Sommer-Abend

Sommer-Abend. Die riesige Wald-Wiese war wie graugrüner Sammt, hie und da lila changeant von Luzerner Klee. Die Rinden der Föhren wurden weissbräunlich. Dann wurden sie grau, verlöschten. Der Wachtelkönig machte: »wra wra wra wra – – –!« Er führte das Musikstück ungemein fein, emsig und präcise aus. Er kam aus Afrika, stand mitten in der Waldwiese und sang. Der Saturn glänzte über den Föhren.

Zwei Herren und ein Mädchen standen da, sahen die milde schweigende Welt.

»Heute Früh hat uns Polizei niedergeritten – –« sagte das Mädchen, welches die »Genossin Ch.« war.

Und ich habe in der Veranda gelesen: »Die Entwicklung des Templerordens – – – – –« sagte der junge Gelehrte und lächelte über sich selbst.

[160] »Und ich habe Lisabeta einen Stiefel nachgeschmissen – – –« sagte Königsberg.

Stille.

Die Herren und das Mädchen standen da, sahen die milde schweigende Welt.

»Warum thaten Sie es – –?!« sagte die Genossin Charlotte zu Königsberg.

»So – –« sagte er, »hat sie denn Gracie?!«

Charlotte erbleichte, fühlte das Frauenschicksal –.

Der Wind wehte. Die Hügel in der Ferne sagten: »Hinter uns geht es noch weiter – – – – –.« Die Föhren sandten Coniferen – Sprit, die Wiese hauchte Thymian-Athem.

»Wir sollten die Welten-Schönheit repräsentiren« sagte Charlotte; »was das Alles ist, sollten wir Frauen sein, Mensch gewordener Abend-Frieden! Ist es eine Phrase?! Bitte, sagen Sie es mir.«

Die Herren schwiegen.

Der Gelehrte deklamirte: »Nacht ist schon hereingesunken – – –, reiht sich heilig Stern an Stern – – – – –.«

Charlotte sagte leise: »Goethe – –.«

Königsberg stand neben ihr, berührte ihre feine weisse Hand, dieses bewegliche leuchtende Gebilde der Seele, des Geistes – – –.

Da fühlte er wirklich: »the representative beauty of the world – – –!«

Charlotte erbebte. Sie fühlte: »Was sind Wir, die wir dem Manne die ›Welten-Schönheit‹ repräsentiren[161] sollten, wie das Clavier das philharmonische Orchester, die Welt ›Musik‹?!«

Sie sagte: »Was sind Sie eigentlich, Herr K.?! Niemand kennt sich aus in Ihnen.«

K.: »Ich bin ein Sucher, ein Nicht-Finder, einRuhe-Störer, ein Bewegung-Bringer

Charlotte: »Wir sind zu müde für Sie, Herr Albert K., zu arm. Wir erbleichen in Ihrer Gesellschaft, werden bedenklich, halten Einkehr, wozu?! Wie die ›Ideale träumende‹ Natur sind Sie! Etwas Unerbittliches!«

Der Gelehrte: »Jawohl, er brauchte eine Reiche, eine Königin! Eine königliche Seele! Ihre Seele besitze die Welt, indem sie sie empfindet!«

Der Nachtwind wehte und brachte Fichtengeruch.

»Gehen Wir« sagte Charlotte, »es wird kalt und finster – – –.«

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Sommer-Abend. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D8FD-3