52. Ballade

1777.


Hört, ihr lieben deutschen Frauen,
Die ihr in der Blüte seid,
Eine Mär' aus alter Zeit,
Die ich selbst nicht ohne Grauen
Euren Ohren kann vertrauen;
Denn mit Schrecken sollt ihr schauen,
Wie ein Ritter sonder Glimpf
Rächte seines Bettes Schimpf.
In den alten Biederzeiten,
Da noch Menschheit Sitte war,
Und ein Weib nicht um ein Haar
Durft' aus ihrem Wege gleiten,
Kam ein Rittersmann von weiten,
Der zum Kaiser sollte reiten,
Von Navarras Fürst gesandt,
In das heil'ge deutsche Land.
Einst, da Strom und Nachtwind brauste,
Und sein Roß ermüdet war,
Ward er eine Burg gewahr,
Wo ein deutscher Ritter hauste,
[101]
Dessen Hof der Sturm durchsauste,
Und der Ulmen Haupt zerzauste;
Freudig führte er sein Roß
An das hochgetürmte Schloß.
Laut klopft' er ans Thor, es klappen
Ihm die Zähn', er war erstarrt,
Denn der Winterfrost war hart.
Bald erschienen edle Knappen,
Forschten nach des Fremdlings Wappen,
Hielten seinen treuen Rappen,
Führten dann bei Fackelschein
Ihn in den Palast hinein.
Herzlich, nach der Deutschen Weise,
Ging auf ihn der Deutsche zu:
»Komm, geneuß bei mir der Ruh,
Nach der schweren Winterreise,
Und erfrische dich mit Speise.
Sieh, es glänzt von Reif und Eise
Dir das Haupthaar und der Bart;
Auch ist deine Hand erstarrt.«
Bei der krummen Hörner Schalle
Führt' er den erfrornen Mann
Einen Windelsteig hinan,
In die kerzenvolle Halle.
Seine Väter standen alle
Aus gegossenem Metalle,
Schöngewappnet ohne Zahl
In dem ungeheuren Saal.
Hier heißt er das Mahl bereiten,
Und schon sitzen sie am Tisch;
Unsre Helden trinken frisch,
Aus Pokalen und aus breiten
[102]
Tummlern, nach dem Brauch der Zeiten;
Rheinwein und Tokayer gleiten
In die Kehlen glatt hinein,
Welscher und Burgunder Wein.
Aber mitten in der Freude
Öffnet eine Thüre sich.
Stumm und langsam feierlich,
Kömmt ein Weib in schwarzem Kleide,
Ohne Gold, Geschmuck und Seide,
Abgehärmt von bitterm Leide,
Mit geschornem Haupte, schön
Wie der blasse Mond zu sehn.
Grauen überfiel und Beben
Den Navarrer, er ward blaß,
Ihm entsank ein Doppelglas,
Und er zweifelte, ob Leben
Wär' im Weibe, ob sie schweben,
Senken oder sich erheben
Würde, ein Gespenst der Nacht,
Das dem Arm des Grabes lacht.
Aber näher kam sie ihnen,
Setzte nun sich an den Tisch,
Aß zween Bissen Brot und Fisch.
Und sie schellte; da erschienen,
Mit des Mitleids trüben Mienen,
Knappen, ihrer Frau zu dienen.
Einem winkt sie, er versteht
Ihren Jammerblick, und geht.
Und schon hält er in der Linken
Einen Schädel, spült ihn rein,
Gießet Wasser dann hinein,
Hält's ihr schweigend dar zu trinken.
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Ach! sie läßt die Augen sinken,
Sieht den nassen Schädel blinken,
Starret vor sich, trinkt ihn aus,
Setzt ihn hin, und wankt hinaus.
»Ich beschwöre dich, zu sagen,«
Hub der fremde Ritter an,
»Was hat dir dies Weib gethan?
Wie kannst du mit diesen Plagen
So sie martern? wie ertragen
Ihrer Thränen stumme Klagen?
Sie ist schön, wie Engel sind,
Und geduldig, wie ein Kind.«
»Fremdling, sie ist schön! Ich baute
Auf die Schönheit all mein Glück,
Weidete an ihrem Blick,
Wenn sie bei der sanften Laute
Fromm und liebend auf mich schaute!
Ach! mein ganzes Herz vertraute
Ich ihr ohne Zweifeln an,
War ein hochbeglückter Mann!
Ihre schönen Augen logen!
Wer ergründet Weibessinn?
Ihre Liebe war dahin,
Einem Buben zugeflogen,
Den ich in der Burg erzogen!
Lange hat sie mich betrogen;
Meines Herzens Lieb' und Treu
Blieb sich immer gleich und neu!
Als ich einst von frohen Siegen
Unvermutet kam zurück;
Ach! da sah mein erster Blick,
Der sie fand, nach langen Kriegen,
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Sie in meinem Bette liegen
Mit dem Ehebrecher! Schmiegen
Thät er wie ein Lindwurm sich,
Doch ihn traf der Todesstich!
Aber sie fiel mir zu Füßen,
Flehend: Herr, erbarme dich
Meiner, und erwürge mich!
Laß mich mein Verbrechen büßen!
Sieh, das Eisen möcht' ich küssen,
Das da soll mein Blut vergießen,
Und mich bald in jener Welt
Meinem Trauten zugesellt!«
In dem Augenblick gedachte
Ich in meinem Zorne doch
Ihrer armen Seele noch,
Und das Bild der Höllen brachte
Schrecken in mein Herz; doch wachte
Meine Rache noch, und fachte
Meines Zornes Glut; ich sprach:
»Büßen sollst du meine Schmach;
Aber nicht mit deinem Leben!
Denn was hätt' ich deß Gewinn,
So du führst zum Teufel hin?
Nein, mit Thränen, Flehn und Beben,
Magst du nach dem Heile streben,
Ob dir wolle Gott vergeben;
Aber Jammer, Angst und Not
Geb' ich dir bis an den Tod!«
Da thät ich ihr Haupt bescheren,
Nahm ihr Gold und Edelstein,
Hüllte sie in Trauer ein,
Ungerührt von ihren Zähren.
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Welche Schmerzen sie verzehren,
Magst du von ihr selber hören.
Fasse dich, und folge mir
Hier durch diese Seitenthür.«
Und er fuhrt' ihn eine lange,
Steile, dunkle Trepp' hinab.
»Ach! du führst mich in ein Grab!«
Rief der Ritter, und ward bange. –
»Graut dir schon vor diesem Gange?
Aber horch dem leisen Klange
Einer Laute! Bei dem Klang
Singt sie ihren Bußgesang.«
»Halt! nun sind wir an der Schwelle!«
Rief der Deutsche, stieß ans Schloß.
Rasselnd sprang die Feder los,
Und sie sahn sie in der Zelle.
Von den Augen stürzt die helle,
Gottgeweihte Thränenquelle,
Fließet aus zerknirschtem Sinn
Auf das offne Psalmbuch hin.
»Ach! wie ist ihr Schicksal bitter!«
Ruft der Gast, und geht hinein.
Stracks führt' ihn an einen Schrein
Der gestrenge deutsche Ritter.
Wie getroffen vom Gewitter,
Sieht er hinter einem Gitter,
O, wer hätte das geglaubt?
Ein Gerippe sonder Haupt.
Als der Fremdling sich ermannte,
Sprach der Deutsche: »Sieh den Mann
Der dies Weib hier liebgewann,
Erst für sie im Stillen brannte,
Dann sein Feuer ihr bekannte,
Den sie ihren Trauten nannte,
Der mit seiner Frevelthat
Mir mein Bett beschimpfet hat!«
[106]
»Das ist nun ihr größtes Leiden,
Daß sie ihren Ehemann,
Der solch Leid ihr angethan,
Muß beständig um sich leiden!
Jenes Anblick gab ihr Freuden
Sonst, nun möcht' sie gern ihn meiden!
Doch sie sieht ihn, und beim Mahl
Ist sein Schädel ihr Pokal.«
Ehe sie das Weib verlassen,
Wünscht der Fremdling ihr Geduld
Und Erlassung ihrer Schuld.
Sie antwortete gelassen,
Mit gesenktem Blick, und blassen
Lippen: »Ritter, nicht zu fassen,
Ist mit Worten mein Vergehn!
Deiner Magd ist recht geschehn!«
Freundlich wünschte sie den Rittern
Gute Nacht. Sie gehen fort
Aus dem jammervollen Ort.
Bilder ihrer Angst erschüttern
Den Navarrer, sie verbittern
Ihm den dunkeln Weg, es zittern
Seine Kniee, banger Schweiß
Überläuft ihn, kalt wie Eis.
Endlich kommt er in ein Zimmer.
Bang' und kummervoll durchwacht
Er die lange Winternacht.
Ach! er sah ihr Bildnis immer,
Wie sie bei der Lampe Schimmer
Spielte, sang und weinte. Nimmer
Ward wohl je ein Weib gesehn,
Das so elend war und schön.
Bei der goldnen Morgenröte,
Thät er seine Rüstung an,
Ging hinein zum deutschen Mann,
Nahm ihn bei der Hand, und flehte,
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Daß er, eh der Gram sie töte,
Aus dem Jammer sie errette;
Sprach es, schwang sich auf sein Roß
Und verließ das alte Schloß.
Jahre währten ihre Leiden;
Ihre helle Thräne sank
Täglich in den bittern Trank.
Abgestorben allen Freuden,
Thät sie jedes Labsal meiden,
Thät an ihrem Gram sich weiden,
Sang den frommen Bußgesang
Täglich bei der Laute Klang.
Endlich rührt' ihr leises Stöhnen
Und ihr demutvoller Schmerz
Des gestrengen Mannes Herz.
Wer vermag sich zu den Tönen
Leiser Klage zu gewöhnen?
Rührender bewegen Thränen
Einer stummen Dulderin
Jeden felsenharten Sinn.
Sieh, er ließ sein rasches Dräuen,
Ihr die ganze Lebenszeit
Anzufügen solches Leid,
Sich aus Herzensgrunde reuen,
Nahm sie in sein Bett von neuen,
Thät sich weidlich mit ihr freuen,
Zeugte Söhne, stark von Art,
Töchter, wie die Mutter, zart.
Unsre Frauen zu belehren,
Hab' ich solches kund gemacht,
Und in saubre Reimlein bracht;
Auch die Herrchen zu bekehren,
Die der Weiblein Herz bethören,
Und sich täglich bei uns mehren.
Tausend Schädel, die wir sehn,
Sollten auf dem Schenktisch stehn.

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu. Gedichte. Gedichte. 52. Ballade. 52. Ballade. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1A49-D