Gesetzblatt

der Deutschen Demokratischen Republik

[...] Berlin, den 5. September 1969 Teil II Nr. 75

[...]

Anordnung
zur Sicherung des Rechts auf Arbeit
für Rehabilitanden
vom 20. August 1969

Es ist das humanistische Anliegen unserer sozialistischen Gesellschaft, die physisch schwerstgeschädigten oder psychisch schwergeschädigten Bürger (Rehabilitanden) im Interesse der Entwicklung ihrer Persönlichkeit bei der Aufnahme und Ausübung einer beruflichen Tätigkeit besonders zu fördern.

Dazu haben die Betriebe und Einrichtungen sowie die staatlichen Organe geeignete Maßnahmen zu treffen, durch die es diesen Bürgern ermöglicht wird, in Übereinstimmung ihrer persönlichen mit den gesellschaftlichen Interessen im beruflichen und gesellschaftlichen Leben entsprechend ihrem Leistungsvermögen tätig zu sein.

Zur Durchführung der Maßnahmen wird auf der Grundlage der Festlegungen im Gesetzbuch der Arbeit über den Schutz und die Förderung begrenzt arbeitsfähiger Bürger im Einvernehmen mit dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes folgendes angeordnet:

§ 1
Definition der geschützten Arbeit und Geltungsbereich
  • (1) Geschützte Arbeit ist eine von physisch schwerstgeschädigten oder psychisch schwergeschädigten Menschen in einem besonders ausgestalteten Arbeätsrechtsverhältnis unter spezifischen Bedingungen ausgeübte Tätigkeit.
  • (2) Geschützte Arbeit ist möglich
    • auf geschützten Einzelarbeitsplätzen in Betrieben
    • in geschützten Abteilungen in Betrieben
    • in geschützten Werkstätten und
    • in Heimarbeit.
§ 2
Personenkreis
  • Mit geschützter Arbeit können Rehabilitanden betraut werden,
    • die für einen bestimmten Zeitraum nach ärztlichem Gutachten Schwerstbeschädigten gleichgestellt werden sollten
    • die als Geschädigte im Besitz des amtlichen Schwerstbeschädigtenausweises sind
    • die Invaliden- oder Unfallrentner sind
    • die als psychisch Schwergeschädigte von den Einrichtungen der stationären oder ambulanten medizinischen Betreuung vorgeschlagen werden.
§ 3
Entscheidungsbefugnis
  • (1) Die Entscheidung, welche Rehabilitanden mit geschützter Arbeit zu betrauen sind, trifft eine Ar­beitsgruppe der Kreisrehabilitationskommission.
  • (2) Der Arbeitsgruppe gehören mindestens an:
    • Fachärzte, die die Komplexität der gesundheitlichen Schädigung des Rehabilitanden beurteilen können
    • ein Mitarbeiter des Amtes für Arbeit und Berufsberatung und
    • ein Vertreter des Kreisvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes.
  • (3) Die Arbeitsgruppe stellt an Hand von Gutachten sowie der Ergebnisse der Arbeitstherapie den Umfang des Leistungsvermögens des Rehabilitanden fest. Sie sichert die Dispensairebetreuung dieses Rehabilitanden.
  • (4) Die zur Entscheidungsfindung erarbeiteten Unterlagen sind beim leitenden ärztlichen Gutachter des Kreises aufzubewahren.
§ 4
Aufgaben der Ämter für Arbeit und Berufsberatung
  • (1) Die Ämter für Arbeit und Berufsberatung sind in Anlehnung an die Erste Durchführungsbestimmung vom 18. Dezember 1951 zu §28 des Gesetzes der Arbeit — Einbeziehung der Schwerbeschädigten in den Produktionsprozeß — (GBl. S. 1185) für die Lenkung dieser Rehabilitanden in den Arbeitsprozeß entsprechend den Empfehlungen der Arbeitsgruppen (§ 3) verantwortlich. Sie werden dabei von den Kreisrehabilitationskommissäonen unterstützt.
  • (2) Der Direktor des zuständigen Amtes für Arbeit und Berufsberatung hat den Einsatz dieser Rehabilitanden auf geschützten Arbeitsplätzen zu bestätigen.
§ 5
Kontrolle des Leistungsvermögens
  • Die Kreisrehabilitationskommission sichert, daß der Gesundheitszustand, und das Leistungsvermögen des Rehabilitanden regelmäßig in Abständen von mindestens einem Jahr überprüft wird. Auf Grund der Untersuchungsergebnisse ist zu entscheiden, ob der Rehabilitand in den normalen Arbeitsprozeß eingegliedert werden kann, oder weiterhin in geschützter Arbeit verbleibt.
§ 6
Aufgaben der Betriebe
  • (1) Die dafür geeigneten Betriebe sind verpflichtet, entsprechend ihren spezifischen Bedingungen und der Art der Arbeit, Arbeitsplätze für Rehabilitanden zu schaffen und zu gestalten und dem Amt für Arbeit und Berufsberatung zu melden.
  • (2) Rehabilitanden können im Rahmen des bestätigten Lohnfonds außerhalb des Arbeitskräfteplanes beschäftigt werden.
  • (3) In Ausnahmefällen kann der Lohnfonds auf Grund einer Jahresgenehmigung um den Betrag des Lohnes für die Rehabilitanden überschritten werden. Die Genehmigung erteilt der Leiter, der den Lohnfonds des Betriebes bestätigt.
§ 7
Arbeitsvertrag
  • (1) Die besonderen Bedingungen, unter denen Rehabilitanden arbeiten, sind im Arbeitsvertrag festzulegen, insbesondere
    • die Gestaltung des Arbeitsplatzes
    • die Rechte und Pflichten der Vertragspartner
    • die Festlegung der Arbeitsaufgaben, der Lohn- und Gehaltsgruppe unter Beachtung der im § 8 genannten Bedingungen
    • die Festlegung der Arbeitszeit.
  • (2) Die Betriebe haben diese Rehabilitanden entsprechend ihrem physischen und psychischen Leistungsvermögen systematisch zu fördern und in die betriebliche Qualifizierung einzubeziehen.
§ 8
Entlohnung
  • (1) Die Höhe des Arbeitslohnes für die Rehabilitanden richtet sich nach dem Grad der Erfüllung der den Lohnformen zugrunde liegenden Arbeitsnormen bzw. anderen Leistungskennziffern.
  • (2) Rehabilitanden, die auch nach entsprechender Einarbeitungszeit mit ihren Leistungen wesentlich unter den festgelegten Normen bzw. Leistungskennziffern bleiben, können im Zeitlohn beschäftigt werden.
  • (3) Rehabilitanden, die im Zeitlohn beschäftigt werden, erhalten Lohn entsprechenddem nach § 3 Abs. 3 festgelegten Leistungsvermögen.
  • (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Fälle, in denen Rehabilitanden auf Grund ihres verminderten Leistungsvermögens den in Rechtsvorschriften festgelegten Mindestlohn nicht erarbeiten bzw. erreichen können.
§ 9
Materieller Anreiz
  • Rehabilitanden, die Sozialfürsorgeempfänger sind, können in besonderen Fällen zur Erhöhung des materiellen Anreizes für eine berufliche Betätigung gemäß § 17 Abs. 4 der Verordnung vom 15. März 1968 über die Allgemeine Sozialfürsorge (GBl. II S. 167) individuell weitere Beträge vom Nettoarbeitseinkommen anrechnungsfrei gelassen werden.
§ 10
Spezifische Arbeits- und Lohnbedingungen
  • Die Räte der Bezirke können mit den Bezirksvorständen des Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes für ‘Geschützte Werkstätten’ spezifische Arbeits­und Lohnbedingungen vereinbaren.
§ 11
Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses
  • (1) Die Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses eines Rehabilitanden durch den Betrieb kann nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Kreisrehabilitatdonskommission erfolgen, deren Arbeitsgruppe den Rehabilitanden mit geschützter Arbeit betraut hat.
  • (2) Die Zustimmung zur Lösung des Arbeitsrechtsverhältnisses durch die Kreisrehabilitationskommission hat zu erfolgen, wenn der Rehabilitand sich nicht für die Arbeitsaufgabe eignet und im Betrieb keine andere geeignete Arbeit vorhanden ist oder sich durch die Weiterführung der Arbeit der Gesund­heitszustand verschlechtern könnte.
  • (3) Die Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses durch den Rehabilitanden ist vor Wirksamwerden durch den Betrieb der Kreisrehabilitationskommission schriftlich mitzuteilen.
  • (4) Bei fristloser Entlassung des Rehabilitanden ist die Zustimmung der Kreisrehabilitationskommission innerhalb von 8 Tagen einzuholen.
§ 12
Einspruchverfahren
  • (1) Gegen die Entscheidungen nach dem § 3 Abs. 1 und § 5 haben die Rehabilitanden bzw. deren gesetzliche Vertreter das Recht des Einspruchs.
  • (2) Der Einspruch ist schriftlich unter gleichzeitiger Angabe der Gründe beim Vorsitzenden der Kreisrehabilitätionskommission, deren Arbeitsgruppe die Entscheidung getroffen hat, einzureichen. Die Entscheidung darüber ist durch die Arbeitsgruppe innerhalb von 14 Tagen zu treffen.
  • (3) Wird dem Einspruch nicht stattgegeben, so ist dieser mit den vorhandenen Unterlagen und einer Stellungnahme dem Kreisarzt zuzuleiten.
  • (4) Der Kreisarzt entscheidet nach Konsultation des leitenden ärztlichen Gutachters des Kreises innerhalb von 14 Tagen endgültig.
§ 13
Schlußbestimmung
  • Diese Anordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Berlin, den 26. August 1969

Der Leiter des Staatlichen Amtes für Arbeit und Löhne beim MinisterratDer Minister für Gesundheitswesen
(i.V.)in Vertretung: Ramuta
Stellvertreter
Sefrin

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Gesetze. A11 - Transkript. Geschichte-MMB. Gemeinfrei. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1B7-A