Der Weinberg. Lorenzo

»Gutes Mädchen, gutes Mädchen,
Laß mich brechen von den Trauben!
Prangen sollte wohl der Weinberg,
Wenn du mir ihn anvertrautest.
Fleißig bin ich, auch erfahren,
Viele Stäbe sollst du schauen,
Grade Stäbe, stark und niedlich;
So gewinnt die Rebe Raum,
Daß sie üppig wachsend blühe,
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Stolz sich hebt von niederm Kraute,
Bis der Früchte Last sie beuget.
Weh mir, wenn die Fremde rauben!
Sorgsam will ich Senker pflanzen,
Tief den schönen Boden bauen.« –
Gütig sprach das edle Mädchen:
»Solchen Worten muß man glauben.
Hügel, Täler, Büsche, Wiesen
Geb' ich gleich und sah dich kaum.
Komm herein zur dunklen Laube
Glänzend winkt die volle Traube.« –
Sittsam drauf der holde Knabe:
»Ist es Wahrheit oder Traum nur?
Kirschen, Äpfel, auch Melonen
Find' ich hier auf grüner Auen,
Gib mir Kirschen, rote Kirschen!
Ach, wie durstet mir der Gaumen.«
»Stille Knabe, nimm und iß sie,
Magst sie selber zählen traun!
Äpfel kann ich zwei nur geben,
Aber glatt, du magst es glauben.«
Prüfend drauf der holde Knabe:
»Wunder, Wunder, welche Trauben!«
Kleine Erdbeern, süß Gewürze,
Und der Pfirsche zarten Pflaum,
Auch die schwellende Melone,
Alles wußf der Knab' zu brauchen,
Bleibt mit ihr in dunkler Laube,
Wo ihm glänzt die volle Traube.
Prangen mußte wohl der Weinberg,
Da sie den ihm anvertraute;
Fleißig war er und erfahren,
Schönen Boden treu zu bauen;
Hügel, Täler, Büsche, Wiesen
Blüten lachend seinem Auge;
Fester schlangen sich die Reben,
Stäbe hingen voll von Trauben.
War er müde von der Arbeit,
Labt' ihn der Melone Hauchen;
Volle Blumen, zarte Früchte
Gab das Mädchen ihm und Trauben.
Kommt herein zur dunklen Laube,
Glänzend winkt die volle Traube.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Nachträge aus dem Nachlass. Gedichte zur Lucinde. Der Weinberg. Lorenzo. Der Weinberg. Lorenzo. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D7EC-F