Franz und Paul von Schönthan
Der Raub der Sabinerinnen
Schwank in vier Akten

Personen

[2] Personen.

    • Martin Gollwitz, Professor.

    • Friederike, dessen Frau.

    • Paula, deren Tochter.

    • Dr. Neumeister.

    • Marianne, seine Frau.

    • Karl Groß.

    • Emil Groß, genannt Sterneck, dessen Sohn.

    • Emanuel Striese, Theaterdirektor.

    • Rosa, Dienstmädchen bei Gollwitz.

    • Auguste, Dienstmädchen bei Neumeister.

    • Meißner, Schuldiener.

1. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Rosa. Dann Meißner.

ROSA
sitzt auf dem Stuhl am Schreibtisch, liest die Zeitung.

»Einem hochzuverehrenden Adel, sowie hochverehrlichem Publikum, allen Kunstfreunden und Gönnern dieser Stadt erlaubt sich der hochachtungsvoll Unterzeichnete die tiefergebene Anzeige zu machen, daß am 6. September im Saale des hiesigen Schützenhauses die Theater-Vorstellungen beginnen werden.« Spricht. Theater – bei uns hier – ah, das wird aber schön werden. – Liest weiter. »Die unterzeichnete Direktion wird alles aufbieten, um die gerechtfertigten Erwartungen dieser kunstsinnigen Stadt weit zu übertreffen. Alles Nähere besagen die Anschlagzettel. Hochachtungsvoll, ergebenst Emanuel Striese, Theaterdirektor.« – Spricht. Na, das weiß ich, solange die [3] Madame in Heringsdorf ist, gehe ich jeden Tag ins Theater; wenn sie wieder zurück ist, kommt man ja so wie so nicht mehr aus dem Haus und ins Theater schon gar nicht.

MEISSNER
durch die Mitte, mit einem Stoß blauer Schulhefte unter dem Arm.
Ganz ergebener Diener, Fräulein Rosa.
ROSA.
Ach du meine Güte, bringen Sie schon wieder Extemporalienhefte?
MEISSNER.
Nu ja – für den Herrn Professor – aus der Quarta – 52 Stück. Legt die Hefte auf den Tisch rechts.
ROSA.
Und bis wann sollen wir sie denn durchsehen?
MEISSNER.
Bis übermorgen.
ROSA
schlägt ein Heft auf.

»Ueber den zweiten punischen Krieg.« Na, ich danke, da wird sich der arme Professor wieder schön ärgern. Wenn ich nur von dem Krieg höre! Da schreiben die Jungen immer das dümmste Zeug zusammen.

MEISSNER.

Ueberhaupt die Jungens! – Nu bin ich schon zwanzig Jahre am Gymnasium, und sie werden nicht klüger und werden nicht klüger.

ROSA.

Und gerade mit dem Krieg trifft's jedes Jahr um dieselbe Zeit. Immer wenn wir in der Küche beim Gurkeneinlegen sind, ist der Professor in der Quarta beim punischen Krieg.

MEISSNER.
Freilich, freilich, der Lehrplan ist wie ein Kalender. Immer wieder dasselbe.
[4]
ROSA
schlägt mit der Hand auf das geöffnete Heft, in dem sie einige Zeilen gelesen hat.

Nein, so'n dummer Bengel! Hören Sie nur, was der da zusammenschreibt. Liest. »Nachdem die Römer im Jahre 241 vor Christi mit dem ersten punischen Krieg fertig waren, fingen sie 23 Jahre später, also im Jahre 218, den zweiten Krieg an.« Spricht. So'n Unsinn! 41 und 23 ist doch im Leben nicht 18! – Nicht mal zählen können die Jungens.

MEISSNER.
Und so was sitzt in Quarta!
2. Auftritt
2. Auftritt.
Vorige. Gollwitz.

GOLLWITZ
durch die Mitte, er trägt Ueberzieher und Hut.
Meißner, was machen Sie denn hier? Gibt Rosa den Hut.
MEISSNER.
Ah, der Herr Professor! Bitte ergebenst, Herr Professor, ich habe nur die Hefte gebracht.
GOLLWITZ
den Ueberzieher ausziehend.
Schön, schön!
ROSA.
Da stehen wieder Sachen drin, Herr Professor –
GOLLWITZ
lachend.
So? Gibt Rosa den Ueberzieher.
ROSA.
Und der Regenschirm?
GOLLWITZ.
Welcher Regenschirm?
[5]
ROSA
lamentierend.

Ach Gott, Herr Professor – der neue seidene! Ich habe doch noch gesagt, Sie sollen mir ihn nicht wieder stehen lassen!

GOLLWITZ.
Sollte ich ihn wirklich – –?
ROSA.

Natürlich! Was ist denn heute? Ueberlegt. Donnerstag: Von zwei bis drei in Quinta Geographie und von drei bis vier in der Prima. Sehen Sie gleich mal nach, Meißner.

GOLLWITZ
nachrufend.
Vielleicht steht er auch im Konferenzzimmer.
MEISSNER
in der Tür.
Schön, Herr Professor. Ab.
ROSA
Meißner nachrufend.
Dunkelbraun, die Krücke wackelt ein bißchen und unten fehlt die Zwinge.
GOLLWITZ
ist zum Schreibtisch getreten.
Ist kein Brief von meiner Frau gekommen?
ROSA.
Nein, Herr Professor.
GOLLWITZ.
Gestern nicht, heute auch nicht? Es wird doch nichts passiert sein? –
ROSA.
Was soll denn passiert sein, machen Sie sich keine Sorgen.
GOLLWITZ.
Ist sonst niemand hier gewesen?
ROSA.
Ja, vor einer halben Stunde ein Herr, der mit Ihnen sprechen wollte.
[6]
GOLLWITZ.
Wer war es denn?
ROSA.

Ich kenne ihn nicht, er sah aus wie ein Pastor – glattrasiertes Gesicht, eine Menge Ringe auf der Hand. In einer halben Stunde will er wiederkommen.

GOLLWITZ.
Ist gut. Wir werden ja sehen.
ROSA.
Was soll ich denn heute zum Abendbrot kochen?
GOLLWITZ.
Quäle mich doch nicht damit! – Mach, was du willst.
ROSA.

Das sagen Sie immer, Herr Professor, und wenn ich Ihnen nachher das Essen bringe, lassen Sie mir's wieder stehen.

GOLLWITZ.
Wenn ich doch keinen Appetit habe!
ROSA.

Natürlich, wenn man immerzu studiert und schreibt und arbeitet! – Sie müssen sich ein bißchen Bewegung machen, Herr Professor – spazieren gehen, Kegel schieben. Und das sage ich Ihnen, wenn das Theater erst anfängt, dann müssen Sie mir jeden Abend hingehen.

GOLLWITZ.
Theater?
ROSA.

Lesen Sie denn gar keine Zeitungen, Herr Professor?! Da steht's ja doch. Gibt ihm das Blatt. Schützenhaus – 6. September.

3. Auftritt
3. Auftritt.
Vorige. Dr. Neumeister. Marianne.

NEUMEISTER
den Kopf zur Tür hereinsteckend.
Gute Abend, Schwiegerpapa. Da im Vorzimmer ist eine kleine reizende Frau, darf ich sie hereinlassen?
[7]
GOLLWITZ.
Meinetwegen.
MARIANNE
schiebt Neumeister zurück und sieht ins Zimmer.
Papa, darf denn mein Mann, der unausstehliche Mensch, auch mit hereinkommen?
GOLLWITZ.

So kommt doch schon, Ihr großen Kinder, Ihr laßt Euch ja ohnedies selten genug sehen bei Eurem armen, verlassenen Papa.

NEUMEISTER.
Ja, es ist unrecht von uns, aber wir sind so glücklich –
MARIANNE.
Und wenn Leopold den ganzen Tag fort ist, bin ich auch froh, wenn ich ihn des abends zu Hause habe.
NEUMEISTER.
Natürlich!
MARIANNE.
Aber du solltest öfter zu uns kommen –
NEUMEISTER.
Oder mal ins Gasthaus gehen. Was machst du denn ganz allein zu Hause?
GOLLWITZ.
Ich langweile mich eben. Ich hätte nie gedacht, daß mir Mama und Paula so fehlen würden.
MARIANNE.
Was für Nachricht hast du denn von ihnen?
GOLLWITZ.
Da liegt ihr letzter Brief von vorgestern.
MARIANNE
nimmt den Brief vom Schreibtisch.
Da sind ja auch Blumen darin. Nimmt ein gepreßtes Blumensträußchen heraus.
[8]
GOLLWITZ.
Die hat Paula auf einem Spaziergang gepflückt.
MARIANNE.
Ach, wie nett! Liest den Brief.
NEUMEISTER.
Also der Schwiegermama bekommt das Bad gut?
GOLLWITZ.

Ja, ihr schon, aber – mir?! Nimmt Neumeister beiseite. Weißt du, lieber Junge, solche Badereise kostet doch verteufelt viel Geld. Ich habe es mir jetzt zusammengerechnet, – unter zweitausend Mark komme ich nicht weg.

NEUMEISTER.
Aber für Mama war es wirklich notwendig.
GOLLWITZ.

Und für Paula auch; das Kind ist jetzt siebzehn Jahr alt, man muß sie doch ein wenig in die Welt führen. Das sehe ich ein. Aber du weißt, wie knapp ich mich mit meinem Gehalt einrichten muß; zweitausend Mark reißen ein Loch in die Rechnung. Ich habe mir vorläufig damit geholfen, daß ich Paulas Geld von der Sparkaffe nahm; aber das muß wieder ersetzt werden denn, wenn es meine Frau erführe –!

NEUMEISTER.
Das könnte hübsch werden!
GOLLWITZ.
Ob ich mal eine Kleinigkeit auf der Börse riskiere.
NEUMEISTER
entrüstet.
Papa! –
GOLLWITZ.
Es machen's doch so viele Leute.
NEUMEISTER.
Aber du verstehst gar nichts davon!
[9]
GOLLWITZ.
Das ist wahr, und mit dem, was ich verstehe, ist eben nichts zu verdienen.
MARIANNE
hat inzwischen den Brief gelesen.
Mama und Paula scheinen sich ja sehr zu amüsieren.
GOLLWITZ.

Ich gönne es ihnen; aber ich kann Euch sagen, mir sind die vier Wochen entsetzlich lang geworden. Wenn man so durch zwanzig Jahre gewöhnt ist, Tag für Tag Frau und Kind um sich zu haben und dann auf einmal mutterseelenallein in seinen vier Wänden hockt –

MARIANNE.
Armer Papa. Was hast du denn nur immer gemacht?
GOLLWITZ.

Ich habe alles mögliche versucht. Meine Bibliothek geordnet, Rechnungen, Briefe, Manuskripte durchstöbert, sogar bis auf meine Studentenzeit zurück; – Kinder, da habe ich unter anderem das Ding hier ausgegraben, das hat mir wirklich Spaß gemacht. Nimmt aus einem Schreibtischfach ein Manuskript.

NEUMEISTER.
Das sieht ja wie lyrische Gedichte aus.
GOLLWITZ.
Schlimmer, – eine Römertragödie.
MARIANNE.
Die du geschrieben hast?
GOLLWITZ.

Ja, als Student. Mein Gott, welcher Student hätte keine Römertragödie geschrieben! Und nun habe ich das Ding wieder durchgelesen und dabei wirklich meine helle Freude gehabt. Es ist ja natürlich unreif und unfertig, aber es ist doch Schwung darin und Feuer und – Jugend.

4. Auftritt
[10] 4. Auftritt.
Vorige. Rosa.

ROSA
bei dem letzten Satz durch die Mitte mit dem Regenschirm des Professors.
GOLLWITZ.
Nicht wahr, Rosa?
ROSA
mit einem verhimmelten Seufzer.
Ach, Herr Professor!
GOLLWITZ.
Ich habe es ihr nämlich vorgelesen.
NEUMEISTER UND MARIANNE
zugleich.
Der Rosa – hahaha!
GOLLWITZ.

Ja, lacht nur. Ihr laßt Euch doch nicht sehen, und an irgend jemand muß man schließlich seine Verse auslassen! Da hat die Rosa eben herhalten müssen.

ROSA.

Ach, Herr Professor, ich höre ja so gerne zu. Ich sage Ihnen, Frau Doktor, das ist ein himmlisches Stück, so traurig, so traurig! Trocknet sich die Tränen.

GOLLWITZ.
Heule nur nicht gleich wieder.
ROSA.

Ich kann nicht anders! Wenn ich nur das Heft sehe, muß ich schon weinen – gerade so wie beim Zwiebelschneiden. Ab nach rechts.

GOLLWITZ.

Nun, da siehst du, wie ich in den vier Wochen heruntergekommen bin; da sitze ich und lese einer albernen, alten Person meine Jugendeseleien vor.

[11]
NEUMEISTER.

Das ist noch gar nich so schlecht, Schwiegerpapa. Molière hat ja auch seine Stücke der Haushälterin vorgelesen, bevor er sie aufführen ließ; gerade das naive Person –

MARIANNE
die bisher am Schreibtisch in einem Buch geblättert und gelesen hat, plötzlich aufschreiend.
Ach, das ist zu stark. Wirft die Blumen, die sie in der Hand hielt, in den Aschbecher.
GOLLWITZ UND NEUMEISTER
springen auf, gleichzeitig.
Was gibt es denn? Was hast du denn?
MARIANNE
zwischen beide tretend, Gollwitz das Buch hinhaltend.
Papa, kann man sich auf den Menschen, der das Buch da geschrieben hat, verlassen?
GOLLWITZ
das Titelblatt ansehend.
»Balzac«! Lächelnd. Na, ich denke doch.
MARIANNE
zu Neumeister.
So? Mein Herr, dann sind Sie ein ganz niedriger Charakter.
NEUMEISTER.
Wie?
MARIANNE.
Hier steht es – bitte, lesen Sie!
NEUMEISTER
liest.

»Jede Braut würde – wenn sie das Vorleben ihres Bräutigams erführe – noch am Tage der Hochzeit vom Altar zurücktreten« –

MARIANNE.
Also, was hast du für ein Vorleben?
NEUMEISTER.
Aber Marianne –?
[12]
MARIANNE.
Papa, was hat er für ein Vorleben?
GOLLWITZ.
Aber, Kind!
MARIANNE
kopierend.

»Aber Marianne, aber Kind« – damit kommt Ihr mir nicht los. Hier ist der Roman von Balzac! Gestehe also!

NEUMEISTER.
Wenn ich doch nichts zu gestehen habe. –
MARIANNE.
Wie käme der Mann denn zu solchen Behauptungen?
NEUMEISTER.
Der hat mich eben nicht gekannt.
MARIANNE.

Na, wir werden ja sehen, ob du zu Hause auch so dreist bist; – du denkst, weil du hier Papa zum Schutz hast. – Adieu, Papa!

GOLLWITZ.
Willst du denn schon gehen?
NEUMEISTER.
Marianne, so höre doch!
MARIANNE.
Bitte, wir sprechen uns zu Hause aus.
NEUMEISTER.
Das kann hübsch werden.
GOLLWITZ.

Das muß ich sagen, da erzählt Ihr mir immer von Eurem häuslichen Glück, und so oft Ihr zu mir kommt, zankt Ihr Euch.

MARIANNE.

So? Willst du jetzt vielleicht auch seine Partei nehmen? Weinerlich. Ach, wenn nur Mama schon hier wäre! – Wenn sie kommt, erzähle ich ihr alles! – Adieu! Geht zur Tür.

[13]
NEUMEISTER.
Kind, ich komme ja mit.
MARIANNE.
Bitte, das ist durchaus nicht nötig. Ab durch die Mitte.
NEUMEISTER.

Papa, ich will dir keine Vorwürfe machen, aber, wenn ich mal eine Tochter hab, die erziehe, ist anders, meinem Schwiegersohn passieren solche Sachen nicht. Ab durch die Mitte.

GOLLWITZ.

Das soll mir eine Warnung sein, der Balzac und versteckt; denn wenn der meiner Frau in die Hände fällt, die wäre am Ende imstande, mir auch eine Szene machen. Ab rechts mit dem Buch.

5. Auftritt
5. Auftritt.
Rosa. Striese.

ROSA
mit Striese durch die Mitte.

So, bitte, treten Sie nur hier ein; der Herr Professor ist zu Hause; ich habe ihm schon gesagt, daß Sie hier waren.

STRIESE
spricht im sächsischen Dialekt.
Nu, das ist ja sehr schön, da danke ich Ihnen auch ganz ergebenst, mein Fräulein.
ROSA.
Ich werde Sie gleich melden.
STRIESE.

Nee, nee, bitte, warten Sie noch 'nen kleinen Augenblick, Legt Hut, Ueberzieher und Schirm auf einen Stuhl im Hintergrund, erscheint im Frackanzug. ich muß mich erst in Positur werfen. So, so. Und nun haben Sie die große Güte und sagen Sie dem Herrn Professor: der Theaterdirektor Emanuel Striese ließe ganz gehorsamst um die Ehre bitten. –

[14]
ROSA.
Herrgott! Sie sind der Theaterdirektor!
STRIESE.

Ja. Nicht wahr, da staunen Sie. Ich bin gerade dabei, den Herren Honoratioren meine Besuche zu machen. Sagen Sie mal, mein schönes Fräulein, geht denn Ihre Herrschaft fleißig ins Theater?

ROSA.
Ach, bewahre! Seit ich hier im Dienst bin, ist noch keiner aus dem Haus ins Theater gekommen.
STRIESE.
Was Sie sagen! – Und wie lange sind Sie denn schon hier im Dienst?
ROSA.
Zu Micheli werden es zehn Jahre.
STRIESE.
Ei, du blaues Donnerwetter du – wie ist denn das nur möglich?
ROSA.
Die Madame erlaubt's nicht.
STRIESE.
Und sollte man den Herrn Professor denn gar nicht ein bißchen für die Kunst interessieren können?
ROSA.
Den wohl, der hat sogar selbst ein Stück geschrieben.
STRIESE
interessiert.
Ah!
ROSA.

Dort auf dem Schreibtisch liegt es. Ich sage Ihnen, das ist ein Stück, das ist ein Stück! So was aus der alten Zeit.

STRIESE.
Nu hören Sie. Hat er es denn schon irgendwo aufführen lassen?
[15]
ROSA.
Gott bewahre. Außer mir kennt's kein Mensch.
STRIESE.
Ei, Herrjeses, das wäre Butter auf meine Bemme!
ROSA.
Wie?
STRIESE.
Hören Sie, liebes Fräulein, der Herr Professor ist wohl so einer von die Ersten hier in der Stadt?
ROSA.
Das will ich meinen; – wenn der über die Straße geht, den grüßen alle Jungens.
STRIESE.
Nu, so was. Ueberlegend. Hm, hm, hm!
ROSA.
Was haben Sie denn?
STRIESE.
Nee, nee, nee, horchen Sie nur gar nicht hin! Es geht mir nur so eine Idee durch den Kopf.
ROSA.
Ich werde dem Herrn Professor sagen, daß Sie hier sind. Ab rechts.
STRIESE.

Das ist recht, – das ist recht. Sagen Sie's ihm. Für sich. Striese, jetzt könntest du zeigen, daß du ein Diplomat bist. Wenn ich denke, wie wir voriges Jahr in Königsroda das Stück von dem Telegraphenbeamten gegeben haben – es war, weiß Gott, das reine Blech – aber das Theater war bumsdicke voll. Nun ja, wenn einer aus der Stadt ein Stück schreibt, auf so was laufen die Leute immer. Meine Frau hat's hernach noch zum Abschiedsbenefiz gegeben und 's war auch wieder ausverkauft. Zwei ausverkaufte Häuser! Das soll dem Telegraphenbeamten in Königsroda erst einer nachmachen, nicht einmal der Goethe bringt das fertig und das ist doch gewiß ein Tausendsappermenter als Dichter.

6. Auftritt
[16] 6. Auftritt.
Striese. Gollwitz.

GOLLWITZ.
Sie wünschen mich zu sprechen, Herr – –?
STRIESE.
Striese, Emanuel Striese, ganz ergebenst aufzuwarten, Herr Professor.
GOLLWITZ.
Und womit kann ich Ihnen dienen?Zum Sitzen einladend.
STRIESE
sich setzend.

Oh bitte ganz ergebenst, von »Dienen« kann gar keine Rede sein, Herr Professor. Ich wollte mir nur erlauben, mich vorzustellen. Ich bin der Theaterdirektor. Ich stehe eben im Begriffe, die hervorragenden Persönlichkeiten der hiesigen Stadt eigenhändig zum Abonnement einzuladen. Sie haben mir auch schon alle zugesagt. An den Fingern herzählend. Da ist einmal der Herr Amtsrichter – Stockt. – der Herr Amtsrichter kommt nämlich ganz gewiß – dann – Stockt. Also, wie gesagt, der Herr Amtsrichter – und dann – wären neben dem Herrn Amtsrichter noch drei sehr schöne Sitze, die ich eigens für den Herrn Professor und die werte Familie reserviert habe –

GOLLWITZ.
Es tut mir wirklich leid, aber wir gehen eigentlich nie ins Theater.
STRIESE.

Bei mir werden Sie eine Ausnahme ma chen, und Sie werden's nicht zu bereuen haben. Da ist zum Beispiel gleich unsere Eröffnungs-Vorstellung »Hasemanns Töchter« von L'Arronge, das geht wie geschmiert; wir spielens ohne Souffleur.

GOLLWITZ.
Wahrhaftig?
STRIESE.

Das ist eine virtuose Leistung, besonders von mir und meiner Frau; uns beide können Sie mitten in der Nacht aufwecken, so spielen wir »Hasemanns Töchter« und was mein [17] übriges Personal anbelangt, so kann ich mir wohl ohne Uebertreibung schmeicheln, es sind Künstler dabei – alle Hochachtung! Mein erster Liebhaber zum Beispiel, der ist aus einem sehr feinen Haus entsprungen: wenn Sie den sehen, glauben Sie, Sie haben einen Prinzen vor sich.

GOLLWITZ
gelangweilt.
So, so!
STRIESE.

Sehen Sie, das ist überhaupt sozusagen eine Spezialität von mir, junge Talente ausfindig zu machen. Ebenso ist es mit den Herren Autoren! – bei mir sind eine ganze Menge Stücke zuerst auf die Bühne gekommen, – die jetzt in allen Hoftheatern gegeben werden. Da war erst neulich in Königsroda ein höherer Beamter, der mir sein Erstlingswerk anvertraut hat.

GOLLWITZ.
Nun, und Sie haben es aufgeführt?
STRIESE.

Freilich! Und gefallen hat's – gefallen – – ich kann Ihnen nur sagen, Herr Professor, sechs ausverkaufte Häuser haben wir damit gemacht. Meine Frau hat die Hauptrolle gespielt, davon sprechen die Leute heute noch in Königsroda. Uebel ist den Leuten geworden – so voll war's; und jetzt geht das Stück über alle Bühnen. Der Verfasser hat ein heidenmäßiges Geld damit verdient. Er schreibt schon ein zweites.

GOLLWITZ.
In der Tat?
STRIESE.
Wie ich Ihnen sage. Aber nun, Herr Professor, will ich Sie nicht länger aufhalten. Steht auf.
GOLLWITZ
hält Striese zurück.
Aber ganz und gar nicht, lieber Direktor, erzählen Sie nur weiter.
STRIESE.

Nee, nee, ich habe schon viel zu lange gestört, und da Sie sich ja eigentlich gar nicht für das Theater interessieren –

[18]
GOLLWITZ.
Nun – vielleicht doch. Ich habe nämlich – einen Freund, der auch ein Stück geschrieben hat.
STRIESE.
Ist es die Möglichkeit! Beiseite. Beißt schon an.
GOLLWITZ.

Ich habe das Manuskript zufällig hier liegen Zeigt auf den Schreibtisch. – es ist eine Römertragödie.

STRIESE.

Herrjeses, Herr Professor, das wäre so etwas für mein Theater. Die römischen Tragödien, auf die sind wir nämlich eingefuchst. Könnte ich nicht vielleicht einmal einen Blick – Greift nach dem Manuskript.

GOLLWITZ
hält das Manuskript zurück.
Ja, ich weiß wirklich nicht –
STRIESE.

Auf mich können Sie sich verlassen, ich bin verschwiegen, sagen Sie mir wenigstens, wie das Stück heißt.

GOLLWITZ.
»Der Raub der Sabinerinnen«.
STRIESE.
»Der Raub der Sabinerinnen«. – Ei verflixt – das ist ein ganz kolossaler Titel.
GOLLWITZ.
Meinen Sie?
STRIESE.

Na, ob und wie. Das sehe ich schon so gedruckt auf dem Theaterzettel. »Der Raub der Sabinerinnen«. Da werden die Leute stürzen, denn das ist was fürs Publikum! Da seh' ich den Amtsrichter schon sitzen – – – Das Stück müssen Sie mich lesen lassen, ich nehme es gleich mit, morgen früh haben Sie es wieder.

[19]
GOLLWITZ.
Lieber Direktor, das geht nicht! – Das Stück gehört nicht mir, ich darf es nicht aus der Hand geben.
STRIESE.

Schön, Herr Professor, darüber werden wir uns auch nicht streiten, da lese ich es gleich hier, – das heißt, mit Ihrer gütigen Erlaubnis.

GOLLWITZ.
Aber –
STRIESE.

Nee, nee, da gibt's nun gar kein Gefize mehr, ich setze mich da ganz still in ein Eckchen, in einem halben Stündchen habe ich es ausgelesen.

7. Auftritt
7. Auftritt.
Vorige. Rosa. Dann Groß.

ROSA
durch die Mitte.
Herr Professor, ein Herr ist draußen, Karl Groß aus Berlin.
GOLLWITZ.
Ich kenne keinen Karl Groß. Was will er denn?
ROSA.
Er sagt, er wäre ein alter Freund vom Herrn Professor.
GOLLWITZ.
Hast du gesagt, daß ich zu Hause bin?
ROSA.
Freilich, ich dachte – –
GOLLWITZ.
Dann laß ihn eintreten.
[20]
ROSA
ab.
GOLLWITZ.

Lieber Direktor, bitte gehen Sie einstweilen in mein Wohnzimmer; Sie können ja das Manuskript mitnehmen und drinnen lesen.

STRIESE.

Natürlich, Herr Professor, bitte tun Sie nur, als ob ich hier zu Hause wäre. Im Abgehen nach links wohlgefällig auf das Manuskript klopfend, für sich. Das Stück wird gegeben, und wenn es noch schlechter wäre, als dem Telegraphenbeamten seines. Ab rechts.

GROSS
durch die Mitte.
Guten Tag, lieber Professor, ich habe nicht viel Zeit, aber da bin ich.
GOLLWITZ
beiseite.
Den kenne ich ja gar nicht.
GROSS.
Das heißt Wort halten, was?
GOLLWITZ.

Allerdings, allerdings, indessen – Sie entschuldigen wohl, – ich bin ein wenig zerstreut – ich muß aufrichtig gestehen –

GROSS.
Ich glaube wahrhaftig, Sie kennen mich nicht mehr – –
GOLLWITZ.
Ja, wenn ich ganz aufrichtig sein soll –
GROSS.
Aber ich bin doch der Weinhändler Karl Groß aus Berlin.
GOLLWITZ.
Ach so, ja, – ja – hm, hm, Beiseite. keine Ahnung!
GROSS.

Vor zwei Jahren, als Sie auf einen Tag in Berlin waren, haben wir doch den ganzen Abend nebeneinander im Theater gesessen.

[21]
GOLLWITZ.
Richtig, ja, im Wallnertheater.
GROSS.
I bewahre, im Reichshallen-Theater. Erinnern Sie sich denn nicht mehr an den dressierten Ochsen?
GOLLWITZ.
Oh natürlich, entschuldigen Sie nur, daß ich Sie nicht gleich erkannt habe.
GROSS.

Sie haben mir damals so viel erzählt von dem Nest hier und von Ihrer Frau und den beiden Töchtern, und wenn ich einmal durchkomme, soll ich Sie besuchen. Na, nun komme ich durch – nun besuche ich Sie. Aber wenn es Ihnen vielleicht unangenehm ist, dann kann ich ja wieder gehen.

GOLLWITZ
Groß zurückhaltend.

Aber ich bitte Sie, Herr Groß, nehmen Sie doch Platz; ich bedaure nur, daß meine Frau nicht anwesend ist, sie ist mit meiner Tochter im Seebad.

GROSS.
Mit Marianne?
GOLLWITZ
befremdet.
Nein, mit Paula.
GROSS.
Also mit der jüngeren. Die ältere war ja damals ein bißchen bleichsüchtig; hat sich das gegeben?
GOLLWITZ
wie oben.

Oh, ich danke, ja, sie ist jetzt verheiratet. – Beiseite. Was ich dem Menschen alles erzählt haben muß.

GROSS
schreit Gollwitz an.
Glücklich?
GOLLWITZ.
Außerordentlich! – Die jungen Leute leben Tauben miteinander.
[22]
GROSS
schlägt auf den Tisch und springt auf.
Da soll doch das Wetter dreinschlagen –
GOLLWITZ.
Erlauben Sie – – –
GROSS.
Was andere Leute für Glück mit ihren Kindern haben, und ich –?
GOLLWITZ.
Sie haben wohl Unglück mit Ihren Kindern?
GROSS.

Hören Sie, Professor, jetzt wird es mir zuviel. Sie tun ja, als ob ich Ihnen die Geschichte noch gar nicht erzählt hätte.

GOLLWITZ.
Ach ja, ich besinne mich – Ihr Fräulein Tochter – –
GROSS.
Was, Tochter, ich habe gar keine Tochter – aber mein Sohn Emil – der Schlingel!
GOLLWITZ.
Richtig, richtig, der Schlingel.
GROSS.
Genau so ist's mit ihm gekommen, wie ich es Ihnen damals gesagt habe.
GOLLWITZ.
Ah, das überrascht mich.
GROSS.

Wie kann Sie denn das überraschen, es konnte gar nicht anders kommen. Nichts lernen wollen – den ganzen Tag herumbummeln – Schulden machen – Liebschaft – leichtsinniges Frauenzimmer – was war das Ende vom Liede? – Durchgebrannt! Na – mein Sohn ist er gewesen!

GOLLWITZ.
Aber ich bitte Sie, ein junger Mensch – –
[23]
GROSS.

Was? Wollen Sie den Burschen vielleicht noch in Schutz nehmen? Dann will ich Ihnen einmal die Geschichte von A bis Z erzählen. Setzen Sie sich nieder.

GOLLWITZ
seufzend.
Ach du lieber Gott!
STRIESE
sieht zur Tür heraus, das Manuskript in der Hand.
Herr Professor, Herr Professor!
GROSS.
Was ist das wieder für eine Störung?
GOLLWITZ.
Entschuldigen Sie nur einen Augenblick. Zu Striese tretend. Was wollen Sie denn?
STRIESE.
Nehmen Sie es nur nicht ungütig, aber ich halte es da drinnen wahrhaftig nicht mehr aus vor Freude.
GOLLWITZ.
Haben Sie denn schon gelesen?
STRIESE.

Ja, den ersten Akt habe ich hinter mir. – Das ist ja geradezu ein großartiges Gemälde menschlicher Leidenschaften, und die Sprache, die Sprache!

GOLLWITZ.
Sie glauben also wirklich, daß man es aufführen könnte?
STRIESE.

Eine wahre Affenschande ist es, Herr Professor, daß so ein Stück im Schreibtisch liegt. – So was gehört aufs Theater, – auf mein Theater.

GOLLWITZ.
Ja, aber –
GROSS
hat bis jetzt Zeichen der Ungeduld gemacht und springt nun auf.
Wenn Sie wichtigere Geschäfte haben, kann ich ja gehen.
[24]
GOLLWITZ.

Bitte, bitte, ich stehe sofort zu Diensten. Zu Striese. Lesen Sie nur erst die andern Akte, die sind noch schöner –

STRIESE.

Nee, Herr Professor, Ihr Wort in Ehren, aber das glaube ich Ihnen nicht. Noch schöner als der erste Akt, das ist ja geradeswegs ein Ding der Unmöglichkeit. Im Abgehen beiseite. Den hab' ich, den hab' ich!

GOLLWITZ.
Also bitte, Herr Groß.
GROSS.
Bis wohin hatte ich Ihnen denn die Geschichte damals in den Reichshallen erzählt?
GOLLWITZ.
Verehrter Herr, ich muß gestehen, mir ist inzwischen so vielerlei durch den Kopf gegangen –
GROSS
ärgerlich.
Da bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.
GOLLWITZ
jammernd.
Lieber Gott!
GROSS.

Um es also kurz zu machen: Meine Frau ist eine geborene Quisenow. Gott, ich war ein junger Mensch, und sie hatte eigentlich so gut wie nichts, als ich sie vor achtundzwanzig Jahren heiratete.

GOLLWITZ.
Vor achtundzwanzig Jahren –
GROSS.
Ja, ja! Die Zeit vergeht, wie nun unser ältester Junge geboren wurde – –
GOLLWITZ.
Dieser entsetzliche Emil?
[25]
GROSS.
Ach, keine Idee – da kommen doch erst noch der Fritz und der Paul dazwischen. Emil ist der jüngste.
STRIESE
von links.

Meine Herren, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, nur eine einzige Zwischenfrage möchte ich mir erlauben.

GOLLWITZ.
Was wollen Sie denn?
STRIESE.
Steht denn hier in der Stadt überhaupt Militär?
GOLLWITZ.
Wieso?
STRIESE
leise vertraulich.

Weil da zum zweiten Aktschluß der große Einzug der Priester vorgeschrieben ist. Da brauche ich doch wenigstens meine sechs bis acht Mann Soldaten dazu.

GOLLWITZ.
Soldaten?
STRIESE.

Es läuft freilich höllisch ins Geld, man muß jedem zwanzig Pfennig geben und ein Galeriebillet auch noch für den weiblichen Anhang, aber lieber Gott, das Publikum ist eben durch die Meininger so verwöhnt, da darf man sich nicht lumpen lassen.

GROSS.
Hören Sie, verehrter Herr Professor, jetzt reißt mir aber die Geduld.
GOLLWITZ.
Wie?
GROSS.

Da sprengen Sie mich eigens von Berlin hierher, und dann lassen Sie mich hier stehen, und kümmern sich gar nicht um mich?

GOLLWITZ.
Ich bin eben ein bißchen beschäftigt – ich –
[26]
GROSS.
Glauben Sie, ich habe nichts zu tun? Ich muß weiter, um halb acht Uhr mit dem Kurierzug.
GOLLWITZ.
Ach wie schade!
GROSS.

Ja, wenn es Ihnen noch so leid tut – ich kann Ihnen nicht helfen – das Geschäft vor allem. Aber wenn ich von der Messe zurückkomme, dann bleibe ich ein paar Tage hier, da werden wir hoffentlich ungestört sein.

GOLLWITZ.
Gewiß, gewiß!
GROSS.

Vergessen Sie bis dahin nicht wieder, was ich Ihnen heute erzählt habe, sonst müßte ich noch einmal von vorn anfangen.

GOLLWITZ.
Ach nein – alles, nur das nicht.
GROSS.

Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin – erzählen Sie ihr aber vorläufig gar nichts von meinem Emil, ich möchte die Sache gern diskret behandelt wissen. Ab.

GOLLWITZ.
Herr du meine Güte, ist das ein Mensch! Ruft zur Tür hinaus. Rosa! Rosa!
8. Auftritt
8. Auftritt.
Vorige. Rosa.

ROSA
durch die Mitte.
Herr Professor?
GOLLWITZ.

Wenn der Herr, der eben fortgegangen ist, jemals wiederkommt, so sagst du ihm, ich wäre verreist, ich hätte mich einer wissenschaftlichen Expedition nach dem Nordpol angeschlossen.

[27]
ROSA.
Schön, Herr Professor. Ab.
STRIESE
hat bisher im Vordergrund im Manuskript geblättert.

Herr Professor, dafür lege ich meine Hand ins Feuer: das dahier ist ein Aktschluß von großartiger Wirkung. Wie da im Vordergrund jeder einzelne Römer eine verzweifelte Sabinerin im Arm hält, während in der Mitte der König Titus Tatius in einem Fluch die Fäuste gen Himmel reckt und ganz im Hintergrund der Mond auf die Geschichte herunterschaut! – Da möchte ich doch gleich eine ganze Sonntagseinnahme gegen einen einzigen Nickel verwetten, daß die Leute, wenn sie nach Hause gehen, sagen werden: So was haben wir, weiß Gott, auf unserm Theater noch nicht erlebt.

GOLLWITZ.
Ja, das liest sich vielleicht ganz hübsch, aber wer weiß, wie es auf der Bühne wirkt.
STRIESE.

Nu, sein Sie so gut, dafür bin ich gerade fünfundzwanzig Jahre Theaterdirektor; wenn ich ein Stück lese, dann stellt sich vor meinem geistigen Auge gleich alles in dramatischen Formen dar.

GOLLWITZ.

Nun denn, lieber Direktor, ich will Ihnen reinen Wein einschenken. Das Stück ist nicht von einem meiner Freunde, – es ist von mir selbst.

STRIESE
Gollwitz schalkhaft drohend.
Ob ich mir's nicht gleich gedacht habe, Herr Professor? Mir macht keiner keine Fisematenten vor.
GOLLWITZ.

Nun werden Sie begreifen, daß bei meiner Stellung als Schulmann und bei meinen Familienbeziehungen in dieser Stadt an eine Aufführung dieses Stücks gar nicht zu denken ist.

[28]
STRIESE.

Aber, Verehrtester, Sie brauchen sich ja am Ende gar nicht als Verfasser auf dem Zettel zu nennen; da machen wir einfach drei Sternchen, und wenn mich einer darnach fragt, so sage ich eben, das Stück ist von einer hervorragenden, aber ungenannt sein wollenden Persönlichkeit hiesiger Stadt.

GOLLWITZ.

Nein, darauf kann ich mich unmöglich einlassen, es käme schließlich doch heraus, schon durch die Schauspieler.

STRIESE.

Da können Sie nun ganz unbesorgt sein; auf meine Leute kann ich mich verlassen. Da gibt's gar kein Geträtsche; dafür sorgt schon meine Frau.

GOLLWITZ.

Frau? Beiseite. Alle Wetter, da fällt mir meine eigene Frau ein – wenn die erführe – Laut. Nein, mein lieber Direktor, schlagen Sie sich die Sache aus dem Kopfe, es geht absolut nicht.

STRIESE.

Herr Professor, machen Sie einen armen Theaterdirektor nicht unglücklich. Und Sie selber! Bedenken Sie nur, was Sie für ein schönes Sümmchen Geld dabei verdienen können. Wenn wir es erst aufgeführt haben, dann wird's auf allen großen Theatern gegeben, und dann schneit es Ihnen die Hundertmarkscheine nur so zum Fenster herein.

GOLLWITZ
zögernd.
Wenn es aber nicht gefällt?
STRIESE.

Von Nichtgefallen kann bei dem Stück überhaupt nicht die Rede sein. Uebrigens können Sie mir nach der letzten Probe immer noch sagen: Striese, es ist nichts, ich nehme mein Stück zurück.

GOLLWITZ.

Allerdings, wenn Sie mir diesen Weg zum Rückzug offen lassen, und mir tiefste Verschwiegenheit geloben, dann wäre ja am Ende gar nichts riskiert dabei, und dann könnte ich mich vielleicht entschließen –

[29]
STRIESE.

Nee, Sie sind schon enschlossen, Herr Professor, das sehe ich Ihnen an der Nasenspitze an; – schlagen Sie ein, die Sache ist abgemacht.

GOLLWITZ
einschlagend.
STRIESE.
Ich gebe es gleich zur Eröffnungsvorstellung.
GOLLWITZ.
Das wäre ja schon in acht Tagen?
STRIESE
sich den Ueberzieher anziehend.
Freilich, am 6. September.
GOLLWITZ.

Das wäre mir recht. – Beiseite. Solange bleibt meine Frau jedenfalls noch in Heringsdorf.Laut. Können Sie denn die Rollen auch gut besetzen?

STRIESE
das Manuskript unter dem Arm, den Hut in der Hand.

Na, seien Sie so gut, Herr Professor, da haben wir schon ganz andere Stücke besetzt. Und das sage ich Ihnen gleich: den König Titus Tatius gebe ich selber, schon wegen der künstlerischen Verkörperung des königlichen Anstands. Meine Frau spielt die Virginia; da werden Sie Ihre Freude erleben. Die Rolle ist ihr sozusagen auf den Leib geschrieben.

GOLLWITZ.
So, so!
STRIESE.

Sehen Sie, da habe ich gerade ein paar Bilder von ihr. Zieht aus der Rocktasche einige Photographien. Da ist sie als »Maria Stuart« – da als »jüngster Leutnant« und hier als »schöne Helena«. Da ist sie am besten getroffen; wenn Sie gütigst erlauben, lasse ich Ihnen das Bild zum Andenken hier. Er stellt das Bild mit vieler Umständlichkeit so auf den Schreibtisch, daß es dem Publikum im Auge bleiben muß. Und nun empfehle ich [30] mich, Herr Professor. Es bleibt doch bei unserer Verabredung, nicht wahr?

GOLLWITZ
gibt Striese die Hand.
Ja; aber was Ihre Frau anbelangt, die »Virginia« ist doch eigentlich eine tragische Rolle.
STRIESE.

I das macht gar nichts. Die Frau hat eine staunenswerte Verwandlungsfähigkeit in sich; die Herren Kritiker vergleichen sie immer mit einem Chamäleon. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie zum zweiten Aktschluß vor dem König Romulus auf die Knie stürzt, sich die Oberkleider vom Leibe reißt und ausruft:


»In meines Unglücks Nacht blieb mir der feste Glauben.
Du kannst das Leben mir, doch nicht die Ehre rauben.«

Ich habe die Ehre. Ab.
GOLLWITZ.

Wenn die Sache nur verschwiegen bleibt, denn sonst – ich hätte doch am Ende – –Wendet sich nach hinten.

9. Auftritt
9. Auftritt.
Gollwitz. Rosa.

ROSA
eilig durch die Mitte.
Herr Professor, Herr Professor, der hat ja unser Stück mitgenommen –
GOLLWITZ.
Wer?
ROSA.
Der Theaterdirektor – ich hab's doch gesehen, er hat es in der Hand gehabt.
GOLLWITZ.
Unsinn, das wird wohl irgend ein anderes Buch gewesen sein.
ROSA.
Nein, das war unser Stück, ich habe ganz deutlich den Kaffeefleck auf dem Umschlag gesehen.
[31]
GOLLWITZ.
Aber wenn ich dir sage – –
ROSA.

Herr Professor, geben Sie sich keine Mühe, ich weiß alles, unser Stück wird aufgeführt, hier im Theater, von richtigen Schauspielern.

GOLLWITZ.
Pst! Schreie doch nicht so!
ROSA
flüsternd.
Soll es denn niemand wissen?
GOLLWITZ.

Natürlich nicht. Daß du dich nicht unterstehst, auch nur eine Silbe zu verraten, keinem Menschen und besonders meiner Frau nicht, wenn sie am Ende doch früher zurückkommen sollte.Beiseite. Ich werde ihr übrigens gleich schreiben, sie soll noch vierzehn Tage wegbleiben. Setzt sich zum Schreibtisch.

ROSA.

Nein, nein, verlassen Sie sich nur auf mich, von mir soll keine Seele etwas erfahren. Sehen Sie, Herr Professor, noch gestern beim Teppichklopfen ist es mir eingefallen. – Ach Gott, hab' ich mir gesagt, wenn die Madame zurückkommt, ist es aus mit der schönen Zeit. Ich werde es aber nie vergessen, Herr Professor, Gerührt. wenn Sie abends so dagesessen haben und gelesen und gelesen und mir sind immer die dicken Tränen heruntergekullert, und dann habe ich noch die ganze Nacht davon geträumt, es war zu schön! –

GOLLWITZ
schreibend, ohne auf Rosa zu hören.

Wenn ich nur einen glaubwürdigen Vorwand wüßte, um meine Frau noch so lange hinzuhalten! – Ah, das wird gehen! Schreibt eifrig fort.

ROSA.

Aber eines steht fest: wenn das Stück hier im Theater gegeben wird, muß ich dabei sein. Und wenn mich die Madame nicht hinlassen will, dann lauf' ich ohne Erlaubnis fort, und [32] wenn sie mich am nächsten Tag wegjagt, dann tröste ich mich mit den schönen Worten aus unserem Stück: »Und ist dein Zorn auch noch so hoch gestiegen, du kannst mein Herz wohl brechen – doch nicht biegen.«

GOLLWITZ
hat fertig geschrieben, gibt Rosa eine Postkarte.

So, Rosa, gib diese Karte gleich auf die Post. Ich ziehe mir einen andern Rock an und gehe ins Schützenhaus hinüber. Im Abgehen nach rechts, beiseite. Ich will doch wenigstens sehen, wie die Bühne aussieht. Ab rechts.

ROSA
liest die Karte.
»Liebe Friederike, ich sitze hier einsam an meinem Schreibtisch bei meiner Tasse Tee – –«
10. Auftritt
10. Auftritt.
Rosa. Friederike. Paula.

FRIEDERIKE UND PAULA
im Reisekostüm, mit übergehängten Taschen, vielem Handgepäck und einigen Buketts in der Hand, kommen durch die Mitte.
FRIEDERIKE
hat die letzten Worte Rosas gehört.
Rosa, was machst du denn da?
ROSA.
Barmherziger Himmel! Die Madame und das Fräulein!
FRIEDERIKE.
Was hast du denn da gelesen?
ROSA.
Ach Gott, es ist nur eine Postkarte vom Herrn an die gnädige Frau.
FRIEDERIKE.
Und das liest du? Reißt Rosa die Karte fort.
[33]
ROSA.
Nein, die gnädige Frau, so unerwartet. Jammernd. Was wird nur der Herr Professor dazu sagen?
FRIEDERIKE.
Wieso?
ROSA.
Ich meine nur, weil wir uns schon so sehr nach Ihnen gesehnt haben.
PAULA
hat ihr Handgepäck abgelegt.
Wo ist denn Papa?
ROSA.
Da drinnen, er wollte eben ins Schützenhaus gehen.
FRIEDERIKE
erstaunt.
Ins Schützenhaus?
ROSA.
Ja, wegen dem Sich besinnend. wegen dem Bier; er geht jeden Abend ins Schützenhaus wegen dem Bier.
FRIEDERIKE.
So, so? Hole jetzt unsere Koffer herauf. Legt ab.
ROSA.
Schön, Madame! – Ab durch die Mitte.
PAULA.
Ich will Papa gleich sagen, daß wir hier sind.
FRIEDERIKE.
Nein, bleib nur; wir wollen ihn hier überraschen.
PAULA.
Der gute Papa wird Augen machen! Jetzt, wo er eben noch an dich geschrieben hat – –
[34]
FRIEDERIKE
liest die Karte.

»Meine liebe Friederike, ich sitze hier einsam an meinem Schreibtisch bei einer Tasse Tee – Stockt, sieht Paula fragend an. es ist halb neun Uhr« –

PAULA.
Mama, es ist ja erst dreiviertel auf acht.
FRIEDERIKE
weiterlesend.
»Vor mir auf dem Schreibtisch steht dein Bild« –
PAULA
findet auf dem Schreibtisch das Bild, das Striefe dorthin gestellt hat, sieht es an, erschrickt.
Ah! Steckt das Bild in die Tasche.
FRIEDERIKE.
Was hast du denn?
PAULA
unschuldig.
Ach, nichts.
FRIEDERIKE
weiterlesend.
»Die kleinen Blümchen, die Ihr mir geschickt habt, stehen vor mir im Wasserglas« –
PAULA
unwillig.
Mama, die Blümchen liegen ja hier im Aschbecher.
FRIEDERIKE
beiseite.

Das sind ja lauter Lügen.Weiter lesend. »Ich sehne mich sehr nach Euch, aber trotzdem bitte ich Euch dringend, noch einige Zeit ins Heringsdorf zu bleiben. Wir haben nämlich kein Dienstmädchen im Hause.«

PAULA.
Wie?
FRIEDERIKE
weiter lesend, schnell.

»Die arme Rosa hat einen herben Verlust erlitten. Ihre Tante in Insterburg ist an Kopftyphus gestorben; natürlich will sie am Begräbnis teilnehmen; wer könnte der Bedauernswerten diesen Wunsch versagen. Ich habe sie auf acht Tage beurlaubt, gestern abend ist sie tiefgebeugt abgereist.«

[35]
PAULA
entsetzt die Hände zusammenschlagend.
Mama!
FRIEDERIKE
auf einen Stuhl sinkend.
Entsetzlich!
11. Auftritt
11. Auftritt.
Vorige. Gollwitz.

GOLLWITZ
schon hinter der Szene hörbar, tritt singend auf.

So leben wir, so leben wir etc. Tritt ins Zimmer, sieht Friederike und Paula – erschrickt. Allmächtiger! Meine Frau! Mit übertriebener Freundlichkeit. Meine liebe Friederike, meine gute Paula! Ihr seid da? Das ist ja eine reizende Ueberraschung. Ich habe mich so sehr nach Euch gesehnt, eben habe ich noch eine Postkarte abgeschickt und Euch gebeten, recht bald zu kommen.

FRIEDERIKE
drohend.
Martin, ich habe deine Karte schon gelesen.
GOLLWITZ
beiseite.
Oh weh! Laut. Du wirst doch nicht glauben –
FRIEDERIKE.
Ich glaube gar nichts! Aber so viel sage ich dir: einmal ins Bad gereist und nie wieder. Ab.
PAULA
tritt auf Gollwitz zu – zieht das Bild aus der Tasche.

Und dabei hat Mama noch nicht einmal das Schlimmste gesehen, ich habe es dort auf dem Schreibtisch gefunden – das Bild hier – Zeigt Gollwitz die Photographie.

GOLLWITZ.
Ewige Götter! »Die schöne Helena.«
PAULA
mit mißbilligendem Kopfschütteln.
Papa! Papa!

Der Vorhang fällt.

Ende des ersten Aktes.

2. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Dr. Neumeister. Auguste. Emil Sterneck.

NEUMEISTER
am Schreibtisch arbeitend.
AUGUSTE
durch die Mitte, eine Karte abgebend.
Ein Herr ist draußen!
NEUMEISTER
lesend.
Emil Sterneck, Schauspieler? Kopfschüttelnd.
AUGUSTE.
Auf der andern Seite steht auch was.
NEUMEISTER.

Ach so! Wendet die Karte um und liest. »Hinter dem dir gänzlich unbekannten E. Sterneck verbirgt sich dein alter Kommilitone Emil Groß« – Freudig zu Auguste. Emil Groß? laß ihn gleich eintreten! – Auguste ab. Neumeister liest weiter. »der dich in Erinnerung an unsere vergnügte Studienzeit in Leipzig um eine wichtige Unterredung bittet.«

[37]
STERNECK
durch die Mitte eintretend, trägt eine kleine Mappe.
NEUMEISTER
auf Sterneck zueilend.
Junge, ist es möglich? Du, mein flotter Leibfuchs, bist unter die Priester Thaliens gegangen?
STERNECK.

Ja, Gott sei's geklagt! Gegenwärtig jugendlicher, schüchterner Liebhaber, Naturbursche, Operettentenor und Regisseur bei der Direktion Emanuel Striese.

NEUMEISTER.
Wie bist du nur dahin gekommen?
STERNECK.

Wie man zu allen Dummheiten kommt, – durch eine glückliche Vereinigung von Liebe und Leichtsinn – – – du weißt ja, daß ich damals in die Tochter unseres Rektors verliebt war. Wir tauschten dreiviertel Jahr lang Briefe, Händedrücke und schließlich sogar Küsse.

NEUMEISTER.
So weit war die Geschichte, als ich von der Universität abging.
STERNECK.

Und weiter ist es auch nicht gekommen. Ich war nur ihre erste Liebe, sozusagen der Chambregarnist in ihrem Herzen, auf vierzehntägige Kündigung. Eines Tages wurde ich hinausgeworfen, ein Rechtsanwalt zog ein, und der wohnt heute noch darin, mit Familie, denn sie hat ihn geheiratet und ihm zwei Kinder geschenkt.

NEUMEISTER.
Und du?
STERNECK.
Ich verliebte mich aus Verzweiflung in eine kleine Schauspielerin.
NEUMEISTER.

So seid Ihr alle! – Eine Liebesgeschichte nach der anderen. Da kann ich mich natürlich nicht wundern, wenn meine Frau mich unausgesetzt quält, ich soll ihr meine Jugendstreiche erzählen.

[38]
STERNECK.

Und nun komme ich zu der traurigen Geschichte, aus der du mich herausziehen sollst. Die Belege dazu werde ich dir aus dieser Mappe ordnungsgemäß vorlegen. – Also jene kleine Schauspielerin war ein reizendes Wesen, siehe Beilage A. Zieht eine Photographie aus der Mappe. Hier ist ihr Bild!

NEUMEISTER.
Ah! Betrachtet das Bild.
STERNECK.

Mit blauen Augen und rabenschwarzen Locken. Beilage B. Zieht eine lange schwarze Locke aus der Mappe.

NEUMEISTER.
Oh!
STERNECK.

Wir lernten uns eines schönen Sonnabends kennen, und sie schenkte mir eine Rose als Symbol ihrer jungfräulichen Neigung. Beilage C. Zieht eine verwelkte Rose aus der Mappe.

NEUMEISTER.
Sehr sinnig!
STERNECK.

Als wir den ersten, seligen Kuß tauschten, schenkte ich ihr zum ewigen Andenken einen Ring. Beilage D. Zieht einen Ring aus der Tasche und putz ihn am Rockärmel. Sieht aus wie Gold.

NEUMEISTER.
Du hast ihr das ewige Andenken also wieder weggenommen?
STERNECK.

Um es zu den Akten meines Romans zu legen. – Was mich aber am schwersten drückt, ist Beilage E. Zieht Rechnungen hervor. Hier dieses Paket Rechnungen.

NEUMEISTER.
Unbezahlt?
STERNECK.

Leider! – Papa wollte kein Geld mehr schicken. – Darüber grämte sich meine Angebetete so tief, daß sie mir schrieb, wir müßten uns trennen, sie wolle ins Kloster gehen. Später erfuhr [39] ich, daß sie sich die Beilage B Ergreift die Locke. eidottergelb gefärbt habe und in Stargard als Boccaccio unerhörte Triumphe feierte.

NEUMEISTER
schüttelt Sterneck die Hand.
In Stargard – das ist schmerzlich.
STERNECK.

Das übrige kannst du dir laicht denken. – Ich versilberte meine goldene Uhr – hier ist der Pfandschein Zieht einen Pfandschein aus der Mappe. und lief Verzweiflung zum Theater. Da habe ich mich bald überzeugt, daß ich keine Spur Talent besitze, und nun bin ich das Zigeunerleben satt und übersatt, und möchte mich sobald als möglich mit meinem Vater aussöhnen. Meine Briefe schickt er uneröffnet zurück, aber auf dich hält er große Stücke, denn du warst ja immer der Solideste und Tugendhafteste von uns allen – und wenn du ihm also schreiben wolltest –

NEUMEISTER.

Aber gewiß, mein Junge, das will ich sofort tun. Ich schicke ihm die Mappe mit einem vernünftigen Brief, und du legst einige reuevolle Zeilen bei. Legt die verschiedenen Beilagen in die Mappe und schließt dieselbe in seinen Schreibtisch. Beide stehen auf.

STERNECK.
Die will ich sofort schreiben, ich bringe sie dir noch heute.
2. Auftritt
2. Auftritt.
Vorige. Marianne in Straßentoilette, von links.

NEUMEISTER.

Ah, da ist meine Frau – Liebe Marianne, ich stelle dir hier Herrn Emil Groß vor, einen alten Freund aus meinen Studentenjahren.

STERNECK
mit Verbeugung.
Gnädige Frau –
MARIANNE
sehr freundlich.

Ein Jugendfreund meines Mannes? Das ist ja sehr [40] interessant. Lieber Leopold, ich bitte dich – drüben in meinem Zimmer liegt das letzte Heft von »Nord und Süd.« Auguste soll es sofort zu meiner Mama bringen.

NEUMEISTER.
Schön, mein Kind. – Aus Wiedersehen, lieber Groß. Ab links.
MARIANNE
beiseite.

Der soll mir die Wahrheit sagen. – Laut. Herr Groß, Sie müssen uns recht oft besuchen. Mein Mann plaudert zu gern von seiner Universitätszeit. Er hat mir schon die lustigsten Geschichten erzählt. Nun, Sie wissen es so gut wie ich, er hat es ein bißchen arg getrieben.

STERNECK
beiseite.
Der? – So ein Renommist!
MARIANNE.
Sie waren gewiß bei allen seinen Abenteuern?
STERNECK
renommierend.
Meistens. – Nur manchmal, wenn es mir gar zu toll wurde – –
MARIANNE.

Er hat also nicht übertrieben, wenn er mir gesagt hat, daß er in der ganzen Stadt als »Don Juan« gefürchtet und bekannt war?

STERNECK.

Uebertrieben? Gott bewahre. Im Gegenteil – ich sage Ihnen, gnädige Frau, über seine Streiche könnte man ein ganzes Buch schreiben.

MARIANNE
gezwungen lustig.

Also wirklich! – – Ach, wie mich das freut! Ich danke Ihnen auch noch vielmals für Ihre Mitteilungen. Und auf baldiges Wiedersehen! Gibt Sterneck die Hand. Nicht wahr?

STERNECK.
Wenn Sie gestatten, gnädige Frau –! – – Verbeugung. Eine lustige Frau! Ab.
[41]
MARIANNE.
Es ist also doch so! – Jetzt muß er mir beichten!
3. Auftritt
3. Auftritt.
Marianne. Neumeister von links.

NEUMEISTER.
Liebes Kind, hier ist das Heft. – Soll ich es gleich wegschicken?
MARIANNE
reißt Neumeister das Heft aus der Hand.

Du hast also gar nicht bemerkt, daß ich dich nur weggeschickt habe, um aus deinem Freunde endlich etwas über dein Vorleben herauszulocken?

NEUMEISTER
vorwurfsvoll.
Marianne!
MARIANNE.
Freiwillig erzählst du mir ja nichts, trotz all' meiner Bitten.
NEUMEISTER.

Aber kommst du mir schon wieder mit dieser fixen Idee, mit der du mich schon seit vier Tagen quälst! –

MARIANNE.

Es ist keine fixe Idee. Zuerst habe ich dich freilich nur halb im Scherz gefragt, aber seitdem habe ich es mir überlegt und nun ist es mir bitterer Ernst. Wenn du mich nur begreifen wolltest! Ich bin ja nicht so kindisch, auf deine Vergangenheit eifersüchtig zu sein; aber ich habe dich zu lieb, um mich mit der Rolle einer Frau im gewöhnlichen Sinne zu begnügen. Ich will dein bester Freund dein treuester Gefährte sein. Und darum verlange ich es, als mein gutes Recht, auch deine intimsten Geheimnisse kennen zu lernen. Weinerlich. Ich habe dir doch auch nichts verschwiegen.

NEUMEISTER.
Wenn ich aber gar keine Geheimnisse habe?
MARIANNE.
Leopold, erleichtere dein Herz.
[42]
NEUMEISTER.
Aber ich täte es ja so gern.
MARIANNE.

Lieber einziger Leopold, tue es, tue es! O, ich habe dich oft beobachtet, wenn du glaubtest, allein zu sein, wenn du so gedankenvoll vor dich hinsahst, als ob dich trübe Erinnerungen innerlich beunruhigten. – Siehst du, gerade wie jetzt wieder!Neumeister ansehend. Letzterer wendet sein Gesicht ab. Es ist ja auch ganz unmöglich, daß bei einem Mann, wie du es bist, das Leben so im Alltagsgeleise hingerollt sein sollte. Gestehe mir doch alles – und du wirst sehen, daß du an mir eine starke und treue Freundin hast. Bitte! Bitte!

NEUMEISTER
feierlich.
Versprichst du mir auch ganz fest, daß du mich dann mit der Angelegenheit in Ruhe lassen wirst?
MARIANNE.
Ich verspreche es dir feierlich!
NEUMEISTER
resigniert.

Gut, dann will ich dir die Geschichte erzählen. Geht zum Schreibtisch. Aber wirst du mir auch verzeihen können, Marianne?

MARIANNE
eifrig.
Gewiß, gewiß!
NEUMEISTER.
Nun also – Nimmt die Mappe aus dem Schreibtisch. so höre!
MARIANNE
sich auf dem Sofa behaglich zurechtrückend.
Jetzt erfahre ich es also endlich!
NEUMEISTER
mit der Mappe in der Hand, setzt sich zu Marianne.
Also: Als ich noch Student in Leipzig war, ging ich jeden Abend ins Theater –
MARIANNE
glücklich.
Siehst du, davon hast du mir noch nie etwas gesagt. Küßt Neumeister.
[43]
NEUMEISTER.

Da lernte ich eine hervorragende Schauspielerin kennen, – hier ist ihr Bild. Reicht Marianne die Photographie.

MARIANNE.
Und für sie hast du geschwärmt – hast sie geliebt?
NEUMEISTER
mit einem Seufzer.

Unsäglich! – Sie schenkte mir eine Rose, – diese hier – Reicht Marianne die Rose. und da ich mit leidenschaftlichem Ungestüm mehr forderte, schnitt sie sich auch noch eine Locke ab, – da hast du sie – Gibt Marianne die Locke.

MARIANNE.
Du bist ein Engel! Küßt Neumeister.
NEUMEISTER.

Warte, es kommt noch besser. Im sinnlichen Taumel meiner verbrecherischen Liebe schenkte ich ihr einen goldenen Ring, den habe ich ihr aber wieder weggenommen; hier ist er. Gibt Marianne den Ring.

MARIANNE.
Du hast sie gewiß mit Geschenken überhäuft?!
NEUMEISTER.
Oh, aber sehr!
MARIANNE.
Und hast Schulden gemacht?
NEUMEISTER.

Leider – hier hast du die Rechnungen – Gibt Marianne die Rechnungen. Alle unbezahlt. Schließlich habe ich sogar die goldene Uhr meines Großvaters versetzt, – hier ist der Pfandschein. Gibt Marianne den Schein.

MARIANNE.
Der ist ja schon seit zwei Jahren verfallen. Machst du dir darüber gar keine Gedanken?
NEUMEISTER.
Ja, es drückt mich. Aber hin ist hin.
[44]
MARIANNE.
Nun und weiter, weiter!
NEUMEISTER.
Ist dir denn das noch nicht genug?
MARIANNE.
Die Sache muß doch ein Ende haben. Was ist denn ans dem Mädchen geworden?
NEUMEISTER.
Die Aermste – sie nahm den Schleier!
MARIANNE.
Und ihre Angehörigen? Hatte sie denn gar niemanden?
NEUMEISTER.
Richtig, – doch! einen Onkel!
MARIANNE.
Der dich zur Rechenschaft gezogen hat, mit dem du dich schlagen mußtest?
NEUMEISTER.

Ja, der Onkel, der gab keine Ruhe, der wollte durchaus Blut sehen. Ein merkwürdiger Mensch, dieser Onkel.

MARIANNE.

Und das alles hast du bis jetzt still mit dir herumgetragen? Ein Charakter bist du, das muß wahr sein. Umarmung.

4. Auftritt
4. Auftritt.
Vorige. Friederike. Paula.

PAULA
in der Mitteltür.

Ha, ha, ha! Sieh nur, Mama! »Das häusliche Glück« – lebendes Bild, gestellt von Herrn und Frau Neumeister –

[45]
FRIEDERIKE.
Aber Paula!
NEUMEISTER
leise.
Die Mama! – Daß du ihr keine Silbe erzählst.
MARIANNE
ebenso.

Keine Silbe. Laut. Liebe Mama, das ist schön, daß du kommst. Leise zu Friederike. Ich hebe dir sehr Wichtiges mitzuteilen, wir gehen in mein Zimmer.

FRIEDERIKE
leise.
Gut!
NEUMEISTER.
Na, liebe Schwiegermama, habe ich nicht recht gehabt mit Heringsdorf? Um zehn Jahre jünger.
FRIEDERIKE.
Schmeichler.
MARIANNE
leise zu Paula.
Halte Leopold hier fest, ich muß mit Mama sprechen.
PAULA
leise.
Gut.
FRIEDERIKE.
Marianne, was macht denn Euer Papagei?
MARIANNE.
Er steht in meinem Zimmer. Er hat schon wieder einige neue Worte gelernt.
NEUMEISTER.
Jetzt sagt er den ganzen Tag: »Gib mir ein Küßchen.«
FRIEDERIKE.
Das muß ich einmal hören. Komm', Marianne.
NEUMEISTER
ängstlich.
Ich kann ihn ja holen.
[46]
MARIANNE.
Ach wozu – wir gehen hinüber. Nimmt die Mappe mit, Friederike und Marianne ab durch die Mitte.
NEUMEISTER
sich ängstlich an Marianne und Friederike anschließend.
Auch gut, wir gehen hinüber. Will nach.
PAULA
Neumeister zurückhaltend.
Leopold, bitte, einen Augenblick – ich muß dich etwas fragen.
NEUMEISTER.
So, aber ich möchte – Will sich losmachen.
PAULA.
Nein, es ist wichtig.
NEUMEISTER.
Also ich bitte, schnell – was willst du?
PAULA.
Seit wir von Heringsdorf zurück sind, habe ich so merkwürdige Anfälle –
NEUMEISTER
ängstlich nach der Mitteltür blickend, zerstreut.
So, so! Beiseite. Ich wette, Marianne erzählt ihrer Mutter die ganze Geschichte. –
PAULA.
Aber du hörst mich gar nicht an.
NEUMEISTER
wie oben.
O ja – sprich nur!
PAULA.
Fühle mal meinen Puls. Hält Neumeister den Arm hin. Bemerkst du nichts?
NEUMEISTER.
Nein.
[47]
PAULA.
Siehst du, wenn ich des Morgens aufgestanden bin und meinen Kaffee getrunken habe –
NEUMEISTER.
Na, was ist es denn dann?
PAULA.

Dann ist es noch nichts, aber nach dem Frühstück gehe ich gewöhnlich eine Stunde im Garten spazieren –

NEUMEISTER.
Wenn dir das nicht bekommt, dann bleibe eben in deinem Zimmer.
PAULA.
Aber, Leopold, der Spaziergang tut mir gerade gut.
NEUMEISTER.
Nun also – – Will fort.
PAULA
hält Neumeister fest.

Aber gestern ist mir etwas Eigentümliches passiert. Eben bei meinem Spaziergang im Garten wollte ich mir eine Rose abschneiden.

NEUMEISTER
erschreckt.
Eine Rose? Erinnert sich wieder an die Mappe. Beilage C. Laß mich, ich muß zu meiner Frau.
PAULA
hält Neumeister fest.

Da bekam ich plötzlich einen Schwindel und Herzklopfen, mir wurde ganz schwarz vor den Augen, als ob ich ohnmächtig werden sollte.

NEUMEISTER.
Ohnmächtig – ich hole dir Tropfen!Reißt sich los, ohne auf Paula zu achten – ab durch die Mitte.
PAULA.

Nein, jetzt nicht, bleibe hier, es kommt schon wieder. Ach, ach, ach! Sinkt, eine Ohnmacht fingierend, in einen Stuhl. Kleine Pause. Dann sieht sie sich vorsichtig um und bemerkt, daß sie allein ist;[48] – springt auf. Er ist mir wahrhaftig entwischt. Nun, ich habe meine Schuldigkeit getan. So ein herzloser Mensch. Hört Schritte von außen. Ach nein, ich habe ihm Unrecht getan, da kommt er wieder. Jetzt schnell wieder in Ohnmacht fallen.Wirft sich auf den Sessel und stöhnt. Ach, ach!

5. Auftritt
5. Auftritt.
Paula. Emil Sterneck.

STERNECK
durch die Mitte, mit einem Brief in der Hand.

So, da bringe ich – Bemerkt Paula. Was ist denn das? – Eine junge Dame –? Die scheint krank zu sein? Wo ist denn –? Sieht sich um und findet einen Refraichisseur. Ah hier. Tritt zu Paula und bespritzt sie mit dem Refraichisseur.

PAULA
immer mit festgeschlossenen Augen, glaubt, daß sie mit Neumeister spräche, gibt schwache Lebenszeichen, leise stöhnend.
Ach das tut wohl, – ich danke dir – noch mehr!
STERNECK
weiter spritzend, beiseite.
Wie schön sie ist.
PAULA
wie oben.
Wasser, spritze mir ein wenig Wasser auf die Stirn.
STERNECK
suchend.

Um Gotteswillen, wo ist denn Wasser? Findet es. Gott sei Dank. Befeuchtet aus der Karaffe sein Taschentuch und netzt Paula die Stirn.

PAULA.

Wie gut du bist – bitte, auch ein wenig auf die Schläfen. Sterneck tut es. So, so! Ach, das tut wohl.

STERNECK
der bis jetzt geflüstert hat, plötzlich ganz laut.
Fühlen Sie sich schon besser, mein Fräulein?
[49]
PAULA
beim Ton seiner Stimme die Augen öffnend, aufspringend, erschrocken ausrufend.
Ach du lieber Gott – ein Fremder?
STERNECK.

Verzeihen Sie, mein Fräulein, wenn ich Sie erschreckt habe, aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen zu Hilfe zu kommen.

PAULA
verlegen.
Ich danke Ihnen auch sehr – aber ich glaubte – mein Schwager – –
STERNECK.

Ich schätze mich glücklich, gerade so im rechten Augenblick gekommen zu sein, umsomehr, da meine ärztlichen Kenntnisse –

PAULA.
Sie sind Arzt?
STERNECK.

Nein, mein Fräulein, aber ich habe ein paar Semester gleichzeitig mit meinem Freunde Neumeister Medizin studiert, – ich heiße Emil Groß.

PAULA.
Doktor Neumeister – ist mein Schwager.
STERNECK.
Dann habe ich wohl die Ehre mit Fräulein Gollwitz, der Tochter des Professors –
PAULA.
Ja, bitte, erzählen Sie dem Papa nichts von meiner Ohnmacht.
STERNECK.

Bewahre, Fräulein, ich habe natürlich sofort gemerkt, daß Sie sich nur mit irgend jemand im Hause einen kleinen Scherz machen wollten.

PAULA.
Wie?
STERNECK.
Nun, die Ohnmacht vorhin war wohl nicht ernst gemeint?
[50]
PAULA.
Erlauben Sie, das war sehr ernst, ich habe diese Anfälle jetzt alle Tage.
STERNECK
beiseite.
Die lügt recht geläufig!
PAULA.

Bitte, fühlen Sie meinen Puls; wenn Sie etwas davon verstehen, müssen Sie doch erkennen, daß ich Fieber habe.

STERNECK
fühlt den Puls.
Gewiß, mein Fräulein, sogar sehr stark. Beiseite. Keine Spur!
PAULA.
Nun also!
STERNECK.

Ja, ja, Fräulein, jetzt ist mir auch Ihr ganzer Zustand klar. Bevor die Anfälle kommen, haben Sie ein Sausen und Brausen in den Ohren, Flimmern vor den Augen, Hämmern im Kopf, nervöses Zucken in den Händen, dabei der eine Fuß eiskalt und der andere siedendheiß. Nicht wahr?

PAULA.
Ganz richtig. Das stimmt alles ganz genau. Und was raten Sie mir?
STERNECK.
Aufrichtig?
PAULA.
Ganz aufrichtig – ich bin auf alles gefaßt.
STERNECK.
Nun denn, mein Fräulein, ich rate Ihnen, sich eine andere Krankheit auszudenken.
PAULA
entrüstet.
Wie?
STERNECK.
Sie müssen etwas mehr Sorgfalt auf die Erfindung der Symptome verwenden.
PAULA
immer entrüsteter.
Ah!
[51]
STERNECK.

Ein Zustand, wie Sie ihn mir soeben geschildert haben, existiert überhaupt nicht oder wenigstens nur im Reiche der Phantasie.

PAULA
patzig.

Ach, verehrter Herr, Sie haben eben nicht zu Ende studiert! Bis zu meiner Krankheit sind Sie gar nicht gekommen.

STERNECK
lustig.

Das wäre eine Möglichkeit. Und schon deshalb tut es mir leid, daß ich vom Lehrsaal auf die Bühne dersertiert bin.

PAULA
interessiert.
Sie sind Schauspieler.
STERNECK.

Das heißt, ich habe es mir eine Zeitlang eingebildet. Aber es war eine Täuschung. – Ich gebe es auf. Meine letzte Rolle wird wohl der »Markus« in dem Stück Ihres Herrn Papa sein.

PAULA
überrascht.
Was, Papa hat ein Stück geschrieben?
STERNECK
beiseite.
Alle Wetter!
PAULA.
Und läßt es hier aufhören?
STERNECK
beiseite.
Oh weh, das hätte ich nicht verraten sollen.
PAULA.
So sprechen Sie doch; – das interessiert mich sehr!
STERNECK.
Nein, mein Fräulein, – entschuldigen Sie – es war ein Mißverständnis, – ich habe mich versprochen.
PAULA
beiseite.
Ach so – ich soll nichts davon wissen.
[52]
STERNECK.

Das Stück ist nicht von Ihrem Papa. – Wie käme der Herr Professor dazu – es ist nämlich eigentlich – –

PAULA.

Ich weiß schon. Beiseite. Na warte! Laut. Sie meinen das alte Theaterstück, welches Papa in der fürstlichen Bibliothek gefunden hat?

STERNECK.
Natürlich, das meine ich.
PAULA.
In dem es sich um die Christenverfolgung handelt – unter Numa Pompilius.
STERNECK.
Dasselbe. – Aber sagen Sie Ihrem Herrn Papa nichts.
PAULA.
Nein. Aber Sie müssen mir auch etwas versprechen.
STERNECK.
Nun?
PAULA
boshaft.

Wenn Sie wieder einmal einer »Professorstochter« etwas vorlügen wollen, verwenden Sie ein bißchen mehr Sorgfalt auf die Zusammenstellung der Jahreszahlen. Denken Sie doch nur. – Christenverfolgung und – Numa Pompilius, der schon 700 Jahre vor Christi Geburt gestorben ist.

STERNECK.
Entsetzlich!
PAULA.
Grämen Sie sich nicht, jetzt sind wir quitt.
STERNECK.

Das heißt, Fräulein, Sie bekommen eigentlich noch etwas heraus. Sich vor den Kopf schlagend. 700 Jahre!

PAULA
ironisch.
Ja, ja, das kommt davon, wenn man nicht ausstudiert hat.
6. Auftritt
[53] 6. Auftritt.
Vorige. Gollwitz durch die Mitte.

STERNECK
erschrocken.
Der Professor.
GOLLWITZ.
Ah, Herr Sterneck! – Was machen Sie denn hier?
STERNECK.
Ich – ich habe einen Brief an den Doktor Neumeister abzugeben.
GOLLWITZ.
So, so!
PAULA.
Mein Schwager ist in seinem Zimmer.
STERNECK.

Dann erlaube Sie, das ich mich empfehle. Die Sache hat große Eile. Mit Verbeugung. Mein Fräulein – Herr Professor! – Ab durch die Mitte.

PAULA.
Papa, ich finde es sehr unrecht von dir, daß du vor mir Geheimnisse hast.
GOLLWITZ.
Wie?
PAULA.
Du weißt doch, daß ich immer zu dir halte.
GOLLWITZ.
Aber Kind!
PAULA.

Gib dir keine Mühe, ich weiß alles. – – Du hast ein Theaterstück geschrieben und willst es hier aufführen lassen.

[54]
GOLLWITZ.

Um Gottes willen, Paula, nicht so laut. Wenn Mama uns hörte. Denke dir, sie hat seit vier Tagen noch kein freundliches Wort mit mir gesprochen.

PAULA.
Wie wir dich aber auch angetroffen haben bei unserer Rückkehr.
GOLLWITZ.
Hat sie mit dir darüber noch gesprochen?
PAULA.
Keine Silbe.
GOLLWITZ.

Eine unheimliche Frau. Siehst du, das trägt sie nun so tagelang mit sich herum, und da geht man immer in der Angst neben ihr her, und plötzlich, wenn man es sich am wenigsten versieht, bricht das Donnerwetter los. Tu' mir den einzigen Gefallen und laß mich so wenig als möglich mit ihr allein.

PAULA.
Papa – – ist der »Markus« in deinem Stück eine schöne Rolle?
GOLLWITZ.
Der »Markus«? Natürlich, der hat eine wunderschöne Rede im zweiten Akt. Im dritten ersticht er sich.
PAULA.
Da kommt er also nachher gar nicht mehr vor?
GOLLWITZ.
Aber Paula, wenn er sich doch erstochen hat.
PAULA.
Ach, wie schade.
GOLLWITZ.
Ich war gestern heimlich auf der Probe.
[55]
PAULA.
Und wie hat es dir gefallen?
GOLLWITZ.

Kind, das weiß ich eigentlich nicht, denn ich kann dir sagen, ich habe vor Aufregung nichts gesehen und nichts gehört.

PAULA.
Du hast wohl rechte Angst?
GOLLWITZ.

Freilich, ich schlafe schon keine Nacht mehr und gehe herum wie im Fieber und doch, wenn ich daran denke, daß noch etwas dazwischen kommen könnte – ich zittere bei der Idee.

PAULA.
Sage mir doch, ob der »Markus« – – –
GOLLWITZ.
Pst! Da ist die Mama. Zu Friederike, die durch die Mitte eintritt. Nun, meine liebe Friederike –
7. Auftritt
7. Auftritt.
Gollwitz. Paula. Friederike.

GOLLWITZ.
Ich wollte mir die Freude machen, Euch abzuholen.
FRIEDERIKE
kühl.
Ich danke dir. Paula, geh' hinüber zu Marianne!
GOLLWITZ
macht Paula lebhaft Zeichen, zu bleiben.
PAULA.
Aber Mama, schickst du mich schon wieder fort, ich habe doch den Papa so lange nicht gehabt.
GOLLWITZ.
Ja, wir haben uns so lange nicht gehabt. Hängt sich in Paula ein.
[56]
FRIEDERIKE.
Geh' jetzt nur, ich habe mit Papa zu sprechen.
PAULA
im Abgehen.
Der arme Papa! Ab.
GOLLWITZ
beiseite.
Jetzt geht es los.
FRIEDERIKE.
Lieber Martin, du weißt wohl, daß ich eigentlich noch einige Erklärungen von dir zu fordern hätte.
GOLLWITZ
unschuldig.
Ja, Schatz, ich bin auch gern bereit –
FRIEDERIKE.

Nein, bitte, ich verzichte. Ich bin überzeugt, daß du dir seither die schönsten Lügen ausgedacht haben wirst.

GOLLWITZ
gekränkt.
Aber Friederike!
FRIEDERIKE.
Jetzt handelt es sich um etwas anderes. Ich brauche fünfhundert Mark und zwar sofort.
GOLLWITZ.
Fünfhundert Mark!? Ja, willst du mir nicht erklären?
FRIEDERIKE.

O nein, ich verlange ja auch keine Erklärungen von dir. Die Sache ist wichtig, ich muß das Geld haben.

GOLLWITZ.
Aber wo soll ich es denn hernehmen?
FRIEDERIKE.
Wenn du sonst keinen Rat weißt – geh' auf die Sparkasse –
GOLLWITZ
erschrocken, für sich.
Jetzt kommt es an den Tag.
[57]
FRIEDERIKE.
Dort liegen die zweitausend Mark für Paulas Ausstattung.
GOLLWITZ.
Friederike, du willst das Geld angreifen?
FRIEDERIKE.

Es muß sein, in einem Jahr wird es wieder ersetzt. Du wirst mir also morgen früh das Sparkassenbuch geben.

GOLLWITZ
beiseite.
Das habe ich ja gar nicht mehr.
FRIEDERIKE.
Was sagst du?
GOLLWITZ
stammelnd.
Ich? Nichts!
FRIEDERIKE.
Du bist ja auf einmal so verlegen. Gollwitz, solltest du vielleicht – –?
GOLLWITZ.

Aber was fällt dir denn ein? Ich denke nur eben daran, daß du gar nicht bis morgen zu warten brauchst. Ich habe vorhin mein Gehalt behoben. – Da sind die 500 Mark. Sucht nervös in seiner Brieftasche, zieht eine Banknote hervor und macht dabei aus Versehen einen Riß in dieselbe. Ach mein Gott, nun hätte ich den Schein beinahe noch zerrissen. Einen Tintenfleck hat er ohnehin schon hier oben links am Rande.

FRIEDERIKE.
Das macht nichts. Gib nur her!
GOLLWITZ
beiseite, jammernd.
Das war mein ganzes Geld und – morgen ist der Erste.
8. Auftritt
[58] 8. Auftritt.
Vorige. Neumeister. Marianne.

NEUMEISTER.

Nun Schwiegerpapa, du bist auch hier? Das ist hübsch. Begrüßt Gollwitz. Aber du machst ja ein so unglückliches Gesicht? Fehlt dir etwas? Fühlt Gollwitz den Puls.

FRIEDERIKE
hat Marianne beiseite genommen, leise zu ihr, indem sie ihr die Mappe und den Fünfhundertmarkschein übergibt.

Mache keine Redensarten, hier sind fünfhundert Mark, damit kannst du diese Sündenrechnungen deines Mannes bezahlen, Auf die Mappe zeigend. und dann ist alles erledigt.

MARIANNE.
Ach, Mama, wie gut du bist. Will Friederike umarmen.
FRIEDERIKE
wehrt Marianne ab.
Pst! Laut zu Gollwitz. Martin, bist du heute abend zu Hause?
GOLLWITZ
unschuldig.
Aber, liebe Friederike, wo sollte ich denn –
FRIEDERIKE
Gollwitz unterbrechend.
Na, du gehst jetzt so viel fort, ohne mir zu sagen wohin – –Spricht leise weiter.
MARIANNE
hat unterdessen Neumeister herangewinkt und ihm Geld und Mappe übergeben.

Siehst du, wie gut es war, daß du mir alles gebeichtet hast. – Hier hast du fünfhundert Mark, damit bezahlst du diese abscheulichen Rechnungen, und dann ist alles erledigt.

NEUMEISTER
will Marianne umarmen.
Du bist ein Engel!
[59]
MARIANNE
Neumeister abwehrend.
Pst!
FRIEDERIKE.
Komm, Marianne, ich habe mit dir zu sprechen. Ab mit Marianne nach links.
NEUMEISTER
betrachtet die Banknote.

Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf. Steckt das Geld ein, lustig. Wenn sich das so gut rentiert, werde ich meiner Frau öfter eine Geschichte aus meinem Vorleben erzählen.

GOLLWITZ
ist sorgenvoll auf- und abgegangen.

Ob ich vielleicht meinen Schwiegersohn anpumpe? – Der Mensch hat zwar auch nie Geld. – Na, ich versuch's. Mit gezwungener Lustigkeit Neumeister seine Zigarrentasche offerierend. Willst du eine Zigarre, lieber Junge?

NEUMEISTER.

Natürlich, gib nur her, heute bin ich schon einmal in der Nehmerlaune. Nimmt die Zigarre, schneidet sie ab und steckt sie in den Mund.

GOLLWITZ.

Warte, ich gebe dir auch gleich Feuer, mein lieber Leopold. Recht freundlich. Dabei fällt mir übrigens ein, ich wollte dich um eine Gefälligkeit bitten.

NEUMEISTER.
Was denn?
GOLLWITZ.
Kannst du mir nicht auf ein paar Monate mit Geld aushelfen?
NEUMEISTER.
Aber mit Vergnügen.
GOLLWITZ
erfreut.
Wahrhaftig?
[60]
NEUMEISTER
nach der Brieftasche greifend.
Wie viel soll es denn sein?
GOLLWITZ.
So viel wirst du gar nicht haben.
NEUMEISTER.
Nun, geniere dich nicht.
GOLLWITZ
zaghaft.
Fünfhundert Mark! – –
NEUMEISTER
prahlerisch.
Fünfhundert Mark? Das ist ja eine Kleinigkeit. Da hast du sie. Gibt das Geld.
GOLLWITZ
umarmt Neumeister.
Leopold, du bist ein edler Mensch.
NEUMEISTER.
Der Fünfhundertmarkschein ist zwar ein bißchen zerrissen, aber das schadet wohl nichts?
GOLLWITZ
sehr erstaunt.

Zerrissen? Sieht sich den Schein genau an; – beiseite. Und der Tintenfleck? Das ist ja mein eigener Fünfhundertmarkschein. Den hat er meiner Frau abgeschwindelt. Na warte, das Geld kriegt er nie wieder. Steckt es in die Brieftasche.

9. Auftritt
9. Auftritt.
Vorige. Striese.

STRIESE
durch die Mitte.
Gott sei Dank, Herr Professor, daß ich Sie endlich finde, ich bin schon bei Ihnen zu Hause gewesen.
GOLLWITZ
erschrocken.
Striese – was wollen Sie denn hier?
[61]
STRIESE.
Ich habe eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.
GOLLWITZ.
Aber hier – wenn meine Frau Sie sähe –
NEUMEISTER.
Mama kann jeden Augenblick kommen.
STRIESE.

Nu, meine Herren, was ist denn schließlich dabei? Die gnädige Frau kennt mich ja gar nicht; im schlimmsten Falle könnten der Herr Professor auch eine kleine Notlüge gebrauchen. Ich könnte doch ein alter Bekannter von Ihnen sein. Es sind ja jetzt so viele Fremde in der Stadt wegen des Schützenfestes, na, da bin ich eben auch zum Schützenfest da, nicht wahr?

NEUMEISTER.
Es ist jedenfalls besser, wenn die Schwiegermama Sie gar nicht sieht.
GOLLWITZ.
Was wollen Sie denn eigentlich?
STRIESE.

Herrjeses, Herr Professor, es handelt sich um die Sklavin »Tullia« in Ihrem Stück. – Ich weiß wahrhaftig nicht, wer die spielen soll. Ich habe nämlich kein einziges Frauenzimmer mehr frei.

GOLLWITZ.
Ja – was machen wir denn da?
STRIESE.

Ich habe die Sache mit meiner Frau besprochen, die macht nämlich alles möglich. Die können Sie mit Ihren Stücken in gar keine Verlegenheit bringen, und wenn Sie der Shakespeare selber wären. Und da hat sie natürlich auch wieder einen genialen Ausweg gefunden, sie meint, wenn der Herr Professor die große Güte hätten, aus der Sklavin Tullia einen Sklaven Tullius zu machen. Dann wären wir schöne raus.

[62]
GOLLWITZ.

Das ist unmöglich. – Aus der Tullia kann ich keine männliche Rolle machen. Erinnern Sie sich nur an den großen Monolog im ersten Akt. Zitierend. »O, wär' ich doch als Mann geboren!« – – Das kann man doch nicht von einem Manne sprechen lassen.

STRIESE.
Freilich, freilich. Da hätte dieser Wunsch eigentlich keine innere Berechtigung mehr.
GOLLWITZ.
Nun also.
STRIESE.

Ja, Herr Professor, wenn es absolut kein Mann sein darf, und ein Frauenzimmer haben wir nicht mehr, da bleibt nur eins übrig: wir machen ganz einfach ein Kind daraus.

GOLLWITZ.
Ein Kind? – Nein, Striese, eine solche Kürzung lasse ich mir nicht gefallen.
STRIESE.
Ich sage Ihnen, mein Jüngster, der Gottlieb, der eignet sich vortrefflich dazu.
GOLLWITZ.
Glauben Sie wirklich, daß das möglich wäre?
STRIESE.

Na und ob. Das ist ein Teufelsjunge, und wenn Sie ihm die Rolle noch ein bißchen zusammenstreichen – ich habe das Buch gleich mitgebracht – – Gibt Gollwitz das Manuskript. A propos, Herr Professor, da auf dem Umschlag ist ein Kaffeefleck – aber der muß bei Ihnen draufgekommen sein – unser Kaffee macht keine Flecke.

GOLLWITZ.
Soll ich denn das alles gleich hier ändern!
STRIESE.
Ei Herrjeses, ja doch! Wir haben heute abend noch eine Probe.
[63]
GOLLWITZ
zu Striese.
Also meinetwegen, kommen Sie. Ab rechts.
STRIESE.

Gleich! Zu Neumeister. Ich hätte nur noch eine ganz ergebene Bitte an Sie, Herr Doktor. Meine Fran hat nämlich in der Stadt erfahren, daß der Herr Doktor einen sehr schönen Papagei besitzen sollen, und da glaubt meine Frau, daß Sie vielleicht die Gewogenheit haben werden uns den Pagagei für die Aufführung vom »Raub der Sabinerinnen« gütigst zu leihen.

NEUMEISTER.
Kommt denn in dem Stück ein Papagei vor?
STRIESE.

Nee, nee, das nu eben freilich nicht; aber der zweite Akt spielt in einem Pinienhain, und da dachte meine Frau, daß es sich gleich charakteristisch machen täte, wenn wir da den Papagei auf die Bühne brächten und auf einen Pinienbaum hinaufsetzen tun täten.

NEUMEISTER.
Haben Sie denn überhaupt einen Pinienhain?
STRIESE.

Das gerade nicht, aber meine Frau weiß sich in jeder Lage zu helfen. Sie nimmt ganz einfach unsere gewöhnliche Walddekoration und im Vordergrund der Bühne stellt sie die zwei Oleanderbäume auf, die sonst gewöhnlich im Schützenhausgarten bei der Kegelbahn stehen. Nun vergegenwärtigen Sie sich die malerische Wirkung, Herr Doktor, wenn auf dem Gipfel des einen Oleanderbaumes der Papagei sitzen täte! Da müßte man sich doch gerade im Geiste nach Rom versetzt fühlen.

NEUMEISTER.

Donnerwetter, jetzt fängt die Sache an, mich zu interessieren. Das wird ja das reine Ausstattungsstück!

STRIESE.
Nu freilich.
NEUMEISTER.
Da entwickeln Sie wohl auch in den Kostümen einen besonderen Luxus?
[64]
STRIESE.

Das will ich meinen. Was das anbelangt, da läßt sich meine Frau nicht lumpen. Die schönsten Kostüme hat sie herausgesucht, und die nicht mehr ganz tadellos sind, die werden neu gewendet. Nur mit den Anzügen für das Sabinerheer sind wir in der gräßlichsten Verlegenheit gewesen.

NEUMEISTER.
So?
STRIESE.

Ja, gestern abend, wie wir schlafen gegangen sind, stand das Sabinerheer vor unserm geistigen Auge noch gänzlich unbekleidet da – aber, mitten in der Nacht – mir träumte eben, die selige Birch-Pfeiffer säße an meinem Bett und lese mir ihr neuestes Stück vor – da schreit meine Frau plötzlich ganz laut auf, daß ich vor Schreck beinahe ans dem Bette gerumpelt wäre. – »Ich hab's«, schreit sie »Emanuel – ich hab's. – Eben ist mir eingefallen, wie wir uns die Kostüme für das Sabinerheer beschaffen können. Wir borgen uns ganz einfach die Uniformen von der hiesigen freiwilligen Feuerwehr!« – Na, was sagen Sie da derzu?

NEUMEISTER.
Hahaha! Die Sabiner als Feuerwehrmänner! Hahaha! Wirft sich lachend auf einen Stuhl.
STRIESE
beiseite.
Ich glaube wahrhaftig, der macht sich über mich lustig!
NEUMEISTER.
Striese, Mensch, Direktor! Das muß ich sehen. Mein Papagei auf dem Oleanderbaum. Hahaha! Lacht.
STRIESE
beiseite.

Es ist richtig. Ich habe schon immer bemerkt, daß der Mensch eine gewisse Animosität gegen mein Kunstinstitut hat. Wenn es mir jetzt nicht um das Stück wäre, dem möchte ich meine Meinung sagen. Sehr freundlich. Empfehle mich, Herr Doktor. Ab rechts.

NEUMEISTER.
Ach du lieber Gott. Habe ich gelacht!
10. Auftritt
[65] 10. Auftritt.
Neumeister. Friederike.

FRIEDERIKE.
Sie scheinen ja sehr lustig zu sein.
NEUMEISTER
beiseite.
Meine Schwiegermutter!
FRIEDERIKE.
Ich hätte eigentlich ein paar ernste Worte mit Ihnen zu sprechen.
NEUMEISTER.
Mit mir?
FRIEDERIKE.
Meine Tochter hat mir alles erzählt.
NEUMEISTER.
Ah, das ist aber nicht hübsch.
FRIEDERIKE.
Ich bitte, es war ihre Pflicht, als mein Kind –
NEUMEISTER.
Aber Ihr Kind ist meine Frau, und als Frau hätte sie die Pflicht –
FRIEDERIKE
streng.

Wo Sie, nach dem was vorgefallen ist, noch den Mut hernehmen, von »Pflichten« und dergleichen zu sprechen, das ist mir unbegreiflich.

NEUMEISTER
beiseite, kläglich.
Da scheine ich mir etwas Hübsches eingebrockt zu haben.
FRIEDERIKE.

Sie sehen, ich mache Ihnen nicht die geringsten Vorwürfe, ich werde auch meinem Mann nichts von Ihren Verirrungen erzählen.

NEUMEISTER.
Schön, sprechen wir überhaupt nicht mehr darüber.
[66]
FRIEDERIKE.
Ja, ich tue noch mehr, ich nehme die Regelung der ganzen Angelegenheit selbst in die Hand.
NEUMEISTER
aufspringend.
Gerechter Himmel!
FRIEDERIKE.

Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es schwerlich wieder eine Schwiegermutter geben wird, die sich nachsichtiger und taktvoller benehmen könnte, als ich.

NEUMEISTER
verzweifelt.
Nein, so etwas gibt es nicht wieder.
FRIEDERIKE.

Dafür verlange ich von Ihnen aber auch die volle Wahrheit. Vor allen Dingen, wie stehen Sie mit jenem Mädchen? Ist zwischen Euch auch alles aus?

NEUMEISTER
die Hand zum Schwur erhebend, feierlich.
Aus und begraben für ewige Zeiten.
FRIEDERIKE.
Gut, weiter: die Rechnungen werden Sie bezahlen. Marianne hat Ihnen die fünfhundert Mark gegeben?
NEUMEISTER.
Ja, die sind schon wieder weg.
FRIEDERIKE.
Wie?
NEUMEISTER
sich verbessernd.
Ich meine, die sind schon weg – mit der Post – ich habe die Rechnungen gleich bezahlt.
FRIEDERIKE.
Das ist brav. Und nun, den wichtigsten Punkt.
NEUMEISTER.
Noch ein Punkt?
[67]
FRIEDERIKE.
Wie ist gegenwärtig Ihr Verhältnis zu dem Onkel?
NEUMEISTER.
Zu welchem Onkel?
FRIEDERIKE.

Nun, zu dem unglücklichen Onkel jenes Mädchens, der von Ihnen Rechenschaft für das Schicksal seiner Nichte fordern will.

NEUMEISTER.
Ach Gott, Schwiegermama, der wird sich schon beruhigen.
FRIEDERIKE.

Nein, Leopold. Mit dieser leichtfertigen Versicherung kann ich mich als Mutter nicht zufrieden geben. Es handelt sich um das Glück meines Kindes, und deshalb will ich Gewißheit haben.

NEUMEISTER.
Aber –
FRIEDERIKE.

Versuchen Sie es nicht, mich irre zu machen. Mein Entschluß steht fest. Ich selbst werde nach Leipzig reisen, ich selbst werde mit dem Mann sprechen – Auge in Auge – und nicht eher ruhen mit Bitten und Beschwörungen, bis ich seine Verzeihung für Sie erlangt habe.

NEUMEISTER
beiseite.
Wenn doch jetzt ein Erdbeben käme.
FRIEDERIKE.
Geben Sie mir seine Adresse, ich reise schon morgen früh.
NEUMEISTER
verzweifelt.
Aber verehrte Schwiegermama, das ist ja ganz unmöglich.
FRIEDERIKE.
Warum?
NEUMEISTER.
Weil – weil – weil ich mich mit dem Onkel vollständig ausgesprochen habe.
[68]
FRIEDERIKE.
Aber Sie waren doch gar nicht in Leipzig.
NEUMEISTER.
Nein – aber er war hier.
FRIEDERIKE.
Wie? Er sollte eigene zu dem Zweck hierher gekommen sein?
NEUMEISTER.

Ach nein, er kam gang zufällig. – Wie man ebenso wo hinkommt – als Fremder. – – Es sind ja so viele Fremde jetzt in der Stadt – beim Schützenfest. – – Er ist auch zum Schützenfest hergekommen.

FRIEDERIKE.
Und Ihr seid wirklich ausgesöhnt?
NEUMEISTER.
Wir sind ein Herz und eine Seele!
FRIEDERIKE
gibt Neumeister beide Hände.

Ach, Leopold, wie mich das freut. Sagen Sie es nur gleich Marianne, das arme Kind ängstigt sich so. Und dann soll nie mehr zwischen uns die Rede davon sein.

NEUMEISTER.

Auf mich können Sie sich verlassen, wenn Sie nicht anfangen – ich spreche gewiß darüber. Beiseite. An die Geschichte werde ich denken. Ab links.

FRIEDERIKE
Neumeister nachschauend.
Er ist ein bißchen leichtsinnig, aber er hat ein gutes Herz.
11. Auftritt
11. Auftritt.
Friederike. Striese.

STRIESE
von rechts.
Ei Herrjemersch, die Frau Professorin! Will zu Mitteltür schleichen.
[69]
FRIEDERIKE
bemerk Striese.
Was ist denn das? – Ein Fremder? Laut. Was wünschen Sie, mein Herr?
STRIESE
verlegen, beiseite.
Sie hat mich schon. Nun heißt's frech sein. Laut. Nun sehen Sie, verehrte Frau Professorin –
FRIEDERIKE.
Sie kennen mich? Suchen Sie vielleicht meinen Mann?
STRIESE.
Den Herrn Professor – i bewahre, wie käme ich denn dazu?
FRIEDERIKE.
Also meinen Schwiegersohn?
STRIESE.
Ganz recht, gnädige Frau, ich bin nur wegen des Herrn Doktors da.
FRIEDERIKE.
Dann will ich ihn rufen. Macht einen Schritt zur Tür links.
STRIESE.

Nee, nee, Madame, ich danke schön; bemühen Sie sich nur gar nicht, wir haben uns schon völlig ausgesprochen.

FRIEDERIKE
erstaunt.
Ausgesprochen?
STRIESE.
Ja, ja, wir sind ganz einig miteinander.
FRIEDERIKE
beiseite.

Der Mensch scheint mir so verlegen? – Laut. Erlauben Sie, mein Herr, Sie sind nicht aus unserer Stadt?

STRIESE.
Nee, Verehrteste, wenn Sie es nicht ungütig nehmen möchten, ich bin aus Leipzig.
[70]
FRIEDERIKE
aufschreiend.
Aus Leipzig? Herr, dann sind Sie also – –?
STRIESE
ängstlich.

Nee, nee, Madame, das bin ich wahrhaftig nicht, ich bin nur ganz zufällig hergekommen zum – Schützenfest.

FRIEDERIKE
auffahrend.
Zum Schützenfest?
STRIESE
beiseite.
Wenn ich nur erst draußen wäre.Will sich zur Tür schleichen.
FRIEDERIKE
hält Striese fest.

Mein Herr, Sie wollen mir den Grund Ihres Hierseins verheimlichen. Geben Sie sich keine Mühe. Ich weiß, was Sie hier im Hause suchen.

STRIESE.
Sie weiß es? – Ich bin ein geschlagener Mann!
FRIEDERIKE.
Und nun lasse ich Sie nicht fort von hier, bis alles zwischen uns klar ist.
STRIESE
beiseite.
Ach du himmlische Barmherzigkeit – sie will mir das Stück wegnehmen.
FRIEDERIKE.
Ich kenne das traurige Los Ihrer Nichte.
STRIESE.
Meiner Nichte? Verzeihen Sie, ich habe gar keine Nichte.
FRIEDERIKE.
Weil Sie sie hartherzig verstoßen haben!
STRIESE.
Ja, ja, ich habe sie verstoßen. Beiseite. Was meint sie denn eigentlich?
[71]
FRIEDERIKE.
Und jetzt sind Sie hergekommen, um von meinem Schwiegersohn Rechenschaft zu fordern?
STRIESE
vergnügt, beiseite.

Ei du Donnerwetter, du, es handelt sich also um den unangenehmen Menschen, den Doktor, und ich hatte schon eine heidenmäßige Angst wegen unseres Stückes.

FRIEDERIKE.
Sagen Sie mir offen, hegen Sie noch einen Groll gegen Leopold?
STRIESE.

Nu, wenn ich ganz aufrichtig sein soll, muß ich Ihnen sagen, Ihr Leopold ist ein ganz vorwitziger, junger Mensch, der mich in meinen innersten Gefühlen aufs bitterste gekränkt hat.

FRIEDERIKE.

Ich verstehe Ihren Schmerz – was müssen Sie gelitten haben, bis sich hinter dem armen Mädchen die Pforten des Klosters für immer geschlossen haben.

STRIESE
beiseite.

Das ist ja eine ganze Räubergeschichte, die sich der junge Mann da zusammengedichtet hat. Na warte, dem werden wir es eintränken. Laut. Sehen Sie, Frau Professorin, über meine unglückliche Nichte will ich gar nicht mehr sprechen; die Sache ist mir zu peinlich. – Aber der junge Herr hat noch ganz andere Sachen auf dem Kerbholz.

FRIEDERIKE.
Was sagen Sie?
STRIESE.

Da hat er unter anderm in Leipzig ein Techtelmechtel gehabt mit einer gewissen Luise. Ihr Vater hieß Müller und war Musiker im Stadttheater-Orchester – bei dem alten Mann hat er sich eingeschlichen und hat sich so gestellt, als wollte er Flöte spielen lernen.

FRIEDERIKE.
Es ist unerhört.
[72]
STRIESE.

Natürlich war gar keine Idee von Flöte spielen, auf das Mädel hat er es abgesehen. Das Ende war denn auch ein ungemein trauriges. Eines Tages hat er die arme Luise schnöde verlassen, unter dem unwürdigen Vorwande, daß sie ihm zu blaß sei. Nu hören Sie, das ist doch weiß Gott kein Benehmen für einen anständigen jungen Menschen.

FRIEDERIKE.
Davon hat er meiner Tochter freilich nichts erzählt.
12. Auftritt
12. Auftritt.
Vorige. Neumeister.

FRIEDERIKE.
Ah, da sind Sie ja, Herr Schwiegersohn –
STRIESE
mit einem ängstlichen Blick auf Neumeister.

Oh weh, nun glaube ich, wäre es gut, wenn ich schon weg wäre. Zieht sich nach dem Hintergrund zurück.

FRIEDERIKE.
Sie haben mir vorhin gesagt, daß Sie sich mit dem Onkel jenes Mädchens ausgesprochen haben.
NEUMEISTER.
Das habe ich auch.
FRIEDERIKE.
Ich weiß es, der würdige Mann hat es mir selbst bestätigt.
NEUMEISTER.
Was, der Onkel selbst?
FRIEDERIKE
zeigt auf Striese.
Nun, hier steht er ja.
NEUMEISTER.

Wahrhaftig, hier steht er. Auf Striese zueilend. Der liebe, liebe Onkel. Schüttelt Striese die Hand – leise. Sie haben mir [73] herausgeholfen, ich danke Ihnen. Stolz zu Friederike. Sehen Sie, Schwiegermama, da haben Sie wieder einen Beweis, daß ich immer die Wahrheit spreche.

FRIEDERIKE.

Die Wahrheit? Sie? Geben Sie sich keine Mühe mehr, mich über Ihren wahren Charakter zu täuschen, dieser wackere Mann hat mir Aufklärung gegeben –

NEUMEISTER.
Ueber mich?
FRIEDERIKE.
Er hat mir Dinge erzählt – –
NEUMEISTER.
Aber erlauben Sie!
FRIEDERIKE.

Still, kein Wort mehr davon. Wenn er, der Schwergekränkte, Ihnen verziehen hat, dann will auch ich nicht länger mehr zürnen. Aber eines sage ich Ihnen: von jetzt an überwache ich jeden Ihrer Schritte, und wenn ich jemals das Geringste bemerke, werde ich Ihnen nur ein Wort zurufen: Denken Sie an das Flötenspiel! Ab durch die Mitte.

NEUMEISTER
Friederike nachsehend.

Ja, alle Wetter, was soll denn das heißen? Zu Striese. Herr, ich glaube, Sie haben sich unterstanden – –

STRIESE
heuchlerisch.
Nun, mein guter Herr Doktor, habe ich es denn nicht recht gemacht?
NEUMEISTER.

Den Kuckuck haben Sie. Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich in meine Angelegenheiten zu mischen? Wenn Sie Komödie spielen wollen, so gehen Sie auf Ihr Schmierentheater.

STRIESE.

Schmierentheater! – Hören Sie, jetzt läuft mir die Galle über! Wissen Sie denn überhaupt, was eine Schmiere ist? [74] Es ist wahr, wir ziehen von einem Ort zum andern; aber mein erhabener Kollege, der Herzog von Meiningen, machte es ja ebenso. – Es ist wahr, daß ich meinen Schauspielern fast gar keine Gage bezahlen kann, aber dafür leisten sie desto mehr. Da ist zum Beispiel mein erster Held – ein früherer Apotheker, – das ist ein Beleuchtungsinspektor, wie Sie ihn suchen können; mit Hilfe einer einzigen Petroleumlampe und einer roten Glasscheibe läßt Ihnen der die Sonne untergehen, daß es Ihnen nur so vor den Augen flimmert. Und dabei das Familienleben unter meinen Leuten! Meine Frau kocht für die ganze Gesellschaft, damit meine Sozietäre sich an Entbehrungen gewöhnen. Der Charakterspieler ist nicht zu stolz, die Kartoffeln zu schälen, und mein Jüngster kann gar nicht einschlafen, wenn nicht der Intrigant, der gute Kerl, ihn vorher eine Stunde lang in der Stube herumträgt. Und wie anhänglich mir die Leute sind. Meine jugendlich-naive Liebhaberin ist nun bald achtzehn Jahre bei mir, sie denkt gar nicht daran, wegzugehen. Und was schließlich meine Frau anbelangt – – nicht nur, daß sie das Kassenwesen besorgt, den Schauspielern die Haare brennt, in der Stadt die Requisiten zusammenborgt und abends die größten Rollen spielt, nein, sie hat trotz dieser Ueberbürdung im Laufe der Jahre noch Zeit gefunden, mich mit einer Schar lieblicher Kinder zu beschenken. Sehen Sie, Herr Doktor, das wird an einer Schmiere geleistet, und ich bin der Direktor! Empfehle mich! Wendet sich zum Abgehen.


Der Vorhang fällt.

Ende des zweiten Aktes.

3. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Paula. Gollwitz.

PAULA
sitzt im Schaukelstuhl und liest die »Fliegenden Blätter«.

Hahaha! Das ist sehr gut! Springt auf, geht dem eintretenden Gollwitz mit dem Blatt entgegen. Sieh nur, Papa, das ist ein famoser Spaß, der da in den »Fliegenden Blättern« steht –

GOLLWITZ.

Ach, Kind, mir ist wahrhaftig nicht zum Lachen. Ich sage dir, ich habe eine Unruhe und eine Angst in mir –

PAULA.
Das ist das Lampenfieber.
GOLLWITZ.

Wenn nur der heutige Abend schon vorüber wäre. Sieht nach der Uhr. In anderthalb Stunden fängt die Vorstellung an.

PAULA.
Ich möchte so gerne dabei sein.
[76]
GOLLWITZ.
Paula, sei vernünftig, es geht nicht, du kennst ja Mama.
PAULA.
Aber du wirst doch hingehen?
GOLLWITZ.

Selbstverständlich. Leopold will auch mitkommen. Wir werden Mama sagen, daß wir in die Ressource müssen, ich habe mir deshalb schon den Frack angezogen – verrate uns nicht.

PAULA.
Wird es denn hübsch werden, Pap?
GOLLWITZ.

Das wissen die Götter. Aus der letzten Probe bin ich verzweifelt fortgelaufen, der Direktor behauptet allerdings, heute abend würde es viel besser gehen.

PAULA.
Und wie spielt denn der Markus?
GOLLWITZ.
Ah, der Herr Sterneck? – Der junge Mann scheint mir noch der beste von allen zu sein.
PAULA.

Siehst du, das habe ich mir gleich gedacht. Nicht wahr, er hat so etwas Vornehmes und die schöne Stimme. – Ich könnte weinen, daß du mich nicht mitnimmst.

2. Auftritt
2. Auftritt.
Vorige. Rosa.

ROSA
durch die Mitte, flüsternd.
Herr Professor! Pst! Herr Professor!
GOLLWITZ
ebenfalls flüsternd.
Was gibt es denn?
[77]
ROSA
immer flüsternd.
Der Direktor ist da.
GOLLWITZ
erschrickt.
Um Gottes willen – Paula, wo ist denn die Mama?
PAULA.
Sie ist mit Leopold und Marianne da drinnen.
GOLLWITZ.
Sieh mal durchs Schlüsselloch, ob sie nicht herauskommt.
PAULA
geht zur Tür links vorn, sieht durchs Schlüsselloch.
GOLLWITZ
zu Rosa.
Was will er denn?
ROSA.

Er sagt, er muß den Herrn Professor ganz dringend sprechen, er hat auch noch einen Schauspieler mit, den Herrn Sterneck.

PAULA
bei dem Namen Sterneck sich rasch umdrehend, laut.
Den Markus?
GOLLWITZ.
Pst! Zu Rosa. Die Herren sollen hereinkommen, aber leise, hörst du?
ROSA.
Schön, Herr Professor. Schleicht ab.
GOLLWITZ.
Und du, Paula, gehst zu Mama und hältst sie zurück, damit wir nicht überrascht wer den.
PAULA
zögernd.
Aber Papa –
GOLLWITZ
ungeduldig.
So geh' doch! Geht leise zur Mitteltür.
[78]
PAULA
schmollend.

Gerade jetzt soll ich fort! – Legt ein Schlüsselbund, das sie aus der Tasche nimmt, auf das Kaminbrett. Aber ich komme wieder. Erwidert mit freundlichem Kopfnicken den stummen Gruß des eben eintretenden Sterneck; – dann schnell links vorn ab.

3. Auftritt
3. Auftritt.
Gollwitz. Striese. Sterneck.

GOLLWITZ.
Aber Direktor, um Gottes willen, was gibt es denn? Ist etwa die Vorstellung abgesagt?
STRIESE
mit langem, bis ungefähr an die Knöchel reichenden Paletot, sogenanntem Kaisermantel, bekleidet.

Abgesagt? Wo denken Sie denn hin? Das Haus ist ja ausverkauft. Sogar eine pensionierte Hofdame hat allerhöchsten Besuch zugesagt. Es wird großartig werden.

GOLLWITZ.
Ach, wenn es nur erst vorüber wäre. – Ich habe eine Angst, ich bin gar kein Mensch mehr.
STRIESE.

Ei ja, freilich, Herr Professor, – das glaube ich gern, um so größer wird nachher auch die Freude sein, wenn wir den Bombenerfolg hinter uns haben.

GOLLWITZ.

Ja, aber Striese, es ist schon ein viertel sieben. – Sie kommen im ersten Akt, werden Sie denn noch mit dem Kostümieren fertig werden?

STRIESE.

Da seien Sie nur ganz außer Sorge. Jetzt stehe ich noch da in meinem Zivilmantel, wie Sie sehen – und in einer halben Stunde können Sie mich schon auf der Bühne erblicken als König Titus Tatius. Das geht bei mir wie ein Donnerwetter: – rauf mit die Trikots – rein in die Tunika – und der Sabinerkönig ist fertig.

[79]
GOLLWITZ
dringend.
Aber was wollen Sie denn jetzt hier?
STRIESE.
Nun, Herr Professor, es handelt sich um die verwetterte Rolle von der Sklavin Tullia.
GOLLWITZ.
Aber die habe ich ja schon für ihren kleinen Jungen, den Gottlieb umgeschrieben.
STRIESE.

Freilich, aber jetzt ist es meiner Frau eben im letzten Augenblick eingefallen, daß der Junge, der Gottlieb, gerade in derselben Szene das große Kampfgetöse hinter den Kulissen übernehmen muß, weil wir doch sonst niemand mehr dafür haben.

GOLLWITZ.
Was machen wir denn dann?
STRIESE.

Nun, nun, seien Sie nur nicht gleich verzweifelt; meine Frau hat schon wieder einen Ausweg gefunden. An den Fingern abzählend. Sehen Sie, eine Frauenrolle kann die Tullia nicht sein, weil wir kein Frauenzimmer mehr übrig haben, – eine Männerrolle soll es nicht sein, weil Sie als Autor dagegen sind, – eine Kinderrolle darf es auch nicht sein, weil mein Gottlieb das Kampfgetöse macht, – bleibt also nichts übrig, als daß wir die ganze Rolle in einen Brief zusammenziehen.

GOLLWITZ.
Was, in einen Brief?
STRIESE.
Ja, den Brief kann dann ein stummer Bote dem Markus auf der Bühne überreichen.
STERNECK.

Erlauben Sie, meine Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir auch keinen stummen Boten haben, der mir den Brief bringen kann.

[80]
STRIESE.

Nu, Herrjeses, was ist denn da weiter dabei, die jungen Leute wissen sich auch gar nicht zu helfen. Wenn Ihnen der Brief nicht gebracht werden kann, dann müssen Sie ihn eben auf der Bühne finden. Die Szene spielt doch in einem Wald, nicht wahr? Nun, da legen wir doch den Brief so wie ganz zufällig auf einen Baumstumpf.

GOLLWITZ
jammernd.
Mensch, Mensch, das geht ja nicht, wir werden ausgelacht.
STRIESE.

Seien Sie so gut, Herr Professor. Da haben wir schon ganz andere Sachen zuwege gebracht. Schreiben Sie nur jetzt schnell den Brief, es ist die höchste Zeit, das andere wird sich schon finden.

GOLLWITZ.

Nun, meinetwegen, machen Sie mit mir was Sie wollen, ich bin auf alles gefaßt. Im Abgehen nach rechts vorn, jammernd. Wenn ich mich mit der Sache doch gar nicht eingelassen hätte.

STRIESE
mit Gollwitz abgehend.

Warten Sie nur einen Augenblick, lieber Sterneck, ich bringe Ihnen gleich den Brief. Nee, so ein Dichter, so ein Dichter! Ab.

4. Auftritt
4. Auftritt.
Sterneck. Rosa.

ROSA
den Kopf eilig und schnell durch die Mitteltür steckend, dann eilig und leise hereinkommend.

Lieber, einziger Herr Sterneck, sagen Sie mir man bloß, was gibt's denn? Ich habe am Schlüsselloch gehorcht, aber die sprechen ja so leise, man kann gar nichts verstehen. Es handelt sich um unser Stück, nicht wahr?

STERNECK.
Allerdings!
[81]
ROSA.
Wird es vielleicht nicht aufgeführt? Ist was dazwischen gekommen? Wenn Sie »Ja« sagen, falle ich um.
STERNECK.

Beruhigen Sie sich nur, Rosa. Es ist alles in bester Ordnung; ich habe Ihnen auch Ihr Sperrsitzbillett mitgebracht.

ROSA
nimmt das Billett.

Ach du lieber Gott, ich weiß noch gar nicht, wie ich hinkommen soll. Die Madame läßt einen nicht fort; aber wenn es gar nicht anders geht, laufe ich heimlich weg, denn zu Hause halte ich es doch nicht aus vor Aufregung. Ach, Herr Sterneck, schreiben Sie nur nie ein Stück. Ich kann Ihnen sagen, was man mit so einem Stück für Angst durchmacht –

STERNECK.
Lassen Sie nur, es wird schon alles gut ablaufen.
ROSA.

Ich glaub's nicht, ich glaub's nicht. Sehen Sie, ich habe mir noch gestern abend vor'm Schlafengehen wieder die Karten gelegt und immer fällt's unglücklich. Immer liegt die Pique-Sieben neben dem Herrn Professor. Ist das nicht ein Jammer?

STERNECK
lachend.
Aber Rosa!
ROSA.

Nee, nee, lachen Sie nicht. Unser Fräulein Paula hat früher auch immer gelacht über mein Kartenschlagen, und nun sollten Sie sie einmal sehen; seit ein paar Tagen sitzt sie immer da am Tisch und legt sich die Karten. Da stecken sie noch. Nimmt aus dem Arbeitskörbchen ein Spiel Karten und legt es dann wieder hinein.

STERNECK.
Haben Sie denn Fräulein Paula auch meine Buketts immer übergeben?
ROSA.
Freilich, jeden Morgen vor dem Kaffee.
[82]
STERNECK.
Und was hat denn das Fräulein gesagt?
ROSA.
Oh, die war wütend.
STERNECK.
Wütend? O weh!
ROSA.

Wie ich gesagt habe, daß die Blumen von Ihnen sind, Herr Sterneck, hat sie mich fürchterlich heruntergemacht. »Wie ich mich so etwas unterstehen könnte« und »was ich mir eigentlich von ihr dächte«.

STERNECK
traurig.
Ach, du lieber Gott! Sie hat es also übel genommen. Und was hat sie denn mit den Buketts gemacht?
ROSA.

Die nimmt sie immer mit in ihr Zimmer und stellt sie auf ihren Schreibtisch, und wenn eins verwelkt ist, wickelt sie es in Seidenpapier ein und legt es in die Hutschachtel.

STERNECK
glücklich aufschreiend.

In die Hutschachtel? Ach Rosa, wenn Sie wüßten, wie mich das glücklich macht. Schwärmend. In die Hutschachtel!

5. Auftritt
5. Auftritt.
Vorige. Paula.

PAULA
von links vorn.
Rosa, hast du nicht – –? Ach, entschuldigen Sie, Herr Sterneck, Sie sind hier?
STERNECK
mit Verbeugung.
Ja, Fräulein, ich warte auf den Direktor.
PAULA
verlegen.
So, so, Rosa, hast du nicht meine Schlüssel gesehen?
[83]
ROSA
will sich im Zimmer umsehen.
PAULA
Rosa ängstlich abwehrend.

Nein, nein, hier können sie nicht sein, ich habe sie wohl in der Küche liegen lassen, oder in der Speisekammer – sieh einmal nach; wenn du sie dort nicht findest, muß ich sie im Keller gelassen haben, ich war vorhin unten. Sucht im Zimmer nach den Schlüsseln.

ROSA.
Schön, Fräulein! Will durch die Mitte abgehen.
STERNECK
leise zu Rosa.
Rosa, da sind drei Mark. Aber kommen Sie mir nicht so bald wieder aus dem Keller herauf.
ROSA
Sterneck und Paula verständnisinnig ansehend.

Ach so! Fräulein, wenn ich die Schlüssel im Keller nicht finde, dann kann ich ja auch mal auf dem Boden nachsehen?

PAULA
ungeduldig.
Ja, ja, geh' nur!
ROSA
im Abgehen, beiseite.
Jetzt bleibe ich draußen und sehe durchs Schlüsselloch. So etwas habe ich zu gerne Ab.
PAULA
suchend.
Es ist mir unbegreiflich. –
STERNECK.
Darf ich Ihnen vielleicht suchen helfen, Fräulein?
PAULA.

Oh, ich danke Ihnen. Rosa wird sie wohl finden. Setzt sich links vorn. Wollen Sie nicht Platz nehmen?

STERNECK.

Wenn Sie erlauben, Fräulein. – Setzt sich. Kleine Verlegenheitspause. Befangen. Ach, Fräulein, ich hätte eigentlich eine recht große Bitte an Sie!

[84]
PAULA.
An mich?
STERNECK.

Ich sehe da ein Spiel Karten in Ihrem Körbchen, verstehen Sie sich vielleicht zufällig auf die Kunst des Kartenlegens?

PAULA
eifrig.
Oh ja, das kann ich sehr gut.
STERNECK.

Sehen Sie, Fräulein, ich bin sonst nicht abergläubisch; aber es gibt doch Stimmungen, in denen man gern eine Frage an das Schicksal richten möchte.

PAULA
eifrig.
Da haben Sie recht – solche Stimmungen gibt es.
STERNECK.

Ich stehe nämlich augenblicklich vor einem Wendepunkt meines Lebens. Ich will einen Schritt tun, der mich entweder sehr glücklich oder – sehr unglücklich machen muß. – Da fehlt einem eben der Mut – aber wenn Sie mir einen kleinen Wink geben wollten –

PAULA
sich unwissend stellend.
Ich?
STERNECK.
Nun ja, das heißt – ich meine Ihre Karten. Ach bitte, schlagen Sie mir mein Schicksalsbuch auf.
PAULA
mischt die Karten.

Nun, wenn Sie es durchaus wollen. – Bitte, heben Sie ab. So – Legt während des folgenden Dialogs die 32 Karten in vier Reihen zu acht Karten auf dem Tisch auf. Sie müssen sich aber auch etwas dabei denken.

STERNECK
sieht Paula schwärmerisch ins Gesicht.
Ach ja, Fraulein, ich denke mir etwas dabei.
PAULA
zeigt auf die eben hingelegte Karte.
Sehen Sie das hier, das sind Sie. Legt weiter.
[85]
STERNECK.
Der Coeur-König? Aha!
PAULA
wie oben.
Das sind Ihre Gedanken. Legt weiter.
STERNECK.
Bitte, womit beschäftigen sich denn meine Gedanken?
PAULA
wie oben.

Natürlich mit nichts Ernstem. Auf zwei nebeneinanderliegende Karten zeigend. Flüchtige Neigung – baldige Trennung. Beendet das Auflegen der Karten.

STERNECK.
Fräulein, ich bitte, das muß ein Irrtum sein.
PAULA.

Also jetzt geben Sie acht. Mit dem Finger die auf dem Tisch liegenden Karten geläufig abzählend. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Ein alter Herr.

STERNECK.
Das kann nur mein Papa sein.
PAULA
weiterzählend.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Ist böse. – 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Hat aber nicht viel zu bedeuten.
STERNECK.
Ach, das wäre mir lieb.
PAULA.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Ein wichtiger Brief.
STERNECK.

Aha, das ist der Brief, den mein Freund Neumeister an meinen Vater geschrieben hat, um ihn mit mir zu versöhnen.

PAULA.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Ein unselbständiger junger Mann.
STERNECK.
Das bin ich!
[86]
PAULA.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Eine junge Dame. – Eine kleine Ohnmacht.
STERNECK.
Hat aber nicht viel zu bedeuten.
PAULA.

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Die Dame ist ganz nahe. – 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Mit Ihnen geht eine Veränderung vor.

STERNECK
schwärmerisch.
Ach ja, das stimmt.
PAULA.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Die junge Dame –Stockt.
STERNECK.
Nun, die junge Dame?
PAULA
aufspringend.
Das ist ja alles Unsinn!
STERNECK.

Aber Fräulein, wie kann denn das Unsinn sein, jetzt, wo es gerade am schönsten wird. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. Was ist es mit der jungen Dame?

PAULA.
Ach, das – das kann ich Ihnen nicht sagen.Läuft ab nach hinten links.
STERNECK
will Paula zurückhalten.

Aber Fräulein Paula. So, jetzt läuft sie fort und läßt mein Schicksal da liegen. Wenn ich nur wüßte, was diese Karte hier Auf eine Karte pochend. zu bedeuten hat.

6. Auftritt
6. Auftritt.
Sterneck. Rosa.

ROSA
steckt den Kopf zur Türe herein, neugierig, flüsternd.
Wie weit ist es denn, Herr Sterneck?
[87]
STERNECK
zieht Rosa an der Hand ins Zimmer und zu dem Tisch links vorn.

Sie müssen mir helfen. – Kommen Sie nur her, sehen Sie sich das an.Zeigt Rosa die Karten. Da liege ich, ein unselbständiger junger Mann; da liegt sie, eine junge Dame. – Was bedeutet nun die Coeur-Acht hier?

ROSA.
Das wissen Sie nicht? Das ist doch das allereinfachste. Die junge Dame liebt den jungen Mann.
STERNECK.
Sie liebt ihn? Sie liebt ihn. Ach, ich bin zu glücklich. Umarmt Rosa.
7. Auftritt
7. Auftritt.
Vorige. Striese.

STRIESE
von rechts vorn, sieht die Umarmung, erschrocken.
Sterneck, Mensch! Was machen Sie denn?
STERNECK
schnell auf Striese zueilend.

Direktor, ich bin zu glücklich. Sie liebt mich! Verstehen Sie denn? 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. – Sie liebt mich!

STRIESE
Sterneck ängstlich festhaltend.

Um Gottes willen – junger Mann. Sie werden mir doch nicht verrückt werden? Jetzt gerade vor der Vorstellung. Kommen Sie, kommen Sie. Wir müssen ja augenblicklich in die Garderobe, es ist ja schon Sieben.Zieht Sterneck ab durch die Mitte.

STERNECK.
Richtig, es ist ja schon 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7. Ab.
ROSA
hat inzwischen die Karten zusammengenommen und wieder in das Körbchen gelegt.

Was? Gleich Sieben? Das Theater fängt an. Und ich noch in dem Aufzug. Bindet ihre Schürze ab. Jetzt nehme ich [88] mir schnell mein Tuch um und laufe hinüber. Mag die Madame nachher schimpfen so viel sie will. Schnell ab durch die Mitte.

8. Auftritt
8. Auftritt.
Neumeister. Dann Gollwitz. Bald darauf Paula.

NEUMEISTER
von links vorn, mit übertriebener Freundlichkeit zurücksprechend.

Ja, ja, liebe Schwiegermama, ich komme gleich wieder. Schlißt die Türe und geht rasch zur Tür rechts hinten. Ich danke, das wird eine schöne Geschichte werden.Die Tür aufmachend. Schwiegerpapa, komm heraus, denke dir –

GOLLWITZ
eilig auftretend.
Was gibt es denn?
NEUMEISTER.
Denke dir, die Mama läßt uns nicht fort.
GOLLWITZ.
Hast du ihr nicht gesagt, daß wir in die Ressource –
NEUMEISTER.

Natürlich. Alles umsonst. Sie besteht darauf, daß wir zu Hause bleiben. Es soll nämlich heute abend eine Art von Versöhnungsfest gefeiert werden; Mama und Marianne sind in sehr gerührter Stimmung.

GOLLWITZ.

Entsetzlich! Geht ans Fenster. Sieh doch, im Schützenhaus drüben ist schon alles erleuchtet; die Vorstellung muß gleich anfangen.

PAULA
kommt von links hinten.
NEUMEISTER.
Wie die Leute hineinströmen – –
GOLLWITZ.
Und wir stehen hier! Da habe ich die Loge in der Hand. Zeigt das Billett.
[89]
NEUMEISTER.
Und können nicht hinüber. Was machen wir denn nur?
PAULA
vorkommend.
Das will ich Euch sagen.
GOLLWITZ.
Du?
NEUMEISTER
gleichzeitig.
Sprich doch!
PAULA.

Ich werde Euch beiden aus dem Haus helfen, aber nur unter der Bedingung, daß ihr mich dann mit in Eure Loge nehmt.

GOLLWITZ.
Aber wie willst du denn?
PAULA.

Ganz einfach. Wenn Mama hereinkommt, fängst du, Papa, an mit mir zu zanken; ich gebe vorlaute Antworten. Du wirst zornig und schickst mich für den ganzen Abend auf mein Zimmer. Ich gehe weinend hinaus, laufe lachend über die Hintertreppe und erwarte Euch drüben beim Theater.

NEUMEISTER.
Ja, aber wir?
PAULA.

Wenn ich draußen bin, Zu Neumeister. nimmst du meine Partei. Ihr kommt in einen Wortwechsel, erhitzt Euch und greift schließlich nach den Hüten, um beide davonzulaufen.

NEUMEISTER.
Brillante Idee!
GOLLWITZ
verzweifelt.
Kinder – Kinder – das geht ja nicht.
9. Auftritt
[90] 9. Auftritt.
Vorige. Friederike. Marianne.

FRIEDERIKE
mit Marianne von links vorn.
Nun, Martin, hat dir unser lieber Leopold schon alles erzählt?
GOLLWITZ
zerstreut.
Ja, ja, leider.
FRIEDERIKE.

Nein, Martin, zürne ihm nicht mehr. Es ist richtig, seine Vergangenheit war stürmisch bewegt, aber er hat uns alles ehrlich eingestanden und aufrichtig bereut. Wir haben ihm von ganzen Herzen verziehen. Nicht wahr, Marianne?

MARIANNE
umarmt Neumeister.
Mein guter Mann!
NEUMEISTER.
Marianne!
FRIEDERIKE.
Und von jetzt ab, Leopold, keine Heimlichkeiten mehr.
NEUMEISTER
Friederike umarmend.
Nie wieder, das verspreche ich!
FRIEDERIKE
zu Gollwitz.

Und du versprichst es mir auch? Keine Unwahrheiten, keine Geheimnisse mehr zwischen uns. Nicht wahr, lieber Martin?Umarmt Gollwitz.

GOLLWITZ
zerstreut.
Gewiß, gewiß.
FRIEDERIKE.
Kinder, das ist heute für uns ein schöner Abend.
NEUMEISTER UND GOLLWITZ
seufzend.
Ach ja!
[91]
FRIEDERIKE.
Den wollen wir aber auch recht gemütlich miteinander verleben.
GOLLWITZ
sieht nach der Uhr.

Liebe Friederike, ich wollte aber mit Leopold in die Ressource. Der Konsistorialrat Hoffmann ist nämlich aus Berlin gekommen.

FRIEDERIKE.
Den kannst du morgen auch noch sprechen.
GOLLWITZ.
Morgen?
NEUMEISTER.
Das heißt –
FRIEDERIKE
abwehrend.
Nein, nein, nein, Ihr bleibt hier! Wir lassen uns unsere schöne Familienfeier nicht stören.
PAULA
die bisher ungeduldig aus dem Fenster geblickt hat, laut seufzend.
Ach Gott, das wird schrecklich langweilig werden.
FRIEDERIKE.
Was sagst du?
MARIANNE.
Aber Paula!
PAULA.
Nun ja, mir ist es eben langweilig. Leise zu Gollwitz. Jetzt mußt du wütend werden.
NEUMEISTER
leise zu Gollwitz.
Vorwärts, vorwärts.
FRIEDERIKE.
Martin, was sagst du denn dazu?
[92]
GOLLWITZ.
Ja – allerdings, Paula, ich begreife dich nicht.
PAULA
leise.
Weiter, weiter.
GOLLWITZ.
Du benimmst dich in einer Weise –
PAULA.

Ich weiß nicht, was du heute mit mir hast. Vorhin frage ich dich ganz arglos, ob es wahr ist, daß die Indier am Polterabend ihre Schwiegermütter verbrennen, und da fährst du mich gleich an und willst mich auf mein Zimmer schicken. Aber ich bin kein Kind mehr, das lasse ich mir nicht gefallen.


Gleichzeitig.
NEUMEISTER leise zu Gollwitz.
Jetzt gib es ihr tüchtig.
FRIEDERIKE.
Aber Paula!
GOLLWITZ
mit gespieltem Zorn.

So? Du willst dir etwas nicht gefallen lassen? Jetzt gehst du augenblicklich auf dein Zimmer und läßt dich den ganzen Abend nicht mehr blicken, und daß niemand von Euch zu ihr hineingeht.

FRIEDERIKE.
Aber Martin!
MARIANNE.
Papa!
GOLLWITZ.
Marsch, vorwärts – auf dein Zimmer!
PAULA
weinend.
Nein, diese Behandlung hier in dem Haus. Ab links hinten.
MARIANNE.
Die arme Paula!
[93]
GOLLWITZ
immer wütender.
Willst du mir auch noch dreinreden? Das fehlte mir gerade.
NEUMEISTER
dazwischentretend, mit gespieltem Zorn.

Halt, Schwiegerpapa, jetzt habe ich genug. – Wie du es mit Paula hältst, geht mich nichts an. Aber wenn du meine Frau beleidigen willst, das wird mir zu viel.

GOLLWITZ.
Du unterstehst dich –?
FRIEDERIKE
begütigend.
Aber Martin!
GOLLWITZ.

Was? Und du auch noch? Ihr seid also alle gegen mich verschworen? Und gerade heute, wo ich mich so auf den gemütlichen Familienabend gefreut habe, treibt Ihr mich mit Gewalt zum Hause hinaus? Gut. Ihr sollt Euren Willen haben. Ich gehe! Rasch ab durch die Mitte.

FRIEDERIKE.
Kinder, was sagt Ihr dazu?
MARIANNE
jammernd.
Entsetzlich!
NEUMEISTER
mit gespielter Bestürzung.

Mama! Frau! Soll ich ihn so fortgehen lassen? – In dieser Aufregung? Wer weiß, was ihm zustoßen kann.

MARIANNE.
Leopold!
FRIEDERIKE.
Laufen Sie ihm nach. Schnell, schnell.
NEUMEISTER.
Ich fliege! Schnell ab durch die Mitte.
[94]
FRIEDERIKE
jammernd auf- und abgehend.
Nein, diese Männer, diese Männer!
MARIANNE.

Das heißt, der Papa. Denn wie gutherzig mein Mann ist, das hast du ja gesehen, er läuft ihm nach, und dabei ist doch eigentlich er der Beleidigte.

FRIEDERIKE.
Dein Mann hätte sich überhaupt nicht dreinmischen sollen, dann wäre es gar nicht soweit gekommen.
MARIANNE
weinerlich.
Das ist nicht recht, Mama. – Leopold ist der beste und edelste Mensch.
FRIEDERIKE.

So? Und seine leichtsinnigen Streiche in Leipzig? Die Geschichte mit der Schauspielerin und den unbezahlten Rechnungen?

MARIANNE.

Das hast du ihm selbst alles längst verziehen. Du wolltest überhaupt gar nicht mehr darüber sprechen – und jetzt fängst du doch wieder an. Das hätte ich nicht von dir erwartet.

FRIEDERIKE.
Laß mich zufrieden, ich will gar nichts mehr hören. Setzt sich hin und strickt wütend.
MARIANNE.

Ich auch nicht. Setzt sich, nimmt die »Fliegenden Blätter« und liest. – Kleine Pause. – Schreit auf. Ach, das ist ja unerhört!

FRIEDERIKE.
Was hast du denn?
MARIANNE.
Mama, wir sind betrogen, sie machen sich über uns lustig, Papa und mein Mann.
FRIEDERIKE.
Aber Kind, so sprich doch –
[95]
MARIANNE.

Sie haben uns einfach zum Besten gehalten mit einem Witz aus den »Fliegenden Blättern«. Da höre nur. Liest. »Wenn Herr Schlaumeier des Abends ohne seine Frau ausgehen will, hat er mit seinem Onkel folgende List verabredet: Auf ein gegebenes Zeichen behauptet der Onkel plötzlich, daß die Indier am Polterabend ihre Schwiegermütter verbrennen –«

FRIEDERIKE
entsetzt.
Marianne!
MARIANNE
weiter lesend.

»Hierüber entspinnt sich nun zwischen den beiden Herren ein lebhafter Streit, in dessen Verlauf Herr Schlaumeier scheinbar so wütend wird, daß er schließlich nach seinem Hute greift und davonläuft.« – Was sagst du dazu?

FRIEDERIKE.
Oh, es ist empörend. Sie haben uns also eine unwürdige Komödie vorgespielt.
MARIANNE.
Natürlich. Denke doch nur, wie Papa plötzlich ohne allen Grund auf Paula losgefahren ist.
FRIEDERIKE.
Richtig! Und dann hat er das gute, unschuldige Kind aus dem Zimmer gewiesen.
MARIANNE.
Meine arme, arglose Schwester.
FRIEDERIKE
öffnet die Tür links hinten und macht einen Schritt ins Zimmer.
Paula, liebes Kind, komm heraus!
MARIANNE
geht auch zur Tür und ruft hinein.
Wir wissen alles.
FRIEDERIKE
aus Paulas Zimmer mit einem Schrei herausstürzend.
Marianne! – Es ist niemand im Zimmer Sie ist fort.
[96]
MARIANNE
an Friederike vorüber ins Zimmer stürzend.
Was sagst du, Mama?
FRIEDERIKE.
Hut und Mantel sind auch weg.
MARIANNE
aus Paulas Zimmer.
Die Tür zur Hintertreppe ist offen. Sie ist fortgelaufen.
FRIEDERIKE
mit einem plötzlichen Schrei.
Ach, was fällt mir da ein.
MARIANNE.
Nun?
FRIEDERIKE.
Paula ist mit im Komplott!
MARIANNE.
Richtig! Sie war es ja, die von den indischen Schwiegermüttern zu sprechen anfing.
FRIEDERIKE.
Oh, dieses ungeratene Kind!
MARIANNE.
Mein pflichtvergessener Mann!
FRIEDERIKE.
Dieser gewissenlose Vater!
MARIANNE.

Und dabei hat mir Leopold noch erst vor zehn Minuten hier auf dieser Stelle feierlich versprochen, nie wieder eine Unwahrheit zu sagen.

FRIEDERIKE.
Und mein Mann hat mir geschworen, hier an dieser Stelle –
MARIANNE.
Mama, das bricht mir das Herz.
[97]
FRIEDERIKE.

Du armes Kind, für dein ganzes Leben nun gefesselt an einen Mann, der dich auf das niedrigste betrügt, du bist am meisten zu bedauern.

MARIANNE.

Nein, nein, Mama, du bist noch viel mehr zu bedauern; nach langjähriger Ehe noch solche Erfahrungen zu machen. – Meine arme Mama!Umarmt Friederike weinend.

FRIEDERIKE.
Meine arme Marianne!

Man hört Klingeln.
MARIANNE.
Es klingelt.
FRIEDERIKE.
Ach! Sie kommen wieder.
MARIANNE
drohend.
Mama, wir wollen sie empfangen.

Es klingelt wieder.
FRIEDERIKE.
Warum macht denn Rosa nicht auf?
MARIANNE
ist zur Mitteltür gelaufen, ruft hinaus.
Rosa! Rosa! Sich umwendend. Die ist auch nicht hier.
FRIEDERIKE
die Hände ringend.
Ist denn das ganze Haus davongelaufen?

Es klingelt wieder.
MARIANNE.
Ich mache selbst auf. Oeffnet bie Mitteltür.
FRIEDERIKE.
An den Abend werde ich denken.
10. Auftritt
[98] 10. Auftritt.
Vorige. Groß.

MARIANNE
die Tür öffnend.
Ein Fremder? Was wünschen Sie, mein Herr? Kommt mit Groß ins Zimmer.
GROSS.
Entschuldigen Sie, meine Damen, ich suche den Professor Gollwitz.
FRIEDERIKE.
Bedaure, mein Mann ist nicht zugegen.
GROSS.
Das tut mir leid. Ich bin nämlich der Karl Groß aus Berlin.
FRIEDERIKE
ohne Groß anzuhören.
Freut mich.
GROSS.
Ihr Herr Gemahl wird Ihnen wohl schon viel von mir erzählt haben.
FRIEDERIKE
abweisend.
Mein Mann erzählt mir nie etwas. Ich erfahre alles nur durch Zufall.
GROSS
beiseite.

Eine eigentümliche Frau, die hat mir der Professor ganz anders geschildert. Laut. Eigentlich wollte ich mit Ihrem Herrn Schwiegersohn sprechen, mit dem Doktor Neumeister.

MARIANNE.
Mit meinem Mann?
GROSS.

Ach so, das ist Ihr Herr Gemahl? Ich war eben in Ihrer Wohnung, und da hat man mir gesagt, er wäre hier.

MARIANNE.
Bedaure, er ist weggegangen.
GROSS.
Das ist mir unangenehm.
[99]
MARIANNE
gereizt.

Denken Sie vielleicht, mir ist es angenehm? Uebrigens – wenn Sie krank sind – Sprechstunde ist von fünf bis sechs – jetzt ist es acht Uhr.

GROSS
beiseite.

Scheint mir auch ein bißchen aufgeregt – hat sie wahrscheinlich von der Mutter. Laut. Verzeihen Sie, meine Damen, ich habe nicht viel Zeit, ich werde die Herren aufsuchen. Wo treffe ich sie denn?

FRIEDERIKE
gereizt.
Das wissen wir nicht.
GROSS.
So! Und wann kommen Sie denn wieder?
MARIANNE
ebenso.
Das wissen wir auch nicht.
GROSS
beiseite.

Eine merkwürdige Familie. Laut. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als hier zu warten. Gemütlich. Ich störe Sie doch nicht?

FRIEDERIKE
verzweifelt.
Aber was wünschen Sie denn eigentlich?
GROSS.
Es handelt sich um meinen ungeratenen Sohn, den Emil. Der Professor hat Ihnen gewiß von ihm erzählt?
FRIEDERIKE.
Keine Silbe.
GROSS
zu Marianne.
Aber Sie, Frau Doktor, kennen doch die Geschichte?
MARIANNE.
Bedaure sehr!
GROSS.

Das ist mir unbegreiflich. Ihr Herr Gemahl hat mir doch über den Schlingel, den Emil, einen vier Seiten langen Brief geschrieben. Vorgestern habe ich den Brief [100] bekommen, heute bin ich hier, um mit meinem Jungen selbst zu sprechen.

FRIEDERIKE
ungeduldig.
So, so. Sieht aus dem Fenster.
GROSS
zu Marianne.

Mein Emil hat nämlich die unglaublichsten Streiche gemacht. Seit zwei Jahren hat er keine Silbe von sich hören lassen, und jetzt schreibt mir Ihr Mann, daß er sich hier in der Stadt als Schauspieler aufhalten soll.

MARIANNE
ungeduldig.
So, so. Horcht zur Mitteltür hinaus.
GROSS
zu Friederike.

Aber ich habe es gewußt, daß es so kommen muß – denken Sie sich, schon als Student hat er in Leipzig eine Liebschaft angefangen mit einer Schauspielerin.

FRIEDERIKE
plötzlich interessiert.
Wie?
GROSS.
Natürlich, Schulden gemacht und schließlich durchgebrannt.
MARIANNE.
Mama! Mit keimendem Verdacht. Das ist ja merkwürdig.
GROSS
zwischen beiden Frauen stehend, die Mappe aus dem zweiten Akt aus der Rocktasche nehmend.
Merkwürdig? Unverantwortlich ist es. Da sehen Sie her, in dieser Mappe – –
MARIANNE
aufschreiend.
Allmächtiger Gott, die Mappe!
FRIEDERIKE.
Herr, wie kommen Sie zu dieser Mappe?
GROSS.
Die gehört meinem Sohn, er hat sie mir schicken lassen durch Ihren Mann.
[101] FRIEDERIKE entsetzt.
Ah!
MARIANNE.
Ist es denn möglich!
GROSS.

Da sind die Belege zu der sauberen Geschichte. Oeffnet die Mappe und nimmt die Gegenstände der Reihe nach heraus. Hier ist die Geliebte meines Sohnes. Legt das Bild auf den Tisch. – Hier ist ihre Locke, ihr Ring und da sind die Rechnungen, die ich vorgestern bezahlt habe, fünfhundert Mark.

MARIANNE.
Ach, das ist zuviel. Sinkt in einen Sessel.
GROSS.
Nicht wahr?
FRIEDERIKE.
Und ich habe ihm das Geld gegeben.
MARIANNE.
Mir hat er einen Roman vorgelogen, den ein anderer erlebt hat.
GROSS
die beiden Frauen erstaunt ansehend.
Was denn? Wer denn?
FRIEDERIKE.
Aber ich habe doch mit dem Onkel dieses Mädchens Auf die Photographie zeigend. gesprochen.
GROSS.
Bewahre, die hat nie einen Onkel gehabt.Legt die Gegenstände in die Mappe zurück, steckt sie ein.
MARIANNE.
Also auch das war gelogen!
FRIEDERIKE.
Mich lächerlich zu machen vor einem Fremden!
[102]
GROSS
sieht Friederike und Marianne verständnislos an, nimmt seinen Hut und Stock.

– Beiseite. Jetzt werden mir die beiden unheimlich. Aengstlich nach der Mitteltür retirierend. Entschuldigen Sie nur, meine Damen; wenn ich gewußt hätte, daß die Geschichte meines ungeratenen Emils Sie so aufregt, hätte ich sie Ihnen gar nicht erzählt.

FRIEDERIKE
wütend.
Ach, was geht uns Ihr Emil an!
MARIANNE.
Es handelt sich um meinen Leopold.
GROSS
versteht Marianne nicht.

Mein Leopold?Aengstlich sich nach dem Kopf fassend. Jetzt muß ich an die frische Luft, sonst verliere ich die Besinnung. Das ist ja eine tolle Familie. Ab.

MARIANNE
entschlossen aufspringend.
Mama, vor allen Dingen lasse ich mich jetzt von Leopold scheiden.
FRIEDERIKE.
Recht hast du, mein Kind. Drohend. Aber vorher soll er mir noch Rede stehen. Es klingelt.

Es klingelt.
MARIANNE
aufschreiend.
Da ist er! Stürzt zur Mitteltür und öffnet sie.
FRIEDERIKE
drohend.
Der kommt mir zurecht!
11. Auftritt
11. Auftritt.
Vorige. Paula.

PAULA
kommt durch die Mitteltür und stürzt der öffnenden Marianne weinend um den Hals.
[103]
MARIANNE
bestürzt.
Paula, du bist es? Wo kommst du denn her? Führt Paula ins Zimmer.
FRIEDERIKE
ängstlich Marianne und Paula entgegeneilend.
Warum weinst du denn? Was ist geschehen?
PAULA
schluchzend.
Laßt mich. Laßt mich.
MARIANNE
ängstlich.
Mama, sie zittert heftig.
FRIEDERIKE
noch ängstlicher.
Und wie blaß sie ist.
MARIANNE.
Was hast du denn?
FRIEDERIKE.
So sprich doch!
PAULA
schluchzend.
Laßt mich, ich kann nicht. Ach, es war entsetzlich. An Mariannes Hals hängend, weint laut.
FRIEDERIKE.
Um Gottes willen, das Kind ist krank.
12. Auftritt
12. Auftritt.
Vorige. Rosa.

ROSA
laut heulend durch die Mitteltür.
Ach Gott, ach Gott, ach Gott! Das Unglück, Madame, das Unglück! Sinkt rechts vorn auf einen Stuhl.
FRIEDERIKE.
Du auch noch? Was gibt es denn?
[104]
ROSA
heulend.
Ich kann es nicht erzählen, es ist zu schrecklich.
MARIANNE.
Paula, was fehlt dir denn nur? Komm, ich bringe dich auf dein Zimmer. Geht mit Paula nach links ab.
FRIEDERIKE
zu Rosa.
Fort, in die Küche! Bereite schnell Tee!
ROSA laut schluchzend, wankend.
Nein, der arme Professor, der arme Professor! Ab durch die Mitte.
PAULA
welche von Marianne nach links hinten abgeführt wird, schluchzend.
Ach, der arme Papa!Ab hinten links.
FRIEDERIKE.
Fort, fort! Ich hole Hoffmannsche Tropfen. Ab rechts hinten.
13. Auftritt
13. Auftritt.
Neumeister. Gollwitz. Dann Marianne. Später Friederike.

NEUMEISTER
steckt vorsichtig den Kopf zur Mitteltür herein und zieht dann Gollwitz auf die Bühne, führt ihn zu einem Stuhl rechts vorn.
Es ist glücklicherweise niemand hier. Komm nur herein, Papa.
GOLLWITZ
ganz gebrochen, stützt sich auf Neumeister.
Leopold, ich kann nicht mehr, meine Kniee wanken. Es war zu fürchterlich. Sinkt auf einen Stuhl.
NEUMEISTER.

Fasse dich doch. Was ist denn so Großes geschehen. Weil das Publikum nach dem ersten Akt ein bißchen gezischt hat –

GOLLWITZ
bitter.

Ein bißchen gezischt? Du guter Junge, du willst mich [105] trösten. Als ob ich es nicht gehört hätte. Ausgelacht haben sie den ersten Akt, verhöhnt haben sie das Stück.

NEUMEISTER.
Aber Papa!
GOLLWITZ
außer sich.

Ich sage dir, verhöhnt haben sie meine Arbeit. In der Loge neben mir hat einer gepfiffen, daß es mir bis an mein Lebensende in den Ohren gellen wird.

NEUMEISTER.

Um Gotteswillen, schrei doch nicht so! Es darf doch niemand im Hause etwas merken. Pst! Fassung! Da kommt jemand.

MARIANNE
eilig von links hereinstürzend.
Mama, wo sind denn – – Erblickt Neumeister und bleibt ihn anstarrend stehen. Ah! –
NEUMEISTER
mit geheuchelter Unbefangenheit und übertriebener Freundlichkeit zu Marianne.
Nun, mein liebes Goldweibchen, was suchst du denn?
MARIANNE
mißt ihn von oben bis unten mit den Augen; – dann mit eisiger Kälte.
Was ich suche, mein Herr? Mit drohender Betonung. Ich – suche – meine – Mutter! Ab durch die Mitte.
NEUMEISTER
sieht Marianne erstaunt nach.
Sie – sucht – ihre Mutter? – Das ist mir sehr unheimlich. Schwiegerpapa, glaubst du – –?
GOLLWITZ.
Pst! – Meine Frau.
FRIEDERIKE
von rechts mit einem Fläschchen eilig.
So, da sind die Tropfen. Bemerkt die Herren und bleibt plötzlich stehen. Ah! –
GOLLWITZ
unbefangen, übertrieben freundlich.
Wo willst du denn damit hin, mein liebes Riekchen?
[106]
FRIEDERIKE
mißt Gollwitz verächtlich, dann mit drohender Betonung.

Jetzt gehe ich zu meiner Tochter, aber später sprechen wir beide uns, verlaß dich darauf. Ab nach links hinten.

GOLLWITZ.
Leopold, die wissen alles. – Wir sind rettungslos verloren.
NEUMEISTER.

Warum denn nicht gar! Wer weiß überhaupt, ob das Stück wirklich durchfällt. Warum bist du auch gleich nach dem ersten Akt fortgelaufen. Die andern drei Akte gefallen vielleicht noch ganz gut.

GOLLWITZ
zögernd.
Meinst du?
NEUMEISTER.

Die effektvollsten Szenen kommen doch erst noch. Zum Beispiel der zweite Aktschluß, der muß gefallen.

GOLLWITZ.
Ach, wenn du recht hättest, Leopold!
NEUMEISTER.

Gewiß habe ich recht. Komm, wir wollen noch einmal ins Theater hinübergehen. Vielleicht wirst du sogar noch gerufen. Will Gollwitz durch die Mitte abführen.

14. Auftritt
14. Auftritt.
Vorige. Striese.

STRIESE
eiligst durch die Mitte, in dem fast bis auf den Boden reichenden Kaisermantel, den er schon vorhin trug, mit aufgestelltem Rockkragen, Hut in der Hand, sehr verstört.
Herr Professor! Herr Professor!
GOLLWITZ.
Striese, Mensch, was gibt es denn?
NEUMEISTER.
Wo kommen Sie denn her?
[107]
STRIESE
atemlos.
Aus dem Theater, direktement von der Bühne herunter. Es ist aus! Jammernd. Es ist alles aus!
GOLLWITZ.
Was sagen Sie?
NEUMEISTER.
Was ist denn geschehen?
STRIESE
jammernd auf- und ablaufend.

Nee, daß mir das noch passieren muß auf meine alten Tage. Fünfundzwanzig Jahre bin ich Theaterdirektor, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.

GOLLWITZ
wütend.
Mensch, wenn Sie jetzt nicht sprechen –
NEUMEISTER
von der andern Seite.
Was hat es denn nur gegeben?
STRIESE.
Was es gegeben hat? Stark. Einen Theaterskandal hat es gegeben.
GOLLWITZ.
Allmächtiger Gott! Fällt in einen Stuhl.
STRIESE.

Mitten im zweiten Akt haben wir aufhören müssen zu spielen. Den Vorhang haben wir fallen lassen müssen. So was von Zischen und Pfeifen habe ich noch nicht einmal auf der Eisenbahn gehört. Die Leute im Theater sind auf die Stühle und Bänke hinaufgesprungen. Wie die Besessenen haben sie durcheinander geschrieen: »Aufhören! Aufhören! Nicht weiter spielen! Vorhang herunter!« Einige haben sogar die Unverschämtheit gehabt, ihr Eintrittsgeld zurückzuverlangen.

GOLLWITZ.
Entsetzlich!
[108]
STRIESE.

Aber an dem ganzen Unglück ist niemand andres schuld, als die hinterlistige Kreatur, Ihr Papagei, Herr Doktor. – Es war gerade in der vierten Szene des zweiten Aktes. Das Publikum war in der allerschönsten Stimmung. Die Hofdame oben in der Loge hatte sich sogar schon zweimal die Augen ausgewischt vor Rührung. Ich stand als König Titus Tatius ganz vorn rechts am Souffleurkasten mit unterschlagenen Armen, den finster drohenden Blick auf das Römerheer gerichtet. Meine Frau als Virginia war grade beim Schluß ihrer großen Rede angelangt, wo sie dem König Romulus verzweiflungsvoll zuruft: »Beim Zorn der Götter, König, frag' ich dich, steh' Rede mir! Was willst du von mir? Sprich!« Und in diesem selbigen Augenblick schreit der verflixte Papagei ganz laut und deutlich dazwischen: »Gib mir ein Küßchen.« Na, nun war es natürlich aus. Die Leute sind gleich vor Lachen von den Stühlen heruntergefallen. Die Hofdame in der Loge oben ist eigenhändig vom Fauteuil aufgesprungen und zur Türe hinausgelaufen. Und im Parterre – ein Geschrei und ein Getobe – es war der reine Hexensabbath. Wer weiß, was sie uns noch alles auf die Bühne geworfen hätten, wenn meine älteste Tochter nicht die Geistesgegenwart gehabt hätte, den Vorhang herunterzulassen. Meine Frau war einer Ohnmacht nahe. Was weiter geschehen ist, weiß ich nicht, denn ich habe mir nur gleich den Mantel übergeworfen – bin herübergelaufen – und da bin ich!

NEUMEISTER.
Ob ich es nicht geahnt habe, daß es so kommen wird.
GOLLWITZ.
Wenn es jetzt bekannt wird, daß ich das Stück geschrieben habe – ich bin blamiert.
NEUMEISTER.
Pst! Die Mama!
GOLLWITZ
leise und schnell zu Striese.
Keine Silbe vor ihr!
[109] STRIESE beiseite.
Ei du Donnerwetter.
NEUMEISTER.
Jetzt wird es hübsch.
15. Auftritt
15. Auftritt.
Vorige. Friederike. Dann Rosa.

FRIEDERIKE
von links hinten zu Striese.

Ah, mein Herr, Sie sind hier, das ist mir lieb, daß ich Sie treffe! Sie haben es neulich gewagt, sich für etwas auszugeben, was Sie gar nicht sind.

NEUMEISTER
leise.
Aber Mama, ich bitte Sie.
FRIEDERIKE.

Lassen Sie mich. Ich will endlich die Wahrheit erfahren. Wer sind Sie, mein Herr, und was suchen Sie in meinem Haus?

STRIESE
ängstlich.
Ei nun, meine verehrte Madame, das ist ja sehr einfach. – Ich bin nämlich – Stockt.

Gleichzeitig.
GOLLWITZ leise zu Striese.
Schweigen Sie!
FRIEDERIKE.
Nun, nun? Drängend.
STRIESE.

Nun, das ist sehr einfach. – Wer ich bin und was ich hier suche – das kann Ihnen am allerbesten Ihr Herr Gemahl sagen.

[110]
NEUMEISTER
leise zu Friederike.
Aber Mama, was machen Sie denn? Das ist ja der Konsistorialrat Hoffmann aus Berlin.
GOLLWITZ
ebenso.
Natürlich, es ist der Konsistorialrat. Sei doch höflich mit ihm.
ROSA
mit einer Tasse Tee durch die Mitteltür, schluchzend.
Madame, da ist der Tee.
NEUMEISTER.
Der Tee? Nimmt die Tasse. Herr Konsistorialrat, darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?
STRIESE.
Danke bestens, Sie sind sehr freundlich.Will die Tasse nehmen.
GOLLWITZ
von der andern Seite, nimmt Striese den Hut ab.
Aber bitte, Herr Konsistorialrat, machen Sie es sich doch erst bequem, legen Sie gefälligst ab.
STRIESE.

Nun, wenn Sie gütigst erlauben, dann bin ich so frei. Hat vergessen, daß er das Römer-Kostüm unter dem Kaisermantel trägt und zieht also ganz arglos den Mantel aus, steht nun im Kostüm des Königs Titus Tatius da. Fleischfarbene Trikots, weiße Tunika mit Gürtel, nackte Arme, an den Füßen Straßenstiefeletten.

FRIEDERIKE
bei diesem Anblick aufschreiend.
Was ist denn das? Sinkt auf einen Stuhl.
ROSA
gleichzeitig aufschreiend.
Jetzt ist alles verloren! Sinkt auf einen Stuhl.
[111]
STRIESE
bemerk erst jetzt sein Kostüm und erschrickt komisch.
Ach, du lieber Gott!

Stellung.


Der Vorhang fällt.

Ende des dritten Aktes.

4. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Gollwitz. Dann Rosa. Striese.

GOLLWITZ
sitzt am Schreibtisch in derselben Fracktoilette, wie am Schluß des dritten Aktes, die weiße Krawatte gelöst, mit wirrem Haar, übernächtig abgespannt, hat geschrieben und legt die Feder weg.

So, das wäre erledigt. Und jetzt könnte ich abreisen; hoffentlich wird mir der Urlaub bewilligt. Es klopft, er springt auf. Es klopft? Sollte vielleicht meine Frau? Geht zur Mitteltür und spricht durch die geschlossene Tür. Riekchen, bist du es?

ROSA
hinter der geschlossenen Tür.
Nein, Herr Professor, ich bin es, machen Sie doch auf.
GOLLWITZ
schließt die Tür auf und läßt Rosa eintreten.
Was willst du denn?
ROSA
mit einem Tablett, auf dem ein Teekessel mit Spirituslampe, ein Brotkorb, Zuckerbüchse etc.

steht, eintretend. Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück, Herr Professor. Setzt das Tablett auf den Tisch vorn und steckt die Spirituslampe an.

GOLLWITZ.
Ich danke! Ich frühstücke nicht.
[113]
ROSA.

Aber das geht nicht, das kann ich ja gar nicht verantworten. Sie werden am Ende noch krank. Sehen Sie nur in den Spiegel, wie Sie aussehen, ganz übernächtig. Und nun wollen Sie nicht einmal etwas Warmes zu sich nehmen. Trinken Sie wenigstens eine Tasse Tee.

STRIESE
den Kopf durch die Alkovengardine hereinsteckend.
Dürfte ich vielleicht bei der Gelegenheit auch um ein Täßchen bitten?
ROSA
erschrocken.
Ach, du lieber Gott, wer ist denn das?
STRIESE
öffnet die Gardine und kommt in den Vordergrund, er trägt ein schwarzes Beinkleid und einen schwarzen hochgeschlossenen Rock.
Nun, nun, erschrecken Sie nicht. Ich bin es ja nur, der Striese.
ROSA.
Herr Direktor, was machen Sie denn da?
STRIESE.

Ich habe dahinten auf dem Sofa übernachtet, und dann war der Herr Professor so gütig, mir mit seiner Garderobe ein bißchen auszuhelfen. Ich habe mich ja gestern abend, weiß Gott, gar nicht mehr zu meiner Frau nach Hause getraut, nach dieser entsetzlichen Blamage.

ROSA.

Und Sie, Herr Professor, haben wohl auch nicht geschlafen? Richtig, Sie haben noch den Frack von gestern an.

GOLLWITZ.
Ich habe die Nacht im Lehnstuhl verbracht.
ROSA.
Du himmlische Güte! Das ist doch zu schrecklich! Und da wollen Sie nicht einmal frühstücken?
[114]
GOLLWITZ.
Wenn ich dir sage, daß ich nichts nehmen kann, mir ist die Kehle wie zugeschnürt.
STRIESE.

Nu, dann erlauben Sie, daß ich so frei bin zuzugreifen; mir ist, weiß Gott, ganz elend vor lauter Hunger. Ich möchte mich ein bißchen stärken für das erste Zusammentreffen mit meiner Frau.Schenkt sich während der folgenden Szene wiederholt Tee aus der Kanne ein, ißt und trinkt eifrig.

GOLLWITZ
beiseite.

An meine Frau darf ich gar nicht denken. Wenn ich nur wüßte, ob – Nimmt Rosa beiseite. Rosa, hat dir meine Frau keinen Auftrag gegeben?

ROSA.

Ach Gott, die Madame ist ja so wütend. – Gestern abend, wie der Herr Professor mit dem Direktor aus dem Zimmer draußen waren – dann ist es erst über uns hergegangen, – zuerst über Fräulein Paula und dann über mich. Behandelt hat mich die gnädige Frau, gerade als ob ich das Stück geschrieben hätte. – Und ich kann doch wahrhaftig nicht dafür, daß es so miserabel ist. Ich habe freilich beim Vorlesen immer schon meine Bedenken gehabt. Denn sehen Sie, Herr Professor, ich bin gewiß fürs Traurige im Theater, aber das Stück, habe ich mir gedacht, das ist doch zu traurig. Besonders gegen das Ende zu, wo einem dann so einer nach dem andern unter den Händen wegstirbt. Das ist ja der reine Jammer.

STRIESE.

Weil Sie das nicht verstehen, meine liebe Rosa. Ich bin ein alter Theaterhase, und ich sage Ihnen, je mehr die Leute im Theater weinen können, desto lieber ist es ihnen. Wenn nur gestern der Malefiz-Papagei nicht dazwischen gesprochen hätte. Sie werden sehen, wenn wir das Stück zum zweiten Male geben –

GOLLWITZ.
Mensch! Sie denken doch nicht daran, daß ich das Stück jemals wieder aufführen lassen werde?
[115]
STRIESE.
Aber –
GOLLWITZ.

Das Manuskript wird verbrannt und damit ist die Geschichte aus. Hoffentlich erfährt niemand in der Stadt, daß ich der Verfasser bin, denn sonst –

STRIESE.

Was das anbelangt, da können Sie ganz ruhig sein. Von mir und meiner Frau ist nichts herauszukriegen.

GOLLWITZ.

Ich verlasse mich darauf. Und überdies reise ich noch heute ab, wenn ich den Urlaub bekomme, um den ich gebeten habe. Ich will über die Geschichte hier erst Gras wachsen lassen.

STRIESE.
Aber, verehrtester Herr Professor.
GOLLWITZ.

Lassen Sie mich, es bleibt dabei. Ich packe meine Sachen. Rosa, bringe mir meinen Lederkoffer vom Boden. Ab rechts.

ROSA
jammernd.

Es war immer so ein seelensguter Herr Wischt sich die Augen. und nun muß ihm auf seine alten Tage noch so etwas passieren.

STRIESE
hat inzwischen zwei bis drei Tassen Tee getrunken – schiebt jetzt Tasse von sich weg.

Ich weiß gar nicht, Rosa, was das ist, aber je mehr ich von dem Zeug trinke, desto schlappriger wird mir im Magen.

ROSA.

Ja, es ist aber doch – – Bemerkt plötzlich, daß die Teeblätter noch auf einem kleinen Schüsselchen liegen, da sie vergessen hat, sie in den Teekessel zu werfen, erschrickt und schreit laut auf. Ach, du barmherziger Himmel!

STRIESE
sehr erschrocken, aufspringend.
Herrjeses, was haben Sie denn?
[116]
ROSA
hebt mit einer Hand den Deckel vom Kessel, zeigt mit der andern in den Kessel hinein, ängstlich.
Um Gottes willen, Herr Direktor, haben Sie denn das getrunken?
STRIESE
zitternd, lallend.
Nu freilich: drei Tassen voll!
ROSA
schreit auf und sinkt auf einen Stuhl.
Ach, Sie Aermster!
STRIESE.
Was ist damit, Rosa? Es wird doch nicht vielleicht Gift –?
ROSA
jammernd.

Nein, nein, aber da liegt ja noch der Tee! Es war ja noch gar nichts drin! Die Hände zusammenschlagend. Sie haben den ganzen Kessel voll heißem Wasser ausgetrunken.

STRIESE.

Na, hören Sie, da können Sie von Glück sagen. Ich bin Gott sei Dank im Essen und Trinken nicht so wählerisch, aber wenn das einem Feinschmecker passiert, der wird unangenehm.

2. Auftritt
2. Auftritt.
Vorige. Sterneck.

STERNECK
eilig durch die Mitte.

Endlich finde ich Sie, lieber Direktor! Ich habe Sie schon überall gesucht. Ich muß Ihnen eine große Neuigkeit mitteilen.

STRIESE.

Wenn es etwas Aufregendes ist, dann haben Sie die Güte und bringen Sie es mir schonend bei. In meinem Innern sieht es ohnedies schon traurig genug aus. Sich nach dem Magen greifend. Rosa, ich nehme mir ein Gläschen Schnaps.Schenkt sich aus der auf dem Tablett stehenden Rumflasche ein Gläschen Rum ein. – Zu Sterneck. Erzählen Sie nur immer, ich höre zu.

[117]
STERNECK.

Nun also, gestern abend ist – – Bemerkt, daß Rosa zuhört und will sie wegschicken. Ach Rosa, bitte, könnten Sie mir nicht ein Glas Wasser besorgen?

ROSA
geht durch die Mitte ab.
STRIESE
setzt bei dem Worte »Wasser« das Rumglas, das er eben zum Munde führen wollte, schaudernd ab; kläglich zu Sterneck.

Wasser?! Hören Sie, wenn Sie noch einmal das Wort Wasser aussprechen, weiß Gott, ich strafe Sie mit einer Viertelmonatsgage.

STERNECK
eifrig.

Also, gestern ist mein Vater angekommen. Ich war die ganze Nacht mit ihm im Hotel zusammen. Wir haben uns ausgesprochen und vollständig versöhnt. Ich reise noch heute mit ihm nach Hause.

STRIESE.
Und wie lange wollen Sie denn da Urlaub haben?
STERNECK.

Nein, lieber Direktor, um einen Urlaub handelt es sich nicht. Ich will überhaupt dem Theater gänzlich Lebewohl sagen und bitte um meine Entlassung.

STRIESE.

Das hat mir noch gefehlt. Aber Mensch, wo denken Sie denn eigentlich hin? Wie kann ich Sie denn entlassen, noch dazu augenblicklich? Ich brauche Sie ja wie einen Bissen Brot. Von Ihrem Talent will ich noch gar nicht einmal reden; aber Ihre geradezu aristokratische Garderobe, der hellgelbe Ueberzieher, der Frack mit dem Seidenfutter und ihr Pelz mit dem Biberkragen, das sind ja wahre Prachtstücke. Ich sage Ihnen, ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre Theaterdirektor, aber einen Liebhaber mit zwei weißen Piqué-Anzügen zum Wechseln, das habe ich noch nicht gehabt. Wie sollen wir denn ein Salonstück geben, wenn Sie mit Ihrem Chapeau claque abreisen. Und dabei Ihre glückliche Figur.

[118]
STERNECK
bescheiden ablehnend.
Aber ich bitte Sie, lieber Direktor.
STRIESE.

Nur keine falsche Bescheidenheit. Ich sage Ihnen, Sie haben eine sehr glückliche Figur, denn jedem einzelnen von uns haben Ihre Sachen gepaßt, wie angegossen. Sogar meine Frau hat neulich als »Pariser Taugenichts« in Ihrem Sammetjackett einen großartigen Erfolg gehabt.

STERNECK.
Seien Sie nur ganz unbesorgt. Meine Theatergarderobe lasse ich Ihnen zum Andenken.
STRIESE
schüttelt Sterneck gerührt die Hand.
Sterneck, das ist ein schöner Zug von Ihnen.
STERNECK.
Warten Sie, es kommt noch besser. Der Bruder meines Vaters ist nämlich Bürgermeister in Neustadt.
STRIESE.
Wo sie jetzt das schöne neue Theater gebaut haben?
STERNECK.

Ja, und wenn Sie mich freigeben, macht sich mein Vater verbindlich, Ihnen die Direktion in Neustadt zu verschaffen.

STRIESE.

Mensch! Die Theaterdirektion in Neustadt! Sie sind entlassen. Sie sind augenblicklich entlassen. Auf und ab laufend. In Neustadt! Ei, du Donnerwetter du, da kann man ja den ganzen Winter durchspielen.

STERNECK.
Also, es ist alles abgemacht?
STRIESE.

Na und ob. Das heißt, jetzt müssen Sie noch mitkommen zu meiner Frau. Sie müssen dabei sein, wenn ich ihr die [119] Geschichte von Neustadt erzähle, da sollen Sie einmal etwas erleben von einer Freude. Sehen Sie, meine Frau ist immer zufrieden gewesen mit unserm bißchen, aber das weiß ich doch, es ist schon lange ein heimlicher Wunsch von ihr, auch mal länger als sechs Wochen an ein und demselben Ort bleiben zu können. Kommen Sie, wir gehen gleich zu ihr.

STERNECK
zögernd.
Lieber Direktor – ich komme später. – Ich möchte mich hier im Hause noch empfehlen.
STRIESE.
Der Herr Professor ist da drin. Zeigt nach rechts.
STERNECK.

So, ich danke Ihnen. Ich werde einmal anklopfen. Geht zur Tür und erhebt die Hand, um anzuklopfen, hört in diesem Augenblick Paulas Stimme, läßt den Arm sinken und klopft nicht.

PAULA
hinter der Szene.
Hier hinein, Rosa, hier hinein.
STERNECK
beiseite.
Ah, da ist sie!
STRIESE.
Nanu, lieber Sterneck, warum klopfen Sie denn nicht?
3. Auftritt
3. Auftritt.
Paula. Rosa. Vorige.

PAULA
mit einer Reisetasche in der Hand; zu Rosa im Eintreten durch die Mitte.
Stelle den Korb dorthin zum Schrank; ich packe nachher. Zeigt auf den Schrank, der links vorn steht.
ROSA
die einen großen Reisekorb und einen Lederkoffer trägt, stellt den Korb in die Nähe des Schranks, den Koffer vor den Alkoven und geht dann durch die Mitte ab.
PAULA
bemerk erst jetzt die Herren.
Ach, entschuldigen Sie, meine Herren, ich suche Papa.
[120]
STRIESE.
Der Herr Professor ist da im Zimmer, mein verehrtes Fräulein. Nach rechts zeigend.
PAULA.

Sie warten wohl auch auf ihn? – Nun, ich werde einmal anklopfen. Geht zur Tür rechts und erhebt die Hand, um zu klopfen.

STERNECK
rasch dazwischen.
Ach bitte, Fräulein Paula, klopfen Sie nicht.
PAULA.
Wie?
STERNECK.

Bleiben Sie doch ein wenig hier – das heißt – ich meine – vielleicht stören Sie den Herrn Professor jetzt.

PAULA
läßt die Hand sinken, verlegen.
Ja, ja, das wäre möglich.
STRIESE.
I bewahre. Der packt nur seine Sachen. Ich werde gleich einmal anklopfen.
PAULA UND STERNECK
treten rechts und links an Striese heran, halten ihn von der Tür zurück und sagen gleichzeitig.
Ach bitte, nein. Klopfen Sie nicht.
STRIESE
begreift die Situation.

Sieht beide schlau schmunzelnd an, dann beiseite. Ach so, jetzt begreife ich erst. Laut mit Humor. Nee, nee. Seien Sie ganz unbesorgt. Ich klopfe nicht. Das wäre ja geradezu eine Gemeinheit von mir, wenn ich jetzt klopfen wollte, wo Sie doch beide ausdrücklich dagegen sind.

STERNECK
verlegen.
Ich hätte Ihnen nämlich eine Mitteilung zu machen, liebes Fräulein.
[121]
PAULA
ebenfalls ein wenig verlegen.
Ist es eine wichtige Mitteilung?
STERNECK
warm.
Ich glaube.
PAULA
ebenfalls warm.
Wahrhaftig?
STERNECK.

Und dabei drängt die Zeit. Sieht nach der Uhr. In zwei Stunden geht der Zug – ich muß mit meinem Papa nach Berlin fahren mit dem Kurierzug um 11 Uhr 22.

PAULA.
Und ich fahre mit Mama nach Halle – um 2 Uhr 40.
STERNECK
traurig.
Wer weiß, wann wir uns dann wieder sehen.
PAULA
noch trauriger.
Vielleicht nie.
STRIESE
mit gespielter Unbefangenheit.

Nun, meine Herrschaften, da wäre es doch das beste, wenn Sie sich gleich hier gegenseitig aussprechen täten?

STERNECK.

Aber, lieber Direktor, das geht nicht. Was ich mit dem Fräulein zu sprechen habe, kann ich nur unter vier Augen sagen.

STRIESE.
Dann gehe ich eben ganz einfach durch die Mitte ab und lasse Sie beide allein.
PAULA.

Das nützt ja nichts. Wenn Sie uns auch allein lassen, der Papa kann doch jeden Augenblick hereinkommen.

STRIESE
schelmisch drohend.
Hören Sie, Fräulein, Sie denken aber auch an alles.
[122]
PAULA
zu Sterneck.
Und schreiben können Sie es mir wohl nicht?
STERNECK
eifrig.
Nein, das ist ganz unmöglich.
STRIESE
schelmisch.
Na ja, es gibt eben gewisse Dinge, die man durchaus mündlich abmachen muß.
STERNECK
eifrig zustimmend.
Natürlich!
PAULA
naiv.

Da befinden Sie sich aber in einer schrecklichen Lage, Herr Sterneck. Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann. Aber ich muß jetzt noch packen, Mit Betonung. da drinnen im Wohnzimmer – diese Tasche hier. Geht zur Tür und wendet sich dann noch einmal um. Es ist zu anstrengend, wenn man eine so große Tasche ganz allein vollpacken soll.

STERNECK
zu Paula eilend.
Fräulein, wenn ich Ihnen helfen dürfte.
PAULA.

Das wäre mir freilich sehr angenehm. – Wissen Sie, man kann die einzelnen Sachen viel bequemer hineinlegen, wenn einem jemand die Tasche so offen hinhält. Hält Sterneck die weitgeöffnete Reisetasche hin.

STERNECK
nimmt die Tasche und drückt sie an sein Herz.
Ach, Fräulein, ich werde sie halten und von ganzem Herzen.
PAULA
zu Striese.
Sie entschuldigen uns wohl, Herr Striese, aber Sie sehen – die Tasche –
STERNECK
eifrig.
Ja, ja – die Tasche –
[123]
STRIESE.

Ih nu freilich, das kenne ich. So eine Tasche hat's in sich. Nun, seien Sie nur recht fleißig, es ist die höchste Zeit.

PAULA.
Natürlich! Zu Sterneck. Kommen Sie. Ab links.
STERNECK.
Ach ja. Ich komme. Paula nach.
STRIESE
Paula und Sterneck nachsehend.

Ja, ja, zu so was kommt man nur, so lange man noch jugendliche Liebhaber spielt. Na, ich glaube, zu der Rolle wird er keinen Souffleur brauchen.

4. Auftritt
4. Auftritt.
Striese. Gollwitz.

GOLLWITZ
im Reiseanzug, mit einem halbgepackten Handkoffer, den er auf den Tisch rechts geöffnet hinlegt.
Soweit wäre ich, jetzt muß ich nur noch einige Wäsche und Kleider einpacken. Geht nach links.
STRIESE
vertritt Gollwitz den Weg zur linken Seitentür.
Erlauben Sie, Herr Professor, da haben Sie aber doch in dem Zimmer da nichts zu tun?
GOLLWITZ.
In diesem Zimmer? Nein.
STRIESE.

Das ist mir sehr angenehm. Ich sollte nämlich hier aufpassen, daß im Lauf der nächsten Viertelstunde niemand hineinkommt. Da ich aber keine Zeit habe, wäre es mir sehr lieb, wenn der Herr Professor so gütig wären, selber ein bißchen Wache zu halten.

GOLLWITZ.
Ja, aber –
[124]
STRIESE.

Da sind nämlich zwei Leute drin, die gern ungestört sein möchten; sie bereiten eine Ueberraschung für den Herrn Professor vor. Indessen laufe ich ins Hotel zu dem alten Herrn Groß und schicke ihn herüber. Wenn sich die beiden Leutchen drinnen beeilen, kann er vielleicht noch alles in Ordnung bringen, bevor der Kurierzug abgeht. Ich sage Ihnen, Herr Professor, Sie werden Ihre Freude an der Geschichte haben. Ab durch die Mitte.

GOLLWITZ
seufzend.

Ach, du lieber Gott, ich möchte wissen, was mir heute noch Freude machen könnte. Geht in den Alkoven und nimmt aus dem dort stehenden Schrank Kleider zum Einpacken heraus.

5. Auftritt
5. Auftritt.
Gollwitz. Friederike. Marianne.

MARIANNE
durch die Mitte, zurücksprechend.
Komm nur, Mama, es ist niemand hier.
FRIEDERIKE
eintretend.
Das ist mir lieb.
GOLLWITZ.
Meine Frau! Zieht sich geräuschlos in den Alkoven zurück.
FRIEDERIKE
vorkommend.
Ich möchte mit gewissen Leuten nicht zusammentreffen.
MARIANNE
begütigend.
Aber Mama.
FRIEDERIKE.

Die Schlüssel der übrigen Zimmer habe ich dir gegeben, du wirst sie aufbewahren, bis ich von Halle zurückkomme – wenn ich überhaupt noch einmal zurückkomme. Um dieses Zimmer hier brauchst du dich nicht zu bekümmern, hier will ich nur mein Bild fortnehmen Nimmt eine große, eingerahmte Photographie von der Wand. – es gehört nicht mehr hierher.

[125]
MARIANNE
hat Gollwitz im Alkoven bemerkt, leise zu Friederike.
Papa ist dort hinten im Alkoven.
FRIEDERIKE
ohne sich stören zu lassen, von nun an mit absichtlicher Kälte.

Gib das Bild dem Dienstmädchen. Es soll oben auf den Trockenboden gestellt werden – mit dem Gesicht gegen die Wand.

GOLLWITZ
kommt zögernd nach vorn, schüchtern bittend.
Aber Friederike –
FRIEDERIKE
ignoriert Gollwitz vollständig, wendet ihm den Rücken zu und spricht zu Marianne, als ob sie nicht von Gollwitz, sondern von ihr unterbrochen worden wäre – determiniert.
Mit dem Gesicht gegen die Wand, es bleibt dabei!
GOLLWITZ
wie oben.
Friederike, willst du denn auch abreisen?
FRIEDERIKE
wie oben zu Marianne.

Ich habe dir doch schon gesagt, daß mein Entschluß unerschütterlich feststeht. Ich reise mit Paula zu meiner Schwester nach Halle. Um zwei Uhr vierzig geht der Zug. Dort bin ich wenigstens sicher, nicht belogen und hintergangen zu werden.

MARIANNE.
Sei doch nicht so hart, Mama. Siehst du, ich habe Leopold auch alles verziehen.
FRIEDERIKE
höhnisch.
So?
MARIANNE.

Wir haben uns ausgesprochen und versöhnt. Dabei habe eingesehen, daß ich auch einen Teil der Schuld trage.

FRIEDERIKE.

Wirklich? So weit hat er dich also schon? Das ist die rechte Höhe. Du armes Schäfchen. Uebrigens kann dein Mann sich wenigstens noch mit seiner Jugend entschuldigen, und er hat[126] dir auch nicht die Beleidigung angetan, hinter deinem Rücken Geheimnisse mit dem Dienstmädchen zu haben.

GOLLWITZ.
Aber Friederike, ich wollte dir ja nur eine freudige Ueberraschung bereiten.
FRIEDERIKE
ignoriert Gollwitz konsequent; zornig zu Marianne, als ob diese gesprochen hätte.

Was? Eine freudige Ueberraschung? Blamiert hast du dich – und uns alle vor der ganzen Stadt. – Das verzeihe ich dir nie!

GOLLWITZ.

Mit der Frau ist nicht zu reden. Geht rechts vorn und packt wütend Bücher aus dem Bibliothekschrank, der an der Wand rechts steht, in den Koffer, den er vorhin auf den Tisch rechts vorn gestellt hat.

FRIEDERIKE
zu Marianne.
Hilf mir jetzt den Korb hier packen. Oeffnet den Korb, der links vorn steht.
MARIANNE
öffnet den Glasschrank, der links vorn an der Wand steht und reicht während des Folgenden Friederike verschiedene Gegenstände zum Einpacken zu, Silberzeug, feine Tischwäsche, Schmuckkästchen, Pappkartons usw.
6. Auftritt
6. Auftritt.
Vorige. Groß.

GROSS
durch die Mitte.
So, da bin ich, liebe Freunde.
GOLLWITZ
ärgerlich.
Ach du mein Gott. Packt eifrig und unordentlich seinen Koffer.
GROSS
nach der Uhr sehend.
Der Zug geht in einer Stunde. Wenn wir uns also beeilen, können wir noch alles besprechen.
FRIEDERIKE
ärgerlich beiseite.

Was will denn der wieder hier? Wickelt die Gegenstände, die ihr Marianne reicht, in Zeitungspapier und packt eifrig.

[127]
GROSS.
Sie haben mich wohl schon mit Sehnsucht erwartet?
GOLLWITZ
ungeduldig.
Nun – das heißt – eigentlich –
GROSS.

Ja, Herzensprofessor, ich habe nicht früher kommen können. Striese war erst in diesem Augenblick bei mir und hat mir gesagt, daß hier alles in Ordnung wäre.

FRIEDERIKE.
Aber verehrter Herr, Sie sehen – wir sind beschäftigt.
GROSS.

Ach so, Sie packen schon. Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören. Ich kann Ihnen sogar ein bißchen helfen. Darauf verstehe ich mich. Nimmt einen ausgestopften Vogel, der auf dem Schreibtisch steht, wickelt ihn in mehrere Blätter Zeitungspapier, die er aus dem Papierkorb nimmt.

GOLLWITZ
zu Groß, ungeduldig.
Dürfte ich vielleicht fragen, was Sie eigentlich zu uns führt?
GROSS
lachend.

Was mich zu Ihnen führt? Nun, hören Sie doch den Professor an, meine Damen. Fragt mich ganz fremd, was mich hierher führt.Geht, den Vogel einwickelnd, zum Tisch rechts. Aber Professorchen, wie kann man denn nur so zerstreut sein. Sie wissen doch, daß es sich um meinen Sohn handelt.

GOLLWITZ
verzweifelt.
Schon wieder der ungeratene Emil.
GROSS.

Ach, warum nicht gar. Ungeraten? Mein Emil ist der beste Junge der Welt. Legt den Vogel in den Koffer und nimmt von dem Tische rechts vorn die Zuckerdose des dortstehenden Teeservices, die er ein Zeitungsblatt einwickelt. Im Vertrauen gesagt, ich glaube, die Liebe hat ihn so verändert. Meinen Sie nicht?

[128]
GOLLWITZ
ungeduldig.
Das ist schon möglich.
GROSS.

Sie werden Ihre Freude an ihm haben. Und Sie auch, gnädige Frau. Geht nach links. Wenn der erst verheiratet ist, das wird der solideste Ehemann von der Welt. – Legt die Zuckerdose in den Korb links vorn. Und ein Herz hat der Junge. Nimmt eine Schlummerrolle vom Lehnstuhl. Sie glauben gar nicht, wie er Ihre ganze Familie achtet und schätzt. Will die Schlummerrolle in den Korb legen.

FRIEDERIKE
abwehrend.
Aber was machen Sie denn da?
GROSS.

Ach so, das nehmen Sie nicht mit? Legt die Schlummerrolle wieder auf den Stuhl. Und was die pekuniären Verhältnisse anbelangt, so können Sie ganz beruhigt sein. Ich nehme ihn jetzt als Kompagnon in mein Geschäft. Er hat sein gutes Auskommen, und wenn ich einmal nicht mehr bin, gehört alles ihm.

GOLLWITZ.
Aber das interessirt uns ja gar nicht!
GROSS
schüttelt Gollwitz die Hand.

Braver Mann. Noble Gesinnung. Hab's Ihnen aber gleich auf den ersten Blick angesehen. – Gleich damals im Reichshallentheater habe ich mir gesagt: Das ist ein Ehrenmann. Zu Friederike. Aber mein Junge denkt gerade so. Er nimmt das Mädel, wie sie geht und steht; ohne einen Groschen.

FRIEDERIKE
ironisch.
Das ist sehr edel von ihm.
GROSS.

Nicht wahr? Kinder, das wird einmal eine vergnügte Hochzeit werden. Frau Professor, wir tanzen miteinander den ersten Walzer.

[129]
FRIEDERIKE.
Walzer tanzen?
GROSS
zu Gollwitz.
Und Sie sprechen die Tischrede.
GOLLWITZ
verzweifelt.
Tischrede? Nein, nun halte ich es nicht mehr aus.
GROSS.

Ich auch nicht, lieber Freund. Und die Kinder wollen wir nicht länger zappeln lassen. Wo ist denn das glückliche Brautpaar?

7. Auftritt
7. Auftritt.
Vorige. Paula. Sterneck. Dann Neumeister.
Paula und Sterneck Hand in Hand von links.

STERNECK.
Da sind wir, Papa.
GOLLWITZ UND FRIEDERIKE
zugleich, sehr erstaunt.
Ja, was ist denn das?
GROSS
gerührt Sternecks und Paulas Hände vereinigend.
Kinder, jetzt bin ich ganz glücklich.
NEUMEISTER
durch die Mitte hereinstürmend.
Schwiegerpapa, ich bringe eine große Neuigkeit.
MARIANNE.
Was gibt es denn?
GOLLWITZ.
Mein Urlaub?
NEUMEISTER.

Ist bewilligt. Aber das ist Nebensache. Denkt Euch nur, überall in der Stadt wird mir erzählt, »Der Raub der Sabinerinnen« soll ja gestern einen großen Erfolg gehabt haben.

[130] MARIANNE.
Wie?
FRIEDERIKE.
Was sagen Sie?
GOLLWITZ.
Das ist nicht möglich!
GROSS.
Sprechen Sie von dem Stück gestern abend hier im Theater.
GOLLWITZ.
Natürlich.
GROSS.
Das habe ich gesehen. Ich war dort.
NEUMEISTER.
Nun?
FRIEDERIKE.
Sie?
GOLLWITZ.
Wie war es denn?
FRIEDERIKE.
Sprechen Sie doch.
GROSS.
Ein großer Erfolg. Das ist ein ausgezeichnetes Stück. Ich habe selten etwas Besseres gesehen.
FRIEDERIKE sehr erfreut.
Martin!
NEUMEISTER
zu Gollwitz.
Hörst du's?!
GOLLWITZ.
Aber, ich denke, mitten im zweiten Akt hat der Vorhang fallen müssen.
GROSS.

Ja, das wurde mir erzählt. Ich bin nämlich erst später gekommen. Es soll eine kleine Störung gegeben haben.

[131]
NEUMEISTER
rasch einfallend.
Aber die Direktion hat die Leute beruhigt, und dann wurde weiter gespielt.
GOLLWITZ.
Und der Rest hat gefallen?
GROSS.
Ich sage es Ihnen ja. Riesig.
NEUMEISTER
zu Gollwitz, handschüttelnd.
Ich gratuliere, Papa.
FRIEDERIKE
von der andern Seite zu Gollwitz, weich.
Martin, das macht alles wieder gut.
GOLLWITZ
umarmt Friederike zärtlich.
Friederike!
FRIEDERIKE.
Aber du schreibst kein Theaterstück mehr?
GOLLWITZ.
Ich schwöre es. Einmal im Leben und nicht wieder.
8. Auftritt
8. Auftritt.
Vorige. Striese. Zuletzt Rosa.

STRIESE
durch die Mitte hereinstürmend.

Herr Professor! Herr Professor! Wissen Sie es denn schon? Wir haben gestern abend im Theater noch einen Riesenerfolg gehabt!

FRIEDERIKE
schüttelt Striese glücklich die Hand.
Direktor, für diese Freudenpost verzeihe ich Ihnen alles.
GOLLWITZ.
Und jetzt reisen wir alle miteinander nach Berlin?
[132]
FRIEDERIKE.
Vorwärts, Kinder. Einpacken! Einpacken!
GOLLWITZ.
Wir haben nur noch vierzig Minuten.
ALLE
durcheinander.
Wir helfen alle.
ROSA
durch die Mitte, mit Handtaschen, Schirmen, Stöcken, Plaids hochbepackt.

Alle beschäftigen sich von jetzt ab bis zum Vorhangfallen mit komischem Eifer mit dem Einpacken. Neumeister und Marianne im Hintergrund beim Alkoven packen den Lederkoffer des Professors. Sterneck, Paula und Friederike vorn links packen den großen Reisekorb. Groß verschließt und verschnürt den Handkoffer des
Professors vorn rechts. – Lebhaft bewegtes Bild.
STRIESE
zieht den Professor in die Nähe des Souffleurkastens, geheimnisvoll.

Hören Sie, lieber Professor, wenn Sie jetzt nach Berlin reisen, dann kommen Sie nicht so bald wieder, damit Ihre Frau Gemahlin das Nähere über den gestrigen Abend erst gar nicht erfährt.

GOLLWITZ.
Warum denn?
STRIESE.

Nu, weil wir doch eigentlich den ganzen Erfolg nur wieder der Geistesgegenwart meiner Frau zu verdanken haben.

GOLLWITZ.
Was?
STRIESE.

Wie sie nämlich bemerkt hat, daß es mit Ihrem Stücke schief ging, hat sie, rasch entschlossen, etwas anderes eingeschoben.

GOLLWITZ.
Wie? Also die ersten zwei Akte –?
STRIESE.
Die waren von Ihnen! »Der Raub der Sabinerinnen.«
[133]
GOLLWITZ
entsetzt.
Und die beiden letzten?
STRIESE.
Die waren von L'Arronge: »Hasemann's Töchter.«
GOLLWITZ
entsetzt auf einen Stuhl sinkend.
Gerechter Himmel!

Der Vorhang fällt.

Ende.

[134]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schönthan, Franz und Paul von. Drama. Der Raub der Sabinerinnen. Der Raub der Sabinerinnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DA2B-3