Ausdauer, unbezwinglicher Tapferkeit und Vaterlandsliebe! –

Bürgermeister. Sie möchten wohl das ganze Nationalgefühl auf sie übertragen! –

Fr. Rat. Scharfsinn und Politik wie Odysseus. Großherzig wie Diomedes! – Erschrecken Sie nicht, mein Geheimnis – mit dem ich die ganze Zeit hinterm Berg halte –, das Heiligtum des Nationalgefühls in seiner ursprünglichen Kraft wiederherzustellen, dazu ist bloß der sittenverwilderte, aller Verfeinerung glücklich entwischte, frevelnde, vogelfreie, besitzlose Erdenbürger geeignet! – Er, der noch nicht gelogene Treue zur Schau trug – denn betrog er, so war das sein Metier, welches die Not ihm aufzwang, – der seinem Vaterlande noch nichts zu verdanken hatte, der noch nicht Repräsentant gewesen seiner Würde, die er nicht Mann war zu vertreten, der jetzt aber in dieser Würde auftritt gegenüber einer Gattung, die am Menschenwesen nur in Beziehung auf sich selbst Anteil nimmt, und zwar den höchsten Gipfel da, wo's am steilsten ist, mit leichter Mühe ersteigt, aber fremde Kräfte zur Krücke bedarf. – Ja, selbst auf den Oberherrn lehnt sich der edle biedere Staatsdiener, der die Glossen seines Kopfs für Weltgenie hält, und wehe dem, der daran zweifelt! – mit einem Teerpinsel zeichnet er die Schafe seiner Herde, welche Schmach ihnen ewig in der Wolle sitzen bleibt. – Und welchem dies Zeichen der Abwesenheit aller Ehre nicht die saubere Wolle zusammen gebacken hat, des verwegnem Lauf der Wahrheit und Rechtschaffenheit wird die Krücke in den Weg geworfen, daß er drüber stolpere und, wie man hofft, Hals und Bein breche.

Bürgermeister. Sie sind ein großer Kritiker; Sie sind Dichter und Genie des Zeitgeistes, Ihr gestempeltes Wort kann aber leider so stark den Unschuldigen treffen wie die Krücke.

Fr. Rat. Hören Sie, nein! Denn mein gestempelt Wort steckt niemand in Schweig- und Isoliergefängnisse, wo das kranke aufgereizte Gemüt zur Wut angeschürt wird und mit sich allein brüten muß in bitterer Einsamkeit, wo Tage und Nächte gezählt oder ungezählt eine verzweiflungsvolle Kette bilden, von keinem Klang des Mitgefühls betont! Ach, Kinder des Elendes, wer soll euch trösten? – mein Herz wirft sich umher in Verzweiflung, wenn ich daran denke. Ach, könnt ich's euch zurufen, die ihr alle in Kerkern schmachtet, das tiefe Wort: Freiheit! So schwer angefochten, gekränkt, ohne Hoffnung, ohne Ziel! – es ist noch ein Unbezwingliches in euch, die Macht der Seele, Freiheit zu fühlen! eine göttliche Gabe kann ohne Frevel nicht geraubt werden! Das überlegt ihr! die ihr wagt, auch nur den Plan der Schweig – und Isoliergefängnisse dem Freiheitschützer darzulegen, dem Herrscher über das Vertrauen aller, und seine Phantasie damit zu besudlen. –

[153] Bürgermeister. Wie's scheint, konnten Sie gar auf den Gedanken kommen, die Sträflinge, die Verbrecher und Demagogen als Schutzwehr des Herrschers gegen den Staat aufzustellen, und in Ihrer politischen Unschuld mit Hilfe der demagogischen Keule selbst die Sittenverbesserung anfallen, das reinste Streben berechneter Klugheit mit Fußtritten verfolgen, den Geheimnissen unserer Religionsgebräuche überall ein Bein stellen.

Pfarrer. Ja, mit verkehrter Beleuchtung sie zu frappanten Zerrbildern zu nüancieren.

Bürgermeister. Es läßt sich ja auf der Hand darlegen, daß Ihr menschenliebiger Unverstand die ärgste Despotie, die Sie doch hassen, erzeugen würde, denn wenn auch jene Verbrecher (ich will's zugeben) dem einen treu sein würden, der ihnen Zutrauen bewies, ich will's zugehen, denn oft hab ich ihre Festigkeit und Ausdauer bewundert in den verzweiflungsvollsten Momenten – nun, das ist eine hündische Treue, die auf den leisesten Pfiff des Herrn den anfallen würde, der ihm gegenüber jene Weltkenntnis und beobachtenden Verstand als Staatsmann wollte geltend machen, wozu sein Beruf, das Recht vom Unrecht zu scheiden, ihn auffordert. Denn ich geb unbedingt zu: La garde filoux ne se rends pas; wem sie Treue geschworen, der kann jede Lage behaupten und würde auch jede zu benützen wissen. Denn leider ist dies der natürliche Trieb des Menschen, dem kein Hindernis die natürliche Kraft hemmt, er muß obenaus und nirgend an. Alle geistige Bildung würde verdunkelt, wo nicht gar verworfen. – Fr. Rat. Um allein zu glänzen, nicht wahr? – Sie fürchten sein Übergewicht! – ich bin's auch überzeugt, das Höchste des Verstandes tief und wahr durchdringt die innersten Herzen und erregt natürlich die Furcht derer, in denen das Feuer der Demagogie unter bescheidner Asche glimmt. Denn der geniale Fürst, der noch die verlorne Menschheit zu retten wüßte, der würde auch der Kraft des Wolfszahns und der List des Fuchsschwanzes entgehen. – Und – – dies demagogische Feuer, wovon ich die Funken aus dem rauchenden Kopfe jedes Staatsmannes fahren sehe, würde gedämpft werden. – – –

Mein ursprünglicher Begriff vom Wohl und Weh der Zeit hat sich einmal darin festgesetzt, die Demagogie eures gebildeten Weltverstandes, mit dem ihr den reinen Menschensinn selbst im Landesherrn verfolgt, um den irgendwie zu beseitigen, ja durch Aberglauben und Vergötterungstrieb der Gesetzesdespotie ihn wirklich wie einen Sklaven zu binden meint, grad mit denen im Zaum zu halten, die ihr als Demagogen auf dem Korn habt. Und so kommen Sie mir grade entgegen mit der Frage, ob ich will dem Landesherrn eine Leitgarde aus Spitzbuben und Gaunern bilden, ja freilich, das will ich, und die wird euch im Respekt halten, daß ihr keine Fuchsschlingen und keine Wolfsgruben um ihn her aufwerft. Und daß die eingesperrten Demagogen mehr Verstand haben als euch lieb ist, das beweist ja schon, daß ihr sie einsperrt, denn sonst ließt ihr sie als arme Tropfe laufen und das mit Recht, da ihr selber dies Prärogativ der Geistesfreiheit genießt.

[154] Bürgermeister. Um Gott, Frau Rat, donnern Sie nicht auf uns ein! wenn Sie auch hie und da auf Mißgriffe stoßen, wenn auch dann und wann, hier und da ein leicht Versehen, und einer oder der andere mehr oder weniger – –

Fr. Rat. Ich will Ihnen helfen, Sie wollen sagen: Wenn wir auch den Zweck durch die Mittel verfinstern, und das Menschengeschlecht und seine Bestimmung durch unsre Verkehrtheit dem darunter leidenden Herrscher zum qualvollen Rätsel machen, so glaubt doch, daß wir's uns selber weisgemacht haben. Und nun, Herr Bürgermeister, widerlegen Sie mich nur derb, sonst läßt's die Zensur nicht passieren.

Bürgermeister. Wir tragen unsre Lasten eingehüllt ins Bewußtsein unserer Verantwortung vor Gott; alles, was unsre Kräfte vermochten, zum Wohl der Gesamtheit, das geschah. – –

Fr. Rat. Nur nicht das, wozu jeder geschaffen ist. – Ach, folgt dem Ruf des Weisen: Kenne dich selbst! Ach, der Weise fordert viel, ihr könnt keine schlechtere Bekanntschaft machen. – Strafen, welche die Reinheit der Phantasie besudlen dessen, der sie verhängt, und das Herz mit Bosheit füllen dessen, der sie vollzieht, sind Vergehen, die euch dem größten Verbrecher gleichstellen. – Ist der nicht wahnsinnig, der sich dazu hergibt, diese Strafe zu vollziehen? Oder wie kann er ruhig schlafen bei der Grausamkeit seiner Pflichten? – er müßte denn selber einen Genuß an dieser Tyrannei haben! – Während ihr Göttern gleich im Rate sitzt, hat der Teufel den Samen der Bosheit euch ins Herz gesäet, hat es vergiftet mit wollüstigem Genuß an der Grausamkeit. – Was meint ihr, der Verbrecher solle zur Besinnung kommen in dem Isolierkäfig! – Ein Philosoph, der ein geborner und geübter Denker ist, der in so einer Eremitage inmitten seiner Profession sitzt, – probiert es mit dem, und er wird das Denken bald satt haben! – Was ihr nicht mit der reinsten Aufopferung tut, daraus geht nur Elend hervor. Zum Werk der Liebe gehört der ganze Mensch. Wie der Bräutigam der Braut nachgeht und sie wiederzugewinnen sucht, die er leichtsinnig versäumt und betrogen hatte, weswegen sie sich aus Verzweiflung dem Teufel verschreibt, sie will Leidenschaft vom Geliebten, dem sie Herz und Hand gelobte und der sie heimlich verriet.

Pfarrer. Wenn diese Braut aber so ausarten kann, daß sie sich dem lasterhaftesten, liederlichsten Leben ergibt, muß doch der Bräutigam ihr den Kopf zurecht setzen.

Fr. Rat. Was ist das zwischen Liebenden? Schweighäuser, Isolierhäuser! um eine Hyäne aus der Braut zu machen, aber nie wird sie sich mit liebender Furcht ihrem Herrn und Gemahl anschmiegen, nie wird sie in mütterlicher Lust ihm die Söhne erziehen! – Heimlich wird sie ihnen Rache einflößen, der Spitzbube, der Gauner, der Mörder wird die Mutter rächen! – so spricht ihr dumpfes Murren.

Bürgermeister. Der Staat braucht des dumpfen Murrens nicht zu achten, und kann die ohne Gewissensbisse schweigen heißen, denen er Schutz und Obdach gewährt.

[155] Fr. Rat. Schutz und Obdach? – Mit stolzer Verzweiflung singen die: der Mond ist unser Nachtquartier, der Wald ist unsre Sonne! –

Bürgermeister. Im Gegenteil! Der Wald ist das Nachtquartier und der Mond die Sonne, ich habe das Lied oft mitgesungen.

Fr. Rat. Wieso? – mit den Spitzbuben? –

Bürgermeister. Nicht mit Spitzbuben; – mit Geist und Herz erhebenden Gefährten sang ich's oft als Student, in der Burschenschaft, den Hieber an der Seite, mit Kanonenstiefeln und einem tüchtigen Zopf im Nacken! wo unsere Gelübde erschallten, die innern und äußern Feinde des Vaterlandes zu besiegen!

Fr. Rat. Und deswegen sind Sie so hinter den Dieben her. Noch außerdem, daß Sie Wunder zur aufgeklärten Zeit beitrugen, indem Sie, trotz dem besten Schneider, an ihrem edlen Gewand schnippelten, und kürzten sie nach beliebigem Muster zu einer sehr engen Jacke um.

Bürgermeister. Wenn die Jacke dünnfadenig ist und abgenutzt, soll man sie da nicht wenden, daß sie wieder ein Ansehen erhält? –

Fr. Rat. Eine dünnfadenige Jacke, die zu eng ist, muß bei erster Gelegenheit einen Krach tun.

Bürgermeister. Unbekleidet kann doch die Braut nicht sich umhertreiben?

Fr. Rat. Eine Athletin, immer Trotz bietend, immer bereit zum Kampf, braucht kein Gewand! – Sie säugt ihre Kinder ungegürtelt, sie pflegt den deutschen Baum der Treue! O, laß sie innerlich wachsen, ja innerlich, und die Borke wächst mit. Doch wenn sie sich verraten fühlt vom Mißtrauen, wenn der Bräutigam sie zwingen will statt sie zu gewinnen, dann fühlt sie sich herabgewürdigt, sie ergibt sich dem Teufel, rein toll vor Wut, verraten, mißhandelt zu sein. Nein, rechnet auf keinen Funken der Liebe! – Die Liebe, der Geist, die Aufrichtigkeit allein konnten hier heilen. – Aber Rache und Erbitterung holt ihr aus der Apotheke eurer Seelenarzneikunde, ihr amputiert der Menschheit edelste Glieder, ihr fragt nicht, ob sie noch zu retten seien, und verstümmelt damit euren eignen Begriff vom Zeitgeist, vom Willen und Bedarf der Nation. – Euch bleibt nichts übrig als eure verrückten Vorurteile; und die, wahrhaftig, machen euch noch ganz blind. Ihr tappt im Dunklen, und möchten Sie den Wald oder den Mond zur Sonne haben, Herr Bürgermeister, Sie sehen Ihre eigene Hand nicht vor den Augen! – Sagen Sie, wie konnte man die Bande des Schinderhannes und des schwarzen Peter ohne weiteres zum Tod verurteilen und kurzweg hintereinander exekutieren? –

Bürgermeister. Ich bekenne mein Erstaunen, dies also bringt Sie so in den Harnisch? Man sollte meinen, Sie hätten einen Liebsten drunter gehabt.

Fr. Rat. Mehr als einen! Es waren Helden, wär ich Fürst, ich wüßte mir keine bessere Leibgarde zu wählen! –

Bürgermeister. Potztausend, Frau Rat, da ständ doch gewiß der Teufel Schildwach vor Ihrer Türe, und wir ehrliche Teufel würden von dem nicht vorgelassen bei Ihnen mit unsere Gründe, warum wir die Schinderhannesbande vom Leben zum Tod brachten.

[156] Fr. Rat. Diese Gründe würde ich auch nicht anhören.

Pfarrer. Die Frau Rat scheinen ziemlich despotisch zu Werke gehen zu wollen!

Fr. Rat. Mit des Teufels Leibwache kann man schon dem eignen Geist Wege bahnen und Dinge tun, wobei den Philistern die Haare zu Berg stehen! – und alle politischen Mäuse können da aus ihrem großen Frankfurter Käse sich auf die Hinterpfoten stellen und verwundern, daß noch eine so große Welt außer ihrem Käse von ihnen nicht in Beschlag genommen war!

Bürgermeister. Wenn Sie auch Ihre Weisheit anstrengen, sie uns bestens einleuchtend zu machen, deswegen ist sie von der gesetzgebenden Macht noch nicht sanktioniert und würde von dieser erst sehr müssen modifiziert werden.

Fr. Rat. Dann säß gleich wieder der Teufel drin. Bei einem gewissen Halbdunkel oder im Mondschein sieht man Gespenster.

Ihr seid nicht fähig, die menschliche Natur zu beurteilen, sonst hättet ihr jener Gefängniseinrichtung nicht einen Augenblick nachgegeben! – Ja, ihr würdet es als Pflicht auf euch nehmen, dagegen aufzutreten, und lieber euer Amt niederlegen als nachgeben! –

Pfarrer. Was soll man tun! – Wir sind die Passiven im Lande.

Fr. Rat. Ihr Priester, statt so oft den Rabenstein hinaufzustolpern mit den armen Sündern – wie oft war's denn? – dreimal in einer Woch! – da wär ich doch wahrlich zum Landesherrn gelaufen und hätt in ihn hineingedonnert und hätte ihm die Hölle heißgemacht, daß er nicht so ins Zeug hinein soll hängen und köpfen lassen! –

Bürgermeister. Frau Rat, Sie sind im Irrtum, da war auch nicht ein klein Leutnantchen für Ihre fürstliche Leibgarde herauszuheben. Die fürchterlichen Mordtaten forderten Wiedervergeltung, die schnellste war hier die menschlichste. – Die unendliche Menge von Verbrechen! – Der letzte scheußlichste Raubmord, empörend selbst für den Mindergefühlvollen, haben den regsamsten Eifer der Gerichte angefacht.

Fr. Rat. Ja dieser angefachte Eifer, wie hier im Pfister zu lesen! »verfügte, daß gleich zum Husaren geschickt wurde, um auszureiten und Kundschaft einzuziehen, allein der Husar war nicht zu Haus und das Pferd war lahm, zum Streifen war's zu spät, die grausame Tat geschah erst um fünf Uhr abends, und die Anzeige kam erst um neun Uhr nach Mittelgrund zu den Gerichten, um zehn Uhr war erst Gewißheit angelangt, um elf Uhr ward der Chirurgus geholt, der am andern Morgen gleich beim Verscheiden des armen Gemordeten erst kam, ihn zu besichtigen, es hatten somit die Räuber (sowie auch der Tod), von denen man keine Spur hatte, siebzehn Stunden Vorsprung, wobei alle Verfolgung vergeblich gewesen sein würde, zumal auch ohnehin des einzigen Husars Pferd lahm stand und gar nicht in dem Augenblick geritten werden konnte.« Wie das alles hier geschrieben steht in den Akten des Pfisters! Wie ist denn hier für die Sicherheit der rechtlichen Bürger gesorgt mit dem angefachten Eifer der Justiz! – [157] Bürgermeister. Alles kann nicht auf einmal geschehen! In wenig Monaten haben wir eine Untersuchung zu Ende und die Deliquenten vom Leben zum Tod gebracht, wo jetzt schon Gras auf ihren Gräbern wächst, und schon ist man wieder andern verbrecherischen Bündnissen auf der Spur.

Fr. Rat. Trotz dem lahmen Pferd werden also die Verbrecher keinen Vorsprung gewinnen? – Aber doch immer nur nach geschehener Tat? –

Bürgermeister. Wie meinen Sie das? – nach geschehener Tat? – Wir können doch nur eines Verbrechers uns bemächtigen, wenn er verbrochen hat. –

Fr. Rat. Nähme man doch seiner sich an, bevor man sich seiner bemächtigt, vielleicht käm man dann auf einen bessern Fuß mit ihm zu stehen und für weniger Unkosten. Wär das Pferd nicht lahm, und der Husar immer beritten, vielleicht daß man der Teufelsgewalt, die der armen Seelen sich bemächtigt, dann zuvorkäme! – die doch so gut auf den Tod verwundet sind als jene vom Chirurgus zu spät besichtigten Raubgemordeten. – Und daran ist bloß das lahme Pferd schuld und der Husar, der nicht zu Hause ist, und der Chirurg, der zu spät kommt, und das Verbrechen, was den Vorsprung gewinnt vor diesen Anstalten ohne menschliche Vorsicht und Liebe und Geist, und endlich die ganz miserable Heilmethode und Krankheitsuntersuchung der Rechtspflege, die den Verbrecher an den Galgen des eignen Unverstandes hängt und nie was Gescheutes zuwege bringt.

Pfarrer. Sie bleiben immer bei dem Negativen, bei dem, was man nicht soll, aber kommen Sie doch auf das Positive, auf das, was man soll, damit man die Wege der Weisheit offen vor sich sieht! –

Fr. Rat. Es wär mir lieber, Sie möchten's erraten, so weiß ich, Sie wären einverstanden mit mir. Sollen Sie dem Verbrecher helfen, so müssen Sie sein zweites Ich, seine bessere und also seine liebendere Hälfte sein. Ich frage Sie, ob Sie dies in Ihrem Innern fühlen? – Nein, Sie werden eingestehen, daß vielmehr der Verbrecher Ihnen mit Wärme und Liebe anhängt, sowie Sie ihm den geringsten Anlaß dazu geben. Aber ihr leugnet ja selbst der angebornen Natur Liebe und Kraft in ihnen, wie wollt ihr den Weg finden, diese zu entwicklen? – Daran habt ihr nie gedacht, daß ihr ihm erst eine Unsterblichkeit geben müßt statt ihm das Leben zu rauben. Ihr müßt die Bedürfnisse der Unsterblichkeit in ihm wecken, sie sind das Bedürfnis der Liebe, diese kennt nur Unaufhörlichkeit. –

Pfarrer. Frau Rat, Sie kommen da wieder mit Unmöglichkeiten.

Bürgermeister. Ja, totale politische Unschuld.

Pfarrer. Sie haben keine Ahnung von diesem innern Mord aller sittlichen Prinzipien! alles Gefühl geht in Rauch auf, alle Moral ist längst in Asche versunken! –

Bürgermeister. Rechnen Sie nicht auf Vorstellung und Begriff, dazu ist die Tafel ihres Denkvermögens viel zu sehr mit Unrat aller Laster und Genüssen des Verderbens befleckt. Darauf ist kein Sittengesetz zu verzeichnen.

Fr. Rat. Habt ihr denn alles versucht, was sonst auf Seele und Geist Einfluß hat? – Ihr habt gar nichts versucht, selbst das bißchen Sonne, das [158] manches Grashälmchen frühzeitig weckt, das versagt ihr ihm. – Das Licht der andern Welt habt ihr in Nacht verwandelt, schwer geladne Gewitterwolken türmen sich vor seinem Blick in die Zukunft. – Für was ist alle Kunstbildung, wenn sie nicht den Schmetterling aus seiner Verpuppung löset, für was Geist, wenn er euch selbst nicht hellsehend macht? – Setzt ihr die Allmählichkeit in der Natur voraus, und verzweifelt, daß die Bildung des Verbrechers je vorwärts rücke, so bedenkt, daß ein inneres Vorwirken euren Blicken entzogen ist, erkennt ihr aber die Macht der Natur, durch einen Zauberschlag im Nu ein neues Leben mit allen künftigen Bestimmungen zu beginnen, was sie zweimal Euch beweist beim Lebensein- und ausgang durch geheimnisvolle Vorbereitung im Schoß der Mutter, im Verein aller Naturkräfte (die geistigen nicht ausgenommen), vorzüglich aber die Liebe! so denkt, daß auch dies Erdenleben eine Schwangerschaft ist; – daß jenes Urteil, was diese Schwangerschaft in ihrem heiligen Werde vernichtet, fürchterlicher Verrat am Göttlichen ist! Ihr habt die Bildung, ihr seid zugänglich für jenen Begriff, für jene Vorstellungen des Höheren, eure Gedächtnistafel ist ja nicht so mit Unflat bedeckt, daß kein Sittengesetz drauf eingegraben werden könnte. Nun, warum haftet das Gesetz des Geistes nicht darauf? Warum habt ihr die Ahnung nicht der höheren Elementenwelt? Warum tritt auch euer Begriff in Knechtsgestalt auf? – Ich will's euch sagen! weil der Beginn eurer Laufbahn eine Lüge war! – ›Es werde Licht‹, dies allharmonische Werde, das in einem Nu alle Lebensfeuer ausströme, das habt ihr geleugnet! Furcht wuchert in eurer Seele. Euer Geist selbst ist gebunden, härter als der Gefangnen, und doch verzweifle ich nicht, daß er sich regen werde, sowie ihm die Stricke gelöst sind. Und doch fühlt der Liebende, den ihr leugnet, die ewige Sehnsucht, euch zu überwinden, um euch zu beglücken! – O verzweifelt nicht am Verbrecher, legt nicht Hand an ihn, seine Verwilderung führt ihn nicht so weit ab vom Ziel als eure falschen Vorkehrungen! –

Ja, Herr Bürgermeister, ich seh, in Ihren Augen leuchtet meine politische Unschuld, die Sie mit Nachsicht überschwemmen, ich aber anerkenne in Ihnen keine unschuldige Politik; denn sie ist aller Verkehrtheit Urlüge, die hat so weit euren Geist herabgewürdigt, daß er nicht einmal mehr zurechnungsfähig ist. Diese Urlüge der Politik drückt mit finsterem Schlaf despotisch auf euch zusamt den Verbrechern! richtet die Urlüge der Politik, und die gesamte Menschheit wird ins junge Grün der Unschuld wieder sich einkleiden! – Der Scharfrichter, der das Beil glücklich führt gegen diese Urlüge, bedarf keiner dreihundert Schläge, um sich ehrlich zu richten, der erste Schlag macht ihn zum König der Erde!

Pfarrer. Eine neue Religion bedarf einen neuen Katechismus! –

Fr. Rat. Nehmen Sie aus der alten Religion die reine Basis. ›Die Liebe richtet nicht! – sie bringt sich selbst zum Opfer! – Zweitens! verfolge nicht mit Messerstichen das fremde Gewissen, weil du den Stich des eignen Gewissens so gut überwindest und vernachlässigst.‹

[159] Bürgermeister. Wollten Sie doch den Wahn fahren lassen, als ob wir gegen unser eidliches Gewissen handlen, im Gegenteil zwingt es uns zu jedem Schritt, selbst mit Widerstreben unseres Gefühls.

Pfarrer. Und ein Teil dieses Elendes selbst ist mit über uns verhängt! Unsre schönsten Hoffnungen auf Menschenglück, unseren Jugendstolz und Gefühl menschlicher Erhabenheit sehen wir im Schiffbruch zu Trümmern gehen, und Geringes nur ist durch unser Bemühen zu retten!

Fr. Rat. Sie guter Herr Pfarrer und bester Herr Bürgermeister! Ihr seid übel dran, ihr könnt nicht mehr unwillkürlich wollen; ihr müßt mit Absicht und Vorsatz auf das Gute lossteuern. Zwei schlechte Krücken! über die man hundertmal Hals und Bein bricht, ehe man einmal mit ihnen ankommt.

Pfarrer. Ja, das ganze Leben ist ein ewiges Stranden alles Heiligen und Höchsten, worauf man baute, und dem in seiner Jugendbegeistrung alle Kräfte gelobte! –

Fr. Rat. Ach, den besten Seelenkräften stellt der Teufel ein Bein und stiebt alle moralischen Vorsätze auseinander, wie der Sturmwind die gewaltigen Äste der Eiche losbricht, da stehest du, Baum, mit wetterzerzauster Perücke mitten in deinem Sommer, und der Wind wirbelt mutwillig mit deinen ausgerupften Locken im weiten Nichts herum. – Wolltet ihr aber die Naturstimme Steuermann sein lassen, ihr würdet nicht Schiffbruch leiden! sie bleibt auf keiner Sandbank sitzen der Gesetzesdespotie, der Rechtsform, des Aberglaubens am alten System; sie steuert sorglos zwischen den Zorneswogen der Hoffart, des Neides, der Herrschsucht und des beleidigten Ehrgeizes heimlicher Rachsucht, des tyrannischen Selbstdünkels. Sie entfaltet für Freiheit den nötigen Sinn, die Geistesschönheit, das Allumfassende der Menschenliebe. Reiner unbefangner Religionsgeist! – Heilige Kunst, vollendete Menschennatur, in der Volk, Kinder und Götter in mannigfaltigen Gruppen ihr nachschwimmen, bilden die stolze Flotte, die, ihrem Kompaß und Steuer vertrauend, auf dem Lebensmeer gefahrlos dahinrauscht.

Pfarrer. Wie kommt's aber, daß diese Siegesgöttin bisher noch keine überwindende Reden gehalten hat, daß im Gegenteil ihr Stottern oft verrät, sie wisse nicht aus noch ein? –

Fr. Rat. Weil man ihr aufs Maul schlägt, mein lieber menschenfreundlicher Lavater! – Weil man ihr den Prozeß macht, ohne sie anzuhören, weil man sie nicht versteht und doch verdammt. – Denn der sie versteht, für den wird sie mächtig und mächtiger, es ist kein Eindruck so gewaltig, sie bemeistert ihn.

Pfarrer. Aber das Böse, was in dem Menschen wuchert, wie kann dies bekämpft werden als durch Inspiration höherer Weisheit, die mit der Naturstimme gar nicht zusammenhängt? – Die Kirchenväter, die das Wesen der Sünde so tief erkannten, haben dieser Naturstimme doch auch aufgelauert und allerdings gefunden, daß ihr nicht zu trauen sei.

[160] Fr. Rat. Das Böse ist eben im Menschen, weil die Naturstimme nicht Herr in ihnen geworden, ein alter Kirchenvater hört sie so wenig, als wenn er mit seiner Pelzmütze auf einen alten Teppich schlägt! – Der närrische Hochmut, uns von der Nichtigkeit des Weltalls überzeugen zu wollen, dies Prachtgebäude der Ewigkeit, aus dem wir Belehrung und Veredlung schöpfen mit jedem Atemzug, und so ein närrischer Kirchenvater, – schätzen soll man ihn, als ob er die himmlische Weisheit wär, und steht vor dem Weltall wie die Kuh vor dem neuen Scheuertor! – Ei, daß er sich nicht schämt und besinnt! – Alle Stern mit ihren mächtigen Sippschaften sollen vergänglich sein, und ich elender Kirchenvater, der das ausgeheckt hat, und nie meine Gedanken übers Kirchendach hinaus hab fliegen lassen, soll fort und fort über all unsre Begriffe hinaus fliegen.

Pfarrer. Die prophetischen Monumente des Alten Testamentes mit dem Siegel des auslegenden Geistes zu verwahren, der nur wahre Emanation göttlicher Urkraft sein kann, unmittelbare Gnade Gottes; – durch die sein heilig Regiment über den schwachen Menschengeist ordnen, und seine Existenz, die auch bei dem besten Streben, ihn zu begreifen, oft bezweifelt wird, zu beweisen im Feld des Übersinnlichen; – da streifen die Kirchenväter doch weit über das Kirchendach hinaus.

Fr. Rat. Das Suchen nach Gottbegreifen ist das Sichselbsterzeugen des Menschen. – Ist die Frucht im Mutterleib nicht auch in fortwährender Tätigkeit, sich selbst zu erzeugen? – ist Leben überhaupt ein anderes als das Liegen im Mutterleib und Werden? – was hat ein Kirchenvater da dreinzupfuschen? – gibt's nicht ein sinnlich Denken, was den Apfel reift? – Das Gefühl des Werdens ist moralisches Genie, Quelle der Unsterblichkeit. – Die Kirchenväter haben sich diesen Lebensstrom abgedämmt zu einem stehenden Sumpf, in dem hat sich aller Unrat gesammelt, und sind wie die großen bemoosten Karpfenhäupter drin herumgeschwommen, das kann aber mich nicht hindern, munter mit der reißenden Lebensflut dahinzurauschen.

Pfarrer. Sie halten also unser christliches Verharren für ein Weilen im Sumpf der Geistesdespotie! – für charakterloses Nichtdenken, für Feigheit – die über sich beschließen lässet, und nicht für Unterwerfung der göttlichen Offenbarung! –

Fr. Rat. Das Göttliche ist frei im Menschen, und kein Beweis von dem, was Gott getan, was er gemeint und was er prophetisch wahrgemacht hat einst, hindert, daß jetzt der sich freiem Spiel überlasse in ihm. Was ist Genie? – Es ist des Gottes freies Spiel im Menschengeist. Das aber kann der Kirchenvater durch kein Gebot im Zaum halten.

Pfarrer. Und die göttliche Gnade, haben die Kirchenväter sie nicht als Offenbarung gehabt? –

Fr. Rat. Was Gnade! Ein Fabelwort und fürchterlicher Selbstdünkel! Alles in der Natur ist Sinnentrieb, und das ist ihr Geist.

Pfarrer. Wie? – Das ist ihr Geist? –

[161] Fr. Rat. Strömt die Natur nicht Leben? Wo soll der Geist aufspringen? – Der Mensch ist ganz zwei, denn er ist ein anderer, wenn er denkt, und ein anderer schlafend, und doch ist er nicht zwei, denn er schläft, wenn er denkt, und denkt, wenn er schläft. So ist er denn nicht sein eigen, wie's scheint, denn ein höherer Geist treibt seine Sinne zum Denken, zum Werden. Der Mensch ist nicht, er wird erst. Der Mensch ist noch nicht geboren, er keimt erst. Der Mensch ist noch im Mutterleib, und sein Denken ist schlafendes Saugen der unreifen Frucht. – Der Mensch wühlt sich durch die unendlichen Wolken des Denkens zum wirklichen selbständigen Sein, das heißt: er erschafft sich erst durch Denken. – Sie meinen sich wirklich! Sie sind aber nicht wirklich, Sie sind nur Pfarrer! –

Pfarrer. Als Pfarrer muß ich doch noch Herr meines Geistes sein! Ich muß ihn verwenden, er ist durch meinen Fleiß, durch mein eignes Bewegen, das heißt denkendes Lenken, dazu geworden, daß ich der Menge ihn wiedergebe; und zwar als Religionslehre, als beglaubigende Macht wirkt er auf die Menschheit, ebenso als segnende Kraft, ebenso als belehrende Stimme auf die durch das Wort Gottes sich bildende Menge. Da kann mein Geist doch nicht als Pfarrer eine Stufe niedriger stehen wie als Mensch? –

Fr. Rat. Ach, gehn Sie doch! In was vor einem zähen Vogelleim hat sich Ihr Geist die Flügel verklebt! – Die Schwungfedern sind ganz verleimt. Da hüpfen Sie wie ein gezähmter Dompfaff auf dem Kirchenterrain und picken den heiligen Hanfsamen, den Sie vorgestreut kriegen von den Kirchenvätern, und da wollen Sie noch als Pfarrer sich eine Stufe höher retirieren als der wilde Waldmensch, der vielleicht noch nicht aus seinen Urwäldern hervor ans Sonnelicht kam? – Treten Sie in die Sonne, und Ihre Gestalt wird in ihrem Licht sich abgrenzen und im Schatten sich Ihnen vormalen. Nun, Ihre Gedanken sind der Schatten, den die alleuchtende Geistessonne umgrenzt. Im Denken muß der Geist aufgehen, er ist Lichtkeim der Zukunft. – Das irdische Leben ist der Mutterschoß des Geistes. Das ist Sünde, was dem Geist Eintrag tut, weil jede Verstocktheit und Zwangsgewalt des Geistes Werden unterbricht.

Pfarrer. Aber der Geist, aus welcher Quelle strömt er? –

Fr. Rat. Nicht aus der Gnadenquelle. Er hat den Willen des Werdens, nicht aus Gnade, aber aus Selbstliebe, er kann und soll der einzig Selbstliebende sein. Es ist keiner unter, keiner über ihm, dem zulieb der Geist handle, alles verwandelt er in sich, damit er alles ausströme. Geist ist Selbstliebe, die kann nicht Gnade sein.

Pfarrer. Was ist aber Gott? ist der auch Selbstliebe? –

Fr. Rat. Er ist Geist! Selbstüberwinder aus Liebe zu sich. Einer in sich den andern! – Überwindet der Liebende nicht den Geliebten, drum nennen wir Gott die Liebe. Liebt sich, sucht sich, überwindet sich ineinander! –

Pfarrer. Und die Wunder, die er tut, die den Geist des Menschen so oft überraschen, mitten in der Finsternis, mit hellem Licht der Bekehrung – [162] die auch sollen nicht aus dem Gnadenquell fließen? – noch außer denen, die der Gottsohn mitleidvoll über die Menschheit ergoß?

Fr. Rat. Christus hat müssen nach Wundern ausgreifen, um die Menschheit zu bekehren, das war freilich kein Wunder, er hatte sie bei der Hand. Aber das nimmt mich wunder, daß sein Geist ohne sinnliche Wunder nicht wirken konnte. Wahrscheinlich hat er Eil gehabt, wieder in den Himmel zu kommen, was ihm auch nicht zu verdenken ist, es gibt Jahrszeiten und Witterungen, wo man keinen Hund vor die Tür jagen mag. – Man muß sich alles zurechtlegen; seitdem ich in Klopstocks Messiade gelesen habe von den Marmorhallen und parkettierten Himmelsböden, da dacht ich, unsereins ist auch froh, wenn's wieder zu den seinigen kommt. Es hätte ihn vielleicht freilich ein bißchen mehr Zeit gekostet, wenn er's hätte ohne Wunder abmachen wollen! –

Pfarrer. Ich umgehe Ihre Scherze; ich erinnere Sie an die göttlichen Dekrete, die in Erfüllung gehen mußten. Alle Wunder hatten schon ihre Bestimmung im Alten Testament!

Fr. Rat. Das war eben das Unglück, denn immer ist's zu bedauern, daß die Menschheit nicht durch die göttliche Weisheit klug gemacht ist, sondern durch die Wunder schon zweitausend Jahr perplex. Einmal macht ich die Reise nach Heidelberg mitten im Winter, die Bäume waren alle überglast, abends im Mondschein das Wunder anzusehen von den ungeheuren Silberschluchten in den Bergwendungen, und die stolzen Mauern mit den Kaiserbildern, hinter denen die Zeit alles abgebrochen, die treten hervor und fangen das Silberlicht auf und verwandlen sich in Geister durch den Zauberspiegel der Natur; – schau hinein in diesen Zauberspiegel, sie will die Wahrheit deiner Sinne nicht gefangen nehmen, noch deine Vernunft! – Das erbarmt mich aber sehr, wenn das Menschengeschlecht angerückt kommt mit seinen Gesetzen und Auslegungen der Wunder, und ein Menschengeschlecht will sie dem andern aufplacken und verweigert dem Geist, zu genießen, was der ihm Reifes bietet, als sei es die Frucht vom bewußten Apfelbaum: »Du sollst nicht vom Baum der Erkenntnis essen!«

Bürgermeister. Ihre philosophischen Ausfälle auf den Staat, daß Sie den Verbrecher als seine selbstverschuldete Staatskrankheit schildern, das wird dem freilich eine verderbliche Frucht des Erkenntnisbaumes scheinen.

Fr. Rat. Der Staat ist Mensch, die Menschheit zur Freiheit heraufbilden ist seine physische Geschichte. Er trägt die Krankheitstoffe in sich, und soll sich aus ihnen erlösen. Ist die Menschheit Kind, dann liegt Anlage und Gesundheit im Keim! – Der Staat muß diesen Freiheitskeim in ihr entwicklen, sonst ist er Rabenmutter und sorgt auch für Rabenfutter. Ist die Menschheit zum Jüngling herangereift, dann ist dem Staat als Vater des Sohnes Freiheitsblüte die beglückendste Hoffnung und sein heroisch Feuer der höchste Genuß! Muß dem Vater nicht obliegen, daß der Sohn nicht Sklave sei, daß die gewaltigen Kräfte der Selbstheit sich in ihm [163] ausbilden, aber nicht unterdrückt werden. Sollte der Vater den Weg der Natur in ihm nicht anerkennen wollen? – Dann aber ist die Menschheit Mann geworden. Herz und Seele und den Gesamtgeist der Menschheit hat der Staat selbst aber aus der Geschichte herauszubilden, und das ist der Staat als Heros! – Hiermit tritt er zugleich ins Zentrum zurück und wird Herr der gesamten Peripherie. –

Bürgermeister. Mensch ist der Staat? – Mutter, Vater! – Dann endlich Herz und Seele regiert vom Gesamtgeist, der ein Heros ist und ins Zentrum zurücktritt und Herr wird der gesamten Peripherie! – Ei, wo bleibt der Landesvater? –

Fr. Rat. Ja! wo bleibt der, wenn er nicht rasch der Zukunft in die Mähne greift und kühn sich ihr in den Nacken schwingt, und unter jauchzendem Zuruf der Menge den atabyrischen Gipfel erreicht, bekanntlich der Siegesgipfel der olympischen Renner! – Wenn er von diesem Höhenpunkt aus nicht herrscht, tief im Herzen die Weisheit, mit gradem Schritt daher tritt, die gerechte Seele voll Redlichkeit, daß Bürger und Freunde mit Ehrfurcht und Gunst und vaterlandliebender Wonne ihn umschwärmt. – Wo bleibt er? – Mich ängstigt's selbst! – Wo bleibt er, wenn er nicht Genius der Menschheit wird? – Das heißt vollziehendes Prinzip ihrer Ansprüche! – Der Staat hat dieselbe Willkür, dieselbe Gewissensstimme für Gutes und Böses wie der Christ, doch die verkrümelt sich in den Rechthabereien der Staatsdiener gegeneinander. – Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen! – Der Beweis, daß er sich als Mensch an der Menschheit versündigt. Die ihn dahin bewegen zur Willkür, die alten Staatsphilister, die sind auch seine Krankheit. Die sich aber dieser Willkür nicht fügen und nicht durch die seelenbeengenden Verhältnisse sich durchwinden können, das sind die Demagogen, an denen versündigt sich dieser ungesunde Staat, weil er ihre gesunden Kräfte nicht in Harmonie zu bringen weiß. Und grade denen muß er sich widmen, weil sie seine Ergänzung sind und seine Wiederherstellung, während die andern, die sich ihm fügen, ihn in sich versunkner und stocken machen!

Bürgermeister. Der Regierung dürften, die unter ihrem Schutz aufkommen, den Daumen aufs Aug setzen? – Sie soll's für eigne Krankheit halten, daß nicht diese widerspenstigen Kräfte ihr im Schoß wurzeln? Nein, wollten diese nicht zahm werden, so mußte ihr eignes Verhängnis sie züchtigen, und das hat der Staat nicht verschuldet.

Fr. Rat. Würde ein Gott sich kränken über diese Verkehrtheiten? – Nun, warum willst du nicht Gott sein? – so denkt der tapfere Erdenbürger bei den Beschlüssen eures Aberwitzes und freut sich, durch Leiden oder Handlen mitzuhelfen an der Wirksamkeit der Zeit. Laß die Großen zu regieren wähnen! Ein Wahn trennt allemal die vom eignen Willen, die vom freien Geist sich nicht regieren lassen! – Es ist des Staates Untergang, denn er verhindert alle Selbsthülfe, alle Hülfe untereinander! – Einmal wird der Geist sie überwinden und die Staubwolken ihres Tuns verwehen.

[164] Der freie Geist verläßt mutig um der Zukunft willen frühere Satzungen. Drum ist dem Geist Gesetz und Religion die Freiheit. Das ist göttlich, das andre ist sklavisch. Wär der Staat nicht Sklave, so wär er nicht Tyrann, der niedrigste Sklave. – »Glaub, oder du mußt sterben des ewigen Todes! – Glaub, oder du bist des Teufels!« – Was soll ich aber glauben? – »Eben, daß du verdammt seist, wenn du nicht glaubst.« – Wenn ich aber nicht glaub an das eine, so brauch ich auch nicht zu glauben an das andre, so kann ich den Teufel auch mit Gott in die Flucht schlagen! –

Pfarrer. Ihre Ansichten sind eine Verwirrung von Regent, Staat und Religion, es stimmt weder mit moralischen noch politischen Zwecken überein.

Fr. Rat. Nimm alle Mißverständnisse auf dich! Was mißlingt, schieb nicht auf andre, was sie leugnen, schiebe ihnen nicht zu, was sie fordern, das lasse deine Weisheit ihnen darbieten; sie können nichts begehren, als was ihnen heilsam und notwendig ist, ihre Bedürfnisse sind der Brunnen, aus dem du deine Macht schöpfest, die Zauberkraft, mit der du deine eigne Größe erzeugst. – Das ist Staateswirken, das ist Religion, das ist Herrschergeist – der mutig und weise das Erhabenste leistet, was Menschen an einen Menschen fordern können. –

Bürgermeister. Der rechtschaffne Staatsbürger kann diese Kuriosas nicht beglaubigen, er muß nach Grundsätzen handlen und kann von diesen zugunsten einer neuen Moral und neuen Götterlehre nicht abgehen! –

Fr. Rat. Auf welcher Basis ruhen diese Grundsätze? Wenn ihr die Wiedervergeltung als Palladium der Justitia aufrichtet, wie soll euch vergolten werden für den Stumpfsinn, die euch überlaßnen Erdensöhne ganz des Teufels werden zu lassen mit Blauholzraspeln, Wollespinnen, Teppichweben, Holzschuheschneiden nebst hoffnungslosem Schweigen und Einsamkeit? Sollten die nach moralischer und philosophischer Überzeugung ungerechten Urteile die Wiedervergeltung abbüßen, wer müßte da alles Teppiche weben und Holzschuhe schneiden!

Bürgermeister. Ich bemerke, daß jene abgestumpfte Verbrechernaturen gar leicht in solche mechanische Beschäftigungen sich finden, ja oft mit Leidenschaft daran hängen, vielleicht um über ihre Lage sich zu betäuben, was studierte Männer, die auf den Geist des Weltalls einwirken, nicht vertragen würden mit so entwickeltem, praktischem Sinn.

Fr. Rat. Nicht entwickelt, verwickelt ist dieser praktische Sinn und eingesponnen in die beschränkteste Gesetzesdespotie, weswegen er auf ebensoviel Nachsicht Anspruch hat als die Verbrecher selbst! –

Bürgermeister. Nun wohl, so ist dem ungebildeten Verbrecher leicht zu ertragen, was dem gebildeten, wenn auch nach hergebrachten Gesetzen fehlgehenden Richter Höllenqual sein würde! –

Fr. Rat. Was dem Richter Höllenpein sein würde, das verhängt er über den Verbrecher! – Wollten doch die christlichen Maxime, für die so viel Lanzen gebrochen werden, auch einmal unter Gewehr treten! – »Tue [165] deinem Nächsten wir dir selbst!« – In der Gesamtheit Schoß müßten dann die verwilderten Kräfte fruchtbar werden. Sie sagen, der Verbrecher hänge mit Leidenschaft an seinem elenden Tagwerke. – Öffnet euch das nicht die Sinne? – Hier, wo das geringste zerstreuende Mittel die brennenden Wunden verharrscht, die eure irrende Rechtsgewalt mitleidlos und gedankenlos ihnen schlug, sollte da euch nicht einleuchten, wie unsinnig euer Weg ist? Aber auch für euch ist ein Religionstrost, ›ihr wisset nicht, was ihr tut!‹ – Aber der Mantel der Ignoranz darf nicht ferner eure Blößen decken, jeder Verbrecher hat das Recht, Prozeß gegen den Staat zu führen. Wär ich Advokat, ich wollte ihm heiß machen. Eines ursprünglichen Fehlers, aus dem alles Übel erfolgt, ist er zu überzeugen!

Bürgermeister. Dem Staat heiß machen, das klingt närrisch! Wo ein Vorwurf des Unrechts ist, muß ein Beweis des Rechts sein, es muß ein Weg sein, das versäumte Recht einzubringen, wie ist das zu bewirken?

Fr. Rat. Der ganze Staat muß beritten gemacht werden! kein lahmer Gaul? alles tüchtige Traber! – kein besoffner Husar, der nicht zu Hause ist, allesamt Husaren fortwährend im Sattel, selbst wenn es schon neun Uhr vorbei ist, bis zur Morgensonne dem Verbrechen im Nacken sitzend, und nicht dem aus Nachlässigkeit siebenzehn Stunden Vorsprung geben und nicht den Herrn Chirurg durch Rasierung der Staatshärte, Schröpfen, Frisieren und dergleichen abhalten, dem verwundeten Geist der Menschheit noch Hülfe zu leisten. Der ganze Staat muß und hat nichts anders zu tun als den Verbrecher zu retten und seine Heilung zu bewirken, das ist meine neue Moral, und meine neuen Götter werden dazu ihren Segen geben! –

Bürgermeister. Wie? Der Staat habe keine andre Verpflichtung als bloß der Verpfleger rettungsloser Kranker zu sein? – Das klappt nicht. Von jeher hat der gesunde Staat des kranken Stoffes sich entledigt, aber nicht sich damit gemischt. So ökonomisch braucht er nicht mit seinen Säften zu sein. Die Räuberäste ohne Zagen abgeschnitten, damit die andern blühen. – Man erbebe nicht über des Staates Härte, seine Moral, seine Politik und Religion weisen ihn darauf an; man beschuldige ihn keiner Gefühllosigkeit, sein Mitgefühl sträubt sich dagegen, aber seine Erfahrung findet nur in dieser Strenge Heil! – Es gibt Krankheiten, in welchen nur drastische Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als solche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krankheit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder längerem Siechtum unterliegen machen!

Fr. Rat. Wenn Sie den Tod als drastisches Mittel anwenden, wie ist da zu heilen? – Gestehen Sie lieber, der Staat sei selbst zu malade, um dem Verbrechen zuvorzukommen, obschon das auch nur kranke Einbildung ist. Aus gänzlichem Mangel an Energie, was das Hauptsymptom seiner Krankheit ist, streckt er alle Viere von sich, und wir versinken in diesem Krankheitssumpf! – Trauriges Los! Armer Verbrecher, du mußt zuerst dran, weil alle Energie noch in dir steckt, aus der der Lebensstoff, der [166] gesundmachende, wieder aufkeime, so ist dein Los, daß du zuvörderst dieser Krankheit zum Opfer fallest, die nichts Energisches verträgt.

Bürgermeister. Wie wollen Sie doch diese Krankheit dem Staat andichten in seinen edelsten Anstrengungen, gerecht und billig zu sein! –

Fr. Rat. Gerecht und billig! – Da er krank ist, wär's zu viel verlangt, es geht über unsre Kultur hinaus, gibt es doch nicht zwei Freunde im Staat, die in Tat und Urteil gerecht und billig einander sind. Ach, ihr Verbrecher! – letzter Lebensfunke! letzte Hoffnung dieses maladen Staates, könnte ich Mittel finden, eure Kraft in ihn hinüberzupumpen, der zu nichts zu bringen ist mehr als einen lamechten Gaul und einen Husaren, der nicht zu Hause ist, an euch zu wenden. – Wenn diesem ursprünglichen Verbrecher, diesem maladen Staat das Gewissen erwacht, so greift der arme Kranke zu den Prinzipien der Welterfahrung, kann er sich damit durchreißen, so ist keine Räson mehr in ihn zu bringen, er wird bei jedem Gewissensschmerz nach diesem Opiat greifen! – Dies einzige wäre zu versuchen, wenn man ihn bewegen könnte, den großen Karpfenteich der Wissenschaft den Verbrechern zu öffnen. – Gefangen würden sie nicht zaudern, den einzigen Ausgang zu wählen; – ihre angeborne Energie, ihre noch ungebrochne Naturkräfte, ihr starkes Organ für Naturrecht, ihr von Vorurteilen und selbstsüchtiger Politik noch nicht gebeugter und geknebelter Geist würde vielleicht in der Wissenschaft, namentlich in der spekulativen, die Gesundheitskrise des Staates vorbereiten; ihr Scharfsinn, ihre ungebändigte Sinnenkraft und Ausdauer, die nicht Tag noch Nacht ermüden – wie könnten die neues feuriges Blut dem veralteten Sündenstaat einströmen! Und auch dem Schwert der Gerechtigkeit wär damit Genüge geleistet, denn durch eine neue sittliche Auferstehung in der Wissenschaft waren sie von ihrem moralischen Tod geschieden, sie würden zu einem neuen Leben erwachen, sie würden selbst sich nicht mehr als Verbrecher anerkennen und würden am End mit Ruhm bedeckt hervorragen.

Pfarrer. Wie? – was? – wie meinen Sie das? – die Verbrecher sollten sich der Wissenschaften bemächtigen, um durch sie sich aus der Versunkenheit zu retten? –

Fr. Rat. Was ist da zu verwundern? –

Pfarrer. Wo bleiben unsre große Gelehrte? sollen sie in diesem Kloak oder Karpfenteich mit denen herumschwimmen? –

Fr. Rat. Nun ja, als bemooste Häupter dieser Burschenschaft! als freie Lehrer in einem gemeinschaftlichen Interesse der Welterlösung durch sie! – Sehet hier aus der Wiege des Geistes eine neue Blütenknospe aufsteigend zur Freude der Mutter der Menschheit! – sehet das erste Kind der Wissenschaft, der Kunst! in ihr erholt sich die gesunkne, die verirrte Kraft und wird Mensch! – Der Mensch ist aber ein Gott, sobald er Mensch ist, und als Gott ist er wunderbar schön! –

Pfarrer. Gott sei der Mensch! ich hab ihn nie begegnet als solchen; ich [167] hab ihn auf Irrwegen getroffen! Körper, Seele und Geist mit Schwächen kämpfend, aber nicht sie überwindend!

Fr. Rat. Ich auch hab noch keinen Menschen begegnet. Noch hat der Liebeskeim zwischen Natur und Geist sich nicht zum Menschen entwickelt. Aber wir können und sollen Mensch werden! und für den maladen Staat selbst ist's der einzige Weg der Rettung, den Menschen in ihm gedeihen zu lassen.

Pfarrer. Aber die Wissenschaften, wie können die in die rohe Natur hineingebildet werden, wie sollen sie zum Refugium der Verbrecher dienen, wie können ihre Priester mit denen Umgang pflegen, mit ihnen zusammen das Heiligtum verwalten? Unmöglich! unmöglich! zu viel Selbstverleugnung wär das! – Ein Weltumsegler des Geistes! – soll einen korrespondierenden Punkt haben auf seiner Bahn der Wissenschaft mit einem Wesen, das nicht einmal den reinen Instinkt mehr hat der Natur, weder Stein noch Pflanze noch Tier ist, sondern versunkener Verbrecher! – sollte zum Beispiel denen ein Julius Müller Kolleg lesen über die Sünde, über den zweiten Erlöser der Welt! – ein Tholuck über die Glaubwürdigkeit der Evangelien? – ein Dahlmann über Politik – ein Fichte, einWeiße über Ästhetik, ein Delbrück über Platos hohe Ideale, ein Gabler als gründlicher Psycholog, einCreuzer Philologie, ein Trendelenburg, ein Werder Logik, denn es müßten doch auch streitende Parteien sein, ein Encke Astronomie! Bessel seine Kometenberechnung, und ein Ranke müßte durch die ganze Geschichte zwischen den Nachbarschaften der Revolutionen hindurchschlüpfen, dem Ideenparadies solcher Verbrecher, wie natürlich einem Schinderhannes, einem schwarzen Peter, einem Seppel und Eichelmeier gegenüber! – Und zuletzt Zumpt, die lateinische Grammatik, wie würden die Verbrecher das Latein kauen?

Bürgermeister. Je! je, je! Was würden die Herren sagen, sollten sie auf der Verbrecheruniversität angestellt werden!

Fr. Rat. Einen weiß ich, dessen helles geistiges Auge die Zeiten durchspähet, das ist der Jacob Grimm, der auch in der Buchstabenlehre der Wissenschaft das Bedeutende hervorhebt, aus den seltsamen vorüberstreichenden Erscheinungen das Richtige herausfühlt. – Mit aller Liebe und Kindlichkeit nebst dem deutlichsten Verstand und dem ruhigsten Sinn würde der die Leidenschaften dieser Verbrechernation an das Band des Geistes knüpfen. Nur der Geist kann zwingen, nur ein Geist läßt sich zwingen. Gäb's eine Geisteschemie, um die krankhafte Mischung geistiger Elemente im Verbrechercharakter zu zersetzen! Der Zustand, in dem das Verbrechen sich bildet, ist Krankheitsbildung.

Pfarrer. Sie meinen, das Verfahren gegen den Verbrecher müsse eine chemische Zersetzung des Krankheitsstoffes sein; – das Gesetz selbst müßte der chemische Prozeß sein? – und die Strafanstalt eine Heilanstalt!

Fr. Rat. Durch Licht den Geistesphosphor oxydieren, sein Quecksilber absondern. [168] Das Geisteslicht als chemisches Agens wirkend, wodurch das Medium, die Wissenschaft, nur erleuchtet zu sein braucht, um den leidenschaftlichen Stoff zu zersetzen in Pottasche, in Kohlenstoffgas, Kohlenleber, in übersaure Kohlensäure, eigentlich Diamantsäure, wie denn alles Leidenschaftliche Diamantstoff ist im Verbrecher. – Mut – Diamanture de fer, Heftigkeit, Diamanture de cuivre. Vieles wird als Knallgas sich entwickeln, vieles in Träumen als Seelengebilde sich niederschlagen, in denen sie ihr Ideal gewahrte.

Bürgermeister. Zu steil ist mir dieser Pfad ganz ungekannter Höhen, ich kann Ihnen nicht nachklettern.

Fr. Rat. Dem Verbrecher kann nur ein Leben gedeihen, dessen Besitz ihm niemand streitig mache, in dem allein alles sein gehöre, in dem er alles hervorbringe; ein Stoff des tiefen Nachsinnens, und zwar von nur erhabner Wirkung. – Statt eurer hoffnungslosen einsamen Einsperrungen laßt sie ein phantastisch Reich betreten des schaffenden Genusses, vielleicht führt dieser Weg zur Quelle der Magie, wo sie Dichter, Schöpfer, Künstler, Genien werden.

Pfarrer. Das können sie nur im Traum werden!

Fr. Rat. Im Wachsen fesselt oft der bleierne Schlaf Seelenreize, die im Traume wach werden und Wirkungen des Erhabenen hervorbringen. Naturszenen, wie sie die Wirklichkeit nicht erlebt, bilden sich im Traum, Höhen und Fernen seltsam erleuchtet, rinnende Bäche, säuselnde Luft, rauschende Wässer, so einsam, düster und still, in denen führt die Seele, die Schöpferin dieser Gebilde, ein unbegreifliches Leben. Alle Künste dienen ihrem Reiz, zu schaffen, auf herrlichen Anhöhen stellt sie gigantische Prachtgebäude auf, die reinsten Verhältnisse mit überraschender Kühnheit der Erfindung. Die Seele beschaut staunend ihr eignes Werk im Traum, Gesang und Saitenspiel, große Werke der Harmonie lockt sie zauberisch aus sich hervor, nimmt sie dann wieder auf mit bewegten Sinnen, wie Alexander der Große ist sie ganz göttlich im Traum! Vermag nun auch der Verbrecher im Träumen sich über sein schwer Geschick zu erheben, vollendet ein ihm innewohnendes Wesen das Erlösungswerk, das ihn höher empfinden lehrt, solange der Schlaf dauert, wie sollte es nicht in unserer Macht stehen, den Verbrecher aus der Hölle des Bewußtseins zu erlösen? Warum nicht durch Wissenschaften, Künste, durch alles, was die Sinne in ein Zauberreich des Selbstschaffens führt, ihn mit seinem Selbst vertrauter machen, in den echten Besitz seines Ichs setzen, von dem er dann erst Rechenschaft zu geben vermag? Wer ist mein gerechter Richter als nur mein Gewissen? Das nur ist der Retter, der Erlöser, niemalen ein anderer Richter! –

Pfarrer. Sie führen in Labyrinthe und blenden den Begriff, der sich Licht schaffen möchte, und die Wirklichkeit macht uns schwindlen, so tief liegt sie uns vor den Füßen.

Bürgermeister. Ich bewundere, wie der Herr Pfarrer über alle theologische [169] Anlagen hinaus Ihnen nachsetzt auf steilen Höhen, wo mir schwindelt, hinaufzuschauen.

Fr. Rat. Meine Weisheit wird Sie beide nicht schwindeln machen, mein Auge sieht nur, was der Blick beachtet, man vernimmt ja auch nur, was man wirklich versteht. Es kann noch unendlich viel da sein, was wir nicht hören und nicht sehen, weil wir's nicht verstehen; aber man kann wissen, fühlen, daß man nicht alles sieht und hört. So klagen die Weisen und Patrioten, daß die Großen der Welt ihre Zeit nicht verstehen; sie vergessen aber, daß die von allgemeinen Weltbeziehungen keine Ahnung haben und vom bleiernen Schlaf des Zutrauens befallen sind, dies alles sei in ihrer Macht, und es ist auch eine Macht in ihnen, eine größere schlafbefangene, die sie nicht zu regieren vermögen, weil sie sie nicht verstehen.

Bürgermeister. Wer steht auf dem Posten, wo er den festen Überblick habe aller Bewegungen und ihrer Grundursachen? Die Geschicke aus der Ordnung der Dinge bekämpfen, das ist dem Staatsmann Kompaß und Steuer.

Fr. Rat. Der Posten des Überblicks ist das Volk, es begreift seine Dichter und Philosophen und hat also den Begriff seiner Zeit. Es ist der Pol, der die schaudervolle leer – erhabne Bildung abstößt, wo das Herz nichts fühlt, weil der Geist nichts umfaßt.

Bürgermeister. Tun Sie den Staatsmännern und Fürsten nicht unrecht, die es fest im Auge haben, den moralischen Übeln der Zeit zu steuern.

Pfarrer. Sie werden doch nicht mit dem Leer – erhabenen die Kirche meinen, die einfache patriarchalische Bewaltung der Völkerherden.

Fr. Rat. Nein, ich meine China mit seiner unendlichen Examinationsweisheit, mit seinen Avancements der geheimen Räte, mit seinen Titel und Orden, mit seiner väterlichen Regierung, das heißt polizeilicher, die aber aus lauter väterlichen Ermahnungen besteht, alles durch Edikte abmacht, unendliche Gesetze hat, woraus unfaßliche Seelenleiden, Geisteszermalmung und Herzzerknirschungen hervorgehen, die alle moralische Kraft zerstören.

Bürgermeister. Wo hat aber das Volk je seine Zeit begriffen? – es würde ja ohne Leitung sich selbst vernichten! –

Fr. Rat. Es bildet seine Helden und Götter! –

Pfarrer. Schöne erhabne Dichtungen, aber nicht praktischer Verstand. – Bürgermeister. Und man müßte einen ehernen Mut haben, den Kampf mit ihm zu bestehen, es würde sich bäumen gegen alles Bestehende.

Fr. Rat. Ein mutig Roß, das wiehert und Feuer aus den Nüstern sprüht, wenn die Trompete ruft, leicht in den Streit dahintanzt, weder Charakter noch Denkweise aufopfert, ja, sie nicht einmal verbirgt, wer es zu regieren weiß, den nenn ich Fürst, der kann stolz auf seinen errungenen Lorbeern ruhen, denn er hat mehr als Schlachten gewonnen. –

Bürgermeister. Das Exentrische! führt zu nichts! – der Weltmann kann's nicht respektieren. Wer sich damit schleppt, beweist schon, daß er zum Praktischen nicht berechtigt sei! –

[170] Fr. Rat. Was Sie exzentrisch nennen, ist Naturgenie, es erzeugt das Praktische und führt es durch, wo Gespenster Reißaus nehmen, weil sie Geister wittern, entwickelt es die wunderartige Fähigkeit, mit Geistern zu verhandeln. Es ist ordnender Künstler in allen verwirrten Erscheinungen, es ist Naturforscher und vermag's, die Leidenschaften mit ihren Wirkungen in seinem Laboratorium zu zersetzen.

Bürgermeister. Sie kehren ins chemische Laboratorium zu Ihren Verbrechern zurück! –

Fr. Rat. Das Volk würde mich in meinen Strebungen verstehen, denn es fühlt sich selbst im Verbrecher! –

Bürgermeister. So! – Es kann sein! ich mein es auch! Aber ist das zu seinem Ruhme?

Fr. Rat. Sprechen Sie sich nicht selbst das Urteil, daß Sie sich in ihm nicht fühlen und doch ihn verurteilen.

Bürgermeister. Wär dem so, dann würde ich nie ihn verurteilen, denn man wird sich nicht selbst Recht sprechen.

Fr. Rat. Und doch ist jed Urteil ungerecht, das nicht aus diesem Begriff hervorgeht. Der Richter muß sein eignes Selbst im Verbrecher fühlen, er muß die Möglichkeit ahnen, die Willensstärke erwägen, sich selbst zu retten und die Mittel dazu erforschen. – Naturgesetz, Naturrecht – wie viel tiefer geht es doch, wie innig schließt es sich an Geist und Herz, wie nährt es die Seele, wie strömt es fortwährend Mitgefühl, das heißt schaffendes Leben. Da gehört der Geist nicht einem, von dem er ausgehe, nein allen, die ihn trinken wie die Luft, wie den Tau, wie das Licht und die Nahrung der Erde. Wer das Naturgesetz versteht, der ist kühn, er fühlt sich im Verbrecher – – Sie zucken die Achseln? – Ich fühl mich im Verbrecher, ich will mit meinem Naturgenie vortreten, und der Regent wird mich verstehen und wird eingehen auf wasdie Welt umwälzen wird, und das ist grade die höchste Zeit jetzt.

Bürgermeister. Nur im Regenten irren Sie, ihm wird's so wenig einleuchten, als daß die Seele ein konsonierender Ton der Unsterblichkeit sei, was Sie letzt öffentlich behauptet haben. Wenn das Naturgeist ist, so werden wir nicht daraus klug.

Fr. Rat. Ist das Ihr Urteil über einen so erhabenen Begriff? – er ist nicht von mir! – – Ich aber werde nicht klug aus eurer Staatsklugheit, die an ihren Sätzen und Gesetzen durchaus keinen Zweifel zugibt und der Armut im Geist ihre verschmitzte Lügen aufbürdet. – Ach, der einfache Sinn des Volkes muß die Großmut des Herrschers – muß seinen Geist regieren. – Er muß empfinden, daß der reiner dastehe, der im Verbrecher sich selbst begreift, während jene, die sich dünken, gar nichts mit ihm gemein zu haben, wohl geistig viel unbefähigter sind, sich von ihrer verbrecherischen Begrifflosigkeit zur Vernunft herauf zu schwingen.

Bürgermeister. Ein Regent soll sich im Verbrecher fühlen! – O, Übermut eines weiblichen Kopfs.

[171] Pfarrer. Ihre Weltumwälzung geht von so seltsamen Axiomen aus, als nähmen Sie keine Rücksicht auf die Achse, um die sich diese Welt herumwälzt!

Fr. Rat. Das ist eben die Naturpolitik, daß sie von einem eurer Politik ganz unscheinbaren Grund ausgehe. Kein Russe, kein Österreicher, kein Franzose noch Türke werden darin etwas sehen, daß ich mein Verbrechersystem auf einen andern Fuß setze. – Aber siehe da! der Wahrheit Licht fand eine Spalte, wo sie durchdringe: Und es ward Licht!

Bürgermeister. Das sind ja die erstaunlichsten Dinge, die Sie uns vorprophezeien? –

Pfarrer. Mir fällt der Sturz der Engel ein, die gegen ihren Schöpfer im Anfang der Zeit waren aufrührerisch geworden und die er doch gleich niederduckte, so wie es seiner Allmacht geziemte. Sie aber meinen, Gott habe müssen denen schmeicheln, daß sie doch die Unart, ihm so auf dem Nacken zu hocken und über ihn hinaus zu gucken, nicht zu weit treiben! –

Fr. Rat. Mit so gewaltigen Uranfängen göttlicher Despotie wollen Sie mich verwirren! – So wie aber die Welten nicht gegeneinander prallen, sondern gewaltig und hehr in sanften Bahnen einander umlaufen, ebenso umlaufen sich die geistigen Prinzipien auch in einzelnen Begriffen der Welterscheinungen. Alles einzelne ist nur begriffen durch allumfassenden Geist! – Ich fühle, daß große philosophische Geheimnisse die Beweggründe sind dieser Begriffe; – daß die Wahrheit hervortritt ganz geharnischt, die bis jetzt noch immer durch den Neid, den Unsinn und die daraus entspringende Härte unterdrückt war! – Ja! Keiner hat vor dem Verbrecher etwas voraus, der in ihm nicht die Seelenflamme, das Vernunftwesen anfacht, das heißt, im Überwinden des Wahnsinns – der Verwünschungsbedingung – ihn dem Göttlichen versöhnt; hatte etwa der Gott ein besseres Material, dem seinen Odem einzublasen? – War ihm der Mensch gut genug? und haftet im Verbrecher etwa nicht der Hauch Gottes und kann der anders sich bewähren, als indem er göttlich mache? – Welche Bedeutung hat die Kunst, die Wissenschaft? – Wenn sie nicht frei macht, was gebunden ist? – – Musik allgemeine Weltsprache! – warum fragt ihr nicht in dieser sein Herz, seinen Geist? – Er würde tiefer antworten, für euch belehrender! – Musik! Trieb, den versunkenen Lebensgeist aus dem Wahnsinn zu wecken! – Bedenkt, Menschen! – Es ist ja nur ein Verneinen, das Böse! – fragt ihn doch, so daß er müsse mit Ja antworten, so habt ihr ihn gerettet.

Pfarrer. Was soll er bejahen? – den Gott leugnet er; sein Ja ist ein Stoßseufzer, den die Not ihm abdringt; sonst würde er Gott einen guten Mann sein lassen.

Fr. Rat. Lieber Herr Pfarrer, beseitigen Sie Ihr goldenes Kalb! und verlangen nicht, daß er da und grade unter dieser Form solle anbeten! – Warum wollen Sie denn absolut, daß der Gott mit ihm hebräisch spreche?[172] – und nicht, wie ich verlange, durch die Wissenschaft, durch die Kunst? – Meinen Sie, das wär Gebet, was Sie und der Herr Kaplan allsonntäglich der Gemeinde vorlangweilen? – Meinen Sie, es wär keine tiefere Sprache, die man mit Gott führt? –

Bürgermeister. Alles, was ich da herausbuchstabiere, ist, daß Sie meinen, dem Unmut der Verbrecher mit einem Konzert unter die Arme zu greifen! –

Fr. Rat. Was ist Wissenschaft anders als Sprache mit Gott. – Musik! – Kunst! – tiefeindringendes Geniusvertrauen in göttliche Kräfte! – Gebet, dem kein Teufel widerstehen mag? – prallt auch ein wissenschaftlicher Teufel mit Gott zusammen, daß es kracht, nun, er rückt sich wieder zurecht und fährt fort in seinem kühnen Experimentieren! – Und ich wüßte nun nicht, was ihr vor dem Verbrecher voraus hättet im Begriff wie in der Phantasie! – Der Verbrecher würde vielleicht energisch der Fesseln sich entledigen, – das heißt frei werden im Felde der Wissenschaften, wo ihr mit gebundenen Sinnen dem alten Ritus folgt. – Kann man sie nun ihrer Natur nach geistigerweise da hinüberschiffen, so wird ein ganz ander Regiment. Die Zweifel, die der Wogengang der Energie sind, heben sich als kräftige Prätendenten dem Usurpator gegenüber! –

Pfarrer. Zweifel? – Gegenüber wem? – Über was? – Wollen Sie dazu den Verbrecher in die Lehre der Wissenschaften nehmen, um seinen Geist mit Zweifeln auszufüllen; mit denen das bestehende Dogma, den Fels der Kirche zu bombardieren?

Fr. Rat. Der Gott, der das All geschaffen und sich selbst dazu, wird nicht in seiner Ewigkeit erschüttert. Wer ein guter Schütze werden will, muß versuchen, zu treffen! – Im Menschen gelten alle Charaktere, sie gehen in ein neues Element über, in das der Schöpfung! – der Charakter erschafft sich; – was in sich nicht geschaffen ist, das ist Verbrechen. So, durch Geist – wird das, was noch ungebändigte Sinnenwut war, Geschöpf – vollkommen in sich organisiertes – und lernt sich fassen, das heißt seiner Kräfte harmonisch sich bedienen, – das heißt Rechenschaft von sich geben – das heißt: wirklich Mensch werden! – Was ist der Verbrecher? – Die Sinnenkräfte überwältigen in ihm die sittliche Natur, die von selbst sich dem Geist unterwirft. Die Sinnenkräfte sind stärker und hemmen dies edle Regiment, – sind wir deswegen berechtigt, eine so im Kampf begriffne Natur zum Teufel oder aus dem sinnlichen Reich der Schöpfung zu verbannen? – Stehen denn wir im vollkommenen Gleichgewicht unserer innern Regungen? – oder ist vielmehr das höhere Besinnen ganz taub in uns? – Ist dieser ineinander wirkenden Mächte, der Seele, des Leibes und des Geistes, – ein einzig harmonisches Erzeugnis in uns, dessen wir uns rühmen könnten? – Was haben wir Großes vollendet, dieser Lebensbewegungen würdig? – Trauer und Freude und sonst Regungen des Geistes und des Herzens, sind sie so, daß ihre reinen und ungetrübten Empfindungen Zeugnis geben für die Keuschheit oder Unschuld unserer[173] Natur? – oder für das Feuer unseres Geistes, oder für die Hingebung der Seele? – Sind es Leidenschaften, ist es Begrifflosigkeit, ist es totaler Wahnsinn selbstischer Befangenheit, die in uns wühlen, wenn wir mit den Begriffen der Menschheitsrechte aufs grausamste uns herumstreiten, den innern Frieden daran setzen, sie zu leugnen? – Wie läßt dies Rätsel sich lösen, daß das Geschöpf harmonisch geordneter Kräfte nicht wird und nur Schimäre ist? – Daß es ein sittliches Dasein lügt, vorstellt, aber nicht wirklich ist, daß es die Tugend fingiert, daß es die Vernunft widersacht, die Gefühle verbildet, leugnet oder lügt so wie alles! – Deutlicher ausgesprochen: – Morden wir nicht, und rauben und plündern und verleumden? und verderben die Menschheit, sittlicherweise schuldvoller wie jene Verbrecher, weil wir für einen gelogenen Ausdruck den reinen Ausdruck der Natur leugnen, und wer weiß, haben wir nur darum Verbrecher, weil sie nicht unter Tugendlarven zu wandeln verstehen, wer weiß, verachten sie deswegen die Religion, weil auch nur Larven die Stellen der echten Götterbilder im Heiligtum eingenommen haben. – – Und aber, wenn in uns die vollkommne, die idealische Natur nur als Keim sich entwickelte, so würden wir die kühnen Gedanken und Begriffe fassen, wodurch die Menschheit sich neu erzeugen könnte, aber nicht an unserm Urteil, an unserer Fassungskraft zu scheitern käme. Warum ist der Verbrecher nicht Tugendheld geworden? Weil er in die enge verschrobene Kultur seine breiteren Anlagen nicht einpferchen konnte! Ihr habt ja nur Maßstäbe, weil ihr vor dem Unermeßlichen euch fürchtet! Ihr habt gegenüber der Idealität eine Tugendfestung handwerksmäßig mit Nachdenken und Beweisführen euch gebaut und macht aus dieser heraus den Prozeß der feldflüchtigen vogelfreien Menschheit. Was habt ihr aus diesem Sitz der Beschränktheit schon für Dekrete erlassen? – Wie habt ihr die Natur verfolgt, weil sie in euer System nicht paßt. Für euch ist ein Etwas nicht, was dem Verbrecher als wuchernder Reiz einverleibt ist, das sich Luft macht unter Bedingungen, durch die es zum Verbrechen wird. Wären diese Bedingungen nicht, so würde es vielleicht der wirkende Reiz der Begeistrung fürs Unendliche sein, an das ihr euren Maßstab nicht anlegt. – Verstehen Sie mich? – Nein! – Natürlich, denn Sie stehen mitten in dieser bewußtlosen Bewußtheit einer angemeßnen Tugend!

Pfarrer. Blieben Sie doch nur ein klein bißchen bei der Wirklichkeit, bei der Möglichkeit nämlich, Ihre weite noch nie und nirgend gefaßte Anschauung zu realisieren.

Fr. Rat. Was denken Sie? – Nicht zu realisieren wären meine Anschauungen! sie müssen realisiert werden, sowie ihr einen Funken dieser Wahrheitsflamme nur auffangt. Entweder ihr habt den Keim der Menschheit nicht in euch, oder ihr müßt diesen Keim schützen, so verwildert er auch sei. Zum Ausreuten habt ihr kein Recht; und eure verfeinerte Kultur, eure philosophischen Begriffe sind die tiefste Lüge, wenn ihr wagt, dem Menschen, dem die ganze Welt gehört, das Dasein auf dieser abzuschneiden. [174] Zur Bildung der Erde sind wir berufen, und der Beruf läßt sich immer realisieren.

Pfarrer. Wie wollten Sie nun eine Lehranstalt oder Verbrecheruniversität organisieren? –

Fr. Rat. Nichts leichter als das! – Wie man einen Karpfenteich abläßt durch einen Abzugsgraben in einen weiteren größeren See, so läßt man die Verbrecher überschwippen in die vollgepumpten Anstalten von Lehrstühlen, Musensitze, Zenosgänge und sonstige klassischen Böden, statt nur mit Predigten von der ungenießbarsten Tautologie gefüttert zu werden. Ein geschwätzig Weib erzählt alles dreimal, aber die geschwätzige Theologie schwätzt ohne Aufhören dasselbe, bei welchem Schwätzfieber sie aus allen Schweißlöchern Vokale dazu ausschwitzt, was kann davon ein gesunder Verbrecher inspiriert werden! –

Bürgermeister. Was Sie sich ausgeheckt haben, Sie wollen die Verbrecher zu großen Gelehrten umbilden! wenn ich's recht verstehe! – Aber wie ist's möglich! wo nimmt der Staat die Kräfte her? – Er kann sich nicht ganz dafür verwenden. Er hat Pflichten, denen er obliegen muß, die ihn ganz in Anspruch nehmen, auch wenn diese idealischen Projekte nicht ganz Phantasma wären. – Was hat eine Staatsmacht für Verantwortungen!

Fr. Rat. Freilich, das Weltmeer würde dabei dem Regenten bis über die Knöchel laufen und seinen Königsmantel bespritzen! allein er bedenke doch, daß er auch der Säemann wär eines neuen Menschengeschlechts und durch diesen Coup einen erschütternden Schlag mit dem Regierzepter auf den Froschteich der Philister appliziert, um ihr Lärmen zu stillen. Und kein verfliegend Geschwätz würde die Unsterblichkeit dieses Regenten anfechten. – Der Ruhm zwar verdient keinen Ruhm; er lebt in sich, denn, was er tut, ist größer, als die Menge begreift. Wenn es aber wahr werden kann, daß einstens die Auserwählten unserer Geschlechter die Himmel bevölkern sollen, wie können wir da es wagen, nur einen Lebensfaden zu verkürzen, da nicht des einen allein, sondern auch seiner Nachkommen der Himmel beraubt würde. Was sind das für Großtaten, dem Armen von der Fülle des Übermaßes eine Brotsame fallen zu lassen, – und für den Geist, den verschüchterten, haben wir nichts! Und doch ist vielleicht der Verworfne unser nächster Nachbar, und doch ist's vielleicht zu unserer eignen Verständigung notwendig, daß alle Wesen, vielmehr noch alle Menschen in ihrer eignen Geistesnatur reifen. Die sieben Weisen unserer Zeiten, – vielleicht haben wir sie schon geköpft, vielleicht auch schon vier Evangelisten gehängt, und vielleicht behelfen wir uns nur mit dem Abhub der Geschlechter, und diese können keine Genien mehr hervorbringen. Wir haben nichts mehr als nur mürbe verloderte Lumpen von papiernem Adel! Wohin soll der einzelne sich retten, wenn er seinem Selbst bei den Geistern Hülfe sucht! Wenn der Freundschaftshunger ihn befällt? – Er muß ja verzweiflen, er findet ja unter euch allen keinen, [175] in dem er sein unsterblich Teil könnt pflegen! – Glaubt ihr, daß alle so zahm sind wie ihr? – Daß auch geistige und erhabne Forderungen oft den Menschen verwildern, grad weil er denen nicht genügen kann? – Nachher hat man gut die Unsterblichkeit leugnen, wenn man sie erst zerrüttet hat.

Pfarrer. Also Gottlob, sind wir doch endlich im Port der Unsterblichkeit angelangt; ich dachte immer, Sie würden diese leugnen.

Fr. Rat. In denen leugne ich sie, die danach handeln, als ob es keine gäbe. Es ward nicht erlebt, daß einer, der hinterm Ofen sitzengeblieben war und von einem neuen Weltteil sprach, ein Kolumbus ward und Amerika entdeckte.

Bürgermeister. Dieser eine Kolumbus war ein Abenteurer, es gelang ihm, Amerika zu entdecken. Es war eingeborner Trieb, er war fast toll geworden vor Angst, daß er jene außergewöhnliche Laufbahn der Gefahr nicht bestehen solle. Und so hat er sich hinein gewagt, was einem andern niemals einfallen konnte. Müßte ein jeder so ringen nach dem gelobten Lande der Unsterblichkeit, so würden viele Schiffbruch leiden oder gar darauf verzichten.

Fr. Rat. Eine Laufbahn der Gefahr nennen Sie, was zur Vollendung, zur Erweckung unserer Sinne die Natur als notwendige Seelen – und Geistesspeise uns so nah legt, wie im Ei dem Vogel, der sich durchpickt, die Eierschale schon Nahrung wird. Hier im Evangelium brütet sich der Geist für ein Himmelsklima aus, was natürlich ganz andrer Sinne bedarf als im Ei der Erde. Ist nun dem Evangelium die Aufopferung für den Feind Gebot, wie sollte der Staat nicht nur sich zumuten können, dem Verbrecher als seinem Feinde schon eine evangelische Schutzwehr zu sein, sondern ihm wohl zu tun, ihn zu retten, sogar in ihm und durch ihn sich selber reifen für jenes Klima der Unsterblichkeit. – Sehen Sie, Herr Bürgermeister! nicht so weit ist es von hinter Ihrem Ofen bis zu jenem abenteuerlichen Meer, seine Wogen schlagen an Ihrem Lehnsessel an. Das ganze Menschenleben ist die Brandung vom Meere der Unsterblichkeit. – Wer sich nicht darauf einschifft, der kann freilich nie erwarten, dies Abenteuer zu erleben.

Bürgermeister. Ja! aber vieler Mühen sind umsonst, und ihre Genialitäten leiden Schiffbruch, und die Gefahren, die ihnen den Hals brechen, beweisen den Vorwitz ihrer Wagnisse und daß der Frevel am Bestehenden sich immer rächt.

Fr. Rat. Der Gefahren achtet der geniale Schiffer nicht, er ist beseelt vom Eifer für das Göttliche. Und sollte auch das Bestehende darüber zugrunde gehen, so war das nicht der Unsterblichkeit geeignet. – Die lächerliche Angst ums Bestehende können nur die haben, die sich fürchten, auf dem Meer der Unsterblichkeit frei dahinzuschiffen, und nicht sich da zu Hause fühlen. Wer am Ufer ängstlich verharrt, der wird den Lebensgeist nicht fassen, er wird nur immer rumoren gegen die Lebensgewalt des Geistes.

[176] Bürgermeister. Die Verbrecher also wären die erste Schiffsladung auf diesem ominösen Unsterblichkeitsmeere, und noch dazu ungefesselt, ganz frei, Steuer und Ruder ihnen überlassen.

Fr. Rat. Künste, Wissenschaften sind das Freiheitsmeer des Geistes. In der Freiheit kann der Geist nicht untergehen, nicht verderben. Er muß sich selbst in ihr finden, Inspiration und Mitteilung sich selber sein.

Bürgermeister. Die Verbrecher können doch keine Welterlöser, keine Reformatoren werden. Was halten Sie von diesem Geschlecht der Gauner und Diebe, das schon mit der Geburt der Verschlagenheit Keim entwickelt, und dann seine gespannte Tätigkeit damit gleichsam zu allen gesetzwidrigen Streichen armiert.

Fr. Rat. Was ich von diesem Geschlecht halte? Nicht mehr als von den Sperlingen. Wären diese nicht getötet worden, weil sie Korndiebe waren, so wären die Engerlinge nicht gekommen, die dem Gras unterirdisch die Wurzeln abfraßen, und dann wären nicht so viel Maikäfer ausgekrochen, die das grüne Mailaub wegzehren, und dann hätten wir so keinen dürren Sommer ohne Laub und ohne Gras. Grade das halte ich von den Gaunern und Dieben, sie sind unter den Menschen nichts Ärgeres als Sperlinge. Diese munteren Vögel, die zu allem Wagnis aufgelegt sind, selbst ganz kühn dem Säemann in den Furchen nachhüpfen und die Saat wieder aufpicken, die er aus winterlicher Vorsorge ausstreut, sind zwar dem Korn schädlich, daß es vielleicht nicht so dicht steht, doch schnappen sie auch viel gefährlich Ungeziefer in der Luft weg; aber die Haar stehen einem doch nicht zu Berg über ihr gänzlich Verderbnis. – Einen Sperling zu einem andern Menschen machen, ist zwar eine Aufgabe, seine Natur ist hartnäckig, aber ängstigt euch nicht, alles Große gelingt dem Willen des Großen. Der nicht fühlt die Schwere der Schicksale, die er trägt, fühlt nur die Kraft, sie zu tragen. – Grade vor sieben Jahren überreichten Sie trefflicher Staatsmann mir am ersten Tag vom neuen Jahrhundert eine kleine Schrift, ob die Franzosen das Recht haben, die Revolution anzufangen, unterdessen war die schon zwölf Jahre vom Stapel gelaufen, und einholen hätte man sie nicht mehr können. So auch segelt mein Beweis mit gutem Landwind in die Weite und macht sich Hoffnung aufs Gelingen, und es ist am Bestehenden nichts weiter gelegen, das ein großer Wille durchkreuzt und somit aufhebt.

Bürgermeister. Natürlich in einer freien Reichsstadt, die aus lauter Privilegien zusammengeschneit ist, hat die Unschuld sogar auch politische Vorrechte, sonst könnte man sie über ihren Rumorgeist belangen.

Fr. Rat. Die Unschuld, die hat immer das ursprünglichste Recht, der Meinung sind wir beide, und wollte man sie die Wege bahnen lassen, sie würden zum Sieg führen! – In ihren Schriftchen stimmten Sie für die hohen Absichten der Revolution, aber diese hohen Absichten schienen nur wie Mondglanz über einen teuflischen Morast und liehen ihr Zauberlicht den Leidenschaften, die darin wühlten. Diese müssen das Ziel erobern, und [177] erst, wenn sie ausgerast haben, stellt sich ihre Urnotwendigkeit ins Licht des Bewußtseins.

Pfarrer. Sie geben da die allgemeine Weltgeschichte in einem Atemzug, die Absicht erhaben, die Mittel niedrig und schwankend, die Beweggründe oft teuflisch, der Kampf imposant, und der moralische Sieg und sein Erfolg rätselhaft.

Fr. Rat. Ein Rätsel muß das andere lösen, und die Revolutionen treten einander auf die Ferse, das beweist die Geschichte unserer Tage.

Pfarrer. Ja, in der einen pflanzt man den Freiheitsbaum auf, aber ohne Wurzel und Schattenruhe, mit einer Mütze gekrönt der Raserei und mit einem Schild gedeckt der Tyrannei!

Fr. Rat. Und in der folgenden wird dieser eingerammte wurzellose Baum gekappt von einem, der sich selbst darauf stellt als ein Verhüllter. Eine Weile ist er das Entzücken der Nation! der Held, der Retter. – Eine Weile ergötzt dies Weltenschauspiel, das sich immer steigert; – wie's zum Schluß kommt, so stimmt die Spannung sich herab zu Spott und Verachtung! – Aber wer kann urteilen? – Wer kennt den Rätselhaften? – Und was wär ihm gelungen, hätte man ihn erraten? – Konnte er Frankreich dann retten? – hätte er die Revolution, die in ihrem Paroxym dem Staat den letzten Stoß zu geben drohte, dann erwürgt? –

Pfarrer. Seine Bewunderer hatten sich's anders erwartet, es war ihnen unrecht, daß er über die Gleichheit hinaus mächtig geworden war, die sie mit ihrem Blut besiegelt hatten!

Fr. Rat. Aber sein Sturmschritt mußte die schwankende Gleichheit zermalmen, wo jeder die Gewalt an sich zu reißen suchte. In ihm konzentrierte sich dies Schwanken zur exekutiven Gewalt! hat er sie mißbraucht? – hat er nicht vielmehr die Wunden zu heilen gesucht, die diese gleichen Brüder einander schlugen? Wollte er nicht wieder beleben, nicht wieder aufbauen, was sie zertrümmert und erstickt hatten? – Und war diese Gleichheit eine moralische, so hing ihre sittliche Größe nur von ihnen selbst ab; – wollten sie aber in der Macht ihm gleich stehen, so waren sie Usurpatoren, nicht er, denn die Macht des Genies usurpiert nicht. Alles Kühne und Große war im Entzündungsfieber geschehen, diesem fiel der König der Franzosen als Opfer, denn ihm mangelten die schützenden Kräfte des Genies. – Er mußte unter den Speeren der bis an die Zähne geharnischten Volkswut sich verbluten. Ein Menschenleben war's nur, doch als der schaudervollste Fluch lastet dieser Mord auf der Geschichte. Und hätte sie eine ideale Würde, wenn diese ihr nicht zur Schande gereichte? Doch die diplomatische Moral erkennt nicht das Große, Gerechte, sie anerkennt und erhebt nur schwankende Halbtugenden und weiß nichts von dem Fruchtkorn des Geistes, das lange schon im warmen Boden liegt, und dem donnert die Wolke den Gewitterregen zu, noch ehe der Teufel losgeht! – Im Sturm keimt das Fruchtkorn des Genies, es wächst zum Baum, der streut seinen tausendfältigen Samen weit über die [178] Grenzen hinaus. Die Revolution wär allemal geworden, was aber aus ihr geworden wär, ohne diesen reinen Samen – der nach überstandenem Sturm aufgehen muß, oder es war alles umsonst – das war Verderben!

Bürgermeister. Ich bin auf der Flucht vor den brausenden Wellen Ihrer Beredsamkeit, die Sie bald auf die Höhen der Revolution tragen, dann im lecken Kahn der Verbrecher schaukeln, der, ich fürchte, Schiffbruch leiden wird.

Fr. Rat. Die Revolution wie das lecke Schiff werden von den Wellen der Leidenschaften eine Weile hin und her geworfen, bis Licht und Witterung eintritt, wo dann die wilden Wasser sich verlaufen.

Bürgermeister. Der Morast bleibt, und die Wasser sammlen sich bald wieder, das Maß der Sünde läuft bald wieder über, und wie aus der Urne des Flußgottes strömt es unaufhaltsam.

Fr. Rat. Ja, unaufhaltsam und in Fülle, denn die niedrige Straflust quillt auch aus der Urne. Der Rachegeist, der die gesunde Vernunft unterdrückt, die, um das Leben zu retten, was an der losen Wurzel über dem Abgrund hängt, nur die Hand auszustrecken braucht, und die Hinterlist, die diese Wurzel immer mehr löst, bis sie als höhnendes Zeichen der Macht hinabstürzt – die schwellen diesen Sündenquell an.

Bürgermeister. Mit der Vernunft ihrem Handausstrecken ist nichts getan, und wollte Prometheus auch ein neues Geschlecht bilden, mit Kraft und Genuß den Göttern selber zu gleichen, es würde doch wieder unter dem Joch der Notwendigkeit schwitzen. Der Staat aber hat allgemeine Interesse, allgemeine Grundsätze und kann nicht dieser Prometheus sein.

Fr. Rat. Lieber Herr Bürgermeister, die hohlen Phrasen regieren schon lange die Welt statt der lebendigen Moral; – ihr Staatsmänner seid froh, sie als Staatskunst, wie die Kunst der Religion in Glaubensartikeln, aneinander gereiht zu haben, auf die euer Unsinn paßt, von dem ihr selbst die Spielbälle seid. Ihr habt keine freie Energie, die selbst Gott notwendig hatte, um die Welt zu schaffen, eure Sprache belügt euer Denkvermögen, denn die Worte, die eure Ideen abrunden, wirken mächtiger auf euch zurück als ihr Inhalt. Euer Unglaube an die Naturstimme erzeugt den Aberglauben an eine falsche Politik, der ihr die reinen Menschheitsinteressen aufopfert, und ihr bekennt, die Vernunft würde nichts ausrichten mit euch? – und beschließt so über Leben und Tod! – Ach, müßtet ihr über jeden schuldlos Hingerichteten einen Verbrecher freigeben, und das wär billig, nun Verbrecher, dann seid ihr für die Ewigkeit frei!

Bürgermeister. Was Sie von Staatsmännern sagen, muß man sich gefallen lassen, Sie scheinen aus geheimen Quellen Ihre Begriffe herzuholen, aber der Grund Ihrer letzten Behauptung, daß man so viele unschuldig hinrichte, der ist nicht mit dem tiefsten Senkblei zu erforschen.

Fr. Rat. Hier in dieser berühmten Reisebeschreibung von Geyser lesen Sie die Beschreibung der Festgelage, die August von Polen zur Feier des Beilagers anordnete: Hier »die außerordentlichen Inventiones vom Fest [179] der sieben Planeten, worin der hohe Gout seiner Majestät hervorleuchtet, in welchem er als Sol, mit einem Feuerwerk von funfzig halben Kartaunen repräsentieret, als Mars gibt er ein Kartell mit denen aus ihrer Asche erweckten Abencerragen«, übergehen Sie die Lustbarkeiten und lesen Sie hier weiter.

Bürgermeister. »War man nun vergnügt in Dresden und ging daselbst alles prächtig zu, so ist es freilich nicht allenthalben im ganzen Kurfürstentum ebenso bewandt gewesen; au contraire, ein trockner heißer Sommer ohne Regen zog eine gewaltige Teurung nach sich – die Not ward bald so gar groß, daß Raub und Mord entstanden. Solchem schreienden Elend abzuhelfen, wurde häufig Anstalt gemacht. – Dies müssen wir auch sagen, daß damalen Ihro Majestät vom hochfürstlichen Haus Gotha viel tausend Scheffel Getreide übernommen und nachmalen um einen sehr billigen Preis an dero Untertanen wieder verkauft, auch unter der Armut nicht wenig umsonst austeilen ließen. Allein, weil die Sache durch Juden gegangen, so ist die Frage, ob es der Armut zustatten kam, wie seine Majestät gewünscht.«

Fr. Rat. Bei der Zusammenkunft der sieben Planeten im Garten des japanischen Palais ging alles nach bestem Wunsche seiner Majestät, denn es waren keine Juden dabei. »Jagen, Feuerwerk, Turniere, Ringrennen, Wasserstechen, auf der Elbe ein Ballett der Wassernymphen, prächtige Gruppe des Neptun mit großer Harmonie von Blasinstrumenten. – Dann die Waldfeste; hierunter: der erleuchtete Eichwald, – jeder große Eichbaum mit dreihundert brennenden Wachskerzen, die kleinen aber besetzt und bevölkert mit dreihundert Waldteufel und Hamadryaden in goldbrokatnen Wämsern und reichen Samtkleidern, geziert mit kostbaren Plümagen des indianischen Vogel Foca und andern raren ausländischen Vögeln, welche mit großen Kosten herbeigeschafft« – wenden Sie das Blatt – – hier lesen Sie vom Jahrmarktfest.

Bürgermeister. »Ein großes Jahrmarktfest, maskiert, von denen allerhöchsten Herrschaften gegeben, wobei allerlei galante Evenements, als italienische Oper, Komödien und Kampfspiele, Gaukel – und Kunstspiele, große Zigeuner- und Räuberbanden, welche in kostbarsten Aufzügen und wohlberitten mit gold- und silbernen Zaumzeug und gestickten Schabracken großen Aufzug hielten, mit allerlei Lärminstrumenten durch die Straßen, wobei die Polizei dem Pöbel zu wehren einen schweren Stand hatte, inmaßen das Volk zu toll war, die Räuber von nahem zu inspizieren, und eine so wilde Lust dabei sich zeigte, daß es mit Lustschreien und Salutieren nicht im Zaum zu halten war.«

Fr. Rat. Ja, es sieht seine eigenen Naturkräfte da in effigie und wie im Traum vergöttert einherziehen. – So ging das vier Wochen lang.

Bürgermeister. Hier wird ein Treibjagen beschrieben: »Fünf polnische Ochsen, wobei aber gleich anfangs das schöne Leibpferd des Königs verwundet wurde; eine Löwin, ein Pavian, drei Bären, sieben wilde Schweine. Dies [180] alles war trefflich veranstaltet, wobei viele Tausend Zuschauer, während sich die allerhöchsten Herrschaften auf dem Schauplatz mit den wilden Tieren herumtummelten. Aller kostbare Schmuck und Prachtzeug, in welchem König Augustus die Sonne vorgestellt, wurde nachmalen unter den Kuriositäten des japanischen Palais aufbewahrt.«

Fr. Rat. Der Hofstaat lebt immer noch, wenn die, welche ihn getragen haben, schon lange modern.

Bürgermeister. »Hierbei wird aufbewahrt die eiserne Kette, woran die aufrührerischen Friesen Heinrich den Frommen aufhängen wollten. Ferner ein sächsisches Richtschwert, womit vierzehnhundert Hinrichtungen exekutiert, sodann zu beiden Seiten zwei Reihen Richtschwerter, wo mit jedem derselben dreihundert Exekutionen die Scharfrichter sich losgerichtet, inmitten das Schwert, mit dem der KanzlerKroll wegen des Cryptocalvinianismi hingerichtet usw. – Diese bedeutsamen Zeugen der königlichen Gewalt sind versammelt um seiner Majestät Wachsgestalt, welche im polnischen Krönungstalar von blau Samthermelin, mit Goldblumen durchwirkt, unter dem goldnen Himmel von der Frau Kurprinzeß Brautaufzug sich sehr gewaltiglich ausnehmen.«

Fr. Rat. Im Kürfürstentum Sachsen haben die Herren Scharfrichter eine gute Ernte gehabt, um sich ehrlich zu richten und ihre Schwerter als Trabanten des polnischen Königs und großen Planeten Sol unter seinem Thronhimmel aufzuhängen. – Wie sieht's aus, Herr Bürgermeister? – Meinen Sie nicht auch, daß da mancher ehrliche Kerl, so gut wie Sie, mag drunter gewesen sein, der sich nichts weniger versah, als den Kopf verlieren zu müssen.

Bürgermeister. Ja freilich, man kann von Glück sagen, nicht unter diesen sogenannten Exekutiones mitzuzählen, an denen sich der Scharfrichter ehrlich gerichtet. – Es ist grausam, das viele Menschenblut so fließen zu lassen.

Fr. Rat. Viel meinen Sie? – jeder Blutstropfen ist zu viel.

Bürgermeister. Das gehört wieder zu Ihren starken Behauptungen, es gibt revoltische Zeiten, wo die boshaften Ansteckungen die ganze Luft verpesten, und es ist immer noch nicht erwiesen, daß unter den Köpfen auch ein Kopf gewesen, der nicht sein Los verdiente, denn es läßt sich nicht erwarten, daß in deutschen Landen die Gerechtigkeit so sehr daneben gehe.

Fr. Rat. Nein allerdings, aber wenn auch nur ein Geringes daneben, so haut sie doch immer dem Unrechten den Kopf ab und kann ihn nachher nicht wieder aufsetzen! und so haut sich doch die Gerechtigkeit auch mitunter frei an einem, der gar nicht weiß, wie er zu dieser Ehre kommt. Noch außerdem, daß in jedem einzelnen Opfer der Justitia eine Nachkommenschaft untergeht, die das Tageslicht nie erblicken wird! Wer berechtigt die Justiz, die noch ungezeugten Geschlechter mit zu verdammen, ja, dies Argument ist noch von den Psychologen gar nicht erwägt! – Was sagt Ihr? – Wie kommt's, daß einer mutig, kühn und adelig in den Tod gehe, und alle große Eigenschaften der Natur auf der Richtstätte ihren großen Charakter[181] entfalten? – Vielleicht, weil er würde ein groß Geschlecht erzeugt haben. Jetzt in der Todesstunde regt sich dieses Geschlechtes Ingrimm, wie mit Gewalt die Könige und Machthaber die Lücken ins Menschentum reißen. Diese gemordeten Geschlechter waren vielleicht die Stämme reinster Menschenrasse, waren die Sterne wohl, die unsere Verfinsterung aufgeklärt haben würden! Und woher die Unheilbarkeit des Jahrhunderts! – hat da das Richtschwert vielleicht auch sich eingefressen und hat durch die Lücken ganzer vertilgter Geschlechter das adelvolle Blut vergossen und das erniedrigte Blut der Schinder und Henker allein übrig gelassen?

Bürgermeister. Ja, wenn Sie so rechnen, daß an den ungebornen Geschlechtern dieser Hingerichteten noch die Blutschuld hafte, dann zieh ich freilich den kürzern.

Fr. Rat. Man muß wohl der unmitleidigen Gewalt des Menscheningrimms den Feuergeist der Unschuld entgegenstellen. Ja, große Macht und Gewalt liegt in den ungezeugt gemordeten unschuldigen Geschlechtern. Keiner ahnt die Zauberkräfte der Natur, die nicht ins sinnliche Leben konnte sich ausbreiten, sie verdoppelt ihre Gewalt. – Wir leugnen, was wir nicht wissen, aber deswegen ist doch wahr, was wir nicht ahnen. Und Leben! – Diese heilige Schöpfungskunst im Menschen, wo es sich mit der ursprünglichen Freiheit des Geistes vermählt, kann nicht durch einen Schwertstreich sich vernichten. Aufwärts soll die Welt steigen, daß der Geist zum Begriff komme und Mensch werde.

Ich habe mir oft die Frage gestellt, was doch des Gerichteten Seele gleich nach dem Tod empfinde für ihren Richter, und ob sie Ruhe habe endlich nach dem verzweifelten Kampf mit der gemeinsten Leidenschaftlichkeit, die sie aus jedem Schlupfwinkel heraushetzte. Ja, wenn der nicht gleich nach dem Tod seinem Verderber sich sühnte, so müßte ein rächend Geschick über ihn hereinbrechen.

Bürgermeister. Sie wollen vor dem Geist des Gerichteten uns bange machen, daß er uns verfolgen könne? Es hat noch keiner nach dem Tod uns nachgesetzt!

Fr. Rat. Aus der Welt kann der nicht fort sein, dem ihr eben den sinnlichen Lebensfaden abgeschnitten habt. Deswegen ist sein Dasein nicht von der Natur aufgehoben, weil ihre Ordnung zerrissen ist, sie fängt im Rettungskahn ihn auf, den ihr in die Wogen hinabgestoßen habt. – Die feineren Sinne, wenn auch nicht überzeugt, empfinden ahnungsweise dem Gemordeten das Lebensgeheimnis nach. Mancher Richter fühlt die Ohnmacht als Todesbote in seinen Gliedern, wenn er ein Todesurteil unterzeichnet. Manchen verfolgt die Ziehkraft der Erinnerung, gegen die er nichts vermag, sie wird zum unwillkürlichen Bewußtsein in uns des Unrechts.

Die geistigen Organe haben ein willkürlich Vermögen in die Ferne, wie gesendete Boten, die ahnungsweis solcher gewaltigen Schicksale Verzweiflungsmomente widerhallen und der Seele den schauder- und schmerzempfindenden Reiz geben der Sympathie! – So hab ich lange den hingerichteten [182] König der Franzosen in meinen Träumen gesehen, mit ihm gesprochen, in seine Geschichte, in seine Persönlichkeiten mich hineingefühlt. Dann war mein Geist plötzlich gehoben zu seiner Verteidigung und hielt die Volkswut bezähmt. Sag mir einer, das sei nichts! – Zum Redner bin ich geworden in meinen Träumen und prägte dem Volk meinen Willen auf.

Bürgermeister. Ein Wille, im Traum dem Volk aufgeprägt? Was müßte aus dem schon geworden sein, wenn es den Willen ausdrücken müßte unserer Träume!

Fr. Rat. Wo käm seine Bedrängnis her als von euren verkehrten Träumen, ob ihr wacht oder schlaft, einerlei! – Mir gab der Traum Empfindnerven der Wirklichkeit. Die Heldengeister der Revolution kamen im Traume zu mir, sie gaben mir die Hand, und ihr Anblick belehrte mich über die Zeiten, ist dies Unwirklichkeit zu nennen? Nein, dies Mitempfinden muß Gegenwirkung sein des Geliebten, Empfundenen. Wir können nicht für das Nichts empfinden. Die Seele kann nicht im Leib sterben, die angezogen wird durch begeistigte Verwandtschaften, sonst würde ja der Reiz, die Anziehungskraft der Liebe, das Ersterben des Geliebten bewirken. Mag auch die Seele einen Leib haben nach dem Tod, uns fehlen die Sinne – oder sie schlafen noch –, dies neue Sein zu gewahren, wie die Natur Wesen mit mehr oder weniger Sinnen begabt und dadurch ihre Lebensbeziehungen einschränkt, – im Kristall beschränkter wie in der Pflanze, weniger im Tier, am wenigsten im Menschen. Also in ihm ist das Bewußtsein am stärksten, doch ist's nur eine erweiterte Grenze, und die Schöpfung hört nicht da auf, wo unser Begriff aufhört. – Da unser Bewußtsein kaum zu lallen beginnt, wie wollen wir jetzt schon hinaus über alles, was es im Strom offenbarender Beredsamkeit uns noch mitteilen wird? Eben wie der Maulwurf die Gestalt des Menschen nicht ahnt, nichts weiß von dem, was das Auge wahrnimmt, ebenso kann außer unserer Sphäre selbständiges Leben sich bewegen, das wir nicht ahnen, aber empfinden. Wasser, Feuer, Luft, Erde! – kann es nicht noch ein Element geben und noch eins, in dem unsre Sinnennatur noch nicht unmittelbar schwimmt, weil die Kraft dazu noch nicht erwacht ist? In der Raupe sind alle Sinnenkräfte des Schmetterlings gebunden. – Diese Zukunftssinne müssen in uns vorbereitet liegen, und grad im Tod erst werden sie geboren, wodurch sie wie bei dem Schmetterling einen höheren Grad der Schöpfung einnehmen. Das Erwachen der Sinne ist das Erweitern des Schöpfungskreises für das Geschöpf selbst, es lernt mehr durch sich selber bestehen; seine Teile erleiden Veränderungen, die es zu seiner ewigen Existenz mehr befähigen! – Das Übergehen durch noch ungeahnte Krisen sind die ewige Machtsprache der Schöpfung: »Es werde!« Nichts anders ist der Tod! – – Alle Anlagen, alle Ausbildung derselben sind organisches Werden jener höheren Existenz. Wir nennen geistig, was Bezug auf dieses höhere Werden hat, weil es unsern jetzigen Lebenssinnen entwachsen ist; als Begriff mag es die werden de Sinnennatur des nächsten Schöpfungsmoment sein. Da das hier Geistige vielleicht das dort Sinnliche ist. – Drum [183] ist es nie zu spät und immer wichtig bis zum letzten Augenblick alle Lebensbefähigungen zu bilden, als fortwährendes Werden der Zukunft! –

Bürgermeister. O Tod, wo ist dein Stachel, Herr Pfarrer! –

Fr. Rat. Wir glauben im Tod uns vom Irdischen getrennt! wird die Erde nicht auch noch weitere Schöpfungskreise einnehmen? Ist sie in sich fertig? – Sind die Elemente abgegrenzt in ihrem Sein? – Hat die Luft ihr Sein in sich, oder ist ihr Lebensprozeß ein fortwährend Hinübergebären? – Ist das Feuer, das Wasser noch Kindesnatur, und wird es in erweiterter Sphäre erst seine Mannheit erwerben? – Wie könnt ihr an das Machtwort der Schöpfung glauben und nicht ahnen, ja deutlich empfinden, daß es ewig widerhalle!

Bürgermeister. Der Herr Kirchenrat schaut mit Entsetzen, welche ungeheure Schollen Sie mit Ihrer Pflugschar ihm in den Wegstürzen! –

Pfarrer. Was könnte man auch dazu sagen? Wenn ich mir die Frage erlaubte, wo Sie mit allem hin wollen, was die Erde absetzt, die Antwort würden Sie wahrscheinlich sparen! –

Fr. Rat. In den Mond will ich damit. Ihr sagt zwar, der Mond nähre die Erde, sein Licht ströme Fruchtbarkeit, ja! aber kann diese fruchtbarmachende Kraft nicht eben auch anziehende sein, wie ausströmende? – Er scheint mir viel zu durstig! – Auf der Nacht liegt der Tau, der Mond kommt zu trinken, er legt seine Strahlenlippen an und saugt! Was lockt einsaugend Küssen des Mondes aus der vollbusigen Erde? – Nu! meinetwegen strafen Sie Kirchenvater die üppigen Sinne der Erde, die nicht dem Reiz widersteht und wieder küßt, und daß ihre Küsse Blumenteppiche sind voll schwellendem Reiz, die Duft hauchen, der steigt auf, – der Mond saugt ihn, und die Erde seufzt die Rosen aus ihrem Busen, es tut ihr so wohl, und der Mond trinkt den ganzen Strom duftender Liebesrosen, und die Nachtigallen schlagen dazu, und die Blüten wirblen in der lauen Luft! O unersättlicher Mond! – könnte etwas vergehen, wenn's nicht verzehrt würde, könnte etwas werden, wenn's nicht gelockt würde, und könnte die Liebe genießen, was sie nicht selbst erzeugt?

Bürgermeister. O Tertullian und Cyprian, packt ein! die Frau Rat sind mein Kirchenvater!

Fr. Rat. Und Sie, Herr Pfarrer, gönnen Sie dem Sohn des Menschen nicht einen duftenden Blütenstrauß? Daß der's auch mit den Sinnen schmecke, wie's zukünftige Leben duftet. Die Erde schwillt ihre Früchte, und wirft den Liebestribut der Menschheit in den Schoß, die nährt sich von der üppigen Liebe der Planeten. Nun, Erdseele, deine geheimen Reize erbeutet sich der Mond, wir aber, die wir der chemische Sinnenverband sind dieser Liebeskräfte, wir trinken und küssen und schwärmen nachhallend betäubt diesen Liebesbund. – »Ewig! – Sein Ende würd Verzweiflung sein!« Geht mir mit eurer Unsterblichkeitslehre! Alleweil merk ich's, wie's zusammenhängt. Und daß ihr's nicht versteht! –

Pfarrer. Ich gestehe, mir ist schon längst dunkel vor den Augen. [184] Bürgermeister. Und mir ist, als habe ich einen Schoppen von der feurigsten Lage getrunken!

Fr. Rat. Das lass ich gelten, – ich fühl mich auch wie besessen. Was haben wir denn für einen Monat? – haben wir nicht Mitte Mai? – Es grünelt mir, es verduftet mich wie Rosenhauch und verhallet mich wie Nachtigallengeschmetter! – Unsterblichkeit! – – Laues Spülich eurer philosophischen Henkersmahle! Und dann verzichtet ihr auf diesen Genuß: mir ekelt selbst, und wollet lieber gar nicht sein, als wie immer! – O Bacchus – Seelenretter! ich bin nicht schüchtern! ich trinke deinen feurigen Wein! – Mach die Seele unsterblichkeitstrunken und dann schwing die taumelnde in deinen Götterarmen hinauf in den Vollmond, voll rieslendem Feuer der Phantasie zur süßesten Erfreulichkeit gebracht des Unsterblichen. – Herr Bürgermeister! schwingen Sie sich in den Sattel, den Herrn Pfarrer lad ich nicht ein, er schmachtet hinter dem Palisadengitter der Kirchenväter. – Er sieht uns traurig nach; kann es Ihnen Trost geben, Herr Pfarrer, Ihre Überzeugung zu bekräftigen aus dem Munde der Kirchenväter: in der Kirche zu Lorch stehen sie in Holz ausgeschnitzt alle mit offnem Munde! die Spatzen haben in sämtliche Kehlen ihre Nester gebaut! – es war um die lindenblühende Zeit, ihre fallenden Blüten wirbelten durch die zerbrochnen Fensterscheiben, zwanzig Paar Sperlinge kamen um die Wette durch die runden Scheibenlöcher geflogen zur Ätzung der zwanzig Kirchenväter. Das Gezwitscher war über die Maßen, aus allen Kehlen: Schilling! Schilling! – Sie können alljährlich um Pfingsten den Geist dieser Kirchenväter in Gestalt einer Sperlingsherde vernehmen.

Pfarrer. Ich wußte voraus, – Sie werden meiner ernsten Frage mit lauter exzentrischen Ausweichungen die Antwort schuldig bleiben, darin exzellieren Sie! und auf Ihre tiefe Einleitung, daß ich glauben mußte, Sie werden das Schöpfungsall enträtseln, – Sie wollten uns erlösen von den sündigen Verdammungsurteilen, die mir das Leben verbittern und mich immer in trüber Stimmung erhalten, daß ich oft denke, wär ich nie geboren, – lieber, als den armen Sünder da hinaufbegleiten den schauderhaften Todesweg, mit dem elenden Zuspruch bis zu dem verfluchten Gnadenstoß hin ihn turbieren zu müssen. – Sie haben dort in Ihrem mondhellen Eckchen Mondvisionen und tun unerwartet einen Sprung des Übermutes, der Himmel weiß, für wen man Sie halten soll! –

Fr. Rat. Wohl gesprochen! die Brust ist mir leicht, und hell sind meine Visionen, halten Sie mich, für wen Sie wollen, der spiegeltiefe Strom der Zukunft ist mein Bett, in dem mein Übermut kopfunter taucht, darum sind die Verbrecher nicht aufgegeben, weil sich die Erdenseele in den Mond verhaucht samt Meer und Luft und allen Elementen, wie die hier gebundenen Sinnenelemente der Menschenseele höherer Sphären freies idealisches Organ werden. Wie zum Beispiel die Barmherzigkeit ein gebundenes Seelenorgan ist im Richter. Im Verbrecher, durch die gewaltsame Geburt des Todes, ist sie die erste entbundne Lebensbedingung seiner höheren Natur geworden. [185] Die Seele schöpft den Atem des Allerbarmen im Augenblick, daß sie hinüberscheidet, und diesen Atem strömt sie zunächst auf ihren Richter. Der erste Atemzug des hinübergebornen Verbrechers ist die Milde der Versöhnung, sie heilt des Richters verwundetes Gewissen durch den Tod des gerichteten Verbrechers selbst.

Bürgermeister. Mein Begriffsvermögen ist eingewelkt und kann nicht mehr pulsieren. Wie! mein richterliches Gewissen sollte verletzt sein und wieder geheilet durch die im Tode entbundene Barmherzigkeit des Verbrechers! Was verstehen Sie unter Gewissen?

Fr. Rat. Gewissen ist die Grenze alles Wissens, es ist unwillkürliche Bewußtheit, die pulsiert in allen Geistesarterien offenbarend, und der Wille ist ein Usurpator, der nicht sich seiner Gewalt unterwirft. Ein Werden muß sein, ein ursprüngliches; erst nachher kann das Urteil der Vernunft aus ihm erwachsen. Dies Werden ist aus dem Gewissen geboren, der Natur oder des Geistes. Der Mensch ist das gewissenentsprungene Geschöpf der Natur, er lebt durch ihre Bewußtheit. Der Geist entspringt aus dem Gewissen des Schöpfergeistes. –

Die Natur kann nicht unvollendet Leben ersterben lassen; was sie erst geboren, das muß sie entwickeln; – das durchlebte Empfundene der Sinne kann nicht ersterben, es ist das Erworbne. – – Gehör, Gefühl, Gesicht können uns nicht mehr geraubt werden! die Sinne können in der höheren Lebenssphäre sich nur erweitern, verschmelzen mit noch andern unbewußten Sinnen, die wir jetzt noch nicht verstehen, geistige Naturen ahnen sie, sie sind eine notwendige Folge unserer in den weiteren Schöpfungskreis gebornen Sinne. Eine Mutter sagt ahnungsweise, sie wolle die Kinder fortwährend umgeben und für sie Sorge tragen nach ihrem Tod. Es ist das Gewissen der Natur, was aus ihr spricht; sie fühlt dies als das Element ihres Seins. Wer dies Gewissen als den eingebornen Instinkt der Mutterliebe leugnet, ja freilich, der kann nicht leben, wer im Tun und Handeln den eingebornen Instinkt des Geistes leugnet, wer diese Keime in sich erstickt des höheren Werdens, – der Allbarmherzigkeit, der Großmut und vieler noch anderer Seelen – und Geistesorgane, – wie kann der ein Leben der Unsterblichkeit erwerben und tragen mit zerstörtem Organismus! – Es gehört ja wohl ein starker Organismus zum Träger der Unsterblichkeit. – Wenn meine Sehkraft reicht bis dorthin? wird dann mein Blick nicht durch die Sterne dringen? – Kann nicht durchsichtig für den Blick werden, was jetzt undurchsichtig ist? – So auch das Gehör! kann es jetzt wohl in den Geist hinein horchen und erlauschen, was der Liebende zu uns denkt, – wird es dann nicht können das Denken der liebenden Natur zu uns erlauschen? Und dann der Gefühlssinn, – ist nicht seine erste Regung in die Ferne für das Verwandte? – Hat's je ein Bürgermeister empfunden, wenn ein Liebender mitternächtlich an ihn dachte, daß er aus tiefem Schlaf geweckt wurde zum Denken an ihn? Woher kommt das heilige Interesse an Naturen, die wir nicht erreichen, weil sie zu fern, vielleicht zu hoch stehen, als bloß, [186] weil eine Beziehung zu ihnen als Keim in uns liegt, weil diese Empfindung als Lebensreiz unsere Geistessinne erhöht, um auf sie zurückzuwirken.

Das ist die Geistesliebe zwischeneinander; eine elektrische Wirkung denkender Wesen aufeinander. Wenn das Denken einst unbeschränkter sein wird, so wird auch ein erweitertes Sinnenwirken aufeinander sein, sie werden zusamt dem Geist die Tiefen durchdringen, und so eine wachsende Verwandtschaft bilden verborgener Geistes – und Naturkräfte. Schon hier auf Erden hängt meist die Vollendung eines Charakters von der Einwirkung verwandter Naturen ab! – Der Fürst hängt ab von der Liebe des Volkes, das Volk ist die inspirierende Sinnengewalt seines Geistes. Er kann nichts wirken ohne dieses Einverständnis seines Geistes mit des Volkes Sinnen! – Was ist Freundschaft? – leider das unverstandenste, gemißbrauchteste, versäumte Geistesfeld falsch einwirkender Richtungen, fremder Weltinteresse und nicht Interesse der Liebe. Poesielose Selbstigkeit, statt Poesie der Selbstheit, und Phantasie, die edelste Trägerin aller erhabenen Wirkungen aufeinander, ist ohne Macht. Dies alles ist verborgne Zukunftsanlage. Der Freund, dem du dich hingibst, ihm zulieb dich heiligst und bildest, dem du deine erhabnen Gedanken zuhauchst, der wird die kräftigste Weihe deines Charakters; – aber auch der ganze Charakter dessen, den du so als Genius in dir trägst, steigt aus dir empor. Einer kann göttlich vollendet werden durch die beziehende Empfindung zum andern, so erzeugt sich der Fürstencharakter aus dem Volk, so erzeugt sich der Genius aus dem Freund.

Bürgermeister. Nun bin ich sehr übel dran wegen der dunklen Schatten meines Begriffs in dem hellen Licht Ihres Geistes.

Fr. Rat. Diese Anlagen der Großmut, des freien Allerbarmens, der reinen Allgemeinheit sind das Genie der Menschheit, sie sind der Trieb des Werdens, ursprünglicher Gewissenstrieb. Sie sind die vorbereitenden Organe eines idealischen Seins. Lebenskräfte dieser freien Ungebundenheit als Instinkt des Ideals treiben und toben in elemantarischer Wonne! – Wie könnten auch diese Gewalten im Keim schon wieder untergehen! Nein, sie müssen werden, sie sind die Eigenschaften des Grenzenlosen, Unendlichen, sie sind die organische Natur eines höheren Ichs. Die willkürlichen Glieder eines Zukunftsleben; sie werden die Sinne unserer neuen Erzeugung, sie sind viel animierter als die übrigen Organe; sie sind das höchste Lebensprinzip der Seele und durchströmen versöhnend gleich jede Untat, sonst wär der Tod gleich Herr der ganzen Welt. – Und alles Große tausendfach schimpflich gemordet – im Selbstgefühl, und verfolgt im Denken wie im Tun; – wär's nicht längst schon in seinen Banden verschmachtet, wenn ihr Lebensgeist es nicht ewig neu stärkte? – Der Geist ist alleiniges Gegengift gegen die Sünde des Todes; er überwindet ihn, und nur das lebt nicht fort, was nicht mit dem Geist den Tod überwindet, und ich will mir meine Unsterblichkeit nicht rauben lassen.

Bürgermeister. Der Herr Pfarrer machen ein Gesicht wie ein römischer Fünfer!

[187] Fr. Rat. Das ganze Werden hängt ab von dem einen Begriff über die Sünde, unter ihrer Kelter schwitzt das Menschengeschlecht seinen Feuergeist aus. Wär ein guter Faustkämpfer für diese Sache der Menschheit, die Schatten der Gerichteten im Elysium würden Freudenschauer überlaufen; denn einmal ausgesprochen muß sie gelten. Nein! es ist nicht möglich, daß sie untergehe, ohne den Schoß der Menschenliebe zu befruchten.

Bürgermeister. Ich leg mein Amt nieder, es verträgt sich nicht mit meiner juristischen Verantwortlichkeit, daß die Menschenliebe die Gerechtigkeit unterdrücke.

Fr. Rat. Allerbarmen allein ist gerecht.

Pfarrer. Wollten Sie Ihren Ton etwas herabstimmen nach unsern Begriffen, so würde ich vielleicht manche Frage haben!

Fr. Rat. Natürlich! die Begriffe angemaßter Rechte stimmen nicht mit dem Posaunenton der Wahrheitstiefen und am wenigsten mit der zu allem gemißbrauchten Vox populi, der Sie zugeschworen haben, Herr Pfarrer! Halt dich still, Vox populi, bis du dich besser verstehst, laß deine Gebeine erst auferstehen aus dem Sarg des Buchstabens, dann laß dir kein Schloß vor den Mund legen, wo du laut werden sollst, laß deine Lippen nicht mißbrauchen zu bösem Geschrei, laß deine Saiten einklingen in die Weltharmonie; – ihr musikalischer Tonsatz ist die Gerechtigkeit, die Menschheit ist ihr edles Thema mit heldenmäßigen Anlagen zu den kühnsten Übergängen und überraschendsten Wendungen. Darauf kommt's an, zwischen Ursprung und Folge die Modulation zu bilden des Allgemeinen.

Bürgermeister. Wir müssen freilich dem Sinn des Menschen nachkommen im allgemeinen, der aber ist die beharrliche Mittelmäßigkeit, sie allein hat die Kraft des Bestehens, ihr muß der Staat sich widmen. Die Alltagsmenschen sind der Popolo! – Das Idealische, wenn es auch augenblicklich die Welt weiter bringt, so muß es doch bald wieder fort, weil es zu absolut ist und die große allgemeine Mittelmäßigkeit unterdrückt, zu der ich auch gehöre! – Wegen dem Universalerben muß der natürliche Sohn unterdrückt werden.

Fr. Rat. Ist eure morsche Scheinbrücke der Gerechtigkeit über den Abgrund des Trugs und der Scheinheiligkeit für die Mittelmäßigkeit erbaut, so wundert euch nicht, wenn sie schwindelnd hinabstürzt und von diesem Abgrund verschlungen wird. – Und wer ist denn hier der natürliche Sohn, der durch die Mittelmäßigkeit als Universalerbe enterbt wird? – Das Genie! – Die Philister schießen mit vergifteten Bolzen auf die geisterhabne Unschuld des Genies. Überzeugt von ihrer eignen Vollkommenheit, wollen die es nicht anerkennen. Wer ihre Fehler oder Laster und lächerliche Seiten und Gemeinheiten nicht hat, den halten sie für verstümmelt. Hast du Genie, so betrachten sie dich als etwas Abnormes, und beklagen dich, wie zum Beispiel als hättest du einen Kropf oder brandrote Haare oder ein schiefes Bein.

Pfarrer. Das Genie hält sich wohl für besser noch als nach Gottes Ebenbild [188] geschaffen! Es schmückt sich generös mit so vielen Aventagen; dünkt sich König der Natur, dem alles gehöre, für den alles gemacht sei – und doch ist's gezwungen, so gut wie die allgemeine Mittelmäßigkeit, für Essen, Trinken und Schlafen sich dem Gesetz zu unterwerfen! –

Fr. Rat. Schade, daß man Ihre Reden nicht ausstopfen kann, ich würde sie sonst zum Andenken auf den Ofen plazieren. – Was auch Genie sei – es kann sich der Mittelmäßigkeit nicht unterwerfen. Alle verschiedne Richtungen müssen eine Gesamtwirkung haben, nämlich: das Vorwärtsströmen. Das Genie ist der Flußgott des Geistes. – Beharrt die Vox populi wie der Frosch auf einem Ton, im stehenden Sumpf der Mittelmäßigkeit, so wird das Genie dennoch Mut haben dürfen, in die Tuba zu stoßen, daß die Mauern darüber einstürzen. Wir haben so lange im Sumpf ausgehalten, so lasset uns nicht die lebendigen Wässer fürchten, wenn die angeströmt kommen und den Sumpf wegschwemmen.

Bürgermeister. Der tote Sumpf sind wir; – das merk ich. – Uns Staatsleute wollen Sie hinwegschwemmen, und die lebendigen Wasser, die mit Macht angerückt kommen; – das kann ich mir denken, wen Sie darunter meinen.

Fr. Rat. Nun! heraus mit der Farb, ich möcht's selber gern hören, wen mein ich? –

Bürgermeister. Was haben Sie für Rumor gemacht, als wir die bösen Buben einsteckten, die Demagogen?

Fr. Rat. Sie sind ein guter braver Mann, Herr Bürgermeister? –

Bürgermeister. Ich weiß schon, warum ich gut bin, aber das bleibt unter uns.

Fr. Rat. Sie haben nichts zu fürchten. Denn wurde mit Ihrer Erlaubnis die Pastete ins Gefängnis geschickt, ohne daß man untersuchte, von welchem Geschmack sie war, so hat der Herr Pfarrer die Güte gehabt, in seiner eignen Tasche zwei Flaschen Bordeaux mit langen Stöpseln den Gefangenen mitzubringen und mit ihnen Ihre Gesundheit zu trinken.

Pfarrer. Mit Vergnügen hab ich diese Gabe der Milde den armen jungen Leuten gebracht. Etwas Herzliches und Sanftes hatten diese tollkühnen Burschen, man mußte ihnen gut sein. Mir war ein Stein vom Herzen, als sie sich glücklich durchgemacht hatten.

Fr. Rat. Sie hatten auch das Beste dazu getan. Aus den Flaschen tranken Sie den kühnen Burschen Mut zu und mit dem Pfropfen bewaffneten Sie sie zu ihrem Unternehmen.

Pfarrer. Daran bin ich unschuldig! ich weiß von nichts! – Ich weiß nichts von diesen langen Stöpseln; sollten die etwas Amtspflichtwidriges enthalten haben, so bin ich ganz unschuldig! –

Fr. Rat. Fürchten Sie, daß der Bär Sie fresse, weil Sie in Ihrer Unschuld etwas Pflichtwidriges getan haben? –

Pfarrer. Dem Bären, der von allen Banden der Wahrheit sich losreißt, und mit verleumderischen Sprüngen mir nachsetzt, dem ist bös entkommen, ohne daß er einem Wunden schlägt, mit schimpfierenden Narben.

[189] Fr. Rat. Der Bär hat kurze Beine und Sie haben lange Beine, nehmen Sie die an den Hals und flüchten Sie zu den Demagogen, die fürchten sich nicht vor dem Bären!

Bürgermeister. Sie sind sehr unvorsichtig, Frau Rat, obschon Sie zwar nichts zu fürchten haben von dem Herrn Pfarrer! –

Fr. Rat. Die geistlichen Herren fürcht ich auch niemals (der Pfarrer verbeugt sich), alles mag man fürchten, nur nicht, was man bekämpft.

Bürgermeister. Bekämpfen Sie denn auch die Demagogen, weil Sie sich nicht vor denen fürchten? –

Fr. Rat. Die sind meine Leute! die werden meine Sache ausfechten, wenn ich lang nicht mehr bin. – Ja! – Wenn ich jetzt erst auf die Welt käme, wo ich schon siebenundsiebenzig Jahr alt bin, dann würd ich noch erleben, worauf ich spekuliere: Fürst und Demagogen ein Herz und eine Seele, ihren Verfolgern zum Trotz!

Pfarrer. Da spekulieren Sie falsch! der Fürst kann nie mit Demagogen gemeine Sache machen, es verträgt sich nicht mit seiner souveränen Macht, die kann nicht, wie sie will, sie hat Bedingungen zu realisieren, die sie mit andern souveränen Mächten eingegangen ist.

Fr. Rat. Warum soll die souveräne Macht nicht mit den Demagogen gemeine Sache machen? – Warum nicht, zum Teufel? – Was haben andre Mächte der souveränen Macht da dreinzureden? – Was für Bedingungen dürfen sie ihr machen? – Wirf die Bedingungen ab, du souveräne Macht. Sag an, daß du nicht mehr willst Sklave sein! Ein freier Demagoge! Nur dem Ideal unterwerfe dich, was die Vernunft vor dir enthüllt. Diesem erfülle die Bedingungen! – Die Demagogen, das ganze Volk stelle als Handlanger dabei an, die alten Hebeböcke, das alte Radwerk, das alte Getriebe der alten Staatsmaschine unter das alte Eisen zu werfen! –

Bürgermeister. Wie soll das werden? – das läuft wohl auf eine Konstitution hinaus! –

Fr. Rat. Ei was! – Macht das Blut Rechte geltend gegen das Herz? – Kann der Geist eine Grenze ziehen zwischen sich und der Seele? – Bin ich König, so ist das Volk mein Blut. Das echte Volksblut ist demagogisch, es strömt mir durchs Herz, ich bin sein Geist, ich umfasse seine Seele! – Was kann es mir fordern? – Es ist meine Macht, daß ich's gewähre. Ich konkurriere mit dem Himmel; er gibt die Seligkeit dem Verstorbnen auf Bedingung; ich geb sie den Lebenden unbedingt, soweit meine Macht ausreicht, und die wird sich dehnen, das versprech ich euch, als Demagogenhaupt überragt die Königsmacht alle Potentaten, das ist zu ahnen, zu begreifen, denn es ist nicht anders möglich!

Bürgermeister. Sie werden mit dem Volk nicht zurechtkommen, es will seine Rechte auf fester Basis begründet haben.

Fr. Rat. Das kommt anders! – Als erster Demagogenfürst natürlich zerhaue ich den Knoten, statt ihn zu schürzen, und führ als Volksverbündeter die Sache durch. Geist, Kraft und Zeit wende ich Demagogenfürst nicht auf Erhaltungskniffe [190] oder Entfaltungskniffe meines Pouvoirs, denn der Beweggrund meiner Handlungen ist das Volk, das mein Heldenblut ist, und dieses Volkes Beste ist dann meine Erhaltung, meine Würde und unbedingte Gewalt.

Bürgermeister. Diese weltumwälzende Gewalt wird dem Unheil der Inkonsequenzen nicht entgehen.

Fr. Rat. Mag's! – Wenn's dann nur dem Unheil der heutigen Konsequenzen entgeht! Ach, wie würde die Menschheit gesund werden und freudig, wenn auf einmal die Demagogen ihren Herrscher umringten und in ihrer Mitte ihn hielten, ihn fest machten und sicher gegen jede Verräterei und absonderlich gegen die Philister! –

Bürgermeister. Sprechen Sie mir als Bürgermeister der edlen Stadt Frankfurt nicht Hohn mit den Philistern!

Fr. Rat. Wie denken Sie das? – Nein! Mag's mit dem Wechsel der Zeiten kommen, wie's will! – Sehen Sie ihre prächtigen Eichen, ihre herrlichen Linden dort auf dem Wall, die über die Brandmauer herüber ihre Wipfel schwingen im Mondglanz. Nein, sie wird ewig eine edle Ruine bleiben einer edlen Republik; sie wird ihre schützenden Mauern ausdehnen dem Verratnen, und der Schrei der Unbill wird laut in ihren Hallen widerhallen.

Pfarrer. Plato sagt: Die Menschen würden dann weise regiert werden, wenn Philosophen auf den Thronen säßen! – Unter dem Demagogenhaupt kann ich den Philosophen nicht erkennen, noch weniger kann ich den Demagogen vom Verbrecher unterscheiden.

Fr. Rat. Das Leben ist eine Kunst, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Jawohl, Frau Rat! –

Fr. Rat. Sie sagen jawohl, aber wie verstehen Sie es? –

Pfarrer. Nun, es ist eine Kunst, die Bedingnisse des Lebens, die das Geschick ins Unendliche variiert, seinen Anlagen und Wendungen gemäß zu erfüllen.

Fr. Rat. Aber der Staat übt diese Kunst nicht, sonst würde der Demagoge ihm nicht widerstreben. Aber das Leben ist auch die Kunst des Gottes, der uns geschaffen hat. Kunst ist Beseelung des Stoffes. – Es ist die Kunst Gottes, daß wir leben und da sind. Die Kunst des ewigen Lebens ist sein Meisterstück. Sein oder Nichtsein, das überlegt der Philosoph; er kann's doch nicht deutlicher sagen als die Natur, sie ist die Sprache Gottes. Die Kreatur ist das lebendige Gotteswort, ausgesprochen durch die Natur; jede Kreatur muß sich in ihr verstehen, Selbstleben – das heißt sich selbst verstehen, das ist jener unsterbliche Lebenskeim, der Gottes Kunstwerk ist; im Denken tun wir nichts anders, als diesen Lebenskeim aus dem Busen unseres Geistes hervortreiben. Im Verbrecher hat dieser Keim nicht können treiben, ihm fehlte Licht und Nahrung, die Quelle konnte ihm nicht nahen, der Staat hatte sie gehemmt. Im Demagogen ist hier die gereizte Leidenschaft, die im Lebenskeim als Geistesfeuer, als Selbstbegeisterung aufsteigt, um dieser Quelle Bahn zu machen, um die Offenbarung des Bewußtseins der [191] Menschheit zuzuleiten; in Hoffnung, daß auch der Verbrecher dadurch gesunde. Sehen Sie, das ist der große Unterschied zwischen Verbrecher und Demagog, die Sie nicht voneinander unterscheiden können. Und der Fürst muß ja wohl das Haupt der Demagogen sein, wenn er regieren soll, der Staat, der große Rebeller, würde ihm sonst das Regiment entwinden! – Ja, der Regent muß der Demagogen Retter werden, er muß den Fluch, der ihre Jugendbegeisterung in wilden Haß umwandelte, aufheben, das »Ideal ihrer Jugend in sich ihnen geben. Er wage, was man nur mit begeisterten Kräften vermag, und lege den Keim einer großen unüberwindlichen Zukunft in ihre Brust; – er mache sie zu Helden, die das wandelnde Schicksal ihm fesseln; und wenn es auch wie die Megäre über seine Zeit herfiele, – sie würden mit ihm streiten wie der junge Herkules!« Ich habe es schon einmal gesagt, aber es ist nicht verstanden worden. – – Ach, wollten meine Worte anklingen, welche heitere Blüten würde die Unschuld tragen, und welche milden Früchte würde die Weisheit reifen, und Religion würde dann kein goldnes Kalb mehr sein, dasselbige anzubeten, sie würde zum Stamm einer unendlichen Lebensentfaltung.

Nichts mehr besagt die Bedingung des ewigen Lebens, als was das Leben der Natur besagt. – Entfalte dich, heißt das Gebot des ewigen Lebens. – Herr Pfarrer, alles Geschick ist der Entfaltung des Geistes untertan, nach ihr muß es sich richten, und wir sollen nicht eigenmächtig dem Verbrecher diese einzige Lebensquelle entziehen! – Ich spür in des Geistes Eingeweiden, wie ungerecht dies ist.

Pfarrer. Das Geschick hat bisher uns im Zügel gehalten, sollte ich meinen, und uns oft schweren Prüfungen unterworfen.

Fr. Rat. Und der Geist soll diese Prüfungen bestehen, weil er des Geschickes Meister sein soll; – das Geschick ist bloß zu des Geistes Siegerlust, zur Übung seiner heroischen Kräfte! –

Pfarrer. Frevelhaft ist das gesprochen: Ereignisse, die oft Elend und Jammer verbreiten in den Hütten der Armut und ebenso die Großen und Reichen ihrer Schwäche überzeugen, die kann der Geist nicht bestreiten, er muß sich dem höchsten Richter unterwerfen.

Fr. Rat. Wer ist der höchste Richter?

Pfarrer. Das fragen Sie? – Er, der uns züchtigt, der unsre Geschicke lenkt und unvermutet oft, wie aus klarer Luft ein Donnerschlag, unsre Weisheit zunichte macht! Alle philosophischen Richtungen haben doch nie können das Geschick bestürmen, das Fatum! Auch die Alten, die so viel Überwindungs- und Heroenfeuer hatten, mußten das Unerbittliche anerkennen.

Fr. Rat. Der Philosoph ist noch im Reich der Entwicklung, gar nicht der Geist, der sich Mensch taufen könnte. – Der Schneck, der schmutzige Phantast spürt erst umher mit seinen Fühlhörnern in seinem System, und wo er auf etwas stößt, da zieht er zurück und sucht erst Ausdrücke, um seiner Entdeckungskunst Gestaltung zu geben. Wenn man aber ins Wasser schaut, wie der kunstreiche Gottesgeist dies ewig dahinströmende Lebenselement [192] mit dem Geist des Reflexes versehen hat, dann erschaudert man in sich, wie dieser Spiegel die Sonnenstrahlen in seine rauschenden Wellen taucht und alle reinen Himmelslichter in ihr spiegelt. – O Lebensstrom, – was auch deine Wellen abwaschen müssen und mit sich fortführen, die reinen Lichtboten, die Sterne, scheuen nicht, ihr Antlitz in deinen Wellen zu baden. Wie sollte ich fürchten, mein Geistesantlitz im Busen des Verbrechers zu spiegeln! – Und das ist die Andacht der Religion, die als Leben in den Geist geboren ist, daß sie uns mit Lebensschauer durchdringt. – – Alle Andacht muß Geist hervorbringen. Wir haben diesen Lebensgeist auch im Verbrecher zu wecken; Köpfen, Hängen, Rädern! Ha, Schauder der Finsternis, du zermalmst mich. – Einen empfindlichen Leib hat die Natur geschaffen, warum? – daß er in jeder Empfindung solle geistdurchdrungen werden; und ihr martert diesen Leib! – Ihr martert die Natur, die Urkraft Gottes zerfleischt ihr! – der Mensch, in den sie eingeboren ist mit allen Tiefen der Empfindung, gibt Zeugnis, daß ihr Wahnsinnigen in eurem Hochmut es wagt, zu zerreißen die Braut des göttlichen Geistes! Wie dumm kommt das mir vor, Herr Pfarrer, vom Fatum, daß dessen der Geist nicht Herr werden könnte! – Habt erst Geist! – dann wird dies keine Frage mehr sein. Wir werden dann nicht mehr vor dem Fatum zittern. Wir werden auf jedem Fall ihm stehen; und die Begeisterung wird da widerstehen, wo sonst die Furcht ausriß. Denn die empfindungsvolle Natur ist auch Panzer dem Geist, klingender Stahl, der Wohllaut tönt und seine Kraft verdoppelt. Glauben Sie, daß nicht jede Fiber des geistigen Menschen den Widerhall fühle des Naturgeistes? –

Pfarrer. Sie betäuben mich! – Wie sollen meine Einwürfe Ihnen entgegnen, da Sie ein vorüberrauschend Bild nach dem andern vor meinem Begriff leuchten lassen. Es sind so geistbewegende Vermittlungen mit dem Göttlichen, die Sie zu verleugnen scheinen. Zum Beispiel: Beten! – Wo kam dies Vertrauen ins Gebet her, wo nähmen wir selbst den Begriff davon her, wenn es nicht eine Verwirklichung göttlicher Verheißung in sich trüge; können wir auch ein bloße Schimäre auf unser Inneres einwirken lassen; auf unsere Erhebung? –

Fr. Rat. Ja, Inneres! – Warum setzen die Frauen Putz auf den Kopf und die Männer nicht? – Weil der Mann den Sitz der Eitelkeit im Kopf aufgeschlagen hat und die Frauen obendrauf. – Schimären sind solche Trophäen der Eitelkeit. Wie zum Beispiel meine Gesellschaftshaube mit Sonnenblumen Heliotropus dem Sonnengott geweiht, weil diese Blume sich auf ihrem Stiel der Sonne nachwendet! – So wenig aber mein gemachter Sonnenblumenkranz auf meinem Kopf nach dem Sonnenschein sich richtet, was mir auch ganz lieb ist, weil's meine Frisur derangieren würde, so wenig richtet sich die Schimäre der Eitelkeit im Kopf des Mannes nach dem göttlichen Geist, was dem auch ganz recht ist aus demselben Grund! – Ja! unsre weiblichen Kopfverzierungen sind nur die ausgesteckten Fahnen unserer Eitelkeit; während die Schimären im Kopf der Männer eine schädliche Gärung [193] der Lebensstoffe bewirken, in der das bißchen Lebensluft verpufft. – Könnte die Weltweisheit und Kirchengelahrtheit ihre Schimären auch als Mützen auf dem Haupte tragen, – was für seltsame Muster der Kopfbedeckung würden zum Vorschein kommen! – Der Mensch geniert sich zwar sehr um die Mode, auch äußerlich. – Ein frisierter Kopf rückt und rührt sich nicht in der Gesellschaft, er hat nichts zu denken und den andern fühlbar zu machen als: Rühr mir meinen Kopf nicht an! – Am Abend, wenn er nach Hause kommt, setzt er die Schimäre ab und die Nachtmütze auf zu einer bequemen Ruh, wo der steife Hals sich wieder erleichtert und naturgemäß in Morpheus Arme sinkt! Ach welche Wonne! – O Geist, sinke deinem Morpheus in die Arme, saug ambrosische Freiheitsluft, fühl dich in Träumen fessellos, damit du schmeckst, wie das ist, kein gehöhnter Sklave zu sein der Geistesfurcht! und daß Freiheit selbst das Fatum überwinde. Die Fluten des Gesprächs hatten mich über Ihre Frage hinausgerissen, wir wollen's nachholen! Aber haben Sie denn schon manchmal Lust gehabt, zu beten? – Wie ist es da? –

Pfarrer. Wer könnte in Zeiten der Bedrängnis nicht den Geist zum Himmel aufrichten und Stärke erflehen! –

Fr. Rat. Stärke? – Wer könnte den Geist hindern, diese vorauszunehmen noch ohne Gebet! oder ist dies vielleicht Gebet: »Ich will stark sein und will tragen!« – Dann weiter wird der Geist denken: »Warum soll ich zagen, da ich meiner himmlischen Urkraft derUnsterblichkeit mich besinne, der alles Schicksal weichen muß?« – Das ist doch wohl der Inhalt Ihres Gebets? –

Pfarrer. Jawohl! – nur daß ich meine Wünsche und Bitten an den Schöpfer des Himmels und der Erde richte, der Herr ist aller Geschöpfe, und sie dem unterwerfe! –

Fr. Rat. Sie Heuchler! warum unterwerfen Sie sich? – weil Sie meinen, daß Ihnen doch anders nichts helfe, indem er die Macht ist und die Herrlichkeit.

Pfarrer. Warum ist das Unterwerfen dem göttlichen Ratschluß geheuchelt? –

Fr. Rat. Wenn Sie drunter weg könnten, so würden Sie's versuchen, aber nun, weil Sie einmal das Hasenherz im Leib haben, so unterwerfen Sie sich! –

Pfarrer. Aber wer sich nicht unterwirft, zieht Gottes Zorn auf sich! –

Fr. Rat. Wie zum Beispiel die Verbrecher, die widerbellen dem Gott! – und stürzen sich dabei nach seinem ewigen Ratschluß ins ewige Verderben, nicht wahr? – Aber nein! Ich will diesem Verbrecher einen andern Weg zeigen, einen Weg der Macht, der Selbstheit, der Seelengröße, der Geistesfreiheit! – haben Sie was dagegen? – würden Sie als regierende Macht zagen, mir Mittel und Wege frei zu lassen, um aus der zu hängenden, zu köpfenden Menschheit eine der himmlischen Geisteskraft sich bemächtigende Nation zu bilden? –

Pfarrer. Als Regent würde ich allerdings Bedenken tragen, solche Menschen, [194] die ihren ursprünglichen Beruf zur Sittlichkeit, zur Moral verleugnet und ihre Leidenschaften empört gegen das Bestehende – den Nebenmenschen gefährdet haben, wieder in Besitz und, wie Sie sagen, sogar einer freieren Macht als früher zu setzen.

Fr. Rat. Und da würden Sie als Baum der Gerechtigkeit statt guter Früchte lauter Spießruten tragen, um die Menschheit zu geißlen. Und darum ist auch der Verbrecher nicht gegen Sie verantwortlich, weil er den Apfel der Gerechtigkeit, des friedlichen Vertrags nicht von Ihren Zweigen schüttelt, sondern den berüchtigten Apfel der Zwietracht und dann noch allerlei andre Äpfel von Sodom und Gomorrha. – – Wenn es dem Staate beigeht, jeden Schritt mit dem Maß der Intrige zu bemessen und danach seine Großmut raubsüchtig der Menschheit vorenthalten, wenn, anstatt sie in ihrer Gesamtheit übereinstimmend zu heben und im harmonischen Wellenschlag zu tragen, er diese ihm ergebnen Kräfte benutzt, um sich dagegen zu sichern, zu wehren, – wie kann ein solcher es wagen, den Verbrecher zu strafen! Also! – Eben aus Ihrem Mißbegriff, aus Ihrem Mißbrauch, Unverstand, Gelüsten, Sünden, Laster, Verbrechen entstehen die Verbrecher. Und Sie wollen nicht dulden, daß ich die den Weg des Heils führe? – Was sagen Sie, Staat, zu Ihrer Verantwortung? Denn Sie sind ja wirklich als Orgelpfeife des Staates gewiß gar nicht mächtig, eine andre Antwort zu geben als der Staat selber, und ich kann mich nach dieser ganz richten.

Pfarrer. Zu meiner Verantwortung? – Was ich da sage? – Nun lassen Sie mich um Gottes willen erst auch eine Frage an Sie tun! Hat ein Mörder den Tod verdient? –

Fr. Rat. Sehn Sie! ich will mich zu Ihrer melancholischen Ansicht der Gerechtigkeit herablassen! und will das Vergeltungsrecht dieser ganz in Mißbegriff liegenden Zeit noch einen Augenblick statuieren, obschon dies niemand mehr beschämen sollte als den, der Verzeihung predigt. – Doch dann müßte zuvörderst der Staat seine Verbrechen büßen, denn er ist die Veranlassung aller Sünde, Sie geben das zu, aber da ist keine Macht, die ihn zum Schafott führt.

Pfarrer. Ich gebe nichts zu, und Sie haben es auch nicht erwiesen.

Fr. Rat. Man kann mit einer Pistole vor einen eigensinnigen Kopf schießen, und die Kugel prallt ab, und dies kann selbst den Geist in Erstaunen setzen.

Pfarrer. Weil ich nicht gleich Ihren Argumenten meine Überzeugung preisgebe, nennen Sie mich eigensinnig! Machen Sie mir die Schwächen des Staates begreiflich. Und welchen Staat meinen Sie? – Daraufhin kann ich vielleicht Sie besser verstehen.

Fr. Rat. Ich meine keinen Staat, wo mir die Zensur meine Ansichten streichen kann, ich mein einen ganz andern Staat hinter dem Himalaja gelegen, der ein Widerschein ist von dem Staat, den ich meinen könnte; sollte mir aber auch das die Zensur streichen wollen, nun, so mein ich den auch nicht. Ich meine nichts, was könnte gestrichen werden. – Aber da ich doch, ohne den Beweis an Ihrem Kopf abprallen zu lassen, den Staat für den größten, [195] ja für den einzigen Verbrecher am Verbrechen halte, der sein Schwert der Gerechtigkeit mörderlich mit Schuld befleckt hat, so ist er auch der Verbrecher, dessen ich mich am ersten annehme. Ja! – dem will ich zuerst die Macht der Selbstheit, der Unumstößlichkeit und der freien Bewegung aller seiner Glieder sichern! – Nun! dann werden Sie doch auch nichts dagegen haben, daß ich auch jedes verbrecherische Individuum unter meinen Schutz nehme? –

Pfarrer. Ich geb ja alles zu, kommen wir nur endlich dazu.

Fr. Rat. »Willst du strafen oder lohnen, mußt du Menschen menschlich sehen.« Denken Sie sich, Herr Pfarrer, ich wär Mahadö, der Herr der Erde, der zum sechsten – oder siebentenmal heruntergerutscht kommt (denn der gute Kerl ist geduldig), um die Menschheit zu retten oder vielmehr die Gans, die von Philemon und Baucis geschlachtet sollte werden. Ich, der Gott, umarme die Gans und stehe in meiner vollen Götterwürde da. Soll ich strafen oder lohnen, muß ich Menschen menschlich sehen! Der Staat aber als Unmensch, der alles auf sich berechnet und nicht sich für alles hingibt, der sieht ganz unmenschlich und unverständig drein und greift mit Unverschämtheit ins Richtamt Gottes nach der Gans und schlachtet die. Das ist die erste große Beschuldigung des Jupiter Tonans gegen den anmaßenden Staat. In weitere Untersuchungen läßt er sich nicht ein. Es ist dem Gott zu klein, im Morast herumzurühren; er hat einen feinen Geruch, und den will er schonen, wie es einem Gott zukommt, sich selber zu schonen und nicht, wie Sie meinen, alles zu untersuchen, mit einem Himmelsteleskop jedes Verbrechen verborgen liegen sehen. – Himmlische Weisheit braucht's nicht erst zu entdecken, daß die Verbrechen nur krankhafte Erscheinungen des Staates sind. Eine ganz krankhafte Erscheinung ist schon das Strafen und Lohnen ohne die Befähigung dazu! das heißt ohne die Weisheit! – beim Lohnen nun absonderlich, das gar nicht sein sollte, weil es den Morast aller Gemeinheiten aufwühlt.

Bürgermeister. Das ist wieder eine neue Ansicht, wo mir der Begriff darüber still steht.

Fr. Rat. Ich hab mich immer über das Unabhängigkeitsgefühl gefreut in dem weisheitsvollen Dekret unseres Staates, daß die Senatoren keinen Orden annehmen dürfen. – Es heißt nicht allein, ihr sollt euch nicht bestechen lassen, ihr sollt das Zeugnis eurer Verdienste nicht zur Schau tragen, es heißt auch: Führt kein Abzeichen, das der Gemeinsinn nicht versteht, prahlt euch nicht mit Verdiensten, die eine Notwendigkeit unserer Verpflichtungen sind. Es heißt aber auch, daß der Mut und die reine Absicht keinen Lohn vertragen. Das Gute ist verborgner Trieb im Lebensquell, es müßte den Atem verlieren und in sich stocken, sollte es den Lohn ertragen. Das ursprünglich Göttliche lohnt sich nicht, Lohn ist dem Guten nicht Würde, es ist ihm verkennende Schmach. – Der Staat muß nicht lohnen, wenn er nicht die Gerechtigkeit in eigner Person anschwärzen will.

Bürgermeister. Wie Barcelona unserer Stadt das Bürgerrecht schenkte, weil [196] die Kaufleute von dort hier auf der Messe in ihren Rechten vom Rat geschützt wurden gegen die Bürger, die mit ihnen in Streit kamen. Das war keine unedle Anerkenntnis.

Fr. Rat. Das lass ich gelten, das öffnet dem Gemeinsinn die Schleusen, aus dem eben die strengste Zucht entspringt. Gemeinsinn greift da ein, wo kein Gebot noch Verbot wirkt, er ist die freie Freiheit. Aber die Eigenmächtigen verstehen diese nicht. Innere Gebundenheit und äußere Freiheit sind doppelt schwere Ketten, – bewußtlose Trunkenheit, die die Sinne bindet und verwirrt.

Bürgermeister. Da sprechen Sie den Demagogen das Urteil.

Fr. Rat. Ihr seid die Demagogen – die ihr beim Strafen wie beim Lohnen eigenmächtig eingreift in die geistigen Anlagen der Menschheit. Der des Lohnes bedarf, ist so krank als der Straffällige, und der ist noch kränker, der Lohn und Strafe austeilt.

Pfarrer. Aber das Notwendige ist ja doch Bedingung des öffentlichen Verfahrens.

Fr. Rat. Dazu reicht Menschenwitz nie aus, drum wendet er ihn aufs Unnütze! Unnütz sind eure Zucht-, Schweig- und Isolierhäuser. Das sind keine Heilanstalten, sondern Marterkammern der geistigen und sittlichen Natur. – Den Kranken betten wir sorgfältig, wir löschen seinen Durst, wir mildern seine Hitze, und kein Weh ist, was wir nicht durch erfinderische Pflege erleichtern, die ihn seiner Schmerzen vergessen macht. Wir besänftigen seine Ungeduld; jeden Genuß, der neuen Lebensreiz gibt, bieten wir ihm. Der erste Reiz zum Leben, die erste Spur erneuter Kraft erfüllt uns mit Hoffnung, und so verschmilzt die Lebenswärme des Heilenden mit der wankenden Lebensflamme des Kranken. – Machen wir's auch so mit denen, die der Pflege unseres Geistes vertraut sind? – Oder wie kommt es, daß der Geist nicht mit gesunden Sinnen begabt ist, sondern mit Bosheit behaftet gegen den moralisch Kranken? Diesen vom Schicksal Zerschmetterten, der meist von jener Kehrseite des irdischen Glückes herkommt, der wir den Rücken drehen, – den nennen wir nicht krank, sondern Verbrecher, weil er in seiner unberatnen Leidenschaftlichkeit unsern Egoismus verletzt; in jenen bittern Heilanstalten der Moral empfängt ihn die Verzweiflung statt der Krankenpflege. Wir malen sein Inneres ihm so schwarz, daß er nie hoffen kann, das Schlechte zu überwinden, wir erlöschen die erneuende Lebensflamme mit dem giftigen Hauch der Vorwürfe, die keine Frist gönnen der irrenden Natur, sich wieder zurechtzufinden. Und wenn wir den Lebensreiz in ihm ermartert haben, daß er erschlafft und nachgibt, er sei derselbe Bösewicht, den wir so bitter tyrannisch ihm einätzen, dann schlagen wir ihm den Kopf ab oder hängen ihn oder machen ihn blödsinnig in Schweig – und Isolierhäusern. Muß dies unerhörte Verfahren der Narrheit nicht die gesunden Sinne empören? Warum pflegt ihr nicht den Verbrechenskranken, wie es die Natur euch ins Herz schrieb bei dem Naturkranken? – Warum keinen Tropfen Linderung in der Fieberhitze? Warum [197] kühlt ihr nicht den Aussatz? – Warum ätzt ihr vielmehr so den Menschenhaß, die Verachtung und Verleugnung der Wahrheit mit eurer Inquisition? – Sind eure abnorme Ansichten nicht auch Krankheitsymptome, die ihren Sitz haben im Egoismus wie das Verbrechen auch? – Und so ist die Behandlung des Verbrechers mit derselben Krankheit behaftet, die das Verbrechen erzeugte.

Wären wir geistig ganz gesund, so ist unmöglich, daß wir nicht auch den Verbrecher heilten. Denn geistige Gesundheit ist unwiderstehliche Heilkraft, die jede Versündigung am Geist ausgleicht und organisch erneuert. Unser Geist steht noch auf der Stufe der Amphibien, verliert der Frosch ein Bein, es wächst ihm wieder, verliert der Krebs eine Schere, so ersetzt sie sich, und der Staatengeist ist ein Krebs, er huft vor allem Geistigen zurück, eh er es mit der Schere packt. – Wären die Großen nicht mit dem Wahn behaftet, das Richteramt sei ihnen von Gott vertraut, so würden sie ihre Sinne anstrengen, einen Weg der Gesundung für die Verbrecher zu finden, das würde sie zu der Quelle leiten, aus der sie entspringen, und da würden sie entdecken, daß der Staat selber diese Quelle ist. Ja, dann würden sie sagen: Wie ist das zu ändern! es ist nicht möglich. – O nein, mein Freund, es ist wohl möglich! – bring zuerst das kleinste Opfer! – das zweite ist dir leichter, im dritten erwacht dein Selbstgefühl immer mehr, du kannst endlich nichts mehr tun, nichts mehr zugeben, worin du deinen besseren Regungen einen Damm setzen müßtest, du kannst nicht mehr alles Mitleid, alle Großmut mordweise in dir unterdrücken. Dein eignes Selbst ist dir zu heilig, du liebst dich selbst um der göttliche Gabe willen zu trösten, zu heilen, statt der früher höllischen Übermacht, in die Enge zu treiben, ins Verderben zu reißen, und ich will nichts mehr sagen. Sie beide werden es nicht leugnen, was Ihr eigen Herz bejaht.

Pfarrer. Ihre Ansicht oder Ihre Überzeugung vielmehr in Ehren! – aber ich kann nicht zugeben, daß der Geist, der den Verbrecher zum Bekenntnis leitet und ihm die Auswege verschließt, ein listiger Verführer oder Verderber sei, er führt ihn vielmehr zur Reue, verhütet den Schaden, der durch ihn gestiftet würde. Der Staat vermag nicht anders dem Übel zuvorzukommen.

Bürgermeister. Ja, wie sollte man das Bekenntnis anders herbeischaffen, um das Verbrechen mit dem Stab der Gerechtigkeit zu messen? –

Fr. Rat. Alter Unsinn, altes System, alte angeborne Despotenwut, wie alles, was man erzwingt. Das Verbrechen ist geschehen, der Verbrecher weiß selbst nicht wie! – er kann's sich selber nicht begreiflich machen. Das, was er darüber sagt und sagen kann, ist ganz gleichgültig, so wie ihr selbst durch eure gesunden Begriffe über dem Verbrecher steht, und ist das nicht, so habt ihr auch nicht das Vermögen, den Stab der Gerechtigkeit daran zu legen! –

Pfarrer. Aber müssen wir nicht darauf bedacht sein, durch das Bekenntnis sein Gewissen zu erleichtern und mit sich auszusöhnen?

[198] Fr. Rat. Diese ermarterte vorzeitige Krise hemmt den organischen Verlauf der Heilung. O, laßt euch nicht betören von allgemeiner Kurzsichtigkeit, Engherzigkeit und Unvermögenheit des Staates. Der Staat handelt nur dann recht, wenn eben alle edle Regungen in ihm befriedigt werden. Für was lägen die Anforderungen in der Menschenbrust, diese Stimme des Erbarmens, wenn sie nicht auch die Stimme des Rechts wär, und wenn wir ihr kein Gehör sollten geben?

Pfarrer. Es sind vielleicht andre Gelegenheiten, an denen diese edle Regungen sich bewähren können. Hier fordert das allgemeine Beste mannliches Selbstbezwingen dieser Mitleidsstimme! –

Fr. Rat. Es gibt keine andre Gelegenheit als nur die größte, dieser gilt auch der höchste Adel der Seele. Wollen Sie mit dem bißchen Sentiment, was der gierige Egoismus absetzt, hier und da Gutes wirken? – Hier und da ein Unkräutchen ausrupfen, an der Wegebesserung der Tugend arbeiten? – sie von beiden Seiten mit Dornsträuchern bepflanzen? Eine Schattenbank dem Wanderer hinsetzen, ihn zur Ruhe einladen und zur Betrachtung von der Vergänglichkeit irdischer Dinge? Wollen Sie mit ihm Betstunde halten, Gott loben aus dem Gesangbuch und damit den Lebensorganismus, der laut und kräftig durch die Elemente sich arbeitet, unterdrücken? –

Pfarrer. Unsere Anstalten, unsere Verwendungen fürs Heil des Geistes, der Seele gehen doch weiter, als Betstunden halten aus dem Gesangbuch. Man kann unserer Zeit nicht vorwerfen, daß sie ihren Wirkungskreis gering abstecke.

Fr. Rat. Ach ja! Richtig! so was hab ich erfahren! Eine Mission nach Sibirien! wo der fürchterliche Schnee liegt, wo die vielen Wölfe als die Menschen fressen, die dahin sind verwiesen worden, da sollen nun Frauenzimmer hin, die Bären und Wölfe zu zivilisieren, zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und ihnen ein wenig menschliche Gesinnung einflößen. – Ja wahrhaftig, so was hab ich gehört, oder hat mir's geträumt?

Pfarrer. Das letzte wohl, Frau Rat, denn es sind nicht Bären und Wölfe, sondern die Menschen, welche diese würdigen Frauen unter ihre Obhut nehmen, und es liegt auch kein Schnee, sondern ein ewiger heißer Sommer herrscht dorten.

Fr. Rat. Ja richtig! Ich weiß! – Das waren die vielen Hosen von bunt beblümtem Zeug, die man nach Afrika am Kap schickte als Patengeschenk, um die unschuldigen Kaffern zur Taufe zu locken.

Pfarrer. Nun, war das nicht ein christlicher Zweck? – ein edler Drang des Herzens! – Menschen, die so fern von uns schmachten ohne das Wasser der heiligen Taufe, noch mit liebreichen Geschenken der Sittlichkeit zu ihrem eignen Heil zu bewegen? –

Fr. Rat. Ei, Herr Pfarrer, lassen Sie sich sagen, wie's gegangen ist mit den Hosen. Es war so großblumiger Kattun, der hier ausverkauft wurde, die Missionsdamen machten aus, daß ein getaufter Kaffer unmöglich könne mit unbekleideten Beinen mehr vor Gott, der alles sieht, herumlaufen, sie [199] haben also die ambulanten und andächtigen Schneidermamsellen, deren es unzählige gibt, die gern abenteuerliche Reisen machen, versammelt in ihrem Konvent. Sie haben sich alle miteinander an einen langen oblongen Tisch plaziert, mit grünem Tuch beschlagen; sie haben die Brillen aus dem Futteral gezogen und auf die Nas geklemmt, Fingerhut und Nadelbüchse und große Schneiderschere, damit haben sie die ganze Nacht gezackert hin und her in den Blumenteppichen; denn da es ein Werk der Schamhaftigkeit war, so wollten sie's nicht beim hellen Tag, sondern bei Mondenschimmer und bei Talglichtern betreiben! Eine Probiermamsell hat in einer Nacht über funfzig Probeanzüge gehalten dieser Patengeschenke, und wem man es so erzählte, der würde es nicht glauben. – Ein Frauenzimmer, das vom Taufkosen – Anprobieren in Ohnmacht fällt, bei einer Tasse Kaffee hat sie sich wieder erholt, sie klagte es ihrer Bas, meiner Lies. Diese Hosen, mehrere Tausend an der Zahl, sind denn endlich in See gestochen, mit großer Erbauung derer umstehenden Christen wurden sie unter tausend Segenswünschen, Gebet, Abschiedstränen, Glockengeläut eingeschifft. Aber sehen Sie, Herr Pfarrer! – –

Pfarrer. Die Frau Rat erzählen das so launig, es kommt beinah zum Lachen heraus, aber bleiben wir bei der Absicht, den Opfern, die man einem solchen Zweck brachte, und es ist nicht mehr zum Lachen! – Kaum schlägt an unser Herz das Gefühl tiefer notverlaßner Menschheit, so dehnt es unbegrenzt sich aus, so bleiben wir nicht im Vaterland stehen, nicht Europa begrenzt unsre Wirksamkeit, wir fliegen in fremde Weltteile, überall ist ja derselbe unserm Herzen verwandte, unserm Geist von der Gottheit anvertraute Mündel und Pflegling.

Fr. Rat. Eben das, Herr Pfarrer, wollt ich sagen, und die Hosen sind auch glücklich ohne Sturmwetter am Kap der guten Hoffnung angelangt, sichtbar hat die göttliche Vorsehung grad in der glühenden Sommerzeit gewaltet, wo die Passatwinde sich oft karambulieren und meist viel Schiffsladungen dem Krieg der Elemente zum Opfer fallen, da ist diese Ladung ungefährdet angekommen, denen Täuflingen ausgeteilt worden, die sind zu Haufen zur Tauf herbeigestürzt und haben mit Tanzen und großen Luftsprüngen sich taufen lassen, auf den Kopf gesetzt die bunten Blumenhosen, auf beiden Seiten hingen die blumigen Beine herab, und der christliche Glaube und alles geht herrlich und in floribus in dem Afrika her! –

Pfarrer. Auf dem Kopf haben diese ungebildeten und stumpfen Kinder der Natur diese Kleidungsstücke angelegt? – Ei, da geht ja der ganze Zweck der Sittlichkeit verloren.

Fr. Rat. Wie so? – Ich sag Ihnen ja, daß ganze Schwärme hervorkamen; wie die Mücken im sonnigen Abendglanz, so tanzten sie mit ihren Hosen auf dem Kopf herum und ließen sich taufen.

Pfarrer. Der Zweck ist nicht erfüllt! –

Fr. Rat. Warum das? – Soviel Beinkleider, als da sind in der Wüste Afrikas, so viel gläubige Herzen, so viel bekehrte Seelen! – Nein, da will ich Ihnen [200] noch was anders mitteilen, da ist jetzt wieder ein anderer Weltteil! Asien! – Da ist wieder was los, da bin ich begierig! – wieder eine Expedition. Da sollen die Inder gänzlich auf europäische Weise sich vermählen lernen; und allemal beim Sterben des Ehegatten, wenn der begraben wird, wo sonst die Frauen verbrennen mußten, da wird jetzt gleich ein Bräutigam zum Leichenbegängnis mitgeführt. Es ist nun schon in den Zeitungen zu dieser Expedition aufgefordert, bis jetzt hat sich abermals eine Schneidermamsell dazu gemeldet. Es ist außerordentlich, was diese Frauenzimmer Courage haben! – sie unterwerfen sich See – und Landungeheuern, wenn sie nur ihr Scherflein zum Ganzen beitragen; denn daß manch Seeungeheuer so eine christliche Person wegschnappt, das ist gewiß! – Für zehn, die ein Haifisch kapert, kommt höchstens eine ans Land! –

Bürgermeister. Ja! daß das Frauenzimmer keine Todesfurcht kennt! – Und grad von einem Meeresungeheuer verschlungen zu werden, das grauelt mir!

Fr. Rat. Gelten Sie, das ist kein Spaß, der Tod gräuelt einem immer, aber so ein Seeungeheuer kann einem Verbrecher doch auch nicht schwärzer vorkommen, als eine Bürgermeisterperücke mit einer schwarzen Schabracke, die Sie anhaben, wenn Sie ihm den Stab brechen! – Sie, die noch nie in die Wochen gekommen sind, können sich freilich keine klare Vorstellung davon machen, wie man hinübergeboren wird, und es ist auch danach, es dröhnt einem in allen Gliedern. Aber endlich kommt man doch mit einem Götterjüngling nieder, der längst in sich verspürte Geniusjüngling, das eigne höhere Selbst. Wenn Sie Mutterfreude an sich genießen wollen, so lassen Sie das Urteil mit Hängen und Köpfen – das Vollstopfen der Zuchthäuser; – denn sonst bringen Sie sich selbst als ein Monstrum und nicht als Genius zur jenseitigen Welt, und da wird man sich nicht genug verwundern können drüben über das Frankfurter Mondkalb mit der Bürgermeistersperücke! –

Bürgermeister. Mit Hängen und Köpfen hab ich mich nicht so sehr viel befaßt, die Stimme des Erbarmens hat immer ein geneigt Ohr bei mir gefunden! – Aber wir haben einmal Pflichten, die ihr vorgehen, davon wollen Sie nichts hören. Der Schutz der Gesamtheit ist uns anvertraut, wir müssen das Gift ableiten, die Tollkühnheit in Bande schlagen, die Heimtücke ersticken.

Fr. Rat. Despotenwut, Sie weiser Solon und Lykurg! Despotenwut und Feigheit, aber kein Gerechtigkeitsgefühl.

Pfarrer. Tut man nicht alles, den Verbrecher einer ewigen Barmherzigkeit würdig zu machen? – Hat er nicht den Trost, daß Christus für die Sünden der Welt gestorben ist? –

Fr. Rat. Kommt dem Verbrecher nicht damit, daß der Gott für die Weltsünden sei gestorben, da er als schwacher Mensch selbst einen so harten Tod für seine eignen Sünden erleiden muß. – Und da nicht einmal das Sterben des Heilandes dem Richter als Genugtuung für den Sünder gilt, wie soll da [201] der arme Sünder von dem Tod des Gottes profitieren, Sie weiser Tertullian, Ambrosius, Gregorius und Alexandrius? – Wenn Christus wirklich gesagt hat: ich sterbe den Tod für die Sünder, so war ihm das auch höchst zu viel mit eurem Spießen und Hängen und Sengen und Brennen der wehrlosen Menschheit! aber ihr habt ja den Christussinn nicht verstanden.

Pfarrer. Schreiben Sie mir den Unsinn der Kirchenväter nicht zu, Sie irren! Ich bin ihr nicht untertan! Meine Pflichten als Pfarrer haben mich als mit der Menschenliebe übereinstimmend bisher geleitet, und ich werde nicht nach veralteten Satzungen, die immer anmaßende Tyrannei waren und keinen philosophischen Grund hatten, mich je richten. Glauben Sie ja nicht, Frau Rat, daß ich so arbiträr, so einseitig und unbillig sei und sinnlos für universelle Humanität, oder nicht Mut haben sollte, dem, was dieser universellen Humanität widerspricht, auch zu widersprechen! –

Fr. Rat. Darauf kommt es nicht an, aber Sie wollten Ihre Weisheit nicht den Kirchenvätern zu verdanken haben, da muß ich Ihnen den Beweis deutlich führen, wie Sie dennoch unbestrittner Erbe dieses Unsinns der Kirchenväter sind und ihren einmal eingeleiteten Unsinn aufs listigste durchgesetzt haben.

Pfarrer. Ich! – Frau Rat, Sie können mir nicht bange machen, daß ich ein solch Ungeheuer sollte sein, die Menschheit mit Fesseln der List vom reinen Begriff des Göttlichen und Schönen und dessen Genuß abzuhalten, wie das durchgängig der Kirchenväter strenge asketische Verrücktheit war.

Fr. Rat. Also Sie, Herr Pfarrer und Kirchenrat, der hier seiner hohen Ahnen sich schämt und ihnen öffentlich widersagt, passen Sie auf, wie ich meinen Beweis führe einer frappanten Ähnlichkeit Ihrer Charakteranlagen mit denselben; daß man meinen sollte, man hört noch die vergilbte Tendenz früherer Zeiten nachhallen! –

Von der Griechenwelt erzähle ich Ihnen, die in so vielseitigen Idealen der Schönheit ihre Götterbilder verewigten. Untergesunken ist die Begeisterung für das persönlich Göttliche des Griechengeistes im Christentum. Wir haben nach Ihren heiligen Kirchenahnen, deren Kirchenururenkel Sie sind, dem Schönheitstempel des Leibes abschwören müssen und ihn für einen Madensack erklärt, der ein sündhaftes Exkrement sei der Natur. Die Tempel sind zertrümmert mit ihren Götterbildern – Zeugnis kirchenväterlicher Barbarei – oder sind mit Gewalt in christliche Vorstellungen verwandelt worden – Zeugnis ihrer Schlauheit. – Wie zum Beispiel die drei Grazien als die drei Kardinaltugenden Glaub, Hoffnung und Lieb in der Sakristei der Paulskirche zu Rom von den Kardinälen höchlich verehrt werden. Einer Venus waren verschiedne Altertumsforscher auf der Spur, daß sie in St. Loretto als Jungfrau Maria Wunder tue; – Winckelmann hat dies durch historische Beweisführungen erledigt, daß nicht zu zweifeln ist. – Wie aber sollte der Sohn der übergetretenen Venus nicht der Götterknabe Amor sein, der so viel olympische Wunder verrichtete an Göttern und an Menschen, die er zusammenbrachte, und so die Menschennatur durchdrungen hat mit Götterkräften. [202] Er war der erste, der unser Heil begründete, indem er den Menschenteig mit der Gottheitshefe in Gärung brachte.

Pfarrer. Frau Rat, halten Sie ein! –

Bürgermeister. Ich erstaune ob Ihres Übermutes und Ausgelassenheit.

Pfarrer. Lassen Sie Ihre eigne Überzeugung nicht wie jene Sappho sich vom leukadischen Fels den Hals abstürzen.

Bürgermeister. Ja, Frau Rat, Sie gehen aus allen Fugen! –

Fr. Rat. Nun! Alle beide! – Schreien Sie nicht wie die Neuntöter! Was lamentieren Sie um die Sappho? – sie hat sich ja nicht zu Tode gefallen! – sie hat ja wie ein Fisch schwimmen können, unter dem Fels hielt ein Nachen mit allen möglichen Bequemlichkeiten zu einer angenehmen Fahrt, und die Schiffleute haben sie aufgefischt und mit ihr fortgesegelt dem flüchtenden Liebhaber nach, der aber sich hat erreichen lassen, und haben beide eine glückliche Fahrt gehabt. – Meine christliche Überzeugung kann auch schwimmen, und wenn sie einen übermütigen Sprung tut, wird sie schon aufgefischt werden.

Sind Sie beruhigt über meinen Sturz in den Abgrund? – Dann werd ich in meiner Götterexplikation fortfahren. – Der Heilige Geist kann nach Winckelmann nur der Gott Apoll gewesen sein. Mars hatte sich aus den zu engen Himmelsschranken herausgeflüchtet, denn dort den Erzengel Michael repräsentieren, das war ihm nicht angenehm, immer dem Teufel den Fuß in den Nacken zu setzen, und wie Sie selbst wissen, hatte er viel kriegerische Abenteuer, die nicht unter des Himmels Schutz waren. Wie zum Beispiel die französische Revolution nur bloße Rachewut ist von ihm, daß der Griechenhimmel war zerstört worden. Er schwor auch beim Styx, mit dem Fluch der Revolutionen die Völker heimzusuchen, bis der Olymp wieder hergestellt sei. – Merkur, nachdem der als Gabriel die Verkündigung abgemacht hatte, schlich sich hinter den Kirchenvätern zum Tempel hinaus zu den Schleichhändlern, die er perfektionierte, während dem Duanenkordon kann es ihm schon Spaß gemacht haben, wie denn alles Verbotene ihm eine interessante Aufgabe ist. Er durchstreift alle Druckereien, – vor Druckerschwärze erkennt man nicht die Götterzüge – aber öffnet die Bücher, die er druckt, da leuchtet sein Genie, Gesetze und Rechtsform zu umgehn. – Jupiter als Gottvater durfte sich nicht für seine in heimlicher Liebe erzeugten Göttersöhne interessieren, so mußte er's geschehen lassen, daß die Kirchenväter den Herkules, welcher im Göttertempel abgebildet ist mit Amor auf dem Arm, der ihm den Weg zur Omphale zeigt, – zum Fährmann Christofferus machten. Den Amor mußte er nun doch wieder über den Styx herüberbringen, der hatte keine Ruh im Christenhimmel. Weil er das Spielen auf Blumenwiesen und in den Rosenhecken gewohnt ist, verlangte ihn hinaus ins Grüne, er hat sich jedoch streng nach der Observanz der Kirchenväter halten müssen, so konnte er nicht seiner natürlichen Neigung beglückender Neckereien mit den Menschen sich hingeben. Statt so anmutig, wie ihn die Mutter der Liebe geboren hatte, mit heiterer [203] Lust ihnen zu begegnen, drängte er im dolenten Rabbinerkostüm zwischen Pharisäern und Schriftgelehrten sich durch! – er sagte zwar, ich bin die Liebe, aber die alten Philister erkannten nicht den Amor. – – In unserer nach allen Seiten sich bildenden Zeit, – worin die Damenvereine den Vortrapp bilden in den christlichen Staaten, – haben sie dieser Gottheitsabkunft nachgespürt und in Winckelmanns Altertumforschungen bewährt gefunden; – es war an der Transfiguration dieser alten Götter nicht zu zweifeln und frommen Herzen nicht zu verargen, im Antikenkabinett sich eine etwaige Vorstellung davon zu machen, natürlich nicht ohne geistliche Leitung.

Ein Kirchenrat, der sie zwischen den Götterreihen durchführte, möglichst ihre Bescheidenheit schonend, pflanzte sich vor jeden Gott hin, ahmte seine Stellung nach mit verschönender Grazie, und statt der Götter ließ er sich von allen Seiten betrachten, indem er künstlich sich auf dem Absatz seiner gewichsten Schnallenschuhe drehte, so ging das fort vom feurigen Mars zu Merkur, dem anstandsvollen Herold, von dem zum Gott Apoll, dem leuchtenden Bogenspanner, des Pfeile töten, – dann Bacchus, der lautjauchzende, – dann Alkäus; Victor triumphalis – vor nichts scheut unser Kirchenrat zurück, er läßt die Götterreihe in seiner Person von allen Seiten sich abspiegeln. – Wir brauchten die Augen doch nicht auf diese unverschämten Götter zu erheben, – als ob der Mensch den nackten Götteranblick vertragen könne? – So ging's weiter bis zur schaumgebornen Anadiomene, zur hervorschreitenden Gnidia! – gleich verwandelt sich der Kirchenrat in die liebliche Stellung der Antike; sanftes Schmeicheln lauscht in seinen Blicken! man kann nicht mehr von einem Kirchenrat verlangen. – Obwohl ein verstohlener Blick uns überzeugte, daß zwischen Ihnen, Herr Pfarrer, und der Venus noch ein Unterschied sei, so ließen wir doch uns an Ihrer Ansicht genügen. – Nun haben die Kirchenväter damals gewiß nicht weniger aus allen Kräften zur Gründung der Kirche die wesentlichsten Eigenschaften der Gottheiten, Apostel und Heiligen nach Maßgabe ihres christlichen Denkvermögens durch ihre Dogmen vermittelt wie Sie, Herr Pfarrer, die Vermittlung waren von der antiken Götter Konterfei. Es ist einmal nicht anders, unbewaffnete Augen können den Gottheitsanblick nicht vertragen. – Sie selbst, Herr Pfarrer, haben sich als mildernder Schatten dazwischen plaziert. – Sie müssen nun eben so zufrieden sein mit dem Schatten, den die alten Kirchenbärte mit ihrer Laterna magica Ihnen an die leere Wand Ihrer Denkkammer hinmalten. Und aber ich weiß heut noch nicht, warum wir uns mit Ihnen unter diesen Antiken herumtummelten, der Sie durchaus mit dem Battenrock und Stiefelmanschetten hinter der Mode waren. Machten's die Kirchenväter nicht grade so? – Und wär's nicht besser, wir hätten von gar keinem Gott gewußt? – Jupiter, Battenrock! – Apoll – desgleichen mit dem Rohrstock als Bogenspanner! – Mars abermal desgleichen, den Mantel drapiert. – Merkur ganz derselbe, mit dreieckigtem Hut auf dem Kopf, die Fußspitze in der Schwebe. – Als Herkules [204] stießen Sie mit Ihrem Rohrstock dem Aufseher unter die Nase, sonst ist alles ohne Unglück abgelaufen bis zur Venus, über die Sie eine lange Rede im Abgehen hielten, um uns aus dem Antikentempel hinauszutrödeln, so daß Sie uns mit Ihren studierten Anmerkungen wie an einer Schnur gereiht an Ihren göttergleichen Anblick fesselten. Was haben Sie nun noch den listigen Kirchenvätern vorzuwerfen, da Sie ein eben so loser Schelm sind und ebensowenig verlegen, durch Ihr eigen Ingenium die Götterpersonalien uns vertrauter zu machen. Den Jupiter stellten Sie dar: Giove crolla – la testa immortale! und schüttelten dazu Ihr unsterblich Haupt! zum Glück, daß die Mauern Frankfurts nicht davon erzitterten!

Bürgermeister. Gott sei Dank, sonst ging ich nicht heute mit dem Herrn Pfarrer hinter dem Schlimmäuerchen nach Hause; von den gewaltigen Thematas, die wir heute erörterten, könnte ihm der Kopf wackeln. Die alte Mauer könnte ihm das Kompliment machen und mir grade auf die Nase stürzen.

Pfarrer. Ja! nicht zu leugnen ist's, viel Seltsames, viel Großes, viel Neues und noch Unerhörtes haben wir heute erörtert, aber es wird leider alles auf demselben Fleck bleiben. Denn Weltumwälzungen sind der freien Stadt Frankfurt einmal nicht ins Schicksalsbuch geschrieben.

Fr. Rat. Ach Sie verzagter Peter, warum nicht? Weltumwälzungen sind grad nur dem möglich, der's probiert, und warum soll der Weltengenius nicht ein Frankfurter sein, frag ich? –

Pfarrer. So wenig, wie man die Sprache auf einmal wegwerfen kann, kann man die Welt umwälzen; sie bildet sich allmählich, sonst würde uns keiner verstehen! –

Fr. Rat. Richtig! Sperr auf das Maul und sag A, A! dann ist der erste Buchstab da! – und dann kommt B und dann kommt C, so ist die Welt umwälzt. – Ich bedarf keines Ruhmes, aber: ja! es wär mir doch eine Befriedigung, wenn die Spitzbuben heimlich meinen Sarg entwendeten von eurem Kirchhof aller bleiernen Gesetze und auf jene steile Höhe des Ruhmes brächten, wo der Lorbeer blüht und die ungelenke Polizei nie hinaufhampeln wird. O Nehmalles und Laßnix und Rattengast und ihr alle, die ihr vielleicht dem Beil entgeht, werdet dort die goldnen Saiten auf die Dichterleier spannen und mir einen Päan dichten.

Bürgermeister. Die Stadt wird einen Katzenbuckel machen, damit der Hain drauf gepflanzt werde, und die Frankfurter Stadtmusikanten werden mit einstimmen. Denn die Asche einer so großen Frau muß unserer Stadt konserviert werden, das bin ich als Bürgermeister verpflichtet, zu überlegen! –

Fr. Rat. Ich bin noch nicht tot und kann noch warten, und die Stadt Frankfurt braucht keinen Katzenbuckel zu machen.

Wenn ich einstens bloß aus dem Geist hervorgehe, als die kühnste Anschauung ihres eignen Geistes, dann kann sie stolzer sein auf mich als der stolzeste Denker! – Denn der veraltet zwar nicht, der mit der Zeit geht; der ihr aber voranschreitet, hat die Zeitlichkeit überwunden.

[205] Bürgermeister. Dann werden wir Sie als den bewußten Götterjüngling auf unsern Zinnen schweben sehen im Mondenschein! denn Sie können dann nicht veralten! –

Fr. Rat. Ja! und ich werde die Lorbeern dort oben in meinem Grabeshain plündern und sie herabwerfen auf die wohlverdiente Stadt, die erste im deutschen Reich.

Pfarrer. Frau Rat, das ist zu viel gesagt, Frankfurt ist ein altes Rattennest mit seinen dicken Wällen.

Fr. Rat. Was? – zu viel gesagt? – Wissen Sie, Herr Pfarrer, und vergessen Sie ja nicht, daß Frankfurt ein Freistaat ist, wo jede Wirksamkeit Bürgertugend sein muß, oder sie hätte ihren Zweck verfehlt. – Ein großer Staat ist ein eigennütziger Held. Die selbstische Natur steckt ihm in den Rippen, von sich hat er einen überspannten Begriff. Er will eigensinnig durchsetzen gegen den mächtigen Strom des Weltengeistes, was der ihm allmählich wieder davon flözt. – Was aber ordentlich in der Freiheitskultur wird gehalten, das muß auch wie der Obstbaum glauben ans Frühlingswetter! erst sieht er noch ganz dürr aus, daß man ohne Bedenken sich einen Reiserbesen draus könnt schneiden, um die Gass zu kehren. Morgen schwellen schon die Knospen; da hat der Baum ein ganz ander Ansehen. Es sieht jeder: der Baum ist guter Hoffnung! – Es gibt zwar Frost und kalte Tage, die können dem Frühling eine Weile Widerpart halten. Aber die liebe Sonn wird mit jedem Tag gewaltiger! – sie wird recht behalten. Schwellen die Knospen und blühen, – dann wird die Sonne sie auch reifen und eine reiche Ernte wird sein! und das ist das freie Bürgertum, was sich immer mehr veredelt. – Nun mögen Sie sagen oder denken, was Sie wollen, so ein Verhalten nenne ich eine große Staatspolitik, wo dies Bürgertum in seiner Blüte geschützt ist, und diese Politik ist auch auf Naturrecht begründet und kann den andern Staaten zum Muster dienen! und wird auch recht behalten und ist wahre Religion der Politik, deren Grundzüge so groß sind, daß alle Religion nur klein ist gegen diese. Wie zum Beispiel: die Freiheit aller macht den einzelnen frei. Das Volk ist der Höhenpunkt, nach dem der Lauf der Sterne berechnet wird. – Drittens. Nur das macht mich zum Fürsten, was ich dem Volk angedeihen lasse, oder viertens: Was ist ganz mein? Meine Seele! – aber es ist ein Gott über ihr, der sie liebt. – Der gab dieser Seele zur Trift die Weisheit und Gerechtigkeit für das gesamte Volk, an ihm muß ich meinen Willen reifen, an ihm meinen Witz schärfen, an ihm muß der Heldenmut für es groß werden, in der Entsagung muß sich die Liebe läutern.

Dazu ist mir das Volk geschenkt, daß ich in seinem Spiegel mich erkenne; – dazu ist mir's gegeben, daß ich groß und klar wie ein fruchtbarer Sommertag über ihm herziehe. – Ein Sommertag ist bald herum, aber er kann ein froher Tag sein, an dem das Volk sich nicht bedrückt fühlt, aufgelegt zum Blühen, an dem es selbst sich entwickelt zu großer Gesinnung, an dem es nicht mit dem linken Fuß aus dem Bett steigt – langsam und träg sich [206] herausschleppt, sondern mit froher Zuversicht mit beiden Beinen zugleich herauswippt und dem Tagwerk entgegenspringt. Nicht furchtsam wie vor Sklavenarbeit; – heiter wie frische Morgenluft im Gefühl, daß der Tag fruchtbar Wetter bringe. Nun! ein solcher Tag ist kurz! er geht unter tatenreicher Kraft schnell vorüber. Ein Menschenleben ist auch kurz. Von allem, was in der flüchtigen Zeit gewonnen ist, kann der Mensch wie der Tag nichts sein nennen als die edle Wirkung auf die Gesamtheit, nichts ist diese als die süße und doch feurige Reifekraft des Tags! –

Wie kommt's, daß von den großen Monarchen und Thronbesitzern, den Reichsverwesern, Staatsmänner, Minister, Präsidenten bis auf die Geheimen und Räte aller Welt –, Staats – und moralischen Angelegenheiten, keiner dran denkt, schön Wetter zu machen, daß sie alle mit Frost oder Fröstlen am Himmelsbogen hinaufziehen? Daß das Volk gleich verschnupft ist, sich räuspert, hustet, keine klare Stimme hat, wenn es sein Hosianna soll singen. Daß der Gott Apoll seine Leier abspannt, sein Gespann hinter einem dicken Nebel unbekümmert dem Abend zu – in die Tränke führt, während schlechte Bänkelsänger mit ihrem Kalophonium den Fiedelbogen wichsen und dann und wann losstreichen, ein schlecht Loblied kratzen auf die Regierungssonne, an der sich keiner wärmen kann. Nun, der Tag geht herum, die Nacht kommt, wogegen aller Tyrannen Gewalt nichts vermag. – Der Tag des Belial geht herum so gut wie der Tag des Gott Baal. Baal war ein außerordentlicher Regent, berichtet der diesjährige »Hinkende Bote«. Er hat durch seine große Geistesgaben das Reich Babylon aus seiner Geisteslethargie geweckt und ihm einen hohen Schwung gegeben. Er hat das Land urbar gemacht und es mit himmlischen Gärten bepflanzt, – hat Flüsse miteinander vermählt, daß sie im gemeinsamen Bett große Lasten trugen. Den Geist hat er zum Höchsten angeregt, wer vor ihm wollte gelten, durfte der eignen Güter nicht gedenken, er mußte dem allgemeinen sie opfern. So haben die Menschen ihn als Gott verehrt. Jawohl, die göttliche Natur ist auch in ihm Mensch geworden. In der Bibel steht zwar, er habe Menschenopfer gefordert. Opfer ihrer Geisteskräfte, Opfer ihrer Besitztümer, aller Zwecke, die nicht das Gemeinwohl betrafen, – diese Opfer fordere auch ich und Gott mit mir von denen, die das Herz haben, Fürsten zu sein ihrem Volk. – Eben von jenem Weltumwälzer, dem Napoleon, hätt ich's erwartet. Jawohl, statt Gott Baal zu sein, ist der Belial in ihm erwacht. Das Urteil ist die höchste Macht und wird in der Erkenntnis des Volkes vollzogen. – Das Volk hat schon den Napoleon gerichtet, obschon seiner Regierung glühend heißer Nachmittag noch ist, es sieht schon im voraus ihn in den Orkus hinabstürzen! Und der Boden mit Menschenblut getränkt und die Ernte ein Fluch, ein Spott seiner Leidenschaften. Das Volk? – es will seinen Fürsten unsterblich haben und sieht mit Schauder sein Versinken und warnt ihn mit jeder Bewegung, mit jedem Instinkt, der sich in ihm regt, mit jeder dem Bedürfnis, das es von ihm befriedigt wissen will. Ja, das Volk ist die Warnungsstimme des Herrschers! – Das erweist eben die hohe Bestimmung [207] des Herrschers, daß eine Generation in seine Macht gegeben ist, an ihr sich zu erziehen. Der Napoleon hat die Eintagsprobe nicht bestanden, die Fürsten machen nicht die geringste Anstalt zu schönem Wetter! Denn sie haben nicht die politische Unschuld, die Sie mir vorwerfen, die ich Ihnen aber zum höchsten Verdienst anrechne und in der der ganze Frankfurter Rat steckt wie in einem warmen Pelz. Ein gut Gewissen ist ein gut Unterfutter. Wenn nun der Napoleon kein Ingenium hat für den einfachen Beruf eines schönen Sommertags, und die andern Fürsten, die er jetzt unter der Fuchtel hält, keine Energie dazu haben, – wie sehr muß ich da den Frankfurter Musterstaat preisen, der immer das schöne Wetter hat erhalten in seiner politischen Unschuld, die nichts für unmöglich hält und eben den goldnen Sommertagsruhm zwar nie überschreitet, aber grade in dieser Mäßigung eine unübertreffliche Größe darlegt! denn alles Überschreiten wär vom Übel. Nein, der Glücksträger und Glücksspender eines Volkes muß in der Allgemeinheit aufgehen. So macht unser Frankfurter Magistrat einen höchst erfreulichen Sommertag zusammen aus. Sammeln sich trübe Wolken, gewiß wird an unserm Frankfurter Himmel ein heller Fleck sein, wo das blaue Firmament sich zeigt und die Sonnenstrahlen durchfallen, und sollten böse Wetter uns überrumpeln, sollten wir in unserer Unabhängigkeit gestört werden, die alle deutschen Kaiser bisher respektiert haben, die von den Römerzeiten her uns noch erhalten ist, die immer sich selbst regierte, nie einem Kaiser noch König den Pflichtschwur tun durfte, die nie ein Ärgernis gab, nie Spott und Schimpf auf sich geladen, – kurz! immer sich so verhalten hat, daß ihr dies schöne Los nie ist mißgönnt worden. Ja, sollten wir dieses schönen Loses beraubt werden, so wird noch lange das Gefühl der Unabhängigkeit in unserer Mitte fortglühen und von jedem sklavischen Schritt uns abhalten. Der Gesamtgeist kann die schwersten Lasten tragen, in unsern Herzen wird sein Stimmenrecht gelten, in dem ist unsere Freiheit nie gefährdet. Und endlich bleibt uns noch der hohe Ruhm der Eintracht, der Selbstbeherrschung, die im rechtlichen Sinne des Worts den unabhängigen Freistaat bilden, was den zukünftigen Generationen einleuchten wird. Also denk ich, daß Frankfurt der größte Staat, zwar nicht im Territorium, denn das ist nicht über die Maßen, sondern im Geist ist. Und mit Recht haben die Kaiser es respektiert als Zentrum des freien Willens, daß, wenn sie zur Krönung hier anlangten, sie die Erlaubnis einholen ließen dazu, und der Frankfurter Rat erst zusammenkam, um im Namen der Bürgerschaft zu beschließen, daß er zur Krönung eingelassen werde. Und wenn sie aber dies nicht zugaben, so drückten sie den Gesamtwillen dadurch aus, daß er nicht zum Kaiser sei angenommen. Wär ich Kaiser, ich würde auf dem Römer, als der edelsten Schul großer Staatsmänner, meine treuen Räte wählen, meine Reichsstützen. Was im kleinen sich erprobt, kann im großen als helles Licht scheinen. Die helle Ansicht moralischer und politischer Fragen traue ich ihnen zu. Wer im kleinen das Allgemeine im Aug hat, umfaßt immer das Ganze, nicht durch Bücher und diplomatisches Studium, [208] sondern durch Erfahrung und geübte Bürgertugend, durch Aufmerksamkeit auf Gewinn und Verlust. – Nun, Herr Bürgermeister, man rufe mich einst zum Kaiser aus! – was doch meiner Seel auch einstens bei einer Wiederkehrung geschehen kann, denn es ist nicht gesagt, daß sie dann grade wieder in einem Weiberrock stecken wird. –

Bürgermeister. Das kann nicht fehlen, Sie werden mit allgemeiner Stimme zum Kaiser ausgerufen.

Fr. Rat. Ja, man rufe mich zum Kaiser aus! – Ich werde meine Kammern und gesetzgebenden Körper, und wie die Regierungsgemächer als heißen mögen, aus lauter ehrlichen Gemütern und fähigen Köpfen zusammensetzen, die hier in der republikanischen Pflanzschule sich für das Reich erziehen. Frankfurt wird mein Absteigquartier sein, in Frankfurts Mauern werd ich mich für mein deutsch Reich krönen lassen. Aus der Frankfurter Mitte werd ich meine Staatsdiener wählen; und das wird mir das ganze Heer von Vorurteilen, von Verblendung, Blödsinn, törichtem Eigensinn, Bosheit, Hof fahrt und Selbstsucht, und was dergleichen schlechte Laster, die sich um den Thron lagern, in die Flucht schlagen in seiner politischen Unschuld, und ich müßte ja dann den Teufel im Leib haben, wenn ich Frankfurt nicht wollt das Prädikat des ersten Staats in der Welt zugestehen.

Der Bürgermeister, überrascht von dem leidenschaftlichen Redefeuer der Frau Rat und ihrer Kaisermiene, gerät mit seiner Antwort ins Stocken, der geistliche Herr steht schon eine Weile mit Hut und Stock an den Türpfosten gelehnt und wünscht die Unterhaltung beendet. Denn die Gespensterstunde ist im Anrücken, und er ist Geisterseher.

Fr. Rat (fällt dem Bürgermeister in die Rede). Frankfurt ist meine Wieg, es wird auch mein Sarg sein. Und das Plätzchen gefällt mir so wohl, was ich mir auf dem Kirchhof ausersehen hab, daß ich's mit keiner Königsgruft vertauschen mag. Ich lieb meine Vaterstadt, ich lieb die Bürgerschaft, mit der ich großgewachsen bin und alles mit ihr erfahren und geduldet hab, und jede Freud mit ihr geteilt und jeden Herbst mit ihr eingetan hab. Kommt Ihnen das alles nun wie Fabelwerk vor, obschon's Wahrheit ist, so nehmen Sie's auf der andern Seit als angestammte Lieb zum Vaterlandsboden und rechnen Sie einem Atheisten, wie ich bin, nicht als Sünd an, daß ich glauben kann und muß, daß der Himmel nur in der Vervollkommnung praktischer Tugend und die nur in der vollkommnen Geistesfreiheit liegen kann. – Da steht noch im Flaschenfutter ein guter Frankfurter Wein vom Mühlberg, den hat mir Ihr Herr KollegeBansa zum Präsent gemacht, kommen Sie, wir wollen unserer guten Bürgerschaft, dem ganzen hochlöblichen Magistrat und besonders denen Einundfunfzigern ihre Gesundheit trinken.

Der Bürgermeister läßt sich dazu bereitwillig finden, der Pfarrer stellt Hut und Stock in die Ecke, geht langsam zum Stuhl, steht am spätesten wieder auf. – Sie scheiden mit lustigem Mut und mit kräftigem Händeschlag – beide mit roten Backen. – [209] Am andern Tag komm ich angerennt.

Fr. Rat. Nun, was bringste gelaufen?

»Denk Sie, was es Neues gibt und wovon die ganz Stadt voll ist, das ist die Geschicht vom Bär und dem Herrn Pfarrer! – Die prophetisch Geschicht ist eingetroffen!«

Fr. Rat. Was für eine Prophetengeschichte, sei deutlich und erzähl's, wenn was passiert ist, es geschieht so alle hundert Jahr gar nichts! –

»Nun, hat Sie's denn nicht prophezeit dem Herrn Pfarrer vorgestern mit feurigen Reden, der Bär wird ihn fressen, wenn er sich nicht zu den Demagogen retiriert. Und ist ja der Bär, der die ganz Zeit schon auf der Meß herumtrappelt mit zwei Affen und tanzt vor den Gassenkindern, dem Bärenführer ausgerissen, wie grad der Pfarrer wollt in die Kathrinekirch gehn, und da ist der Bär vom Liebfrauberg die Neu – Gräm herunter durch die Sandgaß immer hinter dem Pfarrer drein gekugelt wie ein großer lebendiger Muff, und der Herr Pfarrer als voran und hat ungeheure Sätz getan, und alles ist mitgelaufen, und die Gassebuben auch all! – Er hätt ihn auch eingeholt, – aber da hat ein groß Sirupsfaß wo an der Tür gestanden, da hat sich der Bär aufgehalten und hat hineingeschnuppert und geleckt, da hat ihn der Bärenführer wieder gefangen! –«

Fr. Rat. Mädchen, was du sagst, – der Auflauf muß scharmant gewesen sein! Nu, und der Herr Pfarrer?

»Der ist nach Haus gangen und hat sich ins Bett gelegt, weil er in einem sehr starken Schweiß war! – und hat ein ordentlich klein Fieber gekriegt und hat schrecklich geschnarcht, als wenn er der Bär selber wär, daß die Leut all erschrocken waren und haben gefürcht, er wird ernstlich krank!« –

Fr. Rat. Nun gar! – Wenn einer schnarcht, wird er gleich eine Krankheit haben, ei das ist ja Gesundheit und gar keine Krankheit. –

»So? – Nein, da irrt Sie sich aber! Was hat er erst heut nacht angefangen?« –

Fr. Rat. Nun, so sag's doch! was hat er denn angefangen? –

»Er hat schrecklich geschrien mitte in der Nacht, als ob er am Spieß stäk, daß es widergehallt hat, der Nachtwächter ist aufgedämelt vor dem Haus, er hat aufgeschlossen und dem Geschrei nachgangen und die Tür aufgestoßen. – Da liegt der Herr Pfarrer in einem schrecklichen Nachtschweiß und schreit im Schlaf auf, der Bär kommt, der Bär kommt!«

Fr. Rat. Wie kommst du nur dazu, so wunderlich Zeug zu erdenken! – »Ei, ich laß meinem Geist die Zügel schießen.«

Fr. Rat. Ich dachte, du hast ihn nie gezügelt.

»Drum kann er auch so gut voltigieren!«

Fr. Rat. Wenn er dich nur nicht einmal absetzt!

»So hilft Sie mir wieder auf! – Aber die Geschicht mit dem Pfarrer ist wahrhaftig wahr, wenn Sie ihn sieht, so kann Sie ihn fragen.«

Fr. Rat. Wie kann ich ihn doch fragen, ob er geträumt hätt vom Bär. Ende dieses merkwürdigen Gesprächs.

[210]
Das Gespräch der Frau Rat mit einer französischen Atzel
Das Gespräch der Frau Rat
mit einer französischen Atzel

Fr. Rat. Weißt du was? Meine französische Einquartierung hat gestern von mir Abschied genommen! – Und eh ich mir's verseh, fällt mir der Bub um den Hals und küßt mich und sagt: vous êtes ma mère, und flennt, und ich muß auch flennen, und da hättst du das Ambrassieren sehn sollen, denn er ist immer wieder die Trepp heraufgesprungen und hat mir noch einmal die Hand gedrückt und noch einmal. Es hätt kein End genommen, wenn die Trommel nicht gangen wär. Und heut morgen kommt der Falk da hereingehüppt und hat ein Vergißmeinnichtstrauß auf den Buckel gebunden und jetzt macht mir das Tier alles voll!

»Ei, Frau Rat, das ist kein Falk.«

Fr. Rat. Nun, so ist's ein Adler.

»Es ist aber auch kein Adler!«

Fr. Rat. Nu, so ist's meintwegen der Geier.

»Kein Geier ist's auch nicht!«

Fr. Rat. So ist's dann der Guckuck, denn kein Spatz ist's doch auch nicht. »Nein, es ist eine Atzel.«

Fr. Rat. Nu, so nehm die Atzel und schlepp sie mit fort und exter mich nicht mit deine dumme Naturwissenschaften, derweil deine Atzel mir den ganzen Stubenboden voll macht.

»Ei, warum ist dann die Atzel jetzt mein?« –

Fr. Rat. Ja, sie ist dein! – und die Vergißmeinnicht kannst du auch behalten, was soll eine alte Frau mit Vergißmeinnicht?

»Ei, Frau Rat, warum hat sie sich in den Franzosen verliebt, nun muß sie auch die bösen Folgen davon tragen?«

Fr. Rat. Häng mir noch eine böse Nachred an mit deim Geschwätz! – Wie soll ich mich verlieben, noch dazu in so ein junge Bub, der kein Bart hat! »Grad weil er noch kein Bart hätt, hat Sie gesagt, und hat mir die ganze acht Tag davon gesprochen, daß so ein junges Blut Kanonenfutter sein müßte, und daß Sie immer dran dächt, wie wenn Sie Ihren Sohn hätte müssen vor den Feind gehn lassen in dem Alter. Und hat Sie mir nicht noch letzt alles vorerzählt, was dann nicht geschehen wär, wenn der Wolfgang hätt mitmarschieren müssen, und hat Sie mir nicht gesagt, das Schicksal hänge an einem Haar und daran knüpfe sich oft eine ganze Weltumwälzung und deswegen müsse man so viel erzwecken in der Welt als möglich, denn die Unterlassungssünde trüge oft größere Folge als manche andre; und hat Sie nicht gesagt, das glaube keiner verantworten zu müssen, was er zu unterlassen sich unterstanden habe, und daß jeder im Gegenteil sich [211] damit noch als mit einer Tugend prahle. Und hat Sie mir nicht eingetrichtert, ich soll mich nicht unter stehen zu zweiflen, wenn mir mein Geist etwas eingäb zu tun? Und der Mensch soll nicht vor dem eignen bessern Willen wie ein Hase ausreißen, und daß, wenn das Große nicht geschähe, so geschehe allemal das Kleinliche und Dumme und« –

Fr. Rat. Du welschst, du welschst alles durcheinander! – Das versteht sich von selber, das Dumme ist allemal ungerecht. Keiner kann eine Dummheit wieder gut machen, sag ich dir; damit verbiesterst du alle Menschen, und aus einer Dummheit entstehn tausend, und das ist alles Ungerechtigkeit gegen die ganze Menschheit, denn Gerechtigkeit ist Sapientia, und wenn einem Unrecht getan wird, so nehm's dem Dummkopf nicht übel, aber wenn du kannst, so klär ihm den Verstand auf, dann vergiltst du Böses mit Gutem; das ist nach dem Evangelium gelebt. Aber jetzt schaff mir die Atzel vom Hals. Wo soll ich hin mit dem Tier? –

»Laß Sie's wieder in den Wald fliegen!« –

Fr. Rat. So! wo das Tier schon so klug geworden ist und einem alles an den Augen absieht, wie man's verstanden will haben, da soll man's wieder in den Wald jagen? –

»Nun ja, da kann's die andern Atzeln auch klug machen und kann seine Apostel in die Wüste senden unter die Menschheit.«

Fr. Rat. So Redensarten, die nach etwas lauten und gar nichts bedeuten, kann ich nicht leiden. In allen Punkten bist du nur zu gescheut, aber mit deinen Unbegreiflichkeiten bringst du's wieder ein. Ei, manchmal hab ich mit Furcht dich angehört, du könntst vor Übergeschnapptheit kein Ausweg finden. Letzt macht mir der Primas sein Kompliment über deinen Geist wie der Blitz; – ich fragt, ob er mich wollt verantwortlich machen für all deine tolle Einfälle, er meint, dein aufgeweckt Temperament müßte mir Pläsier machen; ich dacht, wenn der wüßt, wie sie der Frau Rat mitspielt! Alle Augenblick fällst du mit deiner unberufnen Verkehrtheit mir über den Hals. Die Judenschulen, die Dorfschulen, die Universitäten, die politische Lage, das deutsche Reich samt den Kurfürsten, das vergangene Jahrhundert, das kommende Jahrhundert, die Sternguckerei, – – ei das geht über Menschenkräfte, und deine weitschweifigen Aussichten nun, wie daß die Atzeln sollen Apostel werden und dergleichen großmächtig idealische Projekte. Wer soll dir da mit Vernunft repartieren? – Antwort! – Willst du mich ärgern mit deinem Schweigen? – – So hat's mein Sohn grad gemacht, da hab ich als wunder gedacht, was ihm fehlt, und hab mich gekränkt, daß er schwieg, und dann war's als nur Unart und weiter nichts! – Nun, du schweigst, so werd ich auch schweigen, dann wollen wir sehen, wie wir uns unterhalten.

»Geb Sie mir die Hand.«

Fr. Rat. Da hast du meine Hand. Was gibt's jetzt weiter? – »Laß Sie mich meinen Kopf auf Ihren Schoß legen!« –

Fr. Rat. Rück herbei, wenn dir das gefällt! – – – Ei Mädchen, ich glaub [212] gar, du schläfst ein – – oder was fehlt dir? – jetzt sag mir, was du hast? – und kränk mich nicht mit deinem Schweigen! Es ist so ein Tag, wo die Wetterfahnen das Wort führen. Meinst du, ich könnt noch viel dazu nehmen auf mein Herz? – Ei, ich möcht doch wissen, wer mehr vertragen muß, ich oder du? – Die alte Frau Rat sitzt allein da oben am Fenster und guckt ihren alten Freund an da drüben, der kann auch nichts davor, daß der Türmer alle Mittag die schmerzlichste Langeweil muß aus seinem Gaubloch herausblasen. Ja! da lernt man an die Ewigkeit glauben, denn was kein End nimmt, das ist ja die Langeweil, und eher werd ich doch nicht freudig blasen hören, bis unser Herrgott uns von den Toten auferweckt, denn eher krieg ich meinen Sohn doch nicht wieder zu sehen! – –

Aber ich will nicht undankbar sein, denn daß ich dich hab, das kann ich nicht leugnen, das ist meine Freud! Andre Leut sind mir nichts, du bist mir alles. Seit du dich alle Tag bei mir einfindst, gefällt mir mein alt geblümt Tapet wieder, und die Schawell grünt wieder auf! Siehst du, das ist die Verwandtschaft zwischen deinem Herzen und meinem. Du belebst die Abgestorbenheit des Lebens aufs neu! – – Ach, es ist mir auch ganz melancholisch heut! – Der klein Franzos! – Wie der Abschied nahm mit seinem frischen feurigen Blick; – das liegt mir im Sinn, dort stand er als am Fenster abends, wenn die Sonn unterging, und hat ihr nachgeguckt, und wenn er sich dann herum gewendt hat, da waren ihm die Augen voll Wasser; ich sagt, komm her, Bub, und reicht ihm die Hand und fragte, gelt du denkst an deine France! an deine Patrie? – Oui Patrie, hat er gesagt, Adieu pour jamais sagt er, und dann küßt er den Vogel dort, den er mitgebracht hat, aus seiner France. Nein, dacht ich, der hat kein Soldatenblut. Aber wie's gestern geheißen hat: Marchons, enfants de la patrie, da hättest du den Buben sollen sehn, wie er sich gestreckt hat, wie sein Schritt aufprallte und die Glut in seine Augen, und sein Mund war ganz übermütig angeschwollen wie dem Kriegsgott; er strich sich die Haar aus dem Gesicht und stülpt den Helm auf, und wie die Atzel ihm wollt auf den Kopf fliegen, sagt er: Non, non! und litt's nicht! – – Nun, fort ist er! – Armer Letiers! Gut Bürschen. – – Nun sieh einmal den Vogel da, wie er aufhorcht! – Guck, da kommt er aus der Eck hervor, man sollt meinen, er kennt den Namen! – Hol ihn herbei und setz ihn auf den Tisch. – No! Potztausend! – Hüpft mir der Satan auf den Kopf! – Herunter von der neue Haub, die ist kein französischer Roßschweif! –

»Komm Satan, setz dich auf mein Kopf und parlier mit der Frau Rat.«

Fr. Rat. Meinetwegen, erzähl, Satan, wie geht's her in der Höll? –

»Da ist eine große Schleiferei für die Sittenverfeinerung und ihre allerlei Hochgefühle. Feinster Geschmack, Kunstpoliteß. Überschwengliche Begeisterung für gegenseitiges Verdienst. Ansprüche von möglichster Hoffart, strengste Etikette und Zeremoniell werden da zum Behuf und Dekorum der steifleinernen Gespenster vom ersten Rang und zum Wohl des gemeinen Menschengeschlechts aufs feinste vom Teufel zurecht poliert.«

[213] Fr. Rat. Kleiner Lügensatan! Bedeutende vornehme Hofleut, die in der Weltgeschicht auftreten, sind keine Gespenster und Teufelstrabanten!

»Sie laufen freilich dem Teufel nicht nach, wenn aber ins Kostüm der abgeschiednen Geister, wo nämlich der freie Geist sich verabschiedet hat, der Lakaiengeist hereinfährt, da werden sie Schritt vor Schritt am Gängelband geführt vom Teufel, der alles fürs gemeine Menschenwohl berechnet. – Sie verkennt ganz den Teufel, der ist immer mit Leib und Seel fürs Wohl der Menschheit.«

Fr. Rat. Ei Teufel, du machst mich toll, du hast's drauf abgesehen, mich zu ärgern mit deinen dummen Behauptungen.

»Daß Sie mich und alle Teufel verachtet, Frau Rat, das ist wirklich zerknirschend. Wir arme Teufel lassen uns keine Müh verdrießen, als den Karrn des Menschenwohls wieder aus dem Dreck zu ziehen, der mit denen himmelstürmenden christlichen Anstalten immer tiefer hineingearbeitet wird. Die standesmäßige Selbstqual des vornehmen Gespenstervolks ist ja das einzige, was es nicht auf des Volks Unkosten durchsetzt. Darum eben wendet ja der Teufel seinen besten Schweiß dran, die Ausübung dieser Künste auf eine schwindlende Höhe zu bringen. Das ist ja seine rein systematische auf die Unwirklichkeit berechnete Staatskunst, die Wirklichkeit ihr zu entziehen; – dazu legt er Vorübungsschulen an. Alle akademische Preisausteilungen und Orden pour le mérite sind ja recht eigentlich für Verdienste der Unwirklichkeit. Was kann den Gespensteradel auch besser im Zaum halten als das Lügengefühl seiner Erhabenheit über die Menge. Ja, es ist notwendig, daß sie mit lauter Illusionen gefüttert werden, denn anderes können die Gespenstermägen gar nicht verdauen; denn sonst könnten sie einmal plötzlich aus dem Geleis ihrer Unwirklichkeit herausgesprengt werden; das wär gefährlich.«

Fr. Rat. Das wär ja ärger, als wenn die Höllenmaschine angebombardiert käm, wenn so ein Zug Gespenster in die Wirklichkeit geplumpt käm.

»Die Spreu, die leeren Hülsen, die vom Lebensbaum sich ablösen, wenn der Begeisterungssturm in seinen blühenden Zweigen wühlt, die fliegen der Schattenwelt zu, aber die Leidenschaften und Begierden, die der ursprünglichen Wirklichkeit Blüten zu Früchten reifen, streifen nicht hinüber in die Gespensterregion! das vom Siegestriumph idealischer Gewalten aufgeregte Menschheitsgefühl, das freiheitdurchglühte, das machtvoll aufbricht, wohin es will; – davon sind die ausgeschlossen, die als Weltmänner in ausschließenden Zirkeln prangen und mit siegendem Genuß auf die ungebildete Klasse Verachtung und Mitleid herabregnen vom Theater ihrer Tätigkeit, auf dem sie, in der Arbeit, ganz liebenswürdig zu sein, den Rest ihres Charakters verdampfen.«

Fr. Rat. Was doch Wunderliches in der Schöpfung noch nebenbei sich begibt, außer dem, was wirklich wird; das spielt ja ins Feine; – ein Wesen, was seinen Charakter verdampft? Satan, du machst mir was weis! –

»Wenn der Charakter sich nirgends zeigen darf, wo soll er bleiben?«

[214] Fr. Rat. Hör, Teufelchen! ganz löscht die Menschennatur nie aus, sie brütet dir noch ganze Mückenschwärme von kleinlichen Stimmungen und leidenschaftlicher Gereiztheit aus, sie pufft auf in Aufregungen von Großtaten und Außerordentlichkeiten, worüber die Fama mehr wie einmal ihre Trompet schon zersprengt hat.

»Die aber vor dem einfachen Wiegengesang, mit dem die Natur den werdenden Zukunftschlummer bewacht, verstummen muß. Und dann bedenk Sie vorab, daß so was gar keine Bedeutung hat. Die gesunde Wirklichkeit hat eine harte Haut und hält nur leider auch sogar einen ordentlichen Hieb oft nicht höher wie einen Flohstich und will sich gleich versöhnen und höflich ausweichen den Gespenstern. Ja, das macht dem Teufel viel mehr zu schaffen, bis er die in den Harnisch bringt des Bewußtseins! – Wo Macht – und Reichtumgsgefühl aufwacht, zu handeln. – Der gemeine Mann klabastert ja fortwährend an seinem Tun und Lassen und legt alles auf die Wagschale der Gebühr, um nach dem Gespenstereigensinn sich zurechtzurücken!« –

Fr. Rat. Laß immer den Gespenstern ihr eingebildet Recht, die Menschheit mag Güter oder Leid ernten, wird die nicht aus dem Strom des Wirklichen gerissen, so reifen die Illusionen, die ihr die Spitze bieten, auch ihren Geist, sie zu überwinden, wodurch der Teufel wohl oft mehr überrascht wird als die betrogne Menschheit selbst.

»Sie traut dem Teufel einmal kein aufrichtig Gemüt zu. – Ja, das ist sein Fluch, daß auch eine Frau wie Sie ihn in seinen großen einfachen Planen nicht begreift. Denk Sie doch, daß es ja nicht anders möglich ist. Und daß er Gott sein würde, wenn er nicht Teufel sein müßte! – Aber einmal! – Es wird sich schon ausweisen, was aus der Wirklichkeit hervorgeht, Sie sieht, die Ewigkeit will errungen sein!« –

Fr. Rat. Ja, und der Teufel will auch die Himmelfahrt machen, das merk ich an diesem Plan gegen die Gespensterwelt, aber wenn das nur kein in die Luft gebaut Schloß ist.

»Ach, zweifel Sie nicht! Wer hat das Recht, Gott zu sein, als nur der Teufel allein!«

Fr. Rat. Ei du Kerl unter aller Kritik! Du schwarzer Rabenfittich! –

»Nun bedenk Sie doch nur das eine: Schon in der Wieg der Ewigkeit als Gott geboren zu sein oder von dem tiefsten Widerspruch sich in den höchsten Gegensatz hinaufzuschwingen, was beweist mehr für die wahre Gottgewalt?«

Fr. Rat. Hör, Teufel, deine Verführungskünste sind betäubend. Jetzt bild ich mir schon ein, du könnst recht haben! –

»Lass Sie sich belehren! Niemand kann mehr an der Wahrheit gelegen sein als dem Teufel selbst; – er muß sie aufbauen aus dem Abgrund der Lüge. Das ist seine Aufgab, wenn er verwirklichen soll, an was die Menschheit schon im voraus glaubt, nämlich daß ein Gott ist.«

Fr. Rat. Teufel bleib mir vom Hals mit deinen Mordreden der Spekulation.

[215] »O, Frau Rat, fürcht Sie sich davor nicht, daß auf einmal aus Ihrem Denk – vermögen die Blume aufbricht der Erkenntnis und einen reinen wohlduftenden Geisteshauch ausströmt. Ich bin auf der Spur, Ihr das Heil Ihrer Seele begreiflich zu machen, worüber die Philosophen so viel Donnerwetter schon gemacht haben.«

Fr. Rat. Über meine Seele hätten die Philosophen ein Donnerwetter gemacht?

»Über die Weltseele, die auch die Ihre in sich begreift, Sie sagt ja selbst, die Welt ist rund.«

Fr. Rat. Ja, die Welt ist rund! –

»Nun, was ist davon das Geheimnis, als daß Gott den Teufel in sich faßt! Was wär seine Unendlichkeit, wenn er den Anfang des Guten, den Urbeginn desselben, nicht in sich statuieren wollt! – Wo ist der Anfang des Guten, als wo er negiert wird? Drum ist der Teufel der Anfang aller Dinge, weil er das negierende Prinzip ist.«

Fr. Rat. Hör, du willst den Teufel da einschwärzen in die Weisheit Gottes, aber der färbt ab! –

»Wo würde sich die Weisheit Gottes hervorheben, wenn der Teufel nicht den Schlagschatten dazu malte? Fühlt Sie denn das nicht schon, ohne daß ich Ihr's auseinanderzusetzen brauch, daß der Gott aus dem Teufel hervorgehen muß, wenn die Gottheitsidee sich verwirklichen soll! Und daß die eben darin besteht, daß der Teufel Gott werden muß, und daß dies das Rund der Schöpfung konstruiert, daß der Mensch stündlich nach diesen Gesetzen verfährt. Eine geniale Selbstbeobachtung macht dies unzweifelhaft. – Und was wär der Gott, wenn er den Teufel in sich nicht heiligen könnte? – Ja, was wär das ganze Erlösungswerk, wenn der Gott nicht selber sich in ihm erlöste? – Und was ist das Leben oder Wesen des Geistes, als das Werden und Bilden seinesgleichen? Eine Selbstoffenbarung des idealischen Ich im wirklichen Ich. – Nun! das ist Erlösung! – Die Philosophen können zwar, wenn es darauf ankömmt, selbst in einem Wirtshausschild das Thema ihrer Systeme erfassen, als wie: Hier kehrt man ein zum Esel, der Laute spielt. Aber den Gesang des Esels können sie, wie alles Wirkliche, nicht aus sich hervorprotestieren. Sie verstehen und ahnen die Harmonien nicht, in die er, der Esel, sich konnt verstiegen haben, denn wahrlich, der Esel hat keine harmonische Stimm, – im Gegenteil, man hält sich die Ohren zu, wenn er anfängt, sein Konzert zu machen! Aber eben deswegen ist er der Ursprung aller Harmonien!« –

Fr. Rat. Jetzt sind wir vom Teufel auf den Esel gekommen.

»Der auch – umschreibt den Kreis der Harmonien wie der Teufel; nämlich die unendliche Schöpfung. Ahnt Sie nun noch nicht, wie das Werk der Erlösung die Aufgabe sei des Teufels? – Und das Urteil, welches ihn verdammt, schon der negierende Beginn ist seiner gottkeimenden Natur?« –

Fr. Rat. Bleib beim Eselsvergleich, wenn du mir's verdeutschen willst, der rückt doch nicht meinem protestantischen Felsenglauben zu nah.

[216] »Einerlei! – Esel und Teufel! beide haben dieselbe Urtendenz freier Entwicklung aus der gebundenen Disharmonie. Das ganze Verstimmungssystem quillt als der Harmonie negierender Keim aus der Kehle des Esels, durchdröhnt Waldung und Schlucht, die mit seinem Müllersack der Esel durchstolpert. Und die Tale erschaudern in düsterem Schweigen ihm nach, bis sein Jammergetön jenseit der Grenze verhallt.«

Fr. Rat. Nicht zu leugnen! – Ein erbärmlicher Seufzer der Menschheit stöhnt nach dem aufschreienden Esel, der den trauernden Geist zu kläglichster Mitstimmung zwingt!

»Ja. – Und im Chaos der Töne sehnet nach eignem Begriff sich jeglicher einzelne Ton! – Geltend zu dienen dem All, reißt auch der Teufel sich los aus dem heulenden Chaos, und fern herüber rauscht sein klingend Saitenspiel und regt der Liebenden Träume und lockt heimliche Abenteuer in die schwärmerische Nacht.«

Fr. Rat. Soll heißen: Liebende schleichen heimlich in der Frühlingsnacht zusammen, und der Teufel spielt die Zither dazu! – Sprechdeutsch! –

»Ja! – Er steigt auf, über Gebirgshöhen; – ›Luzifer‹ grüßen ihn am Firmament die Brüder; und sein Nachtgesang strömt sehnendes Feuer in ihren zitternden Strahlentanz auf der Woge! – Er aber steigt höher und beleuchtet tief im Abgrund die Inschrift der Höllenpforte: Keine Hoffnung ist hier! Doch er spottet des erlognen Fluch, denn Haine und Flur erzählen's einander bei seinem Schimmer: Alles ist ja guter Hoffnung.«

Fr. Rat. Kein Zweifel. Goldne Zeiten zu Land und zu Wasser! – Haben doch selbst die Meere junge Inseln geboren unter solchen Umständen der Liebeswonne.

»Und diese wurden dann wieder Mütter von Heroen und von Göttern.«

Fr. Rat. Mich wundert, daß in so fruchtbarer Zeit die Schiffe auf dem Meer nicht auch Junge werfen. – Es ist doch, als wären sie nah dran, lebendig zu werden! –

»Und warum nicht, einstens! – Was der Menschengeist anhaucht, das bleibt nicht unbeseelt, und alles erfüllt sein Geschick!«

Fr. Rat. Und der Teufel, was wird nun aus dem? »Mit des Frührots Liebefunkeln gehet auch ihm der Tag auf! Und aus der Weissagungen erschlossener Pforte strahlet die Zukunft ihn an, und schnell in Erfüllung gehet sein Götter – und Heldengeschick. – Ein fechtender Himmel mit gegen ihn anschlagenden Donnern der Verwünschungen, stürmet ein Heer auf ihn ein. Wolfsgrimm und Ränke trägt wie Kork auf schieflauernder Woge das Meer der Antipathien! Kein Wunder, wenn die schweren Armaturen der Verleumdung, des Hasses und der kalten Verachtung, kurz der ganze Mechanismus des Absoluten, der in die gemeine Zeitlichkeit ihn verweist und der Unendlichkeit als Marteropfer ihn weiht, endlich ihn unterkriegten. Aber umweht von des Schicksals aufgepflanzten Sturmesfahnen – Trotz bietend mit gesporntem Fuß über der ohnmächtigen Psyche, – denn um sie gilt der Kampf, die mit gelähmten Schwingen ursprünglicher[217] Kraft bewußtlos am Boden veratmet –, hebt er – selber wie Minerva unversteinert, der Meduse Haupt; – die Schlangen wälzen um ihn sich zusammen. Ein ganzer Flug Königsadler, Raubgeier und Neuntöter kommen angestürzt mit allen Winden und umkreisen sein Haupt, betäubt vom Echo seiner Schlag – und Zündworte, die er ausbraust, ein wallender Held. – Die ganze Christenheit, wie er den Schild wendet der Gorgone, fliehet mit feigem Beben und erlöschendem Geist. – Und er! – nach dem scheu kein Antlitz sich wendet. Auf warmblutigem Schlachtfeld, zusammen gedrängt im edlen Gefühl des Unrechts, das ihm Wunden schlug, von seiner Kraft verhöhnt und verschmerzt, – richtet empor zu seinen Füßen die Psyche, um die er den Mordkampf gewagt! – Schon fühlt er, daß nicht mehr stockend ihr Atem sich sträubt! – zu retten ist sie ihm noch! – Dann erst ist der Sieg ihm Gewinn! – Erwache, Psyche! – besinne dich am Busen des Sturmglühenden, Einzigen, Starken, kein fremder Götterdienst betäubt dich; – keine eilfertige Weisheit treibt dich zu unzeitiger Reife. Dir selber überlassen wie der werdende Diamant hält er beglückt dich im schützenden Arm. Und wenn er dich hinableitet, wo aus der Tiefe die Lohe aufsprüht, dann zage nicht wie kleinlicher Menschen Herz! – Als Braut gehest du auf vor seinen Blicken und machst ihn zum Gott, der ewiger Verdammnis als Hüter der Verzweiflung und des Wahnsinns bestellt war!«

Fr. Rat. Kein Komet kann eine so gewaltige Straße am Himmel hinaufziehen, wie du Satan mir den Teufel vor meinem Ingenium als siegenden Gott aufstellst. Es kann ja der Erzengel Michael nicht gewaltiger dastehen, mit flammendem Schwert an den Paradiesespforten.

»Was bedeutet der Michel! – Luzifer! der Lichtbringer selber, entspringend aus der Aurora Schoß, die sich sehnt nach dem Licht und also vor dem Machtspruch des unendlichen Werde schon war! Bedenk Sie, welcher Ursprung! – Erstes Geschöpf des sich sehnendes Schöpfungstriebes! – Venus, nannten sie die Griechen, war seine Mutter. – Wo auf älterem Stamm sproßte ein früherer Keim? – Von allen, die der Vater des Äthers um sich versammelt, ist der uranfänglichste Gottsprößling Luzifer! – Er, gerecht, leutselig, ein Liebender der Sterne, auf nächtigen Pfaden aufsteigend, Geheimnisse mit ihnen zu feiern, warf ihn der Sturm hinab, und ward nicht mehr gesehen. Gleich hieß es, er habe zu hoch sich verstiegen und deswegen von dem einen Gott in die Kluft der Finsternis hinabgestürzt. Als ob, wo er auch weile, nicht gleich Licht sich verbreite.

Und der Gott, den Ihr anbetet, der Rachegott um die eigne einige Größe, der ist mir ein schöner Gott?« –

Fr. Rat. Satan, bleib bei deinem Teufel. – Kannst du ihn durchbringen, so ist mir's recht; aber sollte der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, ihn wirklich gestürzt haben, was in meiner Einfalt mir wirklich auch inexkusabel vorkommt, Gott verzeih mir meine Sünd! – so muß es doch noch einen andern Haken haben! –

»Einen Haken hat's, an dem alle Lumpereien hängen! an dem das Weltenrund [218] an der Wand des Unbegreiflichen aufgehängt ist. Und hättet ihr den Haken nicht, wie sollte die Welt hängen bleiben? – Wo blieb euer Zukunftsbegriff? – So habt ihr denn diesen Haken euch gesichert in einer Festung, ihr habt Baumeister, Pioniere, Schanzer, Sappeurs, Ingenieurs und Minierer, um den Haken in eurem festbegründeten Glaubenspfeiler einzuschlagen, und sie tun das Möglichste, durchs Unbegreiflichste die Festung zu besetzen. Ihr dienet im Zivil – oder Militärstand der Festung von unten auf als Märtyrer, bis ihr zu Heiligen avanciert; ihr lachet der Heiden, denn eurer Kriegsgötter sind Legionen. Ist aber noch ein Funke göttlicher Unabhängigkeit in euch anzufachen, in dieser am Haken hängenden Welt? so ist's der Lichtbringer, den ihr Teufel nennt, und der doch die Welt ohne Haken in sich selber sein läßt; prallt auch sein Strahl ab am harten Fels eurer stumpfen Sinne, so begründet er doch die Ehe zwischen Geist und Natur im Menschen, und selbst das antagonistische Element der Kälte und Finsternis reizt sein Licht zur Selbstdurchdringung des Geistes, er versenkt sich im Urmorast der Schöpfung und befruchtet auch dort die ursprüngliche Sehnsucht nach eignem Begriff. Und als harmonische Einheit, als Kern und Keim einer alles befassenden Organisation steigt der Teufel empor, sich selber erzeugend im Chaos.«

Fr. Rat. Du willst mir den Kopf toll machen. Aber ich will ihn nicht verlieren. Antwort mir: Ist die harmonische Größe oder Einheit, die der Teufel hervor bringt, er selbst? – das ist ja ein ganz neuer Begriff des teuflischen Charakters.

»Aber eine ewige Wahrheit. Von Ewigkeit her ist er des Schaffens bewegende Kraft, aus ihm steigen die Gärungen des Urschlammes auf, sie sind der Lebensstoff der Freitätigkeit; wo könnte die sich bewähren als grad in ihrem Gegensatz? – Glaub Sie mit mir, daß jede individuelle Strebekraft, die immer göttlicher Art ist, endlich das ersehnte Ziel des Verlangens erreicht. Und war die ursprüngliche Sehnsucht des Teufels nicht Gottwerden?« –

Fr. Rat. Ja, aber er griff daneben. –

»Sprech Sie das nicht aus! – Die Welt ist rund! was heißt das? – daß sie jeder Richtung der gewählte Mittelpunkt sei, sonst wär ihr Rundsein nichts. Die Kraft, die Macht, die Tendenz kann nicht daneben greifen. Das All ist ihr Stoff, in dem sie sich entwickelt; – das heißt erschafft, das heißt wieder: das All in sich umschafft.«

Fr. Rat. So? – Dann müßten wir alle, wie wir sind, des Teufels werden, der des Irrtums und der Vorurteile Gott ist und dessen Dispositionen lauter Betrug sind!

»Um so mehr ist er der Reiz aller Denkkraft, aller Selbsttätigkeit; um so mehr erstirbt das Schwache an ihm, auf daß mit erneuter Kraft die Wahrheit wieder erstehe; ihre freie Generationsmethode, das Ideal überhaupt bildet sich organisch im Irrtum, im Vorurteil, das sie hier dem Teufel aufmutzen will.«

[219] Fr. Rat. Ich schmacht nach einem Tropfen Mutterwitz, um dich kleinen Satan zum Schweigen zu bringen.

»Will Sie mich schweigen heißen, wo ein glücklicher Wurf der Selbstoffenbarung die Erzeugung des wirklichen Ichs durch das idealische Ich gleich in Ihr zur Erscheinung reizen wird, – warum wehrt Sie sich, durch den Teufel erschaffen zu werden? – sie weiß, es steht in der Bibel, daß der Teufel wollt den Menschen zur Frucht der Erkenntnis reizen, das war das erste Prinzip der Selbsterzeugung. Die Menschheit – ich versteh darunter den Geist der Offenbarung, der Selbstheit – liegt im Ei, das ist das Geisteschaos, kaum ist dies Ei gelegt, so verfügt sich der Teufel aufs Nest, um sie auszubrüten. Sieht Sie? – kann Sie die Menschenlieb des Teufels noch bezweifeln? Er wird zur Glucke, verschmäht irgend himmlischen Genuß, läßt sein Buhlen mit den Sternen und brütet in einem fort, in heißen Sommertagen wie in kalten Winternächten; – nichts kann ihn stören, er fühlt unter seiner Flaumdecke den Keim des Lebens sich regen, er spreizt seinen Federkragen aus, um das All zu decken, denn er will eine vollkommene Organisation erzeugen ohne Mangel, so muß denn das All in der ausgebrüteten Menschheit zum Licht steigen. Und in diesem All natürlich erzeugt er sich selber.«

Fr. Rat. Er ist freilich durch Tradition als die Natur eines Hahn habend bekannt, nun sagst du aber, daß er wie eine Glucke brüten kann, das ist wieder was ganz Neues.

»Freilich liegt's ursprünglich in der Natur des edlen Hahns von guter feuriger Rasse, hat Sie's noch nicht erlebt, daß der Hahn in Ermangelung einer Glucke sich auf die Eier setzt und Vater und Mutter zugleich ist?«

Fr. Rat. Ja, ich hab auch schon gehört, daß er sogar Eier legt und daß er aus denen sehr schreckliche Basilisken hervorbrütet, die alle Kreaturen, die sie anstarren, mit ihrem Blick versteinern, bis sie tot hinfallen! – Das hab ich aber für Aberglauben gehalten.

»Der Philister ist die versteinernde Kreatur, der das Genie für einen Basilisken hält, weil es mit seinem Feuerblick ihn in die Enge treibt. Wie kann Sie denken, daß der Teufel anderes erzeugen könne, als was vom Baum der Erkenntnis sich nährt? Der Philister, der auch Eier legt, aber aus seiner Brut zu seinem Verdruß nur lauter scheußlich kriechend Gewürm herausheckt, erstarrt vor dem Anblick des siegenden Geistes, der unter der Brutwärme des Teufelsflaum hervorschlüpft; und im Aufschwung höchstens seine letzte irdische Losung auf ihn fallen läßt.«

Fr. Rat. So impertinent wär die Teufelskreatur und machte einem guten honetten Staatsphilister, der nach Kräften sein Ei legt, um seine Staatsklugheit da herauszubrüten, im Aufflug etwas auf den Kopf, und das muß der, auf seinem Ei sitzend, ertragen. Ei kein Wunder, wenn er erbost und mit dem Schnabel nach ihm hackt? –

»Ja, das geht nicht anders, wo soll der neu ausgebrütete Weltengenius hin damit? – er wirft's aufs Feld der Vorurteile, der Privilegien und hochmütigen [220] Willkür und widersacht somit dem Philistertum, wie auch schon bei seiner Nachkommen Eingang ins Leben der Philister für sie dem Teufel abschwört.«

Fr. Rat. Was soll aus all dem Unrat werden? – Einer macht dem andern auf den Kopf, und der bleibt sitzen auf dem Nest und brütet noch mehr Unrat dazu aus! – Da muß ja das All im Morast versinken.

»Das All in der vom Teufel ausgebrüteten Menschheit zum Licht emporsteigend! – In diesem All, natürlich, erzeugt der Teufel sich selber, und das ist seinGottsein! und das ist das Weltenrund!

Das Sein muß ewig sich selbst betätigen, der Geist muß ewig sich ründend erzeugen, die Welt muß sich runden im Geist! Und diese herrlichen Künste des Werdens trägt der Sternenbuhler im Busen! O die Sterne, – die Welten! – sie befruchteten sich mit ihm untereinander! – Das waren seligste Nächte des Daseins! – Und! – Selig sein, was ist dieser Begriff? – Wo kam er her, wenn er erst nicht gewesen war in der Wahrheit des Seins? – Weiß Sie, daß unsre Seligkeitsahnung, unsre Hoffnung darauf, ja unser Anrecht an sie durch die Liebschaften des Teufels mit den Sternen erst ursprünglichen Keim gefaßt haben? – Er war selig, und der Seligkeit Bedarf liegt im Ei, im Chaos, das er so heißliebend, so herzlich mütterlich ausbrütet.«

Fr. Rat. Hör, Atzelchen, ich muß lachen, wenn ich mir vorstell, wie der Teufel auf dem Nest hockt! –

»Stell Sie besser sich vor, wie's im Ei, im Chaos hergeht? – welche Tumulte da durch des Teufels begeisterte Brutwärme wach werden. Wie da die ersten Gärungen aufsteigen der Leidenschaften? Wie da Torheiten, Laster, Irrtümer aus Wahn und Vermessenheiten, alles Teufelzeug aufbullert als erste Regung des Selbstseins! In der hitzigen Brütewut des Teufels ist kein Bezähmen des ewig in sich rundenden Schöpfungsfeuer! – seines unverhaltnen Zündens und Verbrausens! – Der Teufel ist kein Garkoch, der den Bratenwender einhält. Der einzige Forscherblick ist seine genialische Selbstbeobachtung, durch diese allein ist ihm unzweifelhaft bewährt, wie unter seinem Flaum im Ei sich die Zukunft erzeugt! Revolution ist im Ei das Feldgeschrei der Geisterwelt, in der sich die sittlichen Kräfte ihrer Haut wehren und sich gestaltend durchpicken und die Philosophie als Sprachorgan des Bewußtseins sich ablöst vom bleiernen Bodensatz der Systeme, – Absterben der Geistesphilisterei – jetzt Dynamik des Geisterreichs – Handhabung des Universums! – Was will Sie, liebste Frau Rat? – denk Sie doch – dann! – dies einzige Kommandowort der Schöpfung: Es werde, und die Freiheit steht auf und führt den Reigen, und alles Fühlen und Phantasieren der Menschheit sind dann ein harmonisch erklingender Marsch und wehende Fahnen des Triumphes, denen die Völkerbegeisterung nachzieht! – Und denk Sie, das Gewirr im Chaos, die tausend Luftblasen, die in der Gärung aufgehen, ehe sie zum Ziel sich legt und als Lebensprinzip in die Naturmenschheit übergeht aus dem Liebesgeheimnis [221] zwischen dem Teufel und der Schöpfung. Nun merk Sie auf, Frau Rat! Ich enthüll Ihr das Geheimnis der Unsterblichkeit, was die Sprache Babylons bei ihrem Turmbau verwirrte, daß sie ihren eignen Willen nicht mehr verstand. Das Geborenwerden in die Unsterblichkeit ist das Sichselbstdenken, das ist Wirklichwerden. – Im Augenblick, da die Menschheit sich selber denkt, ist die Erinnerung des Gewesenseins ihr entschwunden, wo sie nicht Sich dachte. Erinnerung ist immer nur ein unerfüllter Raum des Zukunftsall, jetzt hebt der Strahl des Werdens aber die Dunkelheit des Gewesenseins auf. – Werden ist das All; in dem ist nichts vergangen. Das elektrische Feuer des Gewesenseins durchgreift alle Gewalten der Gegenwart! – Und so ist denn der Uranfang ein gegenwärtig Sein! – O Geheimnisse der Schöpfungsewigkeit, tretet mir nicht zu nah! Mir armen Atzel brennt meine schwarzglänzende Federkapuze zu sehr auf den Kopf, wenn mein schwarzer Blick die Sonne der Weisheit zu stark fixiert! – Genug! Was ihr vereinzelte Religionsvarianten nach dem sogenannten Tod erwartet, – ein Himmel voller Geigen, den ihr erhofft, – er ist nichts anders als das wirkliche Denken! – das ist die hohe Himmelsleiter, die hinaufzusteigen ist, der vom Teufel erzeugten Menschheit. Natur und Sein und Seligkeit, dann wird kein Streit mehr sein um Systeme des Denkens, um Selbstoffenbarung! Denn daß Gott sei, ist für den Geist keine Frage und keine Untersuchungsfrage. – Und aber das Ausbrüten der Menschheit ist das Gottwerden des Teufels; er fühlt sich in ihrem freien Werden der Gott, der er ursprünglich sein wollte, er hat's durchgesetzt gegen den Haderer, der es ihm nicht gönnte und wollte ihn, des Werdens in sich selber bewußt, aus dem Paradies herausgehetzt haben. Ein einziger Fußtritt, und der Teufel knallte das Paradies auseinander, daß es sich in zerrissenen Flocken auf der Erd herum zerstreute und hier und da die schmachtende Sehnsucht noch labt. – Was war ihm die Tücke, der Menschheit das Paradies zu verschließen? – Nichts! – denn aus sich selber erzeugte er die Menschheit in sich selber in die Gottheit. – Wo bleibt nun die Welt als nur in seiner eignen Gottheit, die er aus sich hervorgerungen wird haben, sowie die Menschheit flügg wird werden, die jetzt noch in der Eierschale pickt, dann wird auch ihre Göttermacht anbrechen, und er, ihr Stern, wird ihr aufgehen. Und auch sie wird auf geheimen nächtlichen Pfaden Seligkeit erlauschen des Gottheitgenießen, auf das sie ursprünglich Anspruch hat. O etertonos ostendit noctifer ignes. – Deine schönste Nacht tritt ein, o Menschheit! – – Nun? – – Wird dir auch ein moralischer Gott wieder auflauern? – Um per Sturmwind von deinen nächtlichen Pfaden, auf denen du flüchtig über Gefahren hinweg mit leisen Tritten das Bett der Liebe mit höheren Sternen zu besteigen dich eilest, wieder in den Abgrund zu stürzen? – sollt ihm das gelingen? – Du bist gewarnt, Psyche! – breite die eingefalteten Schwingen aus – in Zeiten der Gefahr und des Sturmwindes aufzurauschen; und in seine Begeisterung dich einzuhüllen, der für dich litt und dich erstritt und mit seinem heißen Blut, im Kampf, dich Menschheit vor dem moralischen Gott ins Natursein hinüberrettet.[222] Bloß, um daß in des Genusses Urkraft dein Leben hervorsprieße, ist er aus einem feurigen stürmenden Überwinder geworden eine ausdauernde, das End aller Dinge und so deine Menschwerdung im Schoß des Göttlichen erharrende Glucke. – Ist das nicht Selbstverleugnung dem Teufel? – Ist das kein Erlösungsverdienst? Aus einem Himmelstürmer eine Glucke zu werden, – und dennoch in sich göttlich bleiben! – Vergleiche irgendein Erlösungswerk diesem! – Du wirst die Urkraft des Selbstseins in ihm allein in ihrer vollen Wirksamkeit hervortretend anerkennen müssen. Kein Vater, kein Geist, die für ihn zeugten! – Er war der alleinig von sich Bewußte – und zagte nicht, diese Macht in der Menschheit zu verwirklichen.«

Fr. Rat. Träum ich oder wach ich?

»Fürcht Sie sich nicht, Sie sitzt in der langweiligen Welt, die so schwach mit allem sich täuscht, statt ursprünglicher Größe in sich zu lauschen. Sie träumt und alle Wesen träumen vom Himmelsregiment und Weltenregiment. Gleiche Kammern, gleiche Behörden, gleiche Staats – und Kabinettsberatungen und gleiche bornierte Resultate in beiden. Wenn Geisteskräfte, wenn Mut und Aufopferung sich über den Wellen halten, dann kommt das Weltregiment mit den reißenden Fluten der Willkür angeströmt und überschwemmen bald die Blütekraft der Menschheit, aus der olympische Siegerkränze ihm wären ersprossen.«

Fr. Rat. Statt ihr zu sagen: Wachs und werde zum Wald einer beseelteren Welt! –

»Statt Wett zu laufen mit ihr um den Siegestriumph der Weisheit. – Aber mit christlichem Unsinn widersacht der Staat dieses Ruhmes weit schimmerndem Glanze, Gott muß er Rechenschaft geben – so schwört er – vom Bestehenden.«

Fr. Rat. Und aus der Dunkelheit hebt er nicht seine Bürger zum Glanz hervor.

»Denn der Städteschützerin Pallas widerspricht sein vernunftlos Widerstreben dem Zeitengeist. Und seine Gesetze erschallen nicht in ihrem keuschen Hain! Wo Altäre gehegt sind von den Musen den Geheimnissen der Liebe. Und dem Retter der Psyche, dem Bacchus, den gesundheitsvollsten Becher darbringt ein freies Volk. – Aber des Fürsten erblindetem Seherblick weckt kein schöpferischer Strahl die Liebe des Volkes.«

Fr. Rat. Daß sie Sprache werde des Landes, und ihre Laute über die Grenze erschallen. –

»Staatsmänner nennen sich, die wir da sehen sich abmühen, im Wahn ihrer wirksamen Macht und in der Schule ihrer Vorurteile meinen sie die Menschheit zu erziehen? – Aber seht und staunt, wie die Naturkräfte der Menschheit allesamt brach liegen und wie nur ein ganz kleiner Hebel der Mittelmäßigkeit ohne alle angewandte Geisteskraft es vermöchte, diese mechanische Welt im Gang zu erhalten.«

Fr. Rat. Wahr, zum Erschüttern wahr! Kann aber das der göttliche Teufel so ungeahnt hingehen lassen? – [223] »Er weiß, die Geistesfreiheit wird er ausbrüten, oder das Ei ist faul! Und dann, wenn wirklich Leben von seiner Brütewärme ausgeht und für seine Schöpfungskraft zeugt, dann ist kein Widerspruch mehr, als nur das große Werde! – Jetzt noch träumen diese närrischen Leute von unendlichen Staubwolken, die sie aufwirbeln, und sie rufen: Halt, ich will aufsteigen, um das Fuhrwerk zu leiten, oder: Halt, ich will absteigen, um es zu erleichtern, aber das will nichts sagen; solange träge Lüfte ruhig über uns das Gewölk hinschleppen, so ist alles noch still und unrührsam, nur dann erwacht die organische Elastizität der Seele und reizt sie zu positiver Mitwirkung, nur dann rumoren Sterngucker und alle Welt, wenn ein Komet erscheint.«

Fr. Rat. Hör auf mit deinem Teufelszeug, in der schwülen Luft. – Da kommt ein Gewitter herauf! – da! – stürzt ja ein gewaltiger Donner hinter dem Blitz drein! – –

Schweig jetzt einmal mit dem erstaunungsvollsten Übermut deiner Einbildungen, die außer dir keine menschliche Zunge ausspricht. – Ei, ich glaub, das Grab wär dir noch ein Mutterleib, aus dem deine Einbildungen den Weg ins Leben fänden. – Nun! – schon wieder ein Donnergerumpel! – es kommt ein tüchtig Wetter, – wie schwarz es da unten heraufzieht – mach's Fenster auf nur ein Augenblickchen! – – so! – das ist eine herrliche Luft nach deine famöse Orakel reden – die haben mir die Luft verdickt wie mit Schwefeldampf! – Halt! die Atzel! –

»Da fliegt sie hinüber auf die Hauptwach!« –

Fr. Rat. Was bist du dumm! konntst du sie nicht erst vom Kopf herunterehmen, eh du das Fenster aufmachst? –

»Ich hab ganz vergessen, daß sie mir auf dem Kopf sitzt!«

Fr. Rat. Ja, so bist du mit deim verrückten philosophischen Unsinn, jetzt guck, wo sie geblieben ist! –

»Sie fliegt nach dem Eschenheimer Turm, da wird sie gewiß den Weg in den Wald finden.«

Fr. Rat. Ja, wenn das Donnerwetter nicht wär. Ei, der stürzende Regen begräbt ja das arme Tierchen unter seinen Fluten.

»Frau Rat, was bildt Sie sich ein? – so ein Dämon, der schon eine Stunde dasitzt und Ihr die Geheimnisse einer neuen Erlösung demonstriert und Ihr alles klarmacht – wie's ist mit der Zukunft, von dem denkt Sie, er wird sich durch den Regen nicht durchschlagen!« –

Fr. Rat. Ach Gott, schweig von den Zukunftsgeschichten und bedenk, wie wir das unschuldig Geschöpf wieder einfangen! –

»Ein unschuldig Geschöpf soll nicht eingefangen bleiben, das soll sich seiner Freiheit bedienen, es ist recht gut, daß die Atzel fort ist, sie wird jetzt schon in den Wald fliegen und dem Teufel Jünger und Apostel anwerben, wie ich gesagt hab. – Aus der Atzel ihren Reden läßt sich erkennen, daß sie gewitzt ist.« –

Fr. Rat. Rätsel hat sie vorgebracht, die kein Mensch erraten mag, die die moralische Welt in ihrem Mittelpunkt erschüttern und die gefährlichsten [224] Kräfte der Einbildung wild untereinander stürzen und alles zertrümmern, was Gewohnheit, Sitte und Glaube geheiligt haben! –

»Nun, so sei Sie zufrieden, daß das Tier fort ist in den Wald!« –

Fr. Rat. Da bin ich grad nicht froh, denn ich möcht mit aller Gewalt gern wissen, wie's weitergeht! ich ärger mich, daß mir's auf einmal bang wurde, als ob alles, was Himmel und Erd zusammenhält, auseinanderreißen wollt, es war aber nur so eine elektrische Wirkung vom Gewitter, da wollt ich mich nun erst ein bißchen fassen und ein bißchen frische Luft schöpfen, muß der Vogel gleich Reißaus nehmen.

»Und eine neue Welt beginnt! und da kriegt Sie Lust, sich den Verstand noch mehr zu verwirren! – Wart Sie, bis es an Sie kommt!« –

Fr. Rat. Mein Verstand verwirrt sich nicht, und wenn auch, was schadt's, Furcht zu haben, alter herkömmlicher Regeln und Verhältnisse zu spotten, das kommt mir nicht an. – Sind die doch ein Spott aller menschlichen Gefühle. – Das Schwert der Eroberungssucht sackermentiert ja nach eignem Stil seine Dokumente in Brust und Haupt der Menschheit mit blutigen Lettern. Soll denn in meiner Brust keine glühende Begeistrung, keine Kühnheit sich als Macht behaupten dürfen? – Soll ich denn nicht zum wenigsten aus dem lang gedehnten Fabelwerk von den christlichen Taten des Menschengeschlechts mich herauswinden und einmal mit dem Teufel hinabsteigen dürfen ins unterirdische Reich, wo er leuchtet, wo ich die schwankenden Strahlen der Wahrheit auffange, die nur in der Finsternis so kühn und ungeschminkt leuchten. –

»Ja, was ist zu fürchten, wenn der Geist des Teufels stürmisches Wesen zu ertragen vermag? – wo weder Wahn noch Gewalt uns unterjocht!« –

Fr. Rat. Kraft und Mut des Denkens, horch! – wie der Donner dazu akkompagniert! – dem weih ich mich bis zum letzten End, das ja nicht mehr weit sein kann.

»Ja was end'! ewige Jugendzukunft immer blühend, immer stark erhält der sich, den der Zauberduft solcher Begeistrung umspielt.«

Fr. Rat. Und das Ruder faßt und kühn zusteuert auf dem freien brausenden Meer, obschon's vom Landvogtverboten ist. – Da spricht der Donner wiedermit. »Er kann vom Land aus immer drohen, was kümmert's den jauchzenden Geist, vor dem die Wolken den Theatervorhang aufziehn, wo Hölle, Erd und Himmel im Chorus auftreten.«

Fr. Rat. Und verwegne schreckliche und große Sterbliche und die alles durchdröhnende gesamte Teufelschaft und schweigende Götterpersonalien.

»Und wie Rätsel stehn da jenseits am Ufer gereiht um den erhabnen Tempel der Wahrheit die großen Helden der Zukunft.«

Fr. Rat. Wo die bedroht sind, daß sie aus der menschlichen Gesellschaft gebannt sein sollen als verderbliche Prinzipien des Staats und der ihm dienenden Religion, die das Wickelband ist unserer Selbstbegriffe.

»Aber wir sind auch Helden und lassen uns nicht wehren und steuern doch zu ihnen hinüber bei Wind und Wetter.«

[225] Fr. Rat. Ja! wenn's auch noch ärger rumpelt wie jetzt.

»Wie jetzt? – Ei, das ist gar nichts! Und wenn's donnert und prasselt und wenn die Wolken finstere Nacht verbreiten und züngelnde Blitze uns große Ungeheuer auftauchen lassen aus diesem Meer der Zweifel, so werden wir doch frohen Mutes die hochgehenden Wogen durchschiffen.«

Fr. Rat. Ja! Wogen, die Häuser, ja Türme hoch gehen, daß unser Schiffchen ganz drin versinken möcht, das soll unsern Mut nicht wankend machen.

»Die am Ufer, die alles mit heuchlerischer Tyrannei in Ordnung zu halten meinen, Hurra schrein – und sehr ärgerlich sind, daß wir auf freiem Meer uns den Gewittern preisgeben, die werden sich als freuen und glauben, jetzt hätten wir die gerechte Straf der Vernichtung erlitten für unsern Frevel!« –

Fr. Rat. Aber angeführt! – plötzlich wird unser Wimpel am Mast im Sturm flattern! – und Zeugnis geben von unserer unsterblichen Kühnheit.

»Unser Signum ist die Fahne der Freiheit, die verbreitet hellen Glanz mitten in den Zeiten der Nacht, ihr Glanz blendet und wird denen am Ufer ein wahrer Schrecken sein, während wir jauchzen und fröhlich sind!« –

Fr. Rat. Ja! und als eine Bouteille Rheinwein nach der andern auszechen! und – – wie das wieder donnert, man sollt meinen, der Kerl hätt sein Jubel auch schon im voraus daran wie wir! – siehst du, das ganze Donnerwetter packen wir mit auf, und das muß uns losknallen ein tüchtiges Hurra, wo wir halt eben einen verwandten Geist salutieren wollen! –

»Die Freiheit kennt keine Gefahren! ihr ist alles möglich! Das Ungewitter, der gewaltigste aller Stürme ist Großadmiral auf unserer Barke!«

Fr. Rat. Und da – wir seglen zwar bis nach Amerika! – aber bei Bonn wollen wir unsern ersten Salutsturm abprotzen. Weil da! – –

»Nun! – weil?« –

Fr. Rat. Praasch! das hat eingeschlagen! – ja es riecht nach Schwefel! –

»Seh Sie, wie die Leut laufen! – das muß in der Näh sein! – die Trommel geht! – es brennt!« –

Fr. Rat. Ach, gute Stadt Frankfurt, geschieht endlich wieder einmal ein klein Elementespiel in deine Mauern zu deim Sommerpläsier! – Da seh nur, unserm Kathrinenturm sein Zopf brennt! – guck nur, wie er seine Stirn kraus zieht. Ja, guter Kerl, deine Nachtmütz brennt ab. – Wann werden sie dir dein Wetterdach flicken? da werden Jahrszeiten drüber hingehen, und das Wasser wird dir in die Ank laufen! nehm dich in acht! daß du den Schnupfen nicht kriegst. – Guck, jetzt steigen sie aufs Dach. –

»Ja, und da kommt die Feuerspritz und spritzt alles daneben!« –

Fr. Rat. Haha! das ist ein gut Zeichen für uns, die wir, das Feuer der Freiheit zu konservieren, uns der Unsterblichkeit geweiht haben! –

Hier kann der Herr Klein seinen Korrekturzepter niederlegen, denn jetzt schreib ich gleich die Dedikation an den König, wo er mir nichts dran ausstreichen darf. –

Geschrieben am 23. Mai 1843

[226]
Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande
Erfahrungen eines jungen Schweizers
im Vogtlande

(Als Beilage zur Sokratie der Frau Rat)


Der Vater webet zu Bett und Hemden und Hosen und Jacke das Zeug und wirkt Strümpfe, doch hat er selber kein Hemd. Barfuß geht er und in Lumpen gehüllt!

Die Kinder gehen nackt, sie wärmen sich einer am andern auf dem Lager von Stroh und zittern vor Frost.

Die Mutter weift Spulen vom frühsten Tag zur sinkenden Nacht. Öl und Docht verzehret ihr Fleiß und erwirbt nicht so viel, daß sie die Kinder kann sättigen.

Abgaben fordert der Staat vom Mann, und die Miete muß er bezahlen, sonst wirft ihn der Mietherr hinaus und die Polizei steckt ihn ein. Die Kinder verhungern, und die Mutter verzweifelt.

Die Armenverwesung hat taube Ohren, sie läßt lange vergeblich sich anschreien vom Armen, was er ihr abdringt, das Leben zu fristen, läßt ihn nur langsamer sterben. Die Armenverwesung spart die milden Spenden zum Kapital und legt es auf Zinsen. Die Armen sind Verschwender: »Heute essen sie, – morgen nicht, – übermorgen essen sie wieder, und in den Zwischentagen geben sie dem noch ärmeren Nachbar, was sie sich abhungern.«

Kreuzweis wird durch die Stube ein Seil gespannt, in jeder Ecke haust eine Familie, wo die Seile sich kreuzen, steht ein Bett für den noch Ärmeren, den sie gemeinschaftlich pflegen. –

An Feiertagen hält der Mäßigkeitverein eindringliche Reden im Vogtland, wo für fünf Dreier fünfe ein Mahl sich bereiten. Ist euer Magen zu schlaff, daß ihr den Verein zum Vogtland nicht hinausbellt? So wie der Bettelvogt mit Flüchen den wieder hineinbellt, der mit List durchschlüpft, um für Vater und Mutter ein Stück Brot zu erbetteln.

Ihr sagt zwar: »Es geht nicht zu helfen«, ich sag: »Es geht doch«, ihr widersprecht und seid nicht zum Schweigen zu bringen mit hohlen Gründen der Philisterei. Wärt ihr aber selber die Armut, dann würdet ihr allen Philisterverstand übertäuben mit dem Geschrei eurer Not.

Soll der Adel euch adeln, den mit Wucherglück der Bürger seiner Abkunft zum Hohn im adligen Gute sich ankauft, so mach er, statt Luxusanlagen von Tempel und Grotte und tanzenden Wassern, – Anlagen für Heimatlose, und sein Sommerpläsier, die english cottage, mach er zur deutschen Hütte, worin deutsche Armut sich erholt; den englischen Rasen teil er aus [227] zu Feldern für Kartoffel und Brot, und er ist Edelmann, wer wird widersprechen?

Höher steigt dann im Rang, wer's um die Armen verdient, durch ihre Betriebsamkeit mit sich zugleich sie selber emporbringt, der grünt am eignen Stamm wie ein edleres Pfropfreis, lebendige Bedeutung, die wir anerkennen in ihm, hat er als Graf.

Wer aber keinen andern Zweck mehr hat, als der Elenden Ansprüche ans Leben zu vertreten, keine Standeserhebung als nur die Erhebung der Menschheit insgesamt, der die Asche seiner Väter mit der Armen Asche auf dem Gottesacker sammelt, und keine Familiengruft baut seinen Ahnen, wo Lebende kein Obdach haben, der ist vom reinen Stamm – der Fürst der Menschheit und reich an Gütern der Weisheit, an denen wir alle ja arm sind. –

[228]

Vogtländer, bejammre nicht dein eignes Geschick.

Beklage nur die, die kein Mitleid fühlen mit dir.


Vor dem Hamburger Tore, im sogenannten Vogtland, hat sich eine förmliche Armenkolonie gebildet. Man lauert sonst jeder unschuldigen Verbindung auf. Das aber scheint gleichgültig zu sein, daß die Ärmsten ineine große Gesellschaft zusammengedrängt werden, sich immer mehr abgrenzen gegen die übrige Bevölkerung und zu einem furchtbaren Gegengewichte anwachsen. Am leichtesten übersieht man einen Teil der Armengesellschaft in den sogenannten »Familienhäusern«. Sie sind in viele kleine Stuben abgeteilt, von welchen jede einer Familie zum Erwerb, zum Schlafen und Küche dient. In vierhundert Gemächern wohnen zweitausendfünfhundert Menschen. Ich besuchte daselbst viele Familien und verschaffte mir Einsicht in ihre Lebensumstände.

In der Kellerstube Nr. 3 traf ich einen Holzhacker mit einem kranken Bein. Als ich eintrat, nahm die Frau schnell die Erdäpfelhäute vom Tische, und eine sechzehnjährige Tochter zog sich verlegen in einen Winkel des Zimmers zurück, da mir ihr Vater zu erzählen anfing. Dieser wurde arbeitsunfähig beim Bau der neuen Bauschule. Sein Gesuch um Unterstützung blieb lange Zeit unberücksichtigt. Erst als er ökonomisch völlig ruiniert war, wurden ihm monatlich fünfzehn Silbergroschen zuteil. Er mußte sich ins Familienhaus zurückziehen, weil er die Miete für eine Wohnung in der Stadt nicht mehr bestreiten konnte. Jetzt erhält er von der Armendirektion zwei Taler monatlich. In Zeiten, wo es die unheilbare Krankheit des Beines gestattet, verdient er einen Taler monatlich; die Frau verdient das Doppelte, die Tochter erübrigt anderthalben Taler. Die Gesamteinnahme beträgt also sechseinhalb Taler im Monat. Dagegen kostet die Wohnung zwei Taler; eine »Mahlzeit Kartoffeln« einen Silbergroschen neun Pfennig; auf zwei tägliche Mahlzeiten berechnet, beträgt die Ausgabe für das Hauptnahrungsmittel dreieinhalb Taler im Monat. Es bleibt also noch ein Taler übrig zum Ankaufe des Holzes und alles dessen, was eine Familie neben rohen Kartoffeln zum Unterhalte bedarf. – Im Zimmer Nr. 113 des gleichen Hauses wohnt der alte Sinhold mit seiner Frau. Aus dem letzten Feldzuge kehrte er mit zerrütteter Gesundheit zur Arbeit in der Fabrik zurück. Er erzog neun Kinder. Die Armut zwang ihn, die Stadt zu verlassen und zwei Webstühle im Familienhause aufzustellen. Seit fünfzehn Wochen liegt er krank im Bette. Die Webstühle stehen still, die Frau ist mit der Epilepsie behaftet, verdiente sonst mit Spulen andertbalb Silbergroschen täglich; jetzt findet sie keine Arbeit. Die wenigen Gerätschaften gehören den Juden, der letzte Rock [229] ist verkauft. Von der Armendirektion erhält Sinhold jeden Monat einen Taler, den aber der Hausverwalter sogleich in Empfang nimmt. Der Krankenverein reicht ihm die »Krankensuppe«, die ihn und seine Frau ernährt. Vom Hausherrn ist er »ausgeklagt«, d.h. er ist für drei Monat Miete schuldig. Am 1. April wird man ihn in die Charité bringen, die Frau aus dem Hause jagen und das Zimmer versiegeln mit allem, was darinnen ist. –

Ich ging in den finstern Hausgängen auf und ab, horchte an den Türen, und wo ich weben hörte trat ich ein. In Nr. 18 traf ich zwei Weber, die machten fünfviertel Elle breite dicke Leinwand. Jeder webt täglich sechs bis sieben Ellen und bezieht von der Elle einen Silbergroschen Arbeitslohn; dagegen hat er wöchentlich zehn Silbergroschen für die Einschlagespulen und fünf Silbergroschen für Schlichte auszugeben. In einem Monat werden also vier Taler rein verdient. Nach Abzug der Miete bleiben noch zwei Taler auf Nahrung, Kleidung und Holz zu verwenden. – Einen Arbeiter sah ich, dem ist die Frau gestorben; er kann keinen eigenen Haushalt führen, dient als Weberknecht, erhält von der Elle acht Pfennig und hat für sich und die Kinder das Tischgeld zu bestreiten. Diese Leute wären recht wohl zufrieden, wenn es ihnen nur nicht bisweilen wochenlang an Arbeit fehlte. – In Nr. 5 wohnt Unger, ein recht geschickter Weber. Er hat auf seinem Stuhle einsiebenachtel Elle breite gestreifte Leinwand. An einem Stücke von sechsundsechzig Ellen, mit welchem er in vierzehn Tagen fertig wird, verdient er drei Taler fünf Silbergroschen. Die Frau sagte mir, daß sie abwechselnd Kartoffeln und Hafergrütze koche; jede Mahlzeit koste zweieinhalb Silbergroschen; da die Kinder schlecht gekleidet seien, so müßten sie frieren, wenn sie nicht täglich für eineinhalb Silbergroschen Holz einlegte. Wenn diese Leute nur zweimal essen im Tage, so beläuft sich die monatliche Ausgabe (zwei Taler Miete eingerechnet) auf sieben Taler fünfzehn Silbergroschen, während die Einnahme im günstigsten Falle nur sechs Taler zehn Silbergroschen beträgt. Ich unterhielt mich lange mit Unger und seiner Frau; er ist ein so verständiger und braver Mann, und sie so heiter und freundlich, daß es mir ganz wohl zumute wurde. Ich dachte nicht mehr an jenes ungünstige Zahlenverhältnis, sah das Stroh nicht unter der leichten Bettdecke und achtete nicht mehr auf die Lumpen, in welche die Kinder gehüllt waren. Ich hörte keine Klage; der Hausvater trieb emsig das Weberschiffchen hin und her und erzählte mir scherzend, daß es ihm mit den Kindern gehe, wie dem bekannten Schuster Flick, der ein Kleines forttragen wollte und zwei zurückbrachte. Die Mutter hielt das kleinste Kind auf der Schürze und trieb das Spulrad. Dabei er zählte sie vergnügt, daß zwei Kinder die Schule besuchen und recht viel lernen. Es zeigt sich auch hier, daß die Armen ihre größte Freude an den Kindern haben und fest darauf rechnen, daß diese durch den Schulunterricht aus dem Elende gerissen werden. – Ist es nicht barbarisch, daß man heutzutage die Fruchtbarkeit der Armen so hart tadelt? Ich hörte schon oft sagen: Warum zeugen die Leute so viele Kinder, wenn sie diese doch nicht ernähren können!

[230] Im »Querhause« (Gartenstraße 92 a), Stube Nr. 9 wohnt der Tischlergeselle Gellert. Ich traf ihn nicht zu Hause. Seine Schwiegermutter lag todkrank auf dem Stroh, die Frau scheint auch sehr krank zu sein; sie hielt sich mit Mühe aufrecht und erzählte mir, daß der Mann vierzehn Tage ohne Arbeit und jetzt ausgegangen sei, »um Brot zu suchen«; die Kinder seien in der Schule. Die Familie erhält von keiner Seite Unterstützung. – Im Dachstübchen Nr. 76 wohnt ein Schuster, Schadow. Ich sah lange Zeit durch die gespaltene Türe ins Zimmer. Er arbeitete fleißig; die Frau saß am Boden und nähte einige Lumpen zusammen; zwei kleine, halbnackte Kinder saßen am Boden und spielten mit einer alten Tabakspfeife. Als ich eintrat, war Schadow ganz erschrocken; er hatte mich für den Inspektor gehalten, dem er Miete schuldig ist, und sah sich gern enttäuscht. Das Zutrauen der Unglücklichen hat man sich bald erworben: es dauerte nicht lange, so erzählte mir der Mann seine ganze Lebensgeschichte; daß er dabei nicht viel von seinen Fehlern sprach, schien mir sehr verzeihlich und zum Teil überflüssig, da ich an ihm ja leicht merken konnte, daß er den Branntwein liebt und seine Frau sehr unordentlich ist. Sch. ist der Sohn armer Eltern; er konnte Berlin nie verlassen, weil er dieselben bis zu ihrem Tode unterstützen mußte. Er verheiratete sich früh, etablierte sich in der Stadt und machte gute Geschäfte. Seine Familie vermehrte sich schnell, worauf er bei seinen Ausgaben zu wenig Rücksicht nahm und was daran schuld gewesen sei, daß er in der Stadt nicht mehr wohnen konnte. (Große arme Familien werden von den Hausbesitzern nicht geduldet.) 1836 zog er ins Familienhaus. Fünf seiner Kinder starben an den Pocken, und während sie krank waren, fehlte es ihm an Arbeit. Von niemandem unterstützt, geriet er dadurch so in Schulden, daß er mehrmals aus dem Hause geworfen werden sollte. Er verkaufte Hausgeräte und Kleider und ist jetzt so entblößt von allem, daß er nicht einmal ein Hemd besitzt. Durch Arbeit kann er sich nicht wieder aufschwingen, weil es ihm an Leder fehlt und die Flickarbeit, die er den Leuten im Familienhause macht, schlecht bezahlt wird. Zudem hat er mit zwölf andern Schustern, die am gleichen Orte wohnen, zu konkurrieren. Ich sah es selbst, wie seine Frau um Arbeit ausging und er unterdessen die Kinder hütete. Es war drei Uhr abends, und er hatte an demselben Tag erst zwei Silbergroschen verdient; den einen gab er wieder aus für Zwirn, für den andern kaufte er Brot. Das Kleine fing an, vor Hunger zu weinen. Sch. hatte soeben einen Schuh geflickt und gab ihn der Frau mit den Worten: »Trage ihn fort, laß dir einen Sechser dafür geben und bring dem Kind ein Semmelbrot; es hungert.« Die Frau kam mit leerer Hand zurück; das Mädchen, dem der Schuh gehörte, konnte nicht bezahlen. Das Kind weinte noch immer, und Vater und Mutter weinten mit. Ich half mit einigen Groschen aus der augenblicklichen Verlegenheit. Schnell sagte Sch. zu seiner Frau: »Nun geh, hole für sechs Pfennig Brot, für drei Pfennig Kaffee und für drei Pfennig Holz; das übrige lege in den Schrank, ich will es dem Inspektor bringen; vielleicht hält er die Klage noch zurück.« Es war ihm ein Stein vom Herzen genommen, [231] er schaute zum Fenster hinaus und meinte, es könnte doch ein fruchtbares Jahr geben. Dann fing er auch an, zu politisieren: es schade ihm viel, daß von den Schuhfabrikanten in Spandau so wohlfeil gearbeitet werde, daß nur die großen Bäcker den Brotpreis bestimmen; am meisten aber, daß der Hausherr so viel Abgaben bezahlen und deshalb die Wohnungen so teuer vermieten müsse; in einem freien Lande gebe es gewiß nicht so viele Arme. – Bald war die Frau wieder zurück. Es wurde Feuer gemacht im Ofen und Brot verteilt. Die Kinder warteten aber mit ihrem Teile nicht, bis der Kaffee fertig war. –

Sch. wird nicht unterstützt. Es heißt: man gebe den Leuten im Familienhause nicht gerne; es seien da so viel Arme, daß die Armendirektion derselben nicht mehr los würde, wenn sie einmal zu helfen anfinge. Sollte Sch. nichts bekommen wegen seiner Liederlichkeit, so wäre dies sehr ungerecht. Wo die Not so groß ist, muß man tätig unterstützen, nicht moralisieren, bis die Leute vor Hunger sterben. Auch ist zu bedenken, daß die Hoffnung, wieder aufzukommen, Kraft gibt zur Bekämpfung des Leichtsinnes.

Im Querhause, Stube 72, traf ich Frau Schreyer. Ihr Mann war ein armer Weber, starb 1814 und hinterließ drei unerzogene Kinder. Die Witwe erzog diese im Familienhause, ohne von irgendeiner Seite unterstützt zu werden. Nur ein Sohn ist noch am Leben; er lebt von der Mutter getrennt als Weber und kann mit Not seine Familie ernähren. Frau Sch. schloß sich an einen Weber an, dem sie die Bobinen macht und so des Tags einen Silbergroschen verdient. Es ist hier darauf zu achten, daß diese Frau mit einem Manne, mit dem sie nicht getraut ist, zusammenleben muß, nur um nicht arbeitslos zu sein und vor Hunger umzukommen. Hat jener keine Arbeit, so ist sie auch ohne Brot. Seit kurzer Zeit läßt ihr die Armendirektion monatlich einen Taler fünfzehn Silbergroschen zukommen; davon braucht sie aber einen Taler einen Silbergroschen für die Hälfte der Miete (die andere Hälfte trägt der Weber). Sie hat also im Monat nur einen Taler und zehn Silbergroschen auf Nahrung, Kleidung, Holz etc. zu verwenden. In diesem Augenblick verdient sie gar nichts und ist zudem unwohl. Es gibt Tage, wo sie nichts zu essen hat; die gewöhnliche Nahrung besteht in Brot und bitterm Kaffee, in der Regel wird nur morgens und abends gespeist. Sie zeigte mir einen Teller voll Kaffeesatz, den eine arme Nachbarin gebettelt und mit ihr geteilt hat. – Es ist rührend, wie die Armen sich gegenseitig unterstützen! Ich wollte mich soeben entfernen, als der ebenfalls im Familienhause wohnende Schuster G. etwas betrunken in die Stube trat. Es entwickelte sich ein Gespräch:

G. Ich habe hier ein Paar Stiefeln für Ignaz; ich weiß, daß er barfuß geht und sie brauchen kann; er soll mir nichts dafür geben.

Frau Sch. Er ist jetzt nicht zu Haus.

G. Wo ist er?

Frau Sch. Er sitzt.

G. Es ist nicht möglich?

[232] Frau Sch. Doch – Sie wissen, daß er seit fünf Wochen keine Arbeit hat, und wir beide großen Hunger leiden. Am Montag konnte er es nicht mehr aushalten; er entlehnte ein Paar Schuh von unserm Nachbar und ging um ein bißchen Brot aus. Da haben ihn die Gendarmen gleich erwischt und auf die Stadtvogtei gebracht.

G. (fängt an zu weinen). Der alte Ignaz auf der Stadtvogtei! Die ehrlichste Haut, die es auf der Welt gibt! Ich habe ihn als Soldat gekannt, wie er bei Leipzig focht; und seither waren wir immer gute Freunde.

(Der Weber Matthes tritt herein und gibt der Witwe Schreyer Luthers Lebensgeschichte zurück.)

Ist Ignaz noch nicht da?

Frau Sch. Nein. Ich erwarte ihn jeden Augenblick. Es liegt da Garn zu einer Schürze. Wir könnten wieder einen Groschen verdienen, wenn er los wäre.

Ich habe diesen Morgen von der Bischoffen Kleider gelehnt, – ich kann so doch nicht vors Haus gehen –, ging dann nach der Stadtvogtei und bat den Referendarius, er möchte Ignazen freigeben. Er hat es mir auf diesen Mittag versprochen.

Weber M. Er kommt heute nicht mehr; es ist schon zu spät.

Frau Sch. Aber er sitzt doch schon vier Tage, und der Referendarius sagte mir selbst, daß Ignaz nur wegen des Bettelns eingesteckt sei.

Weber M. Der alte Mann dauert mich. Er hat noch Soldatenstolz, gewiß hat er nicht ohne die größte Not gebettelt.

G. Nach der Not fragen sie auf der Stadtvogtei nicht. Man sollte aber die verfluchten Schreiber lehren, was Not ist. Die elenden Kerl dürfen einen alten Soldaten einstecken! Kreuzsakrament, ich bin auch Soldat gewesen! Man möchte...!

Witwe Schr. Werden Sie nicht so eifrig; ich kann dergleichen Redensarten auf meiner Stube nicht dulden.

G. (immer eifriger) Sie wissen nicht, was Recht ist. Man gibt uns keine Arbeit, verbietet das Stehlen und wirft uns ins Loch, wenn wir betteln. Das kann nicht so fortgehen; man kann noch anders sterben, als vor Hunger; ich weiß es; ich habe in sieben Schlachten mitgefochten.

Weber M. Die sind aber nicht schuld daran, daß wir nichts verdienen.

G. Aber sie verzehren doch Geld, das ihnen nicht allein gehört. Übrigens habe ich selbst erfahren, wie sie für die Armen sorgen. Weiber, die mit den Franzosen freundlich taten, werden unterstützt; die Männer, welche die Franzosen aus dem Lande gejagt haben, werden verstoßen. Ich habe mich zum Nachtwächterdienst gemeldet und erhielt nicht einmal eine Resolution. Weber M. Da kann aber der König nichts dafür.

G. Ich sage ja nichts gegen den König. Ich habe es bewiesen, daß ich gut preußisch bin; ich habe gerne für den König gehungert, als er im Trocknen saß, ich habe ohne Murren acht Kinder auferzogen; dafür sollte man mich aber in meinen alten Tagen nicht hungern lassen. Sie denken gewiß so, wie ich, und noch viele Tausend. Sie wollen sich nur zufrieden stellen vor diesem [233] fremden Manne. Er ist kein Spion; aber wenn er einer wäre, so sagte ich es doch frisch heraus, daß es bei uns nicht auf dem rechten Wege geht. (Mich von der Seite ansehend.) Die verfluchten Zeitungsschreiber sagen es auch, aber tun weiter nichts.

In diesem Tone ging es eine Zeitlang fort. Nach und nach kamen noch andere Nachbaren in die Stube. Alle fragten nach Ignaz. Die Versammlung ging in der größten Mißstimmung auseinander. –


Am gleichen Abend machte ich noch einen Besuch beim Invaliden Bischoff (Stube Nr. 141). Dieser hat fünf Blessuren; der linke Arm ist unbrauchbar. Er bezieht aus der Invalidenkasse monatlich einen Taler. Dazu verdient er einige Groschen durch Verfertigung von Kinderspielzeug. Die Frau leidet an Epilepsie. Heute haben Mann und Frau außer einem Hering, den sie für sechs Pfennig kauften, noch nichts gegessen. Anstatt des Bettes ist ein Lager von Stroh im Winkel. Das Benehmen der Leute, die Reinlichkeit in der Stube und eine Borderie auf einem alten Stuhle ließen mich vermuten, daß Bischoff schon in besseren Umständen gelebt habe. Mit aller Klugheit konnte ich aber anfangs nichts herausbringen. Die Frau klagte mir, daß zu einem hübschen Spielwerke noch die Puppen fehlen. Ich gab das Geld zu diesen her und schloß mir dadurch die Herzen auf. Bitterlich weinend erzählte mir Bischoff, daß er vor Jahren ein glänzendes Auskommen als Hoflackierer gefunden habe, daß er durch die erste Frau und drei Kinder ins Unglück gebracht worden sei. Ich erkundigte mich nach den Kindern. »Wir dürfen es Ihnen nicht sagen, wo die Kinder sind.« – Ich mache keinen Mißbrauch von Ihrer Erzählung. – »Ach Gott! – drei Söhne sind in Spandau, für die Erziehung eines andren Sohnes und einer Tochter sorgt die Königin.« So etwas hab ich noch von keinem Vater gehört. Das Herz wurde mir schwer, und ich weiß nicht, wer schuld ist, daß ich der weitläufigen Erzählung nicht folgen konnte. – Es sind Verhältnisse vorhanden in dieser Familie, welche der genauern Untersuchung wert sind. Bischoff hat aber seine wichtigsten Papiere dem frühern Mietherrn für eine Schuld von einem Taler fünfundzwanzig Silbergroschen versetzt. –


Gartenstraße 92 a, Stube 71. Der Schneider Engelmann hat graue Haare, ist aber noch ganz munter. Seine Frau scheint bedeutend jünger zu sein; in ihren angenehmen Gesichtszügen liegt viel Kummervolles. Das Dachstübchen ist schön aufgeräumt, der Boden gefegt; die Bettdecken sind weiß. Ich durfte den Zweck meines Besuches nur sachte andeuten, so begann der Alte die Erzählung seiner Lebensgeschichte mit Bezeichnung des Geburtstages und führte sie mit dem besten Humor auf die Gegenwart fort; obgleich sie eine ganze Reihe von Unglücksfällen darstellte. Er wußte geschickt den Nachdruck auf das Erfreuliche zu legen, wie z.B. auf den Umstand, [234] daß er durch das Los den Leiden des russischen Feldzuges, bei welchem er ohne Zweifel erfroren wäre, entronnen sei und sich bei einer zweiten Konskription glücklich auf preußischen Boden geflüchtet habe. Diese Flucht führte ihn auf das Reisethema; er sprach begeistert vom Harzgebirge und sagte zuletzt: »Sollte ich einmal einige Groschen auf einen kleinen Teil eines Viertelloses setzen und gewinnen, so machte ich doch noch eine Reise nach meiner Vaterstadt Northeim.« Ich durfte die Freude des Mannes nicht stören und entfernte mich. Da ich aber die Gemütsstimmung der Frau so ganz verschieden gefunden hatte von derjenigen des Mannes, so besuchte ich die Familie am späten Abend noch einmal und erhielt nun über ihre Lage die gewünschten Aufschlüsse.

Engelmann wohnt schon siebenundzwanzig Jahre in Berlin und rechnet es sich zur Ehre, während dieser Zeit nie in gerichtliche Untersuchung gekommen zu sein. Sein elftes Kind ist vier Monat alt, ein zwölftes wird erwartet; acht Kinder sind gestorben; der älteste Knabe ist bei einem Müller in der Lehre. – Bis 1834 wohnte E. in der Stadt. 1833 kam er in die Charité wegen eines kranken Fußes. Kaum war er gesund, so erkrankte die Frau und lag zehn Wochen im Bette. Das Krankenhaus war so angefüllt, daß er die Erlaubnis, seine Frau dahin zu bringen, dem besondern Wohlwollen des Herrn Geh. Rat Kluge verdankte, dabei ist ihm die Fürsprache der Stubenmagd unvergeßlich. Es fehlte ihm aber das Geld, um die Kranke zu Wagen in die Charité zu bringen. Umsonst wandte er sich deshalb an die Armendirektion. Ein guter Freund borgte ihm einen Taler dazu, den er heute noch schuldig und zurückzuerstatten bemüht ist. Um nicht an der Arbeit verhindert zu sein, ließ er das kleinste Kind außer dem Hause verpflegen; was ihn dreieinhalb Taler kostete. Da er dies aus eigenen Kräften nicht bestreiten konnte, so kam er abermals bei der Armendirektion um Unterstützung ein und erhielt für ein und allemal zwei Taler. Nach vier Wochen kam die Frau krank zurück. E. arbeitete ganze Nächte hindurch, konnte aber doch die Miete nicht mehr erschwingen, wurde aus dem Hause geworfen und entschloß sich, auf einige Monate ins Familienhaus zu ziehen. (In diesem Augenblicke hätten vielleicht zehn Taler auf immer geholfen.) Hier fand er aber keine Kundschaft, wurde mit jedem Tage ärmer und durfte zuletzt gar nicht mehr hoffen, aus dem Vogtlande herauszukommen; was ihm auch für seine Knaben leid tat, weil hier die Schulen nicht so gut seien, wie in der Stadt. Er hat kein Geld, um Futter und Knöpfe zu kaufen, und macht daher meistens nur Flickarbeit. Mehr als täglich siebeneinhalb Silbergroschen verdient er nie. Die Frau leidet noch immer an der Gicht und verdient nichts. Am meisten drückt ihn die Miete (zwanzig Taler jährlich). Oft bricht er sich am Munde ab, um dieselbe bezahlen zu können, und lebt doch immer in Gefahr, ausgeklagt zu werden. Auf seinen Tisch kommt abwechselnd Brot zum schwarzen Kaffee, Hering und dünne Mehlsuppe. Wenn er nur einen Tag ohne Arbeit ist, so muß er Kleidungsstücke usw. versetzen. Er zeigte mir verschiedene Scheine, nach welchen er siebeneinhalb bis fünfzen[235] Silbergroschen auf solche Weise erhoben hat. Die Frau klagte sehr darüber, daß sie die Milch verloren habe und nun dem Kleinen schlechtes Getränk teuer kaufen müsse. (Selbst die Muttermilch muß bei den Armen nach Geldwert geschätzt werden!) Als im letzten Dezember die Frau in den Wochen und ein Kind krank neben ihr im Bett lag, suchte E. wieder Hülfe bei der Armendirektion. Der Deputierte besuchte ihn, um seine Lage zu untersuchen. Darauf wurden ihm zwei Taler zugesprochen, aber nur fünfzehn Silbergroschen bar ausbezahlt. Als er zwei Tage darauf den Rest holen wollte, sagte ihm Direktor H. ärgerlich: »Sie gehen darauf los wie Blücher.« Das Kind starb, und E. konnte die Begräbniskosten nicht bestreiten. Ein Invalide, der blinde Leierkastenmann Wegener, borgte ihm ein Beinkleid und ein Hemd, laß er Geld darauf entlehnen konnte. Als einige Wochen später ein zweites Kind starb, borgte derselbe Mann einen Taler. In welchem Lichte erscheint die Armendirektion neben diesem Leierkastenmann! – Leuten unter sechzig Jahren reicht sie keine regelmäßige Unterstützung. Der Deputierte besucht die Armen nur, wenn sie außerordentliche Hülfe verlangen. Bis diese verabfolgt, verstreichen oft sechs bis acht Wochen. Vom 15. Dezember bis 15. April werden »Armensuppen« gekocht. Jede Familie darf monatlich fünfzehn Portionen holen. (Die Armensuppe sei nicht so gut wie die Krankensuppe.) Wer monatliche Unterstützung hat, ist von dieser Wohltat ausgeschlossen.

Als ich wegging, sagte mir die Frau, daß ich die paar Groschen, die ich ihr gegeben, recht wohl angebracht habe; es sei diesen Nachmittag kein Pfennig mehr in der Kasse gewesen. – Und doch war der Mann so guter Laune! – Der Frohsinn wird dem Armen sehr häufig zum Vorwurfe gemacht und kann sogar die Unterstützung verhindern. »Der braucht nichts; es ist ihm wohl genug,« heißt es; gleichsam als müßte man sich durchs Elend an der ganzen Seele niederdrücken lassen. Ich habe die Klage oft gehört, daß man sich recht kleinmütig zeigen müsse, um von den Armenbehörden unterstützt zu werden.


92 b, Stube Nr. 8 (Kellerwohnung). Glaser Weidenhammer war nicht zu Haus; die Frau kochte eine Suppe für das Kleine in der Wiege. Es war Sonntag, aber die Stube nicht aufgeräumt. Das Bett sah schmutzig aus. Diesem gegenüber lag ein Bund frisches Stroh. Über diesem hing eine Schreibtafel, auf welcher die Worte »Trink und eß« fleißig kopiert waren. Neben derselben hing ein geflochtener Strick, der anstatt einer Rute für den elfjährigen Karl gebraucht wird. Unter dem Spiegel, in Goldrahmen gefaßt, hängt der letzte Wille von Friedrich Wilhelm III. Ich wollte mich mit der Frau in ein Gespräch einlassen; allein sie hört und sieht wenig und scheint ganz einfältig zu sein. Sie holte den Mann. Der war in einer benachbarten Stube, wo sich jeden Sonntag eine kleine Spielgesellschaft bilde. Um Geld werde nicht gespielt; zuweilen gebe jeder einen Dreier, damit Branntwein [236] oder Bier geholt werden könne. Weidenhammer ist in seinen besten Jahren. In der Woche geht er mit seinem Glaskasten von Haus zu Haus und sucht Arbeit. In der dritten Woche des März habe er nur zwei Glastafeln verarbeitet und an denselben fünf Silbergroschen verdient; es könne sich auch zutragen, daß er an einem Tage einen halben Taler erwerbe. Seine Einnahmen lassen sich nicht leicht bestimmen; doch sind sie im ganzen so gering, daß es die ganze Familie beim Tische fühlt, wenn dem Vater eine Fensterscheibe gesprungen ist. Ich glaube auch annehmen zu dürfen, daß ein herumziehender Handwerker zuweilen einen Groschen im Wirtshause zurücklasse. W. wies nach, wie er auf das Scheibeneinsetzen notwendig beschränkt sei: es fehle ihm an einer Werkstatt und an Kredit; wenn ein gutes Stück Arbeit ausgeschrieben werde, so dürfe er sich in seinem zerlumpten Rock nicht als Meister melden. – Die Frau verdient in einer Papierfabrik wöchentlich einen Taler, wird aber sehr oft durch Kopfkrampf an der Arbeit verhindert. Sind Vater und Mutter fort, so muß Karl bei dem kleinen Kinde bleiben. Der Knabe besucht keine Schule, wird aber vom Vater fleißig unterrichtet. Bevor dieser des Morgens ausgeht, stellt er die Aufgabe; ist diese am Abend nicht gelöst, so wird Karl mit dem Stricke ausgepeitscht. Der Knabe liest und schreibt ordentlich und ist im Rechnen bis zur Subtraktion gekommen. Der Vater versicherte mich, daß derselbe in der Armenschule, wo man die Kinder stundenlang müßig lasse, nicht so weit gekommen sein würde.

W. ist sehr arm, in diesem Augenblicke fünf Taler Miete schuldig. Er zeigt sich unzufrieden mit der Armendirektion. In höchst dringenden Fällen speisen sie die Bittenden mit zwei Talern ab. Auf den Präsidenten der Armenkommission, Herrn Stadtrat D., könne man sich besser verlassen. Der Glaser meint, wenn man ihm nur für einen Tag genug Arbeit ins Haus brächte, so wollte er alles, was er von der Armendirektion empfangen habe, mitsamt den Zinsen zurückerstatten.


Gartenstraße 92 b, Stube Nr. 9. Dahlström hat früher als Seidenwirker gearbeitet und wöchentlich drei bis vier Taler verdient. Seit fünf Jahren leidet er an chronischem Katarrh und an Augenschwäche so, daß er völlig untauglich zur Arbeit ist. Die feuchte Kellerwohnung, die er wegen rückständiger Miete nicht vertauschen kann, wirkt sehr nachteilig auf seine Gesundheitsumstände. Der älteste Sohn, ein Stickmusterzeichner, hat ihn vor einigen Wochen, als er eben die Miete bezahlen sollte, verlassen. Der zweite arbeitet auch für sich, wohnt bei den Eltern und gibt fünfundzwanzig Silbergroschen zu der Miete. Ein vierzehnjähriges Mädchen verdient wöchentlich zweiundzwanzigeinhalb Silbergroschen in einer Kattunfabrik, wo es von fünf Uhr morgens bis neun Uhr abends zur Arbeit angehalten wird. (Ist hier durch kein Gesetz solcher unmäßigen Anstrengung der Kindeskräfte vorgebogen?) Ein zehnjähriger Knabe geht in die Schule oder [237] hütet sein zweijähriges Brüderchen. Die Mutter sucht in der Stadt Knochen zusammen, von welchen ein Zentner mit zehn Silbergroschen bezahlt wird. Um so viel zusammenzubringen, sind wenigstens drei Tage Zeit erforderlich. Dahlström war fünfzehn Jahr lang Soldat und erhält daher monatlich einen Taler Unterstützung, obschon er erst dreiundfünfzig Jahr alt ist. Überdies empfing er einmal eine Extrazulage von drei Taler. Den Kleinen dient ein Strohsack als Bett. Auf den Tisch komme morgens ein wenig trocknes Brot, des Mittags gewöhnlich nichts, abends Brot und Hering oder Mehlsuppe.


Gartenstraße 92 b, Stube 58. Kleist starb vor einigen Jahren an der Cholera, hinterließ eine schwangere Frau und sechs Kinder, von welchen der älteste dreizehn Jahr alt war. Die Armendirektion reichte der Witwe drei Taler und bezahlte eine Zeitlang zwei Taler fünfzehn Silbergroschen monatlich Kostgeld für zwei Kinder. Der älteste Sohn kam zu einem Felbelfabrikanten in die Lehre und verdiente nachher zwei bis drei Taler in der Woche. Seit neun Monaten ist er ohne Arbeit. Jetzt hat er Garn zu winden und verdient dreidreiviertel Silbergroschen den Tag. Obschon er bei der Mutter wohnt, kauft er sich das Brot doch selbst und spart das Erworbne zusammen für ein Paar Stiefeln. Die Kinder aus armen Familien machen sich frühe unabhängig. Die Eltern verzichten gerne auf die Unterstützung des Sohnes in der Hoffnung, dieser reiße sich aus der Armut heraus. Ein anderer Knabe lernt das Töpferhandwerk, erhält wöchentlich einen Taler Lohn und bezahlt davon zweiundzwanzigeinhalb Silbergroschen Kostgeld an die Mutter. Eine erwachsene Tochter war Dienstmagd in der Stadt, wurde krank und wohnt bei der Mutter, bis sie wieder gesund ist. Ein fünfzehnjähriger Knabe verdient mit Spulen zwei bis drei Silbergroschen täglich, die Mutter neben den Hausgeschäften halb so viel. Ein sechsjähriger Knabe geht in die Schule. Die Gesamteinnahme der Witwe beträgt also höchstens sechs Taler monatlich (jene zweiundzwanzigeinhalb Silbergroschen mit eingerechnet). Daraus ist die Miete und der Unterhalt für fünf Personen zu bestreiten. Brot, Kaffee und Mehlsuppe sind auch hier die gewöhnlichen Nahrungsmittel. In die Suppe kommt kein Fett. Um sie schmackhafter zu machen, zuweilen etwas Zucker. Von ein halb Lot Kaffee trinken fünf Personen zweimal.


92 b, Stube Nr. 30. Der Weber Jährig leidet seit zehn Jahren an einem doppelten Bruchschaden. Vor sechs Jahren zog er ins Familienhaus, weil hier die ärztliche Behandlung nichts kostet und Freischulen sind. – Er webt schmales Baumwollenzeug, in vierzehn Tagen sechsundsechzig Ellen für einen Taler zehn Silbergroschen. Zehn Kinder sind ihm gestorben, ein Sohn lernt das Töpferhandwerk, ein Mädchen von dreizehn Jahren besucht [238] noch die Schule und verdient nebenbei täglich einen Silbergroschen mit Spulen, ebensoviel erwirbt die Frau neben den Hausgeschäften. Seit fünf Jahren bezieht J. monatliche Unterstützung von der Armendirektion, erst zwanzig Silbergroschen, jetzt zwei Taler. Da seine Frau drei Monat krank lag und er durch die Verpflegung an der Arbeit verhindert wurde, ist die Mietschuld auf sechs Taler angewachsen. Er ist keinen Tag sicher, daß er nicht aus der Wohnung getrieben und ins Arbeitshaus gebracht werde. Deshalb wandte er sich vor vier Wochen an die Armendirektion, um eine Extrazulage zu erhalten. Vor acht Tagen erst besuchte ihn der Deputierte; bis zur Stunde ist die Antwort ausgeblieben. Bekümmerte sich der Hausherr nicht mehr um die Familie J. als der Armendirektor, so wäre dieselbe schon auf der Gasse. Die Frau ist sehr verständig; sie sagte mir unter andern, daß hier die Sorge für Nahrungsmittel nicht mehr Hauptsache sei: bei schlechtem Verdienst könne man zuweilen eine Mahlzeit unterlassen; die Miete aber wachse immer an, die Gerätschaften nutzen sich ab und können nicht ersetzt werden.


92 b, Stube 59. An der Tür steht angeschrieben: »Webermeister Künstler«. In der Stube ist ein Spulrad an der Stelle des Webstuhles. Vor sechzehn Jahren verlor Künstler die Frau und hatte sechs Kinder zu erziehen. Von diesen leben noch vier, drei wohnen bei ihm, arbeiten aber außer dem Hause. In zwei Bettstellen sind zwei Strohsäcke, auf dem einen schläft der Vater mit zwei erwachsenen Söhnen, auf den andern die erwachsene Tochter. K. verdient mit Garndoppeln täglich zweieinhalb bis dreidreiviertel Silbergroschen. Der eine Sohn ist Seidenwirker, verdient in der Woche einen Taler und gibt dem Vater wöchentlich fünfzehn Silbergroschen Tisch – und Schlafgeld. Der andere war längere Zeit Sandführer, bekam das Essen und wöchentlich zehn Silbergroschen. Die Tochter ist Dienstmagd und braucht das Erworbene für Kleider. Seit zwei Tagen hat der zweite Sohn Arbeit als Handlanger und wird nun zehn Silbergroschen des Tages verdienen. Er kam eben zum Mittagessen; der Vater setzte dem baumstarken Kerl für einen Silbergroschen Kartoffeln und für drei Pfennig Butter vor. K. klagte mir, daß er drei Taler Miete schuldig sei und die meisten Kleider versetzt habe. Am 27. Februar reichte er der Armendirektion ein Gesuch um Unterstützung ein. Bis jetzt (13. April) ist noch kein Deputierter zu ihm geschickt und keine Antwort erteilt worden.

K. rühmte die gute alte Zeit und den verstorbenen König. Dieser habe, wenn die Messen ungünstig ausgefallen seien, Polizeidiener nach den Webern ge schickt und die leeren Stühle zählen lassen. Auch sei bis 1806 jedem Webermeister, der drei Stühle hatte, alljährlich ein Viertel Klafter Holz geschenkt worden.

[239] 92 b, Nr. 51. Die Stube der Witwe Möltner sieht gut aus; die Hausgeräte sind in gutem Zustande und sehr rein gehalten. Möltner war ein Schuster, gab das Handwerk auf, arbeitete als Tagelöhner, ergab sich dem Trunke, infolgedessen er vor drei Jahren starb. Die Witwe bezieht für ihre zwei Kinder zweieinhalb Taler monatlich Pflegegeld. Über die Erziehung der Kinder wird von den Vormundschaftsbehörden sorgfältig gewacht. Das dreizehnjährige Mädchen arbeitete in einer Tabaksfabrik von fünf Uhr morgens bis sieben Uhr abends; von sieben bis neun Uhr besucht es die »Nachhülfeschule«. Seit einiger Zeit geht es aber mit Damen in der Stadt auf den Markt. Gleiche Dienste verrichtet die Mutter. An einzelnen Tagen verdienen sie auf diese Weise in wenigen Stunden bis auf 25 Silbergroschen; zuweilen aber auch nichts. Die Miete wird regelmäßig bezahlt aus den Pflegegeldern. An Nahrungsmitteln leidet die Familie in diesem Augenblicke keinen Mangel. Die Frau darf aber nur einige Tage krank werden, so fehlt es an Brot.

Eine viel dürftigere und weniger unterstützte Witwe wohnt im Keller Nr. 12 des gleichen Hauses. Ihr Mann, Grenzaufseher Kayser, ist vor elf Jahren gestorben. Erst seit einem Jahre bezieht sie Pflegegeld, und zwar nur für den ältern Knaben, der bald das Alter erreicht, wo jenes gesetzlich entzogen wird. Sie ernährt sich mit Spulen, wobei im Durchschnitt dreidreiviertel Silbergroschen täglich verdient werden. Oft fehlt es an Arbeit. – Man darf sich hier durch den Anblick der wohlerhaltenen Hausgeräte nicht täuschen lassen über die Lage der Familie. Diese Frau hungert lieber einen Tag, als daß sie Bettzeug oder Kleider verkaufte, weil sie diese nie wieder ersetzen könnte. Auch läßt sie die beiden Knaben nicht in zerrissenen Kleidern umhergehen. Lieber flickt sie aus zwanzig Stücken ein Paar Hosen zusammen. Bei Tische muß es schmal zugehen. Heute mittag wurde vier Personen für sechs Pfennig Hafergrütze gekocht und das Brot so spärlich ausgeteilt, daß es der größere Knabe verdrießlich zurückgab und aus dem Zimmer lief. – Witwe K. beklagt sich darüber, daß man sich zu sehr erniedrigen müsse, wenn man etwas von der Armendirektion erhalten wolle. Sie habe genug geweint, bis sie für ein Kind das Pflegegeld erhalten; lieber wolle sie Hunger leiden, als sich zum zweiten Male Faulheit und Leichtsinn vorwerfen zu lassen. – Bei ihr wohnt eine Schwester, deren Mann vor zweiundzwanzig Jahren gestorben ist. Als sie die fünf Dekorationen abgab, welche derselbe in verschiedenen Schlachten erworben hatte, erhielt sie fünf Taler Geschenk, seither ist der Soldatenwitwe nichts mehr zu gekommen. Sie fand ihr Auskommen als Kinderfrau. In diesem Augenblicke findet sie als solche keinen Platz und darbt wie ihre Schwester. Sie darf keinen Versuch machen mit einer Bitte um Unterstützung, da sie noch nicht sechzig Jahr alt, nicht krank ist und ihre Kinder gestorben sind.

Die Frauen erzählten mir von einer Gesellschaft, die im Familienhause Betstunde halten. Man dürfe sich nur für diese einschreiben lassen, so werde man von reichen Damen unterstützt. Sie halten aber nichts auf das Sektenwesen [240] und wollen mit heuchlerischem Gebete kein Geld verdienen. Ebenso gehöre der Lehrer an der untern Knabenschule einer Sekte an und suche Anhänger unter den Armen im Familienhause. Er fordere eine Selbstprüfung, die alle Zeit zur Arbeit wegnehme; deshalb können sie sich nicht an ihn anschließen. So kommt es, daß die frommen Wohltäter an der Tür der beiden Witwen, die keine Betschwestern sein wollen, vorübergehen.


92 b, Nr. 73. Der Weber Fischer ist zweiundvierzig Jahr alt. Sein Äußeres flößt wenig Zutrauen ein; er kann nicht über die Straße gehen, ohne durch sein struppiges Haar, das finstere Auge und den zerlumpten Anzug die Aufmerksamkeit der Polizeidiener auf sich zu ziehen. Man sieht auf den ersten Blick, daß ihn das Elend schon lange von jeder ordentlichen Gesellschaft abgeschlossen hat. Ich bot ihm eine Zigarre; das machte ihn freundlicher und gesprächig. Die Unterredung gab mir eine bessere Meinung von ihm. Die Frau sieht liederlich aus; sie saß mit zerzaustem Haare auf dem schmutzigen Bette und strickte. Dem zehnjährigen Knaben sieht man es gleich an, daß sich die Eltern mehr um die Bobinen bekümmern, die er macht, als um ihn selbst. Ein achtjähriges Mädchen war ausgegangen; acht Kinder sind tot. – F. hat sich als Webergeselle schon weit umhergetrieben. Gegen das Ende des vorigen Jahres fehlte es ihm siebenzehn Wochen an Arbeit. Er blieb im Familienhause acht Taler Miete schuldig, reiste nach Hamburg, fand daselbst auch nichts zu tun, kam krank nach Berlin zurück und wurde in die Charité gebracht. Als er wieder gesund war, fehlte es ihm an Obdach; die Polizei brachte ihn mit seiner ganzen Familie ins Arbeitshaus, wo er fünfzehn Wochen, getrennt von Frau und Kindern, als Gefangener lebte neben Verbrechern aller Art. – Er erzählte mir von einem Manne, der neben ihm arbeitete, daß derselbe drei Jahr eingesteckt sei, weil man ihn zu wiederholten Malen beim Betteln ertappt habe. – Endlich entließ man ihn mit vier Taler Unterstützung. Von diesen bezahlte er drei Taler an die Mietschuld, einen Taler für Exekutions – und Auktionskosten. Er bleibt also noch fünf Taler Miete schuldig. Er wäre abermals ohne Arbeit, wenn ihm nicht der arme Nachbar Sigmund gestern dreißig Ellen Zettel abgeschnitten hätte, an welchen in vierzehn Tagen drei Taler Weberlohn zu verdienen sind. Auf zwei Wochen ist die Existenz der Familie gesichert. Es ist aber vorauszusehen, daß sie binnen kurzer Zeit wieder ins Arbeitshaus gebracht werden muß. F. meint, wenn man ihm anderthalb Taler vorstreckte, so wollte er Garn kaufen und auf eigene Faust Bettzeug fabrizieren. Es helfe ihm aber niemand; mit seinen Geschwistern in Sachsen habe er seit zehn Jahren keinen Brief gewechselt. Ein unfrankierter Brief sei ihm von einem verwandten Pfarrer wieder zurückgekommen.


Gestern hat F. folgende Ausgaben gemacht (für vier Personen):


[241] Morgens 7 Uhr fr.
1/2 l Kaffee – Sgr. 2 Pf.
Zichorien – Sgr. 1 Pf.
Salzkuchen – Sgr. 8 Pf.
Holz – Sgr. 3 Pf.
10 Uhr
Brot 1 Sgr. – Pf.
12 Uhr
Roggenmehl – Sgr. 6 Pf.
Holz – Sgr. 4 Pf.
4 Uhr
Brot – Sgr. 9 Pf.
Rauchtabak – Sgr. 3 Pf.
7 Uhr
Brot 1 Sgr. – Pf.
Kaffee – Sgr. 3 Pf.
Holz – Sgr. 3 Pf.
Öl – Sgr. 9 Pf.
Schlichte – Sgr. 8 Pf.
Summa 6 Sgr. 11 Pf.

92 b, Nr. 60. Es war Karfreitag, als ich den Tagelöhner Schumann besuchte. In seinem Dachstübchen sah es nicht festlich aus. Es war nicht aufgeräumt; der Vater, die Mutter und vier Mädchen von elf bis zweiundzwanzig Jahren saßen im Werktagskleide müßig beisammen; ein Sonntagsgewand ist nicht vorhanden, darum ging auch niemand aus der Familie zur Kirche. Die sechs Personen müssen sich mit zwei kleinen, schlechten Betten behelfen. – Schumann scheint recht ehrlich zu sein. Er verdient sein Brot bei einem Trödler durch den Transport der verkauften Waren. Durchschnittlich bekommt er jeden Tag siebeneinhalb Silbergroschen. Ist die Witterung schlecht, so wird nichts verkehrt und von ihm nichts verdient. Von den drei erwachsenen Töchtern dient die älteste in der Stadt, die zweite ist kränklich, die dritte eine Stütze der Familie, indem sie in einer Papierfabrik wöchentlich einen Taler verdient. Von diesem werden aber siebeneinhalb Silbergroschen abgezogen, bis das Einsegnungskleid bezahlt ist. Dieses kostete acht Taler und ist schon fünf Monate gegen zwei Taler versetzt. Am 24. Februar wurde Schumann »ausgeklagt«. Die Armendirektion unterstützte ihn mit zwei Taler. Die Schuld beträgt noch drei Taler, an welche zu der laufenden Miete wöchentlich fünfzehn Silbergroschen erlegt werden müssen. Dies nötigt zur größten Sparsamkeit. Heute hat sich die ganze Familie mit einer Metze Kartoffeln begnügt.

[242] Auch beim Arbeitsmann Fundt im Dachstübchen Nr. 62 wurde das christliche Fest nicht gefeiert. Der Vater arbeitete am Schnitzstuhle; einige Knaben spielten Mariage, andere das Damenspiel. Die wenigen Hausgeräte lagen bunt durcheinander. Zwei Strohsäcke, der eine auf dem bloßen Boden, der andere auf einigen Brettern, vertreten die Stelle der Betten. – F. ist Witwer und Vater von sieben Kindern. Vier von diesen haben gelähmte Glieder. Das eine ist in der Charité, das andere im Hospital, zwei Mädchen wohnen bei Verwandten im Harzgebirge, für die Erhaltung eines zweiundzwanzigjährigen, völlig arbeitsunfähigen Sohnes erhält F. zweimonatlich zwei Taler von der Armendirektion, ein fünfzehnjähriger Knabe ist bei einem Drechsler in der Lehre, der zehnjährige Fritz besucht die Schule. – Fundt arbeitet bisweilen in der Gießerei, wo er wöchentlich zwei bis drei Taler verdient. Da aber in seiner Abwesenheit das Hauswesen nicht besorgt wird, so zieht er es vor, auf seiner Stube am Dreh – und Schnitzstuhle zu arbeiten. Er hat eine geschickte Hand, verfertigt Vogelbauer, Kinderspielzeug, aber auch Zithern und Gitarren. Der Lebensunterhalt macht ihm wenig Sorgen. – Seine Knaben spielen die Zither. Ich ließ mir einige Stücke vorspielen und bewunderte den kleinen Fritz, der nie einen Lehrer hatte und doch mit Fertigkeit die Tänze spielt, die er von den Leierkasten hört. Er hat Lust zum Violinspielen. Der Knabe gefällt mir auch außerdem recht wohl. Es ist schade, wenn nicht mehr auf seine Erziehung verwendet wird, als im Vermögen des Vaters liegt.


In Nr. 67 wohnt ein altes Weibchen, in Einfalt freundlich. Vor acht Jahren schon hat es den Ehemann, Weber Suchi verlassen, weil er liederlich war. Für zwei Knaben, welche die Abgeschiedene zu sich nahm, wurden vor sechs Jahren zwei Taler monatliches Pflegegeld ausgesetzt. Der eine von jenen ist zehn Jahr alt und kränklich, der andere zwölf Jahre alt und möchte ein Weber werden (was die Vormundschaftsbehörden nicht zugeben sollten). Als Laufbursche hat dieser wöchentlich zwanzig Silbergroschen verdient. Er ist um seinen Platz gekommen. Da jenes Pflegegeld nicht einmal die Miete deckt, so hat das Mütterchen für den Lebensunterhalt ganz zu sorgen. Es ist wunderbar, wie es dieses zustande bringt dadurch, daß es Knochen und Papier zusammensucht auf den Straßen; was doch nicht mehr als zwei bis dreidreiviertel Silbergroschen einbringt im Tage. Ist die Witterung ungünstig, so ist die Einnahme noch geringer. Heute (Karfreitag) hat sich Frau Suchi die Kleider gewaschen, konnte also nicht ausgehen, nichts verdienen, und wäre, wenn sie nicht von mir zufällig einige Groschen erhalten hätte, hungrig zu Bett gegangen. – Trotz der Armut ist doch die Stube rein gehalten und die Hausgeräte sind in gutem Zustande.


[243] Stube Nr. 69. Berwig war ein Leineweber, fand als solcher keine Arbeit und kam vor sechs Jahren als Tagelöhner nach Berlin. Er arbeitet in einer Firnisfabrik, wo er die Späne wegfährt. Da man diese nur trocken braucht, so hat er bei schlechter Witterung nichts zu tun. Bei ununterbrochener Arbeit stiege die wöchentliche Einnahme bis auf drei Taler. In diesem Winter war er aber schon sechs bis sieben Wochen nacheinander ohne Verdienst. Um nicht hungern zu müssen, ging er mit seiner Frau in einen zwei Meilen entlegenen Wald. Das Holz, welches beide in einem Tage nach der Stadt bringen konnten, wurde für siebeneinhalb Silbergroschen verkauft. B. ist einige Taler Miete schuldig und keinen Tag vor Exmission sicher. Die Frau wird bald mit dem zehnten Kinde niederkommen. Sechs Kinder leben noch; der älteste Knabe ist sechzehn Jahr alt und bei einem Schmied in der Lehre. Ein neunjähriger Knabe besucht seit fünf Jahren die Schule, liest noch ganz schlecht und kann gar nicht rechnen. Einige Schuld mag an der Ungelehrigkeit des Knaben liegen; die größere fällt aber auf die untere Knabenschule im Familienhause.

In Nr. 66 traf ich die ganze Familie beisammen. Zwei kleine Kinder schliefen auf einem Strohsacke am Boden, mit einem leichten Tuche bedeckt. Die Mutter lag krank im Bette. Der Vater, TagelöhnerBenjamin, pflegte sie. Dieser ist ein verständiger, rüstiger und gewiß braver Mann. Bisweilen verdient er zweieinhalb Taler in der Woche; dann muß er aber wieder mehrere Tage müßig gehen. Eigene Krankheit und Krankheit der Familie hat ihn in die größte Armut gebracht. Von der Armendirektion erhielt er einmal drei, ein andermal zwei Taler Unterstützung. Dessenungeachtet mußte er Kleider und Bettzeug verkaufen. Er führte mich zum Bette der Kranken und zeigte mir, wie die Bettanzüge nur mit Stroh angefüllt waren. Seine Kleider sind so schlecht, daß er Sonntags nicht ausgehen darf. Es muß einen vernünftigen Mann tief schmerzen, auf solche Weise ins Zimmer gebannt zu sein. –


92 a, Stube Nr. 35. Tischler Krellenberg. – Ich mußte einigemal anklopfen, bis die Stube aufgeschlossen wurde. Die Frau entschuldigte sich damit, daß sie ihre dürftige Lage vor den Leuten im Hause geheimhalten möchte. Es ist leider jetzt so, daß sich die Armen, anstatt der Reichen, der Armut schämen. Die außergewöhnliche Reinlichkeit überraschte mich angenehm: der Fußboden war frisch gescheuert, das Küchengeschirr blank, die hellen Fenster machten das Zimmer freundlich. – In der Wiege lag ein Kind von zwei Jahren, an der Gehirnentzündung krank. Die Mutter pflegte es mit der größten Zärtlichkeit. Ich zog sie nicht gerne ab von ihrem Geschäfte, mußte es aber doch, weil Krellenberg nicht zu Hause war. Ich erfuhr, daß dieser von 1822 bis 1841 als Tischlergeselle bei einem Meister gearbeitet habe, und sah aus dem schriftlichen Zeugnis, daß er wegen Mangel an Arbeit entlassen werden mußte. Seit zwei Jahren wohnt er im Familienhause. Tischlerarbeit [244] kam ihm wenig zu. Überdies sieht er nicht mehr gut, so daß er keine feinen Arbeiten annehmen kann. Seit acht Tagen arbeitet er im Taglohn als Farbenreiber. Diese Arbeit strengt ihn sehr an, denn er ist schon vierundfünfzig Jahr alt und durch Alter und Mangel geschwächt. Im letzten Winter kam er wegen Mangel an Verdienst so weit ökonomisch zurück, daß er Kleider, Betten und Werkzeug verkaufen mußte. Es stehen drei Bettgestelle im Zimmer; in allen ist nichts als Stroh, beim einen nicht einmal mit einem Tuche bedeckt. Von acht Kindern leben sieben. Eine achtzehnjährige Tochter und ein dreizehnjähriger Knabe lagen achtzehn Wochen krank am Nervenfieber. Ein siebenzehnjähriger Sohn lernt das Tischlerhandwerk. Gestern hat er dem Vater fünfzehn Silbergroschen geschickt, die er aus Trinkgeldern zusammengespart hatte, um auf Ostern eine neue Weste zu kaufen. Vier Kinder von vier bis zehn Jahren besuchen die Schule. Alle sehen gescheit und hübsch aus und sind ordentlich gekleidet. Die Mutter hat bis auf einen Rock alles zur Bekleidung der Kinder hergegeben. – Weinend sagte mir diese, wie oft die Kleinen umsonst nach Brot rufen und daß der Vater diesen Morgen hungrig an die schwere Arbeit gegangen sei; der Hauswirt wolle bezahlt sein; sooft sie am Komptoir des Verwalters vorbei zum Brunnen gehe, werde sie an die vier Taler Miete erinnert; jeden Tag könne man die ganze Familie aus dem Hause werfen. – K. habe sich zweimal um Unterstützung beworben bei der Armendirektion und zur Stunde noch nichts empfangen als die Armensuppe, die oft für die ganze Familie das einzige Nahrungsmittel gewesen sei.


92, Stube 91. Der Hausverwalter hatte mir den Strumpfweber Ehrike als einen sehr armen Mann bezeichnet. Ohne dies hätte ich mich beim einmaligen Besuche leicht über die Lage desselben getäuscht. Der Alte arbeitete munter an seinem Webstuhle und rauchte dazu. Bei seiner erwachsenen Tochter war eine junge Nachbarin mit dem Spulrade auf Besuch. Die Mädchen suchten so geschickt und angelegentlich den letzten Schein von dem zu retten, was nun einmal die Stellung in der Gesellschaft zu bestimmen pflegt, daß ich den Vater nicht veranlassen durfte, mir seine Armut zu schildern. Ich leitete das Gespräch auf die Strumpffabrikation und gelangte dadurch zu einem Maßstabe für die Berechnung der Einnahme. – Ein fleißiger Weber macht in einem Tage zwei Paar Strümpfe. Siebeneinhalb Silbergroschen kostet ihn die Baumwolle, vom Handelsmann erhält er für die ausgemachten Strümpfe fünfzehn Silbergroschen; der tägliche Verdienst ist also siebeneinhalb Silbergroschen. Ein auffallendes Mißverhältnis liegt darin, daß der Handelsmann jene Ware für zweiundzwanzigeinhalb Silbergroschen verkauft und also an derselben ebensoviel verdient als der Arbeiter. Will dieser nicht in der Arbeit aufgehalten werden, so muß er die Fabrikate dem Kaufmann liefern, und es kommt ihm von dem, was die Ware mehr gilt als der rohe Stoff, nur so viel zu, als der Handelsmann willkürlich [245] bestimmt. Wenn auch im allgemeinen nichts gegen dieses Verhältnis anzuheben ist, so dürfte doch von Seite der Armenbehörde dahin gewirkt werden, daß sehr armen Arbeitern der volle Arbeitslohn zukäme. Jene würde doch leichter Bestellungen besorgen, als Almosen eintreiben. – Ehrike beklagte sich darüber, daß die Sachsen wohlfeilere Arbeiten liefern und den Preis der Strümpfe herabdrücken; dies können sie, weil die Arbeiter auf dem Lande mit wenig Geld auskommen. Viele Arbeiter, welche ihr Gewerbe besser auf dem Lande betreiben könnten, sind an die teuern Wohnungen in der Stadt dadurch gebunden, daß ihnen die Mittel zur Einrichtung eines ordentlichen Haushaltes fehlen. Wer nur für einen Tag sorgen kann, muß in der Nähe der Kramläden wohnen.


Stube 92. Witwe Keßler ist eine muntere, gescheite Frau. Sie hat fünf Kinder. Für die drei kleinsten erhält sie drei Taler Pflegegeld. Die älteste Tochter dient in der Stadt, kann aber die Mutter nicht unterstützen, weil sie den geringen Lohn ganz auf die Kleider verwenden muß. Die armen Mädchen müssen durch ihren Staat der Herrschaft Ehre machen. Der älteste Knabe wird bald eingesegnet. Nur ungern will sich die Mutter bei der Waisenbehörde um das Einsegnungskleid verwenden, weil die Kleider, welche man den Armen spendet, durch Schnitt und Farbe sich von andern auszeichnen. Einem sechzehnjährigen Burschen ist es nicht übel zu nehmen, wenn er lieber zerlumpt einhergeht, als seine Abhängigkeit von der Armenbehörde zur Schau trägt. Warum unterstützt man die Armen nicht, ohne sie vor aller Welt zu demütigen? – Was Frau K. zu jenen drei Talern durch Waschen und Scheuern verdient, ist unbestimmt. Die Kinder bekommen oft mehrere Tage kein Brot zu Gesicht. –


Stube 101. Weber Würth ist aus Biberach, seit vierundfünfzig Jahren in Berlin, jetzt sechsundsiebenzig Jahr alt und so nervenschwach, daß er kaum stehen und die Tasse nicht mit der Hand zum Munde bringen kann. Er lebt mit seiner fünften Frau, die einundsechzig Jahr alt ist, zusammen. Von der Armendirektion erhält er monatlich drei Taler, davon sind zwei Taler für Miete auszugeben. Da er wie ein Kind gepflegt werden muß, so kann die Frau kaum anderthalb Taler verdienen im Monat. Diese alten Leute müssen also von zweieinhalb Silbergroschen im Tage leben. Es hat mich ganz ergriffen, als die Frau ihren höchsten Wunsch dahin richtete, daß der Mann ins Hospital aufgenommen werden möchte; was aber nicht zu erwarten sei, weil man Eheleute nicht trenne. »Sehen Sie, mein Herr,« sagte sie, »so hülflos sitzt mein Mann, und er kann noch recht lange leben, wenn ihn der Hunger nicht umbringt.« Der Alte schaute mich mit großen Augen an und schien ganz damit zufrieden, daß ihm seine Gefährtin den Tod wünschte. Nachher erzählte er mir begeistert von den guten Einrichtungen [246] im Spitalamt Biberach und wies dann die Unmöglichkeit, je noch dorthin zu kommen, nach: alle seine Verwandten seien wahrscheinlich tot und überdies heiße es: »Wo das Fleisch geblieben ist, können die Knochen auch bleiben.« –

Der Witwer Lottes ist dreiundsechzig Jahr alt. Seit vielen Jahren leidet er an Leberkrankheit und Bandwurm. Jedes Jahr muß er einige Wochen in der Charité zubringen. Sonst hat er das Brot mit Weben verdient; jetzt ist er zu dieser Arbeit untauglich. Er sucht bei den benachbarten Webern das unbrauchbare Garn zusammen und macht daraus Schürzenschnüre. Diese muß er auf geheimen Wegen verkaufen. Ein Hausierpatent würde ihn zwölf Taler kosten, die er auf keine Weise zusammenbrächte. Würde er beim Verkaufe seiner Waren ertappt, so käme er nach dem »Ochsenkopf«. Da er von der Armendirektion monatlich nur zwanzig Silbergroschen erhält, so ist es mir jetzt noch rätselhaft, wie er sich durchbringt. Er wünscht sehr, ins Hospital aufgenommen zu werden; was aber nicht geschehe, bis er hülflos auf der Straße gefunden werde. Von seinen vier erwachsenen Kindern hat er keine Unterstützung zu hoffen: die Mädchen sind Dienstmägde und brauchen das Ersparte für Kleider; die Söhne haben Weben gelernt, sind brotlos und leiden selbst Hunger. Den unglücklichen Vater drückt die Besorgnis, daß seine Knaben zum unrechtmäßigen Erwerbe gezwungen werden möchten.


In Nr. 92, Stube 27 wohnte der Arbeitsmann Weber. Seine Frau ist auf einige Jahre wegen Betteln eingesperrt, die Familie also von der Polizei auseinandergerissen. – (Wer einmal beim Betteln ertappt wird, kommt auf vier Wochen ins Arbeitshaus. Den ersten Rückfall straft man mit acht Wochen, den zweiten mit einem Jahre Arrest usf. bis auf vier Jahre.) Solche Strenge gegen das Betteln ist unmenschlich, wo man den Klagen der Armen nicht durch genaue Untersuchung und Abhülfe der Lage dürftiger Familien zuvorkommt. Vor einigen Tagen ging Weber, durch Hunger getrieben, mit einem sechsjährigen Knaben in die Stadt. Dieser mußte im Hause betteln und der Vater wartete vor der Türe. Jener wurde von den Polizeidienern erwischt, und dieser wollte ihn nicht verlassen. Man hat beide nach dem Arbeitshause gebracht. Ein Mädchen von zwölf Jahren und ein Knabe von acht Jahren sind unter Aufsicht des Verwalters der Familienhäuser gestellt und treiben sich bei guten Bekannten herum, bis der Vater losgelassen wird.


Nr. 92, Stube 94. Urbich und sein Sohn machen Schlafrockzeug. Für sechsundsechzig Ellen, die einer in vierzehn Tagen webt, werden zweieinhalb Taler bezahlt. Der Sohn arbeitet für sich und kann den Vater nicht unterstützen. Dieser versicherte mich, daß er mit dem größten Fleiß nur so viel [247] verdiene, als Miete und Lebensunterhalt kosten; er könne sich kein Hemd anschaffen. Übrigens sei er noch im Vorteile gegen andere Weber: mit Rücksicht auf sein hohes Alter gebe ihm ein Fabrikant, dem er schon zweiundvierzig Jahre gearbeitet habe, regelmäßig zu verdienen, obschon er die Ware wohlfeiler auf mechanischen Webstühlen verfertigen lasse. –


Nr. 92, Stube 74. Der Weber Matthes und seine Frau scheinen recht ordentliche Leute zu sein. Der Sohn ist sechsundzwanzig Jahre alt, leidet an Krämpfen und ist oft zur Arbeit unfähig. Schon vier Monate lang wird gar nichts verdient. Die Mietschuld beträgt zwölf Taler. Der Hausbesitzer hält die Klage zurück, weil M. schon dreizehn Jahre im Familienhause gewohnt und immer regelmäßig bezahlt hat. Das meiste Küchengeschirr, Betten und Kleider sind verkauft oder versetzt. Was mehr als ein Jahr zum Unterpfande gelassen worden ist, wird vom Gläubiger versteigert, und der Vorerlös kommt nicht dem Schuldner zu. So muß M. diesmal zwölf Taler, welche die versetzten Effekten mehr wert sind als das entlehnte Geld, rein verlieren. – Würden ihm fünf Taler vorgestreckt zur Anschaffung der ersten Kette (Zettel), so könnte er auf eigene Rechnung fabrizieren und sich aus der Klemme helfen.


92 a, Stube 26. Bergmann ist zweiundachtzig, seine Frau neunundsiebzig Jahr alt. Zwei Söhne sind im letzten Freiheitskriege gefallen. Er ward vom Schlage gerührt, kann seit fünf Wochen das Bett nicht verlassen. Die Frau hat geschwollene Beine. Verdient wird nichts, und die Armendirektion bezahlt nur die Miete. Ohne die Unterstützung der Nachbaren müßten die alten, braven Leute vor Hunger umkommen.


92 a, Stube 53. Der Weber Hambach hat fünf kleine Kinder. Er macht buntgestreiftes Halbtuch und verdient in vierzehn Tagen drei Taler. Er ist mehrere Taler Miete schuldig. Die meisten Kleider sind versetzt. Das neunjährige Mädchen weinte bitterlich, als es der Mutter Halstuch dem Gläubiger bringen mußte. In zwei Tagen hat die ganze Familie nichts als für vier Silbergroschen Brot gegessen. Als ich der Mutter etwas gab, fragte ein dreijähriges Mädchen gleich, ob es jetzt Brot bekomme. Von der Armendirektion hat H. ein Kartoffelfeld in Pacht. Dafür bezahlt er jährlich zwei Taler, fünfzehn Silbergroschen beträgt das Wächtergeld, ebensoviel der Fuhrlohn. Im letzten Herbst hat er für sechs Taler Kartoffeln eingesammelt. Bringt man das Zeitversäumnis in Anschlag, so ist der Pächter im Nachteil. – H. versicherte mich, daß seine Frau das Unglück leichter ertrage als er. –

Zu diesem Besuche ward ich durch Bitten der Hausfrau, die mich aus der Stube des Nachbars kommen sah, veranlaßt. Ich nahm es derselben nicht [248] übel, daß sie mich durchaus in ihre Stube führen wollte und zum voraus einige Groschen erwartete. Wie ich aber die Not der Kinder sah, freute ich mich über das Benehmen der Mutter. Ich konnte dieser in den Augen lesen, daß in ihr die Liebe zu den Kleinen über die weibliche Schüchternheit triumphierte. Die Dreistigkeit der Bettler belästigt oft. Man darf sich aber ja nicht von dem ersten unangenehmen Eindruck bestimmen lassen. Was den Bettler dreist macht, ist gerade das beste an ihm.


92 b, Nr. 68. Der Schlossergeselle Bettin, eines Vergehens gegen einen Beamten verdächtig, sitzt schon einundeinhalbes Jahr in Spandau gefangen. Seine des Ernährers beraubte Familie ist dem größten Elende preisgegeben. Die Armendirektion bestimmte nur für ein Kind ein Pflegegeld von monatlich eineinviertel Taler. Die Mutter konnte als Wäscherin nur wenig verdienen, weil sie durch die Verpflegung der Kinder an der Arbeit gehindert war. Vor einigen Tagen kam sie wieder in die Wochen. Da sich niemand ihrer annehmen wollte, wurde sie vom Hausverwalter nach der Charité befördert. Um die zurückgelassenen Kinder bekümmert sich keine Behörde. Der Hausverwalter hat sie der armen Witwe Lynhold übergeben und läßt dieser jene eineinviertel Taler zukommen. Da Frau Bettin vier Taler Miete schuldig ist, hat man sie ausgeklagt und die Hausgerätschaften weggenommen. Kommt sie nach einigen Tagen aus der Charité zurück, so ist sie mit ihren Kindern auf der Gasse und muß ins Arbeitshaus gebracht werden.


Ich hätte die Untersuchungen gerne noch weiter fortgesetzt. Sowie es aber bekannt war, daß ich das Gesehene notiere und mitunter einige Groschen schenke, verfolgten mich Weiber und Kinder und wollten mich in ihre Wohnung führen. Um nicht das ganze Vogtland in Auflauf zu bringen, blieb ich weg. Es sind indessen die angeführten Beispiele weder ausgesucht noch ausgemalt, so daß sich leicht auf die übrigen Bewohner der Familienhäuser schließen läßt; und für einmal ist deutlich genug nachgewiesen, wie man die Leute durch alle Stufen des Elendes in den Zustand hinabsinken läßt, aus welchem sie sich, selbst mit erlaubten Mitteln, nicht wieder herausarbeiten können; und daß mit den als Almosen hingeworfenen Zinsen der Armengüter keinem aufgeholfen wird.

In den Familienhäusern traf ich auch auf Schulstuben. Ein Privatverein hat daselbst eine Kleinkinderschule, ein anderer drei Primarschulen, zwei für Knaben und eine für Mädchen, gestiftet und bis jetzt unterhalten. Die Zahl der Kinder wird sich auf zirka dreihundertundfünfzig belaufen. Sie sehen im Durchschnitt recht gut aus; viele scheinen mit schönen Anlagen reichlich begabt. In der Kleinkinderschule sind gegen hundertundvierzig Knaben und Mädchen von zwei bis sechs Jahren unter der Leitung eines alten Ehepaars [249] täglich sechs bis acht Stunden beisammen. Solchen, deren Eltern den ganzen Tag abwesend sind, gibt der Lehrer ein Mittagbrot für sechs Pfennig. Die äußere Einrichtung der Schule ist zweckmäßig, die innere hat mich unangenehm überrascht. Die armen Kleinen werden schon mit Schulkenntnissen abgequält, und dies auf die traurigste Weise. Die Haare standen mir zu Berg, als die Kinder folgende Fragen im Chor und taktmäßig beantworteten: Wie heißt das Buch, in welchem Gott mit uns spricht? Was für Teile hat die Bibel? Womit beginnt das Alte, das Neue Testament? Was ist Taufe? Wovon handelt das achte, vierte, sechste, das siebente Gebot? Was für Lehranstalten sind in Berlin? Was für Beamtete? Was für Königreiche sind in Europa? Was für Flüsse in Deutschland, Frankreich, Spanien? – Die vierjährigen Buben und Mädchen, die vom Ehebruch sprachen, kommen mir zeitlebens nicht aus dem Gedächtnis. – Die untere Mädchenschule, wo Kinder von sechs bis zehn Jahren unterrichtet werden, versetzte mich ganz in eine Dorfschule des verflossenen Jahrhunderts. Dreiundvierzig Schüler buchstabierten miteinander aus Hornungs Leselernbüchlein, und der Lehrer schlug mit dem Stock den Takt dazu. Zum Schlusse der Stunde wurden die heiligen zehn Gebot im Chor aufgesagt und einige schwere Lieder auswendig aufs jämmerlichste abgesungen. – Die Privatschulen werden doch auch unter Aufsicht des Staates stehen? Der Lehrer an der Mädchenschule sagte mir wenigstens, daß er von den hohen Erziehungsbehörden examiniert worden sei.


Im Familienhause Nr. 92 b kam ich glücklicherweise zu einer Betstunde (9. April). Um sechs Uhr abends versammelten sich in zwei nebeneinander liegenden Schulstuben ohngefähr zweihundert Personen, darunter mehr Weiber als Männer und eine bedeutende Anzahl von Kindern. Wenn ich nach den Kleidern schließen darf, so bildeten die Bewohner der Familienhäuser die Minderheit, und es waren vornehme Damen aus der Stadt und Umgebung anwesend. Die gefalteten Hände, die seitwärts geneigten Köpfe und die gezwungen niedergeschlagenen Augen brachten mich sogleich ins reine über den Charakter der Gesellschaft. Ich setzte mich zu Weber M., den ich bei der armen Witwe als Opponenten des unzufriedenen Schusters kennengelernt hatte. Nach geschehenem Gebete und Gesange stellte sich der Prediger auf die Schwelle der die beiden Zimmer verbindenden Tür. Im Äußeren dieses jungen Mannes fand ich den Geist der ganzen Versammlung summarisch ausgedrückt. Auf dem blassen Gesicht waren die Züge des geistigen Lebens glatt gestrichen, Zerknirschung und Hochmut kämpften um die letzten Streifen. Die ganze Gestalt schien vor dem Kruzifix einzubrechen. – Ich wußte zum voraus, daß eine Passionspredigt folgen würde, denn die Geistlichen sind in nichts gewissenhafter als in Festhaltung der nach der Lebensgeschichte Christi gemachten Textordnung. Wer fünfzig Jahr den Gottesdienst besucht hat, ward fünfzigmal im gleichen Ideenkreise [250] herumgeführt. Die Wahl des Textes: »Darnach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet« (Ev. Joh. 19, 28), konnte mich also nicht befremden, wohl aber die Behandlung derselben. Mit einem leichten Sprunge setzte der Prediger über die Worte, »daß schon alles vollbracht war« und »daß die Schrift erfüllet würde« hinweg und arbeitete sich eine volle Stunde müde am Ausrufe »Mich dürstet«. Es war für den Theologen kein leichtes Geschäft, nachzuweisen, wie der Durst überhaupt entstehe, wie sich der leibliche Schmerz im Angesicht des Herrn ausdrückte, wie ihm die Lippen glühten usw. Noch weniger fand er sich zurecht in dem Kollisionsfalle, daß Christus, der Herr, dem die Macht über alles gegeben, der aller Hunger zu stillen, alle Schmerzen zu lindern weiß, Durst litt. Dagegen kam er ganz auf sein Feld, als er den leiblichen Durst auch als Durst des Herzens gefaßt hatte. Mit bewunderungswürdiger Beredsamkeit schilderte er die Schlechtigkeit der Menschen, zeigte, wie auch nicht einer gerecht war, und wie den Herrn darnach dürsten mußte, die Seelen aus des Satans Gewalt zu gewinnen. Mit Begeisterung wurde ausgesprochen, daß Christus seine Seele nicht hoch und teuer gehalten, daß er sie freudig hingegeben habe für die elenden, sündhaftigen Menschen. Schlafend seien wir des höchsten Glückes teilhaftig geworden. Durch die Gnade des Herrn empfangen wir bewußtlos die heilige Taufe und werden gerettet vom Verderbnis des Heidentums. Indessen sei der Durst des Herrn doch zur Stunde noch nicht gelöscht. Groß sei die Zahl derjenigen, die den Durst des Herrn nicht stillen wollen. »Ach, möchten wir doch recht heiß nach dem Herrn dursten; wir, die wir nur Strafe und Zorn verdienen! Doch, wir müssen alles vom Herrn erbitten, selbst, daß wir ihn lieben, daß wir nach ihm dürsten können; denn unser Herz ist so matt, so ohnmächtig, so tot, daß wir alles nur durch die Gnade des Herrn erlangen. Ach, könnten wir doch die Welt ganz aus unserm Herzen stoßen!« So ohngefähr ging es eine Zeitlang fort, dann kam es an den moralischen Teil der Predigt und zwar schnurstracks an den Genuß des Branntweins. Es hieß, im Genusse dieses Giftes vergesse man der Worte des Herrn: »Mich dürstet«; der Genuß geistiger Getränke sei darum ungerecht, weil Christus am Kreuze Durst gelitten; es sei billig, daß man auch dürste, dieweilen der Heiland gedürstet habe, unbillig, diesem allein allen Schmerz zu überlassen und uns die sinnlichen Genüsse zu verschaffen. Mit der dringendsten Bitte, wenigstens in der Karwoche weder Branntwein noch Punsch zu trinken, wurde die Passionspredigt geschlossen. Nachdem der Psalm: »Wie nach einer Wasserquelle« abgesungen war, wurden die Statuten des Enthaltsamkeitsvereins vorgelesen, und der Prediger sprach die Erwartung aus, daß diejenigen, welche das Wort des Herrn: »Mich dürstet« beherzigen, dem Vereine beitreten. Gerührt ging die Versammlung auseinander.

Es werden wöchentlich zwei Betstunden gehalten. Es verdient Anerkennung, daß man den Armen, welche wegen Mangel an Kleidern die Kirchen nicht besuchen können, das Wort Gottes in ihrem Hause predigt, und daß [251] Leute aus höhern Ständen an diesem besondern Gottesdienste teilnehmen und eine christliche Gemeinschaft herzustellen bemüht sind. Doch bringt die Betstunde nur dann Segen ins Armenhaus, wenn sie rein von Heuchelei und Frömmelei ist, und wenn die Teilnehmer aus höhern Ständen nicht zu jenen erbärmlichen Menschen gehören, welche an Kopf und Herz krank sind, und die größte Freude haben, wenn sie andere anstecken können. Wenn es überhaupt lächerlich ist, die schönste Lebenszeit mit Sündenbetrachtungen zu verlieren, so ist es geradezu unmenschlich, die Armen gewaltsam in dieselben zu versenken. Es ist Pflicht, daß man diese im Glauben an den Wert der menschlichen Seele stärke, damit sie sich ermannen und dem Schicksale trotzen. Wer es nicht versteht, den Geist, »der lebendig macht«, zu predigen, der dränge den Armen seine Litaneien nicht auf. Es ist besser, es komme ein Leierkastenmann in den Hof zwischen den Familienhäusern, denn ein pietistischer Pfarrer. Jenen Freunden der Gemeinschaft aber ist zu raten, daß sie Arm und Reich nicht in der Narrheit zu vereinigen suchen, sondern handeln nach Ev. Math. XIX, 21: »Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen« usw. –


Im Vogtlande gibt es auch außer den Familienhäusern des Herrn Heyder noch verschiedene Wohnungen, wo viele Arme beisammen sind. Am bekanntesten ist Nr. 42 in der Langen Gartenstraße. Man wollte mich abhalten von dem Besuche dieses Hauses, indem man sagte, es sei von Leuten bewohnt, die aus dem Zuchthause entlassen seien oder dahin gehören; das schlechteste Gesindel sammle sich dort, ich könne leicht mißhandelt und geplündert werden, die Polizeidiener haben fortwährend dort zu schaffen. Dies zog mich gerade hin. Um die Leute zu Hause zu treffen, wählte ich einen Sonntagabend zu diesem Spaziergange. Das Haus ist ziemlich weit vom Hamburger Tore entfernt. Es sieht besser aus als die Familienhäuser. Vor demselben spielten die Kinder, auf der Treppe saßen viele Weibspersonen, Männer und Jünglinge standen beisammen und plauderten. Ich machte mich auf Neckereien gefaßt, wie man solche etwa von den Berliner Gassenjungen zu ertragen hat. Die jungen Burschen waren aber ganz freundlich gegen mich; die Mädchen, welche mich wahrscheinlich für einen Prediger hielten, lachten etwas unanständig hinter meinem Rücken. So kam ich mitten in das berüchtigte »Gesindel« ohne alle Gefahr. Ich schämte mich, daß ich einen starken Stock als Verteidigungswaffe mitgenommen hatte, und warf in meinem Kopfe die hohlen Definitionen von »Spitzbub, Auswurf der Menschheit« usw. über den Haufen. Ich unterhielt mich recht angenehm mit den Leuten und bestärkte mich in der Ansicht, daß man in den verschiedensten Teilen der menschlichen Gesellschaft das gleiche Licht der Seele wiederfinde, nur in verschiedener Form. Wer dasselbe sehen will, darf das eigene Licht nicht unter den Scheffel stellen. »Das gleiche findet sich stets.«

[252] Wer das Herz freundlich schlagen läßt, dem schlagen die Herzen anderer freundlich entgegen. Wer aber seine Gesinnung in die Paragraphe einer brutalen Polizeiverordnung schnürt, der wird überall auf Brutalität stoßen. Das Haus gehört der Witwe Neumann, welche, obschon sehr alt und fast blind, das Regiment klug zu führen scheint. Der Sohn unterstützt sie dabei und besitzt einen Kramladen, aus welchem die Hausbewohner die meisten Lebensmittel beziehen, und wo sie dagegen absetzen, was sie auf der Straße zusammentreiben. Hausbesitzer und Mietsleute bilden ziemlich eine Familie zusammen. Wenn diese auch das Mietgeld nicht regelmäßig bezahlen, so werden sie deshalb nicht exmittiert; wahrscheinlich, weil sie die Industrie des ganzen unterstützen. Es sind einzelne bis auf fünfzehn Taler schuldig und doch geduldet. Oft kommt es vor, daß die Polizei auf Exmission einzelner Familien dringt und diese von Neumann in Schutz genommen werden. Es ist zu begreifen, wenn der Polizeikommissarius dieser Armengesellschaft nicht grün ist, sie scheint wohl konstituiert und für die Schergen unüberwindlich zu sein. Es wurde mir bereitwillig gestattet, mich in den einzelnen Stuben umzusehen. Das »Mütterchen« begleitete mich aber überall und warf mich durch seine Einmischung ins Gespräch oft aus dem Geleise der Untersuchungen. In zwölf Stuben sind achtundzwanzig ältere Personen und fünfundvierzig unerzogene Kinder beherbergt. Was sich von ihrer Lage sagen läßt, stimmt ganz überein mit den in den Familienhäusern gemachten Beobachtungen.


Der Weber Fechter fand keine Arbeit, wußte Frau und Kinder nicht mehr zu ernähren und verließ diese vor einigen Wochen, damit die Armendirektion, welche jüngere Hausväter nicht unterstützt, genötigt werde, sich der hülflos Zurückgelassenen anzunehmen. Die Frau liegt todkrank in der Charité. Für ein Kind von fünf Monaten, welches einem armen Weber übergeben ist, werden monatlich zwei Taler Pflegegeld bezahlt. Einen vierjährigen Knaben hat HerrNeumann angenommen.


Der Weber Naumann ist schon sieben Wochen für drei Taler fünfzehn Silbergroschen im Schuldarrest. Der Exekutor ging persönlich mit ihm zum Armendirektor und stellte diesem vor, daß der Armendirektion, wenn sie jene Schuld nicht tilge, eine Frau mit sechs kleinen Kindern auf den Hals falle. Doch umsonst: man läßt den armen Mann im Gefängnis sitzen und reicht der brotlosen Familie monatlich vier Taler Unterstützung. Es zeigt sich an diesem Beispiele deutlich, wie ungeschickt die Armenfonds benutzt werden. Anstatt den rechten Augenblick der Unterstützung kennenzulernen und zu benutzen, verwendet man die Gelder auf Almosen, die noch keinem Armen aufgeholfen haben. Aus diesem wird das Mietgeld bestritten, und das übrige genügt nicht, die Familie vor großem Hunger zu sichern.

[253] Die junge Frau des Hausbesitzers erzählte mir, daß die Kinder tagelang hungern und sie das kleinste schon oft an ihrer Brust genährt habe.

Schneider von Hirschlanden bei Zürich hat den russischen Feldzug mitgemacht und wohnt seit 1813 in Berlin. Von neun Kindern hat er die zwei jüngsten bei sich. Er leidet an einem doppelten Bruchschaden. Seine Frau ist alt und kränklich. Beide suchen Knochen und Papier. Heute haben sie auf diesem Wege zwei Silbergroschen vier Pfennig verdient. Vor einem Jahre erhielten sie zwei Taler Unterstützung von der Armendirektion. Vor zwei Jahren hat Schneider jemanden um ein Almosen angesprochen; er bekam drei Pfennig, wurde von einem Polizeidiener erwischt und auf sechs Monat eingesperrt.

In der gleichen Stube wohnt eine alte Witwe, wel che ebenfalls Knochen sucht.


Kornewitz ist ein Soldatenkind und hat in seiner Jugend mehrere Feldzüge mitgemacht. Nachher wurde er bei der Post als Schirrmeister angestellt, vor acht Jahren aber abgesetzt, weil er infolge eines Nervenfiebers wahnsinnig geworden sei. Er und seine Frau behaupten, daß ein gewisser R.-Rat B., welchem Kornewitz einmal das Übergewicht nicht verheimlichen wollte, die Absetzung bewirkt habe. Das Postamt hat ihm monatlich acht Taler Pension ausgesetzt. Von dreizehn Kindern leben sechs, fünf sind noch unerzogen und wohnen bei den Eltern.


Der Weber Weber ist achtundfünfzig Jahre alt, seit Mitte November vorigen Jahres ohne Arbeit. Hausgeräte und Kleider sind verkauft. Die Kinder sind vor Hunger blaß.


Der Weber Beneke ist vierzehn Wochen ohne Arbeit. Er liegt krank im Bette. Die vier Kinder scheinen großen Mangel zu leiden. Die Frau gestand mir, daß sie durch Betteln die Ihrigen ernähre. Von der Armendirektion hat sie einmal zwei Taler bekommen.

Im gleichen Zimmer wohnt unentgeltlich der alteWarich. Er sucht Knochen und Papier. –

Auf die Polizei und die Armendirektion kommen die Leute nicht gut zu sprechen. Jene verlange, daß man die Armen auf die Gasse stelle, damit sie in den »Ochsenkopf« gebracht werden können. Der Armendirektor wolle da nicht angreifen, wo viele Dürftige beisammen wohnen. Es sei merkwürdig, daß sich ein Armendirektor erhängt habe und sein Nachfolger wegen Veruntreuung der Gelder abgesetzt worden sei und nun selbst bettle.

[254]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arnim, Bettina von. Dialoge. Dies Buch gehört dem König. Dies Buch gehört dem König. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-070F-2