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Empfangen Sie, werthester Freund, meinen Dank für Ihr freundliches Schreiben und gütige Mittheilungen. Wenn man im Begriff ist in einen neuen Wirkungskreis, in neue Umgebungen und Verhältnisse und zugleich zum ersten Mal ins bürgerliche Leben zu treten; so kann dieses, wie sehr man sich auch komponiren mag, doch nicht ohne eine gewisse unbehagliche, ja peinliche Empfindung geschehn: was könnte daher zu solcher Zeit erwünschter seyn, als der entgegenkommende Gruß einer wohlbekannten und befreundeten Gestalt, an welche sich überdies noch die Erinnerung der schönsten Tage des Lebens geknüpft hat? - Daher mögen Sie glauben, daß die mir bestimmten Notizen mir aus Ihrer Feder noch willkommner waren, als sogar aus der des maxime spectabilis selbst. Auch hoffe ich, bei der freundschaftlichen Gesinnung die Sie gegen mich äußern, weiterhin noch manchen Wink über das Wo und Wie von Ihnen zu erhalten. Sie nennen den von mir lateinisch zu haltenden Vortrag eine Vorlesung, was mich etwas ungewiß macht. Ich halte nämlich denselben für das, was man sonst Antrittsrede nennt, und habe in dieser Ansicht, so eine Sache ausgearbeitet, die mehr rhetorisch als didaktisch ist, mehr auf augenblickliche Wirkung, als auf Belehrung ausgeht, nichts Neues noch Profundes sagt, sondern mehr Wohlklingendes, sogar Emphatisches und leicht Faßliches. - Denn ich sehe nicht, wie man ernstliche Belehrung oder schwierige philosophische Erörterungen zu Wege bringen sollte in der halben Stunde, vor der großen Menge, und Lateinisch, was die Meisten doch nicht leicht verstehn. Es ist daher eine declamatio in laudem philosophiae, adversus fastidia seculi geworden, eine Art Aushängeschild drinnen aufzuweisender Herrlichkeiten. Sollte ich damit dennoch einen Misgriff begangen haben, so würden Sie mich verbinden, wenn Sie es mir noch in 2 Zeilen andeuteten: damit ich noch hier in der Geschwindigkeit etwas Solideres zimmere. Denn da drüber werde ich zu Nichts Geistes- und Ohren-[Ruhe] haben. Ich gedenke den 15ten März dort einzutreffen und werde mich besonders freuen, Sie mündlich zu versichern, daß ich von ganzem Herzen bin

Ihr Freund
Arthur Schopenhauer
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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 21. Februar 1820. Schopenhauer an F. G. Osann. Z_1820-02-21_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-4ED2-D