Charlotte von Ahlefeld
Marie Müller

1. Kapitel

[1] Erstes Kapitel

Marie Müller war die einzige Tochter eines wohlhabenden Bürgers in L., – sein Stolz und die Freude seines Alters. Ihre Schönheit zeichnete sie früh vor allen Mädchen ihres Standes aus, und ihr Vater sparte nichts, seinen Liebling auch durch eine sorgfältige Erziehung über sie zu erheben. Marie hatte Talente, und liebte ein häusliches Leben. In ihrer Eingezogenheit bildete sich ihr Verstand durch Lesen nützlicher Bücher, und ihre Gefühle wurden durch Nachdenken und Natur verfeinert und veredelt. Sie lernte Klavier, und begleitete ihr Spiel mit einer sanften, melodischen Stimme; jedoch nur im Geheim, um nicht verspottet zu werden, da sie wohl wußte, daß Vorurtheile den unteren Ständen jedes Streben nach höherer Ausbildung untersagen. Fast in allen [1] weiblichen Arbeiten war sie Meisterin, und eine liebenswürdige Bescheidenheit erhöhte den Werth ihrer Talente. Sie übte sie nur, um ihrem Vater Freude zu machen, und ihre einsamen Stunden nützlich und angenehm zu beschäftigen. In einer glücklichen Verborgenheit gingen ihre Tage vorüber; – unbekannt mit der Welt und ihren verführerischen Freuden, hatte sich Marie freilich jenen feinen Ton höherer Stände nicht erworben, der den Geist fesselt, aber in ihrem ganzen Wesen herrschte mit zauberischer Allmacht jene reine Innigkeit der unverdorbenen, und doch gebildeten Natur, die unwiderstehlich zum Herzen dringt.

Als sie achtzehn Jahr alt war, sagte der Vater: Marie! es ist Zeit, daß ich an Deine Versorgung denke. Ich bin alt und schwach, und würde mit schwerem Herzen sterben, wenn ich Dich so allein zurücklassen müßte. Sage mir, hast Du noch auf keinen Mann gesehn, mit dem Du glücklich seyn könntest? Ich will Dich nicht zwingen, nicht einmal überreden, aber wenn Du Den gefunden hast, den Du Deiner Liebe werth hältst, so entdecke Dich mir, und mache meine alten Tage froh durch Dein Zutrauen, und die Freude, Dich nach Deinem Herzen versorgt zu wissen.

[2]Marie schlang ihre Arme um den redlichen Greis, und antwortete mit einer Thräne und einem holden Erröthen: Guter Vater, red' Er nicht so ernsthaft von den Zeiten, wo ich Ihn verlieren werde. Er thut mir zu weh damit. Nicht um nach Seinem Tode, den der Himmel noch lange entfernen möge, einen Schutz zu haben, nein, um Seinem Willen zu gehorchen, will ich Ihm recht aufrichtig sagen, was ich denke. Mein Vetter Ludwig ist brav, und scheint mir gut zu seyn. Ich fühle eine recht herzliche Freundschaft für ihn, und glaube, ich würde ihm einst gern meine Hand geben, wenn ich denn doch einmal heurathen muß.

O Marie! rief der glückliche Alte, Du hast meinen größten Wunsch erfüllt, ohne es zu wissen. Längst wollt' ich Dir ihn vorschlagen, und jetzt kömmst Du mir so freundlich zuvor. Er umarmte seine Tochter mit der ganzen Lebhaftigkeit seiner Freude.

Ludwig war der Sohn seines verstorbenen Bruders, ein offner, redlicher Jüngling, seit seinen Kinderjahren mit Marien erzogen. Die Unbefangenheit jenes fröhlichen Alters knüpfte schon früh das Band der festesten Freundschaft unter ihnen. Er hatte sich den Forstwissenschaften gewidmet. [3] Unverdorben, wie die schöne Natur, in der er immer lebte, war sein Sinn, und innig seine Liebe zu Marien. Sie hatte schon in den Tagen der Kindheit sein junges Herz erfüllt, und war fester und ernster in spätern Jahren geworden. Wenn den wilden, brausenden Knaben nichts zu bändigen vermochte, so gelang es Marien mit ihrer milden, liebkosenden Stimme, die sich sanft und beruhigend in die Tiefen seiner Seele stahl. Ein freundlicher Blick, ein Wort von ihr ging ihm über alles, und lenkte alle seine Handlungen und Wünsche. Auch Marie empfand ein herzliches Wohlwollen für ihn. Leidenschaft war es nicht, die sie zu ihm hinzog, es war Kenntniß seines Innern, Achtung für seinen edeln Karakter, lang gewohnte Vertraulichkeit, und die Unwissenheit ihres unbefangenen Herzens, das die Liebe noch nicht kannte.

Nach ihrer Erklärung säumte Müller nicht lange, den Jüngling von seinem Glück zu unterrichten. Ludwig eilte herbey, und empfing Mariens Geständniß mit Entzücken. O Marie! rief der Freudetrunkne aus, wie reich macht mich Deine Liebe! Wann, wann willst Du mein seyn? –

Sobald noch nicht, versetzte Marie. Du mußt Dich erst noch mehr in der Welt umsehn, damit [4] Dir dann ein ruhiges Leben desto besser behagt. O ich weiß wohl, wie Dirs zu Muth war, wenn wir so Sonntags hinaus an den Fluß gingen, und die Gegend breitete sich weit und fruchtbar vor uns aus; – wie Du dann hinstarrtest, mit unbeweglichen Augen, und mich oft fragtest, schon als wir noch Kinder waren, ob ich mich nicht auch hinüber sehnte über die blauen Berge, wie Du? Oder wenn wir in der Ferne ein Posthorn blasen hörten, wie Dich das ergriff! – Oder wenn ein leichter Reisewagen an uns vorüber rollte – da ward Dirs so eng um die Brust, und Thränen standen Dir oft in den Augen, daß mir's nur selten gelang, mit aller meiner Liebe Deinen finstern Unmuth zu zerstreuen. Geh, sieh Dich noch ein paar Jahre um, und dann – – Ihre Worte verloren sich in einen leisen Seufzer, und eine leichte Röthe flog über ihr Gesicht.

Es ward beschlossen, daß Ludwig einen Prinzen, der ihm vorzüglich wohl wollte, als Jäger noch ein oder zwey Jahr auf seinen Reisen begleiten sollte. Alsdann sollte er mit einem ihm angemessenen Dienst, der ihm versprochen war, die Hand seiner schönen Braut empfangen, eine Aussicht, die das Paradies vor ihm öffnete.

[5] O ihr seligen Träume und Hoffnungen der Liebe, warum erfüllt euch die Wirklichkeit so selten? – Die Zeit der Abreise nahte heran. – Ludwig machte Anstalten, seinem neuen Berufe zu folgen. Lebe wohl, mein Freund! sagte Marie zu ihm in der Stunde des Abschieds. Gedenke meiner in der Entfernung, und kehre gut und brav wieder, wie Du von mir gehst.

Lebe wohl, Marie! antwortete Ludwig mit bebender Stimme, indem er ihr einen Ring von seinen Haaren gab, und große Thränen traten in sein redliches Auge. Darf ich Dir schreiben? – Schreib meinem Vater, Ludwig, versetzte Marie, und neigte sich in seine Umarmung. –

Ewig, ewig bin ich Dein! rief Ludwig, schloß sie fester an sein Herz, und eilte, wohin ihn sein Schicksal rief.

Ernsthaft stand Marie am Fenster, und sah ihm nach. Ihr ganzes Wesen bewegte sich mit Wärme für ihn. Er war so gut, er war so herzlich–nie fühlte sie das inniger als jetzt. Sie sah ihn noch, wie er vor ihr stand, im Schmerz der Trennung verloren, die hellen Thränen, die über die braune Wange flossen, den schüchternen Blick, der auf ihr ruhte, mit stillen Bitten um ihre Treue. Ja, ich werde [6] glücklich mit ihm seyn, rief sie, und ihr Auge hing noch immer an der Stelle, wo er verschwand. Sie setzte sich ans Fenster nieder, und versank in ernste Träumereyen.

Zwar oft, in ihren einsamen Stunden, hatte sich ihre Einbildungskraft ein Ideal entworfen, und diesem glich Ludwig nicht. Mit jeder männlichen Vollkommenheit geschmückt stand ein Bild vor ihrer Seele, dem sie huldigte in stiller Liebe; – aber ach, wo sollte sie den finden, dem es ähnlich war? O wie würde ich ihn lieben, seufzte sie oft, wenn ich ihm begegnete, ihm, der meinem Bilde gleicht! Aber ihre Sehnsucht war umsonst. Er ist nicht auf dieser Erde, sagte sie traurig, und suchte ihr Ideal zu vergessen. Als sich Ludwig mit allem Feuer seiner Leidenschaft um sie bewarb, stellte sie es tiefer in den Hintergrund ihrer Seele, weil sie überzeugt war, es nie zu finden. Seine Güte, so anspruchlos und wahr, sein fester, männlicher Sinn, seine innige Liebe zu ihr, erwarb ihm ihre Dankbarkeit und Freundschaft. Sie duldete seine Zärtlichkeit, wenn sie sie auch noch nicht erwiederte, und sah mit Hoffnung und Ruhe in die Zukunft, die sie verbinden sollte.

Der Vater unterbrach ihre Gedanken, die sich mit fernen Tagen beschäftigten – es war ein Geräusch [7] auf der Straße entstanden – sie hatte es nicht bemerkt. Sieh doch, Marie, sagte er zu ihr, wer mag wohl der Herr seyn, der da an unserm Hause vorüber reitet? Marie öffnete das Fenster, und erblickte einen jungen, schönen Mann, der in einem einfachen Jagdkleide, umgeben von einigen Dienern in reicher Livree, auf einem muthigen Falben vorüber ritt. Eine englische Dogge begleitete ihn mit frohem Gebell; Marie sah gedankenvoll hinab – ein Armer bat um eine Gabe. Der Unbekannte hielt, und mit einer Leutseligkeit im Ton und Blick, die sein Geschenk noch übertraf, warf er mit freundlichen Worten ihm ein Goldstück zu, und sprengte rasch von dannen.

Er schien ohngefähr sechs oder sieben und zwanzig Jahr alt zu seyn, hatte eine schöne Gestalt voll Anstand und Würde, Augen, in denen eine sanfte Schwärmerey mit jugendlichem Feuer sich stritt, Lippen, auf denen der mildeste Ernst mit dem frohen Lächeln der Jugend sich paarte, eine Stirn, stolz und leicht empört, und regelmäßige Züge, durch eine sanfte Melancholie verschönert. Mit wilder Anmuth flogen die seidnen Locken um ihn her, und kühn und gebieterisch wölbten sich die dunkeln Augenbraunen über den ernsthaft lächelnden Blick. – –

[8] Marie ging hinab in den Garten. Sie bewohnten ein schönes Haus in der Vorstadt, dessen Garten eine freie Aussicht auf die lachende Landschaft hatte, die L. umgab. Sonst saß sie gern allein, in dem grünen Dunkel ihrer Lauben, aber heute war es ihr zum ersten Mal zu einsam. Eine ahnende Wehmuth bemeisterte sich ihrer, sie wußte sich ihr Gefühl nicht zu erklären, so sehr sie ihm auch nachhing, und buntverworrene Bilder umgaukelten sie.

Der Anblick des schönen Fremden hatte die Spuren von Ludwigs Abschied halb verlöscht. Wer er wohl seyn mag? fragte sie sich selbst. Doch was kann mir daran liegen, antwortete sie schnell, und setzte sich nieder zu ihrer Arbeit.

Aber es wollte ihr heute nichts gelingen. Mit Unwillen bemerkte sie es. Sie fühlte sich so beklommen, alles schien ihr so öde, daß sie rasch aufsprang, und die Thür öffnete, die auf die Straße ging, um eine ihrer Nachbarinnen um ihre Gesellschaft zu bitten. Aengstlich sprang ihr, als sie heraustrat, die englische Dogge entgegen, die vor kurzem den Unbekannten begleitet hatte. Sie schien sich verlaufen zu haben, und eilte freundlich zu Marien, als wäre sie längst mit ihr bekannt. [9] Marie, deren weiches Herz von einem reichen Wohlwollen für Menschen und Thiere erfüllt war, nahm den Flüchtling gütig auf, und dachte nicht mehr an die Nachbarin. Der Hund trug ein Halsband von blauem Sammet, mit einem goldenen Schloß, dem die Buchstaben C. v. W. zierlich eingegraben waren.

Seh' Er, Vater! rief Marie, da er ihr entgegen kam, seh' Er den Hund des Herrn, der vorhin vorbei ritt. Er muß seine Spur verloren haben. Wir wollen ihn behalten, bis uns die Zeitungen melden, wem er gehört, damit wir ihn dann zurückgeben können.

Der Alte war es zufrieden, und Marie übernahm die Pflege des schönen Thiers, das sehr bald ihre Zuneigung gewahr wurde, und sie erwiederte.

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2. Kapitel

Zweites Kapitel

Es vergingen einige Tage. Marie dachte oft an Ludwig, doch öfter an den Fremden, dessen Bild sich ihrem Herzen tief eingeprägt hatte. Immer erblickte sie ihn vor sich, den Glanz der schönen Augen vom milden Schimmer der Wohlthätigkeit überflossen, und ihre Fantasie malte die schönsten Züge, die sie jemals sah, aus, und grub sie tief in ihre Seele. Endlich trat der Vater mit einem Zeitungsblatt zu ihr. Lies, sagte er, man fordert Deinen Hausgenossen zurück. – Marie ergriff das Blatt, ihr Blick durchlief es flüchtig, bis sie den Namen fand, den sie suchte; – mit einem tiefen Erröthen las sie: Carl Graf von Wodmar. Wehmüthig betrachtete sie den Hund, der ihr so lieb geworden war, und der ruhig zu ihren Füßen schlummerte. Wir sollen uns trennen, sagte sie zu ihm, und neigte sich ihn streichelnd zu ihm herab, [11] und ich hätte Dich so gern immer bey mir behalten. – Was wolltest Du wohl mit dem großen Thiere machen? versetzte der Alte. Nein, wir wollen ihn zurückgeben, und ich kaufe Dir lieber einmal ein Bologneserhündchen, oder ein kleines Windspiel, wie es sich eher für ein Mädchen schickt.

Also ein Graf? sprach Marie zu sich selbst, als sie allein war, und ein tiefer Seufzer schwellte unwillkürlich ihren Busen. – Wie schön ist er nicht! Mich dünkt, ich sah nie einen schönern Mann! Selbst Ludwig, der doch auch wohlgebildet ist, würde mir neben ihm so gemein, so alltäglich vorkommen. – Und wie gut muß er nicht seyn, fuhr sie mit gerührter Stimme fort, denn er war so freundlich, und schien so gern zu geben, als der Arme um ein Almosen bat! Aber was geht es mir an? – Sie wurde unwillig über ihr Selbstgespräch, brach es schnell ab, und lief, ohne zu wissen warum, geschwind zu dem Vater, um ihn zu bitten, daß er doch gleich möchte im Zeitungs-Comtoir bekannt machen, wo der Hund abzuholen sey. Es geschah, und in wenig Stunden darauf klopfte jemand an die Thür. – Marie rief herein, es war der Kammerdiener des Grafen.

Mein Herr dankt Ihnen sehr, hub er an, und wandte sich zum alten Müller, der seine Pfeife Tabak [12] in Ruhe rauchte, daß Sie Sich so gütig seines verirrten Hundes angenommen haben, den er wie seine beiden Augen liebt. Er bittet, Sie möchten diese Kleinigkeit, hier wollte er dem Alten sechs Louisd'or in die Hand drücken, als ein Zeichen seiner Erkenntlichkeit annehmen.

Sie sind Ihren Dank eigentlich meiner Tochter schuldig, antwortete Müller. Ich habe wenig Verdienste um das Thier, denn Marie hat sichs nicht nehmen lassen, dafür zu sorgen. Der Kammerdiener machte eine Verbeugung an Marien, und wollte ihr das Gold überreichen. Ihr holdes Gesicht glühte, – sie fühlte sich in diesem Augenblick beleidigt, und von einer sonderbaren Beschämung durchbebt.

Sagen Sie Ihrem Herrn, sprach sie, daß ich, ohne mich belohnen zu lassen, meine Schuldigkeit thue. Der Hund ist sein, und ich gebe ihn unentgeldlich zurück. Ihr Herr, fuhr sie zögernd fort, scheint von seinem Gelde den besten Gebrauch zu machen, indem er gütig seinen Ueberfluß unter die Armen vertheilt; – bitten Sie ihn, die mir zugedachte Belohnung eben so anzuwenden. Sie liebkosete Pallas, so hieß der Hund, zum Abschied, entfernte sich dann, begleitet von den verwunderungsvollen [13] Blicken des Kammerdieners, der niemals so viel Schönheit und Anmuth beisammen gesehn hatte.

Georg, dies war sein Name, kehrte zum Grafen zurück, und nachdem er ausführliche Rechenschaft von seinem Auftrage abgelegt hatte, ergoß er sich in eine Menge Lobsprüche über Mariens Reize. Der Graf, ein junger Libertin, wurde neugierig, eine Bekanntschaft zu machen, von der Georg ganz begeistert war. Sie hat mein Geld verschmäht, sagte er zu ihm, – meinen Dank wird sie doch annehmen. Morgen will ich einen Augenblick hingehn, und sehn, ob dein Lob nicht übertrieben ist.

Mariens Gemüth, das durch des Grafen Anblick bewegt worden war, fing gerade an diesem Tage an, wieder ruhig zu werden. Sie dachte ernsthaft an Ludwig und an die Zukunft, und eine sanfte Schwermuth bemächtigte sich ihrer, und füllte ihr Auge mit Thränen. Neben den schönen Grafen stellte sie im Geist ihren Ludwig mit seiner treuen Liebe, und so, glaubte sie, würde ihr es leicht werden, den Mann zu vergessen, den sie gleichsam nur im Vorüberfliegen gesehn hatte, und der wie ein Zauberbild aus einer schönen Ideenwelt [14] vor ihrer Seele schwebte. Da hörte sie einen leisen Gang vor ihrer Thür, endlich Pallas wohlbekanntes Bellen; unentschlossen stand sie noch da, als es klopfte; – sie öffnete, und der Graf mit seiner Dogge stand vor ihr. Pallas lief auf sie zu, und bezeugte ihr seine Freude, sie wieder zu sehn; sie neigte sich lächelnd zu ihm, und Wodmar, dessen Erwartung weit übertroffen war, redete sie an. Verzeihen Sie, liebenswürdiges Mädchen! sagte er, daß ich selbst komme, Ihnen den Dank zu überbringen, den ich Ihnen schuldig bin. Er schwieg, aber sein Auge sprach fort. Marie schlug erröthend die ihrigen nieder, eine süße Unruh bewegte ihr Innres: – O gnädiger Herr! stammelte sie leise, und schwieg dann verlegen. Gerade zur rechten Zeit kam der alte Müller, der beym Anblick seines vornehmen Gastes in ein angenehmes Erstaunen gerieth. Der Graf wurde zum Sitzen genöthigt, und Marie erlangte ihr unbefangnes Wesen wieder, als ihr der Vater den Auftrag gab, eine Flasche alten Rheinwein aus dem Keller zu holen, mit welcher er ihn bewirthen wollte. Wodmar folgte ihr mit seinen Blicken, – Marie war schön wie ein Engel. Ihre einfache, aber saubre, bürgerliche Kleidung lieh ihren Reizen nichts, ohne sie allzuneidisch zu verhüllen. Sie war liebenswürdig [15] durch sich selbst, und brauchte keiner fremden Hülfe um zu gefallen. Die holde Sittsamkeit auf ihrer leicht erröthenden Wange, und die kunstlose Anmuth, die ihre Bewegungen schmückte, alles dies gab ihrer Schönheit in seinen Augen doppelten Reiz.

Der Wein öffnet die Herzen; besonders hatte er auf Müllern, der ihn selten zu trinken pflegte, für den Grafen den wohlthätigsten Einfluß. Er wurde lustig und vertraulich. Wodmar besaß die Gabe, sich mit einer Geschmeidigkeit, die man nur in der großen Welt erlernt, in jede Lage zu fügen, und so verschlossen auch Müller gegen jede neue Bekanntschaft war, so offen wurde er bald gegen ihn. Diese abgeglättete Feinheit, die den Mann von Ton karakterisirt, diese Politur, die sich nur im Glanz der Höfe und eines rauschenden Lebens erwerben läßt, und ach! unter welcher oft die schönste Würde des Menschen, die edle Einfalt und Unschuld des Herzens verloren geht, wie gefährlich ist sie nicht dem stillen Biedersinn des redlichen Bürgers, der keine Tiefe ahnet, wo er eine klare, ruhige Fläche sieht.

Marie saß bescheiden in einiger Entfernung den beiden Trinkenden gegenüber. Ihr ganzes [16] Gesicht wurde Glut, als der Vater in seiner gutmüthigen Geschwätzigkeit dem Grafen ihr Verhältniß zu Ludwig entdeckte, unterm Spiegel ihm seinen Schattenriß zeigte, und das Glas mit den Worten: Er soll leben! hoch empor hob, und dann leerte. Das soll er, versetzte der Graf, indem er langsam trank, und einen ernsten, forschenden Blick auf Marien heftete, der dies Gespräch immer peinlicher wurde. Dann stand er auf, ging hin zu dem Schattenriß, und sah ihn an. Marie, die ihn in den letzten Tagen vernachlässigt hatte, putzte den Staub herunter, und mit einer stillen Melancholie in seinen Zügen betrachtete er den glücklichen Bräutigam.

Lieben Sie Ludwig? fragte er leise Marien, auf deren Gesicht er einen verschwiegenen Kummer wahrzunehmen glaubte.

Ich schätze ihn hoch, war ihre Antwort.

Sie schätzen ihn, aber Sie lieben ihn nicht? fuhr er dringender fort. – Ich bin ihm gut, versetzte das erröthende Mädchen. – Reden Sie bestimmt, ich beschwöre Sie bei dem Glück meines Lebens! Lieben Sie Ihren Bräutigam? – – Mariens Auge sank zu Boden; – sie schwieg.

Des Grafen Blicke wurden inniger, eine brennende Röthe flammte auf seinen Wangen, er [17] drückte ihre Hand, und setzte sich wieder zum Alten.

Marien wurde es zu eng im Zimmer. Sie eilte hinaus, und machte sich Vorwürfe über ihr Betragen. Wie thöricht habe ich mich aufgeführt, rief sie aus. Muß nicht der Graf denken, daß mir Ludwig so gleichgültig ist, wie ein Fremder? Warum sagt' ich denn nicht, daß ich ihn liebe? – und liebe ich ihn etwa nicht, fuhr sie nach einer Pause fort, – hat ihm nicht seine Gefälligkeit, seine Treue, seine Liebe für mich die meinige erworben? – Sie dachte nach über ihre Gefühle, und sie wurden ihr klarer. Mit tiefem, edlem Unwillen über sich selbst erblickte sie Ludwigs Bild in ihrem Herzen von des Grafen Liebenswürdigkeit ganz in Schatten gestellt. Sie wurde bestürzt über Empfindungen, die sie für Sünde hielt. Ich war auf dem Wege mich zu verirren, sagte sie, und holte aus ihrem Schmuckkästchen Ludwigs Ring, den sie an ihren Finger steckte, und zärtlich betrachtete. Vergieb mir, Ludwig! Dieser Ring, das Andenken Deiner Liebe soll mich erinnern was ich Dir schuldig bin, und mir selbst, wenn eine unselige Schwäche es mir vergessen lassen sollte. Bei diesen Worten trocknete sie ihr Auge, das eine unwillkührliche Thräne benetzte, und ging wieder zu [18] ihrem Vater, welcher allein war. Der Graf hatte so viel Vergnügen an seinem Umgange gefunden, daß er mit dem Versprechen gegangen war, öfter wieder zu kommen.

Es macht uns nicht immer glücklich, wenn es uns klar ist, was wir fühlen. Mariens Nachdenken über sich selbst führte die erste dunkle Stunde ihres Lebens herbei. Ihre Lage erschien ihr jetzt in einem ganz andern Lichte, wie ehemals. Wo sie zu lieben glaubte, fand sie nur Freundschaft, und ihr Wohlgefallen an dem Grafen führte sie zu aufkeimender Liebe. Noch immer erblickte sie ihn neben sich, als er, Ludwigs Schattenriß in der Hand, mit einem festen, ausdrucksvollen Blick sie ansah, als wollte er in ihrem Herzen lesen. Immer kehrte die süße Beklemmung wieder, die bei seinem Händedruck ihr Wesen mit einem wonnevollen Schauder durchdrang. Immer rief sie sich die Melodie seiner Stimme, die Zauberkraft seines Anblicks, die rührende Schwermuth zurück, die seine Züge bewölkte, und suchte dann das Bild wieder zu verlöschen, mit dem sie sich so gern beschäftigte. Die reichen Fräulein sind doch glücklich, dachte sie oft, wenn sie allein war, und Er ihre Gedanken belebte. Sie dürfen ihn anhören, wenn [19] er von Liebe spricht, sie dürfen hoffen! Aber ich – – – ich murre nicht über meinen niedern Stand, – ich murre nicht über mein Schicksal, ich bin ja Ludwigs Verlobte. Er wird mich glücklich machen, meine Wünsche sind Träume, – ich will sie vergessen. Sie bemühte sich, es zu thun, es kostete ihr Seufzer, und oft auch heimliche Thränen, und Wodmars Bild grub sich dennoch mit unauslöschbaren Zügen in ihr Herz.

Drey Tage waren vergangen seit seinem Besuche. Er wird nicht wiederkommen, sagte sie traurig zu ihrem Vater. Wer, mein Kind? antwortete Müller. Sie schwieg, lächelte schmerzlich, und setzte sich zum Klavier, um durch Musik die dumpfe Traurigkeit, die ihre Seele umlagerte, in milde Wehmuth aufzulösen. Der Vater ging seinen Geschäften nach, und ließ sie allein mit ihrer Schwermuth, die er Ludwigs Abwesenheit zuschrieb. Da flog die Thür auf, sie sah sich um, und Todtenblässe wechselte schnell in ihrem Gesicht mit dem hohen Roth der Freude, die ihren schönen Augen doppelten Glanz gab, als sie den Grafen mit einem schmeichelhaften Erstaunen, sie am Klavier zu finden, vor sich stehn, und ihre Hände mit Innigkeit fassen sah.

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3. Kapitel

Drittes Kapitel

Sie scheinen verwundert, mich wieder zu sehn, sagte er mit einem unaussprechlich süßen Ton, der tief in ihr Herz drang; darf ich hoffen, Ihnen willkommen zu seyn? – Willkommen sind Sie wohl überall, versetzte Marie, und sah verlegen zur Erde. Als sie zu viel gesagt zu haben fühlte, fuhr sie fort: Darf ich fragen, was uns die Ehre Ihres Besuchs verschafft?

Der Wunsch, näher mit Ihnen bekannt zu seyn, holde Marie, antwortete der Graf, und sah ihr bittend ins Auge. Sehr neu ist unsre Bekanntschaft, aber warm und innig der Antheil, den ich an Ihnen nehme. Sie sind liebeswürdig, Marie! das fühl' ich, und ich sage immer was ich fühle; – nehmen Sie mein Geständniß mit Güte auf. – Die himmlische Einfalt, die Reinheit, die [21] Weiblichkeit Ihres Wesens hat mich bezaubert, und mir eine Achtung für Sie eingeflößt, die ich noch für sehr wenig Mädchen empfunden habe. Mein Schicksal bestimmt mich, im Geräusch der großen Welt zu leben; aber ich habe in ihrem Getümmel nicht den Sinn für höhere, obwohl stillere Freuden verloren, die allein beglücken. Darf ich Ansprüche auf Ihre Freundschaft machen, Marie? Sie schmücken den Stand, zu dem Sie gehören, und über den ich sonst gleichgültig hinweg sah, Sie machen mir ihn werth. – Darf ich, ermüdet vom seelenlosen Einerlei des Hofes und meines geräuschvollen Lebens, zuweilen eine Stunde der Erholung an Ihrer Seite damit zubringen, daß ich Sie bewundre, und die Verhältnisse beklage, die mich von Ihnen trennen?

Marie fühlte sich von seiner Rede heftig ergriffen. O Herr Graf, sagte sie, und zog leise ihre Hand aus der seinigen; was kann Ihnen an der Freundschaft eines armen, unbedeutenden Mädchens liegen? –

Viel, alles! versetzte Wodmar mit Feuer. Unbeschreiblich ist der Eindruck, den Sie auf mich gemacht haben, ewig wird seine Dauer seyn. Lassen Sie uns aufrichtig mit einander reden, [22] Marie, und beantworten Sie muthig meine Frage: sind die Bande, die Sie an Ludwig knüpfen, unauflöslich? – Marie schwieg und weinte. Ist es keine Möglichkeit, fuhr er fort, eine Verbindung wieder zu zerreißen, die, wie ich an Ihren Thränen sehe, Sie nicht glücklich machen würde?

Marie ermannte sich. Gnädiger Herr, nahm sie das Wort, ich bin Ludwigs Braut. Freiwillig hab' ich ihn gewählt, und er verdient das Zutrauen, mit dem ich von ihm das Glück meines Lebens erwartete. Diese Thränen – o Herr Graf, verkennen Sie mich nicht, wenn ich gestehe, was ich vielleicht ewig verschweigen sollte – diese Thränen fließen nicht aus Reue, weil ich Ludwig meine Hand versprach; – sie fließen, weil ich fühle, daß ich ihn glücklicher gemacht haben würde, wenn ich Sie nie gesehen hätte.

Wodmar umschlang sie mit Entzücken. Ist es möglich, rief er, indem er sie fest an seine Brust drückte, ist es möglich, was ich kaum zu hoffen ahnete, daß ich meiner Marie nicht gleichgültig bin? – Marie, mit fortgerissen durch den Sturm seiner Leidenschaft, barg ihr Gesicht an seinen Busen, und antwortete nur durch Thränen. – So hab' ich denn endlich gefunden, was Jahrelang [23] meine heiße Sehnsucht vergebens sucht, Liebe in einem reinen, unverwahrloseten Herzen! Sein dankender Blick hob sich zum Himmel, und Marie entwand sich seinen Armen, um aufs neue in sie zurück zu kehren.

Ja, rief sie endlich, und ihre Wangen glühten höher vom Morgenroth der Liebe, ja ich liebe Sie, aber ichwill meine Neigung beherrschen, denn sie ist ein Verbrechen.

Wie schwach ist ein Herz, zum ersten Mal von der heiligen Flamme der Liebe durchlodert, wie schwach ist es, sie zu löschen! Mariens Vorsatz war ernst, aber die Umarmungen des Geliebten erstickten ihn, und sie überließ sich einem nie gefühlten Entzücken. Eine neue Welt lag vor ihr, geschmückt mit allen Farben des Lichts, und breitete eine rosenfarbne lächelnde Zukunft vor ihr aus. Ihr war, als fühlte sie jetzt erst den ganzen Werth ihres unbemerkten Lebens, jetzt, da die Liebe sie in den schönen Schatten ihrer Myrthen nahm.

Eine selige Stunde war vorüber, – die Liebenden mußten sich trennen. Lebe wohl, Geliebter! hieß es beim Abschied; lebe wohl, Marie! antwortete der Graf, und tausend Küsse besiegelten [24] den Bund ihrer Liebe. Endlich riß er sich aus den liebkosenden Armen, getröstet und beruhigt durch das Versprechen, das er mit zärtlicher Gewalt ihr abgedrungen hatte, den andern Abend mit Aufgang des Mondes sie allein in ihrem Garten zu sehn.

Als er fort war, als sie ihn nicht mehr vor sich sah, – als nach und nach die Stimme der Vernunft den Sirenengesang der Leidenschaft übertäubte; – da sank der Schleier von dem Abgrund, zum dem die Liebe sie hingeführt hatte.

Ach, ich bin verloren! rief sie aus: – der goldne Frieden meines Gemüths, alle Freuden meines Lebens sind hin, denn nie wird er mein seyn. Sein Stand, sein Reichthum trennen ihn von mir auf ewig.

Der größte Theil der Nacht ging schlaflos an ihr vorüber. Endlich wiegten sie süße Bilder der Liebe in Vergessenheit ihres Kummers, und in Träume, aus denen sie fröhlich erwachte. Der erste Morgenstrahl fand ihr Auge schon offen. Sie ging in den Garten, an dessen Ende ein kleines Gartenhaus hinab auf den Fluß und die fruchtbare Gegend blickte. Sie stieg hin auf; – mild und erfrischend wehte sie die Morgenluft an, und [25] mischte sich mit ihren Seufzern. Er ist Dein! schien ihr jetzt die ganze Natur in ihrem jugendlichen Schmucke zururufen; er ist Dein, las sie im Blau des unbewölkten Himmels; er ist Dein, sangen ihr die Vögel in ihrem Morgengesang. Da fiel ihr fröhlicher Blick auf den Ring an ihrem Finger, und eine Thräne stieg in das heitre Auge, das jetzt nur Paradiese um sich her sah. Sie nahm ihn herunter: – vergieb mir, Ludwig! sagte sie, und breitete ihre Arme nach der Ferne aus, vergieb, daß ich Dich täuschte. Ich kannte die Liebe noch nicht, als ich mich Dir verlobte. Kannst Du zürnen, wenn ich der süßen Stimme folge, die mich von Deinem Herzen hinweg ruft? O Karl, setzte sie hinzu mit der hohen Schwärmerey der ersten Liebe, in der Seele, wo Du wohnst, ist kein Raum für einen andern! – Sie sprachs, und warf den Ring in den Fluß, der in stolzen Wogen zu ihren Füßen dahin wallte.

Als die Sonne höher herauf kam, ward es ihr enger um die Brust. Karls Bild schwebte unablässig vor ihren Augen, aber Wehmuth und Ahnungen beklemmten ihr Herz. Die Einsamkeit, die sie umgab, begünstigte ihr schwermüthiges Nachdenken über Empfindungen, die ihr wohl und [26] wehe thaten. Bald hing sie mit stillem Trauern, bald mit allem Feuer der Hoffnung an dem Andenken des Einzigen, und mit jedem Augenblick, der ihr die Stunde des Wiedersehns näher brachte, wechselte Schmerz und Freude in ihrer Seele.

Auch dem Grafen war es sonderbar zu Muth. Mariens Schönheit, ihr offnes, unverstelltes Gemüth, von der heftigsten Leidenschaft bewegt, ihre gutmüthige, kunstlose Einfalt, alles dies hatte einen um so tiefern Eindruck auf sein Herz gemacht, je seltner er diesen liebenswürdigen Eigenschaften noch begegnet war. Er besaß ein lebhaftes Gefühl. Ein Himmel voll Fröhlichkeit stritt sich in ihm mit dem unaufhörlichen Toben unbefriedigter Wünsche, und gab seiner Bildung jenes innig zusammen geschmolzene Gemisch von Wehmuth und Freude, das schöne Menschen doppelt verschönert. Mitten in dem Glanz seiner Ansprüche, mitten in dem lauten, rauschenden Leben, in das er verflochten war, hob oft eine Sehnsucht seine Brust, die nichts zu stillen vermochte. Natur, Schönheit und Liebe war das Ideal seiner Träume, aber noch nirgends hatte er es realisirt gefunden, als jetzt durch Marien, die die Bilder seiner kühnsten Hoffnung erfüllte.

[27] Er war aus einer großen Familie, und einst der Erbe eines unermeßlichen Vermögens. Die Erwartungen, zu denen er sich berechtigt sah, gaben ihm einen Stolz, der sich mehr auf die äußern Zufälle des Glücks, als auf innern Werth gründete. Seine Leidenschaften waren heftig und noch in ihrem ersten Brausen: um sie zu befriedigen, opferte er ihnen alles auf. Wenn sie schwiegen, war sein Herz weich und edel, und nicht selten voll Reue über vergangene Ausschweifungen. Leider wurden aber immer schnell alle seine guten Vorsätze durch neue Vergehungen vergessen, denen er sich hingab. Sein Vater, der den Glanz seines Hauses liebte, hatte ihn mit Josephinen, Gräfin von der Ecke, verlobt, welche Ansprüche auf eine solche Verbindung machen konnte. Josephine gehörte ebenfalls einem der ersten Häuser an, eine halbe Million war ihre Mitgift, und ihr Geist und ihre Schönheit hob sie über alle jungen Damen von Stande. Wodmar kannte sie nicht, aber er hing fest an dem Grundsatz, daß nur Rang und Vermögen die Ehen schließen müsse, und nicht die Liebe, die er sich unmöglich mit Fesseln denken konnte. Eine Verbindung mit Josephinen schmeichelte seinem Ehrgeiz, und schien ihm sein Verhältniß zu Marien nicht zu stören. Josephine bekam [28] seine Hand, Marie hatte sein Herz; – Josephine führte seinen Namen, – Marien beglückte seine Liebe. Oeffentlich wollte er der Gemahl der einen, und in der Stille, gesichert durch die süßeste Verborgenheit, der Geliebte der andern seyn: – ein Plan, dem nichts im Wege stand, als Mariens Tugend.

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4. Kapitel

Viertes Kapitel

Der Abend dämmerte heran, – mit lautem Herzensschlag begrüßte Marie die sinkende Dunkelheit. Bleibe doch noch, mein Kind! sagte der Vater, als sie nach dem Abendessen ihm gute Nacht wünschte. Mir ist nicht wohl und ich bin müde, lieber Vater, antwortete sie und wurde roth. Es war ihre erste Lüge: – die erste Liebe ist gemeiniglich mit der ersten Lüge verbunden.

Als sie die Treppe zum Garten herab ging, zitterte sie in süßer Erwartung. Sie hielt sich an das Geländer, das der blühende Jelängerjelieber umduftete, und gab sich wonnevollen Ahnungen hin, in die ein leiser Schmerz sich mischte. Da trat die blinkende Scheibe des Mondes hinter den Bergen hervor, und erhellte mit magischem Zauber die dämmernde Gegend. O Marie! es war nicht allein die Nähe des Wiedersehns, die mit einem [30] ängstlichen Schauer Deine Seele erfüllte, als Du bebend da standst, bestrahlt von seinem Golde; es war Dein Schutzgeist, der dich warnte. Ach, an die selige Stunde, der Du entgegen sahst, knüpfte sich das Glück Deines einsamen Lebens, und floh mit ihr auf leichtem Fittig vorüber. Noch wäre es Zeit gewesen, eine Leidenschaft zu ersticken, die Dich so unglücklich machte; aber umsonst! Der Wurf war gefallen, im Buche des Schicksals stand Dein Elend, und eine unwiderstehliche Allmacht riß Dich hin ins Verderben.

Sie schloß die Thür auf, und sah die lange, einsame Straße hinab. Alles war leer und öde, nur in den dunkeln Büschen ihres Gartens klagte eine liebeflötende Nachtigall; endlich schwebte eine weiße Gestalt herauf – er war's, er flog in die Thür, warf den Mantel ab, und lag in den Armen des harrenden Mädchens, die ihn mit schweigender Inbrunst, mit stummen Entzücken empfing.

Ihr Glück und ihre Seligkeit war unbeschreiblich. Umschlossen von des Geliebten Armen, alle ihre Sorgen und Schmerzen eingewiegt durch die Schwüre ewiger Liebe, durch die Betheuerungen unwandelbarer Treue, sah sie den Himmel offen, den Liebe nur auf Erden gewährt. Die Hälfte [31] der Nacht war vorüber. Die feierliche Stille um sie her, nur dann und wann von Philomelens zärtlicher Klage süß unterbrochen, Mariens Nähe, ihre Schönheit, die der Mondschein bis zur Verklärung erhob, ihre glühende Liebe, ihre Unschuld, – alles dies bestürmte des Grafen pochendes Herz, von wilden Wünschen, von brennenden Begierden durchschauert. Er drückte sie heftiger an sich, Marie ahnete nichts. Sorglos überließ sie sich seinen Liebkosungen, und erwiederte sie mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit. Diese Stunde hatte ihr Herz auf ewig an das seine geknüpft.

Marie! rief Wodmar mit allem Zauber seiner schmelzenden Stimme, liebste, theuerste Marie! Du wirst mein, und nur der Tod soll mich von Dir trennen. Marie, freudig überrascht, in ihren Hoffnungen und Wünschen, die bis jetzt schwiegen, übertroffen, schmiegte sich unter süßen Thränen fester an des Geliebten stürmende Brust. Karl, stammelte sie leise, im Uebermaß der Liebe und Wonne, ich Dein, Dein auf ewig! und ihre süßen Umarmungen umstrickten ihn enger.

Wodmar kam zu sich, und erröthete. So verdachtlos traut sie Deinem Worte, sagt' er zu sich selbst, und du wolltest sie betrügen? – Ein edler [32] Unwille flammte in seinen Augen. Ein Blick auf Marien rief schnell die unheiligen Bilder zurück, mit denen seine entweihte, gereizte Fantasie ihn umgab, aber er erstickte sie, indem er reinern Gedanken Raum in seiner Seele gab. Nein, ich will ihr Zutrauen nicht mißbrauchen, war endlich das Resultat seines Kampfes mit sich selbst, ich will nicht das schöne, frohe Auge zu bittern Thränen verdammen. Sie soll mein werden, aber freiwillig, durch einen Bund, den, wenn auch kein Priester seinen Segen darüber sprach, dennoch unsre Seelen ehren werden, – nicht jetzt durch die Gewalt, die mir ihre unbefangne Unschuld, ihr wallendes Gefühl über sie giebt. Lebe wohl, Marie! rief er, indem er aufsprang, um seinem Entschluß treu zu bleiben, lebe wohl, ich muß fort!

Schon fort? seufzte Marie, und er unterbrach ihre Klage mit dem süßen Versprechen, ihr morgen zu schreiben. Der Gedanke ergriff sie mit Feuer, auch in der Abwesenheit von ihm, und durch ihn zu hören. Lebe wohl, rief sie ihm nach, lebe wohl, flüsterte sie noch in die Winde, als er schon fort war, und eilte auf ihr Lager, um von ihm zu träumen.

Am andern Morgen begrüßte ein Brief von Wodmar sie bei ihrem Erwachen. Mit Entzücken [33] betrachtete Marie die Züge der geliebten Hand, mit stillen Seufzern sein großes, gräfliches Wappen. Ihr Siegel war ein bescheidner Vergißmeinnichtkranz mit ihrem Namen; das seinige bekrönt, und mit allem Prunk seines Standes geschmückt. Es erinnerte sie an den Unterschied zwischen ihnen, den sie so gern vergaß, und verminderte die Freude, mit der sie es erbrach. Aber als sie ihn gelesen hatte, – mit bleichem Erstarren sank sie auf einen Stuhl, das Blatt flog auf die Erde, und ihr Blick hob sich mit allem Schmerz vernichteter Hoffnung zum Himmel. Kann wahre Liebe dies wollen? rief sie heftig, und verlor sich in die Qualen ihrer betrognen Erwartung.

»Noch fühl' ich die Glut Deiner Küsse, schrieb er, auf meiner brennenden Wange. Noch bin ich berauscht von dem süßen Nektar Deiner holden Umarmungen, und meine Liebe zu Dir ist bis zu der Ueberzeugung gestiegen, daß ich ohne Dich nicht leben kann. Marie! holder, liebevoller Engel! ich muß, ich will Dich besitzen!

»Mein Verhängniß bestimmte mich für Glanz und Geräusch, ich muß der Konvenienz folgen. Meinem Herzen aber gnügt nicht der laute Schall betäubender Freuden, nur Deine Liebe und Dein [34] stiller Besitz können es befriedigen. Opfre mir die Vorurtheile, die man Tugend nennt; entschließe Dich, ganz für mich zu leben, so wie auch ich, selbst als der Gemahl einer andern, nur für Dich und Dein Glück die ganze Fülle meines Daseyns anwenden will. Was ist jene Tugend, der wir in scheuer Demuth huldigen, weil man die Unwissenheit unsrer früheren Jugend benutzte, uns eine unverdiente Ehrfurcht für sie einzuprägen? – Wie ein Gespenst der Mitternacht tritt sie zwischen uns und das winkende Vergnügen, und vergiftet die Schale des seligsten Genusses, ehe sie noch die durstende Lippe berührt. Nein, die wahre Tugend, Marie, ist jene Gefälligkeit, die Glück und Freude verbreitet, jene Treue, jene Liebe, die einem Einzigen alles aufopfert was ihr heilig war, jenes Hingeben, nicht aus Pflicht, sondern aus Zärtlichkeit. Man heirathet, wie die konventionellen Verhältnisse, von denen man abhängt, es wollen: – Stolz und Eigennutz knüpfen das Band der Ehe in der großen Welt. Man liebt, um seinem Herzen genug zu thun, um im Stillen Ersatz für die Aufopferungen zu finden, die man gezwungen ist, dem unumstößlichen Schicksal zu bringen. Die Verborgenheit ist der schöne, zauberische Schleyer, der die Liebe umweht und verschönert, [35] wie das Rosengewölk des Morgens die aufgehende Sonne. Die Freiheit belebt ihre Wangen mit himmlischem Lächeln, und setzt ihr den Kranz auf, den Zwang und Pflicht nur mürrisch zerpflücken. Ich bete die Liebe an, aber ich hasse die Ehe, die ihr Grab ist. Nie wird das Weib, das einst meinen Namen führt, zu gleicher Zeit mein Herz besitzen. Es wird ewig für Dich allein und mit festerer Treue schlagen, als wenn die nichtige Ceremonie vor dem Altar sie Dir verpflichtete.

»Laß mich aufrichtig mit Dir reden, Mädchen meines Herzens! Ich kann Dich nicht heirathen. Dein Stand, über den Dich zwar Deine Seele, aber leider nicht das Vorurtheil erhebt, und tausenderlei Rücksichten trennen mich von Dir für die Welt; aber im Stillen will ich Dein seyn. Entschließe Dich, mir die Bedenklichkeiten aufzuopfern, die Deine schüchterne Unschuld vielleicht meinen Wünschen entgegenstemmt. Einsam liegt in einer ruhigen, vom Geräusch abgesonderten Gegend eins meiner Güter, welches Dein seyn soll. Fern von Neid und Schmähsucht, die unsre Freuden tadeln würden, will ich, wenn ich mich heraus stehlen kann aus dem abgeschmackten Lärm meines lästigen Lebens, an Deinem Busen mein Paradies, in [36] Deinen Armen meinen Himmel finden, und kurze, Augenblicke, die mir bei Dir entfliehen, werden mich für ganze Monate des Zwangs und der Langenweile entschädigen.

»Dein Vater kann Dich begleiten, oder wenn er nicht einwilligt, so bringe der Liebe auch dies Opfer, und fliehe mit mir, mit Deinem Karl, dem Dein Vertrauen heilig ist, der Dir schwört, es mit der treuesten Zärtlichkeit zu vergelten. Rede mit Deinem Vater, Marie! und verlaß Dich auf das feierliche Versprechen, das ich Dir gebe, Dich glücklich zu machen, so wahr ich Dich liebe. Mit Sehnsucht erwarte ich eine Zeile von Deiner Hand, die mein Glück bestätigt.«

Als Marie noch einmal diesen Brief gelesen hatte, der ihr Herz und ihren Stolz zerriß, war ihr Entschluß gefaßt. Sie war der Feder ungewohnt, und hatte deshalb Ludwig ihren Briefwechsel abgeschlagen, aber ihr gemißhandeltes Gefühl half ihr jede Schwierigkeit überwinden, und sie antwortete:

»Herr Graf! der entehrende Antrag, den Sie mir thun, heilt mich schnell von der hohen Meinung, die ich von Ihnen hatte. Ich habe Sie [37] sehr geliebt, und schäme mich nicht, es Ihnen zum letzten Mal zu bekennen. Aber die Grundsätze, die mir mein Vater früh einflößte, sind stärker, als meine Leidenschaft, und werden mir Kraft geben, Ihren Verlust zu ertragen. Ich hatte, als ich Sie kennen lernte, ein leichtes, frohes Herz, und einen unbefleckten Ruf. Wenn auch das erste dahin ist, so will ich mir doch die Reinheit meines Bewußtseyns, und die gute Meinung der Welt erhalten, gegen die ich nicht gleichgültig bin. Wären Sie ein Mann meines Standes, – auf den Knieen hätte ich mir Sie, nur Sie vom Himmel erbeten. Aber der Unterschied, den das Glück zwischen uns gemacht hat, an den Sie mich so grausam erinnern, erlaubt mir keinen andern Gedanken, als den: daß Sie nicht für mich geboren waren. Lassen Sie uns einander niemals wieder sehn! – In dem engen Kreis meines häuslichen Lebens eingeschränkt, wird es mir zwar schwer werden, Ihr Bild, das meine ganze Seele beherrschte, zu verbannen, aber mein Selbstgefühl, das mich nicht sinken ließ, wird mich unterstützen und mir Muth geben, fest in meinem Entschluß zu seyn. Hoffen Sie nicht, ihn jemals wankend zu machen, und leben Sie glücklich, ob Sie gleich die Ruhe meines heitern Gemüths vielleicht auf [38] ewig unterbrachen. Ich will für Sie beten, daß Gott Ihre falschen Begriffe von Tugend reinigen, und Sie so glücklich machen möge, als man nur seyn kann. Mich sehn Sie niemals wieder.«

[39]

5. Kapitel

Fünftes Kapitel

Als sie diesen Brief geschrieben hatte, trug sie ihn zum Vater, gestand ihm alles, weinte an seinem Halse, und empfing seine Vergebung und seinen Beifall. Nie liebte wohl ein Vater sein Kind inniger! Er glaubte nun, sie würde in Thränen zerfließen, aber als die ersten vorüber waren, wurde der Schmerz, sich nicht allein in ihren süßesten Hoffnungen, sondern auch in dem Karakter des Geliebten getäuscht zu sehen, still und ernst. Sie suchte der Melancholie zu entfliehn, aber sie folgte ihr, wie ihr Schatten. Man sah ihr Auge trocken, und nur wenn sie aus ihrer Kammer kam, verrieth eine kleine Röthe, daß es sich in der Einsamkeit ergossen hatte. In ihren sonst so heitern Blicken wohnte jetzt jene rührende Freundlichkeit, die mit Thränen kämpft, und das feinere, durch stille Duldung umschleierte Gefühl karakterisirt, das [40] schweigend seinen Kummer trägt, und ihn der Welt schonend verbergen möchte.

Um diese Zeit kam Ludwigs erster Brief an den Alten. Er athmete Herzlichkeit, Sehnsucht und Liebe. Marie las ihn, und ihr Gesicht von Schwermuth umwölkt, wurde ernster, als sie ihn zurückgab. Was denkst Du, Marie? fragte Müller. – Daß ich ihn nicht betrügen will, antwortete sie. Ludwig verdient ein freies, ganzes Herz, ein Herz noch nicht von Gram zerrissen, noch nicht von fremder Liebe erfüllt. – Wie, meine Tochter! Du könntest den Mann noch lieben, der Dich so tief herabwürdigen wollte? – Mit Unwillen, sogar mit Verachtung wende ich mich von seinem entehrenden Antrag hinweg, versetzte Marie, aber ihn selbst – ach mein Vater, ihn liebe ich noch immer mit aller Innigkeit, deren ich fähig bin. Die Welt hat seine Sitten verdorben, aber es ist nur ein vorübergehender Taumel, ein Schlaf seiner bessern Ueberzeugung, aus dem er gewiß erwachen wird.

Vielleicht gelingt es einem edlen Mädchen seines Standes, ihn den rechten Weg liebevoll und sanft zu führen, von dem er abweichen wollte. Wenn er dann recht glücklich ist, fuhr sie fort, und senkte ihr thränenschweres Auge zur Erde, o dann [41] will ich ihm gern verzeihen, daß er diese tiefe Wunde meinem Herzen schlug. Und Du willst Ludwigs Hoffnungen, die auch die meinigen sind, durch eine romanhafte Grille vernichten? sagte der Vater.

Ludwig würde mit mir nicht glücklich seyn, erwiederte Marie. O erlaub' Er mir, guter Vater, einsam mein trübes Leben zu enden. Still und eingezogen will ich meinen Frühling dahin fliehn sehn, Sein Alter erheitern, und alle die Pflichten erfüllen, die Gott und mein Gewissen mir auflegen. Aber heirathen will ich nie! – Brauche ich einst, wenn ich so unglücklich seyn sollte, Ihn zu verlieren, männlichen Rath und männliche Hülfe, so wird sie mir Ludwigs Freundschaft nicht verweigern. – Sie umschloß den Vater mit heißen Thränen, sie bat, sie flehte so süß um ihre Freiheit, daß der gütige Alte ihr das feierliche Versprechen gab, sie niemals zu zwingen.

Wodmar war von Mariens entschlossener Antwort überrascht worden. Er hatte ihrem zartfühlenden Herzen die feinsten Empfindungen für Ehre und Tugend zugetraut, aber bei dieser glühenden Liebe für ihn zweifelte er an ihrer Beharrlichkeit. Ein Blick, ein Kuß, ein Wort, dachte er, würde sie überreden: aber er hatte sich betrogen. Er kam [42] täglich in ihr Haus, aber die alte Magd hatte den bestimmten Auftrag, ihn abzuweisen. Er schrieb mit alle der feurigen Beredsamkeit, mit der das Laster seine Wünsche vertheidigt; – Marie sandte ihm seine Briefe unerbrochen zurück. Er wandte sich an eine ihrer Nachbarinnen, und sparte weder Geld noch Schmeichelei, um durch ihre Vermittelung Marien wenigstens zu sehn, und sie mit sich auszusöhnen; aber das edle, beleidigte Mädchen vermied jede ihrer Schwachheit gelegte Schlinge, und war immer dem Auge ihres Verführers unsichtbar.

Mit jeder neuen, vergeblichen Mühe machte der Unmuth, sie umsonst angewendet zu haben, des Grafen brennende Begierde nach Mariens Anblick lauer. Es ist ein überspanntes Geschöpf, sagte er mißvergnügt zu sich selbst, das geheirathet, aber nicht geliebt seyn wollte; eine Tugendheldin, wie man sie in Romanen findet, weiter nichts. – Aber Mariens Bild, mit der ganzen Harmonie ihrer Reize, das ihm die Erinnerung so oft zurück rief, stellte sich dann immer seinem Unwillen gegenüber, und besiegte ihn schneller, als er wünschte. Er fühlte eine Leere in seiner Brust, die ihm jede Freude verbitterte, und alle seine ehemalige gute Laune verdarb. Vergebens suchte [43] ihn Georg durch neue Bekanntschaften zu erheitern, – vergebens ihn zu gewaltsamen Mitteln, sogar zu einer Entführung zu bewegen. Die Stimme seines Edelmuths unterdrückte die Stimme seiner glühenden Wünsche, und er sagte mit fester Entschlossenheit: Nein! wenn sie nur in ihrer eingebildeten Tugend das höchste, einzige Glück findet, dessen sie fähig ist, warum soll ich es ihr entreißen? Wer giebt mir das Recht, es zu thun? Ach, ich hätte meine Welt in Deiner Liebe gefunden, setzte er voll Wehmuth, mit allem Schmerz unbefriedigter Liebe hinzu, und Du wolltest mir Deine Grillen nicht opfern? Behalte sie denn, und sey glücklich, ich will Dich vergessen! – Er seufzte, und mit jedem neuen Seufzer goß seine immer mehr und mehr besänftigte Fantasie stillere Ruhe und Ergebung in seine Seele.

»Komm, lerne Deine Braut kennen, schrieb ihm sein Vater aus der Residenz, sie verläßt in diesen Tagen die Pension, in der sie erzogen wurde, und ist bereit, Deine Hand anzunehmen. Ehe zwey Monat ins Land gehn, müßt Ihr verbunden seyn.«

Diese Nachricht ergriff den jungen Grafen mit einem sonderbaren Schrecken. Er war kein Freund [44] des Ehestandes, indessen wollte er keinesweges dem Bande ausweichen, das ihn an Josephinen knüpfen sollte, ob er gleich überzeugt war, daß es einen Theil der Freuden seiner goldnen Unabhängigkeit stranguliren würde. Eine lange Reihe ihm bisher so fremder Gedanken schloß sich an die Aussicht seiner nahen Verheirathung. Josephine soll schön und geistreich seyn, dachte er bei sich selber, sie wird mich wenigstens zerstreuen, wenn sie mich auch nicht zu fesseln vermag. – Sein Trübsinn floh vor einer Menge Bilder der Zukunft, denen wenigstens die Neuheit Reize lieh. Noch einmal versuchte er Marien zu sprechen, aber umsonst, ihre Thür blieb ihm verschlossen, die Klagen, die er in seine Briefe goß, fanden nicht den Weg zu ihrem Herzen.

So reisete er ab, mit dem festen Vorsatz, ihr Andenken in ewige Vergessenheit zu begraben. Als sein Wagen durch die Vorstadt an ihrem Hause dahin flog, und an der Gartenmauer vorbei, über die die dunkeln Linden flüsternd sich beugten, die in jener glücklichen Nacht ihn und seine Marie in ihren vertraulichen Schatten nahmen, da ward ihm das volle Herz so gepreßt, und noch einmal empörte sich laut sein Unmuth gegen ihre strenge Tugend. O, rief er unwillig aus, warum habe ich [45] jene Stunden so ungenützt verstreichen lassen, die mir Mariens Liebe auf immer erworben hätten, wenn ich nicht zu gewissenhaft gewesen wäre! Jetzt wäre sie mein, und meine flammende Zärtlichkeit hätte längst ihre Zweifel beruhigt, und besser als alle die Gründe, mit denen ich ihre Unschuld einzuwiegen gedachte, mich dem Ziel meiner Wünsche genähert.

Er gab sich Mühe, sie zu vergessen, sie zu verachten, aber es war nicht möglich. Seine Sehnsucht nach ihr wuchs mit dem Raum, der sie trennte. Er erinnerte sich ihrer Liebkosungen, so süß und rührend, ihrer Reize, ihrer glühenden Liebe, mit der holdesten Sittsamkeit verbunden, und ein tiefer Seufzer, daß dies alles nicht bestimmt war, sein Leben zu verschönern, klagte um die Vergangenheit. In seinen Unwillen gegen Marien mischte sich dennoch eine geheime Achtung für ihre festen Grundsätze. Was für eine Tugend muß das nicht seyn, sagte er, die eine so innige Neigung überwindet? Sie muß glücklich machen, weil sie nach dem allgemeinen Wahne, der ihr huldigt, Ansprüche auf ein besseres Leben giebt. Könnt' ich auch mich täuschen, und an sie glauben! setzte er hinzu; die Hälfte der Freuden, die ich durch die Freimüthigkeit meiner Denkungsart [46] genoß, gäbe ich gern um diesen frommen Betrug meiner Sinne dahin.

Während Wodmar mit dem Gedanken an Marien beschäftigt, seiner Braut tiefsinnig sich näherte, ward er von dieser mit zerrißnem Herzen erwartet. Josephine, fest entschlossen, dem Manne, den man ihr bestimmte, ihre Hand zu geben, ob sie ihn gleich nicht kannte und nicht liebte, ob sie gleich, ohne ihn gesehn zu haben, durch ein andres Bild, das in ihrer Seele wohnte, schon sogar wider ihn eingenommen war, Josephine, die mit heimlichen Thränen sich die Entsagung ihres Lieblingswunsches errungen hatte, mußte oft ihren ganzen Stolz zurückrufen, um das Beben zu ersticken, das bei der Annäherung seiner Ankunft sie überfiel.

Ach, sie war nicht glücklich, so viel sie auch beneidet wurde. Unter einer kalten, stolzen Außenseite verbarg sie ein weiches, gefühlvolles Herz, das mehr verlangte, als Geld und einen gräflichen Bräutigam. Ihr Sinn war ernst und melancholisch, tiefe Gefühle lagen in ihrer Brust, und wenn auch der Zwang ihres Standes sie mit einer Hülle von Kälte überzog, wie der Schnee die duftenden Veilchen, so lohnte sich doch das Aufsuchen bei diesen wie bei jenen. Ihre Eltern, zu unbedeutend, [47] um viel von ihnen zu sagen, verließen die Residenz als Josephine vierzehn Jahr alt war, weil ihr gutes Vernehmen mit dem Hof durch ihre allzugroßen Ansprüche auf Auszeichnung gestört wor den war. Josephine, mit der man sich im Prunk eines glänzenden Lebens wenig beschäftigt hatte, ob sie gleich die einzige Tochter, und, was der Welt noch mehr galt, die einzige Erbin ihrer Eltern war, – Josephine bedurfte noch einer feinern Ausbildung, um vollendet zu seyn, und da man bei dem finstern Mißmuth, der die Ihrigen aufs Land begleitete, zweifelte, ihr diese selbst geben zu können, so ließ man sie in einer Erziehungsanstalt, die vieles Aufsehn machte, und die erst vor kurzem durch eine gewisse Madam Wilmuth errichtet worden war.

Madam Wilmuth war eine Witwe mit vielen Kenntnissen, aber einem geringen Vermögen. Vor ihrer Verheirathung hatte sie sich als Gouvernante in verschiedenen großen Häusern alle die Fähigkeiten erworben, die das eben so schwere, als ehrenvolle Amt einer Erzieherin verlangt. Aus einer glücklichen Ehe war ihr ein einziger Sohn geblieben, der durch alle die guten Anlagen, die sich schon frühe in ihm entwickelten, den Schmerz über den Verlust ihres geliebten Mannes milderte, und [48] in eine stille Trauer verwandelte, die ihr lieber war, als alle Freuden eines Herzens, das noch nie gelitten hat, und dem der süße Gram fremd ist, mit dem man verhüllte Aussichten, vergebliche Hoffnungen, verlorne Freunde betrauert. Als sie Witwe ward, bot man ihr in den angesehensten Familien die Erziehung der Töchter an, aber eine gewisse Unabhängigkeit war ihr lieb geworden, und sie konnte sich nicht entschließen, ihr zu entsagen. Sie nahm ihr kleines Vermögen zusammen, um eine Kostschule zu errichten, und es gelang ihr. Die Sanftmuth ihres Wesens, so viel Vertrauen einflößend, die Nachsicht, mit welcher sie ihre Zöglinge behandelte, vor der so gern jugendliche Herzen sich öffnen, und der gutmeinende Ernst, mit dem sie tadelte und strafte, erwarb ihr die Liebe und Achtung der Eltern und Kinder. Josephine schloß sich mit Innigkeit an die ehrwürdige Matrone. So warm war man noch nie ihren Empfindungen begegnet, so herzlich hatte man noch nie ihren Gefühlen geantwortet, wie jetzt, und sie sah sich zu einem neuen, bessern Leben erwacht, zu einem Leben, welches ihr im einförmigen Kreise ihrer bisherigen Existenz immer wie ein schönes Ideal vorgeschwebt war, aber ohne die Hoffnung, es je realisirt zu sehn.

[49] Madam Wilmuths Methode war sehr einfach, die Herzen ihrer Untergebenen mit dem festen Bande einer zärtlichen Freundschaft an sich zu ziehen. Sie bewies ihnen Vertrauen, und nahm dafür im schönen Tausche das ihrige hin. Sie tadelte immer nur den Fehler, nicht die Person, die ihn hatte, und vermied auf alle Weise die Eigenliebe zu verwunden, die, wenn sie richtig geleitet wird, oft die edelsten Gemüther bilden hilft. Ihr Ton war so mütterlich und schonend, daß er tief in die zarten Seelen eindrang, und sie mit kindlicher Liebe erfüllte. Seyd wahr und einfach, sagte Madam Wilmuth ihren Zöglingen oft, und sie wurden es, weil ihr Beispiel dasselbe sagte. Sie lehrte die jungen Mädchen immer thätig, nie müßig seyn, weil Fleiß eine der lieblichsten Blumen im Kranz weiblicher Tugenden ist. Sie empfahl ihnen Verschwiegenheit, und zeigte ihnen, daß durch den Mangel derselben schon oft der stille Friede einer ganzen Familie zertrümmert, die Eintracht der festesten Freundschaft unterbrochen, das Glück der innigsten Liebe gestört worden sey. Thränen zitterten dann in Josephinens schönem, blauem Auge, und sie that sich und Madam Wilmuth das feierliche Gelübde, jedes Geheimniß, das ihr die Zukunft anvertrauen würde, treu in [50] ihrem Busen, wie in einem Grabe, zu verwahren. Seyd streng gegen eure eignen Fehler, aber nachsichtig und duldend gegen die Fehler andrer, bat Madam Wilmuth; aber Josephine schüttelte dann zweifelnd mit dem Kopf, denn ob sie gleich den ersten Theil dieser Lehre an sich selbst anwandte, so konnte sie doch gegen fremde Fehler kaum die Miene der Toleranz beobachten, und kaum fremde Schwächen nur bemitleiden. Sie fühlte ihren innern Werth und die Kraft zum Guten zu sehr in sich, als daß sie nicht von Andern alles das hätte fordern sollen, was sie selbst zu leisten im Stande war. Madam Wilmuth konnte diesen Stolz, der sich auf die Reinheit ihres Herzens gründete, weder mißbilligen noch vertilgen. Sie suchte ihn blos zu mildern, und es gelang ihr. Dieser Stolz, dachte sie bei sich selbst, wenn sie ihn in seiner ganzen Würde erhält, wird sie niemals sinken lassen. Sie wird sich fest und rein auf der Spiegelglätte des Hofs erhalten, und die Klippen der großen Welt vermeiden, ohne an ihnen gescheitert zu seyn.

Josephine war die älteste ihrer Pflegetöchter, und da sie von dem allgemeinen Unterricht der Kleinern ausgeschlossen war, so brachte sie den großten Theil ihrer zeit in der belehrenden Gesellschaft [51] der Madam Wilmuth zu. August Wilmuth pflegte auch, so oft es sein Dienst erlaubte, – er war Offizier, – diese stillen Stunden zu theilen, die das sanfte, unterrichtende Wesen seiner Mutter, und Josephinens heitrer Geist, durch einen freundlichen Ernst gemäßigt, zu Stunden des Himmels umschuf.

August war ein liebenswürdiger junger Mann, noch in der ersten Blüthe der Jugend. Seine Gestalt war angenehm, ohne schön zu seyn, denn sie trug den Stempel der Güte und des Edelmuths. Er verband dieses Gefühl und reine Moralität mit einem festen Karakter, und die Liebe und Verehrung, die er für seine Mutter empfand, machte seinen Sinn weich und biegsam, und gab ihm eine Sanftheit, die seinen Umgang sehr angenehm machte. Er hatte noch nie geliebt. – Oft, in der Einsamkeit, in der er gewöhnlich lebte, gab er süßen Träumereien Raum in seiner Seele, und seine Fantasie webte immer mit leiser Ahndung die Freuden einer glücklichen Liebe in die Bilder der Zukunft, die er sich entwarf. Aber noch hatte er das Wesen nicht gesucht und nicht gefunden, das ihm fähig schien, die Leere seiner Seele zu füllen. Schöne Gesichter waren ihm wie schöne Blumen, [52] ein lieblicher Anblick, aber noch keins hatte seine glückliche Ruhe unterbrochen.

August zeichnete sehr schön. Seine Mutter stellte ihn scherzend als Lehrmeister ihrer Untergebnen an, und da man sich von beiden Seiten Mühe gab, und mit einander zufrieden war, so ließ sie ihm ein Amt, das er so wohl zu verwalten wußte. Josephine hatte viel Geschicklichkeit, und fand Geschmack an der Malerey; sie machte sehr bald große Fortschritte, und August beschäftigte sich am liebsten mit ihr, weil ihre Leichtigkeit zu lernen seinem Bestreben, ihr nützlich zu seyn, gefällig zu Hülfe kam.

So mochten ungefähr zwei Jahre vorübergegangen seyn. Josephine war eins der schönsten Mädchen geworden, aber August, der ihre Reize nach und nach sich hatte entfalten sehn, bemerkte es nicht, weil er an ihren Anblick gewöhnt war. Die Gelegenheit sich täglich zu sehn und zu sprechen, hatte bei Josephinens liebenswürdigen Eigenschaften ihr seine ganze Zuneigung erworben, aber sie war nicht leidenschaftlich, sondern wie die ruhige Liebe des Bruders zu der Schwester. Auch Josephine fühlte ein Wohlwollen für ihren Freund, das mit einer stillen, reinen Flamme in ihrem Innersten [53] loderte, und ihr Herz mit dem zarten Vertrauen der heiligsten Freundschaft ihm öffnete. Es ward ihr wohl in seiner Gesellschaft, und die Stunde, die zum Zeichnen bestimmt war, wurde allemal von ihr mit froher Ungeduld erwartet. Das Vergnügen, das sie in seinem Umgang fand, leuchtete aus ihren Augen, und entging Augusts Blicken nicht, der ihr Wohlwollen zu schätzen wußte, und sich immer mehr ihr mit wärmern Gefühlen näherte, je mehr er sah, daß Josephine sich mit der ganzen Unschuld ihrer reizenden Unbefangenheit an ihn anschloß. Um diese Zeit wollte August einen Versuch im Portraitmalen machen. Er bat Josephinen um die Erlaubniß, sie malen zu dürfen, und sie erlaubte es gern. Schnell waren seine Anstalten getroffen, und Josephine saß in einer schönen, ungezwungenen Stellung, die ihr eigen war, ihrem jungen Maler gegenüber.

[54]

6. Kapitel

Sechstes Kapitel

Es ist gefährlich für ein Paar junge, unerfahrene Herzen, die noch nicht ihr Spiel mit den heiligsten Empfindungen des Lebens trieben, deren Unschuld bisher die Stimme der Natur in leise Seufzer erstickte, – sich Blick an Blick, Auge in Auge, Seele in Seele, gegenüber zu sitzen.

Josephine, die sonst ganze Stunden mit August allein gewesen war, ohne im mindesten verlegen zu seyn, ohne eine höhere Röthe auf ihren Wangen, ohne einen lautern Herzensschlag in ihrem Busen zu fühlen, – Josephine sah sich jetzt kaum genöthigt, ihrem Freund unverwandt ins Auge zu schauen, als sie eine süße Beklemmung ergriff, die ihrem Gesicht eine noch nie empfundene Glut, ihrem Blick einen sonderbaren Blitz, – sogar eine Thräne gab. So unbeschäftigt hatte sie [55] noch nie vor ihm gesessen, so war er ihr noch niemals vorgekommen. Sein Auge, sonst sanft und ruhig, schien jetzt von einem Feuer beseelt, das bald auch Josephinens Wesen durchschwärmte, und zuletzt war das Resultat ihres ununterbrochenen Einanderansehns die Bemerkung, die jedes zum ersten Mal machte, daß sie außerordentlich liebenswürdig wären.

Josephine stand auf, und August gab ihr das Bild hin. Es war nur eine flüchtige Skizze, aber mit allem Liebreiz des Originals ausgestattet. Josephine erstaunt über ihre eigne Anmuth, mit der sie noch so wenig bekannt wer, erröthete, und sagte, indem sie es mit gesenktem Blick betrachtete: O, Wilmuth! Sie haben mir geschmeichelt, ich bin nicht so schön.

Ich bin nicht so glücklich gewesen, Sie ganz zu treffen, versetzte August, aber wie wär' es auch möglich, dies schöne Auge, aus dem der Himmel lacht, diese milde, majestätische Stirne, diese süßen, freundlichen Lippen, diese blühenden Wangen, wie vom Morgenroth überzogen, getreu zu schildern. Kein Pinsel wird je Ihre Liebenswürdigkeit ganz erreichen, und ich habe dies zu sehr gefühlt, als daß ich hätte hoffen dürfen, glücklicher zu seyn.

[56] Wollen Sie mich stolz machen, sagte Josephine, oder, welches mir wahrscheinlicher dünkt, über mich spotten?

Keines von beiden, antwortete Wilmuth mit einem tiefen Seufzer, ich will schweigen.

Er entfernte sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung, und die junge Gräfin blieb zurück, und sah ihm nachdenkend nach. Diese einzige Stunde hatte auf einmal Licht über das Dunkel ihres Herzens verbreitet. Das Wohlwollen, das sie für August empfand, fühlte sie um vieles erhöht. Es war inniger, zärtlicher geworden, und galt nicht mehr allein seiner Güte und seinem sanften edlen Karakter, sondern auch seiner Gestalt, in der vollen Blüthe der Jugend und Gesundheit. Sie rief sich sein Bild zurück, – sein großes, flammendes Auge, aus dem die erwachende Leidenschaft sprach, – seine angenehmen Züge, durch die Glut seiner Empfindungen doppelt seelenvoll und belebt, den Adel seiner Figur, die Würde seines Ganges, den Ton seiner Stimme. Ihr war, als nähme eine unsichtbare Hand auf einmal den Schleier hinweg, der sie verhindert hatte, seine Anmuth eher zu fühlen und zu sehen. Mit einer unbeschreiblichen Sehnsucht breitete sie ihre Arme aus, und rief August! August! mit bebendem Laut, und umsaßte [57] die leere Luft, als wär' es der geliebte Jüngling. Dann ging sie in ihr Zimmer, und warf sich träumend aufs Sopha. Ach, es giebt eine Schwermuth, in manchem Zeitpunkt des Lebens so süß, – die unzertrennliche Begleiterin der ersten Liebe.

In den goldnen Flittertagen, wo die Kraft zu lieben im Innern der Seele erwacht, wo der Gegenstand schon gefunden ist, der uns die Fühlbarkeit unsers Herzens lehrt, da hält der süße Sturm namenloser Gefühle, die Ungewißheit der Gegenliebe, an die sich die Hoffnung wie ein strahlender Engel anschließt, immer eine Thräne im Auge bereit, die die holde Wehmuth hervorbringt, welche die Tochter der Liebe und des Schmerzes ist. O, man möchte sie nicht vertauschen um alle Freuden, die uns späterhin das Schicksal reicht, diese süße, frohe, wehmuthsvolle Unruh, die die Brust beklemmt, welche bisher nur die Unschuld kannte, und jetzt mit ihr die Liebe verschwistert fühlt.

Auch August suchte die Einsamkeit, die Freundin und Vertraute liebekranker Herzen, mit Josephinens Bilde auf, an dem seine Blicke voll schwärmerischer Innigkeit hingen. Ach, sie allein vermag diese unendliche Leere zu füllen, rief eine [58] innere Stimme in ihm mit dem zauberischen Tone der Liebe. Er drückte das Bild an sich, und benetzte es mit Thränen. Ach, wenn sie mich wieder liebte – wie unendlich selig wär' ich da! Er verfolgte diese Idee mit dem ganzen Feuer der Leidenschaft, und süße, trügerische Hoffnungen erwachten in ihm. Zwar sah er die Unmöglichkeit sie jemals zu besitzen, aber er setzte die Täuschung fort, die ihm so wohlthätig war, und seine glühende Fantasie führte ihn in die Zaubergefilde einer erträum ten Zukunft, wo Josephine das Geständniß seiner Empfindungen mit einem frohen Erröthen vernahm, und mit dem Bekenntniß ihrer Gegenliebe belohnte. Sie wurde sein, und bei dem Gedanken öffnete sich ihm der Himmel. – Armer August!

Als sie am andern Tag sich wieder sahen, las Wilmuth in dem Antlitz seiner Josephine eine süße Verwirrung. Sie schlug die Augen nieder, wenn sie seinen Blicken begegnete, und betrachtete ihn mit stummen Entzücken, in das sich einige Wehmuth mischte, wenn es unbemerkt geschehen konnte. Endlich waren sie allein. Josephine setzte sich zu ihren Zeichnungen nieder, ihr Herz pochte laut. Sie wünschte und fürchtete eine Erklärung. – Aber Wilmuth schwieg. –

[59] Diese Landschaft, hub sie endlich mit bebender Stimme an, macht mir sehr viel Freude zu zeichnen. Der Hintergrund ist so feyerlich, – die blauen Berge, die sich in die tiefen, einsamen Thäler verlieren, der Strom, der sich tobend vom Gipfel des Felsen hinabstürzt, und schäumend im Thale dahinströmt, – – und hier an der Seite die friedliche Hütte, mit Epheu bezogen, die so ruhig die sanfte Anhöhe hinunter blickt, auf der sie steht, es ist ein so lieblicher Kontrast zwischen den erhabnen Naturschönheiten, und der stillen Häuslichkeit in dieser Landschaft. Meinen Sie nicht auch, Wilmuth? –

O, gewiß, versetzte August, und heftete sein Auge auf das einfache Häuschen, das auf einem waldigen Hügel lag. Es blickt sich schön auf das majestätische Gebirge und auf den tobenden Strom, der herab braust. Aber schöner, fuhr er mit leiser, gerührter Stimme fort, schöner muß sichs dort in der isolirten Hütte wohnen, die aus dem Grünen so freundlich heraus sieht. Ich kann mich von dem Gedanken nicht losreißen, daß irgend eine unglückliche Liebe, die die Welt verdammte, aber die Gott gut hieß, in ihr einen Zufluchtsort gegen die Stürme des Schicksals suchte und fand.

[60] Die die Welt verdammte, aber die Gott gut hieß? wiederholte Josephine kaum hörbar.

Ja, Fräulein! antwortete August, der sich in wehmüthigen Träumen verlor. Gesetzt, daß ein Paar Herzen, aufgefordert durch die Natur und ihre Uebereinstimmung in allen Punkten, sich zu lieben, mit der ganzen Wahrheit jener heiligen Gefühle an einander hingen, und die Konvenienz träte zwischen sie, und die Welt tadelte ihre reine Liebe, – o wie beneidenswerth wären sie dennoch, wenn sie beide den Muth hätten, einander die Verhältnisse zu opfern, die sie trennen wollten! Wenn sie einer Welt entsagten, die so voll von Vorurtheilen ist, und in einer ähnlichen Einsamkeit durch wechselseitige Liebe und Treue einander Alles wären! Glauben Sie nicht, daß Gott eine solche Liebe segnen würde, auch wenn sie Menschen verdammten? Glauben Sie nicht, setzte er lebhafter hinzu, daß eine solche Liebe reichen Lohn für jede Aufopferung in sich selbst hat? – –

Ich weiß es nicht, sagte Josephine, indeß bin ich der Meinung, daß eine solche Liebe, so schön sie auch ist, doch immer denen nur ein Ideal bleiben muß, die höhere Verbindlichkeiten haben.

Höhere Verbindlichkeiten? fragte August verwundert.

[61]

Ja, erwiederte Josephine. Ich fühle, daß es oft Pflicht seyn kann, das Urtheil der Welt zu verlachen, wenn es unserm wahren Glück im Wege steht. Ich bin fest überzeugt, daß die erste Stimme, der wir folgen müssen, die Stimme unsrer Vernunft und unsers Herzens, nicht die des Publikums seyn muß; aber eben so sehr bin ich auch überzeugt, daß man alles Mögliche thun soll, eine Liebe zu ersticken, die man überhand nehmen sieht, ohne die Hoffnung, sie laut und stolz bekennen zu dürfen. Setzen Sie den Fall, ich liebte, liebte einen Mann unter meinem Stande, der jede liebenswürdige Eigenschaft hätte, nur nicht die kleinen unseligen Vorzüge, die Rang und Reichthum geben und die ein volles Herz gewiß leicht entbehrt, setzen Sie den Fall, ich liebte ihn mit der innigsten Leidenschaft, ich wäre seiner Gegenliebe gewiß, so gewiß ich mit keinem andern glücklich seyn könnte, was, glauben Sie, würde ich thun?

Sie würden ihn glücklich machen, und selbst glücklich seyn! sagte August heftig bewegt, denn ihm war, als entscheide sich jetzt das Schicksal seines ganzen Lebens.

[62] Nein, Wilmuth! antwortete Josephine mit Rührung und einer Thräne im Auge. So lange der Segen meiner Eltern den Bund nicht heiligte, den mein Herz geschlossen hätte, so lange würde mich selbst die zärtlichste Liebe nicht zurückhalten, ihn wieder zu brechen. Die Pflichten eines Kindes gegen seine Eltern sind das heiligste in der Natur, und wehe dem, der sie nicht erfüllt. – Nein, ich werde nie ungehorsam seyn! Schon der Gedanke, meine liebsten Wünsche dem kindlichen Gehorsam aufgeopfert zu haben, würde Trost in meinen Kummer mischen, und indem ich, um ihrem Willen zu folgen, dem meinigen entsagte, würde ich Ersatz in der beruhigenden Ueberzeugung finden, meine Schuldigkeit gethan zu haben.

Liebenswürdiges, edles Mädchen! rief August, ich bewundre Sie, ob ich Ihnen gleich nicht nachahmen könnte. Den sonst so schönen, festen Ton seiner Stimme hatte die Anspruchslosigkeit auf Glück gebrochen, die sein Herz mit Wehmuth füllte. Sein Auge, in das eine helle Thräne trat, schien zu sagen: O warum so viel Edelmuth, und so wenig Liebe!

Josephine hatte ihm wirklich in dem, was sie sagte, ihre wahrsten Gedanken enthüllt. Sie war [63] jetzt überzeugt, daß der warme Antheil, den sie an ihm nahm, das Wohlwollen, das sie für ihn fühlte, und die Achtung, die ihr eine lange Bekanntschaft mit den vielen guten Seiten seines Karakters eingeflößt hatte, durch genaues Nachdenken über alle diese Gefühle zur zärtlichsten Liebe geworden war. Für einige Stunden konnte sie sich mit süßen Hoffnungen täuschen, und o wie selig waren diese Stunden nicht! Sie überließ sich mir dem ganzen Ungestüm eines jungen Herzens, in dem alle Empfindungen im Blühen sind, der Schwärmerei, die sie dahin riß; aber dieser Zustand der Bezauberung dauerte nicht lange, und dann stand mit desto bitterern Farben die wirkliche Welt vor ihr, aus der eine gereizte Fantasie sie entrückt, und in eine idealische versetzt hatte.

Ich liebe ihn, rief ihr ganzes Wesen, aber ich will ihn vergessen, weil ich ihn nie besitzen darf! – Ach, es war so schwer. – Sie sah ihn wieder, und sein Anblick änderte ihren Entschluß. Laut sprachen alle ihre Gefühle in ihr: Das ist der einzige Mann, mit dem Du glücklich seyn kannst, und indem sie sich mit frohem, kurzem Vergessen von der Erinnerung ihrer Verhältnisse hinwegwandte, wünschte sie das Geständniß seiner Liebe, [64] um es mit allem Feuer der ihrigen erwiedern zu können. Als aber August von einer Leidenschaft sprach, von Gott gebilligt, aber von der Welt verdammt, da trat das Andenken ihres Standes wie ein Gespenst der Mitternacht zwischen die klopfenden Herzen, die sich einander nähern wollten, und sie rief alle Kräfte ihrer Seele zusammen, um mit Ruhe und scheinbarer Gelassenheit ihm jede Hoffnung benehmen zu können, die, wie sie wußte, vergeblich gewesen wäre.

Josephine stand auf, um sich zu entfernen, weil sie fühlte, daß ein längeres Bleiben ihrem Vorsatz gefährlich war, und daß die angenommene Gleichgültigkeit, mit der sie gesprochen hatte, schon wärmeren Empfindungen zu weichen anfing. – August, in seinen Schmerz verloren, sah sie mit unbeschreiblicher Wehmuth an; in ihr schönes, ernstes Auge, welches lächeln wollte, stieg eine glänzende Thräne, – sein Schicksal spiegelte sich in ihr. Er sank vor ihr nieder, – ein Gefühl ohne Namen beklemmte seine Brust. Die Erklärung einer Liebe entfloh seinen bebenden Lippen, und Josephine, zu schwach, ihr überwallendes Herz zu besiegen, gab ihm in einer langen Umarmung das Bekenntniß der ihrigen hin.

[65] In späten Zeiten noch hing August gern an der Erinnerung dieser Stunde. Das Weh der Hoffnungslosigkeit, das sich in den ersten Kuß der Liebe mischte, milderte das Entzücken sich geliebt zu sehn, und goß Wehmuth in den Jubel der Freude.

O, Wilmuth! rief Josephine, warum haben Sie mich genöthigt, das Schweigen zu brechen, das ich mir gelobte. Ich liebe Sie, aber ich muß, ich will diese Neigung bekämpfen, und sollte ich unterliegen.

Wie, Josephine? Ist das Liebe? – Ich würde um Ihrentwillen die ganze Welt aufopfern, wenn Sie es wollten, und diese heilige Flamme in meiner Brust, die Sie entzündet haben, würde mir eine reiche Belohnung meiner Entsagung seyn, auch wenn mir nichts bliebe, als sie; und Sie wollen das ganze Glück meines Lebens zertrümmern, weil mir das Schicksal keine Ahnen gab? –

Ist Ihr Glück nicht auch das meinige? versetzte Josephine. O August! Sie werden nicht allein unglücklich seyn, wenn ich Ihnen auf ewig entsagen muß. Aber ich kenne meine Eltern. Die leiseste Ahndung unsrer Liebe, und ich wäre verloren. Ach, Wilmuth, ein andrer hat schon von ihnen das Versprechen meiner Hand, – ich kann [66] nichts thun, als gehorchen, und um Sie weinen! Sie verbarg ihr Gesicht in seinen Busen, und ließ ihren Thränen freien Lauf.

Sie könnten nichts thun, als gehorchen, und um mich weinen? sagte August. O, Josephine, Sie können mehr, wenn Sie mich lieben. Hier, er hielt ihr die Landschaft entgegen, und zeigte auf die einsame Hütte: – hier ist ein Zufluchtsort für treue Liebe, und mit allem, was ich bin und habe, will ich Ihnen die Opfer versüßen, die Sie mir bringen.

Haben Sie vergessen, antwortete Josephine mit einem schmerzhaften Lächeln, daß ich Pflichten auf mir habe, denen meine Leidenschaft weichen muß? Dürft' ich meinem Herzen folgen, o wie gern entsagt' ich allen den Vortheilen, die mir das Glück gab, um Ihnen zu beweisen, daß ich es nicht in Glanz und Geräusch suche. Aber ich habe keinen eignen Willen. Graf Wodmar ist für mich bestimmt. Ich kenne ihn nicht, – ich werde ihn niemals lieben, – ach, ich werde vor Schmerz sterben, wenn ich ihn heirathen muß, aber ich werde ihm dennoch meine Hand geben.

O, nein, Sie werden nicht sterben, erwiederte August bitter. Sie werden leben, um zu [67] glänzen, und um bewundert zu werden; und das Herz elend zu sehn, das Sie so unbegränzr liebte, wird Ihrer Eitelkeit nur einen Triumphbogen erbauen, ohne ihrem Auge eine Thräne zu kosten.

Er ging stolz und beleidigt nach der Thüre. Josephine breitete ihre Arme nach ihm aus, aber sie war stumm im Uebermaß ihres Kummers. Hätte er nur einen Blick zurückgeworfen, der Anblick ihres Schmerzes hätte ihn versöhnt, aber er ging, und Josephine verbarg ihre Thränen in ihrem Zimmer.

[68]

7. Kapitel

Siebentes Kapitel

Langsam und still ging eine ganze Woche vorüber, Wilmuth kam nicht zu seiner Mutter, Josephine war melancholisch. Madam Wilmuth bemerkte es wohl, aber sie glaubte, die ihr angekündigte Verbindung mit einem Mann, von dem sie nichts wußte als den Namen, wäre Ursach genug zur Schwermuth für ein junges Mädchen. Ueberdies rückte die Stunde der Trennung heran, und da Josephine ihrem Herzen fast unentbehrlich geworden war, so that ihr der Gedanke wohl, daß auch diese ungern von ihr scheide. –

Augusts Wegbleiben begrub sein Bild nicht in Vergessenheit bei Josephinen. Ihr Blick durchlief mit heiliger Erinnerung die ganze Vergangenheit, und jede mit ihm verlebte Stunde trat lächelnd vor das Auge ihrer Seele zurück. Seine Gutmüthigkeit, [69] sein sanfter Ernst, sein bescheidnes Wissen, – wie sehr unterschied es ihn von allen Männern ihrer Bekanntschaft. Ach, warum bin ich nicht in der glücklichen Beschränktheit des Mittelstandes geboren, seufzte sie. Er wäre dann mein, und in stiller Häuslichkeit verlebte ich meine Tage in den Armen der Liebe. Oder warum mußten meine Brüder sterben? Ach, daß sie noch lebten, – ich wäre dann nicht mehr das einzige Kind, die einzige Hoffnung meiner Eltern, und wenn ich sie verließe, um den Eingebungen meines glühenden Herzens zu folgen, so ständen sie nicht allein in der Welt, und wohlgerathene Söhne würden sie über den Verlust einer Tochter trösten, die glücklicher in ihrer Armuth wäre, als sie es jemals mit allem ihren Reichthum seyn kann!

Sie malte sich mit allem Zauber ihrer lebhaften Fantasie eine reizende Zukunft an Augusts Seite. In eine einsame, romantische Gegend baute sie im Geist eine Hütte für sich und ihn, mit Epheu bezogen, und mit Gärten umringt, in denen ihre einfache Nahrung wuchs. – Der heiterste Himmel lachte über diesen Aufenthalt des Friedens und der Liebe mit ewiger Klarheit herab, – die Natur breitete ihren schönsten Teppich um ihn aus, und Glück und stille Zufriedenheit war [70] das Loos seiner frohen Bewohner. O wie ist man glücklich, wenn man, noch vom frischen Morgenroth der ersten Jugend umglänzt, sich solchen Träumereien überläßt! Denn nur selten ist es in der wirklichen Welt so, wie es seyn könnte – keine Rose blüht ohne Dornen, kein Abendhauch weht durch die Fluren, der sich nicht mit Seufzern mischte. – Es war einmal eine Zeit, in der ich glaubte, nur die Erinnerung reiche dem Herzen, das die Gegenwart verwundet, ihren lindernden Balsam, aber auch diese Ueberzeugung gehört zu den Irrthümern meiner Jugend. Denn zu den genossenen Freuden, die man sich zurückruft, gesellt sich das herbe Andenken an alles, was man längst verloren, längst betrauert hat. Jede vergoßne Thräne netzt noch einmal das Auge, jeder Seufzer hebt noch einmal die Brust. – Zwar breitet die Erinnerung einen milden Schleier über die Szenen unsers Kummers und unsrer hingeschwundnen Freuden, aber er benimmt nur die erste Schärfe, nicht die langsam verzehrende Bitterkeit, die der Gram uns giebt. Aber in den frohen Augenblicken, in denen man sich in idealische Welten träumt, vergißt man die Leiden der wirklichen, und jeder Wunsch, der im Geräusch verstummt, wird in der Stille laut, weil die bewegte Seele [71] Kraft fühlt ihn zu erreichen, – – obgleich nur im Traum.

Von dem lächelnden Gemälde, das Josephinens Einbildungskraft entwarf, und zu dem Liebe und Schwärmerei ihr die Farben reichten, wandte sie ihr Auge auf die ernsten Bilder der Zukunft, die ihrer wartete. Sie sah sich im Glanz des Hofs, mit ihrem traurigen, unerwiederten Herzen, – an der Seite eines Mannes, dessen Wahl sie aus Konvenienz war, und der sie bei ihrem Rang und Vermögen mit eben so viel Lastern geheirathet hätte, als sie ihm Tugenden zubrachte. Sie fühlte einen heftigen Widerwillen gegen ihn, als den Störer ihrer hier so ruhigen Existenz bei Madam Wilmuth. Sie nahm sich vor, ihm recht verächtlich zu begegnen. Aber, dachte sie dann wieder, – vielleicht ist er so wenig Herr seines Willens, wie ich. Wer weiß, ob nicht die Verbindung mit mir Bande zerreißt, die sein Herz knüpfte, – ob er nicht eben so ungern wie ich an die Zeit denkt, in der er seine Freiheit, und vielleicht eine glückliche Liebe mir opfern muß. Ihr Widerwillen verwandelte sich in Mitleid. Nein, rief die Stimme ihrer angebornen Güte in ihr, ich will ihm die Bürde, die wir gemeinschaftlich tragen müssen, so viel wie möglich versüßen. Ich will es ihm nie fühlen lassen, [72] daß ein Andrer meine Neigung besitzt. Ich will, wenn er gut ist, ihn schätzen, wenn er Fehler hat, sie schonen, ich will alles thun, was ich kann, um meine Pflichten zu erfüllen.

Jene heilige Ruhe, die jeden guten Vorsatz begleitet und belohnt, erfüllte ihre Seele, und ward ihr zur Aufmunterung, ihren Entschluß auszuführen. – August beherrschte indeß ihre Gedanken noch immer mit der Zärtlichkeit, die er ihr eingeflößt hatte, und die er so sehr verdiente. Er will mich nicht wieder sehn, sagte sie zu sich selbst, als acht Tage vorüber waren, und er noch immer nicht kam, – er will das Bild der Unglücklichen durch Entfernung aus seinem Herzen bannen, der Unglücklichen, die ihm entsagen muß. – Sie fand sich durch sein Betragen geehrt, er wurde ihr noch werther durch die Delikatesse, mit der er ihre Schwäche behandelte. Den Unwillen, mit dem er von ihr schied, hatte sie ihm längst vergeben, – sie glaubte, und hatte Recht zu glauben, – daß bei einem unparteiischen Nachdenken über sie, selbst die leiseste Spur desselben schon längst verschwunden sey. – Aber Madam Wilmuth bemerkte mit Verwunderung, daß sich August gar nicht mehr sehn ließ. Seine Wohnung war nicht weit von der ihrigen, – sie beschloß, selbst hinzugehen, [73] und ihn zu fragen, was ihn abhielt, zu ihr zu kommen.

Ein wenig blaß, aber ruhig fand sie ihn bei seinen Zeichnungen. Als er seine Mutter gewahr wurde, stand er auf, küßte ihre Hand, und bezeugte ihr seine Freude, sie bei sich zu sehn.

Wie, mein Sohn! sagte Madam Wilmuth verwundert, weder Krankheit noch Geschäfte haben Dich abgehalten, mich zu besuchen? und während ich mich unruhig nach Dir sehnte, sitzest Du ganz phlegmatisch bei Deinen Malereien, da Du doch weißt, wie viel Freude es mir macht, Dich bei mir zu haben?

Seine Wangen färbten sich mit einem schwachen Roth bei den sanften Vorwürfen seiner Mutter. Sein Auge wurde feucht, er sank an die mütterliche Brust, und brach in einen Strom von lang verhaltnen Thränen aus. Was ist Dir, August? rief Madam Wilmuth bestürzt, was hast Du für Kummer? Rede, entdecke Dich mir, – so hab' ich Dich noch nie gesehn!

O, meine Mutter, schluchzte August, und drückte sich fester an sie, ich bin sehr unglücklich!

August, Du erschreckst mich! Was hast Du gemacht? – Ach es muß etwas sehr schlimmes seyn, da Du es nicht wagtest, Dich mir anzuvertrauen, [74] und wie konnte ich so etwas von Dir erwarten.

August gab sich Mühe sich zu sammeln, und stillte seine Thränen. Nein, beste Mutter, sagte er, befürchten Sie nichts. Ich bin unglücklich, aber Ihrer Liebe nicht unwerth. Meiner Ruhe hab' ich das schmerzhafte Opfer gebracht, nicht mehr zu Ihnen zu kommen, wo ich sonst meine glücklichsten Stunden verlebte, aber wenn ich auch schwach bin, so verdiene ich doch gewiß Ihr Mitleid, Ihren Rath, Ihren Trost. –

Mein Herz war immer Ihren Augen offen, aber ach, seine wichtigsten Bewegungen sind Ihnen doch entgangen. Ich liebe, liebe Josephinen mit einer Leidenschaft, die lange in mir schlummerte, da ich sie nur für Achtung hielt, die aber mit aller Heftigkeit meiner lebhaften Gefühle jetzt erwacht ist. – Josephine ist das erste Mädchen, das mir gefallen, das erste, das mein Innerstes gerührt hat. Sie wissen selbst, wie liebenswürdig sie ist, – ach, können Sie mich tadeln, wenn ich den Abgrund fliehe, dem ich so nahe bin?

Madam Wilmuth stand da in ein bitters Erstaunen verloren. Und weiß Josephine um Deine Liebe, rief sie, liebt sie Dich wieder? –

[75] Ich konnte ihr nicht verschweigen, was ich für sie empfand, versetzte August. Die Stimme der Hoffnung, die mich zum Geständniß aufrief, war trügerisch, aber doch lag sie zu tief in mir, als daß ich sie hätte vertilgen können. Josephine liebt mich wieder, – aber mehr als mich, ihren Stand, ihre Verhältnisse, ihre Pflichten. Ich will sie nicht wiedersehn! Meine verweinten Augen sollen sie nicht zu meinem Vortheil bestechen. Zeit und Entfernung von ihr werden mich beruhigen, und vor allen Dingen dann Ihr tröstender Umgang, liebe Mutter! und die Vorstellung, daß Josephine glücklich ist ohne mich. Ach, ich hatte ihr freilich die Opfer nicht ersetzen können, die sie mir hätte bringen müssen, um mich glücklich zu machen. – Ich hätte ihr nichts geben können, als mein Herz voll unbeschreiblicher Liebe, und, – indem er in ihre Arme fiel, und sie unter neuen Thränen umschloß, – eine Mutter, die sie doch in jenem Stande, auf den sie stolz ist, nicht so gut und edel finden wird, wie die, die dann die ihrige geworden wäre.

So unangenehm auch der Madam Wilmuth die ganze Sache war, die für diese Liebe traurige Folgen vorher sah, da sie den festen, stillen, rief empfindenden Karakter ihres Sohns kannte, so [76] entschuldigte doch ihr mütterliches Herz Augusts Unbesonnenheit, mit der er sich Josephinen entdeckt hatte, und sie beschloß, alles mögliche zu thun, um die Flamme zu löschen, die so hell noch in ihm brannte.

August! sagte sie zu ihm, Du hast nicht die rechten Mittel gewählt, Josephinen zu vergessen. Der Weg, den Du betreten hast, bringt Dich ihr immer näher, statt Dich von ihr zu entfernen. Wenn du ihren Anblick noch so sorgfältig meidest, wird sie doch immer vor dem Auge Deiner Fantasie stehn, und am Ende nicht mehr wie ein Mädchen, sondern wie ein Ideal, und deswegen gefährlicher vor Deiner Einbildungskraft schweben. Nein, sieh' Josephinen täglich, – sage Dir immer vor, wenn Dich ihre Liebenswürdigkeit entzückt, daß sie die Braut eines Andern ist, daß Dir die Ehre zum heiligen Gesetz macht, zu schweigen. Nach und nach wird Deine Liebe sich in Freundschaft verwandeln, und diese verbieten Dir Josephinens Verhältnisse nicht. Josephine selbst wird Dir, ihrer Pflichten eingedenk, die Hand zur Rettung aus dem Labyrinth bieten, in das Dich die Liebe führt.

August kämpfte mit sich selber. Er wollte sie vermeiden, und doch sehnte er sich nach ihr, und [77] wenn er ihr Bild, das seine Einsamkeit theilte und schmückte, mit liebevollen Blicken betrachtete, wachten alle seine übertäubten Wünsche, das schöne Original selbst zu sehn, in seiner Seele auf, und es kostete ihm viel, sie zu ersticken. Madam Wilmuth bestritt seine Zweifel, sein Herz war mit im Spiel, er gab nach, und versprach ihr, den andern Tag zu kommen. Ruhiger als Madam Wilmuth wirklich war, schied sie von ihm, und begab sich nachdenkend nach Hause.

Was sie erfahren hatte, war ihr sehr unangenehm, und machte ihr viel Unruh. Sie kannte Josephinens Lage, und hatte sie oft im Stillen bemitleidet. Da sie wußte, daß ihre Bestimmung einst war, die Gattin eines Mannes zu werden, den die Konvenienz ihr erwählte, so hatte sie mit der größten Sorgfalt über Josephinens Herz gewacht, um es frey zu erhalten. Sie wird weniger unglücklich seyn, dachte die gute Frau, wenn sie, ohne die Liebe zu kennen, ihrem künftigen Gemahl ihre Hand giebt. Ein wenig Herzlichkeit von seiner Seite zu der Achtung, die sie gewiß auch dem leichtsinnigsten Libertin einflößt, und jene glückliche Unwissenheit bei ihr, zu ihrem angebornen Wohlwollen, wird vielleicht eine Ehe, die nur [78] Stolz und Eigennutz schlossen, zu einer glücklichen machen. – So dachte Madam Wilmuth, und erhielt Josephinen in einer strengen Eingezogenheit. Ihr Umgang mit August war so unbefangen, und blieb, bis er den unglücklichen Einfall hatte, sie zu malen, so ganz in den Gränzen einer ruhigen, weit von der Liebe entfernten Freundschaft, daß sie nicht das geringste von der Vertraulichkeit fürchtete, die sie unter beiden herrschen sah. Josephinens stille Trauer, die sie der nahen Veränderung ihres Standes und der Trennung zuschrieb, die ihnen in wenig Monaten drohte, ihr Hang zur Einsamkeit, ihre leidende Gestalt; – alles dies erschien ihr jetzt in einem andern Lichte. Sie fühlte sich gekränkt durch Josephinens Heimlichkeit, mit der sie ihr die wahre Ursach ihres Kummers verborgen hatte, und doch lag in ihrem Schweigen wieder etwas Edles, das sie zwang, dem Mädchen zu verzeihen, und es zu achten, das im Stillen litt, und seine Liebe bekämpfte, ohne seinen Schmerz auf andre zu verbreiten, – – denn mußte es der zärtlichen Mutter nicht weh thun, ihren Sohn hoffnungslos lieben zu sehn? –

[79]

8. Kapitel

Achtes Kapitel

Sie ging zu ihr mit einer niedergeschlagenen Miene. August ist sehr krank, sagte sie, – Josephine wurde so bleich, wie ihr Gewand. Krank? – wiederholte sie mit bebenden Lippen. – Ja, versetzte Madam Wilmuth. Ein geheimes Leiden der Seele, vielleicht eine unglückliche Liebe, sagte der Arzt, wird ihn – –

O, Himmel, schrie Josephine, indem sie schnell aufsprang, und kraftlos wieder zurück fiel, er stirbt, und ich, ich bin seine Mörderin!

Madam Wilmuth sah sie mit einem befremdeten Blick an. Was fällt Ihnen ein, was ist Ihnen, Josephine? – Ach können Sie mir verzeihen? – Nein, niemals, niemals werde ich mir selbst vergeben, rief die Gräfin, August liebte mich, er gestand [80] mir's, ich liebte ihn wieder! – Aber die Vorurtheile, die Strenge meiner Eltern, die ich kannte, – ach ich benahm ihm jede Hoffnung, weil ich's für meine Pflicht hielt; – aber jetzt, – ihn zu retten ist auch eine Pflicht, und ich muß, ich will sie erfüllen. – –

Wie Josephine? sagte Madam Wilmuth sehr ernsthaft, so schnell können Sie Ihre Entschlüsse ändern? Einen Vorsatz, den Sie Sich selbst, den Sie Ihren Eltern schuldig zu seyn glaubten, der sich auf eine feste, ruhige Ueberlegung gründete, diesen könnten Sie auf einmal in einem leidenschaftlichen Augenblick aufgeben, um dann lebenslang Ihre Unbesonnenheit zu bereuen? – Josephine stand vor ihr mit gesenktem Auge, und tief erröthenden Wangen.

Es ist wahr, hub sie endlich an, ich glaubte, es sey meine Pflicht, die Stimme zum Schweigen zu bringen, die so laut in meinem Herzen zu Augusts Vortheil spricht. – Meinen Eltern, die meine Neigung niemals billigen würden, bin ich das Leben schuldig, – Ihnen, theure Freundin! mehr als dies. Sie lehrten mich gut seyn, und zeigten mir den Weg des Friedens, indem Sie mir gute Grundsätze einflößten, und meinen Begriffen [81] eine richtige Stimmung gaben. – – Wenn nun August ohne mich nicht leben kann, so wie ich ohne ihn gewiß nie glücklich bin, o wodurch könnte ich Ihnen meinen Dank und meine Zärtlichkeit stärker beweisen, als wenn ich durch die freiwillige Entsagung aller meiner Ansprüche Ihnen einen Sohn, mir einen Mann erhielte, den wir beide lieben, der mir alles ersetzen wird, was ich ihm opfere, – alles! – Ihr Auge füllte sich mit Thränen. – Meine Eltern! rief sie weinend aus, aber mit Fassung setzte sie hinzu: Ja, auch meine Eltern! Heilig sind die Rechte, die Sie, meine zweite Mutter, auf mich haben, sie geben meiner Liebe die Sanction der Pflicht.

Nein, meine Josephine! antwortete Madam Wilmuth innig gerührt. Weder ich noch August können die Opfer annehmen, die Sie uns bringen wollen. Ihre Eltern vertrauten mir in Ihnen ihren größten Reichthum, ihre einzige Hoffnung an. Ich habe den fruchtbaren Boden gebaut, den ich fand, und bin reichlich belohnt für jede kleine Mühe, die mir Ihre Erziehung machte, durch die Folgsamkeit, mit der Sie meine Lehren annahmen. Wenn ich mir Rechte auf Ihre Dankbarkeit erworben habe, o so bitt' ich Sie, Josephine! bleiben Sie bei Ihrem ersten Vorsatz, der für ihre Ruhe [82] und die meinige am heilsamsten ist, – nehmen Sie die Hand des Gemahls an, den Ihnen Ihre Verwandten gewählt haben, und bleiben Sie immer die Freundin meines Sohns. Er ist nicht so krank, als ich ihn schilderte; – mußt' ich nicht diesen Kunstgriff brauchen, um Sie zur Sprache zu bringen, da eine gegenseitige Erklärung uns so nothwendig war? – Der Balsam der Freundschaft wird ihn heilen, und die Ueberzeugung, daß Ihr Glück von ihm Entsagung fordert. Glauben Sie mir, und wär' er auch dem Tode nahe, so würd' ich ihn doch lieber sterben, als Sie in Ihrer Pflicht wanken sehn. Nein, meine Liebe! vergessen Sie einen jungen Mann, den die Leidenschaft hingerissen hat, zu sprechen, wo er ewig hätte schweigen sollen, und sehen Sie mit Muth in die Zukunft, die auch ohne ihn Ihren Weg mit Blumen bestreuen wird. Dies Erwachen der ersten Gefühle, wie oft betrügt es nicht die jungen, unerfahrnen Herzen, welche glauben, daß von ihm das ganze Glück des Lebens abhängt, und daß es zertrümmert ist, wenn Verhältnisse sich den ersten Wünschen entgegen stellen. Ach, Josephine, die erste Liebe macht nur selten, fast möcht' ich sagen, nie glücklich; denn sie ist nur ein Rausch, der die Sinne fesselt, die noch nicht wissen, was sie wollen. [83] Und wenn er verfliegt, – o was vermag dann die Leere auszufüllen, die wir überall empfinden? Mit überspannten Erwartungen erreichen wir das Ziel unsrer Hoffnung, wenn es uns erlaubt ist, uns ihm zu nähern, und fast immer sehn wir, daß die rosenfarbnen Träume schwinden, eben wenn wir glauben, daß sie in schönere Wirklichkeit übergehn sollen.

Ach, seufzte Josephine, werd' ich nicht ewig mein Loos beweinen müssen, wenn August nicht mein wird? Wie werd' ich einen Andern lieben können, wenn Er in meiner Seele herrscht? –

Achtung und Freundschaft sind Gefühle, versetzte Madam Wilmuth, die die Liebe ersetzen, und überleben. Sie werden glücklich seyn, Josephine! wenn Ihr künftiger Gemahl Ihnen beides einflößt, und auch er wird ein besseres Loos haben, als wenn Sie ihn liebten, wie Sie vielleicht August lieben.

Wie meinen Sie das? fragte Josephine verwundert.

Leidenschaft, fuhr Madam Wilmuth fort, nimmt uns die Gewalt über uns selbst, durch die wir erst Glück und Freude in die geselligen Zirkel verbreiten können, die uns umgeben. Sie stumpst [84] den scharfen Blick ab, den ein freies Herz in die Welt wirft, und wie können wir ohne diesen Blick sehen, was dem Gegenstand wohl oder wehe thut, den wir beglücken wollen? – Ach, Josephine! unsere Bestimmung ist ja, mit Selbstverläugnung die Seufzer der Sehnsucht zu ersticken, die unsre Brust heben, und die Rosen, die auf unserer Laufbahn blühn, zu entblättern, um sie auf die Wege Andrer zu streuen. Wollen Sie ihn nicht erfüllen, diesen traurig-schönen Beruf der Entsagung? – Kann Sie das Bewußtseyn nicht trösten, daß Sie die Wünsche Ihrer Eltern auf Kosten der Ihrigen befolgt haben? –

Josephinens Blicke netzten sich mit Thränen. Ja, rief sie endlich aus, Sie haben Recht, meine theure, mütterliche Freundin! Ich will mich fügen in mein Schicksal. Unterstützen Sie mich, wenn ich wanke. Ach, Madam Wilmuth, wie kommt's, daß ich, sonst so streng in meinen Meinungen gegen mich und Andre, jetzt auf einmal so schwach bin? Ehmals glaubt' ich, ein innerliches Gefühl in mir, auf das ich stolz war, würde gleichsam mechanisch meine Wahl bestimmen, wenn ich mich für den rechten oder unrechten Weg entscheiden sollte. Und jetzt, – der kindliche Gehorsam führt mich [85] auf die Dornenbahn meiner Pflichten, aber meine ganze Neigung widerstrebt.

Madam Wilmuth antwortete: Das liegt so in uns egoistischen Menschen. Unsere Forderungen gegen Andre sind streng, aber uns scheinen sie leicht, weil wir uns einbilden, daß wir in ähnlichen Fällen alles leisten könnten, was wir fordern. Dieses allzugroße Selbstvertrauen macht oft, daß unsre Vorsätze scheitern, und daß wir dann in unsrer ganzen Schwäche gedemüthigt da stehn. Wir sehen alsdann, daß es leicht ist, zu wissen, was gut oder böse ist, aber schwerer das Gute auszuüben, als es von Andern zu verlangen. Eine solche Bekanntschaft mit unserer eignen Unvollkommenheit ist nicht unnütz, denn sie macht tolerant, und langsam und bescheiden arbeitet man daran, stärker, fester und besser zu werden.

Josephine war allein, und dachte nach über ihre Empfindungen. Madam Wilmuth hatte sie nicht überzeugt, daß sie glücklicher mit Wodmar durch Achtung und Freundschaft, als mit August durch die innigste Liebe werden würde, denn wer könnte die Leidenschaft überzeugen, die mit ihrer ganzen, ersten Allmacht sich in einem siebzehnjährigen Busen regt, – aber sie hatte doch eine leise [86] Hoffnung in ihrem Herzen geweckt, daß es möglich seyn könnte, und die dornenvolle Zukunft, der sie entgegensah, mit einigen duftenden Rosen verschönert. Sie überlegte sich alles noch einmal. Es dünkte ihr edel und groß, dem Manne, den sie liebte, aus Gehorsam zu entsagen, und voll Duldung und Unterwerfung dem ernsten Rufe ihres Schicksals zu folgen. Selbst die wehmuthsvollen Träume, in die ihre unglückliche Liebe sie wiegte, waren ihr süß, und nährten ihre Festigkeit. Ach, dem menschlichen Herzen sind die Freuden weniger nothwendig, als der Schmerz – vielleicht weil es früher mit diesem als mit jenen bekannt wird. – August stellte sich vor das Auge ihrer Fantasie mit seinem thränenvollen, gutmüthigen Gesicht, das der Kummer gebleicht hatte. Sie streckte ihre Arme mit Rührung aus, das geliebte Schattenbild zu umfangen, das sich ihre Einbildungskraft mit goldener Täuschung schuf, – aber sie zog sie wieder zurück, denn die Konvenienz, der sie doch einmal geopfert war, stand drohend ihr zur Seite. Diese zärtlichen Empfindungen, die sie ihrem unbekannten Bräutigam opferte, erfüllten sie jetzt nach und nach nicht mit Unwillen, sondern mit einem sanften Wohlwollen für ihn, das zart-fühlende Herzen immer für die Gegenstände empfinden, [87] für die sie viel thaten, viel verloren, viel vergessen mußten.

Es ist wahr, dachte sie, der Unterschied unsers Standes ist eine Kluft, die mich entweder von August oder von meinen Eltern trennt. Und soll ich denen, die mir das Leben gaben, nicht die Neigung meines Herzens als ein Zeichen meiner Dankbarkeit zum Opfer bringen, um ihre Wünsche zu erfüllen, die mich gern groß und glücklich sähen? – Zwar – kann die Natur es billigen, wenn man seinem Glück entsagt? – Können Eltern die entscheidende Stimme verlangen, wenn es auf das Wohl und Wehe ihres einzigen Kindes ankommt? und doch, doch! setzte sie ihr Selbstgespräch fort, und gelobte sich feierlich, gehorsam zu seyn. Der Gedanke, unrecht und undankbar gehandelt zu haben, sagte sie zu sich selbst, würde Wermuth in den Wonnebecher der Liebe mischen, und ein ewignagender Wurm an meinem Innern seyn. Aber wenn ich nun allen meinen rosenfarbnen Hoffnungen auf Lebensglück Lebewohl sage, und dem Mann meine Hand gebe, dem nie mein gebrochnes Herz gehören wird, o da wird mein Bewußtseyn Balsam in die Wunde träufeln, die mir das grausame Verhängniß schlug.

[88] August kam, wie er es seiner Mutter versprochen hatte; Josephine flog ihm entgegen. Sie reichte ihm die zitternde Hand, die er ergriff, und an seine Lippen drückte. Madam Wilmuth war in ängstlicher Erwartung Zeuge dieses traurigen Augenblicks. Nehmen Sie mit diesem Händedruck, sagte Josephine ernst und wehmuthswoll, aber ruhig, nehmen Sie mit diesem Händedruck die Versicherung meiner ewigen Freundschaft. August! ich darf Ihnen nichts als Freundin seyn, aber das will ich Ihnen bleiben, so lange diese Augen offen stehn, und so lange diese Lippen Ihren Namen stammeln können. Ich habe gekämpft mit meinem Herzen, und es ist nun ruhig. Seyn Sie es auch, August! – Sollte ein Mann nicht mehr vermögen, als das schwache Mädchen? – Sollte ich Ihnen mehr Stärke der Seele zugetraut haben, als Sie wirklich besitzen? O, nein, nein Wilmuth! ich habe mich nicht in Ihnen geirrt, wenn ich, da ich Sie nicht lieben darf, von Ihnen gleichen Muth erwartete, ein Schicksal zu tragen, das nun einmal unsre Bestimmung ist. Nicht wahr, Sie tadeln mich nicht, daß ich eine folgsame Tochter bin, obgleich mein Gehorsam mir und Ihnen so viel kostet? –

[89] August verhüllte sein thränendes Auge. Es giebt eine Zukunft, antwortete er, in der keine Vorurtheile mehr herrschen. Da werden wir uns wieder finden, das weissagt mir meine Seele. Bis dahin ewige, ewige Freundschaft!

Madam Wilmuth umarmte eins nach dem andern. Seyd fest, meine Kinder! sagte sie, und beide versprachen es.

Das alte Verhältniß war nun so ziemlich unter beiden wieder hergestellt, bis auf jene holde Unbefangenheit, die ehemals die glückliche Unwissenheit ihrer Gefühle begleitete, und die die schönste Würze ihres Umgangs war. August und Josephine sahen sich täglich, und die Flamme ihrer Leidenschaft brannte noch immer insgeheim fort, ob sie gleich öffentlich gedämpft zu seyn schien. War Madam Wilmuth bei ihnen, so wachte jedes über seine Worte und Bewegungen, – waren sie aber allein, so entschlüpfte Josephinen ein tiefer, lang zurückgehaltner Seufzer, der seinen Wiederhall in Augusts Busen fand. Sie sahen sich dann an, und ihre Blicke wurden feucht. August berührte mit wonnevollem Beben ihre blonden, seidnen Locken, so oft es unbemerkt geschehen konnte,[90] und wenn ihn ihr Gewand bestreifte, so durchdrang ein süßer Schauer sein innerstes Wesen. Josephine hing mit trüben Blicken an seiner angenehmen Gestalt, wenn er nicht hinsah, – begegnete aber sein Auge dem ihrigen, so schlug sie es nieder, und wurde roth, und oft schwamm es in einer stillen Thräne, wenn sie es wieder erhob. Ihre Lieblingsbeschäftigung wurde jetzt das Zeichnen. Ihm widmete sie den größten Theil ihrer Zeit, mit der sie sonst karg war. Da saß sie, und betrachtete die Gemälde, die vor ihr lagen, mit flammenden Blicken, denn August hatte sie entworfen, und die Liebe beseelte ihren Pinsel. Die einsamsten Gegenden wählte sie sich, und sie dünkten ihr paradiesisch zu seyn, wenn sie im Geist sie mit August bewohnte. Diesen Träumen überließ sie sich so gern, sie machten sie heiter, ob sie gleich mit der Unmöglichkeit einer Erfüllung gepaart waren. Ihre glühende Fantasie zauberte den Himmel einer glücklichen Liebe um sie her, von dem sie so weit entfernt war, und grub das Bild des Geliebten immer tiefer in ihre Brust. Sie schwiegen beide, aber dies Schweigen war gefährlicher wie der Erguß ihrer gepreßten Herzen gewesen wäre, denn jede Klage, die verstummen muß, jede Thräne, die nur im Verborgnen fließen darf, und [91] jeder Seufzer, der sich verstohlen mit den Lüften mischt, ist ein Dolchstich für das kranke Gemüth, denn nur der Schmerz ist zu heilen, der sich mittheilen darf.

[92]

9. Kapitel

Neuntes Kapitel

Der Sommer nahte seinem Ende. An einem schönen Morgen im Anfang des September saßen August und Josephine im Garten, – Josephine arbeitete still, und beide sahen gedankenvoll vor sich nieder.

Wie doch alles vorübergeht! sagte August, indem er auf ein Beet verblühter Blumen wies, – vor wenig Tagen noch war's hier so bunt, und nun – – ach, Josephine! wir haben sie nicht gepflückt, diese Blumen, weil wir ihnen eine längere Dauer zutrauten, und die Natur bestrafte unser Zögern. Wann werden wir lernen den Augenblick benutzen? Wenige Wochen vielleicht nur noch, und wir sind auf immer geschieden. Wie mancher Tag, wie manche Stunde der Vergangenheit ist vorüber geeilt, ohne daß ich Sie gesehn[93] habe, und wer weiß, wie karg mir die vom Schicksal zugemessen sind, in denen ich Sie noch sehen kann. Und doch ist die Erinnerung an Sie, an Ihre Güte, an Ihr liebevolles Wesen, selbst an diese unbenutzten Stunden, wo ich von Ihnen träumte, das einzige, was einen Strahl von schwermüthiger Freude in mein künftiges Leben weben wird. Wie will ich mir das Andenken jener unwiederbringlichen Zeiten erneuern, in denen das Heiligthum Ihrer Seele mir offen lag! – wie will ich mir alle jene köstlichen Augenblicke zurückrufen, wenn die goldnen Tage des Beisammenseyns wie ein schöner Traum dahin geflohn sind, und mir nichts mehr bleibt, als ihr Bild und mein Schmerz!

O, glauben Sie, Wilmuth! versetzte Josephine mit feuchtem Auge, glauben Sie, daß ich weniger als Sie an diese unvergeßlichen Jahre zurückdenken werde? Aus dieser Einsamkeit herausgerissen, in der mir so wohl war, in neuen Verhältnissen, vor denen mir schaudert, in die geräuschvollen Freuden der großen Welt verflochten, denen ich ruhig in der Ferne zusah, ohne sie mir zu wünschen, – glauben Sie nicht, daß ich höchst unglücklich seyn, und mich immerdar sehnen werde nach dem entschlüpften Labsal der Ruhe, die mir [94] diese Stille gewährte. Ach, Wilmuth, ein Gefühl ohne Namen preßt mir die Brust, wenn ich in die Zukunft blicke. Hier unter dem schönen, blauen Himmel, der meinen Kampf sieht, geloben Sie mir ewige Freundschaft. Nicht in der kalten, alltäglichen Bedeutung, in der man sie gewöhnlich sich verspricht, – nein, im ganzen heiligen Sinne dieses Worts, für dieses und jenes Leben. Vorurtheile trennen uns für diese Welt, aber nicht den ewigen Bund unsrer Seelen.

August beugte sich herab auf ihre Hand, und eine sanftere, schönere Empfindung, als alles vorhergegangene Verlangen seiner Liebe, füllte sein Herz. Ja, Wilmuth! fuhr Josephine fort, und ihr Auge glänzte heiter, als erblickt' es Paradiese, ja Sie sollen immer mein erster, vertrautester Freund bleiben. In Ihren Busen will ich meinen Kummer ausgießen, – mit Ihnen will ich die Freuden theilen, die ich sparsam auf meiner künftigen Laufbahn finden werde. Nehmen Sie den Namen Bruder von mir an, da ich nicht Geliebter sagen darf. Als Ihre Schwester ist es mir erlaubt, Ihnen alle die Liebe und Freundschaft zu versichern, die ich für Sie empfunden habe. Als Ihre Schwester darf ich Ihnen schreiben, was mich kränkt und freut, und wenn ich auch vor jedermann [95] meinen stillen Gram verhülle, so soll doch immer mein theurer Bruder den wahren Zustand meines Gemüths erfahren, und mit mir trauern, daß gerade ich, ich mit diesem Herzen voll warmer Liebe ein Opfer der Konvenienz geworden bin! –

Sie sanken an einander in eine lange, sprachlose Umarmung. August zitterte an ihrem Busen, aber Josephine umfaßte ihn mit der ganzen Unschuld und Reinheit des Verhältnisses, das sie sich erfunden hatte, ihre Wehmuth zu lindern, ohne strafbar zu seyn. Die Ruhe und Ergebung eines Engels glänzte in dem milden Blick, mit dem sie in Augusts flammende Augen sah.

Madam Wilmuth näherte sich ihnen langsam und verlegen. Jetzt gilts, Josephine! sagte sie, jetzt ist die Stunde gekommen, die allen Ihren Muth, alle Ihre Standhaftigkeit fordert. Ein reitender Bote hat diesen Brief an Sie gebracht, und zugleich, – ihre Stimme fing an zu brechen, – die Nachricht, daß wir uns trennen müssen. Josephine erkannte die Hand ihrer Mutter, und ward bleich. – August stand unbeweglich wie ein Marmorbild.

Als die erste Betäubung vorüber war, ermannte sich August, hob den Brief auf, der Josephinens [96] zitternden Händen entfallen war, und sagte mit ruhiger Fassung: Lesen Sie, Josephine! Kann er etwas schlimmeres enthalten, als was wir schon wissen? – Vielleicht, und eine kleine Bitterkeit mischte sich unwillkürlich in seinen Ton, – vielleicht den Tag Ihrer Hochzeit, – – aber uns kann ja nichts mehr scheiden! Nein, Josephine! die Freundschaft, die unsre Herzen verknüpft, ist ewig, wie die Zukunft, die uns hinter dem Grabe erwartet!

Josephine erbrach mit Beben den furchtbaren Brief. Bei jeder Zeile, die sie las, nahm der Schmerz zu, der ihr Innerstes folterte, und als sie geendigt hatte, ward ihr Auge dunkel, das Blatt entfiel ihr, und August fing sie in einer tiefen Ohnmacht in seine Arme auf.

»Sobald Du diese Zeilen erhalten hast, lautete der mütterliche Brief, so mache Dich zur Abreise fertig. Du wirst von den Händen Deiner Eltern den Gemahl empfangen, den wir Dir bestimmt haben. Er verdient unsre Wahl. Schönheit, Geist, Reichthum und hohe Geburt machen ihn zu einer der ersten Partien im Lande. Der zwanzigste Oktober ist zu Deiner Vermählung bestimmt. Säume daher [97] keinen Augenblick, mit dem Wagen, der Dich abholen wird, sogleich die Stadt zu verlassen.«

Gräfin von der Ecke.


Josephine, liebes, theures Mädchen! rief August, das schöne Geschöpf an sein Herz drückend, das aus Liebe zu ihm so bleich war, – komm wieder zu Dir, fasse Muth, beruhige Dich! Josephine öffnete das matte Auge, und fand sich in den Armen ihres Geliebten. Süß war ihr Erwachen, denn alles Vorhergegangne lag wie ein schwerer Traum hinter ihr, – sie lächelte bewußtlos die bittere Erinnerung an, die sie für ein Bild ihrer Fantasie hielt, und fühlte sich nur wieder unglücklich, als der grausame Brief ihr bewies, daß die Dinge wirklich so waren. Der kalte Schauder, der alle ihre Adern bei der Nähe ihrer Verbindung durchdrang, hatte sie erst gelehrt, wie sehr sie August liebte. Als jener fürchterliche Zeitraum noch in weiter Entfernung von ihr war, glaubte sie sich stark genug, mit festem Sinn den Mann ihrer Liebe dem kindlichen Gehorsam aufopfern zu können. Es schien ihr groß und erhaben, die Neigung ihres Herzens ernstern Pflichten zu unterwerfen, und das Gefühl ihres Werthes und ihrer Gewalt über sich selbst, regte sich stolz und schwärmerisch [98] bei dieser großen Gelegenheit, wo es sich zeigen konnte. Aber da der Gedanke einer nahen, und wahrscheinlich ewigen Trennung mit aller seiner Bitterkeit vor sie trat, – jetzt, da sie mit jedem Tage sich fester an den liebenswürdigen Freund schloß, und es tiefer fühlte, wie glücklich sie mit ihm seyn könnte, – jetzt löschte die stille Thräne der Liebe das Fantom ihres Stolzes aus.

Ist er denn wirklich für mich verloren? – sagte sie zu sich selbst, als sie allein war. Hab' ich denn einen einzigen Versuch gemacht, das Glück meines Lebens zu retten? – Ich will es wagen – ich will mich meiner Mutter entdecken, ich will sie in das Herz blicken lassen, das nur Augusts Liebe erwiedern kann. Welche Mutter könnte gleichgültig bei dem ewigen Wohl und Wehe ihres einzigen Kindes seyn, – welche Mutter könnte ihr einziges, flehendes Kind den Vorurtheilen opfern, vor denen es zurückbebt!

Zwar mischten sich leise bittre Zweifel in ihre aufkeimende Hoffnung, aber sie faßte Muth, und entschloß sich fest zu seyn. Hab' ich nicht durch die schmerzlichste Bemühung zu gehorchen, schon meine Pflichten erfüllt? fuhr sie in ihrem Selbstgespräch fort, und ist nicht das Streben nach Glück zu natürlich in der Brust des Menschen, als daß es [99] Sünde seyn könnte? – Die Welt wird freilich einen Schritt tadeln, der nicht in ihre Konventionen paßt, aber was ist das Urtheil der Welt gegen ein langes, trauriges Leben, hingeschleudert an einen Mann, den ich nicht kenne, der mich nur aus Eigennutz wählt, weil mir das Unglück Vermögen gab. – Und muß ich denn mit der Welt leben? finde ich nicht alles, was sie mir entziehen kann, in dem engen aber schönen Kreise meines stillen, häuslichen Glücks wieder? – – Ja, ich will mich mit frohem Sinn über ihren Beifall und ihren Tadel erheben und hinwegsetzen. Augusts treue Liebe, ein einsames, ländliches Leben, der Umgang seiner Mutter, die Einwilligung meiner Eltern, – Gott, es wäre zu viel, zu viel der Wonne für ein Herz, das schon anfing, das Hoffen zu verlernen!

Josephine sah jetzt gefaßter dem Abschied entgegen, da sie diese süßen Bilder einer erträumten Zukunft nährte. Sie rief sich das Andenken ihrer Eltern ins Gedächtniß zurück, welches, da sie ihr durch die lange Trennung ganz fremd geworden waren, freilich ihre Hoffnungen nicht belebte, aber auch nicht niederschlug. Das Wiedersehn nach so manchem fern verlebten Jahre, glaubte sie, würde die Eisrinde schmelzen, mit der Stolz und höfische [100] Eitelkeit ihre Herzen überzogen hatte, und dieser Glaube war so wohlthätig für sie, daß sie sich hinwegwandte von allem, was ihn hätte vermindern können.

Nicht so August. Ihm war, als risse sich mit Josephinen der beßre Theil seines Ichs von ihm los. Als die Stunde des Scheidens schlug, breitete sich über sein ganzes Gesicht eine tödtliche Blässe aus. Leise verhallte der Ton, aber in seiner Seele klang er fort, wie die Sterbeglocke aller seiner Freuden. Josephine hatte ihm ihren Vorsatz verschwiegen, um ihn durch diese große Probe ihrer Liebe zu überraschen, wenn er ihr glückte. Ihr Auge hatte keine Thräne, nur einen Blick voll Seele, der Treue gelobte, und um Treue bat. Madam Wilmuth umarmte sie weinend, – Josephine dankte ihr mit stiller Rührung für alle ihre Liebe und Güte. Wir sehn uns bald wieder, flüsterte sie zuversichtlich in den letzten Abschiedskuß, und vielleicht fröhlicher! Drauf reichte sie August, der unbeweglich und ganz versunken in seinem Schmerz da stand, mit einem süßen Lächeln die Hand, aber bald mischte sich Wehmuth in ihre Miene. Leben Sie wohl, sagte sie mit leiser Stimme, und schnell wurde ihr Blick feucht, denn eine trübe Ahndung durchflog ihr Innres, – leben [101] Sie wohl, mein Freund, und erhalten Sie mir ihr Andenken. Ich werde Ihnen schreiben, ich werde immer an Sie denken, ich werde Sie niemals, niemals vergessen! Ein paar Thränen rollten ihre Wangen herab, – sie eilte in den Wagen, und schnell flog er mit ihr und ihrem Kummer dahin.

Eine Kammerfrau ihrer Mutter saß neben ihr, und betrachtete sie mit Theilnahme. Josephine war nicht aufgelegt zum Reden. Sie durchdachte stumm und in sich gekehrt den Plan, den sie sich entworfen hatte, und sah ihn wechselsweise in der Ebbe und Fluth ihres Muthes bald gelungen, bald vernichtet.

Sie scheinen traurig zu seyn, gnädige Gräfin, nahm das Mädchen endlich das Wort, und ich dächte, niemand hätte mehr Ursach zur Freude, als Sie. O, wenn Sie wüßten, wie schön der junge Graf ist, wie herrlich das aussieht, wenn er in seinem hohen Whisky mit den sechs muntern Schimmeln daher gefahren kommt, Sie würden gewiß vergnügt seyn.

Glückliches Geschöpf, seufzte Josephine, das mich vielleicht um den lästigen Glanz beneidet, den ich verachte! Ach, wie gern wollte ich Dir um [102] Deine unbefangene Lage den schönen Bräutigam mit allem seinem Schimmer überlassen, und in der Mittelmäßigkeit, die das Loos Deines Standes ist, zufrieden seyn! Hannchen schüttelte verwundert den Kopf, denn sie konnte die Gräfin nicht begreifen. Josephine schwieg auch, und wurde immer düsterer, je näher sie dem Ziel ihrer Reise kam. Endlich, als sie in einem Vorwerk ihres Vaters abstieg, um da nach ihrer Mutter Vorschrift die Nacht zu bleiben, hoben sich ihr aus weiter, blauer Ferne die Thürme ihres Schlosses von einem waldigten Berggipfel entgegen, und ein paar Thränen stiegen in ihr Auge, die der Gedanke erpreßt hatte: Wie wird sich Dein Schicksal entscheiden? –

[103]

10. Kapitel

Zehntes Kapitel

Am andern Morgen zögerte Josephine mit ihrer Abreise so lange als möglich. Ungestört konnte sie hier sich ihren Träumen überlassen, und sie that es mit aller der schmerzlichen Wollust, die durch die tiefe Ruhe der Natur, durch ihren blauen, klaren Himmel, an dem nicht ein einziges Wölkchen zu sehn ist, und durch die reine, kühle, vom Sonnenstrahl gemilderte Luft den Anfang des Septembers so reizend macht; – Josephine ging hinaus ins Freie, ganz versunken in ihr Nachdenken, die Unruhe der Ungewißheit, und die Wehmuth ihrer Zweifel. Auf einmal hörte sie hinter sich ein Geräusch, wie den Tritt eines Mannes. Sie sah sich um, ahndend hob sich ihr Busen, eine hohe Röthe stieg in ihre Wangen, und mit einer Verwirrung, die ihr keine Worte ließ, erwiederte sie den Gruß des Unbekannten, der sich ihr mit einem freimüthigen [104] Anstand als den Grafen Wodmar, ihren Bräutigam, darstellte.

Einige Minuten standen sie sprachlos einander gegenüber, Wodmar beobachtender als Josephine, die mit lächelnden Lippen gegen die Trauer ihres Auges zu streiten suchte, um dem Mann, der sie mit glühenden Blicken betrachtete, die Thräne zu verbergen, die es trüben wollte. Aber vergebens, sie kam aus einem vollen Herzen, das zu wund war, um mit Fassung diese Ueberraschung zu ertragen, und ehe sie es verhindern konnte, rollten sie über ihre brennende Wange. Lange sah sie der Graf ernst, fest und stumm an, endlich ergriff er bewegt ihre Hand, und führte sie an seine Lippen.

Diese schönen Augen sollen nie wieder weinen, sagte er, wenn es von mir abhängt, jede Ursach des Kummers von Ihnen zu entfernen.

Unsre Familien haben über uns entschieden, – – versetzte Josephine leise mit bebendem Ton, ohne ihn anzusehn. Möchte Ihre Verbindung mit mir keine glücklichere stören!

Wodmar dachte an Marien, und konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, den der Rückblick in eine schöne, aber kurze Vergangenheit forderte. Aber er wußte seinem innerlichen Schmerze eine [105] heitre Außenseite zu geben, und versicherte Josephinen mit aller Beredsamkeit, die er besaß, daß der Ruf ihrer Liebenswürdigkeit, und das Ideal ihrer Anmuth, das er sich geträumt, und nun realisirt gefunden hätte, bisher einzig sein Herz beschäftiget hätte. Josephine, in deren edlen Seele das Verlangen lag, immer mehr zu geben, als sie empfing, wurde roth und beschämt, als sie fühlte, daß sie niemals diese Zärtlichkeit würde belohnen können, die der Graf äußerte. Sie fand ihn schöner und angenehmer, als das Bild, das ihr ihre Einbildungskraft von ihm entworfen hatte. Der Unmuth der gestörten Liebe, mit dem sie immer ehmals an ihn dachte, und Augusts ihm gefährliche Nähe, hatten ihm in ihrer Fantasie eine finstre unfreundliche Gestalt gegeben, von der sie keine Spur an seinem wirklichen Selbst fand. –

Aber nichts desto weniger war ihr Vorsatz fest, dem Mann, dem, ohne daß er diese glänzenden, äußern Vorzüge wie Wodmar besaß, dennoch alle die heiligen Gefühle ihrer ersten Liebe gehuldigt hatten, treu zu bleiben. Sie nahm sich vor, zuerst mit ihrer Mutter von der Lage ihres Herzens, und dann mit Wodmar selbst zu reden. Sie traute ihm Edelmuth genug zu, ihr freiwillig zu entsagen.

[106] Sie reisten ab. Er war ihr in dem schönen Whisky entgegen gekommen, der auf Hannchen einen so tiefen Eindruck gemacht hatte, und Josephine nahm ohne eine Weigerung den Platz an seiner Seite ein, indeß Hannchen ihnen in dem andern Wagen folgte. Welch' ein schönes Paar! murmelte die Menge, die sich versammelt hatte, Braut und Bräutigam zu sehen. Beide zeigten in der Art, wie sie diesen unpartheiischen Lobspruch aufnahmen, die Verschiedenheit ihrer Denkungsart. Josephine zog bescheiden den Schleier über ihr lieblich erröthetes Angesicht, nachdem sie freundlich dem Gruß gedankt hatte, der von allen Seiten ihr winkte. Sie verbarg sich lieber, als daß sie schimmerte. Der Graf hingegen ließ stolz und zufrieden sein triumphirendes Auge umhergehn, ergriff selber die Zügel der Pferde, und lenkte sie stehend, um durch die ganze Anmuth seiner schönen Figur noch mehr um die Bewunderung zu buhlen, die ihm so süß war. Endlich, als sich nach und nach die Gaffenden verloren, setzte er sich wieder nieder zu seiner Braut, die, als sie sich unbemerkt sah, den Flor von ihrem Gesicht entfernte, der ihr neidisch den schönen Tag verbarg.

Sie sprachen wenig mit einander, aber sie dachten viel. Josephine ging im Geist in die Rosenauen [107] der vergangnen Zeiten zurück, und hing mit stillem Gram an den Bildern ihrer süßesten Wünsche. Wodmar verglich sie mit Marien, ohne die Träumereien zu stören, denen sie nachhing. Sie waren beide schön, Josephine stolzer, Marie rührender in ihrer Bildung. Die innige, hingebende Zärtlichkeit, die diese Letztere für ihn empfunden hatte, malte mit doppelt reizenden Farben ihr trauriges Bild in seine Seele, und die Sehnsucht nach ihrem Wiedersehn und ihrem Besitz wachte mit aller der Leidenschaft seines Wesens in ihm auf. Ein tiefer Seufzer machte seiner Brust Luft, von der süßen Qual seiner Erinnerung und seiner Wünsche beklemmt; – Josephine sah ihn schüchtern an, sie hatte nicht den Muth, ihn um dessen Ursach zu fragen, noch wenige ahndete sie sie. Wodmar, dem es wie einem Mann von Welt nicht an der Gewandtheit fehlte, jeden Umstand zu seinem Vortheil zu nutzen, ließ ihr in Anspielungen merken, die ihre Feinheit verstand, daß sie selbst der Gegenstand seiner Seufzer sey. Die Sonne loderte eben im Abendroth hinter dem waldigten Gipfel der westlichen Anhöhe, als sie ankamen. Noch spiegelte sich die sterbende Gluth in den großen Bogenfenstern, die wie brennende Spiegel aussahen, und eine sanfte Rührung ergriff [108] Josephinen beim Anblick der stolzen Gebäude, die im milden Abendlicht vor ihr lagen. Eine große Anzahl von Bedienten empfing sie mit einer so schüchternen Ehrfurcht, daß sie daraus sehr leicht auf die Art ihrer Eltern, mit ihnen umzugehn, schließen konnte. Wodmar leitete ihre wankenden Schritte zu einem Saal, wo die ganze Familie beisammen war.

Josephine, erschüttert und zärtlich bewegt durch den Anblick ihrer Eltern, die sie liebte und ehrte, denn ihre Grundsätze waren edel, und zogen sie mit einer geheimen, unwiderstehlichen Macht zu denen hin, die ihr das Leben gaben, – Josephine sank auf ihre Kniee in frommer, kindlicher Regung nieder, und benetzte die Hand ihrer Mutter, die ihr entgegen kam, mit den bittersüßen Thränen des Wiedersehns.

Die Versammlung war groß, und beobachtete ein feierliches Schweigen, nicht gemacht, Josephinens schüchterne Schwermuth zu zerstreuen. Besonders fremd und traurig waren ihr die finstern Blicke ihres Vaters, mit denen er von Zeit zu Zeit ihre ganze Gestalt und ihr Benehmen musterte. Sie befolgte daher gern seinen Befehl, sich umzukleiden, weil ihr der Zwang, in dem sie sich [109] befand, peinlich wurde. Als sie die Zimmer betrat, die sie bewohnen sollte, war ihr erster Gang zu den Fenstern, von denen sie eine herrliche Aussicht in die weiten, tiefen Thäler hatte, die das Felsenschloß umgaben. Sie sah mit einer unbeschreiblichen Empfindung den Weg zurück, den sie gekommen war, der sich in der Ferne in einer dunkeln Krümmung verlor. Die Thränen waren ihr so nahe, die Brust so beklemmt, all' ihr Muth mit der Sonne gesunken, die ihre letzten bebenden Strahlen, und lange Schatten auf die Fluren warf. Auf einmal rauschten die Flügelthüren auf, und – ihre Mutter trat herein.

Verzeih, meine Tochter, sagte sie, daß ich Dich überrasche, aber Du wirst aus meinem Besuch sehn, daß ich es gut mit Dir meine. Dein Vater ist nicht ganz zufrieden mit Deiner Art, Dich vorzustellen, und ich muß selbst gestehn, daß Dein Niederknieen und Deine Thränen etwas sehr Romaneskes hatten. Indessen muß man dies der bürgerlichen Erziehung zurechnen, die Du gehabt hast, und deren Rost sich bald in besseren Gesellschaften abreibt. Um nun den Eindruck wieder auszulöschen, den dies auf meinen Gemahl zu Deinem Nachtheil gemacht hat, will ich Dir Verhaltungsregeln geben, wo Du Dich noch nicht zu[110] betragen weißt. Fürs erste kleide Dich so elegant an, wie möglich, und bediene Dich dieses Schmuckes, den Dir Wodmar bestimmt. – Sie reichte ihr ein Kästchen, das Josephine erschrocken auf den Tisch setzte.

Die Gräfin von der Ecke war einnehmend, wenn sie wollte. Sie hatte mehr Sanftheit in ihrem Gesicht, als in ihrem Herzen, mehr Verstand in ihren Augen, als in ihrem Kopf, und wußte besser Vertrauen einzuflößen, als es zu verdienen. Die mütterliche Güte ihres Tons zog Josephinen zu ihr hin. Jetzt, dachte sie, ist vielleicht der einzige Moment, wo ich wagen darf, für das Glück meines Lebens zu reden. Und sie that es mit klopfendem Herzen.

O, meine Mutter, sagte sie mit bittender Stimme, wenn ich mich anders benommen habe, als ich sollte, so verzeihen Sie meiner Unerfahrenheit in den Sitten und Gebräuchen der großen Welt, verzeihen Sie dem Schmerz, der mich zu Boden drückte, und der mir die Ruhe meines ganzen Lebens kosten wird, wenn Sie mir, gütigste Mutter, Ihren Beistand versagen. Verwundert sah sie die Gräfin an. Was kannst Du für einen Schmerz haben, da alle Umstände sich vereinigen, [111] Dich glücklich zu machen? Josephine sank in ihre Umarmung, und drückte sich fest an die Brust, von der sie Theilnahme erwartete. Ach, rief sie aus, kann all' der Glanz, den Sie mir bereiten, aller Ueberfluß, dem ich entgegen sehe, mich über den Kummer einer hoffnungslosen Liebe trösten?

Die Gräfin wand sich aus Josephinens Armen, die sie umschlangen, trat einen Schritt zurück, und sah sie starr und unbeweglich an. Das liebe Mädchen war in heftiger Wallung. – Ja, fuhr sie mit dem Feuer der Verzweiflung fort, die alles wagt, weil sie nur wagen oder verlieren kann, ja ich liebe, – liebe einen Mann, dessen Adel der Seele mir das Wörtchen von zehnfach ersetzt, das seinem Namen fehlt. Sprachlos fiel die Gräfin in einen Stuhl, und Josephine – sagte ihr alles.

Elende, Verworfne! – waren die ersten Worte, die die alte Gräfin zu stammeln vermochte, und Du hast den Muth, den Wunsch einer Mesallianze zu nähren, und ihn sogar, – was alle menschliche Vorstellung übertrifft, – zu äußern? Schande Deiner Familie, die sich so viel von Dir versprach! – Sie würde noch ein Weilchen in diesem Ton fortgefahren haben, wenn nicht ein Bedienter [112] den jungen Grafen gemeldet hätte, der in eben diesem Augenblicke herein trat. Sogleich verdrängte eine Meeresstille in ihrem Gesicht alle Spuren des vorigen Sturms, – lächelnd stand sie auf und wandte sich zu Wodmar, der mit Blicken voll Sorgfalt und Liebe an seiner Braut hing, die blaß und leblos mit weit offnem Auge auf eine Stelle sah. Wir wollen Josephinen jetzt Zeit zu ihrem Anzug lassen, lieber Graf! sagte sie. Meine Tochter, ich habe vergessen, Dir zu sagen, daß noch heute Abend Deine Verlobung ist. – Josephine ist Ihnen sehr verbunden für die schönen Juwelen, setzte sie hinzu, indem sie seinen Arm ergriff und mit ihm das Zimmer verließ. Die arme Josephine! – Dahin war ihre letzte, einzige Hoffnung, dahin die Träume einer beneidenswerthen Zukunft, mit denen sie oft ihren Gram zur Ruhe gewiegt hatte. Sie warf sich auf ein Sopha und überließ sich dem Schmerz ihrer getäuschten Erwartung, der milder wurde, als er sich in Thränen ergoß.

Hannchen trat herein, sie anzukleiden. Sie hatte vor Begierde, die schönen Diamanten zu sehn, kaum die Zeit erwarten können, wenn sich die Gräfin entfernen würde. Mit einem gutmüthigen [113] Neid betrachtete sie die blitzenden Steine, und ihr eitler Sinn konnte nicht begreifen, wie es möglich war, einen solchen Schmuck zu haben, und dabei zu weinen.

[114]

11. Kapitel

Eilftes Kapitel

Josephine war für heute unfähig, den Befehl ihrer Mutter zu befolgen. Zwar zog sie sich, Dank sey Hannchens emsiger Bemühung, – aufmerksam genug an, zwar band sie sogar mit zitternden Händen das reichgefaßte Bild des Grafen an einer Schnur von Brillanten um den Hals, aber kaum war der bräutliche Anzug vollendet, als sie in eine dumpfe Bewußtlosigkeit versank, die sich mit einem Fieber endigte.

Hannchen benachrichtigte die Familie von diesem Unfall, der jedermann überraschte, ausgenommen die Gräfin. Wodmar, in dessen Herzen ihre Anmuth, wenn auch nicht Liebe, doch einen innigen Antheil entflammt hatte, eilte, sie zu sehen. Bleich wie eine Lilie, lag sie da, und [115] aus ihrem geschloßnen Auge drangen schönere Perlen, als er ihr gegeben hatte. Die Gräfin befahl, sie zu Bette zu bringen und einen Arzt zu holen, und man begab sich wieder weg. –

Einige Tage lag Josephine ohne Besinnung: endlich, als sie wieder zu sich selbst kam, und als ihre Seele wieder ruhig genug wurde, an vergangene Dinge zu denken, reifte ein Entschluß, in ihr, ihrer würdig, – der schöne Entschluß die rosenfarbnen Bilder ihrer Liebe dem Willen des Schicksals zu opfern. Sie fing langsam an zu genesen; – mit stummer Geduld ertrug sie die Vorwürfe ihrer Mutter, und versprach zu gehorchen. Sie bemühte sich sogar, ihre ehemaligen Wünsche zu vergessen, aber das war unmöglich. Wie das immergrünende Epheu sich um öde Mauern windet, so schlangen sich holde Erinnerungen um die versinkenden Trümmer ihrer Freuden.

Wodmar sah ihren innern Kampf. Ihr ganzes Wesen war Huld und Güte, und das Bemühen, ihm die ausgezeichnetste Achtung zu bezeigen, – aber Liebe war es nicht, wie er sie an Mariens Herzen empfunden hatte, so glühend, [116] so einzig, so entgegen kommend allen seinen Gefühlen. Sein Stolz war beleidigt, denn das pflichtmäßige, stille Wohlwollen, mit dem ihm Josephine begegnete, gnügte seiner Eitelkeit nicht, die Liebe verlangte, auch wenn er selbst kalt blieb. Wie anders war doch Marie! seufzte er oft im Stillen, wenn seine unzufriedne Seele die Sehnsucht, geliebt zu werden, füllte. Alle ihre Reize, selbst ihre hartnäckige Weigerung, auf eine unrechtmäßige Weise sein zu seyn, stellten sich seiner Einbildungskraft wieder dar, und erhöhten die Begierde, sie zu besitzen. Aber ach, nur vergebens! Mariens Tugend war unerschütterlich, und wenn auch seine nahe Verbindung mit Josephinen nicht gewesen wäre, so vernichtete doch ihre niedre Herkunft, trotz der Allmacht, mit der ihn ihre Liebenswürdigkeit anzog, jeden Anspruch auf seine Hand.

Der Zeitpunkt seiner Vermählung rückte immer näher. Josephine sah diesem feierlichen Tag mit einem stummen Gram entgegen, den sie nur in der Stille enthüllte. Gegen ihren Bräutigam war sie sanft und duldend, – keine Klage erleichterte ihr Herz, und still, wie die Ergebung, mit verschlossenen Lippen, die sich zu lächeln bemühten, [117] trug sie ihren Schmerz, und nur ungesehen ließ ihr volles Auge seine bittre, einsame Thräne auf den Boden fallen.

Erst wenig Tage vor dem gefürchteten zwanzigsten Oktober hatte sie Kraft genug, ihrem August die Entscheidung ihres Schicksals und ihren gescheiterten Vorsatz zu schreiben. Sie that es mit zerrissenem Herzen.

»Auch den letzten lichten Strahl von Hoffnung, schrieb sie ihm, der noch beim Abschied heimlich die düstere Nacht meines Innern erleuchtete, ist nun verschwunden. Ich muß den Mann heurathen, den mir meine Eltern bestimmt haben, und ich will suchen, ihn glücklich zu machen. O, Wilmuth, glauben Sie nicht, daß es mir so leicht wird, Ihnen auf ewig zu entsagen, aber ich bemühe mich, die Gedanken zu verbannen, die wider mein Schicksal murren. Die Ansprüche, die mir die Erfüllung meiner Pflichten auf ein besseres Leben giebt, wo ich laut gestehen darf, was ich empfand, diese sind's allein, die mich zu trösten vermögen über ihren unersetzlichen Verlust.

Leben Sie wohl, theurer Freund meiner schönsten, glücklichsten Jahre! Nehmen Sie den [118] Dank Ihrer fernen Josephine noch einmal für alle Ihre Liebe und Treue. Ach, wenn ich sie Ihnen auch nicht lohnen konnte, so hätte sie doch kein Herz tiefer empfunden, als das meinige, keines. Ihren Werth inniger erkannt. Nur nach Jahren erst schreib' ich Ihnen wieder. Dann wird vielleicht, und Gott erhöre mein Gebet, das darum fleht, dann wird vielleicht nicht mehr Leidenschaft meine Feder führen, dann werden die Wünsche, die meine Seele nährt, sich selbst aufgezehrt haben, da das Schicksal sie niemals stillen wird, und meine heiße Liebe wird geworden seyn, was sie werden muß: innige Freundschaft, an der unser ehemaliges Verhältniß keinen Theil mehr hat. Die Zeit wird Ihr Andenken in mir nicht verlöschen, nur mildern, und auch in der kältern Sprache der Freundschaft noch werden sich unsre Seelen verstehn.« – – –

Endlich erschien der zwanzigste Oktober, und mit dem sinkenden Laub sanken auch die Thränen ihrer Entsagung. Wodmar bemerkte den Kummer, den sie verhehlen wollte, der aber nur zu deutlich aus ihrem verlöschten Auge und ihrer bleichen Wange sprach. Fehlt Ihnen etwas, Josephine? frug er mit zürnendem Befremden, [119] als er sie zu der feierlichen Ceremonie abholen wollte, die auf sie wartete, um ihre Hände zu vereinigen, und er sie blaß, bebend und in Thränen fand. Diese sonderbare Traurigkeit, der Sie Sich überlassen, ist zu groß und anhaltend, als daß sie aus den Regungen Ihrer Sittsamkeit entstehen sollte, wie mich Ihre Mutter überreden will. Haben Sie vielleicht Vorstellungen vom Ehestande, die Ihnen Schrecken machen, so seyn Sie ruhig. Ich werde alles thun, was in meinen Kräften steht, Ihnen ein frohes, glückliches Loos zu bereiten. Oder, fuhr er mit ernsteren, forschendern Blicken fort, sollten Sie nur mir, gerade mir, ungern diese Hand geben, da vielleicht ein Andrer Ihr Herz besitzt? Hab' ich vielleicht, ohne es zu wissen, Hoffnungen vernichtet, die einen andern Gegenstand hatten, als mich? O, Josephine, Ihr einsames Grämen ist mir nicht entgangen, ob es Ihnen gleich so schien. Reden Sie, was ist seine Ursach? –

Josephine warf sich zum erstenmal in ihrem Leben in seine Arme mit einer Heftigkeit, die ihr der aufgeregte Schmerz lieh. Wodmar! rief sie aus, schonen Sie mit Güte und Nachsicht die Schwächen meines nicht ganz glücklichen Herzens. [120] Ich fühle, daß ich Ihnen eigentlich mehr seyn sollte als ich bin, und es macht mich traurig, daß ich es noch nicht kann. Aber haben Sie Geduld, mein Freund, – wenn ich auch nicht mit dem Feuer der Leidenschaft, das wohl ohnedem bald verraucht, an Ihnen hänge, so soll mir doch stets meine Schuldigkeit heilig und kein Opfer zu theuer seyn, wenn es Ihr Glück erkauft.

Den Graf befriedigte diese Erklärung nicht, im Gegentheil beleidigte sie seinen Stolz, da er in ihr nur das verschleierte Geständniß ihrer Liebe zu einem Andern sah. Aber sie war so schön mitten in ihrem Kummer, daß er mit einem grausamen Vergnügen sie lange betrachtete. Er sah an ihr nur die Anmuth, nicht die Bitterkeit ihrer Thränen, – nicht die Seufzer ihres Schmerzes, nur den schwellenden Busen, den sie hoben; und so sehr er auch Willens war, ihr seine gereizte Empfindlichkeit unverhüllt zu zeigen, so konnte er doch ihrer Schönheit, die ihre Fürsprecherin war, nicht widerstehn, und eine glühende Umarmung war seine einzige Antwort.

Ruhiger folgte ihm nun Josephine in den von hundert Kerzen erleuchteten Hochzeitssaal, [121] und in den bebenden Ton, mit dem sie das feierliche Ja aussprach, goß sie die ganze Sanftmuth ihres Herzens. Wir sind nun verbunden, Josephine! sagte ihr Gemahl, als sie allein waren, aber um beide glücklich zu seyn, wollen wir die Uebereinkunft treffen, einander wechselsweise nicht in unsrer Freiheit zu beschränken. Sie sind ganz Meisterin Ihrer Zeit und Ihres Willens, und Ihr feines Gefuhl ist mir Bürge, daß Sie, auch wenn Sie Sich ganz selbst überlassen sind, nichts trotz Ihrer Jugend unternehmen werden, was meiner Liebe und meines Namens unwerth wäre, und den zarten Ruf beflecken könnte, den Sie zu erhalten, Sich und mir schuldig sind. Die große Welt spottet über eine zärtliche Ehe, und ich muß gestehn, ich bin zu stolz, als daß ich verliebt in meine Frau scheinen möchte; – wenn ich also in Gesellschaften Ihre Liebenswürdigkeit weniger zu fühlen, und diesen schönen Augen, die ich zu Hause mit so vielem Vergnügen aufsuche, weniger zu begegnen scheine, als ich sollte, so geben Sie nicht mir, sondern dem großen Ton, in den man einstimmen muß, die Schuld dieser scheinbaren Vernachlässigung, und seyn Sie versichert, daß ich demohngeachtet das Glück lebhaft[122] empfinde, Sie zu besitzen. Ich möchte, wenn ich wählen sollte, der Welt lieber verächtlich als lächerlich seyn, und unterwerfe mich deswegen willig diesem Zwang, um dies letztere zu vermeiden. – Josephine hörte ihm ernsthaft zu, ohne zu antworten. Seine Grundsätze empörten ihr Herz, und füllten es mit Kälte für ihn, die sich ihrem Benehmen gegen ihn mittheilte. Wenig Tage nach ihrer Verheirathung führte sie der Graf auf seine Güter, um sie ihr zu zeigen, ehe sie die Stadt bezögen, der seine Brust sehnlich entgegen klopfte, weil sie der Wohnort seiner unvergeßlichen Marie war. Josephine, an ein einsames Leben gewöhnt und nicht gestimmt, Theil an den Freuden der Stadt zu nehmen, äußerte den Wunsch, den Winter auf dem Lande zuzubringen, und Wodmar willigte gern ein, da die Verschiedenheit ihrer Gesinnungen immer eine Scheidewand zwischen beiden war, die sie nicht zu übersteigen vermochten, und da die, oft mit etwas Stolz und Strenge verknüpfte Moralität ihres Wesens ihn eben so sehr von ihr zurückscheuchte, als ihre Schönheit ihn anzog. Aber werden Sie nicht Langeweile haben, den ganzen langen Winter hindurch? frug er Josephinen. – [123] O nein, versetzte diese, – denn Beschäftigung wird meine Gesellschaft seyn.

Noch einen Monat hielt es der Graf in der ländlichen Abgeschiedenheit aus, die ihm anfing herzlich zur Last zu werden. Die Jagd war sein einziges Vergnügen, und er hing ihr mit Leidenschaft nach, aber sie konnte doch nicht ganz die Wünsche seines Herzens stillen, die nach süßeren Freuden strebten. Marie war und blieb der Inbegriff seiner schmerzlichsten Sehnsucht. Er suchte alles hervor, um die Gedanken zu entfernen, die ihn immer auf ihr Andenken leiteten; – er versammelte eine Menge junger Wüstlinge um sich her, und bemühte sich durch die lärmende Fröhlichkeit, die unter ihnen herrschte, die Seufzer seiner Liebe zu ersticken: aber das Denkmal, das verschwundne Freuden zurücklassen, ist nicht zu verlöschen. Er suchte es zu verbannen, wenn er sich mit seinen Freunden der zügellosesten Laune überließ, und wirklich floh vor ihrer stürmischen Munterkeit das Bild seines süßen, ehemalichen Glücks, und seiner Marie. Aber ein Augenblick der Einsamkeit gab seiner Erinnerung ihre ganze Kraft wieder, die die Zerstreuung geschwächt hatte, und er fühlte sich mißvergnügter als jemals.

[124] Eine Menge Entwürfe beschäftigten nun seine Seele. Ueberall stand ihm Mariens Festigkeit im Wege, aber er ließ doch den Muth nicht sinken, denn er rechnete auf die Ueberreste ihrer Liebe, und auf – Betrug.

[125]

12. Kapitel

Zwölftes Kapitel

Endlich erschien der Augenblick, wo er dem Landleben und seiner Frau Lebewohl sagte; er that es mit heiterm Sinn, und auch Josephine sah ihn ohne Kummer abreisen. Seine Gegenwart legte ihrer Schwermuth Fesseln an, denn sie hielt es für ihre Pflicht, ihm zu verbergen, daß ein andres Bild als das seinige mit Flammenzügen in ihre Seele gegraben war. Nie soll er fühlen, gelobte sie sich in der Stunde der Vermählung, daß ich einen Andern liebe. Alle Folgen dieser unglücklichen Leidenschaft sollen mich allein treffen, und verschwiegen und ohne Klagen will ich leiden, bis mein Herz bricht oder ihn vergißt!

Der Graf kam glücklich in der Stadt an, und all' sein Blut gerieth in Wallung, als sein [126] Wagen an Mariens Hause dahin rollte. Vergebens sah er an alle Fenster: – ohne sie zu erblicken, fuhr er vorüber. Die trauliche Dämmerung empfing ihn, als er in seine Wohnung trat, und begünstigte die Erinnerung der Vergangenheit. Er fand Mariens Briefe, die er zurückgelassen hatte, weil es einst sein ernstliches Bemühen war, sie zu vergessen. Wie lebhaft trat nicht, als er sie jetzt wieder las, das Andenken jener glühenden Stunden vor seine feurige Einbildungskraft, und mahnte ihn an die unbeschreibliche Seligkeit, die er in ihren Armen genossen. Es war ihm unmöglich, seinen ersten Versuch, sie zu sehn, bis auf den morgenden Tag aufzuschieben. Er hüllte sich in einen Mantel, und trat nicht ohne heftige Bewegung den Gang zu ihrem Hause an.

Es war verschlossen, er zog die Klingel, man öffnete. Eine unbekannte Person kam ihm mit einem Lichte entgegen und frug nach seinem Begehren. Er erkundigte sich nach dem alten Müller. Mein Gott, wissen Sie denn nicht, daß er nun schon beinah vier Monate todt ist? – Wodmar trat erstaunt zurück. Und seine Tochter? – Hat dies Haus verkauft, und wohnt bei einer [127] Muhme in der andern Vorstadt. – Bestürzt verließ er die geliebte Schwelle und ging zurück.

Am andern Tage fand er ohne Mühe Mariens neue Wohnung. Ungestüm pochte sein Herz, als er sich ihr näherte. Mariens Muhme war eine Stickerin; dies gab ihm den Muth, geradezu zu gehn, denn Mariens edles Zürnen versprach ihm fürs erste nicht den besten Empfang. Er fragte nach Frau Köhler, und man machte ihm die Thür eines kleinen aber reinlichen Zimmers auf, in welchem Tante und Nichte arbeiteten. Mit einem unbeschreiblichen Aufruhr aller seiner Empfindungen trat er hinein. Die tiefe Trauer, nicht allein in Mariens Kleidung, sondern auch in ihrem Wesen, lieh ihrer Schönheit einen neuen, doppelten Reiz, und gab ihr etwas unendlich Rührendes. Den Glanz, den ihre schönen Augen durch Thränen verloren hatten, ersetzte eine sanfte Melancholie, die ihre ernsten Blicke bewohnte. – Als sie aufsah und ihn erkannte, ward sie bleich, dann wieder glühend roth, und die Nadel fiel aus ihrer zitternden Hand. Wodmar näherte sich schüchtern, grüßte beide mit einem Anstrich von Scham, Verwirrung und Reue, der ihn, wie er wohl wußte, [128] nicht verstellte, und bat die Alte, ihm die Muster ihrer Stickereyen zu zeigen, weil er einige Bestellungen machen wollte. Sie ging und Wodmar und Marie blieben allein.

Sie fühlte tief die Gefahr dieses Augenblicks, stand auf und wollte sich entfernen. In ihrer Haltung lag ein Adel, eine Würde, die den Grafen noch mehr entflammte, dessen Innres alle Begierden mit dreifacher Macht durchschauerten, die das reizende Mädchen jemals in ihm erweckt hatte. Er hielt sie auf. Marie! rief er mit einer Stimme, deren liebe-athmender Ton zart, aber innig die leise-tönendsten Saiten ihrer Empfindung berührte, Marie! willst Du kein Wort zu meiner Vertheidigung hören? – kein Wort von Versöhnung? – Sie wandte sich weg und verhüllte ihr weinendes Angesicht. – O, Marie! fuhr er fort, indem er vor ihr niederkniete, und sie ohngeachtet ihres Widerstrebens umfaßte, kannst Du dem Mann verzeihen, der Deine engelreine Tugend so bitter beleidigte? – Kannst Du ihm vergeben, wenn er reuig zu Dir zurückkehrt, und wieder gut machen will, was sein Leichtsinn verdarb? – Sieh', ich wollte Deinem Bilde entfliehn, aber es folgte mir, wie das Andenken [129] Deiner ehemaligen Liebe! Umsonst sucht' ich Dich zu vergessen, – alle wonnevollen Stunden vorüber geflohner Zeiten, alle Freuden, die ich an Deinem Busen genossen, alle noch schönern Träume der Zukunft, deren Erfüllung ich hoffte, vereinigten sich, mir mein Leben ohne Dich zur Qual zu machen. Und Du solltest mich verstoßen, Marie! da nur Deine Hand mich wieder auf die rechte Bahn zu leiten vermag? Du solltest Dein Herz, das mich ehedem so zärtlich liebte, jetzt auf ewig für mich verschlossen haben, jetzt, da ich es erst verdiene? –

Marie richtete sich auf und sah ihm mit einem Blick ins Auge, in dem ein Himmel voll Selbstgefühl lag. Warum, sagte sie ernst und ruhig, warum erinnern Sie mich an Zeiten, deren ich nur noch wie eines Traumes gedenke? Warum unterbrechen Sie durch Ihren Anblick den Frieden meiner Einsamkeit aufs neue? – –

Um, rief der Graf vor Freude zitternd, als er die Milde sah, mit der sie zu ihm sprach, um Dir, Geliebte meines Herzens, die größte Probe von der Wahrheit meiner Reue und meiner Liebe zu geben, indem ich Dich durch eine rechtmäßige [130] Verbindung zu der meinigen mache. Starr blickte Marie in die zärtlichen Augen des Geliebten: – O wenn dies nur eine Bethörung meiner Sinne ist, seufzte ihr Herz, so möge sie nie der Wirklichkeit weichen. Laß mich niemals erwachen, gütiger Gott, wenn ich jetzt träume!

Frau Köhler kam jetzt wieder und war äußerst erstaunt, den schönen Fremden vor ihrer Nichte auf den Knieen, und diese in Thränen zu finden. Es waren die süßen Thränen der Vergebung, in denen sie die letzten Funken ihres Unmuths erstickte, und die die düstern Spuren einer bittern Vergangenheit in ihrer Seele verlöschten. Wodmar sprang auf, gab sich der Alten zu erkennen, und entdeckte ihr den Vorsatz, ihre Nichte zu heirathen. Er war unwiderstehlich, wenn er bat, und war es doppelt, wenn er die Befriedigung seiner Leidenschaften hoffte.

Frau Köhler merkte wohl, daß sich die Liebenden länger kannten, als heute, es wurde ihr nicht schwer zu sehen, daß Marie den schönen Grafen liebte, – und wie wär' es anders möglich gewesen? Ihr sorgenloses Herz ohne allen Argwohn, von dieser glühenden Liebe gefesselt, [131] die die erste ihres Lebens war, sah in ihm nur das, was er scheinen wollte, den Bereuenden, Zurückkehrenden, der ihr und seiner Zärtlichkeit alle Vortheile seines Standes zum Opfer bringen, und die Tage ihrer Trauer um ihn ihr nun vergolden wollte. Zwar regten sich noch Zweifel in ihr, aber sie betrafen mehr sie selbst, als die Redlichkeit des Geliebten. Werd' ich Dir auch, rief sie zaghaft aus, durch alles, was ich bin und habe, die Opfer belohnen können, die Du mir bringst? Ach, bedenke wohl, was Du thun willst! Du mußt dann jeder Verbindung entsagen, die Deinem Stand und Deinem Reichthum angemeßner wäre, und für ein armes Bürgermädchen leben, das nie aus dem engen Kreise ihrer Häuslichkeit kam, und nichts weiß, als Dich zu lieben. Wird Dirs dann niemals gereuen, wenn Du die vornehmen Fräulein und Gräfinnen siehst, die Deine arme Marie in allem so weit übertreffen, daß Du mich gewählt hast zur Gefährtin Deines glänzenden Lebens? O, geliebter Karl, meine ganze Seele hängt an Dir, aber mit frohem Muth will ich Dir entsagen, wenn Du glaubest, durch mich nicht so glücklich zu werden, wie ich durch Dich!

[132] Höre mich, Marie! sprach der Graf. Ich liebe Dich mit unendlicher Leidenschaft, und kann nur mit Dir glücklich seyn, und sonst mit Keiner. Gern sagt' ich zu Dir: theile den Glanz meiner äußern Lage mit mir, aber ich habe einen sehr ehrgeizigen Vater, und kenne ihn zu gut, als daß ich mir schmeicheln könnte, er würde jemals in unser Glück willigen. Die Vorurtheile der Konvenienz sind ihm heiliger, als die Gesetze der Natur, und Fluch und Enterbung würde mein Loos seyn, wenn ich es wagen wollte, ihm meine Liebe zu Dir zu entdecken. Aber wenn Du in mir nicht den Grafen, sondern nur den Menschen, nicht den glänzenden Schimmer, sondern nur meine feste Anhänglichkeit liebst, wenn Dir mein stiller Besitz genügt, so willige in eine heimliche Heirath, bis der Tod meines Vaters einst die Freiheit in meine Hände giebt, laut die schönen Fesseln zu bekennen und zu zeigen, die uns vereinigt haben. Ich habe ein einsames, abgelegenes Gut, welches Dich und unsre Freuden dem Blick der Welt verbergen kann, bis ich unsre Verbindung gestehn darf. Meine Liebe soll Dir die Einsamkeit versüßen, meine Treue, mein Dank Dir lohnen für Deine Einwilligung!

[133] Marie, erröthend, halb in Scham, halb in Freude verloren, schloß ihn in ihre Arme und sagte mit rührender Zärtlichkeit: O Karl, wenn ich wirklich hoffen kann, Dich glücklich zu machen, so werde auch ich es seyn, und wäre eine Wüste mein Aufenthalt. Aber – eine Thräne trat in ihr glänzendes Auge, – wie könnt' ich jemals mich selbst ertragen, wenn nur die leiseste Reue über Deine Wahl Dich anwandelte!

Wie leicht ist ein liebendes Herz überredet. Marie glaubte gern und froh den Schwüren ihres Wodmars, und Frau Köhler fand sich zu sehr geschmeichelt von der vornehmen Verwandtschaft, die ihr bevorstand, als daß sie hätte an der Wahrheit seiner Betheuerungen zweifeln können. Der Graf bat sie um Verschwiegenheit und um ihre Begleitung für Marien. – So schwer ihr auch das erste vorkam, denn sie hätte gern der ganzen Stadt das Glück ihrer Nichte erzählt, so fühlte sie sich doch durch sein zweites Anerbieten viel zu geehrt, als daß sie ihm nicht unbedingt hätte Gehorsam versprechen sollen. Jetzt schied Wodmar und ließ beide in den süßesten Träumen von Ehre und Liebe zurück. – Als er nach Hause kam und nun ganz allein mit seinen Gedanken [134] war, regte sich sein Gewissen mit schmerzlichen Stichen, und der Betrug, den er sich erlauben wollte, stand mit seiner ganzen Abscheulichkeit vor seiner Seele. Aber er wußte bald seine Absichten, so schwarz sie auch waren, zu entschuldigen.

Sind wir nicht am glücklichsten, sprach er zu sich selber, wenn ein freundlicher Wahn uns täuscht, und eine holde Bethörung, ein Traum, uns giebt, was uns ewig die Wirklichkeit versagt? – Es ist wahr, ich hintergehe Marien, aber nur um sie glücklich zu machen. Dieses zärtliche Herz, das mich nie vergessen konnte, ungeachtet ich sie so sehr beleidigt hatte, würde im einsamen Kummer gebrochen, und ihre Reize verwelkt seyn, wenn ich nicht käme, sie ins Leben zurück zu rufen. Und kann ich ihr nicht diese Täuschung, in der sie die Erfüllung ihrer Wünsche findet, verlängern, so lange ich will? – Sichere ich ihr nicht, im Fall sie auch den Betrug entdeckt, der sie zu der meinigen macht, ein hinlängliches Auskommen für sie und ihre Kinder? – Und steht es nicht bey mir, ihr, so lange sie lebt, meine wahren Verhältnisse zu verbergen? Wer wird es wagen, ihr zu entdecken, daß ich verheirathet bin, wenn ich es verbiete? – Nein, [135] fuhr er beruhigt fort, sie müßte mir es eigentlich selbst Dank wissen, daß ich mich zur List herabgelassen habe, ihre Bedenklichkeiten zu überwinden, ohne ihre Tugend, die ihr so heilig ist, scheinbar zu verwunden. Ich mache mir keine Vorwürfe mehr! Sie wird ihr Glück in dem meinigen finden. –

[136]

13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Er besuchte nun Marien täglich, theils verkleidet, theils in der Dämmerung, die ihn den Blicken der Neugierigen verbarg. Sie verlangte noch zwei Monate Frist, um mit dem Ende ihrer Trauer den Anfang ihres Glücks zu beginnen, und Wodmar, der die Wintervergnügungen leidenschaftlich liebte, bestritt ihre billige Bitte nicht, und überließ sich indessen allen den Freuden, die sich ihm darboten, schon zufrieden, das schöne Ziel ihres Besitzes vor Augen zu haben. O, wenn mein Vater noch lebte, sagte Marie zuweilen, wenn sie süß berauscht von der wonnevollen Aussicht ihrer künftigen Tage in seinen Armen lag, wie würde er sich freuen, seine Tochter der Tugend getreu und glücklich zu sehen! Als er starb und ich vor seinem Bette kniete, seinen letzten Segen zu empfangen, nahm er mit [137] seiner kalten Hand die meinige und ermahnte mich, nie meine guten Grundsätze zu vergessen! Sey noch so arm und verlassen, sagte er, so wirst Du dennoch nicht unglücklich seyn, wenn Dein Gewissen rein ist, und Dein Bewußtseyn Dich an keine Handlung erinnert, vor der Du erröthen mußt. Eine gute Aufführung, eine edle Denkungsart belohnt sich von selbst. Wenn sie auch oft die Welt vergißt und übersieht, so ist der innere Frieden, den sie mitten in Verfolgung und Elend dem Herzen gewährt, reichlicher Ersatz für die Entsagungen, die sie fordert. Denn glaube mir, es kommt eine Stunde, wo uns alles, was uns im Leben schön und glänzend schien, schal und unschmackhaft, mit verblichenen Farben vorkömmt, wo wir jeden kleinen Fehltritt schmerzlich bereuen, jede übereilte That ungeschehen wünschen, weil das sterbende Auge wie durch ein Vergrößerungsglas seine begangnen Fehler sieht, und der Glaube an Vergeltung Dornen auf das Krankenlager streut! O, wohl mir, daß ich meine Schuldigkeit that, so viel mir's möglich war, daß ich mich bemühte, gut zu seyn, und den Keim der Tugend in Dir nicht zu ersticken, sondern zu bilden! Ehre mein Andenken, indem Du meinen Lehren getreu bleibst, Dein Ohr dem Sirenengesang [138] des Lasters, Dein Auge den Lockungen der Verführung entziehst, und nur guten, frommen Empfindungen Raum in Deiner Seele giebst! –

Der gute Vater! fuhr Marie mit sanften Thränen fort, wie ruhig starb er nicht, als ich ihm alles dies versprach! – Und ehe der Tod noch sein Auge schloß, fragte er mich mit brechendem Blick und Ton: Was wird aus Ludwig? – Ich konnte nur mit Seufzern und Thränen antworten. Er verstand mein Schweigen, drückte mir die Hand und sagte mit einer Güte, an die ich nie denken werde, ohne vor dankbarem Schmerz außer mir zu seyn: Ich will Dich nicht überreden, meine Tochter! ich will Dir nicht einmal meine Wünsche sagen, aus Furcht, Du möchtest sie als die letzten, die ich thue, auf Kosten Deiner Neigung erfüllen. Aber prüfe Dich wohl, wenn Du einst eine Wahl triffst, ob sie auch verdient, daß Du ihr Ludwig opferst. – Hier wurde sein Auge immer dunkler und starrer, nur dann und wann flackerte es wild auf, und wurde dann wieder ruhig, ehe eine ewige Nacht es bedeckte. – Ach, da vergingen mir die Sinne, und ich fiel hin auf die geliebte Leiche, und wünschte mich an ihre Stelle. –

[139] Wodmar fühlte sich von dieser einfachen Erzählung heftig ergriffen, ein leiser Schauer durchflog wie Fieberfrost alle seine Glieder, aber er versteckte unter dem Anschein einer Rührung, die ihm Marien noch werther machte, seine wahren Empfindungen.

Das war der Tod eines braven Mannes, sagte Frau Köhler, und war doch nicht ganz frei von Unruh und Angst; – wie muß nicht der Bösewicht sterben, dessen Leben nichts als eine Reihe vorsetzlicher, muthwilliger Sünden war? Ach in der Todesstunde schweigt der Lärm der Fröhlichkeit, mit dem er sein Gewissen in gesunden Tagen zu übertauben pflegte, und alle seine Laster treten nackt und schwarz um sein Sterbelager, und haben die bunten Farbenkleider von sich geworfen, in denen er ehedem gewohnt war sie zu erblicken. Wenn sich nun dem Gottesläugner, dem Betrüger, dem Verführer, – und oft findet man alles in einer Person, – wenn sich ihm nun die dunkle Aussicht in das Land, woher keiner wiedergekommen ist, uns zu sagen, wie es dort aussieht, mit allen Schrecknissen des Todes öffnet, und der Gedanke an die Vergeltung, die uns dort verheißen ist, füllt seine Seele mit Verzweiflung [140] und durchfährt sein Innres wie tausend Dolche, – o wie gern gäbe er die Wollust ganzer Jahre, in der er schwelgte, für einen einzigen Tropfen Linderung, den eine gute Handlung seiner namenlosen Angst böte! – Wie wird nicht jeder seiner Seufzer ein Fluch der Vergangenheit, jede Erinnerung ein Anspruch, den die Verdammniß auf ihn macht! – –

O, hören Sie auf, rief der Graf, indem er bebend von seinem Stuhle sprang, und sich dann in lebhafter Bewegung wieder neben Marien warf, und sein Gesicht, in dem Fieberhitze mit Todesblässe wechselte, an dem ihrigen verbarg, hören Sie auf mit Ihren schrecklichen Bildern, und lassen Sie uns lieber die Armen schweigend bedauern, deren Leben sich so fürchterlich endigt. – Marie umschlang ihn mit einem ernsten Gefühl von Wohl und Wehe. Laß uns gut seyn, mein Karl! sagte sie, und dann wird unsre letzte Stunde ruhig wie die vergangenen, nur ein wenig feierlicher vorüberziehn! –

Wodmar hatte kein Bleibens mehr. Mit Wermuthsbitterkeit war in ihm die Stimme des Gewissens er wacht, die er durch die anmuthigen [141] Hoffnungen einer rosenfarbnen Zukunft in Schlummer gewiegt hatte. Er eilte nach Hause. Das Verbrechen, das er begehn wollte, die einsamen Qualen des Sterbebetts eines Verführers und die Ahndung einer Strafe nach dem Tode standen mit allen ihren Schrecken vor seiner feurigen Fantasie, und er wollte ihnen ausweichen, indem er Marien entsagte. –

Aber Marien entsagen, – – Marien, die ihm mit jedem Tage reizender schien, die mit der ganzen Wärme der ersten Liebe sich an ihn anschloß, – Marien, die sich von ihm die Erfüllung ihrer Träume versprach, die ohne ihn unglücklicher gewesen wäre, als es vielleicht selbst nach der Entdeckung seines Betrugs möglich war, – – und dies alles in der Blüthe seiner Kräfte und Jahre, bey diesem heißen Verlangen sie zu besitzen, bloß weil die gereizte Einbildungskraft einer frömmelnden Matrone ihm eine Hölle vorspiegelte, die, wenn er sie auch wirklich glaubte, doch noch weit, weit von ihm entfernt war! – Und konnte er sich nicht dann noch bekehren, wenn ihn die Abnahme seiner Gesundheit und die Annäherung des Alters erinnern würde, daß es Zeit sey? – – So raisonnirte er sich selber seine [142] Unruh hinweg, und die Zerstreuungen thaten das ihrige.

Niemand war glücklicher als Marie; ihr jetziges Leben glich einem ungetrübten Fluß, auf den der Himmel sein Bild prägte, und der nur Sonnenschein und Klarheit in seinen Spiegel aufnahm. Auf rosenfarbnen Flügeln eilte der Winter vorüber, sie legte die Trauerkleider ab, zwar noch mit einer Thräne dankbarer Rückerinnerung an den Verstorbenen, die aber der Vorbote von süßern war. Es war gegen Ende des Märzes, als der Graf, da er sie zum erstenmal wieder in bunten Farben erblickte, sie an ihr Versprechen erinnerte, sein zu seyn. Marie erröthete sanft und Wodmar küßte von ihren Lippen das Geständniß ihrer Einwilligung.

Man machte Anstalten zur Abreise. Marie hatte eine ansehnliche Summe Geld aus dem Verkauf ihres Hauses und ihrer liegenden Gründe erhalten, die sie mit sich nahm. Eine andere legte sie nieder für Ludwig, nebst einem Brief, in dem sie ihm ihr künftiges Schicksal trotz dem Verbot des Grafen entdeckte. Sie glaubte ihm, sich, und selbst der Asche ihres Vaters diese Aufrichtigkeit schuldig zu seyn, und kannte Ludwigs sichern Charakter [143] zu gut, als daß sie hätte nachtheilige Folgen von ihrem Zutrauen befürchten können.

Ich habe mich selbst betrogen, Ludwig! schrieb sie ihm, nicht ohne Kummer, weil sie voraussah, wie sehr ihn dieser Brief betrüben würde. Ich glaubte Dich zu lieben, aber es war nur Freundschaft, was ich für Dich empfand, und sie gnügte meinem Herzen, als es noch unbefangen war und die Liebe noch nicht kannte. Aber jetzt, da ich den Mann habe kennen lernen, den ich allein mit Leidenschaft zu lieben vermag unter allen, jetzt nimm meinen innigsten Dank für das Vertrauen, mit dem Du von mir das Glück Deines Lebens hofftest, und die Bitte um Verzeihung, daß ich es niemals Dir gewähren kann. Ein heiliges, unauflösliches Band vereinigt mich in wenig Tagen mit dem Grafen von Wodmar, und es wird meinem künftigen Glück nichts fehlen, wenn ich Dich ruhig und zufrieden weiß, – und dies wirst Du gewiß bald seyn, wenn es Dir auch jetzt weh thut, mich verloren zu haben. Denn die liebenswürdigen Eigenschaften Deines Herzens werden Dir bald eine Freundin erwerben, die Dich mehr verdient, als Marie, die, wenn sie Dir auch Wort gehalten, Dir doch nur ein getheiltes Herz hätte [144] geben können, das Deiner unwerth gewesen wäre, da Du ein ganzes verdienst. Nicht der Glanz, der mit dem Stande meines künftigen Mannes verknüpft ist, hat mich verblendet, sondern Liebe zu ihm selbst, die sich unwiderstehlich meines Wesens bemächtigte. Denn erst nach Jahren, wenn die Hindernisse nicht mehr sind, die jetzt die Konvenienz unsrer Verbindung entgegen stellen würde, erst dann werd' ich öffentlich diesen Glanz, der mir gleichgültig ist, mit ihm theilen und laut den Namen führen, der mich bis dahin in der Stille beglückt. – Dir, mein Freund, theile ich im vollen Vertrauen auf Deinen Edelmuth und Deine Verschwiegenheit dieses mein heiligstes Geheimniß mit, um Dir mein schnelles Verschwinden zu erklären. Nimm diese Summe als ein Andenken an mich und meinen gütigen Vater, der sie für uns beide sammelte, und wenn wir uns einst nach langer Zeit wiedersehn, so laß mich in Dir den treuen Freund wiederfinden, der Du mir warst, so lange ich denken kann.

Als Marie diesen Brief geschlossen hatte, dünkte es ihr, als hätte sie sich nun von allem losgerissen, was sie bisher noch abhielt, ganz ihrem geliebten Grafen zu leben. Noch einmal [145] ging sie auf den Kirchhof, um Abschied von dem Grabe ihres Vaters zu nehmen. – Die ersten Veilchen, die es gab, hatte sie sich bringen lassen, und als ein Todtenopfer auf den braunen Hügel gestreut, der die theuern Ueberreste verbarg. Noch einmal sagte sie in stummen Gebeten für den Frieden seiner Seele, ihm Dank für alle seine väterliche Sorge: – – es wurde ihr so wohl und doch so weh, daß sie ihren gedrängten Gefühlen keinen Namen geben konnte. Wie eine dunkle Gewitterwolke zog eine bange Ahndung an ihr vorüber, aber der Sonnenstrahl der Liebe leuchtete drein und verminderte ihre Schwermuth.

[146]

14. Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Sie reisten am andern Morgen ab, Marie ohne Betrübniß die Stadt zu verlassen, in der sie geboren und erzogen war, denn fern von ihren Mauern warteten süßere Bande auf sie, als sie noch jemals getragen hatte. – Schon auf der ersten Station holte sie der Graf ein, und nun setzten sie vereint ihre Reise fort.

Glückliche Tage! – auch lange nachher hob noch bei ihrem Andenken ein stiller Seufzer Mariens Brust, und schien sie zurück zu wünschen. An der Seite des Mannes, den sie liebte und der nun bald ihr auf ewig angehören sollte, die schönsten Gegenden ihres Vaterlandes gleichsam zu durchfliegen, – Freude und Belehrung in jedem Gegenstand zu finden, an dem sie vorübereilten,[147] – dazu die sanfte, laue Luft und der ungetrübte Himmel des ersten Frühlings, – die Neuheit, die das Vergnügen des Reisens für sie hatte, und die schonende Zartheit, mit der der Graf, um sein Opfer noch mehr zu täuschen, mit ihr umging, – – endlich die Hoffnung einer nahen Vereinigung, die über alles ihren eignen Zauber goß; – war dies nicht genug, um ein schuldloses, empfängliches Herz, wie das ihrige, mit dem höchsten Grad des Entzückens zu füllen?

Am dritten Tage kamen sie auf ein Landgut an, wo man sie schien erwartet zu haben. Wodmar führte seine Marie in das alte prächtige Schloß, und gleich nach ihrer Ankunft verrichtete ein gewissenloser Betrüger, den der Graf durch Bestechungen gewonnen hatte, mit allem Schein der Wahrheit die heilige Handlung der Vermählung.

Sie blieben hier nur wenige Tage, denn Wodmar glaubte sich hier nicht verborgen genug; dann verließen sie diesen, Marien so theuer gewordnen Ort, um den zu erreichen, der ihre künftige Bestimmung war.

Nesselfeld lag nur sechs Meilen davon, aber immer einsamer wurde der Weg, der über unfruchtbare [148] Haiden und steinigte Felder dahin führte. Endlich, als die öde Gegend immer flacher und flacher wurde, sahen sie es schon weit aus der Ferne liegen, denn es war das einzige Haus, das das Auge auf der ganzen leeren, mit Getreide sparsam bebauten Ebene erblickte. Einige wilde Kastanienbäume, deren Grün noch nicht erwacht war, warfen den Schatten ihrer unbekleideten Aeste auf den Hofraum, und an der grauen, halbbemoosten Steinwand schlängelte sich der gesellige Epheu empor. Sie stiegen ab, der Kastellan des Schlosses empfing sie und öffnete ihnen die Zimmer, die für sie bereitet waren. Außer ihm und dem Schloßgesinde gab es meilenweit kein lebendiges Wesen in der Gegend, denn Nesselfeld lag ganz allein, ohne ein Dorf das dazu gehörte. Ein artig möblirtes Zimmer, mit einem schönen Klavier, über welchem das wohlgetroffne Bild des Grafen in Lebensgröße hing, war für Marien bestimmt, und hatte eben dieses Bildes wegen unaussprechlichen Werth für ihr Herz. Auch fand sie eine kleine Bibliothek, die ihr Unterhaltung genug in ihren Nebenstunden hoffen ließ. Uebrigens hatte das Ganze ein etwas melancholisches Ansehn. Trat sie ans Fenster, halb von dem düstern Grün des Epheus verdunkelt, [149] so breitete sich die unermeßlich weite Fläche vor ihren Blicken aus, die sich in ferne, zum Theil von Waldung geschwärzte Höhen verlor. Nirgends eine Spur von Leben und Thätigkeit, – nirgends ein Gegenstand, auf dem das Auge mit Theilnahme hätte verweilen können! – Aber Marien dünkte an der Seite ihres Karls die Gegend paradiesisch. Sie fühlte sich so innig vertraut mit jedem Wehen der kosenden Frühlingsluft, empfand so tief und mit so viel Dank das Glück seiner Liebe, daß die Schwermuth ihres Aufenthalts keinen Eindruck auf sie machte.

Auch Wodmar lebte die glücklichsten Tage, die ihm noch jemals geworden waren, in den Armen dieses reizenden Geschöpfs, und in dieser menschenleeren Einsamkeit. Er, der immer mehr gesucht als gefunden, immer mehr verlangt als genossen hatte, sah durch Mariens Zärtlichkeit, die ihm immer neu blieb, die süßen Erwartungen übertroffen, die er genährt hatte. Bessere Regungen, als er noch jemals gekannt, kehrten bei ihrem sanften Umgang in sein Herz zurück, und bittre Empfindungen durchbebten es bey dem Gedanken, sie so grausam hintergangen zu haben. Ach, er hatte oft die liebevolle Sorgfalt nöthig, [150] mit der sie seinen Kummer zu zerstreuen suchte, wenn sei Bewußtseyn ihm Vorwürfe über den schwarzen Betrug machte, den er sich erlaubt hatte. Vielleicht, wenn seine Hand noch frei gewesen wäre, hätte er mit ihr ihre gränzenlose Liebe belohnt, – vielleicht, wenn er den ganzen Umfang ihrer Güte, den ganzen Werth und die ganze Reinheit ihres Wesens, die sich ihm nun enthüllte, vorher gekannt hätte, hätte er den schönsten Sieg über sich selbst errungen und nie den goldnen Frieden ihrer Unbefangenheit gestört. Marie wäre dann glücklich mit ihrem Ludwig, wenn auch nicht durch eine leidenschaftliche Liebe, doch durch gegenseitige Achtung und Gleichheit ihrer Verhältnisse geworden, und der Staat hätte eine nützliche, bürgerliche Familie mehr gehabt. Aber nun, – da alles geschehn war, was es ihm unmöglich machte, zurück zu gehn, da ein feierliches Gelübde ihn an Josephinen, die zärtlichste Neigung ihn an Marien band, da entschloß er sich wenigstens ihr so lang als möglich den durchbohrenden Schmerz der Entdeckung ihrer wahren Lage zu ersparen, und ihr einsames Leben so süß zu machen, als in seinen Kräften stand.

Einige Monate brachte er bei ihr zu, ohne sich andre Freuden zu wünschen, als ihm ihr Umgang [151] bot. Nie hatte er im Getümmel der großen Welt geglaubt, daß Häuslichkeit so süß sey. Marie wußte sie durch eine immer gleiche Heiterkeit ihres lebhaften Geistes, durch ein beständiges, freundliches Entgegenkommen seiner Wünsche, und durch die angenehmen Talente zu würzen, die sie gesammelt hatte und zu vermehren suchte. Oft gingen sie Hand in Hand durch die sparsam grünende Wiese, über die sich ein schmaler Bach, mit Weiden bepflanzt, lieblich-flüsternd ergoß, und war gleich die Aussicht weit und leer, so blickten sie sich wechselsweise ins Auge, und glaubten im Paradiese zu wandeln. Oder sie saßen in der Mittagsstunde unter den Kastanien in ihrem Hofraum in ein süßes Schweigen versunken, – oft angenehmer noch, als das traulichste Geschwätz, – und nahmen ihr einfaches Mittagsmahl ein. Sanft regte sich der laue Wind in den breiten, schattigten Blättern, und manche weiß und röthliche Blüthe wehte sein Hauch herab, um damit ihre Tafel zu schmücken. Oder sie sahen die Sonne untergehen, wie sie hinter die fernen Anhöhen wie in ein Meer von Purpur sank, und Wodmar hinderte den rosenfarbnen Schimmer ihres Wiederscheins Mariens Gesicht zu erreichen, das die Gesundheit schöner [152] geschmückt hatte, als es das Abendroth vermochte; – oder wenn der Abend herandunkelte, lockte Marie den Geliebten durch die silbernen, rührenden Töne, die sie dem Klaviere abzugewinnen wußte, in ihr stilles, friedliches Zimmerchen und begleitete sie, wenn er kam, durch ihren kunstlosen, aber reizenden Gesang, der ohne mit Künsteleien überladen zu seyn, unwiderstehlich zum Herzen drang.

War das Wetter trübe und erlaubte ihnen nicht im Freien zu seyn, so schloß Marie den Bücherschrank auf, und sie lasen sich wechselseitig vor, – oder der Graf unterrichtete sie im Zeichnen, worin er viel Geschicklichkeit besaß, und freute sich der Fortschritte, die seine holde Schülerin in allem machte, was sie unternahm. Bald erfanden sie Desseins zu Stickereien, die dann Mariens Nadel auf seidnen Grund zauberte, während Wodmar ihr vorlas, – bald gaben sie sich mit ernsthaftern Dingen ab, entwarfen Landschaften, Monumente, oder zeichneten Kupferstiche nach, – oder Wodmar lehrte sie Französisch und Marie begriff um ihres Lehrmeisters willen, alles mit erstaunender Leichtigkeit.

So flohen mit unbeschreiblich süßer Eile die Stunden des Beisammenseyns vorüber, und ernst [153] und traurig nahte ihnen die Trennung. – Marie weinte die bittre Thräne des Abschieds an seinem Herzen, und auch ihn beklemmte das Lebewohl mit namenloser Wehmuth. O wie gern hätte er ganze Jahre seines Lebens dahingegeben, um den Vorwürfen zu entfliehen, die ihm sein Gewissen mit jeder neuen Probe lauter machte, die ihm Marie von ihrer Liebe gab.

Die Gewohnheit, sie täglich zu sehen, und die anspruchlose, stille Güte ihres Charakters, und ihre ungeheuchelte Frömmigkeit in einer Menge kleiner Vorfälle zu bemerken, – seine jetzige, unzerstreute, einfache Lebensart, seine Entfernung von den verdorbnen Sitten der großen Welt, und der wohlthätige Einfluß der Natur auf sein ganzes Wesen, hatten ihn besser und fühlbarer für Mariens Werth und seinen eignen Unwerth gemacht, als er es jemals war. Tiefe Schwermuth umhüllte seine Stirn und trübte sein Auge, – und er empfand die Wahrheit in ihrem ganzen Umfang: daß der Betrogne fast immer glücklicher ist, als der Betrüger.

Endlich schied er. Marie sah ihm aus ihrem Fenster nach, so weit ihr Auge reichte; – selbst [154] auf der Staubwolke, hinter der sein Wagen verschwand, verweilte noch lange ihr Blick und dann verhüllte sie ihn und seine Thränen. – Wie war ihr nicht alles so leer, als Er ihr fehlte! – Wie vermißte sie ihn nicht überall, wo Er sonst mit ihr gegangen war, und wie öde dünkten ihr jetzt ihre Spaziergänge, denen damals nur seine Gesellschaft Anmuth und Reize lieh! – Zwar hatte er ihr versprochen, oft zu schreiben, und auf diese Art sie und sich über die Schmerzen der Trennung zu täuschen; – aber ach! ist wohl der todte Buchstabe des Briefwechsels Ersatz für die Abwesenheit des Geliebten? Konnte er sie entschädigen für das Glück ihn zu sehn, ihn zu sprechen, ihn zu umarmen? –

Die ersten Tage vergingen ihr in tiefer Traurigkeit. Endlich verlor ihr Schmerz bei ihrer angebornen Milde etwas von seiner Schärfe, und die Hoffnung des Wiedersehns verwandelte ihn in eine sanfte Melancholie, die ihr theuer wurde. Sie ertrug gern die Einsamkeit, in die sie die Liebe verbannte, und wußte sie zu verschönern. Sie schrieb ihm täglich, und ihre Briefe trugen das Gepräge der Sehnsucht, der Zärtlichkeit und des innigsten Vertrauens. Sie arbeitete fleißig, [155] denn es war für ihn! Sie setzte ihr Zeichnen und ihr Französisch mit einem unermüdeten Fleiß fort, und in den Abendstunden, die ihr sonst mit ihm so fröhlich vergangen waren, folgte sie dem stillen Gebot ihrer Gefühle und stimmte oft das traurige Lied aus Nina an, welches ihr Karl einst gelernt hatte, und das jetzt auf ihren Zustand paßte:


Quand le bien-aimé reviendra etc. – [156]

15. Kapitel

Funfzehntes Kapitel

In tiefe Betrachtungen verloren, setzte der Graf seinen Weg fort, und oft wandte er sein Auge zurück, um noch einmal den Ort zu erblicken, wo er so unvergeßlich glücklich gewesen war. Er fühlte sich sonderbar erschüttert von den Empfindungen des Abschieds, – die Thränen waren ihm so nahe, das Herz so weich und so geneigt zur Wehmuth, wie noch nie in seinem Leben. – O, Marie! sagte er zu sich selbst, wärst Du wirklich mein durch rechtmäßige Verbindung, die ich laut bekennen dürfte, wie Du jetzt im Stillen mein bist, durch Dein unverdientes Vertrauen in meine Redlichkeit, – wie gern wollte ich dem eiteln Schimmer entsagen, der mir sonst so wichtig dünkte, um ganz für Dich und die häuslichen Freuden zu leben, die Du mich erst kennen lehrtest!

[157] Er kam auf dem Landgut an, wo er Josephinen verlassen hatte. Sie empfing ihn freudig und zärtlich. Die Schwermuth ihrer unglücklichen Liebe hatte sich in der Einsamkeit selbst aufgezehrt, da sie keine Nahrung fand, und es war ihr nichts mehr davon übrig geblieben, als ihrem Auge ein freundlich-umwölkter Blick, und ihrem Herzen eine Narbe und ein süßes Andenken der Vergangenheit, das sie noch oft beschäftigte, ohne ihr mehr weh zu thun. Sie war schöner und blühender geworden, als sie Wodmar je gesehen hatte, und die nahe Aussicht, Mutter zu werden, die sie ihm erst jetzt mit einem süßen Erröthen gestand, webte um beide das innige Band einer gegenseitigen Achtung, durch Dankbarkeit und Zärtlichkeit erhöht. Wodmar war ernster, stiller und einfacher geworden. Dies brachte ihn Josephinen näher, die ihn nun wirklich anfing zu lieben, und das Bild ihrer frühern Leidenschaft immer mehr in den Hintergrund ihrer Seele stellte.

Die Erinnerung an Marien riß jedoch eine brennende Wunde in sein Herz. Es war ihm unmöglich, Josephinens, nur durch eine kleine Zurückhaltung gemäßigte Zärtlichkeit so innig zu [158] erwiedern, als sie verdiente. Der Gedanke, nicht allein Marien betrogen, sondern auch gegen das tugendhafteste Weib unedel gehandelt zu haben, trat wie ein böser Dämon immer vor ihn und verbitterte seine Freuden. Die Hoffnung, Vater zu werden, erfüllte ihn mit Dank und innigem Antheil gegen Josephinen, aber sein Aufenthalt bei ihr war ihm peinlich, da er sich von ihr geliebt sah, und sein Herz ihm sagte, wie unwerth er ihrer Anhänglichkeit sey, und wie unfähig, sie durch Gegenliebe zu vergelten.

Er war ganz verändert. Den Ausdruck und die Heftigkeit seiner sonst so stürmischen Gefühle brach jetzt eine stille Sanftheit, die unwiderstehlich an brausenden Menschen ist, und ihm in den Augen seiner sanften Gemahlin noch ein Interesse mehr gab. Seine Sehnsucht nach Marien stieg bis zur Schwärmerey. Mit Blicken der Liebe sah er jede Wolke an und dachte: vielleicht hat sie über der Gegend geschwebt, wo sie wohnt, und um mich trauert! und auch in der Ferne that ihm die Ueberzeugung wohl, der Gegenstand ihrer Liebe und ihres Verlangens zu seyn.

In dieser Stimmung verlebte er die Sommermonate. – Im Anfang Augusts wurde Josephine [159] von einem Knaben entbunden, und mit wehmüthiger Freude drückte er den Sohn ans Herz, und dankte der Mutter für das kostbare Geschenk ihrer Liebe. Ein liebliches Roth stieg auf Josephinens vorher blasse Wange. Ich schenke Ihnen mehr, als diesen Knaben, liebster Wodmar, sagte sie mit schwacher und gerührter Stimme, ich schenke Ihnen mein Herz, das von nun an ganz und auf ewig das Ihrige ist. Ungern gab ich Ihnen meine Hand, und die Grundsätze, die Sie im Anfang unserer Verbindung äußerten, stimmten so wenig mit den meinigen überein, daß ich kälter gegen Sie war, als ich es vielleicht hätte seyn sollen. Aber ich fühle mich jetzt, nicht allein durch dieses Kind, auf das wir gemeinschaftliche Rechte haben, sondern auch durch eine freiwillige, zärtliche Neigung zu Ihnen hingezogen, mit welcher ich mich bemühen will, Sie so glücklich zu machen, als ich es durch Sie seyn werde. Sie scheinen jetzt die Vorzüge eines häuslichen Lebens vor den Freuden der Stadt einzusehn; – lassen Sie uns, wenn Ihr Herz ihnen entsagen kann, – einen stillen, ländlichen Aufenthalt immer dem Geräusch der großen Welt vorziehn, – oder wenn Ihr muntrer Sinn zuweilen nach Abwechselung verlangt, so genießen [160] Sie allein die Lustbarkeiten, die ich nicht kenne, und nicht kennen mag, weil sie niemals Reiz für mich haben werden, – und mir erlauben Sie, immer so einsam fort zu leben, wie ich es jetzt gewohnt bin. Die Erziehung unsers Sohnes wird meinem Herzen und meinem Geist Beschäftigung geben, und mit alle der Liebe und Achtung, die ich für Sie empfinde, werde ich Sie empfangen, bester Gemahl! wenn Sie müde des Herumschwärmens zurückkehren, in meinen Armen auszuruhn.

Mit einem liebevollen Lächeln reichte sie ihm ihre Hand, und mit der andern drückte sie den Säugling fest an ihre mütterliche Brust, indem ihr Auge einen ganzen Strom von Liebe über den schönen Mann ausgoß, der an ihrem Bette knieete, und Thränen der Beschämung und der Rührung weinte. Ihre ehemalige Gleichgültigkeit wäre ihm lieber gewesen, als diese liebevolle Milde, die sein Inneres verwundete, denn sie hätte ihm eher den Schein eines Rechts gegeben, seine leidenschaftliche Anhänglichkeit an Marien zu entschuldigen und fortzusetzen.

Ja, meine Josephine! nahm er endlich das Wort, die große Welt hat keine Reize mehr für den, der die stillern Freuden der Häuslichkeit in [161] ihrem ganzen, schönen Umfang gekostet hat. Ich strebe nicht mehr nach den lächerlichen Thorheiten eines falschen Genusses, die mir sonst so süß dünkten; Ihrer werth zu seyn, sey fortan das Ziel meiner Mühe. O, wenn ich auch noch nicht ganz diese Liebe verdiene, die Sie mir eben bewiesen haben, so dulden, ertragen Sie mich mit Ihrer gewöhnlichen Sanftmuth und Nachsicht, und seyn Sie versichert, daß mein Herz durch seinen eignen Kummer sich für jede Handlung selbst bestraft, die es mißbilligen muß.

Er entfernte sich hier schnell, das Tuch vor den Augen. – Josephine sah ihm verwundert nach. Schon längst hatte sie einen gewissen Trübsinn an ihm bemerkt, der ihr zwar besser gefiel, als der gaukelnde, eitle Leichtsinn seines ehemaligen Betragens, der sie aber zu gleicher Zeit, und nicht mit Unrecht, auf einen heimlichen Gram schließen ließ, der an seinem Innern nagte. Da er aber nicht geneigt schien, sich zu entdecken, so wagte sie nicht, um die Ursache desselben in ihn zu dringen, denn der Schmerz, der sich selbst aufopfert, indem er sich verbirgt, war ihr heilig.

Sie erlangte bald ihre verlornen Kräfte wieder, und die Mutterfreuden, die ihr so neu als entzückend[162] waren, beförderten ihre Genesung. Jetzt dachte sie mit einer Empfindung, die ihrer Ruhe nicht mehr gefährlich war, an August, wie man eines Gespielen aus früher Jugend gedenkt, von dem uns das Schicksal trennte, ohne uns mehr von ihm zurück zu lassen, als eine wehmuthsvolle Erinnerung, der aber Zeit und Vernunft jede Bitterkeit nahm. Sie hatte versprochen, ihm zu schreiben, so bald sie sich diese Stimmung zugeeignet haben würde, und jetzt war der Zeitpunkt, wo sie Wort hielt.

Die Sehnsucht nach Ihnen, schrieb sie, die mich zum Schreibtisch hinführt, gehört nicht mehr der Liebe an, und darum bekenne ich sie Ihnen ohne zu erröthen. Ein anderes Gefühl, nicht weniger hehr und heilig wie das erste, hat seine Stelle eingenommen, und in meinem Herzen trage ich das Bild meines Gemahls und meines Freundes in seliger Eintracht. Sie werden mich keines Wankelmuths beschuldigen, Wilmuth! wenn ich Ihnen frey bekenne, daß dem Manne, der den Bund meiner ersten Liebe störte, jetzt meine zweite gehört. Er ist der Vater meines Kindes, und die Allmacht dieses Gedankens würde mich schon zu ihm hinziehn, auch wenn er weniger liebenswürdig wäre. – [163] Ich trat mit großer Abneigung in den Ehestand, aber eben die geringen Erwartungen meines Glücks machten, daß ich nach und nach den Werth meines Mannes und meiner Lage zu fühlen anfing. Ich bemühte mich, jeden Wunsch zu ersticken, der wider meine Pflicht war, und bald gab mir eine höhere Macht den Frieden wieder, der meiner Seele fehlte. Ich bin Mutter, – mit wonnevollen Thränen benetzte ich den Knaben, dem ich Ihren Namen gab, und gelobte ihm und seinem Vater Liebe und Sorgfalt für meine ganze Lebenszeit. Nichts stört mehr das Glück meiner Ehe, als die Besorgniß, noch immer so innig von Ihnen geliebt zu werden, wie sonst. Möchten Sie doch nichts mehr für mich empfinden, als jene feste, unwandelbare, aber ruhige Freundschaft, die Sie mir einst in jener schönen Stunde gelobten. Mein Herz hat alle süßen Erinnerungen der Vergangenheit aufbewahrt, aber sie sind mir zum Traume geworden, von dem mir nur ein flüchtiges Schattenbild bleibt, das ich mit feuchtem, aber heiterm Auge ansehe, – den ich zurück haben möchte, und doch ruhig vorüberfliehn sah. Sind Ihre Empfindungen für mich dieselben, – haben auch bey Ihnen Zeit und Abwesenheit und neue Gegenstände Balsam in die Wunde gegossen, die Ihnen die Liebe schlug, – bin [164] ich Ihrem Herzen noch werth, ohne ihm mehr gefährlich zu seyn, – o, so reichen Sie mir noch einmal die Hand, um den Bund zu erneuern, den wir schlossen, und er dauere bis die Morgenröthe eines zweiten Lebens tagt, und eine zweite Welt unsre festvereinten Seelen aufnimmt.« –

Wodmar begegnete Josephinen mit dem feinsten Zuvorkommen, mit dem leisesten Errathen aller ihrer Wünsche, und da er, je mehr sich ihm die Schönheiten ihres Geistes und ihres Herzens enthüllten, mit immer tieferer Achtung sich an sie anschloß, glaubte sie sich so herzlich geliebt, als er es war. Aber ach, – Marie war eine zu gefährliche Nebenbuhlerin, und Josephine vermochte nicht mit dem zärtlichsten Bemühen, ihm die Trennung von ihr ganz zu ersetzen. Zu tief hatte sich ihr liebenswürdiges Bild in sein Inneres gegraben, und überall wo er hinsah, vermißte er den Zauber, den wahre Liebe über alles verbreitet, was sie umgiebt.

[165]

17. Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Josephine wünschte ihren Gemahl zu begleiten, da er Anstalt machte, im September auf seine andern Guter zu gehn, und er konnte diese billige Bitte, die sie mit so viel Zärtlichkeit an ihn that, nicht abschlagen, wiewohl er diesmal gern allein gegangen wäre, da der Zweck seiner Reise war, Marien, die so innig darum bat, wieder zu sehn. Vier lange Monate waren verflossen, seit er sich von ihr getrennt hatte, und laut klopfte sein Herz den Fluren entgegen, die sie bewohnte. Er beschloß, seine Gemahlin in Wodmarshausen (so hieß das Schloß, wo er Marien durch eine Scheinheirath betrogen hatte) zu lassen, einen Ritt nach Nesselfeld zu machen, sie zu sehn und zu umarmen.

Als sie sich Wodmarshausen näherten, war es Abend, und der Vollmond streute sein magisches [166] Silber auf die schlummernden Fluren. Eine unendliche Sehnsucht ergriff den Grafen. Er lehnte sein glühendes Gesicht mit Heftigkeit an Josephinens Wange, betheuerte ihr seine Liebe, und kleidete seine zärtlich-stürmischen Gefühle, die Marien entgegen strebten, in Worte, die Josephinen geweiht waren, um seinem Herzen Luft zu machen. – So fühlen die Männer oft, was sie der einen versichern, für eine andre. Josephine war entzückt über die Versicherungen, die er ihr gab; sie hatte ihn noch nie so gesehn, und erwiederte seine Betheurungen mit der ganzen Innigkeit ihrer Liebe.

Am andern Tag sagte Wodmar zu Josephinen, um sie vorzubereiten: – Ich habe noch ein Gut in dieser Gegend, das ich ohngeachtet seiner unangenehmen, fast traurigen Lage dennoch liebe, und zuweilen besuche. Es liegt nur sechs Meilen von hier, in einer flachen öden Gegend; und ich zeigte es Ihnen gern, wenn seine Wohnung eingerichtet wäre, mehr als eine Person aufzunehmen, und wenn ich Ihnen von einem Aufenthalt dort etwas anders als Unbequemlichkeit versprechen könnte. Indessen will ich doch hinreiten, da ich diese nicht achte, um den Castellan einmal wieder zu sehn, der sich immer so herzlich freut, wenn ich ihr besuche.

[167] Die Gräfin hatte keinen Argwohn, und ließ ihren Gemahl ruhig von sich, der die Reise zur Geliebten wie im Fluge endete.

Er traf Marien am Klavier an, aber sie spielte nicht mehr, sondern schlug nur mit der einen Hand zuweilen einen schwermüthigen Ton an, indeß ihr Auge mit dem reinsten Ausdruck des Verlangens auf dem Bilde ihres Karls verweilte, das ihr gegenüber hing. Ein einziges Licht erhellte sparsam das Zimmer – sie hatte es so gestellt, daß nur die Züge ihres Wodmars von seinem matten Schimmer beschienen wurden, und alle übrigen Gegenstände in einer holden Dämmerung schwammen. Leise hatte er die Thür geöffnet, leise sich unter dem heftigen Klopfen seiner Brust ihr nahe geschlichen, und nun, da er sie so tief mit sich beschäftigt sah, konnte er sich nicht länger halten, und schloß sie mit dem Ausruf: Liebste, beste Marie! fest in seine bebenden Arme.

Marien nahm der Schrecken die Sprache. Aber ihr Schrecken war süß, wie die Umarmung, in der sie ihn verbarg. Karl! mein Wodmar! stammelte sie an seinem Halse, und die beiden Glücklichen schwiegen im wonnevollen Rausche des Wiedersehns, der ihre Zunge fesselte. –

[168] Zwei glückliche Tage brachten sie mit einander zu. Da mußte Karl wieder scheiden. Und warum schon jetzt? fragte traurig Marie. Ich muß! war seine Antwort, die ein Seufzer begleitete: – mein Vater ist in Wodmarshausen, und würde Verdacht schöpfen, wenn ich länger bliebe. – Marie glaubte unbedingt seinen Worten, und sie trennten sich mit dem Vorsatz, sich bald und länger wieder zu sehn.

Auf dem ganzen einsamen Rückwege beschäftigte sich der Graf mit dem Gedanken, wie es sich anfangen ließe, einige Wochen bei Marien zu seyn, ohne Josephinens Argwohn zu erregen, und der Genius der Liebe flüsterte ihm einen Anschlag ins Ohr. Als er zurückkam, sagte er seiner Gemahlin, daß ihn nothwendige Geschäfte in die Stadt riefen. Er würde von da über Nesselfeld reisen, und ohngefähr den zwanzigsten Oktober wieder in Wodmarshausen seyn, um mit ihr den Jahrestag ihrer Verbindung zu feiern. – Josephine war ihm schon im Voraus dankbar für diese Aufmerksamkeit.

Er reiste ab, und nahm den Weg nach der Stadt, so lange man ihn sehen konnte. Dann wendete er um, und seine Rosse flogen mit ihm nach Nesselfeld. Wirklich hatte er einige Geschäfte in der Stadt, aber sie erforderten nur wenige Tage, [169] und er beschloß, sie erst nach seinem Aufenthalte bei Marien zu besorgen.

Sie empfing mit so viel Liebe, als sie ihn entlassen hatte, den Mann ihres Herzens wieder, und die Stunden des Beisammenseyns flogen auf goldnen Fittigen wie lächelnde Engel vorüber. Der Graf, der sonst wie ein Schmetterling, unbeständig geliebt hatte, fühlte mit jedem neuen Wiedersehn, daß sich Mariens Fesseln fester und enger um sein Wesen schlangen. Immer gebildeter fand er ihren Geist, immer reizender ihre Gestalt, immer holdseliger ihr einfaches gefälliges Betragen. Als er sich aufs neue von ihr trennen mußte um in die Stadt zu reisen, beklemmte eine sonderbar schmerzliche Ahndung seine Brust beim letzten Lebewohl. Ihm war bei der Umarmung des Abschieds, als wurde er gewaltsam von ihr losgerissen, als würde er sie niemals wiedersehn! Noch einmal drückte er sie an sich, und eine Thräne fiel aus seinem Auge, die bitterste seines Lebens, – auf ihr umwölktes Gesicht. Ich komme noch zu Dir, Marie! rief er, eh' ich nach Wodmarshausen zurückkehre, ich mache gern diesen Umweg, um Dich noch einen Tag zu sehn. Erwarte mich den neunzehnten bei Dir. – Mariens feuchtes Auge blickte ihn freudig an, als [170] wollt' es ihm für die angenehme Verheißung danken, und mit gelindertem Schmerz sah sie ihn abreisen.

Indessen war es Josephinen einsam in dem großen, prächtigen Schlosse, das sie bewohnte, und sie wünschte die Zurückkunft ihres Gemahls. Wie weit ist es nach Nesselfeld? – frug sie den Schloßverwalter. Nur sechs kleine Meilen, war die Antwort. Schade, daß die Wohnung so eng ist, fuhr die Gräfin fort, ich machte mir sonst das Vergnügen, meinen Gemahl dort zu überraschen, und ihm bis dahin entgegen zu kommen. – Die Wohnung zu eng, Ihro Exzellenz? unterbrach sie das gesprächige Hannchen, die diese Reise wünschte, weil sie wußte, daß sie die Gräfin mitnehmen würde, und weil ihr der Aufenthalt in dem stillen Wodmarshausen misfiel: – wie ich hier gehört habe, sind erst vor einigen Jahren ein paar schöne Zimmer dort zum Bewohnen eingerichtet, und mit allen Bequemlichkeiten, die eine hohe Herrschaft braucht, versehen worden. Ist es nicht so, Herr Schloßverwalter?

Der Schloßverwalter hatte längst gemerkt, daß der lange Besuch im Frühjahr, den der Graf dort abgestattet hatte, seine geheimen Ursachen [171] haben müßte. Da er seiner Wachsamkeit nicht traute, hatte er ihn die wenigen Tage, die er mit Marien in Wodmarshausen zubrachte, unter dem Vorwand einiger Geschäfte entfernt, und die wenigen Menschen, die um sein Geheimniß wissen mußten, durch Bestechungen in sein Interesse gezogen, und ihre Verschwiegenheit erkauft. Den Schloßverwalter, dem man doch nicht alles so gewissenhaft verbarg, wie man sollte, verdroß dieser Mangel an Zutrauen, den ihm der alte Graf nie hatte fühlen lassen, und er glaubte nun eine schickliche Gelegenheit gefunden zu haben, seinem jungen Herrn zu zeigen, daß es besser gewesen wäre, ihn mit um das Geheimniß wissen zu lassen. Da die Verantwortung nicht auf ihn fallen konnte, weil er nicht von des Grafen geheimen Freuden in Nesselfeld unterrichtet war, so nahm er freudig das Wort, und versicherte der Gräfin, daß alles dort im guten Stande, und fähig sey, sie einige Tage recht bequem aufzunehmen. Was würde der Herr Graf für große Augen machen, setzte er schelmisch hinzu, wenn er Ihro Exzellenz so unvermuthet dort anträfe, und sähe, daß Ihnen seine Gesellschaft lieber wäre, als alle Pracht und aller Ueberfluß ohne ihn in Wodmarshausen!

[172] Josephine trug diesen Gedanken mit sich herum, und malte im Geiste mit so lachenden Farben sich das frohe Erstaunen ihres Gemahls, sie in Nesselfeld zu finden, daß sie endlich dem Verlangen nicht widerstehn konnte, ihn zu überraschen.

Es wird ihm ein neuer Beweis meiner Liebe seyn, dachte sie, wenn ich, ohne mich durch die Schilderung abschrecken zu lassen, die er mir von Nesselfeld machte, in seine Arme eile, um ihn einen Tag früher zu sehn. Und wenn ich auch nicht alles in dem Stande finde, wie ich es gewohnt bin; – wie wenig braucht ein volles Herz, das sich der Gegenliebe des liebenswürdigsten Gemahls erfreut? wie wenig braucht eine Mutter, wenn sie den Sohn ihrer Liebe lächeln sieht! –

Der kleine August, ganz das Ebenbild seines Vaters, der mit jedem Tage schöner wurde und werther seiner Mutter, war nebst seiner Wärterin und Hannchen die einzige Begleitung der Gräfin, als sie am achtzehnten Oktober in aller Frühe die Reise nach Nesselfeld antrat. Als sich die öde Gegend wie eine menschen- und freudenleere Wüste um ihren Weg ausdehnte, fühlte sich Josephine, schönerer Gefilde gewohnt, unaussprechlich [173] beklommen. Immer einsamer wurde es um sie her, je weiter sie kam. Kein Baum, kein Strauch, kein Dorf, keine Spur von Menschenleben, so weit sie blickte! Nur an der steinigten Landstraße, die zwei Stunden von Nesselfeld durch die unfruchtbaren Felder führte, und die zuweilen ein einzelner Kärner mit seiner Fracht bezog, grünte eine traurige Fichte, und Josephine, als sie an ihr vorüber fuhr, konnte sich nicht enthalten, ihr verlassenes Schicksal zu beseufzen. – Arme Unglückliche! schenke nicht dem fühllosen Baume, der gesund, wiewohl einsam in diesem dürren Boden wurzelte, Deine Seufzer! Spare sie für Dein eignes Schicksal, das sich Dir in wenig Stunden grausam enthüllen wird!

[174]

18. Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Es war ein lauer schöner Nachmittag, als Josephine vor Nesselfelds einsamen Gebäude abstieg. Marie saß unter den Kastanien in ihrem Hofraum und arbeitete. Als sie das hier so seltne Geräusch eines Wagens hörte, sprang sie fröhlich auf, in der Meinung, es sey ihr Geliebter, und trat heraus auf den Rasenplatz vor ihrer Thür, ihn zu bewillkommen. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie eine junge, schöne Frau mit weiblicher Begleitung und einem holden Knaben, der in den Armen seiner Amme schlummerte, auf sich zugehen sah. Befremdet und bestürzt wich sie einen Schritt zurück, und konnte sich das Räthsel nicht erklären.

Auch Josephine konnte ihre Verwunderung nicht bergen, ein Mädchen von so seltner Schönheit, [175] und so sorgfältig gekleidet, an diesem abgelegenen Orte zu finden. Marie trug ein einfaches aber seines weißes Kleid, dessen reizender Faltenwurf die ganze Anmuth ihrer schönen Gestalt verrieth, und ihre dunkeln, seidenen Locken leicht und kunstlos, wie von den Händen der Grazien geordnet, waren der ganze Schmuck ihres Hauptes. An ihrer Brust trug sie eine späte Rose – vielleicht die einzige, die die Kunst in diesen öden Fluren hervorgebracht hatte, und an ihrer Hand den goldnen Ring der Treue, der ihr endlich Muth gab, der schönen Unbekannten entgegen zu gehn.

Josephine war sanft und gütig gegen jedermann. Aber die öftern Besuche ihres Mannes in Nesselfeld, die ihr einfielen, und die außerordentlich interessante Bildung Mariens, die sie für die Tochter des Castellans hielt, erfüllten sie plötzlich mit einer geheimen Regung von Eifersucht, die der Art, mit der sie Marien entgegen sah, mehr Stolz und Kälte gab, als ihr gut stand.

Marie näherte sich ihr bescheiden, aber doch ohne die Würde zu vergessen, die sie ihrem neuen Stande schuldig zu seyn glaubte, und frug Josephinen, [176] welcher Zufall sie hierher bringe, da man sonst hier gar nicht gewohnt sey, Fremde zu sehn.

Josephine antwortete kurz: Ich glaube hier in meinem eignen Hause zu seyn, und komme nicht durch einen Zufall, sondern in der Absicht hierher, meinen Gemahl zu erwarten. – Wollen Sie wohl so gütig seyn, mein Kind, und mir ein Zimmer anweisen? –

Mariens Wangen fingen an zu glühen. In Ihrem eignen Hause? sagte sie, ein wenig beleidigt durch den stolzen Ton, in dem die Gräfin sprach. Mir dünkt, diese Wohnung gehört dem Grafen von Wodmar.

Ganz recht, versetzte Josephine, und da ich mit diesem verheirathet bin, so habe ich aller Wahrscheinlichkeit nach eben so viel Recht hier zu seyn, wie Sie, meine Liebe! ob Sie gleich andrer Meinung zu seyn scheinen. Darum bitte ich Sie noch einmal um ein Zimmer, denn ich bin ermüdet. –

Marie hielt Josephinen für eine Verwandtin des Grafen, die dieses Mährchen behaupten wollte, um sich desto mehr Gewicht zu geben. – Mein Zimmer steht zu Ihren Diensten, sagte sie [177] ein wenig unwillig, wiewohl ich viel zu gut weiß, daß Sie nicht die Gemahlin des Grafen sind. Er wird es nicht wenig schmeichelhaft finden, daß Sie so bestimmt behaupten, mit ihm verheirathet zu seyn.

Wie? ist er schon hier? – rief Josephine.

Noch nicht, erwiederte Marie, aber ich erwarte ihn morgen.

Sie erwarten ihn, sagte Josephine empfindlich. – Das ist doch sonderbar! Wer sind Sie denn, Mamsell, daß Sie ein Recht haben, ihn zu erwarten? Sind Sie die Tochter des Castellans, oder die Haushälterin? – oder stehen Sie in besondern Verhältnissen mit dem Grafen – sind vielleicht gar der Magnet, der ihn so oft nach Nesselfeld zieht. Beinah sollt' ich es aus Ihrem entschiedenen Tone schließen.

Marien verdroß diese Begegnung unbeschreiblich. Sie konnte die Geringschätzung nicht ertragen, die ihr die Gräfin bewies. –

Wer ich bin, weiß ich recht gut, antwortete sie, und wenn Wodmar da wäre, dürften Sie sich [178] vielleicht dieses unartige Betragen nicht erlauben. Ich habe nicht nöthig, über das, was ich bin, zu erröthen, aber vielleicht werden Sie es thun müssen, wenn Sie mich einmal näher kennen lernen, und einsehn, wie wenig ich verdiente, daß Sie mich so behandelten.

Diese Worte, die sie mit einem edlen Stolze sprach, machten Josephinen schweigen. Nun folgte sie ihr ins Zimmer, als ihr aber sogleich das Portrait ihres Gemahls in die Augen fiel, brauseten im Stillen die Wellen der Eifersucht von neuem. Wenn ich Sie anders behandelt habe, als Sie verdienen, sagte sie sanfter als vorher zu Marien, so vergeben Sie mir. Aber Ihr Benehmen gegen mich war gewiß auch nicht ganz, wie es seyn sollte. Ich hoffte, auf die Achtung und Gefälligkeit aller der Leute, die in meinem eignen Hause wohnen, Ansprüche machen zu können. – Sie sind mir aber mit einer Dreistigkeit und Zuversicht begegnet, als ob Sie selbst die Besitzerin dieses Landgutes wären. Sagen Sie mir doch, wer Sie sind, daß wir uns endlich einmal verstehen?

Marie kämpfte mit sich selbst, ob sie sich entdecken sollte oder nicht. Zwar hatte ihr Wodmar [179] die strengste Verschwiegenheit befohlen, und ihre Vernunft billigte seine Gründe. Aber da sie ganz gewiß glaubte, daß er des andern Tages selbst seinem Gaste ihre Verbindung entdecken würde, um sie über ihr stolzes Betragen zu beschämen, so konnte sie sich's nicht versagen, die Gräfin roth zu machen.

Wenn ich Ihnen als die Frau dieses Hauses begegnet bin, versetzte sie Josephinen, so habe ich dadurch nicht mehr scheinen wollen, als was ich wirklich bin. Eine heimliche Heirath, fuhr sie fort, indem sie auf das Bild ihres Karls zeigte, hat mich zur rechtmäßigen Frau dieses Mannes gemacht, von dem Sie mit so viel Zuversicht behaupten, er sey der Ihrige. Meine geringe Herkunft, deren ich mich nicht schäme, hält meinen Gemahl ab, unsre Verbindung bekannt zu machen, so lange sein stolzer Vater lebt, der sie wieder trennen würde; aber wenn ich auch nur im Stillen seinen Namen führe, so weiß ich doch, was ich ihm schuldig bin. Hören Sie morgen von ihm selbst die Bestätigung meiner Worte, und verzeihen Sie meine Aufführung, die sich an Ihrer Haushälterin freilich nicht entschuldigen ließe.

[180] Immer bleicher wurde Josephine, und als Marie schwieg, konnte sie sich nicht mehr aufrecht halten, sondern sank bewußtlos in einen Sessel. Marie hielt in ihrer noch glücklichen Unwissenheit dies Erstarten der Fremden für Schaam und Demüthigung, und suchte sie mit liebevoller Pflege und Sorgfalt zu ermuntern. Es gelang ihr, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Josephine schlug ihre Augen auf, die in Thränen der Wehmuth schwammen. Arme Betrogne! rief sie, und faßte mitleidig Mariens Hand, die sie für wahnsinnig zu halten anfing.

Ich bin nicht betrogen, sagte sie so sanft, als man die Meinung eines Kranken zu bestreiten pflegt: zu gleicher Zeit zog sie den Trauring von ihrem Finger, und reichte ihn ihr hin. Sehn Sie hier selbst das Unterpfand seiner treuen, gesetzmäßigen Liebe.

Josephine nahm ihn mit bebender Hand. Arme Betrogne! rief sie noch einmal in einem noch schmerzlichern Tone, wie vorher, und zeigte ihr den ihrigen, und das Bild ihres Gemahls, das sie an einer goldnen Kette in ihrem Busen trug. Ein grausamer Betrüger hat Dich mit [181] falschen Hofnungen getäuscht, und Dein Vertrauen in seine Redlichkeit gemißbraucht, um Dich zu verderben. Ich, ich bin Wodmars Frau, und bin es nicht heimlich, sondern im Angesicht seiner Familie und der meinigen geworden. Ihn zu überraschen kam ich hierher, und finde Dich und das Unglück meines Lebens!

Sie verhüllte ihr Gesicht und weinte. Marie stand da wie vernichtet. – Indem trat Hannchen herein, und trug den kleinen August seiner Mutter entgegen. Sieh hier die Züge des Verräthers in diesem unschuldigen Gesicht, rief Josephine mit Heftigkeit, indem sie den Kleinen in ihre Arme schloß. Jetzt schwankten Mariens Kniee, und sie warf sich blaß wie der Tod auf das Sopha.

Frau Köhler kam herein, das ganze Haus lief zu sammen, die Gräfin befand sich so krank, daß man sie zu Bette bringen mußte. Marie lag nach einer Stunde noch immer unbeweglich in ihrer vorigen Stellung, weit offen und ohne Thränen ihr starres Auge, vor sich hinblickend, und unvermögend, nur ein Wort zu reden.

[182] Am Bette der Gräfin erfuhr Frau Köhler den ganzen schrecklichen Zusammenhang des Unglücks ihrer Nichte, und nur die Wiederholung der Geschichte der Gräfin vermochte Marien aus ihrem dumpfen Hinbrüten zu wecken. Wild rollte ihr Blick, wie die Verzweiflung, und in ihrer Seele wogte ein Meer von tobendem Schmerz. – Die ganze Verrätherei des Mannes, den sie angebetet hatte, war ihr nun klar, und erfüllte sie mit Abscheu und Verachtung. Aber mit tausend Dolchen durchfuhren diese Gefühle ihr Herz, in dem sein Name mit unauslöschlicher Schrift, von der Hand der Liebe geschrieben, brannte, denn nichts zerreißt das Innere mehr, als wenn Verachtung an die Stelle der Zärtlichkeit tritt.

Sie schwankte zu Josephinen; diese fühlte durch alles, was sie durch Frau Köhler von Marien erfahren hatte, die lebhafteste Achtung für ihre Tugend, und das innigste Mitleid für ihr Unglück. Ich bin nicht strafbar, sagte sie mit leiser gebrochner Stimme, beurtheilen Sie mich nicht so hart, wie mein Schicksal ist. Ach die Wahrheit schien auf seinen Lippen zu wohnen, und mein Herz voll Liebe glaubte ihm nur allzuleicht!

[183] Josephine umarmte sie, und nun vermischten beide ihre Thränen. Es erleichterte Marien ihren Kummer, daß sie endlich weinen konnte. Und nun? – was willst Du thun? frug Frau Köhler. Ihn niemals wieder sehn! versetzte Marie fest und mit Empörung. Ich will gehn, so weit mich meine Füße tragen, – es wird doch irgend ein Winkel in der Welt seyn, wo ich mich und meine unverdiente Schande verbergen kann. Vater in der Ewigkeit! seufzte sie unter hellen Thränen, ich habe die Lehren nicht leichtsinnig vergessen, die du mir auf dem Sterbebette gabst! Tief waren sie in mein Herz geschrieben, aber ein Bösewicht gewann meine Liebe durch Heuchelei, und meine Arglosigkeit riß mich ins Verderben. Aber ich habe nicht mit meinem Willen gesündigt, und der Ewige wird mir vergeben!

Nein, Sie müssen mich nicht verlassen, Marie! sagte Josephine. Bleiben Sie bei mir als meine Freundin, als meine Schwester, als die Gefährtin meines Unglücks und meiner künftigen trüben einsamen Tage.

O gnädige Frau! rief Marie, ich empfinde tief die Größe Ihrer Seele, mit der Sie mich behandeln. [184] Aber kann ich je den Frieden wieder erlangen, um den mich Ihr grausamer Gemahl betrog, so ist es nur fern von allem dem möglich, was mich an ihn erinnern könnte. Lassen Sie mich diesen Ort fliehn, eh' noch die Nacht anbricht, denn morgen – ach morgen hieß er mich ihn erwarten, und ich kann seinen Anblick nicht mehr ertragen!

[185]

19. Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Aber wo wollen Sie hin? fragte Josephine. Fremd, vielleicht ohne Geld, in dieser leeren, Ihnen unbekannten Gegend? – Nein, Sie müssen bleiben, bis ich Ihnen und Ihrer Verwandtin ein lebenslängliches, reichliches Auskommen gesichert habe.

Wie, beste Gräfin? antwortete Marie, ich sollte hier bleiben, wo mich alles an die goldnen Hofnungen mahnt, mit denen ich dieses Haus betrat, und mit denen ich zuversichtlich in die Zukunft blickte? Ich sollte den Mann wiedersehn, der mich um die Ruhe, um das Glück meines ganzen Lebens betrog? – ich sollte vielleicht von der Hand meinen Unterhalt annehmen, die mich ins Verderben stieß? Nein, lassen Sie mich fort – ich habe eine ansehnliche Summe, die mein [186] eigen ist. Diese und die Arbeit meiner Hände wird mich und meine Tante ernähren, und der Abscheu, den ich jetzt für ihn empfinde, wird mir Kraft geben, die Beschwerlichkeiten meiner Flucht zu ertragen.

Marie entfernte sich, und rief die ganze Stärke ihrer Seele zusammen, um fest und entschlossen zu seyn. Schon war es Abend geworden, und kalt und feucht wehte die herbstliche Luft. Aber wie wenig wirken äußere Gegenstände auf ein Herz, das die Nothwendigkeit fühlt, sich von dem loszureißen, den es liebte, um dem Gebote der Moralität und der Verzweiflung zu folgen! Sie öffnete ein Kästchen, das seine Briefe enthielt, packte sie zusammen, und hinterließ sie, ohne sie wieder anzusehn, der Gräfin, als die Rechtfertigung ihres ehemaligen glücklichen Wahns. Die Geschenke, mit denen sie die Freigebigkeit des Grafen so reichlich überhäuft hatte, legte sie diesen Briefen bei, und riß sich mit blutendem Herzen von allem los, was ihr ehemals werth war.

Aber, wandte Frau Köhler ein, als sie die Anstalten zur Entfernung auf immer sah, ist es [187] denn nicht genug, daß Dich der Graf durch eine falsche Heirath betrogen hat, – soll er auch nicht einmal zur Strafe seines Verbrechens die Sorge für unser anständiges Auskommen haben? Sey klug, Marie! und bleibe da! Daß Du nicht wieder mit ihm lebst, billige ich sehr, denn es wäre Sünde. Aber so aufs Gerathewohl in der Welt herum zu irren, ist er nicht werth, und ich bin zu alt und schwächlich, um Dir folgen zu können. Laß uns hier bleiben, und der Gräfin die Sorge für unsern Unterhalt überlassen.

Frau Köhler war eine gute Frau, und so wie Marie, gebildeter als ihr Stand. Aber das feine Gefühl ihrer Nichte hatte sie nicht, und sie wußte nicht, daß einer zarten Empfindung nichts schrecklicher ist, als Wohlthaten von einer Hand, die sie verachtet. –

Wohl, sagte Marie kalt und bitter, so bleiben Sie denn, und leben Sie in Ueberfluß von dem Gnadengehalt des Verräthers. Ich will allein fort, denn ich ziehe eine Armuth in Ehren dem Reichthum eines Menschen vor, den ich verabscheuen muß. – Frau Köhler suchte sie zu beruhigen, und Marie schien still über den Entschluß [188] nachzudenken, den sie fassen wollte. Aber er war schon fest. – In einem Tuch verwahrte sie einige Wäsche und ihr ererbtes Geld, und unbemerkt und leise schlich sie sich in dunkler Nacht die Treppe hinunter, und zum Hause hinaus.

Noch einmal blickte sie zurück, nach den düster erleuchteten Fenstern ihres lieben, unvergeßlichen Zimmerchens. Ach ein matter Schein stahl sich durch das dunkle Epheu, das es mit treuer Anhänglichkeit umgab, und zitterte herab auf den bereiften herbstlichen Boden. – Unwillkührlich mußte sie an alle die seligen Stunden denken, die sie innerhalb seiner traulichen Mauern an der Seite ihres Wodmars verlebt hatte, und vor dem Wonnegefühl der Erinnerung verstummten noch einmal ihre Schmerzen, um dann desto heftiger zu toben. Ein paar Thränen stiegen in ihr Auge, und rasch wandte sie sich um. Fort, fort, sagte sie zu sich selbst, und die ganze Größe ihres Unglücks überfiel sie jetzt; – o daß sich meine Vernunft mit meinem Glücke verloren hätte! –

Sie ging muthig zu, da sie wußte, daß weder ein Graben noch ein Fluß das ewige Einerley dieser flachen Gegend unterbrach. Die Nacht wurde kalt, [189] aber heiter, und ihre Dunkelheit erhob das Flimmern der Sterne am weiten Horizont, den sie überschauen konnte. Ohne zu wissen, wo sie sich befand, war sie mehrere Stunden durch die steinigten Felder gegangen, und nach und nach verlor sie Nesselfelds matt erhellte Fenster aus den Augen. Endlich bemerkte sie einen rauhen Weg, den sie einschlug, weil sie hoffte, er werde sie zu Menschen führen. Aber hier verließen sie ihre Kräfte, und sie hatte Mühe, die einsame Fichte zu erreichen, die ihr der blasse Schimmer der Sterne zeigte. Hier warf sie sich nieder, und die Erschöpfung und Mattigkeit, die sie fühlte, schienen ihr die Vorboten des Todes zu seyn. – Wie gern wäre sie gestorben, da sie ihre Freuden überlebt hatte! – Ihre Gedanken fingen an sich dunkel in einander zu mischen, und sie glaubte das Ende ihres Lebens herannahen zu sehen. Eine unbeschreibliche Müdigkeit drückte ihr Auge zu, und sie fiel – nicht in die Arme des Todes, – sondern eines tiefen fast todtenähnlichen Schlummers.

Er dauerte noch in seiner ganzen ersten Festigkeit, als sie ein starkes, unsanftes Schütteln daraus erweckte. Langsam schlug sie die trüben Augen auf, und erblickte einen braunen, von der Sonne verbrannten, [190] gemeinen Mann, mit einer ehrlichen offnen Physiognomie, der in der linken Hand eine derbe Peitsche hielt, und mit der rechten bemüht war, sie aus dem Schlaf, der ihm bedenklich schien, zu ermuntern. Dabey war es heller Tag, und die Sonne schien sanft und wärmend vom klaren blauen Himmel herab.

Wo bin ich? frug Marie mit heiserer Stimme, denn der nächtliche Frost hatte sie erkältet. Auf der offnen Landstraße, Jungfer! erwiederte der Mann mit einer Miene voll Verwunderung und Theilnahme. Wo gedenkt Sie denn hin, so allein? – – Wo ich hingedenke? versetzte Marie, und brach in einen Strom von Thränen aus. Ach meine Heimath ist nirgends mehr! – Der Mann schüttelte den Kopf. Ey, Sie muß doch wohin wissen, sagte er gutmüthig, indem er ihr aufhalf; aber Marie fühlte eine schmerzliche Lähmung in allen ihren Gliedern, und sank kraftlos wieder zurück. Sey Sie gutes Muths, und hör' Sie auf zu weinen! Unser Herrgott verlaßt Niemanden, der auf ihn baut; – warum denn also Sie? – Verzage Sie nicht; wenn Sie wirklich keine Heimath hat, so kann Sie leicht eine finden. Fleiß und Gottesfurcht lassen nicht zu Schanden werden! –

[191] Der redliche Ton und der biedre Ausdruck in seinem Gesicht, der diese tröstenden Worte begleitete, rührten Marien. Sie bemerkte hinter sich einen kleinen Karrn, mit weißer Leinwand überbaut, und mit einem einzigen Pferde bespannt, welcher ihrem unbekannten Freunde anzugehören schien. Guter Mann, sagte sie, und bemühte sich, ihre strömenden Augen zu trocknen, ich bin nicht so arm, daß mich der Mangel so tief betrüben sollte; ich habe Geld, so viel ich zu meinem Unterhalt brauche, wenn es nur hier ruhiger wär'! – hierbey wies sie auf ihr Herz. – Ich will nicht nach Ihrem Kummer forschen, Jungfer! antwortete der ehrliche Kärner. Es weiß ein jeder, wo ihn der Schuh drückt! Aber ich sollte meinen, ein so junges Blut, wie Sie, könnte unmöglich schon viel Herzeleid in der Welt erlebt haben. – Hier kann Sie doch mein' Seel' nicht bleiben, es mag Ihr gegangen seyn, wie es will. Hat Sie Lust, so setze Sie sich in meinen Karrn, ich fahre eben ledig nach Hause, und will Sie umsonst mitnehmen, so lang bis es Ihr beliebt auszusteigen. Da, fuhr er fort, und holte aus seiner Tasche ein Stück schwarz Brod und eine kleine Flasche mit Brandtewein, welches er ihr hingab, – erquicke Sie Sich mit[192] Speise und Trank, und hernach, wenn Sie mit will, soll's fort gehn.

Dankbar nahm Marie den gutherzigen Vorschlag des Kärners an, und stieg mit seiner Hülfe in das nicht unbequeme Fuhrwerk, unter dessen Leinwandshimmel sie ein weiches Heulager fand. Der Fuhrmann schwang seine Peitsche, und langsam rollte der Karrn mit ihr dahin. –

Sie hatte nicht viel Zeit, den traurigen Gedanken nachzuhängen, die ihr ihr Schicksal bot. Ihr Führer war in einer gesprächigen Laune, und suchte sie, indem er nebenher ging, bald durch ein Liedchen, das er sang oder pfiff, bald durch Erzählungen aus seinem häuslichen Leben zu unterhalten. An mir, sagte er, hat sich Gottes Segen reichlich bewiesen. Ich war vor zehn Jahren ein armer Bursch, und erwarb mir mit Dienen mein sparsames Stückchen Brod. Mein Herr hatte ein großes Freygut, und pflegte sein Getraide viele Meilen weit zu verfahren. Da er nun sah, daß ich treu war, und das liebe Vieh wohl in Acht nahm, so übertrug er mir's, und ich mußte viele Fuhren thun, die mir glückten. – Liese, die Hausmagd, war eine flinke Dirne, und ich wurde [193] bald gewahr, daß sie mir allemal ein freundlicher Gesicht machte, wenn ich wieder kam, als wenn ich wegfuhr, woraus ich schloß, daß sie mir gut war. Ich konnte sie ebenfalls leiden, denn sie hatte schwarze Augen und rothe Backen, und war fix und gewandt, aber ich dachte: Konrad, geh' nicht so geschwind zu Werke! – es gehört mehr als das zu einer guten Frau. Ich ließ mir nichts merken, daß sie mir wohl gefiel, sondern gab Acht, und erkundigte mich unter der Hand, wie sie sich aufführte. Da sah ich denn selbst, und hörte auch von andern, daß sie ein fleißiges, ehrbares, vertragliches Mädchen war, die jedem das Seine gab, und still und ordentlich vor sich hin lebte. Nun erst frug ich: Liese, willst Du mich haben? – Sie wurde roth bis über die Ohren, hielt die Schürze vor die Augen, gab mir die Hand, und sagte: Ja! – Das war nun wohl ganz gut, aber wovon leben? – Liese hatte nichts als ein paar flinke Arme und ein ehrlich Gemüthe, und ich hatte bis jetzt auch noch nicht dran gedacht, etwas von meinem Lohne zurück zu legen, denn ob ich gleich weder ein Spieler noch ein Säufer war, so liebt' ich doch Sonntags meinen Tanz, und versäumte keinmal, mich in der Schenke einzufinden, wo ich denn auch was aufgehn [194] ließ. Aber das wurde nun anders. Ich kam nicht mehr zum Hause hinaus, und ersparte jeden Groschen zu meiner künftigen Wirthschaft. Liese machte es eben so, und nach ein paar Jahren hatten wir schon so viel gesammelt, daß wir uns konnten ein Hüttchen mit einem Garten kaufen, welches eben im Dorfe feil war. Weil es baufällig war, bekamen wir es um einen geringen Preis, und ich wandte nun alle meine Feyerabende an, es auszubessern, und in guten Stand zu setzen. Endlich nahm ich Liesen, und kriegte eine gute, fleißige Frau an ihr. Wir tagelöhnerten, und Liese spann noch nebenher; – so verdienten wir reichlich was wir brauchten, und konnten noch einen Sparpfennig zurücklegen. Wie der nun allmählig heranwuchs, schafft' ich mir ein Pferd und den Karrn an, weil ich mit dem Geschirr wohl umzugehn wußte, und that für meinen ehemaligen Herrn, der mir immer noch wohlwollte, Fuhren für's Geld. Jetzt hab' ich doch nun so viel erübrigt, daß der Hafer, den der Gaul frißt, auf meinem eignen Acker wächst, und daß ich das Getraide selbst kaufen kann, was ich verfahre. Dabey bin ich gesund und fröhlich. Komm' ich nach Hause, so freut sich mir das Herz im Leibe, wenn ich meine freundliche Frau, und die vier [195] gesunden Kinder seh', die sie mir gebohren hat. Dann ruh' ich mich wieder aus, besorge das Häusliche, mache mir einen guten Tag, und fahre dann wieder in die Welt hinein. O Sie glaubt nicht; Jungfer! was das für ein frohes Leben ist. Alles was ich habe, hab' ich eignem Fleiße und meiner Zuversicht auf Gott zu verdanken, der mich niemals verlassen hat, und dies macht gutes Blut und frohe dankbare Herzen.

Marie hörte den biedern Kärner an, ohne ihn zu unterbrechen, aber ihrem Herzen, so wund und krank, gab die Schilderung seines einfachen häuslichen Glücks schmerzhafte Stiche.

Er blieb bei seinem Stande, seufzte sie, und strebte nicht nach einem höhern! O warum verleitete mich die Liebe, den meinigen zu vergessen? – –

[196]

20. Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Marie machte mit diesem Fuhrwerk einige Tagereisen, und es war ihr gleichgültig, in welchen Winkel der Erde es sie führen würde. Die ganze Entwickelung ihres Schicksals dünkte ihr ein fürchterlicher Traum zu seyn, aber vergeblich sah sie dem lindernden Augenblick des Erwachens entgegen. Abgeschiedenheit von der Welt und ihren Täuschungen war das einzige, was sie noch wünschte, und wohl ihr, daß ihre Fantasie ihr ihr Unglück mit ungewissen Farben malte, sie oft ganze Stunden in dem Wahn ließ, als habe sie geträumt, – sie würde sonst der Schwere desselben unterlegen seyn. – So gewöhnte sie sich nach und nach, fest ihren Blick auf die untergesunknen Trümmer ihrer ehemaligen Seligkeit zu heften; – sie gewöhnte sich daran mit einer Ruhe, die nur das Bewußtseyn[197] der reinsten Unschuld gewährt, mit einer Verachtung, die an Größe ihrer vorigen Liebe glich, dem fliehenden Schattenbild ihrer Freuden nachzusehn, und an den Unwürdigen zurück zu denken, der ihr ehedem so werth war. Nicht als ob es ihr leicht geworden wäre, ihn zu vergessen; – o nein, wahre Liebe, besonders wenn es die erste ist, die sich eines Herzens bemächtigte, baut ihrem Abgott in dem Heiligthum seines Innersten einen Altar, den nur mühsam die Hand der Zeit, selbst der gegründeten Verachtung, umzustürzen vermag. Aber wenn sie das gefährliche Gift der Liebenden, die schwärmerische, süße Erinnerung ihres sonstigen Glücks mit vollen Zügen schlürfen wollte, mischte sich ihr gemißhandeltes Gefühl in das Andenken jener reizenden Vergangenheit, und verschwunden war dann die Glorie von Schönheit und Edelmuth, mit der ihre Einbildungskraft den Ungetreuen umgab. – Sie lernte ihn verachten, und in einer reinen, weiblichen Seele ist dies der erste, entscheidendste Schritt zum ewigen Vergessen. – Mit der Achtung lösen sich die zartesten Bande des gegenseitigen Vertrauens auf, und die Liebe stirbt mit ihr dahin.

Am vierten Tage, als Konrad ruhig neben dem Karrn herging, und eben sein Morgenlied sang, [198] erhob er auf einmal freudig Blick und Hand, und rief mit einer Stimme voll Gefühl und Rührung: Dort, dort! indem er auf eine Kette von blauen, mit Duft umflossenen Gebirgen wies, die sich ihnen aus der Ferne entgegen hob; dort, setzt' er endlich hinzu, dort wohnen meine Frau und meine Kinder!

Die nahen Freuden des Wiedersehns machten ihn stumm, und Marien ihre Plane für die Zukunft. Sie hatte mit ihrem gutherzigen Freund ausgemacht, daß sie gegen ein billiges Kostgeld, welches Liese bestimmen sollte, in seiner Hütte leben, und sich ganz nach ihrem eignen Willen beschäftigen wollte, – aber die tiefe Schwermuth, die ihr ihr Unglück gab, bedurfte so sehr eines theilnehmenden Wesens, dem sie ihren Kummer ausschütten konnte, um sich seine Bürde zu erleichtern, – sie war so sehr an einen vertraulichen, ihr angemeßnen Umgang gewöhnt, daß sie zum erstenmal bereute, die Bedenklichkeiten ihrer Muhme, ihr zu folgen, nicht mehr bestritten zu haben. Der Gedanke war ihr unerträglich, sie noch in Nesselfeld und abhängig von den Wohlthaten des Grafen zu wissen. Oft dachte sie an ihn zurück mit einer sonderbaren Mischung von halb erstickter Liebe [199] und Unwillen. Sie dachte sich sein Erschrecken, wenn er sie nicht wieder finden würde, seine Trauer um ihren Verlust, seine Reue über sein Verbrechen. O, dann war ihr Herz nur gar zu geschäftig, sein Bild mit den vortheilhaftesten Farben sich zu entwerfen, und ihren Zorn zu mildern. – Weinend blickte dann ihr Auge zurück, in die festlichen Tage der Vergangenheit, und nicht selten beschlich sie der leise Wunsch, der ihr allezeit eine Schamröthe kostete, daß sich der Schleier von neuem fest und dicht in einander weben möchte, der ihr ehemals die Tücke seines Herzens verhüllte, oder – diesen gestand sie sich schon selbst mit weniger Beschämung: daß er sich entschuldigen könnte, um doch wenigstens ihre Freundschaft zu verdienen. Aber alles war umsonst! – Zertrümmert war mit ihrer Hoffnung auch ihre Ruhe, und ihr blieb nichts übrig zu ihrem Trost, als das stolze Selbstgefühl, sich edel betragen zu haben, das so oft der Betrogne vor dem Betrüger voraus hat.

Josephine war indessen nicht glücklicher. Sie hatte alles für ihn gethan, was Pflicht und Liebe forderten, und durch das Opfer ihrer ersten Neigung, das sie ihm gebracht, durch die ganze Hingebung ihres Wesens und durch die Innigkeit, mit [200] der sie an ihm hing, glaubte sie die heiligsten Rechte auf seine Treue erworben zu haben. Was hätte wohl tiefer ihr feinfühlendes Herz verwunden können, als die Untreue des Mannes, den sie liebte, und der durch die feierlichsten Gelübde der Ihrige war! – Das Glück ihrer Ehe schien ihr unwiederbringlich dahin zu seyn! –

Wie oft bereute sie nicht den Einfall, ihn zu überraschen. Ohne ihn lebte sie noch glücklich in dem süßen Wahn, der ihr den Besitz seiner vollen Liebe und Treue vorspiegelte; – ohne ihn wäre auch Marie noch glücklich, für die sie Mitleid und Achtung empfand. Als man sie gegen Morgen vermißte, und ohngeachtet alles Suchens nicht fand, war sie außer sich. Sie fürchtete, ohne daß sie wagte, Frau Köhler ihre Sorge zu gestehen, daß die Arme, Verzweifelnde sich durch eine rasche Handlung möchte gewaltsam von dem vernichtenden Gefühl ihres Elends befreyt haben, und ihre Fantasie, die jetzt alles im schwarzen Licht erblickte, malte sich die schrecklichsten Bilder.

Endlich kam der Graf an. Schnell, und mit unruhig pochendem Herzen sprang er aus dem Wagen, und stürmte die Treppe heran. Ihm begegnete [201] Frau Köhler. Wo ist Marie? fragte er, aber sie wandte sich mit einem Blick, der ihren ganzen Abscheu ausdrückte, von ihm weg, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Er öffnete verwundert die Thür ihres Zimmers, – wie dünkte es ihm so todt und verlassen! Marie, rief er, wo bist Du? – da trat Hannchen aus dem Schlafzimmer, und er erstarrte. Wie kommst Du hierher? schrie er mit einem fürchterlichen Blick, und sie erzählte ihm mit wenig Worten den ganzen Lauf der Sache.

Bey der Heftigkeit, die der Hauptzug seines Karakters war, schon vorher gereizt durch Frau Köhlers räthselhaftes Schweigen, stieg sein Zorn jetzt aufs Aeußerste. In seinen eignen Augen dünkte er sich in diesem Moment weniger strafbar als Josephine, die er für die neidische Zerstörerin seiner geheimen Freuden hielt. Der Gedanke, Marien verloren zu haben, ihr jetzt vielleicht eben so abscheulich als ehedem werth zu seyn, brachte ihn der Raserey nahe. Der Kastellan, das Hausgesinde, selbst die treue Pallas, die doch seinen Verlust zu theilen schien, mußte seinen Zorn fühlen; – er sandte alles aus, das Mädchen seines Herzens zu suchen, und die Nachricht, daß man keine Spur von ihr entdecken könnte, erhöhte seinen Schmerz [202] und die namenlose Verzweiflung, die sich seiner Seele bemächtigt hatte.

Endlich gewann er es über sich, vor das Bett seiner Gemahlin zu treten. Madam, hub er mit strenger Stimme an, ich habe nicht gehandelt, wie ich sollte, aber ich kann mich entschuldigen. Die glühendste Liebe fesselte mich schon an Marien, eh' ich Sie noch kannte, und ihre Tugend vernichtete alle die Hoffnungen, mit denen ich nach ihrem Besitz strebte. Ich faßte den Entschluß, sie zu vergessen, denn ich bebte damals vor dem Gedanken zurück, sie zu betrügen, und mit dem Vorsatz, Ihnen, wenn auch nicht meine Liebe, doch meine Aufmerksamkeit zu weihen, kam ich, um den Wunsch unserer Familien zu erfüllen, und Ihnen meine Hand zu geben. O, Josephine! – seine Stimme wurde sanfter, und durch Wehmuth gebrochen, – weniger Stolz und mehr Wärme von Ihrer Seite hätte mich damals an Sie gefesselt, und die Wünsche nach belohnter Liebe, deren Ziel nun Marie lebhafter als jemals wurde, in mir erstickt. Ihre Nachsicht und Güte, nur mit dem leisesten Schimmer von Zuneigung verbunden, hätte meine wilde Leidenschaft bezwungen, meine leichtsinnigen Grundsätze verbessert, und mich zum guten, glücklichen [203] Menschen gemacht. Aber ich fühlte nur allzu deutlich, daß Sie mit dem größten Kampf dem Befehl Ihrer Eltern folgten, und daß Sie mit blutendem, widerstrebendem Herzen mir aus Pflicht verstatteten, Sie zu besitzen. Die Kälte, die Sie mir wahrnehmen ließen, die gleichgültige Verachtung, mit der Sie meine Gesinnungen beantworteten, statt mir liebevoll und duldend den bessern Weg zu zeigen, empörte meinen Stolz, und befriedigte die Forderungen eines Herzens nicht, das einst von Marien geliebt worden war. – Ich mußte Sie achten, aber lieben konnte ich Sie nicht! In meiner Seele stieg Mariens reizendes Bild wieder auf, und die Sehnsucht nach ihrem Anblick erwachte mit doppeltem Feuer, da der Ihrige nur meine Eigenliebe verwundete, und mir die Achtung für mich selbst raubte.

Diese allein war vorher der Schutzengel, der über Mariens Tugend und der meinigen wachte. Ich erröthete oft vor mir selbst, wenn ich mich beim Nachsinnen der Möglichkeiten antraf, durch die Marie auf eine unrechtmäßige Weise mein werden konnte. Ich hielt mich für besser als ich war, und dieser Glaube schützte mich vor dem Sinken. Aber nun, als er dahin war, als Ihr Stolz auf Ihre unbefleckte [204] Tugend mir so bitter hatte fühlen lassen, wie viel mir fehlte Ihnen gleich zu seyn, – da wagt' ich es Pläne zu entwerfen, und Dinge zu denken, vor denen ich sonst mitten in meinen Ausschweifungen zurück geschaudert wäre. Ich sah Marien wieder, – ich gewann sie durch das Versprechen einer heimlichen Heyrath, – sie wurde vollzogen, und ich lernte von diesem guten, edlen, sanften Geschöpf in glücklichen Stunden, die nur das Bewußtseyn meines Betrugs trübte, welche unglaubliche Kraft die moralische Natur des Menschen hat, sich unter dem Beyspiel bescheidner, schonender Güte wieder empor zu richten und zu veredeln, wenn sie auch noch so tief gesunken ist. –

Ich empfand wieder den Werth meiner Bestimmung, fühlte wie ich hätte handeln sollen, und bereute mein Vergehn, trotz dem Glück, das ich in Mariens Armen fand. Auch daß ich gegen Sie meine Pflichten verletzt, und gewissermaßen Ihr Geringschätzung durch meine Handlung gerechtfertigt hatte, vermehrte meinen Kummer, aber ich sah Marien glücklich in ihrem Wahn, und gelobte mir, ihn zu verlängern, um ihrer Ruhe zu schonen. –

[205] So sah ich Sie wieder, und fand Sie verändert. Wo ich Fremdheit und Gleichgültigkeit erwartete, kam mir Liebe und Sanftmuth entgegen, und unsre gemeinschaftlichen Hoffnungen auf den Knaben, den Sie unter Ihrem Herzen trugen, knüpften mich mit den Banden der innigsten Achtung und des wärmsten Antheils an Ihr Wesen. Aber ach! es war zu spät, den Besitz meiner Liebe zu verlangen. Er gehörte Marien, die ihn durch tausend liebenswürdige, früher erkannte Eigenschaften erworben hatte, und die auch trotz der Ferne mir nahe blieb, und immer auch durch andre Gegenstände zerstreut, meiner Seele gegenwärtig war!

Das Geheimniß meiner Liebe zu Marien ward Ihnen verrathen, und Sie benutzten meine Abwesenheit, ein Glück zu zerstören, das mir die Vorwürfe meines Gewissens so oft verbitterte. Zu gut ist es Ihnen gelungen, und Marie ist für mich auf immer verloren, – ist vielleicht ein Raub ihres Schmerzes geworden. – Aber triumphiren Sie nicht! Ich bin strafbar, und bekenne es frey, aber Sie wissen, warum ich es ward, und ich finde Entschuldigung genug in meinen Gründen für mein Betragen gegen Sie, und Strafe genug durch die [206] ewig tobende Hölle in meiner Brust bei der Erinnerung meiner betrognen, unvergeßlichen Marie! Leben Sie glücklich, aber fern von dem Menschen, der Ihnen nun nichts mehr seyn kann. Ich will mich bemühen, mit Ergebung mein grausames Schicksal zu tragen, und Marie soll die Gottheit meiner reuigen Thränen seyn. Sorgen Sie für meinen Sohn, und bedauern Sie seinen Vater, den Ihre unselige Neugierde und Eifersucht unglücklicher machte, als es sein eignes Herz im Stande war.

Mit diesen Worten entfernte er sich rasch, ließ in die väterliche Umarmung des Kleinen, den ihm Hannchen entgegen trug, um ihn zu besänftigen, eine glühende Thräne fallen, und verließ sogleich den Schauplatz seiner ehemaligen Freuden.

[207]

21. Kapitel

Ein und zwanzigstes Kapitel

Josephine war unvermögend, auch nur mit einem einzigen Laut die ernste, vorwurfsvolle Rede ihres Gemahls zu unterbrechen. Sie hatte nicht geglaubt, daß ihr erstes Wiedersehn von dieser Art seyn würde, und daß er sie mit Vorwürfen überhäufen werde, da sie sich allein berechtigt glaubte, sie ihm zu machen. Ihr Herz sprach sie frey von seinen Beschuldigungen, – sie war sich nur der zärtlichsten Absicht bey ihrer Reise nach Nesselfeld bewußt, und mit tieferm Schmerz, als sie noch vorher empfunden hatte, erfüllte sein Verdacht, und das Geständniß, daß er sie nie geliebt habe, ihr Innerstes. Hatte die Entdeckung seiner Untreue ihre zarten Nerven schon erschüttert, um wie viel mehr blutete nicht die Wunde ihres Herzens bei der rauhen unverdienten Art, mit der er sie verließ. Sie wurde kränker, – man holte einen Arzt, er zweifelte an [208] ihrer Genesung. Wodmar ließ nichts von sich hören.

Indessen besiegte doch die Geschicklichkeit des Arztes die Stärke der Krankheit, und Josephine fing langsam an, sich zu erholen. Die Liebe zu ihrem Sohne war das einzige, was sie noch an die Welt fesselte, in der sie schon so viel gelitten hatte. Aber je mehr sie sich nun auf ewig von ihrem Gemahl geschieden glaubte, je fester schloß sie sich mit aller mütterlichen Innigkeit an den Kleinen an, den sie als eine vaterlose Waise betrachtete, und in dieser traurigen Rücksicht doppelt liebte. Frau Köhler war immer um sie, und oft unterhielten sie sich von Marien, deren Schicksal Josephine noch trauriger fand, als das ihrige. Hab' ich doch noch meinen August, sagte sie zu sich selbst, wenn ihr in stillen Stunden ihre Lage mit den düstersten Farben erschien, und die Gegenwart ihr nichts bot, sie über die Vergangenheit zu trösten. Hab' ich doch meinen August und durch ihn Beschäftigung, und Ersatz für mein Herz. Aber Marie, – was hat die, das ihr Entschädigung wäre für den verschwundenen Zauber ihrer Täuschung, in der sie so glücklich war! Wodmar konnte unmöglich Marien so dringend aufsuchen lassen, als es Josephine that. Jede[209] Eifersucht, jeder Unwille, die sie einst für sie empfunden hatte, war nunmehr in ihrer edlen Seele zu dem Verlangen geworden, ihr Loos so viel als möglich ihr zu versüßen. Aber alle ihre Nachforschungen waren vergeblich, und Frau Köhler beweinte oft die Ungewißheit über ihren Zustand.

Marie war unterdessen glücklich in dem friedlichen Dorfe angekommen, das Konrad bewohnte. Es lag in einer schönen, waldigten Gegend, in einem Thal, von freundlichen Gebirgen begränzt. An einer netten, reinlichen Wohnung hielt der Kärner, und bey dem Geräusch des Fahrens stürzte die ganze Familie, die eben beim Mittagbrod saß, mit einem lauten Freudengeschrei heraus, den Vater zu bewillkommen. Liese heftete einen fragenden, aber gutmüthigen Blick auf ihren Gast, und Konrad erzählte ihr, wo und wie er sie gefunden, und daß ihre Absicht sey, künftig unter ihnen zu leben. Herzlich gern, war ihre Antwort, die sie mit einem biedern Händedruck begleitete, und sogleich rückte man der neuen Hausgenossin einen Stuhl und einen Teller hin, und that, als hätte man sich schon Jahre lang gekannt.

[210] Was Marien vorzüglich an diesen unverdorbenen, braven Kindern der Natur wohlgefiel, war ihr einfacher, frommer, fleißiger Lebenslauf, die Gutherzigkeit, mit der sie alles, was sie hatten und was ihnen ihr Fleiß erwarb, mit ihren ärmern Nachbaren theilten, und gegen sie insbesondere, die Achtsamkeit, mit der sie ihren Kummer schonten, ohne nach dessen Ursach zu forschen. Zwar war Liese keineswegs von jener Neugierde frei, die man Evens Töchtern, – und vielleicht nicht mit Unrecht, – Schuld giebt; zwar hätte sie gern gewußt, warum Marie in der Blüthe der Schönheit und Jugend so traurig war, warum sich oft ihre lieben Augen mit großen Thränen füllten, ohne daß sie in den äußern Gegenständen Anlaß dazu fand, – wo ihre Heimath, wie ihre Geschichte sey: – aber sie fürchtete mit einer Schonung, wie man sie in höhern Ständen nur selten für Leidende nährt, der sanften Unglücklichen weh zu thun, und wartete mit Verläugnung ihrer Gefühle den Augenblick ruhig ab, wo sie sich ihr von selbst vertrauen würde. Dieser erschien bald, da Marie in Liesens Blicken die redlichste Theilnahme an ihrem Schicksal und den Wunsch, es zu wissen, las. Sie verschwieg ihr nichts, und ihre rührende Erzahlung, die den [211] Stempel der Wahrheit trug, kostete Liesens Augen den Zoll des Mitgefühls und der Wehmuth. Aber, sagte sie und nahm sie liebreich bey der Hand, als Marie geendet hatte, und beyde noch mit ihren Thränen kämpften, aber Jungfer Mariechen, ist es der Mann auch wohl werth, daß Sie Sich so um ihn grämt und abhärmt, in Ihren besten Jahren? – Wer weiß, ob er nicht jetzt, wo Sie seufzt und die Hände ringt, auf neue List und Bosheit denkt, eine andere zu berücken, denn vornehme Herren sollen gar schlimm seyn! – Tröste Sie Sich mit Ihrem guten Gewissen, das Ihr das Zeugniß giebt, nicht wissentlich gefehlt zu haben, und führe Sie ferner einen frommen, christlichen Wandel, so wird sich Ihr Gemüth auch nach und nach beruhigen. Aber so muß es nicht bleiben, Mariechen! – Sie kann und muß noch eine brave Hausfrau werden und ein glückliches Leben führen. Oft ist der Morgen trübe, aber am Mittag scheint doch die liebe Sonne und zertheilt die Regenwolken, die sich am Himmel gesammelt hatten, und auf einen stürmischen Tag folgt oft ein helles Abendroth. Fasse Sie Muth und vertraue Sie auf Gott, es wird sich gewiß ein rechtschaffner, braver Mann finden, wenn er auch kein Graf ist, der Ihr Ihr voriges[212] Herzeleid vergessen und Sie zu einer glücklichen Frau macht.

Ach, gute Liese! seufzte Marie unter neuen Thränen, sein Andenken wird mir ein ewiges Gegengift wider fein ganzes Geschlecht seyn.

Ey nun freilich, versetzte Liese, ich rede nicht von heute und morgen. Aber es hat alles seine Zeit in der Welt, warum denn nicht auch Ihr Kummer? Lasse Sie ihn nur austoben, es wird schon wieder still in Ihrem Sinne werden, und hernach denke Sie dran, daß Sie nicht blos deswegen da ist, um über vergangenes Unglück zu klagen, sondern auch um sich drüber zu trösten, und nicht über den Kanarienvogel, den man einmal auf dem Dache sah, den Sperling zu verachten, den man mit der Hand ergreifen kann. Ich müßte mich recht irren, wenn sich nicht der Mann, den ich für Sie im Kopfe habe, recht für Sie schickte. Es ist der neue Förster oben auf dem Waldenberg, ein junger, stiller, ordentlicher Mensch, der sich in der kurzen Zeit, da er hier ist, schon bey Alt und Jung durch seinen guten Wandel beliebt gemacht hat. Es käme auf eine Bekanntschaft an, und dafür will ich schon sorgen, [213] wenn ich glaube, daß es die rechte Zeit ist; er ist schon ein paar mal hier eingesprochen, denn Konrad hat Fuhren für ihn thun müssen. Da hat er sich mit den Kindern abgegeben, als ob sie sein eigen wären, besonders gewann er die kleine Marie lieb und schenkte ihr etliche Silberkreuzer. Dabei sah er sie immer an und seufzte dazu, als ob er dächte: Wer doch auch so muntre, gesunde Kinder hätte! –

In Mariens Herzen fanden die gutgemeinten Absichten der ehrlichen Liese keinen gefälligen Eingang, doch war sie dankbar für die Wärme, mit der sie sich für ihr Schicksal interessirte, aber sie dachte keineswegs daran, dieses zu verändern. Ihre Liebe zu Wodmar, die sich so fest und innig in ihr Wesen verwebt hatte, war ihr zu gewaltsam entrissen und vernichtet worden, als daß sie nicht hätte sollen eine große und sehr traurige Leere in ihrem Innern fühlen, – aber noch hing sie zu schwärmerisch an den Ideen einereinzigen Liebe, als daß sie hätte daran denken können, diese Leere durch eine zweite Neigung auszufüllen.

[214]

22. Kapitel

Zwei und zwanzigstes Kapitel

Durch Fleiß und Wohlthun suchte sie den Gram zu bannen, der an die Stelle ihrer ehemaligen Munterkeit getreten war, und er ging nach und nach in jene stille Schwermuth über, die immer die Begleiterin einer unbelohnten Liebe ist. – Sie verhüllte sich gewaltsam die Bilder einer Zeit, in der sie von unerschöpflichem Glück geträumt hatte, und kämpfte mit allen Kräften ihrer Seele gegen die schmerzlich-süßen Erinnerungen, die sich ihr aufdrängen wollten.

Der Geist ihres Vaters schien sie unterstüzzend zu umschweben, wenn ein leiser Seufzer bisweilen ihren vorübergegangnen Freuden nachfloh, und jedesmal verwandelte sich bei seinem Andenken die Sehnsucht ihrer halb erstorbnen Liebe in [215] heißen, unversöhnlichen Haß, wie ihn Wodmars unedles Betragen gegen sie verdiente.

Zwar überhob sie die Summe Geld, die sie besaß, aller Sorgen um ihren anständigen Unterhalt, aber sie war an ein thätiges Leben gewöhnt und wußte, daß immerwährende Beschäftigung ihr die stärksten Waffen in die Hand geben würde, ihren Schmerz zu besiegen. Sie brachte also ihre Tage unter unablässiger Arbeit zu, und suchte zu nützen, so viel es ihr ihre eingeschränkte Lage erlaubte. Konrad und Liese segneten den Augenblick, wo sie in ihr Haus gekommen war, denn sie belehrte und erzog mit der zärtlichsten Sorgfalt ihre Kinder.

Die Mädchen unterrichtete sie in weiblichen Arbeiten, die Knaben in Lesen und Schreiben, und dabei suchte sie einfach, aber mit dem ganzen Zauber der Wahrheit, der auf ihren Lehren ruhte, ihren Verstand und ihre Herzen zu bilden, so viel es ihr Bedürfniß für ihren künftigen Stand schien. Dies fesselte die guten, unverdorbenen Kleinen mit dem schönsten Bande, das die Menschheit verknüpfen kann, mit dem der Dankbarkeit an sie, und gab ihr süße Sorgen und [216] schwermüthige Freuden. Der Glaube an eine bessere Zukunft jenseits des Grabes, an die Vergebung ihres unwissentlich begangenen Vergehens, schmiegte sich in tröstender Gestalt an ihren Kummer, und erheiterte ihn wie der Sonnenstrahl das finstre Gewitter, aber er erweckte auch ihr Verlangen nach einem zweiten Leben, und die Welt lag vor ihr wie ein Thal vom herbstlichen Nebel verdunkelt. Nur auf die Spuren, wo sie einst gewandelt war, hatte das Schicksal Rosen gestreut, aber ihr Duft war verflogen und ihre Dornen blieben dem verlassenen Herzen zurück.

Liese hatte mit Konrad den Plan indessen besprochen, dem jungen Förster zu Mariens Bekanntschaft zu verhelfen, denn ihre glückliche Ehe machte es ihr nicht glaubhaft, daß ein so isolirtes Leben, wie Marie führte, auch seine Reize, besonders für die haben könnte, die so bitter betrogen worden war. Konrad gab ihr vollkommen Recht, aber die Sache war schwerer als sie schien. Der Förster lebte eingezogen und einsam in seiner romantischen Wohnung auf dem Waldenberg und schien keine Heurathsgedanken zu nähren. Auch war die Geselligkeit eben nicht seine hauptsächlichste Tugend, denn er ließ sich nur selten, und auch [217] dann nur ganz von weitem sehn, wenn er mit seinem getreuen Hunde und dem Gewehr über die Schulter die untern Waldungen durchstrich.

Vergebens hatte ihn Konrad einigemal, wenn er ihm begegnet war, eingeladen, in seiner engen, ländlichen Klause bei ihm einzusprechen; – er schützte Geschäfte vor und schlug es ab. Vergebens hatte die kleine Marie, noch eingedenk seiner ehemaligen Liebkosungen, nach dem Willen ihrer Mutter, als Herbst und Winter vorüber waren, und die schönere Jahrszeit die ersten Erdbeeren reifte, diese in ein Sträuschen gebunden, und sie ihm auf seinen einsamen Berg getragen, in der Hoffnung, ihr erneuertes Andenken werde ihn zu einem Besuch bewegen; – er drückte die Kleine mit Innigkeit an seine Brust, gab ihr Spielwerk und Zucker und die Erlaubniß, so oft zu ihm zu kommen, als sie nur selbst wollte. Aber dabei blieb's, – und da Marie sich durchaus nicht dazu verstehen wollte, seine Bekanntschaft zu suchen, und der Förster eben so wenig Verlangen bezeugte, die ihrige zu machen, so glaubten Konrad und Liese am besten zu thun, wenn sie diese Sache, wie so manches andre, was ihnen einst am Herzen lag, dem lieben Gott und dem Zufall überließen. – –

[218] Marie war nicht mehr das schöne, blühende Geschöpf, das sie in den Tagen ihres Glücks gewesen war. Ihre Wange war zwar noch voll, aber der Kummer hatte sie abgebleicht, und dem sonst so frohen, heitern Auge seinen Glanz genommen. Auf ihren Lippen thronte nicht mehr jenes süße Lächeln, das sonst mit unwiderstehlicher Anmuth zum Herzen drang; aber der sanfte, resignirte Gram, der in ihren Zügen wohnte, störte die Harmonie derselben nicht, und gab ihnen ein rührendes Interesse, wenn er auch die frische Blüthe der jugendlichen Fröhlichkeit, und der Gesundheit der Seele gebrochen hatte, die man sonst in ihrem Gesichte las.

Ihre Leiden hatten ihr eben so viel gegeben, als genommen, wenigstens ersetzte der ruhige Ernst ihres Wesens die Heiterkeit, die man an ihr vermißte, und man konnte der edlen Art, mit der sie ihren Schmerz trug und überschleierte, weder seine Achtung, noch sein innigstes Mitgefühl versagen. Sie glich einer Lilie, die im dürren Boden verschmachtet, aber noch sterbend ihre süßen Gerüche verbreitet.

Einst lockte sie ein schöner Sommerabend ins Freie. Sie war zu ihrer bürgerlichen Tracht zurückgekehrt [219] und hatte mit dem Wahn eines höhern Standes alles abgelegt, was er ihr zu erlauben schien. Einsam durchwandelte sie die schönen Fluren, ohne sie zu bemerken, denn ihre Fantasie versetzte sie in die Tage ihrer ersten Jugend, und rief ihr noch einmal mit süß-umdämmerten Farben den ruhigen, einfachen Genuß ihres häuslichen Glücks und der Erfüllung ihrer kindlichen Pflichten zurück. Auch an Ludwig dachte sie in dieser stillen Stunde, und die Vorstellung, ihn vielleicht unglücklich gemacht zu haben, mischte Wermuth in ihre lächelnde Erinnerung. – So ging sie an dem Gehölze dahin, und jeder Beweis von Güte und Liebe, den er ihr sonst gegeben hatte, stieß einen neuen schmerzlichen Dorn in ihre Brust. Sie hatte keine Nachricht von ihm, und ach! sie wünschte auch keine, weil es ihre Leiden noch vermehrt haben würde, ihn um ihrentwillen traurend zu wissen. Ach wer weiß, sagte sie unter strömenden Thränen, ob er nicht mit Haß und Unwillen an die Unglückliche zurück denkt, die ihn mit falschen Hoffnungen betrog! Aber könnt' er mir sein Mitleid verweigern, wenn er wüßte, wie bitter mich das Schicksal bestraft hat, daß ich der Stimme der Leidenschaft folgte? – Könnt' er grausam genug seyn und mir, die ich so verarmt an jeder Freude [220] bin, den Trost seiner Vergebung und seines Bedauerns versagen? – Ach, möchte er glücklich seyn, glücklicher als ich, und möchte mein Bild ihm nur in einer sanften Stunde vorschweben, wo sein Herz geneigt wäre, mir den Kummer zu verzeihen, den ich ihm machte! – Sie warf sich unter eine hohe, majestätische Eiche und versank in ernste, wehmuthsvolle Träume. Auf einmal rief sie eine sanfte, gebrochene Stimme aus einer bessern Welt zurück, in der sie schwärmte. Mein Herz ist geneigt, Dir zu vergeben. Marie! sagte die Stimme bebend und leise, wie die Rührung zu sprechen pflegt, – ach, es vergab Dir schon längst und alle mein Unwille fiel nicht auf Dich, sondern auf Deinen Verführer.

Erschrocken sprang sie auf und trocknete die von Thränen verdunkelten Augen, die sie verhinderten, die Gestalt zu sehen, die so sanft zu ihr sprach. Ach, es war Ludwig, – bleich wie sie und abgezehrt vom stillen Schmerze einer vergeblichen Liebe! – Sprachlos und starr stand ihm Marie gegenüber, und ihre Betrübniß war beredter wie ihre Lippe. –

Marie, sagte Ludwig, erwarte keine Vorwürfe von mir. Dein blasses Gesicht und Dein [221] rothgeweintes, erloschnes Auge sagen mir, daß Du unglücklich bist, und dieser rührende Anblick würde meinen heftigsten Haß entwaffnen, wenn ich den jemals hätte für Dich fühlen können. Kann ich etwas beitragen, Dir Deine Lage zu erleichtern, so rechne ganz auf Deinen ersten, Dir immer treugebliebnen Freund, und – – – seine Thränen ließen sich nicht länger zurückhalten, er umfing sie in einer schmerzlichen krampfhaften Umarmung, in der sich alle ihre stechenden Wunden regten und beruhigten, durch die Qualen der Erinnerung und den Balsam der Freundschaft!!! –

Marie war unvermögend, nach diesem Auftritt, der ihr Herz zerschnitt, zu reden. Sie verlangte nach Hause, und Ludwig führte sie durch die schlummernden Gefilde nach dem Dorfe und ihrer Wohnung zurück. Oben von dem Gipfel des Waldenbergs blickte ein freundliches Ziegeldach, von Tannen umgeben, herab in das Thal, und auf ihm glänzten noch die letzten Strahlen der schon untergegangnen Sonne.

Dort wohn' ich, Marie! sagte Ludwig, indem er hinauf wies, dort hab' ich einsam an Dich gedacht und um Dich getrauert, ohne zu wissen [222] daß ich Dir so nahe war. O, wie oft hat mich die Ungewißheit Deines Schicksals gequält, und doch hätt' ich mich nicht entschließen können, Dir den Wahn zu nehmen, in dem Du so glücklich schienst! – Marie drückte ihm stumm die Hand, mit einem zermalmenden Gefühle in ihrem Innern.

Und so unerwartet muß ich Dich wieder finden, fuhr er fort, nachdem ich die Hoffnung aufgegeben hatte, Dich jemals wieder anzutreffen. Und so blaß, so leidend! O, Marie, Du könntest Dich keiner rührendern Beredsamkeit bedienen, als dieser Spuren eines tiefen Grams, die ich in Deinem Gesicht lese. Aber verbanne sie, ich bitte Dich darum! Dein Herz ist rein, Du ließest Dich nicht verführen, nur betrügen, und dies muß Dir Beruhigung seyn.

Marie konnte nichts antworten. Nur dann und wann erwiederte ein leiser Druck der Hand, von einem Seufzer begleitet, die Herzlichkeit, mit der er sprach. Endlich erreichte sie die friedliche Hütte, die sie bewohnte. Ach Ludwig! sagte sie beim Abschied, Ueberraschung und innre Vorwürfe haben meine Zunge gelähmt, aber ich fühle Deine Güte! – – Gerührt und innig drückte er sie noch einmal an sein ehrliches Herz und sie schieden.

[223]

23. Kapitel

Drei und zwanzigstes Kapitel

Als sie in ihre Kammer trat, warf sie sich mit den Kleidern aufs Bett und ließ ihre wunden Augen weinen, so lange sie wollten. Ach, diesem guten, edlen Menschen habe ich seine Hoffnungen und seine Freuden genommen, rief ihr Inneres mit allen seinen blutenden Wunden, und wie leicht wär' es mir gewesen, ihn mit ein wenig Verläugnung meiner selbst froh und glücklich zu machen. O, hätt' ich meine unbesonnene Liebe überwinden können und ihm die Hand gegeben, von der er sich so vieles Glück versprach! – Sein argwohnloses Herz hätte nie geahndet, daß eine heftige Leidenschaft das meine erfüllte, und meine ruhige Ergebenheit hätte ihm genügt! Nach und nach wären in einem bürgerlichen, häuslichen Leben, wie es sich für mich schickte, die bunten, strahlenden Farben verblichen, mit denen ich mir [224] Wodmars Liebe mahlte, und der Sieg über mich selbst hätte meines Vaters Sterbestunde erheitert. Ach, und alles dies hätte mir nichts gekostet, als die Aufopferung einer Liebe, die mir nun so grausam mit aller Ruhe und Heiterkeit aus dem Herzen gerissen wurde, daß es an der Leere brechen wird, die darin zurück blieb! –

Der sanfte Mond erhellte nach und nach ihr kleines Gemach, aber in ihrer Seele blieb düstre Nacht und ununterbrochne Schwermuth. – Und wie, fuhr sie fort mit ungestillten Qualen sich zu denken, wie, wenn er noch jetzt den Flecken, den die Vergangenheit unverdienter Weise auf meinen guten Namen wirst, wieder auslöschen wollte, indem er mir erlaubte, den seinen zu führen? – – Würd' ich, könnt' ich es annehmen? – Könnten auf den Trümmern dessen, was ich ehedem war, noch Blumen der Freude für ihn sprossen? – Nein, nein, rief sie dann laut unter neuen Thränen, nein, Ludwig, Du verdienst mehr, als ich Dir seyn kann, Du verdienst eine Gattin, die Dir frey ins Auge zu sehn vermögend ist, ohne daß es feucht und beschämt zu Boden sinken muß, bey der Erinnerung voriger Zeiten.

[225] Schlaflos brachte sie die Nacht unter Schinerzen hin, die sie sich selbst machte, und wie mit einem Fieber kämpfend fand sie Liese am andern Morgen mit erhitzten, geschwollenen Augen, die die Spuren des Wachens und des Weinens trugen. Marie erklärte ihr alles, ihr ehemaliges enges Verhältniß mit ihrem Vetter Ludwig, den sie in dem Förster wieder gefunden hatte, ihre Erwartungen eines erneuerten Antrags, und ihren Entschluß, ihn auszuschlagen. Liese fand diesen Vorsatz unbillig und unklug. Wenn jemand einen Fehler begeht, sagte sie, und bereut ihn, und möchte ihn gern ungeschehen machen, – ists denn da nicht unsre Schuldigkeit, ihm zu vergeben? – Und wie viel mehr ist der nicht zu entschuldigen, der ohne zu wollen fehlte, und demohngeachtet so herzlich bereut, wie Sie? Nein, Jungfer Mariechen! gebe Sie ihm in Gottesnamen Ihr Jawort, wenn er es verlangt, und mache Sie Sich keinen Kummer über das, was geschehn ist. Und wenn Sie auch selbst mit Wissen und Willen in Unehren mit dem Grafen gelebt hätte, so müßte man doch wegen Ihres guten, frommen Wandels nachher ein Auge zudrücken, und der Mann wäre immer noch glücklich zu schätzen, der Sie bekäme. Bedenke Sie [226] auch, daß Sie dem Förster für manches Herzeleid Entschädigung schuldig ist, das Sie ihm zugefügt hat, und daß es im Alter wohl thut, wenn alle Bekannten um uns her sterben und uns vorangehn, einen treuen Freund, der bei uns aushält, und liebe Kinder zu haben, die uns die Augen zudrücken.

Liese würde ihr noch mehr Gründe vorgelegt haben, wenn nicht ein Morgenbesuch des Försters ihre Rede unterbrochen hätte. Sie hielt sich nun für überflüssig, lächelte fromm und bedeutend auf Marien und entfernte sich mit der Zuversicht, daß er mehr auf sie wirken werde, als sie. Ludwig erschrak, als die erste Röthe der Ueberraschung vorüber war, die sein Kommen auf ihre Wangen trieb, über die kranke, leidende Gestalt, die ihm weniger bleich und zusammen gebrochen im Rosenlichte des gestrigen Abends vorgekommen war, – über das lebensmüde Auge, mit dem sie ihn ansah, und über die blassen Lippen, mit denen sie sich bemühte, zu lächeln. Marie, meine geliebte Marie! Du bist sehr krank! rief er aus, heftig bewegt von ihrem Anblick, der ihn einst in der vollen, frischen Blüthe der Gesundheit so sehr entzückt hatte. –

[227] Ich bin es, Ludwig! versetzte Marie sanft, aber in meinem Herzen wohnt meine Krankheit. – Wie ein Leichenstein liegt der Kummer auf meiner Brust und seine Schwere wird sie erdrücken. Aber ruhig, glücklich wird sie nicht eher seyn, bis sie der wirkliche Leichenstein auseinander preßt!

Ludwig konnte seine Augen nicht mehr beherrschen. O Marie, rief er, könnte denn meine innige Liebe den Gram nicht vermindern, der Dich darnieder beugt? Könntest Du wirklich dem Manne, den Dein guter Vater einst werth hielt, Dich zu besitzen, die süße Sorge für Dein Glück verweigern? – Ich will ja Deine Liebe nicht, denn ich weiß, daß sie noch immer dem Verräther gehört, so gern Du Dir Deine Gefühle auch selbst verbergen möchtest. Ich will nur Deine Freundschaft, nur das Recht, Dir so viel Freuden zu geben, als ich kann!

Marie sank erbleichend, fast ohnmächtig in seine Arme. Nein, Ludwig! sagte sie rasch, ich lieb' ihn nicht mehr, weil ich ihn tief verachte! Aber was willst Du mit mir, Du, der Du das beste, glücklichste Mädchen verdienst? – Nein, [228] laß mich einsam weinen, weinen, daß ich das beglückende Gefühl meiner innern Ruhe verloren habe, und dann sterben!

So stirb an meinem Herzen! sagte Ludwig, und diese feierliche Minute schloß den Bund der Freundschaft und der Liebe. Marie versprach ihm die Seinige zu seyn.

Als es allmählig ruhiger in ihnen wurde, erzählte ihr Ludwig seine Schicksale seit ihrer Trennung. Mit den süßesten Hoffnungen, die ihn zu einer lachenden Zukunft berechtigten, war er mit seinem Prinzen ausgereiset, aber bald wiegte die immer zunehmende Entfernung seine Seele in eine düstre Schwermuth, die seinem Herrn nicht entging. Er gestand ihm seine Liebe, seine Sehnsucht nach der Geliebten, und seinen Wunsch, sie auf immer zu besitzen. Der Prinz hörte ihm theilnehmend zu, sagte aber nichts darauf. Ohngefähr zehn Monate nach ihrer Abreise rief ihn der Prinz zu sich. Geh' und sei glücklich! sprach er mit nassen Augen, indem er ihm seine Bestallung als Forster auf dem Waldenberg gab, um die er sich heimlich für ihn bemüht hatte. Und wenn Du recht froh mit Deinem jungen Weibe lebst, so [229] denke auch an mich und bedaure mich, den Schicksal und Konvenienz auf ewig von dem Ziel seiner Wünsche scheiden. – Der Prinz liebte ein Mädchen unter seinem Stande. – Sie zu vergessen und ihre gefährliche Nähe zu fliehen, that er diese Reise. Ludwig konnte nie ohne die tiefste Achtung und Rührung von der Würde sprechen, mit der er seine hoffnungslosen Leiden trug. –

Auf den Flügeln der Sehnsucht eilte er nun zurück, in der Hoffnung, seine Marie werde in froher Verwunderung sein Glück mit ihm theilen. Aber ihr Haus war leer, ihr Vater begraben, sie selbst verschwunden; – nur an ihrer Stelle fand er den Brief, der ihm fürchterlichen Aufschluß über alles gab, was ihm räthselhaft schien. – Er schwieg von dem heftigen Schmerz, den er empfand, da er sah, daß Marien seine Erzählung peinigte, die sie gleichwohl selbst von ihm gefordert hatte.

Er verließ die Stadt, die ihm nun unerträglich war, theilte die Summe Geld, die sie ihm beschieden hatte, unter ein paar arme Verwandten ans, und bezog mit finsterm, menschenfeindlichem Gram seinen Waldenberg. Eh' er sich [230] noch auf immer der Einsamkeit überließ, die ihn erwartete, bemühte er sich um Nachrichten von dem Grafen von Wodmar. Man sagte ihm, daß er im vorigen Herbst sich mit einer jungen, schönen und reichen Gräfin vermählt habe, die einsam auf dem Lande lebte, da das Geräusch der Welt keinen Reiz für sie habe. Da stand ihm das ganze Bubenstück seines Nebenbuhlers vor den Augen. Er kannte Mariens strenge Grundsätze und ihre feste Tugend. Nur durch eine Scheinheurath war es möglich gewesen, zu ihrem Besitz zu gelangen. Bald loderte das Feuer seines Zorns zu dem Vorsatz auf, dem Betrüger die Maske zu entreißen; – bald aber, wenn er ihren Brief von neuem überlas, sagte er zu sich selbst: Warum soll ich die goldne Täuschung vernichten, in der sie so selig schwärmt? Ach, sie würde doch anmeinem Herzen keinen Ersatz finden für den süßen Traum, aus dem ich sie weckte! – – So zog er sich ganz von der Welt in die Stille seines ländlichen Lebens zurück und ihr Andenken schwand nie aus seiner Seele, die sie immer betrauerte.

Auch Marie theilte ihm, nicht ohne innern Kampf, ihr voriges Leben mit, und schilderte [231] ihm unparteiisch und treu ihre Bekanntschaft mit Wodmar, ihre Liebe, ihre Verbindung und dann die Entdeckung seiner Verrätherey. Es griff sie an, von Dingen zu sprechen, die ihr nur die bittersten Erinnerungen erwecken konnten. Ludwig bemerkte es. Erzähle mir nichts mehr, meine gute Marie! sagte er schonend und sanft. Wende Deinen Blick weg von den trüben, vergangenen Tagen und schaue froh in eine bessere Zukunft. Ich weiß ohne Dein quälendes Geständniß, daß Deine reine Seele unfähig war, sich zu verirren. – Marie weinte seiner Güte Thränen des Danks und der Rührung. –

Ludwig blieb den ganzen Tag bey ihr und die gutmüthige Liese war außer sich vor Freude über ihren schnell gelungenen Plan. Am Abend führte er seine Geliebte ins Freye und besuchte mit ihr die hohe Eiche, unter der er sie wiederfand. Stumm und selig ging er neben ihr her, – schweigend und voll sanfter Wehmuth folgte Marie den grünen Spuren des Weges an seinem Arm, die sie gestern noch einsam betrat. Das volle, glühende Abendroth goß selbst auf die östlichen Wolken seinen reizenden Purpur aus, – die Abendglocke tönte melodisch durch die stille [232] Luft, die sie umgab, und schien ihr in dieser rosenfarbenen Minute der Nachhall ihrer ersten Jugend zu seyn, in der sie einst mit ähnlichen Aussichten, wie jetzt, nur nicht so traurig, vor Ludwig stand. Aber in ihre süß gerührte Seele drang die herbe Vorstellung von allem, was sie ehemals davon geschieden hatte. –

[233]

24. Kapitel

Vier und zwanzigstes Kapitel

Unter einem immerwährenden Wechsel von Weh und Freude in Mariens Seele gingen einige Wochen vorüber und Ludwig bestand nun auf die Erfüllung ihres Versprechens.

Mit schwerem Herzen willigte Marie in eine Verbindung mit ihm auf ewig. Nicht als ob sich der leiseste Zweifel an seinem schonenden, vergebenden Edelmuth in ihr geregt hätte, – nur zu tief hatte sie so manche Probe seiner Delikatesse durchdrungen; aber in ihrer Seele, in der sich alles auf Nebelgrund mahlte, fühlte sie deutlich, daß ihr die Vergangenheit ewig eine Wunde bleiben würde, die nur der Tod zu stillen vermöchte. Was ihr ehemals im blendenden Rosenlicht der Liebe verzeihlich dünkte, schien ihr jetzt ein Verbrechen zu seyn, und dahin gehörte auch ihr wankelmüthiges [234] Benehmen gegen Ludwig, und die Uebereilung, mit der sie im Rausch der Leidenschaft die Belohnung, die sie seiner festen Treue schuldig war, ihrem eignen, erträumten Glück und der Liebe eines Mannes opferte, der ihrer so unwerth war.

Aber Ludwig wollte nicht ohne sie leben und sie ergab sich sanft in seine Wünsche. Ihre Heurath wurde feierlich in der Kirche vor der ganzen versammelten Gemeinde vollzogen, und Konrad und Liese wohnten der Trauung mit einer so gerührten, innigen Freude bey, als würde ihre eigne Tochter vor dem Altar zur unzertrennlichen Gefährtin des glücklichen Försters geweiht.

Marie bezog nun mit ihrem Manne den Waldenberg, und ihre kleine, aber angenehme Wohnung war ganz so einsam, wie sie es wünschte. In nützlichen Beschäftigungen brachte sie ihre Tage hin, und über ihre Gestalt breitete sich eine holde Ruhe, die ihr Wesen beseelte und Ludwig die süßeste Hoffnung gab, sie werde von ihrem Grame genesen. Aber er war nur erschöpft, nicht gehoben, und führte sie langsam dem offenen Grabe zu. Sie empfand immer einen schmerzlichen Unterschied [235] zwischen ihrem und Ludwigs Innern. Je reiner und fleckenloser das seinige war, je vorwurfsvoller dünkte ihr das ihrige, und alle seine Liebe kam ihr nur wie ein mitleidiges Herabneigen zu einer unglücklichen Verirrten vor, so sehr er sich auch Mühe gab, ihr zu zeigen, daß er sie nicht allein liebte, sondern auch achtete. – Ihrem traurenden Herzen that seine Güte weh, und je weiter er sich von jeder Erinnerung voriger Zeiten entfernte, je näher leitete sie ihr stiller Schmerz zu ihr hin.

Einige Monate war sie seine Frau gewesen, da überfiel sie eine unbeschreibliche Mattigkeit. Ludwig pflegte sie mit aller Zärtlichkeit, die er für sie empfand, und suchte alles hervor, was sie erheitern und stärken konnte. Ich habe einen Wunsch, liebster Mann! sagte sie zu ihm, den ich gern erfüllt sähe, da ich vielleicht bald mein Auge auf ewig schließe. – Ludwig konnte das seinige nicht trocknen und ihr nur durch eine Bewegung mit der Hand zu verstehn geben, daß er ihn gewähren würde.

Meine Muhme Köhler, fuhr sie fort, lebt wahrscheinlich noch immer in Wodmars Hause, – [236] ich wünschte sie in meinen letzten Stunden um mich zu haben und sie Dir zu hinterlassen, wenn ich sterbe. Sie wird Dein Hauswesen gut in Acht nehmen, bis Du zu einer zweiten Wahl schreitest, und sollte Deine künftige Frau sie nicht um sich haben mögen, so laß sie zur guten Liese ziehn und gieb ihr, um meines Andenkens willen, so viel, als sie zu ihrem Auskommen braucht. – Sie verließ aus Liebe zu mir ihre ruhige Lage in der Stadt, und hoffte Freuden mit mir zu theilen, die man uns vorspiegelte. – Ach, sie hat nichts mit mir getheilt, als meine einsamen Tage, meine Thränen um den geliebten Vater, und mein Erstarren, als wir entdeckten, daß wir betrogen waren! – Willst Du ihr schreiben, daß sie kommen soll? – Ludwig that es mit einem namenlosen Kummer. –

Noch eins, sagte sie, als er fertig war, und zog ihn liebevoll zu sich nieder. In ihren schönen Augen schwamm ein feuchter Schimmer, der sich in eine volle Thräne sammelte und ihre eingefallene, blaßgeröthete Wange hinabschlich, – noch eins habe ich auf dem Herzen, aber ich thue es nicht ohne Deinen Beifall. Ich fühle, daß der Tod mir nicht mehr fern ist, und seine Annäherung [237] macht mich sanfter, als ich in den Tagen meiner sinkenden Gesundheit war. Vielleicht ist Wodmar schuld an meinem frühen Sterben, – vielleicht auch nicht! Aber wäre er es auch, so ist es schön, den Abend seines Lebens mit einer edlen That zu bezeichnen und zu enden; drum erlaube mir einige Zeilen an ihn, in denen ich ihm sage, daß ich ihm vergeben habe, und daß ich diese Welt verlasse, ohne seinem Andenken zu fluchen. Ach, ich hasse ihn nur noch um Deinetwillen; – die Schmerzen, die ermir machte, hab' ich ihm längst verziehen. Willst Du, mein Ludwig! mir diese letzte Bitte erfüllen, so wirst Du meinem Herzen noch neue Freude geben, ehe es bricht; – willst Du es anders, nun so bring' ich Dir ohne Murren den kurzen Genuß, den sie mir gewähren würde, zum Opfer.

Kannst Du noch fragen, unterbrach sie Ludwig auf ihre Hand gebeugt, die er fest an sein Herz drückte. Thu' alles, geliebte Seele, was Dir Freude macht! – O, könnt' ich für Dich sterben! – –

Marie ließ sich also eine Feder bringen und Ludwig irrte im Walde umher, den Schreckensbildern [238] zu entfliehn, mit denen ihr herannahendes Ende ihn umgab. Es war still in dem öden Krankenzimmer um sie her, wie in ihrer Seele, und sie nahm alle ihre Kräfte zusammen, um diese Zeilen zu schreiben:

»Wenn Sie dieses Blatt erhalten, werden vielleicht die Hände schon verwesen, die es schrieben, und das Herz, das Sie geliebt hat, schlägt nicht mehr und schlummert in der Erde. Aber ehe es der Todeskampf stumm und kalt macht, will es noch einmal zu dem Ihrigen sprechen und Ihnen vergeben. Still und feierlich naht sich mir die Minute meines Sterbens, und ich sehe ihr heiter entgegen, denn sie erscheint mir wie eine geliebte Gestalt im Traum und öffnet mir den Himmel. Ich habe nichts auf dieser Welt gehabt, als den kurzen, aber süßen Wahn Ihrer Liebe, – den Schmerz betrogen worden zu seyn, und Thränen. Selbst die Zärtlichkeit des besten, edelsten Mannes vermochte mir nichts mehr als doppelte Reue zu geben, daß ich ihn jemals meiner unglücklichen Leidenschaft aufopfern konnte; – ich scheide also gern, da meiner traurenden Seele die Erde nur ein Kerker dünkt. – Aber in diesen letzten Stunden meines Lebens wird mein Herz [239] weich und geneigt zu vergeben. Nehmen Sie also mit dem letzten Lebewvhl, das ich Ihnen durch die weite Ferne zurufe, die uns trennt, die Versicherung hin, daß ich versöhnt mit Ihnen sterbe. Ach, ich will es Ihnen nicht verbergen, daß mein Haß und mein Abscheu für Sie mit meiner fallenden Gesundheit dahin floh, und – meine Lippen soll auch im Tode keine Lüge beflecken, – daß ich Ihr Bild und alle meine ehemalige Liebe zu Ihnen in meinem brechenden Herzen mit ins Grab nehme. Seyn Sie glücklich in den Armen ihrer liebenswürdigen Gemahlin, und mein Andenken störe nie Ihre Heiterkeit, sondern nur Ihren Leichtsinn, indem es Sie an die traurigen Folgen erinnert, die er hatte. Ich verzeihe Ihnen, ich würde Ihnen noch mehr sagen, aber der Augenblick ist nun vorüber, der mir erlaubte, offenherzig zu seyn, und alle die übrigen, die ihm folgen, gehören Ludwig und meinen Pflichten! – Leben Sie ewig, ewig wohl! Einst, wenn Ihr Herz zur Tugend zurückgekehrt ist und sich müde geschlagen hat im Getümmel der Welt und unter dem Drucke des Lebens, dann Wodmar! – o diese Hoffnung ist Deiner Marie süß, – dann sehn wir uns wieder!«

[240] Sie endigte diesen Brief mit vieler Heiterkeit und Ruhe des Geistes, siegelte ihn selbst und gab ihn Ludwig, mit der Bitte, ihn nach ihrem Tode zu besorgen. Konrad eilte so schnell, als es ihm möglich war, Frau Köhler zu holen, und Liese kam nicht von dem Krankenbett ihrer geliebten Freundin, und gab durch die unermüdete Sorgfalt, mit der sie sie abwartete, und durch die redlichen Thränen, die sie bey ihrer immer zunehmenden Entkräftung vergoß, einen rührenden Beweis, wie gut der Mensch seyn kann, auch ohne Politur, die oft am innern Werthe nimmt, was sie dem Aeußerlichen an Glanz giebt.

Ludwig, dessen treues Herz sich, nachdem er sie wiedergefunden, fester als jemals an sie geheftet hatte, – Ludwig, der jetzt den Moment sich nahen sah, in dem er sie für dieses ganze lange Leben verlieren sollte, hatte keinen Trost für seinen Schmerz, als den, der allen Unglücklichen bleibt, den Trost der Sterblichkeit.

Er verließ das Zimmer seiner geliebten Gattin keinen Augenblick, und bewachte unter Furcht und Hoffnung, die in ihm abwechselten, jede ihrer Bewegungen. Einst erwachte sie nach einem [241] sanften Schlummer, – ihr Auge blickte sich hell und selig um, und sie reichte in trunkner Freude Ludwig ihre Hände, der an ihrem Bette saß. O mein Ludwig! sagte sie, und die Glorie der Verklärung schien ihre bleiche Gestalt zu umschweben und lieh ihr ein überirdisches Lächeln, ich habe den ganzen Himmel gesehn, und meinen Vater und mich selbst, in dem schönsten aller Träume! Ach, wie war mir so wohl im Kreise der Seligen! Unsre Erde lag wie eine dunkle Wolke unter mir, und ich konnte keine der lieben Gestalten erkennen, die ich zurückgelassen hatte. Und doch wurde mein Herz weich vor Sehnsucht, die Seligkeit mit ihnen zu theilen, die mein ganzes Wesen durchströmte. Da senkte sich von der zweiten Welt, die ich bewohnte, eine blaue Nebelsäule hinab auf die verlaßnen, dunkeln Gefilde meines ehemaligen Vaterlandes, – und glänzender stieg sie wieder empor, – – süße Ahndung und Wehmuth schmelzten mein Herz! Du tratest aus dem blauen Duft, der Dich umgab, und mein Vater segnete unser Wiedersehn. Dann führte mir der Engel der Versöhnung auch Wodmar entgegen und wir umfaßten uns alle in stiller Liebe, die niemand störte und niemand tadelte! Da verloren wir plötzlich unsre Gestalten, – [242] sie sanken hinab in offne Gräber, aber unsre Seelen kannten sich doch und liebten sich, auch ohne die bekannte Hülle. – Ihr Auge wurde starrer unter den freudigen Thränen, die es vergoß, – ihr Mund bewegte sich noch lächelnd, aber ohne zu sprechen, und ohne Krampf und Zuckungen floh in Ludwigs Armen, wie der leise Athem der Frühlingsluft, ihr entrinnendes Leben dahin! – –

[243]

25. Kapitel

Fünf und zwanzigstes Kapitel

Frau Köhler kam an, – um ihre Nichte begraben zu sehn. Sie weinte mit Konrad und Liesen bey der theuern Leiche, aber Ludwig konnte seine Thränen nicht mit den ihrigen vermischen. Sein Auge war trocken und starr, und so heftig auch der Schmerz in seinem Innern wüthete, so las man nichts von ihm auf seinem Gesicht, als die gleichgültige Betäubung, die seine erste Stärke mit sich führt. Er wirkte sich die Erlaubniß aus, ihre Ueberreste unter der Eiche begraben zu dürfen, wo er sie zum erstenmal nach langer Trennung wieder gesehen hatte. Sie war schon vorher sein Lieblingsplatz und wurde es nun noch mehr, da unter ihrem Schatten das Liebste, was er auf der Erde hatte, schlummerte. – Er setzte ihr ein einfaches Grabmal, mit dem Tag und Jahr ihrer Geburt und ihres Todes, und der [244] simpeln Inschrift: Ihr Tod war schön und sanft, wie ihre Seele! – Täglich besuchte er das Heiligthum seines Schmerzes, und Konrads Kinder, die den Grabhügel ihrer Freundin oft mit Blumen bestreuten, fanden ihn zuweilen ohne Spuren des Bewußtseyns, ganz verloren und versenkt in seine Schwermuth, oder auch in milden Thränen, die ihm endlich Zeit und Nachdenken gab. – Er führte sein Leben still und traurig fort, wie in den Tagen, da er Marien betrauerte, als sie sich durch ihre Liebe zu einem Andern von ihm losgerissen hatte, aber seine Empfindung war nicht mehr so herbe, wie damals, denn Marie war ja als die Seinige gestorben. Er dachte an keine zweite Verbindung, und Frau Köhler führte mit der Sorgfalt einer Hausfrau seine Wirthschaft an Mariens Stelle. Jedes Ueberbleibsel von ihr war ihm eine heilige Reliquie, und in stillen Stunden, wo er sich frey von Zeugen glaubte, oder über seinen Kummer der Zeugen vergaß, vertiefte er sich schwermüthig in die Größe seines Verlustes. Er pflückte jede Blume aus dem Felde der Vergangenheit, um damit den Rautenkranz der Gegenwart zu schmücken, oder um sie in süßer Täuschung auf die verheerten Ruinen seines Glücks zu streun. – In die [245] Rinde der Eiche, unter der sie ruhte, schnitt er ihren Namen, und nun war der geliebte Baum ihm doppelt werth. Hier fand ihn jeder Abend in Träumereien verloren, die ihm entweder die Zukunft jenseit des Grabes mit Farben der Hoffnung malten, oder alle Freuden seiner vergangnen Tage ihm wieder zurückriefen. – Oft glaubte er sich auch von Mariens Geiste umschwebt, und dann verließ er allemal mit erhöhtem Muthe zum Leiden das Grab, in dem seine Geliebte und seine Glückseligkeit ruhten. Er überlebte sie nur einige Jahre, und Frau Köhler folgte ihm bald nach.

Mariens schriftliches Vermächtniß an den Grafen wurde ihm richtig überbracht. Er hatte, da jede Mühe, ihren Aufenthalt auszuforschen, vergeblich war, in dumpfer Schwermuth seine Tage in der Stadt verlebt, aber ohne an ihrem Geräusch und seinen ehemaligen Gesellschaften Theil zu nehmen. Alle seine Heiterkeit war hin, – immer erblickte er im Spiegel der Erinnerung Mariens Vertrauen und ihren gemißhandelten Glauben, der ihn an seine innere Entehrung mahnte. – Er hatte, seit er so hart von Josephinen gegangen war, wohl oft mit Antheil und Zärtlichkeit an diese arme, auch von ihm Betrogne [246] gedacht, aber sie nicht wieder gesehn. Jene Vorwürfe, die er ihr mit so viel Bitterkeit in einer Stunde machte, wo sie des Balsams für ihr zerrissenes Herz bedurfte, kamen nicht aus seinen Gedanken. Aber es liegt leider in den mehresten leichtsinnigen Menschen der Wunsch und das Verlangen, einen begangenen Fehler dadurch zu beschönigen, daß sie die Ursachen, die ihn veranlaßten, nicht in sich selbst, wo sie wirklich zu Hause sind, sondern in dem andern suchen, der darunter leidet.

Das Gewissen weicht nie aus der menschlichen Seele, so oft es sich auch einschlummern läßt, und wenn auch der Strom der lauten Freuden den Bösewicht in dumpfer Betäubung mit sich fortreißt, so kommt doch endlich eine stille Stunde, der er nicht ausweichen kann, die ihm den Spiegel vors Gesicht hält, aus dem ihm zu seinem Schrecken alle seine Vergehungen in ungefärbter Häßlichkeit entgegen strahlen. Dann möcht' er gern den innern Stichen entgehn, die ihn peinigen, und sucht den kleinsten Flecken in dem Charakter auf, den er beleidigte, um sein Verfahren zu rechtfertigen. Wodmar hatte zwar anfangs mit einem unangenehmen Gefühl Josephinens[247] erste Kälte und den Stolz bemerkt, mit dem sie ihm begegnet war; – aber da er sie nicht liebte, so war ihm nach und nach die Kluft lieb geworden, die die Verschiedenheit ihrer Denkungsart zwischen sie warf, da sie ihm wenigstens in seinen eignen Augen eine wichtige Entschuldigung seines Verfahrens gegen Marien schien. Er schätzte Josephinen, wie es ihre reine Tugend verdiente und er bereute es, ihrem weichen Herzen durch seine rauhe Begegnung weh gethan zu haben, – aber er wagte es nicht, sie zu sehen, und die Ungewißheit, die ihn wegen Mariens Schicksal folterte, erlaubte ihm auch bis jetzt nur als Nebensache den Gedanken an sie.

Als er Mariens Brief erhielt, und ihre Hand auf der Aufschrift erkannte, ergriff ihn ein ahndungsvolles Beben. Er legte ihn unerbrochen vor sich hin, um einige Minuten sich den süßen Vermuthungen und Hoffnungen zu überlassen, die ihn umgaukelten. Er glaubte sie versöhnt, aber nicht erst an der Pforte der Ewigkeit, sondern noch in diesem unvollkommnen Leben, das er ihr so sehr getrübt hatte. Aber als er das Blatt entfaltete, dessen wankende Schreibart ihm bewies, daß sie ihm ihre letzten Kräfte geopfert hatte, als er es [248] las und in dumpfer Bestürzung wieder las, überfiel ihn die gräßliche Verzweiflung. Marie todt, und seine Anklägerin vor Gottes Richterstuhl! diese Gedanken vermochte er nicht zu trennen, so sehr auch Mariens sanfte Vergebung den letztern widerlegte. Sein Körper wurde so krank, wie seine Seele. Zwar rettete ihn seine Jugend und die geschickte Behandlung des Arztes von dem Tode, den er wünschte und fürchtete, aber eine schwarze Melancholie blieb immer in seiner Seele zurück, und nur als er umständliche Nachricht von Mariens letzten Stunden und ihrem Ende eingezogen hatte, ging sie in eine weichere Art von Schmerz, in die tiefste Wehmuth über. O Marie! sagte einst sein ganzes Wesen, womit kann ich Dir ein schöneres Monument bauen, als durch gute Thaten und die Erfüllung meiner Pflichten! Womit kann ich Deinen schlummernden Staub besser ehren, als durch das Bestreben, Deiner werth zu seyn! – Die traurende Josephine trat in diesem Augenblick vor seinen lebhaften Geist, und in ihrem schönen Auge hingen noch die Thränen, die er ihrem Herzen entpreßt hatte, und sie zu trocknen schien ihm sein schönster Beruf. Er machte Anstalt zur Abreise. – – Josephine lebte eingezogen und still in Wodmarshausen und [249] widmete alle ihre Zeit dem geliebten Kinde, das die einzige ihr noch übrig gebliebne Quelle ihrer Freuden war. Sein Name und seine Sanftmuth rief den ersten Geliebten, und seine sich immer mehr entwickelnden Züge den zweiten in ihr trauriges Andenken zurück, und ließ den Gedanken nie verlöschen, daß sie Beide verloren. Ach, von dem ersten hatten sie die Vorurtheile ihres Standes geschieden, und von dem andern trennte sie auf ewig die Ueberzeugung seines Unwerths.

Der Graf kam an. Josephine empfing ihn mit ernster Würde. Ich habe Sie beleidigt, theure Josephine! sagte er, aber die unglückliche Ursach, die uns trennte, ist nicht mehr. Sie starb, indem sie mir vergab! Wollen Sie dem Beyspiel ihrer Versöhnung folgen? – – Er reichte ihr hier Mariens Brief und schwieg. – Josephine nahm ihn kalt und gleichgültig, aber sein Inhalt machte ihr Herz weich, und sanft wurde ihr stolzes Auge von Thränen überzogen, die sie der Unglücklichen nicht verweigern konnte. Rasch wandte sie sich zu ihrem Gemahl, mit festem Entschluß und festem Blicke, obgleich einer gerührten Stimme. Dieser Brief, sagte sie, indem sie ihn zurück gab, sey unser Scheidebrief. [250] Ich verlange nichts von Ihnen zur Entschädigung meines Kummers, als den Besitz meines Kindes, und die Sorge für seine Erziehung, damit sein Herz rein bleibt von der Falschheit seines Vaters. Mit diesen Worten verließ sie ihn, ihre Wange von edlem Unwillen entflammt, und nie sah sie ihn wieder. Sie erfüllte ihre Mutterpflichten mit der größten Gewissenhaftigkeit, und ihr Sohn lohnte ihre Mühe durch den liebenswürdigsten Charakter, der sich unter ihrem Beispiel bildete und befestigte. In ihm fand sie den Ersatz aller ihrer Leiden. – Wodmar zog sich nach einigen vergeblichen Versuchen, sie zu versöhnen, nach Nesselfeld zurück, wo er das Andenken seiner Marie beweinte. Er suchte sich oft durch Reisen zu zerstreuen, aber die Ruhe, die er zuweilen genoß, war nur Fühllosigkeit, und wich schnell neuen Qualen, die ihm Vergangenheit und Zukunft gab und verhieß. Er suchte durch Wohlthätigkeit feinen Gram zu zerstreuen, aber er blieb fest in seiner Seele und wich nur spät dem Tode, der alle Wunden heilt.

Und August? – hatte seine erste, unglückliche Liebe nicht vergessen, sondern sie langsam in eine sanfte, aber feste Freundschaft umgestimmt, [251] die er ewig für Josephinen beibehielt. Jahre waren nöthig, die Flamme der Leidenschaft in ihm zu dampfen, aber als es endlich geschehn war, loderte eine schönere in ihm auf, die er frey und stolz der ganzen Welt bekennen durfte, und ihrer reinen, wohlthätigen Wärme freute sich Josephine.

Auch die Liebe behauptete noch ihre Rechte in seinen männlichen Jahren an ihm, und schmückte sie durch ein Mädchen seines Standes, das seine Wahl verdiente. Als er verheurathet war, sah er erst Josephinen wieder, und die Erinnerung der vorigen Zeiten betrübte sie nicht mehr, sondern wurde durch die angenehme Wehmuth, die sie in die Freuden des Wiedersehns mischte, ein neues, zartes Band der Freundschaft. Madam Wilmuth und August mit seiner Familie zogen zu Josephinen aufs Land, und bei dem heitern Abendroth, das ihnen lachte, vergaßen sie die Stürme des Morgens.

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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Romane. Marie Müller. Marie Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D7E8-A