Gedichte
[Auswahl]

[5] II.

Auf das schöne Geschlecht.

Gott gab den Stieren Hörner;
Den Hengsten starke Hufe;
Den Haasen schnelle Läufte;
Den Löwen weite Rachen,
Mit Zähnen stark besetzet;
Den Vögeln leichte Schwingen;
Den Männern gab er Klugheit.
Allein dem Weine keine.
Was gab man denn? Schönheit.
Die schüzt es wider Schilde,
Und wider alle Schwerdter.
Und beydes Stahl und Feuer
Bezwingt die blosse Schönheit.

[5] [7]III.

Auf Amorn.

Jüngst um Mitternacht, wenn Arktos
Vor Bootens Hand sich drehet,
Und von Arbeit überwältigt,
Alle Welt im Schlafe lieget:
Schlug Kupido mit dem Klopfer
An die Thüre meines Hauses.
Wer, so rief ich, raßelt drausen?
Du verjagst ja meine Träume!
Oefne mir, war Amors Antwort.
Fürchte nichts: ich bin ein Knabe,
Welcher ganz von regen triefet,
Und im Finstern sich verirret.
Dieß bewegte mich zum Mitleid.
Gleich ergriff ich meine Leuchte,
Schloß ihm auf, und sah den Knaben,
Mit dem Bogen, und dem Köcher,
Und den Flügeln auf dem Rükken.
Als ich ihn zum Feur gesetzet,
Wärmt ich seine kalten Finger
[7]
Selbst in meinen hohlen Händen;
Und aus seinen gelben Locken
Drückt' ich ihm das Regenwasser.
Als ihn nun der Frost verlassen,
Sprach er, lasset uns versuchen,
Ob die naßgewordene Sehne
Meines Bogens nicht verdorben!
Darauf spannet er den Bogen,
Und durchbohrt, gleich einer Wespe,
Mir das Herz, recht in der Mitte,
Hüpfte lächelnd in die Höhe,
Sprach, o Wirth, sey mit mir frölich!
Sieh! mein Bogen ist noch schadlos;
Doch dein Herz wird Quaal empfinden.

[8] [24]VIII.

Sein Traum.

Ich schlief, berauscht vom Bacchus,
Des Nachts auf Purpurdecken;
Da deuchte mirs im Traume,
Daß ich mit Schönen spielte;
Und daß ich auf den Zähen
In großer Eile liefe.
Da schimpfeten mich Knaben,
Die schön, wie Bacchus, waren,
Und dieser Schönen wegen,
Mir bittre Reden gaben.
Als ich sie nun zur Strafe
Ein paarmahl küssen wollte,
Entflohn sie mit dem Traume;
Und ich Einsamer wünschte
Von neuem einzuschlafen.

[24] [32]X.

Der wächserne Amor.

Es wollt ein Jüngling Amorn,
Aus Wachs gemacht, verkaufen.
Ich stand bey ihm, und fragte:
Was geb ich für dieß Bildgen?
Er sprach zu mir auf dorisch:
So viel, als dir beliebet.
Doch dir nichts zu verheelen:
Ich bilde nicht aus Wachse.
Allein ich will nicht länger
Bey diesem Amor wohnen,
Der, was er sieht, gelüstet.
So gieb mir um ein Drachma
Den schönen Schlafgesellen.
Du aber, merk es, Amor,
Sollst mich so gleich entzünden;
So nicht? – – im Feuer schmelzen.

[32] [54]XX.

Auf sein Mädgen.

Zum Fels ward Tantals Tochter
Auf Phrygiens Gebürgen;
Und des Pandions Tochter
Ward ehedem zur Schwalbe.
Ich möcht ein Spiegel werden,
Daß du mich stets beschautest;
Zum Kleide möcht ich werden,
Daß du mich immer trügest;
Zum Wasser möcht ich werden,
Daß ich dich baden dürfte.
Zum Flore deiner Brüste,
Zum Kleinod deines Halses,
Zum Schuhe möcht ich werden,
Daß mich dein Fus doch träte.

[54] [68]XXVIII.

Auf sein Mädgen.

Auf! Vortreflichster der Mahler!
Auf! und schildre, Preis der Mahler,
Meister in der Kunst der Rhoder,
Schildre mein entferntes Mädgen,
Wie ich sie beschreiben werde.
Mahle mir vor allen Dingen
Zarte rabenschwarze Haare;
Und, wenn es das Wachs gestattet,
Mahle sie auch lieblich duftend.
Mahle zwischen schwarzen Locken,
Da, wo sich die Wangen schliesen,
Eine Stirn von Helfenbeine.
Laß sich nicht die schwarzen Bogen,
Die sich um die Augen krümmen,
Gänzlich trennen, noch vermischen;
Sondern, wie bey meinem Mädgen,
In einander sanft verlieren.
Ihrer Augen Reiz zu treffen,
Mache sie von regem Feuer,
[68]
Und auch blau, wie Pallas Augen,
Und auch zärtlich, wie Cytherens;
Mische Milch zu jungen Rosen,
Wenn du Nas und Wangen mahlest.
Gib ihr Lippen, wie der Suada,
Die den Mund zum Küssen laden.
Um das sanfte Kinn der Schönen,
Und um ihren Hals, wie Marmor,
Laß die Huldgöttinnen fliegen.
Kleide sie nunmehr in Purpur;
Aber laß vom zarten Busen
Etwas Wenigs unverhüllet,
Das Verhüllte zu verrathen.
Geh izt hin. Ich seh mein Mädgen.
Wirstu, Bild, nicht auch bald reden?

[69] [74]XXIX.

Auf Bathyllen.

Mahle meinen Freund Bathyllen,
Wie ich dich belehren werde.
Glänzend mache mir die Haare;
Mache mir sie schwarz im Grunde,
Und von aussen gleich dem Golde.
Laß sie, als ein Spiel der Winde,
Ungekünstelt, und in Ringen,
Wie sie selber wollen, schweben.
Seine zart und lichte Stirne
Ziere mir mit Augenbraunen,
Die noch schwärzer sind, als Drachen.
Trozig sey sein schwarzes Auge,
Doch mit Heiterkeit vermischet;
Jenes borg ihm vom Gradivus;
Dieses von der schönen Venus;
Daß, wenn jenes Furcht erwecket,
Dieses doch mit Hofnung schmeichelt.
Mache seine zarten Wangen,
[74]
Wo sich junges Milchhaar reget,
Gleich den rosenrothen Aepfeln;
Und so viel dir immer möglich,
Mische holdes Schamroth drunter.
Doch ich weiß nicht, wie, o Mahler,
Du die Lippen machen werdest.
Niedlich, und ein Siz der Suada,
Auch im Schweigen selber redend,
Müssen seine Lippen werden.
Rundgebildet sey sein Antliz;
Und der Hals von Helfenbeine
Gleiche des Adonis Halse.
Gib ihm auch die Brust Merkurens,
Und desselben beede Hände,
Und des Pollux weisse Hüften,
Und den Bauch des schönen Bacchus.
Unter seinen zarten Hüften,
Seinen feuervollen Hüften
Mach ihm eine Scham voll Unschuld,
Die sich schon nach Liebe sehnet.
Deine Kunst ist wohl recht neidisch,
Daß sie seinen schönen Rücken,
Der das Beste ist, verbirget.
[75]
Was beschreib ich erst die Füse?
Sprich, wie viel du Lohn verlangest,
Und zerstöre diesen Phöbus,
Den Bathyll daraus zu machen.
Aus Bathyllen kannstu wieder,
Kommstu einst in Samos Mauern,
Einen schönen Phöbus machen.

[76] [88]XXXII.

Auf seine Mädgens.

Kannstu in allen Wäldern
Der Bäume Blätter zehlen;
Kannstu die Zahl der Körner
Des Sandes am Meere finden;
Dann bistu auch im Stande,
Und du allein, die Menge
der Mädgens, die mich lieben,
Gehörig auszurechen.
Zum ersten setze zwanzig,
Die aus Athen gebürtig;
Hernach noch funfzehn andre.
Dann setze ganze Schaaren
Von Liebsten aus Korinthus,
Das in Achaja lieget;
[88]
Denn da sind schöne Mädgens.
Dann zehle mir die Mädgens
Aus Ionien und Lesbos,
Aus Karien und Rhodus,
Zum wenigsten zwey tausend.
Was! sprichstu, so viel Mädgens!
Die Mädgens aus Kanobus,
Aus Syrien, und Kreta,
Wo Amor in den Städten
Geheime Feste feyert,
Verschwieg ich noch mit Fleiße.
Wie wilstu meine Liebsten
Aus Indien und Baktra
Und die um Kadix zehlen?

[89] [95]XXXIV.

An seine Buhlschaft.

Fleuch nicht, du eckel Mädgen,
Vor meinen grauen Haaren,
Fleuch nicht vor meiner Liebe,
Weil noch auf deinen Wangen
Die frische Jugend blühet!
Schau her, wie ziert es Kränze,
Wo man die weißen Lilgen
Mit Rosen unterflochten.

[95] [123]XLV.

Auf die Pfeile der Liebe.

Cythereens Ehmann schmiedet
Einst in Lemnos Feueressen
Pfeile für die Liebesgötter,
Aus dem allerschönsten Stahle.
Und derselben Spitzen tauchet
Venus in den süssen Honig,
Den ihr Sohn mit Galle mischte.
Da kommt Mars aus einem Treffen;
Schwenket eine schwere Lanze,
Und verlacht den Pfeil des Amors,
Als zu leichte. Da spricht Amor:
Dieser dünkt mich, ist nicht leichte!
Nimm ihn nur! du wirsts erfahren.
Mavors nimmt ihn in die Hände;
Aber Cytherea lächelt;
Und der Kriegsgott seufzt, und saget:
Er ist schwer! – – da! nimm ihn wieder!
[123]
Aber Amor sprach: du hast ihn,
Und du sollst ihn auch behalten!

[124] [126]XLVI.

Auf die Liebe.

Nicht zu lieben, und zu lieben,
Alles beydes ist was hartes;
Aber dieß das allerhärtste:
Ohne Gegengunst zu lieben.
Kein Geschlecht gilt in der Liebe;
Witz und Sitten sind verachtet,
Und man sieht allein auf Reichthum.
O daß der doch sterben müßte,
Der das Geld zuerst geliebet!
Denn darum verläßt man Eltern;
Darum trennt man sich von Brüdern;
Drum entstehen Krieg und Morden;
Und wir Liebende, wir müssen
Seinetwegen gar verderben.

[126] [150]LV.

Auf die, welche lieben.

Es haben auf den Schenkeln
Die Pferde Feuermähler;
Es sind die Parthermänner
An ihren Hüten känntlich.
Ich kenne gleich Verliebte,
So bald ich sie erblicke.
Ihr schmachtend Aug entdecket
Des unverwahrten Herzens
Verborgenstes Geheimnis.

[150] [172]LXII.

Auf Amorn.

Als ich jüngst ein Kränzgen flochte,
Fand ich Amorn in den Rosen.
Schnell erwischt ich ihn am Flügel,
Sties ihn in den Wein, und trank ihn
Mit dem Weine rasch hinunter.
Izt erwecket er mir Armen
In dem Herzen, mit den Flügeln
Einen Kitzel nach dem andern.

[172] [176]LXIV.

An ein Mädgen.

Und was blickstu, thracisch Füllen,
Mich mit schielen Augen an?
Und was fleuchstu mich so trozig
Und vermeynst, ich wisse nichts?
Wisse nur, mit leichter Mühe
Legt ich dir den Zaum ins Maul,
Und ich könnte mit dem Zügel
Dich ums Ziel der Rennbahn drehn.
Itzo weidestu im Grünen,
Wo du flüchtig springst, und spielst,
Weil kein Reuter auf dir sitzet,
Der die Schule recht versteht.

[176] [178]LXV.

An einen Knaben.

Anmuthsvoller Knabe,
Welcher Mädgens gleicht,
Dir, dir lauf ich nach;
Und du willst nicht hören,
Und du willst nicht wissen,
Daß du, als ein Fuhrmann,
Meinen stolzen Geist
Wie am Zügel lenkst.

[178] [188]LXXI.

Venus, die die Göttinnen beherrschet,
Amor, Kraft des sterblichen Geschlechtes
Hochzeitgott, Bewahrer unsers Lebens,
Euch, euch drey besingen meine Lieder,
Amor, dich, dich Hymen, dich Cythere – –
Aber, o beglückter Jüngling, siehe!
Siehe doch nach deiner netten Freundin,
Und erwache, daß sie nicht behende
Wie ein rasches Haselhuhn entfliehe.
Stratokles, du Bräutigam Myrillens,
Siehe doch nach deiner netten Freundin.
Welch ein Schimmer, welche Pracht und Jugend!
Rosen sind der Blumen Königinnen:
Aber sie die Rose aller Mädgen.
O Myrille, freudig wirft die Sonne
Ihre Stralen auf dein blumigt Bette;
Möchte doch ein zart Cypreßenbäumgen
Bald, o bald in deinem Garten wachsen!
[188]

Notes
Entstanden in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt von Johann Nikolaus Götz, Erstdruck: Carlsruhe (Michael Macklot) 1760. Vorbemerkung des Herausgebers Hansjürgen Blinn: Johann Nikolaus Götz überträgt nicht nur Anakreons Oden, sondern auch die sog. »Anakreonteen«, Oden, die nicht von Anakreon stammen, aber ihm zugeschrieben wurden. Seine zeitgebundenen Anmerkungen und Erläuterungen wurden nicht aufgenommen.
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TextGrid Repository (2011). Anakreon. Die Gedichte Anakreons. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DCC3-5