[283] I

Die breite Straße lief eine geraume Weile neben gelben Kornfeldern hin, bis ihr die Augen weh taten, da war sie recht froh, daß der Tannenwald bis zu ihr hinrückte und sie eine andere Weile im Grünen und im Schatten laufen konnte. Die Felder bogen aber da von der Straße ab und zogen weithin an dem grünen Walde, und das Korn sagte zu den Tannen: »Was so ein Wald für ein unnütz Ding ist, höchstens umgehauen mag er das zu Ende führen, was wir begonnen, mag backen helfen und die Leute wärmen, denen wir Leib und Seel zusammenhalten.« Die hohen Tannen schüttelten die Köpfe und sagten: »Muß sich einer nie einbilden, er richt's allein auf der Welt; wir stehen hier auf der Wacht, daß nicht der kalte Wind über die Niederung weht und euch verbläst, daß ihr die grünen Halme verfroren auf den Boden sinken laßt, und wir ziehen den Regen herbei, der euch tränkt, und laßt uns einmal ausgehauen sein, dann wächst die weite Niederung hinab nicht halb soviel, und der Kies und das Geröll und die nackte Erde rücken gegen das Dorf, um dem Bauer gute Nacht zu sagen.«

Ob die Bauersleut manchmal so dachten vom Walde wie das Korn? Heute taten sie es nicht, sie hatten bis an den Mittag geschnitten, jetzt war's heiß geworden, kaum zu ertragen, nun sollte Rast gehalten werden, und da lobten sie sich den Wald, setzten sich in seinen Schatten nieder, aßen und ließen sich's die kleine Weile der Ruhe wohl sein.

Zuweilen saßen auch ein Bursch und eine Dirn abseits von den andern allein, es ist sonderbar, daß sich das oft trifft und daß alle Bursche und alle Dirndln sich fast immer das nämliche Zeug vorreden, eines wie das andere, seit unvordenklichen [283] Zeiten, und will das Ding nicht anders werden bis heut.

Gegen die Straße zu saßen auch ein Paar so Verliebte, beide nicht mehr gar zu jung, aber recht saubere, stramme Leute.

»Mein Gott«, sagte die Dirn – wie denn die Weibsleute immer die Sache von der praktischen Seit anfassen –, »mein Gott«, sagte sie, »jetzt gehn wir schon als Knecht und Dirn sieben Jahr miteinander, wenn's nur zu was führen möcht, so wär ja alles gut.«

Drauf sagte der Bursch mit einem schweren Seufzer: »Freilich wär dann alles gut, aber daß wir halt so viel arm sein müssen.«

»Mein alte Bas nähm uns probweis als Pfleger auf ihr klein Anwesen«, sagte die Dirn.

»Probweis«, sagte der Bursch und strich sich die Haare aus der Stirn, »probweis freilich wohl«, dabei fischte er mit dem Löffel einen Brocken aus der Schüssel, die er auf seinen Knien hatte, »glaub's schon, gibst du den Spatzen in der Hand für die Taubn am Dach? Wenn die Prob übel ausfallt, so ist alles verfahren. Es hat der Bauer dieweil schon andere Leut – wir möchten uns nit ein Dienst auffinden, du möchst da, weiß der liebe Gott wo, dann ein Unterkunft finden ...«

Die Dirne langte zitternd den Löffel aus der Schüssel.

»Hast halt recht; daß grad wir so viel arm sein müssen.«

Mittlerweile schallten von der Straße herauf von Zeit zu Zeit einige Hammerschläge.

»Sie schlagn wieder Steine für die Straß«, sagte die Dirne leise und sah zur Seite, sie wollte gerne von etwas anderem reden als von ihrer gemeinsamen Not.

»Da ist gewiß auch der Steinklopferhanns nit weit«, meinte der Bursch.

Da sang es unten auf der Straße:


»'s Salz tut ma zbröseln
Und gibt's in ein Faß,
[284]
Und die Berg tut ma zbröckeln
Und streut s' auf die Straß,
So müssen sö alle,
Auch d' vurnehmsten Herrn,
Ob s' wölln oder nit wölln,
Doch Bergkraxler werdn;
Dem ein verreißt's die Stiefeln und
Den andern schupft's in Wagn,
Das schaut sich so viel lustig an
Beim Steinerschlagn! – Juhe!«

Der Knecht und die Dirne oben im Walde waren aufgestanden.

»Dös is er selber«, lachte der Bursch.

Die Dirne kicherte.

Beide traten in die Lichtung, an der ein schmaler Weg in Mannshöh über der Straße führte, und sahen hinab. Unten stand der Steinklopferhanns, das war ein lediger Mensch, schon nah an die Sechzig, er trug einen Filzhut, weiß Gott, wo er den einmal gefunden hatte, für den Regen mochte er gut sein, denn in der Krempe waren viele Löcher, durch die das Wasser sogleich ablaufen konnte, unter dem Hut fiel langes, schon etwas grau gemischtes Haar bis auf die Schultern herab, das hätte ihn, den Hanns nämlich, nicht den Hut, recht ehrwürdig erscheinen lassen können, hätte nicht ein wahres Spitzbubengesicht daraus hervorgeschaut; einen Bart trug er, der war vor nicht gar kurzer Zeit einmal rasiert gewesen und sah sich an wie ein Stoppelfeld; einen gewaltigen Brustfleck hatte er um – eine Weste mochte ihn zu sehr spannen bei der Arbeit –, und geflickte Hosen hatte er und Schuhe nicht von den feinsten. Jetzt fuhr er sich mit dem Hemdärmel übers Gesicht wegen der Hitze, damit machte er's aber nicht besser, denn den Schweiß wischte er wohl weg, den Staub aber strich er sich vom Ärmel ins feuchte Gesicht.

»Steinklopfer!« riefen die von oben.

Er sah nach den beiden hinauf.

[285] »Haha«, lachte er, »die ewig Liebsleut, grüß enk Gott!«

»Mußt heut nit deßtwegn spotten, Steinklopfer«, sagte oben der Bursch, »'s liegt uns grad schwer aufm Herzen, daß's so is und wir, wer weiß wie lang, 'd' ewig Liebsleut' sollen heißen müssen, 's is halt nit anderscht, wenn man so viel arm is!«

»No, no«, sagte der Steinklopfer unten auf der Straße und legte den schweren Hammer zur Seite, »tut enk d' Frotzlerei auf einmal weh? Hätt's nit denkt, sollt's schon gwohnt sein, denk ich; wollts nit 'd' ewig Liebsleut' heißen, machts a End, tuts enk zsamm, is doch 's Gered, ös sollts als Pfleger auf der Bas ihr Anwesen kommen.«

»Ja, probweis«, brummte oben der Bursch.

»Is amal a Bauer gwest«, sagte der unten auf der Straße, »der hat sich einmal was an die Knöpf abzählen wollen, hat aber dreihundertfünfundsechzig Westen ghabt und hat von ein Morgen zum andern gwart, was die ander Weste dazu sagt, hat 's ganze Jahr zählt und nichts zwegn bracht.«

Der Bursche oben stampfte in den Boden. »Meinst doch nit, ich bin a Letfeign!«

»Gar nichts mein ich«, sagte der Steinklopfer, »was vertrittst denn die Grashalm mitn Füßen, die habn dir doch nichts getan!«

»Geh, Hanns«, sagte die Dirne, »komm rauf in Tann! Verzähl was, Rast is noch a Weil, du arbeitst ja ehnder jetzt auch nit.«

»Dös wär recht«, sagte der Bursch, »verzähln kann er so viel schön.«

»No«, sagte der Steinklopfer unten und streckte sich höher, »dös mein ich wohl selbst, ich mag euch schon was verzähln.« Damit ging er ein Stück die Straße hinunter, wo der schmale Weg hinanging, und trat in den Wald zu den »ewigen Liebsleuten«. Dort streckte er sich nieder ins Gras, setzte seine kurze Pfeife in Brand und sagte: »Ich will enk verzählen.«

[286]

1. Vom Hanns und der Gretl

Dort, wo der Wald niedergeht und ein Spitz wie eine Nasen ins Land streckt, dort is vor undenklichen Zeiten einmal a Häusel gstanden, drin hat a kluge Frau gwohnt. 's liegen dort in der Näh drei Dörfer, die warn in der Zeit, von der ich red, auch schon da, 's mag 's eine mehr Häuser ghabt habn als das andere, 's eine mag mit der Zeit von der Straß zruckgangen sein und 's andere bis hervor zu ihr, das macht nix. – Den Örtern geht's wie den Leuten, sie versterbn und lassen eins dahinter, das ihren Nam fortführt, und ist kein Brösel von ihnen selber mehr auf der Welt, als was so das Kind von ihnen überkommen hat; so ist wohl wenig mehr von dö alten Dörfer da, als daß neue Höf stehen an der Stell, wo einmal die alten gestanden sind, und ein oder der andere Stein mit hinein vermauert ist. Na, so war's halt, auf der Waldnasen hat die weise Frau ghaust, und rundum waren drei Dörfer, in ein Dorf war a Knecht, der hat Hanns gheißen, in andern a Dirn, die hat Gretl gheißen, und in der Mitten is das dritte Dorf glegen. Das dritte Dorf war das reichste, und 's hat oft dort im Wirtshaus Tanz und Unterhaltung gebn, und da hat der Hanns die Gretl kennenglernt, allzwei warn arme Teufeln, hätten gern gheirat, aber haben's immer überlegt, müßt amal a Glück kommen, daß sie's riskiern könnten, haben s' denkt. 's Glück is jahrlang ausblieben, sie sein d' Jahr lang miteinand gegangen, und da haben 's halt die Leut – ihr müßt es nit in Übel aufnehmen, aber die Leut warn allemal so boshaftig und nixnutzig wie heut –, da haben s' halt die Leut auch die »ewig Liebsleut« gnennt.

Einmal aber nimmt sich der Hannsl ein Herz und sagt, sie könnten doch auch die weise Frau um Rat fragn, denn warum net? Viele haben's schon getan, keinm seine Sach wär dadurch schlechter wordn, im Gegenteil hätt sie bei den mehrern den Nagel aufn Kopf gtroffen – na und so – freilich warum denn nit?

[287] Freilich, meint die Gretl, ein rechter Rat wär doch immer was Rechts, und wann s' einem zu was Waghalsigem verleiten wollt, müßt man's ja doch nit tun und könnt's bleibenlassen. Und so viel wird's ja auch nit kosten, und es wird zum derschwingen sein.

Richtig, kosten wird's auch was, meint der Hanns. Umsonst ist der Tod, und der kost 's Leben – leben will so a kluge Frau doch auch, und wann man s' verhungern ließ, tät man völlig allen guten Rat im ganzen Gau aushüngern. Wird net so viel sein. Ihr guter Rat tät doch gleich sein Dienst, und braucht man nit so lang z' warten wie aufs liebe Himmelreich, für das sich die geistlich Herrn doch auch zahln lassen. Und die Gretl sollt nur auf die nächste Vollmondnacht hin gehn.

Das taugt aber der Gretl nit, denn sie tät sich so viel fürchten, und der Hannsl war doch a Mannsleut und der Kuraschiertere.

»Dös schon«, sagt der Hanns und wird um zwei Fingerbreit höher, kratzt sich aber gleich wieder hinterm Ohr und wird a Trümmerl kleiner, wie er eher war; »aber«, sagt er, »weißt, Gretl, allein kann ich's nit dertun.« No, er hat sein Lohn stark angriffen ghabt die Woch, auf Bier oder Tabak – wann s' auch schon graucht habn vor die undenklichen Zeiten, von dö ich verzähl? – Was weiß ich!

Zletzt kommen s' halt überein, daß jedes die Halbscheid von die Kosten tragt und daß der Hannsl hingeht.

Der Hannsl is halt so viel kuraschiert gwest, und wie der nächste Vollmond is, macht er sich aufn Weg; durchs Dorf an die Felder vorbei hat er sich noch eins pfiffen, wie er aber auf die verrufene Waldnasen zukommt, da is er ganz stad wordn, der Mond hat so durchs Gezweig gschienen, daß der Schatten von die Äst wie kohlschwarze Sammetbandeln übern Weg glegen is, und der Hanns hat sich eingredt, er könnt über eins oder 's andere stolpern, und hat fleißig auf die Erd gschaut – burr, fliegt ihm ein Nachteul eine Spanne übern Hut weg – na, er war aber recht kuraschiert, und wie er erst [288] gwußt hat, was es war, hat er nach einer Weil über den »Malefiz-Vogel« ein rechts Maul ghabt.

So kommt er zur Waldfrauhütten. Dort hat er erst sich ein bissel bsonnen und hat sich eingeredet, wie er so schnell müßt gegangen sein, weil ihm das Herz so schlagt. Und wie er schon das dritte Mal sein Finger krumm macht – nie is er ihm recht angstanden – und will anklopfen, da tut sich die Tür von selber auf, und die kluge Frau steht vor ihm und sagt: »Na, bist einmal da, ich hab dich schon lang erwart!«

»Jesus«, sagt der Hanns – ich weiß zwar nit, ob die Leut in dö unvordenklichen Zeiten, wovon ich derzähl, schon Jesus gsagt habn, aber das tut nix. »Jesus«, hat also der Hanns gsagt und sich verwundert, daß die Waldfrau weiß, daß er zu ihr will. Und er hat's doch schon die ganze Wochen im Dorf ausgschrien, wo er mit nächstem Vollmond hingeht.

Die kluge Frau hätt also nit gscheit sein müssen, wenn sie das nit gwußt hätt! So sagt sie zu ihm: »Komm hrein!«

Der Hanns geht also in die Hütten, dort brennt aufm Herd ein großes Feuer, und wie er so seitwärts hinblinzelt, ist am Boden ein großer Kreis von Totenbeiner und Totenköpf, und da hat's ihm ein klein Rucker nach der Tür hin geben, und er hätt recht gern »Gute Nacht« gsagt, wenn ihm nit auf einmal gar so trocken im Hals worden wär, und so ohne »Bhüt dich Gott« davonrennen, das wär doch unschicksam, bsonders gegen a kluge Frau, mit der man's schon gar nit verderben darf.

»Na«, sagt die Waldfrau, »da marschier hinein und setz dich!« Und meint in die Mitten von den Totenknochen, wo ein Schemel gstanden is.

Das war eine rechte Not, hat sich doch der Hanns gefürchtet, er tritt so ein Toten aufn Kopf, und wer weiß, wo die Alte die Köpf aufglesen hat, es haben die schönsten Leut darunter sein können, die ihrn Respekt verlangen, vielleicht sein eigener Urgroßvater.

So tappt er halt in Gottsnam hinein in den Zauberkreis, und vor er sich auf den Schemel setzt, meint er: Es würd [289] sich doch nicht recht schicken, und er is net kommen, um ihr Beschwer zu machen, und will er sich halt doch ein klein wengerl niedersetzen, daß er der klugen Frau 'n Schlaf nit austragt, und will ihr schnell sagn, was er eigentlich will.

»Das weiß ich schon«, sagt die Waldfrau und gibt ihm ein großes Stundenglas in die Hand, geht dann von ihm weg, langt ein Laib Brot von der Stellen herunter und schneidt die Gottesgab an ...


Der Hanns hat dieweil die Totenköpf angschaut und die ihn, und denkt sich der Hanns: Was das für a Zeit sein wird, wo du auch wirst keine Nasen habn und so viel große Augen und doch nix sehen damit?! Und wie lang wird wohl hin sein?

Jetzt bist noch stämmig und rüstig, und die Leut nennen dich »kein unebnen Bubn«. Die Gretl ist auch so ein mordsaubers Dirndel. Die Jahr her, die ich mit ihr geh, is s' nur säubriger wordn.

»Ah geh«, sagt die Gretl, »du schmeichlerische Katz, siehst denn nit, daß ich doch schon bissel abfall, und auf der Stirn kommen schon die Falten, wenn s' auch noch so fein sein wie die Spinnenwebn.«

»Na«, sagt der Hanns, »laß gut sein, du taugst mir deßtwegen noch alleweil, meinst, mir bleibt aus, was dir blüht? Und so is's gut, und so is's recht, so habn wir uns doch die Unsäubrigkeit nicht vorzuwerfen.«

»Aber, Hanns«, sagt die Gretl, »das alles wär schon recht, aber die Kräfte verlassen ein doch auch.«

»Teufel hnein«, sagt er, »freilich, an das hab ich nit denkt, aber zum verspürn fang ich's auch schon an.«

»No, no«, sagt die Gretl, »dann is's Rest, wann wir nimmer arbeiten können wie früher, dann is's gar gar!«

»Es will nimmer weiter«, sagt die Gretl, »mein Bauer hat gsagt, ich taug ihm nimmer, ich verdienet nimmer 's Wasser mit meiner Arbeit, ich sollt schon lieber zum Betteln schaun.«

»Oh, du mein Gott«, sagt der Hanns, »dasselb hat mein Bauer heut auch zu mir gsagt.«

[290] »So, na schön«, sagt die Gretl, »da komm nur gleich und laß uns zur Kirchtür herstelln.«

»Gut – gut – la – la«, lacht der alte Hanns und stellt sich zur Kirchtür. »Hihi, Gretl, wie du ausschaust!«

»Du alter Schüppel«, sagt die Gretl, »meinst, du shaust lieber aus? Taug ich dir leicht nimmer? – Gelt, als jung Ding war ich dir recht, daß ich die Jahr neben dir herlauf? – O du!« – Dabei gibt sie ihm mit der geballten Faust ein Renner.

»Du Bisgurn«, sagt der alte Hanns und hebt sein Stock.

Da fahrt ihm das wüste Weibsbild in die Haar, und sie balgen sich vor der Kirch, und die Leut weichen aus und schimpfen und lachen.

»Gretl«, sagt der Hanns keuchend, »laß gut sein, du verreißt mir mein wenig Haar – krallt hast mich auch, du wilde Katz – mir sein recht nette Bettelleut, in dem Kirchspiel halten s' uns schon für versoffen, da geben s' uns nix.«

Und die alte Gretl schleicht mit ihm weg von der Kirchtür, und sie setzen sich allzwei auf ein Grab nieder, wo ein großer Stein davor in der Kirchmauer war und drauf ein großer Totenkopf mit Beiner übers Kreuz; – d' jungen Dirndln redt man davon ab, aber a Totenkopf darf s' schon so habn, die Beiner. »Jesus«, sagt der Hanns, »wie lang wird's noch dauern, so schaun wir auch nit anderst aus!«

Die Gretl trocknet ihm mitm Tüchel 's Blut vom Gsicht, wo's ihm nach ihrem Kratzen hergloffen is. »Ich wollt, 's wär schon am End«, sagt s' »wann nur früher a schöner Lebn gwesen wär.«

»O du mein«, seufzt der Hanns. »Wohl, wohl, wir habn uns halt verpaßt, was lieget dran, wann's auch am End so kommen wär und nit anderster, könnt mer doch sagen, mer hätt glebt; Kinder könnt mer habn, dö was taugn und 'n alten Eltern zeitweis was vergunnen und zukommen ließen, und wer weiß, hätt's grad so kommen müssen? Hätt der Himmel nöt können sein Segen drein gebn, wann wir ihm vertraut und aus unsere arbeitsam Händ baut hätten?!«

»O freilich«, sagt die Gretl.

[291] »Ja«, sagt der Hanns, »bei sündigem Fürnehmen geht's 'Hüst und Hott' und bei rechtschaffene Vorsätz ist's 'Öha!' Mir hättn uns all die Spottredn versparn und a gscheit Lebn führn können, so habn wir alles verpaßt! Wie ruhig könnt mer dasitzn aufm Grab und fragn: 'Wann kimmt die Reih auf uns? Wann werdn wir so ausschaun wie der Boanerbartl dort an der Wand?' Wann wir so glebt hätten wie ander Leut! So habn wir uns nie z' leben traut, und hitzt soll's ans Sterben gehn – wann s' uns mal ausgrabn, wir müssen ganz verdrehte Köpf habn! Im Himmel laßt sich auch nix einholn, der Pfarrer sagt, dort geb's keine Mandln und Weibln, wir habn's für Zeit und Ewigkeit verhaut. O Herrgott, gabst, daß wir nochmal jung wurden, ich wüßt, was ich tät!«

»O du mein Herr und Heiland«, sagt die Gretl, »dös wird halt nimmer sein«, und dabei weint die Alte, daß 'n Hanns, so wie er neben ihr sitzt, auch mit beutelt.

»Du bist doch a gute Seel«, sagt der Hanns, und wie er mit seine zittrigen Händ hinüberlangt, damit er die Alte um die Achsel nehmen und trösten kann, fallt ihm sein Stock aus der Hand ... und ...


»Du Sakra du«, schreit die Waldfrau, »verbrich mir die Sanduhr nit!«

Und er schaut auf, da sitzt er aufm Schemel, neben ihm auf der Erd liegt die Sanduhr, die er hat fallen lassen, und rundum sind die Totenköpf – – er ist in der Hütten der Waldfrau, und alles war nur so ein einwendigs Gsicht.

Die Waldfrau aber is grad mitm Messer um 'n ganzen Brotlaib herumkommen – nit länger hat 's Ganze dauert, als sie ihr Stückel Brot gschnitten hat. – Jetzt nimmt sie's in die eine Hand, beißt ein rechtschaffen Stück ab und hält die andere Hand offen hin.

Der Hanns sucht mit zitterndem Finger aus all seine Säck seine Kreuzer zusamm, nit ein hat er bhalten, alle hat er der klugen Frau geben. Ganz aufrecht is er dagstanden, als ob er das Dach von der Hütten traget und wär ihm nur a Spaß!

[292] Die Augen habn ihm geleucht, und die Zähn hat er übereinander gebissen.

Und die Waldfrau hat 's Maul voll ghabt und 'kaut und geschluckt.

Keins hat ein Wörtl gredt.

Der Hanns ist fortgangen, und die Waldfrau hat hinter ihm zugriegelt. Dann is es lang still blieben draußen in der klaren Nacht, bis einer beim letzten Baum, wo die Waldnasen aufhört, ein Juchezer tan hat, daß die Blatteln aufm Baum und 's Gesträuch aufm Boden zitternd wordn sein, und drüben hat er einen schlafenden Berg aufgweckt, daß der auch mit einm Schrei munter wordn is.

Dann ist der eine auf das Dorf zutrabt, wo die Gretl haust; – an der Straßen sind die Wegschranken hingelaufen, da hat er sich angstemmt und einen Balken ausghobn und über die Achsel geschultert, wie die Riesen mit die Wiesbäum getan haben sollen, er ist sich wohl so vorkommen, als wär er heut so ein halbgewachsener Riesenkerl, und wie er zur Gretl ihrm Fenster kommt, tupft er ganz säuberlich mit seinm Wiesbaum an die Scheiben an.

Das Glas war gleich gescheiter und hat nachgegeben, und ein handgroßes Stück is ausgebrochen und im Mondlicht wie eine Sternschneuze ins Gras heruntergeschossen.

Und oben hat die Gretl gschrien.

Und unten hat der Hanns gelacht.

Und wie sich die Gretl erholt hat von ihrem Schrecken, fragt sie, was die weise Frau gesagt hat.

»Gsagt hat sie nix«, sagt der Hanns, »aber geheirat wird!«


»Und geheirat is wordn, und aus is die Gschicht«, sagte der Steinklopferhanns, klopfte sein Pfeifchen aus und machte Anstalt, wieder nach der Straße hinabzusteigen.

»Bhüt euch Gott«, sagt er und geht ein paar Schritt, dann bleibt er stehen. »Ist doch schad, daß es heuttags kein Waldfrau mehr gibt!«

Mittlerweile hatte auch auf den Feldern die Arbeit wieder [293] begonnen, und die »ewigen Liebsleut« beeilten sich, auf ihren Arbeitsplatz zu kommen.

Der Bursch spuckte in die Fäuste, und nachdem er den ersten Sensenschwung getan, sagte er über die Achsel hinüber nach der Dirn, die in seiner Nähe arbeitete: »Ich geh doch probweis!«

Die beiden sprachen nicht ein Wort weiter, aber die Arbeit ging ihnen so flink von der Hand; hätte sie die alte Base sehen können, sie hätte ihre helle Freude über diese Probleute haben müssen.

Nun, die hatte sie auch bald.

»Und geheirat is wordn, und aus is die Gschicht.«


Abend war's geworden. Der Steinklopferhanns tat den letzten Schlag, warf die schweren Hämmer über die Achsel und machte sich auf den Heimweg; durch das Dorf ging er nicht, aber an den letzten Häusern, die an der Straße lagen, mußte er vorüber. Die letzte Hütte sah gar armselig aus, und wenn ihr Inwohner, der »Gruß-Franzl«, wie jetzt nach Feierabend, vor derselben auf der hölzernen Bank saß, so sah dies wie ein gerechtfertigtes Mißtrauen gegen das Gemäuer aus, das, statt Schutz zu verheißen, im Gegenteile durch seine Dachlücken mit aller Ungunst des Wetters im Bunde zu stehen schien und mit seinen Sprüngen, Rissen und Senkungen sich so bedrohlich ausnahm, als wollte es seinem Eigner die wenigen Atemzüge in der freien Luft noch gestatten, um dann nachts über ihm zusammenzustürzen. Ob er das wohl recht übelgenommen hätte?!

Er sah selbst verfallen und vom Wetter und Schicksal hart mitgenommen aus. Er hieß der »Gruß-Franzl«, weil er im Gebrauche hatte, jedermann, der die Straße vorüberzog, er mochte ihrn bekannt sein oder nicht, demütig mit abgenommener Mütze zu grüßen; das sollen nun oft Fremde mißverstanden haben, und sie ließen ein oder die andere landesübliche Münze in die vorgehaltene Mütze gleiten; die Leute im Dorf sagen es dem »Gruß-Franzl« nach, daß er sich nie [294] die Mühe nahm, dieses Mißverständnis aufzuklären, sondern die kleine Gabe lieber in seine Tasche schob. Neidische Leute! Er hatte recht, er war ein höflicher Mensch und wollte den mitleidigen Seelen die Verlegenheit ersparen, einen ehrlichen Arbeiter, der seine artige Angewohnheit hatte, für einen Bettler angesehen zu haben. Wie leicht hätten dann diese braven Leute auch bei wirklichen Bettlern nur dankend an den Hut greifen können, um nicht einen gleichen Verstoß wie bei ihm zu begehen?! Darum ließ er jegliche Aufklärung unterwege. Ja, die leidige Aufklärung, sie war hier so beschämend für den Fürsten wie abträglich für den Bettler!

Er ließ großmütig die Welt in ihrem Irrtume.

Er war allerdings ein ehrlicher Arbeiter, er hatte nichts als seine Hütte, die Felder ringsherum gehörten anderen, und wollte er von denselben etwas genießen, so mußte er dieses fremde Eigentum bearbeiten helfen. Ah, das trug spottwenig ein, und es nahm den Menschen recht mit, an Kraft und auch an Mut.

Und so, mit der Zeit recht zaghaft geworden, auf sich selbst gar wenig mehr bauend, hatte sich der »Gruß-Franzl« angewöhnt, alle Welt zu grüßen; die um ihn lebten und die er kannte, damit sie ihm freundlich bleiben und ihm nichts in den Weg legen möchten, und die Fremden, weil er die Leute gar sehr bewunderte, die so in Geschäften oder zu ihrer Lust in aller Welt herumkamen! Wie achtbar war ihm der Krämer mit der Kraxe auf dem Rücken, dem flinken Fuß- und dem noch flinkern Maulwerk! Der Mann mußte Courage haben, daß er sich's getraute, so auf sich allein gestellt in der Welt hinzuleben. Dem Lustreisenden, der rüstig den heitern Bergen zuschritt, blickte er immer kopfschüttelnd nach; wie gut mußte es so einem gehen, daß er in hellem Übermut nach den Höhen kletterte, wo der »Gruß-Franzl« doch froh war, wenn ihn diese »Beschwer« nicht oft im Jahr traf. Ja freilich, als Bub hat es ihm oben gleichwohl gefallen, aber das ist lang her, seitdem ist so viel anders geworden, [295] und da droben ist's immer gleich geblieben, was war daran zu sehen?

Auch der Bettler auf der Straße war ein rechter Mann; den Leuten mit dem Maul die Groschen aus der Tasche langen ist keine kleine Kunst. Freilich, am Jahrmarkt, in der Tierhütte, da hat er einmal ein Untier mit langem Rüssel gesehen, das machte auch das Kunststück, was aber der Groschen wert war, den es damals einem reichen Bauer aus der Tasche zog, das wußte es wohl nicht.

Ja, ja, alle Leute, wie sie die Straße vor ihm vorbeiliefen, waren ihm höheren Ranges, darum grüßte er sie, und wenn sich ja einer dazu verstieg, ihm ein Almosen zu reichen, so fand er, daß die Menschen doch nicht so schlecht seien, als die Welt sie ausschreie, und er habe es ja gewußt, die so in der Welt herumlaufen können, die hätten leicht schenken, der Hausgesessene sei der eigentliche Arme!

Wie alle Welt, so bekam auch der Steinklopferhanns, der jetzt, wie jeden Abend, an der Hütte vorbeiging, seinen Gruß. Das war auch einer von den Couragierten, die sich allein für sich zu leben getrauten, ohne nach den anderen Leuten zu fragen.

»Guten Abend, Steinklopferhanns.«

»Guten Abend, Franzl, ruck zu auf dein Bankl und laß mich hersetzen, hab heut rechtschaffen gehammert, hab mich vielleicht bissel übernommen; wenn die Steiner gar so hart von'and gehn, da klopf ich wie wütig drauflos! Ein kleins wenig mag ich schon gern rasten.«

»Na, fürs Sitzendürfen könntst schon was derzähln. Weißt nix?«

»Was fragst denn? Ich sollt nix zum verzähln wissen? Ich? Na, könnt keiner mehr was verzähln, wenn ich net. Ich kauf 'n Schullehrer aus mitsamt seine Bücher. Er meint gleichwohl, 's wär alles wahr und verbrieft, was drin stund, aber mein Seel, mein letzts Stäuberl Tabak, wie ich's jetzt in die Pfeif stopf, setz ich dagegn, daß seine Gschichten nit a Haar besser sein als die mein, a bisserl was Austipfelts, a Brocken [296] Lug und a Bröserl Wahrheit, und fertig is die Verzählung. Soll freilich, sagt der Schulmeister, alles vorzeit passiert sein; na, wer hat's denn gsehn, wie's da zugangen is? Von uns keiner. Und dö von damal habn auch keiner mehr gsagt, als s' gwußt habn; is wohl auch viel Ausdenkts dabei, wie's hätt sein können, wenn man grad nit gwußt hat, wie's gwesen is. Der Müllner im Ort hat auch sein Jüngsten, 'n Jakoberl, gfragt, wie er 's erst Mal in der Kirch war, was er gsehn hat. Sagt der: 'Ein Menge steinerne und aufgmalne Leut, vor dö man sich nix z' reden traut hat, und dann hab ich gsehn, was wir ganz klein in der Kammer habn, großmächtig, ich hab's gleich derkennt, weißt, wie die zwei Leut vom Baden kommen, und 's Vieh hat ihnen derweil die Äpfel vom Baum gfressen.' Haha, 's war aber Adam und Eva im Paradeis! – Und der Bub hat's gsagt, wie's ihm expliziert wordn is, für 'n Adam und d' Eva war er 'n Eltern noch z' jung. – No, was soll ich dir denn derzähln?«

»Weißt, Hanns, was Trostreichs, wo gut drauf z' schlafen is.«

»So? So werd ich dir halt derzähln, wie's mir am Jüngsten Tag gangen is.«

»No, is doch nit schon der Jüngste Tag vorbei gwest?«

»Dös nit, aber traumt hat mer davon. Los nur zu. Hab's noch keinm verzählt.«

2. Die Gschicht vom Jüngsten Tag

Da sein wir so alle nacheinander herglegn, wir Toten, drunter und drüber, einschichtig, paarweis, z' dritt und z' viert, und wie sich's halt troffen hat – ich weiß nit, warn's 3000 Jahr, 2000 Jahr, sechs Wochen, oder was für a Zeit war, nach meinm Versterben, die allerältesten wie die jüngsten Toten führn kein Kalender. Auf einmal is mir, als wurd blasen – aber schon wie! Du weißt noch, wie die böhmischen Musikanten bei uns warn im Ort und sein ins Gmeinwirtshaus in die klein Gaststubn kämma, wie da, sooft der kleine [297] Dicke mit der großen Blechblasen anghobn hat, die Wänd zum zittern angfangt habn, just a so war's, tief bis in die Erd hnein hat sich alls beutelt.

Na, du weißt, unsereins schindt sich gehörig, und man hat sein gsunds Stückl Schlaf. Na so denk ich mir, is dös dumm, is gwiß wieder so a Malefizball beim Wirten im Dorf unten, daß man kein Ruh hat – und will mir die Augn reibn – heilige Mutter Anna, war das a Schrocken, wie ich mir mit die dürren Beiner in die leeren Augen einifahr – und am ganzen Leib zum scheppern anfang!! – Jessas, denk ich, du bist ja vorlängst verstorbn – und hitzt dürft etwa gar schon der Jüngste Tag sein. Wann ich nur gschwind mein Hosen zum Hneinschliefen bei der Hand hätt –! So kannst doch nit unter die Leut gehn!

Ich tapp hrum, greif aber nur dort und da ein Knopf von der Hosen, in derer sie mich vorzeit beigsetzt habn, und wo ich an mich ankomm, gspür ich's deutlich, ich muß ausschaun wie der angmalne Tod an der Kirchhofmauer. Brauchst gar kein Gwandstuck, denk ich mir, hast ja eh nix Unanständigs an dir, wann dich aber nur nit der Spodiumbrenner aus der Kreisstadt derglengt, da gang's dir übel!

Ich überleg's noch, sollst hnaus oder nit? Aber es is so a Hundsmüdigkeit über mich kämma, daß ich zum tunken angfangt hab. Und wie ich mich so ausstreck, gspür ich noch, daß sich an die Beiner was ansetzt, nit anderst wie der Feuerschwamm an die Bäum.

Dann schlaf ich wieder.

Wie ich munter werd, scheint die Sonn in mein Truhen, rundum is die Erd aufgwühlt als wie von einer Million Mäus und Maulwürf; ich schau mich an, o fix hnein, da is derweil der Feuerschwamm rundum sauber nachgwachsen, ich bin a mordsauberer Bursch wordn, ich heb mich, ich guck hrum – alle Gruben sein leer! Jesses Maria, hab ich dir 'n Jüngsten Tag verschlafen ghabt.

Ich war dir ganz verzagt.

Schau in mein Grubn, sieh noch die schweren Hämmer, [298] nimm s' auf die Achsel, denk mir, gilt's oder gilt's net, schaust halt, wo du zum ewigen Leben dein Brot hernimmst; wann sie's himmlische Jerusalem bauen, werden s' wohl auch a Straßen hinführen, müßt's doch im Himmel mitm Teufel zugehn, wann's da keine Steiner zum klopfen gab!

Wie ich noch so spintisier, kommen zwei Engerln dahergflogn, fledern um mich herum. Dös war so sauber, daß ich mein guten Hamur wieder krieg und sag: »Na, ös himmlisch's Geziefer, was pfnurrts mir denn um 'n Kopf? Was wollts ös?«

Sagn s': »Hanns, du sollst zum Gottvatern kommen.«

Sag ich: »Ehnder muß ich mich doch a weng waschen und anziehn.«

Sagn s': »Dös gibt's net unter die Selign.«

Sag ich: »Dös is unscheniert: aber ös werds uns doch nit 's ewige Leben neiden, wann mir im Schmutz dersticken, was nutzt uns die ganze Seligkeit?!«

Sagn s', ich soll keine Umständ machen und mitkommen.

Einer packt meine Hammer und tragt mir s' nach, und der andere führt mich, und wir kommen zum Gottvatern.

Und wie er uns sieht, hebt der Gottvater die Hand mit den drei ausgstreckten Fingern in d' Höh, wie im Bild am Hochaltar, und sagt: »Grüß dich Gott, Hanns!«

Sag ich: »Grüß dich Gott, Gottvater!«

»No«, sagt er, »wie gfallt dir denn die aufgwärmte Welt?«

Sag ich drauf: »Lieber Gottvater, du mußt's für kein vorlaute Red nehmen, aber ich kenn mich halt eben da noch nit aus. Die frühere Welt war auch kein schlechts Stückl Arbeit – Gott bewahr –, a jeds hat was drein gfunden, was ihm gfallen hat, und die meisten habn gmeint, die Dirndl wärn dir so viel gut graten. Aber a bissel Zeit hättst dir schon lassen können – was richt eins in sechs Tägen? Es war ja kein gfriemte Sach, dö aufn Tag hätt fertig sein müssen! Ich hab mich auch nit recht mit allem abfinden können – und so tat ich dich rechtschaffen bitten, wann mir's etwa da auch wieder nit anstehn sollt, tu mir den Gfalln und mach, daß ich auch im ewigen Lebn wieder versterbn kann.«

[299] »Räsonierhannsl«, sagt der Gottvater und lacht, »tu, wie's d' willst. Ich hab's aber gleich gestern gmerkt, wie ich enk Glump aufgweckt hab, ös seids nit anderst wordn, wie 's gwesen seids; seids noch alleweil nit gscheit!«

»Mein Gott«, sag ich, »hättst uns gscheiter gmacht!«

Sagt er: »Ja, glaubst, ich hab mein Allmacht gstohln, wollts ös gar nix dazu tun? In d' tausend und tausend Jahr schau ich enk schon zu, und seids noch alleweil so dumm! Wöllts ös nit leicht a ganz andere Welt und ein ganz andern Herrgottn? Tauget grad zu euch! – He, liegt da unten nit auch noch der Gruß-Franzl und schnarcht in Jüngsten Tag hnein? Na, dem is da auch 's Grüßen verspart!«

»Lieber Gottvater«, sag ich, »dös legt der nit ab.«

»Herobn tragn wir keine Haubn«, sagt er.

»Da nimmt der ehender 'n Kopf abe, als er's sein laßt! Ich kenn ihn«, sag ich.

»Na, so sagt es der heiligen Veronika, sie soll ihm was zurichten für sein Kopf«, lacht der Gottvater. »Na, was sag ich denn, muß der nit sein Mützen habn, daß er im ewigen Lebn fortgrüßen kann, und dir muß ich wohl auch dein Pfeifen derlaubn, daß d' doch meinst, du bist es!? Was half euch die gscheiteste Welt? Jetzt mach, daß d' hnunterkommst zum Gruß-Franzl, und sag ihm, ich nehm enk nix in Übel auf, die andern, die sich's da unten meist habn wohl sein lassen, die habn freilich a leicht Auferstehn ghabt, die warn ausgschlafen, ös habts aber auf Erden schwer gearbeit! Also sag ihm, es macht nix, wann er 'n Jüngsten Tag verschlaft, und im ewign Lebn soll er auch sein himmlische Mützen habn!«


»Da wär ich recht froh«, sagte der Gruß-Franzl, »wann der Traum so ausging!«

»Warum sollt er nit? Gute Nacht!«
Der Steinklopferhanns ging seiner Wege.
[300]

3. Die Gschicht von der Maschin

Vergangene Walpurgisnacht war's – natürlich erst wie der Tag vorbei war, tagüber ist's aber laut hergangen, einm Fabriksherrn in der Gegend sein seine Arbeiter zwider wordn, er hat sich an ihrer Stell Maschinen angschafft, die Lärmmacher fortgschickt und dö braven Leut zu dö Maschinen gstellt. Dös war am Vormittag. Nachmittag aber sein die Abdankten alle von dö Wirtshäuser, wo sie sich »Trost im Leiden« gholt haben, auszogen, der Fabrik zu; hinter ihnen her und mit ihnen Tagdieb, Hausierer, Tagwerker, kurz allerhand Gsindel – ich war a dabei.

Wie wir zu der Fabrik kommen sein, sein wir ganz keck hineingegangen, dö braven Leut, die noch drin in Arbeit waren, haben uns zwar dös verwehrn wollen, aber wie s' gsehn habn, daß wir die mehrern sein, und wie s' zum Verkosten a noch a paar Puffer kriegt habn, da sein s' auf das, was nachkommt, nimmer neugierig gwest, sondern sein gutwillig davongrennt; der Herr und sein Buchhalter sein derweil vors Haus grennt und haben bald dort, bald da ein Träuperl Leut mit schöne Reden beschwichtigt. Derweil dö draußen zu dö Ungfährlichen schön gredt haben, hat's drin im Haus zum krachen und poltern angfangt – dös waren mir, von drinnat, wie wir uns über die Maschinen hergmacht haben. I bin so a Weil dabeigstanden, hab zugschaut, und wie's grad wieder über so ein Ding geht, da reißt's mich[308] – tust a mit! –, und i heb da so a Trumm Eisen auf, hol aus und hau zu, dös Ding macht no ein Keuchezer, und hin war's!

Daß ich sag, dös war so ein schöner Durcheinander etwa noch a Viertelstund, dann heißt's auf einmal: Aushalten und verschwinden, von der Kreisstadt kommt a ganz's Bataillon Jäger. O du schmerzhafter Sebastian! Kaum sagt das einer zum andern, so hörn wir s' a schon blasen. No, jetzt ist der Wirrwarr angangen, 's Treten und Drucken, 's Arretieren, Kolbenstöß – ich weiß nur mehr, daß ich mit genauer Not durchgerutscht bin; mit ein Jager, der mich hat aufhaltn wolln, bin ich in 'n Graben hnunterkugelt, und wie mir uns allzwei aufhelfen, kommt ihm die Bajonettscheid, die langmächtig Lederwurst, zwischen die Füß, und eh er sich noch wieder auf gleich zappelt hat, war ich schon lang im Wald.

Und im Wald war's schon nachtig, und wie ich mir grad so denk: Teufi hnein, jetzt hast noch a gut Stuck Weg heim! – fallt mer ein: Heunt is Walpurga! Mir wird da glei nit recht gheuer, no, kein bsunders ruhigs Gwissen hab i grad a net ghabt, was ich in der Fabrik drin tan hab, war ja a grad kein bsunders rechtschaffens Stuck Arbeit, und daß ich zuletzt die Obrigkeit sich nach mir hab abezappeln lassen, war auch nit schön; aber da hat mich doch eins tröst: warum hat a die Obrigkeit so ein langen Überschwung ghabt.

Sollst aufm Fahrweg verbleibn? Gehst die einsamsten Steig? Gehst lieber gar außi ausm Wald auf die mondhelle Wiesen? Was tust, was is gscheiter? So hab ich spintisiert. Und wie ich mich noch so bedenk, komm ich von freien Stücken ausm Wald außer, wißts ja alle den Fleck enter der Rieslermühl, wo rechts und links die Weidplätz in der Höh liegn, und mitt durch führt ein kleiner Hohlweg nach der Straß; von weitem hat man die Mühl ghört, sonst war alles mäuserlstill, dö Bäum sein bocksteif dagstanden, kein Lüftel, aber der Mondschein, ich sag euch's, der war anderschter als sonst, der hat so aufdringlich gleucht, als wußt er über jedes [309] Steindl am Weg was zu sagen, um die Grashalm, wie s' am Hohlwegrand herunterghängt sein, hat er gspielt, und die Schatten haben völlig zittert in sein Glanz, es war frei ein lauts Licht!

Und grad, wie mir dös zum gfalln anfangen will, wird mir auf einmal, ich weiß nit wie; inmitten vom Hohlweg war ich, sonst wär ich glei lieber wieder zruckgrennt. Da kommt's a schon von weitem her, auf mich zu – ein mächtig groß Ding, glänzt, daß einm völlig die Augen weh tun, aus sein Hut is Rauch aufgstiegn, auf der ein Seiten hat's mit ein Arm in ein eisern Stiefel glangt und is dabei allweil hin- und hergfahren, grad wie wenn unsereins in einer Taschen nach Geld sucht und kann keins finden und gebärdt sich wie net gscheit, und auf der andern Seiten hat's ein Radl ghabt, da war ein mächtig langer Schwungriem dran, und wie's so auf mich zurogelt und ich schau so auf den Sappermentsriem, denk ich, jetzt is's letzt End, wenn d' ein so ein Wixer kriegst, tut dir kein Bein mehr weh!

Hitzten steht das Ding auf einmal still, pfnaust Dampf aus und laßt den Schwungriem fallen. Da is mir glei leichter gwest. Und sagt das Ding zu mir: »Kennst du mich?«

Sag ich drauf: »Nein, aber mir wär's lieb, für ein anders Mal, wenn's sein könnt, denn heut is mir nit recht gut, und ich bin zu solche Dummheiten nit aufglegt.«

Drauf sagt dös Ding nit ein Bissen, sundern tut ein Keuchezer und steht still.

Jesses und Josef, da hab ich's derkennt – war dös dö selige Maschin, dö ich heunt in der Fabrik umbracht hab!!

Ös könnts enk denken, wie mir da war, allein, in der Walpurgisnacht mit so einm Spuk. 's Herz hat mir völlig ausm Leib heraus wollen vor Angst.

Sagt die Maschin noch immer so rauh und stoßweis wie vorher: »Fürcht dich nicht. Tu, was ich dir sag, da hinten an mir hängt eine Kandl mit Öl, schmier mich!«

So viel auch meine Händ zittert haben, was mir jeder glauben kann, so hab ich doch die Kandl hruntergnommen und [310] hab halt, so gut ich's troffen hab, das Maschingespenst geschmiert.

Und wie's geschmiert war, hat's auf einmal mit milder Stimm anghebt zum reden: »Hanns«, hat's gsagt, »du warst heut auch einer von dö dummen Simpeln, dö sich nichts Gscheiters z' tun gwußt habn, als anderer Leut Sachen zu ruinieren, und die kein Respekt haben für das, was von braver Arbeit und rechtschaffenem Studieren in mir liegt! Aber dös verstehts ös net, und da muß man stillhalten und sich zerschlagen lassen. Ös wollts halt nit verstehn, nit begreifn, überhaupt nix lernen, es 'glaubt' sich halt so viel leicht, und es 'weiß' sich halt so viel schwer, und solang 's a so bleibt, geht die ganze Aufklärerei wie a Kindertanz um 'n Maibaum allweil rundum, und ohne daß man enk gscheit machen kann, sagt mer enk nur allweil: 'wie ös dumm seids!'«

Da sag ich drauf: »Vergelt's Gott, aber dazu brauch mer kein Maschin, dös sagn mir uns selber untereinander all Tag. Ah, so gscheit sein mir schon, daß mer dumm sein!« – Denn wie vorhin der Spuk so freundschäftlich und eindringlich gredt hat, hab ich mir a Herz gfaßt ghabt, is mir aber glei wieder abigrutscht, wie 's Maschingspenst anhebt: »Hitzten steig auf mein Rucken, du mußt mit!«

Ich will grad alle Heiligen zu Zeugen anrufen, daß ich seit der Kavallerie kein Roß mehr angschaut hab, daß ich Maschinreiter schon gar keiner bin ...

Aber da stoßt dös Ding fuchtig sein eisern Arm in den Stiefel auf der ein Seiten und draht 's Radl auf der andern, daß der Schwungriem fliegt.

In Gotts Jesus Nam, hab ich mir denkt und bin halt aufgstiegn, und wie ich sitz, geht's a schon furt, daß mer der Atem und die Sinn ausblieben sein, ich könnt enk's drum a nit sagen, wohin mich der Malefizspuk gführt hat.

's war mir aber so, als säß ich aufm höchsten Berg von der Welt, wie er heißt, könnts ja 'n Schulmeister fragn, gnug, daß ich drobn war, in der Walpurgisnacht vergangens Jahr.

[311] Und wie ich so herunterguck auf dö Welt unter meiner, sagt die Maschin: »So ist's jetzt!«

Ich schau, da kommen s' daher in ein langen Zug, Arbeitsleut aller Art, alle verkrüppelt, bresthaft oder vorzeitig alt und ausgemergelt durch 'n strengen Erwerb, durch die ungsunde Hantierung, durch Trübsal um ihre alten Täg – und wie ich so in der Rund schau, seh ich die andern, die noch geschaffen haben, sich hinunterrackern wie die Viecher mit der schweren Arbeit, sich 's Blut vergiften mit Staub und so Farb und andere Patzerein und wieder völlig zsammschrumpfen auf ein Fleck, von dem s' die Sorg ums Brot nit weglaßt, nit a wengerl in die frei Luft, kaum im Jahr amal! Wie ich so das Elend da vor meiner siech, schlag ich die Händ zsamm und sag: »Himmlischer Vater! Du triffst doch allmal die rechte Mischung zwischen Herzload und Herzensfreud, daß 'm Menschen nit z' gut und nit z' übel wird auf der Welt und er 's Leben aushalten kann, denn Übermaß von einm oder 'm andern tut niemal a gut! Wie magst denn a so viel Mühsal auf ein Fleck zsammtragn?!«

Sagt die Maschin: »Strapazier dich nit, möcht der Herr allen Fragern z' Ghör sein, verbrauchert er sein ganze Ewigkeit zum Antworten. Derweil wir da reden, geht die Welt wieder ihr Ruckerl weiter. Schau lieber, wie's einmal sein wird.«

Ich schau wieder. Is die ganze Welt wie verändert gwesen, alles, was man denken und sinnen kann, daß nur möglich ist, es rührt der Mensch nit selber mit seine Händ dran, das haben Maschinen geschaffen, und an den Maschinen sind sie gstanden, die neuchen Leut, unverkrüppelt, unverkrümmt, schön groß, stark, und hat ihnen die Gesundheit und die Gscheitheit aus dö Augen gleucht, ist jeder wie ein König an der Maschin gstanden, die er gmeistert hat bis aufs letzte Radl.

Und über die Welt war ein großer Arbeitstag mit lauter saubre, lustige Arbeitsleut!

Und wie ich das siech, da hab ich mich in die Höh gstreckt [312] und hab gjuchzt: »Juchhe! Hitzt is's Brotkörbl nieder, und das sein meine Leut, dö halten doch ein Puff aus, und so stehn s' mir an!«

Und wie ich so schrei, verschwindt dös ganze Gsicht, d' Maschin packt mich wieder auf und setzt mich nachert ab, no ös kennts ja dös Platzl, enter der Rieslermühl inmitten vom Hohlweg; und wie s' mich da los is, sagt s': »Servus!«

Ich sag: »Bhüt dich Gott und halt halt a fein Wort, Maschin!«

Und fort war s'!

Na also, dös war zu Walpurga vorigs Jahr, und sider der Zeit mag ich kein Maschin schief anschaun, 's tut mir völlig schon um a Lichtschneuzen leid, wann s' a kleiner Bub verbricht. No, wo is denn der Lehner-Ferdl hinkommen, schau, ich hätt grad gmeint, der wurd mich gern Lugen strafen mögen! Bhüt Gott miteinander, hitzt muß ich wieder hnauf nach mein Steinbruch!

4. Die Versuchung

Bald is's gar nimmer wahr, so lang ist's her, aber ich besinn mich noch, es war ein schöner Herbsttag gwesen, mir hat er aber nit zu Sinn wolln, denn damal is's mir grad grimmig schlecht gegangen, was braucht mir auch d' Sunn so freundlich in leeren Sack und in hungrigen Magen z' scheinen, hab ich mir denkt, was hab ich davon? Is a boshaftigs Ding! Die Rauch habn mich geärgert, die aus die Schornstein gradauf gstiegn sein, 's Obst af dö Bäum – mein war's net –, und af der Gmeinwiesen hätt ich mögen 's ganze Gras ausreuten, na, ich war ja kein Kuh, daß ich's hätt mögen fressen. Teufi hnein!

Ich war froh, wie die Sonn ein Anstalt macht zum Untergehn und bin noch fort ins Gebirg, bin durch Schluchten angstiegn, daß ich vor ihre letzten Lichter sicher bin, bis 's Monad raufkimmt, was nit so aufdringlich is mit sein Licht.

Wie ich später so forttapp, denn 's sakrische Mondschein is hinter dö Wolken bliebn, riegelt sich was in der Finstern, kommt hervor ausm Schatten und steht a schmächtigs Bürschel vor mir, so wie man's sieht af der Wanderschaft.

Er fragt nachm Ort, was überm Berg enten liegt. Gscheiters wußt ich mir grad nit zu tun, denk ich mir, führst ihn bis hin, vielleicht zahlt er dir dafür doch a Glasl Wein.

Sag ich also zu ihm, wann's ihm recht wär, könnten wir ein Weg gehn, ich selbst möcht nach Tappental.

Er steht, schaut mich eine Weil an, auf einmal sagt er, es wär ihm lieber, ich gäbet ihm die Weisung, daß er sich allein hinfinden könnt.

Ahan, denk ich, selb is a notiger Kerl, der fürcht sich zwegn einer klein Derkenntlichkeit, und sag deswegen zu ihm: »Ich steh af nix nöt an, ich führ Enk schon umsonst.«

Da sagt das Bürschel ganz wegwerferisch: »Ich hab Enk gebeten, mir 'n Weg z' beschreibn, wollts net, so such ich mir 'n halt selber.«

[318] Auf dös sag i, nöt freundli: »Na, na, wo ich zwider bin, dring ich mich nöt auf!« – Weis ihm die Steig, sag, von da geht's a so und von dort a so nach Tappental zu, halt, daß er nit irr geht, dreh mich dann um und bhüt Gott!

No gibt er mir dö Hand, bedankt sich recht schön und meint, ich söllt's ihm nöt in Übel aufnehmen, aber er wär noch in tausend Angst und Schrecken.

U mein, und wie er das sagt, schau ich ihm ins Gsicht, er war käsweiß.

»Je, je, lieber Herr«, sag ich, »was is Enk denn zugstoßen?«

No erzählt er mir, es hätt sich ihm heut afm Weg a wilder Kerl angschlossen, der wär schon 'n Anschaun nach zun fürchten und nit von der Seit z' bringen gwest, wie's aber in 'n finstern Wald kemma, fallt der Kerl über ihn her, und wann nöt a alte Holzklauberin dahertappt und zun schreien und zetern anhebt, wer weiß, was gschehn wär! Nöt gar weit von da und vor a klein halbn Stund hätt sich dös zutragn. Selb hätt 'n ganz scheu und verzagt gmacht, er wußt sich kaum aus in sein Sinn, gern möcht er allein gehn, doch noch lieber mit einm ehrlichen Menschen.

»No«, sag i, »da seids schon recht, i bin, soweit i warm bin, a ehrlicher Kerl, von was nit mein war, hon ich all mein Lebtag nit was Schwarz' unterm Nagel is weggnomma!«

»Jo«, lacht er, »freilich, um was Schwarz' unterm Nagel is, zahlt sich's net aus, in der Weis steckt die ganze Welt voll lauter ehrliche Leut, aber wann's mehr gilt, da probiert sich dö Ehrlichkeit.«

»Kreuzsakra«, sag ich, »nöt um 'n Kaiser sein Gschloß tat ich a Schlechtigkeit.«

»Glaub's wohl«, meint er, »a Gschloß kann mer halt wieder net leicht in Sack schiebn; was z' gring is oder was einer nit aufhebn mag, laßt a jeder liegn, um zwenig und zviel belobt sich a jeds der Enthaltsamkeit von fremden Gut, aber, mein lieber Hanns« (ich wußt wahrhaftig net, woher er mein Nam gwußt hat, aber genennt hat er 'n), »mein lieber Hanns, [319] es is ganz a andere Sach, wann's um a schwermächtig Stuck Geld hergang und dös kunnt eins nehma und war sicher vor Klagen und Fragen und wußt kein lebendige Seel drum.«

»Na, na«, sag ich, »ehrlich währt am längsten, und wanns wollts, i soll weiter no mit Enk gehn, so tuts ein andern Dischkurs anhebn, sonst müßt ich frei glaubn, Ös halts mich net für besser wie den Schubjak, der Enk vorhin hat ausraubn wölln.«

»Ah«, sagt das Bürschel und lacht dabei so spöttig, daß ich ihm hätt eins versetzen mögn, »ah, beileib, Hanns, ich weiß schon, du bist a ganz a andrer Mann. Übrigens 's is a Glück für mich, daß der Rauber von vorhin sich wohl auch denkt hat, es zahlt sich net aus; hätt er gwüßt, was i weiß, i mein, er wär dabei bliebn und hätt mich und dö alte Holzklauberin spediert.«

»No, was is's denn nachher, was Ös wißts?« brumm ich, daß i nur was red, obgleich ich von den dummen Dischkurs gern loskomma wär, aber ich mag net so zneben einm hertorkeln und mein Gedanken nachhänga.

»Nö«, sagt er, »was i bei mir führ, wär schon ein Mord und ein Totschlag wert gwesen. Was meinst?«

»Was weiß denn i, um was sich ein Mord und Totschlag auszahlt«, schrei ich, »glaubts, ich bin a glernter Rauber?«

»Na«, sagt er, »Hanns, a dreißigtausend Gulden sein doch a Geld!«

Dreißigtausend Gulden! Liebe Leut, wie er dös sagt, is mer völlig schwindlich wordn, denkts, so viel Geld und i nöt ein Groschen in Sack, a kein Aussicht für morgn oder übermorgn und no weiter, daß ich zu a bissel was komm.

»Dreißigtausend Gulden«, sagt er, »und alles in kleine Bankanoten, was sich leicht verzetteln lassen und wo kein Frag is, wie kommst dazu?«

Bei der Red kommen wir übern hochen Kamm, der Weg is kaum für zwei, turmhoch, steilauf steigen da die Felsen übers Tal an; dort bleibn wir a Weil stehn, denn das Bürschel schnappt a weng nach Luft, dann hebt er wieder an:

[320] »Dreißigtausend Gulden, Hanns, kein groß Papier dabei, wo dich der Kramer oder der Wirt drum groß anschaut; langsam, wann Jahr drüber hingangen sein, kann mer's nach und nach zum Vorschein bringen, mer gewinnt in kleine Händel, es wird mehr und mehr, dö Leut können einm doch nit jeden Posten nachrechnen; auf einmal, alle Welt muß meinen, es is mit rechten Dingen zugangen, sitzt mer af ein Bauerngut, kujoniert sein Gsind, is wer und stellt was vor, hat Gründ und Liegenschaften, Geld im Kasten – all dös, was kost's? Ein Griff nach meiner Taschen und ein Ruck, daß ich da hnunter flieg – und morgen is weiter kein Reden drüber, als daß a armer Handwerksbursch verunglückt is.«

»Höllteufel, verfluchter!« schrei ich auf.

Da lacht er und sagt: »Und wann d' noch weiter wüßt, Hanns, das Geld alles hon i noch dazu selber gstohln; i bin in einer großen Handlung gwest, da is's mir glungen. Wär doch a Narr, der in die Gericht rennet, kann er mich doch selber bstrafen, und fand mer mich morgn da unt liegn und derkennet mich auch, mer denket, ich hätt all dös Geld sauber durchbracht.«

»Du elendiger Dieb«, schrei ich, »du hast Lohn und alles ghabt, ich hab nix, gar nix als 's nackete Lebn, teil dein gstohlens Gut mit mir, oder –«

»Kein Red«, sagt er, »alles oder nix is mein Wahl!«

Da hab i mich nimmer ausgwüßt, der Teuxel hat mich bei jedem Haar ghabt – kein Seel weiß's, was du tust – es kann gar nit aufkommen – Liegenschaften – Geld im Kasten – bist wer, auf Lebzeit geborgn –! Das geht mer durchn Kopf wie a Spinnradl schnell. »Alsdann nix«, schrei ich und stürz mich af ihn, reiß ihm die Taschen weg und gib ihm gleichzeitig ein Renner –

Da lacht er wie der leidige Teuxel auf, und nöt wie a anderer Mensch kopfüber abisaust, langsam, ganz langsam wie a Federn fallt er hinunter, und dabei lacht er fort und fort und schreit: »Hanns, du ehrlicher Mann du!« Und unten fallt er schwer auf, nochmal hör ich von unt ganz tief, wie [321] aus der Höll auffer, sein Lacher: »Hanns, du ehrlicher Mann du!«

Ich schrei aber auf: »Jesses und Joseph!« und fall ausm Bett.


»No, is's halt wieder a Traum gwest«, sagten die Zuhörer.

Hanns zwinkerte mit den Augen. »Als a Wacher bracht i jo kein Hendel um, freilich war's a Traum, aber Leuteln, es is mir lieb gwest, daß's nix Wirklichs war, und i mein, es därf jeden lieb sein, er hätt an meiner Stell auch nur träumt.«

»No und was beweist dös af dös Heutige?« fragte ein junger Bursche.

»Die Müllerin und der Knecht«, sagte der Steinklopfer, »dös sein verlorene Leut, laßts dö Richter mit dö fertig werdn, sein wir froh, daß wir froh sein könna, aber überhebn mer uns net! Freun mer uns, daß wir gsund sein, sorgn wir allfort für die Gsundheit von Leib und Seel, aber vergessen wir nöt, daß doch unser jeden ein Übel anfalln kann, und sollt uns vor ein Siechtum auch grausen, so dürfn mer doch mit dö Kranken a Barmherzigkeit habn.«

IV

Weit außerm Ort in einer armseligen Hütte, die an eine Felswand angebaut war und so recht bescheidentlich ihrem Erbauer die Errichtung einer vierten Mauer erspart hatte, wohnte der alte Lehner-Franzl – der Vater des »Ferdl«, von dem schon einmal die Rede gewesen – und führte ein recht beschauliches Leben.

Wie lange schon? Je nun, böse Leute im Ort – es gibt aber doch überall böse Leute! – meinten, gar so lange wäre das nicht her. Eben diese bösen Leute behaupteten, daß der Ferdl seinem Vater völlig nachgerate; der sei einmal geradeso ein Raufbold und Störenfried gewesen, hätte seinerzeit gleich tief in das Glas geguckt, wie derzeit sein Junge, und [322] hätte es auch gern mit den Dirnen gehabt; wenn eine so unvorsichtig war, ihm den kleinen Finger zu zeigen, so nahm er gleich die ganze Hand; aber das wäre nicht so schlimm gewesen, die ehrlichsten Bursche halten ja um die Hand ihrer Mädeln an, aber er nahm etwas mehr und ließ dann die Hand der Betrogenen fahren, und diese mußte recht froh sein, wenn sich später noch ein gutmütiger Bursche fand, der nicht nachfragte, was der Lehner-Franzl etwa vorweggenommen. Wollte man den bösen Leuten alles glauben, so kannten die Jägerbursche gar gut auch den Wilderer Leh ner-Franzl, der aber stets so gerieben war, der Ehre einer gar zu nahen Bekanntschaft auszuweichen, und sich nie erwischen ließ.

Aber da kam denn die Zeit, wo der bisher im Rufe der Unbezwinglichkeit Stehende nicht mehr gefürchtet wurde, wo man ihn spottweise schon fragte, in welches Eck er geschupft sein wolle und ob er lieber rücklings oder kopfüber dorthin fiele. Und – o Schmerz – man stellte nicht nur diese beleidigenden Anfragen, sondern man löste auch die in drohendst abweisendem Tone erteilten Aufgaben auf das glücklichste, »prompt und billig«, wie die Kaufleute sagen.

»Ja, es kam die Zeit, wo ihn ein Trunk über den Durst zum Gespötte der Jungen machte und wo die willigsten Dirnen des Kirchspiels nimmer den kleinsten Finger ihm reichten, sondern – einem andern. Eine Zeit, wo sein Auge nicht mehr scharf auslugen und sein Arm nimmer gehorchen wollte, je nun, gar so lange war das nicht her, aber seit dieser Zeit war ihm die Beschaulichkeit eingeschossen, und seit es auf dieser Welt nicht mehr recht mit ihm fortwollte, verlegte er sich auf das »andere Leben« und, da er nicht zweifelte, dort in Gnaden angenommen zu werden, natürlich auf die »ewige Seligkeit«.

Sonderlich ist's schon, daß Leute, die oft für die Welt zu schlecht oder wenigstens zum übelsten Beispiel waren, sich noch immer gut genug für den lieben Gott halten; oder daß andere, so unverträglich und grillenhaft, daß kein Mensch ihrer begehren möchte, sich in ein Kloster versperren, zur [323] »himmlischen Brautschaft«. Nur soll nicht damit gesagt sein, daß nicht in letztgenannten Mauern manch Herz Zuflucht gesucht, dem in all seinem Hoffen und Träumen die Welt nicht Wort gehalten hat, aber kommt die entsagende Demut wohl da zu dem gleichen Gespan, wenn sie zur geistlichen Hochfahrt kommt?

Ich möchte wohl ein solches Herz fragen, aber es würde schweigen und – brechen.

Aber der Lehner-Franzl schwieg nicht von allen den Herrlichkeiten, deren er sich sicher glaubte; er besuchte fleißig die Kirche, er las in allen Büchern, die er habhaft werden konnte und in denen etwas stand vom »lieben Himmelreich«, und schließlich wußte er jedem, der es Lust zu hören hatte, mehr davon zu sagen als selbst der Herr Pfarrer.

Nun geht es aber noch sonderlicher zu auf der Welt, weiß nicht, woher es kommt, aber es ist einmal so, das läßt sich nicht abstreiten; wie einer einmal seinen Himmel sich recht sauber erbaut und ausgezimmert hat, da leidet es ihn nimmer allein drin, und wär der Himmel auch so schmal geraten, daß er nur einen Bettgeher darinnen aufzunehmen vermöchte, so wird er wenigstens den suchen. Größere Etablissements werden natürlich mit mehr Komfort und größerem Belegraum ausgestattet, und gibt es da auch mehr Türsteher und Ordnungsmacher. Nun weiß man zwar wieder nicht, woher das kommt, aber es ist einmal so, gleichwie der Mensch nicht gerne allein ist, nicht einmal im Himmel, so ist es auch ein menschliches Gefühl, daß ein jeder auf seine Kosten kommen will, und ist er erst einig, daß er etwas von seinem Himmelreich zu vermieten gedenkt, so kommt er auch auf einen gewissen Tarifsatz, und soviel kostet dann der mit Wolken gepolsterte Sitz und soviel der ordinäre Stuhl. Und nun wird jeder eingeladen, sich das Himmelreich zu betrachten und einzutreten; soweit wäre alles gut, aber wie gesagt, jeder will auf seine Kosten kommen, und da wird einer nicht lange gefragt: Willst du ins Himmelreich? Nein, da heißt es: Du mußt in das Himmelreich! – und das ist vom Übel.

[324] Es ist recht nutzbringend auf dieser Welt, daß der Mensch aus allem, was man weiß und wissen kann, seinen Vorteil zieht und daher seinen Beruf nimmt, vom Arzt bis zum Hundedoktor, vom Forstmann bis zum Holzfäller, vom Bergmann bis zum Steinklopfer, vom Maschinisten bis zum Rastelbinder, ja vom Chemiker bis zum Lumpensammler usw., aber daß der Mensch auch Vorteil von dem zieht, was man nicht weiß und nicht wissen kann, das ist mehr scharfsinnig als nutzbringend und war von jeher mehr betrübend als erfreulich.

Was soll mit dem allem gesagt sein? Wenn es so ist, man weiß zwar nicht warum, aber es läßt sich einmal nicht abstreiten, daß jeder, der sich mit dem Himmel abgibt, zugleich ein kleines irdisches Unternehmen damit verbindet, so wird doch nicht der alte Lehner-Franzl eine himmlische Kleinkrämerei betreiben?!

Und warum nicht? Jeder in seiner Art. Da war im Orte eine Bäuerin, gehörte als Dirndl auch zu denen, welche dem Lehner-Franzl den kleinen Finger gezeigt; der war es so gut geworden, einen gutmütigen Burschen zu finden, der sie heimführte, und das mußte man der Baltzer\150\Liese nachsagen, sie ist ein braves Weib geworden, und er hat's bis auf seine letzte Stund nicht bereut, daß er sie genommen hat. Seine letzte Stund war aber vor kurzem, kaum drei Monat her, und so war sie Witwe geworden.

Schlimmer noch war's, daß sie, obwohl die Ehe lange Jahr unfruchtbar blieb, zuletzt vor sechs Monaten niederkam – bei ihrem Alter wohl das erste und letzte Kind – und jetzt mit dem armen Würmlein verlassen in der Welt stand.

Das arme Kind, das ohnedies etwas zu spät für die Mutter zur Welt kam, kam also auch zur schlimmsten Zeit. Die Bäuerin hatte keine Augen für ihr Glück, keine Hände, zu schaffen für das kleine Ding. Sie brauchte die Augen zum Weinen, die Hände zum Ringen, und als man ihr Trost zusprach von allen Seiten, da hob sie Augen und Hände zum Himmel, gedachte des Seligen, und wenn ja einer sie auf das [325] arme, verlassene, verwahrloste Kind aufmerksam machte, da sagte sie: »Der arme Wurm! Ich kann ihm wenig mehr helfen, denn ich werde bald hinaufgehn zu meinem Jakob in das himmlische Reich, hier bin ich zu nichts mehr nütze.«

Das war gewiß recht fromm gesprochen, aber die Leute ärgerten sich darüber. Und wenn mich einer fragen würde, so würde ich sagen: Gott hatte gewiß seine Freude an diesem Ärger.

Indessen verwahrloste das arme Kind und nebenbei die kleine, aber doch einträgliche Wirtschaft, die Leute waren geärgert und zogen sich ohne weiteres Zureden zurück, und das war wieder nicht gut getan von den Leuten. Nur einer kam jetzt in das Haus, erst ein paarmal in der Woche, dann Tag für Tag, der alte Lehner-Franzl.

Wär sonst zu einer Witwe im Ort ein früherer Liebhaber so häufig auf Besuch gekommen, die Leute hätten das gewiß recht sündlich und schandbar gefunden, aber da beide über die Jahre der »Löffelei« hinaus waren, so dachte man allgemein, die Bäuerin würde dadurch auf andere Gedanken kommen, man wollte es selbst dem alten Lehner-Franzl gönnen, wenn er mit ihr die Wirtschaft erheiratete und rechtschaffen darauf hausen und arbeiten wollte, und das alles, damit es mit dem armen Kinde anders würde. Was doch so ein klein unschuldig Ding über alle Lästermäuler vermag! Und wie die »bösen Leute« oft gut sind, wenn sich's nur der Mühe lohnt.

Aber dem alten Lehner-Franzl Arbeit zuzumuten, das war wohl ein wenig zu weit gegangen, ihr lieben Leute! Er kam ja nur, weil er hörte, daß sie so gottseliger Gesinnung geworden sei und bald da hinaufgehen wollte zu ihrem seligen Jakob in das himmlische Reich, und da er da oben so gut Bescheid wußte, so wollte er sie nicht ohne Weisung lassen. So kam er denn in der ersten Woche ein paarmal zu plaudern vom himmlischen Reich und nebstbei etwas Kuchen zu essen und ein Gläschen Wein zu trinken. Und als er sah, daß seine Gespräche Beifall fanden, daß er als »Wegweiser [326] in das neue Jerusalem« bereits unentbehrlich geworden war, da kam er alle Tag, um die einzelnen Stationen der großen Reise eingehend durchzusprechen und – – sich ausfüttern zu lassen. So gut war es ihm schon lange nicht geworden, aber daß sich alles aufzehrt, wo nichts gearbeitet wird, daß er's einer Witwe und einer Waise von der Schüssel fräße und der Tag nahezu vorher zu bestimmen war, wo er mit einem heuchlerischen »Vergelt's Gott« von der leeren Schüssel weggehen würde auf Nimmerwiederkehr, und wie dann die Schüssel allnächster Tage leer bleiben würde und Mutter und Kind hungernd davor sitzen würden, das bekümmerte ihn wenig, oder, wenn wir ihm viel Ehre antun wollen, das vergaß er über dem frommen Eifer gottseliger Gespräch- und Gebetstunden!

Nun war den Leuten die Geduld gerissen, sie hatten einmal ausnahmsweise, wie sie meinten, Gnade für Recht ergehen lassen – hatten das Bessere über ihre Nebenmenschen gedacht und gesprochen und sahen sich jetzt getäuscht. Sie schämten sich förmlich ihres guten Herzens, nannten es eine Schwachheit und wurden, wie es in solchen Fällen geht, ärger wie je, ja einige verschworen es sogar im stillen: Einmal gut gewesen und nie wieder.

Aber hoffentlich werden sie alle wieder einmal eidbrüchig, und dann sollen die lieben Englein, was ich ihnen sonst immer, der braven Leute auf Erden wegen, nur höchst ungern gestattet habe, über einen von ihnen mehr Freude haben dürfen als über neunundneunzig Gerechte, und ich will selbst mittun, wenn sie mich früher unterweisen wollen, wie sich Engel freuen.

Jetzt aber war der Teufel los an allen Enden und Ecken, die Wirtschaft wurde mit den unsaubersten Namen belegt, die Gespräch- und Betstunden in ihrer »Gottseligkeit« arg beanstandet, die Bäuerin alles, nur keine brave Frau, und der Lehner-Franzl dafür alles geheißen, was sich an wortreichen Zusammensetzungen haarsträubender Eigenschaften ersinnen ließ.

[327] Dieses Gewitter mit seinem vernichtenden Grollen und zornigen Aufleuchten konnte nicht unbemerkt über dem Haupte der Bäurin wegziehen, und als der Lehner-Franzl, der für derlei eine härtere Haut hatte, zunächst zu einer Gesprächstund wieder bei ihr einsprach, fand er sie mit verweinten Augen auf ihrem Stuhle und zugleich zu seinem Mißvergnügen den Steinklopferhanns, den »Ketzer und Spöttler«, neben ihr sitzen.

»Grüß Gott ... miteinander!« sagte der Fromme mit einem aufrichtig bösen Seitenblick auf den unerwarteten Gast; dann sah er sich in der Stube um, da mußte etwas vorgegangen sein! – Da war ja aufgeräumt, und auch das Kind in der Wiege sah so frisch darein, das war offenbar einmal nach langer Zeit wieder gewaschen und gestriegelt worden, und die Bäuerin sah auch nicht so versudelt aus, hatte wenigstens in der Eil einen reinen Rock übergeworfen und sich die wirren Haare glatt gestrichen; war da der »Geist der Eitelkeit der Welt« wieder eingezogen? Dann ade, du lieb Himmelreich, und ade, du schon so hübsch angewohnte tägliche Atzung samt dem erfreulichen Tröpfchen Wein!

Der Fromme tat einen wehmütigen Seufzer.


Wie das Zorn- und Schimpfgewitter gerade im Ort am ärgsten tobte, kam auch der Steinklopfer wieder einmal des Weges daher und mußte sich, da er sich früher nicht darum bekümmert hatte, die ganze Sachlage vorschimpfen lassen. Das Schicksal des armen Weibes ging ihm nah, er und ihr verstorbener Mann mochten einander gut leiden, und bei sich dacht er, getröst ist sie wordn, erbaut ist sie wordn, und nix genutzt hat's, gelacht hat sie aber noch nicht.

Und so sann er hin und her, wie er's anstellen möchte, ihr zu helfen, verfiel aber auf nichts Rechtes. »Blitz Dunnerstreich«, sagte er, »zersinnt sich einer, kommt er erst recht auf nix. Da faß ich lieber grad an; hab ich sie nur so weit, daß sie mir lacht, so ist's richtig, ein lachendes Gesicht vor mir verspart mir alle Müh, da fällt mir 's närrischste und [328] richtigste Zeug ein.« So ging er schnurstracks vor die Hütte der Witwe, klopfte an und trat ein.

Ein Blick zeigte ihm die ganze Schmutzfinkwirtschaft, die dort eingerissen war.

»Grüß dich Gott, Baltzer\150\Lies«, sagte er, »einmal, hab ich mir denkt, müßt ich dich doch heimsuchen.«

Sagte sie: »'s ist schön von dir, Steinklopfer, daß d' dich auch einmal umschaust, mein Alter hat noch die letzt Zeit oft von dir gredt.«

Sagt der Hanns drauf: »Gott tröst ihn, dös freut mich, mir habn uns allzeit gut zsamm vertragn.«

Drauf fangt die Bäuerin zum weinen an. »Daß d' heut kommst«, hat s' unter Schluchzen vorbracht, »das zeigt, daß d' mir freund gesinnt bist. O mein Gott, mein Gott, was s' über mich für Reden führn ...«

»Wenn nur nix Wahrs dran ist«, tröst sie der Steinklopfer.

»Kein Tipferl«, sagt sie und legt die Hand aufs Herz, »aber völlig verfeinden tut sich jeder mit die Leut, der mit mir redt – und doch bist zu mir kommen, vergelt dir's Gott. Sag aber, Hanns, was haltst denn dein Hut in der Luft und legst ihn nit afn Tisch, und was setzt dich denn nit nieder?«

»Na weißt, Bäurin«, sagt der Hanns, »viel is an mein Hut net z' ruinieren, aber mutwillig riskier ich 'n doch nit und leg 'n do in den Schmier hnein.«

Da hat die Bäuerin kein Wörtel gsagt, is rot worden und hat mit ihrem Vortuch die Tischplatte sauber abgwischt.

»Leicht möchst mir 'n Sessel a a bissel abstaubn«, sagt der Hanns.

Die Bäurin tut auch das, und der Steinklopfer setzt sich, und wie er sitzt, so fahrt er so mitm Fuß übern unsaubern Stubenboden, da is gleich der Staub aufgflogen, und der Mist hat unter seinen Sohlen geknistert. »Ich siech schon«, sagt er, »du bist heut noch nit zum Auskehrn kommen, laß dich nit aufhalten, der weil d' mitm Besen hantierst, können wir akrat so gut reden, als ob d' neben meiner sitzest.«

Da holt die Bäuerin den Besen und kehrt aus.

[329] »No«, sagt der Hanns, »was du riegelsam bist, du zeppelst um wie a jungs Reh, nimmt man dich von rückwärts, könnt man glauben, d' jüngst Dirn schwänzelt durch die Stubn.« Da war's der Bäurin doch, trotz aller Kümmernis, als müßt sie ganz still vor sich hin lachen, aber sie unterdrückt's und sagt: »Du bist a narrischer Ding.«

»Dös sagn eh dö mehrern«, sagt der Steinklopfer. »Aber, Liesl, mein Treu, du warst allmal a rechte Schafferin, selb hat dir a dein Mann bei Lebzeiten viel tausendmal nachgsagt und dich drum belobt, und wie er kein zweite hätt finden können, die ihm 's Seine so zsammhalt. Drum hat er wohl a in Frieden seine Augen zutan, wenn er gleich sein arms Waserl da zrucklassen mußt, denn du wirst ihm nix verwirten, ehnder bleibt ihm amal mehr, als der Voter hinterlassen hat.«

Da war der Bäuerin, als ging ihr ein schneidiges Messer durch die Brust. »Jesses und Joseph«, sagt s', »na, na, Steinklopfer, er is zur Unzeit versturbn, ich taug auf derer Welt zu nix mehr.«

»War nit übel«, sagt der Hanns. Wie er aber das desperate Gesicht der Bäuerin sieht, denkt er, da mußt umsatteln, sonst kommst vor Traurigkeit selber nit auf. Sagt er: »Aber sag mal, Bäurin, wo hast denn dein Kleins, möcht doch sehn, ob's dem Selign a weng gleichschaut.«

Da schaut ihn die Bäurin groß an. »Aber znebn deiner steht ja die Wiegn, wo's drein schlaft.«

»Jesses, Jesses!« sagt der Steinklopfer und bückt sich tief herab, wie einer, der nicht weiß, ob er seinen Augen trauen darf. »Das wär's? Ich hab schon lang sinniert, was das sein möcht, und hitzt is dös dein Kind! Möchtst es nit a bissel säubern, daß man's anschaun kann?«

Da hat die Bäurin erst ein trotziges Gesicht gemacht, dann hat sie gesagt: »Du schaffst aber heut viel an in meiner Hütten!«

»Gang mir a schwer, wann ich's in der meinigen sollt«, lacht der Steinklopfer. »Weil wir aber grad dabei sein, möchst [330] mir nit a Glasel Kornbranntwein schenken, a bissel Herzstärkung kunnt einm net schaden, du hast wohl lang 's Kleine verabsäumt, und dös hat sich nit brav aufgführt, es riegelt einm d' Seel auf.«

Jetzt ist die Bäurin ernstlich bös worden. »Wann d' mich bloß heimsuchst, daß d' mich hruntermachst, war mir glei lieber, du warst nit kommen.«

Sagt der Hanns drauf: »Begehr nit auf, gib mir mein Herzstärkung, so mach ich dir a Kindsdirn und wasch dir 's Kleine.«

Drauf hat die Bäurin wieder lachen müssen, und wie sich der Hanns dann nach der Herzstärkung übers Kind hermacht und hat's waschen wollen, wie man ein Holzkübel scheuert, und wie das gründlich bös geworden ist und gegreint und gestrampft hat und wie ihm der Hanns wieder zugeredet hat mit dem Spruch vom seligen Vater: »Ob d' haltst oder net!«, da hat die Bäurin doch lachen müssen, und ganz laut noch dazu; völlig erschrocken ist sie darüber und hat um sich geschaut, ob es niemand hört, aber das Kind hat sie dem Steinklopfer aus seinen Fängen genommen und hat's selbst gewaschen, und wie das bei der Mutter war und der Steinklopfer hat ihm immer im Spaß gedroht, daß er wieder mit dem Striegel käm, da hat das Kind gelacht wie toll, und die Mutter hat gelacht, und der Steinklopfer hat die närrischsten Gesichter nach beiden geschnitten.

Und wie das abgetan war, da hat der Steinklopfer sich im Zimmer umgeschaut, hat gesagt: »Na, hitzt sieht's doch brav und manierlich aus, und braucht sich kein anständiger Besuch zu beklagen; wenn d' jetzt noch ein saubern Rock überwerfen und a bissel Ordnung mit deine Haar machen möchst – denn du tragst a Frisur, Bäurin, wie die Sunn im Kalender aufgmaln is –, so hättst mir alle Ehr antan, und ich wär zfrieden.«

Nachdem auch das geschehen, sagte der Hanns: »Na, so meint man doch wieder, man ist bei enk wie vorzeit, und kunnt der Jakob – Gott tröst 'n – glei bei der Tür da hreinkommen [331] und sagn: 'Heim sein mir wieder, ob's halt oder net.'«

»Jo, mein armer Jakob!« sagt die Bäurin, und wie sie und der Steinklopfer wieder niedersitzen: »Jetzt red aber von was Gscheiten!«

»Ja, ja«, sagt der, meint aber, 's wär ihm lieber von allem andern eher zu reden, als was etwa die Bäurin gscheit nennt.

Und allzwei sind lang still gesessen, und gerad zur Zeit ist die Tür aufgegangen, und der Fromme ist hereingekommen.

»Grüß Gott ... miteinander!«

»Auch soviel«, hat der Steinklopfer gsagt und hat den Willkomm recht ehrlich gemeint, denn mehr zur Rechtzeit hätt ihm keiner kommen können und kein Erwünschterer schon gar nicht als der alte Lehner-Franzl.

Da hat der Fromme wehmütig geseufzt; warum? Das kann jeder, der es vergessen haben sollte, vorne wieder nachlesen. Dann aber ist er zornig worden und hat barsch den Steinklopfer gefragt: »Was machst denn du da?«

»Bissel Ordnung!« hat der gesagt.

»Geh zu denen, die dich rufen«, hat der Alte drauf gesagt.

Und drauf der Steinklopfer: »Grad dö mich brauchen, rufen mich oft nöt.«

Mittlerweil war die Wittib wieder melancholisch worden und hat sich jetzt ins Mittel gelegt. »Wartelts nit miteinander«, hat sie gesagt, »ös seids mir allzwei lieb und wert, mein Seliger war immer mitm Hanns gut, du« (den Lehner-Franz hat sie gemeint) »darfst mer 'n nit in mein Haus verunehrn. Er is a billiger Mon, und wenn ich dich bitt, du sollst mir vom ewigen Leben was derzählen, so kennt er schon a a Art und hört manierli zu.«

Der Lehner-Franz warf einen Blick, der besagte, daß er das sehr bezweifle, auf den Steinklopfer, schüttelte den Kopf und sagte: »Und spott halt und spott nachher!«

»Nachher, möglich, aber a erst nachher. Fang nur an, beim wievieltesten Himmel seids denn letzthin stehnbliebn?« – so [332] sagte der Steinklopfer und lehnte sich in seinen Sessel zurück.

Der alte Lehner-Franz faltete die Hände, blickte salbungsvoll zu den Balken auf, die querüber an der Decke der Stube hinliefen, und verfiel in tiefes Nachsinnen.

Er dachte aber in diesem Augenblicke nicht an das Himmelreich, sondern nur, wie er den Steinklopfer wegbringen möchte, und da hatte er einen frommen Wunsch, der mehr an das Gegenreich der Seligen gerichtet war, daß nämlich jenen der Teufel holen möchte, natürlich mit Zulassung Gottes.

Der Steinklopfer aber war im Innern von den freundschaftlichen Gesinnungen des Lehner-Franzl ganz durchdrungen und wurde durch den stillen, verzweiflungsvollen Ärger desselben in die heiterste Laune versetzt. Er fing an, sich höchst bedenklich hinter dem Ohr zu krauen, faltete gleichfalls die Hände und sah ebenfalls salbungsvoll in die Luft und sagte in dieser Stellung: »Lehner-Franzl, sag mir einmal, um welche Zeit herum hast denn du die letzten Nachrichten ausm Himmel kriegt?«

Keine Antwort.

Der Steinklopfer aber fuhr, ohne sich zu rühren, fort: »Weißt, ich möcht nicht gern, daß einer wider Wissen und Willen die Leut irrführt und Sachen sagt, wo er freilich selbst nicht weiß, daß sie schon lang nimmer wahr sein. Von was für ein Himmel verzählst denn der Baltzerin, vom alten oder vom neuchen?«

Diesmal brummte der Lehner-Franzl in die Luft: »Dumms Gred, 's gibt doch nur ein; vom alten natürlich! Möchts ös Ketzer leicht gar ein neun einführn?«

»No, so is's richtig so, wie ich mir denkt hab«, sagte der Steinklopfer, »du weißt halt nix davon, daß vor etwa drei Monat alle alten Himmeln kassiert wordn sein!«

Da zuckte der Lehner-Franzl zusammen, rückte die fromm gefalteten Hände voneinander und ballte sie zu sehr weltlich schlagfertigen Fäusten und richtete den Blick, aber nicht [333] salbungsvoll, auf den Sprecher. »Du Höllenbraten!« schrie er, »wo steht das geschrieben, wo is's geoffenbart? Halunk! Red!«

»Was braucht's geschrieben zu stehn«, sagte sehr gelassen der Steinklopferhanns, »hab ich's doch von ein, der dabei war.«

»Der dabei war? Du Narr, wer kann dabeigewesen sein, der's wieder hätt auf der Welt aussagn können? Wer denn?«

»Geduld dich a bissel, alles nach der Reih, nix durcheinander, so geht's nach der Ordnung. Vor a drei Monaten ist der Baltzer-Jakob – Gott hab 'n selig – verstorben, und kurz drauf, wies enk erinnern werdts, is a armer Teufel von Handwerksbursch ins Ort kommen, siech und elendig, und den hat man so hrumkugeln lassen – um 'Gotteslohn' – in ein Heuschober (so wie damal mich aufm Steinbruch, wie mir gleich übel gangen is), und hat sich kein Teufel um ihn umgschaut, und so hat er a paar Tag hinzogn und is verstorben. Am dritten Tag hat man ihn eingrabn wolln, na, ös werdts enk noch auf den Schrocken entsinna, wie er da auf einmal wieder lebendig wird. Dann hat er sich nach und nach zsammklaubt, und wie er wieder ganz beinander war, is er fortzogn aus der Gegend. Na, der wird doch dort gwesen sein? Von dem hab ich die Gschicht, und war auch a Auftrag vom seligen Baltzer dabei – aber mir habn 's immer verschobn, zwegn, es könnt die Wittib z' stark angreifen.«

»Von mein Jakob?« sagt die Bäurin halb freudig, halb ungläubig.

Da hat der Lehner-Franzl laut aufgeschrien: »Lies, laß dich nit betörn um dein Seelenheil, das ist wieder eine von dö höllischen Lugengeschichten, mit denen er die Leut verwirrt!«

»Möchst einm nur du nit ins Handwerk pfuschen mit die himmlischen Gschichten, wobei dir weniger um die Leut als um das Ihre is! Übrigens is mein Gschicht wohl a net besser und net schlechter als a andere, und kann man s' wohl anhörn. Und was die Botschaft an die Baltzer-Lies angeht, so [334] mein ich, du wartst's ab, ob sie meint, es wär verlogn und aus seiner Art, oder ob sie's dafür nimmt, es hätt ihr seliger Mon zu ihr gredt. Und no kusch dich, los zu, oder laß's bleiben, für dich reut einm die Müh, daß man sich eins ausdenkt, und für dich is's a net.«

5. Die Gschicht von dö alten Himmeln

Nämlich hat der Handwerksbursch gsagt, wie er von sein Begräbnis als a Lebendiger wieder z' Haus kommen is in sein Heuschober: »Grüß dich Gott, bucklete Welt«, hat er gsagt, »hon schon gmeint, wir wärn fertig miteinander, und fahr a grad nit vor Freud aus der Haut, daß wir hitzt wieder weiter miteinand fortwursteln sölln, aber um dös, was i alser Toter erlebt hab, reut's mich nöt, daß ich auf der Welt war, nöt, daß ich versturbn, und a nöt, daß i wieder lebig wordn bin. Nur lustig! Halt's oder halt's nit!«

»Sikra hnein«, sag ich, »woher hast dös Sprüchel?«

Sagt er: »Von ein Bauern, den ich da drent troffen hab, Baltzer-Jakob heißt er, acht Täg vor meiner war er verstorbn.«

»Is alles richtig«, sag ich. »Hast 'n im Himmel troffn?«

»Ja, Himmel«, sagt er, »wann's mehr ein gab!«

»Du Höllenbraten«, sag ich, »warst doch selb drenten und bringst solche Lugen aus. Halunk!«

Sagt er: »Halt 's Maul, laß dir verzähln und nachher red! Wie ich da übri komm, hab ich gleich gmerkt, da is was los; dö Seeln – es warn lauter frisch verstorbene, von a acht, höchstens vierzehn Täg her, alle ohne Unterstand – sein durcheinandgrennt wie Ameisen, wenn man in ihren Haufen hneinstört. Ich frag nach, was gschehn wär, sagen s', der himmlische Herr hätt die Himmel inspiziert und sider gestert wären s' alle versperrt.

So wie man halt im Gedräng leicht a Ansprach findt, so bin ich aufn Baltzer troffen, und der hat mir verzählt, wie dös alles hergangen is.

[335] Vor undenklichen Zeiten, manche meinen, gar gleich nach der Schöpfung der Welt, hätt der liebe Gott a Reis gmacht; dö so sagn, berufen sich drauf, wie er die Welt so sorglich eingricht hätt, daß sie sich von selbsten schon a Weil forthelfen könnt; na, is's so oder nit, gwiß wird sein, und grundgscheite Leut sein schon lang draufkemma, daß unser lieber Herr a auf dö andern Stern was zu schaffen und zu verrichten hätt, und so is er halt a gute Weil ausgwesen, und wie er wieder heimkommt, so findt er alle Wolken angeräumt mit lauter Himmelreicher; wie sich's die Menschen derweil erricht haben.

No, er schaut nach in allen Himmeln; in türkischen hat er hineingschaut, wo dö Muselmänner fleißig geraucht haben, sein dabei in die Jasminlauben gsessen und habn sich da gleich dö Pfeifenröhrln schneiden können, und is alle Tag zu ein jeden ein reine Jungfrau hinkommen ... na, es schickt sich frei nöt, daß man's sagt, aber bei dö Weibsbilder war über Nacht wieder alles im alten Stand ...

Pfui Teufel! hat der Gottvater gsagt, is das ein Himmel? Das is ja ein B ....! Und, sagt er zum Erzengel Michel mitm feurigen Schwert, daß d' mir dö Menscher gleich ausjagst, ich hab das Läppeln und Täppeln doch nur gstift und verlaubt, daß mir die Leut nit zweni werdn auf der Welt, so a Löffelei ohne Zweck stund mir an.

Dann schaut er hnein in unsern Himmel, wo die Selign auf dö Wolken herumliegen und Lobgesang und Harfenspiel war. Sagt er, da is's schon solider, aber langweilig, dös halt kein Christenseel auf die Dauer aus.

Und so is er alle Himmel durchgangen, a den hannakischen, wo die Bauern an ein Bach voll Met glegn sein, und übern Berg hrunter sein ihnen dazu d' Knödln ins Maul grollt. Kurz, der Gottvater hat gsagt: Sein dös Himmeln? Wann s' ma unt a bissel gscheiter werdn, verlangt sich eh kein Seel hnein, dös is alles Menschenwerk und folglich nit ewig! Und also hat er die Himmelreicher zugsperrt. Und dann hat er gsagt: Also soll es sein, dö Menschheit soll sich[336] ohne Himmel behelfen, jeder soll seine Pflicht vorerst auf Erden redlich erfüllen, eh er nachfragt, was nachher kommt und mit ihm geschiecht! Und wer da gelebt hat kreuzbrav und grundehrlich auf Erden, der braucht mein Gericht nicht zu fürchten und mein Lohn nit zu erbetteln, der wird auch im guten Vertraun die Augen schließen, daß, wie auch mein Bschluß ausfallt, ich, der Allvater, weiß, was mein Kindern frommt und taugt.

Dazu haben die Engel 'Amen' gsagt.« –

So hat mir der Handwerksbursch verzählt, daß ihm der selige Baltzer verzählt hätt!

Und wie s' no so reden, kommt ein himmlischer Bot und sagt zu dem Burschen: »Du mußt's nit in Übel aufnehmen, aber den Wirrwarr heroben wirst gsehn habn; der Todesengel hat sich an dir vergriffen, was kein Wunder is, denn du heißt 'Huber', er hätt ein andern nehmen sollen, schau also dazu, daß d' wieder auf die Erden hnunterkommst!«

Da hat sich der Huber aufmachen wollen, der selige Baltzer aber hat gsagt: »Schau, Huber, bei der Gelegenheit, wann d' wieder abi kimmst, tust mir ein Gfallen, halt's oder halt's net?«

»Es halt schon!« hat der Huber gsagt.

»Geh zu mein Weib«, hat der selige Baltzer drauf gsagt, »und sag, ich laß s' schön grüßen, und sag ihr, was mein Hoffnung is. Sag ihr: ich hoff, wie sie war, wird s' a für ihr Lebzeit verbleibn, sie soll um Gottswilln auf ihr Hauswesen schaun wie früher, damit's nit heißt, ich hätt s' vielleicht erst zur Arbeit und Reinlichkeit antreiben müssen, wo sie doch mein brave Hauswirtin war, so ihr Gott vergelt und ihr weiter Kraft und Stärke geb! Und nur recht soll sie wirten, und fürs Kind soll s' sorgen, damit das nit an der Mutter irr wird, sundern sich denkt: Hab so a brave Mutter, wird wohl der Vater a brav gwest sein! Was mich ins Grab hinein gfreun möcht! Und aufziehn soll sie das Kind durch ihr Beispiel, und das war bisher und so soll sie's auch ferner bestehn lassen: redlich die Pflicht auf Erden erfüllen, ohne Nachfrag, [337] was nachher kommt und gschiecht, kreuzbrav und grundehrlich. Halt's oder halt's net!«

Da is der Huber lebendig wordn – i weiß nit, ob sich der Baltzer selig ausgredt hat ...


»'s halt schon«, sagte die Bäurin, welche dem Steinklopfer die eine freie Hand reichte, denn am andern Arm trug sie das Kind.

»Ketzerlump«, sagte der Lehner-Franzl, »taugt dir kein Himmel, die Höll mit ihrer ewign Qual wirst du schon verspürn. Du bist 'm Teufel sicher.« Damit rannte er auf und davon und hat sich auch später nimmer blicken lassen.

»Vergelt dir's Gott, Hanns«, sagte die Bäurin. Und als er schon sein »Bhüt Gott!« gesagt hatte und an der Tür stand und an die Klinke faßte: »Du, Hanns?! ...« – »Was, Bäurin?« – »Is die Gschicht wahr?« – »Hm«, sagte der Steinklopfer, »und wann s' nit wahr wär?« – »Mein doch«, sagte die Bäurin, »ich nehm mir heraus, daß mein Jakob, Gott hab 'n selig, es nit anderschter hätt meinen können!« – »Dös is a d' Mural!« sagte der Steinklopfer und ging.

Und seither is der Baltzer-Lies ihr Anwesen wieder eines der nettesten und einträglichsten. Und an ihrer Seite wirkt ein kleines, munteres Dirndl, und wenn es ja einmal müßig über die Gasse geht, so hat es auch da Arbeit, denn jeder und jede will von ihr gegrüßt sein und will eins mit ihr plaudern und nach der alten Liese fragen, die gar nicht zu sehen wär vor lauter Geschäftigkeit. Aber wann das Dirndl dem Steinklopferhanns begegnet, da lacht es schon von weitem, denn der, wenn er herankommt, macht gar verliebte Augen und seufzt: »Jakobe, verflixt Dirndl, wie wird mir's dereinst ergehn? Zwegn dir hab ich den Himmel eingschlagn; du hast mir's angetan.« – »Ich weiß«, lacht die Jakobe, »schon damal in der Wiegen.« – »Sikra«, sagt der Hanns, »bist a Blitzdirndl, hast einm schon damal schwach gmacht. Aber sag, habts noch so ein guten Kornbranntwein?« – »Versuch 'n!«


[338] Was jetzt erzählt werden soll, ist wohl im Anhang zu dem vorigen, fällt aber nicht in die Zeit, wo wir der Zukunft vorgegriffen haben und wo die Jakobe schon als mannbares Mädel über die Straße geht, sondern vielleicht den dritten oder vierten Tag danach, nachdem die obbemeldete Jungfrau noch als »Fratz« von der rauhen Hand des Steinklopferhanns gestriegelt worden war.

Zufällig, oder nicht, trafen sich der Steinklopfer und der alte Lehner-Franzl gegen Abend im Walde; der letztere hatte es sicher nicht darauf angetragen, denn es wurde ihm nicht ganz wohl bei dieser Begegnung. Der zehnte mag's nicht leiden, daß man ihn so mir nichts dir nichts dem höllischen Erbfeind zuspricht, und wenn's in seine Macht gegeben ist, so tränkt er's gewiß dem Gelegenheitsmacher des Teufels ein, und wer wollte das wohl jetzt dem Steinklopferhanns verwehren? Ja, wenn nur der Ferdl dagewesen wäre, da hätte seinem alten Vater leichter ums Herz sein mögen, aber der »Himmelsackermenter« saß um die Zeit für sicher im Dorfwirtshaus oder ... weiß der Himmel, wo sonst!

Nicht umsonst ging das im Geiste dem alten Lehner vor, denn der Steinklopfer hatte sich richtig vorgenommen, extra für ihn auszutipfeln:

6. Eins vom Teufel

»Lehner-Franzl«, sagte der Hanns, »is mir lieb, daß ich dich treff –«

»Hm«, brummte der Alte, was ebensogut heißen konnte »mir auch« oder gleichwohl das gerade Gegenteil davon.

»Er war bei mir«, fuhr der Steinklopferhanns fort, »und laßt dich schön grüßen.«

»Wer?« fragte der Lehner.

»Na, der Teufel«, sagte der Steinklopferhanns. »Seit d' verwichen zu mir gsagt hast, wann mir kein Himmel taugt, wurd mir d' Höll mit ihrer ewigen Qual nit ausbleibn und [339] ich wär 'm Teufel sicher, hab ich kein ruhig Nacht mehr ghabt, so fürchtig is mir bis in die Seel hnein wordn.«

Gott sei Dank, hat sich der Lehner denkt, er verzählt mir nur wieder eine von seine dummen Gschichten.

»Vergangne Nacht war's, ich sitz auf mein Bett, die Tür war nit versperrt; na, du weißt, ich versperr niemal die Tür, forttragn kann mir kein Mensch was, leicht trifft sich's doch einmal und bringt mir einer was hrein.«

Ich sitz also auf mein Strohsack, tut sich die Tür auf, und kommt der Höllische herein. Magst dir den ken, daß ich net wenig erschrocken bin und gmeint hab, hitzten is's vorbei, er holt dich, und abi geht's in Erdboden, weiß wieviel tausend Meilen, wo der siedige Schwefel brennt.

Aber der höllische Zuspruch tut nix dergleichen, nimmt sich mein dreihaxets Stockerl ausm Eck füri, setzt sich an mein Bett, und wie er da sitzt, sagt der Teufel: »Grüß Gott!«

Sikra hnein, wie ich gsehn hab, daß der Seelnkramer so höllfreundli war, denk i, da mußt auf der Hut sein, der führt was im Schild.

Der aber lacht und sagt: »Brauchst kein Hirnschmalz aufzwenden, ich kenn ja deine Gedanken, und mußt mich net für so dumm halten, da d' mir eh sicher bist, daß ich mir no viel Müh um dich gab.«

Selb hat mich gmargerlt, sag ich: »Der Teufel is dir sicher, net i!«

»Bitt dich gar schön«, sagt er, »laß dö Sponponaden und mach dich net groß, da sein no ganz andere Leut, weißt, Großkopfete, dö mir a net auskönnen und dö viel weniger Gschichten machen als wie du grings Mandel.«

»Wann i dir z' gring bin«, sag i, »so steh halt nit auf mi an.«

Sagt er: »Dös tu i eh net; aber ös könnts mir ja doch nit aus, ös armen Hascher. Seids ja doch alle dressiert von Kind auf, daß's hübsch vertraglich mit mir lebts. Meinst denn, es war nachm Gottvatern sein Sinn, daß ös all Ostern die Sündn abbeutelts wie der Hund d' Flöh, daß darnach wieder neuche zuspringen mögen; oder 's Kirfürten in schön Summerszeit, [340] wo da und dort a Mandl und a Weibl zruckverbleibt und sich ins Grüne verliert; oder wann alle Heiligen anrufts, allmal in ein Brummer, daß man einschlafen könnt drüber? Ös arme Waserln, dös glengt nit da auffi, aber es lebt sich unschenierter dabei, und was verbleibt enk darnach über – da ös doch sunst nindascht auswißts –, als daß 's mir in mein Höll rennts und enk a bissel abwarmts. Man kriegt völlig a Erbarmnus über enk, und wann's a nit recht erlaubt is von der himmlischen Polizei, so muß mer enks doch stecken, daß's mit der Höll nit gar so arg is, wie's die Leut machen.« – –

Sagt er: »Greif mich amal an, Hanns.«

Ich greif zum Bett hraus und tapp 'n ab, hat der Kerl a feine Woll und is drunter wutzerlfett.

»Na«, sag ich, »du bist fest beinander, was ein wundert, wenn man denkt, daß d' in der ewigen Marter und in der Pein ohne Aufhörn und End bist.«

»Sixt«, sagt der Teufel, »dös is's ja, daß's allweil so gleichmächtig fortgeht, drum gwöhnt man's und kriegt a harte Haut.«

Drauf hat der Teufel »Bhüt Gott« gsagt und is gangen, und ich bin, weil's schon amal nit anderscht kommen kann und doch so is, alser weng vertröster zruck bliebn. »Aber«, hat der Teuxel gsagt, ehnder er gangen is, »ein Gfalln könnst mir doch erweisen, wann d' den Lump wieder siehst, dem ich früher die sündigsten Stückeln hab nachsehn müssen und der jetzt so über mich schimpft, den alten Lehner-Franzl, dann tu mir die Freundschaft ...«

Jetzt fing einer zum laufen an, denn es knackte und krachte im Gezweig, der andere mochte aber nicht zurückgeblieben sein, denn das Laufen hatte mit einmal ein End – – –

In der Nacht kam der Ferdl heim und fand seinen Vater im Bette liegen, den Kopf hübsch in Tücher gehüllt. »Was ist Euch denn?« fragte er.

»Der Steinklopfer is über mich gangen«, sagte der Alte mit weinerlicher Stimme.

[341] »Gschieht Euch recht«, sagte der gute Sohn. »Ist's ums Himmelreich hergangen? Denk mir's. Ich wollt, er hätt Euch's ausm Kopf verschlagn, weil Ihr doch anderen nur jede Freud damit verleiden wollt!«

's kommt vor, daß ein oder der andere Himmelsvermahner das tut, aber es waren auch nicht »unschuldige Freuden«, die der Lehner-Ferdl meinte, und doch mußte sich der Alte das von seinem Jungen sagen lassen; der war sein »Jugendspiegel«, und er gefiel sich nicht darin; traurig ist nur, daß der Spiegel, der den Eltern die Torheiten ihres Lebens zeigt, dabei selbst nicht rein verbleiben kann!

Mittlerweil stieg unser Steinklopferhanns, nachdem er also dem Teuxelsauftrag gerecht geworden war, den Steig zu seinem Steinbruch hinan, und er sang:


»Ich fürcht net 'n Teufel,
Ich fürcht net dö Höll,
I bleib mer stets gleich,
Ob a kummt, was dr wöll.
Kreuzbrav und grundehrli
Auf all unsern Wegn,
Was frag i viel weiter?
Es kann uns nix gschehn!«

Notes
Entstanden 1872/75. Nach verschiedenen Einzeldrucken erster Abdruck aller Teile in: Illustrierter österreichischer Volkskalender, Wien 1880.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Anzengruber, Ludwig. Die Märchen des Steinklopferhanns. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DD90-F