Heinrich Zschokke
Das Goldmacherdorf

1. Wie Oswald aus dem Kriege kommt und was die Leute sagen

[3] 1. Wie Oswald aus dem Kriege kommt und was die Leute sagen.

An einem Sonntag Nachmittag saßen im Dorfe Goldenthal die jüngern Knaben und Mädchen unter der alten Linde und sangen, oder lachten, wenn Einer aus dem Wirthshaus hervorstolperte, der zu tief ins Glas geschaut hatte. Die andern Bauern mit ihren Weibern saßen in drei Wirthshäusern, und tranken und spielten, und jauchzten oder balgten, wie es denn nun so geht, wenn Wein und Bier wohlfeil sind.

Da kam ein großer starker Mann ins Dorf. Er mochte in den Dreißigen sein, hatte einen grauen Rock an, einen langen Säbel an der Seite, auf dem Rücken einen Habersack. Er sah gar wild drein, denn er trug über der Stirne eine große Narbe, und unter der Nase einen schwarzen Schnurrbart, daß alle Kinder davonliefen.

Aber ein Paar alte Frauen, die er anredete, erkannten ihn sogleich, und schrien: »Ei das ist ja Schulmeisters Oswald, der vor siebenzehn Jahren unter die Soldaten ging. Nein, schaut auch, wie ist er gewachsen und groß geworden!« Und wie die Weiber so schrien, kam Alt und Jung aus den Wirthshäusern und von der Linde herbeigelaufen, und bald war das ganze Dorf um den Oswald versammelt.

Oswald gab allen seinen ehemaligen Bekannten die Hand, war sehr freundlich mit Allen und sagte, er wolle nun wieder bei ihnen in Goldenthal wohnen, habe des Soldatenlebens satt, und sei froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Nun wollte ihn Jeder in [3] ein Wirthshaus ziehen, der Eine links, der Andere rechts: man müsse eins zum Willkommen trinken; er müsse von den Kriegsgeschichten erzählen. Oswald aber dankte ihnen und sprach: »Ich bin vom Wandern müde und will ausruhen. Wer wohnt in meines verstorbenen Vaters Haus, und wer besorgt die Aecker desselben?«

Alsobald trat der Müller hervor und sagte: »Ich habe den Weber Steffen hineingethan, und ihm Haus und Feld in Zins gegeben. Nun aber muß er ausziehen, da du wiedergekommen bist. Der Gemeindsrath hat mich zum Vogt gesetzt über dein Gütlein. Kannst ein paar Tage bei mir herbergen, bis Webers ausziehen und andere Wohnung haben. Da will ich dir auch Rechnung ablegen.«

Also ging der Müller mit seinem Gast zur Mühle und ließ ihm ein gutes Nachtessen und ein gutes Bett bereiten. Oswald hatte aber viel zu fragen nach dem und diesem, wie es seitdem im Dorfe ergangen sei; und der Müller und seine Frau hatten viel zu antworten. So plauderten sie bis Mitternacht in der Mühle. Und Oswald sah immer über den Tisch hinüber nach des Müllers zarter Tochter, die hieß Elsbeth. Und es war wohl der Mühe werth, ihr in die schwarzen Augen zu sehen, denn Elsbeth war schön. Elsbeth aber sah ihrerseits auch gern über den Tisch hinüber, denn Oswald war ein hübscher Mann, wenn man sich einmal an seinen erschrecklichen Schnurrbart gewöhnt hatte, und in seinen Geberden hatte er etwas Zierliches und Gefälliges, als wäre er ein Herr aus der Stadt gewesen. Darum scheute sie sich, mit ihm zu reden, und wenn er sie ansah, wußte sie nicht, wohin mit den Augen fliehen. Doch sagte sie ihm etwas vom Schnurrbart.

Und als er folgenden Morgens zum Frühstück kam, war unter seiner Nase der Schnurrbart schon verschwunden. Oswald hätte Zeitlebens in der Mühle wohnen mögen, denn der Müller und seine Frau waren gute Leute, und der Elsbeth sah die Güte hell und klar aus den Augen. Aber nach acht Tagen schon konnte Oswald [4] in das kleine Haus seines Vaters einziehen und nach seinen Feldern sehen. Er hatte fünf Juchart Baumgarten mit Wiesen und fünf Juchart Ackerland; dazu kaufte er sich eine schöne Kuh aus den vom Vogt ersparten Zinsen.

Und weil das Haus alt und zerfallen war, erhielt er Holz und Steine von der Gemeinde. Da ließ er alles ausbessern, weißen und hobeln und waschen. Er selber mauerte, handlangte, fegte vom Morgen bis in die Nacht, damit es schön werde, und ihn doch nicht viel koste.

Im Herbst war sein kleines Haus das sauberste und schönste im ganzen Dorf, mitten in einem Garten am Bach. Und der Garten war schön, wie einer in der Stadt. Er hatte sogar in die Wege zwischen den Beeten Sand und Grien getragen. Er hatte es gern, wenn Müllers Elsbeth zuweilen über den grün angestrichenen Hag in den Garten sah; sie hatte ihm auch Blumen beigesteuert, und versprach ihm zum Frühjahr noch mehr.

Die Leute zu Goldenthal wußten lange nicht, was aus dem Oswald machen? Er war so arm aus dem Kriege gekommen, als er hineingezogen war, das sahen sie wohl. Er hatte eine Kiste aus der Stadt bekommen mit Kleidern und Wäsche; sogar Bücher hatten darin gelegen. Das war sein Reichthum. Aber des Geldes wegen mochte die Kiste nicht schwer gewogen haben.

»Laßt ihn laufen!« sagten die Einen: »Er ist ein armer Teufel, und ein dummer Teufel dazu, der im Kriege seine Sache nicht verstanden hat zu machen. Nicht einmal Sonntags kann er ins Wirthshaus gehen und sein Glas trinken, geschweige einen Tanz zahlen. Dabei muß er arbeiten wie ein Pferd, von Sonnenaufgang bis in die finstere Nacht. Ein Glück für ihn, daß er vom Vater noch etwas geerbt hat, sonst läge er der Gemeinde zur Last.«

»Laßt ihn laufen!« sagten die Andern: »Heldenthaten hat er nicht viel verrichtet, denn er weiß nicht viel zu erzählen. Und wer [5] weiß, wo der Narr den Hieb über die Stirn geholt hat. Der ist froh, daß er kein Pulver mehr riechen muß.«

»Laßt ihn laufen!« sagten wieder Andere: »Er gibt nur Keinem ein gutes Wort, und meint, weil er Soldat gewesen, müsse man Respekt vor ihm haben. Wir wollen's ihm aber zeigen. Er ist ein hochmüthiger Bursch, der froh sein soll, wenn wir ihm keinen Tritt geben.«

»Laßt ihn laufen!« sagten noch Andere: »Der hat im Kriege nichts Gutes gelernt. Er hat Bücher, die kein Mensch lesen kann, vielleicht der Pfarrer selber nicht. Und Zeichen und Karaktere stehen darin, daß es ein Graus ist. Was gilt's, der geht mit dem Teufel um und kann ihn beschwören.«

»Gott sei bei uns!« riefen Andere: »Richtig ist es bei ihm nicht, das weiß man wohl. Er hat noch keinen Menschen in seine kleine Hinterstube gehen lassen, selbst Müllers nicht, die viel mit ihm zu thun haben. Da sieht der Wächter alle Nacht noch Licht brennen, was durch die Fensterladen schimmert. Die Stube hält er beständig verschlossen, und die Vorladen der Fenster sind auch bei hellem Tage nie auf.«

So sprachen die Leute, und machten ans Oswald nicht viel.

2. Was Oswald im Dorfe sieht

2. Was Oswald im Dorfe sieht.

Wenn sich auch die Leute nicht viel aus dem Oswald machten, war er doch sehr zuthunlich und mit Allen freundlich. Anfangs ging er rechts und links zu Jedem ins Haus und besuchte Einen um den Andern, fragte nach den Kindern, nach den Gütern, nach der Art, die Felder zu bestellen und nach allen Umständen.

Vorzeiten war Goldenthal ein recht stattliches Dorf gewesen; zwar kein übergroßer Reichthum darin, doch Wohlhabenheit in allen Häusern. Nun aber, mit Ausnahme einiger reichen Bauern und [6] Wirthe, wie auch des Müllers, stand es überall schlecht. Das Elend schaute zu den Fenstern hinaus, und am Feuerherd kochte Schmalhans ungeschmalzte Suppen. Von hundert Haushaltungen schickten wohl zwanzig ihre Kinder zum Betteln aus; sechszig halfen sich kümmerlich im Druck von Schuldenlasten durch, und die andern waren zum Theil noch im Stande, die Gemeindesteuern ordentlich zu entrichten, und sich wohl aufrecht zu halten.

Man sah es den Häusern schon von außen an, wie übel es drinnen sein mochte; man sah es an den zerfallenen Dächern; an den Mauern, von welchen der Kalk abgefallen war; an den verschmierten Wänden und Thüren; an den zerbrochenen und mit Papier verklebten Fenstern. Kam man hinein, war Koth und Gestank; Tisch und Bänke unsauber; der Spiegel, wenn noch einer war, seit Jahren von Fliegen blind; der Fußboden voller Löcher; die Dielen schwarz, wie Erde, vom verhärteten Unrath. In den Küchen befand sich wenig und schlechtes Geschirr, das nicht einmal rein gewaschen da stand. In den Gärten am Hause sah man keine Ordnung, keine Zierlichkeit, sondern etwas Gemüs ganz nachlässig hingepflanzt. Man schien froh zu sein, wenn man für Säue und Menschen nur Erdäpfel genug hatte. Vor den Häusern lagen Misthaufen. Ackergeräte, Holz und was man sonst nicht unter Dach bringen konnte, bunt durcheinander. Männer und Weiber gingen in zerrissenen oder grob geflickten, besudelten Kleidern; Stroh und Federn in den struppigen, ungekämmten Haaren; Hände und Gesicht oft Tage lang nicht gewaschen. Die kleinen Kinder blieben oft einen halben Tag in ihren Wiegen im Unflath liegen, oder waren sie größer, spielten sie halbnackt vor den Häusern im Kothe.

Kein Wunder, daß bei solcher bettlerischen Unreinlichkeit häufig Krankheiten entstunden. Man ging aber lieber zu einem alten Weibe, zum Scharfrichter, zu einem Harnbeschauer und Quacksalber, wenn er es nur wohlfeil machte, als zu einem erfahrenen [7] und gelehrten Doktor. Wenn nun Mann oder Frau bettlägerig waren und nicht arbeiten konnten, ging es in der Wirtschaft den Krebsgang. Da mußte ein Stück Hausgeräth oder Vieh oder gar Land in der Noth verkauft, oder Geld gegen schweren Zins entliehen werden. Das dauerte dann, bis man mehr Schulden hatte, als man zahlen konnte; dann erfolgte Vergantung und der Bettelstab.

Wenn Oswald da und dort guten Rath geben wollte, oder wenn er die Unhäuslichkeit und Unordnung tadelte, so bekam er mürrische Gesichter zum Dank. Die Einen sagten: Arme Leute können nicht alles so schön haben, sondern müssen es nehmen, wie es ist! Andere sagten: Was geht es dich an? Steck' du die Nase in deinen eigenen Dreck!

Bei den reichen Bauern sah es nun im Hause wohl besser aus, und war mehr Hausgeräth und Kleidung vorhanden. Aber doch fand man auch bei ihnen viel Unsauberkeit und Nachlässigkeit. Denn weil sie beständig und überall Bettelwirthschaften vor Augen hatten, so gewöhnten sie sich daran, und trieben es nicht viel anders. Die Woche durch waren sie schmierig und zerrissen; nur Sonntags prunkten sie hoffärtig einher. Daher hörte man auch bei ihnen nichts, als Klagen über die bösen Zeiten, über die Regierung und über die Leute im Dorf. Denn weil im Dorfe fast alle Haushaltungen in Schulden waren, so konnten die wenigsten zahlen. Und weil die Gemeinde selbst seit dem Kriege eine große Schuld von vielen tausend Gulden trug, fiel das Zahlen der Zinsen, der Gemeindesteuern und Landesabgaben nur auf die Vermöglichern. Das machte sie mißvergnügt und zornig.

Ueberhaupt war in Goldenthal Einer wider den Andern und beständig Streit und Zank. Keiner traute dem Andern; Jeder wußte dem Andern etwas Böses nachzusagen. Da war kein Treu und Glauben, sondern eitel Lug und Trug. Die Armen beneideten die Reichen; die Reichen drückten und plagten die Armen. Die Reichen [8] trieben, wenn sie Geld ausborgten, schändlichen Wucher, und nahmen von armen Leuten, die in der Noth waren, ihre zwölf, zwanzig und mehr Prozent Zinsen, ohne daß sich darüber das christliche Gewissen schämen und grämen wollte. Die Armen hinwieder rächten sich, wie Schelmen es machen; sie beschädigten den Reichen Bäume und Pflanzungen heimlich, stahlen ihnen Gemüs und Obst, Trauben und Holz und Hühner, und was sonst zugänglich oder leicht nehmbar war. Man konnte sich auf kein Wort, auf keinen Eid mehr verlassen. Selbst zwischen Eheleuten war eitel Haß und Gezänk. Das sahen die Kinder alle Tage und lernten nichts Besseres.

Trotz der sichtbaren Verarmung der Gemeinde, und wiewohl jeder über Regierung, Obrigkeit und schlechte Zeiten klagte, und kein Geld hatte, wenn er das Notwendigste zahlen sollte, thaten die Leute doch ins gesammt groß. Das Arbeiten ließ man sich nicht allzusauer werden. Die Vermöglichen, wenn sie später aufs Feld gingen, oder früher Feierabend machten, sprachen bei sich: »Gottlob, wir können's wohl so haben!« Und die Armen und Taglöhner, wenn sie bei der Arbeit die Hände fallen ließen und umhergafften, sprachen sie: »Nun unsereins ist auch kein Vieh! Man muß auch geruht haben.«

Aber wenn der Samstag Abend kam, oder der Sonntag, hatte Jeder Geld, um sich im Wirthshaus bei Wein, Bier und Branntwein gütlich zu thun. Da hieß es: »Herr Wirth, noch eine Halbe! Juchhei, Karten her!« – Da ward der Wochenverdienst durch die Gurgel gejagt, oft mehr noch. Man spielte. Der Eine verlor sein Geld, der Andere versoff oder vertanzte den Gewinnst. Zwischenein in der Woche ward auch das Wirthshaus nicht ganz vergessen. Diese Leute litten die Kehle nicht ganz trocken. Unterdessen hatten die Weiber und Kinder kaum satt zu essen. War aber Geld im Haus, wenn auch nur wenig, da mußte Kaffee her und mußte geküchelt werden. Dann hieß es: »Lieber Gott, es kömmt an [9] unsereins selten. Man will doch auch einmal seinen guten Tag haben. Was hat man sonst vom Leben?«

An Feiertagen fehlte es nicht, und die wollte man doch gefeiert haben. War im benachbarten Städtlein Jahrmarkt, so mußte man doch auch hin und sehen, wie es in den Wirthshäusern der Stadt sei, und hören, was es Neues in der Welt gebe? Dann fehlte es außerdem nicht an allerlei Gängen und Läufen, Prozeßhändeln und Schritten und Tritten vor Richter und Obrigkeit. Das brachte viel Versäumniß und Ausgaben, wenig Gewinn und Vortheil. Folglich nahm in allen Häusern das Vermögen eher ab als zu. Und darum fluchte Einer wie der Andere über schlechte Zeiten, über Regierung und über die Leute im Dorf.

3. Was der verständige Müller erzählt

3. Was der verständige Müller erzählt.

Als Oswald in seinem Dorfe so viel Lasten und Sünden sah, ist ihm vor Zorn das Herz geschwollen. Er ging in die Mühle, wie er allemal that, wenn er voll Unmuths war. Und wenn ihn da die holdselige Elsbeth anlächelte, verschwand sein Verdruß, wie eine Nebelwolke an der Stirn des Berges vor dem Glanz der Sonne.

Oswald sprach zum Müller: »Nein, wie sind doch die Leute so gottlos und die Hütten so voll Jammers! Das ist vor Zeiten nicht so gewesen. Da war der Fleiß auf den Feldern, die Zierlichkeit im Dorfe, die Eintracht in den Häusern und der Reichthum in den Scheuern. Da wurden die Bauern hochgeehrt von den Städtern, und man nannte sie auch wohl die Herren Goldenthaler. Nun ist Alles umgekehrt, und die Armuth sitzt neben der Bosheit unter den Dächern. Wie hat der Krieg so viel Uebels angerichtet!«

Der Müller antwortete und sprach: »Unser Dorf hat vom Kriege viel gelitten, gleichwie andere Dörfer und Städte. Es lagerten [10] sich fremde Völker bei uns ein und verzehrten unsere Vorräthe; wir mußten den Kriegsleuten dienen und liefern, was sie wollten; wir mußten der Obrigkeit Zins und Steuern zahlen; wir hatten schlechten Verdienst, denn Handel und Wandel standen still, alles Gewerb war Verderb, und schlechte Jahre und Witterungen kamen dazu, daß das Gras auf den Feldern, das Getreide auf den Aeckern, das Obst an den Bäumen und die Traube an den Reben umkam. Aber unser Unglück stammt nicht von Krieg und Theuerung her. Denn andere Städte und Dörfer haben gelitten, wie wir, und fangen doch wieder an, heiter aufzuschauen. Aber in unserm Dörflein wird es alle Tage schlimmer. Andere Städte waren in Trübsal und Armuth untergesunken, wie wir; doch heben sie sich wieder daraus mit Gottes Hülfe hervor. Aber, dem Himmel sei's geklagt, wir gehen nun darin unter.«

»Das wolle Gott verhüten!« rief Oswald: »Woher kommt das?«

Der Müller antwortete: »Das kommt daher: die Andern strengen ihre Kräfte an und schwimmen an das Ufer; wir überlassen uns dem Spiel der Unglückswogen und unsere Rettung dem Zufall. Ja diejenigen, welche uns helfen können, ziehen uns noch tiefer in den Wasserstrudel hinein.«

»Wer sind die?«

»Ich will es dir wohl im Vertrauen unter vier Augen offenbaren!« sagte der Müller. »Wenn es mit einer Gemeinde den Krebsgang geht, so kannst du dich darauf verlassen, hat sie schlechte Obrigkeit. Und das ist bei uns der Fall. Unsere Ortsvorgesetzten sind entweder eigennützige Menschen, oder einfältige, schwache Leute. Zwei von ihnen haben eigene Wirthshäuser, und der Schwiegersohn des dritten hat auch ein Trinkhaus. Da ist es ihnen eben recht, wenn die Leute lieber bei ihnen hinterm Tisch, als bei der Arbeit sind. Wird die Gemeinde versammelt, so ist es bald in diesem, bald im andern Wirthshaus, und da muß am Ende eins [11] getrunken werden. Haben die Durstigen kein Geld, so wird ihnen geborgt. Können sie nicht zahlen, so kauft man ihnen ein wohlgelegenes Stück Land um das andere ab, oder nimmt es für die Schuld an; oder, was die Leute haben, wird öffentlich versteigert. Dann sind die Bettler fertig. Daher kommt nach und nach alles liegende Gut in die Hand einzelner reichen Leute. Wer Geld leihen will, geht zu ihnen und bekommt um doppelten und dreifachen Zins. So werden die Bedürftigen durch unchristlichen Wucher desto schneller zu Grunde gerichtet.«

»Ei, warum borgen die, welche Geld brauchen, nicht lieber das Geld an andern Orten, oder in der Stadt bei rechtschaffenen Leuten?« rief Oswald.

»Weil man unserer Gemeinde an andern Orten keinen Kreuzer mehr anvertraut!« erwiederte der Müller. »Denn weil die Gemeindevorgesetzten bisher die Geldaufbruchscheine für Bedürftige auf die lüderlichste und leichtsinnigste Weise ausgestellt haben, sind die, welche Geld darauf liehen, hintenach darum halb oder ganz betrogen worden. So haben wir durch die Nachlässigkeit der Vorsteher allen Kredit verloren und alle Hoffnung auf fremde Hülfe. Weil uns Niemand in der Stadt mehr borgen will, so schimpfen und fluchen unsere Leute tagtäglich auf die Städter und drohen mit Mord und Brand. Widerführe einmal der Stadt ein Unglück, so würde das die größte Freude unsers Lumpengesindels sein, obgleich wir von der Stadt noch viel Verdienst und Almosen haben.«

»Das ist abscheulich!« schrie Oswald: »Aber wir haben ja noch ein ordentliches Gemeingut.«

»Ja, das Gemeingut ist auch verschuldet und wird nur von den Reichen benutzt!« antwortete der Müller: »Denn wenn die Vorgesetzten ein Geschäft abthun, einen Umgang an den Marchen und Grenzen halten, eine Holzanweisung machen, oder sonst etwas extra verrichten: so wird auf Kosten der Gemeinde geschmauset [12] und gezecht. Damit geht das Vermögen der Gemeinde durch die Gurgel der Vorsteher. Jeden Gang wollen sie bezahlt haben. Dazu kommt, daß, weil die Reichen Kühe halten können und die Armen keine, so benutzen sie den Weidgang im Wald und auf den Almenden allein für sich, und die Armen haben keinen Nutzen und Vortheil von den Gemeindsgütern.«

»Wenn du das Alles weißt, Müller: warum sagst du das nicht der ganzen Gemeinde und öffnest ihr die Augen?« fragte Oswald zornig.

»Weil es nicht hilft!« erwiederte der Müller: »Denn da die Meisten im Dorfe bei den Reichen verschuldet sind, so thun die Reichen was sie wollen, und es darf ihnen Keiner widersprechen. Und wenn unsereins gegen Mißbräuche den Mund aufthun will, so toben und lärmen die Lumpenkerle alle, daß man seines Lebens kaum sicher ist. Das wissen die Vorgesetzten und die Reichen wohl. Die betrachten die verlumpten Leute wie ihre Hunde, welche sie nach Belieben auf jeden loslassen können, der ihnen in die Quer kommt.«

»Das ist entsetzlich!« schrie Oswald: »Wenn denn die Menschen keinen Verstand haben, so sollten sie doch ein Gewissen und Gottesfurcht haben.«

»Ja, sie sollten wohl,« sagte der Müller, »aber woher nehmen? Unser Herr Pfarrer ist ein alter Herr, der für seine Pfründe und Bequemlichkeit sorgt, immer vom Glauben predigt, von Himmel und Hölle, und seine Kirchengeschäfte verrichtet, wie ein Anderer sein Tagwerk, und hat er es gethan, sich um Anderes nicht bekümmert. Was man thun müsse, worin die christlichen Tugenden bestehen, und wie man sie erlangen und ausüben müsse – das lehrt er nicht. Er geht Jahre lang in keines Bauern Haus, als im Nothfall, wo er gerufen wird. Folglich ist er kein wahrer Rathgeber, kein wahrer Tröster, und kennt den Zustand der Familien [13] lange nicht genau genug, um auch im häuslichen Leben auf ihre Frömmigkeit und Besserung hin zu arbeiten. Die Leute gehen aus Gewohnheit in die Kirche, der Pfarrer predigt aus Gewohnheit, und mit dem Schritt aus der Kirche bleibt es bei den gewohnten Lastern und Lüderlichkeiten. Und weil die Menschen von innen in ihrem Herzen nicht besser werden, wird es auch von außen nicht besser. Und wie die Alten, so die Jungen.«

»Was? Taugt der Schulmeister auch nichts?« fragte der Oswald.

Der Müller sagte: »Seit dein Vater gestorben ist, der ein gottesfürchtiger, verständiger Mann war, geht es mit der Schule schlecht. Die Knaben und Mädchen lernen zur Noth lesen, Schreiben und Rechnen, auch wohl ein Gebet. Aber von ihren Aeltern daheim lernen sie, was sie sehen, nämlich Lug und Trug, Schwören und Fluchen, Unzucht und Heuchelei, Raufen und Balgen, Betteln und Stehlen, Spielen und Saufen, Müßiggang und Muthwillen, Hader und Neid, Verleumden und Lästern.«

Als Oswald diese Dinge hörte, schüttelte er den Kopf und ging in seiner Seele betrübt von dannen.

4. Wie der Oswald erschrecklich thut, und es ihm nicht hilft

4. Wie der Oswald erschrecklich thut, und es ihm nicht hilft.

An einem Sonntage nach der Predigt wurde die ganze Gemeinde versammelt; denn es war guter Rath theuer, woher Geld nehmen, weil im Lande eine außerordentliche Steuer ausgeschrieben, und noch dazu der Gemeinde eine Schuld aufgekündet war, die bisher nicht gehörig verzinset worden. Und das ganze Dorf kam nach alter Uebung unter der großen Linde auf dem Platz zusammen. Die Vorsteher waren im Kreise der Bürgerschaft, und außer dem Kreise standen die Weiber, Töchter und Kinder, zu hören, was vorgehe.

Oswald war auch dahin gegangen, und hatte sich vorgenommen, [14] seinen Mitbürgern über ihren traurigen Zustand die Augen zu öffnen. Daher, als die Vorgesetzten ihre Anträge gemacht und ihre Reden geendet hatten, stieg Oswald auf einen Stein, der mitten auf dem Wege lag. Da ward er von Jedermann gesehen. Also hub er an zu reden:

»Liebe Mitbürger! Ich bin vorzeiten als ein Knabe von euch gegangen in den Krieg, und bin als Mann wieder zurückgekommen. Aber wie ich in unser Dorf kam, habe ich es kaum wieder gekannt, und mir ist in Wehmuth das Herz gebrochen, als ich sah, wie alles verändert worden ist. Denn vorzeiten hieß unser Dorf mit Recht Goldenthal, weil es ein goldenes Thal war, worin Gottes reicher Segen wohnte, mehr denn anderswo. Es waren bei uns die meisten Leute wohlhabend, nur wenige arm, und Bettler gar keine. Damals pflegte man uns, wegen unsers Wohlstandes, auch noch im ganzen Lande die Herren Goldenthaler zu heißen. Denn wir gingen nicht in zerrissenen Kleidern, wie Bettler, sondern stattlich einher, in sauberm doch einfachem Gewande; und hatten nicht nur im Hause zur Nothdurft, sondern auch einen Gulden darüber hinaus. Damals hatte die Gemeinde keine Schulden zu verzinsen, sondern sie bezog sogar von andern Orten Zinsen für ausgeliehene Kapitalien, die wir erspart hatten. Damals war alles Land wohlgedüngt und angebaut, denn Jeder hatte seine Kuh und sein Roß im Stall, und auch wohl Geißln und Schaafe oder ein Paar Schweine daneben. Damals glich unser Dorf schon von außen einem zierlichen Marktflecken. Die Häuser standen schön und nett, von innen wie von außen, daß sich kein Herr aus der Stadt hätte schämen dürfen, darin zu wohnen. Haus- und Küchengeräth verkündeten, man sei wohl versorgt, und die Fenster glänzten wie Spiegel. Wenige Leute hatten Schulden, und wer sie hatte, dem war nicht bange, wie er sie zahlen müsse. Damals bekam ein Goldenthaler ohne Handschrift und Unterpfand aus der Stadt auf [15] sein ehrliches Wort hundert und mehr Gulden geborgt. Damals war für Goldenthal noch eine goldene Zeit.«

Wie Oswald so redete, nickten ihm Alle freundlichen Beifall, und Einige sagten: »Der Oswald hat wohl Recht!«

Er aber redete weiter und sprach: »Nun ist es nicht mehr so. Man sollte unser Dorf nicht mehr Goldenthal nennen, sondern Koth- und Dreck-, Dornen- und Distelthal. Von unsern Aeckern ist meistens der Segen verschwunden; denn die Einen von uns haben zu viel Land, die Andern gar keines; die Uebrigen können es nicht in Ordnung anbauen und benutzen. Die Bettelei ist von Vielen nicht mehr für Schmach gehalten, sondern für einen ordentlichen Beruf und Erwerb angesehen. Die meisten Haushaltungen sind verschuldet, und eine um die andere sieht den Tag vor, da ihr Alles versteigert und sie ausgetrieben werden muß. Die Schuldboten verlassen unser Dorf nie. Mit den benachbarten Orten haben wir Zank und Prozeß, und unter uns selber Feindschaft und Parteien. Wir haben noch den alten Hochmuth, aber nicht mehr das alte Geld; auf den Straßen Koth und in den Häusern Unflath und Gestank, den meisten Unflath aber im Herzen. Denn hier versteht sich fast Jedermann besser aufs Saufen, als aufs Arbeiten; besser aufs Borgen, als aufs Bezahlen; besser aufs Prellen und Stehlen, als aufs Geben; besser auf Hinterlist, als auf Wahrheit. Wenn das so fortgeht, müssen wir in Elend und Schande Alle untergehen. Schon haben wir zu Stadt und Land keinen Kredit mehr, und wenn man Jemand einen Lump heißen will, so sagt man: er ist ein Goldenthaler!«

Bei diesen Worten des Oswald erhob sich ein großes Gemurmel und Dräuen im Volk, und jeder sah den Oswald mit finstern Blicken an; also, daß des Müllers Elsbeth in große Furcht gerieth. Denn sie stand auf einer Bank am Hause und verwandte kein Auge vom Oswald, der ihr von Herzen lieb war.

[16] Oswald ließ sich jedoch von dem Gemurre und Gesurre nicht schrecken, sondern fuhr also fort:

»Liebe Mitbürger, wenn noch ein Tropfen redlichen und frommen Bluts in euern Adern wallt, so schlaget Hand in Hand und sprechet: es soll und muß anders werden! Woher kommt unser Verderben? Dahinten her kommt es, aus den Wirthshäusern! Da sind eure Ländereien in die Wein- und Bierfässer gefallen, und eure Kühe von den Spielkarten erschlagen. Da habt ihr das Sparen verlernt und das Arbeiten vergessen. Armuth macht Diebsmuth, und Müßiggang ist des Teufels Ruhebank. Das Geld eurer Väter ist verzehrt, und ihre Sonntagsröcke traget ihr mit Löchern in den Aermeln. Habet ihr ein paar Kreuzer im Sack, trinket ihr lustig, und Weib und Kind daheim hungern. Was soll daraus werden? – Ich frage die Vorgesetzten! Wo ist das Vermögen der Gemeinde, und wie habt ihr hausgehalten mit der Hinterlassenschaft unserer Vorfahren? Warum leget ihr keine treue Rechnung ab, und gebet nicht aufrichtigen Rath, wie zu helfen sei? Warum schmauset ihr lieber auf Gemeindsunkosten, statt der Gemeinde Gut zu sparen? Warum verschließet ihr nicht die Wirthshäuser, und öffnet dafür Abzugsgraben für das Wasser im versumpften Gemeindswald oder bessert unsere halsbrechenden Dorfwege ans? Warum machet ihr's den Leuten so leicht, wenn sie Geld borgen wollen, und machet es ihnen so schwer, wenn sie sich vor dem Bettelstab retten möchten?«

Wie Oswald so redete, schrien einige der Vorgesetzten: »Schweig, du Landstreicher und Taugenichts, oder wir schicken dich bei Wasser und Brod in den Thurm, achtundvierzig Stunden lang!« – Und die ganze Gemeinde brüllte: »Schweig! Schweig!«

Aber Oswald erwiderte: »Ihr habet Macht, mich in den Thurm zu werfen; aber ich habe Macht, euch vor die hohe Landesregierung zu rufen. Wenn ich da eure Wirthschaft aufdecke, wird [17] euch übler zu Muth sein, als mir bei Wasser und Brod ist. Ihr alle aber, Mitbürger, beweiset mir, daß ich falsch rede, oder lästere. Fraget eure Gewissen, ob das Gemeindegut vermehrt oder verheert ist? Fraget eure Gewissen, ob ihr reicher oder ärmer geworden seid; ob Treu und Glauben noch unter uns gelten; ob Gottesfurcht und Menschenliebe unter uns herrschen, oder hartherziger Eigennutz, Wucher, Lüderlichkeit, Hinterlist, Tücke, Meineid und falsches Wesen? Und wenn euer Gewissen keine Zunge hat, so schauet eure zerfallenen Häuser und Ställe, eure verwilderten Felder und Gärten, eure leeren Geldbeutel und Truhen, eure zerrissenen Kleider und Hemden an; die sind meine Zeugen wider euch. Schauet eure armen verwahrlosten Kinder an, sie sind meine Zeugen wider euch. Ihr habet mehr Sorgfalt für eure Kühe, Säue und Ziegen, als für eure Kinder; und Kühe, Säue und Ziegen sind euch nicht so lieb, als euch Schwelgerei und Spiel, Fraß und Sauf sind.«

Oswald wollte noch mehr sagen; aber sie stießen ihn mit mörderischem Gebrüll vom Stein, und ließen ihn nicht mehr reden. Einige wollten die Hand an ihn legen; aber er ergriff sie mit gewaltiger Faust und schleuderte sie gegen die Andern, daß sie mit den Köpfen zusammenschlugen. Er nahm einen gewaltigen Stecken, und drohte den Ersten zu Boden zu schlagen, der sich ihm nähern würde. Das Geschrei gegen ihn ward immer lauter und wilder. Einige hoben Steine auf. Oswald ging beherzt mit geschwungenem Prügel gegen den dicken Haufen, und mitten durch denselben nach Hause. Er wusch sich, verband seine verwundete Stirn und war ruhig.

Da kam, blaß wie der Tod, mit verweinten Augen Elsbeth und fragte: »Oswald, wie geht's dir?« Und sie konnte vor Wehmuth nichts mehr sagen, und er tröstete sie und drückte sie gerührt an sein Herz.

[18]

5. Wie Oswald von seinen Feinden verfolgt wird, und was er dagegen thut

5. Wie Oswald von seinen Feinden verfolgt wird, und was er dagegen thut.

Oswald hatte seit dem Tage, da er an die Gemeinde geredet, eitel Verdruß und Noth. Böse Buben warfen ihm Nachts die Fenster mit Steinen ein. In einer andern Nacht hatten sie ihm sechs junge Obstbäume abgebrochen, die er im Garten gepflanzt hatte. In einer andern Nacht hatten sie ihm den Salat von den Beeten gestohlen.

Als er zu den Vorgesetzten ging und Klage führte, lachten sie höhnisch und sprachen: »Du hättest wohl mehr Strafe verdient, wenn wir mit dir nach aller Strenge verfahren wollten. Packe dich von hinnen, du Lästermaul!«

Oswald sagte: »Wenn ihr mir gegen Bösewichter weder Recht noch Schutz verleihen wollet, so machet in der Gemeinde bekannt, daß ich mich selber zu beschirmen wissen werde, und sich Jeder vor Schaden hüten solle.«

Die Feinde aber fuhren fort, ihn zu plagen, doch nicht ohne ihren Schaden und Schrecken. Denn als er eines Abends in der Mühle war, und sie es wußten, und sich in seinen Garten schlichen, um ihm alles zu zerstören, geschahen plötzlich aus den Fenstern seines Hauses zwei Schüsse. Da liefen sie mit Entsetzen davon und meinten, er müsse den bösen Geist im Hause zum Wächter haben. Denn während sie noch liefen, begegnete ihnen Oswald, der von der Mühle kam, und er packte einen von ihnen und sprach mit donnernder Stimme: »Warum habt ihr, wie Diebe, in meinem Garten einbrechen wollen?« Doch that er ihnen nichts zu leide. Ein andermal, da schlechte Kerls ihm einen Possen spielen wollten, und nach Mitternacht, vom Branntwein erhitzt, über den Hag stiegen, der sein kleines Gut umfing, wurden sie an den Füßen [19] blutig verwundet, daß sie vor Schmerzen laut aufschrien, und kaum über den Hag zurück konnten.

Diese und andere Geschichten verbreiteten im Dorfe große Furcht, und es wagte sich Keiner mehr des Nachts in die Gegend von Oswalds Haus.

Er aber blieb freundlich gegen Jedermann, wie zuvor; gab dem Einen guten Rath, dem Andern in der Noth ein Stück Geld. Doch that ihm der elende Zustand der Gemeinde leid, und er begab sich eines Tages zum Pfarrer und klagte es.

Der Pfarrer sprach: »Ich bin Pfarrer, und habe hier nicht zu befehlen, und kann mich in eure Händel nicht mischen. Alles Unglück dieses Dorfes kommt daher, daß die Leute im Schlamm und Unflath der Sünden untergehen. Sie fragen dem Worte Gottes nichts nach, und verkürzen aller Orten das Einkommen meiner Pfründe. Es wird aber ein schweres Zorngericht des Herrn über sie kommen, und die Langmuth des Himmels nicht länger ihren Sünden nachschauen.«

Oswald sagte: »Herr Pfarrer, mit Erlaubniß, Ihr könnet doch, wenn ihr wollet, Vieles zur Rettung der Gemeinde thun. Denn das Herz dieser Menschen ist verwildert, weil ihr Verstand verfinstert ist. Wenn Ihr Euch der Schule annehmen und die Jugend in guten Sitten und im christlichen Lebenswandel unterrichten wolltet, daß sie die Tugend lieben und das Laster scheuen lernte: es würden die guten Früchte der Besserung nicht ausbleiben.«

Der Pfarrer antwortete: »Dafür ist der Schulmeister und nicht der Pfarrer. Ich habe bei der Menge meiner wichtigen Amtsgeschäfte keine Zeit dazu übrig. Die Gemeinde selbst ist Schuld, daß sie keinen rechten Schulmeister haben kann, weil sie ihn schlecht besoldet.«

Oswald sagte: »Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, ein guter Hirt, der seine Heerde wohl weidet, bekümmert sich auch um jedes Einzelne [20] in derselben. Die Leute sind unwissend, und verderbe oft bloß aus Unverstand, weil sie nicht wissen, wie sich helfen und ihre Sachen einrichten? Wenn Ihr nun bald zu dieser, bald zu jener Haushaltung in müßigen Stunden ginget, und sähet die Unvernunft der armen Leute, die oft nur zu Grunde gehen, weil sie sich nicht recht zu rathen wissen; – sähet, wie sich die armen Menschen nach und nach an ihr Verderben gewöhnen, bis sie von Haus und Hof getrieben werden; – sähet, wie die Kinder, erbärmlich verwahrloset, unmöglich besser werden können, weil sie nur das Schlechteste auf der Welt hören und sehen; – o, Herr Pfarrer, wenn Ihr nun einmal ...«

Der Pfarrer unterbrach den Oswald in seiner Rede und schrie: »Was ficht Euch an? Wollet Ihr dem Pfarrer gute Lehren geben und Unterricht, was er als Pfarrer zu thun habe? Hebet Euch weg von mir mit Euern Versuchungen. Ich bin ein geistlicher Hirt, der für die armen Seelen sorgt, und bete täglich für sie. Aber Ihr wollet mich, glaube ich, zum Säutreiber machen.«

Als der Herr Pfarrer so zornig sprach, ging Oswald von dannen und sein Herz war sehr betrübt. Aber er konnte doch nicht ruhen, und dachte: es muß und soll geholfen werden, und Gott wird mir beistehen.

Und er legte Feierkleider an, nahm den Stab, und wanderte in die Hauptstadt des Landes. Da ging er umher zu den obersten Staatsbeamten, von Haus zu Haus, sein schweres Anliegen vorzubringen. Aber der eine von den Herren hatte ein großes Gastmahl und konnte ihn nicht hören; der andere war spazieren gefahren und konnte ihn nicht hören; der dritte saß eben beim Spieltisch mit den Karten in der Hand und konnte ihn nicht hören; der vierte zählte die eingegangenen Zinsen und konnte ihn nicht hören; der fünfte führte ein junges Frauenzimmer zum Tanzhaus und konnte ihn nicht hören. Endlich kam er zu dem letzten, der [21] hörte ihn an. Es war ein steinalter Mann mit einer weißen Haarbeutelperrücke. Vor diesem schüttete Oswald sein Herz aus, sprach vom Elend seines Dorfes, von der Schlechtigkeit der Vorgesetzten, von der Gleichgültigkeit des Pfarrers, von der Unwissenheit des Schulmeisters.

Darauf antwortete der alte Herr in der Haarbeutelperrücke ganz freundlich und sprach zu ihm: »Du Flegel, der du geistliche und weltliche Obrigkeit verlästerst, packe dich und raisonnire nicht weiter, oder ich lasse dich ins Zuchthaus bringen. Euer Herr Pfarrer ist ein vortrefflicher Mann, denn er ist mein eigener Vetter.«

Mit diesem Bescheid verließ Oswald die Hauptstadt. Als er wieder außer dem Stadtthor in die freie Luft kam, brach ihm das Herz, und er weinte laut.

6. Der neuerwählte Schulmeister

6. Der neuerwählte Schulmeister.

Als er am Nachmittag in das Dorf zurückkam, ließ er keinen Menschen wissen, warum er in die Hauptstadt des Landes gereiset, und wie es ihm da ergangen sei. Vielmehr stellte er sich wohlvergnügt und redete Jedermann freundlich an, selbst seinen ärgsten Feind, den Löwenwirth Brenzel, welcher im Dorfe der reichste Mann, und im Gemeinderath der Vornehmste war. Der stand breitbeinig vor der Hausthür, die Kappe schief auf dem Ohr, die Hände über den Bauch gefaltet, und schaute gar gebieterisch rechts und links.

»Guten Abend, Herr Brenzel!« rief ihm Oswald zu: »Habt Ihr schon Feierabend?«

Brenzel nickte vornehm mit dem Kopfe und sprach, ohne den Oswald anzusehen: »Ich verdiene meinen Taglohn, wenn ich mit der Hundspeitsche daheim bleibe und die Bettler von meinem Hause treibe.«

[22] Wie Oswald diese unchristliche Rede von einem Vorsteher der Gemeinde hörte, welcher ein Vater der Armen, der Wittwen und Waisen sein sollte, lief es ihm heiß und kalt über die Haut, und er verdoppelte seine Schritte, um davon zu kommen. Desto mehr erquickte ihn, da er an der Mühle vorüberging und er Elsbeth sah, die schöne Tochter des Müllers Siegfried. Sie saß auf der Bank vor dem Hause im spielen den Schatten eines jungen Kirschbaumes und nähte neue Hemden. Und sie ward feuerroth, wie sie den Oswald erblickte, reichte ihm die Hand zitternd, lächelte ihn holdselig an, und ihre Augen glänzten von Thränen.

»Warum weinest du Elsbeth?« fragte Oswald erschrocken.

Elsbeth wischte sich schnell die Augen, lächelte noch freundlicher und sagte, indem sie den Kopf schüttelte: »Heute sag' ich dir's nicht, lieber Oswald, du sollst es schon einmal erfahren.« – Sie schien ihm schöner und zärtlicher, als er sie je gesehen. Aber wie viel er auch fragen mochte, er erfuhr nicht, warum sie geweint habe.

Darauf fragte ihn Elsbeth: »Du aber bist in der Hauptstadt gewesen. Gelt, da hast du dir ein paar lustige Tage gemacht, wohl gar mit den schönen Stadtjungfern getanzt? Wie? – Oswald, du seufzest? Ei, ei, Oswald, das will mir nicht gefallen. Nun hast du Heimweh zur Stadt, und in unserm armen Dörflein ist es dir nicht mehr schön genug.«

So sprach sie, und er schlug traurig die Augen nieder, ohne zu antworten. Da trat sie näher, nahm seine Hand in die ihrige, und sagte wieder, mit einer zitternden Stimme, die man kaum hörte: »Oswald, lieber Oswald, was fehlt dir! Sage mir auch ehrlich: was quält dich?«

»Kind!« rief Oswald und schlug die Augen gen Himmel auf: »Gott weiß es, ich könnte glücklich sein, und ich bin es, und in der Welt nirgends mehr, als bei dir, denn du bist herzgut. Aber [23] mich jammern die Menschen, denn ich kenne ihrer so viele, und die meisten sind herzschlecht. Sieh nur an das Elend der Leute in unserm armen Goldenthal. Es würde doch so wenig kosten, sie wieder zu erretten. Aber man macht die armen Leute, Gott erbarm's, zum Vieh, und den hartherzigen Reichen ist das eben recht. Die Ortsvorsteher haben ihre Stellen nur, um ihren Hochmuth zu kitzeln, und gewaltig zu sein, und sich allerlei Vortheil zu machen. Sie betrügen die Waisen, und plündern die Wittwen, und haben kein Gefühl und kein Gewissen. So wird es im Dorfe immer schlechter, die Noth der meisten Haushaltungen immer größer, und Keiner hilft. Wir haben eine Regierung – Gott sei's geklagt! Die Herren wollen nur regieren, um zu stolziren und sich Vortheile zu machen; aber des Volkes Noth aus dem Grunde zu heilen, das hält Keiner für seine Pflicht und Schuldigkeit. Es ist bei Allen nur auf Großthuerei, Lustbarkeit und Geld abgesehen. Da wollen sie nur ihre Familien bereichern, ihren Söhnen und Vettern aufhelfen; da wäscht eine Hand die andere, da hackt ein Rabe dem andern die Augen nicht aus, und das Land wird immer elender; und das kümmert die Herren nicht. Sie lassen sich noch dazu für ihre Weisheit und große Gnade loben, so niederträchtig und schamlos sind sie.«

Elsbeth sagte: »Ach, Oswald, herzlieber Oswald, warum grämt dich doch das? Es ist ein gerechter Gott im Himmel, der wird die richten, die ihre Pflichten verachten. Du bist ja unschuldig an dem Elende des Volkes. Warum grämst du dich doch?«

Oswald sagte: »Kann mir denn wohl sein in der Hölle, wo ich die Abscheulichkeit der Teufel und die Pein der armen Seelen sehen soll? So kann mir auch nicht wohl sein auf Erden, wo ich die Schändlichkeit der Herren in den Städten, und die Schändlichkeit unserer groben, stolzen Dorfkönige sehe, die das arme Volk noch tiefer in den Koth und Staub niedertreten, statt es hervorzuziehen, [24] wie ihre Schuldigkeit wäre. Wenn dann die Unglücklichen aus Verzweiflung zuletzt Verbrecher werden, betrügen und stehlen oder gar morden, läßt man sie recht rührend und feierlich hinrichten; oder wenn sie sich aus ihren Kindern weniger als aus ihrem Vieh machen, lacht man recht vornehm dazu. Ist das nicht ein Vorspiel der Hölle? Und sind nicht unsere meisten Goldenthaler durch ihre Armuth fast dem Vieh gleich geworden, roh, ekelhaft, grob, unreinlich, gefühllos? Und sind sie nicht durch die Laster der Armuth noch schlechter als das Vieh geworden, nämlich zänkisch, schlägerisch, verleumderisch, schadenfroh, diebisch, träg, nur aufgelegt zum Fressen und Saufen?«

Elsbeth sagte: »Der alte Schulmeister hat auch vom Saufen den Lohn davon. Vorgestern Nachts kam er betrunken vom Adlerwirth und zu nahe an den Weiher, stürzte ins Wasser und ertrank. Gestern Morgens fand man ihn. Heut ist er begraben. Zum Glück hat er nicht Weib noch Kind.«

Diese Nachricht hörte Oswald nicht ohne Bestürzung. Er fragte noch dies und das. Er schien etwas Wichtiges zu überlegen, und ging gedankenvoll nach Hause. Elsbeth begriff nicht, was ihm so plötzlich durch den Kopf geflogen war. Aber sie erfuhr es am nächsten Sonntag.

Da wurde die Gemeinde nach vollendetem Gottesdienst zusammenberufen, weil es um die Erwählung eines neuen Schulmeisters zu thun war. Oswald ging auch an die Gemeinde. Elsbeth stand in der Ferne bei den Weibern und Töchtern. Sie hatte große Angst, daß Oswald reden werde, was den Leuten mißfallen könnte, und darum ihren Vater gebeten, den Oswald, wenn er aufbrause, zu besänftigen. Auch kam der Müller Siegfried dem Oswald nicht von der Seite.

Der erste Vorsteher, Herr Brenzel, eröffnete der Gemeinde, um was es zu thun sei, und sagte: »Weil der Schulmeisterdienst [25] erledigt und ein geringer Dienst mit vieler Mühe sei, indem die Besoldung nur aus vierzig Gulden bestehe, sei es ein Glück, daß er der Gemeinde einen wackern Mann vorschlagen könne, der das Amt annehmen wolle. Das sei der Schneider Specht, dessen Profession schlecht ginge, und der ihm mütterlicher Seits etwas verwandt wäre.«

Darauf schlug der Adlerwirth Kreidemann, als zweiter Vorsteher, seinen armen Vetter, den lahmen Geiger Schluck vor, der um so eher Vorzüge verdiene, weil er, statt vierzig Gulden zu nehmen, wegen Dürftigkeit der Gemeinde mit fünfunddreißig zufrieden sein wolle.

Der Schneider Specht, als er sah, daß sich die meisten Bauern für den Geiger erklären würden, sagte demselben alle Sünd' und Schande, und erbot sich, mit dreißig Gulden zufrieden zu sein. Der Geiger ward darüber so erboset, daß er den Specht einen Dieb und Ehebrecher und meineidigen Schelm hieß, und sich für fünfundzwanzig Gulden zum Schulmeister antrug. Der Schneider erklärte, den Geiger wegen seiner Schimpfreden vor Gericht zu ziehen; aber um so geringen Lohn wolle er nicht schulmeistern.

Da sich nun weiter zu dem Dienst Niemand meldete, weil sich kein Ehrenmann zu einer Stelle hergab, die von jeher verachtet und nur von Leuten gesucht war, die sonst nichts hatten, so war die Gemeinde schon entschlossen, sie dem Schluck, als einen Nebenverdienst, zu geben. Denn dieser konnte doch nothdürftig schreiben und lesen.

Aber nun drängte sich Oswald hervor, ward blaß und roth im Gesicht und rief: »Dem Küh- und Säuhirten, der euer Vieh auf die Weide treibt, gebet ihr bessern Lohn, als dem Schulmeister, der eure Söhne und Töchter in Gottesfurcht und nützlichen Dingen unterrichten soll! Eure Kinder sind Menschen, geschaffen, ein Ebenbild Gottes zu sein, aber nicht euer Vieh. Schämet ihr euch [26] nicht der Sünde, die Ihr thut? – Aber ich weiß gar wohl, der Gemeindsseckel ist immer leer, wenn für das Nützlichste gesorgt werden soll, und Schulgeld können die armen Leute nicht zahlen, die kaum Erdäpfel und Brod und Salz haben. So will ich denn ein Uebriges thun, und ich biete euch an, Schulmeister zu werden, und verlange gar keinen Lohn. Ich sage noch einmal, ich will Schulmeister sein, es soll weder der Gemeinde noch den Haushaltungen einen Kreuzer kosten!«

Die Leute sahen sich einander verwundert an und den Oswald. Einige wollten ihn nicht haben und sagten, er könne oder wolle die armen Seelen der Kinder vielleicht dem Teufel verkaufen. Aber die Meisten bedachten, daß kein Anderer den Dienst so wohlfeil übernähme, und lärmten und schrieen, Oswald solle Schulmeister sein. Also wurden die Stimmen abgehört und Oswald wurde zum Schulmeister erwählt.

Als dies Elsbeth hörte, wollte sie vor Scham und Bestürzung in die Erde sinken. Denn im Dorfe war, außer dem Dorfwächter und dem Säuhirten, Keiner geringer gehalten, als der Schulmeister. Sie rannte ganz außer sich zur Mühle, als wäre ihr das größte Unglück und die bitterste Schmach widerfahren. Auch der ehrliche Müller Siegfried schüttelte ärgerlich den Kopf und sagte: »Ich glaube, der Oswald ist im Kopfe verrückt.«

Jedoch Oswald blieb bei seinem Entschluß. So ward er von dem Gemeinderath nach Vorschrift der obrigkeitlichen Schulpflege in Vorschlag gebracht. Er mußte sich in der Stadt prüfen lassen, und weil er eine zierliche Hand schrieb, im Rechnen mehr verstand, als für Bauern nöthig zu sein schien, ward er förmlich bestätiget.

7. Wie Oswald Schule hält

[27] 7. Wie Oswald Schule hält.

»Elsbeth, Elsbeth, quäle mich nicht mit deiner Unzufriedenheit und deinem niedergeschlagenen Wesen!« sagte Oswald zu der betrübten Tochter Siegfrieds: »Siehe, die Alten sind verderbt und kaum zu bessern. Vielleicht kann ich unser armes Dorf wieder durch gute Erziehung der Kinder in Ansehen und Ehren bringen. Andern Weg gibt es nicht. Ein Dorfschulmeister ist freilich ein geringer und verachteter Mann; aber wie tief hat sich doch unser Herr und Heiland erniedrigt, um die Menschen zu bessern, zu belehren und selig zu machen. Hätten wir auch verständige und gewissenhafte Regierungen, denen es weniger um ihre, als um des Volkes Wohlfahrt zu thun wäre, für die sie eigentlich da sind, so würden sie mehr Sorgfalt und Achtung für die Landschullehrer, als für die Professoren an den hohen Schulen beweisen. Aber so ist es einmal nicht in der verkehrten Welt; Alles sieht und zieht nach oben, und versäumt, was unten ist. Darum wird es meistens oben zu schwer, und unten zu leicht, und viele Thronen stehen auf schwachen Füßen.«

»Ach Oswald, Oswald!« rief Elsbeth: »Du weißt nicht, wie übel du gethan hast!« Sie sagte jedoch nicht warum.

Inzwischen, sobald die Wintertage kamen, fing Oswald mit der Schule an. Den ersten Tag stellte er sich vor die Hausthüre und empfing daselbst die Schulkinder. Hatten sie kothige Schuhe, mußten sie dieselben erst mit Stroh rein fegen, und die Sohlen abkratzen am Eisen vor der Hausthüre, damit sie den saubern Fußboden des Zimmers nicht besudelten. Dann reichte er jedem zum Willkommen freundlich die Hand. Waren aber die Hände unreinlich, mußten sie erst zum Brunnen und Gesicht und Hände waschen. Waren ihre Haare nicht zierlich gekämmt, schickte er sie in ihre Häuser zurück, sich kämmen zu lassen. Die aber, welche reinlich und wohlgekämmt erschienen, küßte er freundlich auf die Stirn.

[28] Die Buben und Mägdlein wunderten sich sehr; einige schämten sich, andere lachten, noch andere weinten. So etwas war ihnen nie widerfahren.

Den zweiten und dritten Tag stand Oswald wieder vor der Hausthüre, und so noch manchen Tag, bis alle so säuberlich zur Schule kamen, wie er es befohlen hatte. Nachher empfing er sie im Schulzimmer. Wer dann mit unreinlichem Haare und Gesicht oder unsaubern Händen und Schuhen kam, ward zum Gelächter Aller auf einen Tritt zur Schau gestellt, und nachdem er eine Stunde da gestanden war, heimgeschickt, um sich reinigen zu lassen.

Viele Leute im Dorfe verdroß das; allein sie hatten in der Schule nichts zu befehlen, und mußten geschehen lassen, wie es Oswald wollte. So kam es, daß in wenigen Wochen die Schulkinder, groß und klein, arm und reich, alle äußerst reinlich am Leibe wurden, wenigstens so lange sie beim Schulmeister waren.

Oswald ließ es aber dabei nicht bewenden. Nachdem die Kinder ein Vierteljahr lang zur Ordnung gewohnt waren, gab er auf die Reinlichkeit der Kleider Acht. Schmutz, Staub und Koth durften nicht daran haften, wenn auch die Kleider alt und zerrissen waren. Letzteres verzieh er; das war nicht der Kinder Schuld. Wer die ganze Woche am reinlichsten erschienen war, sowohl in der Schule, als außer derselben, im Dorfe, auf den Gassen, in der Kirche, auf den Feldern, ward sein Liebling. Dem gab er die erste Woche ein Bild, oder ein Stücklein Seidenband, oder einen Bogen feines Papier zum Briefschreiben; die andere Woche abermals ein kleines Denkzeichen seiner Freundschaft; zuletzt öffentlich vor Allen einen Kuß auf den Mund, und das geküßte Kind empfing das Recht, am Sonntag mit Oswald spazieren zu gehen, oder wenn es schneite und unfreundliches Wetter war, bei ihm zu sein und sein großes Bilderbuch zu besehen, aus welchem Oswald schöne Geschichten zu erzählen wußte.

[29] Oswald war ein Mann, der sich auch bei Erwachsenen in Ansehen zu setzen wußte, der zwar nie schwor und fluchte, aber keinen fürchtete; kein Wunder, daß alle Kinder Hochachtung für ihn empfanden, und ihn zuletzt fast mehr lieb hatten, als sie ihre Aeltern liebten. Da hätte man sehen sollen, wie ihm alle mit Ehrfurcht schmeichelten; wie freundlich sie zu ihm liefen, wenn er ihnen begegnete; wie sie ihm seine Wünsche aus den Augen zu lesen suchten; wie ein Wink genug war zum freudigen Gehorsam.

Das war den Bauern in Goldenthal ganz unbegreiflich, um so mehr, da dieser Schulmeister sich weder des Haselstockes, noch der Birkenruthe bediente. Manche Leute wurden ängstlich und erzählten sich die Historie von einem Ratzenfänger zu Hameln, der auch die Kinder an sich zu locken gewußt, und endlich alle in die Höhle eines Berges geführt habe, wo sie mit ihm verschwunden seien. Einige alte Bauernweiber sagten öffentlich, das ginge nicht mit rechten Dingen zu, und riethen, man solle keine Kinder mehr zum Schulmeister lassen. Doch dazu kam es nicht.

Oswald aber redete und sprach: »Reinheit des Herzens ist die Gesundheit der Seele; Reinlichkeit des Leibes ist die Gesundheit des Körpers. Die Thiere mögen sich wälzen im Koth, aber der Mensch als Gottes Ebenbild, soll sich rein erheben zum reinen Himmel. Solches muß der Anfang aller Kinderzucht sein, daß die Kindlein wissen, sie seien Menschen und viel besser als Thiere. Dann ist aus ihnen Alles zu machen; aus den Thieren läßt sich nichts machen.«

Ferner redete Oswald und sprach: »Ein Schulmeister, welcher nicht einmal versteht, die zarten Kinderherzen durch Ernst und Liebe zu leiten, daß sie ihm willig folgen, der versteht sein Handwerk schlecht. Und man sollte billig den Stock auf des Schulmeisters Rücken zerschlagen, womit er die Kinder züchtigt, als hätte er [30] Affen, Hunde und andere Thiere abzurichten, die keine Vernunft und kein menschliches Herz haben.«

8. Was ferner in der Schule vorgeht

8. Was ferner in der Schule vorgeht.

Es ging aber ein Geschrei im Dorfe, der Oswald verführe die Kinder, und bringe ihnen eine neue Religion bei, und die Kinder können nichts bei ihm lernen. Denn es sei erschrecklich anzusehen, wie die Kinder alltäglich daran treiben, um in die Schule zu kommen, da doch sonst die Jugend nicht gern mit dem Schulgehen zu thun hat; das sei wider die Natur. Desgleichen sei es den ganzen Tag in dem Schulhause todtenstill, wie in einer Kirche, wo man sonst Lärmen und Geschrei der Lernenden weit hinaus über das Dorf seit Menschengedenken gehört habe; selbst in den Singstunden töne es nur wie Bienengesumse. Ferner vernehme man, daß beim Gebet ärgerliche Neuerungen vorfallen, und daß die Kinder zur Hexerei angeleitet würden, wozu sie schon die verdächtigsten Zeichen malen lernten.

Diese und andere Reden gelangten endlich selbst vor die Ohren des Herrn Pfarrers und der hochobrigkeitlichen Schulräthe in der Stadt. Und weil in der That Niemand wußte und begriff, was der Oswald treibe, ward zur Untersuchung und Abhülfe der Beschweren eine Kommission abgeordnet, die aus zwei Herren von der Stadt und dem Herrn Pfarrer bestand. Diese traten eines Morgens unerwartet, ehe die Schule angefangen war, zum Oswald und sagten, was ihr Auftrag sei, und er solle in ihrer Gegenwart lehren, wie er gewöhnlich thue.

Da nun die Kinder einzeln ankamen, war auch in armen und zerrissenen Kleidern Sauberkeit und Ordnung lieblich zu schauen, und wie alle erst zum Schulmeister gingen, ihm die Hand küßten, dann sich still zu ihren Sitzen begaben, wo sie fröhlich mit einander [31] flüsterten und auf die Fremden schauten. Es waren der Kinder in allem fünfundfünzig; die Knaben saßen auf der einen, die Mägdlein auf der andern Seite.

Nachdem sie Alle versammelt waren, sprach Oswald mit lauter Stimme: »Ihr lieben Kindlein, lasset uns vor allen Dingen erst vor dem allgegenwärtigen lieben Gott, unserm Vater, uns demüthigen, und ihm unsere Gedanken und Bitten ehrfurchtsvoll vortragen.« Und wie er dies sprach, falteten alle fünfundfünzig Kinder ihre Händlein und sanken auf die Knie, still vor sich zur Erde schauend. Auch Oswald kniete nieder; und der Herr Pfarrer und die Rathsherren aus der Stadt, da sie alles sich demüthigen sahen vor dem Ewigen, folgten dem Beispiel Aller und knieten auch. Dann las der Schulmeister ein schönes, rührendes Gebet, welches vor ihm auf dem Stuhle lag. Es war so verständlich abgefaßt, daß es auch dem Verstande des kleinen sechsjährigen Kindes begreiflich war. Das bewegte das Herz eines der Rathsherren so tief, daß ihm die Augen voller Thränen wurden.

Dann standen Alle auf, und die Aeltesten der Schule, indem sie auf eine mit Noten und Worten beschriebene schwarze Tafel sahen, sangen mit sanfter Stimme vierstimmig ein schönes Morgenlied. Die Kleinen sumseten den Gesang für sich ganz leise nach. Darauf lasen die bessern Leser aus einem Buche, abwechselnd einen frommen Vers; jede Zeile aber ward von der ganzen Schule mit halblauter Stimme nachgesprochen, dann das Buch geschlossen, und erst von der Schule, dann wieder von einzelnen Kindern, die Oswald aufrief, der fromme Vers auswendig hergesagt.

Nach diesem wandten sich die Kinder in vier Haufen nach vier verschiedenen Seiten vor eben so viele schwarze Tafeln, auf welchen theils lateinische, theils deutsche Buchstaben, theils Sylben, theils ganze Zeilen in großer Vorschrift geschrieben zu sehen waren. Alle schrieben und malten auf Rechentafeln mit Dinte und Feder die [32] Vorschriften nach. Oswald ging von Kind zu Kind, belobte das eine, belehrte das andere, ließ das dritte Feder und Griffel besser halten, und dergleichen mehr.

Nach einer Stunde theilten sich die Kinder wieder in vier Haufen, und man sah statt eines Schulmeisters vier Schulmeister. Denn die, welche am besten lesen konnten, stellten auf den schwarzen Tafeln gedruckte lateinische oder deutsche Buchstabe einzeln oder in Sylben oder ganzen Sätzen auf, wie Oswald es angab. Die Buchstaben waren auf Pappe geklebt, beweglich und einzeln. Dann sah Oswald nach, ob Alles recht gemacht sei; und jeder der kleinen Schulmeister ließ seinen Haufen die Buchstaben, die Sylben, die Wörter und Sätze sprechen mit halblauter Stimme. Keiner störte den Andern. Oswalds Auge und Ohr war bei Allen, und mit leiser Stimme half er bald links, bald rechts nach.

Und abermals nach einer Stunde vertheilten sich die Haufen, und statt der Buchstaben kamen Zahlen und Rechenexempel auf die schwarzen Tafeln, und neue Lehrmeister und Lehrmeisterinnen dazu; und die Einen sprachen Zahlen zusammen, die Andern addirten, die Dritten subtrahirten, die Vierten sagten das Einmaleins, und so weiter. Den besten Rechnern gab Oswald geschriebene Exempel, die rechneten für sich. Am Ende sagte Jeder an, was er herausgebracht. Oswald sah in einem Büchlein nach, worin die gelösten Aufgaben standen, und sagte auf der Stelle, ob recht oder falsch.

Gar bewundernswürdig war die Stille, die Ordnung, die Lernbegierde Aller. So etwas hatten die Rathsherren und der Pfarrer in ihrem Leben noch nicht gesehen.

Als nun so der Morgen vollbracht war, begaben sich die Kinder, den Schulmeister und die Fremden grüßend, still hinweg. Draußen aber war frohes Gelächter und lauter Jubel der Kleinen.

Und Nachmittags sah man in der Schule die Kinder wieder vor den schwarzen Tafeln. Da zeichneten sie künstliche Figuren von [33] geraden und krummen Linien auf ihren Rechentafeln und Papieren, einige sogar schon Umrisse von Blumen und wunderbaren Gefäßen. Dies gethan, lasen die besten Leser aus einem Buche lustige und lehrreiche Geschichten und Gespräche vor. Da hätte man die Freude der Kinder sehen sollen über alles das, was sie hörten. Dann befahl Oswald denen, die am besten schreiben konnten, die angehörte Geschichte aufzuschreiben und ihm morgen zu bringen, doch keine Fehler gegen die Rechtschreibung zu begehen. Zuletzt nannte Oswald öffentlich mit Lobspruch die Namen derer, die an diesem Tage ihre Sache am besten gethan. Und weil derselben sechs waren, machte er Allen die Freude, ihnen noch eine Stunde lang etwas Schönes zu erzählen. Und er erzählte ihnen eine ganz erschreckliche Geschichte von einem Manne, der in der strengsten Winterkälte auf der Landstraße schläfrig geworden und erfroren sei, daß man ihn todt in ein Dorf gebracht; und wie unwissende Bauern ihn haben sogleich in eine warme Stube legen und aufthauen wollen. Aber ein geschickter Arzt sei gekommen, habe den Erfrorenen entkleidet und bis an die Nase in Schnee vergraben, nachher sogar in eiskaltes Wasser gelegt, daß um die Gliedmaßen dünnes Eis geworden; dann habe er den Leib in kalte Betten in ein ungeheiztes Zimmer gebracht, mit Wollentüchern stark gerieben, bis der Todtgeglaubte wieder zum Leben gekommen wäre. Wie das zugegangen, erklärte Oswald Alles.

So war der Schultag zu Ende.

9. Von der Sonntagsschule, und dem Vorfall in der Mühle

9. Von der Sonntagsschule, und dem Vorfall in der Mühle.

So und auf andere Weise unterrichtete Oswald die Schulkinder; alle Tage hatte er etwas Neues für sie. Die Rathsherren und der Herr Pfarrer gaben ihm große Lobsprüche und nannten ihn den vortrefflichsten Schulmeister im Lande. Das konnten die [34] Bauern in Goldenthal nicht begreifen, und sprachen unter einander: »Wie will's doch der Oswald besser verstehen, als die alten Schulmeister, die wir in unserer Jugend gehabt? Aber er kann allerlei Blendwerk machen, und hat es selbst dem Pfarrer und den Rathsherren angethan. Ganz richtig ist es mit ihm nicht!«

Im Sommer war zu Goldenthal nie Schule gehalten worden; denn die größern Kinder mußten den Aeltern in Feld- und Hausgeschäften helfen. Aber Oswald nahm auch im Sommer die Kleinern zu sich, und unterrichtete sie einige Stunden, und gab ihnen bei sich zu spielen, oder kleine Geschäfte in seinem Garten und Feld, wohin sie ihn begleiteten und Steinchen aus dem Acker trugen, Unkraut jäteten und dergleichen. Als das die andern Kinder sahen, baten sie Oswald beweglich, sie nicht zu vergessen, und er nahm sie, wenn Feierabend war, auch noch zu sich und setzte den Unterricht mit ihnen fort. An Sonn- und Festtagen ging er mit ihnen sogar spazieren in Feld und Wald; zeigte ihnen die giftigen Kräuter und erzählte gräuelhafte Geschichten davon; oder er erzählte ihnen vom Leben und der Haushaltung der Thiere, der zahmen und wilden; von den Quellen, Strömen und Meeren; von den Bergen und Höhlen; von den Ländern und Menschen auf Erden; von den Sternen, und wie weit sie von uns entfernt wären und wie groß. Das hatte er Alles gesehen und in Büchern gelesen.

Als das die großen erwachsenen Bursche im Dorfe sahen, bekamen einige Lust, Sonntags ebenfalls bei Oswald zu sein. Und er erlaubte es ihnen, denn ihre große Unwissenheit jammerte ihn. Und er lehrte sie noch allerlei, und gab ihnen auf, was sie in müßigen Stunden der Woche zu Hause lesen, rechnen und schreiben mußten. Das ging er dann Sonntags mit ihnen durch. So ward es eine wahre Sonntagsschule. Und es kamen immer mehr junge Leute dazu. Wer aber nicht sehr reinlich einherging, wer die [35] Wirthshäuser besuchte, wer Karten spielte, wer jemals schwor und fluchte oder einen Raufhandel hatte, den stieß er von sich. Er war ihr Schiedsrichter, und that doch immer, als wäre er Ihresgleichen. Sie halfen ihm dankbar auch in der Woche gern bei der Feldarbeit, ohne daß er es forderte.

Die jungen Leute aber, welche es mit Oswald hielten, wurden von ihren Kameraden im Dorfe ausgelacht und verspottet; man hängte ihnen Uebelnamen an, hieß sie Schulmeister und Gelehrte, und spielte ihnen allerlei Possen. Und die Gemeindsvorsteher sahen es gern, wenn man den Oswald und seine Freunde verfolgte; denn sie fürchteten, er wolle sich Anhang machen, um einst an ihre Stelle gewählt zu werden. Darum sagten sie ihm alles ersinnliche Böse nach, und wiegelten bei jeder Gelegenheit die Bauern und deren Weiber gegen ihn auf. – Oswald kam daher auch zu Niemanden; nur regelmäßig besuchte er die Mühle, wo er allezeit willkommen war.

Wie er aber eines Abends in die Mühle kam, fand er die lieben Leute darin alle mit verstörten Gesichtern. Der alte Siegfried war still und nachdenkend, die Müllerin kalt und verdrießlich, im Hause umherfahrend und die Thüren hinter sich zuwerfend; Elsbeth hatte rothgeweinte Augen.

Sobald Oswald mit Elsbeth allein war, sprach er: »Welches Unglück ist hier geschehen, und welcher böse Geist ist in dieses Haus des Friedens eingezogen? Ihr Alle seid wie verwandelt. Sage mir, Elsbeth, was ist vorgegangen.«

Elsbeth antwortete mit zitternder Stimme: »Gott sei's geklagt, Oswald, ich muß es dir sagen. Ja es muß heraus. Ich bin recht unglücklich.« So sprach sie, und konnte vor Weinen und Schluchzen nicht weiter sprechen.

Nachdem er sie beruhigt hatte, sagte sie: »Nun ist's ein Jahr, Oswald, da fandest du mich mit verweinten Augen und fragtest [36] mich, und ich sagte dir's nicht. Damals war der Löwenwirth Brenzel zu uns gekommen, und hatte bei meinem Vater und meiner Mutter um mich angehalten für seinen Sohn, der schon eine Mühle im Dorfe Altenstein hat. Und Vater und Mutter hatten nichts dagegen, denn der Löwenwirth ist der reichste Mann im Dorf, und erster Vorsteher der Gemeinde, der uns viel schaden und nützen kann; und mein Vater will keinen Schwiegersohn, als einen Müller. Ich aber sagte, ich sei noch jung, und wolle noch ein Jahr warten, und blieb dabei, und sie richteten bei mir nichts aus. – Nun ist das Jahr vorbei, und auf den Tag kam der Löwenwirth mit seinem Sohne wieder. Sie haben bei uns gespeiset, und Vater und Mutter hatten mit dem Löwenwirth schon alles in Richtigkeit gebracht, und die Verlobung sollte heute geschehen. Aber ich habe gesagt, ich wollte mich nie verheirathen, und bin dabei geblieben. Denn der junge Brenzel ist ein wüster Gesell, gleichwie sein Vater ein harter und wüster Mann ist. Nun ist im Hause Unglück und Herzeleid.«

Als Oswald dies hörte, ward er sehr unruhig. Er ging im Zimmer schweigend auf und ab. Er selber hatte sich im Stillen Hoffnung gemacht, daß Elsbeth einmal seine Frau werden müsse. Dann trat er mit hastigen Schritten zu ihr und sagte: »Elsbeth, liebe Elsbeth, du willst dich niemals verheirathen? So will auch ich ohne Weib bleiben mein Lebenlang, denn ich hätte kein anderes gewählt, als dich. Und ich habe dich allezeit mehr geliebt als mich selber, und hoffte immer, du würdest mir noch recht gut werden.«

Da sank Elsbeth weinend an die Brust Oswald und sprach mit gebrochener Stimme: »Ach Oswald, Gott weiß es, du bist mir allzulieb geworden, mehr denn recht ist. Aber mein Vater ist reich, und will einen reichen Sohn haben, und ändert seinen strengen Sinn nicht. Du aber bist nur ein geringer Schulmeister, und kannst noch lange keine Frau ernähren.«

[37] Da schloß Oswald die gute, weinende Elsbeth in seine Arme, und drückte den ersten Kuß auf ihre Lippen und sagte: »Nun bist du meine Braut und Verlobte, und keine Macht auf Erden soll dich wieder von mir nehmen. Fürchte dich nicht, du Holdselige, denn nun gehörst du mir an.«

Und er ging hinaus, den alten Siegfried und die Mutter zu suchen. Und Elsbeth hörte sie alle sehr laut und heftig mit einander reden, aber verstand nichts. Und sie zitterte vor großer Angst, und wußte in ihrer Noth keinen Rath. Da fiel sie an der Fensterbank auf ihre Knie, und faltete ihre Hände und betete inbrünstig mit thränenvollen Augen zum Himmel, während die Andern stritten. Und als es ihr leichter ums Herz ward und sie aufstand, sah sie draußen den Oswald, begleitet vom Vater und der Mutter, von der Mühle weg ins Dorf gehen.

Das vermehrte die Furcht und Angst über die Maßen. Keiner in der Mühle wußte, wohin die Aeltern mit dem Oswald gegangen. Sie wußte aber wohl, Oswald war hitzig und aufbrausend, und konnte gegen die Aeltern gefehlt haben und mit ihnen vor den Richter gegangen sein, und das war der Löwenwirth! In übergroßem Kummer betete sie viel für Oswald und sich.

Es war zehn Uhr Nachts, da hörte sie draußen Geräusch. Es kamen Vater und Mutter mit Oswald. Und Siegfried nahm seine Tochter und sprach: »Elsbeth, du hast also den Oswald lieb?« Sie antwortete und sprach: »Kann ich dafür? Ihr hattet ihn ja auch lieb.« Da legten die Aeltern die Hände Oswalds und Elsbeths in einander und segneten die Beiden als ihre Kinder. Elsbeth war ganz erschrocken, und wußte nicht, ob sie träume.

10. Oswald kommt in schlechten Ruf

[38] 10. Oswald kommt in schlechten Ruf.

Als am folgenden Sonntag in der Kirche der Schulmeister Oswald und Elsbeth als Brautleute von der Kanzel herab verkündet wurden, da rissen die Goldenthaler Bauern die Augen gewaltig auf, und die Weiber zischelten beständig einander etwas in die Ohren, und der Löwenwirth ging aus der Kirche, wie ein grimmiger Löwe, und schwor, er wolle nicht ruhen, bis er den meineidigen Müller sammt seinem ganzen Hause und dem Schulmeister zu Grunde gerichtet, aus dem Dorfe vertrieben und Alle ins Zuchthaus gebracht hätte oder an den Galgen. Nichtsdestoweniger feierten Oswald und seine Elsbeth nach drei Wochen in der Mühle sehr vergnügt ihre Hochzeit, dem grimmigen Löwen zum Trotz.

Und als die Neuvermählten Abends aus der Mühle heim kamen in Oswalds Hans, fiel Elsbeth ihrem Manne um den Hals und sagte: »Ach Gott, wie bin ich so glücklich! Ich kann noch nicht daran glauben, daß Alles wahr sei. Und man sagt wohl, es gibt betrübte, übelgerathene Ehen; könnten wir auch wohl Beide jemals aufhören, uns lieb zu haben, und könnten wir jemals wünschen, lieber getrennt, als ewig verbunden zu sein?«

Oswald antwortete und sprach: »Wir werden Beide mit einander glücklich sein, so lange wir leben auf Erden; aber wir müssen ein dreifaches Gelübde thun. Und so lange wir es redlich halten, wird Eintracht und Segen Gottes in unserer Ehe sein. Von heute an lebst du für mich, und ich lebe für dich; und wir wollen nie vor einander das geringste Geheimniß haben, und selbst wenn wir gefehlt haben, es uns einander sogleich offenbaren. Dadurch werden wir manchen Fehltritt und manches Mißverständniß verhüten, das oft schmerzliche Folgen haben kann. Dann aber wollen wir von unsern häuslichen Sachen [39] Niemandem, auch Vater und Mutter nichts offenbaren, daß Niemand in unsern Dingen reden könne, oder sich zwischen uns dränge. Nur so gehören wir Beide uns ganz an, als wären wir allein in der Welt. Endlich wollen wir niemals gegen einander böse werden, und nicht einmal zum Scherz mit einander böse thun; denn aus Neckerei wird oft Ernst, und was man zuweilen thut, daran gewöhnt man sich leicht.«

So sprach Oswald. Und Beide thaten sich einander gegenseitig das Gelübde vor Gott. Und wie sie den Bund mit einem Kuß besiegelten, stieg vor dem Hause in nächtlicher Stille ein sanfter schöner Gesang von vielen Stimmen empor. Das waren Oswalds Schüler und Schülerinnen im Gesang, die doch auch ihrem Lehrer eine Freude machen wollten. – Und wie die Neuvermählten folgenden Morgens aufgestanden waren, sahen sie viele Männer, Weiber und Kinder in der Ferne zusammengelaufen stehen, und auf das Haus schauen und darauf zeigen. Oswald öffnete neugierig das Fenster, und sah sein ganzes Haus wunderbar mit Blumenkränzen und Blumenschnüren umhängt und umsponnen. Das hatten in der Nacht still und heimlich seine Schüler und Schülerinnen gethan. Auch die kleinsten Kinder hatten dazu Feld- und Gartenblumen gesammelt. So lange das Dorf Goldenthal auf Erden war, hatte man dergleichen nicht erlebt, und als Oswald wieder zur Schule ging, kamen am ersten Tage nach seiner Hochzeit alle Kinder, groß und klein, reich und arm, und hatten sich mit Blumensträußen geschmückt, als wäre es ein großer Festtag. Das freute den Oswald und seine junge Frau recht innig; denn das verrieth doch gute Herzen voll Liebe und Erkenntlichkeit. Und sie küßten die Kinder, ließen ihnen Kuchen backen und theilten Allen aus.

Im Dorfe aber war viel eitles Geschwätz über die Hochzeit, und Jeder hatte seine Meinung darüber. Denn Niemand konnte [40] begreifen, daß es dabei mit rechten Dingen zugegangen sein solle, sintemal unerhört war, daß der reichste Müller im Lande seine schöne Tochter und einzige Erbin einem armen Schulmeister zur Frau gegeben. Um die Elsbeth würden auch wohl vornehme Herren aus der Stadt gefreit haben, so schön und reich war sie. Man wollte daher gern wissen, warum der Müller einen so einfältigen Streich gemacht habe? Aber der alte Siegfried lachte nur, und die Leute brachten von ihm nichts heraus. Auch die alte Müllerin ward von ihren Gevatterinnen sehr geplagt und geneckt mit dem armen, schlechten Schulmeister, und daß man einem hergelaufenen Kerl eine solche Tochter anhänge. Die Müllerin war bei aller Gottesfurcht doch eine stolze Frau. Daher thaten ihr die verächtlichen Reden weh, und als sie darüber einst vor Zorn fast weinte, sagte sie zur Adlerwirthin heftig: »Schweigt mit euerm dummen Geschwätz; ihr wisset so viel als nichts. Der Oswald könnte wohl den Adlerwirth und Kreuzwirth auskaufen. Er hat mehr, als man glaubt. Das hab' ich mit meinen leiblichen Augen gesehen. Wenn ich nur reden dürfte, ich könnte euch Dinge sagen, ihr solltet Maul und Nase aufsperren.« So sprach sie und schwieg plötzlich, und war verdrießlich, daß sie im Zorn mit etwas herausgeplatzt war, das sie verschweigen wollte. Auch erfuhr die Adlerwirthin weiter nichts, und mußte noch dazu versprechen, es Keinem wieder zu sagen.

Die Adlerwirthin sagte es auch Niemandem, als ihrer Schwester und ihrem Manne, die vorher geloben mußten, das Geheimniß bei sich zu behalten. Aber sie erklärten die Reden der Müllerin so, als habe diese mit leiblichen Augen ganze Haufen Goldes und Silbers bei Oswald gesehen; und Oswald könne, wenn er wolle, das ganze Dorf kaufen; und es gingen im Hause Oswalds manchmal Dinge vor, daß, wenn man sie sagen dürfte, den Leuten die Haare zu Berge stehen würden. Dem Adlerwirth und seiner Schwägerin, als sie dies hörten, standen vor Entsetzen wirklich schon die [41] Haare gen Berge, und sie konnten nicht anders, und vertrauten das Geheimniß nur einigen ihrer besten Freunde.

Nach wenigen Tagen wußten die Leute in Goldenthal weit mehr, als die Müllerin gesagt hatte. Da hieß es, der Oswald stünde mit dem Fürsten der Hölle im Bündniß; dem habe er mit eigenem Blute seine arme Seele verschrieben. Doch dreißig Jahre lang solle der Böse den Willen des Schulmeisters thun; am Ende des letzten Jahres werde der Teufel Oswalds Seele in der heiligen Christnacht zwischen Eilf und Zwölf holen, und dem Unglücklichen den Kopf umdrehen, daß das Antlitz im Nacken stehen bleibe. Der Schulmeister habe Gold, so viel er begehre, und der schönen Elsbeth habe er einen Liebestrank beigebracht, daran sie hätte entweder rasend werden oder jämmerlich sterben, oder ihn heirathen müssen. Ferner, der Oswald könne Geister bannen, Schätze heben, das Fieber besprechen, den Kühen es anthun, daß sie blaue Milch oder wohl gar Blut geben müßten; er könne das Feuer bannen, sich stich- und kugelfest machen, auf einem Besen durch die Luft reiten und viele andere Dinge mehr. Das habe er alles aus gefährlichen Büchern erlernt; er habe Doktor Fausts Höllenzwang, Kaiser Caroli Halsgerichtsordnung und das Buch von Salomonis Siegelring.

Von diesem Augenblicke an fürchteten sich die Leute in Goldenthal vor dem Schulmeister entsetzlich. Keiner that ihm etwas zu leid, aus Angst vor Oswalds Rache und höllischem Bundesgenossen. Sogar der grimmige Löwenwirth unterstand sich nicht, ihm oder dem Müller etwas in den Weg zu legen. Manche Leute schlugen heimlich ein Kreuz, wenn sie dem Oswald von ungefähr begegneten.

11. Elsbeth steht in gutem Ruf

[42] 11. Elsbeth steht in gutem Ruf.

Wenn aber die jungen Leute des Dorfes der Elsbeth begegneten, die da blühte wie eine Rose, schlug Niemand vor ihr ein Kreuz, sondern Jeder nickte ihr den freundlichsten guten Tag; und wenn sie vorbei war, blieb wohl Mancher gar still stehen und sah ihr nach. Denn Elsbeth war eine schöne Frau, und sie schien mit jedem Tage schöner zu werden, daß sich selbst die Mädchen in Goldenthal darüber wunderten. Dennoch war sie nicht kostbarer gekleidet oder geputzter, als andere Frauen waren. Aber man mochte sie sehen Sonntags oder Werkeltags, Morgens oder Abends, sie war immer, als wollte sie zum Tanz gehen. Sie arbeitete in der Sonnenhitze auf dem Felde und im Garten; sie ging in den Stall und besorgte Kuh und Schwein; trug Gemüs und Eier zum Verkauf in die Stadt – und dabei war sie allezeit sauber und zierlich, und kein Fleck an ihren Kleidern.

»Ich glaube beinahe, die kann auch schon hexen!« sagte die Löwenwirthin, indem sie eine Prise Schnupftabak nahm, und sich die Nase mit dem Aermel wischte.

»Ja wohl!« sagten die jungen Männer alle: »Die kann es. Wenn Elsbeth nicht schon verheirathet wäre, sie würde uns allen die Herzen aus dem Leibe hexen, so schön ist sie!«

Und die verheiratheten Männer im Dorfe verfuhren gar oft grob mit ihren Weibern, und gaben ihnen Schmähworte und Ohrfeigen, daß sie nicht auch so schön geblieben waren, wie die Schulmeisterin. Dann heulten die Weiber und fluchten und schworen und zerkratzten ihren Männern das Gesicht mit ihren langgewachsenen Nägelkrallen.

Zwei Mädchen, welche Elsbeths Freundinnen waren und bald Hochzeit machen wollten, kamen zu Elsbeth und sprachen: »Du bist nun seit Jahr und Tag eine Frau, und bist so hübsch wie [43] eine Jungfrau. Und alle Männer bewundern dich, und alle Weiber müßen dich beneiden. O Elsbeth, sage uns an, wie du das machest? Denn siehe, du weißt es, sobald bei uns eine Tochter einen Mann hat, wird sie häßlich und wüst, und die Liebe hört auf. So ist es nicht bei dir.«

Die junge Schulmeisterin antwortete und sprach: »Ich will es euch sagen. Die Weiber haben allein die Schuld. So lange sie Jungfrauen sind, und den jungen Burschen gefallen wollen, schmücken sie sich, und alles Geld, was sie haben und verdienen, stecken sie in neuen Putz. Da sind sie sauber und glatt, daß ihre Stirn glänzt an der Sonne, und ihr Haar ist wie gemalt. Haben sie endlich einen Mann, da denken sie nicht mehr daran, gefallen zu wollen. Da gehen sie des Morgens lange umher mit Stroh und Bettfedern im ungekämmten Haar; vergessen, sich jedesmal zu waschen, wenn sie unrein werden, und denken, wenn sie recht wüst kommen, das stehe einer Frau gut, und man sehe ihr an, daß sie viel handthiere. Dann muß gespart werden; der Mann braucht Geld, und man kann es nicht mehr, wie als Tochter, in allerlei Putzkram stecken. Das Gewand wird alt und beschmiert und schadhaft; das Ausbessern kostet viel Geld, und Selbermachen hat keine gelernt. So gewöhnt man sich an Lumperei und Sudelei, und die Frau wird vom Unflath entstellt und wüst, weil sie nichts mehr auf sich hält. Und sie wird endlich dem Manne selbst gleichgültig oder zum Ekel, und dann kommt der Unfriede ins Haus, sobald die Frau mit Löchern in den Strümpfen geht.«

Die Mädchen sprachen: »Elsbeth, du hast wohl Recht.«

Die junge Schulmeisterin sagte: »Als ich den Oswald nahm, dachte ich sogleich darauf, wie ich ihm beständig gefallen könne, denn ich hatte ihn gar lieb. Und ich nahm mir vor, noch mehr auf mich selber zu halten, als zuvor, und nie vor seinen Augen zu erscheinen, als gewaschen und zierlich, allzeit mit unbeflecktem [44] Gewand. Darum nahm ich sorgfältig meine Kleider in Acht; darum mußt' es in meinem Stall und in Küche und Keller so sauber sein, als in einer Stube. Der geringste Fleck in meinem Anzuge mußte sogleich ausgemacht werden. So blieben meine Kleider wie neu, und ich selber blieb darin meinem Manne alle Tage neu.«

Die Mädchen sprachen: »Aber Elsbeth, die Zeit zerreißt endlich das sauberste Gewand; woher ein neues Kleid anschaffen, wenn der Mann kein Geld gibt?«

Elsbeth antwortete: »Ich gebrauche weniger Geld zu Kleidern, als Andere. Denn ich bessere mit wenigen Nadelstichen das kleinste Loch aus, damit es nicht größer werde. So kostet es nichts als Faden und Zwirn. Andere aber tragen ihr Zeug, bis es alt ist, und lassen daran, was schadhaft ist; dann wird aus einem kleinen Loch ein großes, und in kurzer Zeit wird alles zu Fetzen, und man muß neues Gewand kaufen, während ich immerfort mein altes trage und damit viel Geld erspare. Hausfrauen, die nicht flicken und nähen können, verschwenden großes Geld und gehen doch wie aus dem Koth gezogen.«

Als Elsbeth solche Worte redete, wurden die Beiden Mädchen roth, und fingen an zu weinen und sprachen: »Wir haben nicht so sauber nähen und flicken gelernt, wie du. Das wird uns viel Schaden im Hause bringen, und wir sehen viel Leiden voraus, und wir können es nicht ändern.« Und die Mädchen gingen traurig weg.

Darauf erzählte Elsbeth ihrem Manne das Gespräch mit den Freundinnen und sagte, sie wolle beide nähen und flicken lehren, denn es erbarme sie, wenn die beiden Mädchen sollten unglücklich werden.

Oswald drückte seine gute Frau an sein Herz und sprach: »Damit wirst du dir einen Segen Gottes verdienen und selber ein Segen dieses Hauses werden. Nicht nur die beiden Mädchen lehre, sondern Alle, die von dir lernen wollen. Viele Haushaltungen im Dorfe[45] werden arm und elend bei aller Arbeit und Mühe, weil die Weiber nicht die rechte Haushaltungskunst verstehen. Sie verstehen nicht, ihre Gärten mit allerlei gesundem Gemüse zu bepflanzen, damit sie Abwechslung bei den Speisen haben. Wollen sie einmal gut kochen, thun sie viel Speck und Fett und Schmalz und Oel an, und kostet viel, und wird doch nichts Rechtes, sondern ein ungesundes Essen. Die schlechte Nahrung setzt schlechtes Blut ab und böse Säfte. Davon kommen Krankheiten, die kosten viel Geld, und mit dem Arbeiten geht es bei kränklichen Leuten schlecht. – Eben so ist's mit den Kleidern. In den Dörfern sind wohl Näherinnen, aber weil sie mit dem Nähen ihr Geld verdienen, hüten sie sich wohl, Andere anzuweisen. Die nun nicht flicken und nähen können, gehen mit Löchern in Aermeln und Strümpfen, oder so grob geflickt, daß das Geflickte ärger dasteht, als das Zerrissene. Immer muß bald wieder Neues angeschafft werden, das kostet viel Geld und macht arm. Es ist wohl himmelschreiend, daß nicht in jedem Dorfe wenigstens eine brave, verständige Frau ist, eine Pfarrerin oder Haushälterin des Pfarrers, eine Amtmannsfrau oder eine Müllerin, oder Eine, die das Kochen und Gärtnen, das Nähen und Flicken versteht, und unentgeltlich die Bauerntöchter unterrichtet. Das würde viel Geld und Wohlstand im Dorfe behalten, und viele frohe, glückselige Ehen machen. Elsbeth, geh', verdiene dir einen großen Gotteslohn.«

So sprach Oswald.

Und alsbald ließ Elsbeth freudig ihre zwei Freundinnen kommen, und zeigte ihnen alle Tage in einer Feierabendstunde die Kunst, beim Nähen des Weißzeuges feine, gleichmäßige Stiche zu machen, abgeriebene oder schadhafte Stellen der Kleider, oder Risse in denselben so säuberlich zu vernähen, daß man den Schaden kaum sah. Sie lehrte sie, Hemden für Männer, Weiber und Kinder zuschneiden, mit möglichster Benutzung der Länge und Breite der[46] Leinwand, daß es nicht viel Abfall gab; eben so Strümpfe aus Wolle und Baumwolle stricken, mit zierlichen Zwickeln, oder die Löcher darin unsichtbar machen. Sie führte sie im Haus umher; da war beständig aufgeräumt, denn Alles hatte seinen Platz, und wer etwas gebrauchte, legte es sogleich wieder an den Platz, wohin es gehörte. Und sie führte sie in den Stall und Keller; da war es reinlich und trocken, und weil man immer gern säuberte, war nie darin auf einmal viel zu thun. Und sie führte sie in den Garten, und lehrte sie allerlei Küchenkräuter säen und setzen, und wenn sie reif waren, wie man sie bewahren und benutzen könne zu schmackhafter Nahrung. Und sie führte sie in die Küche, und lehrte sie die Speisen sauber und reinlich bereiten, und kochen mit wenigem Fett und einfacher Zuthat, daß dennoch alles sehr angenehm, nahrhaft und gesund ward. Zuweilen wurde sogar ein Braten gemacht und kostete wenig. Elsbeth hatte von der Mutter gelernt, in der Geschwindigkeit allerlei Suppen zuzubereiten und das Fleisch auf allerlei Weise zuzurichten, und für den Winter Bohnen, Sauerkraut, Kohl, Gurken und anderes Gewächs einzumachen.

Die beiden Mädchen wunderten sich sehr, denn sie hatten dergleichen bei ihren Müttern nie gesehen, und freuten sich, wenn sie Hochzeit gehabt hätten, wie sie ihren Männern gütlich thun wollten, ohne daß es mehr kostete, als sonst.

Da sie nun andern Mädchen sagten, was sie bei der Schulmeisterin alles erfuhren und lernten, und wie sie ganz wie die Elsbeth werden wollten, kam von den andern Mädchen eins um das andere zur Elsbeth und bat, ebenfalls ein wenig unterrichtet zu werden. Zuletzt ward es bei der Elsbeth wie eine wahre Schule. Denn weil Elsbeth allen jungen Männern gefiel, wollten alle Mädchen wie Elsbeth werden.

Oswalds Frau hatte wohl Anfangs etwas Mühe, hintennach aber befand sie sich gar wohl dabei. Denn nun hatte sie viel Hülfe [47] im Garten und im Stall, und Andere mußten für sie zuweilen kochen, und Andere für sie feines Zeug nähen, wenn es sonst nichts zu thun gab. Und man sah es schon folgendes Jahr vielen Gärten bei den Häusern im Dorfe an, daß da neue Ordnung hineingekommen sei. Und eine Nachbarin schaute der andern über den Hag, und sah, was sie pflanze oder säe, und wie sie es mache, und bettelte um Setzlinge oder Samen. Danach, wie der Sommer und Herbst kam, trugen viele Bauernweiber vom Ueberfluß ihres schönen Gemüses zum Verkauf in die Stadt, und brachten schönes Geld wieder nach Hause. Das machte allen große Freude, nur denen nicht, die es nicht so hatten. Die gingen dann auch zur Elsbeth und fragten um dies und das. Und Elsbeth gab guten Rath, und Alles, was sie wußte und, seitdem sie unterrichtete, noch selber gelernt hatte. Sie that das sehr gern, denn sie war herzgut, und Worte sind ja nicht kostbar, zumal jungen Weibern.

Das erwarb der Schulmeistern viele Liebe und angenehmen Ruf, und Jedermann lebte ihr zu Gefallen. Und alle Welt im Dorfe hatte rechtes Mitleiden mit der hübschen guten Frau, daß sie den Oswald zum Manne habe, weil er doch in die Hölle müsse. Denn man wußte wohl, er sei ein Hexenmeister, der böse Künste treibe und mit Leib und Seele verloren gehe.

12. Wie der Löwenwirth auf die Nase fällt, und was sich weiter begeben hat

12. Wie der Löwenwirth auf die Nase fällt, und was sich weiter begeben hat.

Oswald mochte es anstellen, wie er wollte, man legte ihm alles übel aus. Wenn er die Kinder lehrte, daß es keine Gespenster gäbe, sondern daß das nur Einbildung furchtsamer und abergläubiger Leute wäre: so sagte man im Dorfe, er glaube weder einen Gott noch einen Teufel. Oder wenn er den Kindern in der Schule die giftigen Pflanzen in den Feldern und Wäldern zeigte, [48] damit sie solche kennen und sich vor dem Genuß der Beeren und Wurzeln hüten lernten: so sagte man im Dorfe, er wolle die Kinder Giftmischerei lehren. Besonders lauerte ihm der Löwenwirth Brenzel auf, und sammelte sorgfältig alle bösen Reden über Oswald.

Als er endlich genug wußte, sprach er: »Ich weiß genug, um ihm den Hals zu brechen. Er muß vor Gericht, und seine eigene Schwiegermutter, die Müllerin, soll wider ihn zeugen und vor Gericht bekennen, was sie von ihm weiß. Als Vorsteher ist es meine Pflicht, zu reden. Ich kann das nicht länger dulden, ohne verantwortlich zu werden.«

Also machte er sich eines Sonntags auf und legte seine Staatskleider an, setzte den dreieckigen Hut recht majestätisch auf, nahm das spanische Rohr mit dem silbernen Knopf, und ging mit breiten Schritten zum Dorf hinaus nach der Stadt. Er sagte aber keinem Menschen ein Wort davon, daß er im Sinn habe, dem Oswald bei der hohen Obrigkeit böses Spiel zu machen. Denn er fürchtete, wenn der Hexenmeister Wind davon bekäme, der könne ihm Schaden zufügen, ehe er noch zur Stadt gelangt wäre.

Und wie er auf der Landstraße allein ging, sprach er im Eifer laut mit sich selber, als wenn er schon vor einem Herrn Rathsherrn stände; und er lief dabei immer schneller, und fuhr im Zorn bald mit der rechten, bald mit der linken Hand in der Luft herum, wie ein Pfarrer auf der Kanzel. Bei diesem Eifer kam im Laufen der lange Stock zwischen die Beine, also daß er stolperte, und über den Stock auf den Erdboden fiel. Der Hut flog weit hinweg, die Nase schlug sich platt, und seine Beine stiegen hoch aufwärts, als wolle er gar auf den Kopf stehen. Er stand ächzend und fluchend auf, und nahm seinen Hut aus dem Staube. An seiner Stirn aber schwoll eine Beule, als wollte ein Horn heranwachsen, und seine blutende Nase war blau, wie eine dicke Pflaume. »Das hat [49] mir gewiß der Oswald angethan!« dachte er, und fürchtete sich, weiter zu gehen, damit ihm nichts Schlimmeres begegne.

Indem er noch mit dem Schnupftuch das Blut von der Nase wischte, kam die Straße daher in vollem Galopp ein Herr zu Pferde, Hut und Rock mit goldenen Tressen besetzt. Der hielt vor dem Löwenwirth still und fragte hastig: »Wohnt dort im Dorfe ein gewisser Herr Oswald, und ist er zu Hause?«

Der Löwenwirth sprach: »Ja, warum denn?«

Der Fremde rief: »Der Erbprinz will ihn besuchen.« So sprach der Fremde und jagte davon nach Goldenthal.

Der Löwenwirth sperrte vor Verwunderung Maul und Nase auf und sagte: »Wa – wa – was? Der Erbprinz? Ein Prinz zu dem Oswald?« Wie er dies sagte, fuhr im Galopp ein prächtiger Wagen mit sechs Pferden daher, schöne Bediente vorn und hinten auf. Darin saß ein junger Herr im blauen Oberrock, der hatte auf der Brust einen silbernen Stern. Der Wagen fuhr vorbei nach Goldenthal.

»Der Blitz und der Hagel!« schrie Brenzel: »Der Prinz will gewiß bei mir einkehren. Ich bin nicht zu Hause, und nun fährt er zum Adler!« Brenzel lief, was er konnte, ins Dorf zurück. Da gerieth ihm abermals im vollen Sprung der lange Stock zwischen die langen Beine, daß er wiederum zu Boden fiel, wie ein Baum. Alle Rippen krachten ihm im Leibe, und seine Staatskleider waren gräßlich gesalbt. Er hinkte fluchend und langsam zum Dorfe. Da er vor seinem Hause keinen Wagen sah, ward er voll Gift und Galle, denn er dachte, der Prinz sei beim Adlerwirth Kreidemann eingekehrt. Er hinkte also weiter, aber er sah auch keinen Wagen beim Adler. So ging er in sein Haus zurück, und keine Seele war darin. Er legte andere Kleider an und wusch sein Gesicht, und erschrak, wie er sich mit der faustdicken Nase und gehörnten Stirn im Spiegel erblickte, wiewohl man im Spiegel wegen des [50] Fliegenkothes nicht viel sah. Nun wetterte er, wie ein grimmiger Löwe, auf seine Leute, die alle davon gelaufen waren. Da kam die Magd ganz odemlos und rief: »Herr, beim Schulmeister ist ein lebendiger Kaiser angekommen, oder wohl gar ein König! Das ganze Dorf ist vor Schulmeisters Haus zusammengelaufen.«

Brenzel wußte nicht, was thun; ging endlich aber doch hinaus vor Schulmeisters Haus zu den Leuten. Nach einer halben Stunde kam der Erbprinz aus der Hausthür, und hatte Oswalden an der einen und Elsbethen an der andern Hand, und war gar freundlich mit ihnen. Und wie er in den Wagen gestiegen war, reichte er ihnen Beiden noch einmal die Hand zum Abschiede, und dann fuhr er im sausenden Galopp davon, Reiter voraus. Alle Bauern hatten die Hüte ab und vor Erstaunen das Maul auf.

Nun war's im ganzen Dorfe ausgemacht, der Schulmeister könne mehr als Brod essen. Der Prinz komme zu keinem Dorfschulmeister, bloß um ihn zu besuchen, und sei um nichts und wieder nichts so freundlich mit ihm gewesen. Große Herren brauchen viel Geld, und dazu brauchen sie Schatzgräber und Goldmacher und desgleichen. Große Herren seien nicht immer die frömmsten, das wisse man wohl, und machen sich nichts daraus, wenn sie schlimm aus der Welt gehen, sobald sie nur gut in der Welt leben können.

Diese und andere Reden gingen von der Zeit an im Dorfe, und vielen verlumpten und verarmten Bauern im Kopfe herum. Und Viele wurden vertraulicher und sprachen Einer zum Andern: »Wüßte ich nur, wie es anfangen, ich machte mir nichts daraus. Ich verschriebe mich heute noch dem Teufel, wenn's sein müßte, und wäre ich nur meine Schulden los und hätte Geld genug und vollauf. Ich wollte es ganz anders machen, wie der Schulmeister. Der Schulmeister ist ein dummer Teufel, daß er hier wohnt und lebt, wie unsereins. Ich führe, wie der Erbprinz, mit sechs Pferden, [51] Bedienten und Sternen, und hätte die Küche voll Braten, den Keller voll Wein. Ja, noch heute gäb' ich meine arme Seele drum.«

Solche ruchlose Reden führten die Leute ohne Scheu. Reichthum verdirbt das Herz; aber die Armuth verdirbt es nicht weniger. Und wenn Armuth und Dummheit und böse Lüste beisammen sind, ist des Teufels Kleeblatt fertig. So ist es in manche Dorfe, und so war es leider auch in Goldenthal.

13. Der Goldmacher-Bund

13. Der Goldmacher-Bund.

Oswald wunderte sich nicht wenig, wie von nun an bald Dieser, bald Jener zu ihm kam, heimlich mit ihm reden wollte, und dann mit der gottlosen Sprache herausrückte und sagte: »Oswald, du kannst Gold machen, das ganze Dorf weiß es. Lehre mich es auch. Du verstehst die schwarze Kunst. Wenn der Teufel erscheint, ich will mich gar nicht fürchten. Wenn er die Unterschrift mit meinem Blute verlangt, ich will mich ihm mit Leib und Seele zuschreiben. Siehst du, es thut mir Noth, sonst thät ich's nicht.«

Lange wußte Oswald nicht, was er zu der Verderbtheit dieser Menschen sagen sollte. Da ihrer endlich aber immer mehr kamen, und nicht mit Bitten nachließen, beschied er sie alle, doch jeden einzeln, auf eine und dieselbe Mitternachtsstunde zu sich.

Und alle kamen in der finstern Nacht, die er ihnen angesagt, zu seinem Hause geschlichen, sobald es im Thurm der Dorfkirche eilf Uhr geschlagen. Er führte Jeden, wie er ankam, schweigend in eine finstere Stube. Es waren ihrer zweiunddreißig Hausväter. Jeder erschrak entsetzlich, wenn er in der Dunkelheit an den Andern stieß und etwas Lebendiges neben sich spürte. Denn Keiner wußte von den Uebrigen. Vielen floß der Angstschweiß vom Gesicht, und einige hatten so große Furcht, daß sie wieder davon gelaufen[52] wären. Aber sie zitterten, es könne ihnen dann das Lebenslicht ausgeblasen werden.

So standen sie eine Stunde in tiefer Stille und Angst, und wagten kaum, zu athmen. Da schlug's im Thurm zwölf Uhr. Und mit dem letzten Glockenschlage ging abermals die Thüre auf. Es trat ein Offizier herein, prächtig gekleidet mit hohem Federbusch und langem Säbel, auf der Brust einen Orden. Der trug in den Händen zwei brennende Kerzen; die setzte er vor ihnen auf den Tisch. Als nun Alle sich einander erkannten, schämten sie sich erst vor einander; denn sie merkten, daß sie Alle aus gleicher Absicht gekommen wären. Und sie sahen wieder auf den glänzenden Offizier, den sie für den bösen Geist hielten; aber sie erkannten in ihm den leibhaftigen Oswald.

Oswald hatte ein ernstvolles Gesicht und sprach: »Sehet mich nur an, ihr Unglücklichen; nun erkennet ihr, wer ich bin. Ich treibe keine schwarze Kunst; ich halte es mit Gott. Ihr aber seid längst von Gott abgefallen; ihr habet gesoffen und geschwelgt; ihr habet betrogen und gelogen; ihr habet gestohlen und verrathen; ihr habet gespielt und Weib und Kind vergessen; ihr habet Teufelei getrieben und Teufelswerk. Darum seid ihr arm und verzweifelt geworden. Ehrlichkeit aber währt am längsten; Gottesfurcht macht reich. In Gottes Wegen ist Gottes Segen. Ich will nicht reich sein, aber ich bin nicht arm. Wollt ihr's nun haben, wie ich, so machet es wie ich.«

So sprach Oswald, und zog einen großen Beutel hervor und leerte ihn auf den Tisch aus. Da fielen klingend eitel schöne Goldmünzen auf den Tisch, und rollten umher und verblendeten die Augen. Die Bauern hatten in ihrem Leben so viel Gold nicht beisammen erblickt. Ihre Herzen schlugen gewaltig.

Oswald aber that den Mund auf und sprach: »Wahrlich, ich sage euch, das hier macht mich nicht glücklich, aber die Weisheit [53] macht glücklich, mit der man dies Geld erwirbt und benutzt. Ihr seid zu mir gekommen, ich sollte euch die Kunst lehren, Gold zu machen. Ich will euch diese Kunst lehren. Sie ist die beste Weisheit des Lebens, und mehr als das Gold selbst werth. Habet ihr die Weisheit, so werdet ihr das Gold haben und es nicht mehr hochachten. Aber ihr kommet nicht zu dem Glücke, ohne vorher geprüft worden zu sein. Und die Zeit der Prüfung währt sieben Jahre und sieben Wochen. Wer ausharrt bis ans Ende, wird Freuden über Freuden ärnten. Wahrlich, ich sage euch, wenn diese Zeit erfüllt ist, wird Jeder von euch mehr Gold auf seinen Tisch werfen, als eure Augen hier sehen. – Die Prüfung aber ist dem Gottlosen schwer und dem Sünder hart. Denn er muß sein ganzes Herz umkehren und ein neuer Mensch werden.«

Die zweiunddreißig Hausväter hörten in banger Stille die Worte Oswalds. Sie betrachteten ihn alle mit starren Augen.

»Wer von euch,« sprach Oswald, »die sieben Jahre und sieben Wochen der Prüfung bestehen will, kann bleiben. Wer sich fürchtet oder im Glauben wankt, gehe fort von hier.«

Keiner ging.

»Wohlan,« rief Oswald, »so müsset ihr mir vor dem allgegenwärtigen Gott sieben Gelübde geloben, und solche während sieben Jahren getreu halten.«

Erstens: Ihr müsset sieben Jahre und sieben Wochen lang alle Wirthshäuser meiden, aber desto fleißiger zur Kirche gehen und Gottes Wort hören, und darnach thun.

Zweitens: Sieben Jahre und sieben Wochen lang keine Karten, keine Würfel berühren, und nichts, womit man um Geld spielt.

Drittens: Sieben Jahre und sieben Wochen darf kein Fluch, kein Scheltwort aus euerm Munde gehen, auch keine Bosheit, Lästerung und unwahre Rede.

Viertens: Sieben Jahre und sieben Wochen muß euer Tagwerk [54] Gebet und Arbeit sein. Morgens und Abends sollt ihr feierlich mit Weib und Kindern auf die Knie fallen, zu Gott beten, eure Sünden bereuen. Euere Arbeit sollt ihr mit Fleiß und Treue verrichten, keine Schulden mehr machen.

Fünftens: Wer binnen sieben Jahren und sieben Wochen sich mit Wein und Branntwein ein einziges Mal berauscht und vergeht, ist aus unserer Gemeinschaft verstoßen.

Sechstens: Auf dem Acker, welchen ihr bauet, soll kein Unkraut wachsen, in euern Wohnungen kein Unflath liegen. Euere Hütten und die Ställe des Viehes und alles Geräthe, was ihr habet, soll von Reinlichkeit glänzen. Daran werde ich euch erkennen.

Siebentens: Euer Leib soll sein ein Tempel Gottes, darum keusch, züchtig und ehrbar; auch von aller Unreinigkeit frei an Haut und Haar und Gewand. So auch bei Kindern. Das soll unser Zeichen sein.

»Wer nun diese sieben Gelübde geloben und halten will, der trete hervor und reiche mir die Hand zum Bunde. Dem Schwachen wollen wir helfen.«

Als Oswald so gesprochen hatte, traten die Zweiunddreißig einer nach dem andern hervor, jeder reichte dem Oswald die Hand über den Tisch voller Gold, und sprach: »Ich will!«

»So gehet denn heim in Frieden und wendet euch noch vor Schlafengehen im Gebet zu Gott, daß er euch Stärke verleihe, das Gelübde zu halten. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn die Zeit erfüllt ist, wird Jeder mehr Gold auf seinen Tisch werfen, als eure Augen hier sehen!« So sprach Oswald, und ermahnte die Leute, von Allem, was sie diese Nacht gesehen und gehört hätten, keinem Menschenkinde etwas zu verrathen, ja sogar selbst nie von dem zu reden, noch auf das zu deuten, was diese Nacht angehe.

Damit entfernten sich die Zweiunddreißig in großer Stille. [55] Unterwegs sprach Keiner mit dem Andern ein Wort. So voll waren sie von allen dem Wunderbaren, das sie vernommen hatten. Sie hatten ganz andere Dinge erwartet zu erleben, und gerade das Gegentheil erfahren. Mancher, wenn er an die Gelübde dachte, fühlte zwar Bangigkeit, denn sie waren auch gar zu streng. Aber das Geheimnißvolle, und die sieben Jahre und sieben Wochen, und die Reden des Oswald, und der Tisch voll Goldes, und der prächtige Offizier mit dem Orden auf der Brust und die schwarze Mitternachtsstunde, das konnte Keiner wieder vergessen, und es war wie ein seltsamer Traum.

14. Die Leute verwundern sich sehr

14. Die Leute verwundern sich sehr.

»Was gibt's denn, Velten? Kaspar, was gibt's denn?« fragte der alte lahme Wächter, als er am andern Tage durchs Dorf entlang ging: »Was gibt's denn? Kommt wieder ein Prinz oder Kaiser, oder gar ein Bürgermeister aus der Stadt? Was ist denn los, daß ihr so aufputzet?« So fragte er, und man lachte.

Es fiel aber wirklich vielen Menschen auf, und war in vielen Häusern ein sonderbares Leben. Da wurden Fenster gewaschen, Fußboden gescheuert, Thüren gesäubert, Tische, Schemel und Bänke gefegt. Sogar vor den Häusern wurde Alles in Ordnung gebracht, Schutt und Unflath auf die Seite geschafft, und allem, was herum lag, ein besserer Ort gegeben. Die zweiunddreißig Hausväter wußten es wohl, sagten aber nichts. Denn sie dachten: in sieben Jahren haben wir alle Kisten und Kasten voll Geld.

Als Oswald die Geschäftigkeit der armen Leute sah, sprach er zu Elsbeth: »Ich weiß nicht, ob ich darüber traurig werden oder lachen soll. Denn siehe, was die Leute nicht aus eigenem Gefühl, nicht aus Liebe zu Weib und Kind, nicht aus Liebe zu Gott, nicht aus Noth und Ueberzeugung früher gethan haben, das thun sie [56] jetzt aus abergläubischer Furcht und Hoffnung. Wie thöricht sind doch die Menschenkinder! – Aber sie sollen durch den Aberglauben zur Erkenntniß der Wahrheit, und durch ihre Verderbtheit zur Rechtschaffenheit eingehen.«

Die Verwunderung im Dorfe ward aber von Woche zu Woche größer. Denn die Wirthshäuser wurden fast leer. Sonntags hörte man auf der Kegelbahn weder Kegel, noch Flüche, noch Gelächter. Kartenspiel und Würfel rührte fast Keiner mehr an. Den Wirten ward im Keller das Bier sauer, weil es Keiner mehr trank. Von Wein und Branntwein hatten sie nur einen geringen Absatz. Die meisten Leute blieben daheim bei Frau und Kindern, oder gingen auf die Felder und besahen ihre wenigen Aecker und beriethen, was in der Woche daran zu machen und zu bessern sei. Die, welche vormals zu den lustigen Brüdern gehörten, thaten jetzt gar ernsthaft und altklug; die, welche sonst ein wüstes Leben führten, waren in der Kirche sehr andächtig. Die, welche sonst gern herumlagerten und müßig gingen, waren jetzt vom Morgen bis zum Abend an der Arbeit, im Taglohn oder auf ihren Feldern.

Der Adlerwirth, wenn er Sonntags seine leeren Bänke und Tische beschaute, brach vor Wehmuth fast in Thränen aus. »Sind denn die Leute alle verrückt geworden im Kopf?« schrie er. »Was für ein Kukuk ist ihnen in den Leib gefahren. Das kann so nicht gehen. Dabei kann kein Ehrenmann länger bestehen. Es muß im Dorfe andere Ordnung werden. Das ist schändliche Ordnung!«

Der Gemeindsvorsteher Brenzel sagte: »Wenn das Unwesen so fortgeht, muß ich die Wirtschaft aufgeben. Aber ich merk' es wohl, das ist ein infames Komplott gegen mich. Man will mich zu Grunde richten. Aber ehe das geschieht, soll das Dorf zu Grunde gehen. Wenn ich nur dahinter kommen könnte, wer diese Teufelei angerichtet hat.«

Sogar dem Herrn Pfarrer war die Sache aufgefallen. Er [57] rechnete nach und fand, daß die Aenderung so vieler Menschen angefangen hatte seit dem Sonntag, da er eine sehr lange Predigt über die christliche Wiedergeburt durch den Glauben gehalten hatte. Er meinte, damit habe er Alles ausgerichtet, und sagte es auch. Nun aber verfolgten ihn seit einiger Zeit die Gemeindsvorsteher, wo sie konnten, und die Wirthe spielten ihm allerlei böse Streiche hinterrücks, und gingen fast gar nicht mehr zur Kirche.

Der Adlerwirth, um sein saures Bier anzubringen, verkaufte es um halben Preis; er schwefelte seinen Wein, und machte ihn süß, und bezahlte alle Sonntage Spielleute, die mußten lustig aufspielen. Aber von den zweiunddreißig Hausvätern, ihren Söhnen und Töchtern kam Niemand.

Der Löwenwirth suchte gleichfalls seine Kunden wieder an sich zu locken, that freundlich, schenkte Manchem umsonst ein und fragte: »Warum kommst du gar nicht mehr trinken?« Sie antworteten: »Wir haben kein Geld!« – Dann rief er: »Ei, Dummheit! Ihr wisset ja, ich bin nicht so streng, und borge schon. Ihr seid mir lange gut genug.« – Aber die Leute kamen doch nicht.

Da gerieth der grimmige Löwe in Wuth und sprach: »Wenn ihr mir' s so macht, will ich euch die Faust auch zeigen. Ihr sollt an den Löwenwirth Brenzel glauben lernen!«

15. Die Schuldbücher werden aufgethan. Die Sparkasse und die Garküche

15. Die Schuldbücher werden aufgethan. Die Sparkasse und die Garküche.

Nun schlich bald der Eine, bald der Andere von den armen Leuten, die zu dem Goldmacherbund gehörten, in das Haus des Schulmeisters, und klagte seine Noth und sprach: »Siehe, Oswald, meine Gelübde, so schwer sie sind, halte ich sie doch pünktlich. Nun ist's ein halbes Jahr, ich bete und arbeite. Nun ist's ein halbes Jahr, ich spiele, saufe und zanke nicht mehr. Mein Haus [58] ist schön säuberlich, Weib und Kind gehen reinlich. Keiner kann über mich klagen. Aber die Ortsvorsteher plagen mich auf allerlei Weise. Ich bin dem und diesem von ihnen schuldig. Nun drohen sie, mich aus meinem Hause zu treiben, wenn ich ihnen nicht zahle, oder nicht bei ihnen trinke. Hilf mir, Oswald, sonst kann ich das Gelübde nicht halten. In sechs und einem halben Jahre habe ich Geld vollauf; strecke mir eine Summe vor, ich will sie dir dann wieder zahlen.«

Oswald antwortete: »Das vierte Gelübde heißt: Beten, arbeiten, keine Schulden mehr machen. Ich darf dir also kein Geld borgen. Aber laß sehen, wem und wie viel du schuldig bist; dann wollen wir nachdenken, wie aus der Noth kommen.«

So sprach er, nahm eine Schreibfeder und Papier, setzte sich hin und schrieb das auf, was man ihm antwortete, wenn er fragte. Er fragte aber Jeden einzeln: »Wem bist du schuldig? Wie viel und mit welchem Zins? Wofür hast du die Schuld gemacht, und hast du Unterpfand gegeben?«

Nachdem er die ganze Schuldsumme des Mannes kannte, fragte er wieder: »Womit willst Du bezahlen? Wie viel kannst du, oder können Weib und Kind in der Woche mit Taglohn verdienen? Wie viel Land und Vieh hast du, und was kannst du wohl in mittlern Jahren von dem verkaufen, was du ärntest? Wie ernährst du dich mit den Deinigen? Was brauchst du zur Nahrung in einer Woche, in einem Tag? Wie steht es mit den Kleidern und Wäsche und Geräth? Was muß angeschafft werden, und wo kann man ohne Schaden sparen?«

Das alles schrieb Oswald von Jedem sorgfältig auf. Nun kam die lüderliche Haushaltungsordnung erst recht ans Tageslicht. Denn Mancher wußte nicht einmal genau, wie viel er schuldig war, und hatte nichts aufgezeichnet. Da mußte man sich erst bei den Gläubigern erkundigen. Mancher war drei, vier, fünf Zinse zu bezahlen [59] rückständig. Da mußte man erst für diese sorgen. Mancher mußte an Gemeindsvorsteher, von denen er in der Noth Geld entliehen hatte, acht, auch zwölf vom Hundert verzinsen. Da mußte Oswald in die Stadt gehen, an drei und vier Prozent Geld aufnehmen, und gut dafür sprechen, damit die Wucherer bezahlt wurden, und nicht mehr durch Wucher einen armen Mann zu Grunde richten konnten. Mancher hatte wohl gar mehr Schulden als Vermögen. Da war schwer helfen. Doch sprach Oswald Allen Muth ein und sagte: »Sparen und arbeiten soll euch mit Gottes Hülfe schuldenfrei machen. Folget nur in allen Dingen meinem Rath!«

Nun erst sah er von diesen Leuten, wie schlecht sie gehauset hatten; und dies that den Leuten nun selbst in der Seele weh. Nun erst erfuhr Jeder, was er nach Abzug aller Schulden von seinem Vermögen, als wahres Eigenthum, betrachten könne. Das war oft blutwenig, und ihnen schauderte die Haut vor Angst und Entsetzen darüber. Nun wollten Alle sparen, Alle arbeiten. Aber wie sollten sie es anfangen?

Oswald hatte unbeschreiblich viel Mühe. Aber die Mühe machte ihm Freude, weil er ein wahrer Menschenfreund war. Er machte Jedem ein Haus- und Schuldenbüchlein, worin Jeder den Zustand seines Vermögens deutlich sah. Dann ging er wieder in die Stadt, und suchte für Kinder und Erwachsene Arbeit von allerlei Art. Das gelang ihm nach und nach. Und was so mit Taglöhnen verdient wurde, das mußte wöchentlich aufgeschrieben und aufgespart werden. Einige gaben das Geld dem Oswald in Verwahrung; Andere gaben es ihm wöchentlich, um damit nach und nach ein für sie aufgenommenes Kapital abzutragen.

Als dies Mehrere thaten, und Oswald am Ende hundert und mehr Gulden beisammenliegen sah, dachte er: »Wozu soll dies Geld da todt und ohne Nutzen liegen? Wenn es jährlich Zins [60] trüge, hülfe es den armen Leuten ohne ihre Mühe schon wieder zu einem kleine Gewinn und verminderte die Schuld.«

Also machte er sich ein Buch und schrieb hinein, was Jeder wöchentlich von seinem Verdienst in dieErsparnißkasse zurücklegte. Dann ging er in die Stadt und beredete einen rechtschaffenen Herrn, daß er monatlich das ersparte Geld, wären es auch nur zehn oder zwanzig Gulden, annehmen und auf Zins austhun wolle. Es wäre zum Besten armer, sparsamer Leute. Der Herr, welcher ein reicher Kaufmann war und gern das Gute beförderte, nahm das Geld und that es an Zins, und wenn am Ende des Jahren die Zinsen einkamen, that er sie wieder als ein kleines Kapital aus, also, daß die Zinsen wieder Zinsen eintragen mußten. Oswald aber schrieb in sein Ersparnißkassenbuch zu Hause immer auf, wie viel jeder von seinen Leuten an den Zinsen Antheil habe.

Es war aber ein großes Glück, daß die Leute und ihre Kinder, da sie Arbeit bekamen, auch arbeiten konnten, und fast nie krank wurden. Das war sonst nicht so. Denn wenn sie sich ehemals am Sonntage vollgesoffen hatten, waren sie am Montage nicht zum Arbeiten aufgelegt, und hatten Kopfweh und Uebelkeit. Und weil sie sich insgesammt oft kämmten, wuschen, und gar reinlich hielten, waren sie von allen Uebeln und Krankheiten befreit, welche die natürlichen Strafen und Folgen der Unreinlichkeit sind.

Wie nun Oswald den mit ihm Verbündeten erzählte, daß er eine Ersparnißkasse errichtet habe, und daß das Geld, welche sie ihm wöchentlich zum Aufbewahren brächten, Zinsen tragen müsse, erstaunten sie gar sehr und freuten sich. Und Jeder sah im Buche nach, wie viel Geld er schon zusammengebracht habe, und wie viel Zins er am Ende des Jahres dafür zu erwarte habe. Anfangs hatten nur wenige Haushaltungen dem Oswald ihr Geld gebracht. Nun aber sagten es die Einen den Andern. Und wie Einer hörte, der Andere habe schon fünfzehn, zwanzig [61] und dreißig Gulden und mehr zurückgelegt, wurde er mißvergnügt und wollte es auch so haben, und nahm sein weniges Geld und trug es auch zum Oswald und sprach: »Ei, Lieber, warum hast du mir nichts von der Ersparnißkasse gesagt? Lege mein Geld, das ich wöchentlich entbehren kann, auch hinein, es sei viel oder wenig. Denn wenn ich es im Hause habe, will es sich nicht vermehren, sondern es schwindet immer. Hat man es, so verbraucht man es wieder. Drum besser, aus den Augen, aus dem Sinn! Kann ich's nicht so haben bei dir, so kann ich noch lange nicht an Abzahlen meiner Schulden denken.«

So brachte nun Jeder alle Woche Etwas, das er von seinem Verdienst erübrigen konnte, und Einer bemühte sich mehr, als der Andere, in die Ersparnißkasse zu legen. Einige wurden so begierig, daß sie beinahe Weib und Kind hungern ließen, um desto mehr Geld zusammenzuscharren.

Das verdroß den Schulmeister, und er hob an zu reden: »Es ist wohl gut, daß ihr mäßig seid, aber Weib und Kind müssen nicht hungern. Wer wohlgenährt ist, der hat auch Kraft und Muth, zu arbeiten. Freilich, manche Frau, die auch wohl im Felde arbeiten, oder sonst Geld verdienen könnte, muß jetzt zu Hause bleiben, und ihre Zeit beim Kochen verlieren. Wäre für jede Haushaltung von selbst schon Gekochtes da, so würde man kein Holz kaufen und bezahlen, oder es mit Zeitverlust im Walde zusammenlesen müssen, sondern man könnte vielleicht sogar jährlich von dem Gabenholz, das die Gemeinde gibt, an Andere verkaufen und Geld daraus lösen. Dabei wäre schön zu sparen. Aber wir müssen das auf andere Weise anfangen.«

»Ihr wisset, wir haben in theuern Zeiten elende Sparsuppen gegessen. Warum sparten wir damals,da wir nichts hatten, und nicht weit lieber jetzt, wo etwas zu sparen wäre? – Wir haben jetzt Erdäpfel, Obst und Mehl und Brod und Fleisch [62] in wohlfeilerm Preis. Wir können jetzt mit demselben Gelde, wie in der theuern Zeit, bessere Kost haben und viel ersparen. Wenn jetzt Einer für uns Alle kocht, ersparen viele Frauen Zeit, und können auf andere Weise arbeiten und verdienen. Unter dreißig Kesseln und Häfen braucht es zwanzigmal mehr Holz an einem Tage, als unter einem einzigen Kessel für dreißig Haushaltungen. Das begreift ihr; dabei ist Gewinn. Aber wo für viele Menschen zusammen gekocht wird, ist auch an Salz und Schmalz und Zuthat und Geschirr Ersparniß. Lasset uns einen Versuch machen.«

So sprach Oswald. Viele wollten; Andere wollten nicht. Oswald ging zum Müller und beredete ihn, die Sparsuppe zu kochen, und dreimal wöchentlich Fleisch dazu, besonders zum Verkauf. Diejenigen, welche dazu einstanden, sagten, wie viel Suppe und Fleisch sie täglich begehrten; es waren ihrer zuerst siebenzehn Haushaltungen.

Nun mußte der Reihe nach jede Haushaltung, eine um die andere, wenn der Tag an sie kam, das Holz zum Kochen, und beim Kochen einen Aufwärter oder Gehülfen geben. Die Müllerin führte beim Kochen die Aufsicht. Alle Tage war Abwechslung in Suppe und Gemüse. Wer kein Geld hatte, konnte seine Portionen mit Mehl, Obst, Gemüs und Erdäpfeln zahlen. Das ward Keinem zu schwer. Nur wer Fleisch nahm, zahlte Geld dafür. – Die Frau Müllerin verstand das Kochen. Die andern Bauernweiber und Mädchen, wenn der Tag an sie kam, da sie helfen mußten, lernten viel dabei, was sie vorher nicht wußten.

So geschah, daß die zusammenstehenden Familien, wozu auch der Schulmeister und der Müller gehörten, besser und nahrhafter aßen, als andere Leute im Dorfe und doch weit wohlfeiler. Alle Tage Suppe und Gemüs dazu, dreimal wöchentlich Fleisch und Braten auf allerlei Art zugerichtet. – Wie dies die Andern sahen, daß es da keine Säutränke oder elende Sparsuppen gab, und daß es noch für kranke Personen und Genesende gesunde Nahrung nebenbei [63] gab, traten sie auch bei, und Viele, die gar nicht zum Goldmacherbund gehörten. Denn sie merkten bald, daß da viel an Holz, Mühe und Zeit, viel an Speisezuthat erspart und Alles weit wohlfeiler gemacht werden konnte.

Es wurden für die Garküche der Müllerin endlich der Theilhaber zu viel, obgleich sie täglich mehrere Gehülfinnen erhielt. Da legte der Adlerwirth zu seinem Vortheil auch eine solche Küche an. Aber alle, die zum Goldmacherbund gehörten, blieben beim Müller. Sie hatten die verständigsten Hausväter unter sich ausgeschossen, die mußten den Ankauf der Vorräthe und deren Verwendung beaufsichtigen. Denn die Garküche sollte keinem Einzelnen zum Gewinn dienen, sondern Allen zum Vortheil gereichen.

16. Wie sich die Wirthshäuser im Dorfe vermindern

16. Wie sich die Wirthshäuser im Dorfe vermindern, und was die alten Bauern dazu sagen.

In der Küche des Adlerwirths ging es anders zu. Er kochte Sausuppe. Davon wollte Keiner essen. So blieben seine Kunden weg, weil sie nicht ihr theures Geld dafür geben wollten. Sie traten unter einander zusammen, und wollten es machen, wie die Leute bei der Müllerin. Aber es ging nicht, weil keine Ordnung war und weil Einer den Andern betrog. Da lachte der Adlerwirth und freute sich, daß es bei Andern nicht besser ginge, als bei ihm.

Bei ihm ging es aber doch schlechter als bei Andern, weil er ein hartherziger, schlechter Mann war. Er hatte viel Geld auf böse Weise zusammengescharrt; aber unrecht Gut gedeiht nicht. Wenn in der theuern Zeit Steuern und milde Gaben für die armen Leute nach Goldenthal gekommen waren, damit man Sparsuppen kochen und austheilen könne, hatte er die Gemeindsvorsteher beredet, lieber das baare Geld an die armen Leute auszuzahlen. Dann trat er mit dem Löwenwirth zusammen, und sie [64] verkauften den armen Leuten Mehl und Brod in ganz ungeheuerm Preise. So kam das Geld alles wieder in ihren eigenen Sack zurück. Wenn Leute im Dorfe von ihrem Heu, Vieh oder liegende Gütern aus Noth etwas öffentlich an die Steigerung bringen wollten, so trat er mit dem Löwenwirth und andern Vorstehern zusammen, und sie machten Satz mit einander, um alles wohlfeil zu bekommen. Sie boten erst kleine Summen, und legten etwas zu. Dann trat einer nach dem Andern zurück, und bot nicht mehr, weil es zu viel und die Waare zu schlecht sei. So sagte Einer nach dem Andern. Und weil man sie für die verständigsten Männer hielt, getraute sich kein Anderer, mehr zu bieten. So bekamen sie die Sachen wohlfeil. Wenn aber doch ein Anderer klug war und mehr bieten wollte, schreckte man ihn mit Drohworten, zumal wenn ein solcher ihnen schuldig war; und sie sagten: »Hast du Geld genug für so schlechte Waare, und willst du meinen Freund überbieten: so verlange ich, du sollst mir vorher deine Schuld bezahlen.«

So machte es der Adlerwirth. Aber unrecht Gut gedeiht nicht. Er war ein stolzer und zornmüthiger Mann, und hatte beständig Händel und Prozesse vor Gericht. Sogar mit seinen Brüdern und Schwestern hatte er einen Rechtsstreit gehabt, weil er sie in der väterlichen Erbschaft durch Betrug und List bei der Theilung sehr verkürzt hatte. Viele Leute im Dorfe waren von ihm durch das Prozessiren zu Grunde gerichtet worden.

Ueberhaupt war die Streitsucht in Goldenthal eine Hauptursache von der Verarmung des Dorfs gewesen. Denn so lange die Leute noch im Wohlstand waren, wollten sie großthun; wer einen Prozeß zu führen hatte, meinte, er habe etwas Großes und Ehrenvolles, weil Jedermann mit ihm davon sprach. Dann kamen arglistige Advokaten und hetzten noch mehr auf, weil sie gern durch die Dummheit und Prozeßwuth der Bauern Verdienst hatten. Die [65] prozeßlustigen Leute waren dann so sehr auf ihre Sache erpicht, daß sie tausendmal schworen, lieber Alles daran zu setzen, als nachzugeben. Das gefiel den Advokaten sehr wohl. Da wurden die Prozesse durch allerlei Kunst in die Länge gezogen, Jahr ein Jahr aus; da wurde replizirt, triplizirt, appellirt und den einfältigen Leuten das Geld aus dem Sack herausgeführt, bis der Handel zehnmal mehr gekostet, als er werth war. Wer dann verlor, schimpfte über Parteilichkeit der Richter und sog an den Hungerpfoten. Die Advokaten aber aßen Braten.

Seit Oswald ins Dorf gekommen, hatte er viele Leute vom Prozessiren abgehalten. Denn wenn ihn Einer um Rath befragte, richtete er es immer so ein, daß die Sache in der Güte abgethan wurde. Und er redete und sprach: »Einst fanden zween Hunde, die sich auf einem schmalen Steg über dem Wasser begegneten, ein Stück Fleisch auf dem Brücklein. Und sie geriethen in Streit, wem es gehöre.« Ein dritter Hund, der das Fleisch auch gern gehabt hätte, kam dazu und sagte bald diesem, bald jenem ins Ohr: »Gib nicht nach. Es gehört dir von Rechtswegen allein!« Also fingen die Beiden an, sich zu raufen und zu beißen, bis Beide in der Balgerei hinab ins tiefe Wasser fielen. Dann ging der Dritte gemächlich zum Fleisch und fraß es, und sah zu wie die Andern schwammen. So geht es den streitführenden Parteien in Prozessen.

»Rechthaberei kostet viel Geld, und bringt Spott und Schande nach. Wer einen Prozeß anhebt, hat schon die Hälfte von dem verloren, was er gewinnen will. Boshafte Advokaten sind wie die zwei Schneiden einer Scheere; sie vereinigen sich, um das zu trennen, was man zwischen beide legt. Wenn du am Ende Alles gewinnst, hast du doch mehr verloren, als dir ersetzt werden kann: Zeit und Arbeit, wohl gar an der Gesundheit Schaden genommen durch Verdruß und Aerger, Furcht, Sorge und schlaflose Nächte.«

So sprach Oswald. Der Adlerwirth aber fragte ihn nie, sondern [66] hatte fast alle Jahre einen neuen Prozeß. Die vielen Unkosten und Geschenke an Advokaten und Schreiber, die vielen Läufe und Gänge und Reisen brachten ihn nach und nach um das Seinige. Als er nun einen Streit gegen eine benachbarte Gemeinde verlor, den er mit derselben wegen einer alten Eiche geführt hatte, von der er behauptete, sie stände auf seinem Lande und gehöre nicht der Gemeinde, so kam er in große Noth. Denn die Eiche hatte ihn über tausend Gulden gekostet, und er wußte nicht, woher das Geld nehmen, weil er mehr auf Haus und Land schuldig war, als man glaubte. Und da er überall Geld aufnehmen wollte und nichts erhielt, geriethen die in Sorgen, denen er schon schuldig war. Und sie begehrten zurück, was sie ihm geborgt hatten. Also blieb ihm nichts übrig, als all sein Gut den Gläubigern heimzuschlagen. Er mußte Haus und Hof verkaufen. Das war die Folge seiner Prozeßsucht.

Weil er seine Felder schlecht besorgt hatte, gingen sie in mäßigen Preisen ab. Da die Leute nicht mehr häufig ins Wirthshaus gingen, weil sie entweder kein Geld hatten, oder keins versaufen wollten, brachte auch die Wirthshausgerechtigkeit nicht viel ein. Der Käufer des Hauses, als er sah, daß Niemand bei ihm einkehren und Geld verzehren wollte, stellte das Wirthen ganz ein. So blieb nur der Löwenwirth noch Meister; denn die andern Wirthe und Bier- und Weinschenken hatten gar nichts mehr zu verdienen, und die Wirtschaft schon früher aufgegeben.

Einige alte Bauern schüttelten den Kopf und sprachen: »Es ist doch böse Zeit und wir sehen wohl, unser armes Dorf geht gänzlich zu Grunde. Vorzeiten hatten drei Wirthe und noch einige Bier- und Weinschenken bei uns vollauf zu thun; jetzt ist kaum Nahrung für einen einzigen vorhanden! Wohl ist das eine Schande für unser Goldenthal, und ein Beweis, wie schlecht es bei uns steht.«

[67] Oswald aber sprach zu ihnen und sagte: »Mit nichten, ihr guten Leute! sondern nun habe ich Hoffnung, daß es bei uns bald besser gehen werde. Ich bin viel in der Welt umhergereiset, und habe viele Dörfer gesehen. Wo die meisten Wirthshäuser waren, da habe ich immer die meiste Armuth gefunden. Und wo kein Wirthshaus war, als etwa, Reisende zu beherbergen, da sah man einen gewissen Wohlstand in den Häusern. Die Wirthe hängen nicht umsonst in ihre Schilde das Bild eines Raubthieres aus, Löwen und Adler, Bären und Falken, – die Thiere leben von Gut und Blut der Gemeinde. Sie hängen ein goldenes Kreuz aus, weil sie Gold haben wollen, und den Leuten Kreuz und Kummer dafür lassen. Sie hängen einen goldenen Engel aus, aber es ist ein böser Engel, der Rekruten wirbt für das Zucht- und Armenhaus und Gefängniß.

Wir haben im Dorfe nur noch ein Wirthshaus, aber nur zu viel daran. Stände es nicht da, ständen die Nachbarshäuser besser. Wer am Wirthstische die Spielkarten nicht braucht, kauft sich eine Bibel und Gotteswort ins Haus. Wer nicht bei den Zechern um theures Geld Kopfweh kauft, freut sich daheim bei Weib und Kind unentgeldlich. Wer dem Wirth kein Geld zahlt, behält es im Sack. Es ist mehr Ehre, im eigenen Keller eine Flasche Wein, als im Wirthskeller ein ganzes Faß voll zu haben.«

So redete Oswald, und die alten Bauern nickten mit dem Kopf, denn sie merkten wohl, er habe nicht Unrecht. Aber der Löwenwirth wollte bersten vor Zorn, zumal, da er hörte, daß Oswald den goldenen Löwen ein Raubthier geheißen hatte. Und er würde dem Oswald gern einen Prozeß angehängt haben, wenn es möglich gewesen wäre. Aber der Schulmeister war klug, nahm sich in Acht und ging dem grimmigen Löwen überall aus dem Wege, und ließ denselben brüllen und schmähen.

17. Vom Blitzstrahle im Pfarrhause und dem neuen Herrn Pfarrer

[68] 17. Vom Blitzstrahle im Pfarrhause und dem neuen Herrn Pfarrer.

Zu dieser Zeit war in einer Nacht ein erschreckliches Gewitter. Der ganze Himmel stand in Flammen. Der Donner rollte, daß die Häuser bebten und die Fenster klirrten. – Wenn die Bauern das ganze Jahr ruchlos blieben, so beteten sie doch allemal beim Gewitter recht laut, und bereuten ihre Sünden von ganzem Herzen so lange, bis das Wetter vorüber war. Dann lebten sie wieder wie vorhin.

Plötzlich fuhr mit entsetzlichem Krachen und Prasseln der Blitz ins Dorf. Er fiel wie ein Feuermeer auf das Pfarrhaus; doch zum Glück zündete er nicht und beschädigte Niemanden. Aber am folgenden Morgen sah man, wie der Blitz das ganze Dach zerschmettert hatte, und der alte Herr Pfarrer war vom Schrecken so hart befallen worden, daß er nach wenigen Tagen starb.

Da schimpften die Goldenthaler auf die Regierung, und sagten: »Die Regierung ist an dem ganzen Unglück Schuld. Denn hätte sie nicht verboten, beim Hochgewitter mit der Glocke zu läuten, so wäre das nicht geschehen. Sonst hat man doch das Wetter, wenn es kam, wegläuten können; jetzt ist das verboten. Die großen Herren haben keine Religion mehr im Leibe. Nun haben wir das Unglück.« – So sprachen die Goldenthaler.

Oswald aber sagte: »Wie denket ihr doch in euerm Herzen so thöricht, und sprechet mit euerm Munde so lästerlich. Die Regierung hat den Blitz nicht auf das Dach des Pfarrhauses gezogen, sondern der metallene Knopf mit der eisernen Wetterfahne hat es gethan. Denn es hat Gott in die Natur des Blitzes gelegt, immer dem Wasser oder den Metallen auf der Erde nachzugehen, besonders den metallenen Spitzen. Das hat Gott gethan, auf daß der Mensch erkenne, wie er sich vor der Gewalt des Blitzt verwahren [69] könne. Denn sobald der Blitz Metalle findet, an denen er bis in den Erdboden dringen kann, ist er unschädlich.«

So sprach Oswald, und führte die Bauern auf das Dach des Pfarrhauses. Da sahen sie Alle in dem vergoldeten Knopf kleine eingeschmolzene Löcher, und sahen, wie der Blitz den aufrechtstehenden Nägeln der Hohl- und Eckziegel am Dache nachgelaufen war, bis unter das Dach zu einem Eisendraht, an welchem man vor der Hausthür zu klingeln pflegte, wenn man zum Herrn Pfarrer wollte. Weil nun der Blitz solch einen eisernen Weg zur Stunde gefunden, war das übrige Haus von ihm verschont worden, und ein kalter Schlag geblieben, wie die Bauern sagten. Er wäre aber, hätte er jenes leitende Eisenzeug nicht gefunden, wohl leicht ein gar heißer Schlag geworden.

Oswald sprach ferner: »Weil die Kirchthürme hohe Spitzen tragen und viel Eisenwerk im Innern, geschieht es oft, daß der Blitz sie trifft. Und weil daher schon mancher arme Mensch beim Gewitterläuten erschlagen worden ist, hat die hohe Obrigkeit das unnütze und abergläubige Läuten verboten.«

So sprach Oswald; und weil er merkte, daß sich seit der Zeit viele Leute vor dem Blitzstrahl mehr als vorher fürchteten, that es ihm leid. Und er sprach: »Angst und Schrecken beim Gewitter sind ein Unglück; das Gewitter selbst ist ein Segen des barmherzigen Gottes für die Länder, deren Lüfte er reinigen und deren Boden er befruchten will. Darum legt euern Kummer ab. Gehet hin, befestiget auf dem Giebel eures Hauses eine eiserne Spitze, eines Schuhes hoch; knüpfet daran einen eisernen Draht, nicht dicker als die Spule einer großen Schreibfeder, der muß über das Dach herab bis zur Erde gehen in eine feuchte Stelle. So habet ihr dem Blitz einen Weg gemacht, auf dem er unschädlich zur Erde fährt, wenn der Draht ein einziges Stück ist von oben bis unten, und ihr ihn sauber haltet von allem Rost und Schmutz. [70] Ein Blitzableiter ist ein Furchtableiter, und bewahrt zugleich Haus und Dorf gegen ein mögliches Unglück und Feuersbrunst durch den Strahl.«

Also redete der Schulmeister, und setzte auf sein eigenes Haus eine Eisenspitze mit dem daran herabhängenden Draht (denn Elsbeth fürchtete sich stark bei Gewittern). Der Müller hatte dergleichen schon längst in der Stadt gesehen und that es auch. Viele Bauern folgten dem Beispiel nach, denn es kostete nicht viel und half doch zur Beruhigung.

Andere aber nahmen in ihrer Dummheit daran großes Hinderniß und sagten: »Heißt das nicht, unserm Herrgott nach den Augen stechen und ihm Gesetze vorschreiben? Kann er nicht mit seinen Blitzen treffen, wen er will? Werden die vielen Wetterstangen nicht die fruchtbringenden Gewitter verhindern und schlechte Witterung machen?«

Da antwortete der Schulmeister und sprach: »Ihr Thoren, die Wetter Gottes gehen über tausend Spitzen der Bäume des Waldes, wie über kahle Ebenen; und seine Blitze befruchten den Erdboden, sie mögen in den Wipfel der Eiche oder in Eisenstäbe, oder in See'n, Flüsse und Meere fallen. Aber der Herr gab uns Einsicht, auf daß wir uns bewahren sollen vor dem Schaden, den die herrlichste Sache am unrechten Ort stiftet. Das Feuer ist mit Licht und Wärme wohl ein herrliches Ding, aber nicht wenn das Haus brennt. Darum gab uns Gott das Wasser zum Löschen des Feuers. Brauchet ihr nun das Wasser zum Löschen des Feuers, warum traget ihr Bedenken, das Eisen zum Löschen des Blitzes zu gebrauchen? Es ist kein Uebel in der Welt, Gott hat uns dagegen ein Mittel gegeben. Aber der Mensch soll es erkennen und mit Dank empfangen. Wer nun in blinder Verstocktheit das Mittel verschmäht, ist ein Verächter von Gottes theuersten Gaben, und leidet gerechte Strafe, es sei, daß sein Haus verbrenne von der [71] Flamme des Feuers, oder daß sein Haupt vom Blitzstrahl getroffen werde.«

Viele glaubten an diese verständige Reden. Andere aber, die Blöden und Hochmüthigen, verachteten solche Worte in ihrem Herzen, und wollten nicht zugeben, daß es der Schulmeister besser verstehe, als sie; denn sie schämten sich dumm zu sein, und wollten ihrer Unverständigkeit das Ansehen der Klugheit verleihen.

Die Stelle des verstorbenen Herrn Pfarrers blieb nicht lange unbesetzt. Der neu erwählte Herr PfarrerRoderich, damals noch ein junger Mann von siebenundzwanzig Jahren, kam ins Dorf.

»Ei!« riefen einige Bauern: »was soll uns dieser Knabe? Wenn die Regierung keinen Glauben mehr hat, so soll sie uns doch bei unserm Glauben lassen, und einen würdigen Mann schicken, der Jahre und Erfahrung hat.« Andere sprachen: »Der Herr Pfarrer ist auch einer von der neuen Mode. Gott sei es geklagt. Wenn er predigt, spricht er so wie unsereins, und man kann wahrhaftig alles begreifen und behalten. Das taugt nichts. Er ist nicht gelehrt genug und sollte mehr lernen. Da muß man den alten Herrn Pfarrer selig in Ehren halten. Das war ein ganz anderer Mann! Der predigte so schön und gründlich gelehrt, daß ihn unsereins nur nicht verstand, und wenn er anderthalb Stunden auf der Kanzel war. Der wußte unsereins herzunehmen, wenn er von der Hölle und ewigen Pein anfing und von Buße und Glauben, und wenn er das ganze Sündenregister hersagte. Zumal im Winter, wenn es in der Kirche fror, daß man hätte Ach und Weh schreien mögen, dann machte er's am längsten!« – Wieder Andere sagten: »Ja, der alte Herr selig, das war ein Mann! Wenn er auf der Kanzel stand oder beim Altar, da war doch von seiner großen, breiten Gestalt etwas zu sehen. Der neue Herr Pfarrer ist viel zu schmal, und dünn wie ein Zwirnfaden. Ja, und wenn der alte Herr selig einmal [72] eifern wollte, hörte man ihn weit übers Dorf hinaus richtig beim Vieh auf der Almende; und den Leuten, wenn sie aus der Kirche kamen, klangen die Ohren zwei Stunde hernach. Der hatte eine Stimme! Aber der neue Herr Pfarrer spricht so, als wäre er bei uns in der Stube.«

So urtheilten die Leute zu Goldenthal, doch auch nicht alle.

18. Noch etwas von dem neuen Pfarrer

18. Noch etwas von dem neuen Pfarrer.

Es gab auch Leute im Dorfe, die sahen wohl, daß der Pfarrer Roderich ein recht frommer, würdiger und gelehrter Mann war, ungeachtet seiner Jugend, ein Mann nach dem Herzen Gottes. Ja, wenn man ihn lange beobachtete, ward einem zu Muthe, als wäre er mehr als ein gewöhnlicher Mensch, und von wahrhaft himmlischer Abkunft. Denn er war leutselig und doch voll Ernstes; er war demüthig, und flößte doch in seiner Demuth große Ehrfurcht ein. Er schalt nie, er zürnte nie, und war immerdar voll Sanftmuth und Geduld; und wenn er tadelte, hörte man nur die Stimme der Liebe, die den Verirrten zurechtwies.

Als er in Goldenthal angekommen war, besuchte er alle Familien im Dorfe und machte sich mit allen bekannt. Nachher verging kein Tag, daß er nicht bald in dieses, bald in jenes Haus ging. Er verstand da die rechte Kunst, Vertrauen zu erwecken. Immer wußte er guten Rath zu geben, immer die Bekümmertem zu trösten, das Herz der Frechen zu bewegen und zwischen Streitenden Versöhnung zu stiften. Gleichwie Christus der Herr, ward auch er bei armen Leuten gesehen, oder bei denen, die im schlechtesten Ruf standen und wegen der Ruchlosigkeit ihres Herzens bekannt waren.

Und wenn er Sonntags auf die Kanzel trat und redete, war es ein wunderbares Wesen. Denn Jeder glaubte, der Herr Pfarrer [73] rede und predige nur zu ihm allein. Jeder hörte gleichsam da die Geschichte seines eigenen Herzens, das Geheimniß seiner eigenen Fehler, und die wahren Ursachen, wie man zu denselben gekommen und von Gott abgefallen sei, und die Art und Weise, wie man wieder zum himmlischen Vater zurückkehren müsse. Und dabei wies er immer auf Jesum Christum und die Heiligen Gottes, als die Vorbilder des Wandels zu Gott. Das erweckte dann in jedem Zuhörer großes Nachdenken, weil Jeglicher meinte, es sei nur von ihm die Rede. Und man vergaß die Jugend des Lehrers, und seine zarte Gestalt, und die Mildigkeit seiner Stimme. Denn seine Worte waren Himmelsworte, die da an das Herz drangen mit Süßigkeit und Entsetzen.

Als der Herr Pfarrer zum ersten Male die Schule des Dorfes besuchte, um ihre Einrichtung kennen zu lernen, machte die Reinlichkeit, Stille und Ordnung der Kinder, wie sie kamen, ihm große Freude. Wie nun aber Oswald auf die Knie fiel und die ganze Schule niedersank zum Gebet, rührte ihn der schöne Anblick der betenden Jugend. Und er kniete und beugte sich vor Gott, und die hellen Thränen flossen bei Oswalds Gebet von seinen Augen. Und er blieb liegen, als Oswald geendet hatte, und streckte die gefalteten Hände zum Himmel und sprach: »Mein Vater im Himmel, höre auch mein Gebet und Seufzen! Bleibe mit deiner Gnade gegenwärtig diesen unschuldsvollen Kindern, daß sie sich nie von dir verlieren; bleibe, bis es bei ihnen Abend wird, und du sie aus der Welt voll Prüfungen hinwegrufst an dein Vaterherz. Dann, o dann, Barmherziger! vergib um Jesu willen auch mir meine Sünden, daß ich knien darf mit diesen verklärten Engeln um deinen Thron, und drüben keiner fehle von uns. Und segne den Lehrer dieser frommen Jugend, segne sein Wort und Werk, daß er mächtig bleibe durch deine Macht, dein Reich herrlich zu erweitern!«

[74] So sprach er; dann stand er auf und sagte zu den Kindern: »Liebe Kindlein, betet fleißig für diesen euern Lehrer, daß ihn Gott euch erhalte; denn wahrlich, dieser Mann ist euer Vater, und ohne ihn wäret ihr trostlose, verlassene arme Waisen!« – Dies und anderes Schöne redete er; und die Knaben und Mägdlein schluchzten laut, und hatten nun den Schulmeister noch viel lieber, als sonst, denn sie bedachten, er könne ihnen einst sterben. Und viele falteten die Hände, und sahen still und stumm mit betenden Augen durch die fallenden Thränen gen Himmel!

Und als endlich die Morgenschule vollendet war, ging der Herr Pfarrer zum Schulmeister und umarmte ihn vor allen Kindern und drückte ihn an sein Herz und sprach: »O du frommer und gerechter Mann, du säest Saaten, die dir herrlich in der Ewigkeit aufblühen; lehre mich deinem Beispiele nachfolgen, denn du hast vieles gethan und ich noch so wenig. Und wenn ich je den Muth verlieren sollte, will ich herkommen und mich zu den Kindern setzen, und will werden wie sie, hoffend, glaubend, liebend, und mich durch den Anblick deines Beispiels und deiner Beharrlichkeit stärken.«

Das war ein rechter Feiertag für alle Kinder im Dorfe gewesen. Sie hatten zwar den Oswald und die Elsbeth schon vorher lieb gehabt von Herzen. Nun sie aber gesehen hatten, wie große Ehrfurcht selbst der Herr Pfarrer ihren Lehrern bewies, betrachteten sie Oswalden und Elsbethen recht wie höhere Wesen, und in ihre Liebe mischte sich eine wunderbare Hochachtung.

Pfarrer Roderich war kein halbes Jahr im Dorfe, so war er schon der rechte Hausfreund und Rathgeber der meisten Familien. Von ihm kam allezeit die beste Meinung, der beste Trost. Die Mühseligen und Beladenen fanden bei ihm Erquickung. In den Hütten sprach er als ein irdischer Freund. Sonntags aber ward den Leuten immer zu Muth, als sei der liebe, heilige Mann gestorben, und er rede in der Kirche als ein Verklärter, der aus den Himmeln [75] gekommen oben herab, und wolle sie nachziehe in das Ewiglich-Schö ne.

Und er that den Armen viel Gutes; man wußte es nur kaum, so bescheiden that er das Gute. Und wo Kranke waren, fehlte er nicht. Er hatte in seinem Hause eine kleine Apotheke von einfachen Hausmitteln. Daraus half er oft. Er las gern die Schriften der Aerzte, und wußte vieles zu heilen, ohne große Kunst. So ward er nicht nur ein geistlicher, sondern auch ein leiblicher Arzt der Seinen. Das brachte ihm großes Vertrauen und vielen Gehorsam. Also that er, wie Christus der Herr und seine Jünger, und heilete die Kranken und predigte das Reich Gottes.

Und so geschah, daß er die unwissenden Leute von allerlei abergläubigen, sympathetischen und oft grundschädlichen Mitteln in Krankheiten abgewöhnte. Sie liefen nicht mehr zu den Kapuzinern um geweihte Zettel, nicht mehr zu den Henkern, Scharfrichtern, Wasserbeschauern und Quacksalbern. Denn er forderte für seine Mühe und Arznei kein Geld, und half doch besser, als zwei Pfuscher. Wenn aber eine Krankheit zu wichtig und schwer ward, mußten die Leute sogleich auf seinen Rath zu einem erfahrenen und gelehrten Doktor in die Stadt senden. Anfänglich sträubten sich zwar viele dagegen und hatten mehr Zutrauen zu einem alten Weibe oder einem verschmitzten Harngucker, als zu einem rechtschaffenen Mann, der die Arzneikunst gründlich erlernt hatte; oder sie liefen von einem Doktor zum andern, wenn die Arznei von dem einen nicht jählings half, und gebrauchten allerlei Mittel durch einander, daß das Uebel immer schlimmer werden mußte. Der Herr Pfarrer aber wußte die Leute bald auf andern Sinn zu bringen, denn er mußte es wohl besser verstehen, da er selber im Heilen Erfahrung hatte. Das brachte ihm Vertrauen und Gehorsam.

Er wußte auch sonst noch viele Dinge, die man bei ihm nicht [76] vermuthete. Er war ein geschickter Bienenvater, und wußte die Bienen aufs beste zu pflegen, vor Unfall zu hüten und ihnen gesunde Nahrung zu bereiten, wenn es daran fehlen wollte. Er hatte seine Bienenstöcke aber nicht lange bei sich, sondern verschenkte sie an die ärmsten Haushaltungen, und lehrte diese, wie sie die nützlichen Thiere besorgen mußten. Nur behielt er sich vor, wenn es neue Schwärme gab, sie aufzufangen und denen zu geben, die noch keine besaßen, bis fast alle Familien mit Bienen versehen waren. Und weil er die Sache meisterlich verstand, gedieh sie bei Allen. Da ward viel Honig und Wachs zur Stadt getragen und schönes Geld dafür heimgenommen. Und mit der Zeit ist Goldenthal im ganzen Lande berühmt geworden durch seinen Bienenstand, also daß aus entlegenen Ortschaften die Käufer kamen, und den Preis des Wachses und Honigs im Dorfe steigerten, weil jeder den Goldenthaler Honig pries. Und sie hatten Heerden, für die sie kein Land und Futter gebrauchten, sondern die auf ihren zarten Flügeln über Felder und Wälder schwärmten und ihren Besitzern Gold ins Haus trugen.

Und wie der Herr Pfarrer diese und andere löbliche Einrichtungen in den Häusern machte, so machte er auch dergleichen in der Kirche. Hier aber hielt es fast schwer, besonders bei den alten Leuten, die sehr hartnäckig am Alten hingen. Wenn die Gemeinde in der Kirche sang, war es ein gewaltiges Durcheinanderschreien, ohne Lieblichkeit und Wohllaut. Jeder schrie aus Leibeskräften um die Wette mit dem Nachbar, als sollten die Fenster springen und die Gewölbe des Tempels zerbersten. Die Leute wurden dabei zuweilen von der Anstrengung kirschbraun im Gesicht.

Schon Oswald hatte gegen dieses andachtlose Zetergeschrei viel geredet; aber er redete in den Wind und hatte das Ansehen nicht. Darum ließ er die ältern Leute gehen, und hielt es mit den jüngern und Kindern. Die lehrte er feinen, lieblichen Gesang, vierstimmig, [77] daß es recht erbaulich und rührend anzuhören war. Die Bauern und ihre Weiber hörten recht gern zu; doch sie meinten, das sei wohl gut in der Schule, aber nicht in der Kirche, und ließen es beim alten Geschrei bewenden.

Da griff es der Herr Pfarrer anders an. Ob er gleich die alten Lieder in Ehren hielt, theilte er doch, als Anhang zu den alten Liedern, in den Haushaltungen ein kleines Büchlein mit; das enthielt allerlei schöne Gebete in Versen für solche Fälle, die in den alten Liedern fehlen mochten. Und dies Büchlein war dasselbe, was die Kinder schon längst in der Schule gehabt und gesungen hatten. Das war den Alten schon recht, denn es kostete sie nichts.

Nachdem manche Woche und mancher Monat vergangen war, hielt eines Sonntags der Herr Pfarrer eine bewegliche Predigt über den Nutzen der Feierlichkeit beim öffentlichen Gottesdienst. Und er sprach von König Davids heiligem Harfenspiel und vom Halleluja der Engel am Throne Gottes. Und jeder Bauer verspürte, daß er bisher nicht mit gehöriger Andacht gesungen habe, wie die Engel Gottes singen. Dann sagte der Herr Pfarrer zuletzt: »Der Heiland hat gesprochen: lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht. Also wollen wir auch unsern Söhnen und Töchtern nicht wehren, zum Heiland zu kommen. Und alle Sonntage sollen sie zuerst, ehe wir singen, einen Satz aus dem Anhang singen zu unserer Herzenserweckung; künftigen Sonntag das erste Mal.«

So sprach er. Und am nächsten Sonntage war die Kirche gedrängt voll; und an den schwarzen Tafeln der Kirchthüren stand erst ein Vers aus dem Anhang, dann ein altes Lied angezeichnet. Die Leute hatten von selbst das Anhangbüchlein mitgebracht. Und es scholl der Gesang der Jugend wie sanfter Engelgesang durch die Kirchengewölbe. Es wurden viele Leuten vor Rührung die [78] Augen feucht, die Herzen warm. Manche von den Alten sumseten leise und heimlich das schöne Lied nach. Dann ward von der ganzen Gemeinde das alte Lied gesungen. Der Herr Pfarrer sprach aber zuvor: »Ihr Männer, lieben Brüder, und ihr christlichen Frauen, vergesset nicht, daß unser Gott allgegenwärtig ist, und er euch höret, ob ihr gleich vor ihm sanft singet, wie Harfen Davids.« So sprach er. Die Gemeinde sang, und so sanft, daß man die schönen vierstimmigen Töne der jungen Leute hell und deutlich dazwischen hörte. Das klang wunderlieblich. Und wenn ein altes Weib einmal allzulaut hineinkreischte, stieß sie der Nachbar an, sie solle die Andacht nicht stören.

So ging es manchen Sonntag. Und jeden Sonntag mischten mehrere von den Alten ihre Stimmen zu dem Gesang der Jugend, denn er gefiel ihnen wohl. Zuletzt sang die gesammte Gemeinde leise mit, sogar der Herr Pfarrer. Oft geschah, daß man bloß aus dem Anhang singen mußte.

Wenn Fremde aus der Stadt oder aus benachbarten Dörfern einmal von Ungefähr in die Goldenthaler Kirche kamen und dem Gottesdienste beiwohnten, ward ihnen wundersam zu Muth. Und sie waren andächtiger hier, als anderswo. Und im ganzen Lande redeten sie davon.

19. Glück führt oft zur Unglücks-Schwelle, Unglück oft zur Glücks-Quelle

19. Glück führt oft zur Unglücks-Schwelle, Unglück oft zur Glücks-Quelle.

In denselben Tagen aber begab sich ein großes Unglück im benachbarten Dorfe Ferkelhausen, wo am hellen Tage eine Feuersbrunst ausbrach, während die Leute dort auf dem Felde gearbeitet hatten. Zwar aus Goldenthal, wie aus andern naheliegenden Ortschaften, war man sogleich zur Hülfe dahin geeilt. Allein binnen wenigen Stunde lagen sechs Wohnhäuser von den Flammen in [79] Schutt und Asche verwandelt, und einige Stücke Viehs blieben in den Ställen lebendig verbrannt. Solches Unheil war durch Unvorsichtigkeit von Kindern gestiftet worden, die in einem der Häuser zurückgelassen worden waren, als sich die Erwachsenen zur Arbeit auf ihre Aecker und Wiesen begeben hatten. Die Kinder hatten in der Küche mit der Kohlenglut auf dem Herde gespielt. – Ein Unglück kömmt selten allein, sagt man. Und diesmal war's der Fall.

Als Abends die Goldenthaler vom Löschen heimkamen, sahen sie vor der Hausthür des AdlerwirthsKreidenmann einen Haufen Weiber, Knechte, Mägde versammelt. Einige trockneten sich die Thränen vom Auge, Andere seufzten mitleidig; Alle standen ernst und niedergeschlagen da. Aus dem Hause aber erschollen Stimmen lauten Jammers und Wehklagens. Denn das jüngste vierjährige Töchterlein hatte auf entsetzliche Weise sein junges Leben eingebüßt. Es war hinter dem Hause, beim Stalle, in die Mistjauche gefallen, und elendiglich in der stinkenden Pfütze ertrunken. Jedermann hatte das Kind lieb gehabt, denn es war artig und hübsch, wie ein kleiner Engel, gewesen. Darum sah man überall so großes Herzeleid.

Als Herr Pfarrer Roderich zwei Tage nachher beim Begräbniß des Mägdleins rührende Worte des Trostes gesprochen hatte, begab er sich zu seinem Freunde Oswald und sagte: »Lieber Freund, gute Worte sind allerdings löblich; aber gute Thaten viel löblicher. Es ist besser, Unglück verhüten, als darüber trösten. Es ist unverantwortlich, daß Leute zur Feldarbeit gehen und ihre unmündigen Kleinen ohne Aufsicht zu Hause sich selbst überlassen! Es ist unverantwortlich, weil unverständig, gegen alle Aelternpflichten gesündigt, und gefahrvoll für sie selbst und Andre. Warum richtet man bei uns kein Bewahrhaus der Unmündigen ein, keine sogenannte Kleinkinderschule, wie man in vielen Städten und Ortschaften hat? Das ist ja gar nicht kostspielig; erspart den Aeltern [80] Angst und Sorge, wenn sie, um Geld zu verdienen, von Hause sich entfernen müssen, und beugt manchem Jammer und Elend vor.«

Oswald schüttelte den Kopf. Er gestand, er habe von dergleichen Bewahrhäusern, oder Kleinkinderschulen nie gehört, noch weniger solche gesehen. Dessen verwunderte sich der Herr Pfarrer sehr. Er ertheilte ihm darüber Auskunft und sagte: man gebe die Kinder, welche noch nicht alt genug wären die Schulen zu besuchen, der Aufsicht einer verständigen Frau. Diese hüte und besorge die Kleinen den ganzen Tag über, während die Aeltern außer Hauses in der Arbeit wären; spiele mit ihnen in der Stube, oder, bei gutem Wetter, im Freien; gewöhne sie zur Reinlichkeit und zum Gehorsam; lehre sie im Spielen mancherlei Nützliches; und gebe ihnen zu essen, was man Morgens für sie geschickt hätte.

Es hörte Oswald die Worte des Pfarrers mit großer Aufmerksamkeit; schüttelte dann aber mit bedenklicher Miene den Kopf, und sprach: »Die Bauern hier zu Lande sind noch etwas rohes Volk. Viele Aeltern sind gewissenlose Menschen, die sich um ihre Schweine, Ziegen und Kühe weit mehr, als um ihre eignen armen Kinder bekümmern. Ich fürchte, sie würden, wenn sie ihre Kleinen anderswo aufgehoben wissen, ihre Aelternpflicht noch mehr vergessen lernen! – Dann aber, glaub' ich auch, taugt es nicht, daß man die kleinen Geschöpfe, ehe sie das sechste Jahr zurückgelegt haben, schon zum Lernen anhalte. Es ist zu früh. Man muß, in so zartem Alter, vor allen Dingen nur für Pflege ihrer Gesundheit, und für Stärkung ihrer schwachen Kräfte Sorge tragen.«

Der Herr Pfarrer konnte diesen Einwürfen des vorsichtigen Gemeinde-Vorstehers nicht ganz unrecht geben; doch that er die Gegenfrage: Ob sich denn die Aeltern von ihrem Pflichtgefühl und ihren Kindern wohl mehr entwöhnten, wenn sie diese, statt ohne alle Aufsicht, den ganzen Tag unter guter Obhut und Aufsicht [81] ließen? Und, fügte er hinzu: auch ist keine Rede davon, daß die jungen Geschöpfe dort schon Lesen, Schreiben, Rechnen lernen, oder was sonst in der Schule gelehrt wird; sondern sie sollen beim Spielen nur allerlei Dinge erfahren, nennen und kennen lernen, die auch ihrer zarten Jugend nützlich sind, und neben Uebung ihrer geringen Leibeskräfte auch zur Vorübung ihrer Verstandeskräfte dienen können. Dazu führte der würdige Pfarrer manche Beispiele aus Bewahrhäusern an, die er selber gesehen, und bewies die Wohlthat solcher Anstalten so sonnenklar und deutlich, daß Oswald ihm endlich ganz überzeugt Hand und Wort darauf gab, der Plan müsse ausgeführt werden.

Und von Stund' an überlegte und sann Oswald, wie die Sache am besten anzustellen sei? Er besprach sich mit dem braven Schullehrer Johannes Heiter, der neulich geheirathet hatte, und dessen junge Frau geneigt schien, unter Elsbeths und ihres Mannes Rath und Beistand, die Aufsicht zu übernehmen. Er sprach mit dem Adlerwirth Kreidemann, der in seinem Hause einen großen Saal besaß, welcher allsonntäglich sonst mit Trinkern und Karten- und Würfelspielern gefüllt war, jetzt aber leer stand; dazu befand sich auch hinter dessen Hause ein geräumiger Baumgarten, der zum Tummelplatz für Kinder dienen konnte. Er sprach mit den Beisitzern des Gemeinderaths; mit den zweiunddreißig geheimen Bundesgenossen, und vielen Andern im Dorfe. Er nicht allein, sondern überall war ihm auch der thätige Seelsorger in der Gemeinde mit Rath und That und Zuspruch zur Hülfe.

Nachdem nun Alles und Jedes bedächtig eingeleitet und vorbereitet war, trat Oswald an einem Sonntag-Nachmittag vor der versammelten Gemeinde auf, redete und sprach: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, vor wenigen Wochen haben die Rauchsäulen und Feuerflammen von Ferkelhausen uns schreckhaft gewarnt, junge Kinder, welche noch nicht zur Schule geschickt werden können, [82] tagelang ohne Beaufsichtigung zu lassen. Gedenket des gräßlichen Todes, welchen das Töchterlein eines unserer Mitbürger sterben mußte, als es im unbedeckten Jauchebehälter ertrank! Viele andere ähnliche Unglücksfälle könnten angeführt werden und können wohl gar Euch selbst noch bevorstehen. Ich habe gelesen, wie eine Frau, die, um einige Stunden außer dem Hause zu arbeiten, ihr zweijähriges Kind in der Wiege festband, und in Koth und Unflath liegen und schreien ließ, bis es einschlief. Als aber die Rabenmutter zurückkam, stürzte ihr durch die Stubenthür des Nachbars Schwein entgegen. Sie fand die Wiege blutig; das arme Kind todt darin, und halb aufgefressen.

Deshalb laßt uns thun, um ähnliches Unglück zu vermeiden, wie anderer Orten geschieht. Da schicken die Leute, welche bei ihren Geschäften im Hause, oder im Felde, oder in den Fabriken nicht selber auf die Kinder Acht haben können, dieselben zu einer verständigen Person im Dorfe. Die gibt ihnen die Nahrung, welche von den Aeltern mitgeschickt worden ist. Die hütet und bewacht die unruhigen Kleinen; hegt und pflegt sie, spielt mit ihnen, und hält sie säuberlich bis der Abend kömmt.«

Oswald schilderte das Alles ausführlich, also, daß der Vorschlag Vielen einleuchtete. Besonders waren sämmtliche Bauern in dem Punkt wohl zufrieden damit, daß es ihnen gar nichts kosten solle, außer was sie den Kindern jeden Tag zum Essen mitgeben würden. Denn der Adlerwirth sei bereit, um billigen Zins seinen großen Saal und den Baumgarten herzuleihen; und die junge Frau des Schulmeisters Heiter willig, um mäßigen Lohn die Aufsicht zu übernehmen. Zins und Lohn werden aus der Gemeindekasse, und Beiträgen einiger hablichen Leute bestritten werden. Man solle es doch nur wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen.

Auch der Herr Pfarrer sprach dann sein lehrreiches und frommes Wort dazu: daß man die Kindlein, mit welchen Gott die [83] Aeltern gesegnet und erfreut habe, nicht schon von der Wiege an, wie unvernünftige Thiere, in Koth und Unflath solle verwildern, sondern frühzeitig an Zucht und Gehorsam, Liebe und Gottesfurcht gewöhnen lassen. Darum habe schon Christus der Herr gerufen: »Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht.«

Nach diesen Reden, zu denen auch einige andere verständige Männer ihren Beifall vernehmen ließen, und sagten, man läßt ja Pferde, Ochsen und Schafe hüten, daß sie nicht Schaden nehmen und Schaden stiften: warum denn nicht unsre armen lieben Kinder? willigten die Versammelten in den Vorschlag ein; doch blieb jedem überlassen, wer Lust dazu habe, sich, für seine Kleinen, beim Schulmeister Heiter zu melden und einschreiben zu lassen.

In den ersten Wochen war die Anzahl der Unmündigen gering, welche man dieser neuen Anstalt anvertraute. Allein das Beispiel der Einen zog bald die Andern nach, zumal da selbst bemittelte Haushaltungen keinen Anstand nahmen, ihre Allerjüngsten dahin zu geben. Frau Heiter war sogar endlich genöthigt, Gehülfinnen anzunehmen, die sich freiwillig dazu erboten und abwechselnd Beistand leisteten. Auch Elsbeth und Oswald zeigten sich dabei sehr thätig, bis Alles im rechten Gang war; nicht minder der gute Pfarrer und mancher rechtschaffene Hausvater im Dorfe. Anfangs liefen viele Mütter neugierig dahin, das fröhliche Leben in der Bewahrschule zu schauen, und sie konnten die artige Einrichtung nicht laut genug loben und rühmen.

Aber es war recht lustig, das muntere Getümmel und Treiben der Heerde von Kindern zu sehen; wie die Einen mit einander spielten, die Andern beisammen plauderten; Andre umherhüpften und tanzten; Andre zankten; Andre schliefen; Andre aßen; Andre um die Aufseherin standen, kleine Geschichten zu hören, die sie ganz kindlich erzählte.

Gab dann die junge Frau Heiter mit einem Glöckchen das [84] Zeichen, ward Alles still. Mädchen und Bübchen nahmen durch einander auf niedrigen, langen Bänken ihren Sitz. Dann zeigte ihnen ein Lehrer, oder die Lehrerin, allerlei Dinge vor, einen Vogel im Käfig, ein Kleidungsstück, eine Kugel, einen Degen, eine Feldfrucht und dergleichen, und fragte um den Namen solcher Dinge, oder sprach den Namen vor, und alle sprachen ihn nach. So lernten sie vielerlei Sachen kennen und nennen; das heißt, sie lernten reden. Auch hörten sie gern, wozu man dies und das gebrauche, wozu es nützen oder schaden könne, und wovon es verfertigt sei.

Recht erbaulich war es zum Beispiel mit anzuhören, wenn sich, während die Kleinern Spiele machten, die Größern um die Lehrerin stellten; diese dann einen Bogen Papier in die Höhe hielt, und fragte: wo das Papier wachse? und Alle gar altklug über die Frage lachten und riefen: »Nein, Papier wächst nicht auf den Aeckern; es wird von Menschen gemacht.« Dann aber ward ein Lumpen von Linnenzeug vorgewiesen und erzählt, wie daraus auf der Papiermühle Papier bereitet werde; dann wie Flachs und Hanf auf den Aeckern wachse, gebrecht, gehechelt, gesponnen und zu Leinwand gewoben, und wenn diese verbraucht wäre, zu Papier benutzt würde. Das unterhielt und belustigte die wißbegierigen Kleinen sehr; sie bekamen dabei noch allerlei zu sehen, wie Samen, Pflanze, Flachs, Zwirn u.s.w.

War's Wetter irgend leidlich, trieb sich die jugendliche Horde lärmend, schwärmend, singend, springend im Garten umher, oder ward in Reih' und Glied aufgestellt, Soldaten zu spielen. Die Schulmeisterin ward General; machte Hauptleute aus denen, die schon bis 10 und 20 abzählen und anführen konnten; ließ sie marschiren, links und rechts schwenken, und mit ihren einzelnen Reihen bald ein Dreieck, bald ein Viereck, bald einen Kreis u.s.w. bilden. Das gab immer Jubel; und immer neuen Wechsel der Spiele.[85] Niemand war dabei besser mit Rath und That zur Hand, als der würdige Pfarrer.

Seitdem ist in Goldenthal allezeit eine Bewahrschule der unmündigen Kleinen beibehalten worden. Schon nach Jahr und Tag gaben die Aeltern gern einen geringen Beitrag zum Wochenlohn der Lehrerinnen, oder Abwärterinnen. In Ferkelhausen und andern benachbarten Dörfern folgte man dem Vorgang der Goldenthaler bald nach; denn man sah, wie dort die Kinder, auch die ärmsten, viel reinlicher, gehorsamer, gesünder und verständiger wurden, als anderswo.

So mußte das Unglück einer Feuersbrunst und eines ertrunkenen Mägdleins, zum großen Glück und Segen vieler Haushaltungen gereichen.

20. Was man von den Goldenthalern im Lande redet

20. Was man von den Goldenthalern im Lande redet.

In der Stadt und in den umliegenden Dörfern gab es über die Goldenthaler mancherlei Gespräch. Diese Leute hatten bisher immer Lumpen geheißen, waren als Saufbrüder bekannt, als lüderliche Vögel, als Schuldenmacher, denen man keinen Heller anvertrauen mochte. Nun war es gar sonderbar, daß es bei ihnen im Dorfe gar nicht aussah, wie bei armen Leuten. Ihre Häuser waren sauber und reinlich; eben so Alles in schönster Ordnung auf der Gasse, hinter den Häusern und in den Gärten. Es war bei ihnen artiger, als in den reichsten Dörfern. Man sah im Sommer die Männer, Weiber und Kinder schon früh Morgens auf den Feldern. Da trugen und streuten die Einen den Dünger, Andere jäteten Unkraut aus. Immer hatten diese Leute etwas zu thun. Und es war eine Lust, sie arbeiten zu sehen. Es ging ihnen alles gar geläufig von der Hand. Brauchte man in der Stadt [86] Taglöhner, so fragte man am liebsten nach Goldenthalern. Gingen die Bürgerfrauen zum Einkaufe auf den Markt, so gingen sie am liebsten zu den Goldenthalerinnen. Denn diese waren immer sehr nett, in frischen weißen Hemden, und reinlichen Kleidern und saubern Händen, daß sie rechte Lust machten, von ihrem Gemüs, ihrem Gespinnst und andern Waaren zu kaufen.

Die Goldenthaler waren arm, das wußte man wohl. Aber sie verzinsten jedesmal ihre Schulden richtig auf den Tag. Und was gar außerordentlich war, sie hatten in der Stadt kleine Geldsummen an Zins ausgethan. Das brachte den Leuten Kredit und Glauben. Wenn der Pfarrer Roderich und der Schulmeister Oswald für einen Goldenthaler gutsprachen, lieh man lieber einem solchen, als einem aus andern Gemeinden. Und man lieh das Kapital lieber um einen sehr mäßigen Zins aus, weil man vorher wußte, daß es sicher stehe und richtig verzinset werde. Das schaffte den Goldenthalern gar ansehnliche Vortheile. Denn sie kündigten ihre Kapitalien ab, wo sie große Zinsen zu bezahlen hatten, und nahmen da Geld auf, wo sie es in niedrigerem Zins erhielten.

Man urtheilte allerlei über das Dorf. Man sagte wohl, es sei da ein braver Pfarrer, ein sehr verständiger Schulmeister. Allein Vielen war doch die Sache ein Räthsel. Denn ein Pfarrer und Schulmeister können doch auch nicht Alles; und jeder Pfarrer im Lande glaubte so klug zu sein, oder auch noch klüger, als die Beiden in Goldenthal waren. Das machte viel Kopfbrechens. Die Bauern in der Gegend sagten geradezu, das Ding gehe nicht mit rechten Dingen zu. Man hatte etwas vom Oswald gehört, und er könne Gold machen, und lehre es in seinem Dorfe Den und Diesen. Und man neckte und höhnte die Goldenthaler damit, sie könnten Gold machen.

In der That war es auffallend, daß die Goldenthaler Dinge [87] zu Markte brachten, man wußte nicht, woher sie Alles hatten. Ihr Gemüse, ihr Obst, ihr Flachs, ihr Hanf, ihr Getreide, Alles war gut. Die Kinder handelten sogar mit den schönsten Blumen und brachten solche in die Stadt. Honigwaben, ausgelassenen Honig und Wachs hatten sie mehr, als weit umher alle übrigen Dörfer zusammen. Man wußte sehr gut, sie besaßen keine ansehnliche Viehheerden, viele Haushaltungen hatten etwa jede ein Paar Kühe und ein Paar Ziegen. Demungeachtet brachten arme Leute, die bloß eine Kuh hatten, zentnerschwere Käse und große Ballen der reinsten Butter zum Verkauf. Es war ganz unbegreiflich, wie eine Kuh so viele Butter und Käse liefern konnte. Ebenso hatten die Goldenthaler jederzeit im Herbst die feinsten Obstsorten, schmackhafte Aepfel und Birnen, wie Niemand anders. Woher kam das so plötzlich in wenigen Jahren?

Die Goldenthaler mußten oft selbst bei sich lachen, wenn man ihr Dorf im Scherz das Goldmacherdorf nannte. Denn der Oswald verstand sich auf die Obstbäume, und wo er in den Gärten der vornehmen Herren in der Stadt gute, feine Obstarten wußte, ging er und bat um Zweige. Dann hatte er seine jungen Leute an der Hand, die von ihm das Pfropfen, Zweien und Aeugeln gelernt hatten. Recht wie ein Gärtner gingen sie damit um. Sie hatten wirklich besondere Messer dazu. Nun wollte der Nachbar links und der Nachbar rechts in seinem Garten und auf seinem Felde bessere Frucht vom Baum. Da ward nun okulirt und gepropft nach Herzenslust. Manche Bauern hatten sich junge Wildlinge aus den Wäldern geholt und veredelt. Andere hatten aus Samen Bäume gezogen und Baumschulen angelegt. Jeder wollte es besser machen und besser haben, als der Andere. Im Eifer wurde die Sache oft von Manchem übertrieben.

Nun konnte man sich's in der Stadt wohl erklären, wie die Goldenthaler von Jahr zu Jahr immer schöneres und immer mehr [88] Obst hatten, woraus sie bei gutem Jahrgang so viel Geld lösten. Das war kein Hexenstreich. Aber keine große Viehheerden haben, und doch viel Käse und Butter machen, das war allerdings ein Kunststück!

Das Kunststück hatte Oswald aber, während seines Kriegslebens, irgendwo in einem Dorfe gesehen und gelernt, und mit sich nach Goldenthal gebracht. Es war gar artig. Die Leute wollten anfangs gar nicht daran; hintennach aber wußten sie ihm großen Dank. Er machte es nämlich so:

Er ging herum mit seinen Verbündeten, die Kühe hatten, und sagte: »Ihr habet von euern Kühen schlechten Nutzen. Man muß von einer Kuh jährlich wenigstens fünfzig bis hundert Gulden baares Geld lösen. Wollet ihr mit mir einstehen, so will ich's machen. Werbet dazu noch Andere an, die Kühe haben. Es gehören wenigstens vierzig bis fünfzig Kühe zusammen; dann geht's.«

Als nun die vierzig bis fünfzig Kühe gefunden waren, sagte er: »Nun geht's!« Er kannte einen geschickten, rechtschaffenen Senn, der das Butter- und Käsemachen als ein Meister verstand. Dem versprach er zweihundert Gulden Jahrlohn; dafür mußte sich derselbe aber Kerzenlicht, Tücher und Waschlumpen selbst anschaffen, so zum Käsemachen und Reinhalten der Gefäße und der Waare nöthig waren. Geschirr und Salz schaffte Oswald auf Rechnung der Theilnehmer an, von denen drei redliche Männer zu Aufsehern bei dem neuen Gewerbe ernannt wurden für das erste Jahr.

Im ehemaligen Wirthshause zum Adler war der beste Platz zum Käsemachen; ein guter kalter Milchkeller, ein großer Keller in dem geräumigen Waschhaus. Der Eigenthümer gab den Platz her, denn er hatte fünf Kühe, und wollte die Probe mitmachen und sehen, was dabei herauskomme. – Nun mußte Holz auf Unkosten Aller herbeigeschafft werden. Es kam. Dann bestimmte [89] Oswald einen Tag, da mußten Alle, die zur neuen Käserei gehörten, ihre Kuhmilch in äußerst sauber gewaschenen Gefäßen bringen. War das Gefäß nicht sauber, nahm der Senn die Milch gar nicht an; das war Gesetz. Nachher machte man aber das Gesetz noch schärfer.

Der Senn maß die Milch, und schrieb unter eines Jeden Namen auf, wie viel derselbe gebracht habe. Jeder konnte es für sich auch aufzeichnen. So brachte jede Haushaltung alle Tage Morgens und Abends die Milch ihrer Kühe. Von fremden Kühen aber durfte man bei schwerer Strafe keine Milch bringen.

Die gesammte Milch eines Tages goß der Senn in der Milchkammer zusammen, und bereitete daraus Butter und Käse. Das gab schöne, frische, große Ballen; zudem noch Käsewasser, im Sommer ein gesundes, kühlendes Getränk.

Nun war die Frage: Wem gehört die schöne Menge Butter und Käse von jedem Tage? Denn alle Tage war eine solche Parthie von der Milch aller Kühe der Beigetretenen fertig. Es hätte sie gern Jeder gehabt, um in die Stadt damit zu laufen.

Das richtete man folgendermaßen ein: Alles, was die zusammengebrachte Milch eines einzigen Tages an Butter, Käse u.s.w. abtrug, ward auch nur einem einzigen Theilhaber mit einem Male gegeben, und zwar demjenigen, dem man die meiste Menge Milch in der Käserei schuldig geworden war. – In den ersten paar Tagen freilich bekamen die Ersten weit mehr an Käse und Butter, als sie Milch gebracht hatten; denn sie bekamen ja das, was aus der Milch von allen Theilhabern gemacht war. Allein nun wurden sie für so viel, als sie zu viel bekommen hatten, den Uebrigen schuldig, und was sie schuldig geworden waren, ward ihnen von Tag zu Tag an der Milch abgezogen, die sie brachten. Das ging so lange, bis sie alle Schuld abgethan und an Milch wieder mehr zu gut hatten, als die Uebrigen. Dann bekamen sie wieder die an [90] einem Tage bereitete Waare. Unterdessen hatte aber auch der, welcher nur eine einzige Kuh besaß, und alle Tage nur ein paar Maas Milch bringen konnte, nach und nach mehr zusammengebracht, als Jeder von den Uebrigen, wie man das wohl im Milchbuche aufgeschrieben fand. Und nun empfing er die Frucht des Tages, bei anderthalb Zentner Butter und Käse mit einem Male.

Die Butter konnte Jeder den Tag gleich mit sich nehmen, da sie fertig war; Buttermilch, Käsewasser gehörten ihm auch. Den Käse aber ließ man so lange im Keller, bis er gehörig fest und gut war. Allemal an dem Tage, da Einer das Recht hatte, die aus der Milch bereitete Waare zu beziehen, mußte er dem Senn bei der Arbeit helfen und ihm handlangen, und saubere Handtücher, Linnen, und was nöthig war, herbeischaffen.

Zuerst war den Goldenthalern das ganze Wesen bedenklich, und es meinte Jeglicher, er komme zu kurz dabei. Wenn Einer aber seine Menge Käse und Butter empfing, und nun nachrechnet, wie viel Milch er gegeben: so war er hocherfreut. Und es fand sich am Ende des ersten Jahres schon, daß auf diese Weise der mittlere Ertrag und Gewinn von einer Kuh über 166 Gulden jährlich stieg, und zwar nach Abzug aller Unkosten. Das war doch ein schöner Zins!

Nun begriff man auch bald, woher das komme. Denn je frischer die Milch und je mehr, je besser wird die Waare daraus. So was konnte eine einzelne Familie für sich allein beim Aufsammeln ihrer Milch nicht leisten. – Ferner: sonst war in den Haushaltungen manche Maas Milch verschlampt und verzehrt, jetzt in den Milchkeller der Käserei an Zins gelegt. Sonst verlor mau viel Zeit, oder hatte keine Zeit, selber Käse zu machen; jetzt ging das von selbst. Sonst kostete es Jedem mehr Holz zum Kochen; jetzt war es ein großes Holzersparniß.

Einige Goldenthaler versuchten anfangs zwar mit ihrer Milch [91] Betrügereien; aber man machte bald so strenge Gesetze, daß es Keinem mehr in Sinn kam, zu betrügen, er hätte denn um alle seine gebrachte Milch bestraft und aus der Gesellschaft gestoßen sein wollen.

Die Einrichtung aber brachte noch einen Vortheil, an den vorher kein Mensch gedacht hatte. Nämlich, weil Jeder gern viel Milch gebracht hätte, um bald viel Käse und Butter davon zu haben, besorgte Jeder sein Vieh besser, als ehemals; baute künstliche Grasarten an, die viel Milch erzeugen; suchte sich eine größere Kuh zu verschaffen, statt der schlechten kleinen, oder stellte zwei Kühe in den Stall, wo er vorher nur eine hatte. Und weil Jedem daran gelegen war, daß man keine Milch von einer kranken oder kalbenden Kuh bekomme, hatten die drei erwählten Aufseher Macht und Recht, zu jeder Zeit in die Ställe zu gehen, und die Pflicht, alle halbe Jahre darin Umgang zu halten. So ward über die Gesundheit alles Viehes wachsames Auge gehalten.

21. Vom neuen Gemeindevorsteher und dem Löwenwirth

21. Vom neuen Gemeindevorsteher und dem Löwenwirth.

»Der Oswald ist doch ein Hexenmeister und Tausendsasa!« sagten die Goldenthaler lachend, wenn er wieder etwas angegeben hatte, das gelungen war. Und es gelang ihm ziemlich Alles, was er anfing, denn er fing nichts ohne Vorbedacht an; er übereilte und überhaspelte nichts, sondern that einen Schritt um den andern, und nahm nie mehr auf seine Schultern, als er tragen konnte.

Nun hätte man wohl glauben sollen, der Schulmeister habe sich und seine herzige Elsbeth mit Arbeiten überladen gehabt. Keineswegs; er wußte Alles so einzurichten, daß zuletzt immer Andere ihm einen guten Theil der Arbeit abnehmen konnten. Sogar in der Schule hatte er wenig zu thun, denn er hatte sich da[92] einen geschickten jungen Bauerssohn, Namens Johanns Heiter, nachgezogen. Der war von armen Aeltern, und Oswald gab ihm bei sich Wohnung und Kost aus der Garküche, und unterrichtete ihn in gelehrten Dingen. Oswald hatte seinen Johannes sehr lieb, und dieser war in der Schule so meisterlich zum Unterricht, daß er Oswalden gleich kam. Und die Kinder liebten den Johannes, denn er war sanft und freundlich, und machte ihnen das Lernen beinahe noch leichter, als Oswald. Dieser ging oft ganze Tage seiner Feld- und Gartenarbeit nach, und freute sich, wenn er sah, wie im Dorfe Alles nach und nach anders ward.

Und wirklich war es seltsam zu sehen, wie Leute, die vorder arme Schlucker gewesen, nach und nach sich von Schulden frei machten, und wie ihre Häuser ein stattliches Ansehen bekamen; hingegen, wie vormals wohlhabende Bauern, die in ihrer alten Gewohnheit verblieben, nach und nach arm wurden, weil sie das Ihrige verwahrlosten, verlumpten, versoffen, verprozessirten, verspielten.

Die zweiunddreißig Bundesgenossen Oswalds hielten sich wacker und waren allenthalben voran, wo eine neue Einrichtung von ihm gemacht ward. Ihr Beispiel munterte dann viele Nachbarn auf, es auch so zu machen. Die jungen Bursche, welche Oswald am Sonntage unterrichtete, und die Mädchen aus Elsbeths Nähschule trugen bei ihren Aeltern nicht wenig zum Guten bei. Andere aber waren und blieben im Dorfe unverbesserliche Lumpen. Und an der Spitze des schlechten Volks stand der Löwenwirth Brenzel. Dieser war ein geschworner Feind aller neuen Einrichtungen. Er fluchte beständig auf die Neuerer, und sagte, die Religion gehe dabei zu Grunde; es müsse anders kommen; so könne es nicht länger gehen. Doch hielt ihn der Herr Pfarrer, welcher ihn viel besuchte, immer im Zaum, daß er nicht viel Böses thun konnte. Dazu kam, daß Brenzel seine Hauptstütze, nämlich den dritten Gemeindsvorsteher, [93] von seiner Seite verlor. Dieser hatte schon längst bemerkt, daß es mit seiner Wirthschaft den Krebsgang gehe, und sich darüber aus Verdruß dem Trunk ergeben, daß er keinen Tag nüchtern war. Und um schnell wieder reich zu werden, hatte er in mehrere Lotterien gesetzt und sein Geld verlottert, bis er nichts mehr hatte. Da kamen die Gläubiger, denen er schuldig war, und nahmen ihm das Letzte.

Nun mußten neue Gemeindevorsteher gewählt und der hohen Landesobrigkeit vorgeschlagen werden. Da gab es im Dorfe zwei Parteien. Die Lumpen wollten Einen oder Zwei ihres Gleichen, denen sie schuldig waren, die rechtschaffenen Leute aber wollten das nicht. Es war viel Zanks. Viele fragten den Herrn Pfarrer darüber, wenn er sie nach seiner Gewohnheit besuchte. Er aber antwortete ihnen und sprach:

»Ich wundere mich sehr, daß Keiner von euch noch an den braven Mann gedacht hat, der euch schon so viel Nutzen gestiftet, der so klug, so menschenfreundlich und so thätig ist. Ich meine den Schulmeister. Wenn ihr den wählet, so habet ihr den rechten Mann an der Spitze. Freilich, er gehört nicht zu denen, die sich zu einer Ehrenstelle drängen. Aber eben deswegen muß man zuerst auf ihn achten. Denn die, welche um Ehrenstellen werben, und Andern den Rang ablaufen wollen, haben gemeiniglich Nebenabsichten. Sie sind stolz und ehrgeizig, wollen nicht das Beste der Gemeinde, sondern ihren Hochmuth befriedigt sehen.«

Ferner sprach er: »Es ist wohl gut, daß man einen wohlhabenden Mann zum Gemeindevorsteher wählt; aber Reichthum nicht, sondern Uneigennützigkeit ist die höchste Tugend. Wehe der Gemeinde, die den zum Vorsteher macht, dem die meisten Bürger schuldig sind. Denn sie machen ihn zum Gewalthaber und Richter in seinen eigenen Angelegenheiten, und sie werden Sklaven eines Dorftyrannen durch eigene Thorheit. Sie sollen lieber den wählen, [94] der auch den hartherzigen Gläubiger und den reichen Tyrannen in Schranken halten kann.«

Ferner sprach er: »Ein guter Kopf thut viel, aber ein redliches Herz thut noch weit mehr. Darum fraget erst: ist der Mann ein grundredlicher, hülfreicher Mann? nachher fraget: hat er Klugheit genug, und ist er keines Reichen Schuldner? – Der Vorsteher einer Gemeinde soll unabhängig sein, sonst ist nicht er, sondern sein Gläubiger, den er fürchtet, Vorsteher des Ortes.«

»Ihr könnet nicht leicht irren, den würdigsten Mann zu finden. Denket nur nach, welchen Mann würdet ihr auf euerm Sterbebette am liebsten zum Vogt eurer Wittwen und hinterlassenen Waisen machen, in der Ueberzeugung, er werde das Glück der Eurigen wohl besorgen? Nun, diesen machet zum Vorsteher. – Oder, wenn ihr zu einem eurer Mitbürger in Dienst treten müßtet, welchen wünschtet ihr am liebsten zu euerm Herrn? Nun, diesen machet zum Vorsteher!«

»Wenn an einem Orte die Mehrheit der Vorsteher guten Willen und redliches Gemüth hat, welche das Unrecht verabscheut; so findet sich leicht zu Allem guter Rath. Ein einziger guter Kopf ist genug. Drei gute Köpfe, ohne gutes Herz, werden sich beisammen nicht vertragen. Denn Jeder will es besser verstehen, als der Andere, und so kommt Zwietracht unter sie, und von ihnen in die Gemeinde.«

»Saget mir, wer ist der beste Vater bei seinen Kindern; liebreich und doch nicht schwach, streng und doch nicht hartherzig? Oder saget mir, wer ist der beste Hausherr, dem sein Gesinde gern dienet und zugethan ist, aber den es doch fürchten muß; der Alles in seinem Hauswesen geschickt ordnet und leitet ohne Lärmen und Geräusch, ohne Zank, ohne Zorn, und daß doch Alles dabei gut geht, wie von selber? – Diesen macht zum Hausvater der ganzen Gemeinde.«

[95] So sprach der weise Herr Pfarrer, und Jeder dachte nun anders als vorher. Und als die Gemeinde sich versammelte, um zween Vorsteher zu wählen, ward von den Meisten verlangt, man solle nicht offen wählen, sondern Jeder solle seine Stimme auf einem verschlossenen Zettel eingeben, damit Niemand wisse, wer sie gegeben, auf daß Jeder frei und ohne Furcht und Rücksicht den wählen könne, der ihm der Würdigste scheine. Der Löwenwirth Brenzel wollte zwar dagegen lärmen; denn er hatte schon bestimmt, wen er zum Amtsgenossen verlange, und nun wollte er gern diejenigen sehen, die es mit ihm hielten oder von ihm abtrünnig wären. Aber der grimmige Löwenwirth setzte es nicht durch. Und es ward geheimes Stimmenmehr gesammelt, und in der ersten Wahl der Schulmeister Oswald, in der zweiten der MüllerSiegfried zu Vorstehern des Dorfes erwählt. Letzterer nahm aber die Stelle nicht an, dieweil er Oswalds Schwiegervater wäre; das tauge nicht, daß aus einer Verwandtschaft zwei Glieder beisammen im Rath säßen. Also ward, statt des Müllers, gewähltUlrich Stark, ein stiller, fleißiger, verständiger Mann.

Dem Löwenwirth, da er diese Wahl sah, ward es ganz grün und gelb vor den Augen. Er hoffte noch, Oswald werde sich ebenfalls weigern, die Stelle anzunehmen. Aber er betrog sich; Oswald dankte der Gemeinde für das Zutrauen, und empfahl nun seinen lieben Johannes Heiter zum Schulmeister. Und Heiter ward Schulmeister.

Der Löwenwirth ging betäubt, als wäre ihm ein Kirchthurm auf den Kopf gefallen, nach Hause. Daselbst ließ er seine Wuth erst an der Katze aus, die ihm schmeichelnd zwischen die Beine kam; dann an dem Hunde, der freundlich an ihm hinaufspringen wollte; dann an der Magd, die ihn nicht gleich verstand, als er ein Glas Branntewein begehrte; dann an der Frau, als die sagte, der Ulrich Stark sei eine ehrliche Haut.

22. Der Gemeindsstall muß ausgemistet werden

[96] 22. Der Gemeindsstall muß ausgemistet werden.

»O Herr Jerum! O Herr Jerum!« rief der Löwenwirth und kratzte sich hinter den Ohren, so oft er daran dachte, daß Oswald nun Ortsvorsteher geworden. Doch besann er sich, und lief spornstreichs zum Oswald hin, umarmte ihn als seinen Kollegen, gratulirte von ganzem Herzen, sagte: nun wollten sie beide rechte Herzensfreunde werden und wie Brüder leben.

Elsbeth wunderte sich über die gar zu schnelle Höflichkeit des Löwenwirths, und sprach, als er fortgegangen war, zu ihrem Manne: »Oswald, Oswald, hättest du doch die Stelle nicht angenommen! Denn Brenzel ist ein falscher Mann, und er wird dir eine Grube graben und dich in die Falle bringen. Oswald, lieber Oswald, hüte dich vor dem Löwenwirth!«

Oswald küßte Elsbeths finstere Stirn und sprach: »Brenzel ist kein grimmiger Löwe; ich sehe, er ist nur ein feiger, schmeichelnder, tückischer Kater. Aber ich will ihm die Pfoten schon lähmen.«

Als nun die Vorsteher das erste Mal nebst dem Gemeindeschreiber beisammen saßen, verlangten Ulrich Stark und Oswald vor allen Dingen, die Rechnungen einzusehen und die Gemeindebücher. Aber da fand sich Alles in großer Unordnung. Vieles war gar nicht ins Protokoll eingetragen. Die Gemeinde hatte bei siebentausend Gulden Schulden. Beinahe die Hälfte war sie dem Löwenwirth schuldig, der sich fünf Prozent zinsen ließ, während er Geld zu drei und vier Prozent für sich aufgenommen hatte. Die jährlichen Gemeindssteuern waren meistens für allerlei Unkosten, Bemühungen, Augenscheine und Besichtigungen, für Reisen, Entschädigungen und dergleichen der bisherigen Gemeindsvorsteher darauf gegangen. Besondere Rechnung war darüber nicht geführt, sondern Alles nur in runden Summen ausgestellt. Eben so war es mit den Einkünften des Dorfspitals oder Armenguts gegangen. [97] Mit den Vormundschaftsrechnungen für die Wittwen und Waisen stand es nicht besser. Aus den Waldungen hatte man im Einverständniß mit dem Förster nach Belieben Holz geschlagen und verkauft, wie es hieß, zum Besten der Gemeinde, ohne daß man jetzt wußte, wohin und wie viel. Hatte sich doch der Löwenwirth manchmal selbst gerühmt: »Mein Beil hat schon mehr Holz abgeschlagen, als der beste Hof im ganzen Lande werth ist.« – Genug, es war mit dem Gut der Gemeinde übel gehauset, übel Rechnung gehalten; hingegen sah man wohl, die Herren Vorgesetzten hatten sich dabei nicht vergessen. Es fand sich sogar, daß um den Spottpreis von tausend Gulden ein großes Stück Gemeindsland verkauft worden war, daß es die Vorsteher gekauft, das Geld noch nicht einmal bezahlt und seit fünf Jahren nicht verzinset hatten. Ferner, daß der Löwenwirth schon vor eilf Jahren, im Einverständniß mit seinen Beisitzern, viertausend Gulden Kapital aufgenommen hatte, Namens der Gemeinde; daß dafür die Gemeindswälder unterpfändlich verhaftet worden waren; daß die Gemeinde den Zins unter den übrigen Steuern hatte mitzahlen müssen, und daß das Kapital in den Händen der Vorgesetzten geblieben war.

Da ergrimmte Oswald in seinem Gemüth, und sprach: »Man hat mich nicht in den Gemeindsrath gesetzt, sondern in den Gemeindsstall, der da ist voller Unflath und Verderben. Aber wir wollen den Stall ausmisten, und sollte der Gestank auch durch das ganze Land dringen. Ihr habet, als Vorsteher, nicht das Gemeinbeste vertreten, sondern ihr habet es zertreten. Ihr Väter der Wittwen und Waisen habet eure Kinder bestohlen, und den armen Leuten verschimmeltes Brod zugeworfen, während ihr aus ihrem Gute euch Wein und Braten auftischtet. Ihr habet den, der vom Felde zwo Rüben stahl, in den harten Kerker geworfen, aber euch weiche Betten gekauft vom Gelde, das ihr der Gemeinde geraubet. Ihr Ottergezücht, die ihr immer von Gerechtigkeit [98] redet und in Ungerechtigkeit schwelget, die ihr immer die Religion im Maule habet und den Teufel in der Brust – wahrlich, wahrlich, ihr sollt ärnten, was ihr gesäet habt: Armuth für Hochmuth, Galgenholz für Räuberstolz!«

Als dies der Löwenwirth hörte, kam großes Entsetzen über ihn, daß er im Innersten erzitterte. Er schob die Schuld auf seine ehemaligen Beisitzer, und fiel vor Oswald weinend und heulend nieder, und beschwor denselben bei Allem, was heilig ist, ihn nicht unglücklich zu machen.

Aber noch denselben Tag sendete Oswald einen Bericht an die hohe Obrigkeit, und deckte Alles auf. Und im ganzen Dorfe war großer Schrecken und allgemeine Bestürzung; denn so viel Betrug hatte Keiner den ehemaligen Vorstehern zugetraut. Viele wollten es gar nicht glauben, und schalten den Oswald einen Verleumder und Bösewicht, der sich großes Ansehen geben und unschuldige Leute ins Verderben bringen wolle. Und der Löwenwirth lief umher im Dorfe und suchte bei seinen Freunden allerlei Zeugniß, um sich gegen die schwersten Beschuldigungen sicher zu stellen. Jedoch seine besten Freunde zuckten die Achseln, und wollten sich in das Geschäft nicht mischen. Und schneller, als er vermuthete, erschien eine Untersuchungskommission der Regierung. Da kam alle Schändlichkeit ans Tageslicht. Der Löwenwirth ward gefangen hinweggeführt, um vor Gericht beurtheilt zu werden. Er ward seiner Stelle entsetzt und kam ins Zuchthaus. Aus seinem Vermögen wurde Vieles von dem wieder ersetzt, um was er die Gemeinde betrogen hatte. So endete der stolze Löwenwirth; denn unrecht Gut gedeihet nicht, und Hochmuth kommt vor dem Fall.

Oswald aber wurde zum ersten Vorsteher der Gemeinde ernannt, und ihm ein Ehrenmann aus dem Dorfe zum dritten Beisitzer erwählt.

Ueber diese schrecklichen Begebenheiten hielt der Pfarrer Roderich [99] eine schöne lehrreiche Predigt. Er sagte: »Wenn Aeltern ungerathene Kinder haben, so muß man nicht nur die Kinder, sondern auch die Aeltern wegen schlechter Zucht anklagen. Und wenn in einer Gemeinde Schande, Armuth und Laster zunehmen, so ist es ein Beweis, daß die Vorgesetzten nichts taugen, sondern Schuld an dem Unglück sind. Aber Gott sendet Jedem seinen jüngsten Tag zu.«

23. Die Schulden müssen getilgt werden

23. Die Schulden müssen getilgt werden.

Der Oswald hatte jetzt gar viel zu schaffen. Keiner wußte, was er trieb. Bald lief er in allen Feldern herum, bald tagelang in den Wäldern, bald wieder in die Stadt.

»Ach, du armer Oswald!« seufzte Elsbeth, wenn sie ihm am Abend vor dem Dorfe entgegenging und ihn mitleidig bewillkommte: »Warum kümmerst du dich so sehr, armer Oswald, und plagest dich? Du wirst am Ende doch nur Undank und Verdruß von aller deiner Mühe haben.«

Oswald sprach: »Undank ist die Münze, womit das Volk am liebsten zahlt. Wer aber einer Gemeinde vorsteht, der soll an seinen Gott und seine Pflichten denken, nicht aber auf Lohn und Dank. Siehst du, liebes Herz, Gott lohnt endlich auch gewiß alles Gute, gleich wie er Böses straft.«

So redete Oswald, und that, was er sollte.

Es ergab sich aber, daß die Gemeinde noch über sechstausend Gulden schuldig war, theils von den Zeiten des Krieges und der Theurung her, theils durch die schlechte Haushaltung der ehemaligen Vorgesetzten. – Und Oswald sann Tag und Nacht, wie er diese Last von dem armen Goldenthal nehmen, oder doch vermindern könne. Und als sein Plan endlich reif war, legte er ihn seinen Amtsgenossen vor; die hießen ihn nach langer Berathschlagung [100] gut, und sprachen: »Wollte Gott, die Schulden wären abgethan, so wüßte doch auch Jeder wieder, was er Eigenes hätte, und könnte frei athmen, und müßte nicht fort und fort an das Zinsen denken.«

Darauf ward eine Besichtigung und Schätzung aller liegenden Gründe der Ortsbürger angeordnet, damit man ungefähr wisse, wie arm oder reich Jedermann sei; und damit Jeder auf gerechte Weise in Zukunft wegen der Steuer angelegt werden könne. Und Jeder mußte bei den Gemeindevorstehern angeben und beweisen, wie viel Schulden er auf Haus und Gütern stehen habe; und das ward treulich in ein Buch eingetragen und darnach Jedermann geschätzt.

Dann trat Oswald am Sonntage nach der Kirche mit seinen zween Beisitzern vor die versammelte Gemeinde und sprach: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, unser Dorf hat sechstausend vierhundert Gulden Schulden. Das Geld haben wir theils in den benachbarten Städten zu verzinsen, theils sind wir es hier im Dorfe uns selber für Heu, Haber, Fuhren und Requisitionen schuldig. Was wir auswärts zu zahlen haben, wollen wir ein andermal besprechen. Jetzt wollen wir abthun, was sich die Gemeinde selber schuldig geworden ist.«

»Viele von uns haben an der Gemeinde noch beträchtlich für Stroh, Haber und andere Lieferungen aus dem letzten Kriege zu fordern. Man verzinset ihnen zwar jährlich, aber sie müssen doch allemal erst ihren Beitrag zur allgemeinen Zinssumme geben. Also verzinsen sich im Grunde Viele nur ihre Sache selber. Das ist mühsam und thöricht. Nun haben wir diese Schuld auf alle Bürger, nach Maßgabe ihres Vermögens, vertheilt. Den Reichen trifft davon mehr, den Armen weniger. So wird die Gemeindschuld in eine Partikularschuld verwandelt. Wer auf diese Art so viel schuldig wird, als er selber zu fordern hat, der streicht Schuld [101] und Forderung, und ist frei, bekommt und zahlt keinen Zins mehr. Wer mehr zu fordern hat, als er durch die Eintheilung schuldig wird, streicht erst so viel von seiner Schuld weg, als ihm die Gemeinde selbst schuldig ist, und sagt: ›Wer zahlt mir den Ueberschuß dessen, was mir herausgebührt?‹ – Antwort: Diejenigen zahlen ihn, die nichts an die Gemeinde geliefert haben im Kriege. Diese sind als Schuldner an die Zuguthaber vertheilt, und tragen denselben entweder die kleine Summe, die sie trifft, gleich baar ab, oder verzinsen solche zu Vier vom Hundert.«

So redete Oswald. Viele verstanden es anfangs nicht recht. Da sie aber einsahen, daß dabei Keiner zu kurz kam, waren sie es sehr zufrieden. Denn die Reichen, welche am meisten zu fordern hatten, die hatten auch nach Maßgabe mehr an Abtragung der Gemeindsschuld zu zahlen. So blieb für die Aermern weniger zu entrichten übrig, und Jeder fand die Einrichtung darum billig, weil die Schatzung der Güter und des Vermögens sehr unparteiisch gemacht war.

Am Sonntage darauf ward die Gemeinde abermals versammelt, und Oswald redete also: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, es ist uns gelungen, das Geld, was die Gemeinde schuldig ist, in benachbarten Städten zu geringerm Zins zu erhalten, also, daß Goldenthal jährlich nur zweihundert und zwanzig Gulden Zins zu entrichten hat. Aber es wird manchem Hausvater schwer fallen, den Beitrag zu diesem Zins zu erschwingen aus seinem Gut. Daher ist es besser, es zahle Keiner von euch den Zinsbetrag aus seinem Gut!«

Da erhoben alle Goldenthaler ein Gelächter, und sie riefen: »Das läßt sich hören und gefällt uns über die Maßen.«

Oswald erhob die Stimme und redete weiter: »Ihr Männer, liebe Mitbürger, wir haben noch ein großes Stück Gemeinweide. Das ist elendes Land, vom Vieh zertreten, mit alten einzelnen [102] Eichen darauf. Jeder von euch, dem dies Land gehörte, würde es besser benutzen. Aber wer benutzt es jetzt? – Niemand. Denn die Reichen, welche viel Vieh haben und es im Sommer darauf weiden lassen, haben offenbaren Schaden daran. Nicht nur kommen ihre Kühe magerer und hungriger Abends heim, als sie des Morgens hinausgingen, sondern es geht auch für die Aecker aller Dünger vom Vieh dabei verloren. Die Armen aber, die keine Kuh halten können, haben gar keinen Nutzen davon, und müssen ihn den Reichen überlassen. Ist das billig? Warum sollen reiche Bürger mehr Vortheil vom Eigenthum der Gemeinde haben, als arme? Sind wir nicht allesammt Goldenthaler? Hat Einer nicht so viel Recht, wie der Andere? Wer hat denn den Reichen den Nutzen des Gemeinlandes allein gegeben? – Wenn die Armen ein Stück Feld davon hätten, und könnten Klee oder andere Grasarten darauf bauen, so hätten sie für ihre Ziegen und Schafe doppelt so viel und gesünderes, nahrhafteres Futter, als jetzt. Also ist unser Rath, daß wir das Gemeinland in gleiche Theile unter die Bürger vertheilen, daß Jeder seinen Theil davon benutzen könne, wie er wolle. Das Land aber bleibt aber ewiges Eigenthum der Gemeinde; Jeglicher empfängt seinen Antheil nur in Pacht, und kann ihn weder verkaufen, noch verleihen, noch vererben, noch sonst veräußern; sondern derselbe fällt jedesmal nach des Besitzers Tode an die Gemeinde zurück. Diese gibt ihn dann an einen jungen Bürger, der eigene Haushaltung führt und noch ohne Gemeinland ist. Jeder zahlt jährlich einen geringen Pachtzins von seinem Stück, und damit wird der Zins von der Gemeindsschuld abgetragen. Also zahlt Niemand diesen Zins aus seinem eigenen Gut, sondern aus dem, was er von der Gemeinde zum Lehen hat.«

Nachdem Oswald geredet hatte, entstand großes Nachdenken im Volk, Gemurmel, Streit, Wortwechsel, Geschrei und Lärmen, als wäre Mord und Todtschlag. Denn die reichen Bauern, welche [103] das Weidland bisher ausschließlich mit ihrem Vieh benutzt hatten, wollten die Theilung nicht zugeben, schrien über Ungerechtigkeit und drohten mit der Regierung. Andere sagten: »Wir sehen wohl, man will die Lumpen reich machen, und die Ehrenleute im Dorfe zu Lumpen. Wer Vieh hat, der kann es zur Weide schicken; das ist eine alte Rechtsame, die von den Vätern vererbt ist, und die lassen wir uns nicht nehmen!«

Doch die Mehrheit der Bauern, die nicht reich waren, oder die ihr Vieh, um mehr Dünger zu gewinnen, im Stall fütterten, setzte es durch und hob den Weidgang auf. Alsbald mußte ein Feldmesser kommen, alles Gemeinland in so viel Theile, als Haushaltungen waren, vertheilen, und dann wurden die Stücke verlooset. Die reichen Bauern gingen jammernd und klagend vor die Regierung und beschwerten sich wegen der Bedrückung ihrer Rechtsame. Die Regierung aber gab folgenden Bescheid: »Das Gemeinland ist eine Rechtsame der Bürger und nicht der Kühe von Goldenthal. Also kann jeder Bürger das Gemeinland oder seinen Theil benutzen wie er will. Ihr Herren aber vertheidiget nicht eure alten Rechtsame, sondern euern von Alter stinkenden Eigennutz, und verstehet noch dazu euern Vortheil schlecht. Derohalben bleibt von nun an der Weidgang aufgehoben. Damit packet euch, ihr Esel, und ziehet hin in Frieden!«

Die reichen Bauern bedankten sich für den gnädigen Bescheid, und zogen heim. Nun erst bedauerten sie den Löwenwirth Brenzel im Zuchthause, und sagten: »Er war doch bei allen seinen Fehlern ein braver Mann; er hielt auf alte Gerechtigkeiten und Herkommen; unter ihm wäre so etwas nie geschehen. Der Oswald ist ein Franzos, ein Jakobiner, ein Neuerer, ein Bonapartler und dergleichen.«

24. Und abermals die Schulden müssen getilgt werden

[104] 24. Und abermals die Schulden müssen getilgt werden.

Schon im folgenden Frühjahr war Jubel und Freude in der vormaligen Wüste des Gemeinlandes. Denn wo sonst einsame Kühe am kurzen schlechten oder sauern Grase rupften und zupften, blühete nun ein wahrer Garten. Da sah man nun Bohnen, Hopfen und Hanf, Erbsen und Flachs, Kohl und Erdäpfel, Klee und Getreide in bunter Mannigfaltigkeit. Jeder konnte leicht berechnen, daß er mit der Aernte nicht nur den kleinen Zins abtragen, sondern Ueberschuß haben würde. Selbst die reichen Bauern, sobald sie einmal zum rechten Verstand kamen, was oft sehr schwer bei ihnen hielt, erkannten ihren Vortheil dabei. Denn nicht nur hatten sie Gewinn am Futter für ihre Kühe im Stall, an Milch und Dünger, sondern auch an baarem Geld. Denn hätte Jeder, wenn es nach ihrem Kopf gegangen wäre, zum Schuldenzins der Gemeinde aus seinem eigenen Sack gesteuert, so hätten sie verhältnißmäßig das Meiste dazu haben zahlen müssen, während jetzt, ein Jeder von seinem Pachtland, gleich viel Zins entrichtete. Der Oswald aber war noch nicht zufrieden, und nicht vergebens so oft in den Wäldern Tage lang umhergestrichen. Er hatte sogar in einer benachbarten Stadt den Oberförster besucht, der in sei nem Fach ein grundgeschickter Herr war, und hatte denselben links und rechts in den Goldenthaler Gemeindswaldungen herumgeführt und um Rath gefragt. Der Oswald brütete wieder über etwas, aber Keiner wußte recht worüber? Die reichen Bauern sagten: »Wir wissen's wohl, es soll wieder über unser Fell hergehen!« Diesmal aber hatten sie sich doch geirrt.

Jedermann war sehr neugierig, als die gesammte Bürgerschaft von Goldenthal wieder versammelt wurde, um von den Vorgesetzten wichtige Anträge zu hören.

Oswald trat wieder hervor und sprach mit lauter Stimme: [105] »Ihr Männer, liebe Mitbürger! Ein Mann ohne Schuld hat Jedermanns Huld. Unser Dorf hat aber noch Schulden. Wir verzinsen dieselben vom Pachtlande. Besser wäre es, wir behielten den Zins vom Pachtlande Jeder in seinem eigenen Sack, wenigstens zehn Jahre lang oder länger. Damit wäre uns allen geholfen.«

Die Leute lachten und sprachen unter sich: »Der Vorschlag ist nicht unbillig.«

Oswald fuhr fort zu reden: »Ich und die ehrsamen Beisitzer wollen es übernehmen, dafür gut zu stehen, daß die Gemeindeschuld ganz oder doch größtenteils abgetragen werden soll, ohne eure Unkosten, sobald ihr einwilliget, drei Beschlüsse zu genehmigen und zu befolgen.«

»Aha!« schrien die reichen Bauern: »Jetzt kommt der hinkende Bote nach!«

Oswald sprach: »Höret mich an und denket wohl nach, ob ich wahr rede oder nicht. Wir haben in Goldenthal ungefähr hundert Haushaltungen.«

»Das ist wahr!« riefen die Bauern.

»Jede Haushaltung,« sagte Oswald, »bekommt jährlich drei Klafter Holz nebst Reiswellen aus dem Gemeindswald.«

Die Bauern sagten: »Das ist wieder wahr.«

»Und,« fuhr Oswald fort, »so viel braucht jede Haushaltung; manche mehr, manche aber auch weniger, die aus der Garküche speist. Aber alle könnten sich mit Wenigerem behelfen, wenn sie nicht Jahr aus Jahr ein zum Brodbacken, Obstdörren und zu den Wäschen gar viel Holz nöthig hätten. Bedenket, wenn in einer einzigen Woche zehn, zwanzig Familien Wäsche halten oder Brod backen, wie viel Holz in so vielen Häuseln auf einmal verbrannt wird!«

Die Bauern murrten und sprachen: »Das ist ganz richtig; [106] aber wir können nicht ohne Brod leben und in unreiner Wäsche gehen.«

Oswald sagte: »Es gibt viele Gemeinden im Lande, die weit reicher sind, denn wir, und doch weit mehr hausen und besser sparen, als wir. Aber eben darum sind sie reicher. Es gibt Gemeinden, sie haben nicht so viel Waldung, als wir, und haben doch Holz genug und können davon sogar verkaufen. Aber wie machen sie es? Da haben mehrere Häuser zusammen nur einen einzigen Back- und Dörrofen. Da trägt jeder in der Woche seinen Teig und sein Obst hin, wenn die Reihe an ihn kommt. Und weil der Ofen nie kalt wird, braucht Jeder nur wenig Holz zur Feuerung hineinzuthun, um ihm die gehörige Hitze zu geben. Das nennt man hausen und sparen! – Warum können wir das nicht? Warum thaten wir das nicht schon längst? Antwort: Weil wir zum Guten entweder zu träg oder zu unverständig waren. Und bedenkt noch dazu, wie leicht wir durch das Backen und Dörren in den Wohnhäusern ein ganzes Dorf in Feuersgefahr setzen. Bedenket, wie viel Holz wir nur dadurch sparen könnten, wenn wir kleinere, bequemere Stubenöfen hätten, die weniger Holz fressen, statt der ungeheuern Steinmassen, die wir haben müssen, weil sie auch zum Backen und Dörren dienen sollen.Holz brennen heißt Geld verbrennen

Bei diesen Worten kratzte sich die ganze ehrsame Gemeinde von Goldenthal verdrießlich hinter den Ohren.

Doch der erste Vorsteher ließ sich nicht stören, und sprach weiter: »Schauet rechts und links. Andere Gemeinden haben längst schon Gemeindswaschhäuser, deren sich alle Haushaltungen nach der Reihe bedienen, und wozu sie sich einschreiben lassen. Da ist mit dem Holz das gleiche Ersparniß, wegen Feuersgefahr die gleiche Sicherheit für das Dorf. Wir wissen das und wir finden das löblich. Warum muß denn bei uns jede Haushaltung noch ihre [107] Wäsche bei sich im Hause halten? – Durch das Feuer beim Backen werden unsere Oefen, durch das Feuer beim Waschen werden unsere Herde weit schneller ausgebrannt und schadhaft. Wir müssen daher beide öfters ausbessern lassen. Das kostet Geld. Hätte die Gemeinde ein gemeinsames Waschhaus, hätte eine ganze Reihe Häuser ihren gemeinsamen Backofen zu unterhalten, das würde ungleich weniger kosten.«

»Nun denn, liebe Männer und Mitbürger! Wir machen euch den Vorschlag zur Errichtung von Gemeindsbacköfen mit Einrichtung zum Dörren, und zur Erbauung eines gemeinsamen Waschhauses, wie andere Gemeinden haben. Die ersten Unkosten dazu sollen aus dem Gemeindssäckel gegeben werden. Wir alle wollen dazu fuhrwerken und handlangen. Was meinet ihr?«

Die Bauern meinten vielerlei. Die Einen wollten beim Herkommen bleiben; mehrere aber sahen ein, daß ein Gemeindswaschhaus besser wäre. Doch die Backöfen wollten sie nicht, weil sie dergleichen noch nicht kannten. Andere aber stimmten auch zur Errichtung der gemeinsamen Dörr- und Backöfen. Als nun endlich einmal abgestimmt werden sollte nach langem Streit, geschah es, daß sowohl für Waschhaus als für Backöfen die größte Mehrheit war.

Da sprach Oswald mit freudigem Antlitz: »Bravo, ihr Männer und Mitbürger, euer Beschluß macht euch Ehre und wird euch mit Nutzen belohnen. Nun kommt das Letzte. Wenn ihr nun weniger Holz in Zukunft gebrauchet, so brauchet denn weniger. Machet aus dem Holz, was ihr auf diese Weise ersparet, ein Geldkapital, und bezahlet damit die Gemeindsschulden ab. Höret mich an und helfet mir rechnen.«

»Wenn sich jede Haushaltung, die jetzt nebst Reiswellen drei Klafter Holz empfängt, im Jahr mit zwei Klaftern durchbringt, so werden von den hundert Haushaltungen in einem Jahr einhundert [108] Klafter erspart. Das Klafter ist fünf Gulden werth, bringt im Jahr fünfhundert Gulden. Binnen zehn Jahren haben wir so fünftausend Gulden gespart und unsere Schuld bezahlt.«

»Höret mich weiter. Wir haben etwas über sechshundert Jucharten Gemeindswaldung. Seit die hohe Regierung in den Wäldern den Weidgang verboten hat, wächst darin Alles, wie ihr wisset, freudig und hanfdick auf. Ich bin mit dem Herrn Oberförster durch den Wald gegangen. Er sagte: alle Jahr wächst auf einer Juchart Land ein halbes Klafter Holz zu. Ferner sagt er: Wir müssen das vom Stock ausgeschlagene Laubholz. wie Buchen, Erlen, Hagebuchen, Espen, Ahorn, dreißig Jahre alt werden lassen; große Eichen, Buchen, Tannen und was zu grobem Bauholz dient, muß siebenzig, hundert und mehr Jahre alt werden. Folglich, wenn wir gehörig holzen, so müssen wir alle niedere Laubholzwaldungen in dreißig Portionen eintheilen, und alle Bauholzwaldungen in hundert und mehr Portionen. Wenn wir nun alle Jahre von jeder Art nur eine Portion nehmen, so hätten wir natürlich alle Jahre gleich viel Holz, und schlügen nicht zu viel und nicht zu wenig, und wir und unsere Nachkommen hätten allezeit altes, reifes Holz zu schlagen. Ferner sagt er: Wir hätten im Tannenwald so altes Holz, daß, wenn wir nach der Ordnung holzten, vieles davon überalt und faul werden würde. Wenn wir dies in einigen Jahren wegschlügen, würde in hundert Jahren da wieder für unsere Nachkommen hundertjähriges Holz stehen. – So ist denn mein Rath und der Rath der ehrsamen Beisitzer: Wenn wir uns im Gebrauch alle Jahre hundert Klafter absparen, so sind tausend Klafter ungefähr das Ersparniß von zehn Jahren. Statt nun zehn Jahre zu warten, holzen wir das Ersparniß in zwei Jahren ab, bezahlen unsere Schuld, behalten den Zins im Geldsack für uns, und behelfen uns zehn Jahre lang in jeder Haushaltung mit zwei Klaftern nebst Reiswellen.«

[109] Als die Gemeinde diesen Vorschlag angehört hatte, erhob sich wieder Streit und tobendes Geschrei. Die Meisten hätten gern zwar den Zins behalten, aber auch das Holz. Man stritt bis es Nacht ward, und kam zu keinem Schluß und lief auseinander.

25. Es geht immer besser

25. Es geht immer besser.

Die wohldenkenden und verständigen Männer im Dorfe schüttelten den Kopf und sagten: »Das Ding mit den Holzsparen setzen wir bei dieser hartnäckigen Gemeinde nie durch.« Oswald aber lachte und antwortete: »Nur Geduld! Gutes Ding will seine Zeit haben. Die Leute müssen das Ding erst besprechen, beschlafen und sattsam verdauen. Goldenthal ward nicht in einem Tage gebaut. Unsere Bauern, wenn ihnen ein nützlicher Vorschlag gemacht wird, der ihnen neu ist, sind wie die Kinder, wenn sie einen unbekannten Mann erblicken. Die laufen erst schreiend und erschrocken davon; nachher schauen sie ihn aus der Ferne an; dann kommen sie wieder einen halben Schritt näher, wenn sie merken, daß er nicht beißt; endlich spielen sie mit ihm und werden gute Freunde.«

So redete Oswald. Unterdessen ward zur Erbauung des Waschhauses und der Backöfen Anstalt gemacht. Man fällte Holz, brach Steine, führte Leimen und Kalk und Ziegel herbei, Alles durch gemeines Werk. Die Haushaltungen, welche einen Back- und Dörrofen gemeinschaftlich haben wollten, traten zusammen, beredeten die Reihenfolge im Gebrauch des Ofens, und bestimmten den sichersten und bequemsten Platz. Oswald ließ einen sehr verständigen Maurermeister kommen, der die besten Vortheile bei Feuerherden und Oefen anzubringen wußte. Er selbst besuchte verschiedene Dörfer, um dasige Einrichtungen kennen zu lernen und das Beste davon für Goldenthal zu benutzen. Gegen den Herbst [110] waren das Waschhaus und die Oefen schon aufgerichtet und zum großem Vergnügen der Goldenthaler in vollem Gebrauch. Jetzt spürten die Haushaltungen in der That, daß dabei viel Holz erübrigt werde und größere Sicherheit vor Feuersbrunst sei.

Aber Eins folgt aus dem Andern. Manche Leute kamen nun von selbst auf den Gedanken, die unfläthigen großen Stubenöfen wären nicht mehr so nothwendig wie ehemals; man könnte kleinere haben, die weniger Holz fräßen. Oswald und der Herr Pfarrer hatten solche kleine Stubenöfen, welche sogar auch zum Kochen bequem eingerichtet waren, in ihren Stuben. In der Stadt sah man fast überall dergleichen. Der ehemalige Löwenwirth Brenzel hatte sich auch schon solche angeschaut, damit es bei ihm städtischer aussehe. Es war Gewinn dabei. Man konnte das ersparte Holz verkaufen und Geld daraus machen. Keinem kamen die Worte Oswalds wieder aus dem Sinn: Holz verbrennen heißt Geld verbrennen! Man scheute nur die Unkosten für das Umsetzen und Abändern der Oefen.

Doch verschiedene von den zweiunddreißig heimlichen Genossen des Goldmacherbundes, auf welche Oswald noch immer durch sein Ansehen großen Einfluß hatte, ließen auf sein Zureden ihre Oefen schon im Herbst verändern, besonders da er einigen der Unbemitteltsten dazu etwas Geld vorschoß. Ein geschickter Mann aus der Stadt richtete Alles höchst vorteilhaft und einfach ein. Nun hätte man sehen sollen, wie die Nachbarn und Nachbarinnen aus allen Winkeln des Dorfes kamen, die neuen Stubenöfen, als wahre Wunderthiere, zu beschauen. Alle lachten darüber, Alle spotteten und tadelten. Hintennach, da der kalte Winter mit Eis, Sturm und Schneeflocken ins Dorf einzog, verwunderten sie sich, daß die kleinen, von den Wänden freistehenden Oefen doch so warme Stuben machen konnten. Als aber im Frühjahre viele von den Besitzern dieser Oefen Holz verkauften, kam den Uebrigen [111] die Sache sehr annehmlich vor. Die alten, ungeheuern Oefen verloren ihre alten Vertheidiger, und zuletzt wollte Jedermann in der Stube ein kleines Wunderthier haben. Viele, welche die Einrichtung bei den Andern gesehen hatten, bauten sich sehr kunstvoll die Oefen selbst auf, und sogar noch mit kleinen Verbesserungen, die allgemeinen Beifall hatten. – Im Frühjahr ging der Weibel herum von Haus zu Haus und sagte: Geld her; der Zins von der Gemeindsschuld soll bezahlt werden, darum bezahlet den Zins vom Pachtlande, das ihr von der Gemeinde habet!

Das war ein böses Geschäft, so mit einmal zwei Gulden und darüber für nichts und wieder nichts wegzugeben. Einige sagten: »Hole der Kukuk die Gemeindsschulden!« Andere liefen zu Oswald und sagten: »Herr Vorsteher, warum redet Ihr nicht mehr von Euerm Vorschlag, die Gemeindsschulden mit Holz aus dem Wald für immer abzuthun? Fangt doch wieder an!«

Das war's, was Oswald erwartete. Und als die Gemeinde zusammen berufen war, sagte er: »Die ganze Bürgerschaft ist darin einig, wie ich von allen Seiten vernehme, die Schuld abzustoßen. Keiner will jährlich ein Klafter Holz weniger empfangen. Nun denn, so macht es mit einem halben Klafter jährlich ab. Das wird bei den neuen Einrichtungen Keiner so stark vermissen, als ein ganzes. Nehmet ihr also jährlich, statt drei, nur zwei und ein halbes Klafter, so lange, bis wir wieder Holz im Walde genug haben, so ist die Schuld in zwei, drei Jahren vernichtet.«

Der Vorschlag erregte zwar auch Murren, aber er ging durch. Und als ihn die hohe Landesregierung nicht nur billigte, sondern auch belobte, ward nahe und fern der Holzschlag angekündigt. Es kamen viele Käufer von nahe und fern zur Steigerung. Man schlug in Gegenwart und unter Anweisung des Oberförsters das älteste Bauholz, auch an vielen Orten junges an, wo es zu dicht [112] stand, verkaufte aber daran zwei Jahre lang, um die Preise nicht zu niedrig zu halten, und in zwei Jahren waren sechstausend Gulden gelöset, so daß die Gemeindsschuld nicht nur bezahlt, sondern auch ein schöner Geldüberschuß für Nothfälle der Gemeinde an Zins gethan werden konnte.

Nun aber folgte Oswald auch dem Willen des Oberförsters und der Regierung. Nämlich um den Wald, als das beste Stück vom Gemeindsvermögen, recht ordentlich bewirtschaften zu können, ließ man einen Feldmesser kommen. Der vermaß alle Waldungen und brachte sie in Karten. Der Oberförster ging durch die Gehölze, und nachdem er sie besichtigt hatte, theilte er sie in Portionen oder Schläge, und schrieb dazu, welchen Schlag man in jedem Jahre abholzen könne. Und so war dabei für dreißig und für hundert Jahre Vorsorge gethan. Der Oberförster machte den Ortsvorgesetzten eine schriftliche Lehre und Anweisung dazu, was sie alle Jahre beim Abholzen und beim Anpflanzen neuer Schläge zu beobachten hätten. Und die Vorgesetzten machten der Gemeinde eine neue Waldordnung, darin, als in einem Gesetz fürs Dorf, geschrieben war, was künftig bei Fällung des Holzes, bei Austheilung der Gaben, bei Anweisung notwendigen Bauholzes in der Gemeinde, bei Freveln, bei Ernennung der Bannwarte oder Waldvögte u.s.w. zu beobachten sei, damit Alles recht unparteiisch und gemeinnützlich vor sich gehe.

Diese Einrichtungen waren ganz vortrefflich. Und wenn es einmal an einen Schlag im Walde kam, der zu wenig Holz gab, ward das Fehlende aus dem Ueberschuß eines andern ersetzt. Der Bannwart empfing bessern Gehalt, damit er den Lumpen und Holzdieben Tag und Nacht fleißiger nachgehen könne. Alle zwei Jahre wurden die Marken und Grenzen der Wälder und Aecker und Wiesen von den Vorgesetzten, Feldhütern, Bannwarten, Güterbesitzern u.s.w., von alten Männern und jungen Knaben [113] umgangen, besichtigt und berichtigt. Das verhütete vielen Grenzstreit, viele Prozesse, die sonst aus Verwahrlosung der Marken entstanden waren.

26. Es ist noch viel Noth im Dorfe

26. Es ist noch viel Noth im Dorfe.

Das ganze Land konnte sich nicht genug über die Goldenthaler verwundern. Denn der Wohlstand der Leute nahm sichtlich zu. Nicht nur das Dorf hatte keine Schulden, sondern Leute, die sonst tief darin steckten, trugen nach und nach ihre kleinen Kapitale ab. Jedermann in der Stadt, welcher Geld austhun wollte, lieh den Goldenthalern am liebsten; denn Jedermann wußte, die Ortsvorgesetzten waren bei Schätzung der Unterpfänder sehr gewissenhaft, und kannten haargenau, wie viel Schuld auf einem Stück Landes haftete. Das war nicht so in andern Gemeinden, darum hatten die Goldenthaler überall den Vorzug und das Ansehen. Und wenn einmal ein Bettler kam, und sagte, er sei aus Goldenthal, so sprach man: »Pfui, schämst du dich nicht zu betteln, und du bist aus Goldenthal?« Man bildete sich ein, im Goldmacherdorf wären gar keine bettelarmen Leute.

Darin aber irrte man sich sehr. Denn in diesem neuaufblühenden Dorfe war noch immer ein ansehnlicher Bodensatz ans der alten Zeit. Da lebten einige verlumpte Familien, die nicht zu bessern waren, der Herr Pfarrer mochte mit ihnen reden, oder die Obrigkeit drohen, wie sie wollte. Da lebten Leute, die lieber müßig gehen, hungern und betteln wollten, als im Schweiß ihres Angesichts das saure Brod verdienen. Da lebten Leute, die sogar ihre Kinder zum Bettel-und Diebshandwerk abrichteten, und sie Abends abprügelten, wenn sie nicht genug gesammelt hatten. Da lebten Leute, die immer wieder das, was sie entweder verdient, [114] oder als Almosen bekommen hatten, für Wein, Branntewein und allerlei Nasch- und Leckerwaare hingaben. Man hatte auch keine Hoffnung, daß die Menschen endlich einmal aussterben würden. Umgekehrt, sie vermehrten sich mit dem Wohlstande der Goldenthaler. Denn sie verheiratheten sich unter einander und setzten Kinder in die Welt, ohne sich darum zu bekümmern, wie sie sich und ihre Kinder ernähren möchten. Die Lumpen sagten nur: »Die Gemeinde hat ein Armengut, das gehört uns an; und es ist die Schuldigkeit der Gemeinde, sie muß uns erhalten, sie mag wollen oder nicht. Verstoßen oder verhungern lassen, darf sie uns doch nicht.«

Dem guten Herrn Pfarrer Roderich gingen diese frechen Redensarten des Gesindels besonders zu Herzen. Und er sagte vielmals zu den Vorstehern: »Arbeitet, wie ihr wollet: so lange ihr noch die Beispiele der Faulheit, Ueppigkeit und Liederlichkeit, die Pflanzschule alles Lasters, im Dorfe habet, so lange kommt die Gemeinde auf keinen grünen Zweig. Denn was rechtschaffene Haushaltungen verdienen, davon zehren die Müßiggänger auch mit. Diese vermindern immerdar das Vermögen der Andern, und verführen durch ihre Schlechtigkeit andere Leute zur Schlechtigkeit.«

Die Ortsvorgesetzten sahen dies so gut ein, wie der Herr Pfarrer. Aber wie sollte man dem muthwilligen Bettel und Müßiggang abhelfen? Das war der Knoten! – Im Dorfe befand sich zwar eine Art Armenhaus, welches man das Spital hieß, allein es war für die Menge der Bettelschaft zu klein; darum kamen Viele nicht hinein. Und man mußte sich scheuen, Menschen hinein zu thun. Der Herr Pfarrer ging oft in das sogenannt Spital, und hoffte die Leute darin zu bessern, – aber hoffte vergebens. Hier wohnten Alt und Jung: Männer, Weiber, die sonst kein eigenes Obdach mehr hatten, elend beisammen. Das Haus war, wie der Herr Pfarrer oft sagte, eine wahre Mördergrube [115] der Seelen. Denn die Kinder sahen und hörten da von den Alten viele schändliche Sachen. Das Beisammensein von Personen beiderlei Geschlechts und von den schlechtesten Sitten gab zu vielen Ausschweifungen Anlaß. Das Land, welches zum Spital gehörte, war immer am unordentlichsten besorgt, und Oswald hatte große Mühe, im Hause selbst nur mehr äußerliche Reinlichkeit herzustellen. Aber wie sehr er auch den Kopf anstrengte, er konnte nichts ersinnen, dies zusammengepackte, müßige, lüderliche Gesindel zu ändern, und er glaubte zuletzt selbst, das sei nun einmal leider ein nothwendiges Uebel.

Hingegen der Herr Pfarrer hatte keine Ruhe, und wollte nicht Zeuge so vielen Sittenverderbnisses in seiner Gemeinde sein. Er war aber ein kluger Herr, der sich nicht geradezu in Gemeindsangelegenheiten mischte, weil er, um heilsam zu wirken, mit allen Bewohnern des Dorfes in Freundschaft bleiben wollte. Er gab hin und her einen guten Rath, warf einen guten Gedanken hin, und freute sich, wenn er von diesem oder jenem Vorsteher aufgefaßt wurde. Dann that er gar nicht, als wenn das von ihm herrühre; sondern er ließ den Vorgesetzten die Ehre, von selbst den rechten Weg gefunden zu haben. Das schmeichelte diesen und sie verfolgten den rechten Weg um so williger. Pfarrer Roderich meinte auch: es sei recht, daß die Ortsvorgesetzten bei der Gemeinde in höchster Achtung ständen; und es schade ihrem Ansehen, wenn es hieße, sie ließen sich vom Herrn Pfarrer gängeln und lenken. Das sollte nicht sein. Auf solche Weise wirkte der weise Mann im Stillen, ohne eigenen Ruhm, und mehr als selbst diejenigen wußten oder glaubten, auf die er wirkte. Und wenn auch nicht Alles so geschah, wie er wohl gewünscht hätte, ward er deshalb doch nicht mißvergnügt, und zog die Hand nie von der guten Sache zurück. Denn er war bescheiden genug zu glauben, daß andere Leute ebenfalls Verstand von Gott und vielleicht in [116] vielen Dingen bessere Erfahrung und Kenntniß hätten, als er. Jedes Nützliche belobte er ungemein; das gab großen Muth und Freudigkeit. Und wo man begriff, daß gefehlt worden sei, entschuldigte er freundlich den Irrthum; das gab wieder Trost und richtete die Verdrossenen auf.

»Das kann nicht länger so gehen mit unsern Gemeindsarmen und müßigen Bettlern!« sagte eines Tages Oswald zum Pfarrer Roderich: »Aber ich weiß keinen guten Rath zu schaffen. Diese Erb-Bettler sind für eine ehrsame Gemeinde, was die Filzläuse für einen Menschenkörper sind: eine Plage, eine Schande; und das Ungeziefer sauget Blut, Saft und Kraft aus, daß man nicht geneset. Ich habe ein Grausen, so oft ich unser Spital erblicke. Die Verwaltung kostet so viel und taugt offenbar nichts, und ist nur eine Plage und Schande und Lüderlichkeit.«

Pfarrer Roderich antwortete und sprach: »Ihr habet mir endlich aus der Seele gesprochen, Oswald. Hätte die Gemeinde kein Spital, so hätte sie auch keine Bewohner desselben. Die meisten Bettler und Müßiggänger wird man allezeit in denjenigen Orten finden, in denen das meiste Armengut angehäuft ist, und wo man die meisten Almosen austheilt.«

Oswald versetzte darauf: »Ich habe freilich schon daran gedacht, das Spital abzuschaffen. Aber damit ist nichts gebessert. Es wird in den besteingerichteten Gemeinden immerdar Arme geben und Taugenichtse. Wohin mit diesen? – Ich habe in andern Gemeinden gesehen, daß man die dortigen Armen bei den vermöglichen Bauern umherziehen läßt in die Runde, oder eine Woche lang von einer bestimmten Haushaltung Kost oder vielleicht auch den Stall zum Schlafen erhält. Das ist gegen Alte und Kranke oft unmenschlich, und für die Arbeitsfähigen Bestätigung im Müßiggang, seelen- und sittengefährlich. Ich habe wieder in andern Gemeinden, die den Bettel abschafften, gesehen, daß sie ihre [117] Bettler auf Unkosten der Gemeinde bei gewissen Leuten verkostgeldeten. Man übergab dann die Verpflegung des Gesindels denjenigen, die am wenigsten dafür forderten. Das waren nun wieder höchst arme Leute, die damit ein Stückchen Geld verdienen wollten, und in so ruchloser Gesellschaft ganz verdarben. Dabei hatte die Gemeinde gar keinen Nutzen, sondern Schaden, denn die Bettler besserten sich nicht und steckten Andere mit ihrer Liederlichkeit an, bei denen sie wohnten. – Ja, Herr Pfarrer, und Blut weinen möchte ich, wenn ich zumal an arme, verwaisete Kinder denke, welche auf diese Weise durch die Gemeinden versteigerungsweise in Verpflegung an den Wenigstnehmenden gegeben worden sind. Ich weiß, wie man in den theuern Zeiten für solche Kinder das Geld nahm, aber sie hungern ließ; und wenn die armen Würmer jammerten und vor Hunger schrien, wie man sie mit Ruthen gestrichen hat, um sie zum Schweigen zu bringen, damit die Leute es nicht vernehmen sollten. Ich weiß, wie einst der Leichnam eines solchen Kindes geöffnet wurde, fand sich im Magen nichts als etwas Gras und Wasser, und der Rücken und die Lenden waren blutrünstig. Wahrlich, wahrlich, es ist unter Türken und Heiden mehr Barmherzigkeit, als bei unsern rohen Bauersleuten oft gefunden wird.«

»Ich weiß auch gar wohl,« fuhr Oswald fort, »daß die Vorsteher in vielen Gemeinden an Errichtung von Armenhäusern und Spitälern dachten, worein sie ihre Bedürftigen thun wollten. Das geschah aber nicht aus wahrer Menschlichkeit; sondern die hartherzigen, bequemen Vorsteher wollten sich damit nur die Mühe erleichtern und die Plage abschaffen, immer an die armen Leute denken zu müssen. Denn der Stolz der Vorsteher liebt zwar im Dorfe die Würde, aber erleichtert sich auf ehr- und gottvergessene Weise dieBürde, wie es gehen mag!«

So sprach Oswald. Der Herr Pfarrer freute sich über des [118] Vorstehers gründliche Kenntniß der Dinge und sprach: »Ich habe über diesen höchstwichtigen Gegenstand meine Gedanken einmal schriftlich verfaßt; leset doch diese Blätter. Es sind viele unreife Gedanken darin; aber ändert und bessert oder verwerfet Alles, was ihr wollet.«

Oswald nahm des Pfarrers Schrift zu sich. Er las sie mehrmals durch. Er sprach darüber mit den Beisitzern, Er ging zum Pfarrer und machte ihm allerlei Einwürfe, hörte dessen Antworten und berieth sich wieder mit den Beisitzern. Endlich verstand er sich mit dem Herrn Pfarrer über einen Plan zur bessern Versorgung der Armen im Dorfe. Dann versammelte er die achtbarsten Männer der Gemeinde, zog auch diese zu Rath und hörte ihre Einwendungen. Da ward wieder allerlei abgeändert und wieder verbessert.

27. Was die Goldenthaler mit ihren Bettlern machen

27. Was die Goldenthaler mit ihren Bettlern machen.

Nachdem Alles wohl berathen war, ging man ans Geschäft. Doch wußten Wenige im Dorfe, wie man so viele Bettler, Müßiggänger, hilflose Kranke, Gebrechliche und Kinder, ohne ungeheure Kosten, ernähren könne und wolle.

Zuerst wurde aus dem Armengut eine Summe Geldes, mit Genehmigung der hohen Regierung, erhoben; damit schaffte man eine Dreherbank, Aexte, Hobel, Sägen, Schaufeln, Spaten, Hacken und anderes Arbeitsgeräthe an. Man verbesserte auch die Küche des Spitals, um daselbst für viele arme Familien zugleich kochen zu können, und machte allerlei Aenderungen im Hause des Spitals, also daß darin eine Arbeitsstube für Männer, eine andere für Weiber und zwei Krankenzimmer für beiderlei Geschlechts angelegt wurden. Auch ward dafür gesorgt, daß für jeden Gesunden ein eigenes Schlafkämmerlein eingerichtet wurde. Das war [119] eine enge Zelle, nur zehn Schuh lang und drei Schuh breit, am Boden nur Platz für einen Strohsack, ein Kopfkissen mit Stroh gefüllt, mit grobem Bettuch und einer warmen Wollendecke. Jede Zelle hatte eine eigene Thür mit Luftloch. »Man muß es Bettlern nie ganz bequem machen,« sagte Oswald, »damit sie auch Lust bekommen, sich durch eigenes Bemühen eine bessere Lage zu schaffen.« Darum ward jeder Winkel im Hause zu Schlafstellen benutzt. Unter dem Dache des Hauses bewahrte man angekaufte Vorräthe von Wolle, Hanf, Nutzholz und dergleichen.

Sobald Alles und Jedes vorbereitet war, nahmen die Vorgesetzten ein Namensverzeichniß auf von denjenigen Personen im Dorfe, welche nicht ohne Unterstützung von der Gemeinde leben konnten. Das war bald gemacht. Man kannte diese Leute nur allzugut. Verschiedene derselben hatten im Dorfe noch eigene Wohnungen; Andere aber zogen ohne Obdach umher, dem Bettel nach, von Stall zu Stall. Diejenigen nun, welche keine eigenen Wohnungen besaßen, wurden aufgefangen und ins Spital gebracht. Sie gingen willig, denn der kalte Winter war vor der Thür. Diejenigen, welche zwar eine Stube hatten, aber mit andern armen Leuten gedrängt beisammen wohnten, so daß Alt und Jung, Leute beiderlei Geschlechts im gleichen Gemach schlafen mußten, wurden ohne Umstände ins Spital geführt. Nur diejenigen wurden in ihren Wohnungen gelassen, die darin nachweisen konnten, daß sie und ihre Kinder alle getrennt schliefen und gesund wohnten.

Also waren sämmtliche Arme und Bedürftige des Dorfes in zwei Klassen zerfallen. Die, welche eigene Wohnungen hatten, hießen Häusler; die, welche ins Spital kamen, hießen Spittler. Beide aber wurden als Genossen der gemeinen Armenanstalt betrachtet, ohne Unterschied. Wo Kinder waren, ließ man sie gern bei ihren Aeltern. War aber die Behausung derselben zu klein, oder waren die Aeltern ruchlos und unsittlich oder im Spital: so [120] suchte man die Kinder bei guten Haushaltungen im Dorfe oder in der Stadt unterzubringen, nicht bei armen Leuten um Geld, auch nicht bei reichen Leuten, sondern bei solchen, die durch ihre Rechtschaffenheit bekannt waren. Diese Kinder bekamen ihre Kleider von der Armenanstalt, und die Pflegeältern, wenn sie es verlangten, auch geringe Entschädigung. Aber die Wenigsten, die Kinder zu sich genommen hatten, forderten Entschädigung. Sie thaten es aus Ermahnung des Herrn Pfarrers und aus Frömmigkeit. Der Herr Pfarrer war der rechte allgemeine Waisenvater. Er hatte zween böse, muthwillige naschhafte Knaben, die Keiner annehmen wollte, zu sich ins Haus genommen, und schon nach einem halben Jahre waren dieselben zu Jedermanns Verwunderung recht gutartig geworden. Auf diese Weise brachte man die Kinder an, und sie sahen nicht täglich mehr das böse Beispiel ihrer Aeltern, und lernten arbeitsam und gottesfürchtig werden, da sie sonst nur zum Betteln, Stehlen und müßigen Herumschwärmen gewöhnt worden waren.

Wie man die gesammten armen Leute mit ihren Kindern also vertheilte und Jeglichem sein rechtes Obdach gab, ward zugleich von den Ortsvorgesetzten ein Hauptgrundsatz aufgestellt, nämlich: Wer nicht im Stande ist, sich selbst zu erhalten, und von Keinem versorgt wird, den muß die Gemeinde versorgen. Wen aber die Gemeinde versorgen muß, den hat sie auch das Recht zu beaufsichtigen und zu bevogten, damit er sich selbst erhalten und versorgen lerne. Das war nicht anders als recht und billig.

Darum ward jeder einzelnen Armenfamilie ein rechtschaffner Mann zum Vormund oder Vogt gesetzt. Dieser Vogt hatte über Nahrung, Kleidung, Vermögen, Schulden und Erwerb seiner ihm übergebenen Familie Vorsorge zu thun; mußte über Ordnung und Reinlichkeit der Häusler in ihren Wohnungen und über die Arbeit wachen, die ihnen gegeben ward. Dabei verfuhr man sehr streng. Denn da auch die Häusler ihre Nahrung aus der Spitalküche [121] bekamen, wo, wie in der theuren Zeit, die Sparsuppe gemeinschaftlich gekocht wurde, und sie Kleider und Geräth von der Armenpflege erhielten, so mußten sie auch für die Armenanstalt arbeiten, und damit ihr Brod und was ihnen sonst zukam, wieder abverdienen. Was sie außer der aufgetragenen Arbeit durch größern Fleiß verdienten, ward ihnen bezahlt. Sowohl dies Geld, als das, was sie im Taglohn bei den Bauern verdienten, bekamen sie nicht in die Hände, sondern wurde in die Ersparnißkasse für sie gelegt. Denn Leute, die zu ihrem Unterhalt Alles und Jedes empfingen, brauchten kein baares Geld; sie mußten aber erst sparen und haushalten lernen.

Jeder Vogt mußte dem Herrn Pfarrer von Zeit zu Zeit über das Betragen und Schicksal der anvertrauten Familie Rechenschaft geben. Denn der Herr Pfarrer war der rechte Oberaufseher aller Vögte; er war der Pfleger aller Armen und führte darüber ein eigenes Buch. Fand er gegen einen Vogt zu klagen, so daß derselbe sein menschenfreundliches Amt übel versah, so ward der Unwürdige von den Ortsvorstehern geradezu abgesetzt.

Diese beständige, unmittelbare Aufsicht und Bevogtung jeder armen Haushaltung oder Person im Dorfe hatte ungemein viel Gutes. Denn weil das Geschäft der Aufsicht für jeden Vogt nur auf eine Familie ging, war es weniger mühsam und besser und sorgfältiger verrichtet. Jeder that das Wenige gern und unentgeldlich aus christlichem Gemüth. Es wurde bald ein ordentlicher Wetteifer unter den Vormündern, wie jeglicher nach dem Ruhm trachtete, die ihm anvertrauten Personen durch Rath und Anweisung und Beihülfe emporzubringen. So hatte ganz unerwartet jede sonst verlassen gewesene arme Haushaltung einen Freund, Vater und Fürsprecher und Schutzengel gefunden, dem sie lebenslänglich dankbar wurde.

Nun aber war die Frage: woher Nahrung und Kleider für die [122] Armen nehmen? Der Zins des Armenguts reicht nicht zu. Oswald aber sagte: »Es wäre wohl böse, wenn die Leute mit gesunden Händen nicht ihr Brod verdienen könnten. Alle zusammen, Häusler und Spittler, Männer und Weiber machen jetzt gleichsameine einzige große Haushaltung, und müssen Einer für Alle, Alle für Einen arbeiten. Die Häusler müssen in der Woche arbeiten, was ihnen aufgegeben wird; die Spittler müssen des Tages acht Stunden arbeiten, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage.«

Und so ging es. Wer nicht arbeiten wollte, der ward ins finstere Loch des Thurms gesperrt; da saß er und bekam zum Getränk kaltes Wasser, und zur Nahrung geschwellte Erdäpfel, kalt und ohne Salz, welche die Andern nicht hatten essen mögen. Das war Keinem angenehm. Wer aber arbeitete, hatte täglich warme Speisen, Suppe, Gemüs und zweimal in der Woche Fleisch. Wer, außer den acht Arbeitsstunden, noch fleißiger sein wollte, konnte sich damit Geld verdienen. Seine verfertigte Waare ward für ihn verkauft, und das erlösete Geld für ihn als ein kleines Kapital in die Ersparnißkasse an Zins gethan. So sammelten sie sich ein kleines Vermögen. – Wer fluchte oder schwor, unzüchtig redete, Unordnung trieb, kam in das finstere Loch ohne Gnade und Barmherzigkeit. Wer aber fein still und ehrbarlich lebte, der hatte Hoffnung, seinen Zustand zu verbessern. Er konnte im Spital ein Unteraufseher oder gar Spitalmeister werden. Denn aus den bravsten Leuten im Spital wurden die Aufseher über die Arbeiten und das Betragen der Andern, über Reinlichkeit und Ordnung der Zimmer und Schlafstätten und Kleider erwählt. Die Aufseher berichteten Alles dem Spitalmeister, der selbst ein Spittler war. Der Spitalmeister, so wie die Köchinnen, hatten den Vortheil, nicht zur gemeinen Arbeit gebraucht zu werden. Was sie neben ihren Amtsgeschäften verdienen konnten, das war [123] ihr Eigenthum und kam in die Ersparnißkasse. Die Unteraufseher hatten nur vier Stunden des Tages für die Gemeinschaft mitzuarbeiten; die übrigen Stunden waren ihnen erlaubt, für ihren Vortheil fleißig zu sein. Die Köchinnen hatten es eben so. Elsbeth führte die Oberaufsicht der Spitalküche. Hier unterrichtete sie zwei arme Frauen im Kochen. Eine andere Spittlerin hatte Aufsicht über Wäsche, Kleidung und Geräth der Spittler. – Also wurden sämmtliche Spittler zwischenFurcht der Strafe und Hoffnung des Nutzens gestellt und zu ihrem eigenen Besten hingeleitet.

Und Arbeit gab es für die Armenhaushaltung vollauf im ganzen Jahr. Vor allen Dingen mußten Spittler und Häusler gemeinschaftlich nicht nur die Gärten und Felder des Spitals bestellen, das Getreide, Kohl, Rüben, Bohnen, Salat, Erdäpfel, Flachs, Hanf, Oelpflanzen u.s.w. bauen, sondern auch gemeinschaftlich ihr von der Gemeinde empfangenes Pachtland bearbeiten. Doch behielt jeder Besitzer den Nutzen von seinem Stückchen Gemeinlandes, also daß er, nach Abzug dessen, was er ebenfalls der Armenanstalt noch für Nahrung, Kleidung und Obdach schuldig geblieben, das Uebrige verkaufen lassen konnte von seinem Vogt; der Gewinn kam in die Ersparnißkasse.

Ferner mußten die Männer Straßen verbessern; Brunnen reinigen; feuchte, moosige Stellen des Waldes durch Abzugsgraben trocken legen; für das Spital und die Häusler Holz fällen und spalten; im Walde leere Stellen mit jungen Tannen, Buchen und Eichen besetzen, und sonst allerlei Maurer- und Zimmermannsarbeit zur Ausbesserung des Spitals oder der Häuslerwohnungen verrichten. Bei schlechtem Wetter oder im Winter hatten die Männer noch weit mehr zu thun. Da mußten die, welche mit Drehbank, Hobel und Säge etwas umzugehen wußten, Haus- und Küchen- und Feldgeräth aller Art verfertigen. Andere lernten aus Wollen- [124] und Leingarn ein ländliches Halbtuch weben, das sehr dauerhaft war, oder aus Hanf- und Flachsgarn Leinwand verfertigen. Immer waren einige Webstühle Winters und Sommers in Bewegung.

Die Weiber, selbst die Kinder der Häusler und Spittler, mußten, wenn es an Leuten mangelte, bei der Feldarbeit helfen; außerdem bei dem Reinigen und Ausbessern der Wäsche und Kleider sämmtlicher Häusler und Spittler thätig sein; Wolle, Hanf und Flachs spinnen, oder für die Weber spulen; Strümpfe und Kappen stricken, Bettzeug und Hemden nähen, und dergleichen mehr. Alle arbeiteten für Einen, und Einer für Alle. Die Leute befanden sich dabei so gut, daß nachher noch ein paar Familien freiwillig zur Armenanstalt übergingen, da sie vorher aus Furcht erklärt hatten, sie könnten sich ohne allen Bettel und ohne Unterstützung von der Gemeinde erhalten.

Diese Einrichtung war darum sehr vorteilhaft, weil die Verwaltung nun keine Unkosten verursachte. Denn der Spittlermeister, die Unteraufseher und Köchinnen, die Mägde, Holzspalter u.s.w. kosteten nichts. Es waren Spittler. Der Pfarrer, die Vormünder, Oswald und Elsbeth nahmen für ihre Liebeswerke keinen Lohn. Der brave Schulmeister, Johannes Heiter, führte unentgeldlich die Buchhaltung und Rechnung über Einnahme, Ausgabe und erspartes Vermögen der Spittler und Häusler mit ungemeiner Pünktlichkeit.

Ferner: die ganze Wirtschaft erhielt sich selbst. Die Leute pflanzten und kochten ihre Nahrung selber; spannen, woben und schneiderten ihre Kleider selber aus selbstgezogenem Hanf und Flachs; verfertigten ihre Tische, Bänke, Stühle und Holzteller, Schränke u.s.w. selber; besserten Zimmer, Gebäude und Geräthe selber aus. Es wurde bald mehr Nahrung gewonnen, mehr Garn und Tuch und allerlei Geräth verfertigt, als verbraucht. Das wurde verkauft zum Nutzen der Anstalt, und für das Geld wieder [125] eingekauft, was man an Wolle, Eisen u.s.w. nöthig hatte. Die fleißigern Häusler verdienten noch außer den gesetzlichen Arbeitsstunden durch mancherlei Arbeit oder Taglohn ein schönes Stück Geld. Das ward ihnen an Zins gelegt oder angewandt, um ihnen zur Vervollkommnung ihrer Nebenarbeiten das fehlende Werkzeug und rohe Stoffe zu verschaffen. Schon im zweiten Jahre brauchte man den Zins vom Armenfond nicht mehr ganz.

Weil die Leute bei einfacher Kost viel arbeiteten und Männer und Weiber ohnedem fast beständig getrennt lebten, verging ihnen die Ueppigkeit von selbst. Zudem war ein Gemeindsgesetz: es konnte Keiner heirathen, als der, welcher sich außer der Armenanstalt, ohne Hülfe der Gemeinde, ernähren konnte.

Das Beste, was man noch rühmen mußte, war die Gottesfurcht, welche allmälig bei diesen einst verwilderten Leuten immer mehr Eingang fand. Und auch das war ein Verdienst des Herrn Pfarrers. Denn alle Wochen hielt er einigemal mit den Spittlern die Abendandacht; dazu kamen auch die Häusler. Da sprach er dann viel Heilsames und Lehrreiches über ihren Seelenzustand, und zeigte ihnen, wie durch Gottes- und Menschenliebe in der Welt, wie in der Ewigkeit, das reinste Glück des Herzens gefunden werde. Diese Erbauungsstunden fruchteten zur Besserung weit mehr noch, als die Drohungen und Strafen der Obrigkeit.

Uebrigens stand jedem Spittler und Häusler vollkommen frei, die Anstalten zu verlassen, wenn er wollte. Er mußte nur zeigen, wie er sich selbstständig und auf ehrliche Weise durch die Welt bringen könne und wolle. Und es war Gesetz, daß, wenn Jemand die Anstalt verlassen und sich über ein Jahr lang ohne Bettelei, ohne fremde Unterstützung, durch eigenen, häuslichen Fleiß erhalten und gutes Lob und Zeugniß erworben hatte, daß er sodann den freien Gebrauch seines kleinen, in der Ersparnißkasse befindlichen[126] Vermögens empfing. Natürlich hatte er dann auch keinen Vogt mehr, und war gehalten wie jeder andere Bürger.

Was die Goldenthaler Armenanstalten vorzüglich von andern dergleichen ruhmvoll und segensvoll unterschied, war: daß die armen Leute gezwungen wurden, Alles, was sie zur Nahrung, Kleidung und Bequemlichkeit gebrauchten, durchaus selbst zu machen. Es sorgte Niemand für sie; sie mußten für sich selbst sorgen und arbeiten. Hier war keine stillsitzende Lebensart, hier keine ungewisse, leichte Fabrikarbeit, wodurch arme Leute zu schwerer Arbeit nachher untauglich werden, hier gab es keinen leichten Verdienst, wo junge Mädchen und Knaben bald eben so viel Geld gewinnen können, als die Alten, was dann zur Ueppigkeit, zu frühen Heirathen und zur Vermehrung des Lumpengesindels beiträgt. Hier mußte Jeder seine Kraft für das anstrengen, was ihm lebenslänglich wohlthat, wenn er es konnte; er mußte graben, hacken, säen, pflanzen, dreschen, zimmern, hobeln, spinnen, weben, schneidern.

28. Probieren geht über Studieren

28. Probieren geht über Studieren.

Es war auch in Goldenthal, wie an andern Orten. Sobald irgend ein verständiger Mann etwas Neues auf die Bahn brachte, um damit etwas offenbar Schädliches abzuschaffen, machte sich Jeder ein Geschäft daraus, es zu verhindern. Dann ward Jeder ein Bedenklichkeitskrämer und hatte Zweifel feil; dann schüttelte Jeder den Kopf, zuckte die Achseln und sang das berühmte Lied aller feigen und trägen Memmen:


Laß es sein, es ist zu schwer;

Es geht nun und nimmermehr.


Oswald wußte das wohl, und war aus Erfahrung und Schaden klug geworden Hätte er seinen Goldenthalern den ganzen [127] langen Plan von den Armenanstalten, wie er sie im Sinn hatte, vorher bekannt gemacht, so würde Jedermann erschrocken gewesen sein, sich in der Betrachtung desselben verwirrt, ihn geradezu verworfen und dabei gerufen haben:


Laß es sein, es ist zu schwer;

Es geht nun und nimmermehr.


Oswald aber dachte: Probieren geht über Studieren. Er hatte selbst seinen ehrsamen Beisitzern nichts vom ganzen Umfang des Plans erzählt; denn es waren zwar wohlwollende, brave Männer, aber ängstliche, schüchterne Leute. Darum sagte er nie mehr, als immer stückweis etwas, das eben ausgeführt werden sollte.

Erst wurden die Armen und Bettler mit ihren Kindern aufgezeichnet und in Häusler und Spittler eingetheilt. Nun das ging. Dann wurde für jede Familie ein Vogt ernannt, und ihm vom Herrn Pfarrer erklärt, was er zu thun habe. Das kam endlich auch zu Stande. Dann schaffte man Hobel, Aexte, Sägen, auch Spinn-und Spulräder, Wollenkarden und ein paar Webstühle aus dem Armengut an. Das war keine Hexerei; eben so wenig der Ankauf von Wolle, das Hanf- und Flachssäen, das Einführen der Spinnerei und die Einrichtung der Spitalküche. So ward allmälig Eins ums Andere ins Werk gesetzt; man fand jedes Einzelne nicht zu schwer; so kam das Ganze zu Stande, und die hohe Regierung genehmigte den Plan mit großermunterndem Lobe. Man hat hintennach erfahren, daß selbst in der Regierung einige Herren den Plan für unausführbar gehalten und bespöttelt hatten, da derselbe schon, ohne daß sie es wußten, ins Werk gesetzt war.

Die meisten Sprünge machten anfangs die Spittler; sie wollten nicht in den engen Zellen schlafen. Man sagte ihnen aber: Arbeitet fleißig, so könnet ihr euch Wohnungen miethen oder Häuser bauen. Sie wollten aber nicht arbeiten, da kamen sie tagelang [128] ins finstere Loch bei kalter, schmaler Kost. Das gefiel ihnen noch weniger. Einige versuchten, ihr Loos durch Gehorsam zu verbessern, und ergaben sich in ihr Schicksal, zumal in den Wintertagen, wo es auf der Landstraße auch nicht angenehm zu reisen und zu schlafen war. Als sie einmal bessere Kost und bessere Behandlung genossen und die Arbeit gelernt hatten, und als sie schon in der Ersparnißkasse einige Gulden Eigenthum für ihre alten Tage oder für ihre Kinder besaßen, blieben sie gern da. Denn sie wollten das kleine an Zins gelegte Vermögen nicht im Stich lassen, und wurden begierig, es zu vermehren. – Andere aber liefen davon und in die weite Welt hinaus, um müßig zu gehen und zu betteln. Nun, dann war's ihr eigener Schade; die Gemeinde hatte nur den Nutzen, sie nicht mehr erhalten zu müssen. Einige von den Weggelaufenen kamen nie wieder zum Vorschein. Das war für Goldenthal kein Unglück. Andere wurden, als Bettler, von den Polizeibedienten des Landes aufgefangen und wieder zurückgebracht. Die besuchten zuerst das finstere Loch, und dann kamen sie wieder an die gemeine Arbeit, wie zuvor. – Binnen drei Vierteljahren war es mit allen Widerspenstigen in der Ordnung, und es gab keinen bettelnden Goldenthaler mehr, außer einige Weggelaufene in fremden Ländern.

Die Häuslerfamilien wollten sich anfangs auch auf die Hinterfüße stellen, und den Dreck und Unflath vertheidigen, worin sie zu leben gewohnt waren. Und sie klagten und schrien bitterlich über die Hartherzigkeit der Goldenthaler, die ihnen nicht mehr unentgeltlich wollten zu essen und zu trinken, und ihnen nicht einmal Geld in die Hände geben. Allein der Hunger und das finstere Loch machten zuletzt auch die Sprödesten geschmeidig, und die Goldenthaler blieben dabei: wer essen will, soll arbeiten; wer es guthaben will, soll gut thun.

Die Verwaltung des Spitals war vorzeiten kostbarer gewesen. [129] Jetzt kostete sie nichts. Nicht der Pfarrer, nicht Oswald, nicht Elsbeth wollten sich am Armengut bereichern. Die Spittler selbst mußten die angewiesenen Haus- und Unteraufsichtsgeschäfte verrichten. Ward ihnen solch ein Aemtlein vertraut, war es Belohnung ihres Wohlverhaltens; ward es ihnen genommen, war es Strafe. Einer lauerte dem Andern dabei auf den Dienst. Die Spital-Gärten und Güter gaben Nahrung genug, und auch was die armen Familien am ehemaligen Weidland zum Antheil empfangen hatten, wurde abträglicher, weil es gemeinschaftlich angebaut und besorgt ward. Die Unfleißigen bezahlten dem Spital mit dem, was sie auf dem Pachtland ärnteten, ihre Kost und Kleidung, und was sie noch erübrigten, ward in Geld verwandelt und für sie ein Schatz in der Ersparnißkasse.

Die Männer im Spital stellten sich anfangs zum Hobeln und Sägen, zum Wollekrämpeln und Weben ungeschickt genug an. Aber sie mußten lernen. Ein Meister aus der Stadt brachte das Ding bald ins Geleis; der war ein verständiger Mann und großer Verehrer und Freund des Herrn Pfarrers. So kostete die Bekleidung der Armen dem Spitalgut wenig, und die Anschaffung von Bänken, Stühlen, Bettgestellen, Schränken und andern Geräthschaften, wie auch Ausbesserung am Hause, fast nichts. Die Spittler mußten auch für die Häusler Geräth machen; so ward jede Familie damit wohl versehen und gewöhnte sich an einige Bequemlichkeiten.

So wie das Armengut und Spital dabei gewann, weil so viele Hände nur für Kost und Kleidung arbeiteten, so gewannen auch die Häusler und Spittler dabei an Vermögen und Eigenthum. Denn was sie außer den acht üblichen Stunden mehr arbeiteten, konnten sie zu ihrem Nutzen in Geld verwandeln und in der Ersparnißkasse an Zins legen; eben so, was sie von den Erzeugnissen ihres Pachtlandes erübrigen und verkaufen lassen konnten. Das [130] war kein geringer Vortheil. Die Menschen wurden arbeitslustig und bekamen Freude am Sparen und Vermehren ihres Eigentums, weil sie die Zeit voraussahen, da sie ganz unabhängig leben und einen gewissen Wohlstand zu genießen im Stande waren.

Am besten hatten es die Spitalmeister und die Aufseher, welche selbst Spittler waren. Denn Alles, was sie neben ihren Amtsverrichtungen arbeiten konnten und verkaufbar war, das wurde zu ihrem Nutzen verkauft. Darum war Jedermann beflissen, sich wohl zu halten, um zu einer solchen Stelle zu gelangen. Und diejenigen, welche das Aemtlein hatten, nahmen sich wohl in Acht, etwas von den ihnen übertragenen Pflichten zu versäumen. Der kleinste Fehler konnte sie um den vorteilhaften Dienst bringen, auf welchen Viele hofften.

Es gab zuletzt in der Armenanstalt Goldenthals recht geschickte Arbeiter. Nicht nur die Bauern im Dorfe, sondern selbst viele Leute aus der Stadt kauften von den hier verfertigten Waaren, oder ließen hier arbeiten. Und wenn so ein geschickter Arbeiter spürte, er verdiene mehr, wenn er für sich allein arbeite, verließ er das Spital und miethete sich Wohnung im Dorf oder in der Stadt und lebte für sich selber. Das feuerte nun wieder die Andern an, ebenfalls recht geschickt zu werden.

Im Dorfe war natürlich Jedermann froh, nicht mehr vom Bettelgesindel geplagt oder in Häusern und Gärten nächtlicher Weise bestohlen zu sein. Jeder schickte mit Freuden, statt der Almosen, etwas ins Spital, wenn es irgend in demselben an etwas fehlte. Allein es zeigte sich noch ein anderer Vortheil für das Dorf, an den vorher Niemand gedacht hatte. Nämlich, hatte es im Sommer an Feldarbeit gemangelt, so waren andere Arbeiten im Freien vorgenommen worden. Und so war's gekommen, daß alle Gassen des Dorfes, wo man sonst bei schlechtem Wetter im Koth bis über die Knöchel waten mußte, mit Steinen besetzt wurden;[131] daß der Bach im Dorfe, der sonst überlief und große Pfützen bildete, mit Gemäuer eingefaßt stand; daß die Feldwege und Fußstege ohne Löcher waren; daß die Gemeindswaldungen keine Stelle mehr hatten, die nicht mit jungen Setzlingen den erfreulichsten Nachwuchs zeigte. Weit umher im Lande sah man keinen Wald in besserer Ordnung, und kein säuberlicheres Dorf als Goldenthal. Es kamen sogar große Herren von der Regierung und besichtigten die Goldenthaler Anstalten und Einrichtungen, und hätten dergleichen gern überall gehabt. Allein sie sahen sich in andern Dörfern oft vergebens nach dem edeln Pfarrer Roderich, nach dem menschenfreundlichen Oswald und seiner eifrigen Gehülfin Elsbeth um. Dennoch ward es auch anderswo mit Abänderungen und mit Glück versucht. Und daran that man Recht.Probiren geht über Studieren. Und wo man mit eifriger Menschenliebe was Rechtes will,da geschieht auch was Rechtes.

29. Wieder etwas Neues

29. Wieder etwas Neues.

»Was hat auch der Oswald wieder?« fragten sich die Bauern unter einander. Denn wenn alle Leute Feierabend hatten, lief er noch mit dem Schulmeister und einigen jungen Burschen in den Feldern herum. Die schleppten sich mit Ketten, steckten lange Stangen in die Erde, und Oswald sah immer über einen kleinen, langbeinigen Tisch nach den Stecken, und konnte sich nicht satt daran sehen. Und der Schulmeister Heiter that es auch gern. Und an den Stecken war doch nichts zu sehen.

Das ging beinahe ein Jahr lang so. Und da die Bauern hörten, daß Oswald das Land und alle Felder vermessen und alle Wege und Stege in einen Plan bringen lasse, ward Vielen bange. Denn es ging wieder die Rede vom Krieg und sie dachten, der Oswald könne dem Feind das Land verrathen wollen.

[132] Es verhielt sich aber folgendermaßen: Oswald verstand das Feldmessen und hatte Bücher, die davon handelten. Und er hatte seinen Liebling, den Johannes Heiter, auch in dieser Kunst unterrichtet, nebst andern Bauernburschen, die Kopf dazu besaßen. Weil nun die Waldungen der Gemeinde sehr genau ausgemessen waren, kam er auf den Einfall, nach und nach in den Nebenstunden alle Güter, Wege und Stege des ganzen Gemeindsbezirks zu vermessen und daraus eine große Karte zu machen.

Auf der Karte sah man sehr deutlich jedes Stück Land, jeden Steg, jeden Hag, jedes Haus. Eine Juchart war beinahe einen Zoll ins Geviert groß. Und die große Karte, wie sie fertig war, wurde im Gemeindshause aufgehängt. Da liefen nun tagtäglich Bauern hin und beschauten den Plan, und wunderten sich sehr. Denn sie fanden sich bald zurecht, und Jeder erkannte seinen Acker, seinen Garten, seine Wiese. Und was das Beste war: in jedem Stück Feld oder Acker stand die Größe desselben, genau bis auf einen halben Schuh, geschrieben. Nun erst wußte Jeder recht eigentlich, wie groß seine Aecker und Wiesen waren, und er schrieb sich die Zahlen sorgfältig ab. Das war beim Kauf und Verkauf keine Kleinigkeit; denn bisher hatte man das Land nur nach Schritten geschätzt, und Mancher zu wenig angegeben, Mancher zu viel. Das war allerdings nun ein großer Nutzen.

Der Vorsteher Oswald sagte aber zu den Leuten, wenn sie den Plan betrachteten: »Das ist noch nicht der größte Nutzen; ich weiß noch einen bessern.« Wenn sie ihn darum fragten, antwortete er: »Habet ihr's bis Lichtmeß nicht errathen, so will ich es euch dann sagen.« Sie erriethen es aber nicht.

Als nun Lichtmeß kam und die Gemeinde wegen verschiedener Angelegenheiten versammelt war, trat Oswald, nachdem man alles abgethan hatte, hervor und sprach: »Ihr Alle kennet sattsam den Plan von unserm Gemeindsbezirk, wie ihn der Schulmeister [133] Johannes Heiter mit seinen Schülern genau und zierlich verfertiget hat. Ihr Männer, liebe Mitbürger, Jedermann hat dabei seine besondern Gedanken gehabt, und auch ich die meinigen. Und diese will ich euch offenbaren.«

»Wenn ich die Felder übersah, die wir im Schweiße unsers Angesichts bauen, nicht ohne Segen von Gott dem Herrn, so that es mir oft weh im Herzen, daß die Arbeit uns so viel Mühe macht, und es that mir oft weh im Herzen, daß dabei Vieles nicht so gut angebaut ist, und folglich auch nicht so viel abträgt, als wohl sein sollte. Und ich warf meine Augen noch einmal auf den Plan, und siehe, da wurden auch die Augen meines Geistes eröffnet, und ich erkannte einen Hauptfehler in unserer Feldwirthschaft.«

»Ihr Männer, liebe Mitbürger, es liegt nun sonnenklar am Tage, wenn ihr euch unter einander verstehet, so werden eure meisten Güter mit geringerem Aufwand von Zeit und Unkosten besser besorgt werden und abträglicher sein können, als bisher.«

Da riefen viele Bauern: »Dazu wollen wir uns ohne Mühe mit einander verstehen, wenn es nicht einmal so viel kostet, als sonst!«

Oswald sprach: »Ich wünsche Glück dazu. Ich will euch sagen, was bisher viel Unkosten verursacht hat, die ihr nun sparen könnet, wenn ihr wollet. Das ist die Zeit! – Jeder von euch hat nämlich sein Land nach und nach zusammengeerbt oder zusammengekauft, wie es kam. Da hat er ein Stück am Berg liegen, ein anderes hinterm Wald, ein anderes wieder jenseits der Brücke, ein anderes neben der Landstraße, wieder ein anderes am Bach, und noch ein anderes beim Steinbruch. Da muß er nun Viertelstunden weit unnütz umherlaufen von einem Stück zum andern, eben so die Knechte und Mägde, eben so die Fuhre mit dem Dünger. Da wird ein Theil des Tages bloß mit Gängen und Läufen verloren, [134] wo man hätte arbeiten können. Da werden Magd und Knecht für Hin- und Hergehen bezahlt, was doch nichts einträgt. Es wird daher um so viel weniger im Tage gearbeitet, und das Land um so weniger mit größtem Fleiß bearbeitet, weil es an der nöthigen Zeit gebricht. Mancher scheut sich, noch etwas Land zu kaufen, weil er das seinige kaum recht in Ordnung besorgen kann; und doch hat er nicht viel. Aber das Umherziehen von einem Stück zum andern nimmt die Zeit weg. Lägen alle seine Felder beisammen und wäre ein Ganzes, er könnte mit eben so vielen Leuten in eben so vieler Zeit noch einmal so viel Land besorgen, als er jetzt hat, und um so viel reicher sein.«

Die Bauern sagten: »Das ist ganz richtig, aber es läßt sich nicht ändern. Man kann seine Aecker nicht auf den Rücken nehmen und an einen Haufen legen.«

Oswald sprach: »Das könnet ihr, wenn ihr wollet, nun ihr den Plan vom Gemeindsbezirk habet und nun Jedermann weiß, wie groß jedes seiner Stücke ist. Aber ich sage euch, die Sache hat viel Schwierigkeiten. Ihr müsset mit einander die zerstreuten Stücke austauschen, so daß endlich Jeder sein Land im Zusammenhang hat, als ein einziges Stück. Da rede Jeder mit seinen Nachbarn und Anstößern. Entschädiget einander, wo der Eine ein paar Schuhe Land mehr oder bessern Boden hat, als der Andere. Und wenn Einer oder der Andere beim Tauschen wirklich etwas einbüßen sollte, so gewinnt er doppelt dadurch, daß er Alles beisammenliegend hat. Wo ihr nicht eins mit einander werdet, nehmet unparteiische Schätzer oder billige Schiedsrichter, oder ziehet Loose. Ich sage: lasset euch durch kein Hinderniß abschrecken, oder seid darum nicht zufrieden, weil ihr es jetzt seit vielen Jahren so gewohnt seid; es kommt darauf an, daß ihr reicher werden könnet, ohne größere Mühe.«

Als der erste Vorsteher so geredet hatte, ging die Gemeinde [135] kopfschüttelnd aus einander. Zwar Alle sagten, der Gedanke sei gar gut; aber man würde nun und nimmermehr einig werden.

Inzwischen dachten doch Einige in müßigen Augenblicken daran, welches Stück von ihren Feldern sie wohl Dem und Diesem für das seinige geben könnten, das an das ihrige stieß. Sie fingen sogar zum Spaß an, davon mit den Angrenzern zu reden. Diesen war dann das Angebotene nicht allezeit gelegen, und wünschten ein anderes, das dem Dritten gehörte, zu empfangen. Da begrüßten beide Theile nun den Dritten. Einer stieß den Andern. Bald machte Jeder Plane für sich, seine Besitzungen auszurunden und in ein einziges Stück zu verbinden. In kurzer Zeit griffen die Unterhandlungen um sich. Manche gelang, manche scheiterte. Immer kam dabei etwas heraus. Es war in Goldenthal wie an einer Landversteigerung oder wie auf einem Gütermarkt, zumal im Winter, da man mehr müßige Stunden hatte und Abends zum Gespräch zusammenkam, bald bei Diesem, bald bei Jenem. Denn ins Wirthshaus zu gehen und das gute Geld durch die Gurgel zu jagen und einem Vieh gleich zu werden, schämten sich alle Ehrenleute im Dorfe. Lieber tranken sie ihr Glas bei Weib und Kind und mit denselben an einem Sonn- und Festtage.

Oswald hatte es vorausgesagt: der Gütertausch hat Schwierigkeit! So war es auch. Allein im ersten halben Jahr war es doch schon Fünfen fast ganz gelungen, all ihr Land beisammen zu haben. Das verdroß die Andern. Sie sahen den Nutzen davon sehr wohl ein. Nun setzten sie den Kopf daran, es auch so weit zu bringen. Das Gemeinhaus ward beständig besucht am Abend. Da standen immer einige Bauern vor der großen Karte, und handelten und stritten, daß man es draußen hörte, und liefen aus einander im Zorn, und traten wieder mit neuen Vorschlägen zusammen.

Was war die Folge? Von Jahr zu Jahr rundeten sich die [136] Güter immer besser zu, und die guten Wirkungen wurden auffallend sichtbar.

30. Wie es im Goldmacherdorf aussah

30. Wie es im Goldmacherdorf aussah.

Wohl war Goldenthal nun ein rechtes goldenes Thal. Da lag es mitten in den fruchtbarsten Gärten, wie vergraben in den vollen Obstbäumen, umringt von Wiesen und goldenen Saatfeldern, wie mitten im Paradiese. Die Feldwege zwischen den Aeckern waren wie Gartenwege sauber und eben, die Landstraßen auf beiden Seiten mit Obstbäumen besetzt, so weit der Gemeindsbezirk ging.

Und trat man ins Dorf, so glaubte man in kein Dorf zu treten, sondern in einen stattlichen Marktflecken. Denn die Häuser waren, wenn auch nicht alle groß, doch alle schön und wohl unterhalten von oben bis unten; die Fenster glänzend und hell; die Thüren und Gesimse stets gewaschen oder frisch angestrichen; die Dächer fast alle mit Ziegeln gedeckt, denn durch ein Gemeindsgesetz waren die Strohdächer wegen Feuersgefahr verboten. Und wurde ein neues Dach gedeckt, mußten es Ziegel sein. Auf mancher First sah man Blitzableiter, fast vor allen Fenstern Blumen; neben den Häusern kleine Gärten, zierlich geordnet und daneben wohlgeschirmte Bienenkörbe.

Die Leute grüßten Jeden so freundlich auf der Straße, und neckten einander im Vorbeigehen scherzend. Man sah es ihnen wohl an, daß sie unter einan der gut lebten und mit ihrem Zustande vergnügt waren. Das konnte nicht anders sein. Sogar in der Woche bei Feld- und Gartenarbeit gingen Alle, zwar schlicht und einfach, aber doch reinlich gekleidet: man sah keine beschmierten, keine zerrissenen Gewänder. Es gab braune, von der Sonne verbrannte Gesichter, aber keine kothigen, mit struppigen Buschhaaren; und die Kraft und Gesundheit lachte Allen aus den Augen. [137] Die jungen Bursche in andern Dörfern sahen am liebsten nach den Goldenthaler Mädchen; denn sie waren nicht nur wundernett und hübsch, sondern auch häuslich, geschickt und wirthlich. Mancher reiche Bauerssohn in andern Dörfern holte sich ein Mädchen aus dem Goldmacherdorf; wenn es auch nicht viel Geld hatte, hatte es doch viele Tugenden. Und ging ein junger Mann aus Goldenthal auf die Heirath aus, so konnte er unter den Töchtern des Landes wählen. Man schlug einem Goldenthaler nie leicht die Tochter ab, wenn sie auch mehr Vermögen hatte; denn man wußte, es war gar wohl angelegt. Das vermehrte den Wohlstand der Gemeinde nicht wenig.

Daß man keine Bettler und Müßiggänger in Goldenthal sah, verstand sich. Aber man erblickte auch nicht einmal dem Anschein nach arme Leute. Denn sogar die Spittler hatten ihr sattes Essen und Trinken und ordentliches Gewand. Und trat man ins kleinste, ärmste Bauernhaus, so meinte man beinahe, es sei etwas recht Vornehmes darin. Die Fußböden waren so reinlich und gefegt, die Bänke, Stühle, Tische so ohne Flecken und Fehl, Fenster und Spiegel so hell – kurz, es war nicht wie in den Sauhütten mancher Bauern in andern Dorfschaften. Man bekam rechte Lust, da zu wohnen unter den Biederleuten.

Während der Sommermonate, vom Frühjahr bis zum Herbst, war es an den Sonntagen bei schönem Wetter ein fröhliches Leben zu Goldenthal. Da wimmelte es von Besuchen aus der Stadt. Das große, neu ausgestattete Wirthshaus, welches – wer hätte es glauben sollen? – einer von den zweiunddreißig armen Genossen des Goldmacherbundes durch Erb und Kauf an sich gebracht hatte, war angefüllt mit städtischen Familien, die Erfrischungen nahmen. Andere Familien kehrten in die Wohnungen ihnen bekannter Bauern ein: saßen da in den Gärten bei Milch, Obst, Honig und andern Näschereien des Dorfes; oder lagerten sich plaudernd [138] und spielend auf grünen Rasenplätzen, oder saßen auf den saubern Bänken vor den Häusern im Schatten weit vorragender Dächer, und sahen die auf- und abwandelnden bunten Reihen der Spaziergänger; oder traten auf den Platz unter die Linde, wo die Jugend des Dorfes zuweilen tanzte beim heitern Gesang der Andern. Man kann leicht denken, die Herren und Frauenzimmer aus der Stadt waren für das Vergnügen, welches sie in Goldenthal genossen, nicht undankbar, und die von den gefälligen Landleuten angebrachten Bequemlichkeiten und Verschönerungen ihrer Häuser und Gärten trugen guten Zins. Selbst im Winter fehlte es nicht an Besuchen. Da wurden aus der Stadt Schlittenparthien nach Goldenthal gemacht. Wo konnte man's besser haben?

Die Leute in andern Dörfern sahen und hörten das und wunderten sich fast zu Tode, warum das bei ihnen nicht auch so sei? Sie meinten in vollem Ernst, die Goldenthaler hätten geheime Künste. Statt aber sich nach diesen Künsten recht zu erkundigen, blieben sie ruhig auf ihrem alten Mist sitzen, und blieben, wie sie waren. Sie zeigten nur Neid und Mißgunst, wenn sie von Goldenthal sprachen, und spotteten und nannten es das Goldmacherdorf. Aber dieser Uebername war kein Uebelname.

Auch machten sich die Goldenthaler nicht viel daraus. Denn wohin sie kamen, waren sie werthgehalten und geschätzt. Sie fuhren in ihrer guten Weise fort und waren dabei des Lebens froh. Hatten sie die ganze Woche gearbeitet, war jeder Sonntag ein rechter Ruhetag. Ins Wirthshaus freilich gingen die Goldenthaler nicht. Sie hatten ihren Labetrunk daheim. Aber auch im Winter tanzten da des Abends die jungen Leute bei guter Musik. Einige Männer und Knaben waren durch den Schulmeister Johannas Heiter im Spiel der Geigen und Flöten angeleitet worden. Sie hatten es ziemlich weit gebracht. Oft führten auch die jungen Sänger und Sängerinnen große Singstücke auf, wie man dergleichen [139] kaum in der Stadt hörte. Die alten Männer und Frauen kamen familienweise des Abends zu einander; da bewirtheten sie sich mit einfacher Kost, und hatten ihre muntern Gespräche. Von besoffenen Leuten, von Raufereien, von Prozessen, von Ausschweifungen anderer Art hörte man gar nicht. Denn mit dem Wohlstande und der bessern Erziehung, die aus der Schule stammte, hatte sich ein gewisses Ehrgefühl und eine Liebe zu anständigen Sitten unter den Bauern ausgebildet, wovon man sonst nicht leicht in andern Dörfern Aehnliches gewahr ward. Man kannte und unterschied sie schon beim ersten Anblick in der Stadt von Landleuten aus andern Gegenden. Sie waren in ihrer Tracht höchst einfach und säuberlich, in ihrer Rede sanft und bescheiden, in ihrem Benehmen offen und gutherzig. Sie trugen zwar keine feine Kleider, aber dafür war ihr Betragen fein.

Man muß wohl nicht glauben, daß dies höfliche, ehrbare und löbliche Wesen eine reine Frucht der Erziehung oder des allgemeinen Wohlstandes allein gewesen; es war auch eine Wirkung der Gemeindegesetze. Denn wie einige Bauern reicher geworden waren, hatte es gar nicht an solchen gefehlt, die wieder über die Schnur hieben und aus der Art zu schlagen drohten. Da wollten Einige hochmüthig werden, putzten ihre Töchter ungebührlich, kleideten sich in kostbares Tuch recht städtisch, und thaten in allen Dingen groß. Einige andere nahmen die Spielkarten wieder vor oder die Weinflaschen im Wirthshaus. Das erweckte aber großes Aergerniß bei den meisten rechtschaffenen Leuten, und sie sprachen: »Fängt man es so wieder an, werden wir bald wieder den Krebsgang gehen!« Und es war allgemeiner Unwille gegen diejenigen, welche von der einfachen, löblichen Weise abwichen; und man begehrte, die Ortsvorgesetzten sollten besser über die Bewahrung der guten Sitten im Dorfe wachen.

Dieser Vorwurf, welchen man den Ortsvorstehern machte, erfüllte [140] den Oswald gar nicht mit Verdruß, sondern mit wahrer Freude. So kam ein strenges Gemeindsgesetz zu Stande; darin war aller Aufwand in den Kleidern verboten und jedem Alter seine Tracht vorgeschrieben, und auf Kartenspiel und alles Spiel um Geld und Geldeswerth, auf das Laster der Trunkenheit, auf Schimpfreden, Lästerungen, Balgereien und andere Schändlichkeiten waren von der Gemeinde einmüthig harte Strafen gesetzt. So kam es, daß sich Keiner überhob und übernahm; daß, wenn irgend Einer auch einmal Lust hatte, zu thun, was weder ehrbarlich noch recht war, die Furcht vor Scham, Schande und Bestrafung ihn wieder zurück schreckte.

Alle Jahre wurde das Sittengesetz vor der ganzen Gemeinde vorgelesen. Da mußten Alt und Jung, Männer, Weiber und Kinder es anhören. Fand man Zusätze nöthig, wurden sie gemacht. Und wenn das Sittengesetz vorgelesen war, mußte der erste Vorsteher jedesmal fragen: »Wollet ihr dies Gesetz halten, welches die Grundlage unsers Wohlstandes, unserer Eintracht und Ehre ist?« – Und Alt und Jung antwortete mit lauter Stimme deutlich ein allgemeines Ja.

31. Die Kindtaufe

31. Die Kindtaufe.

Oswald genoß zu dieser Zeit eine rechte Herzenswonne, nach der er sich lange schon vergebens gesehnt hatte. Nämlich die liebe, gute Elsbeth hatte ihm einen muntern Sohn zur Welt gebracht. Da war er wie im Himmel.

Und er ging darauf zu seinem Freund, dem neuen Löwenwirth, der einer von den wohlbekannten zweiunddreißig Bundesgenossen war. Zu diesem sprach er: »Mein Freund, ich habe doch dich noch nie um eine Gefälligkeit angesprochen, und ich komme damit zum [141] ersten Mal. Meine Frau liegt im Kindbette, und ich kann sie nicht verlassen, und zur Stadt gehen. Ich gebrauche aber fünfhundert Gulden, wenn auch nur acht Tage lang, und sie sollen wo möglich in Gold sein. Willst du mir so viel auf acht Tage leihen?«

Der Löwenwirth antwortete: »Ich bin dir für so Vieles Dank schuldig; warum sollte ich nicht? Ich habe eben achthundert Gulden empfangen, die liegen noch immer bei mir. Aber sie sind zum Theil in Silbermünze. Willst du, so nimm Alles auf so lange du willst.«

Oswald sagte: »Ich möchte lieber Gold; es liegt mir sehr daran.«

Der Löwenwirth versetzte: »Wohlan, ich will Rath schaffen. Wann mußt du es haben?«

Oswald erwiederte: »Bringe mir das Geld morgen Abend um die achte Stunde in mein Haus. Aber sage Niemandem davon.«

Als er sein Geschäft hier vollendet hatte, ging er fort und zu den übrigen einunddreißig Bundesgenossen und sagte ihnen dieselben Worte, wie dem Löwenwirth und bat um fünfhundert Gulden, wo möglich in Gold. Und Jeder freute sich, dem wackern Manne endlich einmal einen Freundschaftsdienst erweisen zu können, und versprach, ihm das Geld zu bringen. Er bestellte Jeden auf den folgenden Tag des Abend um die achte Stunde zu sich.

Und sie kamen um dieselbe Stunde, da es schon dunkel war, zu ihm. Er führte sie Alle in sein Zimmer, aber es war noch kein Licht angezündet. Die Leute wunderten sich in der Stille über die Menge der Anwesenden. Oswald ging, um Licht zu holen. Und als er wieder in die Stube trat, mit zwei brennenden Kerzen in der Hand, erblickten sie ihn wieder, wie sie ihn schon einmal gesehen hatten, in prächtigen Offizierskleidern, mit hohem Federbusch auf dem Hut, einem Orden auf der Brust und einem langen [142] Säbel an der Seite. Sie sahen einander verwundert an, und sahen, wie vor sieben Jahren, dieselben Gestalten, in demselben Zimmer, um denselben Tisch, auf welchen der Offizier die Kerzen niedersetzte.

Oswald sagte darauf: »Habet ihr mir gebracht, liebe Freunde, um was ich euch gebeten habe, so leget es hier auf den Tisch.«

Da traten sie Alle, Einer nach dem Andern, zum Tisch, und Mehrere bedauerten, ihm die Summe nicht in Gold zahlen zu können. Er sagte darauf liebreich: »So ist's gleichviel. Gebet, wie ihr es habet.« Und sie schütteten Gold, Andere Silber auf den Tisch, Andere legten ihm gute Kapitalbriefe und Zinsschriften hin.

Darauf erhob Oswald die Stimme und sprach: »Erinnert euch, es ist die Zeit der Prüfung vorüber, und die sieben Jahre und sieben Wochen sind zu Ende, von denen ich euch geredet. Und ihr habet mehr Geld auf diesen Tisch geworfen, als ich vor sieben Jahren und sieben Wochen vor euern Augen ausschüttete. Damals waret ihr kaum im Stande, fünfhundert rothe Kreuzer auszuleihen; in der Stadt hätte sie euch Niemand anvertraut. Jetzt habet ihr binnen vierundzwanzig Stunden Jeder fünfhundert Gulden aufgebracht, also daß sechszehntausend Gulden hier plötzlich auf dem Tisch beisammen sind. Also ist die Prüfungszeit vorüber, und ich habe euch die Kunst gelehrt, Gold zu machen. Und nun werdet ihr verstehen, was ich sagte, da ihr das erste Mal hier standet. Ich sagte aber: die Kunst ist selbst mehr noch, als das Gold, werth; denn diese Kunst ist die beste Weisheit des Lebens. Bleibet euern Gelübden und Gott getreu, und euer Glück und Wohlstand wird wachsen von Tag zu Tag. Wer vom Gelübde läßt, der läßt von seinem Glück. Präget dies Gelübde euern Kindern ein, und lasset sie es halten, so werden sie Fülle haben. Nun habe ich mein Wort gelöst, das ich euch gegeben. Ihr seid darum reich, weil ihr wenig bedürfet und viel erwerbet, [143] und weil ihr Zutrauen genießet bei den reichen Leuten, daß ihre Geldsäcke euch offen stehen. So habet ihr Gold machen gelernt, wie Ehrenmänner Gold machen sollen. Oder habet ihr anderes erwartet?«

Sie lächelten allesammt und sprachen: »Ei nun, wir haben wohl längst schon vermerken können, wie du es mit der Goldmacherei gemeint hast. Doch als wir einmal zur rechten Erkenntniß gekommen waren, schämten wir uns auch des dummen Aberglaubens, der uns vormals bethörte, und wußten es dir im Herzen Dank, daß du uns auf bessere Bahn gebracht. Ohne dich und deine Hülfe wären wir aber doch nie dahin gekommen.«

Oswald freute sich dieser Worte und der dankbaren Herzlichkeit, mit der ihm Jeder die Hand drückte und schüttelte. Und er stellte ihnen ihr Geld wieder zu, weil er es nicht hatte gebrauchen, sondern nur ihre Zuneigung auf die Probe setzen wollen. Sie aber sagten: »Gebiete über uns, wie du willst, Tag und Nacht. Denn wir Alle sind dir unser Hausglück schuldig. Sprich, wir sollen für dich durchs Feuer gehen, wir werden gehen. Sprich, wir sollen für dich sterben, und wir werden den Tod nicht fürchten.«

Und wie sie sich so traulich und herzlich um ihn drängten, betrachteten sie sein schönes Kleid und den Orden auf der Brust, und hätten gern erfahren, was das bedeute.

Er antwortete: »Ich danke es euerm alten Schulmeister, meinem seligen Vater, noch in der Erde, daß er mich in vielen nützlichen Dingen und sogar im Feldmessen unterrichtete. Denn als ich unter die Soldaten kam, half es mir, nebst redlichem Sinn und herzhaftem Betragen, daß ich meinen Kameraden vorgezogen ward. Ich that meine Pflicht und ward zuletzt Rittmeister. Und als ich in einem Treffen, da sich der Erbprinz zu weit vorwagte, denselben mit seinem Gefolge von feindlichen Reitern umgeben sah, drang ich blitzschnell mit meiner Schwadron unter die Feinde, und rettete den Prinzen. Dafür empfing ich diese Wunde hier auf der Stirn, und dieses Ordens- und Gnadenzeichen auf der Brust, und als ich den Abschied beim Friedensschluß nahm, einen [144] anständigen Jahrgehalt auf Lebenszeit. Auch hat der Erbprinz, als er unser Land durchreisete, mich nicht vergessen, und mich, wie ihr wisset, sogar im Vorbeireisen einmal besucht.«

»Da ich aber heimkam nach Goldenthal, in meine liebe Heimath, und ich sah, wie elend und verlumpt hier Alles war, verbarg ich meinen Wohlstand, um nicht von lüderlichen Bettlern belagert zu werden. Auch hatte ich alle Lust verloren, hier zu bleiben, und wäre wieder fortgezogen, hätte ich nicht des Müllers Elsbeth gesehen. Meine Elsbeth hielt mich fest. Da beschloß ich in meinem Herzen, zu versuchen, ob ich mir das Leben bei euch lieb machen könne? Und ich stellte mich arm und den Uebrigen gleich, um Vertrauen zu erwecken. Und ich sagte Niemandem von meinen Ehren und Jahrgeldern, so ich genösse. Nur Elsbeths Aeltern mußte ich es am Abend, da ich um die Tochter anhielt, offenbaren, sonst hätten sie mir ihr Kind nicht gegeben, denn sie hielten mich für arm. Als ich aber noch am Abend den Müller Siegfried und seine Frau zu mir ins Haus führte, und hier meine Uniform mit dem Orden anlegte, ihnen mein gesammeltes Geld und den königlichen Gnadenbrief wies, woraus sie sahen, daß ich mehr Jahrgehalt bezog, als des Müllers Mühle in drei Jahren verdienen konnte, wurden sie andern Sinnes. Doch mußten sie verschwiegenen Mund halten, denn es war nöthig. Nun aber mag es Jedermann wissen; es schadet nicht mehr.«

So erzählte Oswald, und die Leute verwunderten sich und freuten sich über sein Glück. Und sie hatten vor ihm so große Ehrfurcht bekommen, daß sie ihn kaum Du nennen wollten. Er aber sagte: »Was treibet ihr auch mit mir? – Nein, ich bleibe eures Gleichen; darum seid und bleibet meine Brüder. Kein Offizierrock und kein Orden, sondern ein wohlwollendes Herz voll Gottesfurcht macht zum Ehrenmann.« So redete er und umarmte Alle nach der Reihe, da sie sich heim begaben; und sie dankten ihm, denn er sei der wahre Stifter ihres irdischen und ewigen Glücks, und sie nannten ihn Vater. Und wenn er Kindtaufe[145] halten würde, versprachen sie Alle, sich mit ihm zu freuen, als wäre sein Fest ihr eigenes Fest.

Wie nun drei Tage nach diesem der Sonntag kam, da Oswalds Sohn getauft werden sollte, war Alles im Dorfe schon früh wach. Oswald aber trat zu seiner Elsbeth an das Bette, küßte die junge Mutter und ihren holten Säugling und sprach: »Sieh', theure Elsbeth, mein Herz bricht vor Freude und Wehmuth. Mein Söhnlein, das du geboren hast, macht mir große Wonne; aber noch größere Wonne macht mir der Anblick unseres Dorfes. Und es ist doch wahr, die Menschen sind so böse nicht, und nicht so herzlos, wie man oft sagt. Man soll den Glauben an die Güte der Menschheit nie verlieren. Siehe, in dieser Nacht haben sie unser Wohnhaus wieder mit Blumenkränzen prächtig überdeckt und verziert, wie es am Tage unserer Hochzeit war. Aber dabei ist es nicht geblieben. Alle Häuser des Dorfes sind mit Blumen und Zweigen verziert, als wäre unser Fest das Fest jedes Hauses. Und hinten von unserm Haus hinweg bis zur Kirchthür haben sie grünende Birkenstangen auf beiden Seiten des Kirchwegs gepflanzt und lange Blumenschnüre von Birke zu Birke gezogen, und den ganzen Weg mit grünem Laub und allerlei Blumen überstreut.«

So sprach Oswald und die junge Wöchnerin erröthete in stiller Rührung, und ihre Augen wurden feucht. Dann sagte sie nur: »Hab' ich doch in der Nacht oft ein Gehen und Sumsen draußen gehört, und wußte nicht, was es gab?« Sie konnte nicht im Bette bleiben, und mußte auf und ans Fenster gehen und die Herrlichkeit sehen. Da weinte sie still; denn nichts ist für ein zartes Gemüth rührender, als wenn es den Zusammenklang der Seelen in tugendhafter Erhebung wahrnimmt. Das ist die wahre Verklärung der Menschheit und eine Ahnung des schönern Himmels, der unserer wartet.

Als Elsbeth wieder zu ihrem Säugling gegangen war, kamen ihre Aeltern, denn sie waren die erbetenen Taufzeugen. Die Müllerin konnte nicht genug sagen, wie ausgeschmückt die Häuser wären, wie lebendig Alles im Dorfe sei, und sie rief einmal um das andere[146] aus: »Nein, solch eine Kindtaufe ist in Goldenthal noch nie geworden! So feiert man ja nicht die Geburt eines Fürsten.«

Und wie sie noch so redete, kam ein ganzer Zug junger Mädchen und Knaben gegen Oswalds Haus, sämmtlich in Feierkleidern, Paar um Paar. Alle trugen ein kleines Geschenk von ihren Aeltern zur Wiege des Neugebornen; die Einen schneeweiße Leinwand, die Andern Zucker, oder Mandeln, oder Blumen, oder selbstgestrickt Strümpfe oder Handschuhe, die Andern niedliches Hausgeräth, kleine Bedürfnisse für Küche und dergleichen. So viele Haushaltungen im Dorfe, so viele Geschenke. Und alle Kinder küßten Elsbeths Hand und sagten: Mutter Elsbeth! und küßten Oswalds Hand, indem sie bloß dazu die Worte sprachen: Vater Oswald! Aber welcher Wohllaut lag für Oswald und Elsbeth in diesen Vater- und Mutternamen! Es gab keinen einfachern und rührendern Glückwunsch.

Da läuteten alle Glocken mit vollem Klange zur Kirche. Der Säugling ward zur Taufe getragen, er voran; ihm folgten die beiden Großältern, hintennach der tiefgerührte Vater. Die ganze Gemeinde stand vor der Kirche in weitem Halbkreis, Alt und Jung, und sah den Oswald kommen. Sanft und freundlich sprach Alles, wie er vorbeiging an der Menschenmenge: »Guten Morgen, Vater Oswald.« Dann folgte ihm Alles in die Kirche.

Hier hielt der Herr Pfarrer Roderich nach vollbrachter Taufhandlung eine schöne Predigt über die Pflicht öffentlicher Dankbarkeit des Volks gegen eine gute Obrigkeit. Er schien noch nie so begeistert und salbungsreich geredet zu haben. Wort auf Wort traf die Herzen. Es war im ganzen Volk die tiefste Andacht und wachsende Rührung. Jeder hielt an sich, seine Thränen zu unterdrücken. Als nun aber der Herr Pfarrer aus Schlußgebet kam, und er da die bebende Stimme zu Gott erhob für die gute Obrigkeit von Goldenthal, wobei Jeder im Stillen an Oswald dachte; als nun der Herr Pfarrer selber die Bewegung seines Gemüths nicht länger zurückzwingen konnte, und ihm unter Thränen der Name Oswald entschlüpfte – da ward lautes, heftiges Schluchzen [147] in der ganzen Kirche. Da nun dachte Jeder an das Alles, was dieser Oswald der Gemeinde gethan und gestiftet; Jeder erkannte in ihm den Urheber des allgemeinen Glückes. Der Pfarrer konnte nicht mehr reden. Er schloß; er sprach den Segen über die fromme und dankbare Gemeinde. Niemals war in Goldenthal mit höherer Inbrunst ein Gesang gesungen worden, als diesmal aus dem Anhangbüchlein der Vers: Für das Leben der Obrigkeit! – gen Himmel stieg.

Der gute Oswald, sehr verlegen und beschämt, und doch froh gerührt, konnte kaum aufsehen, da er aus der Kirche ging, und begab sich, tief sein Haupt gesenkt, durch die grüßende Menge zu seiner Elsbeth. Er konnte kaum reden. Zum Mittagsmahl waren bei ihm seine Schwiegerältern und der Herr Pfarrer, der Schulmeister und die beiden Mitvorgesetzten. Die erzählten, daß fast in allen Häusern des Dorfes Gastmähler gehalten würden, wozu Einer den Andern eingeladen habe; die Aermern speiseten bei den Reichern. Oswald schüttelte den Kopf und sprach: »Das ist mir der Ehre allzuviel; ich habe es nicht verdient.«

Doch die allgemeine Freude machte auch ihn wieder froh und wohlgemuth. Er ging gegen Abend, begleitet von seinen Gästen, hinaus ins Dorf, und ging da von Haus zu Haus, und setzte sich zu jeder Familie einige Augenblicke und dankte Allen für so viel Liebe. Goldenthal war voller Fremden; denn man wußte in der Stadt von dem Feste, und wer konnte, eilte nun hierher, Zuschauer zu sein. Bis in die späte Nacht währte der Tanz der Jugend, man hörte aller Enden Musik und Gesang vor den Häusern, unter der Linde, unter den Blumenkränzen und in den Gärten.

Man sprach und spricht noch lange zu Goldenthal von diesem schönen Tage. Und Oswald hieß seit demselben nur Vater Oswald, und die liebenswürdige Elsbeth hieß Mutter Elsbeth.

Wahrlich, wahrlich, was im Leben Gutes gesäet wird, das findet endlich immer seinen schönen Aerntetag. Denn es lebt uns ein guter Gott, ein Vergelter voller Barmherzigkeit und Liebe.

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TextGrid Repository (2012). Zschokke, Heinrich. Roman. Das Goldmacherdorf. Das Goldmacherdorf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BCB9-4