8. Die Schlacht am Stoß

An den Gräbern zu Sankt Gallen
Hat er lang sein Schwert gewetzt;
Mutig durch die dichte Waldung
Dringt empor der Adel jetzt,
Haut den Weg sich mit der Axt,
Bäum' und Feinde wirft er nieder,
Von den lauten Schlägen hallt
Dumpf des Rheinthals Kessel wieder.
Weh! der Hirten Vorhut weichet,
Uli Rotach führt sie an,
Ist zu eilig vorgedrungen
Auf gewohnter Siegesbahn.
Und sein Haufen wankt erdrückt
Von dem eisernen Gewichte,
Dreißig stürzen rechts und links,
Vor des Führers Angesichte.
Von den Seinigen verlassen
(Viele starben, wenig flohn),
Siehet sich umringt der Uli
Und zwölf Ritter ihn bedrohn.
Eines Sennen Hütte steht
Einsam an des Waldes Saume,
Bietet seinem Rücken Schutz,
Und so ficht er als im Traume:
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Denn von seiner grimmen Gegner
Hochgehobnem, rundem Schild
Gähnt ihn an mit offnem Rachen
Mannichfaches, grauses Wild;
Der von Ramswag hält ihm vor
Ein entsetzlich Paar von Löwen,
Ein gehörntes Flügelthier
Dräut im Schilde des von Höwen.
Doch die Löwen und den Drachen
Fällt der Appenzeller Bär,
Bald auf ihren Schilden liegen
Beide Kämpfer stumm und schwer.
Zornig mit dem Vogel Greif
Drängt sich vor der Greifensteiner;
Von der Streitaxt fallen sie,
Mann und Vogel, auf steht keiner.
Und geschirmt vom Dach der Hütte
Beut der Held noch Neunen Trutz,
Wolfurt sucht und Ebersberger
Hinter Wolf und Eber Schutz.
Aber den durchfährt der Speer,
Und der Andre stürzt vom Schwerte:
Sieben kämpfen aufrecht noch,
Fünfe liegen auf der Erde.
Sechs umringen Jenen streitend,
Einer aber nimmt sich Frist,
Facht ein Feuer an im Laube,
Sinnt auf eine böse List:
Nicht umsonst führt er im Schild
Eine feuerspei'nde Schlange,
Schleudert seinen Feuerbrand
Nach des Daches Ueberhange.
Und des Hirten Stirn umwirbelt
Tückisch bald der finstre Rauch,
Blinzend wehrt er ab die Streiche,
Und der Flamme glüh'nden Hauch;
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Seinen Geist befiehlt er Gott,
Denn jetzt stürzt das Dach zusammen!
So erliegt der fromme Held
Nicht dem Schwerte, nein, den Flammen!
Von dem schweren Kampf mit Einem
Ruh'n die sieben Ritter aus,
Ueber sich hoch auf dem Berge
Hören sie der Schlacht Gebraus;
Denn es rang der Edlen Heer
Siegreich sich empor nach oben,
Kämpfend weicht der Hirt zurück,
Immer ferner hallt das Toben.
Endlich auf dem höchsten Gipfel
Mit der neuen Brüder Schar
Hält der kluge Werdenberger,
Keine Flucht ihr Weichen war;
Freilich ist ihr Häuflein dünn,
Und der Feinde sind dreitausend,
Doch dem Himmel trauen sie –
Und am Himmel regt sich's brausend.
Auf des schwülen Föhnes Flügel
Zieht's vom hohen Säntis her,
Wolken schichten sich auf Wolken,
Liegen auf dem Walde schwer.
Blitzesschein erhellt die Schlacht,
Wie auf Rossen fliegt das Wetter,
Gottes Feldposaune dröhnt
Mit dem hallenden Geschmetter.
Und auf ihren Ruf ergießen
Sich des Regens Ströme dicht,
Zwar den Hirten in den Rücken,
Doch den Rittern in's Gesicht.
Auf dem Boden glatt und naß
Haften nicht der Männer Schritte,
Da vom Pferde springt der Graf,
Stellt sich in der Hirten Mitte.
[429]
»Ahmet mir nach,« schreit er, »Brüder!
Streifet ab vom Fuß den Schuh!
Jetzt geflogen sichern Trittes
Auf die schwanken Feinde zu!«
Barfuß rennt der Held voran,
Zu der Donner lauten Hallen
Läßt die Streitaxt er zuerst
In die dichten Haufen fallen.
Pfeil und Wurfspieß fliegt herunter,
Schwerter blitzen kühn darein,
Und die kaum verlaßnen Hügel
Nimmt der Hirte wieder ein.
Sorglich zieht der Feind zurück
Seine festgeschloßnen Glieder;
Aber links, vom Bergesrand,
Was bewegt sich dort hernieder?
Hirt und Ritter schaun und zögern:
Eine lange, stille Schar,
Ziehen blendende Gestalten
Längs den Höhen wunderbar.
Woher kommt das neue Heer?
Grausen faßt das Herz der Ritter:
Hat Gespenster ausgespie'n
Dieses höllische Gewitter?
Auch der Hirte sinnt mit Staunen,
Wie ihm Hilfe kommen soll;
Plötzlich ruft der Werdenberger
Laut und heil'ger Freude voll:
»Kämpfen wir nicht heut im Herrn,
Brüder, am Frohnleichnamsfeste?
Seine Heerschar sendet er,
Engel sind es, Himmelsgäste!«
Und hernieder von dem Gipfel
Wallt der lange, fremde Zug;
Weiße, wogende Gewande
Flattern in des Windes Flug.
[430]
Tausend Arme heben sich
Halb zu beten, halb zu schlagen,
Und darüber rollt und blitzt
Gottes glüh'nder Donnerwagen.
Ein Entsetzen faßt die Feinde,
Rücklings stürzen sie hinab,
Und der Fels und feuchter Rasen
Und der Rheinstrom wird ihr Grab.
Tausende mit edlem Blut
Haben Wald und Flur gedünget,
Und des Volkes Freiheit steigt
Aus der Schlacht empor verjünget.
Und verschwunden ist das Wetter,
Abendsonne scheinet klar;
Droben auf der Höhe wartet
Immer noch die weiße Schar.
Und der Hirte klimmt empor:
Wird er Engel Gottes schauen? –
Sieh! da stehn im Sonnenglanz
Seine Töchter, seine Frauen!
Sollten sie zu Hause sitzen,
Von der Männer Geist erfüllt?
Nein! in langes Hirtenhemde
Haben sie den Leib gehüllt.
Nicht vergebens folgten sie
Ihres Herzens kühnem Schlage;
Und bezahlet ihre Schuld
Haben sie dem großen Tage.
Fröhlich an der Männer Seite
Schauen sie in's grüne Thal:
Rebenhügel, blüh'nde Gärten,
Burgen glühn im Abendstral;
Und dazwischen strömt der Rhein,
Wälzt vergoldet seine Wogen;
Morgen ins gelobte Land
Kommen Hirten eingezogen!
[431]
»Brüder!« spricht der Werdenberger,
»Vorher gilt's noch einen Strauß,
Denn es horstet noch der Adler
Drüben in Sankt Gallens Haus!
Erst den Herzog fortgejagt!
Erst den Abt in Wyl gefangen!« –
»Nein,« jauchzt ihm der Hirte zu,
»Erst gen Werdenberg gegangen!«

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. Größere Dichtungen. 2. Der Appenzeller Krieg. 8. Die Schlacht am Stoß. 8. Die Schlacht am Stoß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0782-D