86. Danklied

1786.


Daß unser Gott uns Leben gab,
Des wollen wir uns freuen,
Und von der Wiege bis ans Grab
Ihm unsern Dank erneuen:
Denn auch zur Freude gab uns Gott
Auf dieser Welt das Leben,
Und hat verheißen, nach dem Tod
Der Wonne mehr zu geben.
Wie fromme Kinder können wir
In froher Einfalt leben;
Drum hat der Vater schon allhier
Ein Eden uns gegeben.
[154]
Die Frühlingswärme haucht sein Mund,
Und Kühlung wehn die Wogen;
Am Himmel zeugt von seinem Bund
Der schöne Regenbogen.
Und Auen, Felder, Berg und Wald
Verkünden seine Gnade,
Und seines Namens Größe schallt
Am hallenden Gestade.
Ihn singt die kleine Nachtigall.
O laßt mit ihr uns singen!
Laßt mit der frohen Lerche Schall
Auch unser Lied erklingen!
Die Felder waren hart und weiß,
Der Erde Schoß verschlossen.
Gott sah herab; es schmolz das Eis;
Seht, unsre Ähren sprossen.
Vom Bienenstocke trieft der Seim,
Das Lamm hüpft auf der Weide,
Und an der Rebe schwillt im Keim
Des guten Bechers Freude.
Von heitrer Stirne fließt der Schweiß
Auf unser Feld und Garten,
Wenn wir mit unverdroßnem Fleiß
Des Jahres Füll' erwarten,
Nicht ängstlich unsern Samen streun,
Sein Korn dem Vogel gönnen,
Uns auch des Nachbars Ernte freun,
Und wohlthun, wo wir können.
Aus freier Gnade hieß der Herr
So schön die Erde werden.
Bedarf zu seinem Wohlsein Er
Der Früchte dieser Erden?
Drum wollen wir auch geben gern,
Wie wir von Ihm genommen,
Und ähnlich werden unserm Herrn,
Und sein wie Er vollkommen.
[155]
Wer kärglich sich der Frücht' allein,
Nicht auch der Blumen freuet,
Vergißt, daß Gottes Sonnenschein
Die Blumen auch erneuet.
Die blaue Blum' im Erntekranz
Hat Gottes Hand gesäet;
Und Ihm gefällt des Schnitters Tanz,
Wenn freudig er gemähet.
Es ward die Freundschaft uns vom Herrn
Ins warme Herz gegeben:
Der wahre Freund vergißt sich gern,
Um seinem Freund zu leben.
Gott segnet keuscher Ehe Zucht
Mit wahrer Liebe Süße:
Die Mutter liebt des Schmerzens Frucht,
Belohnt durch seine Küsse.
Mit Wohlgefallen sieht der Herr
Wie Blumen, Kinder blühen;
Mit Wohlgefallen sieht auch Er
Des Mannes Stirne glühen,
Wenn in den Kern der Wissenschaft
Gestärkt sein Auge dringet,
Und wenn mit angeborner Kraft
Des Dichters Geist sich schwinget.
Wie Eltern ihrem zarten Sohn
Die Frühlingsblumen weisen,
So zeigt uns Gott auf Erden schon,
Wie seine Sterne kreisen.
Wir schaun die Wunder seiner Hand
Aus unsern tiefen Fernen,
Und wissen, unser Vaterland
Sei über jenen Sternen.
Auf unserm Leben schwimmt wie Schaum
Ein wenig Müh und Kummer;
Das Leben ist ein Morgentraum,
Der Tod ein kurzer Schlummer.
[156]
Wir sinken freudig in den Staub,
Der unsre Väter decket,
Und gönnen Würmern ihren Raub,
Weil Gott uns auferwecket.
Es töne zu der Saite Klang,
So lange wir hier wallen,
Sein Lobgesang; und Lobgesang
Soll schon das Kindlein lallen!
Und wenn's nach Seinem Namen fragt,
So drückt mit beiden Armen
Das Kindlein fest ans Herz und sagt:
Sein Name heißt Erbarmen!

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu. Gedichte. Gedichte. 86. Danklied. 86. Danklied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1A65-D